Plenarprotokoll 18/110 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 110. Sitzung Berlin, Freitag, den 12. Juni 2015 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 23: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erhöhung der Sicherheit informationstechnischer Systeme (IT-Sicherheitsgesetz) Drucksachen 18/4096, 18/5121 10563 A 10563 A – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/5122 10563 B Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI 10563 C Petra Pau (DIE LINKE) 10566 A Gerold Reichenbach (SPD) 10567 A Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10569 A Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) 10570 C Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) 10572 A Metin Hakverdi (SPD) 10573 B Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10574 C Clemens Binninger (CDU/CSU) 10576 A Christina Kampmann (SPD) 10577 D Hansjörg Durz (CDU/CSU) 10579 B Marian Wendt (CDU/CSU) 10580 D Tagesordnungspunkt 24: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten Drucksache 18/5088 10582 C b) Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Dr. André Hahn, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Auf Vorratsdatenspeicherung verzichten Drucksache 18/4971 10582 C Heiko Maas, Bundesminister BMJV 10582 D Jan Korte (DIE LINKE) 10585 B Marian Wendt (CDU/CSU) 10586 A Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär BMI 10588 A Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10589 D Dr. Eva Högl (SPD) 10591 C Halina Wawzyniak (DIE LINKE) 10593 B Dirk Wiese (SPD) 10594 B Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU) 10594 C Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10596 A Dr. Johannes Fechner (SPD) 10597 C Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) 10598 D Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 10600 D Thomas Jarzombek (CDU/CSU) 10602 A Tagesordnungspunkt 25: Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, Dr. Diether Dehm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Paralleljustiz für internationale Konzerne durch Freihandelsabkommen Drucksache 18/5094 10603 B Klaus Ernst (DIE LINKE) 10603 B Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) 10604 D Klaus Ernst (DIE LINKE) 10606 B Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10607 A Dirk Wiese (SPD) 10608 B Heike Hänsel (DIE LINKE) 10610 A Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) 10610 D Klaus Ernst (DIE LINKE) 10612 C Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) 10613 A Dr. Nina Scheer (SPD) 10613 B Tagesordnungspunkt 26: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des nationalen Bankenabwicklungsrechts an den Einheitlichen Abwicklungsmechanismus und die europäischen Vorgaben zur Bankenabgabe (Abwicklungsmechanismusgesetz – AbwMechG) Drucksache 18/5009 10614 C Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär BMF 10614 C Dr. Axel Troost (DIE LINKE) 10615 D Manfred Zöllmer (SPD) 10616 C Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10617 D Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) 10618 D Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) 10619 D Alexander Radwan (CDU/CSU) 10621 A Tagesordnungspunkt 27: a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Einhaltung der Menschenrechte in Aserbaidschan einfordern Drucksache 18/5092 10621 D b) Antrag der Abgeordneten Özcan Mutlu, Monika Lazar, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte in Aserbaidschan auch bei den Europaspielen 2015 einfordern Drucksache 18/5097 (neu) 10622 A Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU) 10622 A Dr. André Hahn (DIE LINKE) 10624 A Frank Schwabe (SPD) 10625 B Dr. André Hahn (DIE LINKE) 10625 B Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD) 10625 D Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10626 C Michaela Engelmeier (SPD) 10627 B Tagesordnungspunkt 28: a) Antrag der Abgeordneten Luise Amtsberg, Tom Koenigs, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Seenotrettung jetzt – Konsequenzen aus Flüchtlingskatastrophen auf dem Mittelmeer ziehen Drucksache 18/4695 10628 B b) Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Das Mittelmeer darf nicht zum Massengrab werden – Für eine Umkehr in der EU-Asylpolitik Drucksache 18/4838 10628 C Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10628 C Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI 10629 D Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10630 C Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10631 A Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10632 B Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI 10632 C Ulla Jelpke (DIE LINKE) 10633 B Christina Kampmann (SPD) 10634 B Nina Warken (CDU/CSU) 10635 C Dr. Lars Castellucci (SPD) 10636 D Andrea Lindholz (CDU/CSU) 10638 A Nächste Sitzung 10639 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 10641 A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 10641 D 110. Sitzung Berlin, Freitag, den 12. Juni 2015 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich. Brauchen Sie noch länger für Ihre wechselseitige Begrüßung? Sonst würde ich den Versuch unternehmen, in die vereinbarte Tagesordnung einzutreten. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erhöhung der Sicherheit informationstechnischer Systeme (IT-Sicherheitsgesetz) Drucksache 18/4096 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/5121 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/5122 Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Dass wir nicht über ein theoretisches Problem reden, sondern über eine handfeste Herausforderung, ist auch uns selber in den letzten Wochen hinreichend deutlich vor Augen geführt worden. Deswegen nutze ich die Gelegenheit gerne, jedenfalls die anwesenden Kolleginnen und Kollegen auf die Unterrichtung aufmerksam zu machen, die ich gestern nicht zum ersten Mal nach der intensiven Befassung im Ältestenrat auf der Basis der Unterrichtung durch unsere dafür zuständige Kommission für Informations- und Kommunikationsdienste an alle Kolleginnen und Kollegen verschickt habe. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Das ist offensichtlich unstreitig und damit so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Bundesminister des Innern, Dr. Thomas de Maizière. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ITSicherheit, Cyberwar, Cybercrime, Cyberdefence: An markigen Schlagworten mangelt es nicht, wenn es darum geht, die Herausforderungen der Digitalisierung zu beschreiben. Manche sprechen von gestohlenen Identitäten. Ich halte das für Unsinn. Die Identität wird nicht geklaut. Es geht um den Zugriff auf Passworte und auf Geld, aber nicht um gestohlene Identitäten. Wir sollten mit unserer Sprache aufpassen. Gehackte Datenbanken, sabotierte Infrastrukturen, ausgespähte Unternehmen und ein ausgespähter Deutscher Bundestag: Alle diese Szenarien prägen die öffentliche Debatte. Es reicht aber nicht aus, solche Herausforderungen wortreich zu bestaunen oder Ängste zu schüren. Es gibt auch keinen Königsweg zur IT-Sicherheit. Es gibt keinen Big Bang oder eine einzelne Maßnahme, mit der von heute auf morgen IT-Sicherheit hergestellt ist. Es ist wie auch sonst in der Politik: Man muss die Herausforderungen analysieren und dann Schritt für Schritt die Lösungen angehen. Mit dem Entwurf des IT-Sicherheitsgesetzes, der heute in zweiter und dritter Lesung beraten wird, gehen wir einen wichtigen Schritt in Richtung mehr IT-Sicherheit, und dafür bin ich dankbar. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, wie sich der Staat im Cyberraum strategisch aufstellt, was der einzelne Bürger tut und was die Wirtschaft tut, das wird uns lange und intensiv beschäftigen, in vielen Jahren, die vor uns liegen. Im Hinblick auf die Dynamik der Entwicklungen der Technik werden wir wohl auch unsere Lösungsansätze, die wir jetzt haben oder die wir gestern hatten, neu hinterfragen müssen. Wir werden uns an schnellere Rhythmen staatlicher Reaktion gewöhnen müssen. Unter dem Schlagwort „Cybersicherheit“ geht es um Folgendes: Es geht zunächst um IT-Sicherheit im Sinne von Safety, das heißt um die Härtung und den Schutz unserer Systeme und Strukturen. Daneben geht es um die Verhinderung und Verfolgung von Cyberkriminalität durch Polizei und Staatsanwaltschaften. Ich will hierzu nur noch einmal einen Satz mit Blick auf die Opposition sagen: Ich finde, der demokratische Rechtsstaat hat im Internet nicht mehr, aber auch nicht weniger Rechte als außerhalb des Internets, und das sollte der Maßstab für gesetzgeberisches Handeln sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir müssen unsere Unternehmen vor Sabotage und Ausspähung schützen. Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist durch die Angriffe Privater, aber auch durch die Angriffe anderer Staaten massiv gefährdet. Schließlich geht es auch um die Erwartung, dass sich der Staat mit seinen Einrichtungen selbst sicher und wehrhaft aufstellt. Cybersicherheit dient damit dem Schutz der Bürgerinnen und Bürger, dem Schutz unserer Wirtschaft und unserer Innovationsfähigkeit und dem Schutz der Funktionsfähigkeit des Staates. Sie ist ein zentraler Baustein der inneren Sicherheit. Dort, wo wir handeln können, sollten wir das planvoll, zügig und entschlossen tun, wie mit dem IT-Sicherheitsgesetz, über das wir heute debattieren. Ich fand die Debatte darüber mit der Öffentlichkeit schon vor der ersten Lesung durch uns im Parlament und auch nach der ersten Lesung bei der Sachverständigenanhörung sowie danach konstruktiv und sachorientiert. Die Ziele und Methoden des Gesetzentwurfs wurden nicht grundsätzlich infrage gestellt. Den einen ging es zu weit, den anderen nicht weit genug, aber im Prinzip stößt der Ansatz auf große Zustimmung. Wir müssen die kritischen Infrastrukturen schützen. Kritische Infrastrukturen sind solche Infrastrukturen, die, wenn sie ausfallen, dazu führen, dass es für uns kritisch wird – Stichworte: Energie, Wasser, Gesundheitswesen, Banken, Versicherungen. Die Betreiber kritischer Infrastrukturen werden in Zukunft einen Mindeststandard an sicherer IT einrichten und einhalten müssen und Vorfälle im Bereich der IT-Sicherheit von erheblichem Ausmaß an das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik melden müssen. Wir wissen, das ist peinlich. Wir wollen das so regeln, dass nicht alles öffentlich gemeldet wird. Das soll geschehen, damit das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik andere Betreiber kritischer Infrastrukturen warnen kann. Ein Schaden bei einem Betreiber kritischer Infrastruktur kann zu einem Schaden für die Allgemeinheit werden. Das wollen wir verhindern; das sind die innere Ratio und das Ziel dieses Gesetzentwurfs. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Auch die Sicherheit des Internets insgesamt wird durch das IT-Sicherheitsgesetz spürbar erhöht werden. Wir reden alle über die Grenzenlosigkeit des Internets. Da ist auch viel dran. Es gibt aber immer noch ein physisches deutsches Netz und IT-Systeme, die in Deutschland betrieben werden. Bei ihnen setzt unser Entwurf des IT-Sicherheitsgesetzes an. Der Gesetzentwurf passt in die internationale Diskussion. Wir verhandeln in Europa über eine Richtlinie der Europäischen Union, die europäische NIS-Richtlinie. Sie ist unserem deutschen Gesetzentwurf praktisch nachgebildet. Das ist IT-Sicherheit made in Germany für die Europäische Union. Was wir hier praktisch machen, ist die Vorwegumsetzung einer Richtlinie, die bald kommt. Natürlich haben wir das so verhandelt, dass beides kompatibel ist. Das hat es bisher nur selten gegeben, aber wir haben keine Zeit zu verlieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Meine Damen und Herren, was wir hier schaffen, ist auch wichtig für das, was wir „Internet der Dinge“ nennen, für Industrie 4.0, für automatisiertes Fahren, für Logistikketten und für vieles andere mehr. Ohne IT-Sicherheit wird das nicht funktionieren. Niemand wird sich in ein Auto setzen, das automatisch fährt, wenn dieses Fahren von außen leicht manipuliert werden kann. Niemand wird sich auf eine digitalisierte Logistikkette verlassen, wenn die einzelnen Schritte dieser Logistikkette und die Abläufe, die damit verbunden sind, von außen leicht angegriffen werden können. Ohne IT-Sicherheit wird es eine Digitalisierung der Industrie und unseres Lebens nicht geben können. Deswegen ist das ein zentraler Punkt, damit die Digitalisierung überhaupt ein Erfolg wird. Dem Deutschen Bundestag liegt heute ein Gesetzentwurf vor, der durch die Koalitionsfraktionen verändert und verbessert wurde, wofür ich dankbar bin. Es wird so sein, dass Hard- und Softwarehersteller in die Abwehr von Cyberangriffen auf kritische Infrastrukturen miteinbezogen werden. Es wird so sein, dass die Rolle des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik gestärkt wird, auch gegenüber den Bundesressorts. Es wird Sanktionen und Bußgelder geben. Das war ein umstrittener Punkt. Aber wie auch immer man das sieht: Wir werden durch die europäische Richtlinie sowieso Bußgelder bekommen. Deswegen ist es nicht schädlich, das bereits jetzt einzuführen. Ich bin dankbar für diese Änderungen. Eines ist mir wichtig: Auch mit diesen Änderungen bleibt es grundsätzlich bei dem, wie wir es nennen, kooperativen Ansatz dieses IT-Sicherheitsgesetzes. Was heißt das? Melden und Warnen, Standards und Sicherungsmaßnahmen – das kann der Staat gerade hier nicht allein. Das IT-Sicherheitsgesetz will ein kooperatives Verhältnis zwischen dem Staat und der Wirtschaft bei der Entwicklung der Standards, bei der Zertifizierung der Standards, bei der Weiterentwicklung der Standards und beim Aufklären von Schadangriffen. Deswegen ist dies auch methodisch ein interessantes, ein modernes und vielleicht für andere Politikbereiche wegweisendes Gesetz. Ich möchte aus meiner Sicht ein Wort zum Thema „Angriffe auf den Bundestag“ sagen. Viele wissen das nicht: Die Bundesregierung, die Bundesverwaltung betreibt mit den Netzen des Bundes ein physisch getrenntes Netz. Auch dort haben wir vor einiger Zeit die Entscheidung getroffen, dass wir uns von einem bestimmten ausländischen Betreiber lösen wollen. Mit nicht unerheblichen Geldmitteln sorgen wir dafür, dass das Netz künftig nur durch deutsche Hersteller und Betreiber betrieben wird. Wir sind, wie Sie wissen, auch dabei, beim Thema IT-Konsolidierung, also bei dem Zusammenführen der Fachverfahren, dafür zu sorgen, dass wir gemeinsamer als bisher vorgehen. Der Schutzschild, den die Bundesregierung und die Bundesverwaltung um sich gezogen haben, funktioniert, und er funktioniert ziemlich gut. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Ja! Genau!) Ich würde nicht sagen, dass er absolut sicher ist, aber er funktioniert ziemlich gut. Das BSI hilft uns dabei. Natürlich respektiere ich er – ich halte das für voll verständlich –, dass der Bundestag einen anderen Weg gegangen ist. Wir als Bundesregierung sind bereit – wir tun es auch –, durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik zu helfen. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Wenn man sich helfen lässt!) Ich bin auch dafür, da einiges dafür spricht, dass es sich um einen Angriff eines ausländischen Nachrichtendienstes handelt, dass auch das gesetzlich dafür zuständige Bundesamt für Verfassungsschutz seine Hilfe anbietet. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) All das sind aber Angebote. Die Entscheidung darüber, wie von diesen Angeboten Gebrauch gemacht wird und wie es mit dem Netz weitergehen soll, trifft allein der Deutsche Bundestag. Ich werde dazu weder intern noch öffentlich irgendwelche Ratschläge geben. Ich wollte nur einmal erläutern, dass die Netze getrennt betrieben werden. Mit dem Gesetz, das wir heute verabschieden, geht Deutschland einen wichtigen Schritt in Richtung mehr Sicherheit und Verlässlichkeit, aber auch einen wichtigen Schritt in Richtung Modernität und Technologieoffenheit. Aber: Das ist nur ein wichtiger Rechtsrahmen. Ein nächster wird folgen. Es spricht viel dafür, dass wir am kommenden Montag bei dem Treffen der europäischen Innenminister eine abschließende Stellungnahme des Europäischen Rates für die Datenschutz-Grundverordnung bekommen mit der Folge, dass dann der sogenannte Trilog mit dem Parlament beginnt. Ich hoffe, dass das Verfahren bis Ende des Jahres abgeschlossen sein wird und wir dann in der Europäischen Union eine Datenschutz-Grundverordnung haben, die durch mehr Datenschutz auf europäischer Ebene für mehr Sicherheit im Informationszeitalter sorgt. Dazu muss aber auch noch etwas anderes kommen. Digitale Verwundbarkeit hat auch mit digitaler Sorglosigkeit der Bürgerinnen und Bürger zu tun. Man kann noch so gute Gesetze machen, man kann noch so gute Rahmenbedingungen schaffen, ohne verantwortungsvolles und sicheres Fahren im Netz geht es nicht. Ich nenne Ihnen ein Beispiel, das Sie alle kennen: Wir haben im Kfz-Bereich Sicherheitsvorschriften. Wir verlangen, dass man einen Sicherheitsgurt anlegt. Wir verlangen Airbags, Knautschzonen und all das. Das ist der staatliche Bereich. All das nützt nichts, wenn man unsicher Auto fährt. Dann gefährdet man sich, und das führt zu Unfällen. Deswegen gehört zu all dem, was der Staat macht, was wir tun und tun wollen, ein verantwortliches eigenes Verhalten der Bürgerinnen und Bürger. Da ist noch viel zu tun. Das hat etwas mit Bildung und Aufklärung zu tun, aber – wie gesagt – auch mit dem, woran wir von diesem Pult aus immer gern appellieren, nämlich mit der Eigenverantwortung der Bürger. Ohne diese gibt es auf Dauer keine IT-Sicherheit in unserem Land. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt aber Leute, die sich ordentlich verhalten! Für die müssen wir auch Sicherheit herstellen!) – Absolut. Denjenigen, die sich ordentlich verhalten, wird es besser gehen als denjenigen, die sich nicht ordentlich verhalten. Das ist im Internet so wie auch sonst in der Welt, und das finde ich auch richtig so. Wenn ich dies noch als vorletzten Gedanken sagen darf: Ich halte viel davon, dass wir uns Versicherungslösungen nähern. Bei anderen Sachverhalten haben wir auch Versicherungslösungen. Wenn ich ein Fahrrad nicht abschließe, dann sagt die Diebstahlversicherung: Der Schaden wird nicht ersetzt. Wenn ich es abschließe, wird der Schaden ersetzt, wenn das Fahrrad trotzdem geklaut wird. Auf Dauer müssen wir wohl dazu kommen, dass derjenige, der sich sicherer verhält, einen Vorteil hat gegenüber dem, der sich unsicherer verhält. Dafür sind zivilrechtliche Versicherungslösungen oft besser als staatliche Eingriffslösungen. Ich finde, daran müssen wir auch arbeiten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Am heutigen Tag aber konzentrieren wir uns auf das IT-Sicherheitsgesetz, das unsere kritischen Infrastrukturen schützt. Die Menschen in Deutschland vertrauen darauf, dass sie in einem sicheren Land leben. Sie wissen, dass es keine absolute Sicherheit gibt. Sie verlangen und erwarten, dass wir das uns Mögliche tun, sie zu schützen. Das gilt im normalen Leben genauso wie im Internet. Mit dem IT-Sicherheitsgesetz werden wir einen wichtigen Schritt in diese Richtung machen. Ich hoffe auf eine breite Zustimmung zu diesem Gesetz. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Petra Pau für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Petra Pau (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute final über ein Gesetz zur Erhöhung der Sicherheit informationstechnischer Systeme, kurz IT-Sicherheit. Ein solches Gesetz ist überfällig. Immer mehr Prozesse und Abläufe sind computergestützt und basieren auf Datennetzwerken. Die Digitalisierung der Gesellschaft nimmt zu; rasant und umfassend. IT-Pannen oder gar gezielte Angriffe könnten verheerende Folgen haben. Man stelle sich nur einmal den Ausfall der Wasser- oder der Energieversorgung oder wesentlicher Teile des Verkehrs vor. Die gesamte Gesellschaft käme zum Erliegen. Insofern unterstelle ich, dass alle Parteien ein großes Interesse an einer höchstmöglichen IT-Sicherheit haben. Die Linke hat es jedenfalls. (Beifall bei der LINKEN) Der Gesetzentwurf kommt von der Bundesregierung, und über ihm schwebt ein finsterer Schatten; spätestens seit den Enthüllungen von Edward Snowden über die Machenschaften der NSA und weiterer Geheimdienste. NSA und Co. beherrschen das Internet und nutzen es weltweit als riesigen Datenstaubsauger in einem bisher unvorstellbaren Ausmaß, und das ist ein Skandal. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Politisch und praktisch handelt es sich um den bislang größten Angriff auf Bürgerrechte, auf die Demokratie und auf den Rechtsstaat in der Geschichte der Bundesrepublik. Das heißt auch: Weniger IT-Sicherheit ist kaum denkbar. Und wie sehen die Reaktionen der Bundesregierung darauf aus? – Durchaus digital. Vor die binäre Handlungsalternative von eins oder null gestellt, entschieden Sie sich für null. Ich finde, das grenzt an Verfassungsbruch und ist nicht hinnehmbar. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wer sich nun in den vorliegenden Gesetzentwurf vertieft, stößt schnell auf Seltsamkeiten. Vieles, was geregelt werden müsste, bleibt ungeregelt. Aber unterm Strich bleiben zwei Gewinner: der BND und der Verfassungsschutz, also Geheimdienste. Die Linke bleibt dabei: Ein Wettlauf der Geheimdienste schafft nicht mehr IT-Sicherheit, sondern weniger. Deshalb sagen wir Nein. (Beifall bei der LINKEN) Herr Minister, gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang eine Bemerkung zu Ihrem Einwurf zu unseren eigenen Angelegenheiten, zu den Angriffen auf IT-Systeme des Bundestages. Es ist eine pure Selbstverständlichkeit, dass auch der Deutsche Bundestag die Informationen, die dem Bundesamt für Verfassungsschutz, welches nach dem Gesetz für die Spionageabwehr zuständig ist, nach Recht und Gesetz übermittelt werden müssen, diesem übermittelt. Genauso halte ich es auch für eine pure Selbstverständlichkeit, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz dem Deutschen Bundestag und all denen, die im Moment damit befasst sind, diesen tatsächlich ernsthaften Angriff abzuwehren und Vorkehrungen dafür zu treffen, dass wir besser geschützt sind, seine Erkenntnisse übermittelt, gegebenenfalls auch über schon erfolgreiche Abwehrstrategien in der Auseinandersetzung mit dem Angreifer. So weit, so gut. Aber ich verstehe die Pappkameraden nicht, die in den letzten Tagen in diesem Zusammenhang aufgebaut wurden. Ich verstehe auch nicht die Aufforderung, der Bundestag solle doch bitte mit der genannten Behörde kooperieren. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Damit komme ich zurück zum Gesetzentwurf. IT-Sicherheit ist mehr als Innenpolitik. Deshalb haben für die Linke zwei Strukturveränderungen Vorrang vor allem anderen. Erstens. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, kurz BSI, sollte aus dem Bundesinnenministerium herausgelöst und zu einer ressortübergreifenden und zeitgemäßen Bundesbehörde entwickelt werden. (Beifall bei der LINKEN) Dazu gehörten ein umfassender Auftrag und klare Qualitätsansprüche und selbstverständlich auch entsprechende finanzielle und personelle Ressourcen. Zweitens. Das Amt der Beauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit ist noch weiter aufzuwerten, von seiner Ausstattung her, aber auch von den Kompetenzen, bis hin – darüber sollten wir diskutieren – zu einem Vetorecht. (Beifall bei der LINKEN) Wir haben es in dieser Woche erlebt: Bei der Anhörung zu einem Gesetzentwurf, mit dem tiefgehend in den Datenschutz eingegriffen wird, nämlich das geplante Gesetz zum Verfassungsschutz, wurde die Bundesbeauftragte schlicht ignoriert: ein Affront wider den Bundestag und die Demokratie. (Beifall bei der LINKEN) Bündnis 90/Die Grünen haben einen Entschließungsantrag zum Regierungsentwurf vorgelegt. Er enthält eine umfassende Mängelliste und einen Forderungskatalog. Darauf werde ich aber nicht im Einzelnen eingehen. Schließlich fordern Sie in Ihrem Antrag, den Regierungsentwurf abzulehnen und sich dem Komplex IT-Sicherheit kompetenter zu widmen. Dem schließe ich mich an. Auch die Fraktion Die Linke wird das tun. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ein schlechtes Gesetz schafft nun einmal nicht mehr Sicherheit im digitalen Zeitalter. Die aber ist für die Bürgerinnen und Bürger, für die Wirtschaft, für die Gesellschaft sowie für die Zukunft dringend geboten. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Gerold Reichenbach ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gerold Reichenbach (SPD): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne und an den Bildschirmen! Ein Ende der Durchdringung unseres Lebens durch Digitalisierung ist nicht absehbar – das ist genannt worden –: automatisierte Fahrzeuge, Gesundheitsdienstleistungen, intelligente Fabriken oder gar intelligente Städte. Sicherheitslücken und Cyberangriffe können dramatische Folgen haben. Nehmen wir das von Ihnen genannte Beispiel der immer komplexer werdenden Logistikketten. Heute wissen nur noch die Computer, in welchem Regal, auf welchem Schiff oder welchem Lkw sich Waren befinden. Eine Störung oder ein Ausfall von Rechnern und Netzwerken hätte zur Folge, dass niemand mehr darauf zugreifen kann. Die Waren wären zwar noch da, aber keiner weiß mehr, wo. Nicht auszudenken, was das für unsere Versorgung bedeutet, etwa mit Nahrungsmitteln oder Arzneimitteln. Wie wir gerade im Bundestag leidvoll erleben, können sich solche Störungen nicht nur über Stunden, sondern über Tage oder vielleicht sogar über Monate hinziehen. Um solche Situationen geht es beim IT-Sicherheitsgesetz, über dessen Entwurf wir heute in zweiter und dritter Beratung beraten. Es geht um den Schutz kritischer Infrastrukturen, also die Bereiche, die für die Bevölkerung und für die Aufrechterhaltung unseres Staatswesens elementar sind. Weil die Strukturen im modernen, digitalisierten und vernetzten Zeitalter sehr verwundbar sind, wollen wir mit dem IT-Sicherheitsgesetz verbindliche Mindeststandards setzen. In den in Rede stehenden Bereichen geht es nicht nur um die Frage, ob sich Unternehmen selbst schädigen, wenn sie aus Kostengründen auf Sicherheitsmaßnahmen verzichten, sondern auch darum, ob damit auch eine Schädigung der Allgemeinheit einhergeht. Aber das betrifft nur eine Säule des Gesetzes. Die Opposition erhebt den Vorwurf, hier handle es sich um ein reines Meldegesetz oder hier gehe es nur, wie Sie, Frau Kollegin Pau, behaupten, um eine Kompetenz- und Stellenerweiterung beim Verfassungsschutz. Zu einem solchen Vorwurf kann man eigentlich nur kommen, wenn man relativ früh beim Lesen des Gesetzentwurfs aufgehört und seinen alten ideologischen Katalog herausgeholt hat. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das Gesetz verstärkt die Pflichten der Telekommunikationsanbieter, die eine zentrale Rolle für die Sicherheit im Netz spielen. Wir stärken das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, BSI, in seiner Funktion, die Bürgerinnen und Bürger, Behörden und Unternehmen bei der Herstellung von mehr Sicherheit für sich selbst und im Netz zu beraten und zu unterstützen. Durch mehr Aufklärung der Öffentlichkeit soll ein weiterer Beitrag zur Verbesserung der IT-Sicherheit geleistet werden. Nicht zuletzt werden wir die Zuständigkeiten des Bundeskriminalamtes zur Bekämpfung von Cyberkriminalität erweitern. Das Parlament hat – auch hier gilt das Struck’sche Gesetz, wonach kein Gesetz den Deutschen Bundestag so verlässt, wie es hineingekommen ist – eine Expertenanhörung durchgeführt. Die Koalitionsfraktionen haben wichtige Anregungen der Experten, die sich alle grundsätzlich über die Bedeutung und Wichtigkeit dieses Gesetzes einig waren, aufgenommen. Auch auf europäischer Ebene – das wurde bereits genannt – beraten wir zurzeit über eine Richtlinie, die im europäischen Rahmen für mehr Sicherheit im Internet und in den informationstechnischen Systemen sorgen soll; das ist die sogenannte NIS-Richtlinie. Deswegen haben wir Vorgaben, die diese Richtlinie absehbar enthalten wird, per Änderungsantrag der Koalition bereits in den Gesetzentwurf aufgenommen. Das betrifft die Möglichkeit der bußgeldbewehrten Sanktionen, wenn Betreiber kritischer Infrastrukturen gegen die im Gesetz festgeschriebenen Pflichten wie etwa die Meldepflicht verstoßen. Keinerlei Sanktionsbefugnisse vorzusehen, wie von Teilen der Wirtschaft gefordert, stünde nicht nur im Widerspruch zur absehbaren europäischen Richtlinie, sondern würde auch zu Ungleichbehandlungen führen; denn in der Telekommunikation und im Energiebereich gibt es bereits Sanktionsmechanismen. Schließlich wäre es unsinnig, ein Gesetz zu beschließen, das für diejenigen, die es nicht befolgen, keine Folgen hätte. Damit verhielte es sich wie mit einem Parkverbot ohne Bußgeld. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das alles widerspricht aber keineswegs dem grundsätzlich kooperativen Ansatz des Gesetzes, wie es der Minister genannt hat. Für ITSicherheit kann Politik nicht alleine sorgen. Wir sind auch wegen der Komplexität der Materie auf die Mitarbeit der Unternehmen und ihr Know-how angewiesen. Deshalb binden wir die Unternehmen und die Verbände mit ihrem Sachverstand ein. Das BSI wird die vorzugebenden Sicherheitsstandards gemeinsam mit der Wirtschaft erarbeiten. Während der parlamentarischen Beratungen wurden von vielen Stellen die fehlenden Mitwirkungspflichten von sogenannten Komponentenherstellern, also den Zulieferern von Soft- und Hardware für die Betreiber kritischer Infrastrukturen, kritisiert; denn diese Betreiber sind bei der Erfüllung der ihnen auferlegten Pflicht, mehr Sicherheit herzustellen, unter Umständen auf die Mitarbeit der Zulieferer angewiesen. Das ist natürlich zuvörderst vertraglich zwischen den Unternehmen und ihren Vertragspartnern zu regeln; aber bei Monopolsituationen oder auch im Streitfall kann es bei der Durchsetzung dieser Mitwirkung durchaus zu Schwierigkeiten kommen. Gerade bei kritischen Infrastrukturen, wie der Stromversorgung, der Nahrungsmittelversorgung und, und, und, können wir nicht warten, bis die Streitigkeiten auf zivilrechtlichem Wege geklärt sind. Deswegen besteht in diesen Fällen – dies ist einer der Änderungsvorschläge, den die Koalition in den Gesetzentwurf eingebracht hat – eine Anordnungsbefugnis des BSI gegenüber den Herstellern, die in einem sogenannten kritischen Fall bei der Beseitigung einer Störung mitwirken müssen. Außerdem haben wir als Ergebnis der Anhörung die Untersuchungsbefugnisse des BSI und die Zweckbindung klarer gefasst. Wir haben explizit klargestellt, dass sie nur für die Erfüllung folgender Aufgaben des BSI genutzt werden dürfen: zur Abwehr von Gefahren für die Sicherheit der Informationstechnik des Bundes, zur Beratung und Warnung, zur Erfüllung der Aufgaben des BSI als zentrale Meldestelle für die Sicherheit in der Informationstechnik bei kritischen Infrastrukturen nach §§ 8 a und 8 b des BSI-Gesetzes – für nichts mehr. Die Opposition mutmaßt, es bestehe dennoch die Gefahr, dass diese Daten auch für andere Interessen verwendet werden könnten. Dem ist ein klarer gesetzlicher Riegel vorgeschoben. Wenn wir allerdings in einer allgemeinen Verschwörungstheorie davon ausgehen, dass diese Gesetze ohnehin nicht eingehalten werden, wie übrigens auch andere Gesetze, dann brauchen wir als Gesetzgeber kein Gesetz mehr zu machen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Ich sage in diesem Zusammenhang noch etwas anderes. Wenn sich ein Mitarbeiter des BSI, etwa wenn er jetzt im Bundestag tätig ist, nicht an das Gesetz hält und es missbraucht, dann landet er vor dem Kadi und zuvor vielleicht vor einem Untersuchungsausschuss. Wenn das ein Mitarbeiter eines ausländischen Geheimdienstes macht, bekommt er höchstens den Vaterländischen Verdienstorden. Auch diesen Unterschied sollten Sie in dieser Debatte berücksichtigen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Die Vorfälle, mit denen wir selbst ja auch zu kämpfen haben, machen deutlich, wie wichtig es ist, dass die Standards, die wir der Wirtschaft vorgeben und die wir von der Wirtschaft verlangen – auch das haben wir aufgrund unseres Änderungsantrages in den Gesetzentwurf aufgenommen –, auch für die Behörden des Bundes – für alle Behörden des Bundes – gelten. Dazu gehört übrigens auch der nichtparlamentarische Teil der Bundestagsverwaltung. Das BSI muss die Informationen bekommen, die es braucht, um entsprechende Sicherheitsstandards vorzugeben. Last, but not least – ich glaube, auch das muss man in einer Beratung zugestehen –: Auch die Veränderungen im Gesetz sind Ergebnisse von Kompromissen in einer Koalition. Man kann nicht alles durchsetzen. Aber ich bin der festen Überzeugung: Es sind gute Kompromisse. Natürlich hätten wir an der einen oder anderen Stelle auch noch andere Veränderungen vorgenommen. Meine Fraktion und ich sind der Auffassung, dass angesichts der Aufgaben, die dem BSI, also dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, zuwachsen, eine stärkere Unabhängigkeit und Selbstständigkeit geboten gewesen wären. Aber ich gebe zu, dass all dies innerhalb dieses Gesetzgebungsverfahrens zu regeln, die Komplexität überstiegen hätte. Das ist übrigens auch das Problem des Entschließungsantrags der Grünen. Deswegen haben Sie wohlweislich keine Gesetzesänderungsvorschläge gemacht. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei all den schlechten Gesetzen, die Sie vorlegen, kommen wir gar nicht mehr nach!) In vielen Bereichen ist Ihr Entschließungsantrag nach dem Motto gestrickt: Wir schreiben jetzt in das IT-Sicherheitsgesetz hinein, was wir alles im digitalen Bereich, von Datenschutz bis sonst wo, gerne mal gehabt hätten. Ich halte das erstens für wenig praktikabel und zweitens für wenig redlich. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gucken Sie sich mal die Digitale Agenda an!) Weil wir es aber gerade bei kritischen Infrastrukturen, aber auch in der gesamten IT-Branche mit rasanten Entwicklungen und Neuerungen zu tun haben – dessen sind wir uns bewusst –, haben wir als Koalition vorgeschlagen und in den Gesetzentwurf einfließen lassen, dass das Gesetz nach vier Jahren wissenschaftlich evaluiert wird. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Genau!) Ich glaube, das ist eine sehr vernünftige Position. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es trägt übrigens auch dem Umstand Rechnung, dass wir mit diesem Gesetz das Thema „IT-Sicherheit, Vertrauen in IT“ und die Fragen, die der Minister angesprochen hat, nicht abschließend werden regeln können; vielmehr ist dies ein erster Schritt. Wir werden uns mit weiteren Themen in diesem Bereich beschäftigen müssen. Ich nenne nur ein Beispiel, Herr Minister: die von Ihnen genannten Versicherungslösungen, die ich sehr sympathisch finde. Aber das funktioniert natürlich nur dann, wenn wir auch gegenüber der Wirtschaft, ähnlich wie beim Beispiel mit dem Fahrrad, klare Haftungsregelungen haben. Wer sein Fahrrad nicht abschließt, wird haftbar gemacht, wenn er Schäden gegenüber Dritten verursacht. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?) Das heißt, auch in diesem Bereich brauchen wir klare Haftungsregelungen. Die Debatte geht weiter. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das steht in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen! Vertragsrecht! Ganz einfach!) Ich bin der festen Überzeugung, dass wir hier mit diesem IT-Sicherheitsgesetz und mit den von der Koalition vorgelegten Änderungen einen richtigen und wichtigen Schritt getan haben. Frau Pau, mit Ihrem Beispiel haben Sie übrigens leider nur deutlich gemacht, dass die Linke immer noch ein bisschen in der Vergangenheit ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege, Sie achten bitte auf die Uhr. Gerold Reichenbach (SPD): Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Denn in der digitalen Welt ist die Null nicht gleich null wie in der analogen Welt, sondern von der Information gleichwertig gegenüber der Eins. (Beifall des Abg. Philipp Mißfelder [CDU/CSU] – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist ja das Problem!) Auch in diesem Sinne bitte ich Sie, dem Gesetz zuzustimmen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Dieter Janecek für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrter Herr Reichenbach, danke für die Einführung in die binäre Logik. (Heiterkeit – Gerold Reichenbach [SPD]: Offensichtlich muss das einer ja mal tun!) Das können wir dann später noch ausführen. Aber jetzt einmal ernsthaft. Das Computernetz des Deutschen Bundestages ist, wie wir seit circa 36 Stunden wissen, wohl zumindest in Teilen nicht mehr zu retten. Machen wir uns doch einmal ehrlich: Wir als Parlament und auch Sie als Bundesregierung, als Koalition stehen ganz schön peinlich da, wenn wir, wenn Sie heute über ein IT-Sicherheitsgesetz beraten, das den Anspruch hat, anderen – den Betreibern kritischer Infrastruktur – IT-Sicherheit zu gewährleisten, wir das aber selber, Sie das aber selber nicht hinkriegen. Das ist ein Widerspruch, den Sie nicht auflösen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das sind wir aber alle, glaube ich! Oder?) Auch wir als Abgeordnete haben ein Informationsbedürfnis, das in den letzten Wochen und Monaten nicht gerade erfüllt worden ist. Wir haben im Ausschuss Digitale Agenda des Deutschen Bundestages Forderungen gestellt, ob wir einen Bericht bekommen können über das, was seit Wochen passiert. Wenn jetzt in den Medien geschrieben wird, dass die Verantwortung, wie ich heute in der FAZ lesen darf, bei den Abgeordneten liegt, weil die vielleicht USB-Sticks in den Bundestag eingeführt haben, dann sage ich: Es ist richtig, dass 50 Prozent der IT-Sicherheitslecks entstehen, weil Menschen nicht verantwortungsbewusst handeln. Es ist aber auch richtig, dass die Bundesrepublik Deutschland in Sachen IT-Sicherheit ein Entwicklungsland ist. Auch das beweist die heutige Debatte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Selbst bei den Russen haben sie eingebrochen!) Ich komme zum Gesetzentwurf. Der Gesetzentwurf, den wir heute in zweiter und dritter Lesung behandeln, kommt mit marginalen Änderungen daher. Die vielen Mängel am ersten Gesetzentwurf, die von vielen Seiten benannt wurden, haben Sie kaum korrigiert. Sie kommen Jahre zu spät, und in der Reichweite ist das Ganze kläglich. Es passt auch gut in den Kontext der Debatten, die wir führen. Vorratsdatenspeicherung. Der Bundesjustizminister legt jetzt ein offensichtlich verfassungswidriges Gesetz vor. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Woher wissen Sie denn das?) Das kann man ja nur begrüßen. Vielleicht ein geschickter Schachzug, mit dem verhindert werden soll, was kaum noch aufzuhalten ist? Sie können beim IT-Sicherheitsgesetz nicht genauso vorgehen, in einem Bereich, wo wir es mit einem dynamischen Prozess – Herr Minister, das Internet ist dynamisch; deswegen kann man darauf nicht rein bürokratisch reagieren – zu tun haben. Sie können mit diesem Gesetz nicht einfach eine Hackermeldezentrale etablieren. Das ist das, was am Ende übrig bleibt. Sie können auch nicht all das ignorieren, was Sie nicht vorsehen: dass es zum Beispiel auch um den Schutz der Bürgerinnen und Bürger geht, (Gerold Reichenbach [SPD]: Wie weit haben Sie das Gesetz gelesen? Haben Sie es überhaupt gelesen?) dass es zum Beispiel auch darum geht, dass BITKOM sagt, dass nicht einmal die Hälfte von gut tausend befragten Unternehmen Festplatten oder andere Datenträger verschlüsseln, dass Sie also Aufklärung betreiben müssen, gerade bei den mittelständischen Unternehmen. Sie halten im Wirtschaftsministerium eine Plakatserie zur IT-Sicherheit bereit – ich glaube, sechs Plakate kann man dort bestellen –: Das ist alles schön und gut, aber der intensive Dialog mit der Wirtschaft, auch mit den Behörden, hat über die Jahre nicht stattgefunden. Deswegen sind wir heute so anfällig. Das ist auch ein Versagen, das Sie zu verantworten haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist ja auch ganz interessant, dass sich Teile der Wirtschaft, wie der Bankenverband, mit einer Stellungnahme zu diesem Gesetzentwurf geäußert und die Empfehlung abgegeben haben, das Gesetz auf weitere systemrelevante Player zu erweitern. Es kommt auch nicht alle Tage vor, dass Unternehmensverbände umfassende Regulierung anmahnen. Wieso schaffen Sie es nicht – das ist ein Vorschlag, den auch wir machen –, zentrale IT-Anlaufstellen einzurichten, die speziell KMUs bei der Schaffung einer hohen und zeitgemäßen IT-Sicherheit unterstützen? Es sollte so sein, dass die Unternehmen zu diesen Anlaufstellen kommen können und ihnen gesagt wird: Wir helfen konkret aus einer Hand. – Das ist ein Vorschlag, den auch Professor Kagermann von der ACATEC jüngst bei uns im Ausschuss Digitale Agenda erhoben hat. Ich will auch ein paar lobende Dinge sagen. Mit dem von der Großen Koalition vorgelegten Änderungsantrag hat es durchaus Bewegung in die richtige Richtung gegeben. Sie sehen Bußgelder, das heißt das Instrument der Sanktionen, vor. Das Problem ist aber: Wenn Sie ein Bußgeld für Unternehmen verhängen – das kann bis zu 100 000 Euro gehen –, wird es nur dann fällig, wenn die betreffende Störung tatsächlich zum Schaden führt. Welchen Anreiz bieten Sie damit? Sie geben nicht den Anreiz, dass entsprechende Fälle gemeldet werden. Also, auch das passt nicht zusammen, auch das ist nicht zielführend. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gerold Reichenbach [SPD]: Stimmt doch gar nicht! Sie müssen lesen!) Es fehlt bei Ihnen einfach die Anreizmotivation für die Unternehmen. Und weil die eben fehlt, können Sie auch nicht die entsprechenden Maßnahmen durchführen, die wir brauchen. Ich komme jetzt – Herr Reichenbach hatte darauf abgehoben – zur Rolle des BSI. Wir haben durchaus auf die SPD gesetzt. Sie haben immer wieder die Unabhängigkeit des BSI proklamiert und gefordert, das BSI aus der Verantwortung des BMI herauszunehmen. Das ist jetzt liegen geblieben wie anderes auch. Es ist ein grundlegender Konstruktionsfehler des Gesetzes, wenn Sie einerseits dem BSI eine zentrale, gewichtige Rolle zuweisen, andererseits aus dem BSI aber kein unabhängig gestelltes Bundesamt machen. Das ist unsere Forderung. In die Richtung müssen Sie gehen. Solange Sie das nicht tun, verfolgen Sie auch nicht den richtigen Ansatz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Zeiten von NSA und Snowden sorgt all das, was Sie vorlegen – auch das, was wir gerade erleben –, nicht gerade für Vertrauen aufseiten der Bürger und auch nicht aufseiten der Unternehmen. Wir haben in unserem Entschließungsantrag Vorschläge gemacht, die in die richtige Richtung gehen. Schaffen Sie positive Anreize für die Wirtschaft, ihre IT-Sicherheitskonzepte stetig und proaktiv fortzuentwickeln und zu pflegen! Setzen Sie einen IT-Sicherheitsansatz um, der möglichst auf der unabhängigen Auditierung und Zertifizierung von Produkten und Verfahren, also auf sogenannten Penetrationstests, basiert! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Denn es macht doch keinen Sinn, dass Sie nur auf Meldungen setzen und nicht dynamisch prüfen. Sie müssen dynamisch prüfen. Das Internet ist dynamisch, die Bürokratie ist bürokratisch. Das muss zusammengehen; aber das kommt in diesem Gesetz nicht zusammen. Ich komme zum Schluss. Wir lehnen das von Ihnen vorgelegte Gesetz ab, da es keinen Ansatz für präventive Maßnahmen bietet. Sie schaffen damit keine Sicherheit bei Wirtschaft, Verwaltung und Bevölkerung. Das Gesetz trägt einen Titel; es hält aber dieses Versprechen nicht. Deswegen lehnen wir dieses Gesetz ab. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Stephan Mayer für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Ich glaube, man kann mit Fug und Recht behaupten, dass die digitale Infrastruktur, die Systeme der Information und der Telekommunikation mittlerweile das Rückgrat unserer modernen Gesellschaft sind. Unser Arbeits- und Wirtschaftsleben, die ehrenamtliche Tätigkeit, aber auch in vielen Bereichen unser privates Leben wären ohne eine funktionierende IT-Infrastruktur nicht mehr denkbar. Unser Leben wird dadurch in vielerlei Hinsicht einfacher und bequemer. Wir erleben es ja derzeit selbst als Parlamentarier: In allen Lebensbereichen steigt in zunehmendem Maße auch die Abhängigkeit von einer funktionierenden und sicheren IT-Infrastruktur. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass wir dieses IT-Sicherheitsgesetz – dieses Gesetz zum Schutz kritischer Infrastrukturen – so stringent vorangetrieben haben und heute in der zweiten und dritten Lesung abschließend behandeln. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik geht davon aus, dass bundesweit mehr als 1 Million Internetrechner Teil eines sogenannten Botnetzes sind. Das heißt, die Inhaber eines Rechners wissen nichts davon, dass ihr Rechner mittlerweile von einer hochkriminellen Organisation gekapert wurde und jederzeit für deren perfide Zwecke ferngesteuert werden kann. Man geht mittlerweile davon aus, dass es über 250 Millionen verschiedene Varianten von Schadprogrammen gibt. Angeblich kommen jeden Tag 300 000 neue Varianten hinzu. Das zeigt, wie groß die Dimensionen sind und wie brisant dieses Thema ist. Das betrifft alle Bereiche, aber vor allem natürlich die Bereiche, die existenziell, zumindest essenziell für unser tagtägliches Leben sind. Das sind die Bereiche der Daseinsvorsorge. Es geht um Energie, Telekommunikation, Ernährung, Transport, Banken und Versicherungen, aber auch um die Wasserversorgung. Es ist richtig, dass wir mit dem Gesetzentwurf zum Schutz kritischer Infrastrukturen Mindeststandards für die Sicherheit der Betreiber kritischer Infrastrukturen schaffen. Herausragend finde ich an diesem Gesetz den kooperativen Ansatz. Es ist nicht so, dass den Betreibern kritischer Infrastrukturen von oben aufoktroyiert wird, was sie zu tun und zu lassen haben; vielmehr werden die Betreiber kritischer Infrastrukturen in die Erarbeitung der Mindeststandards intensiv mit eingebunden. Sie werden einbezogen von dem Kompetenzzentrum, dem zukünftigen Meldezentrum, dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik. Mir ist es auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass nicht jede Störung mit Klarnamen des Unternehmens genannt werden muss. In der Wirtschaft wurde die Befürchtung geäußert, dass sich eine Prangerwirkung dadurch ergibt, dass, wenn jede Störung genannt werden muss, letzten Endes auch ein großer Schaden, vielleicht eine gewisse Rufschädigung für das Unternehmen entstehen kann. Dem ist nicht so. Es müssen nur die erheblichen Störungen gemeldet werden, die zu einem Ausfall bzw. einer Funktionsbeeinträchtigung führen. Ich glaube, das ist ein sehr vernünftiger, ein sehr weiser Ansatz. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir verpflichten darüber hinaus Telekommunikationsunternehmen, dass sie in Zukunft ihre Kunden informieren, wenn bekannt ist, dass die Infrastruktur eines Kunden schadhaft ist. Das haben bisher schon viele Telekommunikationsunternehmen gemacht, aber mit diesem Gesetz wird es verpflichtend für alle. Wir erteilen darüber hinaus dem BSI die Erlaubnis, dass es in Zukunft IT-Produkte auch auf Sicherheit überprüfen und diese Überprüfungen entsprechend kommunizieren kann. Auch dies ist ein wichtiger Mehrwert. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir haben es uns mit diesem Gesetz nicht einfach gemacht. Wir haben eine intensive Sachverständigenanhörung durchgeführt. Wir haben viele Gespräche mit betroffenen Unternehmen, mit Unternehmensverbänden, aber auch mit vielen anderen Vertretern der Community geführt. Wir haben gemeinsam einen Änderungsantrag erarbeitet, der meines Erachtens wesentliche Verbesserungen enthält. Zum einen wird die Rolle des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik deutlich gestärkt. In Zukunft ist es möglich, dass das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik nicht nur für den Ressortbereich des BMI zuständig ist, sondern für die gesamte Bundesregierung, also für alle anderen Ressorts, Mindeststandards für die IT-Sicherheit festlegen darf. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sehr gut!) Des Weiteren haben wir eine Mitwirkungspflicht vorgesehen für die Hersteller von IT-Produkten, vor allem von Softwareprodukten. Es ist auch ein wichtiger Mehrwert, dass in Zukunft eine gesetzliche Verpflichtung besteht, dass also die Hersteller der Softwareprodukte vom BSI verpflichtet werden können, zur Vermeidung von Störungen oder zur Behebung von eingetretenen Störungen beizutragen. Umstritten sind in der Wirtschaft die Sanktionsmöglichkeiten, die wir vorsehen. Es ist mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass es bei den Sanktionsvorschriften nicht darum geht, die Wirtschaft zu gängeln; vielmehr geht es darum, dafür zu sorgen – jeder muss Interesse daran haben –, dass dieses Gesetz kein zahnloser Tiger ist. Nur mittels dieser Sanktionsvorschriften wird erreicht, dass Störungen, die zu einem Schaden geführt haben, gemeldet werden. Das entspricht dem kooperativen Ansatz dieses Gesetzes. Es geht nicht nur darum, dass wie in einer Einbahnstraße Störungen gemeldet werden müssen. Die Betreiber kritischer Infrastrukturen erfahren im Gegenzug vom BSI, wie die Bedrohungssituation ist, dass man sich gegen bestimmte mögliche Angriffe zur Wehr setzen muss und dass man mehr tun muss. Es ist also keine Einbahnstraße; vielmehr geht der Ansatz in beide Richtungen. Das kann nur funktionieren, wenn die betroffenen Unternehmen, die einen konkreten Schaden erfahren haben, verpflichtet werden – durchaus auch bußgeldbewehrt verpflichtet werden –, diesen Schaden zu melden. Darüber hinaus entspricht diese Sanktionsvorschrift auch den Regelungen, die schon heute im Energiewirtschaftsgesetz für Energieversorgungsunternehmen oder auch im Telekommunikationsgesetz für Telekommunikationsunternehmen enthalten sind. In der parallel sich auf europäischer Ebene in Verhandlung befindlichen NIS-Richtlinie – das ist auch schon erwähnt worden – werden nach dem aktuellen Stand der Verhandlungen verpflichtende Sanktionsvorschriften mit vorgesehen. Deswegen ist es nur richtig, dass wir jetzt auch schon mit diesem Gesetz Sanktionsvorschriften implementieren. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir sehen eine Evaluierung des Gesetzes vier Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung vor. Ich glaube, dass dies richtig ist; denn wir sehen selbst – man ist ja selbst fassungslos –, wie rasant die Entwicklung ist, wie komplex die Angriffe mittlerweile sind, wie schwer sie teilweise überhaupt zu detektieren sind. Insofern ist es richtig, dass wir dieses Gesetz und die damit in Verbindung stehende Verordnung vier Jahre nach ihrem Inkrafttreten einer intensiven Evaluierung unterziehen. Wichtig war es auch vielen Vertretern der Unternehmen, aber vor allem auch vielen Kollegen, dass wir, auch was die Verordnungsermächtigung anbelangt, klare Vorgaben machen, nach welchen Kriterien festgelegt werden soll, welches Unternehmen jetzt zur kritischen Infrastruktur gehört und welches nicht, also welches Unternehmen vom Gesetz betroffen sein wird und welches nicht. Deswegen ist es richtig, dass wir in der Verordnung branchenspezifische Schwellenwerte festlegen und dies auch im Gesetz entsprechend deutlich machen. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, dieses Gesetz ist aus meiner Sicht ein wichtiger Schritt nach vorne, was die Erhöhung der IT-Sicherheit anbelangt. Es ist ein Etappenerfolg. Es ist mit Sicherheit nicht das Ende unserer Bemühungen und der Gespräche zur Verbesserung der IT-Sicherheit. Aber ich glaube, wir können mit Fug und Recht behaupten: Wir sind als deutscher Gesetzgeber mit diesem Gesetz Schrittmacher auf europäischer Ebene. Eines – das möchte ich zum Abschluss sagen – muss uns auch klar sein: IT-Sicherheit kann nie an den nationalen Grenzen enden, sondern es bedarf immer eines europäischen, vielleicht sogar eines weltweiten Ansatzes. Sehr geehrter Herr Kollege Janecek, wir sind alles andere als ein „Entwicklungsland“. Ich glaube, mit diesem Gesetz sind wir durchaus Schrittmacher, was die jetzt laufenden Verhandlungen auf europäischer Ebene anbelangt. Deswegen bitte ich herzlich um Zustimmung zu diesem zukunftsweisenden Gesetz. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke ist die Kollegin Petra Sitte. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das IT-Sicherheitsgesetz soll den Schutz kritischer Infrastrukturen vor Angriffen auf deren IT-Netze unterstützen. Komischerweise ist im Gesetz aber gar nicht definiert, was unter diesen kritischen Infrastrukturen zu verstehen ist. (Marian Wendt [CDU/CSU]: Doch, klar!) Das soll künftig erst eine Verordnung regeln. Ich finde, Gesetzentwürfe, bei denen unklar ist, worauf sie sich eigentlich konkret beziehen, bedürfen keiner Beratung durch den Bundestag, sondern einer Überarbeitung durch den Einreicher. (Beifall bei der LINKEN) Unser Hohes Haus, der Bundestag selbst, hält im besten Wortsinne auch kritische Infrastrukturen vor – der Opposition sei Dank. Nehmen wir doch mal an, das Gesetz gälte eben auch für uns als Parlament. Etwa 20 000 Accounts haben Zugriff auf Server und Netze des Bundestages. Schon jetzt ist der Begriff „Drucksache“ eigentlich ein Anachronismus. Künftig werden wahrscheinlich nur noch Alterspräsidenten oder präsidentinnen wissen, was man damit anfangen kann. (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN und der CDU/CSU) Ein Parlament ohne funktionierendes und sicheres Datennetz ist heutzutage, wie wir erfahren haben, leider ziemlich aufgeschmissen. Wir alle haben größtes Interesse daran, dass unsere Rechner funktionieren und dass eben keine Daten abfließen. Trotz aller Bemühungen um IT-Sicherheit im Bundestag hat es einen Angriff geben. Technisch versiert ist man ziemlich tief in die Datennetze des Bundestages eingedrungen. Daten sind eben abgeflossen, und das Netz ist kompromittiert. Nach IT-Sicherheitsgesetz müsste nun gemeldet werden. Solche Vorfälle dürfen also nicht verschwiegen werden, sie dürfen nicht als Interna behandelt werden, schon gar nicht dürfen sie ausgesessen werden. (Gerold Reichenbach [SPD]: Das habt ihr doch die ganze Zeit kritisiert, dass das passiert!) Vielmehr sollen sich die Betreiber kritischer Infrastrukturen an Prävention, an Aufklärung und natürlich erst recht an der Beseitigung der Folgen von Angriffen beteiligen. Der Bundestag versucht das seinerseits. Er arbeitet an der Aufklärung des Angriffes und an der Beseitigung der Folgen. Die zuständige Kommission des Ältestenrates bemüht sich ebenfalls um Aufklärung und um Information. Für uns Abgeordnete geht es natürlich in erster Linie um die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Bundestages. Bekanntermaßen sind die Verwaltung des Bundestages, daneben aber auch beratend das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, das Bundesamt für Verfassungsschutz und – bezogen auf die gesamte strafrechtliche Relevanz – der Generalbundesanwalt, eventuell auch das BKA, die Instanzen der Aufklärung. Angriffe einiger Pressekommentatoren, wie in den letzten Tagen erfolgt, (Gerold Reichenbach [SPD]: Und Ihres Kollegen Korte!) gegen die IuK-Kommission und vor allen Dingen gegen die Vorsitzende dieser Kommission gehen daher vollkommen an der Sache vorbei. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es gibt keinerlei Belege, nach denen an der Integrität der Kommissionsvorsitzenden und Vizepräsidentin gezweifelt werden könnte. Das will ich hier ganz klar sagen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zu nachhaltiger Aufklärung gehört aus unserer Sicht vor allem Transparenz, und zwar nicht erst am Ende, wenn es um den Täter und dessen Ziele geht, sondern bereits im Prozess der Aufklärung, der wohl noch Monate dauern wird. Aber wir alle sind doch mündige Nutzer und sollten wissen, was mit unseren Daten geschieht. IT-Angelegenheiten dürfen keine Blackbox sein, erst recht nicht in öffentlichen Bereichen. Diese Auffassung widerspricht keinesfalls hohen Standards für die IT-Sicherheit, im Gegenteil: Offene Software, offene Prozesse und offene Kommunikation unterstützen die Beseitigung von Datenlecks und helfen nun einmal viel besser bei der Aufklärung als jegliche Geheimniskrämerei. (Beifall bei der LINKEN) Das IT-Sicherheitsgesetz sieht nun einen ordentlichen Aufwuchs an Stellen nicht nur beim BSI und beim BKA, sondern auch bei den Geheimdiensten, beim Bundesnachrichtendienst und beim Verfassungsschutz vor. Meine Kollegin Petra Pau hat es vorhin erwähnt: Geheimdienste mischen, wie wir durch Edward Snowden wissen, beim Datenklau kräftig mit. Sogenannte Sicherheitskreise, die derzeit in den Medien zitiert werden, vermuten auch hinter dem aktuellen Angriff auf den Bundestag einen sogenannten feindlichen Geheimdienst. So gesehen sind Geheimdienste eher ein Sicherheitsrisiko. (Beifall bei der LINKEN) Seitdem wir wissen, dass deutsche Dienste zusammen mit NSA und Co. auch Daten der eigenen Bürgerinnen und Bürger sowie der europäischen Partner sammelten, (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Und von Mitgliedern unserer Fraktion!) stecken diese Dienste in einer tiefen Vertrauenskrise; das kann doch überhaupt nicht verwundern. Warum bitte sollte eine Firma, die Sicherheitslecks im eigenen Datennetz gefunden hat, diese Information ausgerechnet mit den Geheimdiensten teilen wollen, denen Beihilfe zur Wirtschaftsspionage vorgeworfen wird? Das klingt doch alles ziemlich abstrus. (Beifall bei der LINKEN – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Sehr gute Frage!) Ich komme zum Schluss. Wir sind uns einig: Wir brauchen mehr IT-Sicherheit. Die im vorgelegten IT-Sicherheitsgesetz enthaltenen Maßnahmen gehen jedoch an einer echten Problemlösung vorbei. Es ist vor allem ein „Geheimdienstaufbaugesetz“. Außerdem führt es – meine Damen und Herren, das ist nicht zu vergessen – von hinten durch die kalte Küche die Vorratsdatenspeicherung ein. Besser als die Blogger von netzpolitik.org kann man es nicht auf den Punkt bringen: Es wird hier und heute ein „IT-Sicherheitssimulationsgesetz“ verabschiedet werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Der Kollege Metin Hakverdi ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Metin Hakverdi (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das IT-Sicherheitsgesetz ist ein überfälliger, notwendiger Schritt zum Aufbau einer Sicherheitsarchitektur für das digitale Leben in unserem Land. Die Enthüllungen Edward Snowdens und millionenfacher Datendiebstahl haben das Vertrauen der Menschen in die digitale Zukunft tiefgreifend gestört. Kriminelle, Hacker, ausländische Geheimdienste – sie alle verlagern ihre Aktivitäten mit der wachsenden digitalen Durchdringung aller gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebensbereiche eben in diese digitale Welt. Heute kann man aus der Ferne von nahezu jedem Ort der Welt zu jedem beliebigen Zeitpunkt einen Angriff starten. Laut Lagebericht zur IT-Sicherheit in Deutschland übersteigt die Gesamtzahl der PC-basierten Schadprogrammvarianten inzwischen die 250-Millionen-Marke, es gibt in Deutschland jeden Monat mindestens 1 Million Infektionen durch Schadprogramme, und die Zahl der Schadprogrammvarianten steigt täglich um 300 000. Diese schier unglaublichen Zahlen zeigen: Mit solchen Angriffen finanziert sich heute schon eine ganze kriminelle Industrie. Diese kriminelle Industrie ist arbeitsteilig organisiert: von der Aufdeckung von Softwareschwachstellen über die Entwicklung von Produkten zur gezielten Ausnutzung dieser Schwachstellen und der Vermarktung dieser Produkte bis hin zur wirtschaftlichen oder anderweitigen Verwertung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben es nicht mit jungen Hackern zu tun, wie sie in den 90er-Jahren in Hollywood-Blockbustern vom FBI gejagt wurden; diese Zeiten sind vorbei. Es handelt sich heute um professionell organisierte kriminelle Strukturen oder gar um Geheimdienste, die ohnehin mit ganz anderen Ressourcen ausgestattet sind. Das IT-Sicherheitsgesetz ist ein wichtiger Schritt für die Sicherheit unserer industriellen Produktion. Systeme zur Fertigungs- und Prozessautomatisierung werden im Zeitalter von Industrie 4.0 mit dem Internet vernetzt. Dieser Prozess schreitet voran. Das Risiko, dass unsere industrielle Produktion durch Angriffe aus der digitalen Welt existenzbedrohliche Auswirkungen erleidet, steigt. Die Digitalisierung unserer Industrie darf nicht zur Achillesferse unserer Wirtschaft werden! (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das ist die Bedrohungslage, mit der wir es zu tun haben. Mit dem IT-Sicherheitsgesetz schreiben wir vor, dass Unternehmen, die von großer Bedeutung für unser Gemeinwesen als Ganzes sind, ihre IT-Sicherheit auf dem Stand der Technik halten müssen. Bereits heute wäre für mehr Sicherheit gesorgt, wenn die vorhandene und installierte Sicherheitstechnik adäquat eingesetzt würde. Ein großes Handicap hierbei ist, dass Sicherheitstechnik als nicht anwenderfreundlich empfunden wird. Hier scheint es Verbesserungsmöglichkeiten zu geben. Sicherheitstechnik muss anwenderfreundlich entwickelt werden. Wichtig sind neben der Technik die Menschen, die diese Technik anwenden. Der beste technische Standard hilft überhaupt nicht, wenn er falsch eingesetzt wird. Die Unternehmen trifft die wichtige Aufgabe, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besonders zu schulen und zu sensibilisieren. Für IT-Sicherheit sorgen gut ausgebildete Menschen und nicht die Technik allein. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Auf einen Aspekt möchte ich besonders hinweisen: Nach § 100 Telekommunikationsgesetz dürfen Unternehmen zur Störungserkennung und -beseitigung Daten sammeln. Die Praxis zeichnet sich durch unterschiedliche Speicherdauern aus. Beim Thema Datensammeln stehen Freiheit und Sicherheit in einem besonderen Spannungsverhältnis. Die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit ist ein ständiger Abwägungsprozess. Bei der Abwägung, wie viele Daten und für wie lange diese Daten gespeichert werden, müssen die Unternehmen besonders sorgfältig sein. Ich frage mich, wie die unterschiedliche Speicherdauer bei den verschiedenen Telekommunikationsdienstleistern gerechtfertigt werden soll. Die Internetprovider oder Telekommunikationsdienstleister müssen zu einheitlichen Speicherdauern bei sensiblen Daten kommen. In der Kürze liegt die Würze, dieser Grundsatz ist besonders bedeutsam, wenn es um die Speicherung von sensiblen Daten der Bürgerinnen und Bürger geht. Der Bundesgerichtshof hat in einem Urteil aus dem letzten Jahr erklärt, dass § 100 Telekommunikationsgesetz mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs vereinbar ist. Die genaue Lektüre des Urteils zeigt, dass der Bundesgerichtshof wegen der kurzen Speicherdauer keinen Konflikt mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung gesehen hat. Deshalb lege ich den Telekommunikationsunternehmen den Grundsatz der Datensparsamkeit besonders ans Herz. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das passt doch gar nicht zum nächsten Tagesordnungspunkt!) Nachdenklich hat mich ein Punkt im Gesetzentwurf gemacht, über den ich hier sprechen möchte: Der Kompetenzzuwachs beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, insbesondere die Einbeziehung der Bundesbehörde in den Anwendungsbereich des Gesetzes, ist – das muss man hier deutlich sagen – heikel. Ich bin mir nicht sicher, ob die Anbindung des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik beim Bundesinnenministerium heute noch gerechtfertigt ist. Immerhin ist das BSI berechtigt, von anderen Bundesbehörden Protokolldaten abzufragen. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Nur zur Aufgabenerfüllung!) Verträgt sich dies mit der Staatsorganisation unseres Landes? Wie verträgt sich das mit dem Ressortprinzip? Am Ende kommt es darauf an, lieber Herr Kollege, wie die Anbindung vonseiten des Bundesinnenministeriums tatsächlich, faktisch gelebt wird. Ich kann mir vorstellen, dass das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik perspektivisch zu einer unabhängigen Behörde nach dem Vorbild der Bundesdatenschutzbeauftragten weiterentwickelt wird. Eine solche unabhängige oberste Bundesbehörde hätte die Aufgabe, die IT-Sicherheit bei allen Verfassungsorganen sicherzustellen. Eine solche Behörde würde über die ITSicherheit in unserem Land wachen. Eine solche unabhängige oberste Bundesbehörde wäre die Partnerin der Bundesdatenschutzbeauftragten. Insgesamt liegt uns ein Gesetzentwurf vor, der rund und auch für die Opposition zustimmungsfähig ist. Die Koalitionsfraktionen haben bei der Verbesserung dieses Gesetzes gute Arbeit geleistet. Wir haben die wesentlichen Kritikpunkte aus der öffentlichen Anhörung aufgenommen. Das betrifft den Punkt der Sanktionsregime für den Fall von Verstößen gegen IT-Sicherheitsstandards, und das betrifft die Einbeziehung von Bundesbehörden in den Anwendungsbereich des Gesetzes. Besonders freut mich die obligatorische Evaluation, die aus diesem Haus gefordert wurde und nun Gesetz wird. Dafür ein großer Dank an die Kolleginnen und Kollegen! IT-Sicherheit, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist eine Daueraufgabe. Wir sollten uns nicht scheuen, auch bei der Entwicklung des rechtlichen Rahmens auf der Höhe der Zeit zu sein. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Selten war ja eine Debatte im Deutschen Bundestag so tagesaktuell wie diese. Lassen Sie mich auf ein Zitat, das ich gestern gelesen habe, zu sprechen kommen. Da wurde geschrieben, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik sei zu dem Ergebnis gekommen, dass das Netz des Bundestages nicht mehr gegen den Angriff verteidigt werden könne und aufgegeben werden müsse. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Was? Der Bundestag muss aufgegeben werden?) Das hat mich eine Sekunde lang fasziniert. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Oh, nur eine Sekunde?) – Ja, eine Sekunde lang hat mich das fasziniert, Herr Binninger, weil mir gleich das Bild einer Schlacht durch den Kopf ging. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Oh ja! Die NATO kommt!) Wir haben eine Schlacht verloren, meine Damen und Herren – so kann man das sehen –, (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Ja, stimmt!) eine Schlacht gegen eine Cyberattacke, einen Cyber-angriff. Aber sehen wir uns einmal an, wie wir darauf reagieren. Fakt ist doch: Wir wissen nicht einmal, gegen wen wir die Schlacht verloren haben, oder? (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das weiß man oft nicht!) – Na ja, Preußen wusste schon, gegen wen es die Schlacht bei Jena und Auerstedt verloren hatte. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Kommt darauf an, wen Sie fragen! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Und warum?) – Genau; nicht, warum. – Wir aber wissen nicht, gegen wen wir sie verloren haben; das ist für die Analyse aber nicht unwichtig. Wir wissen auch nicht genau, warum wir sie verloren haben. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Deswegen muss man alle Kompetenzen nutzen! Auch den Verfassungsschutz!) Wir haben aber eine Ahnung, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass der Bundestag mit seiner Software und seinen Kontrollmöglichkeiten hier nicht wirklich ordentlich aufgestellt war. Jetzt höre ich in dieser Debatte, in der es um tatsächliche Cyberangriffe geht, die also nicht etwa in höheren Sphären stattfindet, plötzlich etwas von Ressortprinzip und Meldepflicht. Das ist meine zweite Verwunderung: Ich finde, das passt nicht zusammen und ist dem Problem nicht angemessen, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ja, wir brauchen eine gesetzliche Regelung, und es ist gut, dass wir eine Anhörung hatten. Aber ich muss Ihnen sagen: So wie dieser Gesetzentwurf gemacht wurde – selbst mit den Änderungen, die noch vorgenommen wurden –, ist er nicht angemessen. Er geht schon von einem alten IT-Verständnis aus. Es geht, ganz bürokratisch, um Meldepflichten und Sanktionen. Als ob es uns hilft, wenn jemand zum Beispiel 10 000 Euro zahlen muss, weil er seiner Meldepflicht nicht nachgekommen ist! Ich finde, der Gesetzentwurf ist handwerklich schlecht gemacht. Es kommt zu einer Fokussierung auf die Meldepflicht. Aber es fehlt eine Aktivierung der Wirtschaft und der eigenen Interessen der Unternehmen, für Sicherheit zu sorgen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) Ich finde, dieses alte IT-Verständnis ist ein bisschen mittelalterlich – es erinnert an die Frühphase der Erfindung des Computers –, und aus den NSA-Vorkommnissen und den Snowden-Berichten wurde nichts gelernt, meine Damen und Herren. Wir sind zum Teil nicht einmal in der Lage, die Selektoren, die uns die NSA schickt, zu verstehen. Wir wissen ja gar nicht, was diese Nullen und Einsen materiell eigentlich bedeuten, um nachvollziehen zu können, ob wir selber ausgespäht werden. Nein, das reicht nicht. Die Frage muss doch lauten: Wie muss unsere Infrastruktur aussehen, und wo bzw. wie können wir uns konkret schützen? Herr Mayer hat in seinem Beitrag vorhin von einem kooperativen Ansatz geredet. Ich sage Ihnen: Ja, okay, Herr Mayer; ein kooperativer Ansatz ist gut. Aber wenn Sie nicht auf der richtigen Ebene agieren, sondern auf der Ebene von Meldepflichten und Ähnlichem, nützt Ihnen die Kooperation an dieser Stelle auch nichts. Wir müssen uns wirklich mit der Prozesshaftigkeit des Themas auseinandersetzen. Die Gewährleistung von Sicherheit ist nämlich kein Produkt, das von einem Bundesamt oder einer Bundessicherheitsbehörde zertifiziert wird und an das dann ein Haken gemacht wird. Es reicht auch nicht, den neuesten Stand der Technik zu berücksichtigen, vielleicht sogar noch unter finanziellen Gesichtspunkten. Nein, Sicherheit kann hier nur gewährleistet werden, wenn man jemanden zwingt, Standards einzuhalten, regelmäßige Risikoanalysen durchzuführen, Gefahrenlagen zu konkretisieren, Szenarien zu entwickeln, und zwar stündlich und täglich neu. Da passt Ihr bürokratisches System gar nicht hinein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Neulich habe ich auf einer Reise in die USA sehen können, wie dort Sicherheit hergestellt wird. Dort lässt man sich nicht von Sanktionen beeindrucken. Dort werden Teams aufgestellt. Es gibt ein red Team und ein blue Team, also ein rotes Team und ein blaues Team. Die Roten müssen ständig angreifen, und die Blauen müssen verteidigen, müssen diesen Angriff überhaupt erst einmal ausfindig machen. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Das machen dann die Grünen!) Das hört sich vielleicht kurios an, aber dadurch wird Kreativität freigesetzt. Ihr technokratischer Gesetzentwurf hingegen enthält null Angebote, um das Spiel der Hacker mit uns zu simulieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie reden immer vom Schutz der kritischen Infrastruktur. Es ist ja richtig, dass dieser Schutz wichtig ist, aber Sie erwähnen an keiner Stelle den Schutz des Grundrechts auf Vertraulichkeit und Integrität der informationstechnischen Systeme. Dazu hat das Bundesverfassungsgericht schon 2008 eine Entscheidung gefällt. Es hat festgestellt, dass der Staat Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen schützen muss. Angesichts der Aktualität dieses Themas muss ich Ihnen sagen, was mich besonders verwirrt: Uns liegt heute ein Gesetzentwurf zur IT-Sicherheit vor, der angesichts der rasanten Entwicklung im Bereich der Informationstechnologie regelrecht mittelalterlich erscheint. Aber gleich, in der anschließenden Debatte zur Vorratsdatenspeicherung, wird gesagt werden, in welchen Bereichen wir Massen an Daten speichern werden, obwohl wir an dieser Stelle noch gar nichts gelöst haben. Legen Sie diese beiden Gesetzentwürfe in ihrer ganzen Unzulänglichkeit einmal übereinander. Jetzt wollen Sie eine Meldepflicht normieren, und gleich werden Sie sagen, dass die Telekommunikationskontaktdaten aller Bürgerinnen und Bürger zentral, wenn auch offline, gespeichert werden sollen. Es gibt aber einen Zugang, und die Daten werden zum Teil auch abgefragt werden. Ihr Gesetzentwurf bietet an dieser Stelle überhaupt keine Sicherheit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Mein Vorschlag lautet: Legen Sie gleich beide Gesetzentwürfe weg. Organisieren Sie Sicherheit als Prozess. Sorgen Sie für einen ständigen Anreiz für die Wirtschaft und die Betreiber der kritischen Infrastruktur, dranzubleiben. Setzen Sie Standards, und fangen Sie an, auch die sonstigen Rechtsbereiche anders zu regeln. Sicherheit stellen Sie übrigens nur her, wenn Sie Open-Source-Produkte nutzen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Letzter Gedanke. – Bei Open-Source-Produkten kann man Sicherheitslücken nicht verstecken, sondern jeder kann schauen, ob Sicherheitslücken bestehen und Abhilfe schaffen. (Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Sorgen Sie dafür, dass der Staat Sicherheitslücken nicht geheim hält oder sogar anhäuft. Fangen Sie endlich an. Sorgen Sie endlich für Sicherheit, nicht nur mittels moderner Technik, sondern auch durch kreative Analyseformen und das Durchspielen von Gefahrensituationen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Clemens Binninger ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Clemens Binninger (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Innenminister hat vorhin einen interessanten Satz gesagt, den man etwas mit Fakten untermauern muss; denn dann wird das Problem, glaube ich, deutlich. Er hat gesagt: Über das Netz des Bundes, zu dem der Deutsche Bundestag nicht gehört, hat das BSI einen stabilen Schutzschild gelegt. Er verhindert Angriffe wie den, den wir jetzt erleben müssen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann hoffe ich mal, dass morgen nicht das Gegenteil bewiesen wird!) Wenn man wissen will, wie viele Angriffe jeden Tag verhindert werden, um die Dimension der Bedrohung wahrnehmen zu können, muss man sich die Zahlen anschauen: Dieser Schutzschild verhindert jeden Monat 90 000 Zugriffe von Rechnern der Bundesverwaltung auf infizierte Server. 90 000 Mal wäre es sonst dazu gekommen, dass ein Mitarbeiter durch einen versehentlichen Klick auf einem Server landet, der mit Schadsoftware infiziert ist oder Teil eines Botnetzes ist. In 90 000 Fällen ist das verhindert worden. Dieser Schutzschild verhindert jede Woche 15 bis 20 oder gar mehr hochkomplexe Angriffe auf das Netz. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ich schreibe wieder Briefe mit Füller!) Darunter ist jeden Tag mindestens einer mit Nachrichtendiensthintergrund. Das ist die Dimension der Bedrohung. Hier wissen wir es. Bei uns selber, wo wir für die IT-Sicherheit verantwortlich sind, wissen wir das nur sehr begrenzt. Frau Kollegin Pau, ich bin Ihnen dankbar für die Klarstellung, dass Sie natürlich nichts dagegen haben, dass auch der Deutsche Bundestag, wenn er so ange-griffen wird, wie er jetzt angegriffen wurde, auf die -Expertise der Sicherheitsbehörden, des BSI und des Bundesamts für Verfassungsschutz, zurückgreift, ja, zurückgreifen muss. Frau Kollegin Künast, es war eben ein anderer Eindruck, den man in den letzten Tagen aus der Debatte haben musste. Man musste den Eindruck gewinnen, dass die Opposition angesichts dieses Angriffs auf den Deutschen Bundestag, anstatt sich der Expertise der Sicherheitsbehörden zu bedienen, lieber alleine vor sich hingewurstelt hätte. Das ist so ähnlich, als ob bei einem Hausbrand der Besitzer vor dem Haus steht und die Feuerwehr ablehnt, weil ihm die Farbe nicht gefällt, und stattdessen eine Löscheimerkette machen würde. So wurde Ihre Position wahrgenommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Gerold Reichenbach [SPD]: Das mit der Farbe würde den Sozialdemokraten nie passieren!) – Mit der Farbe hättet ihr kein Problem, Gerold, und mit der Feuerwehr wahrscheinlich auch nicht. – Aber das beschreibt das Problem, vor dem wir stehen. Deshalb, weil wir kein Lagebild haben, was die Bedrohung der Indus-trie angeht, das so konkret ist wie beim Netz des Bundes, brauchen wir ein Gesetz, in dem wir festlegen, was eine kritische Infrastruktur in den Bereichen Logistik, Verkehr, Energie, Wasser, Gesundheit oder Ernährung ist. Wir müssen Mindeststandards vorgeben. Dagegen kann man doch nichts sagen. Ich weiß nicht, ob ich Sie, Frau Künast, falsch verstanden habe. Aber Sie sagen ernsthaft, das sei schlecht, und fordern dann gleichzeitig Standards. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist keine Hilfe! Es ist viel zu wenig!) Wir geben sie jetzt vor. Aber zunächst einmal muss man wissen, welche Bereiche zur kritischen Infrastruktur gehören. Was sind die Standards für die Sicherheit des IT-Systems eines Energieversorgers? Wollen wir große Stadtwerke so laufen lassen, wie sie sind? Vielleicht gibt es dann einen Blackout in einer großen Stadt. Um das zu vermeiden, wollen wir Standards vorgeben. Das machen wir jetzt. Wir geben sie auch für die Bundesregierung vor. Wir haben etwas gemacht, was das Ressortprinzip gerade aufhebt. In der Vergangenheit war es so, dass jedes Ministerium am besten wusste, was für die IT-Sicherheit das Beste ist. Das haben wir jetzt geändert. Das BSI gibt die Standards vor, und damit hat man einheitliche Sicherheitsmechanismen. Das ist der einzige Weg, der richtig ist. Wir wollen keinen Flickenteppich mit Insellösungen, wir wollen nicht, dass jeder etwas anderes macht. Wir wollen einheitliche Standards. Die geben wir mit dem Gesetz vor, und damit leisten wir einen wichtigen Beitrag zur IT-Sicherheit auch des Bundes. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Jetzt komme ich zum Thema Meldepflicht. Frau Kollegin Künast, ich weiß nicht, ob Sie die Bestrebungen der letzten Jahre mitverfolgt haben. Es gab eine ganze Reihe von kooperativen Ansätzen mit der Industrie. Es gibt KRITIS, es gibt Austauschplattformen, aber diese basierten immer auf freiwilliger Meldung. Jetzt machen wir uns nichts vor: Es ist für ein Unternehmen überhaupt nicht attraktiv, sagen zu müssen: Gestern wurde unser Rechenzentrum angegriffen. – Wer will denn das in die Öffentlichkeit tragen? Deshalb brauchen wir ein Verfahren, dass der Vorgang gemeldet wird, damit wir Lageerkenntnisse haben. Aber wir garantieren auch Anonymität oder Vertraulichkeit. Aber ohne die Meldepflicht wissen wir nicht, wie umfangreich die Angriffe sind, wissen wir nicht, welche neue Schadsoftware kommt, wissen wir nicht, wo es vielleicht fast zu einem Ausfall der Energieversorgung gekommen wäre. All die Informationen, die wir im Netz des Bundes haben, brauchen wir auch bei kritischen In-frastrukturen. Das erreichen wir mit diesem Gesetz, das erreichen wir mit der Meldepflicht. Dass wir Verstöße mit Bußgeld bewehren müssen, ist klar. Ich verstehe gar nicht, warum die Grünen jetzt ironisieren. Ich meine, mich zu erinnern, dass Sie das immer verlangt haben und Begriffe wie „zahnloser Tiger“ verwendet haben. Unser Gesetz ist kein zahnloser Tiger. Wir haben die Meldepflicht, und wir haben auch eine Bußgeldandrohung. Aber wir setzen darauf – das sind auch die Signale, die wir aus der Industrie haben –, dass kooperativ im Interesse der Sache mitgearbeitet wird. Dann haben Sie sich immer im Innenausschuss beklagt, dass man eine Meldepflicht für die Unternehmen einführe, aber die Bundesverwaltung selber mit Ausnahme der Standards im Gesetzentwurf gar nicht vorkomme. Dazu muss ich Ihnen sagen: Da hinken Sie der aktuellen Rechtslage weit hinterher. Eine Meldepflicht für die Bundesverwaltung gibt es seit 2010. Seit 2010 müssen Behörden der Bundesverwaltung jeden IT-kritischen Angriff unverzüglich oder, wenn er nicht ganz so bedeutend war, innerhalb eines Monats melden. Das haben wir dort schon. Im Bereich der Bundesverwaltung haben wir den Schutzschild, wir haben die Meldepflicht, und das übertragen wir jetzt, wo es Sinn macht, auch auf die Betreiber kritischer Infrastrukturen. Das zu tun, ist mehr als richtig und wichtig. Bitte, nehmen Sie diese Platz-patrone, die Ihnen als Argument dient, einfach aus Ihrem Munitionsvorrat. Sie ist einfach falsch und wird nicht besser, wenn man sie dauernd wieder herausholt. (Beifall bei der CDU/CSU) Jetzt zum Verfahren bzw. zu dem, was wir dafür getan haben, die Wirtschaft nicht zu überfordern. Ich denke dabei an den Kollegen Pfeiffer, dessen Anliegen es ist, dass die Unternehmen nicht überfordert werden. Wir lassen den Unternehmen zwei Jahre Zeit für die Umsetzung. Das, was der Gesetzgeber nicht konkretisieren kann, weil es technische Fragen betrifft, regeln wir in einer Verordnung. Diese Verordnung wird nicht allein vom BSI erarbeitet, sondern gemeinsam mit der Wirtschaft, mit den Betreibern und den Verbänden. Wir haben zwei Jahre Umsetzungszeit vorgesehen, bevor die Regelung verpflichtend wird, und nach vier Jahren – Kollege Reichenbach hat es angesprochen – folgt eine Evaluation. Ich glaube, das ist ein sehr gutes, kluges und kooperatives Vorgehen. Wir leisten damit einen großen und wichtigen Beitrag zur Sicherheit der IT in unserem Land. Sicherlich könnte man noch viel mehr machen. Wir beginnen mit den Bereichen, die besonders heikel sind: Energieversorgung, Wasser, Finanzen und Telekommunikation. Weitere Schritte müssen folgen. Ich habe mir erlaubt, den Entschließungsantrag der Grünen zu lesen, den sie im Innenausschuss vorgelegt haben. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) – Beifall kann ich leider nicht spenden. Es war ein Sammelsurium an Wünschen, die das grüne Herz begehrt. Die roten und blauen Teams kamen nicht vor, Frau Künast, aber jede Menge grüne Wünsche. Man kann sagen: viele Wünsche, aber keine Lösungen. Insofern ist der vorliegende Gesetzentwurf deutlich besser und konkreter. Er dient der Sicherheit der IT in diesem Land, und deshalb hat er unser aller Zustimmung verdient. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Christina Kampmann ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Christina Kampmann (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! -Sicherheit spielt in der politischen Rhetorik eine immens große Rolle, egal ob wir über den G-7-Gipfel, den internationalen Terrorismus oder den Schutz vor Einbruch und Diebstahl reden. Für einen Bereich aber wurde dieses Thema viel zu lange vernachlässigt, nämlich für die gesamte Informationstechnologie. Bei aller Kritik an dem Gesetzentwurf, bei allen berechtigten Forderungen, noch weiterzugehen, und bei allen Zweifeln an den Details in der Umsetzung ist es gut, dass damit endlich Schluss ist, liebe Kolleginnen und Kollegen. Gut, dass wir dieses Thema endlich auf die politische Agenda gesetzt haben. Gut, dass die Große Koalition mit dem IT-Sicherheitsgesetz eines der ersten Vorhaben im Rahmen der Digitalen Agenda umsetzen wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Um es vorwegzunehmen: Auch ich finde, das Gesetz dürfte an der einen oder anderen Stelle noch weiter gehen. Ich bin aber davon überzeugt, dass es uns trotzdem richtig gut gelungen ist und dass wir damit einen Anfang gemacht haben, der sich sehen lassen kann. Das ist ein guter Tag für die IT-Sicherheit in Deutschland. Es ist ein gutes Beispiel für gesetzliche Rahmenbedingungen innerhalb der Europäischen Union. Herrn Janecek sage ich: Wer uns als Entwicklungsland in Sachen IT-Sicherheit bezeichnet – darin bin ich ganz bei Herrn Binninger –, von dem erwarte ich auch ganz konkrete Vorschläge und Lösungen zur Verbesserung statt einer Aneinanderreihung von Forderungen, wie sie Ihrem Antrag entsprechen, die bei wohlwollender Betrachtung gerade noch etwas mit dem Thema „Digital“ zu tun haben, aber mit Sicherheit nicht mit der IT-Sicherheit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber lassen Sie mich das näher ausführen. IT-Sicherheit ist kein Selbstzweck. Für mich ist sie das Fundament der Digitalisierung. Industrie 4.0 ohne Sicherheit ist komplett undenkbar. Autonomes Fahren – der Minister hat es eben angesprochen – ohne Sicherheit ist geradezu lebensgefährlich. Cloud-Technologie ohne Sicherheit ist überhaupt nicht möglich. Kein Unternehmen, keine Verwaltung und kein privater Nutzer werden ihre Daten in einer Cloud speichern, wenn sie nicht zutiefst überzeugt sind, dass sie dort sicher sind. Egal wohin man schaut: Die Digitalisierung unserer Gesellschaft wird nicht funktionieren, wenn wir nicht ein Maximum dessen gewährleisten, was an Sicherheit möglich ist. Deshalb bin auch ich davon überzeugt, dass es einen staatlichen Handlungsauftrag gibt. Es ist konsequent und folgerichtig, diesen im Bereich der kritischen Infrastrukturen zu sehen. Denn hier ist die Gesellschaft besonders verletzlich. Deshalb müssen wir ein Mindestmaß an IT-Sicherheit gesetzlich regeln und zur Pflicht machen. Wenn wir über die Meldepflichten reden, dann sehen wir: Ohne diese haben wir heute eine komplett unklare Gefährdungslage. Wenn wir nicht wissen, wie groß die Gefahr ist: Wie sollen wir dieser Gefahr dann begegnen? Deshalb brauchen wir die Meldepflichten. Was wir aber nicht brauchen, sind Unternehmen, die sich an dieser Stelle wegducken, weil sie den Wert eines umfassenden Lagebildes und die sich daraus ergebenden Chancen für ein gezieltes Vorgehen gegen Angreifer verkennen. Stattdessen brauchen wir Unternehmen, die in die -Sicherheit ihrer IT investieren. Das gibt es nicht zum Nulltarif; das ist klar. Investitionen kosten Geld und sind teuer. Ich bin aber überzeugt davon, dass sich dort jeder einzelne Cent lohnt; denn für den, der es versäumt, rechtzeitig zu investieren und sich zu schützen, wird es am Ende noch teurer werden. Deshalb muss dieses Gesetz auch mehr sein als nur eine Vorgabe für Betreiber kritischer Infrastrukturen. Ich wünsche mir, dass wir damit einen Anstoß für eine gesamtgesellschaftliche Debatte über das Thema IT-Sicherheit geben können. Die ist längst überfällig, und deshalb ist es auch gut, dass wir das heute diskutieren. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit der letzten Lesung hat es einige Änderungen gegeben, über die wir heute schon gesprochen haben. Es gibt aber auch Aspekte, die wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben und – davon bin ich überzeugt – die in diesem Gesetzentwurf noch ihren Platz hätten finden können, dieses Mal aber noch außen vor geblieben sind. Ich denke zum Beispiel – damit bin ich bei den Grünen – an das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, das endlich mit Leben erfüllt werden muss. Die Nutzung von Methoden zur Anonymisierung und Pseu-donymisierung und all das, was wir unter den Stichworten „Privacy by Design“ und „Privacy by Default“, also dem technikgestützten Datenschutz und dem Datenschutz durch Voreinstellung, diskutieren: Das haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, und das dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, sondern sollten es entschieden weiterverfolgen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich wünsche mir aber auch – hier bin ich auch auf der Linie der Opposition –, dass wir zu einer größeren Unabhängigkeit des BSI kommen und dass wir uns endlich Gedanken darüber machen, wie wir in dieser Richtung die richtigen Weichen stellen können; denn das BSI wird mit diesem Gesetz bezüglich der Abwehr von Gefahren für die Sicherheit der Informationstechnik in Unternehmen, in den Verwaltungen und in Bezug auf die Bürgerinnen und Bürger deutlich gestärkt, und das ist auch gut so. Die Anbindung an das BMI in diesem Bereich bringt aber eine Gefahr mit sich, die über die Probleme hinsichtlich der Zuständigkeit für die defensive Sicherheit deutlich hinausgeht. Um diesen Konflikt gar nicht erst entstehen zu lassen, werden wir uns auch weiterhin für eine größere Unabhängigkeit einsetzen. Das ist meiner Meinung nach nicht nur glaubwürdiger, sondern wird der Rolle des BSI im Rahmen der gesamten Sicherheitsarchitektur des Bundes auch wesentlich besser gerecht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Meine sehr verehrten Damen und Herren, seit der letzten Lesung hat sich einiges getan, und viele der neuen Ansätze, die sich in dem aktuellen Entwurf finden, sind absolut zu begrüßen. So haben die jüngsten Vorfälle gezeigt – das wurde heute schon vermehrt angesprochen –, dass sich die IT-Sicherheitslage im Bund stetig verschärft und dass Angriffe nicht nur immer zahlreicher, sondern auch immer komplexer werden. Deshalb ist es folgerichtig, dass der veränderte Gesetzentwurf auch den Bund in die Pflicht nimmt; denn auch hier brauchen wir verbindliche Mindeststandards, um diesen Herausforderungen begegnen zu können. Genauso verhält es sich mit der nun vorgesehenen Einbeziehung von Hard- und Softwareherstellern; denn wenn Betreiber kritischer Infrastrukturen Sicherheitslücken nicht vollständig beheben können, dann dürfen die Hersteller an dieser Stelle nicht untätig bleiben. Deshalb ist es nur konsequent, dem BSI hier das Recht einzuräumen, von diesen auch die Mitwirkung an der Beseitigung einer Störung zu verlangen. Es ist auch richtig, über den kooperativen Ansatz hinauszugehen und ein Bußgeld für diejenigen vorzusehen, die im Rahmen dieses Gesetzes nicht dazu bereit sein werden, ihren Beitrag zu leisten. Frau Künast, das betrifft nicht nur die Meldepflichten, sondern auch die Mindeststandards. Das ist aus meiner Sicht auch kein Mangel an Vertrauen, sondern unterstreicht nur die politische Bedeutung, die IT-Sicherheit im Rahmen kritischer Infrastrukturen hat und die wir ihr auch zugestehen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Diese Veränderungen bringen erhebliche Verbesserungen an wichtigen Stellen und zeigen damit, dass wir es mit der Umsetzung von mehr IT-Sicherheit in Deutschland ernst meinen. Dafür haben wir heute einen entscheidenden Schritt getan. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir von der Koalition!) – „Wir von der Koalition“, genau. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bei der ersten Lesung habe ich gesagt – ich zitiere mich einmal selbst –, dass ich mir in diesem Gesetzentwurf eine Verpflichtung zur Transportverschlüsselung für Telekommunikationsunternehmen gut hätte vorstellen können, weil so etwas wie eine marktgetriebene Verschlüsselung in etwa so häufig zu finden ist wie eine Niederlage von Arminia Bielefeld im DFB-Pokal, nämlich quasi nie. Dieter Janecek von den Grünen meinte daraufhin, dass dieser Entwurf fußballkategorisch doch eher in der Kreisklasse statt in der Champions League zu verorten sei. Inzwischen ist Arminia Bielefeld aufgestiegen, das Champions-League-Finale hat am vergangenen Samstag stattgefunden, und ich bin nach den benannten Änderungen geradezu zutiefst davon überzeugt, dass wir mit diesem Entwurf in der sicherheitspolitischen Champions League angekommen sind. Vielleicht sind wir noch nicht der FC Barcelona – da ist, glaube ich, noch ein bisschen Luft nach oben –; (Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Aber der FC Bayern München!) aber im Halbfinale ausscheiden wird dieser Gesetzentwurf mit Sicherheit nicht. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Hansjörg Durz für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Hansjörg Durz (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei der Einbringung und auch heute haben alle Redner betont: Die IT-Sicherheitslage in Deutschland ist angespannt. Der Hackerangriff auf unser Parlament – auch das wurde in vielen Reden erwähnt – ist das jüngste Beispiel dafür, wie verwundbar informationstechnische Systeme sind. Für unsere Wirtschaft hat KPMG ermittelt, dass 40 Prozent der deutschen Firmen in den vergangenen zwei Jahren Ziel von Computerkriminalität waren. Die dabei entstandene Schadenssumme geht in die Milliarden. Gestern hat BITKOM kommuniziert, dass Unternehmen bei der IT-Sicherheit deutlich nachbessern müssen. Die Schadsoftware wird immer komplexer und bleibt nicht selten unerkannt. Auch der letzte Bericht des BSI zur Lage der IT-Sicherheit in Deutschland stellte klar heraus, dass durch die zunehmende digitale Durchdringung und Vernetzung aller Lebensbereiche und Arbeitsbereiche eine dynamische Gefährdungslage entsteht. Anders ausgedrückt: Die zunehmende Vernetzung macht unsere Systeme insgesamt immer anfälliger. Genau hier setzt das IT-Sicherheitsgesetz an. Im Grundsatz klingt das Ziel des Gesetzes zunächst einfach: Um die Chancen der Digitalisierung erfolgreich nutzen zu können, ist es erforderlich, das IT-Sicherheitsniveau zu erhöhen. Das klingt einleuchtend, man könnte fast sagen: banal. Dass es aber alles andere als selbstverständlich ist, entsprechende Vorkehrungen zu treffen, belegen die eben zitierten Studien sehr eindeutig. In Deutschland existieren eine Reihe freiwilliger Initiativen und Angebote zur Erhöhung der IT-Sicherheit, die äußerst sinnvoll sind. Eine Vielzahl von Firmen handelt vorbildlich, allein schon aus eigenem Interesse. Aber Freiwilligkeit allein reicht insbesondere bei kritischen Infrastrukturen eben nicht aus, um die IT-Systeme gegen Angriffe zu schützen. Oftmals wird das Bewusstsein für Handlungs- und Investitionsbedarf bei der IT-Sicherheit erst geweckt, wenn tatsächlich ein Schaden eingetreten ist. Dann ist es meist zu spät. Das können und dürfen wir uns als hochentwickelte Industrienation nicht leisten. Das IT-Sicherheitsniveau verschiedener Infrastrukturen innerhalb der Sektoren, die für die Daseinsvorsorge in unserem Land als kritisch anzusehen sind, ist sehr unterschiedlich. Es ist daher absolut dringlich, durch dieses Gesetz die Widerstandsfähigkeit kritischer Infrastrukturen zu erhöhen. Deutschland nimmt damit eine Vorreiterrolle im Bereich der IT-Sicherheit ein. Beispielgebend ist dabei aber nicht nur die Tatsache, dass wir dieses Gesetz auf den Weg bringen, sondern vor allem auch die dahinterstehende kluge Philosophie des kooperativen Ansatzes. Dieser besteht auf der einen Seite aus einer engen Beteiligung der Unternehmen, also der Betroffenen, über ihre Verbände. Auf der anderen Seite stehen ein wirksamer Sanktionsmechanismus sowie die Kontrolle der Einhaltung der zu definierenden Verpflichtungen durch das BSI. Ich bin der Überzeugung, dass es mit diesem Ansatz gelingt, ein funktionierendes System zu etablieren und passgenaue und branchenspezifische Standards zu erreichen, die dem notwendigen Sicherheitsniveau einer digitalen Gesellschaft entsprechen. Nur mit diesem Ansatz werden wir der dynamischen Entwicklung begegnen können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Von einem höheren Sicherheitsniveau wird unsere gesamte Wirtschaft in Deutschland profitieren. Unsere Wirtschaft ist auf das Funktionieren kritischer Infrastrukturen angewiesen, der eine mehr, der andere weniger. Kein Unternehmen in unserem Land kann es sich leisten, dass es in für die Daseinsvorsorge elementaren Bereichen über einen längeren Zeitraum beeinträchtigt ist. Daher erreichen wir mit einem Mehr an Sicherheit für die Betreiber kritischer Infrastrukturen automatisch auch ein Mehr an Sicherheit für unsere Wirtschaft. Welche weiteren Vorteile hat dieses Gesetz für die Wirtschaft? Ein Punkt kommt mir in der Diskussion gelegentlich etwas zu kurz: Das durch das IT-Sicherheitsgesetz geschaffene Meldesystem ist – Stephan Mayer hat es vorhin erwähnt – alles andere als eine Einbahnstraße. Die Unternehmen, die an dem System mitarbeiten, bekommen Rückmeldungen vom BSI auch über andere Vorfälle. Insofern sind die Unternehmen zu einem privilegierten Meldesystem zusammengeschlossen. Ich möchte gar nicht in Abrede stellen, dass den Unternehmen natürlich auch ein Aufwand entsteht; aber durch die Meldepflicht, die im Übrigen in der Regel anonym erfolgt, und durch den Austausch von Informationen über sicherheitsrelevante Aspekte profitieren die Unternehmen in hohem Maße voneinander. Durch das System von Meldung und Rückmeldung können wichtige Informationen zu einem Frühwarnmechanismus beitragen und zu einem einheitlichen Lagebild führen. Ein weiterer Mehrwert für die Unternehmen liegt in der Erarbeitung von IT-Mindeststandards. Dies gilt in zweierlei Hinsicht: Wir wissen, dass das Sicherheitsniveau bei den einzelnen Unternehmen sehr heterogen ist. Auf der einen Seite bieten die Standards Orientierung, da sie den Unternehmen aufzeigen, ob und in welchem Bereich der IT-Sicherheit Handlungsbedarf besteht. Da auch bei der Erarbeitung der Standards der kooperative Ansatz verfolgt wird, haben die Firmen zudem die Gelegenheit, über ihre Verbände ihre Erfahrungen und Kenntnisse in den Prozess einzubringen. Auf der anderen Seite bieten die Standards aber auch Rechtssicherheit für die Unternehmen, da das BSI die Eignung der erarbeiteten Standards feststellt. Im parlamentarischen Verfahren konnte eine weitere Verbesserung erzielt werden. Die Einbindung der Softwarehersteller ist hier zu nennen. Als letzten Punkt möchte ich einen zentralen Kritikpunkt aus der Wirtschaft aufnehmen und verdeutlichen, weshalb es so schwer ist, bereits heute den Kreis der Betroffenen definitiv festzulegen. Angesichts der Dynamik der Digitalisierung ist es sehr komplex, die kritischen Infrastrukturen zu identifizieren und dauerhaft festzuschreiben. Zunächst sind im Gesetz Sektoren und Branchen definiert. Es dürfte aber jedem klar sein, dass allein die Zugehörigkeit zu einer Branche eine nicht hinreichende Bedingung darstellen kann. Ein Beispiel aus dem Bereich der Energie: Es gibt in Deutschland aktuell circa 1,6 Millionen Erneuerbare-Energien-Anlagen. Die meisten davon sind klein und absolut unkritisch. Schließt man hingegen viele EEG-Anlagen, beispielsweise viele Windkraftanlagen, über eine gemeinsame Leitwarte zu einem virtuellen Kraftwerk zusammen, so kann aus vielen kleinen Anlagen eine kritische Infrastruktur werden. – An diesem Beispiel wird deutlich, dass man sich bei der Festlegung der Schwellenwerte an den Dienstleistungen und am Versorgungsgrad orientieren muss und eben nicht nur an der Größe der Anlagen. Dieser komplizierte Vorgang muss für alle Branchen entsprechend durchgearbeitet werden. Das Gesetz verfolgt einen neuen und modernen Ansatz, einen kooperativen Ansatz. Angesichts der Komplexität, vor allem aber der Dynamik der Digitalisierung ist das genau der richtige Weg. Dieser kooperative Ansatz muss allerdings auch gelebt werden. Deshalb wäre es schön, wenn wir Parlamentarier in die Erarbeitung der Verordnung mit einbezogen werden könnten. (Beifall bei der CDU/CSU) Dabei muss uns allen aber bewusst sein, dass sowohl für die Verordnung als auch für das Gesetz stetige Kontrolle und Evaluierung erforderlich sein werden. Sicherheit ist ein dynamischer Prozess. Die Koalition macht heute auch im Sinne unserer Wirtschaft einen klugen und großen Schritt Richtung Stabilisierung unserer IT-Sicherheit. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Marian Wendt ist der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Marian Wendt (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Stirb langsam-Filmheld John McLane kommentierte seinen Sieg über das Böse immer mit den Worten „Yippie-ya-yeah“. Auch in der vierten Folge mit dem finalen Sieg über den Cyberterroristen Thomas Gabriel nutzte er diese Worte. Dieser Cyberterrorist hatte zuvor die gesamte IT-Infrastruktur der Ostküste der Vereinigten Staaten lahmgelegt, um einen riesigen Raubzug durchzuführen. Das wäre ihm auch fast gelungen, hätte es nicht John McClane und seinen Mitstreiter gegeben. – Alles nur Film? Alles nur ausgedacht? Davon hat man 2007, als der Film veröffentlicht wurde, vielleicht noch überzeugt sein können. Jetzt und heute zu glauben, dass diese Geschichte – abgesehen von einigen Details – an den Haaren herbeigezogen ist, ist weltfremd. Da ich nun Ihre volle Aufmerksamkeit habe, können wir den vorliegenden Gesetzentwurf näher betrachten. Das IT-Sicherheitsgesetz, dessen Entwurf uns hier vorliegt, ist sicherlich sachlicher und dröger als der Klassiker Stirb langsam. Es gibt keine bekannten Helden, außer vielleicht dem BSI-Präsidenten Hange, und nur recht wenig Action. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Und Marian Wendt!) Aber die Auswirkungen von IT-Angriffen sind genauso gefährlich wie im Film dargestellt. Wenn heutzutage Angriffe auf die digitalen Strukturen von Unternehmen oder Behörden durchgeführt werden, dann sind die Helden stille Fachleute in den IT-Abteilungen der Unternehmen, Männer und Frauen, die versuchen, die Dinge wieder geradezurücken. Sie schätzen den Schaden ein und ergreifen Gegenmaßnahmen. Sie sitzen dabei oft in Kellern, in hochgesicherten Anlagen oder Bunkern. Sie bieten eine Dienstleistung an, die man eigentlich nur benötigt, wenn etwas schiefgeht. Hier möchte ich einmal ein Lob und meine Anerkennung für die Leistung dieser Menschen aussprechen. Für erfolgreiche IT-Angriffe gibt es leider medienwirksame Beispiele: Regin, Stuxnet und andere Angriffe aus dem asiatischen Raum oder aus Russland auf Indus-trieunternehmen, Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge und andere KRITIS-Betreiber. Ein aktuelles Beispiel gab es auch im Vorfeld der sächsischen Kommunalwahl am letzten Sonntag, als der Ausfall des KISA-Servers die Briefwahl um bis zu zwei Tage verzögerte. Die Zahl der Angriffe und Angriffsversuche ist schwer abschätzbar; den Meldungen nach gehen sie jeden Tag in die Abertausende. Ich möchte Ihnen ein kleines Beispiel nennen: Am 18. Mai dieses Jahres fanden bis 14 Uhr weltweit über 100 000 Angriffe auf IT-Systeme statt. Davon kamen allein 24 000 Angriffe aus China. Das alles geschah binnen 14 Stunden. – Deshalb reden wir heute über die Angriffe auf unsere kritische Infrastruktur, diejenige Infrastruktur also, die für das geordnete Zusammenleben und den Fortbestand der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in unserem Land essenziell ist. Dabei sind wir als Nutzer durch unser Verhalten maßgeblich mitverantwortlich für die IT-Sicherheit; denn die größte Sicherheitslücke in der IT ist und bleibt der Mensch. Haben Sie schon einmal einen gefundenen USB-Stick ins Laufwerk gesteckt, einen Link auf einer Schmuddelseite geklickt oder hat sich einmal ein entsprechendes Pop-up geöffnet? Ein Klassiker ist auch, die PIN auf die Bankkarte zu schreiben oder – ein anderes Beispiel – bei verschiedenen Onlinekonten – im Schnitt besitzen wir 14 – die gleiche Passwortkombination zu nehmen, bestehend beispielsweise aus dem Vornamen der Mutter und der alten Postleitzahl oder dem eigenen Geburtsdatum. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Ich nehme John McClane!) Schon steht man vor den Scherben jeder noch so ausgeklügelten IT-Sicherheitstechnologie. Da können wir noch so lange über das IT-Sicherheitsgesetz und das hoheitliche Handeln des BSI reden. Wenn sich die Sicherheitskultur in unserem Land nicht ändert, dann können wir, wie schon gesagt, noch so ausgeklügelte Maßnahmen, noch so hohe Standards oder auch noch so strafbewehrte Mechanismen haben: Wir werden den Kampf gegen Cybercrime verlieren, und zwar auf allen Ebenen. Die digitale Verwaltung wird sich nicht weiterentwickeln; denn ohne Vertrauen geht das nicht. Gleiches gilt für das Onlinebanking, die Industrie 4.0 und im Grunde genommen für jede Dienstleistung im Netz. Das große Problem ist, dass die Nachlässigkeit vieler Einzelner andere massiv gefährdet. Wenn in der Frage IT-Sicherheit Risiko und Haftung Hand in Hand gingen, würde sich das Problem fast von selbst lösen: Jeder hätte den Anreiz, darauf zu achten, dass die eigenen Systeme ausreichend – wenigstens mit einem Mindeststandard – abgesichert sind. Jedoch ist das bisher noch nicht der Fall. Nachlässige Nutzer sichern ihre Systeme nicht. Wir werden die heutige Verabschiedung des IT-Sicherheitsgesetzes zum Anlass nehmen, darüber nachzudenken, wie wir unsere Gesellschaft für mehr Sicherheitskultur gewinnen können. Ungesicherte Systeme werden kompromittiert und missbraucht, verbreiten Infektionen, bilden Botnetze und befeuern die Cyberkriminalität. Sie können für alle möglichen kriminellen Zwecke missbraucht werden; man kann sie sogar mieten. Dem einzelnen Nutzer geht im Zweifel nur der Rechner kaputt. Der gesamtwirtschaftliche Schaden ist ungleich höher. Wer sich nicht impft, gefährdet sich und andere. Diese Parallele kann man auch in der IT-Sicherheit ziehen. Deswegen brauchen wir eine weitere Debatte über die Sicherheitskultur. Die Menschen müssen aufgeklärt werden. Die Initiative „Deutschland sicher im Netz“ beispielsweise leistet gute Arbeit bei der Aufklärung. Diese Initiative möchte ich hier lobend erwähnen und herausstellen. Das vorliegende IT-Sicherheitsgesetz ist ein entscheidender Schritt hin zur Absicherung unserer kritischen -Infrastruktur und zur allgemeinen IT-Sicherheit in Deutschland. Die klarere Rolle des Bundesamtes für -Sicherheit in der Informationstechnik ist zum Beispiel ein großer Erfolg. Dennoch ist das IT-Sicherheitsgesetz nur ein Mosaiksteinchen im immer wichtigeren Gesamtbild bei der Bekämpfung von Cybercrime, das meine Kollegen und ich im Rahmen der digitalen Agenda auf dem Schirm haben. Ich sehe das Gesetz – auch im Vorfeld der europäischen NIS-Direktive – als wegweisenden Schritt und freue mich daher heute über diesen Erfolg. Ich möchte fast sagen: Yippie-ya-yeah! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Bevor wir zu den Abstimmungen über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf und den Entschließungsantrag kommen, will ich noch eine Bemerkung zu dem in der Debatte aus guten Gründen mehrfach hergestellten Zusammenhang zwischen den Gesetzesvorschlägen und den konkreten Angriffen auf das Datennetz des Bundestages machen. Dazu hat es in den letzten Tagen neben begründeten Nachfragen manche bemerkenswerten öffentlichen Erklärungen einiger Kolleginnen und Kollegen gegeben, die für mich noch plausibler gemacht haben, warum wir in diesem Gesetzentwurf betroffenen Unternehmen die Vertraulichkeit zusagen, die wir für uns selbst offenkundig nicht gelten lassen wollen im Umgang mit der Aufklärung solcher sensibler Zusammenhänge. Zweitens, nur zur Klarstellung. All das, was die Sicherheitsarchitektur des Bundestages betrifft, haben wir selbst beschlossen. Mir ist auch kein Streit in Erinnerung. Mit der Aufklärung wie den zu ziehenden Schlussfolgerungen ist eine Kommission des Ältestenrates befasst, die sich aus Mitgliedern aller Fraktionen dieses Hauses zusammensetzt. Ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln, dass die Fraktionen in diese Kommission Kolleginnen und Kollegen entsandt haben, die sie nicht nur für an dem Thema interessiert, sondern auch für besonders sachkundig halten. Es hat im Übrigen gestern im Ältestenrat keine einzige Fraktion Kritik an der Arbeit dieser Kommission oder Kritik an der Bundestagsverwaltung geäußert. Warum dann in der Öffentlichkeit der gegenteilige Eindruck erzeugt wird, erschließt sich mir nicht so richtig. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich möchte mich jedenfalls ausdrücklich sowohl bei den Mitgliedern der Kommission, insbesondere bei der Vorsitzenden Frau Pau, als auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundestagsverwaltung bedanken, die nun seit Wochen einen außerordentlich ungemütlichen Job erledigen. Sie erledigen ihn mit einem bemerkenswerten Einsatz und einer Unauffälligkeit, die offenkundig nicht allen gefällt, von der ich aber den Eindruck habe, dass sie dem Thema angemessen ist. (Beifall im ganzen Hause) Jetzt kommen wir zu den Abstimmungen. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5121, den Gesetzentwurf der Bundes-regierung auf Drucksache 18/4096 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in dieser Fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, bitte ich, sich von den Plätzen zu erheben. – Wer stimmt gegen diesen Gesetzentwurf? – Damit ist der Gesetzentwurf mit dem gerade genannten Mehrheitsverhältnis vom Bundestag angenommen. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5127. Wer stimmt diesem Entschließungsantrag zu? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Entschließungsantrag mehrheitlich abgelehnt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b auf: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten Drucksache 18/5088 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss Digitale Agenda b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan Korte, Dr. André Hahn, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Auf Vorratsdatenspeicherung verzichten Drucksache 18/4971 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss Digitale Agenda Auch für diese Debatte ist interfraktionell eine Debattenzeit von 96 Minuten vorgesehen. – Das findet offenkundig Zustimmung. Also können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Bundesminister der Justiz, Heiko Maas. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf stehen sich zwei große Werte gegenüber: Freiheit und Sicherheit. Da ist auf der einen Seite das Recht der Bürgerinnen und Bürger auf eine unkontrollierte, freie Telekommunikation. Sie wird geschützt durch Artikel 10 des Grundgesetzes. Zu ihr gehört nicht nur der Inhalt von Gesprächen, sondern auch die Information, wann von welchem Telefonanschluss welche Nummer angewählt worden ist. Auf der anderen Seite steht der Anspruch der Menschen auf eine effektive Strafverfolgung, auf eine rasche Aufklärung und Ahndung von Verbrechen und damit darauf, einen Beitrag zu leisten, dass weitere Verbrechen erst gar nicht geschehen. Hierfür geben wir mit diesem Gesetz den Sicherheitsbehörden bei schwersten Straftaten ein zusätzliches Instrument. Um zu beurteilen, wie tief der Eingriff in diese Werte und auch in die Rechte von Einzelpersonen ist, ist es sinnvoll, sich mit der Rechtslage auseinanderzusetzen, die wir jetzt haben. Nach § 100 g Absatz 1 der StPO ist es bereits heute, das heißt ohne dieses Gesetz, erlaubt, Verkehrsdaten zu erheben, und zwar ohne Wissen der Betroffenen – es handelt sich also um eine heimliche Ermittlungsmaßnahme –, um Straftaten von erheblicher Bedeutung aufzuklären. Die Erhebung bezieht sich auf Verkehrsdaten, das heißt auf alle Verbindungsdaten und auch auf alle Standortdaten, die bei der Telekommunikation und ihren Unternehmen gespeichert werden. Wir haben die Situation – dies ist insbesondere von den Sicherheitsbehörden in den letzten Jahren immer wieder moniert worden –, dass es bei den Telekommunikationsanbietern völlig unterschiedliche Speicherfristen gibt. Deshalb führt bei der Verbrechensaufklärung sozusagen das Zufallsprinzip Regie. Dort, wo die Daten zum Beispiel aus Kostengründen gar nicht gespeichert werden, ist eine Strafverfolgung oftmals nicht möglich. Dort, wo sie sehr kurz gespeichert werden, trifft dieses Problem ebenfalls oft zu. Der Datenschutzbeauftragte des Landes Schleswig-Holstein, Thilo Weichert, ist sicherlich einer, der in der Datenschutzszene einen besonders guten Ruf genießt. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Der kann auch mal irren!) Er hat zu diesem Thema Folgendes gesagt: Während heute TK-Provider teilweise Verkehrsdaten sofort oder – aus Gründen der IT-Sicherheit – nach einer kurzen Frist von 7 Tagen löschen, gibt es Anbieter, die Verkehrsdaten monatelang oder gar unbefristet aufbewahren, und Sicherheitsbehörden, die hierauf für ihre Zwecke – auch nach bereits geltendem Recht – zugreifen. Nur mit einer gesetzlichen Regelung kann Rechtsicherheit für alle Beteiligten – Behörden, Provider und Betroffene – erreicht und so der Weg zu einem effektiven Rechtsschutz eröffnet werden. Das, was die Bundesregierung mit diesem Gesetz vorgelegt hat, ist ein „valider Kompromiss“, ein Interessenausgleich zwischen unterschiedlichen Werten. Dem kann ich nur zustimmen, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir haben uns, als wir dieses Gesetz erstellt haben, insbesondere an zwei dazu vorliegenden Urteilen orientiert. Das sind zum einen ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts und zum anderen ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes. In der Diskussion wird teilweise ausgeführt, dass die anlasslose Speicherung von Verkehrsdaten schon per se dem Grundgesetz und den Grundrechten widerspreche. Auch hier hilft ein Blick in das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2010. Dort wird ausgeführt: Eine … anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten für qualifizierte Verwendungen im Rahmen der Strafverfolgung … ist mit Art. 10 GG nicht schlechthin unvereinbar. Diejenigen, die behaupten, dass dies schon grundsätzlich ein Verstoß gegen Artikel 10 sei, werden durch das Bundesverfassungsgericht widerlegt. Nun gibt es einige, die die Notwendigkeit oder die Sinnhaftigkeit solcher Maßnahmen infrage stellen. Auch hierzu macht das Bundesverfassungsgericht Ausführungen: Es werden hierdurch – nämlich durch die anlasslose Speicherung von Verkehrsdaten – Aufklärungsmöglichkeiten geschaffen, die sonst nicht bestünden und angesichts der zunehmenden Bedeutung der Telekommunikation auch für die Vorbereitung und Begehung von Straftaten in vielen Fällen erfolgversprechend sind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Damit ist, wenn man sich am Bundesverfassungsgericht orientiert, klar: Der Eingriff in die Rechte durch eine anlasslose Speicherung von Verkehrsdaten wird vom Bundesverfassungsgericht nicht grundsätzlich abgelehnt. Er muss verhältnismäßig sein. Das Bundesverfassungsgericht hat hierfür in seinem Urteil hohe Hürden gesetzt, und wir haben diese Hürden alle in diesen Gesetzentwurf integriert. Wir haben erstens einen Gesetzentwurf vorgelegt, bei dem wir Höchstspeicherfristen definieren. In der Vergangenheit ging es im Wesentlichen um Mindestspeicherfristen. Oftmals ist noch nicht einmal geklärt gewesen, was mit den Daten nach Ablauf der Mindestspeicherfrist geschieht. Vielfach sind sie einfach weiter verwaltet worden. Mit den Höchstspeicherfristen führen wir auch einen ganz grundsätzlichen Paradigmenwechsel ein: Die Daten müssen nach Ablauf der Fristen gelöscht werden. Unternehmen, die sich nicht daran halten, werden mit hohen Geldstrafen von 500 000 Euro pro Fall belegt. Die Definition von Höchstspeicherfristen ist also die erste große Übernahme dessen, was das Bundesverfassungsgericht uns vorgegeben hat. Zweitens speichern wir die Daten nicht, wie im alten Gesetz vorgesehen, ein halbes Jahr und auch nicht, wie in vielen anderen europäischen Staaten, ein Jahr oder zwei Jahre. Wir speichern die Standortdaten vier Wochen, weil sie ganz besonders sensibel sind, und die Verkehrsdaten, die beim Telefonverkehr entstehen, und die IP-Adressen, die im Webverkehr entstehen, zehn Wochen. Meine Damen und Herren, das sind die mit Abstand niedrigsten Speicherfristen in ganz Europa. Wir haben damit auch dem Urteil des EuGH entsprochen, der darauf hingewiesen hat, dass zwischen den Datenarten zu differenzieren sei und dies auch Einfluss auf die Speicherfristen haben müsse. Deshalb ist die Festlegung von so kurzen Speicherfristen nichts anderes als die Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, sowohl von Karlsruhe als auch von Luxemburg. Wir haben auch, wie es uns diese Urteile vorgegeben haben, einen Straftatenkatalog, in dem nur schwere Straftaten aufgeführt sind. Das heißt, der Aufruf von Verkehrsdaten, die im Rahmen dieses Gesetzes gespeichert werden, ist nicht bei Ordnungswidrigkeiten oder bei kleineren Bagatelldelikten möglich, sondern nur bei Mord, Totschlag, bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, bei Kinderpornografie und, und, und. Auch damit haben wir einer wesentlichen Vorgabe der Gerichte entsprochen. Des Weiteren haben wir in diesem Gesetz ein Verwertungsverbot für Berufsgeheimnisträger vorgesehen, für alle, die in § 53 StPO aufgezählt sind, also Journalisten, Geistliche, Ärzte, Abgeordnete. Auch das ist uns von den Gerichten vorgegeben worden. Nun gibt es einen Streit darüber, ob insbesondere das Urteil des EuGH nicht auch feststellt, dass die Berufsgeheimnisträger schon auf der Speicherebene und nicht erst auf der Verwertungsebene durch ein Verwertungsverbot ausgeschlossen werden. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! So ist es!) Natürlich haben wir auch das überprüft. Dazu muss man darauf hinweisen, dass bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit durch die Gerichte natürlich auch geprüft wird, ob Regelungen, die man schafft, technisch und praktisch überhaupt anwendbar sind. Das Problem bei der Ausnahme der Berufsgeheimnisträger auf der Speicherebene besteht ganz einfach darin, dass das Ziel, das damit verfolgt wird, nicht erreicht wird. Denn man kann den Festnetzanschluss, wenn er von einem Berufsgeheimnisträger genutzt wird, über eine Meldung beim Telekommunikationsanbieter sicherlich freistellen. Es ist aber nun einmal so, dass etwa in der mobilen Kommunikation und über die Vergabe sogenannter dynamischer IP-Adressen überhaupt nicht klar ist, wie viele IP-Adressen ein Berufsgeheimnisträger täglich hat. Deshalb würde eine Regelung auf der Speicherungsebene völlig ins Leere gehen. Deshalb glauben wir und sind davon überzeugt, dass die Interessen und die Berufsausübungspflichten von Geheimnisträgern nur dann ausreichend geschützt werden können, wenn es ein umfassendes Verwertungsverbot gibt. Auch das steht in diesem Gesetz. In ihm steht auch, dass keine Zufallsfunde genutzt werden können. Das heißt, es kann auch nicht über die Hintertür an solche Daten herangekommen werden. Es ist ganz wichtig, auch das einmal deutlich zu machen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben die Sicherheitsanforderungen, die das Bundesverfassungsgericht in sein Urteil hineingeschrieben hat, einfach übernommen: hohe Sicherheitsanforderungen an die Speicherung; Speicherung auf Servern, die in Deutschland stehen; Vier-Augen-Prinzip beim Abruf, was bedeutet, dass es zwei digitale Schlüssel – einen beim Provider und einen bei den Behörden – gibt. Einer allein kann gar nicht mehr an die Daten herankommen, die beim Provider liegen. Das geht nur, wenn diese beiden digitalen Schlüssel zusammengelegt werden. Ich würde mir wünschen, dass viele andere Daten auch so gesichert werden wie die, die in diesem Gesetz aufgeführt sind. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Man kann überhaupt nur an die Daten kommen, wenn es eine richterliche Entscheidung gibt, und zwar eine ohne Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft. Wir wissen, dass die Staatsanwaltschaft – in Eilfällen, wenn Gefahr im Verzug ist – heute oftmals die Entscheidung des Richters ersetzt. Auch das schließen wir aus. Es können keine Daten abgerufen werden, wenn nicht ein Richter darüber entschieden hat. Meine Damen und Herren, ein Punkt, der auch aus den Urteilen der Gerichte übernommen wird, ist die Benachrichtigung an die Betroffenen. Ich will das noch -einmal ausführen, weil das auch aktuell aufgegriffen worden ist. Die Maßnahme ist als eine offene Ermittlungsmaßnahme ausgestaltet. So steht es im Gesetz. Das heißt, die Betroffenen sind grundsätzlich vor der Datenerhebung zu informieren. Die Zurückstellung der Benachrichtigung ist ausnahmsweise nur dann möglich, wenn andernfalls der Ermittlungszweck bzw. der Ermittlungserfolg gefährdet wird. Ich halte es für eine Selbstverständlichkeit, eine solche Regelung in das Gesetz aufzunehmen. Es gibt aber ein Ausnahme-Regel-Verhältnis. Der Regelfall ist, dass die Betroffenen über die Datenerhebung informiert werden. Auch damit ist eine wesentliche Vorgabe aus der Rechtsprechung übernommen worden. Wenn man sich das alles zusammen anschaut, wird man feststellen, dass wir das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das sich insbesondere mit dem Zugriff auf die Daten beschäftigt, nicht anders als eins zu eins übernommen haben. Ich kann nur jeden unterstützen, der dieses Gesetz dem Bundesverfassungsgericht vorlegt. Ich bin davon überzeugt, dass dieses Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben wird, weil wir das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht anders als eins zu eins übernommen haben. Dies gilt auch für das Urteil des EuGH so. In ihm wird ein Thema ganz besonders diskutiert. Im Urteil wird nämlich an einer Stelle – zusammengefasst – ausgeführt, dass die anlasslose Speicherung aller Verkehrsdaten unzulässig sei. Das tun wir mit diesem Gesetz auch nicht. Es hätte die Möglichkeit gegeben, einen Anlass – eine erhöhte Terrorwarnstufe; Großereignisse, die ganz besonders anschlagsgefährdet sind – zu definieren. Die räumliche und zeitliche Abgrenzung einer solchen Maßnahme ist aber so schwierig, dass wir uns dafür entschieden haben, nicht bei den Ausführungen zur anlasslosen Speicherung im EuGH-Urteil anzusetzen, sondern nicht alle Verkehrsdaten zu erfassen. Der komplette Bereich der Massenkommunikation über E-Mails und alle IP-Adressen, die dazu gehören, werden von dem Gesetzestext und dem Wirkungskreis des Gesetzes überhaupt nicht erfasst. Deshalb werden wir auch dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes gerecht. Auch da bin ich sehr sicher, dass dieses Gesetz – sollte es zu einer Überprüfung kommen – vor dem EuGH und seiner Rechtsprechung Bestand haben wird. Meine Damen und Herren, ich möchte etwas noch zur Einführung des Tatbestands der Datenhehlerei sagen. Ich finde, dass das auch notwendig ist; denn wir haben an dieser Stelle eine Strafbarkeitslücke. Wir leben immer mehr in einer digitalen Gesellschaft, in der Daten auch eine Form von Währung werden. Ich bin der Auffassung, dass, wenn mit Daten gehehlt wird, das nichts anderes ist, als wenn mit Sachen gehehlt wird. Deshalb haben wir einen entsprechenden Tatbestand geschaffen. Nun wird vielfach kritisiert, das würde die Arbeit der Journalisten und der Medien beeinträchtigen. (Zuruf des Abg. Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Man muss einmal den Gesetzestext lesen, dann ist es manchmal ganz einfach, die Dinge geradezurücken. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht so arrogant!) Es mag sein, dass es nicht in die eigene politische Argumentation passt, aber im Gesetz steht: Journalisten und ihre Recherchen sind besonders geschützt. Journalisten machen sich nicht strafbar, selbst wenn sie die illegal beschafften Daten eines Whistleblowers erwerben und für ihre Berichterstattung verwenden. Sie machen sich auch dann nicht strafbar, wenn sie diese Daten von Dritten erwerben. Sie machen sich überhaupt nicht strafbar. Deshalb ist diese Diskussion, die an dieser Stelle geführt wird, eine, die völlig in die Irre führt. Das ist so nicht richtig, das steht nicht im Gesetz. Wir beschneiden mit dem neuen Tatbestand der Datenhehlerei überhaupt nicht die Arbeit und die Möglichkeit von Journalisten oder von Medien. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, ich bin weit davon entfernt, zu behaupten, dass die Vorratsdatenspeicherung ein Allheilmittel ist, um alle Straftaten sicher aufklären zu können. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meiner Meinung nach nicht!) Aber wir werden mit dem Instrument, das wir schaffen, und der Art und Weise, wie wir den Eingriff in die persönliche Freiheit auf ein Minimum begrenzt haben, den Ermittlungsbehörden zusätzliche Möglichkeiten geben, schwerste Straftaten – Mord, Totschlag, Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, Kinderpornografie – besser aufzuklären, als es bisher der Fall gewesen ist. Dafür lohnt es sich, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Jan Korte für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Haben Sie ein Buch geschrieben?) Jan Korte (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Egal was Sie erzählen, wie Sie es nennen: Eine Vorratsdatenspeicherung bleibt eine Vorratsdatenspeicherung bleibt eine Vorratsdatenspeicherung. Deswegen lehnen wir sie ab. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen versuchen, dies bei diesem ganzen Geschwurbel, das hier erzählt wird, ein wenig zu übersetzen. Es geht heute ganz konkret um einen Gesetzentwurf – es ist das zweite Mal, dass eine Große Koalition das Ganze einführt –, es geht um die Totalerfassung des Kommunikationsverhaltens fast aller Menschen in der Bundesrepublik. (Beifall bei der LINKEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: So ein Unsinn!) Jedes Telefongespräch, jede SMS, jeder Internetbesuch: Die Dauer und die IP-Adresse werden zehn Wochen gespeichert, die Standortdaten vier Wochen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nur bei schwerster Kriminalität!) Man muss einmal 30 Jahre zurückblicken, wie dort eine Vorratsdatenspeicherung ausgesehen hätte, um es für Sie ein wenig zu versinnbildlichen. Am Beispiel der Bibliothek hätte es bedeutet, dass ein Bibliotheksmitarbeiter immer und ausnahmslos exakt mitgeschrieben hätte, welche Seite ich mir in welchem Buch angesehen hätte. (Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt nicht!) Man hätte kein Telefonbuch mehr durchblättern können, ohne dass ein Mitarbeiter der Bundespost dabei zusieht. Das muss man sich einmal überlegen. Deswegen geht es hier um einen Generalverdacht gegen die gesamte Bevölkerung. Das ist mit dem demokratischen Rechtsstaat schlicht nicht vereinbar, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es gibt überhaupt gar keinen nachweisbaren Nutzen für das, was Sie einführen. Das BMJ hat es selber mehrfach gesagt: Es gibt gar keinen Nutzen, wir können gar keine Fälle benennen. – Es ist unverhältnismäßig, und – das ist das eigentlich Schlimme – es verändert die Gesellschaft. Das schleichende Gift der Überwachung führt zu Angst, zu einer Lähmung und schlussendlich zu einer Anpassung des Kommunikationsverhaltens. Das wollen wir auf keinen Fall. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das hoffen wir bei schwerster Kriminalität!) – Herr Grosse-Brömer, das sollten Sie auch nicht wollen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nun wollen wir das Ganze mit weiteren sachlichen Argumenten begleiten und auseinandernehmen. (Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: In der -Sache!) Ich will deswegen – es tut mir leid – auf die SPD eingehen. Ich glaube, bei der CDU/CSU ist in dieser Frage nichts mehr zu retten. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Korte, bevor Sie das tun: Der Kollege Wendt wünscht, eine Frage zu stellen oder eine Bemerkung zu machen. Jan Korte (DIE LINKE): Je mehr Zeit für die Opposition, desto besser. Marian Wendt (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr Kollege. – Bevor ich meine Frage an Sie richte, gestatten Sie mir die Zwischenbemerkung, dass ich es als kleinen Treppenwitz der Geschichte betrachte, dass sich gerade die Linkspartei als Nachfolgerin des SED-Staates zum Rechtsstaataufklärer und -verteidiger aufschwingt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Legt doch einmal eine andere Platte auf! – Weitere Zurufe von der LINKEN) Sie sprachen davon, dass dieser Gesetzentwurf keinen Nutzen bringt. Das Bundeskriminalamt hat erfasst, dass ungefähr 85 bis 90 Prozent der Fälle von Kinder- und Jugendpornografie nicht ermittelt werden konnten, der Täter nicht dingfest gemacht werden konnte, weil heutzutage die Nutzer oder Konsumenten von diesem Material diese Dinge nur noch streamen. Sie besitzen es zu Hause nicht physisch als Videokassette, als CD-ROM, als USB-Stick oder Datei auf der Festplatte, sondern sie streamen es und sind im Nachhinein als Nutzer nur noch über die IP-Adresse zu identifizieren. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das ist anlassbezogen und nicht anlasslos!) Deswegen frage ich Sie: Was ist – ganz konkret – Ihr Instrument, um die Kinder- und Jugendpornografie einzudämmen? Welches Instrument wollen Sie dem BKA an die Hand geben, damit es diese 90 Prozent der Straftaten aufklären kann? (Zuruf von der LINKEN: Das ist Polizei-arbeit!) Vielen Dank. Jan Korte (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Kollege. – Zunächst: Bei der Vorratsdatenspeicherung geht es um anlasslose Speicherung, nicht um anlassbezogene. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist der wesentliche Unterschied; das ist der Kern des Ganzen. Es scheint noch nicht angekommen zu sein. Zu Ihrer ersten Bemerkung will ich natürlich eine Gegenbemerkung machen. Gerade weil wir wissen, welche Geschichte unsere Partei hat, haben wir uns damit auseinandergesetzt und gesagt: Nie wieder Sozialismus ohne demokratischen Rechtsstaat! – Der demokratische Rechtsstaat ist über alles zu stellen. Ich sage Ihnen: Wir haben daraus eine Lehre gezogen. (Beifall bei der LINKEN) Das könnten Sie mit Ihren Blockfreunden – es sind ja ein paar unter uns – auch einmal machen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jetzt zu Ihren Fragen. Wir haben heute bei Straftaten im Zusammenhang mit dem Besitz und der Beschaffung von Kinderpornografie eine Aufklärungsquote von 85 Prozent. Insgesamt, bei allen Straftaten, liegt die Aufklärungsquote im Schnitt bei 54,9 Prozent. Also wird in diesem Bereich schon sehr gut ermittelt. Das eigentliche Problem in diesem Bereich ist doch – wie wir in den letzten anderthalb Jahren erleben konnten – nicht eine fehlende Vorratsdatenspeicherung, sondern die Tatsache, dass es viel zu wenige Ermittler gibt, die das Material sichten können. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist doch das Problem in diesem Bereich. Was erzählen Sie denn für einen grotesken Unsinn? – Vielen Dank, dass ich das noch unterbringen konnte. Nun aber zu den Freunden der Sozialdemokraten. Was sagen die Befürworter? Sie sagen: Keine Vorratsdatenspeicherung vorzunehmen, wäre fahrlässig im Kampf gegen den Terror. Da Sie es mir nicht glauben, möchte ich den Bundesjustizminister zitieren. Er hat auf eine entsprechende Frage geantwortet: Nein. Fahrlässig ist allenfalls, den Leuten weiszumachen, dass die Vorratsdatenspeicherung geeignet wäre, solche Anschläge zu verhindern. In Frankreich gibt es eine Vorratsdatenspeicherung, sie hat die Anschläge nicht verhindert. Recht hat der Bundesjustizminister. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was heißt Vorratsdatenspeicherung für den demokratischen Rechtsstaat? Der Bundesjustizminister in seiner Antwort: Das heißt, wir würden genau das machen, was die Terroristen eigentlich wollen, nämlich unsere Freiheit und unseren Rechtsstaat einschränken, und deshalb finde ich das auch aus diesem Grund völlig kontraproduktiv. Recht hat der Bundesjustizminister. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zur Frage, ob die Vorratsdatenspeicherung mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vereinbar ist, sagt der Bundesjustizminister: Wenn der Europäische Gerichtshof entscheidet, dass etwas nichtig ist, weil es gegen die Grundrechte verstößt, dann kann die Politik nicht hingehen und sagen, interessiert uns nicht. Recht hat der Bundesjustizminister. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zur Frage, ob Vorratsdatenspeicherung sicherheitsmäßig einen Vorteil bringt, sagt der Bundesjustizminister im Deutschlandfunk: … es ist im Übrigen auch so, dass es keinerlei Beweise dafür gibt, dass die Vorratsdatenspeicherung zu all den Segnungen führt, die mit ihr verbunden werden. Recht haben Sie, Heiko Maas. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber dann stehen Sie auch dazu! Stellen Sie sich nicht hin und machen das Gegenteil von dem, wofür Sie gut argumentiert haben. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Man muss sich die Argumente, die in diesem Interview sehr sachlich vorgetragen sind, auf der Zunge zergehen lassen. Was ist Ihre Konsequenz, Herr Justizminister, was ist die Konsequenz der Sozialdemokraten? Sie führen die Vorratsdatenspeicherung einfach ein. Das ist wirklich schon sehr grotesk. Wie unglaubwürdig kann man eigentlich in dieser Debatte sein? Herr Justizminister, eine Ausrede kann im Übrigen nicht zählen: Es kann doch nicht sein, dass Sie einfach umfallen, nur weil die Spitzenkraft Sigmar Gabriel, der Vorsitzende Ihrer Partei ist, gerade eine Laune hat und auf einmal für die Vorratsdatenspeicherung ist. Kehren Sie um, liebe Freunde der SPD! Sie veranstalten doch einen Konvent. Hören Sie auf Ihre Parteibasis, und stoppen Sie dieses Projekt! (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will ergänzen – das ist insbesondere zwischen uns eine beliebte Debatte –: Wenn Sie von der SPD für die Vorratsdatenspeicherung sind, dann sind Sie für die Linke übrigens nicht regierungsfähig – um das auch mal klar zu sagen und es zurückzugeben. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dagmar Ziegler [SPD]: Oh! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU], an die SPD gewandt: Jetzt habt ihr den Salat!) Dann kann man mit Ihnen eine fortschrittliche bürgerrechtsorientierte Politik nicht machen. Ich kann es ja nicht ändern. Das ist Ihre Entscheidung. Insgesamt: Juristen, Bürgerrechtler, zwei Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, Journalistenverbände, Rechtsanwaltsverbände und im Übrigen auch die aus den Reihen der CDU/CSU stammende Bundesbeauftragte für den Datenschutz haben es deutlich gesagt: Die Vorratsdatenspeicherung – so wie Sie sie wollen und überhaupt – ist grundrechtswidrig, und sie ist verfassungswidrig. Dass man das im Jahr zwei nach Snowden hier immer noch betonen muss, das ist wirklich nicht zu fassen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Noch eine Sache. Wir Linke müssen uns ja mittlerweile wirklich um alles kümmern. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Oh!) Haben Sie einmal darüber nachgedacht, was für Kosten für die Internetwirtschaft und für die Kommunikationsunternehmen anfallen? Damit meine ich nicht die großen Player wie die Telekom, sondern die vielen kleinen Unternehmen, die ernsthafte Probleme haben, diese Speicherkapazitäten bereitzustellen. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Jetzt wird es allmählich absurd!) Daran hätten Sie denken müssen, wenn Sie sich die Mittelstandsförderung groß auf die Fahne schreiben. Auch hier sind Sie schlicht unglaubwürdig. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Fassen wir zusammen: Warten Sie nicht auf die nächsten Gerichtsentscheidungen. Der Zweck heiligt nicht die Mittel, auch nicht im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Unsere Antwort auf die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus, die es in der Tat gibt, kann nur lauten: mehr Freiheit, mehr Rechtsstaat, mehr Demokratie. Das bedeutet vor allem die Verteidigung und Rückeroberung der freien Kommunikation und damit des aufrechten Ganges. Das wäre das richtige Signal von hier aus, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Da ich noch fünf Sekunden Redezeit habe: Der Kollege von Notz und ich haben heute 112 000 Unterschriften entgegengenommen, die in kürzester Zeit von Campact, AK Vorrat und der Digitalen Gesellschaft gesammelt wurden. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja, wie überraschend!) Das ist eine gute Sache. Wir bedanken uns für die Initiative. Herr Maas, ich darf Ihnen die Unterschriften übergeben. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Abg. Jan Korte [DIE LINKE] überreicht Bundesminister Heiko Maas Unterschriftenlisten – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wenn schon digital, dann gar kein Papier mehr!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Günter Krings. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der letzte Redebeitrag hat gezeigt, dass zumindest der linke Teil der Opposition die verfassungsrechtliche Orientierung in Fragen der Speicherfristen für Verkehrsdaten ganz offensichtlich verloren hat. Ich möchte Ihrem politischen Tunnelblick gerne die verfassungsrechtliche Orientierung entgegensetzen und Ihnen diese Orientierung zurückgeben (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist wirklich anstrengend!) und dazu schlicht und ergreifend mit einem Zitat des Bundesverfassungsgerichts aus einer Entscheidung über die Vorratsdaten beginnen: Eine vorsorglich anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten zur späteren anlassbezogenen Übermittlung an die für die Strafverfolgung oder Gefahrenabwehr zuständigen Behörden … darf der Gesetzgeber zur Erreichung seiner Ziele als geeignet ansehen. Es werden hierdurch Aufklärungsmöglichkeiten geschaffen, die sonst nicht -bestünden und angesichts der zunehmenden Be-deutung der Telekommunikation auch für die Vorbereitung und Begehung von Straftaten in vielen Fällen erfolgversprechend sind. Treffender und prägnanter als der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts kann man den Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten nicht zusammenfassen. Die Entscheidung des Gerichts war für uns Richtschnur bei diesem Gesetzentwurf. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, Ziel des Entwurfs ist in erster Linie, für die Strafverfolgungsbehörden im Bereich besonders schwerer Kriminalität brauchbare Ermittlungsansätze zu generieren, wo bislang alle Spuren ins Leere führten. Der Austausch kinderpornografischen Materials – Herr Wendt hat das eben schon angesprochen –, die Verabredung sowie die Begehung schwerer Straftaten im Bereich der organisierten Kriminalität, der Zusammenschluss zu terroristischen Vereinigungen, dies alles geschieht heute überwiegend mittels Telekommunikation oder im virtuellen Raum des Internets. Nur dort hinterlassen Täter und Beteiligte ihre Spuren. Diese Spuren sind die Daten, die bei der modernen Kommunikation anfallen: zum Beispiel angerufene Telefonnummern, die Funkzelle, aus der mit dem Handy telefoniert wurde, oder die IP-Adresse, die dem Computer beim Surfen im Internet vom Provider zugewiesen wurde. Die Fälle, in denen Verkehrsdaten die Aufklärung von Verbrechen künftig erleichtern werden, sind vielfältig: Bei Tötungsdelikten lässt sich durch eine Funkzellenabfrage klären, welche Mobiltelefone zum Tatzeitpunkt in die am Tatort gelegene Funkzelle eingebucht waren. Bei Bandendiebstählen kann ermittelt werden, welche Mobiltelefone sich am Begehungsort befanden; ergeben sich hier Übereinstimmungen mit anderen Tatorten, kann dies die Aufklärung voranbringen. Wenn die Strafverfolgungsbehörden einen Verdächtigen überprüfen, können durch die Auswertung seiner Kommunikationsbeziehungen auch seine Hintermänner und Netzwerke identifiziert werden. Das ist ein Beispiel dafür, wo die Vorratsdatenspeicherung auch bei der Terrorbekämpfung wirksam ist. Ihre Bewährungsprobe hat sie manchmal leider erst nach einem Anschlag: Dann muss das Netzwerk komplett ausgehoben werden, damit, meine Damen und Herren, der nächste Anschlag wirksam verhindert wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Genau das ist der Hintergrund!) Die Beispiele zeigen: Mit der Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung bringen wir die Strafverfolgungsbehörden wieder ein wenig mehr „auf Augenhöhe“ mit den Tätern. Das haben die Mitarbeiter dieser Behörden auch verdient, damit sie wirksam ihre Arbeit machen können. Natürlich liefern die Verbindungsdaten alleine noch keine gerichtsfesten Beweise, um einen Täter auch zu verurteilen; aber sie liefern den zuständigen Behörden die entscheidenden Ermittlungsansätze, um die notwendigen Nachweise zu erlangen oder – auch das gehört ja zur Aufgabe der Staatsanwaltschaft – einen unberechtigten Verdacht im Einzelfall zu widerlegen. Dabei ist der Entwurf, meine Damen und Herren, wirksam und maßvoll zugleich. Er bringt die darge-stellten, dringend notwendigen Verbesserungen für die Strafverfolgungsbehörden, wahrt dabei aber strikt den Grundrechtsschutz und den Grundsatz der Verhältnis-mäßigkeit. Ich will Letzteres an drei Beispielen – nur eine Auswahl – als Prinzip deutlich machen. Bei der Auswahl der Daten, die von den TK-Anbietern zu speichern sind, nimmt der Entwurf die Daten der E-Mail-Kommunikation vollständig aus. Wer sich die in seinen E-Mail-Postfächern lagernden E-Mails einmal anschaut, weiß: Da gibt es große und interessante Datenmengen; aber wir haben uns entschieden, diese Datensätze herauszunehmen, obwohl hier ebenfalls Informationen, die für die Strafverfolgungsbehörden wertvoll wären, enthalten sind. Die Speicherfristen sind wohldosiert und sehr differenziert. Standortdaten der mobilen Kommunikation dürfen nur vier Wochen gespeichert werden. So wird die Erstellung umfassender Bewegungsmuster Verdächtiger verhindert. Alle übrigen Kommunikationsdaten werden für zehn Wochen und damit weniger als drei Monate gespeichert – weniger als in allen anderen Ländern, die das in Europa eingeführt haben. Der Katalog der Straftaten ist auf besonders schwere Taten beschränkt. Der Entwurf erlaubt die Nutzung der Daten also nicht für die Aufklärung jeder Form von Alltagskriminalität; er ist hier sogar strenger als die Regeln bei der Telekommunikationsüberwachung. Meine Damen und Herren, daneben treffen wir in dem Entwurf zahlreiche weitere Vorkehrungen, um die Rechte der Betroffenen zu wahren: Es gibt einen strengen Richtervorbehalt ohne Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft. Das heißt, dass jeder einzelne Zugriff der Behörden auf die gespeicherten Daten sorgfältig von einem unabhängigen Richter geprüft wird. Die Telekommunikationsunternehmen dürfen die Daten ausschließlich zum Zwecke der Übermittlung an die Behörden speichern. Eine Nutzung dieser Daten zu geschäftlichen Zwecken ist verboten. Verstöße gegen dieses Verbot können mit Bußgeldern bis zu 500 000 Euro geahndet werden. Der Entwurf macht auch strenge Vorgaben für die Datensicherheit bei den TK-Unternehmen: Speicherung nur in Deutschland, entkoppelt vom Internet, unter Einsatz besonders sicherer Verschlüsselungsverfahren. Meine Damen und Herren, wir haben hier nicht nur die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts eingehalten, sondern – unabhängig von der juristisch spannenden Frage, inwieweit bei nationalen Gesetzen die europäische Grundrechtecharta anwendbar ist – auch die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs. Auch dessen Entscheidung – das hat Minister Maas dargelegt – hat ja bei aller Kritik an der damaligen Ausgestaltung ausdrücklich klargestellt, dass eine Vorratsdatenspeicherung zur Verbrechensbekämpfung sinnvoll und grundsätzlich auch zulässig ist nach europäischem Recht. Der vorliegende Gesetzentwurf führt Deutschland beim Thema Speicherfristen zurück in den Mainstream der europäischen Staaten. Richtig ist: Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung gibt es in über 20 EU-Mitgliedstaaten, und dort, wo Gerichte konkrete Regelungen aufgehoben haben, erleben wir, dass die Parlamente verfassungskonforme Neuregelungen verabschieden. Es ist also schlichtweg falsch, wenn aus der Opposition heraus behauptet wird, es gebe in der Europäischen Union eine allgemeine Abkehr von der Vorratsdatenspeicherung. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Belgien?) Für eine sachliche Debatte des Themas wäre es hilfreich, wenn auch die Kritiker einer Vorratsdatenspeicherung zumindest die Wirklichkeit in Europa zur Kenntnis nehmen würden. Ein Gerichtsurteil ist nicht das Ende der Diskussion, sondern es führt in der Regel in Europa zu einem angepassten neuen Gesetzentwurf, und das aus guten Gründen. Ich fände es ebenso peinlich wie gefährlich für unser Land, wenn wir uns von den europäischen Standards in der Frage der Vorratsdatenspeicherung abkoppeln würden und damit Deutschland zu einem sicheren Hafen für Schwerverbrecher und Terroristen machen würden, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD] – Zurufe von der LINKEN: Oh! – Na, na!) Wenn ich die Wirksamkeit und Ausgewogenheit unseres Gesetzentwurfs lobe, dann will ich damit natürlich auch ausdrücklich einen Dank an den Bundesminister der Justiz für die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit im Rahmen der Erarbeitung des Gesetzentwurfs verbinden. Ich muss nur an einer kleinen Stelle einen Widerspruch zu den Ausführungen des Herrn Ministers einlegen: Wir erfüllen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht nur, sondern wir übererfüllen sie. Wir gehen – das war ja auch von Ihnen vorher schon so angelegt – an einigen Stellen – ich habe die Fristen genannt; man könnte andere Beispiele nennen – sogar über die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hinaus. Das beweist, wie ernst wir die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und die Grundrechte nehmen. Auch das haben wir gemeinsam mit diesem Gesetzentwurf geleistet. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger und richtiger Punkt. Meine Damen und Herren, wir dürfen nach einer jahrelangen, zum Teil sehr hitzigen Debatte dem Deutschen Bundestag heute einen Gesetzentwurf vorlegen, der die Grundrechte schützt – zumal den Staat aus den Freiheitsrechten heraus ja auch eine Schutzpflicht trifft, die ihn dazu anhält, Verbrechen zu verhindern und aufzuklären; mit solchen Gesetzen schützen wir also auch die Freiheit der Bürger –, und wir legen zugleich einen Gesetzentwurf vor, der gefährliche Sicherheitslücken in unserem Land schließt, damit aus versuchten Terroranschlägen möglichst keine vollendeten Anschläge werden und damit Netzwerke von Schwerverbrechern und Terroristen besser ausfindig und unschädlich gemacht werden können. Wir brauchen dieses Gesetz für die Sicherheit und die Freiheit unserer Bürger. Deshalb bitte ich Sie um eine gründliche und zügige Beratung. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Katrin Göring-Eckardt hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber Herr Maas, das war wirklich eine schwere Rede für Sie. So viel habe ich Sie hier im Plenum noch nie ablesen sehen. (Dagmar Ziegler [SPD]: Das stimmt noch nicht mal! – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sie lesen ja auch ab! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Reden Sie doch mal frei! Zettel weg! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wie wäre es denn mal mit einer sachlichen Auseinandersetzung? – Thomas Jarzombek [CDU/CS]): Das müssen Sie gerade sagen!) Ende 2007 stand schon einmal Brigitte Zypries hier. Sie musste den ersten Anlauf für die Vorratsdatenspeicherung verteidigen. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Jetzt liest sie schon wieder ab!) Brigitte Zypries hat damals – ich habe mir ihre Rede noch einmal durchgelesen – folgendermaßen argumentiert: (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sie liest wieder ab!) Sie sagte, sie hätte den Zwang, die EU-Richtlinie umzusetzen. Das klang wie: Sie müsse sich entscheiden zwischen dem Grundrechtsschutz auf der einen Seite und den Richtlinien der EU auf der anderen Seite. Dieser Konflikt, meine Damen und Herren, hat sich 2015 aufgelöst. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Jetzt liest sie schon wieder ab!) Den Grundrechtsschutz gibt es auf der europäischen Ebene, und zwar keinen schlechten, und Sie führen hier die Vorratsdatenspeicherung ein, Herr Maas, und zwar freiwillig. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: -Alles vom Blatt abgelesen!) Herr Maas, Sie könnten anders. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Es gibt keine Richtlinie der EU mehr. Es gibt höchstens noch eine Richtlinie von Sigmar Gabriel. Wenn das so wichtig ist, dann haben Sie jedenfalls mit den Grundrechten nichts mehr zu tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Sehr holzschnittartig, was Sie da sagen!) Vor kurzem – wir können Ihnen das nicht ersparen; Herr Korte hat das ja zu Recht schon erwähnt – sagten Sie noch wörtlich: Die Vorratsdatenspeicherung lehne ich entschieden ab. Sie verstößt gegen das Recht auf Privatheit und den Datenschutz. – Ja, so ist es. Besser hätten wir das auch nicht sagen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) In der Tat: Sie bringt eben nicht mehr Sicherheit. Herr Krings, Herr Maas, die Argumentation, mit der Sie hier versucht haben darum herumzureden, trägt nicht; sie führt nicht zu mehr Sicherheit. Im Gegenteil: Dort, wo man Sicherheit bräuchte, dort, wo man dafür sorgen müsste, dass man tatsächlich ermitteln kann, kann man es nicht mehr tun, weil man nicht nur anlasslos, sondern auch massenhaft Daten erfasst. Da, wo man Kapazität bräuchte, da, wo man Leute bräuchte, die diese Daten auswerten, können sie es nicht mehr machen. Deswegen: Sie sorgen hier nicht für mehr Sicherheit, sondern es geht darum, dass Sie eingeknickt sind, und es geht um eine Ideologie, die Sie brauchen und die zu nichts weiter führt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jan Korte [DIE LINKE] – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Oh, ist das schwach!) Mir wäre es sehr viel lieber gewesen, Sie hätten nicht ein paar Zitate bei Twitter und Facebook gepostet, sondern hätten an dieser Stelle tatsächlich gekämpft. Ich verstehe nicht, wieso Sie sich auf europäischer Ebene nicht dafür eingesetzt haben. Eine rechtspolitische Initiative im Europäischen Rat wäre möglich gewesen. Dann hätten Sie hier keine Sprüche klopfen müssen und die VDS-Ablehnung nicht als Attitüde titulieren müssen. Sie hätten das machen können. Bis zur Vorlage des Gesetzentwurfs hat es übrigens 80 Tage gedauert. In dieser Zeit kann man um die Welt segeln – das hat uns Jules Verne beigebracht. Diese Zeit reicht aber nicht, um einen anständigen Gesetzentwurf vorzubereiten. Dafür bedarf es der Ressortabstimmungen. Man muss dafür sorgen, dass das Bundeskabinett zusammenkommt usw. Sie haben das in 80 Tagen geschafft. Dafür kann es zwei Gründe geben: Entweder haben Sie die Öffentlichkeit hinter die Fichte geführt, weil Sie das Ding schon in der Schublade hatten, oder Sie haben schlampig gearbeitet. Beides wäre gleich schlimm. Sie haben noch nicht einmal die Verbände angehört. Dazu kann ich nur sagen: Das ist absurd. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Eine schwache Rede!) Deswegen sage ich Ihnen: Das Gesetz wird keinen Bestand haben. Es ist genauso wenig verfassungsgemäß wie das letzte. Das hat Ihnen Ihre Bundesdatenschutzbeauftragte gesagt. Das hat Ihnen der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages gesagt. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das stimmt nicht!) Das hat Ihnen die Bundesrechtsanwaltskammer gesagt. Das werden Ihnen auch die Gerichte sagen. Ich kann Ihnen versichern: Wieder werden Leute klagen. Gestern hat das Verfassungsgericht von Belgien Nein zur Vorratsdatenspeicherung gesagt. (Jan Korte [DIE LINKE]: Genau!) So wird es auch in Deutschland kommen. Sie werden wieder auf die Nase fallen, und das zu Recht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Und wo waren jetzt Ihre Argumente? Keine Argumente, nur Aufzählungen!) Ihre neue Vorratsdatenspeicherung ist nichts anderes als ein Verfahren nach dem Motto: Raider heißt jetzt Twix. Vorratsdatenspeicherungen heißen nun Höchstspeicherfristen. Treffender wäre es gewesen, das Gesetz „Eine anlasslose Vollprotokollierung unseres Telekommunikationsverhaltens“ zu nennen, weil es Ihnen genau darum geht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Was drin ist, muss auch draufstehen!) Das ist das, was Sie im Kern wollen. Das ist der Kern dessen, was Sie jetzt hier vorgelegt haben. Wenn es einen Anlass gibt, wenn es wirklich um die Sicherheit geht, dann kann man in dem Moment auf die Taste drücken, wo es diesen Anlass gibt. Dann kann man aufnehmen, dann kann es Hausdurchsuchungen geben, (Jan Korte [DIE LINKE]: Genau!) dann kann es Beschlagnahmungen geben. Dann kann es all das geben. Aber wo mein Handy im Netz war, das wollen Sie immer wissen. Das führt nicht zu mehr Sicherheit, sondern zu einem geringeren Schutz der Grundrechte. Diese Aushöhlung von Grundrechten werden wir nicht mitmachen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn man ein bisschen zynisch wäre, Herr Maas, würde man vielleicht fragen: Warum bleiben Sie auf halbem Wege stehen? Die Smartphones haben schließlich auch Mikrofone und Kameras. Wann wird es den ersten Fall geben, bei dem gefordert wird, diese Möglichkeiten auch noch auszuschöpfen? Das ist die Öffnung der Büchse der Pandora. Das sollten wir uns in diesem Rechtsstaat nicht leisten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, es verwundert nicht, dass Sie dieses Gesetz wollen. Das sagen Sie schon lange; darüber muss man nicht weiter debattieren. Eine Frage will ich Ihnen aber schon stellen: Wer soll das bezahlen? Ihre Antwort ist: „Die Wirtschaft zahlt das“, was mich wundert. Es war ja die Union, die vor nicht allzu langer Zeit, nachdem sie die Rente mit 63 und den Mindestlohn beschlossen hatte, gesagt hat, alles, was zusätzliche Belastungen und neue Unsicherheiten für die Wirtschaft schaffe, müsse vertagt werden. (Jan Korte [DIE LINKE]: Ja!) Ich habe Gerda Hasselfeldt zitiert. Aber vielleicht sind eine halbe Milliarde Euro, die dafür gezahlt werden soll, nur Peanuts für Sie. Es wird aber nicht reichen, diesen Betrag einmal auszugeben. Ihr Gesetz wird dazu führen, dass bei den Unternehmen riesige Datenmengen angehäuft werden. Durch die Cyberattacke auf den Deutschen Bundestag wird jetzt auch der Letzte mitbekommen haben, wie sensibel Dateninfrastrukturen sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich bin wirklich gespannt, wann die ersten Meldungen erscheinen, nach denen ein Mobilfunkunternehmen, bei dem Sie Kunde sind, Opfer eines Angriffs geworden ist. Fremde Geheimdienste oder Hacker werden sich nicht darum scheren, welche Eingriffsschwellen Sie in der Strafprozessordnung vorgesehen haben. Meine Damen und Herren, Sascha Lobo hat leider recht, wenn er sagt: Deutschland ist ein „digitally failed state“. Die Vorratsdatenspeicherung ist ein weiterer Schritt auf dem Weg des Scheiterns. Dieser Schritt wird vorangetrieben von jemandem, der es eigentlich besser wissen müsste, der es eigentlich besser weiß. Dieser Schritt wird vorangetrieben von dem, der die Grundrechte und die Bürgerrechte schützen müsste, vom Justizminister dieses Landes. Ich kann Ihnen nur sagen: Es ist ein Drama, und wir werden alles tun, um zu verhindern, dass dieses Gesetz, dass diese Art von Massenüberwachung Wirklichkeit wird. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Dr. Eva Högl für die SPD Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Eva Högl (SPD): Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Jahr 1987 habe ich gemeinsam mit vielen Bürgerinnen und Bürgern in der Bundesrepublik Deutschland gegen die geplante Volkszählung demonstriert. Vielleicht haben das auch einige von Ihnen gemacht. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Nein!) Wenige Jahre später polarisierte der große Lauschangriff – der wurde auch hier im Deutschen Bundestag intensiv diskutiert – die Debatte. Selbstverständlich waren der Lauschangriff und auch die Volkszählung wesentliche Eingriffe in unsere Grundrechte. Deswegen diskutieren wir immer hier im Deutschen Bundestag und in der gesamten Gesellschaft sehr sorgfältig über das Sammeln, Speichern, Erheben und Verwerten von privaten Daten. Wir machen das auch emotional und leidenschaftlich; denn es geht um unsere Grundrechte. Das ist nur richtig und angemessen. Wir beschäftigen uns jetzt hier mittlerweile seit zehn Jahren mit der Einführung einer Speicherpflicht für persönliche Daten, die von Strafverfolgungsbehörden zur Verbrechensbekämpfung genutzt werden sollen. Wir machen uns diese Entscheidung nicht leicht. Seit 1987, seit der Volkszählung – wenn man sich das heute anschaut, kommt es einem fast lächerlich vor, gegen was wir damals mobilisiert haben –, hat sich unsere Zeit verändert. Die Verbrecher und Verbrecherinnen nutzen digitale Daten und Telekommunikation zur Vorbereitung und Durchführung ihrer Verbrechen. Auf der anderen Seite werden auch immer mehr persönliche Daten gesammelt und gespeichert. Dadurch entsteht auch – das gehört ebenfalls zur Wahrheit – ein Dickicht, ein Wust von Daten, der bei vielen Bürgerinnen und Bürgern – so formuliert es im Übrigen das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung 2010 – ein diffuses Gefühl des Beobachtetseins entstehen lässt. Dieses Gefühl nehmen wir bei unserer Debatte sehr ernst. Dieses Gefühl verstärkt sich – wie ich finde, merkwürdigerweise – bei den Bürgerinnen und Bürgern noch, wenn der Staat, wenn Strafverfolgungsbehörden die Daten nutzen. Ich finde, man müsste viel sensibler sein, wenn private Unternehmen die Daten nutzen. Ich wundere mich manchmal über diese Schieflage in der Diskussion. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wenn wir staatliche Behörden ermächtigen, die Daten für die Strafverfolgung zu nutzen, ist das natürlich ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Dieser Eingriff muss selbstverständlich gerechtfertigt sein. Das hat das Bundesverfassungsgericht in seinen Urteilen zur Volkszählung, zum großen Lauschangriff und auch zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung 2010 klargestellt. Dasselbe gilt für das Urteil des Europäischen Gerichtshofs 2014. Die Daten können genutzt werden, und es gibt eine Verhältnismäßigkeit bei der Nutzung. Es gibt also gute Gründe für die Vorratsdatenspeicherung. Ich möchte Ihnen dazu ein Beispiel nennen. Ich nehme kein Beispiel aus dem Bereich des Terrorismus, der Kinderpornografie und auch nicht der Vergewaltigung, sondern ich nehme ein sehr praktisches Beispiel. Jahrelang hat ein Mann aus seinem Lkw auf Transporter, Pkws und Gebäude geschossen – vielleicht erinnern Sie sich daran –, deutschlandweit insgesamt über 760-mal. Eine Pkw-Fahrerin wurde schwer verletzt. Es war pures Glück, dass es nicht mehr Verletzte, geschweige denn Tote gab. Die Ermittlungsbehörden haben daraufhin die Mobilfunkdaten eines Tatverdächtigen mit den Funkzellen mutmaßlicher Tatorte und Tatzeiten auf Hunderten von Kilometern deutscher Autobahnen abgeglichen. Dieser Abgleich der Daten verstärkte den Verdacht der Ermittler zum Beweis. Der Täter konnte letztlich überführt werden. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Anlassbezogen!) – Ich komme darauf; ich kenne die Kritik. – Es war purer Zufall – darum geht es mir –, dass die Ermittlungsbehörden überhaupt die Daten abgleichen konnten; denn es bestand überhaupt keine gesetzliche Pflicht für die Mobilfunkunternehmen, die Daten zu erheben, zu speichern und vorzuhalten. Hätte der Täter ein anderes Mobilfunkunternehmen gewählt, das die Standortdaten nicht gespeichert hätte, dann wäre der Täter nicht ermittelt worden. Solche Beispiele gibt es viele. Deswegen diskutieren wir heute über die Einführung einer Speicherpflicht. Wir dürfen es nicht dem Zufall überlassen, ob die Strafverfolgungsbehörden Zugriff auf Daten haben, und wir dürfen es nicht dem Zufall und der Wahl des Telekommunikationsunternehmens überlassen, ob diese Straftaten aufgeklärt werden können. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ja, das geschieht anlasslos. Das geschieht notwendigerweise anlasslos; denn das Beispiel zeigt: Es hätte im Vorhinein gar keinen Anlass gegeben, die Daten genau dieses Täters zu speichern, weil man den Täter gar nicht kannte. Deswegen kommt man an der Hürde „anlasslos“ nicht vorbei, weil man in vielen Fällen gar keinen konkreten Anlass für die Speicherung hat. Deswegen müssen wir die anlasslose Speicherung ermöglichen, und deswegen ist es richtig, dass wir andere Wege gefunden haben, der Einschränkung des Europäischen Gerichtshofs gerecht zu werden, dass nicht anlasslos alle Kommunikationsdaten gespeichert werden dürfen, weswegen jetzt auch nach der Datenart und der Dauer der Speicherung differenziert wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage es ganz deutlich: Das ist keine leichte Entscheidung; das habe ich schon erwähnt. Die Hürde „anlasslos“ ist eine schwierige. Aber ich finde, Bundesjustizminister Heiko Maas und Bundesinnenminister Thomas de Maizière haben maximal gut verhandelt und einen exzellenten Gesetzentwurf erarbeitet, der im Übrigen die europaweit restriktivste Speicherfrist von Telekommunikationsdaten vorsieht. Es geht darum, dass Richterinnen und Richter die Möglichkeit bekommen, nach sorgfältiger Abwägung aller Interessen den Zugriff auf Telekommunikationsdaten zu erlauben, wenn es um schwerste Straftaten geht. Genau darum geht es. Die Betroffenen werden vorher informiert. Das ist eine ganz entscheidende Eingrenzung. Bisher – das war auch bei dem Beispiel der Lkw-Anschläge der Fall – erfolgte der Zugriff ohne die vorherige Information. Die jetzt vorgesehene Speicherung der Daten ist – auch darauf möchte ich hinweisen – viel restriktiver und eingeschränkter als die gegenwärtige Praxis vieler Telekommunikationsunternehmen, die Daten vorzuhalten. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: So ist es!) Das ist eine ganz entscheidende Einschränkung. Ich glaube, das muss ein Weckruf sein, dass wir viel sensi-bler damit umgehen sollen, wem wir erlauben, unsere Daten zu speichern und letztendlich auch zu nutzen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Heiko Maas hat das Thema Berufsgeheimnisträger bereits erwähnt. Ich will den Punkt noch einmal aufgreifen. Das ist selbstverständlich ein sensibles Thema, und es ist für uns sehr wichtig, dass Berufsgeheimnisträger ausgenommen werden. Wir können das nicht im Vorhinein machen, liebe Kolleginnen und Kollegen, weil wir die Berufsgeheimnisträger und -trägerinnen schützen wollen. Denn wir wollen sie nicht nur dann schützen, wenn sie über ihre Festnetznummer, die sich dann vielleicht in einer Datei findet, telefonieren, sondern auch dann, wenn sie unterwegs sind oder wechselnde Anbieter nutzen. Deswegen kann man keine Datei der Berufsgeheimnisträger erstellen, sondern wir nehmen sie von der Verwertung ihrer Daten aus. Sie sind ausgenommen, wenn die Daten genutzt werden sollen, und da sie vorher informiert werden, haben sie die Gelegenheit, gegenüber den Strafermittlungsbehörden anzugeben, dass sie als Berufsgeheimnisträger ein Auskunftsverweigerungsrecht haben und ihre Daten nicht genutzt werden können. Ich finde, das ist eine sehr gute und richtige Regelung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen den Tätern die Möglichkeit nehmen, nur deshalb straflos davonzukommen, weil wir ihre Daten unangetastet lassen. Ich halte das für unbedingt notwendig. Ich halte die vorgesehene Speicherpflicht für geeignet und nach dem, was wir miteinander diskutiert haben, auch für verhältnismäßig und damit für verfassungsgemäß. Wir machen uns trotzdem die Entscheidung nicht leicht. Wir diskutieren hier und auch in der Gesellschaft ausführlich über die gesamten Aspekte. Ich finde den Vorschlag gut. Wir können ihn guten Gewissens annehmen. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Halina Wawzyniak für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Bisher dürfen Telekommunikationsanbieter zu Abrechnungszwecken Daten speichern. Wenn die Vorratsdatenspeicherung durchkommt, müssen sie es machen. Dass der Gesetzentwurf Grundrechte einschränkt, ist unstreitig. Wenn wir grundrechtseinschränkende Gesetzesvorhaben beraten, dann prüfen wir, ob sie geeignet, erforderlich und angemessen sind. Meistens diskutieren wir über die Angemessenheit bzw. die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Doch so weit kommen wir mit der Vorratsdatenspeicherung gar nicht. Denn die Erforderlichkeit der Vorratsdatenspeicherung ist nicht belegbar. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Eine Einschränkung eines Grundrechtes ohne Erforderlichkeit ist nun einmal im Rechtsstaat nicht möglich. So einfach ist es in diesem Fall. Es wird immer gesagt, die Vorratsdatenspeicherung sei für die Strafverfolgung und die Gefahrenabwehr notwendig. Das konnten Sie aber bisher an keiner einzigen Stelle belegen. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Kollegin Högl hat ein Beispiel genannt! – Dagmar Ziegler [SPD]: Gerade eben!) Im Gesetzentwurf gibt es keinen einzigen Beleg. In einer schriftlichen Nachfrage zur Äußerung von Bundesminister Maas, er habe in der Vergangenheit Gespräche geführt, und es habe viele Fälle gegeben, in denen aufgrund nicht vorhandener Daten, weil sie nicht gespeichert wurden, Straftaten nicht aufgeklärt werden konnten, habe ich gefragt, um welche Straftaten es ging und welche Fakten zu dieser Erkenntnis geführt haben. Die Antwort: Es handelt sich um allgemeine Erkenntnisse, die in Gesprächen gewonnen wurden. Die Aussage bezieht sich nicht auf konkrete Einzelfälle. – Was denn nun? Ist das, oder ist das nicht? (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie stellen immer wieder dieselbe These in den Raum, aber Sie können sie nicht beweisen. Man muss hier einfach einmal sagen: So geht man mit Grundrechten nicht um. Weil Sie sie nicht beweisen können, sagen Sie den Gegnerinnen und Gegnern der Vorratsdatenspeicherung, sie sollten einmal erklären, warum das Grundrecht nicht angetastet werden soll. Wo leben wir denn, dass die Verteidiger von Grundrechten erklären müssen, warum Grundrechte nicht angetastet werden sollen? Wenn Sie Grundrechte einschränken wollen, dann müssen Sie beweisen, warum das notwendig ist. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie können das aber einfach nicht. Immer wieder – auch jetzt eben – hören wir zur Begründung Beispiele anlassbezogener Telekommunikationsüberwachung. Es ist aber ein Unterschied, ob sie anlasslos oder anlassbezogen ist. Zwischen den Wörtern gibt es nur einen kleinen Unterschied: Der zweite Teil des einen Wortes fängt mit „l“ an, während der zweite Teil des anderen Wortes mit „b“ anfängt. Diesen Unterschied müssten Sie eigentlich kennen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie können die Erforderlichkeit der Vorratsdatenspeicherung nicht beweisen, weil alle vorliegenden beleg-baren Fakten Ihrer These von der Lücke in der Strafverfolgung widersprechen. Ich zitiere jetzt einmal aus der Studie des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht aus dem Jahre 2011. Zu der aufgeworfenen Frage zur Schutzlücke durch den Wegfall der Vorratsdatenspeicherung sagt die Studie, „dass die Aufklärungsquote in Deutschland in keinem Fall unter den für die Schweiz mitgeteilten Aufklärungsquoten liegt“ – und das, obwohl es dort eine Vorratsdatenspeicherung gibt. Die Untersuchung der deliktsspezifischen Aufklärungsquoten für den Zeitraum 1987 bis 2010 zeigt, dass sich der Wegfall der Vorratsdatenspeicherung – die es damals gab – nicht als Ursache für Bewegungen in der Aufklärungsquote abbilden lässt. … Betrachtet man insbesondere das Jahr 2008, in dem Vorratsdaten grundsätzlich zur Verfügung standen, so kann für keinen der hier untersuchten Deliktsbereiche eine mit der Abfrage zusammenhängende Veränderung der Aufklärungsquote im Hinblick auf das Vorjahr oder die Folgejahre 2009/2010 beobachtet werden. … Im Zusammenhang mit der Untersuchung von Ermittlungen zu „Enkeltrickbetrügereien“ ist deutlich geworden, dass der strafrechtliche Schutz … nicht allein durch Rückgriff auf Vorratsdaten bedingt sein kann. Für Kapitaldelikte sind Veränderungen in den Aufklärungsraten wegen fehlender Vorratsdaten nicht sichtbar geworden. Die gesonderte Überprüfung der in der BKA-Fallsammlung enthaltenen Tötungs-delikte ergibt keinen Hinweis darauf, dass bei schwerster Kriminalität durch die Entscheidung des BVerfG die Aufklärung überhaupt behindert worden wäre. Mit anderen Worten: Die einzige wissenschaftliche Studie belegt: Die Vorratsdatenspeicherung ist nicht erforderlich. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das sind fünf Fakten einer wissenschaftlichen Studie, die gegen die Erforderlichkeit sprechen. Diese fünf Fakten können Sie nicht ignorieren, jedenfalls dann nicht, wenn Sie eine seriöse Rechtspolitik machen wollen. (Abg. Dirk Wiese [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage) – Ich lasse die Frage zu. Vizepräsidentin Petra Pau: Herr Kollege Wiese, Sie haben das Wort zu einer Frage oder einer Bemerkung. Dirk Wiese (SPD): Vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Sie haben gerade ausführlich aus dem Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht vom Juli 2011 zitiert. Dieses Gutachten ist sehr umfangreich. Stimmen Sie mir zu, dass auf Seite 218 des Gutachtens steht, dass es sich um eine „Momentaufnahme“ handelt? Bestätigen Sie weiterhin, dass auf Seite 218 des Gutachtens steht, dass es sich um eine „unsichere statistische Datengrundlage“ handelt? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Ja, Sie hätten weiterlesen müssen! – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Alter juristischer Grundsatz: Immer noch umblättern!) Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Da die von mir zitierten Passagen – die Einschätzung des Max-Planck-Instituts – auf den Seiten 219 und 220 stehen, ist Ihre Erkenntnis überholt, da die Seiten 219 und 220 nach der Seite 218 kommen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es hilft also nichts, einzelne Änderungen an Ihrem Gesetzentwurf anzuregen. Der Gesetzentwurf ist rechtspolitisch eine Katastrophe und rechtsstaatlich nicht akzeptabel, und es gibt nur einen Ort, wo er hingehört: in den Reißwolf. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Thomas Strobl hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD]) Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch in der heutigen Debatte ist insbesondere von der Linken davon gesprochen worden, dass es bei uns Massenüberwachung, Massenspeicherung, Totalüberwachung geben soll. (Jan Korte [DIE LINKE]: Demnächst! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Hat niemand gesagt!) Massenüberwachung, Massenspeicherung, Totalüberwachung – das gab es in totalitären Staaten, und das gibt es in totalitären Staaten. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Ach!) Bei uns im demokratischen Rechtsstaat der Bundesrepublik Deutschland werden aber die Freiheit und die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger nicht durch den Staat, nicht durch unsere Polizeibeamten bedroht, sondern die organisierte Kriminalität, diejenigen, die mit Kinderpornografie handeln, und der islamistische Terrorismus, sie alle bedienen sich insbesondere der sozialen Netzwerke und des Internets. Wir können doch nicht, wenn sie unsere Freiheit und unsere Sicherheit mit der Laserpistole bedrohen, unseren Ermittlungsbehörden und Polizistinnen und Polizisten sagen: Ihr dürft nur mit einer Gummischleuder und mit Pappknöllchen schießen. (Jan Korte [DIE LINKE]: Sie schlagen die -Artillerie vor!) Das Ermittlungsinstrument, das heute vorgestellt wird, ist strafprozessrechtlich Schlüssellochchirurgie. Das ist polizeilich minimalinvasiv. Das ist ein außerordentlich maßvoller Vorschlag. Das bleibt weit hinter dem zurück, was der Europäische Gerichtshof und was das Bundesverfassungsgericht zugelassen haben. Das, was wir hier machen, ist sehr zurückhaltend – wir halten die verfassungsrechtlichen Grenzen strikt ein –, aber es ist im Interesse der Sicherheit und der Freiheit der Bürgerinnen und Bürger zwingend notwendig. (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen möchte ich ausdrücklich für diesen klugen, guten und maßvollen Gesetzentwurf den beiden Verfassungsministern, dem Bundesminister des Innern, Thomas de Maizière, (Jan Korte [DIE LINKE]: Spätestens jetzt müssten Sie nachdenken!) und dem Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, Heiko Maas, Dank sagen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Um was geht es? Das kann man bei diesem Thema nicht oft genug sagen. Massenüberwachung, Totalüberwachung – zunächst einmal speichert der Staat überhaupt keine Daten. Richtig ist, dass die Telekommunikationsunternehmen schon heute Daten speichern; sie gehen aber völlig unterschiedlich vor. Das eine Unternehmen speichert sie gar nicht, ein anderes Unternehmen speichert sie eine Woche, ein weiteres Unternehmen speichert sie was weiß ich wie lange. (Dr. Eva Högl [SPD]: Ja!) Jetzt regeln wir das einheitlich. Alle Telekommunikationsunternehmen müssen die Daten nach vier Wochen bzw. nach zehn Wochen definitiv löschen. Wir regeln, dass die Daten nur in Deutschland gespeichert werden dürfen. Das ist ein Beitrag zu mehr Datensicherheit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach ja?) Zum Zweiten: Was für Daten werden gespeichert? Es werden keinerlei Inhalte gespeichert. Das ist im Übrigen auch ein Unterschied zu totalitären Staaten. Diese interessieren sich vor allem auch für Gesprächsinhalte. Hier geht es ausschließlich um Verbindungsdaten. Diese sollen gespeichert werden und werden im Übrigen bereits heute gespeichert. Nur regeln wir jetzt, dass sie nach bestimmten Fristen zu löschen sind. Wann darf der Staat Zugriff auf diese Daten nehmen? Er darf das nur, wenn ein Staatsanwalt dies beantragt und ein Richter es genehmigt. Insofern, Herr Bundesjustizminister, haben wir nicht nur zwei, sondern sogar drei Schlüssel: Wir haben den Provider, den Staatsanwalt und den Richter, der unabhängig seine Genehmigung geben muss. Der Richter muss immer einverstanden sein. Es gibt kein staatsanwaltschaftliches Eilverfahren. Es ist auch nur möglich – das ist wichtig –, wenn es sich um bestimmte Straftaten handelt: um Mord oder Totschlag, um schwerste Straftaten aus dem Bereich der Sexualverbrechen, um organisierte Kriminalität. Weil es hier darum geht, die Freiheit und die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger zu schützen und weil genau in diesen Kriminalitätsbereichen das Internet eine so große Rolle spielt, brauchen wir dieses Ermittlungsinstrument. Und deswegen ist dieser Gesetzentwurf auch so notwendig und so richtig. Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Koalition aus CDU/CSU und SPD handelt im Bereich der Innen- und Rechtspolitik. Wir haben gleich zu Beginn der Legislaturperiode etwa im Bereich der Kinderpornografie das materielle Strafrecht verschärft. Wir haben auf einen Gesetzentwurf des Bundesjustizministers hin die Bekämpfung terroristischer Organisationen im materiellen Strafrecht verbessert. Uns haben dann unsere Polizistinnen und Polizisten und die Ermittlungsbehörden gesagt: Ja, es ist richtig, dass ihr das materielle Strafrecht im Bereich der Kinderpornografie verschärft habt, aber ihr müsst uns jetzt auch die Möglichkeiten geben, die Täter zu ermitteln. Beispielsweise brauchen wir mehr Polizistinnen und Polizisten. Insbesondere zur Ermittlung von Straftaten im Bereich der Kinderpornografie brauchen wir, weil dies oft der einzige Ermittlungsansatz ist, einen Zugriff auf die Verbindungsdaten. Die Koalition hat im laufenden Haushalt für das Jahr 2015 eine zusätzliche dreistellige Anzahl von Personalstellen bei der Bundespolizei beschlossen. Wir schaffen mehr Personal für unsere Polizei, und wir statten sie mit einem zweistelligen Millionenbetrag auch technisch besser aus. Dabei bleibt es aber nicht, sondern wir nehmen das, was uns Polizistinnen und Polizisten und unsere Ermittler sagen, nämlich dass sie auch Ermittlungsinstrumente mit Blick auf die neuen Medien und das Internet brauchen, ernst. Deswegen bringen wir heute Gott sei Dank diesen Gesetzentwurf zur Verbindungsdatenspeicherung ein. Das ist richtig, das entspricht den sachlichen Erfordernissen, und das entspricht dem, was uns Ermittlungsbehörden und Polizistinnen und Polizisten seit Jahren sagen. Es ist verfassungsrechtlich ausgewogen, und es ist ein guter Vorschlag. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine sehr verehrten Damen und Herren, in Artikel 6 der Europäischen Grundrechtecharta steht: Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Dem fühlen wir uns in dieser Großen Koalition von CDU/CSU und SPD verpflichtet. Wir haben eine zunehmende Bedrohung der Freiheit und der Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger im Bereich der organisierten Kriminalität bis hin zur bandenmäßig organisierten Einbruchskriminalität, in deren Zusammenhang diese Koalition im Übrigen auch handelt: Wir legen beispielsweise jetzt im präventiven Bereich ein Programm auf, um denen, die sich besser schützen wollen, zu helfen. All dies ist eine Gesamtschau, weil wir sehen, dass es diese Gefahrenlagen gibt: organisierte Kriminalität, die Perversen und die Händler im Bereich der Kinderpornografie, die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus. Wir sind der Auffassung, dass es darum geht, unsere Bürgerinnen und Bürger davor zu schützen und ihnen Freiheit und Sicherheit zu geben. Wir sehen nicht die Bedrohung durch die Beamten in unseren Ermittlungsbehörden und durch unsere Polizistinnen und Polizisten, die ihre Arbeit machen, sondern es sind die Verbrecher und die Kriminellen, die die Freiheit und Sicherheit in diesem Land bedrohen, und denen sagen wir tatkräftig den Kampf an. Ein entscheidendes Instrument in diesem Kampf gegen das Verbrechen sind die Verbindungsdaten; denn das Internet spielt eine immer größere Rolle für die Verbrecher und die Straftäter. Deswegen dürfen wir unsere Ermittler sowie unsere -Polizistinnen und Polizisten nicht länger dumm und blind sein lassen, sondern wir müssen Möglichkeiten schaffen, dass sie auch in diesem Bereich sehen können. (Jan Korte [DIE LINKE]: Oh Mann!) Im Sinne von Freiheit und Sicherheit in diesem Land ist somit der heutige Tag, an dem wir diesen Gesetzentwurf einbringen, ein außerordentlich guter Tag. (Jan Korte [DIE LINKE]: Ja, genau!) Danke fürs Zuhören. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Katja Keul hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 18. März dieses Jahres haben wir hier in einer Aktuellen Stunde über die geplante Vorratsdatenspeicherung debattiert. Gestern habe ich mir noch einmal das Protokoll angesehen und darin interessante Zwischenrufe aus der SPD gefunden. Als ich sagte, die Vorschläge der SPD-Führung ließen an deren Rechtsverständnis zweifeln, da riefen die Kollegen Flisek und Klingbeil, die heute im Übrigen wohl aus gutem Grunde gar nicht da sind: „Es gibt doch gar keine Vorschläge!“, und: „Welche Vorschläge denn?“ (Dr. Eva Högl [SPD]: Herr Flisek ist krank!) – Gut, das mag sein. – Ich sage nur: Die Zwischenrufe waren: „Es gibt doch gar keine Vorschläge!“, und: „Welche Vorschläge denn?“ Also aufwachen, liebe Sozialdemokraten! Hier liegt er jetzt schwarz auf weiß: euer Vorschlag zur Vorratsdatenspeicherung, vom Kabinett beschlossen und in den Bundestag eingebracht. (Jan Korte [DIE LINKE]: Genau!) Ihr habt zwar dem Gesetz einen anderen Titel gegeben, aber das täuscht nicht darüber hinweg, dass es genau das bleibt, was der EuGH für grundrechtswidrig erklärt hat: eine anlasslose Speicherung der Daten unverdächtiger Bürger. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das Ganze vermittelt uns weder Sicherheit, nein, noch nicht einmal die Illusion von Sicherheit. Das Gegenteil ist der Fall: Die Bürgerinnen und Bürger sind verunsichert. Es werden noch mehr Daten gespeichert, und niemand kann mehr genau sagen, wer alles in welchem Umfang auf diese Daten zugreift. Schon das Verfassungsgericht hat 2010 klar erkannt, dass die Gefahr eines illegalen Zugriffs auf eine solche Datensammlung besonders hoch ist. Seitdem haben wir reichlich an Erkenntnis dazugewonnen. Wir erleben gerade, wie durch einen in das Bundestagsnetzwerk eingeschleusten Trojaner selbst vermeintlich sichere Daten absaugt werden. Die Sicherheitsdienste können nicht einmal die Handydaten der Kanzlerin schützen. Das Verfahren ist heute, wie wir gerade erfahren haben, eingestellt worden. Wie wollen Sie uns dann glauben machen, die Telekommunikationsunternehmen könnten die Sicherheit der Daten von 80 Millionen Bundesbürgern gewährleisten? So naiv kann doch heute keiner mehr sein! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Auch der im Gesetzentwurf beschworene Stand der Technik und die angeblich sicheren Verschlüsselungsverfahren werden professionelle Hacker und Geheimdienste aus aller Welt nicht daran hindern, sich aus dem dann gespeicherten Datenpool zu bedienen. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Die Daten gibt es ja schon heute!) In diesem Pool befinden sich dann auch noch die Verbindungsdaten von Berufsgeheimnisträgern wie Ärzten, Rechtsanwälten und Priestern. Diese Berufsgruppen unterliegen aber nicht ohne Grund der Verschwiegenheitspflicht. In der Begründung Ihres Gesetzentwurfs schreiben Sie – Zitat –: Die Berufsgeheimnisträger in ihrer Gesamtheit schon von der Speicherung ihrer Verkehrsdaten auszunehmen, ist nicht möglich. Das ist schon einmal eine weise Erkenntnis. Sie haben nur leider keine Schlüsse daraus gezogen. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Ja natürlich!) Wenn das unmöglich ist, dann muss man es eben lassen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) zumal sich die Aufklärungsquote mit Vorratsdatenspeicherung nach einer europäischen Studie – das haben wir gerade ausführlich gehört – gerade einmal um 0,006 Prozentpunkte erhöht. Der Vorteil ist also, statistisch gesehen, kaum messbar und kann die Grundrechtseingriffe nicht rechtfertigen. Jetzt haben Sie sich aber noch etwas Neues ausgedacht, und zwar – was für eine Überraschung! – einen neuen Straftatbestand: die Datenhehlerei. Vielleicht können wir uns einmal darauf einigen, dass wir für jeden neuen Straftatbestand einen alten streichen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Das StGB schwillt ansonsten langsam immer mehr an. Jetzt soll also bestraft werden, wer sich rechtswidrig erlangte Daten verschafft oder verbreitet. Sie denken vielleicht an die armen Finanzminister, die sich die CDs mit den Schweizer Bankdaten besorgen. Nein, Amtsträger, die Daten in einem Besteuerungsverfahren verwenden wollen, sind im Gesetz explizit ausgenommen. Wer also sind die anderen Bösewichte? Richtig, Edward Snowden zum Beispiel, also all diejenigen, die wir Grüne mit unserem Whistleblower-Schutzgesetz schützen wollen. Eigentlich wollte sich doch auch die Koalition mit deren Schutz beschäftigen. Aber stattdessen werden sie jetzt alle erst einmal unter Strafe gestellt. Das ist ja toll! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!) Was ist denn mit den Journalisten, die von Whistleblowern kontaktiert werden? Fallen die jetzt unter die Ausnahme der beruflichen Pflichterfüllung? (Dr. Eva Högl [SPD]: Diese Daten dürfen nicht verwendet werden! – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Lesen Sie es durch!) Wer darf denn die Berufsbezeichnung „Journalist“ überhaupt führen und wer nicht? In der Begründung heißt es, die Ausnahme umfasse „journalistische Tätigkeiten in Vorbereitung einer konkreten Veröffentlichung“. Ja, wann ist denn eine Veröffentlichung konkret? Was ist denn mit der vorgeschalteten Hintergrundrecherche? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Liebe Mitglieder der schreibenden Zunft, mich würden diese Ausführungen im Kleingedruckten nicht wirklich beruhigen. Vom Tatbestand sind Sie und all Ihre Quellen jedenfalls erst einmal erfasst. Im Hinblick auf die Pressefreiheit finde ich das auch verfassungsrechtlich höchst bedenklich. Fazit: Ihr neuer Straftatbestand ist genauso missglückt wie die ganze Vorratsdatenspeicherung. Die große Herausforderung für den freiheitlichen Rechtsstaat wäre, der allgemeinen Verunsicherung standzuhalten. Weicht der Rechtsstaat angesichts der Angst vor dem Terror zurück, indem er die Freiheit beschneidet, haben die Terroristen bereits gewonnen, ohne einen Anschlag zu verüben. Insofern gebe ich dem Bundesjustizminister ausdrücklich recht, der sich früher entsprechend geäußert hat. Mit dem Sammeln größerer Datenmengen und dem Erlass neuer Strafvorschriften werden Sie jedenfalls dieser Herausforderung nicht gerecht. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Dr. Johannes Fechner das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Johannes Fechner (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Wenn wir Verbindungsdaten anlasslos speichern, dann ist das ohne Zweifel ein Grundrechtseingriff, den wir als Gesetzgeber gut begründen und rechtfertigen müssen. Ich meine, dass es vor allem zwei Aspekte sind, die es rechtfertigen, den vorliegenden Gesetzentwurf zu beschließen, zwei Aspekte, weshalb dieser Gesetzentwurf sinnvoll und erforderlich ist. Erstens. Wir haben uns in vielen Gesprächen mit Praktikern, Richtern und Staatsanwälten – es waren keine Scharfmacher, sondern erfahrene und besonnene Richter und Staatsanwälte – davon überzeugt, dass es Beispielsfälle gibt, in denen dieses Instrument notwendig ist, weil damit Verbrechen aufgeklärt werden können, weil dadurch Täter ermittelt werden können und weil dadurch zukünftig Verbrechen verhindert werden können. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Welche?) Zweitens bringt dieses Gesetz schlicht mehr Rechts-sicherheit und Klarheit. Es wird klar geregelt, dass die Verkehrsdaten nur auf richterlichen Beschluss abgefragt werden können. Es wird klar geregelt, welche Daten gespeichert werden dürfen und welche nicht. Ausdrücklich wird es keine Verpflichtung geben, Kommunikationsinhalte, etwa Inhalte von E-Mails, zu speichern. Das ist absolut tabu – ein ganz wichtiger Punkt für uns. Und: Die Abfrage von Verkehrsdaten ist nur noch bei schweren Straftaten möglich, und das nur – ich erwähnte es – auf richterlichen Beschluss, ohne Eilkompetenz für die Staatsanwaltschaft oder gar für Polizeibehörden. Wichtig ist auch, dass die Standortdaten von Funkzellen nur vier Wochen und alle anderen Verkehrsdaten nur zehn Wochen gespeichert werden dürfen. In Frankreich gibt es Überlegungen, auch die Inhalte der Daten zu speichern, und das wesentlich länger. Ganz zu schweigen davon, dass es Internetdienstleister gibt, die E-Mails auswerten und lesen. Und: Nach vier Wochen ist auf die etwaig geschäftsmäßig gespeicherten Standortdaten kein Zugriff der Sicherheitsbehörden mehr möglich; denn wir als SPD wollen nicht, dass es möglich wird, Bewegungsprofile über Monate zu erstellen. Wir haben es also im europäischen Vergleich mit einem äußerst restriktiv gestalteten Instrument zu tun. Wir sorgen für bessere Datensicherheit. Wir regeln die gesetzliche Verpflichtung, dass Betroffene, deren Daten abgefragt werden, darüber informiert werden müssen, dass Daten abgefragt wurden. Es gibt eine klare Verpflichtung, die Daten zu löschen. Wenn ein Unternehmen das widerrechtlich nicht tut, erhält es ein Bußgeld in Höhe von bis zu 500 000 Euro. Ein ganz wichtiger Punkt in diesem Zusammenhang ist, dass die Speicherung in Deutschland stattfindet, nicht etwa in den USA oder an anderen Orten, wo wir keine Kontrolle über die Daten haben. Ganz neu ist der Straftatbestand der Datenhehlerei. Wer also heimlich etwa Daten weiterverkauft, macht sich strafbar. Wichtig ist dabei, dass wir, Frau Kollegin Keul, das Gesetz extra so gestaltet haben, dass weder Journalisten noch Whistleblower befürchten müssen, sich strafbar zu machen. (Beifall der Abg. Gabriele Fograscher [SPD] – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Wenn gesagt wird, dass sich zahlreiche Verbände gegen die Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen haben, dann muss auch gesagt werden – auch das gehört zur Wahrheit –, dass dieser Gesetzentwurf manchen Verbänden nicht weit genug geht, (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Deutscher Richterbund!) etwa dem Richterbund. Ich möchte auch ausdrücklich darauf verweisen, dass es Verbände gibt, die sich mit unserem Vorschlag einverstanden erklären. Stellvertretend möchte ich den Deutschen Kinderschutzbund nennen, der sich ausdrücklich für dieses Instrument ausspricht. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Hört! Hört! Was meinen die Grünen dazu?) Da sehen Sie: Einigen Verbänden geht es nicht weit genug, andere sagen: „Macht das so!“ Also scheinen wir doch einen sehr guten Kompromiss gefunden zu haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Noch ein Wort zu den Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages, über die in dieser Woche diskutiert wurde. Mit solchen Gutachten muss man ja immer sehr sorgfältig umgehen. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das ist wohl wahr! – Dr. Eva Högl [SPD]: Das ist wahr!) Das eine Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass die anlasslose Speicherung rechtlich nach dem Urteil des EuGH nicht unmöglich ist; (Dr. Eva Högl [SPD]: Genau!) das steht explizit so drin. Das andere Gutachten besagt auch nicht, dass der Gesetzentwurf verfassungswidrig ist; vielmehr wird eine Reihe von Vorschlägen gemacht, wie bestimmte Regelungen noch klarer gefasst werden können. Die Gutachten enthalten also interessante und durchaus prüfenswerte Verbesserungsvorschläge, aber keine K.-o.-Kriterien, die diesen Entwurf verfassungswidrig erscheinen ließen. Es ist gut, dass wir durch das eingeleitete Notifizierungsverfahren bis September dieses Jahres Zeit haben, alle Anregungen zu prüfen. Wenn es vernünftige Verbesserungsvorschläge gibt – ob vom Wissenschaftlichen Dienst, von Parteikonventen oder aus der Netzcommunity –, dann sollten wir sie uns durchaus anschauen. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Aber nur anschauen, nicht anfassen!) Mir ist wichtig, dass diese Diskussion sachlich verläuft. Es gibt gute Argumente auf beiden Seiten. Nicht jeder Gegner der Vorratsdatenspeicherung ist gleich ein Staatsfeind oder verharmlost Kinderpornografie. Andererseits sollte man den Befürwortern nicht gleich unterstellen, dass sie das Ende der modernen digitalen Gesellschaft einleiten wollen. Zum Schluss will ich deshalb sagen, dass mit diesem Gesetz in der öffentlichen Debatte für meinen Geschmack einerseits zu viele Befürchtungen, andererseits aber auch zu viele Hoffnungen verbunden werden. Was regelt dieses Gesetz denn tatsächlich neu? Was machen wir denn in der Sache neu? Wir schaffen – in Anführungszeichen – „nur“ die Möglichkeit, dass alle Unternehmen verpflichtet werden, ihre zu Abrechnungszwecken heute sowieso schon gespeicherten Verkehrsdaten einheitlich zehn Wochen bzw. bei Funkzellendaten vier Wochen zur Verfügung zu halten, damit diese Daten, und auch nur bei schweren Straftaten, abgefragt werden können. Nicht mehr und nicht weniger regeln wir. Für mich ist dieser Gesetzentwurf deshalb ein Baustein für mehr Sicherheit, möglicherweise kein Allheilmittel. Damit verbunden ist zugegebenermaßen ein Grundrechtseingriff, aber kein ungerechtfertigter. Und er läutet bestimmt nicht das Ende der modernen digitalen Gesellschaft ein. Dieser sehr restriktive Gesetzentwurf ist ein gelungener Interessenausgleich zwischen der Sicherung der bürgerlichen Freiheiten einerseits und dem berechtigten Anliegen der Bevölkerung auf eine effektive Kriminalitätsbekämpfung andererseits. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Elisabeth Winkelmeier-Becker hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer! Sie haben es gemerkt: Wir freuen uns sehr, dass wir heute mit diesem Gesetzentwurf endlich ins parlamentarische Verfahren gehen können (Jan Korte [DIE LINKE]: Endlich!) und so dafür sorgen können, dass eine Mindestspeicherfrist für Kommunikationsdaten im Gesetzblatt verankert wird. Wir halten das für erforderlich, um schwere Straftaten aufzuklären und Gefahren abzuwehren, und zwar vor allem im Interesse der Opfer, die keine andere Hilfe haben als unsere Polizei, unsere Staatsanwaltschaft, unsere Gerichte und die deshalb auf deren Handlungsfähigkeit angewiesen sind. Deshalb wollen wir § 100 g StPO-E und § 113 b TKG-E sowie angrenzende Paragrafen neu regeln. Gut, dass dafür jetzt endlich ein Vorschlag vorliegt. Aus den Grundrechten ist zum einen abzuleiten, dass sich der Staat nicht zu weit ins private Leben einmischen darf; das ist ganz klar. Aber es sind dieselben Grund- und Menschenrechte, die ebenfalls erfordern, dass sich der Staat darum kümmert, Gefahren abzuwehren, dass er also das materielle Strafrecht in der Praxis effektiv anwenden kann. Das haben sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als auch der EuGH ausdrücklich zugestanden. Unsere Behörden haben ja die Pflicht, bei Straftaten tätig zu werden. Dem zugrunde liegt das Legalitätsprinzip. Aber das Ganze nützt nichts und geht ins Leere, wenn keine Instrumente zur Verfügung stehen, um das umzusetzen. Oft sind Verbindungsdaten die einzige Ermittlungsgrundlage, wenn es darum geht, eine Sache aufzuklären. Manchmal wirken diese Daten auch entlastend. Ein mir bekannter Fall aus der Praxis betrifft einen leicht behinderten jungen Mann, der einen Mord an einem Bekannten zugegeben hatte. Darauf deuteten auch einige Spuren am Tatort hin. Er hatte gestanden, wurde verurteilt, hat dann sein Geständnis widerrufen. Es konnte nachgewiesen werden, dass sein Handy zum Tatzeitpunkt an einem ganz anderen Ort war. Er wurde dadurch entlastet, und hinterher wurde der wahre Täter gefunden. Auch so etwas ist möglich, wenn es Vorratsdatenspeicherung gibt. (Beifall bei der CDU/CSU) Trotzdem handelt es sich nicht um ein populäres Thema; der Koalitionspartner weiß das. Gleichwohl muss ich sagen: Die Generalprobe hat hier doch bisher ganz gut geklappt. Wenn da am Samstag der nächsten Woche nicht mehr kommt, dann mache ich mir keine Sorgen. (Zurufe der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir haben schon fast alle diesbezüglichen Stichworte gehört. Grob gesagt, handelt es sich um zwei Strategien: Einmal wird gesagt, der Eingriff, der mit der vorläufigen Speicherung von Verbindungsdaten verbunden ist – den will ich keineswegs bagatellisieren; aber er wird über die Maßen dramatisiert –, sei nicht mit der Verfassung im Einklang. Zum anderen wird der Nutzen kleingeredet. Beides haben wir hier heute Morgen schon gehört. Bemerkenswert ist dabei, wem bereitwillig und kritiklos geglaubt wird. Deshalb will ich, auch auf die Gefahr von Wiederholungen hin, noch einmal auf die Regelungen eingehen. Erstens. Die Aussagekraft der gesammelten Daten ist deutlich weniger gravierend, als viele befürchten. Es geht nur um Verbindungen, nicht um Inhalte, nur um die Standortdaten zu Beginn eines Gesprächs. Da fürchten ja einige, dass auch nachvollzogen wird, wenn man mit dem angeschalteten Handy unterwegs ist, wann sich ein Handy in eine neue Funkzelle einloggt. Das ist nicht der Fall. Es geht auch um das, was Sie gerade gesagt hatten, Herr Korte: Mit der Speicherung der IP-Adresse wird keineswegs die Kontrolle des Surfverhaltens ermöglicht. Vielmehr regelt § 113 b Absatz 5 Telekommunikationsgesetz explizit: Der Inhalt der Kommunikation, Daten über aufgerufene Internetseiten und Daten von Diensten der elektronischen Post dürfen auf Grund dieser Vorschrift nicht gespeichert werden. Es ist gerade nicht so, dass man, wenn man eine IP-Adresse hat, kontrollieren kann: Was ist denn mit dieser IP-Adresse alles aufgerufen worden? Es geht nur andersherum: Man hat eine inkriminierte Website und kann herausfinden, von welchen IP-Adressen diese besucht wurde. Dann kann man heraussuchen, welche Person zu dieser IP-Adresse gehört, welcher Anschluss dazu gehört. Da dürfen Sie nicht immer das Falsche sagen. Bitte lesen Sie doch einfach einmal den Gesetzentwurf an dieser Stelle. (Beifall bei der CDU/CSU – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Ein guter Vorschlag! – Jan Korte [DIE LINKE]: Das war jetzt nicht ganz klar, was Sie gesagt haben!) Zweitens erfolgt eine dezentrale Speicherung der Daten bei den Providern, nicht beim Staat; auch das ist schon gesagt worden. Wir haben ganz klare und sehr hohe Zugangshürden für eine Nutzung. Wir haben den Richtervorbehalt. Wir haben die Kennzeichnungspflicht im weiteren Verfahren. Wir haben hohe technische Anforderungen. Und das alles für Daten, für deren Speicherung durch die Provider aus vertraglichen oder technischen Gründen die Voraussetzungen des Bundesdatenschutzgesetzes genügen. Für diesen Umgang mit diesen angeblich so hochsensiblen Daten genügt das Bundesdatenschutzgesetz. Nur weil sie jetzt hier in einen anderen Zusammenhang gestellt werden, ohne dass sie dadurch sensibler werden, greifen die genannten erhöhten Anforderungen. Wir genügen diesen auch. Aber die Daten werden dadurch, wie gesagt, nicht sensibler, und die Gefahr wird keinesfalls größer, sondern – es verhält sich also gerade umgekehrt – kleiner. Aus den zwei Jahren, in denen die Vorratsdatenspeicherung zulässig war, ist auch im Nachhinein kein einziger Fall bekannt geworden, in dem es Missbrauch gegeben hätte. Die Daten werden schlicht und ergreifend einfach gelöscht, wenn die kurze Frist um ist. Im Fall der Abfrage wird transparent mitgeteilt, dass Daten erfasst worden sind. Was folgt daraus? Man muss sich vielleicht äußern. Man wird gefragt: „Haben Sie etwas gemerkt von einer Straftat, die stattgefunden hat?“, weil offenbar das eigene Handy am Ort der Straftat lokalisiert worden ist. Dann ist es doch nichts anderes als eine ganz normale Bürger- und Zeugenpflicht, dass man das, was man kann, dazu beiträgt, um einen Fall aufzuklären. (Beifall des Abg. Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]) Allein aus der Tatsache, dass die eigenen Kommunikationsdaten in einer Abfrage ermittelt worden sind, geht kein einziger Verdacht hervor. Vielmehr müssen weitere Ermittlungen vorgenommen werden, um den Täter zu überführen. (Jan Korte [DIE LINKE]: Aber im Moment gibt es das doch nicht! Es gibt noch keine Vorratsdatenspeicherung!) Wer hier von Generalverdacht spricht, den möchte ich einmal fragen, was denn die Alternative wäre. Wenn wir nicht alle Daten einbeziehen würden, würden wir nicht zu den relevanten Daten kommen. Wir müssten dann Kriterien festlegen, die den Anlass ausmachen. Was ist denn dann das Kriterium: Ist es die Gesinnung? Ist es das Geschlecht? Ist es der Glaube? Ist es die Herkunft? Was soll es denn dann sein? Alles andere ist diskriminierend. Deshalb müssen wir ebendiesen Ansatz so wählen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich möchte auch auf die Studie des Max-Planck-Instituts eingehen, die schon genannt worden ist. Das Institut hat ohne Zweifel einen sehr renommierten Namen. Es lohnt sich aber bei dieser Studie wirklich, genauer hinzusehen. Diese Studie der kriminologischen Abteilung des Max-Planck-Instituts beruht auf Interviews von einigen Polizisten, Staatsanwälten und fünf Richtern. Sie ist insgesamt nicht wirklich repräsentativ. Die damals bei den Ländern geplante Erhebung war in der vorgegebenen Zeit gar nicht möglich. Das wird in der Studie auch zugegeben. In ihr wird davon gesprochen, dass sie auf keiner wirklich verlässlichen Datengrundlage beruht. Diese Studie wurde von der damaligen Justizministerin – bekanntermaßen keine Freundin der Vorratsdatenspeicherung – (Jan Korte [DIE LINKE]: Wer hat sie denn das erste Mal eingeführt?) in Auftrag gegeben. Interessant ist, dass es zwei Versionen dieser Studie gibt. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Stimmt!) Die erste hat der Auftraggeberin offenbar nicht gefallen. Die Studie wurde zurückgegeben und musste überarbeitet werden. Dabei ergaben sich interessante Differenzen. Die Presse hat darüber berichtet, was in der einen und was in der anderen Studie stand. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: In der Süddeutschen Zeitung war es nachzulesen!) Die Wertungen sind ziemlich unterschiedlich. Über die erste Studie heißt es in der Süddeutschen Zeitung: Wörtlich: „Essentielle Bedeutung haben retrograde Daten (die es erlauben, elektronische Verbindungswege nachträglich nachzuvollziehen; SZ) nach der Erfahrung der Polizeipraktiker“ besonders auch bei „Raubdelikten, schweren Gewalt- und Tötungsdelikten“. Über die zweite Version heißt es dann zu der Bedeutung hierbei: Eher nein – „für Kapitaldelikte sind Veränderungen in den Aufklärungsraten wegen fehlender Vorratsdaten nicht sichtbar geworden.“ Oho! Was ist denn da passiert? Eigentlich war der Sachverhalt abgeschlossen, und es ist nicht erkennbar, woher diese unterschiedliche Bewertung kommt. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Darüber haben wir doch gesprochen! Das wissen Sie!) Ich bin sicher: Wenn diese Studie im zweiten Versuch nicht das gewünschte Ergebnis gebracht hätte, wäre sie so zerpflückt worden, wie sie es verdient hätte. Selbst der Direktor des Max-Planck-Instituts und Leiter der strafrechtlichen Abteilung, Professor Dr. Ulrich Sieber, schreibt in dem Band über die Verhandlungen des Deutschen Juristentages, den er mit herausgegeben hat: Die bisherige Vorratsdatenspeicherung war in zahlreichen Fällen ein entscheidender und oft der einzige Aufklärungsansatz für die Verfolgung von Straftaten. Sie hat auch eine große Bedeutung bei der Ermittlung von organisierten Täterstrukturen. Vizepräsidentin Petra Pau: Frau Kollegin. Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Auch er hält das für wichtiger als die erkennbare Auswirkung auf die Statistik. Fragen Sie den Deutschen Richterbund, fragen Sie die Generalstaatsanwälte, fragen Sie den Sachverständigen Franosch, der als Sachverständiger vor kurzem im Edathy-Untersuchungsausschuss ausgesagt hat. Wir werden ihn auch als Sachverständigen in unserer Sachverständigenanhörung hören. Vizepräsidentin Petra Pau: Sehr geehrte Kollegin, ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie jetzt auf Kosten Ihrer noch nachfolgenden Kollegen sprechen. Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Entscheiden Sie, wem Sie mehr glauben und vertrauen. Ich vertraue auf die Praktiker, die uns das Richtige sagen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Volker Ullrich für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Folgende Frage liegt der heutigen Debatte zugrunde: Wie kann der Staat den Schutz der Bürger gewährleisten und ihre Freiheitsrechte sichern, ohne selbst zu tief in Grundrechte einzugreifen? Dem Gesetzentwurf zur Einführung einer Speicherpflicht für Verbindungsdaten gelingt diese Balance. Er ist eine geeignete und verhältnismäßige Antwort des wehrhaften und demokratischen Rechtsstaates. (Jan Korte [DIE LINKE]: Stimmt nicht!) Der Staat kann sich seiner Verantwortung nicht entziehen, wenn die Grundlagen und der Grundkonsens unseres Zusammenlebens erschüttert werden – erschüttert durch schwerste Straftaten wie Mord und Totschlag, Kinderpornografie, Terrorismus und organisierte Kriminalität –. Dem Staat obliegt es, diese Straftaten aufzuklären und Täter in einem rechtsstaatlichen Verfahren zur Rechenschaft zu ziehen. Das ist ein wesentlicher Auftrag an ein rechtsstaatliches Gemeinwesen. (Beifall bei der CDU/CSU) Diese Debatte darf damit auch nicht auf einen vermeintlichen Gegensatz zwischen Freiheit und Sicherheit verengt werden. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Freiheit und Sicherheit schließen sich nicht gegenseitig aus. Sie bedingen sich. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: So ist es!) Freiheit bleibt nur bestehen, wenn sie geschützt und verteidigt wird. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich bin daher dem Herrn Bundesjustizminister sehr dankbar, dass er in enger Abstimmung mit dem Bundesminister des Innern einen von Verantwortung getragenen und grundrechtssensiblen Vorschlag in den Bundestag eingebracht hat. Das ist eine klare und begrüßenswerte Haltung zum wehrhaften Rechtsstaat. Die Forderung nach der Speicherung von Verbindungsdaten als Instrument der Aufklärung und Prävention ist stets von vielen besonnenen Experten und Praktikern im Bereich der inneren Sicherheit aus guten Gründen empfohlen worden. Auch das Bundesverfassungsgericht hat dies nicht für verfassungswidrig erklärt. Im Gegenteil: Es hat einen klaren Rahmen aufgezeigt, in welchem ein solches Instrument der digitalen Spurensicherung rechtlich möglich ist. Dieser Rahmen wird durch das vorliegende Gesetz eingehalten. Der Staat, meine Damen und Herren, speichert nicht selbst. Die Speicherpflicht bleibt bei den Anbietern. Im Einzelfall können die Strafverfolgungsbehörden nach richterlichem Beschluss innerhalb kürzester Fristen zur Ermittlung schwerster Straftaten auf Verbindungsdaten zurückgreifen – und auch nur dann. Der Gesetzentwurf stellt den Schutz der Daten gegen unbefugten Zugriff sicher. Daten von Berufsgeheimnisträgern unterliegen einem Verwertungsgebot. Inhalte werden nicht gespeichert. Das ist doch eine gute Zusammenstellung. Wir wissen aber auch: Mindestspeicherfristen sind kein Allheilmittel. Dem Rechtsstaat sind bewusst und auch zu Recht Grenzen gesetzt. Deswegen ist dieser Gesetzentwurf auch wohlüberlegt. Aber es bleibt auch festzuhalten: Zur Aufklärung schwerster Kriminalität sind digitale Spuren oftmals der einzige erfolgversprechende Ermittlungsansatz. Diesen müssen die Strafverfolgungsbehörden nachgehen dürfen. Es geht darum, dass wir durch die Entdeckung krimineller Strukturen wissen, was Straftäter und Terroristen vorhaben, wie sie sich bewegen. Dadurch verhindern wir neue Anschläge. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es geht also nicht darum, die Befugnisse von Sicherheitsbehörden zu überdehnen. Es geht darum, dass wir ihnen Chancengleichheit geben, dass wir ihnen die Möglichkeit geben, Sicherheitslücken zu schließen. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, bereits jetzt kann auf Daten zurückgegriffen werden, die bei den Anbietern gespeichert sind. Es hängt aber vom Zufall ab, ob diese Daten noch vorhanden sind. Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist folgende: Akzeptiert der Rechtsstaat in diesem Bereich eine Zufälligkeit, oder brauchen wir eine rechtsklare und rechtssichere Regelung? Es verwundert, wenn in diesem Zusammenhang nicht Lösungen gesucht werden oder eine verantwortungsvolle Debatte geführt wird, meine Damen und Herren von der Linken und von den Grünen, sondern wenn Sie von Überwachungsstaat, Generalverdacht oder Massenüberwachung sprechen. Es kann Sie niemand daran hindern, sachlich falsch zu liegen. Es kann Sie niemand daran hindern, zugespitzt oder polemisch Ihre Meinung zu äußern. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Euch auch nicht!) Aber im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf von Massenüberwachung zu sprechen, verbietet sich nicht nur aus Respekt vor historischen Gegebenheiten, sondern es ist schlichtweg alarmierend und unanständig, in einem sensiblen Umfeld ein Klima der Angst zu schüren. So geht man nicht mit Verantwortung um. (Beifall bei der CDU/CSU – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Unanständig! – Jan Korte [DIE LINKE]: Sie dürfen auch sagen, was Sie wollen! Da müssen wir es auch dürfen!) Meine Damen und Herren, dieser Gesetzentwurf ist von einer tiefen Sorge um unsere freiheitliche und demokratische Grundordnung geprägt. Wir haben in den vergangenen Monaten das Strafrecht zum Schutz unserer Kinder und zur stärkeren Bestrafung terroristischer Vorbereitungshandlungen reformiert. Der Bund wird im nächsten Haushaltsjahr viele Hundert neue Stellen bei der Bundespolizei schaffen. In diesem Zusammenhang sind die Bemühungen um Speicherungen von Verbindungsdaten die sachlich gebotene Ergänzung. Natürlich könnte man sich auch zurücklehnen und bequem den einen oder anderen Applaus einfangen. Bequemlichkeit würde vielleicht auch Kritik ersparen. Aber das wäre kein geeignetes Handeln. Es wäre Preisgabe von Verantwortung. Das ist mit uns nicht zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU) Was unterscheidet uns am Ende des Tages? (Jan Korte [DIE LINKE]: Vieles, in vielen -Bereichen!) Es ist unsere tiefe Sorge um die freiheitlich-demokratische Grundordnung und unsere verantwortliche Haltung zu Freiheit und Sicherheit. Die werden wir uns nicht nehmen lassen. Deswegen werden wir diesen guten Gesetzentwurf in die weiteren Beratungen einbringen und am Ende des Tages auch verabschieden. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD]) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Thomas Jarzombek hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Thomas Jarzombek (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir wollen ein Internet der Freiheit. Dabei hat für uns Freiheit ohne Verantwortung keinen Wert. So schreibt es der cnetz e. V. in seiner Präambel. Das ist nicht nur meine Leitlinie als internetpolitischer Sprecher meiner Fraktion, sondern die Leitlinie vieler, die in der Vergangenheit beim Thema Vorratsdatenspeicherung durchaus eine sehr kritische Position hatten. Eines ist für uns immer klar: Freie Wesen werden sich nur dann so verhalten, dass andere ebenfalls frei sein können, wenn sie damit konfrontiert werden können, Verantwortung für ihre Taten zu übernehmen. Ein Internet oder Kommunikationsräume, in denen man vollkommen folgenlos auch schwerste Straftaten verüben kann, kann niemals das Ziel der Politik dieses Hauses sein. Insofern haben wir sehr mit der Frage gerungen, wie eine Vorratsdatenspeicherung, Speicherpflichten und Höchstspeicherfristen tatsächlich ausgestaltet werden können. Ich muss zugeben, dass ich selber zu den Kritikern gehörte, die sagten: Die im europäischen Rahmen vorgesehene Speicherfrist von 24 Monaten, das ungeklärte Verfahren der Datensicherung und der Zugriff in einer relativ großen Breite – das kann, wenn man alle Länder der Europäischen Union betrachtet, keine kluge Politik sein. Ich glaube aber, dass wir bei dem, was hier heute vorgelegt worden ist, einen ganz anderen Weg gegangen sind und dass wir auch aus dem gelernt haben, was uns zwei Verfassungsgerichte vorgegeben haben. Was die Verfassungsmäßigkeit betrifft, verweise ich an dieser Stelle auf das, was Günter Krings gesagt hat. Ich glaube, dem ist nicht viel hinzuzufügen. Es geht mir insbesondere um die Frage der Verhältnismäßigkeit. In dem Entwurf, der uns heute vorliegt, sind Speicherfristen von zehn Wochen für Telefonate und SMS-Nachrichten und von vier Wochen für Standortdaten vorgesehen. Diese Unterscheidung im Gesetz angesichts der höheren Sensibilität von Standortdaten ist ein kluger Gedanke gewesen. Ich glaube, dass die Nutzung dieses Instruments insbesondere vor dem Hintergrund gerechtfertigt ist, dass es hier – anders, als es manchmal suggeriert wurde – nicht um Abmahnungen im Zusammenhang mit dem Download von Musikdateien geht, sondern nur um allerschwerste Straftaten, die im Gesetz auch ausdrücklich definiert sind; das muss man ganz klar sagen. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: So ist das!) Dass man im Falle eines Gewaltverbrechens – jemand wurde in einem Waldstück vergewaltigt und umgebracht; solche schrecklichen Fälle – über eine Funkzellenabfrage nachvollziehen kann, welche Menschen sich im Umfeld aufgehalten haben, wird die Straftat im Zweifelsfall nicht verhindern; aber es ist für die Aufklärung von großem Wert. Ich glaube, es ist ein wichtiges Instrument, das in vielerlei Hinsicht verhältnismäßig ist. Das wird deutlich, wenn man sich mit der Frage beschäftigt: Wird eigentlich in die Kommunikation hineingeschaut? Mir persönlich ist wichtig, dass zwar aufgezeichnet werden soll, wer wen angerufen hat und wer wem eine SMS geschickt hat, aber nicht, was gesprochen wurde oder was in der SMS stand. Es werden eben keine WhatsApp-, keine Threema- und keine sonstigen Messengernachrichten gespeichert. Es gibt natürlich die Sorge: Wo wird uns das, was wir heute machen, einmal hinführen? Deshalb ist es sehr verhältnismäßig, wenn wir eben nicht in ein expansives Gesetzgebungsverfahren einsteigen, das auf die Messengerdienste und auf Kommunikationsformen der Zukunft setzt. Zu den Internetseiten. Man muss vielleicht noch einmal genauer erklären, was hier tatsächlich gespeichert wird. Das Wort „Verbindungsdaten“ bringt einen eigentlich auf eine falsche Spur; denn so entsteht der Eindruck, dass die Daten jeder Verbindung im Internet abgespeichert werden. Das ist vielleicht bei Google der Fall, aber das gilt nicht für dieses Gesetz. Das Einzige, was gespeichert wird, ist die Adresse, mit der Sie selbst im Internet für 24 Stunden bekannt sind. Es handelt sich also um eine Information in 24 Stunden, zumindest im Regelfall. Um darauf zu schließen, auf welchen Servern man gewesen ist oder mit wem man kommuniziert hat, braucht man das, was in der IT-Branche eine „Zwei-Faktor--Authentifizierung“ genannt wird: Sie brauchen eine Gegenseite. Nur so kann beispielsweise festgehalten werden, auf welchem Server Nachrichten ausgetauscht wurden bzw. wann welche IP-Adresse dort online gewesen ist. Man kann also allein mit den Daten, die der Staat erhebt, nichts, aber auch gar nichts anfangen, sondern man braucht die Daten der Gegenseite. Ich glaube, uns liegt ein sehr ausgewogener Gesetzentwurf vor. Viele aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion – ich sehe, dass Frau Schwarzer hier sitzt, von der ich weiß, dass sie durchaus einen kritischen Blick auf die Dinge hat –, aber auch darüber hinaus im cnetz und in anderen Organisationen, die sehr kritisch gewesen sind, sagen nun: Damit können wir leben. Das ist ein vernünftiger Weg, der hier gegangen wird. – Ich persönlich sage ausdrücklich: Das ist ein guter Gesetzentwurf, der viel hilft und wenig schadet. Schauen wir uns an, wie mit den Themen Anonymität im Internet oder Datensicherheit im Internet umgegangen wird. Häufig werden wir mit dem Argument konfrontiert: Der Staat muss bei diesen Themen besondere Sensibilität zeigen; denn es kann sich keiner sozusagen aus den Fängen des Staates befreien, von dem Gesetz sind nun einmal alle betroffen. – Aber ein Blick auf Unternehmen wie Facebook mit dem angeschlossenen Dienst WhatsApp genügt, um festzustellen: Das ist nur ein theoretischer Gedanke, dass die Menschen heute noch eine Wahl haben, mitzumachen oder nicht. Reden Sie doch einmal mit jungen Menschen, die in der Schule oder im Studium sind und für die solche Dienste wie -Facebook und WhatsApp schlicht und ergreifend Teilhabe am gesellschaftlichen Leben bedeuten. Sie haben de facto keine Möglichkeit, sich dessen zu entziehen, indem sie möglicherweise datenschutzsensiblere Plattformen wählen. Wir sollten in der weiteren Debatte unser Augenmerk ganz klar darauf richten, wie bei solchen Plattformen, die eine so große Bedeutung haben, dass eine gesellschaftliche Teilhabe für bestimmte Bevölkerungsteile ohne sie kaum noch denkbar ist, mit den viel sensibleren Standort-, Kommunikations- und Inhaltedaten umgegangen wird. Vielen Dank, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/5088 und 18/4971 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 25 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, Dr. Diether Dehm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Keine Paralleljustiz für internationale Konzerne durch Freihandelsabkommen Drucksache 18/5094 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Klaus Ernst für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Klaus Ernst (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dank der Linken haben Sie wieder einmal die Möglichkeit, tatsächlich die Interessen der Bürger aufzugreifen: Sie brauchen sich nur mit dem von uns vorgelegten Antrag gegen die privaten Schiedsgerichte auszusprechen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Peter Beyer [CDU/CSU]: Die heute-show kommt doch erst heute Abend! – Gegenruf der Abg. Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: Die hat Sommerpause!) Das ist dringend notwendig, weil Sie bisher jede Klarheit in dieser Frage vermissen lassen. Das gilt auch ausdrücklich – leider, sage ich – für die Sozialdemokratische Partei. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Meine Damen und Herren, was haben wir diese Woche für ein Drama erlebt in Brüssel: Da wurde ein -Antrag vorgelegt, der vorher im Wirtschaftsausschuss ausgemauschelt worden war. In diesem Antrag war plötzlich eine Befürwortung privater Schiedsgerichte enthalten. Es zeichnete sich ab, dass eine Mehrheit dagegen stimmen würde, und, schwups, wurde das mit zwei Stimmen Unterschied von der Tagesordnung gekegelt. Meine Damen und Herren, was ist das für ein Demokratieverständnis? Sie hätten die Möglichkeit gehabt, im Europäischen Parlament ein Zeichen zu setzen und die Kritik der Bürger daran, dass künftig private Schiedsgerichte darüber entscheiden sollen, wie viel Staaten zahlen müssen, wenn sich ein Unternehmer seiner Gewinne beraubt sieht, aufzunehmen. Sie hätten die Möglichkeit gehabt, Klarheit zu schaffen. Sie haben sie nicht genutzt. Das ist traurig, meine Damen und Herren, äußerst traurig. (Beifall bei der LINKEN) Momentan – ich sage Ihnen das ganz deutlich – ist das Hamburger Hafenwasser klarer als Ihre Position in dieser Frage. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Oh!) Es wird Zeit, dass Sie endlich Ihre Positionen bestimmen und sagen, wo Sie hinwollen. Da sagt Herr Gabriel in der Erklärung, die er gemeinsam mit dem DGB herausgegeben hat: Investitionsschutzvorschriften sind in einem Abkommen zwischen den USA und der EU grundsätzlich nicht erforderlich und sollten nicht mit TTIP eingeführt werden. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Jetzt legt er selbst einen Vorschlag vor für, ich sage einmal, ein Abkommen über besondere Investitionsschutzvorschriften. Auch wenn Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten jetzt vor einem internationalen Handelsgerichtshof geklärt werden sollen, bleibt es dabei: Es sind Sonderrechte für die Unternehmen, die zwar immer die Staaten verklagen können, wo aber nie ein Bürger die Unternehmen verklagen kann, wenn sie Umweltschutzvorschriften nicht einhalten, wenn sie Arbeitsschutzvorschriften nicht einhalten. Es geht also nur um Sonderrechte für die Unternehmen. Das gilt auch im Falle eines internationalen Handelsgerichtshofs. Was Sie hier machen, meine Damen und Herren, ist, dass Sie eine Nebelkerze werfen, und nichts anderes. (Beifall bei der LINKEN) Ich habe zur Kenntnis nehmen müssen, reich und hysterisch seien die Deutschen, weil sie sich gegen TTIP aussprechen – das ist ja lustig! Und dann sagt Herr Gabriel: … wenn der Rest Europas dieses Abkommen will. Ich sage Ihnen: Deutschland wird dem dann auch zustimmen. Das geht gar nicht anders. Wo ist Ihre Haltung? Mein Gott, da kennt sich doch keiner mehr aus, was die Sozialdemokratie eigentlich will. Sie haben heute die Möglichkeit, Klarheit herzustellen. Jetzt sage ich Ihnen noch eines, meine Damen und Herren: Die Frage ist, ob wir in Europa wirklich ganz allein sind mit dieser Haltung. Wie sieht es in Europa aus? 2 Millionen Unterschriften hat eine selbstorganisierte Bürgerinitiative gegen TTIP und CETA, die Handelsabkommen mit den USA bzw. Kanada, gesammelt. In Deutschland ist fünfzehnmal so viel zusammengekommen, wie nach dem Quorum der Europäischen Union notwendig gewesen wäre. Welche Länder haben sich inzwischen ebenfalls an dieser Abstimmung beteiligt und das Quorum erfüllt? Österreich, Belgien, Bulgarien, Tschechien, Dänemark, Spanien, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Schweden. Es wäre an der Zeit, dass sich die Sozialdemokratie Deutschlands an die Spitze dieser Bewegung stellt und nicht außen vor bleibt (Dr. Eva Högl [SPD]: Gar nicht!) und herumeiert in dieser Frage; das wäre dringend notwendig. (Beifall bei der LINKEN) Ich habe auch noch Slowenien vergessen, um das deutlich zu sagen. So, es sind 14 Länder. Offiziell nötig wären nur 7, um eine entsprechende Europäische Bürgerinitiative zum Erfolg zu bringen. Meine Damen und Herren, Investor-Staat-Klagemöglichkeiten sind eine Gefahr für die demokratischen Strukturen. Das wissen Sie; deshalb gibt es bei den Sozialdemokraten Gott sei Dank auch erheblichen Widerstand dagegen. Staaten können in Millionenhöhe, nein, in Milliardenhöhe verklagt werden – wie die Bundesrepublik Deutschland derzeit von Vattenfall verklagt wird vor einem internationalen Schiedsgericht. Meine Damen und Herren, ausländische Investoren werden bessergestellt als einheimische. Das Klagerecht bekommen nur internationale Konzerne, aber nie die Bürger. Jetzt schlägt Herr Gabriel einen staatlich organisierten internationalen Gerichtshof vor. Meine Damen und Herren, das ändert aber nichts an dem Punkt, und das wissen Sie auch genau. Frau Malmström hat Ihnen gesagt, dass es kurzfristig schlichtweg nicht möglich ist, einen solchen Gerichtshof zu installieren. In CETA, in dem Abkommen mit Kanada, ist es nun eindeutig so, dass diese Schiedsgerichte vereinbart sind, und zwar die alten, nicht die nach dem Vorschlag von Gabriel. Wenn Sie also wenigstens den Vorschlag Ihres eigenen Parteivorsitzenden ernst nehmen würden, dann müssten Sie aus diesem Grunde CETA ablehnen, weil Sie diese Dinge sonst automatisch auch bei TTIP nicht mehr loswerden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber auch das tun Sie nicht, sondern Sie eiern herum. Wer an einen solchen Gerichtshof glaubt, der glaubt auch, dass der Storch die Kinder bringt. Ich glaube, dem einen oder anderen ist aus der Realität etwas anderes bekannt. (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) Meine Damen und Herren, wenn Sie Ihren eigenen Vorschlag ernst nehmen würden, müssten Sie handeln und Klarheit herstellen. Es bleibt auch nach Ihrem Vorschlag bei einer Paralleljustiz, obwohl es keinerlei empirischen Nachweis für die Notwendigkeit von Investi-tionsschutzabkommen gibt. Es gäbe außerdem weiterhin Privilegien für internationale Konzerne. Wir brauchen tatsächlich einen internationalen Gerichtshof. Es muss gewährleistet sein, dass die Bürgerinnen und Bürger und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entlang der internationalen Handelskette die Möglichkeit haben, vor Gerichten zu klagen, wenn in den Ländern, in denen internationale Konzerne tätig sind, Menschenrechte nicht beachtet werden. Wenn, wie in Bangladesch, Frauen in Fabriken verbrennen, weil die Läden zugesperrt wurden, aber keine juristischen Konsequenzen daraus gezogen werden, könnte es tatsächlich sinnvoll sein, derartige internationale Gerichte zu schaffen. Das machen Sie aber nicht. Deshalb bleibe ich dabei: Nutzen Sie Ihre Chance, diese Schiedsgerichte heute durch Zustimmung zu unserem Antrag abzulehnen. Die Bürgerinnen und Bürger Europas würden es Ihnen danken. 40 000 Menschen haben in München – allein in München – gegen die internationalen Schiedsgerichtshöfe und TTIP demonstriert. Wenn Sie einmal etwas Vernünftiges machen wollen, schließen Sie sich dem Widerstand der Bürger an. Danke fürs Zuhören. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Andreas Lämmel hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Ernst, Sie bescheren uns heute, am Freitagmittag, noch eine Debatte zu TTIP und Schiedsgerichten. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Eine schöne Debatte!) Das ist im Prinzip das Gleiche, was Sie im Abstand von etwa drei Wochen immer wieder zelebrieren. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das kann man nicht oft genug sagen! Das müssten wir eigentlich jeden Tag sagen!) Es gibt nicht einen einzigen neuen Gesichtspunkt. Sie könnten uns viel Zeit ersparen, wenn Sie ganz einfach sagen würden: Wir wollen TTIP nicht. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das sagen wir ja!) Wir wollen über gar nichts reden. Wir wollen auch über nichts verhandeln. Wir wollen das alles nicht. – Das würde ausreichen. Damit wäre Ihre Position klar beschrieben. Dann müssen Sie auch nicht erst mit Nebelkerzen werfen, wie Sie es hier tun. Sie werfen ja alles in einen großen Topf, rühren um und wollen das dann als Leipziger Allerlei servieren. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Herr Ernst, der Unterschied zwischen Ihnen und den Koalitionsparteien ist, dass wir uns der Kritik, die an verschiedenen Punkten nicht ungerechtfertigt ist, stellen und uns überlegen, wie man die Dinge besser machen kann. Die Linken sehen aber überhaupt keine Veranlassung, darüber nachzudenken, weil sie sowieso alles ablehnen. Sie sind eine noch schlimmere Ablehnerpartei als die Grünen. Die machen das üblicherweise auch. Bei der letzten Wahl haben sie aber gemerkt, dass man damit nicht durchkommt. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Haben Sie eigentlich auch etwas zur Sache zu sagen oder nur Quatsch?) Ich habe noch nicht einen einzigen Vorschlag von Ihnen gehört, wie man dieses Problem lösen könnte, außer dass Sie sagen: „Wir wollen das alles nicht. Schluss, aus, ablehnen!“, und uns auffordern, Ihrem Antrag zuzustimmen, damit TTIP gestoppt wird. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Heute reden wir über Schiedsgerichte, und die brauchen wir nun wirklich nicht!) Das ist doch keine Alternative; das ist eine Nullalternative. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Ja, genau! Weil wir das nicht brauchen!) Mit genau dieser Haltung disqualifizieren Sie sich. Wenn man in Verhandlungsprozessen etwas erreichen will, dann muss man ein bisschen Grips in der Birne haben, Herr Ernst. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der LINKEN: Oh!) Man muss sich überlegen: Was könnte man im Interesse Europas ändern? Aber da das Neue Deutschland offensichtlich nicht mehr so viel Stoff liefert, gehen auch Ihnen die Ideen aus. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ich kann nur sagen: Das, was Sie hier zelebrieren, bringt in der Sache überhaupt nichts. Wir hingegen überlegen uns in der Koalition: Welche Vorschläge können wir machen? Frau Malmström hat die Kritik an den internationalen Schiedsgerichtsverfahren ja aufgenommen. Man muss deutlich sagen: Schiedsgerichtsverfahren gibt es auf der ganzen Welt, und zwar auf allen Ebenen. Sie tun aber immer so, als seien sie eine neue Erfindung. Wir sind zum Beispiel froh, dass es bei der WTO, der Welthandelsorganisation, schon seit vielen Jahren ein etabliertes Schiedsgerichtssystem gibt. Diese Schiedsgerichte funktionieren, wie beispielsweise auch China erkennen musste. Als China der Welt die Seltenen Erden verweigern wollte, gab es ein Schiedsgerichtsverfahren, und letztendlich musste sich China dem Spruch fügen. Selbst wenn Sie Nachbarschaftsstreitigkeiten klären wollen, die entstanden sind, weil Sie Ihren Knallbeerenbusch wieder nicht beschnitten haben, können Sie einen Schiedsrichter einsetzen. Außergerichtlich, bevor sich ein Gericht damit befasst, kann man versuchen, mit dem Schiedsrichter eine außergerichtliche Lösung zu finden. Genau das ist der Punkt. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Hier geht es nicht um einen Busch, sondern um Milliarden! Das sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen!) – Es nützt nichts, wenn Sie nur rumschreien. Sie hatten vorhin die Möglichkeit, ein paar kluge Gedanken zu äußern. Die Chance haben Sie vergehen lassen. Das ist Pech für Sie. (Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Ich habe auf Ihre hervorragenden Ausführungen gewartet!) Frau Malmström hat eindeutig vorgeschlagen, dass man vorher wählen soll, ob man den gerichtlichen Weg gehen oder ein Schiedsgerichtsverfahren anstreben will. Wir sollten über diese Vorschläge diskutieren. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das machen wir doch hier!) Sie fragen uns aber nicht nach unserer Haltung dazu, fragen nicht, ob das für uns ein mögliches Modell ist. Ich weiß natürlich, dass auch unser Koalitionspartner Probleme mit den Schiedsgerichten hat. Es geht doch aber darum, das Verfahren so zu modernisieren und so transparent zu gestalten, dass es funktionieren kann und dass die Ängste, die Sie schüren – das ist das Einzige, was Sie erreichen wollen, (Peter Beyer [CDU/CSU]: Richtig!) obwohl damit der Sache nicht gedient ist –, nicht Wirklichkeit werden. Herr Gabriel hat einen Vorschlag zum internationalen Handelsgerichtshof unterbreitet. (Peter Beyer [CDU/CSU]: Guter Vorschlag!) Natürlich kann man den nicht über Nacht einrichten; aber das ist doch eine Idee, über die man einmal nachdenken kann: Was sind die Voraussetzungen dafür? Was muss man tun, auch gesetzlich, um einen solchen Handelsgerichtshof einzurichten? Das wäre doch sinnvoll. Aber Sie verschwenden null Gedanken daran. Sie denken, Gabriel ist Ihr Gegner, und Sie müssen alles versuchen, den Wirtschaftsminister kaltzustellen. Wenn man in der Bevölkerung wirklich Aufklärung betreiben will, dann sollte man sachlich diskutieren. Man sollte die Argumente aller Seiten berücksichtigen und darüber diskutieren. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Was sagen Sie zu den 40 000 in München?) – Sie haben nicht ein einziges Argument vorgebracht. Das ist ja das Problem. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Lämmel, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Ernst? Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Eine würde ich versuchen. – Herr Ernst, legen Sie los, die Zeit läuft mir sonst davon. Vizepräsidentin Petra Pau: Die Uhr ist angehalten. Klaus Ernst (DIE LINKE): Herr Lämmel, Ihren Ausführungen ist deutlich zu entnehmen, dass Sie ein Problem mit der Gerichtsbarkeit der Bundesrepublik Deutschland haben. (Peter Beyer [CDU/CSU]: Frage!) Hätten Sie dieses Problem nicht, würden Sie nicht annehmen, dass ein ausländischer Investor vor deutschen Gerichten unfair oder schlecht behandelt wird. Das ist nämlich die Voraussetzung für die Forderung nach einem internationalen Schiedsgerichtshof. Sie brauchen ihn, weil Sie annehmen – sonst machte das ja keinen Sinn –, dass ein internationaler Investor dort sein Recht bekommt, das ihm vor deutschen Gerichten verweigert werden könnte. Das ist bezeichnend. (Peter Beyer [CDU/CSU]: Der, der so redet, hat den Sinn von Schiedsgerichtsbarkeit nicht verstanden! Ein wichtiges Instrument der Rechtsstaatlichkeit!) Ein zweiter Punkt, Herr Lämmel. Wir haben ja die Möglichkeit, unterirdisch zu diesem Saal zu gelangen. Ich würde Ihnen empfehlen, einmal wieder von vorne in diesen schönen Reichstag zu gehen. Dort steht: „Dem deutschen Volke“, und nicht: „Der deutschen Exportwirtschaft“. (Beifall bei der LINKEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Oh Gott!) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Das war der gleiche Stil, den Sie schon in Ihrer Rede gezeigt haben, Herr Ernst. Ich hatte gedacht, Sie hätten mir zugehört. Ich habe gesagt: Schiedsgerichte gibt es auf allen Ebenen in der Welt, und sie funktionieren. (Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) Das bedeutet aber überhaupt nicht, dass ich der Meinung bin, dass die deutsche Justiz, dass die deutschen Gerichte nicht funktionieren. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Dann brauchen wir sie doch nicht!) – Natürlich brauchen wir sie. Man kann ja versuchen, auf außergerichtlichem Wege zu einer Einigung zu kommen. Zum einen kostet das viel weniger Steuergeld; denn Gerichte werden im Prinzip aus Steuergeldern finanziert. Zum anderen ist eine außergerichtliche Einigung nicht schlechter als eine Einigung vor Gericht. Was haben Sie denn für eine Auffassung? (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das ist doch Gericht! Das ist doch nur ein privates Gericht, aber ein Gericht!) – Das hat doch mit einem privaten Gericht nichts zu tun. Herr Ernst, schauen Sie sich nur einmal die Schiedsgerichtsverfahren bei der WTO an. Dort können Sie sehen, was Schiedsgerichte leisten. Dann werden Sie Ihre Meinung dazu wahrscheinlich ändern. (Peter Beyer [CDU/CSU]: Glaube ich nicht! Hoffnung verloren!) Meine Damen und Herren, um das noch einmal zusammenzufassen: Wir gehen davon aus, dass das Verfahren zu den internationalen Schiedsgerichten im Zusammenhang mit den TTIP-Verhandlungen im Moment ausgesetzt ist und in den Verhandlungsteams in Brüssel darüber diskutiert wird, wie man ein Schiedsgerichtsverfahren, ein Investorenschutzverfahren so modern ausgestalten kann, dass es in der Welt Maßstäbe setzt. TTIP wird, wenn es zum Abschluss kommt, Maßstäbe setzen. Dadurch werden natürlich gerade die Bedingungen für Schiedsgerichte definiert. Diese Maßstäbe werden bei anderen Abkommen nicht mehr unterschritten werden können. Wir lehnen es ab, über Ihren Antrag in der Sache zu entscheiden, und werden eine Überweisung beantragen. Ich kann nur dazu aufrufen: Wenn man dem deutschen Volke dienen will, dann muss man eine sachliche Diskussion führen, und man darf keine Polemik betreiben, wie es die Linke die ganze Zeit tut. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dieter Janecek für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Das ist eine lebhafte Diskussion. Aber ich muss Ihnen, Herr Lämmel, schon sagen: In den ersten Minuten hatte ich den Eindruck, dass Sie nicht über Schiedsgerichte im Rahmen der Freihandelsabkommen zwischen den zwei größten Handelszonen der Welt reden; es klang eher nach Nachbarschaftsstreit und Schiedsrichtern auf dem Fußballplatz. Ein bisschen ernster sollten wir das schon formulieren; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) denn hier geht es darum, ob wir wirklich eine Paralleljustiz für Konzerne etablieren wollen. Da muss ich Herrn Ernst beispringen. Diese Gefahr ist virulent. Da sind wir mit unserer Meinung nicht ganz alleine. Auch der Präsident des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft sagt: Das wollen wir so nicht. – Ich glaube, viele im Mittelstand wollen das nicht, weil das nicht plausibel ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Peter Beyer [CDU/CSU]: Er hat gesagt: Das wollen wir so nicht! Jetzt haben wir es besser gemacht!) Ich sage einmal ganz grundsätzlich: Freihandel ist dann eine gute Sache, wenn er Fairhandel ist. Wir wollen fairen Handel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn wir es hinbekommen, gute ökonomische und soziale Standards festzulegen – wir sind im Moment noch weit weg davon in den Verhandlungen –, dann sind wir nicht dagegen, sondern dafür. Wir sind aber noch weit weg. Ein weiterer Punkt ist: Wenn wir es in den zwei entwickelten Rechtssystemen der EU und der USA noch nicht einmal hinbekommen, dass wir Rechtsstreitig-keiten auf dem Rechtswege in diesen Staaten lösen können, dann verstehe ich die Welt nicht mehr. Auf allen -Podiumsdiskussionen, auf denen ich in den letzten zwei Jahren war – das waren nicht wenige; es waren auch -Podiumsdiskussionen mit dem BDI und anderen Wirtschaftsorganisationen –, konnte mir keiner plausibel erklären, warum wir solche Schiedsgerichte brauchen. Sie können es auch heute nicht erklären. Sie haben bestenfalls das Argument, dass die anderen oder einige unserer Unternehmen aus der Exportindus-trie das vielleicht wollen. Aber es ist doch keine sinnvolle Argumentation, zu sagen: Andere wollen das, deswegen müssen auch wir das machen. – Wir müssen das nicht machen. Im Gegenteil: Wenn die entsprechenden Regelungen nicht aus dem Vertrag herausgenommen werden, dann wird TTIP nicht kommen, und das ist gut so. Das sage ich Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Im Europäischen Parlament hat etwas stattgefunden, wofür zwar nicht Sie, aber doch Ihre Kollegen verantwortlich sind. Darauf kann man schon einmal verweisen. Ich nehme wahr, was in der SPD geschieht. Immerhin macht Herr Gabriel etwas. Er versucht wenigstens, einen Kurs zu finden, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) während in der Union am Anfang gar nicht darüber geredet wurde. Jetzt sagen Sie so nonchalant: Ja, wir waren schon immer für Schiedsgerichte, aber jetzt vielleicht doch nicht so richtig. (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Natürlich sind wir dafür!) – Sie sind dafür, aber andere sind nicht dafür. Es gibt noch andere Stimmen bei Ihnen in der Union, die sehr kritisch sind. Auch die habe ich schon gehört. (Peter Beyer [CDU/CSU]: Wir sind dafür, wenn man es richtig macht!) Wer, bitte, führt denn die Diskussion? Warum führen wir sie? Weil die kritische Öffentlichkeit, die Grünen und die Linken das Thema auf die Agenda gesetzt haben, weil 2 Millionen Menschen eine Petition unterschrieben haben. Deswegen gibt es in der EU-Kommission eine kritische Diskussion, und nicht deshalb, weil Sie Ihre angebliche wirtschaftspolitische Kompetenz, die Sie in dem Bereich gar nicht haben, eingesetzt hätten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das sind doch die Fakten. Wir können stolz darauf sein, dass wir hier im Parlament immer wieder diese Diskussion führen. Man kann von einer gewissen Regelmäßigkeit sprechen. (Peter Beyer [CDU/CSU]: Sternstunde des Parlamentarismus!) Solange Sie nicht endlich zu einer Lösung kommen und wirklich den Druck machen, den wir brauchen, werden diese Diskussionen weitergehen, und das ist auch gut so. Es ist die Rolle der Opposition, das zu befördern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Schauen wir uns einmal die öffentliche Diskussion an. 150 000 Eingaben gab es im Rahmen der Konsultationen. 97 Prozent der Eingaben haben sich gegen die ISDS-Regeln ausgesprochen. Es wächst der Widerstand. Deutschland ist die Speerspitze der kritischen Bewegung, und diese Bewegung ist nicht amerikafeindlich und nicht gegen Freihandel. Sie will einen guten Handel, einen fairen Handel, deswegen sind die Leute auf der Straße. Sie wollen erreichen, dass wir zu einem guten Standard kommen. Sie haben es nicht gebracht. Weil Sie es nicht gebracht haben, müssen Sie sich mit der vehementen Opposition auseinandersetzen. Das ist gut so. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Peter Beyer [CDU/CSU]: TTIP wird ein Erfolg!) Jetzt sage ich Ihnen noch etwas zu den Vorschlägen, die im Raum stehen. Ich selber habe im Handelsblatt gefordert – ich glaube, es war im Februar –, einen anderen Weg zu beschreiten und einen internationalen Handelsgerichtshof für Schiedsgerichtsfragen zu gründen. Das kann man machen, das sollte man anstreben. (Zuruf von der CDU/CSU): Guter Vorschlag!) Warum hat man das nicht schon vor Jahren angestrebt? Das ist die erste Frage. Die Wahrheit ist – aus der Nummer kommt die SPD auch nicht heraus –: Es ist zwar gut, das jetzt zu fordern, aber das kommt nicht in das Abkommen. Wir alle wissen, dass das nicht hineinkommt. Vielleicht kommt es 2025, wenn man sich darauf verständigt. Sollen wir jetzt einen bilateralen Handelsgerichtshof anstreben? Es kann doch nicht Sinn der Sache sein, dass wir eine weitere Institution schaffen, wenn wir es nicht auf internationaler Ebene hinbekommen. Wenn die ISDS nicht herausgenommen werden, dann ist das kein gutes Abkommen. Dabei bleibt es am Ende. Denn Sie können nicht begründen, warum es für bestimmte zahlungskräftige und wirkungsmächtige Unternehmen Sonderrechte geben soll. Dass diese nichts dafür tun werden, soziale und ökologische Standards auszuhebeln, können Sie vielleicht dem Weihnachtsmann oder dem Osterhasen erzählen. Der Bevölkerung können Sie das nicht weismachen. In diesem Sinne fordern wir Sie weiter auf, das Vorhaben zurückzuziehen. Wir werden weiter darauf hinarbeiten, dass es nicht dazu kommt. Freihandel ist gut, wenn es fairer Handel ist. Sonst ist er schlecht. In diesem Sinne danke ich Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Dirk Wiese hat für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dirk Wiese (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass endlich über das Für und Wider von Freihandelsabkommen diskutiert wird. Das ist eine große Errungenschaft, die in den letzten Monaten endlich erreicht wurde. (Beifall bei der SPD) Aber seien Sie ehrlich, lieber Kollege Klaus Ernst. Franz Müntefering hat einmal gesagt: „Opposition ist Mist“. Seien Sie wenigstens so ehrlich, und schreiben Sie im September 2017 auf Ihre Wahlplakate: „Regieren ist Mist“. Dann geben Sie den Bürgerinnen und Bürgern wenigstens eine ehrliche Antwort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sie müssen lesen, was ich dazu gesagt habe! Aber dem verweigern Sie sich ja!) Sie haben jeglichen Gestaltungsspielraum aufgegeben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Gegensatz dazu hat die deutsche Sozialdemokratie den Anspruch, zu gestalten, der Globalisierung Regeln zu geben, Leitplanken zu setzen und sich für eine Stärkung des internationalen Rechts einzusetzen. Willy Brandt hat einst gesagt: „Der beste Weg, die Zukunft vorauszusagen, ist, sie zu gestalten“, und das macht die SPD. (Beifall bei der SPD – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Die Richtung ist egal! Wohin ist wurscht!) Ich kann vor dem, was Bernd Lange in den letzten Wochen und Monaten im Europaparlament geleistet hat, nur den Hut ziehen. Er versucht, Handelspolitik zu gestalten. Er duckt sich nicht weg, und er wird auch weiterhin versuchen, etwas Gutes zu erreichen. Dafür gebührt Bernd Lange ein großes Dankeschön von dieser Seite. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum hat denn die SPD die Abstimmung verhindert im Parlament? – Zuruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) – Herr Ernst und Herr Kindler, Sie können noch mehr Zwischenrufe machen. Aber die SPD-Bundestagsfraktion ist die einzige Fraktion im Deutschen Bundestag, die sich seit Januar 2014 in einer Arbeitsgruppe mit den Freihandelsabkommen auseinandersetzt. Wo machen Sie das denn bitte schön? (Beifall bei der SPD – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein toller Scherz! Wo sind denn die Anträge hier im Plenum? Was kommt denn dabei heraus?) Wir führen im Willy-Brandt-Haus eine Konferenz zu Freihandelsabkommen durch, auf der wir Reformvorschläge diskutieren. Wir reden auch darüber, wie man die ISDS reformieren kann. Das geht über TTIP und CETA hinaus. Wir haben mit den Kolleginnen und Kollegen von CDU und CSU die Mauritius-Konvention auf den Weg gebracht. Damit gelten für schon bestehende Investitionsschutzverträge neue Transparenzregeln. Ich freue mich über die Worte des Kollegen Lämmel in der heutigen Debatte, als durchgeklungen ist, dass er die Vorschläge von Sigmar Gabriel zu einem internationalen Handelsgerichtshof begrüßt. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das ist Lobhudeln! Das ist alles!) Kollege Janecek, Sie haben gerade gesagt, dass Sie nicht für TTIP sind. Aber Sie entscheiden letztlich nicht darüber. Ich glaube, das machen Winfried Kretschmann und die exportorientierte Automobilwirtschaft in Baden-Württemberg. Daran müssen Sie sich wahrscheinlich noch gewöhnen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Deswegen kann man aber trotzdem dagegen sein, Herr Wiese!) Aber zurück zu Ihnen von der Linksfraktion. Herr Ernst, Sie merken doch gar nicht, dass andere Regionen in der Welt dabei sind, uns abzuhängen. Allein in Asien sind 100 Freihandelsabkommen in Kraft, und während ich spreche, werden gerade 75 weitere verhandelt. Sie werden es nie verstehen: Wenn man in der internationalen Handelspolitik nichts macht, dann heißt das nicht, dass nichts passiert. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Stimmt! Wir sind Exportweltmeister!) Es heißt vielmehr, dass die anderen es machen und man selber nur zuschaut. Europa ist keine Insel. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Deutschland ist in der internationalen Handelspolitik kein abgeschotteter Raum. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Stimmt auch!) Wir als Sozialdemokratie wollen für unser Land und die Menschen vor Ort (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Verkauft Daimler keine Autos?) soziale und wirtschaftliche Perspektiven erreichen, statt den Stecker zu ziehen und zu hoffen, dass der Strom irgendwo anders herkommt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das ist aus den 80er-Jahren! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Das ist niveaulos!) Ihre Obstruktionspolitik, die sich auch in Ihrem Antrag zeigt, führt in der Konsequenz dazu, dass das alte IS-System mit allen seinen Defiziten bestehen bleibt. Sie wollen gar keine Reform des bestehenden Systems. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wir wollen keine Schiedsgerichte! Das steht doch drin!) Mit Ihrer Dagegen-Haltung unterstützen Sie doch gerade unregulierte Märkte. Sie wollen die Globalisierung gar nicht gestalten. Die Großkonzerne werden Ihrer Fraktion für diese Haltung danken. Herzlichen Glückwunsch dafür! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Es geht um die Schiedsgerichte! Wollen Sie die, oder wollen Sie sie nicht? Sind Sie dafür oder dagegen? Das Herumgeeiere geht weiter wie bisher! Wo ist denn Ihre Position? Ihr habt doch keine Position!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bundesminister Gabriel hat Vorschläge erarbeitet, die deutlich machen, wie man Handelspolitik gestalten kann, nämlich indem man sich auf den Weg zu einem internationalen Handelsgerichtshof macht. Diese Position der Sozialdemokratie – das wissen wir – ist nicht einfach. Aber das bedeutet es, Politik zu gestalten. Das ist Politikgestaltung: sich auf den Weg zu machen, statt sich wegzuducken, wie Sie es machen. Sigmar Gabriel hat die Vorschläge des Professors Krajewski aufgegriffen, die Ihnen bekannt sind. Für vergleichbare Rechtsstaaten soll es keine ISDS geben. Aber wir müssen darüber hinaus die ISDS reformieren. Es sind doch viel mehr Abkommen in der Pipeline als nur diese beiden. Das wissen Sie auch. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: In die Debatte kommen, wenn man es nicht braucht! Was ist das für eine Logik?) Weitere Punkte sind: keine weiter gehenden Rechte für Investoren als nach dem Grundgesetz möglich, Einschränkung von Investorenrechten und die Präzisierung von Schutzstandards. Alle Richter sollen unabhängig und kompetent sein, von den Vertragsparteien ernannt werden, und zwar mit einem festen Geschäftsverteilungsplan und einem verbindlichen Verhaltenskodex. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das kriegen Sie doch in 14 Tagen nicht mehr hin! Mein Gott!) Es sollen die UNCITRAL-Transparenzregeln gelten: transparent und öffentlich. Neben der Einrichtung einer zweiten Instanz soll auch über die Einklagbarkeit von Arbeits- und Sozialschutzstandards nachgedacht werden. An diesem Punkt bin ich doch bei Ihnen. Seien Sie doch einmal froh, dass Sigmar Gabriel so einen Vorschlag zu den Schiedsgerichten gemacht hat. Ganz ehrlich: Bei Ihrer neuen Fraktionsdoppelspitze brauchen Sie demnächst ein permanentes Schiedsgericht im Deutschen Bundestag, (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Nicht neidisch sein!) weil Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch in Ihrer Fraktion demnächst wahrscheinlich ständig Konflikte austragen. Auf der Fraktionsebene könnten wir ein solches Dauerschiedsgericht einrichten. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Weiter so! – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Muss man sich das wirklich anhören? – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Bei einem Aufsatz würde ich sagen: Thema verfehlt!) Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, wenn Sie in Ihrem Antrag schon Zitate verwenden, dann zitieren Sie den Interviewtext bitte als Ganzes und nicht so, dass es so aussieht, als ob die Sozialdemokratie in Europa zersplittert sei. Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann sieht die Punkte strittig, mit denen sich auch die deutschen Sozialdemokraten im Bundestag kritisch auseinandersetzen. Er sagt: Freien Handel zu verbieten wäre sinnlos. Keine Frage, wir wollen Freihandelsabkommen, aber ohne ISDS. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Genau!) Faymann erteilt TTIP keine grundsätzliche Absage, sondern will dieses Abkommen, wie die SPD, reformieren; er will gestalten. Das ist etwas ganz anderes, als Sie wollen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Er will die Schiedsgerichte nicht! Das hat er gesagt! Das ist unser Antrag! Lesen bildet!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Hänsel? Dirk Wiese (SPD): Ja klar, selbstverständlich. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön, Frau Hänsel. Heike Hänsel (DIE LINKE): Danke schön, Frau Präsidentin. – Lieber Kollege Wiese, Sie machen hier jetzt den starken Max. (Beifall des Abg. Alexander Ulrich [DIE LINKE]) Das alles ist ja auch schön und gut. Sie sagen, wie Gabriel sich hier einsetzt, was alles auf der Tagesordnung ist usw. In dieser Woche erfolgte im Unterausschuss eine Unterrichtung. Es ging unter anderem darum, was beim G7-Gipfel diskutiert und behandelt wurde. Ich habe nachgefragt, ob die alternativen Ideen zu einem internationalen Schiedsgericht zur Sprache gekommen sind und ob die Diskussionen, die wir hier führen, beim G-7-Gipfel behandelt oder auch nur mit einem Wort einmal erwähnt wurden. Die Antwort war: Nein, es wurde auf dem G-7-Gipfel überhaupt nicht darüber diskutiert, ob die Schiedsgerichte vielleicht hinterfragt werden. Das war kein Thema. (Peter Beyer [CDU/CSU]: Sie wissen schon, wer das verhandelt?) Ich frage mich, wie Sie sich eigentlich hierhinstellen und uns so eine Nummer vorspielen können. Sie bauen einen Popanz auf, hinter dem real überhaupt nichts steht. Das ist nur heiße Luft. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dirk Wiese (SPD): Frau Kollegin Hänsel, ich danke Ihnen für die Frage und dafür, dass ich das noch einmal klarstellen kann. – Wir haben zusammen in dem Unterausschuss gesessen, und die Verantwortliche aus dem Bundeskanzleramt, sozusagen die Sherpa, die den G-7-Gipfel vorbereitet hat, hat auf Ihre Frage hin gesagt, dass das nicht konkret besprochen worden ist. Sie müssen ja wissen, wer am Tisch gesessen hat. In der Abschlusserklärung steht etwas zum Freihandelsabkommen mit Japan und zum transpazifischen Abkommen. Außerdem steht darin, dass der WTO-post-Bali-Prozess vorangebracht werden soll, und am Ende steht der entscheidende Satz – diesen haben Sie gerade auch bewusst unterschlagen –, dass wir bis zum Jahresende nicht zu einem Abschluss der TTIP-Verhandlungen kommen werden. Sie sagen doch immer, das werde in nächster Zeit abgestimmt und dass bis zum Jahresende etwas vorliegen soll. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Aber CETA ist fertig! Lesen Sie nicht?) In der G-7-Erklärung steht, dass bis zum Jahresende Grundzüge vorliegen sollen, worauf sich geeinigt werden könnte. Es sind viele Konjunktive an dieser Stelle. Das heißt, wir Sozialdemokraten – und Sigmar Gabriel im Besonderen – haben noch Spielraum dafür, Verbesserungen durchzusetzen. Lassen Sie uns das doch versuchen! Wieso sollen wir das denn nicht machen? (Beifall bei der SPD – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Oje! Sigmar Gabriel hat einen Spielraum!) Wenn Sie mit Ihren Forderungen durchkommen, dann bleibt das alte ISDS-System bestehen. Das kann doch nicht richtig sein. Deshalb brauchen wir bessere Regeln für den Welthandel. Darum machen wir das. Das ist der Anspruch der Sozialdemokratie. Das heißt aber auch – um darauf zum Schluss noch einmal einzugehen –, dass wir auch stärker darauf drängen müssen, dass die Buy-American-Clause fällt. Hier haben wir ein offensives Interesse – gerade auch für unsere mittelständischen Unternehmen, zum Beispiel bei mir vor Ort im Sauerland. Wir wissen doch, wie die Debatte läuft. Im nächsten Jahr stehen in den USA die Präsidentschaftswahlen an. Das wird den ganzen Prozess verzögern; das wird nicht vorangehen. Darum ist es gut, dass wir über den Freihandel diskutieren und Verbesserungen erreichen wollen. Wir dürfen aber nicht den Kopf in den Sand stecken und alles permanent ablehnen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Professor Dr. Heribert Hirte, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist wie immer bei Anträgen von den Linken: sehr laut und nicht lustig. Lustig war es bei der SPD; das muss man eingangs wirklich einmal sagen. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Was war denn da lustig?) Schauen wir uns den Antrag jetzt doch einmal genau an. Sie schreiben darin, dass Sie keine Paralleljustiz wollen. – Sie haben es noch nicht verstanden. Es geht hier um Abkommen zwischen Staaten, und zwischen Staaten gibt es überhaupt kein staatliches Justizsystem. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Den Europäischen Gerichtshof!) Das wollen wir mit dem Handelsgerichtshof schaffen; dies wurde unter anderem von Sigmar Gabriel vorgeschlagen. Im Augenblick ist von Paralleljustiz gar keine Rede. Erster Fehler in Ihrem Antrag. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das sagt doch die SPD selber! Das sagt die SPD!) – Sie sollten ein bisschen Redezeit beantragen. Aber Sie haben ja schon x-mal zu diesem Thema gesprochen. Wir kennen das alles. Das ist wirklich langweilig. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wir beantragen beim nächsten Mal eine Aktuelle Stunde!) Gehen wir es weiter durch. Zweiter Fehler: Sie reden von internationalen Konzernen und davon, dass das alles diesen Konzernen nutzen soll. Nein, die internationalen Konzerne brauchen keine Freihandelsabkommen, die können sich selber helfen. (Zuruf von der CDU/CSU: Ganz genau!) Wir wollen den deutschen, den tschechischen, den niederländischen, den französischen (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Dem Bäcker aus Gütersloh! Dem nutzt das!) und umgekehrt auch den amerikanischen Unternehmen helfen, damit sie auf der anderen Seite des Atlantiks Geschäfte machen können. Das ist unser Anliegen, und das konterkarieren Sie. Damit handeln Sie gegen die Interessen der Arbeitnehmer. (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN) Es geht nicht um Konzerne, sondern es geht um normale Unternehmen, ganz normale kleine und mittelständische Unternehmen, (Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) die nach dem augenblicklichen Stand nicht nach Amerika exportieren können. Diesen Unternehmen wollen wir die Chance geben, es den Großen gleichzutun. Sie reden nur von den Großen. Wir reden von den kleinen und den mittelständischen Unternehmen. Das ist die Wahrheit. Das sollten Sie einmal begreifen. (Beifall bei der CDU/CSU) Weiter heißt es hier, dass Sie gegen Sonderklagerechte sind, die Investoren ein exklusives Recht einräumen. Das ist doch auch falsch. Es geht um Abkommen zwischen Staaten. Da klagen normalerweise die Staaten. Der normale Weg wäre, dass ein Mensch aus dem einen Staat sagt: Ich möchte von meinem Staat, dass er gegen den anderen Staat vorgeht. (Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) Wenn wir ihm das erleichtern, ist das gelebte Subsidiarität. Es geht darum, dass die Unternehmen des einen Staates unmittelbar in dem anderen Staat klagen können. Ich würde mir wünschen, wir hätten eine solche Regelung auch bei Doppelbesteuerungsabkommen, sodass die Kläger ihre Rechte unmittelbar gegenüber den Begünstigten geltend machen können. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Hirte, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst? (Zurufe von der CDU/CSU: Oh nein!) Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Schon wieder? Vielleicht in ein paar Minuten; es könnte sein, dass sich die Frage dann schon erledigt hat. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: In ein paar Minuten haben Sie keine Redezeit mehr. Dann geht es nicht mehr. Sie sagen also Nein? – Bitte schön. (Zuruf von der CDU/CSU: Danke, Heribert!) Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Das bedeutet doch, dass es um eines geht: Irreführung, Fehlangaben, Fehldarstellungen. Das verbreiten Sie hier. Dem sitzen leider viele Leute in unserem Land auf. Das bedeutet: Wir müssen die Dinge richtigstellen. Daran arbeiten wir. Ich finde es bedauerlich, dass sich der Deutsche Gewerkschaftsbund jetzt auch in die Liste der TTIP-Gegner eingereiht hat. (Beifall des Abg. Alexander Ulrich [DIE LINKE]) Wissen Sie, der DGB hatte vorher Zeit; denn bei der Europäischen Kommission gab es eine Anhörung. Dort hat sich der DGB nicht geäußert. Der Vertreter des DGB, mit dem ich ein paar Mal auf dem Podium zusammensaß, hat gesagt: Wir fanden es nicht wichtig. – Interessant, jetzt, wo Sie laut schreien, findet er das wichtig. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Weil sie sich damit beschäftigt haben!) Das ist kein sachliches Argument. Aber sachliche Argumente liegen Ihnen ja sowieso nicht besonders. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie schreiben weiter in Ihrem Antrag: Wir wollen hohe Schadenersatzforderungen ausschließen. Haben Sie eigentlich einmal darüber nachgedacht, was die Alternative im staatlichen Rechtssystem ist? Gerade im Fall Vattenfall wird ja auch vorm Bundesverfassungsgericht geklagt. Das Bundesverfassungsgericht kann die Gesetze für unwirksam erklären. Das geht also viel weiter als das, was Sie hier für schrecklich halten. Auch das müssen Sie den Bürgern sagen. Auch hier Irreführung und Nebelkerzen, und zwar genau die Nebelkerzen, von denen Sie eben gesprochen haben. Zu Schadenersatzforderungen – ich zitiere weiter aus Ihrem Antrag –: Zudem darf sich ein souveräner Staat nicht einem Klagerisiko und dem mit diesem Risiko verbundenen Einschüchterungseffekt aussetzen. Ehrlich gesagt, wenn es stimmt, dass ein Staat nicht verklagt werden darf, dann darf staatliches Unrecht nicht überprüft werden. Das scheint aber Ihre eigentliche Denke zu sein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der LINKEN) Da muss ich sagen: Sie haben mit dem Rechtsstaatsverständnis Probleme. Deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen. Das wundert Sie wahrscheinlich sowieso nicht. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Wir sind hier nicht im Ohnsorg-Theater!) Jetzt sollten wir über die Frage nachdenken: Was sind die Alternativen? Ich bin den Grünen ausdrücklich dankbar, die gesagt haben, dass wir natürlich über diese Frage nachdenken können. Wir haben das getan, und wir haben hier bisher nicht nur einen Antrag zu diesem Thema beraten. Wir wissen, dass es bei Schiedsverfahren manche Dinge gibt, die nicht so laufen, wie man es sich wünscht. Das hängt nicht damit zusammen, dass es irgendwelche anonymen großen Industrien gibt, die das so durchgesetzt haben, sondern es hängt schlicht damit zusammen, dass wir Hunderte von Schiedsverfahren in der Welt haben, bei denen man über diese Frage nicht nachgedacht hat. Ich bin Ihnen dankbar, dass wir das jetzt diskutieren können. Das ist schon eine gute Sache. Aber die Frage ist: In welche Richtung diskutieren wir? Ich möchte das wiederholen, was ich zu diesem Punkt schon mehrfach gesagt habe: Ich halte es für richtig, über ein stehendes internationales Gericht nachzudenken, in dem Profis in dieser Sache entscheiden. Das sind die Vorschläge, die jetzt von Gabriel und Malmström ins Gespräch gebracht wurden. Ich habe hier gesagt: Wir können als Deutscher Bundestag bei vorhandenen Freihandelsabkommen autonom daran arbeiten, die Auswahlentscheidung in unsere Hände zu nehmen. Wir haben die Entscheidungsbefugnis über die Auswahl der Richter am Europäischen Gerichtshof auch vom Wirtschaftsministerium auf uns übertragen. Das könnten wir bei Schiedsgerichtsinstitu-tionen genauso machen, und auf europäischer Ebene könnte dies das Europäische Parlament machen. Lassen Sie uns doch über solche Vorschläge reden. Sie sind seit längerem in der Welt. Das war wohl auch einer der Gründe dafür, warum das Wirtschaftsministerium und die Europäische Kommission über Alternativen nachdenken. Lassen Sie uns über die Frage reden, wie sich nationaler und internationaler Rechtsweg – jedoch nicht zwingend Schiedsrechtsweg – zueinander verhalten, dass man sich die Wege nicht aussuchen kann, sondern die sogenannte „fork in the road“ hat, nämlich dass man nur eine Klage erheben und nicht zwischen den Rechtswegen hin und her wechseln kann. Wir können gern über eine Berufungsinstanz reden, aber ich sage auch: Das Bundesverfassungsgericht fordert keine Berufungsinstanz. Wir sind an anderer Stelle durchaus auf der Linie, dass wir sagen: Verfahren sollen nicht unnötig verlängert werden. Es gilt, das gegeneinander abzuwägen. Schließlich: Es ist richtig, Schiedsverfahren erfolgen sozusagen auf der Basis von Stundenhonoraren. Das heißt, sie sind für große Unternehmen relativ billig und für kleine Unternehmen relativ teuer. Da haben Sie den Vorsitzenden des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft in der Tat richtig zitiert. Aber deshalb wollen wir daran arbeiten, solche Verfahren auch für die Unternehmen zugänglich zu machen, die nach dem bisherigen System keinen Zugang dazu haben. Das bedeutet: Wir wollen TTIP auch für die kleinen und mittelständischen Unternehmen; denn transatlantischer Handel ist gut für die Bürger in Europa und auch für die Bürger auf der anderen Seite des Atlantiks. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort zu einer Kurzintervention hat jetzt der Kollege Klaus Ernst. Klaus Ernst (DIE LINKE): Herr Hirte, Sie haben uns vorgeworfen – ich darf -zitieren –: Irreführung, Falschdarstellungen. (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) Jetzt haben Sie gesagt, es gehe Ihnen in dem Zusammenhang gar nicht um die großen Konzerne, sondern um Kleinbetriebe. Vorher hat Ihr Kollege Lämmel richtigerweise gesagt – manchmal findet auch ein blindes Huhn ein Korn –, dass es schon eine ganze Reihe von Schiedsverfahren gibt, die in Abkommen vereinbart sind. Da hat er recht. Erstens. Können Sie ein Unternehmen mit unter 100 Beschäftigten nennen, das vor einem bestehenden internationalen Gerichtshof geklagt hat? Sie werden keines finden. Alle Unternehmen, die bisher vor internationalen Schiedsgerichten geklagt haben, waren große Konzerne: Vattenfall, Lone Pine, Philip Morris. Sie behaupten aber hier, es gehe bei diesen Fragen mehr um die Kleinen, und Sie werfen uns Fehldarstellungen vor. Es ist eine eklatante Fehldarstellung, zu sagen, es gehe bei diesen Fragen um die kleinen Unternehmen. Es geht in der Praxis schlichtweg um die großen Konzerne. Zweitens. Sie haben gesagt, es gehe nun darum, diese Vorschläge ernst zu nehmen und zu implementieren. Glauben Sie wirklich, und das ist eine Frage, die Sie gern beantworten können, dass im CETA, dem Freihandelsabkommen mit Kanada, das fertig verhandelt wurde, die Vorschläge eines internationalen Handelsgerichtshofes noch eine Rolle spielen? Und wie würden Sie sich verhalten, wenn diese Vorschläge im CETA nicht berücksichtigt werden? Stimmen Sie dann zu, oder stimmen Sie dagegen? Und genau das müssen sich auch die Sozialdemokraten überlegen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Jetzt hat der Kollege Hirte die Gelegenheit, zu antworten. – Bitte schön. Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Sie haben es richtig gesagt: Sie reden über die Vergangenheit. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Zukunft! CETA!) Wir wollen die Verfahren und auch die Abkommen so erweitern, dass auch kleine und mittelständische Unternehmen vom transatlantischen Handel profitieren können. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Können sie doch jetzt schon!) Das ist die zukunftsorientierte Sichtweise unserer Fraktion, und im Übrigen ist es auch die der SPD. Wenn Sie nach CETA fragen: Über CETA reden wir gesondert, wenn die Abstimmung darüber ansteht. Dann werden wir gucken, wie weit wir bei dem Thema Schiedsverfahren sind, und dann werden wir da auch eine Entscheidung treffen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke schön. – Für die SPD-Fraktion erhält jetzt Dr. Nina Scheer das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Nina Scheer (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, wir alle hier in diesem Haus sollten uns vergegenwärtigen, warum wir diese Diskussionen führen. Der Grund ist, dass wir eine Prozessverantwortung zu übernehmen haben. Es geht darum, dass sich die Parlamentarier, auch wenn sie nicht unmittelbar am Verhandlungstisch sitzen, damit befassen sollten, was zwischen der Erteilung eines Verhandlungsmandats und dem späteren Abschluss eines Handelsabkommens steht. Zwischen dem formaljuristischen Auftrag an die Kommission, doch bitte etwas auszuhandeln, und der späteren Aufforderung zur Ratifizierung kann sich einiges verändert haben. Diese Änderungen liegen in der Natur der Sache von solchen über Jahre auszuhandelnden Abkommen. Deswegen sollten wir uns hier nicht gegenseitig das Leben schwer machen, wenn es darum geht, genau diese Prozessverantwortung zu übernehmen und diese Dinge, die sich in den letzten Jahren und vor allem in den letzten Monaten im Laufe dieses Prozesses, also auch während der Verhandlungen, als Änderungsbedarfe gezeigt haben, fortzuentwickeln. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: CETA ist fertig!) Die SPD hat in dem Bereich der Fortentwicklung von Handelsabkommen mit ihrem Konventbeschluss schon entscheidende Fortschritte erzielt. Sie hat aufgezeigt, wo der Nutzen liegen könnte, hat aber auch ganz klar aufgezeigt, wo die roten Linien sind. Ich sehe überhaupt nicht, dass wir zurzeit dabei wären, diese roten Linien zu überschreiten. Ganz im Gegenteil: Der Vorschlag, zu einer ordentlichen Gerichtsbarkeit bzw. weg von den Schiedsgerichten zu kommen, ist ein erster wichtiger Schritt. Es geht in den weiteren Schritten darum, zu überprüfen, inwieweit regulatorische Kooperationen möglicherweise eine Aushebelung bedeuten können oder inwieweit der zurzeit noch verfolgte Negativlistenansatz tatsächlich innerhalb der roten Linien, die man definiert hat, umzusetzen ist. Wenn wir jetzt – wir sehen ja, wie schwierig es ist, zu den einzelnen Punkten vorzudringen – einfach sagen: „Das Europaparlament hat eine Schlappe erlitten“, dann finde ich das den Kollegen gegenüber nicht fair. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Es ist aber so!) Es gab eine intensive Auseinandersetzung. Es gab einen Beschluss vom Handelsausschuss. Es gab auch noch zusätzliche Änderungen. All das zeigt: Die Debatte lebt. Gleichzeitig gilt aber die Verfahrensvorschrift: Wenn es zu viele Änderungen gibt, dann muss die Debatte vertagt werden. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Aber nicht die -Debatte! Die Abstimmung!) Was ist bitte schön daran das Problem? Insofern möchte ich an Sie appellieren, diesen Prozess wertzuschätzen. Wir sind zurzeit dabei, die Gerichtsbarkeit zu ändern, obwohl das Verhandlungsmandat ebendiese Schiedsgerichtsbarkeit vorsieht. Das ist eigentlich ein historischer Schritt. Es ist die Arbeit der Parlamentarier, nicht die der Kommission, zu sagen: Es gibt diese Gestaltungsspielräume. Wir brauchen sie, und wir haben ein Recht darauf. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn Sie jetzt einfach behaupten, lieber Herr Ernst, dass mit der Schaffung der Gerichtsbarkeit der Investi-tionsschutz zementiert würde – so ähnlich haben Sie sich gerade ausgedrückt, auf den Wortlaut möchte ich mich hier nicht festlegen –, dann ist das einfach falsch. Die Verhandlungen zur Gerichtsbarkeit sind, wie gesagt, ein erster wichtiger Schritt, von der Schiedsgerichtsbarkeit wegzukommen. Aber was nun tatsächlich Rechtsmaterie ist, ob die Bürger außen vor bleiben sollen, wie Sie das unterstellt haben, ist überhaupt nicht geregelt. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Eben!) Das Konzept, das zurzeit verhandelt wird, erhebt überhaupt nicht den Anspruch, materiell-rechtliche Vorgaben zu machen oder die Situation der Kläger zu beschreiben. Es geht einfach um das Format des Gerichtes an sich. In der Frage, was als Verhandlungsmaterie vor solchen Gerichten überhaupt rechtsfähig wird, ist es unsere Aufgabe, das zu definieren und eben dafür Sorge zu tragen, dass die Gestaltungshoheit in den einzelnen Mitgliedstaaten und auch aufseiten der Verhandlungspartner nicht ausgehebelt wird. Das müssen wir noch weiter gestalten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Insofern sollten wir erkennen – diese kleine Kritik muss sich die Europäische Kommission gefallen lassen –, dass wir in der Europäischen Union möglicherweise ein Demokratiedefizit in der Form vorfinden, dass die Erteilung von Verhandlungsmandaten an die Kommission zu weitgehend ist, um diese Mandate, wenn sich Änderungsbedarfe ergeben, noch zu ändern. Daher sollten wir uns aufgrund dieser Prozesse grundsätzlich fragen, ob es nicht sinnvoll ist, schon im Prozess selbst Konsultationsverfahren und auch die Einbeziehung der Parlamentarier des Europäischen Parlaments vorzusehen. Nur so kann man auch die rechtlichen bzw. die politischen Ansprüche, die sich entwickeln, konform mit dem machen, was formaljuristisch für diese Prozesse vorgesehen ist. Zurzeit darf die Kommission alles geheim halten und sich ins stille Kämmerlein zurückziehen. Wir müssen dann alles wieder mühselig hervorholen. Wir haben nun herausgearbeitet, dass es so nicht geht. Unsere Aufgabe muss sein, an der Wurzel anzusetzen und zu fordern: Für die heutigen und alle zukünftigen Verhandlungen gilt, dass der Parlamentarismus eine bessere Wertschätzung erfährt und dass er eingreifen können muss, wenn etwas schiefläuft. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Da sind wir mit dem, was auf Initiative von Sigmar Gabriel vorgeschlagen wurde, auf einem guten Weg. Ich bitte euch alle, daran anzuknüpfen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke schön. – Damit ist die Aussprache beendet. Wir kommen nun zum Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/5094. Die Fraktion Die Linke wünscht Abstimmung in der Sache. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen Überweisung, und zwar federführend an den Ausschuss für Wirtschaft und Energie und mitberatend an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz sowie an den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union. Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag angenommen, und zwar mit der Mehrheit der Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Damit stimmen wir heute nicht über den Antrag auf Drucksache 18/5094 in der Sache ab. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des nationalen Bankenabwicklungsrechts an den Einheitlichen Abwicklungsmechanismus und die europäischen Vorgaben zur Bankenabgabe (Abwicklungsmechanismusgesetz – AbwMechG) Drucksache 18/5009 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich sehe, dass Sie damit einverstanden sind. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Bundesregierung hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Michael Meister. – Bitte schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben im vergangenen Jahr die Bankenabwicklungsrichtlinie für das Jahr 2015 umgesetzt und damit die notwendigen Regelungen zur Bankenabwicklung geschaffen. Nun beabsichtigen wir, mit dem Gesetz, dessen Entwurf vorliegt, das nationale Recht so anzupassen, dass der einheitliche europäische Abwicklungsmechanismus ab 2016 seine volle Wirkung entfalten kann. Mit diesem Gesetz sind wir Vorreiter in Europa. Viele andere Mitgliedstaaten haben die neuen Abwicklungsregeln der Bankenabwicklungsrichtlinie noch nicht umgesetzt und müssen auch die intergouvernementale Vereinbarung zur Bankenabgabe ratifizieren. Sinn und Zweck ist, dass wir zu geordneten Verfahren in Krisensituationen von Banken und Bankinstituten kommen, insbesondere dann, wenn es sich um grenzüberschreitende Konstellationen handelt. Wir wollen nicht im Bail-out verbleiben, sondern zum Bail-in kommen. Das heißt, nicht die Steuerzahler, sondern Eigentümer und Gläubiger der Banken tragen die Last von Fehlentwicklungen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Der volle Start des Einheitlichen Abwicklungsmechanismus wird das institutionelle Gefüge der Bankenabwicklung künftig noch einmal verändern. Hierauf reagieren wir mit dem Abwicklungsmechanismusgesetz. Der Gesetzentwurf stellt klar, inwieweit die nationalen Bankenabwicklungsvorschriften neben der SRM-Verordnung in der Praxis anwendbar sind. Die nationale Abwicklungsbehörde, die Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung, wird ermächtigt, Beschlüsse des Ausschusses, des handelnden europäischen Organs des Einheitlichen Abwicklungsmechanismus, umzusetzen. Über diese Anpassung hinaus wird durch das Abwicklungsmechanismusgesetz – das ist uns ein besonderes Anliegen – auch das neue Abwicklungsregime praxistauglich gestärkt werden. Das geschieht in dreierlei Hinsicht: Erstens. Ich habe es eben erwähnt: Wir ziehen die Gläubiger heran. Diese Heranziehung der Gläubiger soll erleichtert werden. Dafür synchronisieren wir als Erstes das Insolvenzrecht für Banken mit den Bedürfnissen eines Bail-in-Mechanismus. Wir schaffen insolvenzrechtlich Nachrang für Schuldtitel, deren Bail-in in besonders rascher und rechtssicherer Weise möglich ist und die relativ geringe Ansteckungsgefahren bergen. Aus Abwicklungssicht ist dies ein wichtiger Schritt für die praktische Anwendung der Abwicklung und damit der Glaubwürdigkeit des Bail-in insgesamt. Durch diese Rangabstufung wird es der Abwicklungsbehörde erleichtert, eine Übersicht über den Umfang und den Wert des Bail-in-fähigen Materials in -einem Institut zu gewinnen. Diese Regel begrenzt Ansteckungsgefahren beim Bail-in und schützt dadurch auch die Finanzstabilität. Ferner minimiert sie Rechtsrisiken bei der Anwendung des Bail-in-Instruments. Damit werden – das habe ich vorhin angesprochen – öffentliche Mittel und damit der Steuerzahler geschont. Je beherrschbarer die mit einem Bail-in einhergehenden Risiken sind, desto sicherer kann das Instrument im Krisenfall eingesetzt werden. Je sicherer das Bail-in-Instrument praktisch zur Verfügung steht, desto glaubwürdiger ist es. Die Glaubwürdigkeit des Bail-in-Instruments aber ist von zentraler Bedeutung. Nur wenn die Märkte das Haftungsprinzip verinnerlichen, verhindern wir im Vorfeld Fehlanreize und beugen damit schon dem Entstehen der Krisen vor. Der zweite Aspekt betrifft die grenzüberschreitende Abwicklung. Ob wir in der Lage sind, auch komplexe grenzüberschreitende Sachverhalte in der Krise zu beherrschen, gilt als Praxistest für die Bankenabwicklung überhaupt. Das betrifft fast alle denkbaren Abwicklungssituationen; denn die allermeisten größeren Banken sind eben nicht nur national tätig, sondern grenzüberschreitend im Geschäft. Kernfrage ist hier, was passiert, wenn wir im Rahmen des Krisenmanagements eine Maßnahme treffen und Rechtsordnungen anderer Länder diese schlicht nicht anerkennen. Exemplarisch dafür ist folgendes mögliche Problem bei der Abwicklung von Derivateverträgen: Hier könnten über Kündigungsklauseln Kettenreaktionen drohen, die ein Abwicklungsszenario außer Kontrolle geraten lassen. Ausländische Rechtsordnungen liegen aber selbstverständlich außerhalb unserer Einflusssphäre. Damit aber solche schwierigen Situationen gar nicht erst eintreten können, gehen wir nun den Weg einer Absicherung über die Vertragsgestaltung. Künftig müssen in Deutschland agierende Banken in den Finanzkontrakten, die außereuropäischem Recht unterliegen, die An-erkennung von Aussetzungsmaßnahmen der deutschen Abwicklungsbehörde zum Vertragsinhalt machen. Dies verhindert, dass im Abwicklungsfall grenzüberschreitende Derivateverträge gekündigt werden und dadurch die Krise des Instituts vertieft wird. Drittens sorgen wir dafür, dass auch in der Zeit, in der der europäische Abwicklungsfonds noch aufgebaut wird, die Handlungsfähigkeit erhalten bleibt. Die Mittel, die 2011 bis 2014 von deutschen Banken in den nationalen Restrukturierungsfonds eingezahlt wurden, sollen aus diesem Grund zunächst weiter vorgehalten werden. Diese Mittel stehen während der Aufbauphase als Darlehen an den europäischen Fonds zur Verfügung, um gegebenenfalls dort auftretende Finanzierungslücken, weil dieser noch nicht voll befüllt ist, schließen zu können. Ein weiteres Element des Gesetzentwurfs hängt inhaltlich nicht mit dem Thema Abwicklung zusammen; zum Thema „praktische Durchsetzung von Regeln“ passt es aber sehr gut. Wie im Koalitionsvertrag angekündigt, wird der Informationsfluss zwischen der BaFin und den Finanzbehörden verbessert, um Steuerhinterziehung wirksamer bekämpfen zu können. Die BaFin muss künftig bei allen Straftaten Informationen an die Steuerbehörden liefern. Um Probleme anzugehen, sind Regeln unverzichtbar. Zur wirklichen Problemlösung ist allerdings die Existenz von Regeln nur der halbe Weg. Um wirken zu können, müssen die Regeln in ihren Auswirkungen vorhersehbar und die praktische Anwendung glaubwürdig sein. Hierzu leistet aus Sicht der Bundesregierung das Abwicklungsmechanismusgesetz für den Bereich der Bankenabwicklung einen wichtigen Beitrag. Es macht besser vorhersehbar, womit Investoren im Falle einer Bankenkrise zu rechnen haben, und erleichtert es den Märkten, sich darauf einzustellen. Insbesondere aber erhöht es die Glaubwürdigkeit der Kriseninstrumente. Nur mit glaubwürdigen Instrumenten sind wir gerüstet, künftigen Krisen begegnen zu können. (Beifall bei der CDU/CSU) Deshalb werbe ich für dieses Gesetz und bitte Sie um die entsprechende Unterstützung. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt Axel Troost. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte kurz auf den Beginn der Finanzkrise im September 2008 zurückblicken. Nach der Pleite der US-Bank Lehman Brothers versuchte der damalige Finanzminister Steinbrück uns noch weiszumachen, die Finanzkrise sei vor allen Dingen ein amerikanisches Problem. Wenige Tage später standen überall in Europa die Menschen vor den Banken. (Manfred Zöllmer [SPD]: Überall nicht! Das stimmt nicht!) Während dieser Phase schlug der niederländische Finanzminister Jan Pieter Balkenende einen europäischen Rettungsfonds vor. Demnach sollten alle Mitgliedstaaten einen Beitrag von circa 3 Prozent des Sozialproduktes bereitstellen. Für Deutschland wären das damals 75 Milliarden Euro gewesen. Der Fonds sollte aus 27 separaten Fonds bestehen, die nur dem jeweiligen Mitgliedstaat zur Verfügung standen, aber nach gleichen Richtlinien eingesetzt werden sollten. Dieser Vorschlag kommt uns heute bekannt vor. Auch der damalige französische Präsident Sarkozy hatte ähnliche Überlegungen in die Diskussion gebracht. Die Bundesregierung hat darauf aber eben nicht reagiert, sondern auf eigene Faust gehandelt. Wir haben dafür erst rund 500 Milliarden Euro als Rettungsmaßnahme ins Schaufenster gestellt und am Schluss letztlich auf nationaler Ebene einen Restrukturierungsfonds für den Bankenbereich gegründet. Jetzt wird dieser Fonds in einen europäischen Fonds überführt. Der Unterschied zum damaligen Vorschlag ist aber: Nach dem Vorschlag von Balkenende hätte der EU-weite Fonds ein Volumen von 375 Milliarden Euro gehabt. Auf die Euro-Zone, also die Staaten der jetzigen Bankenunion, heruntergerechnet, wären das rund 280 Milliarden Euro gewesen. Der nun eingerichtete Einheitliche Abwicklungsfonds der Euro-Zone hat aber nur ein Zielvolumen von circa 55 Milliarden Euro, und das soll erst in zehn Jahren erreicht werden. Selbst der jetzt abgelöste deutsche Rettungsfonds hatte ein Zielvolumen von 70 Milliarden Euro, also ein deutlich höheres Volumen als der gesamte europäische Fonds. Allerdings – das muss man auch konkret sagen –: Obwohl wir ihn seit drei Jahren haben, sind überhaupt erst 2,3 Milliarden Euro in diesen Fonds eingezahlt worden. Warum ist das aus unserer Sicht viel zu wenig? Nehmen wir an, der Fonds wäre wirklich in zehn Jahren mit 55 Milliarden Euro befüllt. Was passiert, wenn eine große Bank wirklich gerettet werden muss? Der Ökonom Martin Hellwig hat in einer unserer zahlreichen Anhörungen gesagt: Um die Liquidität einer Bank mit einem Bilanzvolumen von 500 Milliarden Euro zu sichern, ist eine Garantie in Höhe eines dreistelligen Milliardenbetrages erforderlich. – Das klingt plausibel. Schon die Abwicklung einer einzigen großen Bank, von denen wir in Europa mehr als ein Dutzend haben, würde daher nicht nur diesen Abwicklungsfonds sprengen, sondern auch die Einlagensicherung und den ESM. Ich will gar nicht darauf eingehen, wie viele Probleme mit den Abwicklungsmechanismen ansonsten noch verbunden sind, und auf die Frage, ob sie sich wirklich bewähren werden oder nicht. Deswegen ist und bleibt aus unserer Sicht die zentrale Frage, wie wir die zu rettenden Einheiten wesentlich kleiner machen können. Es ist nach wie vor so, dass „too big to fail“ genauso gilt wie vorher. Die Einheiten sind zum Teil sogar noch größer geworden. Daher ist es aus unserer Sicht wirklich zentral, die Frage zu stellen, wie abgehobene Kapitalmarktgeschäfte eingegrenzt und eingedampft werden können, damit die Banken ihre zentrale Aufgabe, Dienstleister für die Realwirtschaft zu sein, wirklich erfüllen können. Wenn wir das nicht machen, sondern nur immer wieder Schirme aufspannen, sind diese im Zweifelsfall zu klein und führen in der Tat dazu, dass wir am Schluss, wenn Rettung wirklich erforderlich wird, wieder erleben werden, dass die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Anspruch genommen werden. Das ist in der Bundesrepublik Deutschland weniger wahrscheinlich, aber es gilt für andere Länder in der Euro-Zone nach wie vor. Deswegen halten wir das, was auf dem hier eingeschlagenen Weg gemacht werden soll, für zu kurz gesprungen und glauben, dass dieser europäische Rettungsfonds in der vorgesehenen Größenordnung nicht ausreichen wird. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort hat Manfred Zöllmer, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Manfred Zöllmer (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Keine Steuergelder für Pleitebanken – das ist unser politisches Credo, das wir seit der Finanzmarktkrise wie ein Mantra vor uns hertragen und immer wiederholen. Deswegen müssen wir uns in diesem Jahr fragen: Wie sieht eigentlich der Weg vom Mantra zur Realität aus? Wo stehen wir auf diesem Weg? Der vorliegende Gesetzentwurf ist aus unserer Sicht ein weiterer wichtiger Baustein, die politische Forderung, die ich eben formuliert habe, Realität werden zu lassen. Mit ihm werden wir eine Vielzahl von gesetzlichen Regelungen in Deutschland an eine Reihe von europarechtlichen Vorgaben anpassen. Das ist, wie immer, wenn es um Bankenrecht geht, hochkomplex und kompliziert. In den letzten Jahren haben wir in Europa als Konsequenz aus der Bankenkrise eine Bankenunion geschaffen. Sie sieht eine einheitliche Aufsicht der großen Banken durch die EZB vor. Seit dem 4. November 2014 ist dies in Kraft. Das stellt eine völlige Umgestaltung und Vereinheitlichung der Bankenaufsicht für 1 200 Kreditinstitute in Europa dar. Zusätzlich wurde ein europäischer Bankenfonds beschlossen, der zukünftig im Falle der Zahlungsunfähigkeit einer Bank verhindern soll, dass wieder Steuerzahlerinnen und Steuerzahler für die Zockereien von Banken bluten müssen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch systemrelevante Banken können damit zukünftig in einem geordneten Verfahren abgewickelt werden. Risiko und Haftung gehören in Zukunft auch bei Banken wieder zusammen. Im Insolvenzfall sollen Eigentümer und Gläubiger – und nicht der Steuerzahler – haften. Der Einheitliche Abwicklungsmechanismus wird ab dem 1. Januar 2016 einsatzbereit sein. Ich komme nun zur Kritik von Axel Troost, die er hier eben formuliert hat – wie immer bei den Linken nach dem Motto: Zu wenig. Sie besagt: Es ist zu wenig Geld im Topf. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Oder zu spät oder zu früh!) – Genau! Oder zu spät oder zu früh! Das kann man sich dann aussuchen. (Heiterkeit bei der SPD – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: „Zu früh“ ist eher selten!) Der Vergleich, den du hier gezogen hast, trägt nicht. Warum trägt er nicht? Weil wir seit Beginn der Finanzmarktkrise die Rahmenbedingungen, unter denen Banken heute arbeiten, vollkommen geändert haben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das ist das Entscheidende. Man muss das einfach mit berücksichtigen, wenn man über diese Situation spricht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden wir erstens eine Anpassung des Sanierungs- und Abwicklungsgesetzes vornehmen, zweitens das Restrukturierungsfondsgesetz an die europäischen Vorgaben zur Bankenabgabe anpassen und die Verwendung der bisher erhobenen deutschen Bankenabgabe regeln und drittens verschiedene Änderungen im Kreditwesengesetz, im Pfandbriefgesetz, im Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz sowie in weiteren Gesetzen, die ich hier aus Zeitgründen nicht nennen werde, vornehmen. Dies ist nicht sehr sexy, das ist sehr technokratisch, aber es ist sehr notwendig. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]) Wie immer bei einem solchen Gesetz gibt es natürlich auch ein paar vereinzelte Kritikpunkte, mit denen wir uns in dem parlamentarischen Verfahren intensiv beschäftigen werden. Ein wichtiger Teil ist der Aufbau eines einheitlichen europäischen Abwicklungsfonds; davon haben wir gehört. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Mittel aus der deutschen Bankenabgabe, die bisher erhoben wurden – die 2,2 Milliarden Euro, von denen gerade die Rede war –, weiterhin für eine eventuell notwendige Abwicklung eines deutschen Kreditinstituts zur Verfügung stehen sollen. Dies ist aus unserer Sicht im Hinblick auf die Prämisse der Entlastung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler nachvollziehbar. Aber hier gibt es Wünsche und Diskussionsbeiträge, die darauf abzielen, die Altmittel gegebenenfalls zu einer Beitragsentlastung einzusetzen. Wir werden uns das in Ruhe anschauen und diesen Wunsch prüfen. Ferner hat uns der Bundesrat gebeten, den vorgesehenen gesetzlichen Nachrang von Gläubigern bestimmter unbesicherter Schuldtitel intensiv zu prüfen. Davon hat auch der Staatssekretär gesprochen. Der Bundesrat befürchtet negative Auswirkungen und einen Verstoß gegen die Gläubigergleichbehandlung, die das Insolvenzrecht vorsieht. Auch die Versicherungsunternehmen haben hier ein Problem. Auch das wird bei den Beratungen eine wichtige Rolle spielen. Wir werden eine sorgfältige rechtliche und ökonomische Prüfung der Vorschläge der Bundesregierung vornehmen, und wir werden auch darauf achten, dass die Kontrollrechte des Parlaments nicht beschnitten werden. Dies gilt für die parlamentarische Kontrolle des Restrukturierungsfonds durch das Finanzmarktgremium. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Bankenregulierung sind wir insgesamt auf einem guten Weg. Unser Mantra beginnt Realität zu werden. Der Steuerzahler – und die Steuerzahlerin natürlich auch – kann sich freuen. Das zeigt das Verhalten der Ratingagenturen. Sie haben realisiert, dass der Gesetzgeber es ernst meint mit der Haftung von Eigentümern und Gläubigern. Die Ratingagenturen gehen nicht mehr von einer Staatsgarantie für große systemrelevante Banken aus; Axel, ganz wichtig. Die Ratings der Banken werden seit einiger Zeit immer schlechter. Das ist nicht so schön für die betroffenen Banken – das muss man wirklich sagen –, aber es zeigt uns, dass wir das Richtige getan haben. Die Anstrengungen haben sich gelohnt. Gesetzgeberisch haben wir unser Ziel fast erreicht. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort hat Dr. Gerhard Schick, Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man die Opposition kritisiert, lieber Herr Zöllmer, dann sollte man sich daran erinnern, was man noch vor wenigen Jahren selber gesagt hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Wir haben uns seitdem weiterentwickelt!) Es war Position der SPD, dass dieser Fonds zu klein ist. Sie sollten uns vielleicht einmal erzählen, warum das, was Sie vor drei Jahren selber gesagt haben, heute plötzlich falsch sein soll. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Manfred Zöllmer [SPD]: Weil wir drei Jahre weiter sind! – Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Wir hatten Lernprozesse dazwischen!) Es geht heute um einen weiteren Baustein der Bankenunion. Wir haben schon einiges, insbesondere die Bankenabwicklungsrichtlinie, in Deutschland umgesetzt. Die europäische Bankenunion ist grundsätzlich ein sehr gutes Projekt. Die Kritik, dass gerade die deutsche Bundesregierung dafür gesorgt hat, dass diese europäischen Mechanismen viel zu spät eingesetzt worden sind, muss man, wenn man sie damals so vertreten hat, auch aushalten. Sie bleibt richtig. Inzwischen ist Richtiges auf dem Weg. Die Grünen haben es immer unterstützt. Wir haben allerdings an einigen Punkten gesagt, wo Fehler gemacht worden sind. Zum Beispiel gab es zu viele Ausnahmen bei dem Bail-in. Eine Frage zur Größe des Fonds: Gibt es eine Möglichkeit, den Fonds zu refinanzieren? Unserer Ansicht nach hätte ein wirksamer Backstop eingerichtet werden müssen. Wir finden auch, dass es zu spät ist, dass der Restrukturierungsfonds erst 2024 voll funktionstüchtig ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Heute haben wir es mit einer Verordnung zu tun, die direkt geltendes europäisches Recht ist. Damit kann der deutsche Gesetzgeber gar nicht viel falsch machen. Das ist vielleicht auch gut so, da die Bundesregierung bei diesen Fragen manchmal zu spät war. Das Gesetz, das jetzt vorliegt, passt sozusagen das deutsche Recht an das an, was die Verordnung uns vorgibt, damit die europäischen Regeln und die deutschen Regeln zusammenpassen. Ich finde es gut, wenn wir uns die Sonderregel hinsichtlich der Insolvenz von Banken, die in § 46 f KWG eingeführt werden soll, noch einmal im Ausschuss anschauen. Gut finden wir, dass die bisher in Deutschland gezahlte Bankenabgabe erst einmal im nationalen Topf verbleibt. Das unterstützen wir ausdrücklich; denn es ist ja nicht ausgeschlossen, dass ein nicht von der Europäischen Zentralbank beaufsichtigtes Institut Maßnahmen in Anspruch nehmen muss. Es wäre falsch, hier dem Drängen der Institute nach Anrechnung der Beiträge nachzugeben. (Beifall des Abg. Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Man stelle sich vor, die Banken sparten beim Aufbau des europäischen Topfes. Dann müsste im Zweifelsfall noch einmal der deutsche Steuerzahler einspringen. Gut, dass diese Regelung jetzt auf dem Weg ist! Zwei Klopse leistet sich die Bundesregierung allerdings in dem Gesetzentwurf. Das eine betrifft die Tatsache, dass jetzt hier eine Verordnungsermächtigung zur Kodifizierung der bisherigen Mindestanforderungen an das Risikomanagement, MaRisk, geschaffen wird. Das ist ein sehr seltsames Signal. Es spricht zwar einiges dafür, dass man die Verwaltungsvorschriften in Deutschland konkretisiert und sie in Verordnungen überführt; aber eigentlich ist dafür jetzt die Europäische Zentralbank als Aufsicht zuständig. Es ist ein merkwürdiges -Signal, das die Bundesregierung hier sendet. Das Zweite – Herr Kollege Zöllmer hat es schon angesprochen; ich habe entnommen, dass wir uns da einig sind –: Die Bundesregierung schlägt vor, die parlamentarische Kontrolle über den Restrukturierungsfonds ersatzlos zu streichen, die bisher durch das Finanzmarktgremium geleistet wird. Das ist ein interessantes Vorgehen: Die Bundesregierung schlägt uns vor, dass wir sie nicht mehr so gut kontrollieren sollen. Ich hoffe, wir sind uns einig, dass das nicht geht, sondern da weiter eine parlamentarische Kontrolle nötig ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Manfred Zöllmer [SPD]) Ich finde es wichtig, an diesem Tag auch zu sagen, was die wichtigen Bausteine sind, und auf die Kritik, die Axel Troost zu Recht geäußert hat, einzugehen. Selbst wenn jetzt einige Mechanismen auf den Weg gebracht und aufgebaut werden – bei sehr großen Instituten wie der Deutschen Bank oder Barclays und anderen werden diese Strukturen nicht ausreichen und die Mechanismen nicht funktionieren, weil die Abwickelbarkeit dieser Institute nicht gewährleistet ist. Deswegen bleibt das Thema „too big to fail“ auf der Tagesordnung. Die sehr großen Banken müssen kleiner werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ein zweites Thema bleibt auf der Tagesordnung: Wir wollen, dass die Mechanismen gar nicht erst zum Tragen kommen. Es muss das absolute Notfallszenario sein, solch einen Fonds der öffentlichen Hand und die Abwicklungsregelungen zu nutzen. Der Normalfall sollte sein, dass die Aktionäre, dass das Eigenkapital Verluste so absorbieren kann, dass die Bank erst gar nicht ins Wackeln kommt. Insofern bleibt eine zweite wichtige Hausaufgabe – da ist die Bundesregierung leider nicht richtig aufgestellt –: Es muss mehr echtes Eigenkapital im Verhältnis zur Bilanzsumme aufgebaut werden; es muss mittelfristig 10 Prozent der Bilanzsumme betragen. Da muss die Bundesregierung noch nachlegen und nicht auf die angeblich wohlmeinenden Stimmen aus der Finanzbranche hören, die meinen, es sei doch schon alles stabil. Die Finanzmärkte sind heute nicht stabiler als 2007. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deswegen bleibt es richtig: Wir brauchen mehr Eigen-kapital. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Klaus-Peter Flosbach, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Jahr 2014 war geprägt von der Diskussion auch in diesem Hause über das Thema Bankenunion. Hier ging es immer um zwei Themen. Auf der einen Seite ging es um die Aufsicht insbesondere über die großen, system-relevanten internationalen Banken. Auf der anderen Seite ging es um das Thema: Was passiert, wenn eine Bank in eine Schieflage gerät? Wie kann sie abgewickelt oder gegebenenfalls saniert werden? Wir haben im Jahr 2008 – es ist sieben Jahre her – die große Banken- und Finanzkrise erlebt. Ein Jahr später hatten wir eine Wirtschaftskrise, ein weiteres Jahr darauf eine Staatsschuldenkrise. In diesen Krisenjahren bestand in der Tat immer die Gefahr, dass der Steuerzahler für Fehler herangezogen wird, die im Bankensystem passieren. Unser ganzes Bestreben in diesen sieben Jahren war, diese Gefahr zu überwinden und zu erreichen, dass, wenn Fehler in der Wirtschaft, im Bankenbereich gemacht werden, jeweils diejenigen, die den Fehler gemacht haben, dafür geradestehen und haften. Das war unser Bestreben, und das haben wir in all den Jahren auch umgesetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir sind in all den Jahren oft kritisiert worden, wir wären zu langsam, wir hätten zu wenig gemacht. Dabei waren wir die Ersten in Europa, die ein Restrukturierungsfondsgesetz und ein Sanierungs- und Abwicklungsgesetz auf den Weg gebracht haben. Was wir hier geleistet haben, war eine Blaupause. Wir haben damit eine Vorreiterrolle in ganz Europa eingenommen; denn unsere Maßnahmen sind in Europa zum Teil übernommen worden. Wir haben auf eine gemeinsame europäische Aufsicht, auf eine europäische Abwicklung gedrängt. Das war unser Erfolg in diesen Jahren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD] – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Warum ist denn dann der europäische Topf viel kleiner als der nationale?) Wir haben uns auch immer für eine gemeinsame Bankenunion ausgesprochen. Aber auch wenn wir in diesen sieben Jahren 40 Regulierungsmaßnahmen umgesetzt haben – das betraf mehr Eigenkapital, Liquiditätspuffer; wir haben Derivate, Ratings, Verbriefungen und Vergütungen geregelt; wir haben ein Trennbankensystem eingeführt –, kann sich dennoch die Situation ergeben, dass eine Bank in eine Schieflage gerät. Dann brauchen wir eine wirksame Sanierungs- oder Abwicklungsmöglichkeit. Das haben wir mit der Bankenunion geschaffen; das ist hier auch eben diskutiert worden. Wir haben dafür gesorgt, dass erstens die Eigentümer mit bis zu 8 Prozent der Bilanzsumme haften, dass zweitens Gläubiger herangezogen werden – Klaus Regling, der Chef unserer Rettungsschirme, sagt: wenn wir diese beiden Mechanismen damals gehabt hätten, dann wäre es nicht zu der Bankenkrise gekommen – und dass drittens erst dann, lieber Kollege Axel Troost, ein gemeinsamer europäischer Rettungsfonds, von den Banken finanziert, greift. Erst danach könnten Staaten herangezogen werden oder gegebenenfalls auch die Rettungsschirme. Ich denke, es ist entscheidend, dass wir diesen Weg beschritten haben. In dieser Phase ist mir wichtig – das haben auch einige Kollegen angesprochen –, wie die Gläubigerbeteiligung geregelt wird. Das wird entscheidend sein. Auch die europäische Bankenaufsicht beschäftigt sich mit diesem Thema, insbesondere mit der Frage: Welche Papiere können für das sogenannte Bail-in herangezogen werden, das heißt, welche Kredite an Banken, welche Papiere, welche langfristigen Verbindlichkeiten der Banken können in haftendes Eigenkapital umgewandelt werden? Hier brauchen wir eine saubere Regelung. Die europäische Bankenaufsicht ist gerade dabei, eine Auswirkungsstudie zu erstellen und entsprechende Leitlinien vorzugeben. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, es gibt eine Haftungsreihenfolge: erst das Eigenkapital und dann die Gläubigerbeteiligung. Wichtig für uns ist, dass dies rechtssicher ist und dass dies rasch geschehen kann. Vor allen Dingen die Ansteckungsgefahr muss gering sein. Die Ansteckungsgefahr war immer wieder das Problem in der Bankenkrise. Wenn wir es schaffen, dass Gläubiger herangezogen werden können, dann können wir die Situation besser im Griff behalten. Für uns ist natürlich auch wichtig, dass wir damals den deutschen Restrukturierungsfonds aufgelegt haben. Sicherlich war eine Planungsperiode von vielen Jahren vorgesehen. Lieber Kollege Axel Troost, das Problem der Bankenkrise war eine Liquiditätskrise. Das kann man nicht mit einem Rettungsfonds in den Griff bekommen. Jetzt soll ein von den Banken finanzierter europäischer Rettungsfonds mit einer Summe von 55 Milliarden Euro aufgebaut werden, der nach der Eigentümerhaftung und nach der Gläubigerhaftung greifen soll. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Ja!) Wir haben in Deutschland bereits seit 2010 einen eigenen Fonds aufgebaut. Ich halte es für richtig, dass das Guthaben in diesem Fonds von über 2 Milliarden Euro zunächst zurückgehalten wird für eventuell notwendige Maßnahmen im nationalen Bereich, als Risikopuffer, als sogenannte nationale Reserve. Dann kann natürlich darüber diskutiert werden, wie das übertragen wird. Zusammengefasst: Wir sind mit der geplanten Regulierungsmaßnahme auf dem richtigen Weg. Wir werden mit diesem Gesetz deutsches Recht an die europäischen Vorgaben, die wir gemeinsam in diesem Hause beschlossen haben, anpassen. Wir sind auf dem richtigen Weg; denn unser Ziel ist und bleibt, nicht den Steuerzahler heranzuziehen, wenn andere, beispielsweise im Bankenbereich, Fehler machen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Lothar Binding, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Wir sprechen immer davon, dass unsere Politik den Weg beschreitet vom Bail-out zum Bail-in. Ich will kurz erklären, was das eigentlich heißt. Bail-out heißt, dass, wenn eine Bank Schulden hat und Probleme bekommt, die Schulden und die Tilgung der Verpflichtungen der Bank oder die Haftung von jemand übernommen wird. Bei uns steht dann immer vornehm: Das wird von Dritten übernommen. – Die Dritten, die sitzen hier oben auf den Zuschauerrängen: Das sind die Steuerzahler. Sie treten ein, wenn eine Bank ein Problem hat. Das hat uns immer geärgert. Wir sagen: Wenn eine Bank ein Problem hat, dann soll sich die Bank um die Problemlösung kümmern und nicht der Steuerzahler. (Beifall bei der SPD) Deshalb sagen wir: Wir brauchen ein Bail-in: dass die Banken sich nicht von außen freikaufen lassen, sondern zunächst von innen versuchen, das Problem zu lösen. Die Gläubiger der Bank, die Anleger, sollen sich in Form von Schuldtiteln der Bank an den Verlusten bei -Sanierung oder Abwicklung bei drohender Zahlungs-unfähigkeit beteiligen müssen. Insofern werden bei Insolvenzverfahren von Banken die Steuerzahler zunächst geschützt sein, wenn das funktioniert. Da gibt es ein zusätzliches Problem: Die Eigenkapitalgeber der Bank, die Aktionäre, und die Fremdkapitalgeber, die Gläubiger, und die Banken selber haben eine ganz unterschiedliche Interessenlage. Ich glaube, darüber werden wir in der Anhörung noch reden müssen. Diese Interessen gegeneinander auszugleichen, wird keine ganz leichte Sache. Jedenfalls sagen wir: Es ist in Ordnung, wenn ein guter Manager, der Gewinne macht und gut Steuern zahlt, viel Geld verdient. Es muss aber Schluss sein damit, dass ein schlechter Manager, der Verluste macht und keine Steuern bezahlt, immer noch sehr viel verdient, aber den Steuerzahler für seine Verluste zur Kasse bittet. Deshalb ist dieses Gesetz eine sehr gute Idee. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Zu der Frage, ob der Topf, der jetzt von den Banken gebildet werden muss – diese 55 Milliarden Euro –, reicht. Wenn wir ganz ehrlich sind, müssen wir zugeben: Das kann keiner wissen. – Vor einigen Jahren wussten wir, dass das mit Garantie nicht reicht, weil da die Idee des Bail-outs galt: Andere kümmern sich. Jetzt haben wir die Idee des Bail-ins. Das bedeutet, bevor dieser Topf überhaupt in Anspruch genommen werden kann, greifen sieben Stufen: Zunächst wird auf das harte Eigenkapital zurückgegriffen, dann auf das zusätzliche Eigenkapital, dann auf das Ergänzungskapital, dann auf nachrangige Schuldtitel von Fremdkapitalgebern, dann auf vorrangige Schuldtitel und dann auf die nicht gesicherten Einlagen privater Geldgeber und der Unternehmen. Erst dann kommt dieser Topf ins Spiel. Erst wenn all die genannten Eigenkapitalformen und die innere -Finanzkraft der Unternehmen bereits gebündelt sind, kommen ergänzend die 55 Milliarden Euro hinzu. Dann sind wir schon nahe einer Größenordnung, von der wir glauben, dass sie sehr wohl ausreichen kann, das System stabil zu machen. Aber keiner kann in die Zukunft schauen und wissen, ob das letztendlich genügt. Vielleicht sagt einer in zehn Jahren: Ich habe euch damals schon gesagt, es hätten 200 Milliarden Euro sein müssen. – Das müssen wir aushalten. Aber 55 Milliarden Euro sind viel mehr als nichts. Deshalb wird das sehr gut funktionieren. Was folgt durch den Bail-in eigentlich für die Sparer und für die kleinen Kreditnehmer? Wer ist eigentlich eine Bank? Da zahlt jemand Geld auf ein Sparbuch ein oder da nimmt jemand einen Kredit auf, weil er ein kleines Unternehmen gründen will. Jetzt muss man schauen: Was passiert eigentlich denen in der Insolvenz? Sind die dann auch plötzlich alle pleite? Kriegen irgendwelche anderen Leute ihr Geld raus, aber die Sparer verlieren es? Hier greift die Idee, die ich für besonders gut gelungen halte: Die Einlagen von natürlichen Personen und kleinen und mittleren Unternehmen sowie der Einlagensicherung unterliegende Einlagen bleiben vom Bail-in ausgenommen. (Zuruf des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE]) Ich schaue in alle Richtungen und sehe: Das wollen alle Fraktionen. Das ist auch klug, weil ja die, die der Bank im Vertrauen auf ihre Expertise ihr Geld anvertraut haben, hinterher nicht die Dummen sein dürfen. (Beifall bei der SPD) Ich möchte noch eine Spezialität vortragen. Ich glaube, wir müssen uns um die Regelung des § 46 kümmern. Da gibt es eine Empfehlung in diesem Referentenentwurf, die möglicherweise das Investmentbanking fördert. Aber das ist nicht unser erstes Ziel: Wir wollen kleinere, mittlere Unternehmen und Banken und insbesondere Bürgerinnen und Bürger der unteren und mittleren Einkommensgruppen fördern. § 46 benachteiligt im Moment Schuldtitel mit festen Konditionen, also Schuldtitel genau der Leute, die wir eigentlich schützen wollen. Er bevorzugt zwar Schuldtitel – das ist das Gute –, die der Absicherung von Währungsgeschäften dienen; aber – das ist das Schlechte – er sichert auch Wetten auf zum Beispiel Lebensalter, er sichert Wetten auf die Preisentwicklung von Nahrungsmitteln. Diese Möglichkeiten, die das Gesetz jetzt erlaubt, sollten wir ausschließen. Da haben wir noch ein bisschen Arbeit; aber es gilt immer das Struck’sche Gesetz, dass kein Gesetz den Bundestag so verlässt, wie es eingebracht wird. Ich glaube, da sind wir auf einem sehr guten Weg. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank, Herr Kollege Binding. – Nur damit keine Missverständnisse entstehen, möchte ich darauf hinweisen, dass nicht nur die Damen und Herren auf den Tribünen, sondern auch die Damen und Herren hier unten im Saal Steuerzahler und Steuerzahlerinnen sind. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Ja, natürlich! Vielen Dank für den Hinweis!) Nächster Redner ist Alexander Radwan, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Alexander Radwan (CDU/CSU): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute debattieren wir den Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des nationalen Rechts an den Einheitlichen Abwicklungsmechanismus. Es ist ja schon mehrfach gesagt worden: Es ist ein wichtiger Baustein der Bankenunion, dass keine Steuergelder mehr verwendet werden, sondern die Banken selber haften sollen. Wir haben die nationale Umsetzung im Rahmen des Gesetzes schon hinter uns. Derzeit befindet sich die Behörde im Aufbau. Bereits jetzt hat sie mit Frau König eine Präsidentin, die hart daran arbeitet, qualifizierte Mitarbeiter zu bekommen. 150 sollen es dieses Jahr werden, bis 2017 sollen es 300 sein. Wir werden uns noch intensiv damit beschäftigen, wie die Behörde zukünftig zu finanzieren ist. Natürlich beschäftigen wir uns aber auch damit, wie das, was in der Theorie gut klingt – grenzüberschreitende Abwicklung –, hinhaut. Dazu nehmen wir jetzt eine Anpassung vor, um gesetzliche Hürden, die vorhanden sind, abzubauen. Das Bail-in ist schon angesprochen worden. Der Kollege Binding hat uns gerade plastisch beschrieben, was der Unterschied zwischen Bail-in und Bail-out ist. Dem stehen konkrete Fragen gegenüber. Dabei geht es zum Beispiel um das Insolvenzrecht und die Nachrangigkeit der Papiere. Die Diskussion über die Nachrangigkeit der Papiere beeinflusst schon jetzt die Frage, wie die Papiere bepreist werden. Dies ist ein Thema, mit dem wir uns im Gesetzgebungsverfahren – Herr Kollege Binding nickt – beschäftigen müssen. Es geht um die Fragen: Was bedeutet es, wenn wir den Weg einer gesetzlichen oder den Weg einer vertraglichen Lösung gehen, und was bedeutet es für die Finanzierung der entsprechenden Häuser, wenn wir gesetzgeberisch bereits heute – wenn auch nicht gewollt, aber wir tun es – auf den Preis Einfluss nehmen? Wir müssen auch grenzüberschreitende Sachverhalte erfassen, wenn der Abwicklungsmechanismus mit den nationalen Gesetzen Probleme bekommt. Wir werden uns die Frage stellen müssen – auch das wurde schon angesprochen –, wie wir mit nationalen Mitteln umgehen, die in den -europäischen Fonds zu überführen sind. Wir haben Prioritäten zu setzen. Wichtig ist sicherlich die Frage, wie Abwicklungsorganisationen und die entsprechenden Einrichtungen parlamentarisch kontrolliert werden. Es ist ganz wichtig, zu begutachten, wie die Umsetzung in den anderen Mitgliedstaaten erfolgt. Wenn es nicht eine gewisse Anzahl von Mitgliedstaaten gibt, die dies schon umgesetzt haben, dann werden wir zukünftig gar nicht damit starten können. Darum ist es dringend notwendig, dass wir auch mit den Kollegen in anderen Parlamenten darüber debattieren, wie dies erfolgen soll. Ich hoffe, dass wir demnächst die konkreten Vorgaben erfahren. Dann wissen wir, wie hoch die Abgaben für die einzelnen Häuser sind. Auch die Zusammenarbeit zwischen EBA, EZB und der Abwicklungsorganisation ist wichtig, damit den Häusern die notwendigen Informationen zur Verfügung stehen. Herr Kollege Schick, Sie haben die Anpassung der MaRisk – ich habe es so verstanden – kritisiert. Ich bin der Meinung, europäische Vorgaben und europäische Anwendungen sind notwendig. Aber wir müssen uns schon genau anschauen, ob es nicht auch notwendig ist, dafür zu sorgen, dass sich europäische Einrichtungen, wie es jetzt bei der Aufsicht der Fall ist, dann, wenn es vonseiten des Gesetzgebers in Deutschland möglich ist, an nationales Recht halten müssen. Dazu dient eine Verordnung. Nur dann, wenn eine solche Verordnung vorhanden ist, werden sich die entsprechenden Einrichtungen auch zukünftig daran halten müssen. Da gerade wir die Subsidiarität und die Regionalbanken hochhalten und sie immer wieder verteidigen, sollten wir diese auch bei den Möglichkeiten, die wir haben, berücksichtigen. Ich möchte einen weiteren Punkt aufgreifen, der in der Debatte über die Einrichtung dieser Organisation heftig diskutiert wurde: Sollen wir für den Fonds eine intergouvernementale Vereinbarung treffen, oder reicht das europäische Vertragsrecht dafür aus? Ich bin der Bundesregierung und Wolfgang Schäuble zutiefst dankbar, dass durchgesetzt wurde, dass eine intergouvernementale Vereinbarung als Rechtsgrundlage für den Fonds gilt. Momentan erleben wir in Brüssel eine Diskussion darüber, ob auch die Einlagensicherung, die wir schon umgesetzt haben – manche in diesem Haus waren ja schon früher der Meinung, dass die Einlagensicherung europäisiert gehört –, in einen europäischen Fonds münden soll. Hätten wir damals, als es um die Abwicklungsmechanismen ging, akzeptiert, dass europäisches Vertragsrecht als Rechtsgrundlage ausreichend ist, dann wäre damit bereits entschieden worden, ob allein das -Europäische Parlament und der Europäische Rat darüber entscheiden, ob der Einlagensicherungsfonds zukünftig europäisiert wird, oder ob die Abgeordneten des Deutschen Bundestages mitentscheiden. Ich bin Wolfgang Schäuble dankbar dafür, dass der Deutsche Bundestag bei den weiteren Schritten in Sachen europäischer Fonds mitentscheiden kann. Ich denke, das sollten wir berücksichtigen. Ich wünsche uns für den weiteren Verlauf gute Beratungen. Besten Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit sind wir am Ende der Aussprache angelangt. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/5009 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a und 27 b auf: a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Einhaltung der Menschenrechte in Aserbaidschan einfordern Drucksache 18/5092 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Özcan Mutlu, Monika Lazar, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte in Aserbaidschan auch bei den Europaspielen 2015 einfordern Drucksache 18/5097 (neu) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frank Heinrich, CDU/CSU. Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Damen und Herren! Vielleicht erinnert sich der eine oder andere an das Gewinnerlied des Eurovision Song Contest von Baku, der Stadt, um die es heute auch geht. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können Sie das mal eben vorsingen?) – Das Lied zu singen, würde mir wahrscheinlich nicht gelingen, Frau Künast. Entschuldigen Sie. – Es heißt -Euphoria. Vielleicht klingt das bei dem einen oder anderen noch im Ohr. Euphorie mit der Menschenrechtssituation in Aserbaidschan oder Baku zu verbinden, wäre allerdings, gerade heutzutage, vermessen. Mit dem Beitritt Aserbaidschans zum Europarat im Jahr 2001 und der Ratifizierung der Europäischen Menschenrechtskonvention am Ende des Jahres 2001 waren viele Hoffnungen verbunden. Tatsächlich hat sich seit der Präsidentschaftswahl im Jahr 2013 – Präsident Alijew ist damals wiedergewählt worden – (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Welch Zufall!) die Lage der Menschenrechte in Aserbaidschan drastisch verschlechtert. Das wird von verschiedensten Seiten bestätigt. Viele Regimekritiker verlassen das Land oder sind inhaftiert. Nach unterschiedlichen Quellen sind mindestens 50, wahrscheinlich mehr als 100 Gefangene aus politischen Gründen in Haft. Die staatliche Repression richtet sich gegen Menschenrechtsverteidiger, Rechtsanwälte, Journalisten, Blogger, politisch aktive Personen, die eine unabhängige Meinung vertreten, auch gegen Personen, die mit internationalen Institutionen wie dem Europarat, dessen Mitglied Aserbaidschan selbst ist, zusammenarbeiten. Oft werden sie unter konstruierten Beschuldigungen zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Ich ahne, dass in diesem Moment andere sagen: Was heißt hier „konstruiert“? Ich war wenige Wochen vor dem Eurovision Song Contest im Land. Ich habe mir ein Bild von der Lage gemacht, und man hat mir erlaubt, einem Gerichtsverfahren gegen einen dieser – ich würde das positiv werten – Überzeugungstäter beizuwohnen. Der Mann, der noch nicht verurteilt war, saß in einem Käfig im Gerichtssaal. Nach einer Dreiviertelstunde, von der mir etwa zwei Drittel übersetzt wurden, hat sich die Richterin mit ihrem Gremium zur Beratung zurückgezogen; so wurde es angekündigt. Drei Minuten später kam das Gremium wieder heraus und verlas ein 13-seitiges Urteil. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sind halt schnell!) – Die sind schnell, allerdings. Berichten zufolge sollen die politischen Gefangenen unter sehr schlechten Haftbedingungen, Misshandlungen und einer unzureichenden medizinischen Versorgung leiden. Die Arbeit von NGOs, von Nichtregierungsorganisationen, wird eingeschränkt. Der Länderbericht unseres Auswärtigen Amtes bestätigt dies. Bei meinem Aufenthalt habe ich unter anderem auch Rasul Jafarov besucht. Er hat mir verschiedene Organisationen vorgestellt, auch die Veranstaltung „Sing for Democracy“, wegen der ich da war. Diese Veranstaltung sollte die Chance bieten, ein anderes Licht auf die Situation zu werfen, eine andere Stimmung zu erzeugen und ein farbiges Fest in dieser Stadt zu feiern, allerdings mit anderen Tönen. Diese Veranstaltung wurde abgesagt. Ich konnte mit Kollegen aus dem Parlament reden. Die Pressefreiheit kam zur Sprache. Ich wurde darauf angesprochen, warum denn die Bundesregierung in Deutschland so schlecht über Aserbaidschan spreche. Ich habe mich verwundert geäußert und gefragt, warum sie denn so darüber denken würden. Das stehe dort in der Zeitung, sagte man mir. Als ich erklärte, dass bei uns die Zeitungen unabhängig seien, habe ich Unverständnis geerntet, nicht Widerspruch. Meine Gesprächspartner verstanden nicht, was das ist. Eine unabhängige, freie Presse lag außerhalb der Denkfähigkeit meiner Gesprächspartner. Das ist ein subjektives Beispiel. Das ist mir bewusst. Aber es wird von Fakten unterstützt. Die Organisation Reporter ohne Grenzen erstellt jährlich eine Rangliste, in der aufgeführt wird, in welchem Maße die Länder die Pressefreiheit achten. In dieser Rangliste liegt Aserbaidschan auf Platz 162 von 180 Plätzen. Wenn man das auf den Sport übertragen würde – es sind ja die Europaspiele, die heute dort beginnen –, dann müsste man sagen: Das ist ziemlich weit hinten in der Fairplay-Rangliste. Wenn man sich so oft wegen Fouls Rote Karten eingehandelt hat, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn man hinterher das Spiel von draußen beobachten muss. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Kritische Journalisten und Onlineaktivisten werden drangsaliert, bedroht und inhaftiert. Human Rights Watch berichtet von 33 Fällen, in denen Aktivistinnen und Aktivisten der Zivilgesellschaft inzwischen verhaftet wurden, darunter auch mein guter Bekannter Rasul Jafarov. Er hat vor wenigen Wochen sechseinhalb Jahre Gefängnis für Bloggen, Posten auf Facebook und dafür, dass er eine andere Meinung hat, bekommen. Es gab eine Zeit, da haben sich die Regierungsmaßnahmen nur gegen einheimische Journalisten gerichtet. Inzwischen werden auch ausländische Journalisten bei der Arbeit behindert. Heute steht ein europäisches Großereignis auf dem Programm. Die Hauptstadt Baku wird von heute an bis zum 28. Juni die Europaspiele, European Games, veranstalten. Das ist ein neuer Wettbewerb der europäischen olympischen Bewegung mit 20 Sportarten – 16 olympische, 4 nicht olympische –, 31 Disziplinen, 6 000 Athleten und 253 Goldmedaillen, wenn nicht in irgendeiner Disziplin zwei Athleten gleichzeitig als Sieger durch das Ziel gehen. Elf Sportarten werden dabei direkte oder indirekte Qualifikationsmöglichkeiten für Rio bieten. Unter den Athleten sind auch mehrere Sportler aus meiner Stadt Chemnitz. Ich selbst bin dort aktiv im Schwimmclub. Zwei meiner Sportfreunde, Paul Hentschel und Paulus Schön, haben sich letzte Woche in Berlin qualifiziert. Die sind natürlich heiß drauf. Facebook lässt grüßen. Ich habe schon einiges davon sehen können. Die Wasserballerinnen von uns werden dort mitspielen. Jetzt steht Aserbaidschan wie damals wieder im Fokus der Öffentlichkeit. Jetzt die Frage: Ist das eine Chance für die Öffentlichkeit? Ist das eine Gefahr für die Menschenrechte? Deshalb haben wir diesen Antrag gestellt. Ich bin froh, dass auch ihr von den Grünen einen gestellt habt. Nach Ansicht des Menschenrechtsbeauftragten Christoph Strässer werden die Spiele zu Propagandazwecken missbraucht. Er hat in der FAZ vor wenigen Wochen den Auftritt des Botschafters von Aserbaidschan im Sportausschuss sehr deutlich kritisiert. Das war ein einziger Werbeauftritt. Strässer nannte die Zustände in dem Land schockierend und sprach von systematischer Repression. Die Nachrichten aus Aserbaidschan stützen die Ansicht des Menschenrechtsbeauftragten. Ich zitiere aus dem Newsticker von Zeit Online von vorgestern: Einer Delegation der Organisation Amnesty International ist die Einreise nach Aserbaidschan verwehrt worden, wo am Freitag die Europaspiele beginnen. Wie die Menschenrechtsorganisation am Mittwoch erklärte, wollte sie im Vorfeld der Spiele in der Hauptstadt Baku bei einer Pressekonferenz einen Bericht zu Menschenrechtsverletzungen präsentieren. Die aserbaidschanischen Behörden hätten Amnesty mitgeteilt, dass sie derzeit „eine Mission Amnesty Internationals nicht empfangen“ könnten. Ich finde, noch schlimmer ist die Nachricht über die völlig überraschende Forderung der aserbaidschanischen Regierung, das Büro des OSZE-Projektkoordinators, das bislang außerordentlich gute Arbeit geleistet hat, bis Ende des Monats zu schließen. Das wirft ein ziemlich schlechtes Licht auf die Situation und die politische Lage in dem Land. Beides spricht eine deutliche Sprache. Kritische Beobachter dieser Spiele sind nicht erwünscht. Zugleich haben wir, wie bei dem European Song Contest vor drei Jahren, noch einmal die Chance, Verbesserungen der Menschenrechtslage zu fordern. Das hat der UN-Sonderberichterstatter Michel Frost getan. Er forderte die Freilassung aller politischen Gefangenen. Als das seinerzeit der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, unser Abgeordnetenkollege Strässer, tat, hat er die Rote Karte bekommen. Seitdem darf er nicht mehr einreisen. Meinen Respekt haben die deutschen Athleten, die sich Frosts Forderungen ungewohnt scharf angeschlossen haben. Christian Schreiber, der Sprecher der Athletenkommission, schreibt ebenfalls in der FAZ: Die Einhaltung von grundlegenden Menschenrechten und das Recht, deren Nichteinhaltung zu kritisieren, steht außer Frage. Unabhängig vom Sport, der Situation in Baku und den ersten European Games schließen wir uns der Forderung des UN-Beauftragten an und weisen darauf hin, dass diese Forderung für alle Länder gelten muss, in denen Menschen inhaftiert sind, die für die Einhaltung der Menschenrechte einstehen. So sind auch wir als Fraktionen und als Bundesregierung gefragt, deutliche Worte zu finden, was wir heute tun. Aserbaidschan ist – deswegen wollen wir es beim Wort nehmen – Mitglied des Europarates. Aserbaidschan hat alle wesentlichen internationalen Menschenrechtsabkommen unterzeichnet und ist Teil der Europäischen Menschenrechtskonvention. Die EU führt im Rahmen der Östlichen Partnerschaft regelmäßige Dialoge mit der Regierung. Darüber hinaus – das muss man wissen – gibt es im Zusammenhang mit Wirtschaftsverträgen viele Gelegenheiten, diese Themen anzusprechen, weil umfangreiche Gas- und Ölvorkommen Aserbaidschan zu einem gefragten Gesprächspartner machen. Es geht darum, alle Möglichkeiten zu nutzen und alle Hebel in Bewegung zu setzen, um die Umsetzung der Absichtserklärung von Präsident Alijew einzufordern. Die CDU/CSU-Fraktion hat daher Forderungen an die Bundesregierung formuliert. Sie fordert sie unter anderem auf, in bilateralen Gesprächen jeder Art, wie gerade beispielhaft von mir genannt, die aserbaidschanische Regierung auf die systematische Verletzung der Menschenrechte anzusprechen und auf die Einhaltung der unterzeichneten Konventionen zu drängen, sich fortgesetzt für die sofortige und bedingungslose Freilassung von politischen Gefangenen einzusetzen, die Arbeit zivilgesellschaftlicher Kräfte weiter zu fördern und im Europarat und in der EU weiterhin im Sinne der Menschenrechte auf Aserbaidschan einzuwirken. Ich komme zum Schluss. Den Sportlerinnen und Sportlern – in meinem Fall besonders Paul und Paulus – wünsche ich viel Erfolg bei dem, was sie dort sportlich tun. Vielleicht gelingt es dem einen oder anderen Sportler oder Funktionär, die Botschaft der Unteilbarkeit der Menschenrechte in Baku auf die eine oder andere Weise deutlich zu machen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Es spricht jetzt Dr. André Hahn, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. André Hahn (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Linke teilt die Einschätzung, dass es in Aserbaidschan beträchtliche Defizite bei bestimmten Menschenrechten gibt. Hier darf nichts beschönigt werden. Es sollte aber auch nichts pauschalisiert werden. Defizite bei der Einhaltung von Menschenrechten und der Umsetzung von internationalen Konventionen gibt es leider auch in vielen anderen Staaten dieser Welt. Selbst Deutschland ist davon nicht ausgenommen. So ist beispielsweise die UN-Behindertenrechtskonvention bereits seit 2009 in Kraft, die gesetzliche Umsetzung in Bund und Ländern jedoch bis heute nur mangelhaft erfolgt. (Frank Schwabe [SPD]: Was sind das für Vergleiche?) Doch darüber reden wir heute nicht. Es geht ausschließlich um Aserbaidschan, weil heute in diesem Land die European Games, die ersten europäischen Spiele eröffnet werden, an denen rund 6 000 Sportlerinnen und Sportler aus allen 50 Staaten, die dem EOC, dem Europäischen Olympischen Komitee, angehören, teilnehmen werden, darunter auch eine Delegation des Deutschen Olympischen Sportbundes mit 265 Sportlerinnen und Sportlern. Europa war bis dato der einzige Erdteil ohne Kontinentalspiele im Sportbereich. Deshalb wurden vom EOC im Dezember 2012 die European Games ins Leben gerufen und an die aserbaidschanische Hauptstadt Baku, dem einzigen Bewerber, vergeben. Auch der DOSB hat zugestimmt. Über die beiden vorliegenden Anträge soll heute nach knapp halbstündiger Debatte ohne Ausschussberatung sofort abgestimmt werden. Das war zuletzt bei den Olympischen Sommerspielen 2008 in Peking und bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi im vergangenen Jahr der Fall. Ich bin sehr gespannt darauf, ob das auch so sein wird, wenn das nächste Sportgroßereignis zum Beispiel in den Vereinigten Staaten von Amerika stattfindet, und ob dann Union und SPD oder vielleicht auch die Grünen einen Antrag vorlegen, der auf die Abschaffung der unmenschlichen Todesstrafe drängt, die es noch in einigen Bundesstaaten der USA gibt. (Beifall der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE] – Frank Schwabe [SPD]: Kommen Sie mal zum Thema! Aserbaidschan ist das Thema! Ich bin gespannt, was die Linke dazu zu sagen hat! Das ist doch unterirdisch!) Ich finde, dass es völlig legitim ist, im Zusammenhang mit Sportgroßereignissen auch über Menschenrechtsfragen im Austragungsland zu reden. Ich halte es aber für problematisch, wenn dabei dort mit zweierlei Maß gemessen wird. (Frank Schwabe [SPD]: Das ist doch unterirdisch! Peinlich für die Linken!) Richtig ist, dass die Presse- und Versammlungsfreiheit in Aserbaidschan eingeschränkt, die Unabhängigkeit der Justiz nicht hinreichend gewährleistet und Korruption weit verbreitet ist. (Michaela Engelmeier [SPD]: Kritische Menschen werden verhaftet!) Zu einer ehrlichen Bilanz gehören aber auch die erzielten Erfolge. Ist es nicht vielleicht auch Ausdruck von Religionsfreiheit, wenn die Angehörigen der drei monotheistischen Weltreligionen dort friedlich zusammenleben? Vielleicht sollten Sie auch das zur Kenntnis nehmen: Aserbaidschan ist eines der wenigen traditionell muslimischen Länder, in denen der Neubau von Kirchen und Synagogen ermöglicht wird und stattfindet. (Frank Schwabe [SPD]: Das ist peinlich, was Sie hier machen! Kommen Sie mal zum Thema!) Und was ist mit der Senkung der Armutsquote in der Bevölkerung von rund 50 Prozent auf aktuell 5 Prozent innerhalb der letzten zehn Jahre? Davon findet sich nichts in den Anträgen. Ich bedauere, dass hochgradig selektiv auf das Land geblickt wird und dass man sich ausschließlich auf die Defizite beschränkt. Wir leugnen diese Defizite nicht, wir sprechen sie klar an. (Frank Schwabe [SPD]: Dann sagen Sie doch einmal, welche denn?) – Ich habe sie doch genannt. Sie sollten zuhören, oder lesen Sie das im Protokoll nach. – Diese Dinge sind für uns auch nicht akzeptabel. (Frank Schwabe [SPD]: Dort sind politische Gefangene in Haft! Können Sie das einmal benennen?) Die Menschenrechte sind unteilbar und bedingen einander – hier stimme ich Ihnen zu –; da geht es auch um soziale Fragen. Diese Dinge haben Sie zum Beispiel nicht angesprochen. Ich füge hinzu: Sportliche Großereignisse sind kein geeignetes Mittel, um alle politischen Probleme zu klären. Das kann der Sport nicht leisten. Solche Veranstaltungen sollten vielmehr den Gedanken der Völkerverständigung und des friedlichen Miteinanders befördern, und die Politik muss in die Pflicht genommen werden, den Dialog fortzuführen. (Frank Schwabe [SPD]: Um Gottes willen!) Wir müssen den Menschenrechtsdialog dauerhaft auch mit schwierigen Partnern führen. (Frank Schwabe [SPD]: Gibt es politische Gefangene in Aserbaidschan?) Diese Aufgabe darf nicht bei den Sportlerinnen und Sportlern abgeladen werden. Deshalb werde ich am 21. Juni 2015 nach Baku reisen und mir, wie andere Kollegen aus dem Sportausschuss auch, als kritischer Beobachter selbst ein Bild vor Ort machen. Ich denke, wir sollten mit anderen Ländern einen Menschenrechtsdialog auf Augenhöhe und ohne Überheblichkeit führen. Nur dann sind wir glaubwürdig und können wir Erfolge erzielen. Ich wünsche mir ganz zum Schluss – hier schließe ich mich dem Kollegen Frank Heinrich von der CDU an –, dass wir den Sportlerinnen und Sportlern, die dort an den Wettbewerben teilnehmen werden, gemeinsam die Daumen drücken und ihnen beste Erfolge wünschen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Denken Sie bitte an die Zeit, Herr Kollege. Sie sind jetzt schon eine Minute über Ihrer Redezeit. Dr. André Hahn (DIE LINKE): Sehr wohl, Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. – Ich wünsche mir, dass wir den Menschenrechtsdialog mit Aserbaidschan auch nach den Spielen weiterführen; denn gerade wenn die Lichter aus sind und die Öffentlichkeit nicht mehr so präsent ist, ist er notwendig und wichtig. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Frank Schwabe [SPD]: So etwas Peinliches habe ich überhaupt noch nie gehört!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Das Wort zu einer Kurzintervention hat jetzt der Kollege Frank Schwabe. Frank Schwabe (SPD): Herr Dr. Hahn, der Kollege Movassat hat in seiner Rede zu Eritrea am Mittwoch Teilen des Hauses vorgeworfen, bei Menschenrechtsfragen mit zweierlei Maß zu messen. Mein Eindruck ist – das tut mir ganz schrecklich leid –, dass genau Sie gerade zweierlei Maß angelegt haben. Wie kann man hier fünf Minuten reden und die Menschenrechtsverletzungen in Aserbaidschan nicht beim Namen nennen? Sie werden mir ja vielleicht noch antworten. Würden Sie bitte einmal benennen, dass es politische Gefangene in Aserbaidschan gibt? Oder sehen Sie nicht, dass es solche politischen Gefangenen gibt und dass es deshalb auch notwendig ist, das hier im Deutschen Bundestag zu benennen, um den Menschen vor Ort jedenfalls ein bisschen zu helfen? (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Hahn. Dr. André Hahn (DIE LINKE): Frau Präsidentin, ich will gerne darauf reagieren. – Herr Schwabe, ich bitte Sie einfach, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich in meinem ersten Satz davon gesprochen habe, dass es beträchtliche Menschenrechtsverletzungen in Aserbaidschan gibt. Ich habe dann auch konkret welche genannt, nämlich die Einschränkung von Presse- und Versammlungsfreiheit, die nicht vorhandene Unabhängigkeit der Justiz und die weitverbreiteten korruptiven Strukturen. Das habe ich aufgezählt. Ich bestreite nicht, dass es politische Gefangene gibt. Es gibt auch keinen Grund, das zu bestreiten. Ich habe nur versucht, deutlich zu machen, dass Sie hier vor sportlichen Großereignissen bei bestimmten Ländern Anträge stellen, während Sie das bei anderen Ländern, in denen es auch Menschenrechtsverletzungen gibt – dafür habe ich als Beispiel die Todesstrafe in den Vereinigten Staaten genannt –, nicht tun. Ich glaube, dass es wichtig ist, mit den Verantwortlichen in Aserbaidschan einen politischen Dialog zu führen. Es hilft nicht, die Menschenrechtsverletzungen, die es gibt, zu leugnen oder zu verharmlosen. Das will ich auch nicht tun. Aber wir möchten uns dann bitte schön alle ernst nehmen und andere Defizite, die es gibt, ebenso deutlich ansprechen. (Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Die hätten Sie beim Besuch des ägyptischen Staatspräsidenten auch nennen müssen!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Dr. Ute Finckh-Krämer, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Vor gut vier Wochen hat die Arbeitsgruppe Menschenrechte der SPD-Fraktion die Initiative zu dem Koalitionsantrag ergriffen, der heute zur Abstimmung vorliegt. Wir wollten die heutige Eröffnung der Europaspiele in Baku zum Anlass nehmen, die Menschenrechtssituation in Aserbaidschan zu reflektieren, die sich nach der Einschätzung von internationalen Menschenrechtsorganisationen in den letzten Jahren deutlich verschlechtert hat. Insbesondere sind wir um das Schicksal der politischen Gefangenen im Land besorgt. Unter menschenunwürdigen Bedingungen sitzen immer mehr Menschenrechtsverteidiger, Rechtsanwälte, Journalisten, Blogger und politisch aktive Personen, die eine unabhängige Meinung vertreten, im Gefängnis. Denken wir stellvertretend für alle unrechtmäßig Inhaftierten an Intigam Aliyev, Khadija Ismayilova, Rasul Jafarov, Ilgar Mammadov, Tofig Yagublu, Anar Mammadli, Seymur Haziyev, Rauf Mirgadirov, Ilkin Rustemzadeh und an Leyla und Arif Yunus. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ihnen gilt unsere Solidarität. In den vergangenen Tagen erreichten uns weitere beunruhigende Nachrichten aus Aserbaidschan. Das Einreiseverbot für die Delegation von Amnesty International hat der Kollege Frank Heinrich eben erwähnt. Die britische Zeitung Guardian teilte zudem gestern mit, dass ihrem Sportkorrespondenten Owen Gibson die Akkreditierung und damit die Einreise verweigert wurde, vermutlich aufgrund eines kritischen Berichtes im Vorfeld der Europaspiele. Noch gravierender ist die ebenfalls schon erwähnte Tatsache, dass die Regierung Aserbaidschans Anfang des Monats die OSZE aufgefordert hat, innerhalb eines Monats das Büro des OSZE-Projektkoordinators in Baku zu schließen und ihre Programme im Land zu beenden; dies wurde in dieser Woche öffentlich bekannt. Die völlig überraschende ultimative Forderung der aserbai-dschanischen Regierung, das Büro, das bisher außerordentlich gute Arbeit geleistet hat, bis Ende dieses Monats zu schließen, wirft ein weiteres äußerst negatives Bild auf die politische Lage in dem Land. Die Regierung Aserbaidschans ist dringend aufgefordert, diese Entscheidung zurückzunehmen und ihren OSZE-Verpflichtungen vollumfänglich nachzukommen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutschland übernimmt nächstes Jahr den OSZE-Vorsitz. Daher bitten wir die Bundesregierung um ein deutliches Zeichen der Missbilligung, das zum Beispiel darin bestehen könnte, den aserbaidschanischen Botschafter einzubestellen und ihm die Forderung nach Rücknahme dieser Entscheidung zu übermitteln. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir müssen sorgfältig darauf achten, welche Auswirkungen die Schließung des Büros auf die Beobachtung der Parlamentswahlen im November durch die OSZE haben wird. Die Berichte über die Durchführung der Parlamentswahlen 2010 und der Präsidentenwahl am 9. Oktober 2013 haben zahlreiche Mängel offenbart; in ihnen werden auch Empfehlungen für zukünftige Wahlen abgegeben. Herr Dr. Hahn, wenn Sie Aserbaidschan und die USA vergleichen, dann würde ich Sie bitten, auch einmal die Berichte zu vergleichen. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das habe ich nicht gemacht! Nein!) – Sie haben jedenfalls den Eindruck erweckt, dass Sie das tun. – Es wäre gut, wenn Sie auch einmal in die Beobachtungsberichte über die Wahlen in den USA und über die in Aserbaidschan schauen. Dann sehen Sie vielleicht, dass es um die Demokratie zumindest in Bezug auf das Thema Wahlen in beiden Ländern sehr unterschiedlich bestellt ist. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Frank Heinrich [Chemnitz] [CDU/CSU]) Das gemeinsame Haus Europa wird nicht in erster Linie durch sportliche Großereignisse definiert, sondern durch gemeinsame Regeln für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und den Schutz der Menschenrechte. Darauf können und müssen wir heute hinweisen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich bitte daher um Zustimmung zu unserem Antrag. Danke schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke schön. – Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Özcan Mutlu das Wort. Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist interessant, dass sich bei einer Redezeit von insgesamt zehn Minuten kein einziger Sportpolitiker der CDU/CSU-Fraktion die Mühe gemacht hat, zu den European Games Position zu beziehen. Wir haben als Fraktion vor mehreren Wochen einen Antrag in den Bundestag eingebracht mit dem Titel „Für verbindliche politische Regeln im internationalen Sport – Menschenrechte achten, Umwelt schützen, Korruption bekämpfen“. Die jüngsten Skandale der FIFA und auch die aktuelle Debatte über die European Games in Baku sind der beste Beweis dafür, wie richtig wir mit unserem Antrag liegen und wie wichtig es ist, dass wir uns an dieser Stelle endlich einmal bewegen. Ich empfehle Ihnen, vor allem der Großen Koalition, unseren Antrag vor der zweiten Beratung hier im Bundestag noch einmal, dann aber bitte ohne schwarz-rote Scheuklappen, genau durchzulesen. Vielleicht können Sie dann über Ihren Schatten springen. Unser Antrag bietet konkrete Lösungsansätze und formuliert klare Kriterien, um Ausrichter von Sportgroßveranstaltungen in der ganzen Welt insbesondere in der Frage der Einhaltung der Menschenrechte beim Wort und an die Kandare zu nehmen. Heute diskutieren wir über die Menschenrechtslage in Aserbaidschan. Ehrlich gesagt: Ich hätte nicht gedacht, dass wir diese Diskussion führen; ich hätte Ihnen das nicht zugetraut. Nach Tagen der Unklarheit darüber, ob diese Debatte überhaupt stattfinden wird, war ich wirklich überrascht, doch so klare Worte in Ihrem Antrag zu finden. Anscheinend haben sich bei Ihnen in den Reihen der Großen Koalition die Freunde der aserbaidschanischen Führung nicht durchsetzen können, und ich sage an dieser Stelle: Das ist auch gut so. Wir müssen in der Tat feststellen, dass sich der autoritäre Kurs des Landes trotz vielerlei Bemühungen in den letzten Jahren deutlich verschärft hat. Dies gipfelt ganz aktuell – wir haben es von einigen Vorrednern gehört – in der Forderung an die OSZE, das örtliche Büro zu schließen, und in dem Einreiseverbot für Amnesty International und zahlreiche internationale Medienvertreter; The Guardian wurde hier genannt. Dabei wollten alle nur zu den European Games und darüber berichten. Kurz gesagt: Auch wenn Ihr Antrag bewusst manche Dinge außer Acht lässt, begrüßen wir im Grundsatz Ihre Forderungen an die Bundesregierung. Aber hier sind Taten gefordert statt wohlgemeinter Worte. Ihre Politik spricht eine andere Sprache. Wir werden die European Games mit unserem Antrag zum Anlass nehmen, dieses Thema anzusprechen. Heute werden die ersten European Games in Baku eröffnet, die den europäischen Kontinent bis zum 28. Juni mit Sport unterhalten sollen. Mir will einfach nicht in den Kopf, warum Sie dieses herausragende internationale Sportereignis des Jahres zwar in Ihren Reden, aber in Ihrem Antrag mit keinem einzigen Wort ansprechen. Ich frage auch deswegen, weil viele der inhaftierten Menschenrechtler und Journalisten unter anderem auch wegen ihrer Kritik an den European Games inhaftiert und verurteilt wurden. Ich habe aber auch an weiteren Punkten Kritik. Sie beschönigen zum Beispiel den bisherigen Einfluss der Bundesregierung bzw. ihre Absicht, überhaupt auf die Menschenrechtssituation einzugehen. Die Bundesregierung selbst hat letzten Mittwoch im Ausschuss für Menschenrechte vorgetragen, dass bis auf die Verbesserung der medizinischen Versorgung einer bekannten Inhaftierten der Einfluss der Bundesregierung auf den Menschenrechtsdialog gleich null war; das muss man hier deutlich sagen. Deshalb sage ich: Hören Sie bitte auf, sich die Welt schönzureden. Dies sage ich vor allem in Ihre Richtung, Herr Kollege Hahn. Ich schätze Sie sonst sehr; aber hier hatte ich wirklich etwas anderes von Ihnen erwartet. Meine Damen und Herren, lassen Sie uns das Kind beim Namen nennen. Das Land Aserbaidschan entfernt sich immer mehr von universellen Werten wie dem Recht auf freie Meinungsäußerung, Pressefreiheit und Menschenrechte. Lassen Sie uns gemeinsam die Bundesregierung auffordern, statt wirtschaftliche Interessen zu verfolgen, noch entschiedener gegenüber Aserbai-dschan und anderen Ländern, in denen Menschenrechte mit Füßen getreten werden, aufzutreten und sich für die Einhaltung der Menschenrechte einzusetzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Enden möchte ich mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, mit einem schönen türkischen Sprichwort. Es heißt: „Dost aci söyler“. Ein Freund ist der, der auch unliebsame Wahrheiten ausspricht. – Wir müssen hier deutliche Worte sprechen und sagen: Die Menschenrechte sind nicht verhandelbar. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. Das ist auch der Grund, warum ich immer an die Redezeitbegrenzung erinnern muss. Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt spricht jetzt die Kollegin Michaela Engelmeier, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Michaela Engelmeier (SPD): Herzlichen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Drei Minuten Redezeit sind kurz. Deswegen komme ich schnell zur Sache. – Eines vorweg: Ich unterstütze den gemeinsamen Antrag von CDU/CSU- und SPD-Fraktion voll und ganz. Aber gestatten Sie mir als sportpolitische Sprecherin meiner Fraktion, die übrigens nicht zu den European Games nach Aserbaidschan reist, auf die sportpolitischen Dimensionen kurz einzugehen. Wir haben es gehört: Vom 12. bis zum 28. Juni 2015 finden die ersten European Games in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku statt. Diese Spiele sind nicht nur ein sportliches Großereignis, sondern auch ein Politikum; das muss man in aller Deutlichkeit sagen. Seit der Präsidentschaftswahl 2013 hat sich die Menschenrechtslage in Aserbaidschan – Herr Heinrich, Sie haben es bereits angeführt – massiv verschlechtert. Viele Regimekritiker verlassen das Land, sind inhaftiert oder werden überwacht. Die staatliche Repression richtet sich gegen Menschenrechtsverteidiger, Rechtsanwälte, Journalisten und alle politisch aktiven Personen, die eine unabhängige Meinung vertreten. Um eine kritische Berichterstattung während der Europaspiele zu verhindern, drohen die Behörden den Journalisten mit dem Entzug der Akkreditierung und weiteren Strafmaßnahmen. Zugleich nutzt die aserbaidschanische Regierung die Europaspiele als politische Imagewerbung. Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich das für eklatant falsch und ungerecht halte. Natürlich stehen bei Sportgroßveranstaltungen die Sportlerinnen und Sportler mit ihren Leistungen im Mittelpunkt, und das ist auch richtig so. Aber deshalb dürfen Menschenrechtsverletzungen in Austragungsländern nicht einfach ausgeblendet werden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Solange sich autoritäre Staaten wie Aserbaidschan nicht glaubhaft um eine Demokratisierung und die Einhaltung der Menschenrechte bemühen, sollten große internationale Sportereignisse nicht dorthin vergeben werden. Erfahrungen mit den Olympischen Spielen in China und Russland sowie der Eishockey-Weltmeisterschaft in Belarus zeigen, dass positive Auswirkungen auf die Lage der Menschenrechte in den betreffenden Ländern leider ausbleiben. Seit Jahren sehen wir uns mit der Situation konfrontiert, dass zahlreiche internationale Spitzenverbände ihre Großveranstaltungen in Staaten vergeben, die autoritäre Strukturen aufweisen und die Menschenrechte nicht beachten bzw. sie politischen Zielen unterordnen. Darum müssen wir in Gesprächen mit nationalen und internationalen Sportverbänden nachdrücklich auf deren menschenrechtliche, soziale und ökologische Verantwortung bei der Auswahl der Austragungsorte für Sportereignisse hinweisen und empfehlen, diese Kriterien in die Ausrichterverträge aufzunehmen (Beifall der Abg. Dr. Ute Finckh-Krämer [SPD]) und ihre Umsetzung einzufordern und nachzuhalten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Frank Heinrich [Chemnitz] [CDU/CSU]) Derzeit sind in Aserbaidschan mindestens acht Journalisten und vier Blogger wegen ihrer Tätigkeit im Gefängnis. Ich will sie kurz aufzählen; Ute, du hast das ebenfalls gemacht. Ich fordere hiermit die Regierung von Aserbaidschan auf: Lassen Sie diese Menschen frei: Khadija Ismayilova, die seit fünf Monaten in Unter-suchungshaft sitzt, Rauf Mirgadirov, der seit über einem Jahr in Untersuchungshaft sitzt, Sejmur Chasi, der wegen „schweren Rowdytums“ zu fünf Jahren verurteilt wurde, und nicht zuletzt Leyla und Arif Yunus als Aktivisten gegen Menschenrechtsverletzungen. Lassen Sie diese politischen Gefangenen frei, und wahren Sie die Menschenrechte in Ihrem Land. (Beifall des Abg. Burkhard Lischka [SPD]) Mein letzter Satz. Im Übrigen finde ich es geradezu eine Unverschämtheit und halte es für einen Affront, dass die aserbaidschanische Botschaft in einer Pressemitteilung Journalisten in unserem Land brandmarkt, weil sie kritisch über die Spiele berichten. Sehr geehrter Herr Botschafter aus Aserbaidschan, zu Ihrer Information: In unserem Land herrscht Presse- und Meinungsfreiheit! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/5092 mit dem Titel „Einhaltung der Menschenrechte in Aserbaidschan einfordern“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag mit den Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5097 (neu) mit dem Titel „Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte in Aserbaidschan auch bei den Europaspielen 2015 einfordern“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a und 28 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Luise Amtsberg, Tom Koenigs, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Seenotrettung jetzt – Konsequenzen aus Flüchtlingskatastrophen auf dem Mittelmeer ziehen Drucksache 18/4695 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Das Mittelmeer darf nicht zum Massengrab werden – Für eine Umkehr in der EU-Asyl-politik Drucksache 18/4838 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich sehe, dass Sie damit einverstanden sind. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Tom Koenigs, Bündnis 90/Die Grünen. Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seenotrettung, das können wir, das geht. Die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger mit 180 Festangestellten und 800 Freiwilligen rückt jedes Jahr 2 000-mal aus und rettet Hunderte. Nord- und Ostsee sind sicher. Das wünschten wir uns auch für das Mittelmeer. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg. Rüdiger Veit [SPD]) Das geht. Es ist eine Verpflichtung der Europäischen Gemeinschaft; denn es handelt sich um unsere europäischen Grenzen. Es ist außerdem eine Verpflichtung jedes einzelnen Mitgliedstaats. Stichwort „Mare Nostrum“, die italienische Marine hat gezeigt, dass es geht. Das zeigen inzwischen auch eigentlich dafür nicht geschaffene Organisationen wie Frontex, Triton und Poseidon, oder welche Meeresgötter wir noch anrufen. Hinzu kommt: Jeder einzelne Mitgliedstaat hat seine Verpflichtungen. Deutschland stellt Fregatten, Tender und Einsatzgruppenversorger zur Verfügung. Das ist gut. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was wir brauchen, ist eine effektive, koordinierte europäische Seenotrettung. Dahin müssen wir kommen, und auch das geht. Was leider noch nicht geht, ist das Aufnahmeverfahren. Wir brauchen ein menschenwürdiges, einheitliches und effektives europäisches Aufnahmeverfahren. Darüber wird jetzt noch verhandelt, hoffentlich unter aktiver und erfolgsorientierter Beteiligung. Auch die Verteilung stellt noch ein Problem dar. Hierzu gibt es einen Vorschlag der EU-Kommission. Hoffentlich kommen wir zu einem guten Ergebnis. Was noch überhaupt nicht geht, ist die Familienzusammenführung durch legale Einreise. Selbst bei Menschen, die das Recht haben, hierher einzureisen, dauert das konsularische Verfahren noch acht bis elf Monate. Syrische Flüchtlingsfamilien sitzen in irgendwelchen Lagern und erhalten wegen eines Engpasses im Konsulat ihre Papiere nicht. Das geht nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ja, das ist ein Verwaltungs- und Kapazitätsproblem. Das wird dann aber zu einem Menschenrechtsproblem. Ich weiß, dass es schwierig ist, Personal zu finden. Ich weiß, dass wir das im Nachtragshaushalt regeln. Wenn wir aber mit einem solchen Problem konfrontiert sind, müssen wir notfalls einen Krisenstab bilden. Schließlich können wir auch auf Erdbeben innerhalb von zwei Tagen reagieren. Warum nicht auf diese humanitäre Katastrophe? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel fragte unlängst: Warum können syrische Flüchtlingsfamilien nicht mit der Fähre nach Europa kommen? (Beifall der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) Das ist richtig. Das hat er aber leider nicht im Kabinett gesagt. Wir brauchen Möglichkeiten der legalen Einreise. Da geht mehr, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) zum Beispiel humanitäre Visa wenigstens in den Fällen, wo das Recht zur Einreise, das Recht auf Asylgewährung offensichtlich ist – wenigstens da, wenn nicht mehr. Was gar nicht geht, sind die Ablenkungsdiskurse, mit denen versucht wird, von Themen zu reden, die offensichtlich nicht schnell lösbar sind. Das eine sind die Ursachen der Flucht im Heimatland. Wir haben über Eritrea geredet. Da wird sich kurzfristig leider nichts ändern, bedauerlicherweise auch nicht in Syrien. Das sind Ablenkungsdiskurse. Ein anderer, noch sehr viel gefährlicherer ist der Krieg gegen die Schlepper. Im Chinesischen Meer versucht man eine Militarisierung des Vorgehens gegen Schlepperbanden und geht damit letzten Endes wie gegen Piraten vor. Das sind aber keine Piraten, wie die Bundesregierung uns dankenswerterweise auf entsprechende Fragen antwortet. Jetzt werden wir durch freundliche Briefe des Außenministers und der Verteidigungsministerin darauf hingewiesen, dass es zunächst um die erste Phase gehe, nämlich die Informationsgewinnung bezüglich der Schlepperbanden. Die nächste Phase sei dann die militärische Intervention – ich frage mich: wie eigentlich? –; aber darüber sei man ja noch in Verhandlung. Man ist aber nicht nur in Verhandlung. Auf europäischer Ebene hat man das schon beschlossen und -lobbyiert kräftig, um ein Mandat des Sicherheitsrates zu bekommen. Da kann man ja nur hoffen, dass die Russen ihr Veto einlegen; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) denn das ist quasi eine Aufforderung zum Kollateralschaden. Wie soll das eigentlich gehen? Das sind allenfalls polizeiliche Aufgaben. Aber militärische? Wollen wir auf die Boote schießen, oder was? In der Öffentlichkeit ist man immer sehr zurückhaltend. Sehr viel weniger zurückhaltend ist man in den Verhandlungen. Ich hoffe, dass es dem Sekretariat der Vereinten Nationen, das auch schon seine Bedenken geäußert hat, gelingt, die Herren permanenten Repräsentanten, auch der europäischen Länder, davon abzubringen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Annette Groth [DIE LINKE]) einschließlich der Hohen Repräsentantin der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, Mogherini. Ich fasse zusammen: Was wir brauchen, ist eine effektive, koordinierte europäische Seenotrettung, ein menschenwürdiges, einheitliches, schnelles Aufnahmeverfahren und legale Einreisemöglichkeiten für Flüchtlinge. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke schön. – Für die Bundesregierung spricht jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ole Schröder. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Deutschland und Europa stehen vor der größten Herausforderung im Bereich der Asylpolitik seit den 90er-Jahren. (Beifall des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Seit Jahren steigen die Asylbewerberzahlen in Deutschland sprunghaft an: von circa 77 600 Asylbewerbern im Jahr 2012 auf über 202 000 Asylbewerber im Jahr 2014. Allein in den ersten fünf Monaten dieses Jahres sind über 140 000 Asylbewerber zu uns gekommen; davon kam fast die Hälfte aus den als sicher zu betrachtenden Westbalkanstaaten, also aus Europa. Insbesondere unsere Kommunen stoßen an ihre Belastungsgrenzen. Europaweit ist im Jahr 2014 die Zahl der registrierten Asylbewerber um knapp 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf einen Spitzenwert von 626 000 gestiegen. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie einen falschen Sprechzettel, Herr Schröder?) Natürlich, Kollege Koenigs, geht es darum, dass wir die humanitäre Katastrophe auf dem Mittelmeer abwenden. Meine Damen und Herren, bisher ist es uns, wie auch der Vorredner deutlich gemacht hat, nicht gelungen, ein einheitliches Asylsystem in Europa zu implementieren. Wir haben zwar Richtlinien verabschiedet, aber wie so häufig in Europa hapert es an der Implementierung. Stattdessen wandern Flüchtlinge von den europäischen Außengrenzen in großer Zahl, ohne registriert und versorgt zu werden, weiter nach Nordeuropa. Wir haben zurzeit eine De-facto-Verteilung auf wenige Mitgliedstaaten. Drei Viertel aller Asylverfahren in 2014 entfallen auf nur fünf EU-Mitgliedstaaten, allen voran Deutschland. Unser Ziel ist humanitäre Hilfe für die wirklich Schutzbedürftigen. Wir können aber nicht jeden aufnehmen, der sich ein besseres Leben verspricht. Das würde unser Asylsystem und vor allem auch die Willkommenskultur in Deutschland und in ganz Europa gefährden. (Beifall des Abg. Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]) Der Europäische Rat hat am 23. April 2015 klargemacht, dass es jetzt in erster Linie darauf ankommt, Leben zu retten und die Seenotrettung auf dem Mittelmeer zu gewährleisten. Als Sofortmaßnahmen sind die finanziellen Mittel für die Frontex-Operationen Triton und Poseidon verdreifacht worden. Der Einsatzraum der Operation Triton ist bis an die libysche Küste herangeführt worden. Seit Anfang Mai sind zwei deutsche Marineschiffe, die Fregatte „Hessen“ und der Einsatzgruppenversorger „Berlin“, zur Seenotrettung im südlichen Mittelmeer vor Ort. Aber natürlich müssen auch die afrikanischen Staaten ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen zur Seenotrettung nachkommen. Ich denke, dass muss in einer solchen Debatte auch erwähnt werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ein weiterer Schwerpunkt liegt bei der Bekämpfung der kriminellen Schlepperbanden. Das ist ganz entscheidend; denn natürlich stehen wir vor einem Dilemma: Je mehr Menschen wir retten, desto einfacher machen wir es eben auch den Schleppern. Natürlich ist die Seenotrettung notwendig. Gleichzeitig aber ist es notwendig, die Schlepperbanden zu bekämpfen. Dazu zählt auch die Zerstörung der Schlepperboote, die Zerstörung der Werkzeuge dieser Schlepper, wenn es völkerrechtlich möglich ist. (Rüdiger Veit [SPD]: Das geschieht doch schon seit Jahren!) Wir verbessern außerdem die Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitländern – das ist ganz entscheidend –, insbesondere mit Libyen und Ägypten. Nur so ist es möglich, auch die Fluchtursachen zu bekämpfen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Schröder, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Trittin? Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Gerne. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Schröder, kann ich Ihre Äußerung, dass es nötig sei, Boote zu zerstören, so verstehen, dass Sie hier namens der Bundesregierung erklären, dass Sie zur Schaffung der völkerrechtlichen Voraussetzungen als Bundesrepublik Deutschland aktiv ein solches Mandat beim Sicherheitsrat der Vereinten Nationen dafür anstreben? Das wäre ja die Konsequenz Ihrer Äußerung. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: So hat es sich angehört! Das stimmt!) Diese Frage sollten Sie hier vielleicht einmal beantworten. Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Trittin, wir sind uns doch darüber einig, dass es notwendig ist, die Schlepperbanden zu bekämpfen. Ich habe manchmal, wenn ich mir Reden von Mitgliedern Ihrer Fraktion anhöre, das Gefühl, dass Sie die Schlepper mittlerweile als eine humanitäre Organisation ansehen. (Rüdiger Veit [SPD]: Das ist doch Unsinn!) Wir müssen das Treiben der Schlepper bekämpfen. Dazu ist es selbstverständlich notwendig, deren Werkzeuge zu zerstören. Das wird ja schon auf hoher See gemacht. Inwieweit das innerhalb der 12-Seemeilen-Zone möglich ist oder sogar auf libyschem Territorium, das wird gerade in der EU diskutiert. Dem Ergebnis kann ich natürlich nicht vorgreifen. In der ersten Phase geht es erst einmal darum, sich überhaupt ein Lagebild zu machen und sich Klarheit darüber zu verschaffen, ob die zweite und die dritte Phase notwendig sind, um die Schlepperbanden wirklich effektiv zu bekämpfen. Ich glaube das schon. Ich stelle aber einmal die Frage zurück. Wollen Sie wirklich sagen – das klang ja aus der Rede von Herrn Koenigs heraus –: „Wir retten, da sind wir uns alle einig; aber die Bekämpfung der Schlepperbanden lassen wir sein“? Das wäre ja Ihre Schlussfolgerung, wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Trittin. Meine Damen und Herren, ganz entscheidend ist, dass wir unseren humanitären Verpflichtungen nachkommen, dass wir das ernst nehmen. Das werden wir auch weiter tun. Ganz besonders wichtig ist die Hilfe vor Ort im Nahen und Mittleren Osten. Hiermit erreichen wir die meisten Menschen. Das sehen auch alle Helfer so. Außerdem haben wir unser nationales Resettlement-Programm für besonders Schutzbedürftige ausgebaut. Wir gehören damit zu den Vorreitern in Europa. Die Kommission ist mit ihrem Vorschlag für ein EU-Resettlement-Programm unserem Ansatz ja auch gefolgt. Jetzt sollte schnell darüber entschieden werden, dass nach Möglichkeit auch alle anderen Mitgliedstaaten diesem Beispiel folgen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Staatssekretär, es sind noch zwei weitere Zwischenfragen von den Herren Koenigs und Nouripour angemeldet. Wollen Sie die zulassen? Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Ich würde angesichts der fortgeschrittenen Zeit eine Zwischenfrage zulassen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Dann ist es der Kollege Nouripour. Er hatte sich als Erster gemeldet. – Herr Kollege Koenigs, Sie dann nicht. Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Bitte. – Ich beantworte eine Zwischenfrage. Sie können sich ja das nächste Mal um mehr Redezeit bemühen. (Widerspruch bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, herzlichen Dank, dass Sie die Frage zulassen. Wie wir in unserer Fraktion die Redezeiten verteilen, ist unsere Angelegenheit. Ich möchte etwas zurückweisen und eine Frage stellen. Zurückweisen möchte ich das, was Sie permanent als Pappkameraden aufstellen: Wir können nicht alle aufnehmen. – Nein, wir können auch nicht alle Chinesen aufnehmen. Das wäre zu viel. Das ist aber hier gar nicht das Thema. Deshalb ist es einfach nur Stimmungsmache, immer davon zu sprechen, dass wir nicht alle aufnehmen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich komme zu meiner Frage. Sie haben ja gesagt, es passiert bereits auf hoher See, dass die Werkzeuge der Schlepper zerstört werden. Das ist so, wie Sie es formuliert haben, nicht richtig. Richtig ist, dass die Fregatte „Hessen“ beispielsweise die Flüchtlinge aufnimmt und dann die leeren Boote zerstört. Das geschieht nicht, weil das Schlepperboote sind, sondern weil es das Internationale Seerecht so will, dass leere Geisterschiffe nicht einfach so herumschippern; denn das wäre eine Gefährdung der Sicherheit. Wenn Boote draußen sind, befinden sich Menschen in ihnen. Dann kann man sie nicht aus der Luft zerstören. Wie wollen Sie denn – aus der Luft auf einen Hafen schauend, in dem sich ein leeres Boot befindet – beurteilen, ob es ein Fischerboot ist, ob es ein Schlepperboot ist oder ob es vielleicht tagsüber ein Fischerboot und nachts ein Schlepperboot ist? Wie wollen Sie das eigentlich unterscheiden? (Rüdiger Veit [SPD]: Man muss es sich anschauen!) Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Ich glaube, Sie machen den Fehler, den zweiten vor dem ersten Schritt zu machen. Zunächst einmal würde ich es begrüßen, wenn Sie sich, bevor Sie hier mögliche Hindernisse benennen und Probleme formulieren, in einem ersten Schritt einmal dazu bekennen würden, dass es richtig ist, Schlepperboote, wenn sie denn als solche identifiziert werden, zu zerstören. Dieses Bekenntnis zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität habe ich von Ihnen bisher nicht gehört, sondern Sie haben bis jetzt nur Probleme formuliert. Für mich kommt es darauf an, dass wir uns zunächst einmal darüber einig sind, was notwendig ist. Notwendig ist, diesen kriminellen Schleppern und Netzwerken, die mit der humanitären Katastrophe, mit dem Leid der Menschen Millionen verdienen, das Handwerk zu legen. Ich glaube, darüber sollten wir uns erst einmal einig sein. (Beifall bei der CDU/CSU) Natürlich ist es im Einzelfall nicht einfach, zu identifizieren, ob es sich um ein Schlepperboot handelt oder nicht; aber natürlich ist das möglich. Vor diesem Problem stehen wir auch bei anderen internationalen Einsätzen. Natürlich kann man sehen: Ist das ein Fischerboot, das als solches betrieben wird, oder wird dieses Fischerboot unter Umständen als Schlepperboot für den Menschenhandel missbraucht? Es geht vielleicht nicht -immer, aber es gibt Möglichkeiten – auch durch internationale Zusammenarbeit, durch Zusammenarbeit mit den Transitländern, beispielsweise durch Informationen, die aus den Häfen kommen –, die Informationen so zu verdichten, um eine solche Entscheidung am Ende zu fällen. Ich glaube, dass Sie nicht nur Hindernisse bei der Bekämpfung der Schlepperkriminalität sehen sollten, sondern dass wir uns gemeinsam dafür einsetzen sollten, dass das, was wir vorsehen, möglich ist, um diese humanitäre Katastrophe zu bekämpfen. Meine Damen und Herren, für die Bundesregierung kommt es vor allem darauf an, dass wir die unkontrollierte Weiterwanderung und die De-facto-Verteilung nach Deutschland stoppen. Der Vorschlag der Kommission für ein vorläufiges Verteilungssystem zugunsten von Italien und Griechenland geht unseres Erachtens in die richtige Richtung. Das betrifft circa 40 000 Personen. Auf Deutschland entfallen davon insgesamt etwa 8 700. Dieser Vorstoß stößt innerhalb der Mitgliedstaaten teilweise auf Widerstand. Wir als Bundesregierung unterstützen ihn, auch wenn natürlich noch einige Fragen zu klären sind. Asylbewerber müssen dort versorgt und registriert werden, wo sie ankommen. Wir unterstützen deshalb die Einrichtung von sogenannten Hotspots. Die Asylbewerber, die erkennbar ohne Schutzgrund sind, müssen sofort wieder zurückgeführt werden. Voraussetzung für die Umverteilung von Asylbewerbern ist in jedem Fall, dass die Mitgliedstaaten das gemeinsame europäische Asylsystem auch konsequent und gleichwertig anwenden. Es geht also darum, dass wir -anbieten – insbesondere Italien und Griechenland –, Flüchtlinge zu übernehmen. Im Gegenzug erwarten wir aber auch die Implementation des europäischen Rechts, das heißt Relocation gegen Implementation. Meine Damen und Herren, wir müssen in Deutschland unsere Hausaufgaben machen, auch innerhalb -Europas. Das heißt, wir müssen den Asylmissbrauch in Bezug auf die Westbalkanstaaten effektiv bekämpfen, um genügend Kapazitäten zu haben, um uns um die wirklich Schutzbedürftigen zu kümmern. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, es muss europäische Aktivitäten geben, wie wir das Problem der Asylbewerber in Europa in den Griff bekommen. Die Bundesregierung stellt sich diesen Aufgaben. Ich fand es wohltuend, lieber Herr Koenigs, dass Sie heute nicht nur Betroffenheit formuliert haben, wie wir das so häufig aus Ihrer Fraktion kennen, sondern sich auch intensiv mit Möglichkeiten der Problemlösung auseinandergesetzt haben; denn genau darum geht es bei diesem komplexen und schwierigen Thema. Ich fordere Sie als Opposition auf, sich an diesem Diskurs zu beteiligen und für Problemlösung zu sorgen. Das ist notwendig in dieser Zeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Der Kollege Trittin hat eine Kurz-intervention angemeldet. Bitte schön. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Kollege Herr Schröder, ich finde, Sie haben hier ziemlich unglaubliche Äußerungen getan. Sie haben erstens gesagt, dass jede Form von Rettung auch eine Erleichterung des Geschäftes für Schlepper ist. Wollen Sie ernsthaft dann der umgekehrten Logik folgen: „Je weniger wir retten, umso schwieriger ist das Geschäft für Schlepper“? Oder ist es nicht so gewesen, dass, als Europa weniger Menschen gerettet hat, nicht weniger Menschen von Schleppern auf See gesetzt worden sind, sondern einfach mehr ersoffen sind? Das ist eine unglaublich unmenschliche Haltung, die Sie an den Tag gelegt haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Zweitens. Ich weise mit Nachdruck die Unterstellung zurück, dass Menschen, die Ihre Position nicht teilen, Schlepperorganisationen für humanitäre Organisationen halten. Wer effektiv etwas gegen diese Verbrecher machen will, muss den Weg gehen, den Tom Koenigs völlig zu Recht beschrieben hat. Er muss legale Flucht- und Zuwanderungsmöglichkeiten schaffen. Wer das macht, verhindert, dass die Menschen in ihrer Not für teures Geld auf schlechten Booten fliehen. Das ist Bekämpfung und Austrocknung des Schlepperunwesens, und nicht Ihr symbolisches Reden, dass man hart gegen Schlepper sei, aber in Wirklichkeit ihr Geschäft nicht zerstört. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Letzte Bemerkung. Ich habe sehr genau zugehört. Sie haben es noch einmal bestätigt. Sie haben hier für die Regierung der Bundesrepublik Deutschland erklärt, sie streben an, in Libyen Boote mit Anwendung militärischer Gewalt zu zerstören. Damit setzen Sie sich in einen scharfen Kontrast zur Haltung zum Beispiel des UN-Generalsekretärs Ban Ki-Moon, der ausdrücklich erklärt hat: Diese Haltung ist aus seiner Sicht unverantwortlich, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) weil genau diese Unterscheidung, die Sie gemacht haben, nicht gemacht werden kann. – Ich bin der Auffassung, dass Deutschland auf den Kurs der Vereinten Nationen zurückkehren und von dem Kurs der Eskalation und des militärischen Abenteurertums in Libyen absehen sollte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Herr Staatssekretär, Sie haben jetzt die Gelegenheit, zu antworten. Bitte schön. Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Trittin, ich finde Ihre Äußerung ungeheuerlich. Ich finde es vor allen Dingen ungeheuerlich, dass es noch nicht einmal möglich ist, im Bundestag ein Dilemma darzustellen. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie sich doch nicht raus!) Selbstverständlich ist es ein Dilemma, dass wir, wenn wir humanitäre Hilfe leisten und Menschen aus Seenot retten – dazu haben wir uns als Bundesregierung ausdrücklich bekannt und in Europa alles auf den Weg gebracht –, gleichzeitig das Geschäft der Schlepper erleichtern. Auch das ist zurzeit auf dem Mittelmeer zu sehen. Die Schlepper lassen die Flüchtlinge mit immer untauglicheren Booten auf See. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass wir mehr Rettung anbieten. Nichtsdestotrotz ist es unsere humanitäre Verpflichtung, zunächst zu retten, aber gleichzeitig ist es, um aus diesem Dilemma herauszukommen, notwendig, dass wir natürlich auch die Schleuser bekämpfen. Ich hätte mir gewünscht, Sie hätten in Ihrer Kurzintervention zumindest zum Ausdruck gebracht, dass dies auch notwendig ist. Sie haben mich des Weiteren bewusst falsch interpretiert, indem Sie gesagt haben, ich hätte hier bereits ein Bekenntnis dazu abgegeben, dass es notwendig ist, die Schlepperboote auf libyschem Territorium zu zerstören. Genau das habe ich nicht gesagt. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf welchem denn dann?) Vielmehr hat der Bundesaußenminister zusammen mit der Bundesverteidigungsministerin ein Phasenmodell vorgestellt, das vorsieht, in Phase eins zunächst einmal genau zu beobachten: Es werden Informationen gesammelt, um erkennen zu können, ob es wirklich notwendig ist, auf libyschem Territorium, innerhalb der 12-Seemeilen-Zone, operativ tätig zu werden, oder ob es beispielsweise reicht, auf hoher See tätig zu sein. Kollege Nouripour hat es ja schon zum Ausdruck gebracht: Zum Glück werden bereits heute Schlepperboote von der Marine zerstört, weil sie eine schifffahrtspolizeiliche Gefahr darstellen. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht, weil es Schlepperboote sind!) Aber man zerstört sie natürlich vor allen Dingen auch deshalb, weil man dieses Werkzeug der Schlepper vernichten muss, damit sie nicht noch mehr Menschen in Seenot bringen und Geld mit dem Leid der Menschen verdienen. Insofern würde ich mir wünschen, dass Sie, Herr Trittin, nicht versuchen, hier Stimmung zu machen, sondern sich der Verantwortung bewusst werden, gemeinsam nach Lösungen zu suchen, anstatt nur Probleme zu sehen und nicht einmal bereit zu sein, sich dazu zu bekennen, dass es notwendig ist, Schlepperkriminalität zu bekämpfen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulla Jelpke, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ulla Jelpke (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Staatssekretär Schröder, ich glaube, das Hauptproblem ist, dass Sie immer wieder Schlepper als das Hauptpro-blem darstellen, wenn es um die Seenotrettung geht. So ist es eben nicht. Es ist zynisch, wenn man hauptsächlich darauf abstellt und nicht selbstkritisch zur Debatte stellt, was denn in Sachen Bekämpfung von Fluchtursachen getan wurde, was denn getan wurde, um tatsächlich – wie eben schon erwähnt – legale, sichere Wege für Flüchtlinge nach Europa zu schaffen. In diesen Bereichen wird wirklich nichts getan. Sie entziehen den Schleppern eben nicht die Geschäftsgrundlage. Um das zu tun, könnten Sie zum Beispiel humanitäre Visa ausgeben und tatsächlich Fähren schicken. Sie könnten im Grunde genommen die Menschen, die heute schon auf legalem Wege hierherkommen könnten, viel schneller hierherholen, zum Beispiel diejenigen, die einen Anspruch auf Familienzusammenführung haben und heute – das ist ein Skandal – über ein Jahr darauf warten, überhaupt nach Europa zu kommen. Diese wenigen Schritte sind Sie bisher überhaupt nicht gegangen, sondern haben nur ein Ziel und fragen sich immer: Wie können wir Schlepper bekämpfen? So kommt man meiner Meinung nach nicht zu einer anderen Flüchtlingspolitik, schon gar nicht dazu, dass das Massensterben im Mittelmeer endlich ein Ende hat. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich will hier noch einmal sagen: In diesem Jahr sind etwa 2 000 Menschen, die verzweifelt versucht haben, über das Mittelmeer nach Europa zu kommen, daran gescheitert und gestorben. Jedes Mal, wenn Hunderte von Flüchtlingen ertrunken sind – ob es 2013 oder jetzt im April 2015 war –, haben wir solche Töne gehört: Das darf sich nicht wiederholen, das ist eine Schande für -Europa. – Ich meine nach wie vor, auch nach der heute gehörten Aufzählung dessen, was angeblich alles getan wird: Das reicht bei weitem nicht aus. Es müssen viel weiter gehende Schritte für eine veränderte Flüchtlingspolitik in Europa durchgeführt werden. (Beifall bei der LINKEN) An dieser Stelle möchte ich auch sagen: Unter moralischen Maßstäben halte ich es für ein regelrechtes Verbrechen, dass man Mare Nostrum eingestellt hat. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Man muss sich das einmal vorstellen: Zum damaligen Zeitpunkt konnte man das Geld für Mare Nostrum angeblich nicht aufbringen, aber jetzt steckt man Geld in Frontex, die Grenzabschottungsagentur, die eben nicht hauptsächlich dafür zuständig ist, Seenotrettung zu betreiben; das hat uns übrigens auch Herr Leggeri, Direktor der Agentur, am Mittwoch im Innenausschuss berichtet. Nur im Notfall werden Flüchtlinge gerettet. Das zeigt, dass es im Grunde genommen nicht in erster Linie um die Flüchtlinge geht. Vielmehr ist in die Abschottung der europäischen Grenzen investiert worden. Ich will an dieser Stelle darauf hinweisen: Frontex reicht nicht bis an die Grenze von Libyen. Aber wir wissen, dass von dort die meisten Flüchtlinge losfahren. Wie sieht die Seenotrettung gegenwärtig überhaupt aus? Alleine im vergangenen Jahr sind 20 000 Menschen durch private Handelsschiffe gerettet worden, 1 700 in diesem Jahr von Frontex. Da Sie immer auf Frontex abstellen: Das macht sehr deutlich, dass eine Seenotrettung so nicht organisiert werden kann. Wenn wir Menschen retten wollen, dann brauchen wir eine koordinierte europäische Seenotrettung, und zwar für den gesamten Mittelmeerraum. Das muss für uns alle an erster Stelle stehen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Auch innerhalb Europas steht es nicht zum Besten. Alleine am letzten Wochenende sind 5 000 Menschen aus Seenot gerettet und nach Italien gebracht worden. Fast täglich kommen 600 Menschen auf den griechischen Inseln an. In beiden Ländern ist die Situation für Flüchtlinge katastrophal. Allein in Italien sind 180 000 Flüchtlinge in Lagern untergebracht. Die Lager sind völlig überfordert, und die Flüchtlinge können nicht angemessen versorgt werden. Vor diesem Hintergrund muss man sich einmal vorstellen, dass diskutiert wurde, als Notmaßnahme 40 000 Flüchtlinge aus Griechenland und Italien in den Mitgliedstaaten aufzunehmen, und man nun einmal eben so aus den Medien erfährt, dass man diese Maßnahme auf den Herbst verschoben hat. Geht es hier wirklich um die Schutzsuchenden, um diejenigen, die Hilfe brauchen? Wie kann es sein, dass die nationalen Eigeninte-ressen innerhalb Europas so stark im Vordergrund stehen, dass es nicht möglich ist, die Flüchtlinge sofort in andere europäische Länder zu bringen und sie wirklich zu schützen? Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Sie kommen bitte zum Schluss, Frau Kollegin. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Ja, ich komme zum Schluss. – Lassen Sie mich noch einen Aspekt des Militäreinsatzes ansprechen. Wer versucht, Schiffe durch das Militär zu versenken, wird die Flüchtlinge auf noch unsicherere Schiffe bringen, nämlich auf Schlauchboote; denn die sind nicht so einfach zu vernichten, die kann man sehr schnell aufpusten. Das bedeutet noch mehr Tote. Deswegen ist es zynisch und unglaublich, wenn Sie an dieser Militäraktion festhalten wollen, Herr Staatssekretär. Die Linke jedenfalls lehnt das eindeutig ab. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Bevor ich jetzt die nächste Rednerin aufrufe, möchte ich noch etwas klarstellen: Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat noch Kurzinterventionen angemeldet, aber ich habe entschieden, sie nicht zuzulassen, weil ich glaube, dass die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen heute die Gelegenheit hatte, nicht nur zu reden, sondern auch Zwischenfragen zu stellen, und zwar mehr als eine, und auch eine Kurzintervention hatte. Zwei Gründe spielen hierfür eine Rolle. Erstens. Wir geben uns einen Zeitrahmen, auf den sich alle Kolleginnen und Kollegen einstellen. Was die Redezeiten, aber auch, was die Zwischenfragen betrifft, war ich schon sehr großzügig, weil es ein emotionales Thema ist. Zweitens. Der Antrag wird heute nicht abschließend beraten. Er wird im gegenseitigen Einverständnis überwiesen. Wir haben in den Ausschüssen Gelegenheit, darüber zu reden, und auch noch einmal im Plenum. Deshalb ist die Entscheidung so gefallen, wie ich sie jetzt dargestellt habe. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Das ist die richtige Entscheidung!) Die nächste Rednerin ist Christina Kampmann, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Christina Kampmann (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit anderthalb Jahren bin ich jetzt hier im Bundestag und kann mit dazu beitragen, denen eine Stimme zu geben, die sonst keine Lobby haben. Ich habe verstanden, dass das Bohren dicker Bretter mit ein Teil von Politik ist. Ich finde aber: Wenn es um das Leben von Menschen geht, dann können wir uns nicht mit dem Bohren von Brettern aufhalten. Es sind dabei nicht ausschließlich die über 800 Toten, die wir im vergangenen April zu beklagen hatten. Es sind auch nicht ausschließlich die fast 2 000 Menschen, die in diesem Jahr umgekommen sind, und auch nicht die 366, die im Oktober 2013 umgekommen sind und zu denen ich meine erste Rede hier im Bundestag gehalten habe. Es ist diese unglaublich große Zahl von 25 000 Menschen, die seit Anfang des Jahrtausends beim Versuch, das Mittelmeer zu überqueren, umgekommen sind. 25 000, ich finde, das ist eine unglaublich große Zahl. (Beifall des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Seit so langer Zeit sehen wir zu, seit so langer Zeit lassen wir zu, seit so langer Zeit verschließen wir die Augen vor einer menschlichen Tragödie, die sich mit grausamer Alltäglichkeit an unseren Küsten abspielt. Ja, es sind unsere Küsten – es sind nicht die Küsten der Italiener, es sind nicht die Küsten der Griechen und auch nicht die der Malteser –, weil wir Europäerinnen und -Europäer uns dazu entschieden haben, dass Europa mehr sein soll als ein gemeinsamer Binnenmarkt, weil wir uns entschieden haben, gemeinsame Werte nach innen und nach außen zu vertreten, gegen alle Widerstände und für das, was uns wichtig ist und woran wir glauben. Wir beschweren uns zu Recht, wenn andere diese Werte mit Füßen treten, weil sie uns schaden oder bedrohen wollen. Aber was passiert eigentlich, wenn wir diese Werte selbst aus den Augen verlieren? Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Erklärung des Europäischen Rates zur Flüchtlingskatastrophe im Mittelmehr beginnt mit den Worten: Die Lage im Mittelmeerraum ist eine Tragödie. Die Europäische Union wird alles in ihrer Macht Stehende unternehmen, um den Verlust weiterer Menschenleben auf See zu verhindern … (Rüdiger Veit [SPD]: Schön wär’s!) – Genau. – Aber was ist seitdem passiert? Ich möchte drei entscheidende Maßnahmen vorstellen, die wir schon lange fordern und die durchaus zur Verbesserung beigetragen haben. Die erste ist eine Verdreifachung der Finanzmittel für Triton und Poseidon. Inzwischen – das ist meine Information – ist klar, dass es stimmt, was der Staatssekretär gesagt hat, Frau Jelpke: dass Triton sehr wohl bis vor die libysche Küste fahren kann. Das ist eine unglaublich wichtige Maßnahme, weil da – wie Sie es gesagt haben – die meisten Boote starten; deswegen muss Triton auch da vor Ort sein. Das entspricht auch der Forderung aus dem Antrag der Grünen; auch sie fordern die Verdreifachung der Mittel. Deshalb glaube ich, dass das ein ganz entscheidendes Kriterium ist. Die zweite Maßnahme – darüber haben wir heute schon gesprochen – ist eine verstärkte internationale Zusammenarbeit beim Vorgehen gegen Schlepper. Ich glaube, dass wir uns erst einmal einig sein sollten, entschieden gegen Schlepper vorzugehen; da hat Herr Koenigs recht. Was ich aber nicht sehe, Herr Staatssekretär, ist, dass wir, wie Sie es gesagt haben, den zweiten Schritt vor dem ersten machen, wenn wir uns erst einmal fragen: „Wie kann das Ganze eigentlich faktisch funktionieren, wie können wir das überhaupt realisieren?“, bevor wir die völkerrechtlichen Möglichkeiten prüfen. Ich glaube, dass es an dieser Stelle noch ganz viele Fragezeichen gibt. Auch ich habe von Ihnen dazu noch keine Antwort bekommen, wie das tatsächlich im Einzelnen aussehen soll. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die dritte Maßnahme – auch die ist entscheidend – ist eine schnelle und gemeinsame Durchsetzung gemeinsamer europäischer Standards. Bevor wir keine gemeinsamen Standards haben und diese nicht auch tatsächlich durchsetzen, werden wir immer wieder Migrationsbewegungen innerhalb der Europäischen Union haben. Deshalb müssen wir da auf jeden Fall heran, und deshalb ist es gut, dass auch diese Maßnahme beschlossen wurde. Die Europäische Kommission hat in ihrer Migrationsagenda weitere Maßnahmen vorgestellt. Dazu gehört unter anderem, dass 40 000 Flüchtlinge aus Griechenland und Italien auf der Grundlage eines Verteilungsschlüssels umzusiedeln sind, zum Zweiten, dass wir in den nächsten zwei Jahren 20 000 Flüchtlinge aufnehmen und diese neu ansiedeln werden. Das Dritte – das ist zumindest eine Möglichkeit der erweiterten legalen Migration – ist die Überarbeitung der Bluecard-Regelung für hochqualifizierte Arbeitskräfte. Ich sage eindeutig: Auch das ist eine Maßnahme. – Ich wünsche mir aber, dass weitere hinzukommen. Ich finde, das sind wichtige Schritte, die zeigen: Der Wille, hier zumindest auf der europäischen Ebene etwas zu ändern – ich rede noch nicht über die Mitgliedstaaten –, ist endlich da. Das ist auch gut so, meine Damen und Herren, dafür hat sich unsere Bundesregierung lange starkgemacht. Wir sind an dieser Stelle – das ist mein Eindruck – schon sehr viel weiter, als wir es noch vor wenigen Wochen waren. (Beifall bei der SPD) Einige der von Ihnen in den Anträgen aufgeführten Punkte haben sich damit erledigt. Bei anderen gibt es weiterhin einen Dissens. An anderen Stellen sollten wir – da bin ich mit Ihnen einig – durchaus noch weiter Druck machen. Ich glaube, dass diese Migrationsagenda ein guter Schritt in die richtige Richtung ist. Aber es muss unbedingt noch weiter gehen. Wo es aber weiterhin einen Dissens gibt – Sie fordern es wieder in Ihrem Antrag –, ist das Free-Choice-Verfahren, das wir ablehnen. Free Choice bedeutet, dass sich jeder Flüchtling den Mitgliedstaat aussuchen kann, in dem er seinen Asylantrag stellt. Wir haben die Befürchtung, dass es dann zu einer Reduzierung der Standards kommt, weil die Mitgliedstaaten hoffen: Je geringer die Standards sind, desto weniger Flüchtlinge kommen zu uns. – Deshalb lehnen wir das entschieden ab. Wir glauben, dass das auch im Sinne der Flüchtlinge ist, die zu uns kommen. Es gibt einen zweiten Punkt, bei dem noch ein eindeutiger Dissens besteht. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin Kampmann, ich muss Sie an die Zeit erinnern. Jetzt bitte nicht noch „zweitens“, „drittens“, „viertens“, sondern bitte zum Schluss kommen! Christina Kampmann (SPD): Es gibt nur noch „zweitens“, liebe Frau Präsidentin; das betrifft die Abschaffung von Frontex. Auch da können wir nicht zustimmen. Wir sagen aber, dass es eindeutig ein Seenotrettungsmandat von Frontex geben muss. Wir hatten dieses Thema diese Woche im Innenausschuss. Da wurde eindeutig gesagt: Das macht einen großen Teil der Arbeit von Frontex aus. Deshalb ist es nur ehrlich, wenn wir hier ein rechtliches Seenotrettungsmandat hinbekommen. – Dafür werden wir uns weiter starkmachen. Ich glaube, dass wir dann auf dem richtigen Weg sind und weiter in eine gute Richtung gehen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Nina Warken, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Nina Warken (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Immer wieder bestimmen die dramatischen Ereignisse, die sich im Mittelmeer abspielen, die Schlagzeilen unserer Nachrichten. Der traurige Höhepunkt in diesem Jahr ereignete sich am 19. April. Ein völlig überladenes Schlepperboot mit Flüchtlingen an Bord kenterte auf seinem Weg von Libyen nach Italien. Nach Schätzungen sind dabei über 800 Menschen ums Leben gekommen, auch weil sie unter Deck zusammengepfercht waren. Nur 28 Menschenleben konnten gerettet werden. Katastrophen wie diese machen uns alle tief betroffen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, von dem Unglück ging auch ein Signal aus: Europa war bereit, sofort und entschlossen zu handeln. Auf dem EU-Sondergipfel am 24. April dieses Jahres wurden als Sofortmaßnahme die Mittel für die Seenotrettung im Mittelmeer deutlich aufgestockt und ausgeweitet. Auch Deutschland stellte sich seiner Verantwortung und hat umgehend Schiffe der Bundeswehr ins Mittelmeer entsandt. Letzten Samstag wurden bei einer Rettungsaktion von deutschen Schiffen rund 1 400 Menschen aufgenommen und versorgt. Inzwischen sind es insgesamt über 3 000 Flüchtlinge, die die Bundesmarine aus Seenot gerettet hat. Für ihren unermüdlichen Einsatz möchte ich unseren Soldatinnen und Soldaten danken. Sie werden weiterhin im Mittelmeer Präsenz zeigen und unter psychisch wie physisch schwersten Bedingungen dort Leben retten. Wir schulden ihnen allen unseren Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Meine Damen und Herren, Europa hat gemeinsam reagiert und seine Präsenz im Mittelmeer verstärkt, um Flüchtlinge zu retten. Dennoch sollte uns eines bewusst bleiben: Alleine mit der Ausweitung von Seenotrettungsmaßnahmen werden wir die Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer nicht lösen. Stattdessen gilt: Nur wenn es uns gelingt, die Ursachen der Flüchtlingskatastrophen zu beseitigen und den Menschen in ihrer Heimat eine echte Perspektive zu geben, werden wir die Probleme nachhaltig lösen. Auf dieses Ziel arbeiten wir hin. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Burkhard Lischka [SPD]) Die Europäische Kommission hat mit der Migrationsagenda und ihren Umsetzungsvorschlägen einen Ansatz entwickelt, der sowohl kurzfristige als auch langfristige Maßnahmen enthält. Ein solches aufeinander abgestimmtes Vorgehen ist der einzig richtige Weg. An erster Stelle steht hier die noch konsequentere Bekämpfung der Schleuserbanden, auch wenn Teile von Ihnen das nicht einsehen. In allen Mitgliedstaaten sollen Ermittlungsstellen eingerichtet werden, um die Boote aus dem Verkehr zu ziehen und das Vermögen der Schleuser zu beschlagnahmen. Den Kriminellen muss endlich das Handwerk gelegt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, zur Lösung der Flüchtlingsproblematik gehört in meinen Augen auch, dass wir legale Wege nach Europa schaffen. (Beifall der Abg. Burkhard Lischka [SPD] und Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Im Gegensatz zu den Grünen bin ich aber der Auffassung, dass humanitäre Visa nicht der richtige Ansatz sind. Auch die Forderung der Linken nach einer visumfreien Einreise für Flüchtlinge wäre keine Lösung. Erstens sind es nicht nur Schutzsuchende, die nach Europa kommen wollen. Ein großer Teil sucht nach Arbeit. Dafür brauchen wir andere Instrumente wie zum Beispiel Programme zur Anwerbung von Arbeitskräften in Afrika. Zweitens würde man durch die visafreie Einreise die Sogwirkung, die Europa auf die afrikanischen Staaten ohnehin erzeugt, vervielfachen und damit dafür sorgen, dass viele dieser Länder förmlich ausbluten würden. Für die Entwicklung eines ganzen Kontinents wäre das eine Katastrophe. Meine Damen und Herren, auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen: Wir können nicht alle, die in Afrika auf der Flucht sind, zu uns holen. Deshalb halte ich die geplante Schaffung von Migrationszentren in den Herkunfts- und Transitländern für zweckmäßiger und vielversprechender. Schutzbedürftige würden dort eine Anlaufstelle finden und könnten im Rahmen von Aufnahmekontingenten der Mitgliedstaaten nach Europa gebracht werden. Gleichzeitig bietet es sich an, in den Aufnahmezen-tren auch über legale Zuwanderungswege nach Europa und über ernsthafte und glaubhafte Alternativen im Heimatland zu informieren. Bis zum Jahresende soll im afrikanischen Niger ein solches Aufnahmezentrum als Pilotprojekt eingerichtet werden. Ich glaube, in diesem Ansatz liegt viel Potenzial. Die Vorschläge der EU-Kommission gehen insgesamt in die richtige Richtung. Es soll erstmals ein europäisches Aufnahmeprogramm geben, wodurch 20 000 besonders schutzbedürftige Flüchtlinge nach Europa gebracht und auf die Mitgliedstaaten verteilt werden. Auch der zeitlich befristete Notfallmechanismus zur Umsiedlung von Flüchtlingen aus Italien und Griechenland ist richtig. Da zurzeit die Lage auf den griechischen Inseln immer kritischer wird, hat sich der Frontex-Direktor bei der Europäischen Kommission dafür eingesetzt, dass Griechenland umgehend zusätzliche Gelder für die Flüchtlingsaufnahme bekommt. Teams von Frontex und dem Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen werden Italien und Griechenland künftig bei der Aufnahme von Flüchtlingen unterstützen. Europa zeigt dadurch Handlungsfähigkeit, Solidarität und Verantwortung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Tosender Beifall!) Der langfristige Schlüssel zum Erfolg liegt aber in der Beseitigung der Fluchtursachen. Die Menschen brauchen in ihrer Heimat eine echte Zukunftsperspektive. Hier muss Europa gemeinsam weiter nachfassen. Wir brauchen ein langfristiges und nachhaltiges Entwicklungskonzept für die betroffenen afrikanischen Staaten. Es muss – um den Bundesentwicklungsminister zu zitieren – zum Kerngeschäft europäischer Entwicklungszusammenarbeit werden, den Menschen vor Ort zu helfen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, Deutschland und die EU sind fest entschlossen, zu verhindern, dass Menschen weiterhin auf der Flucht ihr Leben riskieren müssen. Auch wenn wir bei der Beseitigung der Fluchtursachen einen langen Atem brauchen werden, bin ich mir sicher, dass wir diese Aufgabe gemeinsam mit unseren europäischen Partnern erfolgreich bewältigen werden. Stellen wir uns gemeinsam dieser Verantwortung! Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Lars Castellucci, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Lars Castellucci (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist daran erinnert worden, dass im April schätzungsweise 800 Menschen im Mittelmeer zu Tode gekommen sind. Es ist gesagt worden, dies sei der Fall gewesen, weil sie sich auf diesen Weg begeben hätten. Sie hätten sich auf den Weg über das Mittelmeer begeben müssen, und sie seien im Inneren dieses Bootes zusammengepfercht worden. Zur Ehrlichkeit gehört aber auch: Sie sind umgekommen, weil Europa nicht geholfen hat. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Unsere Verabredung in der Bundestagsdebatte war, dass wir das nicht noch einmal zulassen wollen. Jetzt ist die Frage: Haben wir heute eine Seenotrettung, die der Lage angemessen ist, ja oder nein? Ich weiß es nicht. Ich sehe, dass sich viel bewegt hat. Ich sehe, dass viele europäische Staaten Schiffe entsenden. (Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Viele nicht!) Ich sehe, dass die italienische Regierung das Programm Mare Sicuro gestartet hat, das Rettungseinsätze bis vor die libysche Küste umfasst. Es ist nicht so, Frau Jelpke, dass Flüchtlinge nur im Notfall gerettet werden, sondern im Notfall müssen Flüchtlinge gerettet werden. Das bedeutet Seenotrettung. Ich weiß nicht, was Sie an dieser Stelle kritisieren wollten. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Frontex!) Zurzeit ist es so, dass die Dichte von Schiffen im Mittelmeer zugenommen hat und damit die Wahrscheinlichkeit, dass Flüchtlinge, die in Seenot geraten, rechtzeitig aufgefunden werden können, gestiegen ist. Ich habe einige befremdliche Sitzungen hinter mir, in denen es um Listen ging, wie hoch die Zahlen bei Mare Nostrum waren und wie hoch sie jetzt sind und wie viele Fregatten und Helikopter im Einsatz waren. Ich muss Ihnen sagen: Das ist mir völlig egal. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das ist keine koordinierte Seenotrettung!) Denn die einzige politische Frage, die wir zu beantworten haben, ist: Ist das, was zurzeit vorhanden ist, der aktuellen humanitären Lage angemessen? Wir müssen uns dafür einsetzen, dass es angemessen ist. (Beifall bei der SPD) Wir waren mit der Deutsch-Italienischen Parlamentariergruppe in Italien und haben dort mit Verantwortlichen gesprochen. Sie haben uns klar gesagt, im Moment sähen sie, dass die Ressourcen gestiegen sind und dass es viel europäische Unterstützung gibt. Das sind gute Nachrichten. Dazu muss man sagen: Diese Aufstockung erfolgte erst nach der Katastrophe. Jeder, der in der Kommunalpolitik ist, kennt das: Bevor ein Zebrastreifen aufgemalt wird, muss erst etwas passieren. Die Kapazitäten werden aber möglicherweise nicht reichen, wenn es noch einmal zu einer solchen Katastrophe wie im April kommt, bei der die Menschen gerettet und an Land transportiert werden müssen, und im gleichen Moment ein Signal vom anderen Ende des Mittelmeers gesendet wird. Das war auch eine Aussage, die wir von den Verantwortlichen auf den Schiffen gehört haben. Mit anderen Worten: Wir werden in den nächsten Wochen immer weiter und minutiös beobachten müssen, ob die Kapazitäten reichen. Wenn sie nicht reichen, muss dort auch mehr passieren; denn unsere erste Aufgabe ist, Leben zu schützen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Uwe Schummer [CDU/CSU]) Wenn die Menschen an Land transportiert worden sind, dann stellt sich die Frage: Was passiert dann? Die Präfektin von Catania hat uns sehr eindrücklich gesagt: Vielen Dank, dass die Dänen, die Briten und die Deutschen Schiffe entsenden, aber sie bringen all diese Menschen zu uns nach Catania, einer Stadt mit 300 000 Einwohnern. – Deswegen kämpfen wir auch dafür, dass es einen europäischen Verteilungsschlüssel gibt. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Richtig!) Das ist selbstverständlich. Es muss eine größere europäische Solidarität geben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Man kann sich in Europa nicht immer nur das heraussuchen, wovon man etwas hat und profitiert, sondern man muss auch die Lasten teilen. Es wäre sogar gut, wenn wir Flüchtlinge nicht als Lasten begreifen würden; denn die Bevölkerung unseres Kontinents altert und schrumpft. Wenn Menschen zu uns kommen, die einen großen Lebenshunger haben, die sich mit ihren Familien ein neues Leben aufbauen wollen und die Kompetenzen besitzen, die vielleicht hier oder dort gebraucht werden, dann ist das auch eine Chance für unseren Kontinent, und diese Chance müssen wir auch bestmöglich nutzen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Uwe Schummer [CDU/CSU]) Einen Punkt will ich noch verstärkt betonen, nachdem ich für den Rückweg von Italien diese Zeitschrift, den aktuellen L‘Espresso, mitgenommen habe. (Der Redner hält eine Zeitschrift hoch – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) – Ja, so heißt sie. Das hat aber einen sehr ernsten Hintergrund, weil sie eine Fotoserie von Menschen enthält, die sich auf Flüchtlingsbooten auf dem Meer befinden. – Ich muss wirklich klar sagen: Ich bitte alle in diesem Haus darum, hier kein Aber oder irgendwelche anderen Relativierungen zu gebrauchen, wenn es um Schleuser und Schlepper geht, sondern mit uns gemeinsam dafür zu kämpfen, dass wir diesen Verbrechern das Handwerk legen. Das steht auf der Tagesordnung. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Sie können sich die Bilder in dieser Zeitschrift anschauen. Die Menschen haben nichts am Leibe, das Holzboot geht unter, und das Schlauchboot nebenan entfernt sich immer weiter. Es hatte nicht genügend Platz für alle Menschen und ist gar nicht mehr für alle erreichbar. – Die Menschen werden von schlimmsten Verbrechern ins Elend und in den Tod gestürzt. Denen müssen wir selbstverständlich das Handwerk legen. Das ist eine ganz zentrale Aufgabe, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) und hier darf es wirklich keine Relativierungen geben, zu denen es in diesem Hause immer wieder kommt. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michaela Noll [CDU/CSU]: Das war überzeugend, das war gut!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat Andrea Lindholz, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. Andrea Lindholz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Anlass dieser Debatte berührt uns alle, und das Kernanliegen der beiden Anträge halte ich auch für berechtigt. Natürlich darf Europa nicht tatenlos zusehen, wenn Menschen auf dem Mittelmeer ertrinken. Europa sieht auch nicht tatenlos zu. Europäische Marinesoldaten überwachen in diesem Moment ein gewaltiges Gebiet vor der nordafrikanischen Küste und haben schon Tausende Menschenleben gerettet. Ihr Einsatz verdient unsere höchste Anerkennung. Genauso müssen wir auch den Besatzungen der Handelsschiffe und den europäischen Grenzschutzbeamten danken, die im Rahmen der Frontex-Operation Triton ebenfalls viele Tausend Migranten aus Seenot gerettet haben. Das zeigt auch, wie ernst Europa seine humanitäre Verpflichtung gegenüber den Bootsflüchtlingen nimmt, auch wenn es nie genug sein kann. Trotzdem halte ich die meisten Forderungen in den Anträgen für überholt und teilweise auch für nicht zu Ende gedacht. Fangen wir mit dem Antrag der Grünen an. Sie fordern eine Rettungsmission auf dem Niveau der alten italienischen Mission Mare Nostrum. Mit der Rettungsmission Mare Sicuro der italienischen Marine gibt es das längst. Im Gegensatz zu Mare Nostrum wird diese Mission auf bilateraler Ebene von zwei deutschen Marineschiffen, einem irischen und einem britischen Marineschiff unterstützt. Die Mittel für Frontex wurden verdreifacht, und das Einsatzgebiet der Operation Triton wurde stark ausgeweitet. Frontex überwacht jetzt nicht nur in Küstennähe, sondern ein Gebiet, das 250 Kilometer auf das offene Meer reicht. Auch Ihre Forderung, die Bundesregierung sollte noch mehr Aufnahmeplätze für schutzbedürftige Flüchtlinge in Europa fordern, ist erfüllt. Die Bundesregierung fordert das seit Monaten, sogar seit Jahren. Sie setzt sich nachhaltig dafür ein, dass wir ein gesamteuropäisches Aufnahmeprogramm bekommen. Wir alle mahnen das in jeder Rede hier an. Wir alle sind uns einig: Europa darf keine Einbahnstraße sein. Ich möchte ausdrücklich daran anschließen. Wir brauchen eine gesamteuropäische Verantwortung, und wir brauchen auch mehr Aufnahme von Flüchtlingen in ganz Europa. Aber sagen Sie mir doch bitte, mit welchen Mitteln wir das so umsetzen sollen, dass es auch gelingt. Wir sind in gewissem Maße auf Freiwilligkeit angewiesen. Es gibt keine Androhung von unmittelbarem Zwang oder Ähnlichem. (Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kabarett!) Insofern sind wir hier auf die diplomatischen Kanäle angewiesen. Ich bin mir sicher, Sie alle werden in Ihren Parteien auf allen Ebenen, vielleicht auch länderübergreifend, dafür werben, dass uns das zeitnah gelingt. Der UN-Flüchtlingskommissar hat die deutsche Asylpolitik als Vorbild für ganz Europa bezeichnet. Wir haben längst drei Sonderkontingente für syrische Kriegsflüchtlinge aufgenommen. Ja, angesichts des Leides kann man sagen, dass es nie genug ist. Ich will aber an dieser Stelle auch sagen – ich spreche hier ausdrücklich Herrn Trittin an –: Etwa 11 Millionen Syrier befinden sich auf der Flucht, 4 Millionen in den Nachbarstaaten und 6,5 Millionen in Syrien. Ich spreche nur Syrien an. Dann sagen Sie mir bitte, wie man dieses Problem mit wie vielen Aufnahmeprogrammen hier lösen will. Deshalb ist es richtig, dass wir – ich höre das immer wieder – unseren Fokus auf die Hilfe vor Ort richten müssen. Nur wenn wir die Fluchtursachen bekämpfen und nur wenn wir die Krisenstaaten stabilisieren, kann uns wirklich die Linderung von Leid gelingen. Es ist seit Jahren das zentrale Ziel der Außen- und Entwicklungspolitik dieser Bundesregierung, unseren Fokus auf die Hilfe vor Ort zu richten. Das halte ich angesichts von über 50 Millionen Menschen, die sich auf der Flucht befinden, für den richtigen Weg. Ich möchte noch auf eine Forderung der Linken eingehen. Sie fordern in Ihrem Antrag die Auflösung von Frontex. Wenn wir Frontex heute auflösen würden, dann würden wir nicht nur die Sicherheit der Menschen in Europa gefährden, sondern auch das Leben der Migranten auf dem Mittelmeer. Würde man diese Forderung umsetzen, hätten Schmuggler, die organisierte Kriminalität und auch IS freie Bahn. Europa würde seine Kontrolle über die Migrationsströme verlieren. Dadurch würde auch die solidarische Lastenverteilung für den europäischen Grenzschutz abgeschafft werden. Sie würden damit auch das Leben der vielen Menschen gefährden, die aktuell auf dem Mittelmeer gerettet werden. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: So ein Quatsch!) Ein Seenotrettungsdienst, wie Sie ihn fordern, wäre kein Ersatz für Frontex. Denn Frontex schützt nicht nur unsere Grenzen, sondern rettet auch im Notfall. Frontex leistet einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung und zur Bekämpfung der kriminellen Schleusernetzwerke. Natürlich müssen wir diese Schleusernetzwerke – ich sage das an dieser Stelle – mit allen möglichen und uns zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfen. Wir dürfen diese Schleuserkriminalität nicht länger zulassen. Wir müssen dem kriminellen Treiben ein Ende bereiten, soweit uns das möglich ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Lars Castellucci [SPD]) Ich habe vorhin gehört, man solle das ganze Mittelmeer überwachen. Ich frage mich, ob Sie einmal geschaut haben, wie groß das Mittelmeer ist. Das Mittelmeer hat 2,5 Millionen Quadratkilometer. Erklären Sie mir einmal, Frau Jelpke, in einer Ihrer nächsten Reden, wie Sie das bewerkstelligen wollen. Wir können die Flüchtlingskrisen nur in den Herkunftsländern lösen. Die Anträge sind, wie ich schon sagte, teilweise überholt und nicht bis zum Ende gedacht. Gehen Sie doch auch einmal darauf ein, was wir mit den vielen Menschen machen wollen, die sich innerhalb ihrer Länder auf der Flucht befinden. Auch dafür müssen wir Lösungen finden. Die Lösung kann nicht sein, unbegrenzt eine Brücke nach Europa zu bauen, so sehr man das auch sympathisch, menschlich und human finden kann. Aber es ist keine Lösung für über 50 Millionen Menschen auf der Flucht. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke schön. – Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/4695 und 18/4838 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung angekommen. Ich berufe die nächste Sitzung des Bundestages auf Mittwoch, den 17. Juni 2015, 13 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen jetzt allen ein hoffentlich nicht so arbeitsreiches und vor allen Dingen sonniges Wochenende. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 15.44 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12.06.2015 Baerbock, Annalena BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12.06.2015 Barthel, Klaus SPD 12.06.2015 Becker, Dirk SPD 12.06.2015 Behrens (Börde), Manfred CDU/CSU 12.06.2015 Bulling-Schröter, Eva DIE LINKE 12.06.2015 Dröge, Katharina BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12.06.2015 Evers-Meyer, Karin SPD 12.06.2015 Ferner, Elke SPD 12.06.2015 Flisek, Christian SPD 12.06.2015 Freese, Ulrich SPD 12.06.2015 Freitag, Dagmar SPD 12.06.2015 Gabriel, Sigmar SPD 12.06.2015 Giousouf, Cemile CDU/CSU 12.06.2015 Groneberg, Gabriele SPD 12.06.2015 Hartmann (Wackernheim), Michael SPD 12.06.2015 Hintze, Peter CDU/CSU 12.06.2015 Ilgen, Matthias SPD 12.06.2015 Karawanskij, Susanna DIE LINKE 12.06.2015 Dr. Kippels, Georg CDU/CSU 12.06.2015 Dr. Lamers, Karl A. CDU/CSU 12.06.2015 Dr. von der Leyen, Ursula CDU/CSU 12.06.2015 Mihalic, Irene BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12.06.2015 Movassat, Niema DIE LINKE 12.06.2015 Dr. Müller, Gerd CDU/CSU 12.06.2015 Nietan, Dietmar SPD 12.06.2015 Post (Minden), Achim SPD 12.06.2015 Reiche (Potsdam), Katherina CDU/CSU 12.06.2015 Röspel, René SPD 12.06.2015 Sarrazin, Manuel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12.06.2015 Schlecht, Michael DIE LINKE 12.06.2015 Schulte, Ursula SPD 12.06.2015 Stein, Peter CDU/CSU 12.06.2015 Steinbach, Erika CDU/CSU 12.06.2015 Dr. Terpe, Harald BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12.06.2015 Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Ausschuss für Arbeit und Soziales – Unterrichtung durch die Bundesregierung Sozialbericht 2013 Drucksache 17/14332 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Strategie der Bundesregierung zum Europäischen Forschungsraum Leitlinien und nationale Roadmap Drucksache 18/2260 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung des Bologna-Prozesses 2012 bis 2015 in Deutschland Drucksachen 18/4385, 18/4732 Nr. 1 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Petitionsausschuss Drucksache 18/4152 Nr. A.1 EP P8_TA-PROV(2015)0009 Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Drucksache 18/4749 Nr. A.24 EP P8_TA-PROV(2015)0070 Drucksache 18/4749 Nr. A.25 Ratsdokument 7139/15 Drucksache 18/4749 Nr. A.26 Ratsdokument 7219/15 Finanzausschuss Drucksache 18/4749 Nr. A.29 Ratsdokument 7375/15 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Drucksache 18/4749 Nr. A.33 Ratsdokument 6592/15 Drucksache 18/4749 Nr. A.35 Ratsdokument 7361/15 Drucksache 18/4749 Nr. A.36 Ratsdokument 7365/15 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 18/419 Nr. C.43 Ratsdokument 11177/13 Drucksache 18/419 Nr. A.182 Ratsdokument 11915/13 Drucksache 18/419 Nr. A.191 Ratsdokument 15803/13 Drucksache 18/419 Nr. A.192 Ratsdokument 15808/13 Drucksache 18/1048 Nr. A.20 Ratsdokument 7413/14 Drucksache 18/1935 Nr. A.14 Ratsdokument 10154/14 Drucksache 18/2055 Nr. A.13 Ratsdokument 10604/14 Drucksache 18/3362 Nr. A.17 EP P8_TA-PROV(2014)0038 Drucksache 18/3765 Nr. A.16 Ratsdokument 15953/14 Drucksache 18/3765 Nr. A.17 Ratsdokument 15985/14 Drucksache 18/3765 Nr. A.18 Ratsdokument 15988/14 Drucksache 18/4152 Nr. A.14 Ratsdokument 5469/15 In der Amtlichen Mitteilung ohne Verlesung, 104. Sitzung, Seite 9974 (A), ist „Ratsdokument 8229/13“ zu streichen. II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 110. Sitzung, Berlin, Freitag, den 12. Juni 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 110. Sitzung, Berlin, Freitag, den 12. Juni 2015 10607 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 4 10648 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 110. Sitzung, Berlin, Freitag, den 12. Juni 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 110. Sitzung, Berlin, Freitag, den 12. Juni 2015 10647