Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 124. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 24. September 2015 Inhalt Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Wilfried Lorenz, Gabriele Groneberg und Heike Baehrens 11943 A Wahl der Abgeordneten Kerstin Radomski als ordentliches Mitglied der Parlamentarischen Versammlung 11943 B Wahl des Abgeordneten Ansgar Heveling als stellvertretendes Mitglied des Verwaltungsrates der Filmförderungsanstalt 11943 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 11943 B Absetzung des Tagesordnungspunktes 23 a 11944 A Tagesordnungspunkt 3: a) Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin: zu den Ergebnissen des Informellen Treffens der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union am 23. September 2015 in Brüssel und zum VN-Gipfel für Nachhaltige Entwicklung vom 25. bis 27. September 2015 in New York 11946 C b) Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Dr. Valerie Wilms, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 1 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Armut in jeder Form und überall beenden Drucksache 18/6045 11944 B c) Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Dr. Valerie Wilms, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 2 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Den Hunger beenden, Ernährungssouveränität und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern Drucksache 18/6046 11944 B d) Antrag der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Kordula Schulz-Asche, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 3 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Gesundes Leben für alle ermöglichen und fördern Drucksache 18/6047 11944 C e) Antrag der Abgeordneten Özcan Mutlu, Beate Walter-Rosenheimer, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 4 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Inklusive, gerechte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten des lebenslangen Lernens für alle fördern Drucksache 18/6048 11944 C f) Antrag der Abgeordneten Ulle Schauws, Katja Dörner, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 5 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Geschlechtergerechtigkeit und Selbstbestimmung für alle Frauen und Mädchen erreichen Drucksache 18/6049 11944 D g) Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Dr. Valerie Wilms, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 6 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle gewährleisten Drucksache 18/6050 11944 D h) Antrag der Abgeordneten Dr. Julia Verlinden, Dr. Valerie Wilms, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 7 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und zeitgemäßer Energie für alle sichern Drucksache 18/6051 11944 D i) Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Dr. Valerie Wilms, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 8 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Dauerhaftes, inklusives und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern Drucksache 18/6052 11945 A j) Antrag der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Kerstin Andreae, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 9 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Eine belastbare Infrastruktur aufbauen, inklusive und nachhaltige Industrialisierung fördern und Innovationen unterstützen Drucksache 18/6053 11945 A k) Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Dr. Frithjof Schmidt, Dr. Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 10 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Ungleichheit innerhalb und zwischen Staaten verringern Drucksache 18/6054 11945 B l) Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Dr. Valerie Wilms, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 11 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Städte und Siedlungsflächen inklusiv, sicher, stabil und nachhaltig zu machen Drucksache 18/6055 11945 B m) Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Dr. Valerie Wilms, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 12 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Für nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sorgen Drucksache 18/6056 11945 C n) Antrag der Abgeordneten Annalena Baerbock, Dr. Valerie Wilms, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 13 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen Drucksache 18/6057 11945 C o) Antrag der Abgeordneten Steffi Lemke, Dr. Valerie Wilms, Peter Meiwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 14 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Ozeane, Meere und Meeresressourcen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung erhalten und nachhaltig nutzen Drucksache 18/6058 11945 D p) Antrag der Abgeordneten Steffi Lemke, Dr. Valerie Wilms, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 15 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Nachhaltige Nutzung terrestrischer Ökosysteme schützen, wiederherstellen und fördern, Wälder nachhaltig bewirtschaften, die Wüstenbildung bekämpfen, die Bodendegradation aufhalten und umkehren sowie den Verlust der biologischen Vielfalt stoppen Drucksache 18/6059 11945 D q) Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Volker Beck (Köln), Dr. Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 16 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Friedliche und inklusive Gesellschaften im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglichen und effektive, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen Drucksache 18/6060 11946 A r) Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Anja Hajduk, Dr. Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 17 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung jetzt wiederbeleben Drucksache 18/6061 11946 B s) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Claudia Roth (Augsburg), Uwe Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Menschenrechte in der neuen Nachhaltigkeits- und Entwicklungsagenda der Vereinten Nationen stärken Drucksachen 18/5208, 18/5451 11946 B Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin 11946 C Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE) 11950 B Thomas Oppermann (SPD) 11952 A Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 11955 B Volker Kauder (CDU/CSU) 11957 A Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 11959 D Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) 11961 A Dr. Lars Castellucci (SPD) 11961 C Heike Hänsel (DIE LINKE) 11962 C Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU) 11963 A Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 11964 D Dr. Bärbel Kofler (SPD) 11966 A Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU) 11966 D Carsten Träger (SPD) 11967 D Jürgen Klimke (CDU/CSU) 11968 C Tagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kettenbefristungen abschaffen Drucksache 18/4098 11970 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Das unbefristete Arbeitsverhältnis zur Regel machen Drucksachen 18/1874, 18/2783 11970 A Klaus Ernst (DIE LINKE) 11970 A Wilfried Oellers (CDU/CSU) 11971 C Klaus Ernst (DIE LINKE) 11972 D Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 11974 A Gabriele Hiller-Ohm (SPD) 11975 B Uwe Lagosky (CDU/CSU) 11977 B Jutta Krellmann (DIE LINKE) 11979 A Markus Paschke (SPD) 11980 C Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 11981 C Wilfried Oellers (CDU/CSU) 11982 C Matthäus Strebl (CDU/CSU) 11983 B Bernd Rützel (SPD) 11984 C Jutta Krellmann (DIE LINKE) 11986 A Tagesordnungspunkt 5: a) Antrag der Abgeordneten Ingbert Liebing, Artur Auernhammer, Norbert Barthle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Bernhard Daldrup, Johannes Kahrs, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Für gleichwertige Lebensverhältnisse – Kommunalfreundliche Politik des Bundes konsequent fortsetzen Drucksache 18/6062 11986 D b) Antrag der Abgeordneten Kerstin Kassner, Susanna Karawanskij, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kommunen von den Kosten für bauliche Maßnahmen an Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen befreien Drucksache 18/3051 11987 A c) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Kassner, Susanna Karawanskij, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Verbindliches Mitwirkungsrecht für Kommunen bei der Erarbeitung von Gesetzentwürfen und Verordnungen sowie im Gesetzgebungsverfahren Drucksachen 18/3413, 18/6085 11987 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Britta Haßelmann, Christian Kühn (Tübingen), Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Dauerhafte und strukturelle Entlastungen für Kommunen in Not Drucksache 18/6069 11987 B Ingbert Liebing (CDU/CSU) 11987 C Kerstin Kassner (DIE LINKE) 11989 A Bernhard Daldrup (SPD) 11990 C Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 11992 B Alois Karl (CDU/CSU) 11994 A Petra Hinz (Essen) (SPD) 11995 D Alois Karl (CDU/CSU) 11996 C Jürgen Hardt (CDU/CSU) 11997 D Bärbel Bas (SPD) 11999 A Barbara Woltmann (CDU/CSU) 12000 B Tagesordnungspunkt 27: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 17. März 2014 zur Änderung des Abkommens vom 30. März 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksache 18/5575 12001 D b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19. Oktober 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Föderation St. Kitts und Nevis über die Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch Drucksache 18/5576 12001 D c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Partnerschafts- und Kooperationsabkommen vom 11. Mai 2012 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Irak andererseits Drucksache 18/5577 12001 D d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. August 2014 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksache 18/5578 12002 A e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 3. Dezember 2014 zur Änderung des Abkommens vom 30. März 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Irland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksache 18/5579 12002 B f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Batteriegesetzes Drucksache 18/5759 12002 B g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Energieverbrauchskennzeichnungsgesetzes Drucksache 18/5925 12002 B h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes zur Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 7. November 2013 in der Rechtssache C-72/12 Drucksache 18/5927 12002 B Zusatztagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Dr. Konstantin von Notz, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sicher vernetzt, gut versorgt – Digitalisierung im Gesundheitswesen im Dienste der Patienten gestalten Drucksache 18/6068 12002 C b) Antrag der Abgeordneten Stephan Kühn (Dresden), Oliver Krischer, Matthias Gastel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zum Schutz der Verbraucher – Unzutreffende Angaben beim Spritverbrauch und Schadstoffausstoß von PKW beenden Drucksache 18/6070 12002 C Tagesordnungspunkt 28: a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abwicklung der staatlichen Notariate in Baden-Württemberg Drucksachen 18/5218, 18/6087 12002 D b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 14. Oktober 2005 zum Übereinkommen vom 10. März 1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt und zu dem Protokoll vom 14. Oktober 2005 zum Protokoll vom 10. März 1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit fester Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel befinden Drucksachen 18/5268, 18/6084 12003 B c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die internationale Zusammenarbeit zur Durchführung von Sanktionsrecht der Vereinten Nationen und über die internationale Rechtshilfe auf Hoher See sowie zur Änderung seerechtlicher Vorschriften Drucksachen 18/5269, 18/6089 12003 B d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes Drucksachen 18/5273, 18/6071 12003 C e)–h) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 220, 221, 222 und 223 zu Petitionen Drucksachen 18/5957, 18/5958, 18/5959, 18/5960 12003 D j) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 225 zu Petitionen Drucksache 18/5962 12004 B Zusatztagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Neue Dynamik zur politischen Lösung der Syrien-Krise nutzen Dr. Rolf Mützenich (SPD) 12004 C Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) 12005 C Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) 12006 C Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12007 D Elisabeth Motschmann (CDU/CSU) 12009 A Christine Buchholz (DIE LINKE) 12010 A Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD) 12011 A Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12012 A Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) 12013 A Stefan Rebmann (SPD) 12014 A Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU) 12015 A Thorsten Frei (CDU/CSU) 12016 B Tagesordnungspunkt 6: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Schummer, Karl Schiewerling, Jutta Eckenbach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Kerstin Tack, Katja Mast, Dr. Matthias Bartke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Integrationsbetriebe fördern – Neue Chancen für schwerbehinderte Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt eröffnen Drucksachen 18/5377, 18/6086 12017 B Kerstin Tack (SPD) 12017 B Katrin Werner (DIE LINKE) 12018 C Uwe Schummer (CDU/CSU) 12019 D Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12021 B Dr. Matthias Bartke (SPD) 12022 B Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) 12023 B Tagesordnungspunkt 7: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Katja Dörner, Beate Walter-Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Betreuungsgeld in Kitas investieren Drucksache 18/6063 12024 C b) Antrag der Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam), Sigrid Hupach, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Betreuungsgeld für den Kitaausbau nutzen Drucksache 18/6041 12024 C Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12024 D Josef Rief (CDU/CSU) 12025 D Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) 12027 C Dr. Carola Reimann (SPD) 12029 A Paul Lehrieder (CDU/CSU) 12030 B Dr. Fritz Felgentreu (SPD) 12032 B Tagesordnungspunkt 8: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des nationalen Bankenabwicklungsrechts an den Einheitlichen Abwicklungsmechanismus und die europäischen Vorgaben zur Bankenabgabe (Abwicklungsmechanismusgesetz – AbwMechG) Drucksachen 18/5009, 18/5325, 18/5458 Nr. 3, 18/6091 12033 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6092 12033 D Alexander Radwan (CDU/CSU) 12033 D Dr. Axel Troost (DIE LINKE) 12035 A Manfred Zöllmer (SPD) 12036 B Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12037 C Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) 12038 D Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) 12040 A Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) 12041 D Tagesordnungspunkt 9: a) Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Erziehungsleistung von Adoptiveltern würdigen – Mütterrente anerkennen Drucksache 18/6043 12043 C b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Anrechnung von Zeiten des Mutterschutzes Drucksachen 18/4107, 18/5279 12043 C Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) 12043 D Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) 12045 A Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) 12046 D Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) 12047 B Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12047 D Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD) 12048 D Matthäus Strebl (CDU/CSU) 12050 B Dr. Martin Rosemann (SPD) 12051 A Tagesordnungspunkt 10: Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-Operation EUNAVFOR MED als ein Teil der Gesamtinitiative der EU zur Unterbindung des Geschäftsmodells der Menschenschmuggel- und Menschenhandelsnetzwerke im südlichen und zentralen Mittelmeer Drucksache 18/6013 12052 C Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMVg 12052 D Stefan Liebich (DIE LINKE) 12054 A Niels Annen (SPD) 12055 B Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) 12056 A Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12057 A Jürgen Hardt (CDU/CSU) 12058 B Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12059 A Dr. Fritz Felgentreu (SPD) 12059 C Stefan Liebich (DIE LINKE) 12060 A Florian Hahn (CDU/CSU) 12060 D Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gesetzliche Grundlage für Angehörigenschmerzensgeld schaffen Drucksache 18/5099 12061 D Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12062 A Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU) 12063 A Jörn Wunderlich (DIE LINKE) 12064 B Dr. Johannes Fechner (SPD) 12065 B Dr. Silke Launert (CDU/CSU) 12066 B Dr. Matthias Bartke (SPD) 12067 C Tagesordnungspunkt 12: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung zum Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften Drucksachen 18/4902, 18/6094 12068 B – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6095 12068 C Olav Gutting (CDU/CSU) 12068 C Richard Pitterle (DIE LINKE) 12069 C Dr. Jens Zimmermann (SPD) 12070 B Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12071 A Fritz Güntzler (CDU/CSU) 12072 A Andreas Schwarz (SPD) 12073 C Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Sigrid Hupach, Dr. Petra Sitte, Halina Wawzyniak, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Verleihbarkeit digitaler Medien entsprechend analoger Werke in Öffentlichen Bibliotheken sicherstellen Drucksache 18/5405 12074 B Sigrid Hupach (DIE LINKE) 12074 B Dr. Stefan Heck (CDU/CSU) 12075 B Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12076 B Christian Flisek (SPD) 12077 A Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 12077 D Siegmund Ehrmann (SPD) 12078 D Tagesordnungspunkt 14: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Befristung von Vorschriften nach den Terrorismusbekämpfungsgesetzen Drucksache 18/5924 12079 D b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Evaluation nach Artikel 9 des Gesetzes zur Änderung des Bundesverfassungsschutzgesetzes Drucksache 18/5935 12080 A Tagesordnungspunkt 15: Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Richard Pitterle, Susanna Karawanskij, Dr. Axel Troost, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Sonderermittler zur Aufarbeitung der Cum-Ex-Geschäfte einsetzen Drucksachen 18/3735, 18/6088 12080 B Tagesordnungspunkt 16: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Prinzipien des deutschen Bildungswesens stärken – Gleichwertigkeit und Durchlässigkeit der beruflichen und der akademischen Bildung durchsetzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ausbildungsqualität sichern – Gute Ausbildung für alle schaffen – zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Brigitte Pothmer, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mit einer echten Ausbildungsgarantie das Recht auf Ausbildung umsetzen Drucksachen 18/4928, 18/4931, 18/4938, 18/6040 12080 C Dr. Thomas Feist (CDU/CSU) 12080 C Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) 12081 C Rainer Spiering (SPD) 12082 C Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 12083 C Uda Heller (CDU/CSU) 12084 C Willi Brase (SPD) 12085 C Tagesordnungspunkt 17: a) Antrag der Abgeordneten Niema Movassat, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Versöhnung mit Namibia – Gedenken an und Entschuldigung für den Völkermord in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika Drucksache 18/5407 12086 D b) Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Uwe Kekeritz, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Beziehungen zwischen Deutschland und Namibia stärken und unserer historischen Verantwortung gerecht werden Drucksache 18/5385 12087 A Niema Movassat (DIE LINKE) 12087 A Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) 12088 A Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12088 D Dagmar Freitag (SPD) 12089 C Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU) 12090 D Tagesordnungspunkt 18: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner Drucksache 18/5901 12091 D Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV 12092 A Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) 12093 A Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU) 12094 A Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12095 A Alexander Hoffmann (CDU/CSU) 12095 D Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) 12097 A Alexander Hoffmann (CDU/CSU) 12097 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12098 A Tagesordnungspunkt 19: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Mehrseitigen Vereinbarung vom 29. Oktober 2014 zwischen den zuständigen Behörden über den automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten Drucksache 18/5919 12098 C b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten in Steuersachen und zur Änderung weiterer Gesetze Drucksache 18/5920 12098 C c) Antrag der Abgeordneten Lisa Paus, Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Abgeltungsteuer abschaffen Drucksache 18/6064 12098 C d) Antrag der Abgeordneten Lisa Paus, Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Transparenz von Kapitaleinkommen stärken – Automatischen Austausch von Informationen über Kapitalerträge auch im Inland einführen Drucksache 18/6065 12098 D Tagesordnungspunkt 20: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes Drucksache 18/5865 12098 D Nächste Sitzung 12099 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 12101 A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Befristung von Vorschriften nach den Terrorismusbekämpfungsgesetzen – der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Evaluation nach Artikel 9 des Gesetzes zur Änderung des Bundesverfassungsschutzgesetzes (Tagesordnungspunkt 14 a und b) 12101 C Clemens Binninger (CDU/CSU) 12101 C Uli Grötsch (SPD) 12102 B Ulla Jelpke (DIE LINKE) 12102 D Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12103 C Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär BMI 12104 A Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sonderermittler zur Aufarbeitung der Cum-Ex-Geschäfte einsetzen (Tagesordnungspunkt 15) 12104 C Olav Gutting (CDU/CSU) 12104 D Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU) 12105 C Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) 12106 C Richard Pitterle (DIE LINKE) 12108 B Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12108 D Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Mehrseitigen Vereinbarung vom 29. Oktober 2014 zwischen den zuständigen Behörden über den automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten in Steuersachen und zur Änderung weiterer Gesetze – des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Abgeltungsteuer abschaffen – des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Transparenz bei Kapitaleinkommen stärken – Automatischen Austausch von Informationen über Kapitalerträge auch im Inland einführen (Tagesordnungspunkt 19 a bis d) 12110 A Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU) 12110 A Andreas Schwarz (SPD) 12111 A Richard Pitterle (DIE LINKE) 12112 A Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 12112 D Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär BMF 12114 A Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes (Tagesordnungspunkt 20) 12115 A Steffen Kanitz (CDU/CSU) 12115 A Florian Oßner (CDU/CSU) 12116 D Hiltrud Lotze (SPD) 12117 D Hubertus Zdebel (DIE LINKE) 12118 D Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12119 B 124. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 24. September 2015 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie herzlich zu unserer 124. Plenarsitzung. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich dem Kollegen Wilfried Lorenz nachträglich zu seinem 73. Geburtstag gratulieren und den Kolleginnen Gabriele Groneberg und Heike Baehrens, die jeweils ihren 60. Geburtstag gefeiert haben. Allen herzliche Glückwünsche des Hauses und alles Gute für das neue Lebensjahr! (Beifall) Wir müssen noch zwei Wahlen durchführen. Die Fraktion der CDU/CSU schlägt vor, als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland zur Parlamentarischen Versammlung des Europarates die Kollegin Kerstin Radomski für den verstorbenen Kollegen Philipp Mißfelder als ordentliches Mitglied zu berufen. Ich darf Sie fragen, ob Sie dem zustimmen. – Das ist offensichtlich der Fall. Des Weiteren schlägt die CDU/CSU-Fraktion vor, den Kollegen Ansgar Heveling aus gleichem Grund als stellvertretendes Mitglied des Verwaltungsrates der Filmförderungsanstalt zu wählen. – Ich darf auch hier Ihr Einverständnis feststellen. Dann sind die Kollegin Radomski und der Kollege Heveling für die gerade genannten Gremien gewählt. Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE gemäß Anlage 5 Nummer 1 Buchstabe b GOBT zu den Antworten der Bundesregierung auf die Frage 15 auf Drucksache 18/6019 (siehe 123. Sitzung) ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Neue Dynamik zur politischen Lösung der Syrien-Krise nutzen ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Britta Haßelmann, Christian Kühn (Tübingen), Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dauerhafte und strukturelle Entlastungen für Kommunen in Not Drucksache 18/6069 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f) Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren (Ergänzung zu TOP 27) a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Dr. Konstantin von Notz, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sicher vernetzt, gut versorgt – Digitalisierung im Gesundheitswesen im Dienste der Patienten gestalten Drucksache 18/6068 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Innenausschuss Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss Digitale Agenda b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Stephan Kühn (Dresden), Oliver Krischer, Matthias Gastel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zum Schutz der Verbraucher – Unzutreffende Angaben beim Spritverbrauch und Schadstoffausstoß von PKW beenden Drucksache 18/6070 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zu unzutreffenden Angaben beim Spritverbrauch und Schadstoffausstoß von PKW Dabei soll wie üblich von der Frist für den Beginn der Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden. Der Tagesordnungspunkt 23 a wird abgesetzt. Hier geht es um den Gesetzentwurf zur Versorgung von Flüchtlingen mit Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? – Das ist der Fall. Dann können wir so verfahren. Ich rufe unsere Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 s auf: a) Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zu den Ergebnissen des Informellen Treffens der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union am 23. September 2015 in Brüssel und zum VN-Gipfel für Nachhaltige Entwicklung vom 25. bis 27. September 2015 in New York b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Dr. Valerie Wilms, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UN-Nachhaltigkeitsziel 1 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Armut in jeder Form und überall beenden Drucksache 18/6045 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Dr. Valerie Wilms, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UN-Nachhaltigkeitsziel 2 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Den Hunger beenden, Ernährungssouveränität und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern Drucksache 18/6046 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Kordula Schulz-Asche, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UN-Nachhaltigkeitsziel 3 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Gesundes Leben für alle ermöglichen und fördern Drucksache 18/6047 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Özcan Mutlu, Beate Walter-Rosenheimer, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UN-Nachhaltigkeitsziel 4 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Inklusive, gerechte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten des lebenslangen Lernens für alle fördern Drucksache 18/6048 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulle Schauws, Katja Dörner, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UN-Nachhaltigkeitsziel 5 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Geschlechtergerechtigkeit und Selbstbestimmung für alle Frauen und Mädchen erreichen Drucksache 18/6049 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Meiwald, Dr. Valerie Wilms, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UN-Nachhaltigkeitsziel 6 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle gewährleisten Drucksache 18/6050 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Julia Verlinden, Dr. Valerie Wilms, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UN-Nachhaltigkeitsziel 7 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und zeitgemäßer Energie für alle sichern Drucksache 18/6051 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Andreae, Dr. Valerie Wilms, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UN-Nachhaltigkeitsziel 8 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Dauerhaftes, inklusives und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern Drucksache 18/6052 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Kerstin Andreae, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UN-Nachhaltigkeitsziel 9 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Eine belastbare Infrastruktur aufbauen, inklusive und nachhaltige Industrialisierung fördern und Innovationen unterstützen Drucksache 18/6053 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Andreae, Dr. Frithjof Schmidt, Dr. Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UN-Nachhaltigkeitsziel 10 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Ungleichheit innerhalb und zwischen Staaten verringern Drucksache 18/6054 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union l) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Dr. Valerie Wilms, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UN-Nachhaltigkeitsziel 11 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Städte und Siedlungsflächen inklusiv, sicher, stabil und nachhaltig zu machen Drucksache 18/6055 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie m) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole Maisch, Dr. Valerie Wilms, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UN-Nachhaltigkeitsziel 12 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Für nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sorgen Drucksache 18/6056 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung n) Beratung des Antrags der Abgeordneten Annalena Baerbock, Dr. Valerie Wilms, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UN-Nachhaltigkeitsziel 13 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen Drucksache 18/6057 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss o) Beratung des Antrags der Abgeordneten Steffi Lemke, Dr. Valerie Wilms, Peter Meiwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UN-Nachhaltigkeitsziel 14 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Ozeane, Meere und Meeresressourcen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung erhalten und nachhaltig nutzen Drucksache 18/6058 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung p) Beratung des Antrags der Abgeordneten Steffi Lemke, Dr. Valerie Wilms, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UN-Nachhaltigkeitsziel 15 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Nachhaltige Nutzung terrestrischer Ökosysteme schützen, wiederherstellen und fördern, Wälder nachhaltig bewirtschaften, die Wüstenbildung bekämpfen, die Bodendegradation aufhalten und umkehren sowie den Verlust der biologischen Vielfalt stoppen Drucksache 18/6059 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft q) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Keul, Volker Beck (Köln), Dr. Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UN-Nachhaltigkeitsziel 16 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Friedliche und inklusive Gesellschaften im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglichen und effektive, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen Drucksache 18/6060 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss r) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Anja Hajduk, Dr. Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UN-Nachhaltigkeitsziel 17 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung jetzt wiederbeleben Drucksache 18/6061 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss s) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Claudia Roth (Augsburg), Uwe Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Menschenrechte in der neuen Nachhaltigkeits- und Entwicklungsagenda der Vereinten Nationen stärken Drucksachen 18/5208, 18/5451 Zu der Regierungserklärung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 96 Minuten vorgesehen. – Auch das ist offensichtlich einvernehmlich. Dann erteile ich das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung der Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg waren so viele Menschen auf der Flucht wie heute. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen nennt eine Zahl von knapp 60 Millionen weltweit. Es braucht nur diese eine Zahl, um zu verstehen, dass wir es nicht allein mit einer deutschen Herausforderung, auch nicht allein mit einer europäischen Herausforderung, sondern mit einer globalen Herausforderung zu tun haben, zu deren Bewältigung jede Region, jedes Land, jede politische Ebene, jede Institution ihren Teil beizutragen hat. Dies umfasst alles. Und alles hat Hand in Hand zu gehen: die Bekämpfung der Fluchtursachen, der Schutz der Außengrenzen, menschenwürdige Lebensbedingungen in Flüchtlingslagern und sogenannten Hotspots, deutlich schnellere Asylverfahren, die Rückführung derjenigen, die keine Bleibeperspektive haben, die Integration der tatsächlich Schutzbedürftigen. Je klarer diese Herausforderung national, europäisch und global gemeinsam angenommen wird, umso schneller wird sie erfolgreich gemeistert werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Genau in diesem Sinne versteht die Bundesregierung gemeinsam mit Bund, Ländern und Kommunen und der ganzen Gesellschaft diese Aufgabe als nationale, als europäische und als globale Kraftanstrengung. Am Dienstag letzter Woche haben wir mit den Ministerpräsidenten der Länder in vielen nationalen Einzelfragen Verbesserungen vereinbart. Heute werden wir, so hoffe ich jedenfalls, weitere notwendige Beschlüsse fassen, insbesondere auch zur Frage der finanziellen Unterstützung von Ländern und Kommunen durch den Bund. Ich will die Gelegenheit nutzen, neben den unverändert vielen ehrenamtlichen Helfern ganz ausdrücklich auch den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der öffentlichen Verwaltung, der Polizeikräfte, der Bundeswehr, des Technischen Hilfswerks und im Übrigen auch der Deutschen Bahn AG zu danken, die immer wieder alles geben, um auch in schwieriger Lage möglichst reibungslose Abläufe sicherzustellen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dies gilt auch für die alles andere als einfache Durchführung der temporären Grenzkontrollen, die wir im Augenblick durchführen. Es geht also um die Bewältigung der akuten, ganz praktischen Aufgaben, aber mindestens so sehr geht es um die Bewältigung der längerfristigen Aufgaben, also vorneweg um die Integration der Menschen, die dauerhaft bei uns bleiben werden. Dazu gehört, dass wir von ihnen erwarten, die Regeln und Werte zu respektieren, die unsere Verfassung vorgibt, und sich auf dieser Grundlage in unsere Gesellschaft zu integrieren, vorneweg mit der Bereitschaft, die deutsche Sprache zu erlernen und zu beherrschen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Um denjenigen, die vor Krieg und Verfolgung nach Europa geflohen sind, tatsächlich angemessen helfen zu können, ist es außerdem unerlässlich, die Asylverfahren deutlich zu beschleunigen. So nachvollziehbar die jeweiligen Motive für ein Verlassen der Heimat auch sein mögen, wir müssen gerade in den Fällen, in denen die Menschen nicht aufgrund von Krieg oder Verfolgung zu uns kommen, deutlich schneller entscheiden und die notwendigen Rückführungen auch konsequenter durchsetzen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, neben der nationalen Ebene muss die europäische Ebene ihren Teil leisten. Menschenwürde, Rechtsstaatlichkeit, Toleranz und Solidarität verbinden uns in Europa nicht nur kulturell. Sie sind Gründungsidee, sie sind fester Bestandteil der Verträge und Grundlage des gemeinsamen Handelns der Europäischen Union. Unser Umgang mit der aktuellen Krise wird unseren Kontinent auf lange Sicht prägen. Ich möchte, dass Europa diese gesellschaftliche, ökonomische, kulturelle und moralische Bewährungsprobe besteht. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Europäische Union ist eine Wertegemeinschaft und als solche eine Rechts- und Verantwortungsgemeinschaft. Sie muss in der Praxis zeigen, dass dieser Anspruch auch trägt. Dazu gehört, dass die Mindeststandards eingehalten werden müssen, die wir in Europa für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen und für die Durchführung von Asylverfahren festgelegt haben. Wir erleben gegenwärtig eine Situation, in der diese Mindeststandards nicht überall gegeben sind. Zur Rechts- und Verantwortungsgemeinschaft gehört auch, die Lage an den EU-Außengrenzen besser zu kontrollieren und zu organisieren. Ebenso gehört dazu eine effektive Rückführung derjenigen, die keinen Anspruch auf Schutz in der Europäischen Union haben. Und dazu gehört die Einbindung und Unterstützung wichtiger Herkunfts- und Transitstaaten bei der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen, bei der Eindämmung der Schleuserkriminalität sowie – das wird uns noch sehr fordern – bei der Bekämpfung der Fluchtursachen. Das kann nur gemeinsam mit unseren transatlantischen Partnern wie den Vereinigten Staaten von Amerika sowie mit Russland und mit den Staaten der Region des Nahen und Mittleren Ostens gelingen. Denken wir nur an die desolate Lage in Syrien. Die Europäische Kommission hat vor zwei Wochen ein umfassendes Maßnahmenpaket vorgeschlagen, das aus unserer Sicht die richtigen Ansätze enthält. Auf dieser Grundlage müssen wir jetzt schnell zu konkreten Ergebnissen kommen. In einigen Bereichen hat Europa bereits konkrete Fortschritte erzielen können. Wir haben uns im Grundsatz auf eine gemeinsame europäische Liste sicherer Herkunftsstaaten verständigt. Zudem haben die Innen- und Justizminister vorgestern eine Umverteilung von 120 000 Flüchtlingen aus besonders betroffenen Mitgliedstaaten beschlossen. Das Europäische Parlament hatte zu diesem Vorhaben bereits im Vorfeld des Ministerrats in einer Dringlichkeitssitzung seine notwendige Stellungnahme abgegeben. Das Europäische Parlament hat damit ebenfalls ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein bewiesen, und ich möchte dafür danken. Eine solche Umverteilung kann jedoch nur funktionieren, wenn wir an den EU-Außengrenzen zu einer konsequenten Registrierung und Überprüfung der Schutzbedürftigkeit der einreisenden Flüchtlinge kommen. Das sollen die sogenannten Hotspots sicherstellen, die Griechenland und Italien jetzt rasch einrichten müssen, gegebenenfalls auch Bulgarien. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Europa nicht nur punktuelle Umverteilungen, sondern vielmehr ein dauerhaftes Verfahren für eine faire Verteilung von Flüchtlingen auf die Mitgliedstaaten braucht. Die Bundesregierung unterstützt die Vorschläge, die die Europäische Kommission hierzu vorgelegt hat. Das heißt, wir haben jetzt einen ersten Schritt gesehen, aber wir sind noch lange nicht am Ende, also dort, wo wir hinkommen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Aber auch dieser erste Schritt hat viel Arbeit erfordert. Deshalb möchte ich unserem Innenminister Thomas de Maizière ganz herzlich danken für die Arbeit, die da geleistet wurde. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Nach dem Treffen der Innenminister vorgestern fand gestern Abend ein informelles Treffen der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union statt. Bei diesem Treffen haben alle Teilnehmer in Brüssel – ich betone: alle Teilnehmer – (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Der Orban war ja in Bayern! Der konnte ja nicht kommen!) die gesamteuropäische Dimension der Flüchtlingskrise anerkannt. Alle haben den Willen bekräftigt, gemeinsam und engagiert an tragfähigen Lösungen zu arbeiten. Dieses Signal der Einigkeit müssen wir jetzt nutzen, um in den vielen Einzelfragen weiter voranzukommen. Außerordentlich große Folgen hat die Lage in Syrien ja auch für die Nachbarstaaten: Jordanien, Libanon oder die Türkei, wo sich Millionen syrische Flüchtlinge aufhalten, haben mit noch weit größeren Herausforderungen zu kämpfen, als wir uns das in Europa vorstellen können – mit Herausforderungen, die ihre eigenen Kräfte bei weitem oder zumindest fast übersteigen. Der EU-Ratspräsident Donald Tusk hat deshalb gestern von seinen Reisen berichtet, die er in den vergangenen Tagen in die Region unternommen hat. Wir waren uns alle einig, dass diese Staaten unsere Unterstützung brauchen – nicht nur aus Gründen der Humanität, sondern auch, weil dies direkt mit der Frage zusammenhängt, wie viele Menschen sich von dort aus auf den Weg nach Europa machen. Insofern war es richtig und wichtig, dass wir gestern beschlossen haben, 1 Milliarde Euro für UN-Institutionen, insbesondere für das Welternährungsprogramm, zur Verfügung zu stellen, teils aus Mitteln der Kommission, teils aus Mitteln der Mitgliedstaaten. Deutschland wird sich daran natürlich beteiligen. Besonders ausführlich haben wir beim Europäischen Rat darüber gesprochen, wie wir unsere Unterstützung für die Türkei stärken können, mit der die Europäische Union eine gemeinsame Außengrenze teilt. Jean-Claude Juncker und Donald Tusk werden sich am 5. Oktober mit dem türkischen Präsidenten Erdogan treffen. Wir haben die beiden und alle europäischen Institutionen dazu ermuntert, intensive Gespräche mit der Türkei zu führen. Wir werden nur gemeinsam mit der Türkei unsere Außengrenzen sichern können, meine Damen und Herren. Wir haben beim Europäischen Rat natürlich auch darüber gesprochen, dass zu der Sicherung der Außengrenzen der Aufbau von sogenannten Hotspots gehört. Sie sollen helfen, die Lage dort besser zu organisieren und zu kontrollieren. Ich freue mich, dass wir uns darauf geeinigt haben und dass sowohl Italien als auch Griechenland bereit sind, bis Ende November solche Hotspots aufzubauen, mit dem Ziel, dort Registrierungen vorzunehmen, Fingerabdrücke abzunehmen, Identifikationen vorzunehmen und die Fähigkeit zu entwickeln, sowohl Verteilungen als auch Rückführungen von dort aus durchzuführen. Wer die entsprechenden Prozesse bei uns im Inland kennt, hat eine Ahnung davon, dass das eine sehr ambitionierte Planung ist. Trotzdem habe ich mich gefreut, dass es von beiden Ländern, Italien und Griechenland, die Bereitschaft gab, diese Arbeiten jetzt zu beschleunigen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir sind an den Außengrenzen – ich hatte es am Beispiel der Türkei schon gesagt – auch ganz entscheidend auf die Zusammenarbeit mit unseren unmittelbaren Nachbarstaaten angewiesen. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang deshalb ausdrücklich auf die konstruktive Rolle Serbiens hinweisen und auf die enormen Belastungen, die die bisherige Situation für Mazedonien mit sich gebracht hat. Auch das sollten wir vor Augen haben. Meine Damen und Herren, wir waren uns beim gestrigen Europäischen Rat alle einig, dass die Bekämpfung von Fluchtursachen eine ebenso europäische wie globale Aufgabe ist. Die globalen Ursachen von Flucht und Vertreibung sind sehr unterschiedlich; sie umfassen Gründe wie Kriege, Konflikte und politische Verfolgung, wie wir es etwa in Syrien und in Eritrea erleben. Hinzu kommen Flüchtlinge aufgrund von Naturkatastrophen wie Überschwemmungen oder Dürre. Es gibt auch viele Menschen, die wegen Armut und Perspektivlosigkeit flüchten; denn noch immer leben 1,3 Milliarden Menschen weltweit in extremer Armut, noch immer leiden 800 Millionen Menschen weltweit Hunger, noch immer sind Frauen besonders von Armut betroffen, (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Und Ihre Antworten?) noch immer haben Frauen einen viel schlechteren Zugang zu Bildung, Ausbildung und zum Arbeitsmarkt als Männer, noch immer sterben zu viele Frauen bei der Geburt eines Kindes, obwohl sie gerettet werden könnten, und noch immer haben zu viele Menschen keinen Zugang zu menschenwürdigen Sanitäreinrichtungen. Um zentrale, globale Zukunftsaufgaben wie diese geht es in der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, die wir an diesem Wochenende in New York verabschieden werden. Im Oktober jährt sich der 70. Jahrestag der Gründung der Vereinten Nationen. Noch nie in ihrer Geschichte stand die Menschheit vor so großen gemeinsamen Aufgaben. Armut in ihrer schlimmsten Form kann und muss endlich weltweit überwunden werden, um allen Menschen ein Leben in Würde zu ermöglichen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Gleichzeitig sind die Belastungsgrenzen unseres Planeten zum Teil bereits weit überschritten. Das erfordert einen dringenden Wandel hin zu einer nachhaltigen Gestaltung unserer Welt. Die 2030-Agenda setzt bei diesen Missständen an und entwirft umfassende, nachhaltige Lösungen; denn langfristige Erfolge werden wir nur haben, wenn wir globale Herausforderungen wie Ernährungssicherung, Gesundheit, Bildung, Menschenrechte oder die Gleichberechtigung der Geschlechter als Ganzes annehmen und angehen, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wenn wir die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Aspekte gleichermaßen ins Auge fassen. Meine Damen und Herren, die sich seit Jahren zunehmend zuspitzende Flüchtlingskrise zeigt wie kein anderes Thema, wie notwendig der in der 2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung gewählte Ansatz ist. Diese Agenda kann somit auch als ein globaler Plan zur Verringerung von Fluchtursachen begriffen werden. Und alle sind Teil dieser Agenda, nicht mehr nur die Entwicklungsländer; alle müssen ihren Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung leisten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das wird auch bei vielen Treffen und Gesprächen am Rande des Gipfels eine wichtige Rolle einnehmen. Ich will meine Begegnungen mit Kollegen aus den afrikanischen Staaten für die Vorbereitung der EU-Afrika-Konferenz in Valletta im November nutzen. Ich begrüße es, dass auch der Generalsekretär der Vereinten Nationen zu einem hochrangigen Treffen einlädt, um eine verbesserte Zusammenarbeit in Flüchtlings- und Migrationsfragen zu erreichen. Die Bundesregierung wird durch den Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier vertreten sein. Ihm möchte ich dafür danken, dass er sich mit den Außenministern der G 7 sowie weiterer Staaten, aber beispielsweise auch im Rahmen seiner Reise in die Türkei in der letzten Woche für eine verbesserte Unterstützung der Länder einsetzt, die unmittelbar an Krisen- und Konfliktherde angrenzen und einen großen Teil der Flüchtlinge aufnehmen. Herzlichen Dank! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, einige der neuen Ziele werden nicht kurzfristig und nicht einfach zu erreichen sein. Wenn wir jedoch auf die im Jahr 2000 verabschiedeten Millenniumsentwicklungsziele zurückschauen, dann stellen wir fest, dass diese Millenniumsziele der erfolgreichste globale Plan gegen Armut waren. Beeindruckende Fortschritte wurden dabei erzielt, die Zahl der in extremer Armut lebenden Menschen zu halbieren und den Anteil der Bevölkerung mit Zugang zu Trinkwasser zu erhöhen. Schon 2000 hatten viele nicht gedacht, dass man ein solches Ziel erreichen kann. Trotzdem ist es gelungen. Es gab Fortschritte im Gesundheitsbereich, etwa im Kampf gegen Malaria und Tuberkulose. Ebenso zeigten sich sichtbare Verbesserungen bei der Grundschulbildung, wenngleich längst nicht alle Ziele erreicht wurden. Was wir in den kommenden Jahren erreichen wollen, wird im Herzstück der 2030-Agenda festgelegt: 17 konkrete Ziele mit 169 Unterzielen, also die sogenannten Sustainable Development Goals, die die Weltgemeinschaft bis zum Jahr 2030 umsetzen will. Zentraler Bestandteil der neuen Agenda sind dabei unter anderem der Schutz des Klimas und die nachhaltige Nutzung der natürlichen Lebensgrundlagen. Diese spielen für die heutigen, vor allem aber für die kommenden Generationen in Entwicklungs- wie in Industrieländern eine übergeordnete Rolle. Auf internationaler Ebene wollen wir im Dezember in Paris ein umfassendes und verbindliches Klimaabkommen erreichen. Die Europäische Union hat dazu ihre Position festgelegt. Das ist sehr erfreulich. Vom Paris-Gipfel muss, anknüpfend an die G-7-Beschlüsse von Elmau, das klare Signal einer zukünftigen Dekarbonisierung unserer Wirtschaft zur Einhaltung des 2GradZiels ausgehen. Dafür müssen sich alle Staaten verpflichten, entsprechende nationale und internationale Maßnahmen umzusetzen. Für uns Industrieländer bedeutet dies darüber hinaus, dass wir unsere bereits 2009 in Kopenhagen gegebene Zusage, nämlich jährlich 100 Milliarden US-Dollar an öffentlichen und privaten Mitteln ab 2020 für die Klimaschutzfinanzierung in Entwicklungsländern zu mobilisieren, glaubwürdig erfüllen müssen. Deutschland wird seine Mittel für die Klimaschutzfinanzierung bis 2020 gegenüber 2014 verdoppeln und geht damit mit gutem Beispiel voran. Auf nationaler Ebene wird Deutschland die Umsetzung der Ziele vorantreiben. Darüber hinaus setzen wir uns weiter für einen Wandel unserer Wirtschaft hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaftsweise mit verminderten klimaschädlichen Emissionen ein. Dazu haben wir uns das Ziel gesetzt, die Emission von Treibhausgasen gegenüber 1990 bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent und bis zum Jahr 2050 um mindestens 80 bis 95 Prozent zu senken. Die Weltgemeinschaft hat sich mit der 2030-Agenda für die kommenden 15 Jahre also viel vorgenommen. Die Bundesregierung verpflichtet sich zu einer ehrgeizigen Umsetzung dieser Agenda. Denn auch in Deutschland sind wir an einigen Stellen noch zu weit von einem nachhaltigen Leben, Wirtschaften und Umgang mit unseren natürlichen Ressourcen entfernt. Gleichwohl ermöglicht unsere nationale Nachhaltigkeitsstrategie mit ihren konkreten Zielen und Indikatoren bereits seit 2002 ein politikübergreifendes Monitoring unserer Nachhaltigkeitsanstrengungen. Sie wird auch ein wesentlicher Rahmen für die Umsetzung der 2030-Agenda durch Deutschland sein. Bis Herbst 2016 werden wir sie unter Berücksichtigung der 2030-Agenda in allen wesentlichen Aspekten überprüfen und, wo nötig, auch weiterentwickeln. Über die Strategie wird dann festgelegt werden, mit welchen nationalen Zielen, Indikatoren und Maßnahmen wir zu welchem Ziel der Sustainable Development Goals beitragen wollen. Im Lichte einer globalen Partnerschaft baut die Bundesregierung dabei auf weitere Partner, auf die organisierte Zivilgesellschaft mit ihren vielfältigen Aktivitäten, auf Wirtschaft und Wissenschaft, auf Länder und Kommunen. Alle sind gefragt, eigene ehrgeizige Beiträge zu definieren, die sie jeweils zur Verwirklichung der Agenda leisten können. Auf der Ebene der Europäischen Union wirbt die Bundesregierung in Brüssel mit Nachdruck für eine neue EU-Nachhaltigkeitsstrategie. Auf der Ebene der Vereinten Nationen wird das sogenannte Hochrangige Politische Forum zentraler Akteur bei der Überprüfung der Umsetzung der Agenda sein. Deutschland wird mit gutem Beispiel vorangehen und im Rahmen dieses Gremiums bereits im nächsten Jahr als einer der ersten Staaten weltweit seine Umsetzungsanstrengungen international vorstellen. Um alle Ziele zu erreichen, brauchen wir erstens effiziente Strukturen. Auch im 70. Jahr ihres Bestehens sind die Vereinten Nationen durch ihre einzigartige Legitimität unersetzlich; aber auch sie müssen sich an die neuen Herausforderungen anpassen. Deutschland wird sich in den notwendigen Reformprozess aktiv einbringen. Um alle Ziele zu erreichen, brauchen wir zweitens die notwendigen finanziellen Ressourcen. Deutschland steht zu seinen Verpflichtungen. Der Etat des Bundesentwicklungsministers wächst in den nächsten Jahren verlässlich. Wir werden Milliarden mehr für Entwicklungshilfe ausgeben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Um aber sinnvoll Investitionen zu ermöglichen, müssen wir auch privates Engagement fördern. Nur mit öffentlichen Mitteln werden wir das nicht schaffen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) In den nächsten Tagen werden wir all diese Fragen in den Vereinten Nationen diskutieren. Gemeinsam mit den ebenfalls nach New York reisenden Bundesministern werde ich mich für die Lösung aktueller Fragen sowie für die Bewältigung der langfristigen Herausforderungen einsetzen. Dafür bietet uns die neue Agenda für nachhaltige Entwicklung eine gute Grundlage. Meine Damen und Herren, um die großen Herausforderungen unserer Zeit erfolgreich bewältigen zu können, wird es entscheidend sein, dass alle Maßnahmen, alle Ebenen und alle Institutionen sinnvoll ineinandergreifen. Was wir auf kommunaler, regionaler und nationaler Ebene tun können, besprechen wir heute und natürlich immer wieder fortlaufend mit den Ministerpräsidenten der Länder. Was wir auf europäischer Ebene tun können, war am Dienstag Thema bei den Innen- und Justizministern und gestern bei den Staats- und Regierungschefs. Was wir auf globaler Ebene tun können, besprechen wir in den kommenden Tagen in New York. Die Bundesregierung wird auch in den kommenden Wochen, Monaten und Jahren mit aller Kraft und auf allen Ebenen darauf hinwirken, dass die erforderlichen Entscheidungen getroffen und dann auch umgesetzt werden. So wird es uns gelingen, auch die großen Aufgaben, vor denen wir stehen, erfolgreich zu meistern. Ich bin fest überzeugt: Die Chancen sind so viel größer als die Risiken. Wir müssen sie nur erkennen und nutzen. Und wer, wenn nicht wir, hätte die Kraft dazu? Ich bin überzeugt, dass wir das schaffen. Herzlichen Dank. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich eröffne die Aussprache. Für die Fraktion Die Linke erteile ich das Wort der Kollegin Sahra Wagenknecht. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Bundeskanzlerin, Sie selbst haben die Zahl genannt: 60 Millionen Menschen sind weltweit gegenwärtig auf der Flucht. Viele von ihnen hatten ihre Heimat früher in Ländern wie dem Irak, wie Afghanistan, Libyen oder auch Syrien. Sie fliehen nicht vor Naturkatastrophen; sie fliehen vor Terrorbanden wie den Taliban oder dem IS, sie fliehen auch vor Assad, aber sie fliehen vor allem vor den Folgen westlicher Politik; denn es waren die als humanitäre Intervention maskierten Ölkriege der Vereinigten Staaten und ihrer europäischen Verbündeten, die in Afghanistan und im Irak verbrannte Erde hinterlassen haben und die Mördermilizen des IS und jetzt auch die Taliban in Afghanistan erst wieder so stark gemacht haben, wie sie gegenwärtig sind. Und es waren westliche Interventionen, die die staatlichen Strukturen in Libyen zerstört und die auch in Syrien den Bürgerkrieg immer weiter angeheizt haben. Und es sind nicht zuletzt deutsche Waffen, die in all diesen Ländern Tod und Schrecken verbreiten. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Deshalb: Wer von Flüchtlingen redet, der darf über Kriege, Drohnenterror und Waffengeschäfte nicht schweigen. (Beifall bei der LINKEN) Werte Kolleginnen und Kollegen, wir werden das Flüchtlingsproblem nicht durch weitere Einschränkungen beim Asylrecht lösen und auch nicht durch Gefeilsche um europäische Quoten und schon gar nicht durch neue Mauern und noch höhere Zäune. Wir werden es nur lösen, wenn Europa endlich aufhört, die Vereinigten Staaten dabei zu unterstützen, immer größere Teile des Nahen und Mittleren Ostens in einen Brandherd zu verwandeln. Das muss endlich aufhören. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Stattdessen müssen wir sie unter Druck setzen, endlich den ihrer Verantwortung angemessenen Beitrag an den Kosten zu leisten. (Beifall bei der LINKEN) Frau Bundeskanzlerin, stoppen Sie sofort alle Waffenlieferungen in Spannungsgebiete, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) und erteilen Sie all denen eine Absage, die schon wieder dafür trommeln, dass wir nun auch in Syrien mitbomben sollen! Unter Bombenteppichen wächst kein Frieden, (Beifall der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) sondern sie bewirken nur, dass noch mehr verzweifelte Menschen zur Flucht gezwungen werden. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Also Russland raus aus Syrien? Soll Russland raus aus Syrien? Sie sind ja nicht nur auf einem Auge blind, sondern auf beiden!) Nur eine kleine Minderheit der Flüchtlinge schafft es bis Europa. Millionen leben unter unwürdigen Bedingungen in den Lagern der Nachbarstaaten. Vor kurzem musste die Welternährungsorganisation dort die Nahrungsmittelrationen halbieren, weil selbst der erbärmliche Betrag von 27 Dollar pro Person und Monat nicht mehr finanzierbar war. Ich muss sagen: Auch das, was jetzt als großes Ergebnis des gestrigen Gipfels verkündet wird, nämlich dass man 1 Milliarde Euro mehr an Mitteln zur Verfügung stellt, ist weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein. Das ist einfach lächerlich und unangemessen. Flüchtlinge hungern, und ihre Kinder bekommen keine angemessene Bildung, weil die reichen Länder Milliarden für Kriege ausgeben, aber nur lächerliche Beträge für humanitäre Hilfe. Ich finde, das ist eine Schande. Es zeigt auch sehr deutlich die wirklichen Werte der gelobten westlichen Wertegemeinschaft. (Beifall bei der LINKEN) Ja, viele von denjenigen, die auf der Flucht sind, fliehen auch vor wirtschaftlichem Elend und blanker Not. Aber auch dafür sind die Industriestaaten mitverantwortlich. Frau Merkel, Sie haben hier sehr vieles gesagt, was ich unterschreiben kann. Aber dann nehmen Sie doch endlich die UN-Ziele zur Bekämpfung von Armut und Ungleichheit ernst, und beteiligen Sie sich nicht länger daran, armen Ländern Freihandelsabkommen zu diktieren, die ihre Landwirtschaft und ihre Industrie zerstören, die ihre Menschen arm und ihre Märkte zur Beute internationaler Konzerne machen! Das sind doch die Folgen. Wenn Sie da nicht die entsprechenden Konsequenzen ziehen, dann nützen all die schönen Worte hier nichts. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Sie lernen nie etwas!) Niemand sollte sich wundern, dass immer mehr Menschen ihre letzte Hoffnung darin sehen, sich auf den gefährlichen Weg nach Europa zu machen. Dafür, dass die, die bis nach Deutschland kommen, hier eine freundliche Aufnahme finden, haben in den letzten Wochen vor allem das großartige Engagement der vielen ehrenamtlichen Helfer und die Spendenbereitschaft der Bevölkerung gesorgt. (Beifall bei der LINKEN) „Wir schaffen das“, haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, gesagt. Das klang gut. Dafür wurden Sie gelobt, aber auch aus den eigenen Reihen kritisiert. Ich habe den Eindruck, inzwischen hat Sie die Angst vor der eigenen Courage befallen. (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Haben Sie gerade zugehört? Zuhören bildet!) Zumindest muss man sehen, dass die Politik der Bundesregierung mehr und mehr in Kontrast zu Ihren warmen Worten steht. Wir finden es unverantwortlich, Länder und Kommunen mit dem übergroßen Teil der Integrationskosten alleinzulassen. So organisiert man nicht Willkommenskultur, sondern Überforderung und Spannungen. (Beifall bei der LINKEN) Sie wissen doch, wie die Situation in vielen Städten und Gemeinden ist, wie viele Krankenhäuser privatisiert und wie viele marode Straßen nicht repariert wurden, weil die Kassen gähnend leer sind. Sie wissen, dass die meisten Bundesländer im Korsett der Schuldenbremse Probleme haben, ihre ganz normalen Aufgaben zu erfüllen. Jetzt kommen Hunderttausende in unser Land, die Deutschkurse und Hilfe brauchen, Wohnungen, Bildung für ihre Kinder und letztlich auch Arbeitsplätze. Wollen Sie wirklich, dass Stadtkämmerer ihren Bürgern demnächst erklären müssen, dass das öffentliche Schwimmbad leider nicht mehr zu halten ist, weil sonst die Mietzuschüsse für Flüchtlinge nicht gezahlt werden können? Wollen Sie, dass die Finanzierung von Deutschkursen gegen die Finanzierung von Bibliotheken aufgerechnet wird? Wer so etwas zulässt, der vergiftet das Klima in unserem Land. (Beifall bei der LINKEN) Auch die zusätzlichen Ausgaben des Bundes will Herr Schäuble über Kürzungen in anderen Haushaltsposten finanzieren. Ist der Bundesregierung nicht klar, dass sie so die hiesige Bevölkerung, und zwar gerade diejenigen, denen es nicht gut geht – die niedrige Renten, schlechte Löhne haben oder von Hartz IV leben –, in unverantwortlicher Weise gegen die Flüchtlinge ausspielt? Denn nicht die Wohlhabenden, sondern vor allem die Ärmeren werden betroffen sein, wenn zur Finanzierung von Integration andere Budgets gekürzt werden. (Christian Petry [SPD]: Sich selbst erfüllende Prophezeiung!) Nicht die Wohlhabenden, sondern die Ärmeren wohnen in den Wohngebieten, in denen in Zukunft auch die Flüchtlinge nach Wohnungen suchen werden. Es ist keine irrrationale, sondern eine absolut plausible Angst, dass dort dann die Mieten weiter steigen werden. Seit Jahren werden in diesem Land kaum noch Sozialwohnungen gebaut. Viele Gemeinden haben ihren Wohnungsbestand privaten Renditejägern überlassen. Öffentliche Investitionen in guten und erschwinglichen Wohnraum sind seit Jahren überfällig, und sie werden mit jedem ankommenden Flüchtling dringender. Natürlich sind es auch nicht die Spitzenverdiener, sondern diejenigen im ohnehin viel zu großen Niedriglohnsektor, die es zu spüren bekommen werden, wenn Unternehmen Flüchtlinge für Lohndumping missbrauchen. Auch das könnten Sie verhindern: durch Erhöhung des Mindestlohns und Abschaffung der Ausnahmen, durch Verbot von sachgrundloser Befristung, Leiharbeit und Missbrauch von Werkverträgen. Es ist die verdammte Verantwortung der Politik, dafür Sorge zu tragen, dass die Integration nicht zu einer neuen Welle von Lohndumping und Sozialabbau führt. (Beifall bei der LINKEN) Denn wer das zulässt, der nährt genau die Ängste und Ressentiments, die rechten Hasspredigern den Boden bereiten. Ist Ihnen, Frau Bundeskanzlerin Merkel, die schwarze Null wirklich so heilig, dass Sie dafür in Kauf nehmen, braune Nullen beim Stimmenfang zu unterstützen? Ich finde das unverantwortlich. (Beifall bei der LINKEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Frechheit!) Zumal Sie ja noch nicht einmal große neue Schulden machen müssen. Ohne all die Steuergeschenke an die oberen Zehntausend und ohne Ihre Untätigkeit bei der Verhinderung von Steuerflucht hätten Bund, Länder und Kommunen heute ganz andere Spielräume. Denn die wirklich teuren Flüchtlinge sind nicht die, die vor Krieg und Terror fliehen. Die wirklich teuren sind die Steuerflüchtlinge, die Konzerne und reichsten Familien, die mit tausend Tricks die öffentliche Hand in Deutschland jedes Jahr um bis zu 100 Milliarden Euro prellen. (Beifall bei der LINKEN) Deswegen: Sorgen Sie endlich für eine ordentliche Besteuerung der großen Vermögen, und machen Sie die Grenzen dicht für Steuerflüchtlinge, (Beifall bei der LINKEN) statt die Kosten für die Integration ausgerechnet auf den Teil der Bevölkerung abzuwälzen, der schon in den letzten Jahren durch Ihre Politik ständig an Wohlstand verloren hat! Ich bin überzeugt: Nur dann, wenn sich das Gefühl „Es geht bei uns gerecht zu“ wieder einstellt, werden wir es tatsächlich schaffen, die Integration zu leisten und die Willkommenskultur zu erhalten. (Beifall bei der LINKEN – Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: Na ja, war auch schon mal besser!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die SPD-Fraktion erhält nun Thomas Oppermann das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Thomas Oppermann (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch nach Monaten ist die große Bereitschaft der Deutschen, Flüchtlinge bei uns aufzunehmen und freundlich zu behandeln, ungebrochen. Der ehemalige polnische Botschafter Janusz Reiter spricht in einem Zeitungsbeitrag von einem „Triumph der Menschlichkeit“. Ich glaube, wir können uns damit viel Respekt und eine große Wertschätzung in der Welt erarbeiten. Aber viele Bürgerinnen und Bürger sind auch verunsichert. Sie sind verunsichert, weil so viele Flüchtlinge in so kurzer Zeit kommen. Ich denke, die Menschen glauben, dass wir es schaffen können, 800 000 oder 1 Million Flüchtlinge aufzunehmen und zu integrieren. Aber sie fragen natürlich auch: Wie geht es weiter? Können wir die Zahl der Flüchtlinge verringern? Kommen im nächsten Jahr wieder 1 Million Menschen, oder werden es sogar noch mehr? Wie verändert das unser Land, und wie verändert das das Leben der Menschen in diesem Land? – Die Ungewissheit erzeugt Angst, und ich finde, diese Angst müssen wir ernst nehmen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb gilt es jetzt, mit aller politischen und finanziellen Kraft, zu der wir in der Lage sind, dafür zu sorgen und dazu beizutragen, dass weniger Menschen die Flucht ergreifen, sodass wir die Geschwindigkeit des Flüchtlingszuzugs in Deutschland deutlich verringern. Zuallererst müssen wir die Lage der Flüchtlinge in den Nachbarländern Syriens verbessern. Viel zu lange haben wir über die dramatische Verschlechterung der Lage der Flüchtlinge dort hinweggesehen. Was Sigmar Gabriel von seiner Reise nach Jordanien berichtet hat, ist niederschmetternd. Die Menschen leben unter erbärmlichen Verhältnissen: Es gibt keine Zukunftsperspektive, wegen Geldmangels muss das Welternährungsprogramm die Rationen kürzen, es gibt keine Arbeit, die Hälfte der Kinder geht nicht zur Schule, und in den Lagern ist von einer verlorenen Generation die Rede. Immer mehr Menschen sitzen jetzt auf gepackten Koffern. Wenn wir die humanitäre Situation und die Bildungsmöglichkeiten für Kinder in diesen Ländern nicht schnell verbessern, dann werden sich viele auf die Reise machen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das weiß man seit Jahren!) Ich finde die Entscheidung der Staats- und Regierungschefs von gestern Abend, mindestens 1 Milliarde Euro bereitzustellen, gut. Das wird aber nicht reichen. Deshalb ist es notwendig, dass die USA und die Golfstaaten diese Summe verdoppeln. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn wir erreichen wollen, dass die Menschen ihre Fluchtentscheidung noch einmal überdenken oder aufschieben, dann brauchen wir auch ein weiteres Signal der Hoffnung. Ein starkes Signal für die Menschen wäre es, wenn Russland und die USA gemeinsam mit den Europäern und den Regionalmächten Gespräche aufnähmen, um für Syrien eine Lösung zu finden. Dass man mit Russland in der Syrien-Frage konstruktiv zusammenarbeiten kann, haben wir im Sommer 2013 gesehen. Damals haben Russland, die USA und weitere Staaten vereinbart, das syrische Chemiewaffenarsenal unter internationale Kontrolle zu stellen. Auch die Bundeswehr hat einen wichtigen Beitrag zur Vernichtung der Chemiewaffen geleistet. Das könnte eine Blaupause für neue Syrien-Gespräche sein. Ich bin Frank-Walter Steinmeier für seine Syrien-Initiative dankbar. Es ist gut, dass jetzt möglicherweise alle an einen Tisch kommen. Vielen Dank dafür. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ebenfalls finde ich gut, dass die Bundeskanzlerin gestern klar gesagt hat: Wir müssen auch mit Assad reden, auch wenn das schwerfällt. Wir müssen mit allen reden, die dazu beitragen können, dass dieser Konflikt gelöst wird. Natürlich kann sich niemand vorstellen, dass Assad eine dauerhafte Rolle bei der Herstellung von Frieden in Syrien spielen kann. Die meisten der 250 000 Toten dieses Bürgerkriegs gehen auf seine Verantwortung, und wir wissen, dass ein Kriegsverbrecher nicht der Garant für Frieden sein kann. Wir müssen jetzt aber mit allen reden, um zu einer Befriedung dieses Konfliktes zu kommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Eines steht für mich auch eindeutig fest, Frau Wagenknecht – da bin ich ausnahmsweise Ihrer Meinung; allerdings haben Sie kein Wort darüber gesagt, dass Russland gerade Kampfflugzeuge nach Syrien gebracht hat –: Eine Eskalation der militärischen Auseinandersetzung kann diesen Konflikt ganz sicher nicht befrieden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nicht nur bei der Bekämpfung der Fluchtursachen, sondern auch bei der Gestaltung einer neuen europäischen Flüchtlingsordnung müssen wir die Unterstützung aller Länder in Europa haben. Wenn wir Freizügigkeit und offene Grenzen erhalten wollen, dann brauchen wir sichere EU-Außengrenzen, und wir brauchen Aufnahmezentren in den Hauptankunftsländern Italien und Griechenland. Ich bin froh, dass der Europäische Rat bzw. die Staats- und Regierungschefs gestern informell eine klare Entscheidung für die Sicherung der Außengrenzen und die Einrichtung von Hotspots getroffen haben. Die Sicherung der Außengrenzen wird aber nur dann funktionieren, wenn wir auch legale Möglichkeiten des Zuzugs von Flüchtlingen schaffen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Anders werden wir nicht in der Lage sein, den Zuzug der Flüchtlinge besser zu steuern und vor allen Dingen den Schleusern ihr menschenverachtendes Handwerk zu legen. Ich finde, Kontingente von Flüchtlingen zu übernehmen, wie es Herr de Maizière formuliert hat, ist kein schlechter Gedanke. (Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat er aber nicht gemeint!) Die Resettlement-Programme der Vereinten Nationen sind insbesondere für Frauen und Kinder oft die einzige Möglichkeit, wirklichen Schutz zu finden. Deshalb sollten wir darüber nachdenken. Dass Artikel 16 a Grundgesetz davon nicht beeinträchtigt werden darf, halte ich für selbstverständlich. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Europa muss seine humanitären Verpflichtungen aus der Genfer Konvention erfüllen. Das geht aber nur, wenn wir die Flüchtlinge in Europa fair verteilen. Dass sich die Innenminister am Dienstag – wenn auch nur mit Mehrheitsentscheidung – auf die Verteilung von 120 000 Flüchtlingen verständigt haben, ist ein erster Schritt. Ich bin froh, dass auch Polen dem Kompromiss zugestimmt hat. Bundesinnenminister de Maizière hat daran entscheidenden Anteil gehabt. Wir können aber natürlich bei diesem Kompromiss nicht stehen bleiben. Bei der Flüchtlingsfrage brauchen wir – genauso wie in der Griechenland-Krise – ein Mindestmaß an europäischer Solidarität. Es steht nicht in Einklang mit europäischem Recht, wie in den letzten Wochen in Ungarn, Serbien und Kroatien die Flüchtlinge hin- und hergeschoben worden sind. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Auch in der Slowakei!) – Auch in der Slowakei, auch in Slowenien. – Noch immer gibt es EU-Mitglieder, die eine solidarische Verteilung der Flüchtlinge kategorisch ablehnen – ausgerechnet die Länder, die so sehr von der Solidarität der Europäischen Union profitieren. Tschechien bekam 2013 knapp 3,4 Milliarden Euro mehr, als es eingezahlt hat. Ungarn verbuchte ein Plus von 5 Milliarden Euro. Wer so viele Vorteile von der EU hat, der muss auch Verantwortung übernehmen und helfen, um humanitäre Katastrophen abzuwenden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn in Europa im Augenblick nur kleine Fortschritte möglich sind, dann brauchen wir in der deutschen Innenpolitik einen großen Fortschritt. Heute Abend beim Treffen der Bundesregierung mit den Ministerpräsidenten werden die Grundlagen dafür geschaffen, dass wir in diesem Jahr 800 000 Flüchtlinge aufnehmen und versorgen, aber auch integrieren können – jedenfalls die meisten derjenigen, die bei uns bleiben werden. Diese Menschen müssen in Kitas und Schulen. Wir brauchen Sprachkurse, Lehrstellen, Arbeitsplätze und menschenwürdige Wohnungen. All das ist ein Kraftakt. Was die Menschen deshalb zuallererst von uns erwarten, sind ein tatkräftiges Krisenmanagement und eine zügige Bearbeitung der Asylverfahren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Menschen, die bei uns Asyl suchen, brauchen schnell Gewissheit, ob sie bleiben können oder nicht. Abgelehnte Bewerber, die keine Perspektive haben, müssen schnell in ihre Heimatländer zurückgeführt werden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir haben bereits vor dem heutigen Treffen verabredet, dass der Bund die Kapazitäten in der Erstaufnahme deutlich erhöht. Wir müssen aber auch die ungeregelte Einreise der Flüchtlinge an den Grenzen wieder unter Kontrolle bringen. Ich war in der letzten Woche in Passau und habe mir das angesehen. Ich habe gesehen, wie die Bundespolizei dort die Flüchtlinge an unterschiedlichen Stellen aufgreift, sie einsammelt und auch registriert. Das ist hervorragend organisiert. Vor allen Dingen geht die Bundespolizei mit den Flüchtlingen respektvoll und sensibel um. Ich muss sagen: Bei dem ganzen Durcheinander in dieser Krise, in der vieles nicht, jedenfalls noch nicht, rundläuft, ist die Bundespolizei ein stabiler Faktor, auf den man sich absolut verlassen kann. Deshalb bin ich froh, dass wir hier 3 000 neue Stellen bewilligt haben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber die Registrierung, die zunächst durch die Bundespolizei erfolgt, wird anschließend noch einmal und in manchen Fällen ein drittes Mal gemacht: Die Registrierung der Polizei landet am Ende im Papierkorb, weil die Erstaufnahmeeinrichtung sie noch einmal durchführt; dann macht das BAMF diese Arbeit unter Umständen noch einmal. Ich finde, wir können uns in diesen schwierigen Zeiten doppelte und dreifache Arbeit nicht leisten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Heute Abend geht es vor allem um die finanzielle Entlastung der Kommunen und der Länder. Wir wollen, dass sich die Finanzhilfe an der tatsächlichen Entwicklung orientiert. Dabei geht es nicht um eine einmalige großzügige Unterstützung, sondern es geht um eine auf Dauer angelegte und dynamisch an der Zahl der Flüchtlinge orientierte Mitfinanzierung des Bundes bei der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen. Dabei handelt es sich um eine doppelte Integration: eine Integration in unsere Gesellschaft und eine Integration in unseren Arbeitsmarkt. Bei der Integration in unsere Gesellschaft ist klar, dass die Flüchtlinge das Wertesystem, das unserer Verfassung zugrunde liegt, akzeptieren müssen. Bei der Integration in den Arbeitsmarkt geht es darum, dass die Flüchtlinge möglichst bald ihren Lebensunterhalt mit Arbeitseinkünften bestreiten können. Angesichts dieser doppelten Integrationsanforderung ist es ein Glücksfall, dass wir mit Frank-Jürgen Weise künftig jemanden haben werden, der sowohl die Bundesagentur als auch das BAMF leitet. Ich glaube, das wird gut. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch wenn wir gewaltig investieren müssen, dürfen wir nicht nur die Belastungen sehen, sondern wir müssen auch die Chancen für eine alternde Gesellschaft erkennen. Deutschland hat nach Japan die älteste Bevölkerung aller Industrieländer. Ein Land, in dem schon heute über 1 Million Stellen vakant sind und über 40 000 Ausbildungsplätze nicht besetzt werden können, ist auf Einwanderung dringend angewiesen. Wir wollen die Flüchtlinge schnell in Arbeit bringen. Dabei müssen wir auf eine Sache ganz besonders aufpassen, nämlich dass die Flüchtlinge nicht eine billige Reservearmee für den Arbeitsmarkt werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Der Vorschlag, dass der Mindestlohn für Flüchtlinge ausgesetzt werden soll, ist unverantwortlich. Genau das dürfen wir nicht tun. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn jemand, der lange darauf warten musste, dass er endlich 8,50 Euro in der Stunde verdient, sieht, dass Flüchtlinge für 6,50 Euro die gleiche Arbeit anbieten, dann muss er logischerweise Angst um seinen Arbeitsplatz haben. Genau das ist der Weg, diese Gesellschaft zu spalten. Den sollten wir nicht gehen. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen ein kräftiges Wohnungsbauprogramm, und zwar nicht nur für Flüchtlinge. Es gibt in Ballungszentren und Universitätsstädten in diesem Land auch unter Nichtflüchtlingen genügend Menschen, die auf der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung sind. Deshalb ist ein Wohnungsbauprogramm die entscheidende Voraussetzung für die Integration der Flüchtlinge, aber auch für alle anderen auf der Suche nach menschenwürdigen Wohnungen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Ich möchte kurz etwas zum Sicherheitsproblem sagen. Der Kollege Hans-Peter Friedrich hat gesagt: Wir haben die Kontrolle verloren. (Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat die Kontrolle verloren!) Zigtausende strömen unkontrolliert ins Land. Wir können nicht abschätzen, wer ein islamistischer Schläfer ist. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ich habe mehr Angst vor Nazis!) Richtig ist, dass wir an den Grenzen die Kontrolle über die einreisenden Menschen zurückgewinnen müssen. Wir dürfen es nicht zulassen, dass die staatliche Ordnung aus den Fugen gerät. Dass unter den Flüchtlingen auch Islamisten sein können, kann niemand ausschließen. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und unter Demonstranten auch Nazis!) Deshalb müssen wir auch wachsam sein. Aber für viel gefährlicher halte ich es, wenn die 800 deutschen Gotteskrieger, die auf der Seite des „Islamischen Staates“ kämpfen, wieder nach Deutschland zurückkehren. (Beifall bei der SPD) Ich sage Ihnen: Die allermeisten Menschen, die aus Syrien kommen, haben die Nase gestrichen voll von Gotteskriegern und gewalttätigen religiösen Eiferern. Damit das so bleibt, sollten wir sicherstellen, dass die radikalen Salafisten in Deutschland jetzt nicht die Betreuung der Flüchtlinge übernehmen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) So gesehen ist unsere Gastfreundschaft eine gute Integrationspolitik und eine Investition in die innere Sicherheit. Muslime sagen vor laufenden Kameras: Die Dschihadisten sagen uns, ihr seid Ungläubige; aber in Wirklichkeit seid ihr es, die den Muslimen in Not helfen. – So ganz nebenbei führen wir wahrscheinlich gerade den effektivsten Kampf gegen den Islamismus, der möglich ist. Auch das sollten wir sehen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Marieluise Beck (Bremen) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es ist gut, dass inmitten der größten Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg am Wochenende die UNVollversammlung in New York stattfindet. Auf der Tagesordnung steht die Verabschiedung einer nachhaltigen, weltweit gültigen Entwicklungsagenda, und die Kanzlerin hat zu Recht darauf hingewiesen: Die Agenda 2030 richtet sich nicht nur an Entwicklungsländer, sondern sie verpflichtet alle Länder auf diesem Globus, ihre Aufgaben zu erfüllen. Wie viele Flüchtlinge in den nächsten 10 oder 20 Jahren nach Deutschland und Europa kommen, hängt ganz wesentlich auch davon ab, ob die Verhandlungen in New York gut laufen. Deshalb, Frau Bundeskanzlerin, wünsche ich Ihnen gutes Gelingen bei der UNVollversammlung. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich darauf hinweisen, dass die heutige Regierungserklärung und die Debatte zum ersten Mal live in Gebärdensprache und mit Untertitelung im Internetangebot des Deutschen Bundestages übertragen werden (Beifall) und dass wir das in Zukunft für alle Kernzeitdebatten und besondere Veranstaltungen im Bundestag als zusätzliches Angebot ermöglichen. Ich begrüße deswegen alle, die davon heute zum ersten Mal Gebrauch machen, und hoffe, dass Sie lange dabeibleiben. (Beifall) Nun hat der Kollege Anton Hofreiter für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, Sie haben früher öfters gesagt: Scheitert der Euro, dann scheitert Europa. – Aus heutiger Sicht müssten wir eigentlich sagen: Scheitern wir an einer humanen Flüchtlingspolitik, dann scheitert Europa. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie haben selbst davon gesprochen, Frau Merkel, dass weltweit 60 Millionen Menschen auf der Flucht sind. Bei dem Gipfeltreffen gestern haben sich die europäischen Länder immerhin darauf geeinigt, 120 000 Menschen in Europa zu verteilen. Jetzt kann man sagen: Ja, das ist ein erster richtiger Schritt in die richtige Richtung. Aber angesichts von 60 Millionen Menschen, die weltweit auf der Flucht sind, sind 120 000 maximal ein Tropfen auf den heißen Stein. Da muss doch noch viel mehr erfolgen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Angesichts dessen, was gerade in Ungarn passiert, wo wir einen Regierungschef haben, der Flüchtlinge niederknüppeln lässt – es gibt Bilder, auf denen sich Mädchen weinend um ihre Mütter kümmern, weil sie von ungarischen Grenzpolizisten niedergeknüppelt und mit Tränengas beschossen worden sind –, und angesichts dessen, dass es eine Regierungspartei gibt, die, statt heftig dagegen zu protestieren, den dafür Verantwortlichen hofiert, hätte ich mir von Ihnen, Frau Merkel, sehr, sehr deutliche Worte gewünscht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Es ist nicht so, wie viele behauptet haben – ich gebe offen zu, dass ich selbst das ebenfalls vermutet habe –, nämlich dass Sie, Frau Merkel, gar nicht zu klaren Worten in der Lage sind. Das dachte man lange Zeit. Aber Sie haben in letzter Zeit den einen oder anderen klaren Satz gesagt: „Das Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte kennt keine Obergrenze.“ Sie können also klare Sätze sagen. Dann sagen Sie doch auch einen klaren Satz in Richtung CSU und Herrn Seehofer, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das sind unsere Freunde!) einen Satz, der deutlich zum Ausdruck bringt, dass es so nicht geht, dass man mit unseren Werten so nicht umgehen kann und dass das ein Herumtrampeln auf der europäischen Wertegemeinschaft ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN ) Wenn man jetzt wieder auf Abschottungspolitik setzt, dann schädigt man die europäische Wertegemeinschaft. Dann haben wir vielleicht noch eine EU, aber eine EU, die im Kern nichts mehr wert ist, weil wir unsere Werte nicht verteidigen. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie dafür sorgen, dass die europäischen Werte verteidigt werden und dass man nicht erneut auf Abschottungspolitik setzt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir alle haben – ich muss traurigerweise sagen: in den letzten Jahren – die schrecklichen Bilder davon gesehen, was im Mittelmeer passiert, dass dort Menschen regelmäßig ertrinken. Deshalb hätte ich erwartet, dass beim Gipfel etwas zu sicheren Wegen gesagt und Beschlüsse gefasst worden wären, die es den Menschen ermöglichen, den schrecklichen Bürgerkriegen in Richtung Europa zu entkommen, damit sie nicht auf Schlepper angewiesen sind und darauf, auf vollkommen unsichere Boote zu gehen und sich in Lastwagen zu quetschen, in denen sie unter Umständen ersticken. Wenn Europa wirklich zeigen will, was es wert ist, dann sorgen Sie, dann sorgen wir gemeinsam dafür, dass es sichere Wege nach Europa gibt und dass die Menschen nicht auf Schlepper angewiesen sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Sie haben einen weiteren richtigen Punkt gesagt. Sie haben gesagt: Wir müssen unbedingt das World Food Programme ausreichend ausstatten. – Dieses Programm soll nun 1 Milliarde Euro erhalten. Aber können wir uns nicht darauf einigen, dass das in Zukunft vorausschauend passiert? Es ist dieses Jahr nicht das erste Mal, dass dem World Food Programme das Geld ausgeht, dass die Flüchtlinge hungern müssen und dass die Portionen auf 50 Cent pro Tag heruntergesetzt werden. Das ist bereits letztes und vorletztes Jahr vorgekommen. Können wir uns nicht wenigstens darauf einigen, wenn wir schon nicht die ganz großen Krisen von heute auf morgen lösen können, dass wir, das reiche Deutschland – es geht um einige Millionen Euro; das ist für eine Privatperson viel Geld; aber für uns als Bundesrepublik Deutschland ist das leistbar –, rechtzeitig dafür sorgen, dass dieses Programm ausreichend finanziert wird, bevor ihm das Geld ausgeht. Das sollte der Mindestkompromiss sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]) Ich möchte ganz herzlich den Ehrenamtlichen danken, die innerhalb Deutschlands Unglaubliches leisten und sehr viel auf die Beine stellen. (Beifall im ganzen Hause) Man muss auch den Menschen in der öffentlichen Verwaltung danken, die zum Teil bis zum Anschlag arbeiten. Aber deshalb ist es umso wichtiger, dass am heutigen Nachmittag beim Gipfel mit den Ministerpräsidenten wirklich realistische Lösungen herauskommen, Lösungen, die wirklich tragen. Es dürfen nicht weitere Schikanen beschlossen werden, und es darf keine seltsame Symbolpolitik betrieben werden. Man sollte nicht glauben, dass die Menschen nicht mehr aus Syrien flüchten, weil nur noch ein Taschengeld gezahlt wird. Vielmehr müssen echte Entlastungen für die Kommunen und echte Hilfen für die Flüchtlinge beschlossen werden. Man muss bestimmten bürokratischen Unsinn abschaffen, zum Beispiel die Regelung, dass nach drei Jahren alle anerkannten Flüchtlinge noch einmal überprüft werden. Ich erwarte vom Gipfel am heutigen Nachmittag, dass man die Probleme tatsächlich angeht, den Kommunen und den Flüchtlingen hilft und dafür sorgt, dass die Arbeit der Ehrenamtlichen nicht entwertet wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Frau Merkel, Sie haben auch vom Gipfel in New York gesprochen, bei dem es darum geht, die Nachhaltigkeitsziele zu beschließen, die es dann zu erreichen gilt. Der Gipfel in New York ist etwas Besonderes; denn wir beschließen diesmal Nachhaltigkeitsziele, die nicht nur für die Länder des globalen Südens gelten. Bei den letzten Millenniumszielen haben wir noch so getan, als ob sie uns kaum etwas angingen, als ob sie nur für die armen Länder des globalen Südens gelten würden und als ob bei uns alles toll wäre. Das Besondere ist diesmal, dass die UN und die reichen Länder anerkennen, dass die Nachhaltigkeitsziele uns alle betreffen. Frau Merkel, Sie haben davon gesprochen, dass wir mehr Geld für Entwicklungszusammenarbeit ausgeben wollen. Es gibt das 0,7-Prozent-Ziel, das das erste Mal 1970 auf UN-Ebene beschlossen wurde. Das ist das Jahr, in dem ich geboren worden bin. Es ist also schon ziemlich lang versprochen, dieses Ziel zu erreichen. Jetzt haben Sie gesagt, zur Erreichung dieses Ziels sollen weitere Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden. Aber wenn ich mir die mittelfristige Finanzplanung des Bundes anschaue, dann stelle ich fest, dass der Anteil am Bundeshaushalt, der zur Erreichung dieses Ziels zur Verfügung gestellt wird, weiter bei 0,4 Prozent stehen bleibt. Deshalb: Es hilft nicht, hier nur zu sagen, dass Milliarden Euro mehr zur Verfügung gestellt werden sollen, sondern das Ganze muss sich auch im Haushalt niederschlagen und umgesetzt werden. Das ist es, was wir jetzt erwarten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Bärbel Kofler (SPD)) Immer wieder ist die Rede von der Bekämpfung der Fluchtursachen. Ja, sie ist richtig und wichtig. Auch wir sind der Meinung, dass die Fluchtursachen dringend bekämpft werden müssen. Es gibt auf der einen Seite die Fluchtursachen Krieg und massive Verfolgung. Zu deren Bekämpfung brauchen wir mehr diplomatische Initiativen, eine Stärkung der UN und ihres Systems. Aber es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Fluchtgründe. Aus Westafrika zum Beispiel fliehen Menschen, weil ihnen die Lebensgrundlage entzogen worden ist. Warum ist Menschen dort die Lebensgrundlage entzogen worden? Weil mit europäischem Geld, auch mit deutschem Geld, große Fischfangflotten dorthin fahren, die Meere leerfischen. Dadurch haben die Fischer dort keine Möglichkeit mehr, Fische zu fangen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Was glauben Sie, warum die Leute von dort fliehen? Dennoch wird hier so getan, als wären es Wirtschaftsflüchtlinge. Erst helfen wir mit, ihnen ihre Lebensgrundlage zu entziehen, und dann diffamieren wir sie hier als Wirtschaftsflüchtlinge. So kann es doch nicht gehen; so etwas muss man doch abstellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Wenn wir in den letzten Wochen und Monaten wirklich etwas gelernt haben, dann ist es, dass wir keine Wohlstandsinsel sind und dass unser Wohlstand von den Problemen der restlichen Welt nicht abgekoppelt ist. Deshalb sollten wir gemeinsam dafür sorgen, dass es nicht nur uns gut geht, sondern auch der restlichen Welt und den zukünftigen Generationen gut geht; dann haben wir eine richtige Politik gemacht, und dann haben wir wirklich etwas geschafft. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Volker Kauder für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Volker Kauder (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Das, was uns zurzeit als Aufgabe gestellt ist, ist wahrscheinlich die größte Herausforderung im Nachkriegsdeutschland. Wir hatten schon viele schwierige Aufgaben zu lösen. Aber dies ist deswegen eine große Herausforderung, weil wir es mit Menschen zu tun haben, die untergebracht werden müssen, für die wir eine Perspektive schaffen müssen; das ist die eine Gruppe. Außerdem haben wir es mit Menschen zu tun, die wir ebenfalls anständig und menschenwürdig behandeln müssen, aber denen wir auch sagen müssen, dass sie in unserem Land keine Zukunft haben können. Dies ist nicht immer einfach, und trotzdem muss es geleistet werden. Beides muss von uns allen geleistet werden. Es geht nicht, dass die einen glauben, wir kümmerten uns nur um diejenigen, die bleiben könnten, und ließen die anderen die andere, nicht minder schwere Aufgabe allein machen. So geht es nicht in unserem Land. Beides ist gesamtgesellschaftliche Aufgabe. (Beifall bei der CDU/CSU) Für beides müssen auch die Voraussetzungen geschaffen werden. Der entscheidende Punkt ist, dass die Menschen in unserem Land wissen: Es wird alles getan, was möglich ist, um diese Aufgabe erfüllen zu können. Auch ich weiß, dass es da Fragen gibt, dass es da Zweifel gibt. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie ich als junger Beamter in einem Landratsamt mit einem großen Andrang von Menschen zu tun hatte. Auch ich musste damals Hallen belegen und mit Sportvereinen sprechen. Ich erinnere mich, wie auch ich damals Fragen gehört habe wie: Kann man das nicht einfach abstellen? Da ist natürlich dann auch mal die Versuchung groß, in diese Fragen und in das, was kritisch angemerkt wird, einzustimmen. Aber ich kann Ihnen nur sagen: Das hilft nichts. Die Menschen erwarten von uns in einer Situation, wo sie Fragen haben und sich auch unsicher fühlen, nicht, dass wir sie in ihrem Unsichersein bestätigen, sondern sie erwarten, dass wir ihnen sagen: Wir – Kommunen, Länder und die Bundesregierung – haben die Kraft in diesem Land, um dieses Problem zu lösen. – Das ist die Ansage, die wir machen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dafür gibt es natürlich mehrere Ebenen. Die Bundeskanzlerin hat von gestern Abend, Thomas de Maizière hat von Anfang dieser Woche berichtet darüber, was man auf der europäischen Ebene gemacht hat. Ich muss sagen: Es sind richtige Schritte, aber für die Größe der Aufgabe ist das, was erreicht worden ist, noch nicht groß genug, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte schon, dass die Menschen in unserem Land von Europa nicht den Eindruck haben: In kleinen Dingen ist Europa groß, aber in den großen Dingen ist Europa klein. – Das kann nicht die Botschaft für Europa sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Natürlich höre und sehe ich das eine oder andere, was in dem einen oder anderen Land stattfindet. Aber wenn wir Lösungen wirklich weiter fortentwickeln wollen, dann müssen wir immer alles betrachten. Ich höre, dass an Ungarn Kritik geübt wird. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! – Weiterer Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zu Recht!) Da gefällt mir das eine oder andere auch nicht. Aber ich muss Ihnen sagen: Ich habe kein Wort dazu gehört – auch nicht aus der Fraktion unseres Koalitionspartners –, dass es einen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten der Slowakei gibt, der Sachen sagt, die genauso unerträglich und nicht akzeptabel sind. (Beifall bei der CDU/CSU – Christine Lambrecht (SPD): Wir laden den aber nicht ein! – Weitere Zurufe von der SPD) - Ja, ja, es ist immer so: Die Wahrheit ist konkret, und das muss im ganzen Umfang betrachtet werden. Ich habe es mir gerade noch einmal angeschaut. Da ist gesagt worden: Wir nehmen keine muslimischen Flüchtlinge, weil wir keine Moscheen haben. Wir wollen nur Christen. – Jetzt, wo man eine gemeinsame Lösung mit Mehrheit gefunden hat, wie es in der Demokratie üblich ist, sagt der slowakische Ministerpräsident, er akzeptiere das nicht und werde dagegen klagen. So wird es mit einem starken Europa nichts. In beiden Fällen muss dies klar und deutlich gesagt werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich wünsche der Bundeskanzlerin weiterhin viel Kraft. Es ist nicht einfach für uns, diese Herausforderung zu bewältigen. Aber ich finde auch, dass dieses Land in einer Sache, die doch ziemlich schnell und überraschend auf uns zugekommen ist – natürlich gibt es ein paar, die das schon letztes Jahr gewusst haben –, Enormes leistet. Aus eigener Erfahrung – ich musste selber so etwas einmal machen – kann ich nur sagen: Ich habe großen Respekt vor dem, was Thomas de Maizière leistet. Die Bundespolizei gehört genauso in seinen Bereich wie das BAMF. Deswegen haben wir allen Grund, Thomas de Maizière dankbar zu sein für das Engagement, das er aufbringt, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich bin dem SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel sehr dankbar dafür, dass er in der ihm eigenen klaren Sprache die Kritik an Thomas de Maizière als Quatsch bezeichnet hat. Ich wünsche ihm jetzt nur noch viel Erfolg dabei, diese Erkenntnis bei seinen eigenen Truppen wirklich durchzusetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU – Thomas Oppermann [SPD]: Ich werde ihm dabei helfen! – Weiterer Zuruf des Abg. Swen Schulz (Spandau) [SPD]) – Ja, lieber Thomas Oppermann, wenn du mir zusagst, dass du dich daran beteiligst, dann ist das eine sehr gute Entscheidung. Herzlichen Dank dafür! (Beifall bei der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir schaffen also die Voraussetzungen, um weitere gute Ergebnisse zu erzielen. Jetzt muss ich einmal sagen, Herr Hofreiter: Es macht keinen Sinn, rein pragmatische Fragen ideologisch zu überhöhen. Wir sollten uns vielmehr danach richten, was jetzt notwendig ist. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Und wenn Sie – mit Recht – sagen, dass wir den Kommunen helfen müssen, die vor Ort die Verantwortung haben – auch den Ländern, aber vor allem den Kommunen –, dann würde ich Ihnen doch raten, den Experten, die Sie in Ihren eigenen Reihen haben, nämlich Ihren Oberbürgermeistern aus Baden-Württemberg, mal ein bisschen besser zuzuhören. Die sagen Ihnen nämlich, was gemacht werden muss. Boris Palmer hat es formuliert und zugleich gesagt, dass das für Sie noch ein schmerzlicher Erkenntnisprozess werden würde. Okay. Wenn man also schon eigene Oberbürgermeister hat, die etwas Richtiges sagen, dann sollte man auch in Berlin darauf hören, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Oppermann [SPD] – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alle anderen Oberbürgermeister von uns sagen was anderes!) Ja, Thomas Oppermann, auch ich finde, dass das Ergebnis, das wir heute zu erwarten haben, natürlich auch die finanzielle Seite mit einbeziehen sollte. Dabei ist wichtig, zu berücksichtigen, dass derjenige, der die Aufgabe erfüllt, auch die Mittel bekommt. Und in dem Umfang, in dem der Bund bei den Erstaufnahmeplätzen eigene Aktivitäten entwickelt, muss der Bund dafür auch die Mittel erhalten. Und an den Stellen, an denen die Kommunen die Aufgabe erfüllen, müssen die Kommunen die Mittel erhalten. Da kann ich die Verhandler und die Bundesregierung nur bitten, bei den Verhandlungen heute Nachmittag darauf zu achten, dass dies auch eintritt. Meine bisherigen Erfahrungen sind folgende: Wenn wir Geld für die Kommunen zur Verfügung stellen, dann kommt es meistens nicht zu 100 Prozent bei den Kommunen an. Und wenn ich mir die Ausstattung der Kommunen anschaue, dann stelle ich fest, dass Bayern die Kommunen jetzt schon zu 100 Prozent ausstattet. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich weiß ja, dass ihr bei Kritik an NRW besonders sensibel seid. (Christine Lambrecht [SPD]: An Hessen vielleicht!) Aber die Wahrheit ist ja nie Kritik. Und es stimmt halt, dass NRW seine Kommunen besser ausstatten muss, als es das bisher gemacht hat. (Beifall bei der CDU/CSU – Christine Lambrecht [SPD]: Hessen auch!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich geht es auch darum, dass wir angemessen reagieren. An dieser Stelle möchte ich schon darauf hinweisen, dass es gar nicht in erster Linie um das Asylrecht geht – darüber werden ja Diskussionen geführt ; denn nicht einmal 2 Prozent derjenigen, die zu uns kommen, erhalten nach Artikel 16 a des Grundgesetzes Asylrecht. 98 Prozent der anerkannten Flüchtlinge erhalten vielmehr nach der Genfer Flüchtlingskonvention diesen Schutz. Deswegen, glaube ich, muss man auch klar sagen: Diejenigen, die vom Westbalkan stammen, haben weder nach der Genfer Flüchtlingskonvention noch nach unserem Grundgesetz Anspruch auf Schutz. Sie haben einen Anspruch darauf, dass ihr Asylantrag konkret geprüft wird. Aber es muss auch klar sein, dass diejenigen, die eine gute Perspektive haben, hierzubleiben, anders behandelt werden müssen, was Leistungen, die wir für Integration usw. gewähren, angeht, als diejenigen, die übermorgen wieder in ihr Land zurückkehren müssen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Oppermann [SPD]) Dafür dürfen auch keine zusätzlichen Anreize gesetzt werden. Dazu haben wir im Koalitionsausschuss gemeinsam Ergebnisse erzielt. Ich habe gehört, was gestern und heute Morgen dazu gesagt wurde, und ich werde mir anhören, was heute den ganzen Tag noch dazu gesagt wird. Ich kann nur sagen: Wenn wir als Fraktionsvorsitzende im Koalitionsausschuss stundenlang mit verhandeln und Ergebnisse erzielen, dann dürfen wir auch erwarten, dass diese Ergebnisse eins zu eins umgesetzt werden. Ich erwarte auch, dass dieses heute Nachmittag geschieht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Oppermann [SPD]) Danach werden wir auch die Ergebnisse beurteilen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundeskanzlerin hat auch von der Nachhaltigkeitsstrategie gesprochen, die jetzt bei der UNO beraten wird. Diese passt natürlich sehr gut in die konkrete Situation. Denn viele Probleme, die im Zusammenhang mit dieser Nachhaltigkeitsstrategie diskutiert werden, sind, wenn das entsprechende Ziel bisher noch nicht erfüllt wurde, durchaus eine Fluchtursache. Ein Thema – vielleicht das schwerste; obwohl die anderen auch nicht einfach sind – wurde im Rahmen der Diskussion über diese Nachhaltigkeitsstrategie noch nicht erwähnt. Es gibt eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen, die am letzten Wochenende in New York dabei waren, als 150 Abgeordnete aus fast der ganzen Welt auch über dieses Thema gesprochen haben. Es treiben Menschen nämlich nicht nur Armut, Wassernot und viele andere Dinge aus ihrem Land. Viele Menschen – auch die aus Syrien, die im Augenblick die Hauptgruppe der Flüchtlinge bilden – sind nicht in erster Linie wegen Armut aus ihrem Land fortgegangen, sondern weil eine verantwortungslose Terrorgruppe ihnen nach dem Leben trachtet. Wenn Menschen in Syrien sehen, dass der IS selbst Kindern die Köpfe abschneidet, dann werden sich die Eltern überlegen, ob sie dort eine Perspektive haben oder nicht. Besonders dort, wo es keine staatliche Autorität mehr gibt, sehe ich seit einiger Zeit eine ganz schlimme Entwicklung. Dort sind die Menschen am meisten betroffen, sowohl was die Religionsfreiheit als auch was andere Menschenrechte angeht. Wenn es keine ordnende Kraft mehr gibt, dann können Verbrecher und Terroristen mit anderen Menschen machen, was sie wollen. Deswegen gehören die Frage nach guter Regierungsführung und die Frage „Was können wir tun, um so etwas zu verhindern?“ ebenfalls zur Nachhaltigkeitsstrategie. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Daher ist es auch richtig, dass man mit Assad spricht. Vielleicht hätte man schon viel früher ernsthafter darüber reden müssen. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Wir haben das vorgeschlagen!) Zu Ihnen komme ich gleich. Bleiben Sie mal ganz ruhig. Vielleicht muss man noch öfter und noch eingehender darüber reden – damit komme ich zu Ihnen, Frau Wagenknecht; das gehört auch dazu –, dass nicht nur Menschenrechte unteilbar sein müssen, sondern auch die Wahrheit unteilbar sein muss. So zu tun, als ob die Russen überhaupt keinen Beitrag zu den Irritationen in Afghanistan geleistet hätten, ist schon eine Frechheit, um es einmal so zu formulieren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Oppermann [SPD]) Sie stellen sich hierhin und fordern: „keine Gewalt und keine Waffen“, sagen aber kein Wort zu dem, was Russland unabgesprochen tut. (Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: So ist es!) Hat Russland nun Kampfhubschrauber und 1 700 Soldaten dort hingeschickt oder nicht? Ich habe ja gar nichts dagegen, dass man gemeinsam überlegt, was man tun kann. Aber sich dann als Russlandfreundin an diesem Rednerpult im Deutschen Bundestag hinzustellen, ohne zu sagen, was nicht in Ordnung ist, finde ich einfach nicht wahrheitsgemäß. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sie verdrehen mal wieder alles! Sie sind ein Meister des Verdrehens!) Jetzt muss ich Ihnen einmal eines sagen: Wenn ich über dieses Thema spreche, ist mir nicht zum Lachen zumute. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sagen Sie mal lieber was zu Heckler & Koch!) Das zeigt einiges, wenn Sie hier lachen können; das muss ich auch einmal sagen. Mir ist da nicht zum Lachen zumute. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sagen Sie mal was zu Heckler & Koch, Herr Kauder! Da hört man gar nichts!) Die Aufgabe ist schwer genug. Wenn ich zum Beispiel Afrika betrachte und sehe, dass aus Eritrea Flüchtlinge kommen und aus dem Nachbarland Äthiopien nicht, dann hat das natürlich auch etwas damit zu tun, wer in diesem Land Macht ausübt. Ich meine, über diese Dinge müssten wir schon auch klar reden. (Abg. Marieluise Beck (Bremen) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Frau Kollegin Beck, normalerweise lasse ich keine Fragen zu. Bei Ihnen mache ich eine Ausnahme. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das lässt ja tief blicken!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das nehmen wir so zu Protokoll. – Bitte schön, Frau Kollegin Beck. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie haben recht, wenn Sie auf die schützende Hand von Staatlichkeit verweisen. Aber sind Sie auch bereit, mit einzubeziehen, dass gerade in Syrien derzeit und auch in der Vergangenheit der überwiegende Teil der Menschen vor Verbrechen gegen die Menschlichkeit geflüchtet ist, die von der Staatlichkeit, die dort herrscht, ausgegangen sind? Kenneth Roth von Human Rights Watch hat uns für diese Debatte noch einmal in Erinnerung gerufen, dass das Assad-Regime vor allen Dingen durch den bewussten Einsatz von Fassbomben in zivile Bereiche hinein – eindeutiger Bruch des Völkerrechts – einen wesentlichen Teil der Flucht ausgelöst hat. Insofern meine ich: Wenn wir nach den Ursachen fragen und alle sagen, dass Fluchtursachen bekämpft werden müssen, dann gehört dazu der Dialog mit allen Seiten, aber auch eine klare Sprache, wer wofür verantwortlich ist. Volker Kauder (CDU/CSU): Frau Kollegin Beck, ich teile diese Auffassung hundertprozentig. Deswegen habe ich auf das Beispiel Eritrea hingewiesen. Sie können dort noch so viele Food-Programme machen, und doch wird sich nichts daran ändern, dass die jungen Leute von dort verschwinden. Ich habe gesagt, dass wir staatliche Gewalt brauchen, die Ordnung schafft. Das muss ich noch einmal klar betonen. Aber dies hat Assad nicht gemacht, sondern er hat sein eigenes Volk bekämpft. Hier kommt die entscheidende Frage, von der ich sage, dass sie so verdammt schwer zu beantworten ist: Hätten wir dort früher mehr tun müssen? Müssten wir nicht häufiger in der UNO mit heißem Herzen öffentlich darauf hinweisen, dass natürlich auch in Syrien Stellvertreterkriege stattgefunden haben und dass es wahrscheinlich ein Vorteil gewesen wäre, mit dem Iran schon viel früher zu Ergebnissen zu kommen. Völlig richtig, völlig klar. Hier sieht man, dass es manchmal schwer ist, in außenpolitischen Fragen voranzukommen. Sie haben völlig recht. Ich meine auch: Wenn alle miteinander – Putin und die Amerikaner – zusammen zu einer Lösung kommen können und mit Assad gesprochen wird, dann ist das der einzige Weg. Wir sind uns sicher auch darin einig, dass es sehr schnell eine ordnende Gewalt geben muss, sonst gibt es in Syrien ein Verbluten von noch mehr Menschen, als es ohnehin der Fall ist. Es reicht eben nicht – das haben wir im Irak, in Libyen und anderswo gesehen –, dass eine schlechte, schlimme Regierung geht. Man muss auch dafür sorgen, dass dann in diesem Land Stabilität herrscht. Jetzt kommt noch ein weiteres schwieriges Thema. Es wird im Zweifel nicht allein aus der Luft möglich sein, sondern es muss am Boden einiges getan werden. Jetzt fragt mich Frau Göring-Eckardt sicher: Wollen Sie auf einmal Bodentruppen entsenden, obwohl Sie doch etwas ganz anderes gesagt haben? Ich sage: Nein, das will ich nicht. Das machen wir auch nicht. – Bei der Klausurtagung des Fraktionsvorstandes hatten wir den jordanischen Außenminister zu Gast. Bei der Tagung in New York, bei der es um Religionsfreiheit weltweit ging, haben sich dazu christliche und auch muslimische Theologen aus dieser Region geäußert. Sie sagen: Das ist nicht eure Aufgabe, sondern es ist unsere Aufgabe. Die müssen wir machen, nicht ihr im Westen müsst den IS in die Schranken weisen. Das ist unsere Aufgabe. Die müssen wir als Muslime annehmen. Wenn Länder wie Jordanien sagen, dass sie das tun müssen, dann müssen wir sie bei dieser Aufgabe unterstützen und ihnen helfen, dass sie diese Aufgabe bewältigen können. Hier müssen wir auch sagen – ich will jetzt niemanden von meinen Kollegen aus anderen Fraktionen des Deutschen Bundestages zitieren –: Es gibt Situationen, wo ISIS allein mit Worten nicht daran gehindert werden kann, den Menschen die Köpfe abzuschneiden. Das gehört auch zur ganzen Wahrheit, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Herr Hofreiter, als Sie die Fluchtursachen genannt haben, habe ich Ihnen ausdrücklich Beifall gespendet. Ich habe die Flüchtlingslager in Zaatari, aber auch in Kurdistan gesehen. Ich habe im Übrigen sehr frühzeitig hier im Deutschen Bundestag darauf hingewiesen: Wenn es uns nicht gelingt, dafür zu sorgen, dass die Flüchtlingseinrichtungen in Erbil und Dohuk besser ausgestattet werden, dann kommen die Menschen ins Laufen. - Es steht wieder ein Winter vor uns, und noch immer sind Hunderttausende in dieser Region in Lagern. Wenn es in diesem Winter nicht besser wird als im letzten, werden sie sich natürlich überlegen, ob sie den nächsten Sommer dazu nutzen sollten, sich auch auf den Weg zu machen. Deswegen ist es richtig, dass wir Geld geben, damit das World Food Programme weiterlaufen kann. Dazu muss ich jetzt allerdings sagen: Wegen jedes kleinen Themas kommen UNHCR und andere UN-Organisationen auf mich zu; aber dass das Geld für das World Food Programme ausgeht, haben sie mir nicht gesagt. Sonst hätten wir uns früher darum kümmern können. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das haben sie letztes Jahr schon in unserem Ausschuss gesagt!) Jetzt stimme ich Ihnen zu, dass wir dies selber aktiv begleiten und beobachten müssen sowie dafür sorgen müssen, dass Ernährung und Versorgung in den Lagern sichergestellt werden, damit die Menschen nicht aus diesem Grund woandershin unterwegs sein müssen. Dieses Unterwegs-sein-Müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen, bedeutet für viele Menschen, vor allem für Kinder, den sicheren Tod, bevor sie sich richtig auf den Weg gemacht haben. Es wird sehr viel darüber gesprochen, dass die Situation auf dem Mittelmeer unhaltbar ist und man die Flüchtlinge retten muss. Aber wenn ich mir vor Augen führe, wie viele Menschen auf dem Weg von Zentralafrika durch die Wüste bis nach Nordafrika sterben, wie viele Menschen auf dem Weg von Erbil oder Dohuk durch Krisengebiete sterben, dann muss ich sagen: Wir müssen alles dafür tun  das hat auch etwas mit Menschlichkeit zu tun , dass die Menschen nicht auf diesen gefährlichen Weg geschickt werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD  Heike Hänsel [DIE LINKE]: Wie denn, Herr Kauder?) Wir haben eine Reihe von Aufgaben. Ich kann nur hoffen, dass sich Ministerpräsident Ramelow besser einbringt - ich habe den Eindruck - als Sie von der Linken hier im Deutschen Bundestag. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Machen Sie sich keine Sorgen!) So ist es meistens: Wenn man konkret vor Ort Verantwortung trägt, sieht es anders aus, als wenn man hier in der Opposition in der ersten Reihe sitzt und ein bisschen vor sich hin redet; das ist eine ganz andere Sache. Nein, wir sagen den Menschen: Wir wissen, dass die Lage schwierig ist, wir wissen, dass ihr es vor Ort auch nicht leicht habt, aber wir wissen auch, dass wir in diesem Land die Kraft und die Stärke haben, um diese Aufgabe zu meistern. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Gehrcke das Wort. (Unruhe bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Schönen Dank, Herr Präsident. – Nicht aufregen! Das müssen Sie jetzt ertragen. Herr Kauder, ich bin wirklich dafür, dass jede Fraktion, jeder Abgeordnete über seine Fehler auch hier im Bundestag offen redet. (Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: Das sagen ausgerechnet die Linken!) Nur mit dem Finger auf andere zu zeigen, bringt überhaupt nichts. Ich gestehe Ihnen – ich habe das schon mehrfach hier im Plenum gesagt –: Es war ein Fehler meiner Politik, den russischen Einmarsch in Afghanistan zu rechtfertigen. (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Der Anfang von allem!) Wir haben mehrfach darüber gesprochen; ich habe es nie verhehlt: Es war ein Fehler. Gerade weil wir in unserer Fraktion über diese Fehler gesprochen haben, waren wir uns einig: Wir wollen diese Fehler nicht mit anderen Argumenten wiederholen. Genau deshalb konnten wir ehrlich und überzeugt die NATO-Intervention und das Vorgehen der USA in Afghanistan kritisieren. Das halte ich für eine vernünftige Politik. Jeder soll über seine Fehler reden; Sie haben viel über unsere geredet. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wenn ich viel geredet hätte, wäre ich ja noch nicht fertig!) Über die Fehler Ihrer Fraktion habe ich kein einziges Wort gehört. Das ist eine gewisse Art der Selbstgerechtigkeit. Was Syrien angeht, sage ich Ihnen: Viele meiner Freunde in Syrien – ich habe sehr viele dort – haben über Jahre, Jahrzehnte in den Gefängnissen von Assad gesessen. Wer die Haftbedingungen in Syrien kennt, kann .plädieren – andere haben das gemacht –, Leute nach Syrien auszuliefern; denn sie werden in den Gefängnissen dort verhört und gefoltert. Auch darüber ist mal zu reden. Gerade meine Freunde, die in Syrien in den Gefängnissen waren, haben mir immer wieder gesagt: Man muss mit Assad verhandeln, man muss eine politische Lösung herbeiführen; eine militärische Lösung wird es nicht geben. Ich finde, in dieser Art und Weise sollten die Fraktionen miteinander umgehen. Ich würde Sie sehr bitten: Zeigen Sie nicht nur auf uns, sondern reden Sie auch über Ihre eigenen Fehler. Wenn jeder über seine Fehler redet, kommen wir ein Stückchen weiter. Schönen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Lars Castellucci für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Lars Castellucci (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir verbinden heute zwei Themen miteinander, nämlich den Nachhaltigkeitsgipfel der Vereinten Nationen, auf dem globale Entwicklungsziele für mehr Nachhaltigkeit verabschiedet werden sollen, mit der Flüchtlingspolitik. Es ist sehr gut, dass wir diese Themen miteinander verbinden; denn die Ziele, die in New York verabschiedet werden sollen – Armut endlich entschlossen bekämpfen, den Klimawandel erfolgreich bekämpfen, den Menschen Zugang zu sauberem Wasser geben, Gleichberechtigung durchsetzen –, sind nichts anderes als ein globales Programm zur Bekämpfung von Fluchtursachen, und das ist genau das, was wir heute brauchen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die angekündigten Beschlüsse halte ich für unglaublich. Obwohl wir derzeit in der Welt ein großes Durcheinander erleben, obwohl so viel auseinanderläuft, schaffen es alle Staaten der Welt, sich auf ein gemeinsames Programm zu verständigen. Das ist eine gute Nachricht, die wir nach draußen tragen müssen. Ich danke allen, die vonseiten unserer Ministerien daran mitgewirkt haben, die Verhandlungsergebnisse schon so weit vorzubereiten, wie sie heute vorliegen. Gestern hatte ich eine Schülerklasse zu Besuch, und die hat die entscheidende Frage gestellt, nämlich: „Jetzt habt ihr das alles aufgeschrieben. Aber passiert denn jetzt auch etwas?“ Frau Bundeskanzlerin, ich nehme Sie beim Wort. Sie haben eben gesagt: Das wollen wir jetzt entschlossen umsetzen. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang drei Punkte nennen: Erstens. Die nationale Nachhaltigkeitsstrategie soll im nächsten Jahr fortgeschrieben werden. Sie muss diese globalen Entwicklungsziele aufgreifen, und sie muss zur leitenden Strategie unserer Regierungspolitik werden. Zweiter Punkt. Wir sehen bei der Flüchtlingspolitik, dass wir alleine – als Politik, als Verwaltungen und als Hauptamtliche – überfordert sind, die notwendigen Maßnahmen umzusetzen. Wir brauchen ein breites Bündnis, um die großen Fragen unserer Zeit zu bearbeiten. „Alle sollen einen Beitrag leisten können.“ – Ich möchte noch einmal die Bundeskanzlerin zitieren. Wir brauchen, wie wir das auch 1992 nach dem UN-Gipfel hatten, einen Aufbruch für mehr Nachhaltigkeit, der die Zivilgesellschaft, die Wissenschaft, die Politik und die Wirtschaft einschließt. Dritter Punkt. Was würden Sie machen – da spreche ich alle Kolleginnen und Kollegen, aber insbesondere unsere Haushälter an –, wenn wir sagen würden: Um das Thema Bundeshaushalt kümmert sich die Regierung alleine, wir nehmen ihn nur zur Kenntnis? Ich sage an dieser Stelle: Die nationale Nachhaltigkeitsstrategie muss eine Strategie für das ganze Land werden. Wir müssen sie im Parlament beraten und beschließen. (Beifall bei der SPD) Zur Flüchtlingspolitik. Wir werden unserer Verantwortung gerecht, wenn wir auf unsere Sprache achten, und wir werden unserer Verantwortung gerecht, wenn wir beherzt handeln. Ich möchte noch einmal die Bundeskanzlerin ansprechen. Ich danke ihr ausdrücklich für ihre Entscheidung, die Menschen, die in Ungarn festgesessen haben, ins Land zu lassen. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Lassen Sie mich folgenden Satz zitieren: „Wenn wir uns jetzt noch entschuldigen müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.“ Ich halte diesen Satz schon heute für einen der wichtigsten Sätze ihrer Kanzlerschaft. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Gunther Krichbaum [CDU/CSU]) – Vielleicht könnte man an dieser Stelle den Beifall getrennt ausweisen. Denn wenn ich nach Bayern schaue, Frau Hasselfeldt und alle, die hier sitzen, muss ich schon sagen: Dem Geist eines Klosters hätte eine prominente Pfarrerstochter als Gast besser entsprochen als der Gast, den Sie eingeladen haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]) Noch ein paar Worte zu Herrn Orban, der uns moralischen Imperialismus vorgeworfen hat. Wenn er damit meint, dass wir glauben, dass Europa eine Wertegemeinschaft ist, dann hat er sogar etwas verstanden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist gesagt worden, mit welcher Haltung wir nach draußen gehen müssen. Herausforderungen sind dazu da, dass wir sie annehmen. Krisen können auch Chancen bergen. Wenn wir das so betrachten, dann können wir das nicht nur schaffen, sondern dann können wir an dieser Aufgabe auch wachsen. Mit dieser Haltung werden wir weiterarbeiten. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Heike Hänsel ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Heike Hänsel (DIE LINKE): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Weltgemeinschaft will am kommenden Wochenende in New York neue Entwicklungsziele verabschieden. Alle Staaten wollen sich verpflichten, Armut zu bekämpfen und eine nachhaltige Entwicklung und den Schutz des Klimas zu befördern. Nach wie vor 1 Milliarde Menschen, die hungern, und zahllose Flüchtlinge, die nach Europa kommen, zeigen uns, dass die herrschende Wirtschaftsordnung und die politische Ordnung nicht dazu geeignet sind, für alle ein menschenwürdiges Leben zu organisieren. Deswegen brauchen wir eine neue Politik, um weltweit ein gutes Leben für alle zu erreichen. (Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Unsere Wirtschaft ist so anziehend!) Frau Bundeskanzlerin, Sie haben heute viel über Armut gesprochen, aber Sie haben kein Wort zu dem immensen Reichtum in der Welt, zu dieser Konzentration von Reichtum gesagt. 86 Menschen auf der Welt besitzen so viel wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Genau deswegen fordern die Staaten des Südens, dass wir endlich zu einer Politik der weltweiten sozialen Umverteilung kommen. Diese ist überfällig. Am besten fangen wir mit den Milliardären hier in Deutschland an. (Beifall bei der LINKEN) Angesichts von 2,5 Billionen Euro Privatvermögen in Deutschland muss ich sagen, (Manfred Grund [CDU/CSU]: Mit Enteignungen habt ihr ja Erfahrung!) dass die 1 Milliarde Euro der gesamten EU für die Flüchtlingslager mehr als bescheiden ist. Da muss deutlich mehr kommen. Deshalb müssen wir auch die Reichen für diese Politik der Umverteilung zur Verantwortung ziehen. (Beifall bei der LINKEN) Frau Merkel, Sie haben auch nichts zur Handelspolitik der Europäischen Union gesagt. Obwohl Entwicklungshilfeminister Müller, der gerade auch nicht anwesend ist, immer von fairem Handel spricht, habe ich nichts von Ihnen dazu gehört, ob vielleicht ein Überprüfen der europäischen Handelspolitik notwendig ist, welche Auswirkungen diese hat und wie sie sich konkret in Afrika auswirkt, wenn Märkte geöffnet werden, wenn die afrikanischen Länder gezwungen werden, ihre Zölle zu senken, wenn im Grunde genommen mit den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen ein TTIP für Afrika verabschiedet wird. So können wir nicht weitermachen. Wir müssen eine andere Handels- und Wirtschaftspolitik entwickeln, wenn wir einen Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit in der Welt leisten wollen. Sie haben auch nur wenig zu den aktuellen Entwicklungen in der Außenpolitik gesagt. Die Friedensnobelpreisträger haben zu viel mehr Abrüstung und dazu aufgerufen, die Ressourcen zu mobilisieren, um eine neue soziale und gerechte Weltordnung zu finanzieren. Was erleben wir aber im Moment? Wir erleben die Gefahr einer neuen atomaren Aufrüstungsspirale mitten in Europa. Modernisierte neue US-Atomwaffen werden derzeit in Deutschland stationiert, konkret in Büchel in Rheinland-Pfalz. Das ist eine brandgefährliche Politik. Der Bundestag hat aber bereits 2010 beschlossen, dass wir diese Atomwaffen abziehen wollen. Jetzt wird im Oktober im Rahmen eines NATO-Manövers der Einsatz dieser Atomwaffen trainiert. Diese Politik einer neuen Aufrüstungsspirale, die so viele Ressourcen für mehr Rüstung bindet, muss beendet werden. (Beifall bei der LINKEN) Denn – und das fordern die Friedensnobelpreisträger – Friedenspolitik bekämpft Fluchtursachen und ist der beste Beitrag für eine nachhaltige Entwicklung. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält die Kollegin Gerda Hasselfeldt für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben in diesen Tagen immer wieder aufs Neue eine überwältigende Hilfsbereitschaft, eine überwältigende Solidarität von vielen Menschen im Land: in den Hilfsorganisationen, von Mitarbeitern von Behörden, in den Kirchen, von Privatmenschen, von den Sicherheitskräften, bei der Polizei, bei der Bundeswehr und vielen anderen Einrichtungen. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die ich in meiner Heimat unmittelbar gemacht habe, darf ich sagen: Diese Hilfsbereitschaft und der Einsatz der Beamten sowie der Mitarbeiter der Organisationen ist in Bayern ganz besonders gefragt und ganz besonders ausgeprägt gewesen; Sie haben das alles mitbekommen. Bayern war in den letzten Wochen verstärkt gefordert. Die bayerische Bevölkerung hat hervorragend gearbeitet und hervorragend reagiert. Ich danke dafür sehr herzlich. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Bevölkerung schon! Im Gegensatz zur Staatsregierung! – Gegenruf des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU]: Die Staatsregierung war spitze! Die Staatsregierung war die ganze Zeit am besten!) – Lieber Herr Hofreiter, die Staatsregierung hat einen maßgeblichen Anteil daran, dass das alles hervorragend organisiert, durchgeführt und rechtsstaatlich ausgerichtet wurde. Auch das gehört in diesem Kreis einmal gesagt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Staatsregierung ganz sicher nicht! Stadt München zum Beispiel!) Zur Wahrheit über die Situation im Land gehört aber auch, dass sich die Menschen – zu Recht – fragen: Wie viel können wir noch schultern? Ist unsere Integrationskraft an der Grenze? Zur Wahrheit gehört, dass wir organisatorisch, personell und in manchen Bereichen auch finanziell an der Grenze angelangt sind. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: 21 Milliarden Mehreinnahmen!) Deshalb muss klar sein: Diese große Aufgabe der Bewältigung der Flüchtlingsströme kann nicht nur mit nationalen Anstrengungen bewältigt werden, sondern das ist eine globale Aufgabe, der sich alle Europäer in globaler Verantwortung widmen müssen und für die globale Antworten gefunden werden müssen. (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist gut – das ist der richtige Zeitpunkt –, dass an diesem Wochenende der Gipfel der Vereinten Nationen stattfindet, auch wenn dort nicht nur diese Frage im Mittelpunkt stehen wird. Wenn wir Fluchtursachen bekämpfen wollen und eben nicht nur Symptome kurieren wollen, dann müssen wir uns alle miteinander weltweit um eine nachhaltige Entwicklung in allen Teilen der Welt kümmern. Deshalb ist dieser Gipfel von ganz besonderer Bedeutung. (Beifall bei der CDU/CSU) Dass sich gestern die Staats- und Regierungschefs und am Tag zuvor die Innenminister auf europäischer Ebene intensiv mit dieser Problematik auseinandergesetzt und intensiv um Lösungen gerungen haben, wenigstens um Teillösungen, und dabei auch einiges erreicht haben, macht deutlich: Das geht nicht nur mit nationalen Anstrengungen. Europa ist hier in besonderer Weise gefordert. Ich unterstreiche ausdrücklich das, was Volker Kauder vorhin gesagt hat: Europa darf sich nicht nur mit allem möglichen Kleinkram beschäftigen. Wenn wir uns so manche EU-Richtlinie und so manches Vertragsverletzungsverfahren anschauen, müssen wir sagen, dass vieles davon angesichts der Probleme, die wir heute zu bewältigen haben, Kleinkram ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Europa muss sich um die Sicherheit Europas, um die Bewältigung der Flüchtlingsströme, um die Sicherheit der Menschen in den Krisengebieten und außenpolitisch um die Bekämpfung der Fluchtursachen und nach Möglichkeit auch um die Beseitigung der Krisen kümmern. Dazu ist es notwendig, mit allen zu reden, offiziell, in den Gremien, aber auch unter uns, auf Parteiveranstaltungen und in Fraktionsgremien. Deshalb war und ist es auch richtig, dass die bayerische Landtagsfraktion der CSU mit Viktor Orban gesprochen hat. (Zuruf der Abg. Christine Lambrecht [SPD]) Er ist ein Hauptbetroffener an der Außengrenze zu Europa. Wenn wir mit den Leuten nicht reden, wie sollen wir dann die Probleme gemeinsam lösen? (Beifall bei der CDU/CSU – Christine Lambrecht [SPD]: Er ist das Problem! – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Vielleicht sprechen Sie einmal mit der griechischen Regierung! Da kommen noch viel mehr Menschen an!) Das Gleiche gilt natürlich für andere Situationen. Wir haben vorhin viel über die Situation in Syrien gehört. Insgesamt sind 60 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht, 12 Millionen allein in und um Syrien. Fünf Jahre nach Beginn des Bürgerkrieges dort ist es an der Zeit, den außenpolitischen Stillstand zu überwinden. Alle müssen an einen Tisch. Ich bin sehr dankbar dafür, dass dies auch von einer ganzen Reihe von Europäern erkannt wird, dass Initiativen ergriffen werden, dass miteinander gesprochen wird, dass miteinander gerungen wird, um nicht nur in dem Land, sondern in der gesamten Region Frieden zu erreichen. Ich weiß auch, und wir alle wissen, dass das nicht von heute auf morgen geht, dass das nicht schnell geht, dass wir einen langen Atem dazu brauchen, aber ein Stillstand der Gespräche wird mit Sicherheit nicht zur Lösung der Probleme führen. (Beifall bei der CDU/CSU) 95 Prozent der syrischen Flüchtlinge leben noch irgendwo dort in der Region; sie sind in Flüchtlingslagern im Libanon, in Jordanien untergebracht, und zwar zum Teil unter katastrophalen Zuständen. Es ist vorhin angesprochen worden: Die Mittel beim Welternährungsprogramm sind reduziert worden. Es ist dringend notwendig, es ist ein Gebot der Moral, hier aufzustocken und mit zusätzlichen Mitteln im Welternährungsprogramm, aber auch mit einer Winterhilfe angesichts des jetzt nahenden Herbstes und Winters zu helfen. Auch hier hat die Europäische Union gestern meines Erachtens die richtigen Zeichen gesetzt. Es geht aber auch darum, dass wir nicht nur in den Flüchtlingslagern, sondern auch in den Krisengebieten insgesamt Zeichen dafür setzen, dass die Menschen dort bleiben können. Es ist ein Gebot der Moral, diesen Menschen dort in den Flüchtlingslagern zu helfen, und es ist meines Erachtens ein Gebot der Klugheit, alles zu tun, dass die Menschen in ihrer Heimat oder zumindest in der Nähe ihrer Heimat, in ihrem Kulturkreis bleiben können und nicht den weiten Weg woandershin gehen, wo sie dann in fremden Kulturen und fremden Gebieten völlig neu beginnen müssen, wenn sie überhaupt dort ankommen und beginnen können. Das ist ein Gebot der Klugheit. (Beifall bei der CDU/CSU) Deshalb möchte ich dem Bundesentwicklungsminister herzlich dafür danken, dass er mit einem neuen Infrastrukturprogramm in den Flüchtlingsgebieten dafür ein Zeichen gesetzt hat und setzt. Dadurch gibt es dort neue Programme, die es ermöglichen, dass Zigtausende Kinder in die Schulen kommen, die es ermöglichen, dass die Stromversorgung und die Wasserversorgung für Hunderttausende von Menschen in diesen Gebieten wieder gesichert sind, die es ermöglichen, dass Arbeits- und Ausbildungsplätze geschaffen werden. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das können Sie nicht alles mit 1 Milliarde Euro machen!) Das alles trägt dazu bei, dass die Menschen in ihrer Heimat oder in der Umgebung ihrer Heimat bleiben können und dort auch mithelfen können, ihre Heimat wieder aufzubauen. Auch das ist weltpolitische Verantwortung, ist humanitäre Verantwortung, ist Verantwortung für die Menschen dort. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben in den letzten zwei Wochen intensiv daran gearbeitet, auch bei uns unsere Hausaufgaben im Zusammenhang mit diesem Problem zu machen. Ich finde, dass Gutes auf den Weg gebracht wurde, immer mit dem Grundgedanken bzw. mit der doppelten Aufgabe, zum einen im Zeichen von Humanität und Solidarität für eine menschenwürdige Versorgung der Menschen, die zu uns kommen, zu sorgen, und zum anderen aber auch deutlich zu machen, dass wir nicht alle Probleme dieser Welt auf deutschem Boden lösen können und dass diejenigen, die aus rein wirtschaftlichen Gründen zu uns kommen, nach einem rechtsstaatlich sauberen Verfahren wieder in ihre Heimat zurückkehren sollten und dies auch von den Ländern so praktiziert werden muss. Der Bund hat jetzt die Weichen für schnellere Verfahren und alles, was dafür notwendig ist, gestellt. Er wird auch die Weichen dafür stellen, dass die Kommunen und die Länder bei der Bewältigung dieser Aufgabe nicht alleine gelassen werden, meine Damen und Herren. Das haben wir in der Vergangenheit unter Beweis gestellt, und das werden wir auch künftig tun. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das, was wir heute leisten, was unsere Gesellschaft leistet, können wir deshalb leisten, weil wir stark sind: stark durch eine solide Haushaltspolitik, stark durch eine solide Investitionspolitik, stark durch Mitmenschlichkeit, stark durch eine hohe Stabilität unserer Gesellschaft und unseres Landes insgesamt. Damit wir in der Zukunft stark bleiben, ist es aber notwendig, auch die Grenzen der Integrationskraft zu sehen und klar zu erkennen, dass wir nicht die Probleme der ganzen Welt bei uns lösen können, sondern auch alles tun müssen, um Gerechtigkeit, sowohl bei uns als auch in Europa, walten zu lassen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält die Kollegin Claudia Roth für die Fraktion BÜNDNIS 90/Die Grünen. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lieber Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! António Guterres hat es sehr deutlich gesagt: Das akute und beispiellose Flüchtlingselend ist ein Symptom für den aktuellen Zustand der Welt, einer Welt, die in Unordnung ist, einer Welt, in der wir die Auflösung der postkolonialen Staatenordnung erleben, einer Welt, in der die Klimakatastrophe droht, die viele weitere 100 Millionen Menschen zur Flucht zwingen wird, in der wir ein gigantisches Artensterben und eine Vermüllung der Meere erleben, in der die reichsten 80 Menschen genauso viel haben wie 3,5 Milliarden Menschen. Es ist eine Welt, in der noch nie so viele Menschen auf der Flucht waren; die schlimmste Zahl ist vielleicht, dass darunter 31 Millionen Kinder sind. Wir erleben das Entstehen einer Weltgesellschaft, wie Dirk Messner es ausgedrückt hat, wenn Klimakollaps, Ebola, Griechenland-Krise, Charlie Hebdo und die derzeitige Fluchttragödie in unseren Hauptstädten, in unseren Dörfern ankommen und uns so gezeigt wird, dass die Probleme dieser Welt nicht mehr weit weg bleiben. Das wird auch jedem klar, der die Bilder von der dramatischen Einreise nach Europa sieht, der sieht, wie Menschen versuchen, über Stacheldrahtzäune von Serbien nach Ungarn zu klettern, der sieht, wie sie in völlig überfüllten Booten von Libyen oder von der Türkei aus über das Mittelmeer kommen wollen, der die Bilder von Zügen und Lastwagen sieht, mit denen Menschen innerhalb Europas von Land zu Land geschickt werden. Ich sage: Mein Europa ist nicht das Europa eines Viktor Orban, der zum Dank für Mauern, Zäune, Tränengas und für den Einsatz von Militär gegen Flüchtlinge von der CSU ins Kloster Banz eingeladen wurde. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Er ist als Ehrengast eingeladen worden, als Ehrengast, der rechtspopulistisch gegen Muslime hetzt, Stimmung gegen Humanität und Menschenwürde macht und – mit Verlaub – unflätig gegen Angela Merkel hetzt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Diese EU muss endlich gemeinsam Verantwortung in der Welt und für die Welt übernehmen. Denn Europa trägt mit seiner Menschenrechtspolitik, die gescheitert ist, mit seiner Rüstungspolitik, seiner Handelspolitik, seiner Fischereipolitik, seiner Ressourcenpolitik, seiner Agrarpolitik und mit gebrochenen Versprechen, wenn es um globale Gerechtigkeit und Klimaschutz geht, doch dazu bei und hat eine große Mitverantwortung dafür, dass überhaupt so viele Menschen gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen. Deutschland als reiches Industrieland in der EU trägt eine ganz besondere Verantwortung. Genau darum geht es bei der neuen globalen Nachhaltigkeitsagenda. Denn anders als noch bei den Millenniumszielen steckt in den SDGs das Wissen, dass die Welt nur dann gerechter wird, wenn sich alle bewegen, also auch und zuerst die reichen Industrieländer, also auch und mit zuerst wir. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Eine wirkliche Nachhaltigkeitsagenda kann die Welt gerechter machen. Sie ist damit auch eine aktive Fluchtursachenbekämpfung und Konfliktprävention. Ich warne aber davor, so zu tun, als sei Deutschland schon jetzt Nachhaltigkeitsweltmeister. Wir sind nämlich weltspitze im Fleischverbrauch, in der Kohleverstromung und im Kleidungsverbrauch, und wir sind in der Euro-Zone Meister in der sozialen Ungleichheit. Das heißt, wir sind überhaupt nicht gut auf die Anforderungen der globalen Nachhaltigkeitsagenda vorbereitet. Weil es nicht schon wieder passieren darf, dass man von der UNO am Wochenende nur feierliche Erklärungen hört und dass Minister Müller, dem ich es wirklich abnehme, dass diese 17 Ziele Herzensanliegen für uns sind, nur gut gemeinte Worte spricht, haben wir Grünenfraktion 17 Anträge zu den 17 Zielen erarbeitet und gezeigt, was zur Erreichung dieser Ziele für Deutschland und für unsere Politik konkret notwendig ist. Wir haben diese 17 SDGs aus dem Elfenbeinturm herausgeholt, herunterdekliniert und konkrete politische Handlungsanforderungen daraus gemacht: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) für artgerechte Tierhaltung statt Massentierqual, für Wohlstand statt blindem Wachstum, für eine faire Handelspolitik statt TTIP, für einen Stopp des Artensterbens statt einer Überfischung der Weltmeere, für eine vorausschauende Friedenspolitik statt Rüstungsexporten, für eine humanitäre Schutzverantwortung statt neuen Mauern, für eine globale Partnerschaft und für das 0,7-Prozent-Ziel, das endlich erreicht werden muss. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zum Schluss, lieber Herr Präsident. – Wir erwarten jetzt, dass wirklich jede und jeder von Ihnen genau das Gleiche tut, nämlich herunterdekliniert und sagt, welche Verantwortung die 17 Ziele für jedes Ministerium mit sich bringen. Dann muss es an die Umsetzung gehen. Nur dann ist diese Politik kohärent, und nur dann ist es glaubwürdig, dass auch diese Regierung die Fluchtursachen bekämpfen will. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Bärbel Kofler ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Bärbel Kofler (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Viele Vorredner sind auf das Thema Flucht eingegangen, das uns alle berührt. Die Bilder, die wir sehen, und die Situation, in der die Menschen dort leben und die sie erleiden müssen, berühren uns, glaube ich, alle – sowohl hier im Land als auch in Europa. Viele Menschen müssen in den Flüchtlingslagern seit Jahren unter wirklich schrecklichen Umständen existieren. Das Entscheidende für dieses Wochenende und, ich glaube, auch in dieser Debatte ist, dass wir uns dauerhaft dafür einsetzen müssen, die Flucht von morgen zu vermeiden. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Genau dazu dient der Nachhaltigkeitsgipfel, genau dazu dienen die 17 Ziele. Es ist unsere Aufgabe, diese Ziele in ganz konkrete Handlungsschritte und eine ganz konkrete Politik zu übersetzen. (Beifall bei der SPD) Ich versuche, das einmal an ein paar Beispielen deutlich zu machen: Wir haben 17 Nachhaltigkeitsziele aufgeschrieben. Dabei geht es ganz global um die Themen „Extreme Armut abschaffen“, „Bildung und Gesundheit für Menschen“, „Menschenwürdige Arbeit“, „Die Grenzen des Planeten respektieren und einhalten“ und – das ist neu – „Die Bekämpfung von Ungleichheit auf diesem Planeten“. Das halte ich für eine ganz zentrale Aufgabe dieses Prozesses, die mit den SDGs verbunden ist. Daran können wir uns nämlich messen lassen, ob es uns gelingt, die Armut wirklich nachhaltig zu bekämpfen. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]) In Ziel 10 geht es um das Thema Ungleichheit. Dabei geht es auch um die Staatlichkeit, also darum, dass Staaten existieren können, dass sie eine administrative, finanzielle und wirtschaftliche Basis haben, um ihren Menschen Schutz, Bildung und Nahrung bieten zu können und um Arbeitsplätze schaffen und wirtschaftliche Wertschöpfung erzielen zu können. Es muss uns gelingen, unser Verhalten hier in unseren Handelsbeziehungen zu ändern. Ich möchte das betonen: Wir brauchen verbindliche Standards in unseren Handelsverträgen mit unseren Partnern, mit denen wir Transparenz bei Rohstoffentnahmen, die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzrechten und Kernarbeitsnormen und das Verbot von Kinderarbeit einfordern. Das muss sanktionierbar und in all unseren Handelsverträgen verbindlich sein. Nur daran können wir uns messen lassen, ob wir hier einen Beitrag zur Bekämpfung der Ungleichheit leisten. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE] – Max Straubinger [CDU/CSU): Dann müssen Sie aber für TTIP sein!) Es geht also um das Ziel einer friedlichen, inklusiven Gesellschaft, die Institutionen aufbaut – genau das ist in den SDGs gefordert –, damit die Staaten ihren Menschen all das bieten können. Was braucht man dazu als Staat? Man braucht – das haben wir in den Haushaltsberatungen erlebt – vernünftige Mittel und Einnahmen. Es geht also auch um die Steuereinnahmen der Staaten und um die Frage, wie wir Steuerflucht bzw. Steuerhinterziehung verhindern können und welche Beiträge wir hier leisten, damit Steuerhinterziehung den ärmsten Ländern der Erde nicht die wirtschaftliche Grundlage für ihr Handeln entzieht. (Beifall bei der SPD) Weiter geht es darum, menschenwürdige Arbeitsbedingungen – Ziel Nummer 8 der SDG-Agenda – umzusetzen. Es geht darum, dass Menschen, die hart arbeiten, von dieser Arbeit leben können. Die ILO hat Anfang dieses Jahres Zahlen herausgebracht, die uns alle erschüttern müssen. Fast 900 Millionen Menschen auf diesem Planeten arbeiten Vollzeit und verdienen unter 2 Dollar am Tag. Das entspricht der Definition für Armut bzw. extreme Armut. Das kann nicht das sein, was wir auf diesem Planeten befördern, um Menschen aus Armut zu erlösen. Wir brauchen vernünftige Arbeitsbedingungen und Mindeststandards. Ich betone es noch einmal: Wir müssen sie in Handelsverträgen verankern, sonst sind sie nur auf dem Papier beschlossen. Wir müssen uns in den nächsten Wochen und Monaten darum kümmern, dass gute Messzahlen, gute Indikatoren und gute Implementierungsmechanismen entwickelt werden, damit wir all das, was an diesem Wochenende richtigerweise in New York von der Staatengemeinschaft beschlossen wird, auch wirklich in Handeln umgesetzt wird. Die Nachhaltigkeitsziele sind ambitioniert und auch komplex. Nun ist es sicher schwierig, sie immer wieder in der öffentlichen Debatte am Leben zu erhalten; aber sie sind unverzichtbar. Sie sind die einzige Chance, wenn wir Elend, wie wir es heute in vielen Bildern aus Flüchtlingslagern sehen, in Zukunft vermeiden wollen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Schönen Vormittag von hier aus. Es gab gerade einen fliegenden Wechsel. Ich grüße Sie recht herzlich, grüße auch die Gäste auf unserer Tribüne und rufe die nächste Rednerin in der Debatte auf: Kollegin Sabine Weiss für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): Verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren oben auf der Tribüne! Wir haben es heute mehrfach gehört: „Fluchtursachen bekämpfen“. Der Begriff ist in aller Munde. Für die Entwicklungspolitik allerdings sind weder dieser zugegebenermaßen etwas sperrige Begriff noch die Zielsetzung neu. Schon Bundesentwicklungsminister Spranger sah in den 90er-Jahren angesichts des damaligen Flüchtlingszustroms in der Entwicklungspolitik zu Recht ein zentrales Mittel, um Fluchtursachen entgegenzuwirken. Heute ist diese Zielsetzung der Entwicklungspolitik drängender denn je. Wir konnten gerade noch aus dem Munde der Kanzlerin hören, dass wir in den nächsten Jahren weiterhin mit einer deutlichen Erhöhung der Haushaltsansätze im Entwicklungsetat rechnen können. Dafür an dieser Stelle – sicherlich im Namen aller Entwicklungspolitiker – herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich habe die Debatte heute verfolgt. Ein kurzes Wort zu den Kolleginnen und Kollegen insbesondere von den Linken, aber auch von den Grünen: Natürlich ist die Opposition zur Kritik verpflichtet. Das ist die natürliche Aufgabe der Opposition. Angesichts der vergangenen Tage, Wochen und Monate sehe ich hier aber niemanden – und erst recht nicht bei Ihnen –, der auch nur im Ansatz diese Leistung erbringen würde, die unsere Kanzlerin und andere Mitglieder der Bundesregierung in der letzten Zeit erbracht haben und noch erbringen werden. (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Kipping [DIE LINKE]: Vor allen Dingen der de Maizière!) Klar ist: Fluchtursachenbekämpfung – das haben wir auch gehört – ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Deshalb ist es umso wichtiger geworden, dass die Vereinten Nationen am Ende der Woche durch ihre Staats- und Regierungschefs in New York die Nachhaltigkeitsagenda 2030 beschließen werden. Ich finde, es ist ein hoffnungsvolles, ja vielleicht sogar in diesen Zeiten imposantes Zeichen, dass sich die Vereinten Nationen – das sind immerhin 193 Länder – in einem drei Jahre andauernden Prozess auf 17 Ziele mit 169 Unterzielen geeinigt haben. Zusammengefasst ist dies ein grundlegendes Versprechen auf ein menschenwürdiges Leben. Wichtig ist auch, dass alle Länder – dieses Mal eben Entwicklungs-, Schwellen- und Industrieländer – in die Pflicht genommen werden. Wichtig ist auch, dass alle Akteure, auch die Zivilgesellschaft, die Privatwirtschaft und die Wissenschaft, ins Boot genommen werden und den Kurs mitbestimmen können. Interessanterweise kommt im Katalog der 17 Oberziele und der 169 Unterziele das Wort „Flüchtling“ kein einziges Mal vor. Dabei hätte dieses Wort sicherlich bei jedem einzelnen Unterziel auftauchen können. Alle Ziele und Maßnahmen, die die Lebensbedingungen der Menschen nachhaltig verbessern, sind eben ein Beitrag zur Fluchtursachenbekämpfung. Genau dies leistet unser Entwicklungsministerium seit seiner Gründung von 1961 bis zum heutigen Tag. Ich möchte nicht wissen – Dagmar Wöhrl hat es letztens schon angesprochen –, wie unsere Welt aussähe, wenn diese Arbeit nicht seit 54 Jahren gemacht worden wäre. Auch unser Bundesminister Dr. Müller hat diese Zielsetzung der Entwicklungspolitik gerade durch seine Sonderinitiative zur Fluchtursachenbekämpfung frühzeitig ins Zentrum der Aufmerksamkeit gestellt. Dafür gebührt unserem Minister ein herzlicher Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Auf den Punkt gebracht: Die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele ist ein Schlüssel zur langfristigen Vorbeugung von Flüchtlingskrisen. Erlauben Sie mir, kurz auf ein Ziel einzugehen, das mir besonders am Herzen liegt, nämlich die Stärkung der Rechte von Frauen und Mädchen, damit Frauen und Mädchen in Zukunft selbstbestimmt leben können. Hierzu ein paar Aussagen zum aktuellen Zustand. In Entwicklungsländern zum Beispiel sind es überwiegend die Frauen, 80 Prozent, die für die Produktion der Nahrung zuständig sind. Der Boden aber, auf dem die Nahrung produziert wird, gehört überwiegend den Männern. In vielen Entwicklungsländern verdienen arbeitende Frauen nur 60 bis 75 Prozent dessen, was arbeitende Männer bekommen. Entwicklungspolitik kann und muss künftig einen stärkeren Beitrag dazu leisten, diese Ungleichheiten abzubauen. Man könnte diese Liste unendlich lange fortführen, aber die Zeit dafür ist heute leider nicht da. Ich wünsche mir, dass aus dem anlaufenden starken Mittelzuwachs ein substanzieller Teil in unseren Bereich fließen wird. Ein starkes Signal für die Verbesserung der Situation von Frauen hat auch das Gipfeltreffen führender Frauen aus 30 Ländern im Bundeskanzleramt letzte Woche ausgesandt. Das ist angesichts der derzeitigen Situation etwas untergegangen. Aber auch wegen solcher Initiativen mitten in arbeitsreichen Zeiten gilt mein besonderer Dank unserer Bundeskanzlerin für ihr Engagement in der Entwicklungspolitik. (Beifall bei der CDU/CSU) Ab morgen – da bin ich sicher – wird sie beim New Yorker Gipfel wieder eine führende Stimme sein. Ich fasse zusammen: Die Agenda ist ambitioniert und detailliert. Manche meinen, zu detailliert; andere vermissen Punkte. Diese Kritik ist bekannt und dennoch kurzsichtig. 193 Länder auf dieser Welt haben sich auf diese Agenda geeinigt. Das ist beachtlich und ein Erfolg. Wir sollten diesen jetzt nicht zerreden. Es ist nun an uns, diese Agenda mit Leben zu erfüllen. Wie wichtig und dringend dies ist, erleben wir tagtäglich und immer mehr. Gehen wir es also an! Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollegin Weiss. – Nächster Redner in der Debatte: Carsten Träger für die SPD. (Beifall bei der SPD) Carsten Träger (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben heute und die letzten Tage und Wochen viel über Krisen und Kriege, Flüchtlinge und Fluchtursachen debattiert und auch darüber, wie wir diese Herausforderungen stemmen können. All das ist richtig und wichtig. Trotzdem darf neben all dem eine wirklich gute Nachricht nicht untergehen. Am Wochenende werden die Staats- und Regierungschefs auf dem UN-Gipfel in New York 17 neue Ziele für eine nachhaltige Entwicklung verabschieden. Sie werden gewissermaßen den Weltzukunftsvertrag unterschreiben. Angesichts der schweren internationalen Krisen ist es mehr als ein Lichtblick – es ist fast ein kleines Wunder –, dass sich über 190 Staaten der Welt auf diesen Zukunftsvertrag verständigen konnten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dafür herzlichen Dank an Bundesumweltministerin Barbara Hendricks und an den Minister Gerd Müller, die das auf deutscher Seite verantwortlich begleitet haben! In dem Vertrag verpflichten sich alle Staaten – das ist das Neue: alle Staaten, und damit auch der sogenannte reiche Norden – auf gemeinsame Entwicklungsziele. Alle Staaten heißt: auch unser Land. Damit ist es offiziell: Deutschland ist ein Entwicklungsland. Wir erkennen an, dass auch wir als hochindustrialisiertes Land noch einen weiten Weg zu gehen haben. Längst nicht bei allen 17 Zielen sind wir vorbildlich. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung vergleicht den Stand der Entwicklung der 34 OECDStaaten. Insgesamt schneidet Deutschland mit Platz 6 sehr ordentlich ab, aber es lohnt sich ein zweiter Blick, der ein differenzierteres Bild ergibt. Während wir bei der Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung mit führend sind und auch unsere Umweltschutzanstrengungen ausdrücklich gelobt werden, ist der Einsatz von Stickstoff und Phosphor eine ernsthafte Bedrohung für die Nachhaltigkeit unserer Landwirtschaft. Auch bei der Bekämpfung der Luftverschmutzung durch Feinstaub kommen wir nicht entscheidend voran. Das sind nur zwei Punkte, die angepackt werden müssen, und zwar ressortübergreifend. Gegen Umweltschäden, die etwa eine überzogen intensive Landwirtschaft anrichtet, kann keine noch so engagierte Umweltministerin alleine erfolgreich angehen, und der angesprochene Feinstaub entsteht in erster Linie durch die Abgase von Autos und Lkws. Das müssen wir angehen, und zwar alle gemeinsam. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir sind dafür gut aufgestellt: mit unserer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie und einer ganzen Reihe von Institutionen, die ihre Umsetzung begleiten, zum Beispiel mit dem Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung, um den uns viele Nationen beneiden. Wir sind in einer sehr guten Ausgangsposition. Nun gilt es, die Nachhaltigkeitsstrategie im Lichte der Beschlüsse von New York weiterzuentwickeln und vor allem anzupacken. Wir dürfen uns nicht zurücklehnen. Ich nenne nur die Stichworte Klimaschutz und Biodiversität. Mit einem Nachlassen drohen wir die Belastungsgrenzen unseres Planeten zu überschreiten. Sehr geehrte Damen und Herren, die heutige Debatte hat gezeigt, wie umfassend die Herausforderungen sind – international und national –, und sie zeigt mit dem Nachhaltigkeitsgipfel nun einen Pfad auf. Ich bin überzeugt, dass wir mit der gemeinsamen internationalen Arbeit an der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele zwei Ziele erreichen können: Durch Verhandlungen finden Völker und Nationen friedlich zueinander, und ein ganzes Bündel von Fluchtursachen wird langfristig minimiert. Es ist noch ein langer Weg, der vor uns liegt. Aber mit dem Weltzukunftsvertrag von New York erreichen wir einen historischen Meilenstein. Das ist die wirklich gute Nachricht der heutigen Debatte. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Träger. – Der letzte Redner in dieser Debatte ist Jürgen Klimke für die CDU/CSUFraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Jürgen Klimke (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte der Bundeskanzlerin noch einmal ein ausdrückliches Dankeschön dafür sagen, dass sie in dieser Debatte über die Nachhaltigkeitsziele gesprochen hat, einerseits deshalb, weil das ein gutes Signal für das Wochenende ist, und andererseits dafür, dass sie auch persönlich in New York dabei sein wird. Wir waren mit dem Unterausschuss Vereinte Nationen kürzlich in New York, und auch dort war es schon ein Thema, dass dies ein hervorragendes Signal ist. Wir hatten in den vergangenen Monaten eine heterogene Debatte zu der Tragfähigkeit der neuen Ziele. Für 2015 gab es acht Ziele, von denen nur zwei oder drei, wenn überhaupt, richtig erreicht worden sind. Jetzt gibt es 17 Ziele mit 169 Unterzielen. Das ist eine Herausforderung. Es geht auch nicht um einen Eckpunkt oder darum, das Ganze jetzt zu beenden, sondern um eine Roadmap bzw. eine Agenda für die nächsten Jahre. Es ist im Übrigen unsere Agenda. Es ist nicht nur eine To-do-Liste für die Entwicklungszusammenarbeit, sondern wir müssen alle dahinterstehen. Wir alle müssen als Entwicklungspolitiker für eine kohärente Politikgestaltung sorgen, zum Beispiel auch in unseren Ministerien. Wir müssen die Verbände und die Wissenschaft, aber vor allem auch die Privatwirtschaft und die Zivilgesellschaft einbeziehen; das ist ganz wichtig. Denn wir wollen mit den neuen Entwicklungszielen nicht nur Armut und Krankheit bekämpfen – „nur“ ist relativ zu verstehen –, sondern auch die Globalisierung sozial und ökologisch nachhaltig gestalten und damit auch auf die akute Flüchtlingssituation reagieren. Wir wollen auch den Bereich der Geber- und der Nehmerländer neu aufstellen. Wir wollen nicht mehr von Gebern und Empfängern, sondern von Partnerländern sprechen und damit der Eigenverantwortung aller Staaten für die eigene Entwicklung einen höheren Stellenwert geben; das begrüßen wir ganz ausdrücklich. Gleichzeitig schreiben die neuen Ziele erstmals nachhaltige und globale Entwicklungsvorhaben für alle Unterzeichner vor. Somit werden mit den neuen Zielen klare Erwartungen an die bisherigen Geberländer insbesondere in den Bereichen Klimaschutz, Produktion und Konsumgewohnheiten formuliert. Für die Erreichbarkeit und die Akzeptanz der Entwicklungsziele kommt es darauf an – ich möchte das betonen –, dass wir alle an einem Strang ziehen. Ob dies in der Breite möglich sein wird, wird man in den nächsten Jahren sehen. Für den schnellen Erfolg im Verhandlungsprozess war die Inflation von Zielen und Unterzielen zwar ein gutes Rezept. Aber in der Umsetzung muss sich das erst beweisen. Deutschland ist eigentlich gut aufgestellt. Wir leisten mit unseren Entwicklungsprojekten bereits sehr intensiv Hilfe vor Ort. Die Schaffung einer wirtschaftlichen Grundlage in den Entwicklungsländern ist ein wichtiges Instrument. Wer eine gute Arbeit in seiner Heimat hat und für seine Familie sorgen kann, wird sich nicht auf eine gefährliche und teure Flucht begeben. Wir müssen zusätzlich nachhaltige und langfristige Investitionen tätigen, insbesondere im Bildungsbereich. Das duale System ist ein Erfolgsschlager. Mit einer entsprechenden Kooperation in den Entwicklungsländern sorgen wir dafür, dass Menschen eine berufsnahe Ausbildung bekommen und damit für sich selbst Licht am Ende des Tunnels und eine Zukunft sehen. Lassen Sie mich noch ein Beispiel zur Einbindung der Privatwirtschaft nennen, die Corporate Social Responsibility, also die Unternehmensverantwortung. Unsere Privatwirtschaft soll künftig unter fairen Bedingungen in den Entwicklungsländern produzieren. Das von Minister Müller initiierte Bündnis im Textilbereich ist ein gutes Beispiel dafür; denn hier handelt es sich um eine Kooperation von Partnerländern, nämlich des Entwicklungslandes mit dem Land, aus dem das privatwirtschaftliche Unternehmen stammt. Das Entwicklungsland hat die Verantwortung, soziale Standards, beispielsweise vernünftige Arbeitsbedingungen für Frauen, zu schaffen. Zudem binden wir die Verbraucher in Deutschland ein. Erstens. Die Verbraucher sehen auf diese Weise, dass ihr Geld, das Entwicklungsgeld, gut angelegt ist und „unten“ ankommt. Zweitens können die Verbraucher, wenn sie „social made“, also unter guten sozialen Bedingungen produzierte Textilien kaufen, einen eigenen Beitrag dazu leisten – genauso wie bei Bio- und Fairtradeprodukten –, dass das soziale Engagement in den Entwicklungsländern honoriert wird. Dies ist also ein hervorragendes Beispiel für die Zusammenarbeit in den nächsten Jahren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lassen Sie mich einen anderen Punkt ansprechen. Wir haben an der Finanzierungskonferenz im Entwicklungsbereich in Addis Abeba teilgenommen. Dort haben wir insbesondere von deutscher Seite besonders intensiv neue Punkte angesprochen. Wir müssen funktionierende Steuer- und Zollsysteme in den Entwicklungsländern voranbringen. Es kann nicht sein, dass bei uns die öffentlichen Einnahmen 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen, während es in den Entwicklungsländern in der Regel noch nicht einmal 10 Prozent sind. Nein, auch da müssen Steuern gezahlt werden. Dafür müssen entsprechende Systeme eingeführt werden. Zudem muss die Korruption bekämpft werden; das ist in diesem Zusammenhang ebenfalls ein wichtiger Punkt. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, wir sind gut aufgestellt. Deutschland hat in diesem Zusammenhang klare Bekenntnisse und klare Maßnahmen formuliert. Außerdem darf ich in Bezug auf Entwicklungsziele bis zum Jahr 2030 sagen: Wir schaffen auch das. Danke sehr. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Klimke. – Damit schließe ich die Aussprache. Der Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/6083 soll zur federführenden Beratung an den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und zur Mitberatung an den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union, an den Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft, an den Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, an den Ausschuss für Wirtschaft und Energie sowie an den Auswärtigen Ausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkte 3 b bis 3 r. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/6045 bis 18/6061 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen der 17 Anträge so beschlossen. Tagesordnungspunkt 3 s. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Menschenrechte in der neuen Nachhaltigkeits- und Entwicklungsagenda der Vereinten Nationen stärken“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5451, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5208 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Dagegen gestimmt haben Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf:     4. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke Kettenbefristungen abschaffen Drucksache 18/4098 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Das unbefristete Arbeitsverhältnis zur Regel machen Drucksachen 18/1874, 18/2783 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 77 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Der erste Redner in der Debatte ist für die Linke Klaus Ernst. (Beifall bei der LINKEN) Klaus Ernst (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieses Thema steht durchaus im Zusammenhang mit dem, was wir hier eben diskutiert haben, nämlich „Zuwanderung in unser Land“. Ich möchte all denen zustimmen, die in der vorherigen Debatte überfraktionell darauf hingewiesen haben, dass die Menschen, die zu uns kommen – als Flüchtlinge oder sonst wie –, keinesfalls als billige Reservearmee auf dem Arbeitsmarkt benutzt werden dürfen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das steht deshalb im Zusammenhang mit diesem Tagesordnungspunkt, weil unser Arbeitsmarkt, wie Sie alle wissen, in Unordnung gekommen ist. 2,7 Millionen Menschen in Deutschland haben nur noch einen befristeten Job. Ich kann mich erinnern: Es war einmal ganz normal – auch ich habe einmal etwas Anständiges gelernt; viele andere hier ebenfalls –, dass man nach der Ausbildung – Kollege Rützel weiß es – einen unbefristeten Arbeitsplatz erhalten hat. Heute sind fast 50 Prozent der Neueinstellungen nur noch befristet. Davon sind überwiegend Junge und Frauen betroffen. Der Arbeitsmarkt ist in Unordnung. Wir haben den Fakt hinzunehmen, dass wir heute dreimal so viel befristet Beschäftigte haben wie vor 20 Jahren. Meine Damen und Herren, das alles ist nicht hinzunehmen, und es ist dringend notwendig, dass wir das ändern. (Beifall bei der LINKEN) Warum stellen die Unternehmen zunehmend nur noch befristet ein? Die Antwort ist sehr einfach: Sie wollen den Kündigungsschutz umgehen, und die befristete Beschäftigung ist eine Möglichkeit dazu, dass man letztendlich den Betriebsrat bei Kündigungen außen vor lässt, dass man das Kündigungsschutzgesetz bei Kündigungen außen vor lässt und dass man den Betroffenen den Rechtsweg, gegen den Verlust des Arbeitsplatzes zu klagen, nimmt. Auch das ist ein entscheidender Grund dafür, dass wir sagen: Bei den Befristungen muss sich etwas ändern. (Beifall bei der LINKEN) Für die Betroffenen bedeutet ein befristeter Job, nicht ein normales Leben führen zu können. Wer die Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt kennt, der weiß, dass oft der Vermieter einen Arbeitsvertrag vorgelegt haben will, dass ein Vermieter guckt: Der hat nur einen befristeten Job. – Wenn man von der Bank einen Kredit will, ist es oft viel schwieriger, einen solchen zu bekommen, wenn man nur einen befristeten Job hat. Und: Wer gründet denn schon eine Familie, meine Damen und Herren, wenn er nicht weiß, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Genau!) ob er in ein oder zwei Jahren, wenn sein Arbeitsvertrag ausläuft, einen neuen Arbeitsvertrag bekommt und ob er die Kinder, die er in die Welt gesetzt hat, dann überhaupt noch ernähren kann? Deshalb sage ich Ihnen: Auch aus familienpolitischen Erwägungen ist die Abschaffung dessen, was wir zurzeit mit Befristungen erleben, ein Gebot der Stunde. (Beifall bei der LINKEN) Die Regierungsparteien halten immer gern die Fahne der Tarifautonomie hoch. Richtig! Aber für die Tarifautonomie brauchen wir selbstbewusste, im Zweifelsfall auch streikende Arbeitnehmer; sonst funktioniert Tarifautonomie nicht. Das bedeutet, wir müssen uns überlegen: Wie wirkt denn eigentlich ein befristeter Job auf die, die im Betrieb die Tarifautonomie durchsetzen sollen, nämlich auf die Beschäftigten? Da sage ich Ihnen – das wissen Sie im Grunde auch selber –, dass sich einer, der einen befristeten Job hat, natürlich kaum traut, sich zu wehren, dass er kaum aufmuckt, wenn die Überstunden nicht bezahlt werden, dass er sich kaum bereit erklärt, bei einem Streik mitzumachen, weil er damit rechnen muss, dass er dann seinen Vertrag nicht verlängert bekommt, dass er seinen Job verliert. Meine Damen und Herren, wenn wir wieder Ordnung auf den Arbeitsmarkt bringen wollen, muss die befristete Beschäftigung eine absolute Ausnahme bleiben. Ja, es gibt Gründe für Befristungen, die wir auch akzeptieren. Als Krankheitsvertretung möglicherweise kann man jemanden befristet einstellen, weil das nicht auf Dauer ist. Das gilt auch bei Mutterschaftsvertretungen oder bei Ähnlichem, auch bei Auftragsspitzen, wenn sie tatsächlich begrenzt sind. Wir erleben zurzeit aber etwas ganz anderes. Wir wissen, dass es inzwischen eine ganze Reihe von Menschen in den Betrieben gibt, die immer nur am selben Arbeitsplatz mit immer weiteren Befristungen beschäftigt werden. Das sind die Kettenarbeitsverträge. Es gibt nur ganz wenige Fälle, wo das sinnvoll sein kann. In der Regel ist es nicht sinnvoll. Deshalb fordern wir auch: Kettenarbeitsverträge dürfen nicht zulässig sein. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das beeindruckt uns sehr!) Meine Damen und Herren, dass befristete Verträge in großer Zahl zur Übernahme in einen festen Job führen, ist ein Märchen. Vielmehr lässt sich feststellen: Je mehr Befristungen in einer Branche, desto weniger Übernahmen gibt es. Ich will ein Beispiel bringen. 2012 wurden im Bereich Erziehung und Unterricht 76 Prozent der Neueingestellten nur befristet eingestellt. Von denen wurden nur 18 Prozent auf einen festen Arbeitsplatz übernommen, was bedeutet, dass die Arbeitgeber letztendlich die Situation ausnutzen, die Möglichkeit der Befristung nutzen, um Dauerarbeitsplätze, unbefristete Arbeitsplätze abzubauen. Das müssen wir per Gesetz verhindern. (Beifall bei der LINKEN) Wie kriegen wir wieder Ordnung auf dem Arbeitsmarkt hin? Erstens. Wir brauchen eine gesetzliche Regelung, dass befristete Beschäftigung nur dann zulässig ist, wenn es dafür einen ganz besonderen sachlichen Grund gibt. Wenn es den Grund nicht gibt, darf auch nicht befristet beschäftigt werden. – Erster Punkt. Zweiter Punkt. Wir müssen bei den Sachgründen gucken, ob wir tatsächlich akzeptieren, dass Erprobung ein Befristungsgrund ist. Dafür gibt es andere Regelungen in Tarifverträgen und im Gesetz. Wir müssen auch den Grund „Befristung der Haushaltsmittel“ infrage stellen. Meine Damen und Herren, ich weiß, dass auch viele Sozialdemokraten und viele aus dem Arbeitnehmerflügel der CDU das so sehen. Insofern hätten wir hier die Möglichkeit, tatsächlich etwas Vernünftiges zu schaffen. Ein letzter Punkt – das brennt uns auf den Nägeln – ist die Kettenbefristung. Es kann nicht sein, dass immer wieder derselbe Arbeitsplatz in einem Betrieb mit einem befristet Beschäftigten besetzt wird. Das ist dann kein befristeter Job, sondern das ist dann ein Dauerarbeitsplatz. Deshalb müssen wir Kettenbefristungen verhindern. Machen Sie mit uns mit! Schaffen Sie Ordnung auf dem Arbeitsmarkt! Das nützt den Beschäftigten, das nützt übrigens auch Ihren Wählern, und das nützt den Menschen, die hier zuwandern. Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Klaus Ernst. – Nächster Redner in der Debatte: Wilfried Oellers für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Wilfried Oellers (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten heute die Anträge der Fraktion Die Linke zum Befristungsrecht bei Arbeitsverträgen, in denen zum einen die Abschaffung der Kettenbefristungen und zum anderen das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelfall gefordert wird. Die Überschriften dieser Anträge und die dazu verfassten Begründungen erwecken den Eindruck, dass die Gesamtsituation in Deutschland in dem Bereich der befristeten Arbeitsverträge in Schieflage geraten ist und ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht. (Zurufe von der LINKEN: Ja! – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 50 Prozent der Neueinstellungen!) Schaut man sich die vom Statistischen Bundesamt ermittelten aktuellen Zahlen an und vergleicht diese mit den Zahlen der Vorjahre, so stellt man fest, dass diese Schieflage gar nicht besteht und ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf mitnichten vorliegt. (Beifall bei der CDU/CSU) Dabei sei zunächst erwähnt, dass bei der Bewertung der Gesamtsituation auf die Kernerwerbstätigen abzustellen ist, da hierbei die Erwerbstätigen erfasst werden, die sich nicht in Bildung, Ausbildung oder Freiwilligendiensten befinden. Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Beschäftigungsverhältnisse nur auf Zeit angelegt sind. Bei deren Einbeziehung kann die Gesamtsituation nicht korrekt dargestellt werden. Schaut man sich also die Erhebungen des Statistischen Bundesamtes für das Jahr 2014 an, so stellt man fest, dass von den Kernerwerbstätigen im Alter von 15 bis 64 Jahren lediglich 6,9 Prozent befristet beschäftigt sind. Das ist der niedrigste Stand seit 2005 – dem Jahr, in dem die derzeitige, genauere Erhebungsmethode eingeführt wurde. Zur Erläuterung. Bis einschließlich 2004 wurde vom Statistischen Bundesamt die Anzahl der befristeten Arbeitsverträge lediglich in einer einzigen Woche, der sogenannten Berichtswoche, erfasst; seit 2005 erfolgt die Auswertung über das ganze Jahr verteilt. Da durch die alte Methode die Zeiten im Jahr, in denen es aus saisonalen Gründen jeweils eine erhöhte Anzahl von befristeten Arbeitsverträgen gibt, nicht korrekt erfasst wurden, muss man davon ausgehen, dass die Anzahl der befristeten Arbeitsverträge vor 2005 zu niedrig ermittelt war. Dies zeigt auch beim Wechsel von 2004 auf 2005 der Sprung von 7,1 auf auf einmal 8,6 Prozent. Geht man also davon aus, dass die Werte vor 2005 in jedem Jahr um circa 1,5 Prozent zu niedrig ermittelt wurden und die Quote in der Zeit von 1991 bis einschließlich 2004 daher fälschlicherweise zwischen 6 und 8 Prozent lag, während sie eigentlich zwischen 7,5 und 9,5 Prozent hätte liegen müssen, kommt man zu dem Schluss: Wir haben derzeit den geringsten Stand an befristeten Arbeitsverhältnissen seit 1991. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Das halten wir mal fest!) Ich spanne diesen Bogen deshalb bis 1991 zurück, weil die Fraktion Die Linke beide Anträge mit den Worten einleitet, die Zahl der befristeten Arbeitsverträge bzw. der befristet Beschäftigten sei in den vergangenen 20 Jahren deutlich gestiegen bzw. habe sich verdreifacht. Die dargestellten Zahlenbeispiele belegen aber eindeutig, dass diese Aussage einfach nur falsch ist. (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN) Aufgrund der gewählten Formulierung werde ich persönlich den Eindruck nicht los, dass Sie lediglich Panikmache betreiben und die Realität einfach nicht wahrhaben wollen. Lassen Sie es mich auch in absoluten Zahlen ausdrücken: Nach den Zahlen des Statistischen Bundesamtes hatten wir in 2014 insgesamt 34 000 befristete Arbeitsverhältnisse weniger als in 2005 – und das bei einem zwischenzeitlichen Anstieg auf 9,2 Prozent, auf den ich gleich noch eingehen werde. Diese Entwicklung kann man im Ergebnis nur als positiv bezeichnen. Diese Zahlen verdeutlichen auch eindrucksvoll, dass die gewählte Überschrift des einen Antrags der Fraktion Die Linke unzutreffend ist. Denn es wird etwas gefordert, was schon existiert: Das unbefristete Arbeitsverhältnis ist bereits jetzt die Regel, und zwar nach der derzeitigen Rechtslage. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der LINKEN) Damit fällt auch die gesamte Begründung Ihrer Anträge in sich zusammen. Da das befristete Arbeitsverhältnis, wie oben geschildert, nur den Ausnahmefall darstellt, kann es seiner Bedeutung als Flexibilisierungsinstrument in der Arbeitswelt eindrucksvoll nachkommen. Das wird auch durch folgenden Vergleich deutlich: In 2005 lag die Quote noch bei 8,6 Prozent, und sie stieg in den Folgejahren mit einer leichten Wellenbewegung bis auf 9,2 Prozent im Jahr 2010. In dieser wirtschaftlich schwierigen Zeit haben die Unternehmen im Rahmen von Neueinstellungen vorsichtig agiert, was durchaus nachvollziehbar ist. Seit 2010 zieht nicht nur die Wirtschaft wieder an und erreicht neue Rekordwerte, sondern sank auch die Befristungsquote stetig bis auf 6,9 Prozent in 2014. Das zeigt doch eindeutig, dass das Instrument der befristeten Arbeitsverhältnisse in der derzeitigen Form unverzichtbar ist, um flexibel auf eine geänderte wirtschaftliche Lage reagieren zu können. Man kann doch wirklich nichts dagegen haben, wenn in Krisenzeiten von dem Flexibilisierungsinstrument Befristung mehr Gebrauch gemacht wird – das kann ja in besseren Zeiten wieder rückgängig gemacht werden –, um so Menschen in Arbeit zu halten. Gerade dafür ist es ja auch gedacht und da. Berücksichtigt man die geschilderte Entwicklung der befristeten Arbeitsverhältnisse unter Berücksichtigung der jeweiligen wirtschaftlichen Gesamtsituation, so kommt man zu dem Ergebnis, dass die Unternehmen mit dem Flexibilisierungsinstrument in der derzeitigen Form bisher verantwortungsvoll umgegangen sind. Mit dieser Feststellung kann ich natürlich nicht ausschließen, dass in Einzelfällen Missbrauch getrieben worden ist bzw. getrieben wird. Diese Fälle sind aber mit der derzeitigen Rechtslage lösbar. Hierzu gilt es jedoch, die Gerichte anzurufen. Einzelne Missbrauchsfälle dürfen in meinen Augen nicht dazu führen, dass gesetzliche Regelungen verschärft werden; denn damit verhindert man nicht die Missbrauchsfälle. Man verhindert sie nur dadurch, dass sie gerichtlich geklärt und sanktioniert werden. Mit einer Verschärfung trifft man zuallererst diejenigen, die sich redlich verhalten, und schränkt diese weiter ein, da sie die neue Gesetzeslage umsetzen werden. Es kann aber nicht das Ziel sein, den Großteil der Unternehmen, die redlich handeln, durch schärfere Regelungen zu bestrafen. Das ist auch nicht nötig. Zum Beispiel gibt es zu der Thematik Kettenbefristungen – Herr Ernst, Sie sprachen es an – eine umfangreiche Rechtsprechung, die sehr einzelfallbezogen ist. Bisher hat die Rechtsprechung stets gerechte und vertretbare Entscheidungen getroffen, auch wenn hierzu das eine oder andere Mal der Instanzenzug voll ausgeschöpft werden musste. Damit ist eventuell vorliegender Missbrauch sanktioniert worden, sodass sich die gegenwärtigen gesetzlichen Regelungen bestätigt haben. Auch angesichts der pauschalen und wenig substanziierten Antragsbegründung meine ich: Es gibt keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Neben der bereits geschilderten Flexibilisierungsfunktion erfüllt die Befristung noch eine weitere Funktion sehr deutlich: Die Befristung dient als Brücke in den Arbeitsmarkt. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung des Kollegen Ernst? Wilfried Oellers (CDU/CSU): Ja. Vizepräsidentin Claudia Roth: Gut. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Klaus, du lebst ja auch in einer Kettenbefristung!) Klaus Ernst (DIE LINKE): Herr Oellers, ich habe Ihnen lange zugehört, auch Ihren statistischen Ausführungen. Ich möchte Ihnen einige ganz konkrete Fragen stellen: Ist es aus Ihrer Sicht in Ordnung, dass es nach der gegenwärtigen Rechtslage möglich ist, am selben Arbeitsplatz – am selben Arbeitsplatz; möglicherweise bis zu zwei Jahre lang – einen Menschen befristet zu beschäftigen? Halten Sie es für akzeptabel, dass dieser Mensch nicht nur im selben Unternehmen, sondern auch von einem Unternehmen zum anderen immer nur einen befristeten Job hat, wie es in meiner Region übrigens üblich ist, und sich damit nie selber eine vernünftige Existenz aufbauen kann, weil er nie wirklich weiß, ob er eigentlich in zwei Jahren noch einen Job hat? Halten Sie es für richtig, dass inzwischen die Betriebsräte, wie wir wissen, in den Betrieben darum kämpfen müssen, über Tarifverträge bzw. tarifvertragliche oder betriebliche Vereinbarungen sicherzustellen, dass ihre Auszubildenden dort beschäftigt und übernommen werden? Das ist alles nach der gegenwärtigen Rechtslage möglich. Jetzt möchte ich von Ihnen eigentlich nur eine ganz einfache Antwort – ohne Statistik –: Halten Sie das für okay, oder sind Sie bereit, mit uns daran mitzuwirken, dass wir diesen Unfug beenden? (Beifall bei der LINKEN – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Differenzierung ist der Feind der Ideologie!) Wilfried Oellers (CDU/CSU): Herr Kollege Ernst, an der Stelle muss ich doch einmal sagen: Wenn Ihre Einbringungen und Darstellungen immer so substanziiert wären, (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Die ganze Zeit!) wie sie emotional begleitet werden, dann wäre, glaube ich, schon vielen geholfen. Sie selber haben die Anfrage gestellt; ich berufe mich auf die Zahlen, die Sie in der Antwort auf Ihre eigene Anfrage erhalten haben. Merkwürdigerweise haben Sie diese Zahlen in Ihrer Rede gar nicht erwähnt. Ich habe gerade auch deutlich gemacht, dass es sicherlich Fälle gibt, die man sich genau anschauen muss. (Zuruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) – Herr Ernst, das sind aber auch Einzelfälle. Die muss man sich anschauen. Ich bin bei der derzeitigen rechtlichen Lage davon überzeugt – das Beispiel Kettenarbeitsverträge zeigt das auch; schauen Sie sich einmal die Rechtsprechung an; es ging bis zum Europäischen Gerichtshof –: Die Rechtsprechung ist in der Lage, Missbrauch zu vermeiden. Nur, dann muss man es auch klären. Man kann nicht immer sagen: Wir wollen schärfere gesetzliche Regelungen haben – ich habe alles das, was ich jetzt wiederhole, gerade erwähnt –, um den Missbrauch in Einzelfällen einzudämmen. – Damit werden Sie der Gesamtsituation nicht gerecht. Missbrauch möchte ich auch nicht; das möchte keiner. Aber Sie werden es in allen gesetzlichen Lagen nicht erreichen, dass Sie keinen Missbrauch haben. Den werden Sie immer irgendwo haben. Nur, diesen Leuten müssen Sie auf die Spur kommen und sie entsprechend gerichtlich sanktionieren. Dafür sind die Gerichte auch da. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür ist die Politik da!) Das müssen Sie einmal zur Kenntnis nehmen. Wie gesagt, ich sehe keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Die Zahlen, die ich gerade dargelegt habe, zeigen das eindrucksvoll. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich darf dann fortfahren. Ich war bei der Brückenfunktion am Arbeitsmarkt. Herr Ernst hat dazu auch schon Zahlen genannt; ich kann diese Zahlen nicht bestätigen. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das ist klar!) – Das sind die Zahlen aus der Anfrage, die Sie gestellt haben. Bei weniger als 43 Prozent befristete Neueinstellungen im Jahr 2014 lag die Übernahmequote bei 58 Prozent. Diese Zahl haben Sie nicht erwähnt, Sie nannten eine andere. Sie ist eindeutig nachgewiesen. Wenn man berücksichtigt, dass der Anteil der befristeten Neueinstellungen 2005 etwa bei 40 Prozent lag und damit nur marginal geringer war, aber eine Übernahmequote von lediglich 39 Prozent vorhanden war, wird man eindeutig sehen, dass wir auf einem positiven Weg sind. Betrachtet man darüber hinaus die Entwicklung der befristeten Arbeitsverträge in den jeweiligen Altersgruppen, so stellt man fest, dass mit steigendem Alter der Anteil der befristeten Arbeitsverhältnisse stetig sinkt. – Ihre Anfrage, Ihre Zahlen. (Zuruf der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE]) Liegt der Anteil in der Altersgruppe von 15 bis 24 Jahren noch bei 21 Prozent, so sinkt er über die folgenden Altersgruppen bis hin zur Altersgruppe von 55 bis 64 auf 3,7 Prozent. Beide Zahlenbeispiele zeigen deutlich, dass die Befristung eine Hilfe für die Menschen ist, in Arbeit zu kommen. (Zuruf der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE]) Sie werden zunächst befristet eingestellt und zum größten Teil anschließend unbefristet weiterbeschäftigt. Damit erfüllt die Befristung in der derzeitigen Form ihre Brückenfunktion zum Wohle der Menschen in bemerkenswerter Weise und ist mit ursächlich für die niedrige Arbeitslosigkeit. Genau das ist das Ziel, und das wird auch erreicht. (Beifall bei der CDU/CSU) Ergänzend sei noch auf Folgendes hingewiesen: Mit den oben genannten Werten liegt Deutschland im europäischen Vergleich unter dem Durchschnitt; das sollte man auch einmal heranziehen. Dies zeigt wiederum, wie sorgsam die deutschen Unternehmer mit diesem Instrument umgehen. Darüber hinaus liegt die Befristungsquote in der öffentlichen Verwaltung höher als im verarbeitenden Gewerbe. Weiter ist auch zu berücksichtigen, dass ein beträchtlicher Teil der befristeten Arbeitsverträge im hochqualifizierten Bereich zu finden ist, zum Beispiel auch im Rahmen von Projektarbeiten. Wie bereits erwähnt: Mit all dem Gesagten möchte ich nicht ausschließen, dass es einzelne Fälle gibt, wo Missbrauch getrieben wird. Aber hiervor kann man in keinem rechtlichen Gebiet sicher sein. Sollte ein Missbrauch festgestellt werden, so muss er gerichtlich sanktioniert werden; das steht außer Frage. Aber aufgrund solcher Einzelfälle darf man nicht die gesamte derzeitige erfolgreiche Rechtslage infrage stellen. (Beifall bei der CDU/CSU) Befristete Arbeitsverhältnisse sind ein zentrales und wichtiges Arbeitsmarktinstrument. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur Flexibilität der Gesamtwirtschaft, bauen Einstellungshürden ab und erhöhen die Jobchancen. All dies kommt der Allgemeinheit, aber vor allem dem einzelnen Menschen zugute. Ziel muss es sein, Menschen in Arbeit zu bringen, natürlich am liebsten sofort unbefristet. Die Befristung trägt jedoch in ihrer derzeitigen Form einen erheblichen Teil dazu bei, dass das Ziel eines unbefristeten Arbeitsvertrages erreicht wird. Eine Gesetzesänderung ist daher nicht erforderlich. Das ändert sich auch nicht durch das Haareraufen von Frau Krellmann. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Oellers. – Nächste Rednerin: Beate Müller-Gemmeke von den Grünen. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Betriebe brauchen natürlich ein gewisses Maß an Flexibilität – das steht außer Frage –, aber das Bedürfnis der Beschäftigten nach Sicherheit und Perspektiven muss ebenso berücksichtigt werden. Genau diese Balance stimmt für viele Beschäftigte nicht mehr, wenn es um Befristungen oder Leiharbeit geht. Darüber haben wir schon häufig debattiert, aber passiert ist nichts: Wir warten noch immer auf den Gesetzentwurf zur Leiharbeit, und bei den Befristungen stellen Sie von der Union auf Durchzug. Die fehlende Balance können Sie nicht weiter ignorieren; Sie müssen sie endlich ernst nehmen. Herr Oellers, es geht nicht nur um Zahlen. Hinter jeder Zahl stehen Menschen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Das ist völlig richtig, aber die Zahlen belegen das, was ich gesagt habe!) Heute geht es wieder einmal konkret um die Befristungen, und die sind und bleiben ein Problem. Auch die Fakten sind längst bekannt: Befristet Beschäftigte sind stärker von Arbeitslosigkeit bedroht. Sie machen sich mehr Sorgen über Krankheit und über Armut im Alter. Lebens- und Familienplanung ist nur begrenzt möglich. Wer eine befristete Stelle hat, verdient häufig weniger und hat auch kaum Chancen auf Weiterbildung oder Karriere und Aufstiegsmöglichkeiten. Wie oft müssen wir das eigentlich noch – wie auf einer steckengebliebenen Schallplatte – wiederholen? Wann nehmen Sie das endlich zur Kenntnis? Wir Grünen wollen die fehlende Balance wiederherstellen. Deshalb wollen auch wir die sachgrundlose Befristung abschaffen. Im Detail sind wir an manchen Stellen anderer Meinung als die Linke – das ist bekannt –, aber die Richtung stimmt. Deshalb werden wir heute dem Antrag zustimmen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Damit sind aber nicht alle Verwerfungen aufgehoben; denn manche Arbeitgeber missbrauchen auch die Möglichkeiten der Befristung mit sachlichem Grund. Sie setzen auf Kettenverträge, und darunter leiden die Menschen ganz besonders. Die Beschäftigten wissen manchmal erst zwei bis drei Wochen vor Vertragsende, wie es weitergeht. Sie leben in einer permanenten Unsicherheit. Sie haben aber die Gewissheit, dass sie jederzeit plötzlich auf der Straße stehen können. Das bedeutet Stillstand im Leben der Betroffenen. Sie haben keinerlei Zukunftsperspektiven, und das geht gar nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Und doch gibt es genügend Beispiele dafür, dass Beschäftigte über Jahre die gleiche Tätigkeit, zum Teil sogar am gleichen Arbeitsplatz, ausüben, und zwar immer befristet. Bei der Deutschen Post AG gab es mal wieder den krassesten Missbrauch: 17 Jahre und 88 Arbeitsverträge für eine Postbotin – und nach einer Krankheit war dann Schluss. Das ist nicht akzeptabel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Uwe Lagosky [CDU/CSU]) Das ist rechtsmissbräuchlich, und das sieht die Rechtsprechung mittlerweile auch so. Die Beschäftigten können also klagen und feststellen lassen, ob es überhaupt einen Befristungsgrund gibt, und, wenn nein, entsteht ein unbefristetes Arbeitsverhältnis. Herr Oellers, Sie sagen: Es gibt diese Gerichtsurteile, und das reicht aus. – Nein, sage ich, natürlich nicht! Denn das ist ein steiniger Weg, und viele Beschäftigte schrecken davor zurück. Vor allem darf sich Politik nicht so aus der Verantwortung stehlen. Das wäre ein Armutszeugnis. Der Schutz vor Kettenverträgen ist nicht Aufgabe der Richter, sondern Aufgabe der Politik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Linke schlägt nun vor, dass eine Befristung mit sachlichem Grund nur zweimal zulässig sein soll. Ich bin mir nicht sicher, ob es nicht doch immer wieder besondere Konstellationen geben kann, in denen diese zwei Befristungen zu wenig sind. Das wäre dann eventuell zum Nachteil der betroffenen Beschäftigten. Vor allem liegt bei mir aktuell eine Petition auf dem Tisch: In einem Konzern mit zwölf eigenständigen Gesellschaften gibt es Kettenverträge, das heißt, da werden die Beschäftigten immer weitergereicht. Mit der vorgeschlagenen Regelung könnte dort eine Person 24 befristete Arbeitsverträge erhalten. Der Vorschlag verhindert also den Missbrauch in Konzernen eher nicht. Sie merken: Ich bin noch unsicher. Deshalb werden wir den Antrag der Linken bei uns in der Fraktion noch einmal intensiv beraten. Wir werden auch im Ausschuss, hoffentlich in einer Anhörung mit Expertinnen und Experten, darüber diskutieren. Mein Fazit heute ist: Ja, wir brauchen Regelungen, aber sie müssen gut überlegt sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das finde ich auch!) – „Wir brauchen Regelungen“, habe ich gesagt. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ach, so! Ich dachte: „Gut überlegt“!) Eines ist mir noch wichtig. Es gibt viele Betriebe, die mit der Möglichkeit der Befristung verantwortungsvoll umgehen. Neue Regelungen sind nur notwendig, weil manche Unternehmen jeglichen Anstand verloren haben und alle Gesetze dehnen und ausnutzen, immer zum eigenen Vorteil und ohne jegliche Empathie für die Beschäftigten. Auch eine neue gesetzliche Regelung wird diese Unternehmen wenig beeindrucken. Sie werden weiterhin Zeitverträge abschließen, dann halt mit immer neuen Personen. Sie werden wieder neue Schlupflöcher suchen und nutzen. Gesellschaftliche Verantwortung ist für sie ein Fremdwort. Ich meine, das darf niemand in diesem Haus akzeptieren. Deshalb erwarte ich, dass auch Sie, die Regierungsfraktionen, etwas gegen diese Kettenverträge unternehmen; denn die Menschen leben nicht, um zu arbeiten, sondern sie arbeiten, um gut zu leben. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollegin Müller-Gemmeke. – Nächste Rednerin für die SPD: Gabriele Hiller-Ohm. (Beifall bei der SPD) Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren, auch auf den Zuschauertribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken! Bei Ihren vorliegenden Anträgen fühle ich mich an einen Song von Cindy & Bert erinnert, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ach, wie süß!) den Sie sicherlich alle noch kennen werden: (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, klar!) Immer wieder sonntags kommt die Erinnerung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Katja Kipping [DIE LINKE]: Ernsthaft! Ist das Ihre Reaktion auf das Thema? – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist für die SPD anscheinend notwendig, immer wieder daran zu erinnern!) Nun ist heute nicht Sonntag, aber Ihr Ziel, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, scheint es zu sein, mit ständig ähnlichen Anträgen zum selben Thema einen Ohrwurm zu kreieren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Singen Sie doch mal! Vorsingen!) Wir schließen heute einen Antrag zu befristeten Arbeitsverhältnissen ab, und, schwupp, Herr Ernst, liegt uns schon der nächste in erster Lesung vor. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Darauf können Sie sich verlassen! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Bis ihr was lernt!) So machen Sie es seit mehr als einem Jahr. Wir diskutieren immer wieder über dasselbe Thema – im Plenum, in den Ausschüssen. Alle Argumente sind bereits ausgetauscht (Katja Kipping [DIE LINKE]: Wir können uns das auch sparen, wenn Sie zustimmen würden!) und die Positionen der einzelnen Fraktionen klar. Ihr neuer Antrag trägt nun den Titel „Kettenbefristungen abschaffen“. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Gute Idee!) Das werden wir heute leider nicht hinbekommen, aber möglicherweise würde es eine Zustimmung geben zu der Forderung „Kettenanträge abschaffen“. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Tätä, tätä, tätä!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle kennen die Fakten. Sie haben sich seit der letzten Debatte wenig verändert: Knapp die Hälfte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wird heute nur noch befristet eingestellt. Jüngere Menschen und Frauen sind davon besonders betroffen. Sehr häufig geschieht diese Befristung sogar ohne jegliche sachliche Begründung. Die Beschäftigten wissen oft bis zum letzten Arbeitstag nicht, ob es für sie im Betrieb weitergeht oder ob sie auf der Straße landen werden. Das ist unwürdig. Das finden wir falsch. (Beifall bei der SPD – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Ja, dann machen Sie etwas dagegen! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Regiert ihr, oder appelliert ihr?) Deshalb stimmen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten dem grundsätzlichen Ziel der vorliegenden Anträge der Linken, die Befristungsregelungen zu verändern, inhaltlich durchaus zu. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ach!) Weil das so ist, haben wir in der letzten Legislaturperiode, bereits im Mai 2010, (Katja Kipping [DIE LINKE]: „Letzte“! Wir sind jetzt schon weiter!) genau zu diesem Thema einen Antrag vorgelegt mit dem Titel „Langfristige Perspektive statt sachgrundlose Befristung“. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber jetzt seid ihr doch an der Regierung! Jetzt können Sie es doch tun!) Das war übrigens deutlich vor den Initiativen der Linken und der Grünen. Sie sehen daran: Das Thema ist uns wichtig. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie können sich aber nicht durchsetzen gegen die Union, oder was?) Deshalb haben wir es auch in unserem Wahlprogramm verankert. Ich zitiere: Die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen wollen wir abschaffen, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das wird ja immer schlimmer!) den Katalog möglicher Befristungsgründe überprüfen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das gilt nach wie vor. Das ist die SPDPosition. (Beifall bei der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das nützt aber nichts! Wenn ihr in der Regierung seid, macht ihr es nicht!) – Das möchte ich Ihnen gerne beantworten. In einer Koalition ist es leider nicht möglich, alle Wünsche und Forderungen eins zu eins umzusetzen. Man ist zu Kompromissen verdonnert. An dieser Stelle mussten wir in den sauren Apfel beißen. Wir haben das getan, weil es zum Glück Licht am Ende des Befristungstunnels gibt. Befristete Verträge sind wegen der guten Konjunktur rückläufig. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Klang bei Herrn Ernst anders!) Trotzdem sind Befristungen für viele Beschäftigte nach wie vor meist Mist. Zu welchen Extremen Befristungen führen können, haben wir hier schon mehrfach debattiert. Da haben wir die Postbotin mit sage und schreibe 88 befristeten Verträgen in 17 Jahren. Solche Kettenbefristungen sind mit Sachgründen – beispielsweise Elternzeit oder Krankheitsvertretung – also durchaus möglich. Richtig und nötig ist so etwas aber auf gar keinen Fall, schon gar nicht in großen Unternehmen wie bei der Post. (Beifall bei der SPD) Deshalb sollten Befristungsgründe enger gefasst werden, um gegen Missbrauch besser vorgehen zu können. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken und auch der Grünen, es lohnt ein differenzierter Blick auf die Zahlen. Es ist schließlich nicht so, dass wir in Deutschland nur noch befristete Arbeitsverhältnisse hätten. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat, glaube ich, auch niemand gesagt!) Je nach Quelle und Berechnungsmethode sind dies 8 bis 10 Prozent. Das heißt im Umkehrschluss: Über 90 Prozent der Beschäftigten haben ein unbefristetes Arbeitsverhältnis. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, der Titel Ihres Antrags – „Das unbefristete Arbeitsverhältnis zur Regel machen“ – ist also Gott sei Dank zu über 90 Prozent Realität in Deutschland. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zum Glück nähern wir uns immer weiter den 100 Prozent an. Sie können das nachlesen in einer Pressemitteilung vom 21. August, die das Statistische Bundesamt herausgegeben hat. Sie lautet: „Normalarbeitsverhältnisse nehmen an Bedeutung zu.“ Dies belegt auch die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Linken vom 20. August dieses Jahres. Daraus geht hervor, dass die Zahl der Übernahmen aus befristeter Beschäftigung in unbefristete Arbeitsverhältnisse steigt. Gott sei Dank. Trotzdem würden wir Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen die sachgrundlose Befristung gerne abschaffen und die Auswüchse bei befristeten Verträgen mit Sachgrund angehen. Leider sind uns hierbei jedoch zurzeit die Hände gebunden. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind freie Abgeordnete!) Deshalb, meine Kolleginnen und Kollegen von der Linken, werden wir Ihren Initiativen auch nicht zustimmen. Nun bedeutet eine Koalition zum Glück nicht Stillstand auf Teufel komm raus. Deshalb gibt es im Hinblick auf die Befristungen zumindest im Wissenschaftsbereich durchaus Bewegung in unserer derzeitigen politischen Lebensabschnittspartnerschaft mit der CDU/CSU. Wir konnten das Vorgehen gegen den Befristungsmissbrauch in der Wissenschaft im Koalitionsvertrag verankern. Diese Vereinbarung lösen wir jetzt ein. Kürzlich hat das Bundeskabinett den Gesetzentwurf für die geplante Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes auf den Weg gebracht. Was für ein Wort! Damit werden wir für bessere Arbeitsbedingungen im Wissenschaftsbereich sorgen. Hier arbeiten weit über eine halbe Million Menschen, und leider sind befristete Verträge in diesem Bereich gang und gäbe. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Linken, Sie sehen, wir reden nicht nur, nein, wir setzen Schritt für Schritt Verbesserungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land um. Was für ein Kraftakt war die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns! (Beifall bei der SPD) Ja, wir haben es geschafft. Es gibt ihn wirklich, und das schon seit neun Monaten. 4 Millionen Menschen haben dadurch mehr Geld in der Tasche. (Beifall bei der SPD) Wir wollen endlich Frauen in den Führungsetagen und in den Aufsichtsräten sehen. Dafür haben wir die Quote durchgesetzt. So wird es weitergehen. Dafür nur zwei Beispiele: Wir werden den Weg frei machen und gerechte Löhne für die vielen fleißigen und gut qualifizierten Frauen in unserem Land durchboxen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir machen Schluss mit Ausbeutung durch Werkverträge und Leiharbeit. Vizepräsident Peter Hintze: Frau Kollegin, „Schluss machen“ war ein gutes Stichwort, weil Ihre Redezeit abgelaufen ist. Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Wir freuen uns auf Ihre Unterstützung. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Uwe Lagosky, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Uwe Lagosky (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es stimmt: In den vergangenen 20 Jahren nahm die Zahl befristeter Arbeitsverträge, absolut betrachtet, zu. Laut aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes – wir haben es schon gehört – ist diese Zahl in den letzten vier Jahren allerdings gesunken. Von den Arbeitnehmern ab 25 Jahren – das ist die Datenbasis – waren 2011 8,9 Prozent befristet beschäftigt. Diese Zahl sank auf 8,1 Prozent im Jahr 2014. Bereits in der Anhörung zur sachgrundlosen Befristung am 17. März 2014 stellte der Sachverständige des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit fest: Insgesamt kann man feststellen, dass befristete Arbeitsverträge durchaus in ihrer Bedeutung zugenommen haben. Wenn man den Zeitraum zwischen 2001 und 2011 betrachtet – von 1,7 auf 2,7 Millionen. Befristungen sind also eine relevante Größe auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Wenn man sich die Neueinstellungen ansieht, dann sieht man, dass mittlerweile etwa 42 Prozent aller Neueinstellungen auf Basis eines befristeten Arbeitsvertrages erfolgen. Befristungen sind somit ein wichtiges Instrument, wenn es um die Beschäftigungsanpassung der Betriebe geht. In der Folge sagte er: Die Entwicklung der befristeten Arbeitsverträge ist sozusagen kein naturwüchsiger Prozess – wir werden immer flexibler –, sondern es kann durchaus sein, dass auch ohne weitere Eingriffe in die Gesetzgebung die Anzahl der befristeten Arbeitsverträge eher zurückgeht. Das war 2014, und recht hatte er, wie die Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen. Die Linke möchte nun, dass der Deutsche Bundestag feststellt, dass dies ein „hochproblematischer Zustand“ sei, der „dringend gesetzgeberisches Handeln erfordert“. Das steht in Ihrem Antrag. Hochproblematisch ist, wie ich finde, nur eines: der stete Reflex der Linken, in gleicher Sache immer wieder gesetzgeberisch tätig werden zu wollen. – Nutzen Sie daher gerne die heutige Debatte ganz im Sinne von Konrad Adenauer, der sagte: Man braucht nicht immer denselben Standpunkt zu vertreten, denn niemand kann einen daran hindern, klüger zu werden. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Hieß bei ihm aber: „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?“!) Mit dem Teilzeit- und Befristungsgesetz sind gute Lösungen sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber vorhanden. Die Befristung eines Arbeitsvertrages ist zulässig, wenn sie durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist. Ein sachlicher Grund liegt insbesondere vor, wenn 1. der betriebliche Bedarf an der Arbeitsleistung nur vorübergehend besteht, 2. die Befristung im Anschluss an eine Ausbildung oder ein Studium erfolgt, um den Übergang des Arbeitnehmers in eine Anschlussbeschäftigung zu erleichtern, 3. der Arbeitnehmer zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers beschäftigt wird ... Es gibt noch andere Gründe; das sind auszugsweise nur drei. Ebenfalls im Teilzeit- und Befristungsgesetz ist die sachgrundlose Befristung geregelt. Danach dürfen Arbeitsverträge, die bis zu einer Dauer von zwei Jahren abgeschlossen werden, in dieser Zeit dreimal verlängert werden. Sachgrundlose Befristung ist nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat. Die Regelungen für die sachgrundlose Befristung sind im Jahr 2000 angepasst worden, um zu verhindern, dass es zu weiteren Kettenbefristungen kommt. Für die 2,7 Millionen Arbeitslosen – im Übrigen 122 000 weniger als im Vorjahr – sowie für Berufseinsteiger sehe ich in befristeten Arbeitsverhältnissen daher auch die Chance, in unbefristete Beschäftigungsverhältnisse zu kommen. Stichwort „Beschäftigungsverhältnisse“: Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass unbefristete Arbeitsverhältnisse wieder die Regel werden müssen; die Kollegin hat das gerade auch gesagt. Das hat mich stutzig gemacht. Denn mit einem Anteil von 92,6 Prozent sind unbefristete Arbeitsverträge die Regel. Nehmen Sie in diesem Zusammenhang bitte noch folgende gute Nachricht auf: Wir haben auf dem deutschen Arbeitsmarkt 42,8 Millionen Beschäftigte. Das ist die höchste Zahl in der Nachkriegsgeschichte. Auch die Zahl von aktuell 30,5 Millionen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten ist die höchste Zahl in der Nachkriegsgeschichte. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Vollzeit?) Während meiner Zeit als Betriebsrat habe ich unterschiedliche Gründe für Befristungen erlebt. Zwischen 2001 und 2007 in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und einer unklaren Wirtschaftslage hatten wir im Betrieb befristete Arbeitsverhältnisse. Dies wurde damit begründet, dass vor dem Hintergrund noch anstehender notwendiger Prozessvereinfachungen und Automatisierungen – diese standen tatsächlich an – keine Festeinstellungen im Betrieb erfolgen sollten. Das war keineswegs schön. Doch wenn bei allen Beteiligten Klarheit darüber herrscht, ist dies schon ein probates Mittel für ein Unternehmen, um nicht in wirtschaftliche Schieflage zu geraten oder auch die Stammbelegschaft zu entlasten. Klarheit in diesem Zusammenhang bedeutet, dass wir den befristeten Beschäftigten zu dieser Zeit gemeinsam mit dem Arbeitgeber gesagt haben: Eine Anschlussbeschäftigung kann es für euch nicht geben, insofern bewerbt euch in diesen zwei Jahren auch auf eine Dauerbeschäftigung bei anderen Arbeitgebern. – Es ist allerdings am Ende so gewesen, dass diese befristet Beschäftigten bei uns geblieben sind. Das zeigt mir auch, dass die Alternative die Arbeitslosigkeit gewesen wäre. (Beifall bei der CDU/CSU) Angesichts der demografischen Entwicklung in Deutschland hätte man ja davon ausgehen können, dass befristete Beschäftigungsverhältnisse in ihrer Zahl zurückgehen. Allerdings haben wir mit dem aktuellen Zustrom an Flüchtlingen nach Deutschland – die Regierung rechnet im Jahr 2015 mit 800 000 – eine neue Variable auf dem Arbeitsmarkt, von der wir wissen, dass sie uns vor erhebliche Herausforderungen stellt. Daher ist es umso wichtiger, dass wir uns flexible Arbeitsmarktinstrumente erhalten. Ich denke, in diesem Zusammenhang sollten die Möglichkeiten, die sich aus dem Teilzeit- und Befristungsgesetz ergeben, von Arbeitgebern zukünftig mehr genutzt werden. Aber noch einmal: Befristungen stellen für mich eine Brückenfunktion dar. Es stimmt, dass der Befristungsanteil in den sozialen und öffentlichen Dienstleistungen 35 Prozent beträgt. Es gibt auch Extremfälle wie den vorhin genannten von 2012; dabei ging es um 13 aufeinanderfolgende Befristungen in elf Jahren bei einer Arbeitnehmerin. Damals antwortete der Europäische Gerichtshof auf eine entsprechende Anfrage des Bundesarbeitsgerichtes, dass Arbeitgeber bei ständigem Vertretungsbedarf selbst bestimmen dürfen, ob sie ihn durch befristete oder unbefristete Stellen abdecken. Weil die Klägerin in einer großen Behörde tätig war, machte das BAG in seinem Urteil deutlich, dass bei jahrelangem kontinuierlichem Vertretungsbedarf durchaus Bedarf für eine unbefristete Vertretungskraft besteht. Deshalb müssen staatliche Stellen alle Umstände, die mit einer Verlängerung von befristeten Verträgen zu tun haben, intensiv prüfen. So kann dafür gesorgt werden, dass sich Befristungen im Einzelfall als missbräuchlich herausstellen. Insofern sind die einzelnen Bereiche gefordert. Extremfälle zur Regel zu adeln, ist vielleicht die öffentlichkeitswirksamere Lösung, jedoch der falsche Weg. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht nicht um die Regel, sondern darum, solche Fälle zu verhindern!) Gewohnt abenteuerlich finde ich das von den Linken in ihrem Antrag gezeigte Finanzverständnis. Sie führen als Grund für Befristungen im öffentlichen Dienst eine strukturelle Unterfinanzierung der öffentlichen Hand an und begründen dies mit einer sozial ungerechtfertigten Steuerpolitik, Spardiktaten und der Schuldenbremse. Sie haben es einfach nicht verstanden, dass wir mit einer weitsichtigen Haushaltspolitik dazu beitragen, dass die deutsche Wirtschaft floriert (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Und zu welchem Preis?) und wir mit den zusätzlichen Steuereinnahmen auch zusätzliche Leistungen an die Kommunen geben können. Das Hohe Haus wird heute, gleich im Anschluss, einen Antrag zu den Kommunen verabschieden und in den Mittelpunkt der Diskussion stellen. Nie zuvor wurden Kommunen durch den Bund so stark unterstützt wie in den vergangenen Jahren. Unter den unionsgeführten Koalitionen von 2010 bis 2018 werden die Länder und Kommunen um insgesamt 125 Milliarden Euro entlastet. Das setzt freilich voraus, dass die Länder ihrer Verantwortung nachkommen, dieses Geld auch an die Kommunen weiterzureichen und es nicht im eigenen Haushalt zu behalten. Papiersparend, auf nur zwei Seiten, unternehmen Sie einen kühnen Streifzug durch die Arbeitsmarkt- und Finanzpolitik. Am Ende Ihres Antrags verweisen Sie auch noch auf Zeitarbeit und missbräuchliche Werkverträge. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Genau!) Dieses Themas nehmen wir uns an; es steht im Koalitionsvertrag und wird von uns bearbeitet. Allerdings wollen wir das für die Wirtschaft und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in gleichem Maße machen. Wir haben ein Interesse an Wachstum und Beschäftigung. Dies wollen wir in unserem Land fördern. Das unterscheidet uns von Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Zusammengefasst entspricht Ihr Antrag nicht den Kriterien eines ausgewogenen Verhältnisses zur Realität. Schließlich verfügen wir mit dem Teilzeit- und Befristungsgesetz über einen vernünftigen Rechtsrahmen, der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie Arbeitgebern gleichermaßen gerecht wird. Missbräuchliches Verhalten wird durch die Rechtsprechung bekämpft. Den vereinzelten Unternehmen, die überproportional viele befristete Arbeitsverträge schließen, sei aber auch gesagt, dass sie damit Forderungen nach einer Änderung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes Vorschub leisten, möglicherweise zulasten der vielen Betriebe, die im Sinne des Gesetzes handeln. Ausschlaggebend und von überwiegender Bedeutung ist für mich jedoch, dass Befristungen eine wichtige Brückenfunktion für die Übernahme in unbefristete Beschäftigung haben. Dass Sie diese Brücken einreißen, werden wir nicht mitmachen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Jutta Krellmann, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jutta Krellmann (DIE LINKE): Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Hiller-Ohm, ich finde es klasse, dass wir heute wieder über unseren Antrag zur Abschaffung von Befristungen ohne Sachgrund und von Kettenbefristungen reden. (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Das habe ich mir gedacht!) Ich weiß gar nicht, welche Probleme Sie damit haben. Ich finde das toll! (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Ich habe keine Probleme damit!) Im Grunde ist es so: Arbeitgeber missbrauchen mittlerweile genau diese Befristungen als arbeitsmarktpolitisches Instrument gnadenlos für Lohndumping und Behinderung von Mitbestimmung und Betriebsratsarbeit; das wissen Sie eigentlich ganz genau. Sachgrundlose Befristungen sind dabei nur die Spitze des Eisberges. Die Auswahl für Arbeitgeber ist nahezu unendlich: Leiharbeit, Werkverträge, Ausgliederungen usw. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben keine Wahl: Entweder sie akzeptieren die Befristung im Arbeitsvertrag, oder sie kriegen das Arbeitsverhältnis nicht. Andere Chancen haben sie an dieser Stelle doch nicht. Zum Thema Befristungen schweigt die Bundesregierung leider seit Jahren. Weil von der Regierungsbank rein gar nichts in Richtung einer Verbesserung für die Beschäftigten kommt, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Unglaublich, Regierungsbank!) werden wir als Opposition nicht aufhören, diesen Antrag immer wieder zu stellen – und wenn er Ihnen aus den Ohren rauskommt! (Beifall bei der LINKEN) Im letzten Jahr wurde jeder vierte Beschäftigte unter 25 Jahren mit einem befristeten Arbeitsvertrag abgespeist. Da lockt die Bundesregierung junge Beschäftigte erst verbal mit der Möhre „Fachkräftemangel“, und dann lässt sie sie über die Klinge der Befristung springen. Das geht doch alles gar nicht, was da gemacht wird! (Beifall bei der LINKEN) Stellen Sie sich einmal vor, es geht um Ihre Kinder. Was wird aus deren Lebensplanung? Was wird aus einer eigenen Wohnung? Was wird möglicherweise aus Enkeln, die auch in die Welt gesetzt werden müssen? (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) Der jungen Generation wird die Möglichkeit der Beteiligung an betrieblicher Mitbestimmung und an der Gestaltung menschenwürdiger Arbeit regelrecht vorenthalten, und das alles mit Zustimmung dieser Regierung. Wenn ich das mitbekomme, kommt mir persönlich immer wieder die Galle hoch. Kettenbefristungen setzen diesem Befristungswahn noch die Krone auf. Dutzende Arbeitsverträge, immer für den gleichen Arbeitsplatz, immer befristet, und das über einen Zeitraum von Jahren oder teilweise sogar von Jahrzehnten: Das ist nicht unsere Vorstellung von guter Arbeit und gutem Leben. Damit muss endlich Schluss sein. (Beifall bei der LINKEN) Ich persönlich werde mich so lange wiederholen, Frau Hiller-Ohm, bis es allen hier aus den Ohren rauskommt und bis es endlich gerade auch für die junge Generation die Möglichkeit gibt, aus dieser schrecklichen Situation herauszukommen. Für die Qualität von Arbeit ist entscheidend, ob ein Arbeitsvertrag befristet ist oder nicht. Befristet Beschäftigte haben Angst vor dem Verlust ihrer Arbeit. Sie schleppen sich krank zur Arbeit und halten bei Missständen im eigenen Betrieb die Klappe. Sie wehren sich nicht gegen Ungerechtigkeiten und beteiligen sich nicht an Warnstreiks. Befristet Beschäftigte werden ihre Arbeitnehmerrechte niemals ganz nutzen. Ich finde, es ist ein Armutszeugnis für ein Land wie die Bundesrepublik, dass sich an dieser Stelle ganz einfach nichts tut, und das seit 1985, weil es davor keine Befristung ohne Sachgrund gab, Herr Oellers. Das war einfach so, und die Wirtschaft hat trotzdem funktioniert. (Beifall bei der LINKEN) Das zeigt für mich einmal mehr, auf wessen Kosten in unserem Land Reichtum entsteht. Mit dieser Meinung stehen wir nicht alleine, sondern ganz viele Beschäftigte sehen das ganz genauso, und auch viele Gewerkschaften haben damit ein Riesenproblem, wenn sie sehen, was hier passiert. Sie können auch ein Lied davon singen, was befristete Arbeitsplätze für die Mitbestimmung, die Gewerkschaftsfreiheit und die demokratische Beteiligung bedeuten. Bei Amazon in Brieselang in Brandenburg beispielsweise arbeiten über 1000 Beschäftigte. Der Befristungsgrad beträgt 80 Prozent. 80 Prozent der Beschäftigten haben einen befristeten Arbeitsvertrag. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Für die Statistiker!) Das ist nur ein Betrieb. Hier findet doch Missbrauch statt. Das ist überhaupt nicht in Ordnung. Es geht hier doch nicht um Auftragsspitzen, von denen da geredet wird. (Beifall bei der LINKEN – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Kann man nichts machen! Das ist halt so! Gottgegeben!) Im Grunde genommen ist es Wahnsinn, dass so viele Menschen nur ein befristetes Arbeitsverhältnis erhalten. Die sachgrundlose Befristung wird bei Amazon als systematisches Mittel gegen Gewerkschaften, gegen Betriebsräte und gegen die Belegschaft genutzt. Vizepräsident Peter Hintze: Die Zeit. Jutta Krellmann (DIE LINKE): Danke für den Hinweis. Vizepräsident Peter Hintze: Das war eigentlich kein Hinweis. – Frau Kollegin, im Europäischen Parlament wird das Mikrofon nach Ende der Redezeit automatisch abgestellt. Damit hätten die letzten 35 Sekunden von Ihnen gar nicht mehr gehört werden können. Es wäre also nett, wenn Sie jetzt zum Schluss kommen würden. Jutta Krellmann (DIE LINKE): Danke für den Hinweis; ich komme zum Schluss. – Die SPD hat die Chance, unserem Antrag jetzt zuzustimmen. Vielleicht können wir über diesen Weg eine Mehrheit über die Koalition hinweg herstellen. In Richtung CDU mag ich gar nicht schauen. (Katja Mast [SPD]: Frau Krellmann, Sie wissen nicht, was im Koalitionsvertrag steht! – Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Wäre das Mikrofon mal ausgestellt worden!) Sie haben jetzt die Chance. Nutzen Sie sie, stimmen Sie unserem Antrag zu, damit wir an dieser Stelle endlich einmal vorankommen! Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Markus Paschke, SPD-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der SPD) Markus Paschke (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hier im Parlament gilt es, Rahmenbedingungen zu setzten, Rahmenbedingungen für einen Ausgleich zwischen der notwendigen Flexibilität für Unternehmen und der ebenso notwendigen Sicherheit für die Menschen. Dazu gehört immer auch eine Überprüfung, ob die bisherigen Gesetze dem politischen Willen entsprechend angewandt werden. Wir sollten uns dabei die Frage stellen: Erzielt das Gesetz die gewollte Wirkung, oder werden Lücken genutzt, die negative Folgen für unsere Gesellschaft haben? Als ich den Antrag „Kettenbefristungen abschaffen“ gelesen habe, habe ich gedacht: Na, den kennst du doch. Und richtig: Der Antrag ist inhaltlich zu 95 Prozent deckungsgleich mit dem Antrag „Das unbefristete Arbeitsverhältnis zur Regel machen“, den wir im letzten Jahr hier diskutiert haben. (Ulli Nissen [SPD], an die LINKE gewandt: Hätten Sie einmal ein bisschen mehr in die Bearbeitung stecken sollen! Das Datum war das Einzige, was anders war! – Gegenruf der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE]: Der Unterschied ist, wir wollen die Verhältnisse ändern, Sie wollen den Text ändern!) In Ihrem Antrag bezeichnen Sie die Befristung als zentrales Merkmal für Qualität oder Nichtqualität von Arbeit. Zu guter Arbeit gehört aber viel mehr. Die Frage der Beschäftigungsform ist wichtig, ja, aber sie ist nicht das zentrale Qualitätskriterium. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Wie war denn die Umfrage bei der IG Metall?) Es würde aber auch heute den Rahmen meiner Redezeit sprengen, wenn ich jetzt hier erschöpfend alle Merkmale guter Arbeit erklären wollte. Zusammenfassend möchte ich zu dem Antrag eines feststellen: Es ist nicht alles falsch, was da drinsteht. Ich habe im letzten Jahr, als wir hier über dieses Thema gesprochen haben, von Keno berichtet, der Mitte 30 war, bevor er das erste Mal einen unbefristeten Arbeitsvertrag hatte. Ich will heute einmal einen anderen Aspekt in die Diskussion einbringen, denn ich denke, man muss auch ein bisschen Abwechslung bringen. (Beifall bei der SPD) Ich spreche regelmäßig mit Arbeitnehmern und Unternehmern und stelle fest, dass es zurzeit sehr viel Bewegung auf beiden Seiten gibt. Letztens habe ich zum ersten Mal einen richtig sprachlosen Arbeitgeber erlebt. Er hatte eine Bewerberin im Vorstellungsgespräch, die richtig gut qualifiziert war und ideal auf die Stelle gepasst hätte. Sie hat aber zu ihm gesagt: Ich bin nur bereit, hier erst einmal einen befristeten Arbeitsvertrag abzuschließen. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Dieses eine Beispiel gegen hundert andere!) Sie hat das auch begründet. Sie begründete ihre Entscheidung nämlich damit, dass sie erst einmal sehen wollte, wie im Unternehmen die Vereinbarkeit von Familie gelebt wird. Sie wollte wissen, wie das Betriebsklima ist und welche Entwicklungsperspektiven sie hat. Diese junge Frau ist eine Arbeitnehmerin, die überhaupt nicht in die Zielgruppe passt, für die dieser Antrag geschrieben wurde, die aber trotzdem betroffen gewesen wäre. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Die kann dann kündigen, wenn sie muss!) Sie entwerfen in Ihrem Antrag nämlich das Bild, dass alle Arbeitnehmer ohne Hilfe in absoluter Wehrlosigkeit verharren. Das ist eine Verallgemeinerung, die der Sache und vor allem den Menschen nicht gerecht wird. (Beifall bei der SPD) Klaus Ernst hat die Lage eines Teils der Betroffenen zutreffend beschrieben. Aber das gerade von mir genannte Beispiel zeigt, dass die Lebenswirklichkeit nicht eindimensional betrachtet werden kann, dass es sehr viele unterschiedliche Entwürfe für das Leben gibt. Vizepräsident Peter Hintze: Herr Kollege, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage von Frau Vogler. Wollen Sie die zulassen? Markus Paschke (SPD): Nein, heute nicht. Vizepräsident Peter Hintze: Sie wollen weitersprechen. Markus Paschke (SPD): Ich bin davon überzeugt, dass wir der Vielfalt der Bedürfnisse der Menschen in unserem Land entsprechen müssen. Das können wir aber nicht, indem wir ein Korsett schaffen, das allen die Luft zum Atmen nimmt, sondern wir müssen Rahmenbedingungen schaffen, die Missbrauch und das Ausnutzen von Menschen verhindern. Es ist kein Geheimnis, dass meine Fraktion und ich die berechtigte Kritik an der exzessiven Nutzung sachgrundloser Befristung teilen. Planungssicherheit – egal ob privat oder beruflich – ist mit befristeten Arbeitsverhältnissen nicht zu haben. Es gibt Menschen, die wollen und brauchen Sicherheit, zum Beispiel um eine Familie zu gründen. Andere wollen sich derzeit nicht langfristig binden. Aber auch denen würden wir die Chancen nehmen, wenn wir Ihren Antrag so umsetzen, wie er geschrieben ist. Viele wichtige und lange geforderte Verbesserungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben wir bereits in den ersten zwei Jahren unserer Regierungszeit erreicht: die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns, die Rente ab 63, die Beendigung der Generation Praktikum, Verbesserung bei der Gleichstellung von Mann und Frau, um nur einige Beispiele zu nennen. Wir ruhen uns auf dem bisher Erreichten nicht aus. Noch in diesem Jahr werden wir den Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Missbrauch bei Werkverträgen und Leiharbeit vorlegen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glauben wir erst, wenn was vorliegt!) Das alles und noch viel mehr haben wir mit unserem Koalitionspartner vereinbart. Große Ziele erfordern aber auch Kompromisse. Fakt ist: Mit unserer Forderung nach Abschaffung der sachgrundlosen Befristung haben wir uns bei unserem Koalitionspartner bedauerlicherweise nicht durchgesetzt. Aber da wir uns darauf verständigt haben, diesen Koalitionsvertrag vier Jahre lang zu leben und die darin vereinbarten Dinge umzusetzen, werden wir heute leider auch gegen die richtigen Teile dieses Antrags stimmen müssen. Danke schön. (Beifall bei der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was sagt deine Gewerkschaft dazu? – Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt mal ein bisschen Pfeffer hier!) Vizepräsident Peter Hintze: Danke schön. – Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Dr. Thomas Gambke, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin bei der Debatte ein bisschen versucht, an den chinesischen Dreisatz, den ich aus der Wirtschaft kenne, zu denken: Die einen fordern 10, die anderen sagen 0, und man trifft sich irgendwo bei 1 oder 2. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Wir haben doch keine Koalition mit denen! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Wir sind nicht auf dem Jahrmarkt!) Lassen Sie mich einmal über die 1 oder 2 reden. Erstens. Herr Oellers, Sie haben beim Thema „sachgrundlose Befristung“ einfach gesagt, es gebe gar keinen Missbrauch, wir brauchten nichts zu tun, die Gerichte regelten schon alles. (Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Das habe ich nicht gesagt!) Sachgrundlose Befristungen gehören abgeschafft – Punkt! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Zweitens. Wir müssen uns den Katalog der Sachgründe sehr genau anschauen und da etwas tun. Dass bei der sachgrundlosen Befristung Missbrauch passiert, den man gesetzlich in den Blick nehmen muss, lasse ich mir nicht ausreden, auch nicht angesichts Ihrer Ausführungen zum Lobe der Gerichte. Aber wir müssen auch die Wirklichkeit sehen. Die Wirklichkeit ist zweigeteilt. Ich bin Mittelstandsbeauftragter meiner Fraktion (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das ist ein Widerspruch in sich!) und bin viel unterwegs. Da sehe ich Betriebe mit Mitarbeitern mit durchschnittlichen Betriebszugehörigkeiten von 10 oder 13 Jahren. Genau das sind die erfolgreichen Betriebe. Es stimmt ja: Eine gute Personalpolitik mit unbefristet beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ist erfolgreich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Aber wir können die Augen nicht davor verschließen, dass es verschiedene Gründe für Befristungen gibt. Herr Ernst, wie lange sind Sie im Bundestag? Seit 2005, wie ich gerade nachgesehen habe. Ich gehe einmal davon aus, dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Ihrem Büro einen unbefristeten Arbeitsvertrag haben. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Genauso lange, wie ich ihn habe! – Katja Kipping [DIE LINKE]: Bis zum Ende der Wahlperiode!) – Genau das ist der Punkt. Was ist, wenn man nach zwei Wahlperioden eine dritte Periode mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern antreten will? Na also. Wir müssen uns die Gründe für die Befristungen schon angucken, (Katja Mast [SPD]: Sachgrundlose Befristungen!) die übrigens oft auch sozialpolitischer Art sind. Ich meine Instrumente wie Mutterschutz und Elternzeit, die Befristungen notwendig machen. Da ist es schon richtig, sich darüber Gedanken zu machen, wie man mit den damit bewirkten Unsicherheiten am Arbeitsplatz umgeht. (Zuruf von der LINKEN: Wie machen Sie das denn? Unbefristete Jobs?) – Unbefristete Mitarbeiterverträge habe auch ich nicht. Deshalb sage ich: Wir müssen uns darum kümmern, wie wir diese Unsicherheiten auffangen. Im gesamten kreativen Bereich und bei vielen Projekten im karitativen Bereich gibt es immer wieder Befristungen, die eben durch die Sache begründet sind und bei denen man sich in der Tat fragen muss: Wie geht man damit um? Herr Oellers, die Lebenswirklichkeit ist nun einmal so, dass viele Menschen vor einer Familienplanung, dem Kauf einer Wohnung oder eines Hauses immer wieder zurückschrecken, weil eben durch die Befristungen Unsicherheiten am Arbeitsplatz gegeben sind. Es ist sicher richtig, sich damit zu befassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich glaube, dass es deshalb notwendig ist, sich über die Instrumente, wie man mit diesen Unsicherheiten umgeht, Gedanken zu machen. Das kann nicht allein in der Frage liegen: Will man Kettenarbeitsverträge zulassen? Vielmehr geht es auch um die Art, wie man sie ausgestaltet. Vizepräsident Peter Hintze: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Oellers? Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bitte sehr. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Oellers, lassen Sie es lieber! Das geht nicht gut für Sie aus! – Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Wilfried Oellers (CDU/CSU): Das habe ich gehört. Zu gegebener Zeit werden wir auch darüber sprechen. Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich musste mich jetzt doch noch einmal zu Wort melden. Vielleicht können Sie mir eine Frage beantworten, nämlich an welcher Stelle ich in meiner Rede heute von sachgrundloser Befristung gesprochen habe. Ich nehme die Antwort vorweg: Das habe ich nicht. Sie können das im Protokoll nachlesen. Aber sagen Sie mir bitte, wo ich das Ihrer Ansicht nach gemacht habe. Erlauben Sie mir des Weiteren eine kurze Anmerkung, was die sachgrundlose Befristung als solche betrifft. Wenn Sie mich schon darauf ansprechen, darf ich auf die Ausführungen von Uwe Lagosky verweisen. Die sachgrundlose Befristung ist nun einmal gesetzlich eingeschränkt. Ich denke, dass man bei einer Höchstdauer von zwei Jahren auch ausnahmsweise einen befristeten Arbeitsvertrag ohne Sachgrund abschließen kann. Darüber hinaus haben Sie gerade die Planungssicherheit für junge Menschen angesprochen. Vielleicht können Sie dazu noch etwas sagen. Ich bin da grundsätzlich voll bei Ihnen. Ich habe auch in meinen Ausführungen abschließend gesagt: Wünschenswert wäre immer das unbefristete Arbeitsverhältnis. Ich will auch Missbrauch gar nicht in Abrede stellen. Den gibt es sicherlich auch; dafür sind die Gerichte zuständig. Aber man muss auch zur Kenntnis nehmen – ich weiß nicht, ob Sie das getan haben; vielleicht können Sie das bestätigen –, dass, wie ich eben geschildert habe, der Anteil der befristeten Arbeitsverhältnisse mit zunehmendem Alter abnimmt. Das widerspricht meiner Ansicht nach Ihrer Aussage. Vielleicht könnten Sie dazu noch etwas sagen. Danke schön. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank für diese Fragen, die mir Anlass geben würden, meine Redezeit noch vier Minuten zu verlängern, was ich nicht tue, Herr Präsident. Ich will aber zwei Dinge sagen, die ich als Zusammenfassung Ihrer Rede sehr gut verstanden habe. Erstens haben Sie gesagt: Es gibt keinen Regelungsbedarf, sondern wir haben Gerichte, die Missbrauch verhindern. (Wilfried Oellers [CDU/CSU]: So ist es!) Das stelle ich in Abrede, und genau das habe ich gemeint, als ich Sie vorhin zitiert habe. Zweitens haben Sie in der Art und Weise, wie Sie die Situation darstellen – nämlich dass es zwar im Einzelfall, aber eben nur im Einzelfall, Probleme gebe –, die Lebenswirklichkeit der Menschen nicht getroffen. Diese sieht in der Tat so aus, dass die Unsicherheiten zunehmen. Das mag meine subjektive, im Verlauf der letzten 20 Jahre erworbene Erfahrung sein, aber diese Erfahrung wird auch durch die Zunahme der befristeten Arbeitsverhältnisse vor allem im Dienstleistungsbereich und im kreativen Bereich belegt. Insofern glaube ich, dass wir mehr tun müssen, als auf die Kraft der Gerichte zu vertrauen, und gesetzliche Regelungen brauchen. Genau das war meine Aussage. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wiederhole: Sachgrundlose Befristungen müssen abgeschafft werden, wir müssen uns mit dem Katalog befassen, und wir müssen uns darüber Gedanken machen – das lassen Ihre Anträge im Grunde genommen völlig offen; darin halte ich sie für substanzlos –, welches die richtigen Instrumente sind. Es ist kein richtiges Instrument, einfach nur zu sagen: Wir wollen nur noch Befristungen zulassen, die höchstens zweimal aufeinanderfolgen. Dann müssen wir uns vielmehr fragen, wie wir eine Abfederung der notwendigen Befristungen im sozialen Bereich gestalten. Das kann zum Beispiel dadurch erfolgen, dass man sich Gedanken darüber macht, welche nachträglichen Verpflichtungen ein Arbeitgeber bei einer Befristung hätte, wenn er mehr als zwei Befristungen aussprechen muss. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Apropos Befristung. (Heiterkeit) Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich danke für die Aufmerksamkeit und Ihnen, Herr Präsident, für Ihre Geduld. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Matthäus Strebl, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Matthäus Strebl (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Schlagzeilen über die Postbotin aus Wittenburg, die über 17 Jahre befristete Arbeitsverträge hatte, haben wir alle noch in guter Erinnerung. (Ulli Nissen [SPD]: In guter?) Sie hat innerhalb von 17 Jahren 88 befristete Arbeitsverträge erhalten. Dieser Fall sorgte bei allen Parteien für Unverständnis und Ärger. Dieses missbräuchliche Verhalten entspricht nicht unseren Positionen und Grundsätzen. Die Rechtsprechung hat aber diesen Kettenbefristungen inzwischen Grenzen gesetzt. Heute befassen wir uns erneut mit Anträgen der Fraktion Die Linke zu befristeten Arbeitsverträgen, darunter der Antrag „Das unbefristete Arbeitsverhältnis zur Regel machen“. Wenn man sich die aktuellen und auch die vergangenen Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung anschaut, dann kann man zweifelsfrei feststellen, dass befristete bzw. atypische Arbeitsverhältnisse die Ausnahme darstellen. Nach einer Studie des IAB lag 2014 der Anteil der befristeten Arbeitsverträge in Deutschland bei 6,9 Prozent. Das bedeutet umgekehrt, dass weit über 90 Prozent aller Arbeitsverträge unbefristet sind. Aufgrund dieser Zahlen werden Sie mir doch zustimmen, dass befristete Arbeitsverträge tatsächlich eher eine Ausnahme sind. Befristete Beschäftigungen sind für viele Unternehmen – so möchte ich behaupten – unverzichtbar. Sie dienen insbesondere dazu, familienbedingte oder temporäre Arbeitszeitreduzierungen auszugleichen. Sachliche Gründe für eine Befristung können entstehen, wenn Eltern- oder Pflegezeiten, Zeiten des Mutterschutzes oder Erkrankungen kompensiert werden müssen. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das hat Herr Ernst schon alles vorgetragen! Das akzeptieren wir auch!) Der Arbeitnehmer kann wie in jedem anderen Arbeitsverhältnis seine Fähigkeiten erweitern, sich im Betrieb einsetzen und dadurch mit seinen Kenntnissen überzeugen. Eine Übernahme in ein unbefristetes Verhältnis ist nicht garantiert. Aber selbstverständlich kann sich der Arbeitnehmer im Unternehmen bewähren. 2014 lag die Übernahmequote bei befristet Beschäftigten bei 37,5 Prozent. Natürlich wünsche ich mir, dass sich diese Quote steigern lässt. Selbstverständlich halte auch ich unbefristete Arbeitsverhältnisse für Arbeitnehmer als sicherer. Dennoch dürfen wir nicht vergessen, dass befristete Arbeitsverträge auch dazu dienen können, Arbeitslosigkeit zu beenden. In Deutschland gibt es trotz des Erfolgsmodells der dualen Ausbildung Menschen ohne Ausbildung. Zudem können Hochschulabsolventen ohne Berufserfahrung erste Erkenntnisse erwerben und Unternehmensstrukturen kennenlernen. Befristete Arbeitsverträge erhöhen die Einstellungsmöglichkeiten für diese Beschäftigten. Deshalb halte ich befristete Arbeitsverhältnisse für ein wichtiges arbeitsmarktpolitisches Instrument, das nicht nur Unternehmen und dem öffentlichen Dienst dient. Ich sehe die Gefahr, dass die von Ihnen geforderte Abschaffung der sachgrundlosen Befristung viele Arbeitgeber zögern lassen wird, Beschäftigte mit unterbrochenen Erwerbsbiografien einzustellen. Zudem fordern Sie, den Gesetzestext so zu ändern, dass § 14 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes ausschließlich abschließend Gründe auflistet. Ich möchte hervorheben, dass der nicht abschließende Katalog in § 14 keine unbegrenzte Öffnung für weitere Befristungen darstellt. Jeder Grund für eine Befristung muss sachlich gerechtfertigt sein. In Ihrem Antrag kritisieren Sie, dass besonders junge Menschen von befristeten Arbeitsverträgen betroffen sind. Hierbei übersehen Sie jedoch, dass insbesondere in der Altersgruppe der 15- bis unter 25-jährigen Beschäftigten auch Ausbildungsverhältnisse mitgezählt wurden. Zudem argumentieren Sie – ich zitiere aus Ihrem Antrag –: Für die Qualität von Arbeit ist es entscheidend, ob ein Arbeitsvertrag befristet ist oder nicht. Damit unterstellen Sie allen befristet eingestellten Beschäftigten, dass sie nicht so gut arbeiten wie unbefristet eingestellte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Was ist das denn? Das ist absurd!) Vizepräsident Peter Hintze: Herr Kollege, Frau Kollegin Krellmann möchte eine Zwischenfrage stellen. Wenn Sie den nächsten Satz Ihrer Rede noch zu Ende sprechen, können Sie überlegen, ob Sie diese Zwischenfrage zulassen wollen. Matthäus Strebl (CDU/CSU): Herr Präsident, ich will gerne zusammenhängend vortragen. Vizepräsident Peter Hintze: Okay. Matthäus Strebl (CDU/CSU): Diese Unterstellung möchte ich als Mitglied der CDU/CSU-Arbeitnehmergruppe entschieden zurückweisen. Die Qualität einer Arbeitsleistung hängt keineswegs davon ab, ob das Arbeitsverhältnis befristet oder unbefristet ist. Ich möchte noch einmal betonen, dass ich Arbeitsverträge mit unterschiedlichen Befristungsmöglichkeiten für ein notwendiges arbeitsmarktrechtliches Instrument halte. Als Mitglieder des Bundestages, unabhängig welcher Partei wir angehören, haben wir die Verpflichtung, zwischen den Interessen der Arbeitnehmer und der Unternehmen genau abzuwägen. Arbeitnehmer haben ein Interesse daran, dass ihre Arbeitsplätze sicher sind und ihre Leistung dauerhaft gewünscht ist. Unternehmer hingegen müssen flexibel auf wirtschaftliche und marktbedingte Veränderungen reagieren können. Somit können auch Wettbewerbsnachteile für deutsche Unternehmen verhindert werden. Ein gesetzliches Verbot von befristeten Verträgen könnte ohne Frage erhebliche Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben. Beiden Parteien werden damit im Sinne der Privatautonomie Rahmenbedingungen für ihre Verträge gesetzt. Arbeitnehmer und Unternehmer können sich auf die gesetzlichen Vorschriften berufen und diese auf dem Rechtsweg geltend machen. Die bestehenden gesetzlichen Vorschriften haben sich in der Praxis bewährt. In der heutigen Debatte ist es schon gesagt worden: Gerade wegen der guten konjunkturellen Entwicklung ist der Anteil der befristeten Arbeitsverträge zurückgedrängt worden. Deshalb lehnen wir den Antrag der Fraktion Die Linke ab. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Bärbel Bas [SPD]) Vizepräsident Peter Hintze: Herzlichen Dank. – Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Bernd Rützel, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Bernd Rützel (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Linke fordert, dass das unbefristete Arbeitsverhältnis zur Regel wird. Gabi Hiller-Ohm hat es schon festgestellt: Gott sei Dank ist das unbefristete Arbeitsverhältnis die Regel – 90 Prozent aller Arbeitsverhältnisse sind unbefristet. Aber ich will schon sagen, dass 90 Prozent nicht automatisch eine hohe Qualität bedeutet. Wenn 90 Prozent aller Flugzeuge sicher landen oder 90 Prozent aller Operationen gelingen, dann möchte ich nicht mehr fliegen und auch nicht mehr krank werden. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Ich erinnere mich an einen Spruch auf einem Schild im Klassenzimmer der dritten Klasse in meiner Grundschule in Rieneck. Darauf stand: „Feuer, Gas und Wasser sind drei gute Diener, aber drei schlimme Herren.“ Heute, 40 Jahre später, müsste man sagen: Befristete Arbeitsverhältnisse, Leiharbeit und Werkverträge sind drei gute Diener, aber drei schlimme Herren. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Befristung in der Beschäftigung nimmt zu, gerade bei jungen Menschen, und das schadet ihnen und unserer gesamten Gesellschaft. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Eine sachgrundlose Befristung verbaut Lebenschancen. Beschäftigten wird eine langjährige Perspektive verweigert. Heute früh, vor zwei Stunden, hat die Kanzlerin auch zur Nachhaltigkeit, zur internationalen Zusammenarbeit gesprochen. In Artikel 23 der Charta der Menschenrechte steht – ich habe es noch einmal nachgelesen –, dass jeder das Recht auf „befriedigende Arbeitsbedingungen“ und „Schutz vor Arbeitslosigkeit“ hat. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Ein wichtiges Argument!) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer brauchen ein Mindestmaß an Sicherheit, um eine Familie zu gründen, um sich gesellschaftlich zu engagieren. Durch die befristeten Jobs wird eine fundierte Lebensplanung eben behindert. Wenn junge Menschen ein Haus bauen wollen oder eine Wohnung kaufen wollen und zur Bank gehen, um einen Kredit aufzunehmen, dann werden sie gefragt: Was haben Sie denn für Sicherheiten? Wer dann antwortet: „Ich habe noch sechs Monate einen befristeten Arbeitsplatz“, dem helfen auch die momentan günstigen Zinsen nichts. Ständig stecken junge Leute in einer erneuten Bewerbungsphase, statt sich auf ihre Arbeit konzentrieren zu können. Nur wer ein sicheres Arbeitsverhältnis hat, kann gute Arbeitsergebnisse abliefern. Wie singt Herbert Grönemeyer – ich bin ein Herbert-Grönemeyer-Fan-: (Beifall der Abg. Katja Mast [SPD]) – da ist noch ein Grönemeyer-Fan –: „Angst stellt ruhig, Angst kriegt klein“. Das, glaube ich, brauchen wir nicht. Wir brauchen, um die Zukunftsherausforderungen zu bewältigen, selbstbewusste und gute Mitarbeiter, die anpacken, die sich in ihrem Job bestätigt fühlen. Wer als Unternehmer ein gutes Geschäftsmodell hat, der stellt diese Leute auch unbefristet und auf Dauer ein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was folgt jetzt daraus?) Die Probezeit wird oft als Argument verwendet, um befristete Arbeitsverträge zu machen. Das ist eine Hintertür. Wir haben das heute schon oft gehört. Der Kündigungsschutz wird geschleift. Ich bin mit meiner Partei und meiner Fraktion einig darin, dass die sachgrundlose Befristung abgeschafft werden muss. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Bevor die Frage „Warum tut ihr das nicht?“ kommt, sage ich: Im geltenden Koalitionsvertrag – auch das ist heute schon besprochen worden – konnten wir eine Abschaffung der sachgrundlosen Befristung leider nicht vereinbaren. Das war nicht zu machen. Ich sehe überall Zustimmung, auch in Teilen der Union. Die CDA hat einen Antrag auf Ihrem Bundesparteitag gestellt. Es ist schade, dass es nicht geklappt hat. Wir haben noch zwei Jahre Zeit. Vielleicht können wir noch einmal darüber reden. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Reden können wir über alles! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Es ist die Frage, was wir tun!) – Reden können wir über alles; ich komme auf Sie zurück. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber das nützt nichts! – Gegenruf der Abg. Ulli Nissen [SPD]: Dann kommt es ins Protokoll! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Reden können wir über alles, immer!) Ich will zur Ehrenrettung aber schon sagen – jetzt hört Herr Kauder nicht mehr zu –, dass wir gemeinsam eine Menge erreicht haben. Wir – die SPD, die CDU, die CSU und die Grünen – haben den Mindestlohn eingeführt. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!) Das war notwendig. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das reicht nicht, Herr Kollege!) Ich glaube, Sie von der Linken ärgern sich ewig, dass Sie dem Mindestlohn nicht zugestimmt haben. (Beifall bei der SPD) Es ist gut, dass der Mindestlohn gerade jetzt gilt, wo auch die Flüchtlinge zu uns kommen. Andere Themen sind angesprochen worden. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, auch im Bereich des Wissenschaftsbetriebs führen wir Verbesserungen herbei. Die Qualifizierungsbefristung muss für die Dauer der Qualifizierung gelten. Wenn eine Qualifizierung drei Jahre dauert, dann muss auch der Arbeitsvertrag drei Jahre gelten. Das ist eine Menge. Ich glaube, das war in diesem Monat im Kabinett. Es sind verschiedene Bausteine, die zur Bekämpfung prekärer Beschäftigung notwendig sind. Man kann nicht das eine tun und das andere lassen. So warnt zum Beispiel das heute schon zitierte IAB, das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit, dass eine Abschaffung der sachgrundlosen Befristung dazu führen kann, dass auf andere Formen wie Leiharbeit oder freie Mitarbeit ausgewichen wird. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Muss man regeln!) – Genau, das muss man regeln, Klaus; ich bin da bei dir. Von daher haben wir das auch vor. Das ist bekannt. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das wissen wir!) Wir sind mitten in den Gesprächen zu Leiharbeit und Werkverträgen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann kommt das denn?) Sie werden es bald erleben, dass wir die Leiharbeit auf ihre Funktion zurückführen, (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann kommt denn der Gesetzentwurf?) nämlich nicht Herr zu sein, sondern Diener, wie es in meiner dritten Klasse auf dem Schild stand. Auch die Werkverträge werden wir wieder auf ein vernünftiges Maß zurückführen. Dazu werden wir das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz an die aktuellen Entwicklungen anpassen. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren, es gibt in dieser Koalition noch genug zu tun. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) Wir haben bisher schon viel erreicht. Wir packen das auch weiterhin intensiv an. Auf diese Arbeit freue ich mich, und dazu lade ich alle ganz herzlich ein. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Zu einer Kurzintervention erteile ich der Abgeordneten Krellmann noch einmal das Wort. Jutta Krellmann (DIE LINKE): Vielen Dank, dass Sie mir noch einmal das Wort geben. – Ich muss sagen: Der Kollege Bernd Rützel (Ulli Nissen [SPD]: Das war klasse, oder?) hat mein Verständnis von der SPD wieder geradegerückt. Nach den anderen SPD-Rednern war ich ein bisschen am Zweifeln. (Beifall bei der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: Na, na, na! Das müssen wir doch bestreiten!) Im Grunde wollte ich gerne etwas zu Herrn Strebl sagen. Es ist ausdrücklich so, dass Ausbildungsverhältnisse nicht in den Statistiken enthalten sind, davon ausgenommen sind. Um Ausbildungsverhältnisse geht es auch nicht, wenn wir über sachgrundlose Befristungen reden. Das muss man einfach klarstellen, und das wollte ich klarstellen. Ansonsten, Herr Strebl: Arbeitgeber haben die Möglichkeit, bei Arbeitsverhältnissen eine Probezeit von einem halben Jahr zu vereinbaren. In dieser Probezeit kann ein Arbeitsverhältnis ohne Angabe von Gründen gekündigt werden; nur die Kündigungsfrist muss eingehalten werden. Das heißt mit anderen Worten: Jeder Arbeitgeber hat die Chance, bis zu einem halben Jahr zu überprüfen, ob ein Arbeitnehmer in Ordnung ist oder nicht. Ich persönlich kenne wenige Arbeitsplätze, bei denen es notwendig wäre, einen Arbeitnehmer über einen noch längeren Zeitraum zu beurteilen, um sagen zu können, ob er gut oder schlecht ist. Deswegen braucht man die sachgrundlose Befristung einfach nicht. Und ein Arbeitsverhältnis an dieser Stelle auf zwei Jahre zu befristen, geht einfach nicht; das ist völlig überflüssig. Wenn so etwas doch passiert, und jemand sagt, dass er das braucht, dann würde ich sagen: Mensch, das ist aber eine faule Personalabteilung; das hätte die alles schon viel früher sehen und beurteilen können. (Beifall bei der LINKEN) Beschäftigte sind keine Beamten. Und auch wenn sie ein unbefristetes Arbeitsverhältnis haben, heißt das nicht, dass sie bis zu ihrem Lebensende in einem Betrieb beschäftigt sind, sondern auch dann gibt es immer die Möglichkeit, Kündigungen auszusprechen. Das alles ist eigentlich sauber geregelt. Das hat bis 1985 immer gut funktioniert. Seitdem ist das anders. Ich meine, solche Befristungen sind heute nicht nötig; das ist Missbrauch, insbesondere gegenüber der jungen Generation, die davon besonders betroffen ist. Wenn man sagt, dass so viele ein unbefristetes Arbeitsverhältnis haben, dann ist das ja okay. Aber schauen Sie sich einmal die Situation der unter 25-Jährigen an! Da liegt doch das Problem. Die jungen Leute bekommen keine Chance. Deswegen ist unser Antrag notwendig. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Gibt es Reaktionsbedarf? – Nicht. – Danke schön. Tagesordnungspunkt 4 a. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/4098 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung beschlossen. Tagesordnungspunkt 4 b. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Das unbefristete Arbeitsverhältnis zur Regel machen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/2783, den Antrag der Fraktion die Linke auf Drucksache 18/1874 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Ausschusses? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c sowie den Zusatzpunkt 3 auf: 5   a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ingbert Liebing, Artur Auernhammer, Norbert Barthle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Bernhard Daldrup, Johannes Kahrs, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Für gleichwertige Lebensverhältnisse – Kommunalfreundliche Politik des Bundes konsequent fortsetzen Drucksache 18/6062 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f) Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss Digitale Agenda b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Kassner, Susanna Karawanskij, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Kommunen von den Kosten für bauliche Maßnahmen an Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen befreien Drucksache 18/3051 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Innenausschuss Haushaltsausschuss c)    Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Kassner, Susanna Karawanskij, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke Verbindliches Mitwirkungsrecht für Kommunen bei der Erarbeitung von Gesetzentwürfen und Verordnungen sowie im Gesetzgebungsverfahren Drucksachen 18/3413, 18/6085 ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Britta Haßelmann, Christian Kühn (Tübingen), Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN Dauerhafte und strukturelle Entlastungen für Kommunen in Not Drucksache 18/6069 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f) Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Es lohnt sich für alle, hierzubleiben; aber diejenigen, die nicht hierbleiben wollen, sollten allfällige Gespräche bitte vor dem Saal führen, damit wir ordnungsgemäß weitermachen können. Auf der Tribüne zu meiner Linken begrüße ich 62 Oberbürgermeister, Landräte und Bürgermeister des Aktionsbündnisses „Für die Würde unserer Städte“ (Beifall) mit ihren Sprechern Frau Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld aus Mülheim und Herrn Oberbürgermeister Peter Jung aus Wuppertal. (Beifall – Volker Kauder [CDU/CSU]: Alle aus NRW, oder?) – Um einen Zwischenruf des verehrten Fraktionsvorsitzenden Kauder aufzugreifen: Es sind in der Tat viele Kolleginnen und Kollegen aus NRW, aber auch Kolleginnen und Kollegen aus anderen Ländern dabei. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber da muss es besonders schlimm sein, in NRW!)  Darüber können wir uns ja hinterher in der Debatte miteinander austauschen. (Bernhard Daldrup [SPD]: Darauf kommen wir gleich zurück! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Aus Baden-Württemberg sind keine dabei! Aus Bayern aber auch nicht!) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Als erstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Ingbert Liebing, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Ingbert Liebing (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir führen heute eine Debatte über die Lage der Kommunen in Deutschland, die unter anderem auf die Initiative des Aktionsbündnisses zurückgeht. Es ist gut, dass wir diese Debatte heute führen. Diese Debatte findet vor einem besonderen Hintergrund statt. Denn in diesen Tagen erleben wir wie selten zuvor, wie wichtig leistungsstarke Kommunen sind. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Unsere Städte und Gemeinden stehen mit der Bewältigung der Flüchtlingskrise vor einer besonderen Herausforderung. Und alle leisten einen gewaltigen Kraftakt: die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Verwaltungen der Städte und Gemeinden, die Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister, die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister und die Landrätinnen und Landräte an der Spitze. Viele ehrenamtliche Helferinnen und Helfer organisieren die Aufnahme von Flüchtlingen aus anderen Ländern, die aus Not zu uns kommen, und Hilfe für diese Flüchtlinge. Diese großartige Leistung, dieser Kraftakt, verdient unser aller Dank und Anerkennung. (Beifall im ganzen Hause) In dieser Zeit kommt es ganz besonders auf die Kommunen an. Nicht in Berlin, nicht hier im Deutschen Bundestag, nicht in den Landeshauptstädten, nicht in den Staatskanzleien oder in den Landtagen, sondern vor Ort, in den Städten und Gemeinden, entscheidet es sich, ob wir in der Lage sind, diese Herausforderung tatsächlich in der Praxis zu meistern. Das entscheidet sich in Städten wie Essen, Gelsenkirchen oder Wuppertal oder in kleinen Dörfern wie Seeth oder Boostedt, wo in den Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder inzwischen mehr Flüchtlinge leben als Einheimische im Dorf. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Auch in Passau!) Umso wichtiger ist es, dass wir heute zu klaren Verständigungen zwischen Bund und Ländern kommen; und da geht es um drei Bereiche. Es geht jetzt erstens darum, alle Kräfte zu mobilisieren, um Hilfe zu leisten, und diesen Kraftakt vor Ort zu organisieren, Menschen, die aus Not zu uns kommen, zu helfen. Zweitens gehört aber auch dazu, den Zuzug zu begrenzen; denn – das wissen wir auch – die grenzenlose Fortsetzung dessen, was in den letzten Tagen und Wochen geschehen ist, würde die Städte und Gemeinden restlos überfordern. Drittens geht es auch um finanzielle Hilfe des Bundes. Es ist zugesagt, dass diese Hilfe strukturell und dauerhaft erfolgt. Dies wird sicherlich heute vereinbart werden; da bin ich zuversichtlich. Dies alles, was heute Nachmittag zwischen der Bundesregierung und den Ministerpräsidenten verhandelt und vereinbart wird, liegt im Interesse der Kommunen. Dazu leisten wir unseren Beitrag. Uns liegt die Leistungsfähigkeit der Kommunen sehr am Herzen, bei diesem Thema, aber – das ist in diesen Zeiten auch wichtig – auch bei allen anderen Aufgaben, die die Kommunen ja auch weiterhin leisten müssen, etwa wenn es um ein ausreichendes Kitaangebot geht, wenn es um Schulen geht, wenn es um Straßen geht, wenn es um Wohnungsbau geht oder um Sport- und Freizeitangebote. Das ist das, was die Menschen auch von ihrer Gemeinde, von ihrer Stadt erwarten. Wir helfen, wo wir helfen können. Aber wir müssen auch feststellen, dass die Lage der Kommunen in Deutschland sehr unterschiedlich ist. Es gibt einzelne Kommunen in einzelnen Ländern, die keine Kassenkredite kennen, aber es gibt andere Länder, wo die Kassenkredite explodieren. Über die Hälfte der Kassenkredite in der Größenordnung von 48 Milliarden Euro deutschlandweit haben die Kommunen in einem einzigen Bundesland aufgenommen, nämlich in Nordrhein-Westfalen. Das gehört auch zur Wahrheit. (Bernhard Kaster [CDU/CSU]: In Rheinland-Pfalz ist es genauso!) Es gibt einzelne Länder, die ihren Kommunen helfen und sie zu 100 Prozent von den Kosten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz freihalten, wie zum Beispiel Mecklenburg-Vorpommern und Bayern. (Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: Und das Saarland!) Und es gibt andere Länder, die ihre Kommunen hier herzlich im Stich lassen. Dies können wir auf der Bundesebene nicht ausgleichen. Ich möchte das auch nicht als ein Schwarzer-Peter-Spiel verstanden wissen, (Petra Hinz (Essen) [SPD]: Nein, natürlich nicht! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, überhaupt nicht! Das wiederholen Sie doch jedes Mal! Bei jeder Debatte! – Gegenruf der Abg. Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: Mit der Wahrheit wird nicht gespielt! So einfach ist das!) sondern es geht um die Verfassungsordnung in unserem Land. Es ist schlichtweg eine Tatsache, dass laut unserer Verfassungsordnung die jeweiligen Bundesländer für die aufgabengerechte Finanzausstattung ihrer Kommunen die Verantwortung tragen. (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen ist es für uns doch auch so bitter, zu erleben, dass Gelder, die wir auf der Bundesebene mobilisieren und die den Kommunen helfen sollen, teilweise vor Ort gar nicht erst ankommen, sondern in den Landeskassen landen. Das ist ein gefährliches Spiel, das einzelne Länder hier treiben. (Petra Hinz (Essen) [SPD]: Pfui!) Die Finanzprobleme vieler Kommunen haben im Wesentlichen etwas mit der Ausgabenseite zu tun, weniger mit der Einnahmenseite, und hier insbesondere mit den gestiegenen Sozialkosten. Wir wissen – das zeigen die Zahlen –, dass die Sozialkosten schneller und stärker steigen als die Einnahmen. Genau deswegen war es ja auch richtig, dass wir als Bund entschieden haben, die teure und dynamisch wachsende Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu übernehmen. Damit sorgen wir für eine dauerhafte strukturelle Entlastung auf der kommunalen Ebene, in diesem Jahr in einer Größenordnung von immerhin 5,4 Milliarden Euro. (Beifall bei der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit der Eingliederungshilfe? Da wurde doch auch was besprochen!) Es gilt die Zusage, dass wir auch im Bereich der Eingliederungshilfe etwas tun. Wir erneuern mit dem Antrag, den wir heute vorlegen, unsere Zusage aus dem Koalitionsvertrag, dass die Kommunen in diesem Feld ab 2018 in einer Größenordnung von 5 Milliarden Euro entlastet werden sollen. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In dieser Legislaturperiode!) Ich kenne die Sorgen, dass diese Reform mit zusätzlichen neuen Ausgaben verbunden sein könnte. Deswegen gebe ich hier ausdrücklich die Zusage der CDU/CSU-Fraktion, dass wir dafür sorgen, dass das weder zu einer neuen Kostendynamik noch zu einer neuen Kostenbelastung der Kommunen führt. Wir wollen an dieser Stelle die Kommunen strukturell und dauerhaft entlasten. (Beifall bei der CDU/CSU) Bis 2018 leisten wir auch etwas. In diesem und im nächsten Jahr helfen wir mit je 1 Milliarde Euro. Im Jahr 2017 wächst das auf 2,5 Milliarden Euro auf. Ich nenne auch das Investitionsprogramm, das wir auf den Weg gebracht haben. 3,5 Milliarden Euro für finanzschwache Kommunen, um die Investitionskraft zu stärken. Das tun wir ganz bewusst zugunsten Ihrer Städte und Gemeinden, von denen Sie hier als Oberbürgermeister, Bürgermeister und Landräte zu uns gekommen sind, weil wir die Gießkanne einmal im Schrank lassen wollen und denjenigen zielgerichtet helfen wollen, die unter besonderer Finanznot leiden. Ich glaube, dass das gerade Ihren Städten und Gemeinden besonders hilft. Wir tun dies alles, um die Leistungsfähigkeit der Kommunen zu stärken. Wir erleben in diesen Tagen immer wieder, wie wichtig die Leistungsfähigkeit der Kommunen vor Ort ist. Aber es wird uns nicht gelingen, dies dauerhaft zu tun, wenn es nicht gleichzeitig auch gelingt, die mit der Flüchtlingskrise zusammenhängenden Herausforderungen zu lösen. Deswegen hoffe ich auf gute Ergebnisse heute Nachmittag, die dann in den Ländern im Interesse der Leistungsfähigkeit unserer Kommunen umzusetzen sind. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Kerstin Kassner, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Kerstin Kassner (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach fast zwei Jahren hier im Deutschen Bundestag gibt es viele Dinge, an die ich mich gewöhnt habe, vielleicht auch daran, dass ich hier über einen Antrag sprechen muss, den ich erst vorgestern Abend erhalten habe. Aber daran, dass wir erst heute, sechs Monate nachdem sich das Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Städte“ an uns gewandt hat, darüber debattieren und noch nicht einmal wissen, wie die Lösung des Problems tatsächlich aussehen kann, werde und will ich mich nie gewöhnen. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich zu dem Antrag der Regierungsfraktionen komme, möchte ich noch einmal kurz auf die zwei Anträge, die meine Fraktion gestellt hat, eingehen. Zum einen haben wir auf der Drucksache 18/3413 ein kommunales Mitwirkungsrecht eingefordert. Dabei geht es darum, dass das Mitspracherecht der Kommunen deutlich erweitert wird. Nicht nur ein Anhörungsrecht soll ihnen gewährt werden, sondern ein wirkliches Mitwirkungsrecht. Das geht von eigenen Vorschlägen bis hin zur tatsächlichen Mitarbeit an den Gesetzesentwürfen. Wie man so etwas beispielsweise regeln könnte, haben wir in unserer Fraktion eingeführt: Bei uns gibt es einen Kommunal-TÜV. Bei jedem Vorhaben, das aus den einzelnen Arbeitskreisen – also gewissermaßen vergleichbar mit den Ministerien – kommt, muss die Auswirkung auf die Kommunen zwingend geprüft werden. (Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]: Das ist doch selbstverständlich!) Damit kommen am Ende Bewertungen zustande, die uns erlauben, zu entscheiden, was den Kommunen hilft oder was sie belastet. Ich denke, dies wäre ein gutes Modell, das man auch in der Bundespolitik umsetzen könnte. (Beifall bei der LINKEN) Der zweite Vorschlag betrifft das Eisenbahnkreuzungsgesetz. Auf Drucksache 18/3051 haben wir den Vorschlag wiederholt, die Kommunen von den sich daraus ergebenden Kosten zu befreien. Allein das, was jetzt im Bundeshaushalt steht, belastet die Kommunen im Jahr 2016 mit über 50 Millionen Euro. Das ist Geld, das den Kommunen für andere Aufgaben fehlt. Deshalb fordern wir, dass die Kommunen von den sich aus dem Eisenbahnkreuzungsgesetz ergebenden Kosten befreit werden. (Beifall bei der LINKEN) Jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, komme ich zu dem Antrag der Koalition. Hier lautet das Motto: „Für gleichwertige Lebensverhältnisse – Kommunalfreundliche Politik des Bundes konsequent fortsetzen“. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau! – Zurufe von der SPD: Genau!) Ja, da frage ich mich: Ist das, was von Ihnen getan wird, denn wirklich konsequent kommunalfreundlich? Es werden viele Gelder in Aussicht gestellt, zum Beispiel werden ab 2018 Kosten, die sich aus dem Teilhaberecht ergeben, übernommen. Aber jetzt und hier fehlt es Kommunen am Nötigsten. Nicht zuletzt deswegen haben sich 63 Kommunen aus sieben Ländern, Herr Kauder, die 10 Millionen Menschen unseres Landes vertreten, zusammengeschlossen – völlig parteiübergreifend –, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Der Weg hierher fiel ihnen sicherlich nicht leicht, aber die Situation macht unkonventionelle Maßnahmen einfach notwendig. (Beifall bei der LINKEN) Ich sage Ihnen hier ja nichts, was meiner Fraktion oder den Kollegen dort oben auf der Besuchertribüne eingefallen ist. Wenn Sie das KfW-Kommunalpanel oder die regelmäßig von der Bertelsmann-Stiftung veröffentlichten Kommunalen Finanzreports aufmerksam studieren, dann stellen Sie fest, dass die Disparität wirklich so groß ist, dass man grundsätzlich etwas an der Situation der Kommunen ändern muss; denn sonst geht die Schere weiter und weiter auseinander: Diejenigen, die Schulden haben, werden immer ärmer, und diejenigen, die ausreichend Geld haben – das sind inzwischen immerhin 20 Prozent, es waren mal 13 Prozent –, werden immer reicher. Das ist schön für die Kommunen, die Geld haben, aber schlecht für unsere Gesellschaft. Der erste Teil des Titels Ihres Antrages – wir wollen uns noch mal daran erinnern – lautete ja: „Für gleichwertige Lebensverhältnisse“. Um sie zu erreichen, müssen wir etwas gegen die vorhandene Disparität tun. Im Moment ist es so: Es gibt Gemeinden mit großer Steuerkraft, und es gibt Gemeinden mit geringer Steuerkraft. Kurz ein Beispiel: Der Kreis München – es wird Sie nicht überraschen – verfügt über eine Steuereinnahmekraft von 3 440 Euro pro Einwohner. Der Kreis Vorpommern-Greifswald aus meinem Heimatland verfügt über 518 Euro Steuereinnahmen pro Einwohner. Das ist knapp ein Siebtel davon. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Da muss man auch nicht so viele S-Bahnen bauen! Mann, Mann, Mann!) Umgekehrt sind die Ausgaben pro Kopf in diesem Kreis sehr hoch. Wir haben dort nämlich nach wie vor etwa 18 Prozent Arbeitslosigkeit. Das zieht hohe Kosten nach sich, zum Beispiel im Bereich Kosten der Unterkunft. Auch dazu habe ich ein paar Beispiele mitgebracht: Die Pro-Kopf-Ausgaben im Bereich Kosten der Unterkunft liegen in Mecklenburg-Vorpommern bei 244 Euro, in Bayern bei 78 Euro. Und wie sind die Kreise belastet? Zum Beispiel der Kreis Rostock mit 324 Euro und der Kreis Unterallgäu mit 19 Euro pro Einwohner. Das heißt, nicht nur die Einnahmeseite ist unterschiedlich strukturiert – von den Schlüsselzuweisungen der Länder an die Kreise habe ich da noch gar nicht gesprochen –, sondern auch die Ausgaben sind ungleichmäßig verteilt. Dort, wo schon wenig ist, ist viel zu leisten. Wir wollen auch an die Kosten der Grundsicherung im Alter erinnern. Auch daran haben viele der jetzt schwach aufgestellten Kreise tatsächlich noch lange zu knabbern, weil sie nämlich über viele Jahre hinweg die Kosten dieser Leistungen alleine tragen mussten. Noch etwas – nur mal so für den Hinterkopf –: Die Kreise, in denen viele Menschen Grundsicherung im Alter bekommen, müssen auch zukünftig die Kosten für das Personal tragen, das für die Bewilligung dieser Leistung zuständig ist; denn diese werden nicht vom Bund übernommen. Die Kreise, in denen es viele Menschen gibt, die eine Grundsicherung im Alter bekommen, brauchen also auch viele Menschen, die die entsprechenden Anträge bearbeiten und hoffentlich bewilligen. Diese Kosten bleiben wieder bei den Kommunen hängen. Das ist auch bei anderen Aufgaben so. – Das nur für den Hinterkopf. Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, dass wir hier unsere Aufgabe gemeinsam wahrnehmen, dass wir für einen Ausgleich sorgen, dass wir diese Disparität nicht fortschreiben, sondern gemeinsam Wege finden, um sie aufzulösen. Das ist eine Aufgabe, die der Bund natürlich gemeinsam mit den Kreisen angehen sollte; auch die Länder sollten eingebunden werden. Es ist eine wirkliche Gemeinschaftsaufgabe, die wir gemeinsam zu lösen haben. Denn wir sind es den Bürgerinnen und Bürgern, die in diesen Kreisen wohnen, wirklich schuldig. Damit bin ich bei der Asyl- und Flüchtlingspolitik. In allen Kreisen wird wirklich eine hervorragende Arbeit geleistet. Man hilft sich gegenseitig, man geht unkonventionelle Wege. Ich denke, wir dürfen es nicht zulassen, dass die schwierigen Herausforderungen zulasten der Bürgerinnen und Bürger gehen. Das würde ein ungutes Klima schaffen. Lasst uns deshalb gemeinsam diese Aufgabe in Angriff nehmen – im Interesse der Bürgerinnen und Bürger in den Kommunen. Sie haben es verdient. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Bernhard Daldrup, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bernhard Daldrup (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Liebing, wir arbeiten, wie Sie wissen, gut zusammen. Ich bedanke mich auch für die Erarbeitung des vorliegenden Antrags, den wir gemeinsam formuliert haben. Ich hätte aber nicht vermutet, dass Sie reflexartig in NRW-Bashing verfallen. Aus der Perspektive eines ehemaligen Bürgermeisters von Sylt-Ost ist Nordrhein-Westfalen nicht so leicht zu verstehen; das kann ich wohl nachvollziehen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich jedenfalls bin da ganz aufgeschlossen. So sollten Sie sich, wie ich denke, einmal anschauen, was zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Hessen läuft: nämlich so ziemlich dasselbe, was früher Herr Rüttgers in Nordrhein-Westfalen gemacht hat. Wissen Sie, was das Ergebnis war? Herr Rüttgers ist abgewählt worden. (Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Na, schauen wir mal!) Und wir machen das dann anders. Jetzt zur Sache. 60 Bürgermeister – Frau Kassner, Sie haben darauf hingewiesen – waren vor einiger Zeit, im Februar, bei uns. Sie sind heute wieder hier. Sie alle kommen aus Kommunen mit einer ausgesprochen angespannten Haushaltslage und haben sich in einem Bündnis zusammengeschlossen, das die Überschrift „Für die Würde unserer Städte“ trägt. (Beifall der Abg. Petra Hinz (Essen) [SPD]) Natürlich geht es ihnen ums Geld; das ist keine Frage. Es geht ihnen aber auch um die Wertschätzung kommunaler Selbstverwaltung. Es geht um eine Kommunalpolitik, die die Freiheit hat, die Lebensbedingungen der Menschen zu gestalten, statt sie immer nur einzuschränken. Sie zeigen auch: Unsere Kommunen hier in der Bundesrepublik Deutschland sind systemrelevant für unsere Demokratie. Dafür bin ich ihnen dankbar. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Kerstin Kassner [DIE LINKE]) Der Kernbestand kommunaler Selbstverwaltung ist in einigen Kommunen in der Tat gefährdet. Diejenigen, die heute hier sind, repräsentieren – Frau Kassner hat es eben gesagt – immerhin 10 Millionen Menschen; das ist nicht wenig. Wir, die Koalitionsfraktionen, zeigen heute aber auch, dass uns die Kommunalpolitik, dass uns das Leben in den Städten und Gemeinden wichtig ist und dass wir die Notlagen sehr ernst nehmen. Das zeigt auch unser Antrag heute, Frau Kassner. Ich bin all denjenigen aus den beiden großen Fraktionen, die daran mitgewirkt haben, sehr dankbar. Ich will die vier Kernprobleme, die die Kommunen haben, stichwortartig benennen: erstens die anhaltend hohe Verschuldung inklusive der wachsenden Kassenkredite, zweitens die dauerhafte Investitionsschwäche bei einem gleichzeitigen Rückstand von Investitionen, der bei 120 Milliarden Euro, vielleicht auch bei 150 Milliarden Euro liegt, dem allerdings nur eine Investitionsquote von 20 Milliarden Euro gegenübersteht, drittens die dramatisch steigenden Soziallasten – 2005 betrugen die Sozialausgaben noch 35 Milliarden Euro, heute liegen sie bei über 50 Milliarden Euro; all das sind Kosten, die bei den Kommunen auflaufen – und viertens – das ist sozusagen die Quintessenz – die auseinanderdriftenden Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland. Diese langfristigen Kernprobleme werden seit mindestens einem Jahr durch die große Zahl von Flüchtlingen in den Städten und Gemeinden überlagert – ich sage ausdrücklich „überlagert“ und nicht „verursacht“ ; sie stellen nämlich zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine neue, eine zusätzliche Herausforderung für die Städte und Gemeinden dar. Deshalb erwarten wir seitens der SPD, dass die beim heutigen Flüchtlingsgipfel getroffenen Entscheidungen auch zeitnah und konkret umgesetzt werden, weil nur dann aus dem Appell der Kanzlerin „Wir können das schaffen!“ die Zuversicht entsteht: Ja, wir schaffen das auch. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Im Kern stehen die Kommunen vor vier großen Herausforderungen. Die erste große Herausforderung sind die internationalen und europäischen Aufgaben zur Bekämpfung von Fluchtursachen. Darüber ist heute Morgen gesprochen worden; das ist nicht Thema dieser Debatte. Hier in Deutschland geht es insbesondere um die finanzielle Handlungsfähigkeit der Städte und Gemeinden. Deswegen halten auch wir eine prozentuale Beteiligung des Bundes an den Kosten jedes einzelnen Flüchtlings für richtig. Die 3 Milliarden Euro, die bisher bundesseitig angeboten worden sind, sind ein richtiger Schritt in die richtige Richtung, aber vor dem Hintergrund der Zahlen, auf denen sie basieren, die aber nicht mehr aktuell sind, ist das einfach zu wenig. Ich habe auch Zweifel daran, dass die heute Morgen in den Nachrichten und im Fernsehen vom hessischen Ministerpräsidenten geforderten 4 Milliarden Euro hinreichend sind. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nee, nee, nee! 5, 6, 7, 8 Milliarden! Immer druff! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Nach oben keine Grenze!) – Er hat es gesagt. – Zur Debatte gehört jedenfalls, zu betonen, dass eine strukturelle und dauerhafte Bundesbeteiligung wichtig ist. Dazu gehört nicht nur, die Gesundheitskarte verfahrensmäßig einzuführen, sondern auch die Übernahme der Kosten. Überdies geht es um Verfahren zur Verteilung von Flüchtlingen und damit verbundene organisatorische und technische Regelungen, die vorhin schon angesprochen worden sind und die ich hier nicht wiederholen will. Ich will mich gerne für die SPD dem Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung und an die Zivilgesellschaft anschließen. Ihr Engagement kann man aber nur dann aufrechterhalten, wenn der Planungshorizont vor Ort über den nächsten Tag hinausreicht. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich komme zurück zu den langfristigen Problemen. Wenn die Schere zwischen den Kommunen weiter auseinandergeht, ist die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland gefährdet. Das ruft den Bund auf den Plan. Der Bund hat den verfassungsrechtlichen Auftrag, für die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zu sorgen. Das ist quasi die räumliche Seite des Sozialstaatsgebots, und das ist eine Aufgabe des Bundes. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ebenso wie die dramatische Verschuldung klafft in der Tat – es ist schon richtig, was vorhin gesagt worden ist – auch die Investitionskraft auseinander. Es ist richtig, dass selbst innerhalb Bayerns Disparitäten festzustellen sind. Das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner liegt in München bei fast 90 000 Euro, während es im Landkreis Bayreuth gerade einmal 19 000 Euro sind. Mit anderen Worten: Auch hier gibt es eine Unterschiedlichkeit der Lebensverhältnisse und der Lebensbedingungen. Es erscheint – ich zitiere aus dem Kommunalen Finanzreport der Bertelsmann-Stiftung – ausgesprochen unwahrscheinlich, dass die dokumentierten Disparitäten das Ergebnis von politischen Fehlentscheidungen, Unterschieden in der Effizienz der Aufgabenerfüllung oder anderen selbstverschuldeten Aktivitäten sind. Das ist das Fazit der Bertelsmann-Stiftung. Deswegen muss es, so sage ich es einmal, andere, zusätzliche Verursachungen geben. Wir als Koalition haben meines Erachtens schon eine ganze Menge erreicht. Das Thema Übernahme von Soziallasten durch den Bund ist bereits angesprochen worden; da ist nicht nur an die Grundsicherung im Alter, sondern auch an die jeweils 1 Milliarde Euro in den Jahren 2015 und 2016 für die Eingliederungshilfe zu denken. Auch ist die Stärkung der Investitionskraft angesprochen worden. 3,5 Milliarden Euro sind keine Kleinigkeit. Wir haben etwas für gleiche Lebenschancen getan, indem wir die Mittel für das Sondervermögen für Kitaplätze aufgestockt haben und eine ganze Reihe weiterer Punkte mehr angegangen sind. Wir erwarten allerdings auch, dass auf dem Flüchtlingsgipfel konkrete zusätzliche Vereinbarungen getroffen werden. Wir werden beispielsweise die Mittel für den sozialen Wohnungsbau deutlich erhöhen, damit nicht nur jeder Flüchtling, sondern jeder, der über geringe Mittel verfügt und eine Wohnung benötigt, auch tatsächliche eine Wohnung bekommt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Herr Kollege, die Zeit. Bernhard Daldrup (SPD): Der letzte Punkt, den ich noch erwähnen möchte, betrifft die Frage, wie es mit den Bund-Länder-Finanzbeziehungen weitergeht. Das ist in der Tat eine Angelegenheit, die zunächst einmal Bund und Länder zu regeln haben. Man kann sich die Frage stellen, ob es nicht ein interessanter Vorschlag ist, beispielsweise die Verteilung des Umsatzsteueraufkommens nicht nur an die Wirtschaftskraft zu koppeln, sondern möglicherweise mit anderen sozialen Indikatoren zu verknüpfen. Ich persönlich habe große Sympathien für Altschuldentilgungsfonds und Ähnliches mehr. Nur: Es muss tatsächlich auch finanzierbar sein. Ob es gelingt, die kommunalen Finanzbeziehungen gänzlich auf neue Beine zu stellen, weiß ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht. Als Sozialdemokrat und als Mitglied dieser Großen Koalition stelle ich jedoch gerne fest: Die Kommunen und ihre Interessen haben großes Gewicht in der Politik der SPD, in der Politik dieser Koalition und auch, wie ich glaube, dieser Bundesregierung. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Britta Haßelmann, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Liebe Mitwirkende im Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Städte“! Ich finde es gut, dass wir heute diese Debatte führen. Diese Debatte haben wir mit Ihnen innerhalb der Fraktionen im Februar geführt. Viele von uns haben diese Debatte schon über Jahre hinweg geführt; denn das Aktionsbündnis gibt es nicht erst seit diesem Jahr. Wir haben uns mit Ihnen darauf verständigt, heute über die Lage der Kommunen zu diskutieren. Ich finde es richtig, dass alle Fraktionen übereingekommen sind, dies auch zu tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Herr Liebing, beginnen wir gleich einmal damit: Die Welt ist nicht so einfach, dass man in ein kleines Nordrhein-Westfalen-Bashing eintreten kann, wenn man über Disparitäten bei der Lage der Kommunen redet. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das sowieso niemals!) Das haben wir Ihnen in den vergangenen Jahren immer wieder versucht beizubringen. Leider haben Sie das bis heute immer noch nicht verstanden. Das wird heute vielleicht mit nicht so viel Verve vorgetragen, weil Gäste da sind. Ich will Ihnen aber sagen: Weder Cuxhaven noch Ludwigshafen, noch Mainz, noch Salzgitter, noch Saarbrücken, noch Neuwied liegen in Nordrhein-Westfalen. Das sind jedoch Mitglieder dieses Aktionsbündnisses. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Und die Mitglieder dieses Aktionsbündnisses beschreiben eine Situation, die seit Jahren vorherrscht, sehr präzise. Sie beschreiben die Disparität, die unterschiedliche Entwicklung der Kommunen in Richtung einer Zweiklassengesellschaft. Es gibt prosperierende Kommunen und strukturschwache Kommunen, (Max Straubinger [CDU/CSU]: Die sind alle rot-grün regiert! – Gegenruf der Abg. Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Cuxhaven?) in denen sich die Probleme kumulieren, die aufgrund einer hohen Arbeitslosenquote oder aufgrund von Strukturreformen – ich denke zum Beispiel an das Ruhrgebiet – mit hohen Kosten konfrontiert sind. Deshalb können wir längst nicht mehr von den Kommunen reden. Wir haben längst eine Zweiklassengesellschaft. Gut 60 Kommunen haben sich zusammengefunden in einem Aktionsbündnis der armen Städte, um ihre Bedürfnisse zu formulieren und zu artikulieren. Das ist ihr gutes Recht; denn sie vertreten 10 Millionen Bürgerinnen und Bürger. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Schauen wir uns die Entwicklung an: Wir wissen, dass wir eine kommunale Verschuldung in Höhe von 135 Milliarden Euro haben; und bitte hören Sie auf, das im Sinne einer Farbenlehre einzelnen Bundesländern zuzuschreiben. (Alois Karl [CDU/CSU]: Das tut weh, was? Das ist unangenehm, was?) 135 Milliarden Euro kommunale Verschuldung – das zeigt mir, dass es ein Fehler ist, dass bei den Bund-Länder-Finanzbeziehungen die Kommunen bisher keine Rolle spielen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bernd, du hast das gerade auch angesprochen. Warum finden wir nicht die Kraft, im Rahmen der Neuverhandlungen der Bund-Länder-Finanzbeziehungen endlich auch über einen Altschuldenfonds zu diskutieren? (Max Straubinger [CDU/CSU]: Wir geben eh schon 5 Milliarden aus Bayern!) Das wäre eine gute Gelegenheit, quasi ein Korridor, um darüber zu sprechen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jede und jeder, die bzw. der sich damit auskennt, weiß, dass die Länderentschuldungsfonds und -stärkungspakte nicht ausreichen, um diesen großen Berg an kommunaler Verschuldung – 135 Milliarden Euro plus x – abzutragen. Wenn die betroffenen Kommunen wieder Land gewinnen sollen, müssen wir das Thema Altschulden angehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ein Weiteres: Meine Damen und Herren, innerhalb der letzten zwölf Jahre gab es eine enorme Entwicklung bei den sozialen Pflichtaufgaben. Das sind keine Aufgaben, die sich eine Stadt oder Gemeinde selbst aussucht, sondern das sind bundesgesetzlich vorgeschriebene Aufgaben, für die wir eine Gesamtverantwortung haben, für die auch der Bund Verantwortung trägt. Ein verfassungsrechtlicher Diskurs und der Hinweis auf die Zuständigkeit der Länder helfen da nicht weiter. Die Ausgaben der Kommunen für soziale Pflichtaufgaben lagen 2005 bei 30 Milliarden Euro. 2017 werden es 54 Milliarden Euro sein. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ihr habt ja draufgesattelt!) Als Bund haben wir die Verantwortung, sicherzustellen, dass die sozialen Pflichtaufgaben erfüllt werden können. Nicht die Länder, sondern wir als Bund tragen dafür die Verantwortung. An der Entwicklung sieht man doch, dass die Kommunen diese Aufgaben nicht allein bewältigen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Ihr wart das! Jetzt schlägt es dem Fass den Boden aus!) Deshalb ärgert es mich so, dass Sie nicht zu Ihrem Wort gegenüber den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten stehen. In der Vereinbarung über den Fiskalpakt stand nicht – das wissen alle, die sich damit beschäftigen –, dass es 2018  5 Milliarden Euro für die Eingliederungshilfe geben wird, sondern da stand drin, dass in dieser Legislaturperiode ein neues Bundesleistungsgesetz zur Eingliederungshilfe erarbeitet wird, das die Kommunen um 5 Milliarden Euro entlastet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das steht auch nicht drin!) Man muss immer wieder deutlich sagen, dass diese 5 Milliarden Euro im Moment erst für den Haushalt 2018 etatisiert sind. Da beißt die Maus keinen Faden ab – gucken Sie einfach einmal in den Haushalt –: Für 2018 stehen 5 Milliarden Euro drin. Sie haben den Kommunen diese 5 Milliarden Euro aber für jetzt zugesagt. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein! Das stimmt ja gar nicht!) Jetzt finanzieren Sie aber nur eine Übergangsmilliarde. Diese Übergangsmilliarde – das gehört auch zur Wahrheit; ich sage das in Richtung Städtetag – wird zur Hälfte über die Kosten der Unterkunft an die Kommunen gegeben – das hilft den armen Städten, den Städten mit Strukturschwäche – und zur Hälfte über die Umsatzsteuer. Innerhalb der Städtegemeinschaft wird nun natürlich darum gerungen, wo es eine wirkliche Entlastung gibt. Aus Sicht der Grünen wäre es bedeutsam, zu sagen: Wir haben kein Geld für das Gießkannenprinzip. Wir wollen uns besonders dem Thema Strukturschwäche widmen und damit den Städten und Gemeinden, die strukturschwach sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb ist unser Anknüpfungspunkt ganz klar bei den sozialen Pflichtausgaben; denn Arbeitslosigkeit, Strukturschwäche und hohe Sozialausgaben sind immer miteinander kombiniert. Da hilft es, deutlich zu sagen: Das priorisieren wir. Hier ist Unterstützung notwendig. Deshalb sind Fragen wie die Eingliederungshilfe, die zugesagt war, die Kosten der Unterkunft und die Grundsicherung im Alter, die wir als Bund zu 100 Prozent übernehmen – das ist richtig und gut –, Anknüpfungspunkte, um hier einen Beitrag zu leisten und wirklich Unterstützung zu geben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ein weiterer Punkt ist aus meiner Sicht das Thema Investitionsstau. Wir reden über einen Investitionsstau in Höhe von 132 Milliarden Euro auf der kommunalen Ebene. Deshalb ist es notwendig, von Bundesseite stärker in das Thema einzusteigen. Wir wissen: Die Investitionsquote im Haushalt ist viel zu niedrig, um dieses Thema anzugehen. Wir müssen auch hier Angebote und Anreize für die Kommunen schaffen, damit sie endlich wieder investieren können, in Instandhaltung, in energetische Sanierung und in weitere Bereiche. Ein Stichwort ist schon gefallen: sozialer Wohnungsbau. Diesen brauchen wir zwingend und ganz notwendig in den Städten und in den großen Ballungsräumen. Deshalb wäre hier eine Förderung nicht in Höhe von 500 Millionen, sondern in Höhe von 2 Milliarden Euro richtig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ihre Bauministerin hat doch auch schon einmal einen Vorschlag dazu gemacht. Das ist richtig und notwendig. Zuletzt will ich noch kurz etwas zu Flüchtlingen sagen. Wir haben großen Respekt vor dem, was vor Ort in den Städten und Gemeinden geleistet wird: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU] – Volker Kauder [CDU/CSU]: Jawohl!) von der öffentlichen Verwaltung, von ehrenamtlich-bürgerschaftlich engagierten Menschen und von THW, ASB, DRK und vielen Hauptamtlichen. Die Arbeit ist ohne sie wirklich nicht zu schaffen. Umso irritierender ist es, dass vonseiten des Bundes heute in den Verhandlungen 3 Milliarden Euro als Unterstützung für die Länder und Kommunen angeboten werden. Angesichts dessen, dass die Kommunen im Bereich der Flüchtlingsbegleitung und -betreuung 1,2 Milliarden Euro ausgeben – das ist die aktuelle Zahl von heute, und das ist doch ein Statement für sich –, sind 3 Milliarden Euro auf jeden Fall zu wenig. Deshalb muss es heute aufseiten des Bundes Bewegung geben. Wir müssen Geflüchteten und Kommunen unsere Unterstützung anbieten. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Alois Karl, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Alois Karl (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages! Liebe Kollegen aus Nordrhein-Westfalen und aus den anderen Bundesländern, ich darf mich Ihnen vorstellen: Ich war früher selber Oberbürgermeister einer nicht so großen Stadt wie Wuppertal, Köln oder Berlin, aber immerhin. Einmal Kommunalpolitiker, bleibt man irgendwie immer Kommunalpolitiker. Das ist gut so. Ich meine, dass die Kollegen hier alle eine gute Verwurzelung in der Kommunalpolitik haben sollten und dass sie ihren Fundus, ihre Kraft, ihre Herkunft aus der Kommunalpolitik nie verschweigen dürfen. Meine lieben Kollegen auf der Tribüne, wir aus der CDU/CSU-Fraktion sind zu ganz großen Teilen kommunalpolitisch verankert. Daher weiß ich, dass die kommunalpolitischen Themen bei uns in der CDU/CSU-Fraktion sehr gut aufgehoben sind. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich weiß, dass wir diesen Antrag miteinander geschrieben haben, lieber Herr Daldrup. Trotzdem meine ich, die Handschrift der CDU/CSU gut erkennen zu können. (Petra Hinz (Essen) [SPD]: Wo denn? – Kerstin Kassner [DIE LINKE]: Gemeinsam sind wir stark!) Vor zehn Jahren war Bundestagswahl. Vor zehn Jahren ist Volker Kauder zum Fraktionsvorsitzenden gewählt worden, und seit dieser Zeit gibt es eine kommunalfreundliche Politik in der Bundesregierung. (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD) Dies wird auch durch den Antrag dokumentiert. (Volker Kauder [CDU/CSU], an die SPD gewandt: Ich habe das bezahlt, was ihr den Kommunen draufgelegt habt in der letzten Koalition!) – Lieber Volker, ich habe dich gerade gelobt; bitte höre mir schön zu. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Die glauben es halt nicht! – Heiterkeit bei der CDU/CSU) Wir haben seit zehn Jahren – ich gehe auch kurz auf den Beitrag des Kollegen Liebing ein – eine mit mehr als 180 Mitgliedern aus unserer Fraktion hervorragend ausgestattete Arbeitsgemeinschaft Kommunalpolitik. Die Quantität ist hervorragend und die Qualität – das muss ich sagen – fast noch besser. (Zuruf von der SPD: Oh! Oh! – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Ihr seid einfach toll! Ihr seid so toll!) In diesem Gremium werden die Themen, die Sie, die uns alle bewegen, in der Tat profund bewältigt. Meine Damen und Herren, in dem Antrag, den wir heute einbringen, sind 14 Forderungen enthalten. In der katholischen Kirche gibt es die 14 Nothelfer. Man meint fast, der Bund müsse sich jetzt in die Gruppe der 14 einreihen und den 15. spielen. Wir tun das allerdings, in unterschiedlicher und seit zehn Jahren ganz hervorragender Art und Weise. Ich meine, dass wir unseren Auftrag erfüllen, die Städte und Gemeinden in unserem Lande finanziell hervorragend auszustatten. Die Städte und Gemeinden sind mehr als Kostgänger beim Bund. (Petra Hinz (Essen) [SPD]: Genau! Das ist richtig!) Wir müssen der Würde der Städte, der Würde der Bürgermeister und Oberbürgermeister auch dadurch Rechnung tragen, dass wir dafür sorgen, dass sie nicht in jeder schwierigen Situation zum Bund oder Land kommen müssen, um zu betteln. Vielmehr müssen wir sicherstellen, dass sie ihre Stärken entfalten und selber Einnahmen generieren können. Allein aus diesem Grunde war es eine große Leistung, auch dieser Fraktion, dass wir die Gewerbesteuer erhalten haben. (Lachen bei der SPD – Petra Hinz (Essen) [SPD]: Ach was! Wer wollte sie denn abschaffen in der letzten Periode?) Auch dieses Vorhaben wurde angefeindet. Aber heute fließen 33 Milliarden Euro auf diesem Weg an die Städte und Gemeinden. (Ulli Nissen [SPD]: Ich habe das ganz anders in Erinnerung, Herr Kollege! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt bleibt mal ganz ruhig da drüben!) – Ja, ja. Ihr Gedächtnis trügt vielleicht ein bisschen. – Wir haben das mit sehr großer Standfestigkeit durchgezogen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, den Städten und Gemeinden geht es unterschiedlich: den einen sehr gut und den anderen weniger gut. Ich kann mich allerdings erinnern, dass Dr. Articus, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, und Professor Henneke, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistages, auf der gleichen Veranstaltung gesagt haben, dass die Kommunen vom Bund finanziell noch nie so gut ausgestattet worden sind, wie es heute der Fall ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Auch das ist ein Punkt, den man hier erwähnen muss. (Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!) Natürlich – Herr Daldrup, Sie haben das gesagt –: In Hessen könnte die Regierung abgewählt werden. Da muss ich sagen: Dann hätten wir ja noch ein Geberland weniger. (Ulli Nissen [SPD]: Hat das was mit der Regierung zu tun, wer Geberland ist?) Wir haben sowieso bloß noch drei Geberländer in Deutschland, die in den Länderfinanzausgleich einzahlen. Dazu gehören Hessen – wenn auch nicht in überwältigendem Maße –, Baden-Württemberg und Bayern. Ich glaube, es wäre eine Katastrophe, wenn nur noch zwei Länder einzahlen würden. Meine Damen und Herren, ich sage ganz bewusst, dass wir unsere Städte und Gemeinden auch deshalb finanziell starkmachen müssen, weil es so ist, wie es in der Bayerischen Verfassung heißt – in anderen Länderverfassungen ist das ähnlich –: Die Gemeinden sind die ursprünglichen Körperschaften des Staates, (Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!) nicht der Bund und nicht die Bundesländer, die oft weniger als 70 Jahre alt sind. Seit Jahrhunderten, seit tausend Jahren sind es die Gemeinden, die den Staat prägen und die Aufgaben in unserem Lande lösen. Vorhin ist von Ingbert Liebing und Nachrednern schon gesagt worden, dass es in der Tat die Gemeinden sind, die auch bei der neuen Aufgabenstellung der Asyl- und Flüchtlingsfrage die Kastanien aus dem Feuer holen müssen. Natürlich: Die Bürgermeister sind immer da; sie müssen die Probleme vor Ort lösen. Minister und Vizekanzler kommen und gehen, schauen sich alles an, und dann sind sie wieder weg. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Bärbel Bas [SPD]: Die ganzen Regierungen kommen und gehen!) Aber der Bürgermeister ist immer da. Er muss für all die Leistungen oder Nichtleistungen, die vor Ort erbracht werden, geradestehen. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, wir haben in den letzten zehn Jahren direkte oder indirekte Leistungen in einem Volumen von mehr als 170 Milliarden Euro an die Kommunen gezahlt. Wir hätten das nicht machen können, wenn wir noch die gleiche Situation wie im Jahre 2005 hätten. Erinnern Sie sich doch bitte, dass wir im Jahre 2005 ein strukturelles Haushaltsdefizit von fast 60 Milliarden Euro hatten, dass Hans Eichel den Haushalt nur dadurch ausgleichen konnte, dass er neue Schulden in Höhe von 30 Milliarden Euro aufgenommen hat. Die Gemeinden hatten ein Gesamtdefizit von 8,5 Milliarden Euro aufzuweisen. In diesen Tagen verzeichnen wir hingegen einen Finanzierungsüberschuss – wohlbedacht: die einen mehr und die anderen weniger. Die Arbeitslosigkeit haben wir gewaltig gesenkt; auch das kommt unseren Gemeinden zugute. Ein Segen ist, dass wir die Ausgaben für Bildung und Forschung deutlich erhöhen konnten und die Konjunkturprogramme auch in unseren Städten und Gemeinden hervorragend angekommen sind. Meine Damen und Herren, das Potpourri der Leistungen könnte man fortführen. Wie weit müssten wir unsere Leistungen einschränken oder sogar einstellen, wenn wir noch die Politik von vor zehn Jahren hätten und wenn sich in den letzten zehn Jahren nichts grundlegend gebessert hätte? Meine Damen und Herren, ich bin zuversichtlich, dass wir unsere Aufgaben erfüllen werden. Wir werden auch in unserem Eifer, die Gemeinden systematisch zu unterstützen, nicht nachlassen. Beispiele dafür sind schon genannt worden. Ich nenne hier nur noch einmal die Leistungen für die KdU, die Kosten der Unterkunft, für die in diesem Jahr ungefähr 5 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Nota bene: 2005 sollte das noch abgeschafft werden. Das muss man sich einmal in Erinnerung rufen. Ab 2018 werden jährlich 5 Milliarden Euro für die Eingliederungshilfe – das wurde ja beschlossen – bereitgestellt. Daneben übernehmen wir jetzt zu 100 Prozent die Kosten der Grundsicherung. Das sind großartige Leistungen. Ich könnte das weiter fortführen, Herr Präsident. Vizepräsident Peter Hintze: Nein, das können Sie nicht mehr. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Alois Karl (CDU/CSU): Wenn Sie meine Redezeit verdoppeln würden, dann könnte ich das tun. Ich befürchte aber, dass Sie mir diese Bitte abschlagen. Daher sage ich Ihnen, liebe Kollegen aus der Kommunalpolitik: Wir haben großen Respekt vor Ihrer Arbeit und Ihrer Leistung. Ich habe auch großen Respekt vor der Arbeit unserer Koalition (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Auch vor dem Präsidenten!) und in Sonderheit vor der Arbeit meiner Fraktion, der CDU/CSU. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Petra Hinz, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Petra Hinz (Essen) (SPD): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Kommunen! Sehr geehrte Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister sowie Stadtkämmerer, die Sie heute zum zweiten Mal in diesem Jahr hierher nach Berlin gekommen sind! Für das eine oder andere muss ich persönlich mich nicht entschuldigen, weil ich jetzt für meine Fraktion und nicht für die Koalition reden werde. (Beifall bei der SPD) Lieber Alois Karl, ich bin jetzt fast auf den Tag genau seit zehn Jahren im Deutschen Bundestag. Eines hat mich dabei ständig begleitet, nämlich das Thema Gewerbesteuer. Es war bei der CDU/CSU bereits in der Großen Koalition ein Thema, die Gewerbesteuer zu opfern. Das kann man alles nachlesen. In der zurückliegenden schwarz-gelben Koalition war das wieder ein großes Thema. Minister Schäuble hat damals nämlich eine Kommission eingesetzt, um die Gewerbesteuer abzuschaffen. (Ulli Nissen [SPD]: Pfui!) Da Sie aber keine Alternative finden konnten, um Einnahmen für die Kommunen zu rekurrieren, haben Sie dieses Projekt gezwungenermaßen beiseitegelegt. Wenn also jemand für sichere Einnahmequellen für Kommunen steht, dann ist es weiß Gott nicht die CDU/CSU dieses Hauses. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sprechen ja immer sehr viel über strukturschwache Regionen. Ich heiße Petra Hinz, und als Namenszusatz habe ich Essen. Essen liegt bekanntlich in Nordrhein-Westfalen. Ich möchte deutlich machen, dass wir in NRW aufgrund des Strukturwandels in den zurückliegenden Jahrzehnten vor großen Herausforderungen standen. Aufgrund der Zechenschließungen und der Krise im Bereich Kohle und Stahl haben wir über eine halbe Million Arbeitsplätze verloren. Das muss man einfach so zur Kenntnis nehmen. Davon, dass die Kommunen in meinem Bundesland diese Herausforderungen gestemmt haben, hat das Land Bayern in den zurückliegenden Jahrzehnten definitiv profitiert. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Dabei arbeiten wir so charmant zusammen!) Was bedeutet das eigentlich für die alltägliche Arbeit der Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister, der Stadtkämmerer und der ehrenamtlichen Ratsmitglieder? Das muss man hier heute doch auch einmal in dieser Form sagen: (Beifall der Abg. Annette Sawade [SPD]) Auf der einen Seite entscheiden der Bund und die Länder über Programme für den Kitaausbau, die Pflege, die Gesundheitsvorsorge, die Prävention usw., auf der anderen Seite müssen die Kommunen diese ganzen Maßnahmen umsetzen. Auf der einen Seite geben wir mehr Geld für Infrastrukturmaßnahmen, auf der anderen Seite sind einige Kommunen und Gemeinden völlig davon ausgeschlossen, die notwendigen Fördergelder abzurufen. Warum? Vizepräsident Peter Hintze: Frau Kollegin. Petra Hinz (Essen) (SPD): Ja? Vizepräsident Peter Hintze: Der Kollege Karl möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Darf er das? Petra Hinz (Essen) (SPD): Ja, dadurch bekomme ich mehr Redezeit. Sehr gerne. Vizepräsident Peter Hintze: Ja, ich halte die Zeit an. Petra Hinz (Essen) (SPD): Bitte. Vizepräsident Peter Hintze: Kollege Karl. Alois Karl (CDU/CSU): Liebe Frau Kollegin, Sie haben jetzt davon gesprochen, dass Bayern jahrzehntelang von Nordrhein-Westfalen profitiert hat. Petra Hinz (Essen) (SPD): Ja. (Ulli Nissen [SPD]: Das muss man anerkennen!) Alois Karl (CDU/CSU): Das stimmt zwar, aber wir haben, wie Sie wissen, einen Länderfinanzausgleich. Über 20 Jahre haben wir dadurch etwas bekommen, etwa 2 Milliarden Euro, umgerechnet auf die heutigen Verhältnisse. Heute, Frau Hinz, zahlen wir in einem Jahr mehr als 4 Milliarden Euro an Ihr Land und an andere Länder. Ich meine, Sie hätten genug Chancen gehabt, das Thema nicht anzusprechen. Sie tun das aber, und darum muss ich Ihnen sagen, dass wir unser Obligo durchaus erfüllt haben. (Ulli Nissen [SPD]: Sie gehen doch vor Gericht dagegen, weil Sie das nicht mehr wollen!) Vielleicht ist Ihnen auch bekannt, dass wir das einzige Bundesland sind, das von einem Nehmerland zu einem Geberland geworden ist, das mit seiner Leistungskraft dazu beiträgt, dass die Verschuldung bei Ihnen und anderen Bundesländern nicht so dramatisch ausfällt, wie es ansonsten der Fall wäre. Dafür brauchen Sie sich nicht zu bedanken; Sie sollten es aber auch nicht verschweigen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Petry [SPD]: Leitungskosten! Strom!) Petra Hinz (Essen) (SPD): Es ist schon einmal der erste Schritt, dass jetzt gerade ein Kollege der CSU – also aus Bayern – eingestanden hat, dass einige Bundesländer dazu beigetragen haben, dass Sie in den zurückliegenden Jahrzehnten das aufbauen konnten, was Sie aufgebaut haben. Das ist ja schon mal ein erster Fortschritt. (Beifall bei der SPD) Zweitens gibt es einen 24. Subventionsbericht. Dort ist nachzulesen, welche Subventionen das Land Bayern bezieht, womit genau das, was Sie an Agrarwirtschaft haben, mitfinanziert wird. Darüber können wir uns gerne unterhalten. Wenn dies bei allen anderen Bundesländern genauso gemacht werden würde, würde es in Bezug auf unsere Kommunen möglicherweise ein bisschen gerechter zugehen. (Beifall bei der SPD) Deswegen sind die Kolleginnen und Kollegen aus den unterschiedlichsten Bundesländern – aus sieben Bundesländern – hierhergekommen. Insofern gebe ich Ihnen recht, wenn Sie hier heute bestätigen, dass das Land Bayern immer von anderen Ländern – unter anderem auch von Nordrhein-Westfalen – profitiert hat. (Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Seid doch nicht so kleinkariert! Redet mal über die Kommunen und nicht über so einen Quatsch!) – Herr Kauder, man versteht Sie am Bildschirm sowieso nicht. Sie können gerne eine Zwischenfrage stellen, aber bitte nicht dazwischenreden, wenn ich rede. Ich möchte, dass Sie das bitte respektieren. (Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein, reden Sie doch jetzt über die Kommunen!) Warum sind Infrastrukturmaßnahmen in einigen Bundesländern bzw. Kommunen nicht abrufbar? (Volker Kauder [CDU/CSU]: Na also! Mannomann!) Ganz einfach: Weil Ihnen die Möglichkeit der Finanzierung der Komplementärmittel fehlt; das heißt, der Eigenanteil ist von diesen Kommunen nicht finanzierbar. Aus diesem Grunde sind sie abgehängt, während andere die gesamten Fördermittel, die der Bund bereitstellt, entsprechend abrufen können. Sie sind auch deshalb abgehängt, weil im Rahmen der Haushaltssicherungskonzepte, die die Kommunen stemmen und die weiß Gott in den sieben Bundesländern eine große Herausforderung darstellen, so viele Personalstellen abgebaut worden sind, dass sie gar nicht mehr in der Lage sind, die entsprechenden Programme und Maßnahmen abzurufen. Ich sehe, Herr Präsident, meine Zeit läuft gleich ab. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist gut so!) Dann komme ich jetzt zum Schluss. – Wir haben in den zurückliegenden Jahren häufig darüber diskutiert – zum Ende der ersten Großen Koalition haben wir dazu einen sehr guten Antrag verfasst –, was den Kommunen helfen könnte. Wir, die Ruhrgebiets-MdBs der SPD-Bundestagsfraktion, sind seit zwei Jahren mit den kommunalen Vertretern im Gespräch; es gibt gemeinsame Anträge und Maßnahmen. Die Kommunen sind weiß Gott keine Bittsteller, sondern sie sind das Fundament unserer Demokratie. Die Kommunen brauchen verlässliche Einnahmen. Da gebe ich meiner Kollegin von der Bundestagsfraktion der Grünen eindeutig recht: Wir auf Bundesebene müssen verlässliche Partner sein. Da reicht eine Anschubfinanzierung nicht aus, sondern für die Programme im Sozialbereich müssen die entsprechenden Gesetze auf den Weg gebracht werden, und vor allem müssen wir dafür sorgen, dass die Mittel bereitgestellt werden, die die Kommunen im Bereich der Infrastruktur, der Bildung und des Sozialwesens benötigen. Ich hoffe, dass sich das, was die Kommunen jetzt gerade im Bereich der Flüchtlingshilfe leisten, heute Abend beim Gipfel, der gemeinsam mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten stattfindet, widerspiegelt. In diesem Sinne wünsche ich uns allen eine gute Beratung. Vielen Dank, dass Sie hierhergekommen sind. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Die kommen nimmer, wenn Sie so reden!) Sie können davon ausgehen, dass es in diesem Bundestag verlässliche Partner an Ihrer Seite gibt. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Hinz, Sie waren in etwa in der Zeit. Sonst hätte ich etwas gesagt. Die Redezeit wird bei einer Zwischenfrage angehalten. Insofern haben Sie sich korrekt im Zeitkorsett befunden. (Beifall bei der SPD) Jetzt kommt der Kollege Jürgen Hardt für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Jürgen Hardt (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zunächst herzlich dafür bedanken, dass ich als Fachfremder hier reden darf. Aber mein Wahlkreis ist im Zusammenhang mit Kommunalpolitik ein ganz besonderer. Er umfasst drei Großstädte: Solingen mit 160 000 Einwohnern, Remscheid mit 110 000 Einwohnern und den Süden Wuppertals mit 40 000 Einwohnern. Ansonsten sind die Kollegen Hintze und Zöllmer die Wuppertaler Abgeordneten. Von daher ist für uns das Thema alltäglich. Liebe Frau Kassner, einen Kommunal-TÜV braucht die CDU/CSU-Fraktion nicht. (Kerstin Kassner [DIE LINKE]: Doch, doch!) Bei uns ist jeder sein eigener Kommunal-TÜV, wir sind der Kommunal-TÜV. Wir haben in unseren Reihen erfahrene Kommunalpolitiker, zum Beispiel den früheren Oberbürgermeister von Gelsenkirchen, der heute Geburtstag hat, Oliver Wittke. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ein Wort zu Herrn Daldrup. Dass unser kommunalpolitischer Sprecher über viele Jahre Erfahrung in einer Kommune gesammelt hat, die im Norden Deutschlands liegt und vielleicht von der einen oder anderen Witterungslage begünstigt ist, bedeutet nicht, dass wir die Dinge in der Kommunalpolitik anders sehen. Ich glaube, dass Ingbert Liebing nicht nur das Zeug zu einem guten Bürgermeister hat, sondern dass er auch das Zeug zu einem guten Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein hat. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich möchte dennoch den Blick auf das Grundproblem richten und auf den Beitrag, den wir dazu leisten, das Problem zu lösen. Wir haben in den drei Großstädten, die ich vorhin genannt habe, und in vielen anderen Kommunen, die in dem angeführten Bündnis vertreten sind, über viele Jahre die Situation gehabt, dass man sich als Stadtverordneter, als Bürgermeister oder als Kämmerer in einer Art Vergeblichkeitsfalle fühlte. Man konnte trotz aller Zumutungen für die Bürger, etwa Schließungen von Kultureinrichtungen, die Nichtsanierung notwendiger Infrastruktur oder die Erhöhung von Grund- und Gewerbesteuer, das Problem nicht an der Wurzel packen. Man hat im Stadtrat häufig gesagt: Warum sollen wir denn jetzt das Schwimmbad schließen? Das nützt uns nichts. Ob wir 50 Millionen Euro oder 49,5 Millionen Euro kommunales Defizit im Jahr haben, ist doch egal. Wir kommen aus den Schulden nicht raus. Es ist den Kommunen zum Glück gelungen – daran hat der Bund einen ganz maßgeblichen Anteil –, einen Ausweg aus dieser Misere, aus dieser Krise zu finden – das gilt konkret für viele nordrhein-westfälische Kommunen, auch für Solingen, Remscheid und Wuppertal –, indem wir in den Kommunen Konzepte entwickelt haben. Nach diesen Konzepten müssen die Kommunen selbst enorme Anstrengungen unternehmen, um Kosten einzusparen oder die Einnahmesituation durch höhere Steuern zu verbessern. Außerdem wird das Land in die Pflicht genommen, und wir vertrauen darauf, dass uns der Bund mit finanziellen Entlastungen massiv hilft, und zwar da, wo die Lage am schlimmsten ist, nämlich bei den steigenden Sozialausgaben. Im Zeitraum 2010 bis 2018 werden die Länder und Kommunen vom Bund um insgesamt 125 Milliarden Euro entlastet. Das ist eine Hausnummer. Damit wird im Übrigen deutlich die Summe überstiegen, die von dem einen oder anderen Bundesland – ich möchte den Streit an dieser Stelle nicht fortführen – als Entlastung der Kommunen mit Blick auf deren Finanzsituation gewährt wird. Der Bund trägt einen ganz entscheidenden Anteil. Die Kämmerer und die Oberbürgermeister dieser Städte haben im Grunde drei Sorgen, die sie umtreiben. Die erste Sorge ist: Was würde in Bezug auf die Altschulden passieren, wenn die Zinsen explodierten und all unsere Bemühungen, aus den Schulden herauszukommen, vergebens wären? Ich sehe das tatsächlich als drängendes Problem an. Es ist Gott sei Dank nicht akut, weil die Zinssätze derzeit auch bei Kassenkrediten niedrig sind. Aber ich möchte an dieser Stelle schon sagen: Gemäß unserer Verfassung sind die Länder für die Finanzausstattung der Kommunen zuständig. Deswegen müsste von dort aus die Initiative kommen, dahin gehend etwas zu machen. Die zweite Sorge der Kommunen ist, dass von dem Geld, das der Bund, verfassungsrechtlich bedingt, den Kommunen häufig auf dem Umweg über die Länder zukommen lässt, etwas an den Fingern des einen oder anderen Finanzministers hängen bleibt. Auch das ist sicherlich ein Problem, das in allen Bundesländern nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Ich könnte an dieser Stelle wieder konkrete Beispiele aus meinem Bundesland nennen, was ich aber nicht mache. Wir müssen sicherstellen – das ist eine ganz wichtige Aufgabe in der Abstimmung zwischen dem Bund und den Ministerpräsidenten –, dass die Entlastungen durch den Bund, zum Beispiel die geplante Entlastung bei der Eingliederungshilfe, bei den Kommunen tatsächlich ankommen. Wenn man die Diskussion über die Eingliederungshilfe verfolgt, merkt man sofort, dass die Länder ihren Anteil haben wollen und dass Leistungsverbesserungen in großem Umfang zu den Ideen gehören, die auf den Tisch kommen. Das alles könnte möglicherweise ein Stück weit das Geld aufzehren, das wir zur Verfügung stellen. Nein, wir müssen darauf bestehen, dass dieses Geld auch tatsächlich bei den Kommunen ankommt. Die dritte große Sorge, die bei Kämmerern zu schlaflosen Nächten führt, ist, dass durch die gegenwärtige Flüchtlingspolitik und die massive Zuwanderung von Menschen nach Deutschland die Kommunen finanziell überfordert werden und sie deswegen ihre Einsparziele und damit einen ausgeglichenen Haushalt in den vorgegebenen Rahmenbedingungen nicht erreichen können. Das ist, glaube ich, die zentrale Forderung auch an die Runde, die heute noch tagt, nämlich dass wir einen Weg finden – ich glaube, der Vorschlag, den die Regierungskoalition dazu unterbreitet, ist gut –, dass die Kommunen trotz der vielen Arbeit, die sie damit haben, und dem enormen Einsatz, den sie zeigen, sicher sein können, dass die Kosten nicht an ihnen hängen bleiben. In meinem Bundesland zum Beispiel leisten die Kommunen ganz viel in Amtshilfe für die Landesregierung. Es wird zwar gesagt: Irgendwann machen wir einen dicken Strich darunter und rechnen ab. Ich sage aber ganz konkret: Wir werden in den Wahlkreisen die Landesregierung daran messen, ob es tatsächlich so ist, dass die Kommunen für das, was sie im Rahmen der Amtshilfe für das Land on top zu dem leisten, was sie sowieso tun müssen, glattgestellt werden und dass sie insgesamt bei der enormen Aufgabe, die Flüchtlinge willkommen zu heißen und gut aufzunehmen, nicht auch noch finanziell darunter leiden müssen. Ich möchte zum Schluss noch etwas mit Blick auf Deutschland und die Nachbarstaaten sagen. Es glaube doch keiner, dass wir ohne kommunale Selbstverwaltung – ohne das, was die eigenverantwortlichen Bürgermeister und Stadträte in diesen Wochen zusammen mit den Sozialverbänden und den Ehrenamtlichen leisten –, sondern allein mit irgendeiner Zentralverwaltung auf Bundes- oder Landesebene bei der enormen Zahl von Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen, auch nur annähernd so relativ gut mit dem Thema klarkämen. Nein, auch da beweist sich: Es ist ein enormer Trumpf, ein enormer Vorteil und eine enorme Stärke unserer Demokratie, dass wir diese starken selbstverwalteten Kommunen haben, und dabei muss es bleiben. Dafür setzen wir uns ein. In diesem Sinne ist der gemeinsame Antrag zu verstehen. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Wie wir gerade erfahren haben, feiert der Kollege Oliver Wittke seinen Geburtstag durch Teilnahme an der Plenarsitzung des Deutschen Bundestages. Dazu herzlichen Glückwunsch! Ich wünsche Ihnen für das kommende Lebensjahr Glück, Gesundheit und Gottes Segen. (Beifall) Jetzt spricht unsere Kollegin Bärbel Bas für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bärbel Bas (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste! Ich will die Debatte noch etwas anreichern und ein bisschen konkretisieren, was das aus Sicht einer einzelnen Stadt, nämlich der Stadt Duisburg, bedeutet. Sie ist bei vielen Themen als schlechtes Beispiel genannt worden. Ich will jetzt auch einmal eine positive Nachricht verkünden: Es ist uns seit 1992 erstmalig gelungen, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Das ist sicherlich auch unserer Politik zu verdanken, weil wir den Kommunen Mittel für ihre Aufgaben im sozialen Bereich zur Verfügung gestellt haben. Dass das Land Nordrhein-Westfalen einen Stärkungspakt Stadtfinanzen aufgelegt hat, hat dabei sicherlich geholfen. Deshalb will ich auch dem Kämmerer, der die Debatte auf der Besuchertribüne verfolgt, noch einmal herzlich danken. Es war, glaube ich, sein letzter Haushalt, weil er bald in den Ruhestand gehen wird. Vielen Dank für diesen Kraftakt! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Man darf dabei aber eines nicht verschweigen – darum ging es auch bei meinen Vorrednern –: Die Stadt Duisburg hat einen Mühlstein mitzuschleppen. Ich glaube, das ist beispielhaft für viele andere Kommunen. Duisburg hat 1,75 Milliarden Euro Altschulden. Die Kreditkosten für diese Altschulden betragen 30 Millionen Euro im Jahr. Wir reden hier oft über Milliardenbeträge. Aber für eine einzelne Stadt sind 30 Millionen Euro, die sie bei Niedrigzinsen für die Altschulden aufbringen muss, verdammt viel. Der Kollege Hardt hat es gerade erwähnt: Wenn die Zinslage anders wäre, wären die Kreditkosten noch viel höher. Dieses Geld fehlt für Investitionen. Ich will noch einmal deutlich machen, zu was für Umtrieben das manchmal führt   die Düsseldorfer Kollegen in beiden Fraktionen mögen es mir nachsehen, wenn ich das sage: Wir Duisburger haben mit den Düsseldorfern eine gemeinsame Stadtbahnlinie. Weil die Stadt Duisburg die Investitionskosten für diese Stadtbahn nicht mehr tragen konnte, bestand in der Tat die Gefahr, dass diese Linie an der Stadtgrenze aufhört und dass die Menschen aussteigen müssen, um mit Bus und Bahn nach Düsseldorf zu fahren. Das hätte auch in umgekehrter Richtung gegolten. Das sind ganz praktische Probleme. So etwas müssen wir verhindern; das ist entscheidend. Ich komme auf die sozialen Ausgaben zu sprechen. Die Quote der Langzeitarbeitslosen in Duisburg liegt bei 43 Prozent. Daran wird deutlich, dass die Stadt massive soziale Ausgaben hat, die sie nicht alleine tragen kann, wenn sie keine Unterstützung durch Arbeitsmarktmaßnahmen bekommt. Andrea Nahles hat mit ihrem Ministerium erste entsprechende Programme aufgelegt. Aber 100 Plätze für eine Stadt, in der 30 000 Menschen in der Langzeitarbeitslosigkeit leben, sind deutlich zu wenig. Ich wünsche mir, dass wir hier in Berlin an solche Punkte denken, wenn wir in den Haushaltsdebatten über die Ressorts Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sprechen. (Beifall bei der SPD) Ein Thema wurde heute noch gar nicht angesprochen. Ich glaube, das ist ein Grund, warum sich damals ein entsprechendes Bündnis gebildet hat. Duisburg hat seit 2007 eine enorme Zuwanderung von EU-Bürgern aus Südeuropa, hauptsächlich aus Bulgarien und Rumänien, zu verkraften. Inzwischen leben fast 13 000 zugewanderte Menschen in der Stadt. Das erfordert eine enorme Integrationsleistung. – Der Kollege Rebmann aus Mannheim nickt gerade zustimmend, wie ich sehe. – Andere Städte im Ruhrgebiet sehen sich mit einer ähnlichen Situation konfrontiert. Ich habe die Sorge, dass dieses Thema aufgrund der aktuellen Flüchtlingsdebatte völlig untergeht. Hier ist aber eine enorme Integrationsleistung zu erbringen. Die zugewanderten Menschen nutzen die EU-weite Freizügigkeit und leben dann in unseren Städten. Hier lässt sich nichts begrenzen. Das wollen wir auch nicht, weil uns die Freizügigkeit in Europa wichtig ist. Aber die zugewanderten Menschen sind nicht immer gut ausgebildet. Sie bringen sicherlich Qualifikationen mit. Aber wir brauchen Umschulungen und eine arbeitsmarktgerechte Sprachförderung. Die dafür benötigten Mittel können arme und strukturschwache Städte nicht alleine aufbringen. Deshalb appelliere ich: Es geht nicht nur um die Lasten, die wir aufgrund der Flüchtlinge, die zu uns kommen, nun zusätzlich stemmen müssen. Vielmehr sind es 12, 15 oder vielleicht sogar 20 Kommunen, die eine massive Zuwanderung zu verzeichnen haben und diese auch bewältigen wollen. Sie wollen diese Menschen integrieren. Dafür brauchen sie einen gut funktionierenden Wohnungsmarkt und Arbeitsmarktmaßnahmen. Ich hoffe, dass die Debatten, die wir in diesem Haus über Flüchtlinge führen, nicht dazu führen, dass wir diese Städte und Kommunen vergessen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der SPD-Fraktion ist es zu verdanken, dass – im Koalitionsvertrag verankert – 25 Millionen Euro für Soforthilfen im Jahr 2014 zur Verfügung gestanden haben. Ich bin dem Koalitionspartner dankbar, dass er das mitgemacht hat. Aber diese Summe reicht nicht aus; denn täglich wandern mehr Menschen zu. Wenn von einem Tag auf den anderen hundert Kinder mehr in einem Stadtteil leben, dann weiß die betreffende Kommune nicht, wie sie der Schulpflicht nachkommen und die Gesundheitsversorgung gewährleisten soll, wenn sie keine finanzielle Hilfe von Bund und Land – das sage ich ganz deutlich – bekommt. Ich hoffe, dass die Debatte dazu führt, dass wir noch einmal über einen Altschuldenfonds und Hilfe bei besonderen Nöten, bei Besonderheiten in bestimmten Regionen nachdenken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das würde den betreffenden Kommunen und ihren Vertretern, die gerade auf der Zuschauertribüne sitzen und zuhören, sicherlich sehr helfen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Abschließende Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Barbara Woltmann für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Barbara Woltmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer wie ich aus der Kommunalpolitik kommt, weiß, wie wichtig starke Kommunen sind. Ohne starke Kommunen kein starkes Deutschland! Auch in dieser Legislaturperiode stehen wir alle als verlässliche Partner an der Seite der Städte und Gemeinden. Wir haben die Kommunen an vielen Stellen bereits nachhaltig entlastet und werden dies weiterhin tun. Aber eines möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich sagen – meine Vorredner haben das teilweise schon getan –: Es ist und bleibt verfassungsrechtliche Aufgabe der Länder, eine ausreichende Finanzausstattung der Kommunen sicherzustellen. (Beifall bei der CDU/CSU) Es ärgert mich zunehmend, dass immer nur Forderungen an den Bund gestellt werden, ohne diese Verfassungsmäßigkeit im Auge zu behalten; denn wir müssten als Bund die Verfassung ändern, um zu einer direkten Finanzbeziehung zu den Gemeinden zu kommen. Ich will nicht verschweigen, dass nach Artikel 106 des Grundgesetzes der Bund für einheitliche Lebensverhältnisse zu sorgen hat. Aber der Bund tut bereits eine ganze Menge; ich werde das gleich noch an einigen Beispielen erläutern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich möchte auch an den gestern von Iris Gleicke vorgestellten Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2015 erinnern, in dem steht, dass das Ziel der deutschen Einheit weitestgehend erreicht sei, auch wenn noch einiges zu tun ist. Wir sind da auch noch nicht am Ende. Wie gesagt: Wir müssen die Verantwortlichkeiten einmal ganz klar darstellen. Ich glaube, das kommt zu kurz. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Sehr richtig, dass das gesagt wird!) Ich möchte an einigen Beispielen verdeutlichen, was der Bund schon alles tut. Da kann ich Ihnen jetzt einige Zahlen nicht ersparen; denn sie sollten einmal genannt werden: Der Bund hat mit der Übernahme der Kosten für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung die Kommunen bereits ganz deutlich entlastet. Auch beim Ausbau der Kinderbetreuung für unter Dreijährige haben wir zu unserem Wort gestanden. Über das Sondervermögen „Kinderbetreuungsfinanzierung“ erfolgte allein bis 2014 eine Unterstützung von 5,4 Milliarden Euro. In dieser Wahlperiode haben wir das bestehende Sondervermögen nochmals um 550 Millionen Euro auf jetzt 1 Milliarde Euro aufgestockt. Auch für den Betrieb von Kinderkrippen und Tagespflegestellen tragen wir Sorge und fördern bis Ende des Jahres die Sprachförderung mit 400 Millionen Euro. Wir reden immer von der Vereinbarkeit von Beruf und Familie; auch da unterstützt der Bund. Allerdings müssen die Länder das Geld, das für die Kommunen vorgesehen ist, auch weiterleiten. Wir haben ja von den „klebrigen Fingern der Länder“ gehört. Die Länder sollen, bitte schön, nicht immer jammern, ihre Kommunen bekämen nicht genug Geld, sondern das Geld, das für die Kommunen vorgesehen war, auch in Gänze weiterleiten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir tun auch sonst sehr viel. Wir erarbeiten etwa eine Reform des Teilhaberechts für Menschen mit Behinderungen. Die Ausgaben für die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen sind die am stärksten wachsende Sozialausgabe der Kommunen. Auch da stellen wir 1 Milliarde Euro zur Verfügung. Diese Summe wird 2017 auf 2,5 Milliarden Euro angehoben. Ab 2018 steigt sie auf 5 Milliarden Euro an. Mit der Verabschiedung des Nachtragshaushaltes 2015 und des Gesetzes zur Förderung von Investitionen finanzschwacher Kommunen haben wir einen weiteren Schritt zur Stärkung der Kommunen vollzogen. Es gibt viele weitere Maßnahmen, die von meinen Vorrednern auch schon genannt worden sind. Eine dieser Maßnahmen will ich noch erwähnen: Die 3,5 Milliarden Euro, die wir als Sondervermögen veranschlagt haben, stehen für Investitionen finanzschwacher Kommunen zur Verfügung, die damit einen wichtigen Schritt zum Abbau ihres Investitionsstaus vornehmen können. In unserem Antrag wird auch der Breitbandausbau angesprochen. Er ist gerade für den ländlichen Raum wichtig. Wir fördern die interkommunale Zusammenarbeit und vieles andere mehr. Ich möchte an dieser Stelle aber auch die viele Kommunen stark belastende Flüchtlingskrise ansprechen. Das, was die Bürgermeister uns bei unseren Wahlkreisbesuchen immer wieder sagen, ist: Wir sind eigentlich am Limit angekommen. – Es gibt Städte, wo viele Sporthallen und andere Hallen schon in Anspruch genommen werden mussten. Diese Hallen stehen für die Sportvereine, für die Schulen, für die Kinder generell nicht mehr zur Verfügung. Das ist schon ein schwerer Einschnitt, eine Beeinträchtigung; das muss man so sagen. Die Bürgermeister in meinem Wahlkreis sagen mir: Na ja, die Zuweisungen bis Ende des Jahres können wir mit Ach und Krach noch schaffen. Aber dann ist Schluss; dann wissen wir einfach nicht mehr, wohin. Ihr müsst etwas tun, damit dieser Flüchtlingsstrom zumindest gebremst wird. – Ein Problem, das hier schon oft geschildert worden ist, ist, dass auf einmal ganz viele Menschen in eine Kommune kommen, obwohl sie dort in der notwendigen Schnelligkeit gar nicht untergebracht werden können. Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich bei allen bedanken, bei den Kommunen, bei den ehrenamtlichen Helfern. Man kann das überhaupt nicht hoch genug anerkennen: Ohne dieses ehrenamtliche Engagement wären wir an dieser Aufgabe, glaube ich, schon gescheitert. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Bürger, die mit ihrer Hilfe auch dazu beitragen, möchte ich ebenfalls in den Dank einschließen. Zurzeit ist ein Gesetz in der Diskussion, mit dem wir etliche Veränderungen im Asylverfahren vornehmen wollen. Im Koalitionsausschuss liegt ein ganzes Paket auf dem Tisch, das wir in der nächsten Woche aller Voraussicht nach in erster Lesung beraten werden. Auf den Flüchtlingsgipfel, der heute noch stattfinden wird, wurde schon hingewiesen. Ich hoffe und gehe erst einmal davon aus, dass wir dort zu guten Beschlüssen kommen werden; denn es ist eine gesamtstaatliche Aufgabe, eine Aufgabe aller Ebenen: des Bundes, der Länder und der Kommunen. Nur gemeinsam können wir diese Herausforderung schaffen. Ich habe die Hoffnung, dass alle sich dieser Verantwortung bewusst sind. Insofern hoffe ich beim Flüchtlingsgipfel heute auf gute Beschlüsse. Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Woltmann, Sie denken an die vereinbarte Redezeit? Barbara Woltmann (CDU/CSU): Ich tue das und will schließen, nur noch ein letzter Satz. – Da ich die letzte Rednerin bin, möchte ich noch einmal betonen: Wir haben einen guten Antrag vorgelegt, und das ist gut für die Kommunen in diesem Land. Ich hoffe nach Ihrem Auftritt hier, Frau Hinz, dass die SPD nach wie vor zu diesem Antrag steht. Sie sagten, Sie hätten allein für die SPD gesprochen. Es ist unser gemeinsamer Antrag. Wir wollen das gemeinsam voranbringen. Dazu stehen wir auch. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/6062, 18/3051 und 18/6069 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe jedenfalls keinerlei Widerspruch. Die Überweisungen sind somit beschlossen. Wir kommen jetzt zur Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Verbindliches Mitwirkungsrecht für Kommunen bei der Erarbeitung von Gesetzentwürfen und Verordnungen sowie im Gesetzgebungsverfahren“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6085, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3413 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 h sowie die Zusatzpunkte 4 a und 4 b auf: 27.    a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 17. März 2014 zur Änderung des Abkommens vom 30. März 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksache 18/5575 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19. Oktober 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Föderation St. Kitts und Nevis über die Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch Drucksache 18/5576 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Partnerschafts- und Kooperationsabkommen vom 11. Mai 2012 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Irak andererseits Drucksache 18/5577 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. August 2014 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksache 18/5578 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 3. Dezember 2014 zur Änderung des Abkommens vom 30. März 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Irland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksache 18/5579 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Batteriegesetzes Drucksache 18/5759 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Energieverbrauchskennzeichnungsgesetzes Drucksache 18/5925 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes zur Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 7. November 2013 in der Rechtssache C-72/12 Drucksache 18/5927 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie ZP 4 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Dr. Konstantin von Notz, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sicher vernetzt, gut versorgt – Digitalisierung im Gesundheitswesen im Dienste der Patienten gestalten Drucksache 18/6068 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Innenausschuss Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss Digitale Agenda b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Stephan Kühn (Dresden), Oliver Krischer, Matthias Gastel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zum Schutz der Verbraucher – Unzutreffende Angaben beim Spritverbrauch und Schadstoffausstoß von PKW beenden Drucksache 18/6070 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann sind diese Überweisungen so beschlossen. Bevor wir zu den abschließenden Beratungen ohne Aussprache kommen, möchte ich Ihnen mitteilen, dass interfraktionell vereinbart ist, den Tagesordnungspunkt 28 i – es handelt sich dabei um die Sammelübersicht 224 zu Petitionen – von der Tagesordnung abzusetzen, das heißt, heute nicht zu beraten. – Ich sehe, dass Sie alle damit einverstanden sind. Dann verfahren wir so. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 h und 28 j auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Wir beginnen mit Tagesordnungspunkt 28 a: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abwicklung der staatlichen Notariate in Baden-Württemberg Drucksache 18/5218 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/6087 Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6087, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf der Drucksache 18/5218 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die diesem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 28 b: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 14. Oktober 2005 zum Übereinkommen vom 10. März 1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt und zu dem Protokoll vom 14. Oktober 2005 zum Protokoll vom 10. März 1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit fester Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel befinden Drucksache 18/5268 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) Drucksache 18/6084 Der zuständige Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6084, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/5268 anzunehmen. Wir kommen zur zweiten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand. Dann ist dieser Gesetzentwurf ebenfalls angenommen. Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 28 c: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die internationale Zusammenarbeit zur Durchführung von Sanktionsrecht der Vereinten Nationen und über die internationale Rechtshilfe auf Hoher See sowie zur Änderung seerechtlicher Vorschriften Drucksache 18/5269 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) Drucksache 18/6089 Der zuständige Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6089, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/5269 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 28 d: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes Drucksache 18/5273 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) Drucksache 18/6071 Der zuständige Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6071, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/5273 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Wir kommen jetzt zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Auch hier niemand. Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen des gesamten Hohen Hauses angenommen. Wir kommen jetzt zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses, Tagesordnungspunkte 28 e bis 28 h und 28 j. Tagesordnungspunkt 28 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 220 zu Petitionen Drucksache 18/5957 Wer dafür stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand. Die Sammelübersicht 220 ist damit mit den Stimmen des gesamten Hohen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 28 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 221 zu Petitionen Drucksache 18/5958 Wer dafür stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand. Die Sammelübersicht 221 ist ebenfalls mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 28 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 222 zu Petitionen Drucksache 18/5959 Wer dafür stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 222 ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 28 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 223 zu Petitionen Drucksache 18/5960 Wer dafür stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand. Die Sammelübersicht 223 ist damit mit allen Stimmen des Hohen Hauses angenommen. Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 28 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 225 zu Petitionen Drucksache 18/5962 Wer dafür stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 225 mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Damit haben wir diesen Teil der Abstimmungen abgeschlossen. Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Neue Dynamik zur politischen Lösung der Syrien-Krise nutzen Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Dr. Rolf Mützenich für die SPDFraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Rolf Mützenich (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Syrien zerfällt, Tod und Verzweiflung sind gegenwärtig – wir erleben tagtäglich schreckliche Bilder aus diesem Land, aus der Region. Aber das ist kein Schicksal des Landes. Es ist von Menschenhand gemacht, und deswegen kann es der Mensch, wenn er es will, auch verändern. Ich finde, wir sollten alles tun, um den Weg zu bereiten, das Schicksal dieser Menschen zu verbessern. Wir haben heute Morgen bereits über das Thema Flüchtlinge gesprochen. Ich will noch einmal daran erinnern, dass die Bundesregierung, aber auch andere Regierungen in Europa und darüber hinaus im vergangenen Herbst in Deutschland zusammengekommen sind, um die Situation der Nachbarländer in den Fokus zu nehmen, Geld in die Hand zu nehmen und letztlich Hilfe gegenüber dem Libanon, Jordanien und dem Irak anzubieten. Zum Zweiten. Auch wenn mir vieles bei der Politik der gegenwärtigen türkischen Regierung und des türkischen Präsidenten nicht gefällt, ist zu sagen: Dieses Land beheimatet 2 Millionen Flüchtlinge und hat bisher 8 Milliarden Euro für deren Unterbringung, für deren Gesundheit und andere Dinge aufgewandt. Zum Dritten. Es ist gut, dass wir im Deutschen Bundestag die Mittel für die humanitäre Hilfe erhöht haben, dass die Europäische Union für das World Food Programme, das Welternährungsprogramm, mehr Mittel bereitgestellt hat, genauso der UNHCR. Dank an die Bundesregierung und an den Deutschen Bundestag, der in der Vergangenheit den Institutionen immer wieder Mittel zur Verfügung gestellt hat. (Beifall bei der SPD) Deswegen gibt es jetzt die Möglichkeit, politisch initiativ zu werden. Ich möchte von den Überschriften der letzten Tage auf ein anderes Thema kommen. Ich will gar nicht so sehr über Russland sprechen, sondern über das, was die Bundesregierung gemeinsam mit anderen Regierungen geschafft hat, nämlich die Vereinbarung des Atomabkommens mit dem Iran. Es ging nicht allein darum, eine mögliche Atomkrise zu beherrschen, sondern darum, dieses Land wieder in die internationale Gemeinschaft zurückzuholen. Der Historiker Jürgen Osterhammel, den die Bundeskanzlerin zu ihrem Geburtstag eingeladen hat, sagte zu Recht: Vielleicht war 1979, als sich der Iran auf den Weg gemacht hat, wieder eine besondere Bedeutung in der Region zu bekommen, ein epochales Datum. – Deswegen ist es jetzt den Versuch wert, den Iran daran zu messen und zu fragen, ob er weiterhin Verantwortung tragen und auf diejenigen Einfluss nehmen will, die für das Blutvergießen in Syrien verantwortlich sind. Wir müssen den Iran fragen, ob er bereit ist, in der internationalen Gemeinschaft mitzuwirken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es gibt weitere hoffnungsvolle Anzeichen. So war es ein gutes Zeichen, dass es zur Vernichtung der Chemiewaffen in Syrien eine Resolution des Sicherheitsrates gegeben hat. Ich glaube im Nachhinein – vielleicht sehen die Vertreter und Vertreterinnen der Linkspartei das auch so –, der gesamte Deutsche Bundestag hätte gut daran getan, der Vernichtung der Chemiewaffen zuzustimmen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die neue Resolution des Sicherheitsrates über weitere Erkundungen in Syrien bietet Gelegenheit, hier anzuknüpfen. Wir ermutigen die Bundesregierung, insbesondere den Bundesaußenminister, in New York alles zu unternehmen, um mit den Vereinten Nationen weiter an dieser Frage zu arbeiten; denn die Situation ist gefährlich. Sie ist gefährlich, weil noch immer die militärische Logik im Vordergrund steht – in Russland, aber auch bei den anderen Beteiligten. Ich erinnere gerne daran, dass es ein Irrtum ist, zu sagen: Nur wenn wir den IS bekämpfen, werden wir die Flüchtlingsströme stoppen. – Wahrscheinlich geht es insbesondere darum, Assad daran zu hindern, weiter Fassbomben zu werfen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gerade deswegen sollten wir an den Iran und andere Länder appellieren. Selbst wenn es aber zu einer Verabredung auf internationaler Bühne in den nächsten Monaten, vielleicht auch erst in den nächsten Jahren kommen wird, heißt das nicht, dass sich die Verantwortlichen vor der internationalen Strafjustiz verstecken dürfen. Das darf nicht die Verabredung sein. Dies sage ich zumindest für meine Fraktion sehr deutlich. Es gilt das Statut von Rom; letztlich gilt auch das deutsche Völkerstrafgesetzbuch. Daran ist zu erinnern. Wir stehen in der Tat vor einem Dilemma. Das sehen wir jeden Tag; die Bundeskanzlerin hat es heute Morgen noch einmal gesagt. Aber wir müssen aus diesem Dilemma die richtigen Konsequenzen ziehen, nämlich der Diplomatie noch stärker zum Durchbruch verhelfen, damit es Waffenruhen, Waffenstillstand und vielleicht irgendwann auch wieder Frieden in Syrien geben kann. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Gehrcke für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Danke sehr, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss der Versuchung widerstehen, Ihnen vorzurechnen, wie oft wir Ihnen das, was jetzt vorgeschlagen wird – Verhandlungen unter Einbeziehung des Staates Syrien –, schon vorgeschlagen haben und wie oft Sie es zurückgewiesen haben. Ich streiche das; es ist für mich im Moment nicht so interessant. Ich möchte gern, dass wir uns erstens auf ein Ziel der ganzen Debatte verständigen, das wir als Deutscher Bundestag – möglichst auch die Bundesregierung – ansteuern sollten. Ich biete Ihnen ein Ziel an: Für uns ist das Ziel, den Krieg, das Morden und Töten in Syrien sofort zu stoppen. Wir sind bereit, alles andere diesem Ziel unterzuordnen; denn das ist die entscheidende Sache. (Beifall bei der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: Und wie, Wolfgang?) Ich biete Ihnen an, zweitens gemeinsam das Ziel zu formulieren, Syrien als nationalen Staat zu erhalten, seine säkulare Staatsverfassung zu retten und diesen Staat in Gänze zu demokratisieren und sozial wiederaufzubauen. Ich finde, wenn wir ein solches gemeinsames Ziel formuliert haben – ich biete Ihnen das zumindest an –, dann können wir über Einzelheiten streiten und da auch unterschiedlicher Auffassung sein. Wenn man in diese Richtung gehen will, muss man mit aller Kraft die UNO-Vermittlungsmission von Staffan de Mistura unterstützen. Seine Vorgänger hatten keine weltweite Unterstützung. Es muss nun besser gelingen, sich international gemeinsam hinter diese Mission zu stellen. Kofi Annan hatte gute Vorschläge, Lakhdar Brahimi ebenfalls, aber sie hatten nicht diese breite Unterstützung. Ich möchte nicht noch einmal lesen müssen, was ich Ihnen jetzt vorlese. Friedensnobelpreisträger Martti Ahtisaari, den ich in der Kosovo-Frage – da war er ja Vermittler – immer kritisiert habe, schrieb über seine Wahrnehmung der Verhandlungsprozesse: Bereits 2012 habe der russische Unterhändler Witalij Tschurkin einen Drei-Punkte-Plan zur Lösung des Konfliktes unterbreitet, der auch einen Rücktritt von Syriens Präsidenten Baschar al-Assad vorsah. Darauf seien aber Frankreich, Großbritannien und die USA nicht eingegangen, weil sie davon überzeugt waren, dass der Sturz Assads ohnehin bevorstünde. Zu diesem Zeitpunkt, so Ahtisaari, belief sich die Zahl der Opfer auf 7 500. Seine Schlussfolgerung ist: Wir hätten das ganze Chaos vermeiden können. – Ich möchte nicht, dass wir uns noch einmal zu Recht solche Vorhaltungen machen lassen müssen. Also muss man in der Politik eine andere Richtung einschlagen. (Beifall bei der LINKEN) Was ich von der Bundesregierung wünsche, ist eine diplomatische Offensive – nicht Waffenlieferungen und einseitige Parteinahmen, sondern eine Vermittlung von Verhandlungen. Eine solche diplomatische Offensive ist das Gebot der Stunde. Bei der Planung muss man über folgende Punkte nachdenken und reden: Es muss über lokale Waffenstillstände verhandelt werden. Ein Waffenstillstand für das gesamte Syrien ist eher unwahrscheinlich. Also muss es ein Netz von Gebieten geben, in denen lokale Waffenstillstände ausgehandelt und dann durchgesetzt werden. Ich möchte gern, dass diese Verhandlungen unter dem Dach der Vereinten Nationen zusammen mit den Konfliktparteien stattfinden. Nachdem sich Herr Kauder heute dazu geäußert hat, sage ich: Ich bin unbedingt dafür, dass die USA und Russland – was auch immer man von ihrer Politik hält – in diesen Prozess einbezogen werden. Ohne die USA und ohne Russland wird man nicht zu einem solchen Prozess der Waffenstillstände und der Beendigung des Krieges kommen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ich glaube, dass man über die Einbeziehung verschiedener Verhandlungsparteien nachdenken muss; es wird sich entscheiden. Nicht alle werden sofort an einem Tisch sitzen können; aber in diese Richtung muss es gehen: Iran, Irak, Saudi-Arabien, Katar und die Türkei sollten am Tisch sitzen – obwohl eine ganze Reihe der Regime mir überhaupt nicht passen, aber das ist jetzt nicht die Frage –, und auch die Regierung des Präsidenten Assad sowie die verschiedenen Oppositionsgruppen, die in Syrien auf Gewalt verzichten, die Kurden, müssen zu den Verhandlungsparteien gehören. Ich habe nie verstanden, warum die Bundesregierung im Vorfeld der Verhandlungen nicht ein einziges Mal mit den Oppositionsgruppen gesprochen hat, die erklärt haben, sie wollen keine Gewalt. Auch hier muss sich die Politik der Bundesregierung ändern. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn die Oppositionsgruppen ihrerseits bereit wären – was ein großes Zugeständnis wäre –, in die Verhandlungen auch die sogenannte syrische Exilregierung einzubeziehen, dann wäre das für beide Seiten ein Schritt nach vorne. Wir sollten das befördern. Ich bitte Sie sehr, ebenfalls zu überlegen, wie man diese humanitäre Situation wenigstens ein bisschen verbessern kann. Dazu gehört auch, mit doppelten Standards Schluss zu machen. Durch unsere doppelten Standards blamieren wir uns in der ganzen Welt. Wir fordern von Russland, keine Soldaten nach Syrien zu schicken – (Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Die sind ja schon da!) das ist durchaus in meinem Sinne, um das deutlich zu machen –, ich möchte aber, dass es glaubwürdig wird, indem die Bundesregierung erklärt: Wir liefern keine Waffen, wir werden die Waffenexporte in den Nahen Osten verbieten. Wenn man nicht nur darüber nachdenkt, wen man anklagen bzw. schwächen könnte, dann kann man solche Forderungen auch besser aufstellen. (Beifall bei der LINKEN) Zum Schluss sage ich Ihnen: Wir brauchen eine Übergangsregierung. Ich bin sehr dafür, dass in Syrien darüber nachgedacht wird, die Oppositionsgruppen, die auf Gewalt verzichten, die Kurden und andere, in eine Übergangsregierung aufzunehmen. Eine Übergangsregierung wird unter der Präsidentschaft Assads stehen. Was am Ende steht, das sollen die Syrierinnen und Syrier durch freie Wahlen in ihrem Land in einem gewaltfreien Umfeld selber entscheiden. Das haben nicht wir hier zu entscheiden. Das wird nicht über die Köpfe der Syrier hinweg entschieden; vielmehr sollten die Syrier in Wahlen selbst entscheiden, welchen Präsidenten sie wollen. Das wird man als Demokrat doch mit befördern dürfen. Das wäre eine politische Konzeption, über die der Bundestag nachdenken sollte. – Ich höre Gequake von der Regierungsbank, aber das nimmt sowieso keiner ernst. Danke sehr. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Johann Wadephul. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der syrische Bürgerkrieg geht in sein fünftes Jahr. Bisher wurden 240 000 Todesopfer gezählt, 4 Millionen Menschen sind auf der Flucht und halten sich in den Nachbarländern Syriens auf, sind Binnenflüchtlinge oder begeben sich nach Europa bzw. nach Deutschland. Das ist Anlass genug, dass wir die Außenpolitik in den Mittelpunkt der Flüchtlingsdiskussion in Deutschland rücken; denn die Flüchtlinge, die hierherkommen, haben Gründe, zu fliehen. Wir sollten uns diesen Gründen ehrlich stellen. Wir sollten auch darüber nachdenken, was wir in der Vergangenheit vielleicht verkehrt gemacht haben, was wir versäumt haben. Es ist notwendig, dass wir hier in der Diskussion über Ursachen der Flucht aus dem Mittleren Osten sprechen. Aber natürlich zwingt uns auch unsere humanitäre Verantwortung, darauf zu schauen, was dort geschieht. Denn die Städte und Dörfer in Syrien sind zerstört. Schon jetzt ist dieses Land durch die Konfliktparteien um Jahrzehnte zurückgebombt worden. Es wird Jahrzehnte dauern, das Land wieder aufzubauen. Ich denke insbesondere an die vielen jungen Menschen, deren Zukunft brachliegt und denen wir kaum helfen können. Wir tragen hier eine große Verantwortung. In dieser Situation, lieber Herr Gehrcke, muss man internationale Organisationen stärken. Was aus dem Prinzip der Schutzverantwortung konkret folgt, darüber kann man im Einzelfall streiten. In der vergangenen Legislaturperiode hat sich Deutschland bei einem Votum über einen Militäreinsatz in Libyen enthalten. Das hat uns sogar die Kollegin Wieczorek-Zeul damals vorgehalten; ich sage das ohne Vorwurf. Auch Herr Gehrcke hat uns damals in der Diskussion unterstützt; das war richtig. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das würde ich auch wieder tun!) Aber man muss genauso sagen, dass ein Prinzip der Schutzverantwortung seine Glaubwürdigkeit verliert, wenn am Ende die internationale Gemeinschaft einem fünfjährigen Morden, Krieg, Fassbomben- und Chemiewaffeneinsatz schlicht und ergreifend tatenlos zusieht. Das kann nicht die Lehre aus Srebrenica oder Ruanda sein. Wir als internationale Gemeinschaft müssen in der Lage sein, zu handeln. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Man muss die internationale Gemeinschaft unterstützen, Herr Gehrcke. Ich finde es ein bisschen bedauerlich, dass Sie dazu nichts gesagt haben. (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Hinsichtlich der Zerstörung von Chemiewaffen gab es wenig Konsens. Sie müssen mir wirklich erklären, Herr Gehrcke, wie man unter Zurückhaltung aller ideologischen Argumente irgendeinen humanitären Grund finden kann, sich gegen die Vernichtung von Chemiewaffen auszusprechen. Das ist schlicht und ergreifend unverständlich gewesen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Das hat er nicht gemacht!) Wir haben hier ein Minimum erreicht, und da muss man doch Unterstützung leisten. Die Situation in den Nachbarländern ist angesprochen worden. Ich halte es für einen internationalen Skandal, dass der UNHCR das Fehlen von 2,8 Milliarden Dollar beklagt hat. So wenig wir bei diesem Konflikt auch tun können, kann es aber nicht angehen, dass es am Ende am Geld fehlt. Hier sind wir alle gefordert, meine sehr verehrten Damen und Herren. Insofern kann ich uns nur auffordern, dafür zu sorgen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Marieluise Beck (Bremen) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Derzeit laufen die Haushaltsberatungen. Es gibt einen ersten Ansatz in Höhe von 400 Millionen Euro. Geld ist nicht alles, aber wenn wir Probleme mit Geld lösen oder zumindest lindern können, dann müssen wir auch Geld in die Hand nehmen. (Beifall des Abg. Ulli Nissen [SPD]) Wir sind uns doch gewiss, dass wir in dieser Situation in Deutschland und in Europa für manches Geld brauchen. Nach meiner Überzeugung muss aber auch der Haushalt des Auswärtigen Amtes hinreichend ausgestattet werden. Ich glaube, dass diese 400 Millionen Euro nicht ausreichen werden angesichts der großen Probleme, die wir haben. (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD] und. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE].) Deswegen ermutige ich uns alle, an dieser Stelle mehr Geld in die Hand zu nehmen und dem Auswärtigen Amt und all denjenigen, die humanitäre Hilfe für Flüchtlinge vor Ort leisten, mehr Mittel zuzuweisen, damit sie mehr Möglichkeiten haben, meine sehr verehrten Damen und Herren. Dieses Signal des Hauses ist meines Erachtens insgesamt erforderlich. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Noch ein Wort zu Herrn Assad. Politik beginnt mit der Wahrnehmung der Realität. Deswegen ist es vollkommen richtig, was die Bundeskanzlerin gesagt hat. Da hat es auch nie eine andere Position gegeben, Herr Gehrcke. Die Verhandlungen in Genf haben durchaus auch unter Beteiligung des Regimes stattgefunden. Es ist aber am Ende so, dass dieser Mensch nicht nur den Einsatz von Fassbomben, sondern auch und insbesondere – das finde ich nach den Erfahrungen des Ersten und Zweiten Weltkriegs besonders erschreckend – den Einsatz von Chemiewaffen zu verantworten hat. Meine sehr verehrten Damen und Herren, so sehr wir Realitäten anerkennen und auch mit Machthabern verhandeln müssen – das ist selbstverständlich –, darf es nicht hingenommen werden, dass dieser Mensch, der den Einsatz von Chemiewaffen zu verantworten hat, am Ende straflos davonkommt. So darf kein Abkommen aussehen. Die internationale Strafgerichtsbarkeit muss an dieser Stelle handlungsfähig sein. Ich glaube, wenn wir diese Möglichkeiten miteinander nutzen, dann besteht die Chance, endlich etwas zu erreichen. Ich glaube, es ist den Einsatz jeder Diplomatie wert, dass wir für die Menschen in Syrien etwas tun. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Omid Nouripour für Bündnis 90/Die Grünen. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich zitiere: Seien wir ehrlich: Bislang sind alle Anläufe der internationalen Gemeinschaft für eine politische Lösung gescheitert. Dieser Satz ist ein Zitat des Herrn Außenministers aus dem Tagesspiegel. Dies ist Ausdruck der notwendigen Demut, die wir hinsichtlich des Syrien-Konflikts sicher alle empfinden. Für die Politik der Bundesregierung gilt dieses Eingeständnis des Scheiterns aber nicht; denn dafür hat sie in den vergangenen viereinhalb Jahren viel zu wenig gemacht. Herr Wadephul, Sie haben internationale Schutzverantwortung als Prinzip angeführt. Ich frage mich, ob irgendetwas in der Politik der Bundesregierung dieses Prinzip abbildet. Ich sehe das leider nicht. Es gibt natürlich in allen Fraktionen Kolleginnen und Kollegen, die sich in den vergangen vier bis fünf Jahren intensiv mit diesem Thema beschäftigt haben. Wir müssen uns alle die Augen reiben, weil die Flüchtlinge, die jetzt kommen, dazu führen, dass die Bundesregierung mehr tun will, aber nicht die 250 000 Toten und Millionen von Opfern des Krieges. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Gutes Argument!) Besser spät als nie. Es gilt aber natürlich das Wort des Außenministers: Seien wir ehrlich. Seien wir ehrlich: Wir versagen kläglich bei der Versorgung der Flüchtlinge. Es ist gut, dass dem Welternährungsprogramm jetzt mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden. Es ist jetzt aber schon im dritten Jahr ein gewisses Ritual, dass das Welternährungsprogramm im Frühjahr darauf hinweist, dass das Geld spätestens im Herbst ausgehen werde – ich weiß, da gibt es keinen Dissens –, und im Oktober werden dann die Rationen für Kinder gekürzt. Das muss uns alle mit Scham erfüllen. Seien wir ehrlich: Die Bundesregierung hat nach vier Jahren Krieg immer noch keine Vorstellung davon, wie sie die Nachbarstaaten unterstützen will. Der Libanon ist andauernd kurz vor dem Kollaps. Kein Mensch kann erklären, wie es dieses Land schafft, zu überleben. Sie brauchen keine humanitäre Hilfe mehr für Projekte von sechs Monaten Dauer. Sie brauchen Entwicklungszusammenarbeit. Sie brauchen Infrastruktur. Sie brauchen Strukturen, die langfristig halten, aber nicht die Fragestellung im BMZ: Ist der Libanon ein Schwerpunktland unserer Politik? Wo müssen wir jetzt mehr Geld geben und wo nicht? Investitionen in die Infrastruktur im Libanon sind jetzt schlicht Friedenspolitik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das gilt im Übrigen auch für den Irak. Irak war das erste Land und ist hoffentlich auch das letzte Land, das vom Konflikt in Syrien so heftig betroffen ist, und es ist das zweite große Land, in dem ISIS sein barbarisches Unwesen treibt. Ich bin gestern aus dem Irak zurückgekommen. Die zentrale Frage, die mir dort gestellt wurde, ist dieselbe wie im letzten Jahr: Wo sind eigentlich die Deutschen? Wo ist das deutsche Kapital? Welches politische Kapital bringt Deutschland in der zentralen Frage der Reintegration der Sunniten, in der Frage der nationalen Aussöhnung ein? – Diesbezüglich gibt es eine sehr große Leerstelle. Ja, in Syrien wird ein sehr brutaler, harter und vielschichtiger Stellvertreterkrieg geführt, und ja, es gibt Staaten, die das Land mit in den Abgrund gerissen haben. Mit den Vertretern dieser Staaten muss man trotzdem sprechen, und man muss zu diesen Staaten auch Beziehungen unterhalten; es hilft nichts, den Kopf in den Sand zu stecken wie der Vogel Strauß und so zu tun, als hätte sich an der Situation nichts geändert. Die Türkei ist gerade genannt worden. Die Türkei hat 2 Millionen Menschen aufgenommen. Der Außenminister war vor kurzem in Deutschland und hat dankenswerterweise eine Migrationspartnerschaft angeboten. Das ist gut, und das ist richtig. Man muss aber auch einmal laut und hörbar – so, dass Herr Erdogan sich nicht verstecken kann – das Grenzmanagement der Türkei ansprechen; denn dadurch wurden die Barbaren von ISIS zumindest in den letzten zwei Jahren unterstützt. Man muss sagen, dass ISIS zumindest indirekt immer wieder sehr stark aus der Türkei heraus unterstützt worden ist. Trotz meiner persönlichen Antipathie gegenüber der PKK muss ich sagen: Es kann nicht sein, dass man versucht, einen Bürgerkrieg anzuzetteln, weil ein Wahlkampf bevorsteht. – Das alles ist indiskutabel, aber das muss angesprochen werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es muss auch gesagt werden, dass Saudi-Arabien vielleicht nicht von ISIS, aber von vielen anderen dschihadistischen Gruppen ein Hauptfinanzier ist. Es kann doch nicht sein, dass daraus keinerlei Lehren gezogen worden sind, zum Beispiel für Rüstungsexporte. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das Beispiel Iran ist gerade genannt worden. Ja, es gibt natürlich die Hoffnung, dass infolge des Nuklearabkommens eine Dynamik entsteht und die Iraner eine andere, in Zukunft hoffentlich konstruktive Rolle bezogen auf Syrien spielen werden. Das Gegenteil ist aber auch möglich – auch das muss man benennen –: Es besteht das Risiko, dass die Kriegskassen der Revolutionswächter durch das Atomabkommen, für das ich sehr bin, gefüllt werden und am Ende des Tages das erste Opfer dieses Abkommens – noch einmal: für das ich sehr bin – das syrische Volk ist. Auch das gehört zur Ehrlichkeit dazu. Auch das muss man ansprechen. Bezogen auf Russland ist die Situation ganz schwierig, sogar dramatisch. Der Kollege Kiesewetter hat neulich gesagt, dass Deutschland sich an Luftschlägen beteiligen möge. Man muss sagen – das gehört zur Ehrlichkeit dazu –, dass das zurzeit nicht in erster Linie aus legalistischen Gründen nicht geht, sondern weil Russland zurzeit jede Ankündigung sehr schnell und sehr deutlich mit militärischer Eskalation beantwortet. So werden in Latakia jetzt ein zweites und ein drittes Militärlager aufgebaut. Es wird alles andere als einfach, Russland ins Boot zu bekommen. Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist der Umgang mit Assad. Das ist nicht die einzige zentrale Frage, da es zurzeit drei zentrale Gruppen in Syrien gibt: die Assad-Schergen, die ISIS-Leute und nun auch noch die al-Nusra, die ab und an einmal die Zivilisten beschützt. Al-Nusra ist im Übrigen eine al-Qaida-Filiale; das ist hochdramatisch. Die Bundeskanzlerin hat ja recht, wenn sie sagt: „Vielleicht wird es irgendwann einmal notwendig sein, mit Assad zu reden“, was aber nicht geht, ist – da bin ich bei Ihnen –, ihn zum Partner zu machen. Zum Partner können wir ihn nicht machen. Wir können ihn nicht reinwaschen. Wir können nicht sagen: „Im Irak ist die Reintegration der Sunniten, die dort in der Minderheit sind, eine zentrale Aufgabe“, und der Mehrheit in Syrien – das sind die Sunniten – sagen, dass Assad unser Partner wird, obwohl eindeutig ist, dass er verantwortlich ist für die Ruinen in ihren Städten, für die Fassbomben, für das Töten ganzer Familien, für den Tod von 250 000 Menschen. Wir können nicht sagen: Wir haben viereinhalb Jahre nichts gemacht, und jetzt, da die Flüchtlinge zu uns kommen, paktieren wir mit dem größten Mörder der gesamten Region, damit wir die Flüchtlinge von uns fernhalten. – Das wäre das falscheste Signal, das wir zurzeit aussenden könnten. Ich glaube, das wäre kein Beitrag zur Befriedung Syriens. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Jetzt spricht die Kollegin Elisabeth Motschmann für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist gut, dass wir heute eine außenpolitische Debatte führen, nachdem wir mit Blick auf die Flüchtlinge viele innenpolitische Debatten geführt haben. Fluchtursachen bekämpfen – diese Formulierung ist in aller Munde. Das ist leicht gesagt, aber schwer getan. Die Fluchtursachen liegen natürlich nicht nur in Syrien – wir konzentrieren uns heute aber auf Syrien –, sondern sie liegen in der gesamten Region und weit darüber hinaus. Die Fluchtursachen beschäftigen nicht nur uns, sondern viele Menschen im Land. Sie sind beunruhigt und ängstlich, was da noch auf uns zukommt. Die Herausforderungen sind in der Tat extrem für Deutschland, für Europa und die internationale Gemeinschaft. Die Fluchtursachen – das wissen wir – sind vielfältig: Krieg, Hunger, politische und religiöse Verfolgung, Enthauptungen, Vergewaltigungen und vieles mehr. Viele meinen, die Situation sei aussichtslos, aber wer so denkt, der kann nichts positiv verändern und verbessern. „Das größte Laster ist die Verzagtheit“, sagte Franz von Assisi. Das sollten wir uns zu Herzen nehmen. Die Mitgliedstaaten der EU haben gestern und vorgestern sehr gute Beschlüsse im Hinblick auf die Flüchtlinge, die Registrierungszentren in Italien und Griechenland sowie zusätzliche Milliarden für die Welthungerhilfe gefasst. Das alles sind erste richtige und wichtige Schritte, aber sie lindern die Not nur bedingt. Zurück zu Syrien. Von dort kommen zurzeit die meisten Flüchtlinge. Sie fliehen vor dem Terror des IS, sie fliehen aber insbesondere auch vor den Fassbomben und dem Chlorgas von Assad. Er ist verantwortlich – das sage ich hier noch einmal ausdrücklich – für viele Tote, Verletzte und übrigens auch verstümmelte Menschen in seinem eigenen Land. Es gibt keine isolierte Lösung für Syrien. Der IS macht vor keiner Grenze halt und hält zum Beispiel auch viele Teile des Irak besetzt. Eines aber steht fest: Es ist unsere politische und moralische Pflicht, dem Töten in Syrien endlich ein Ende zu setzen. Seit fünf Jahren schaut die Weltgemeinschaft zu – Herr Wadephul hat es gesagt –, wie dort gemordet wird. 250 000 Tote und 4 Millionen Flüchtlinge sind die bisherige Bilanz. Das darf so ganz bestimmt nicht weitergehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Deshalb muss die Entschärfung dieser Krise absolute außenpolitische Priorität haben. Wir müssen ja abschichten bei den vielen Krisenherden in der Welt. Da steht natürlich die Frage im Raum, Kollegin Beck: Kann oder darf man mit Assad reden und verhandeln? Ich glaube, dass unser Außenminister recht hat, wenn er sagt, dass es mit Assad keine Zukunftsperspektive für das Land Syrien geben kann. Ich glaube aber auch, dass es ohne ihn auch keinen Waffenstillstand geben kann. Das ist genau das Problem. Deshalb muss man mit ihm reden. Als Verhandlungspartner müssen aber auch der Iran, die Türkei, Saudi-Arabien, Katar und alle anderen umliegenden Länder beteiligt werden. Wie ist es mit Russland? Herr Gehrcke, ausnahmsweise bin ich bei Ihnen. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Dafür kann ich nichts!) Wir müssen mit Russland natürlich verhandeln, ohne – auch das sage ich ganz klar – dass wir die Ukraine-Krise dadurch aus den Augen verlieren. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das werde ich mit Sicherheit nicht tun!) Das kann nicht sein. Der US-Außenminister hat erklärt – ich zitiere –: „Wir haben die gleichen Ziele. Der IS muss zerstört, komplett gestoppt werden.“ Gespräche mit Russland seien deshalb notwendig, um die militärischen Operationen – da geht es jetzt in eine andere Richtung – gegen den IS zu koordinieren. – Man kann ja vielleicht zunächst einmal Flugverbotszonen einrichten und dadurch Schutzzonen organisieren. Ich stimme übrigens mit Volker Kauder überein, wenn er sagt: Eine militärische Operation muss vorrangig aus der Region selbst kommen, wenn sie denn kommen muss. Wenn das Land ohne militärischen Einsatz nicht befriedet werden kann, dann ist das Aufgabe der Nachbarstaaten, zum Beispiel Saudi-Arabiens oder anderer. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das machen die ja gerade im Jemen!) Dieser religiös motivierte Krieg findet zwischen muslimischen Völkern und Gruppen statt. Deshalb sind sie zuallererst aufgerufen, dem Schrecken ein Ende zu bereiten. Wir müssen die politischen Prozesse steuern. Wir müssen diplomatische Lösungen suchen. Wir müssen die humanitäre Hilfe leisten und in die Offensive gehen. Für diese schwierigen Verhandlungen kann man denjenigen, die für uns verhandeln, nämlich der Bundeskanzlerin und unserem Außenminister, nur viel Geschick, viel Kraft und viel Geduld wünschen. Vielen Dank, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine Buchholz für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Christine Buchholz (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Leid der Bevölkerung in Syrien, die unter den Fassbomben von Assad, dem Terror des IS und einer immer unerträglicheren wirtschaftlichen und sozialen Lage lebt, muss ein Ende haben. (Beifall bei der LINKEN) Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang sagen: Den Eindruck zu erwecken, Herr Wadephul, die Linke sei gegen die Vernichtung des syrischen Giftgases, ist blinde Demagogie. (Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Sie haben dagegen gestimmt! – Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Na, na! Vorsicht!) Wir haben immer unterstützt, dass das Giftgas auch in Deutschland vernichtet wird. Wir waren allerdings dagegen, dass die Bundeswehr diese Vernichtung im Mittelmeer begleitet. (Ulli Nissen [SPD]: Das wäre aber sinnvoll gewesen! – Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Da muss man aber schon besonders dialektisch veranlagt sein, wenn man das noch versteht!) Wir haben darauf hingewiesen, dass es die Bundesregierungen bis 2011 waren, die zugelassen haben, dass Giftgasbestandteile nach Syrien, an das Regime Assad, geliefert wurden. Ihre Argumente sind pure Heuchelei. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Sie machen sich einen schlanken Fuß! – Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Das ist unterste Schublade!) Die Vorredner haben über diplomatische Lösungen der Syrien-Krise gesprochen. Keiner redet über die eigentlichen Ursachen dieses Krieges: die jahrzehntelange Intervention der USA, aber auch anderer Großmächte, in der Region. Es fällt auch auf, dass die Groß- und Regionalmächte, die jetzt über diplomatische Lösungen reden, eigene Interessen in der Region haben und bereits direkter oder indirekter Teil des Krieges sind. Seit nunmehr einem Jahr bombardiert eine US-geführte Kriegsallianz Ziele im Irak und in Syrien. Wir hören fast nichts über diese Angriffe – auch kaum etwas über den Drohnenkrieg, der geführt wird. Doch das Bombardement ist massiv. In einem Jahr haben die US-Streitkräfte und ihre Verbündeten mehr Bomben abgeworfen als in den letzten fünf Jahren des Krieges in Afghanistan zusammen. Diese Bomben treffen natürlich nicht nur Terroristen. Gleich in der ersten Woche der US-Angriffe auf syrisches Gebiet wurde ein Getreidespeicher in Manbidsch getroffen. Nach einem Angriff am 30. April 2015 auf das Dorf Bir Mahli räumte das Pentagon offiziell ein, zwei Zivilisten getötet zu haben. Eine Menschenrechtsgruppe zählte 64 Opfer, darunter 31 Kinder. Darüber spricht keiner. Warum? Ich glaube, weil man zugeben müsste, dass der sogenannte Antiterrorkrieg selbst Terror ist. Bomben bringen keinen Frieden. (Beifall bei der LINKEN) Die Bundesregierung unterstützt diesen Antiterrorkrieg politisch, aber auch durch die Entsendung von Waffen und militärischen Ausbildern in den Irak. Nun werden auch noch Stimmen in der Großen Koalition laut – wie die von Herrn Kiesewetter –, die die Entsendung von Bundeswehrtornados zur Unterstützung des US-Luftkrieges fordern. Das, meine Damen und Herren, ist der absolut falsche Weg. (Beifall bei der LINKEN) Ein Blick nach Afghanistan zeigt, wohin ein solcher Krieg führt. Nach zehn Jahren NATO-Krieg ist die Sicherheitslage dort angespannter, und die Taliban sind stärker als je zuvor. Die soziale Misere ist dieselbe geblieben oder hat sich verschlimmert. Glauben Sie denn wirklich, dass sich durch das ständige Wiederholen derselben Fehler nun in Syrien und im Irak irgendetwas verbessern würde? Nein, zur Wahrheit gehört: Der sogenannte „Islamische Staat“ wäre ohne die US-Intervention im Irak ab 2003 gar nicht entstanden. (Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Das ist wirklich Unfug! Das stimmt doch gar nicht!) Die USA und ihre Verbündeten haben im Irak Menschen verschleppt und gefoltert. Sie haben ein politisches System etabliert, das Schiiten gegen Sunniten ausspielt – bis heute. In diesem Klima konnte der IS, der einen barbarischen Krieg gegen Andersdenkende und Andersgläubige führt, entstehen. Wer diesen Terror stoppen will, muss das Klima des Hasses zwischen Bevölkerungsgruppen und Religionsgemeinschaften beseitigen. Aber der sogenannte Antiterrorkrieg selbst schürt dieses Klima. Deshalb scheitert er auch. (Beifall bei der LINKEN) Alle Erfahrungen zeigen: Die militärische Einmischung äußerer Mächte in die Bürgerkriege in Syrien und im Irak hat den Krieg nur noch schlimmer gemacht. Ob Iran, Türkei, Saudi-Arabien, die USA oder Russland – sie alle heizen diesen Krieg mit immer mehr Waffen, mit Ausbildern, mit eigenen Soldaten oder Söldnern an. Das muss ein Ende haben. (Beifall bei der LINKEN) Und die Bundesregierung mischt auch mit. Ich sage Ihnen: Sie will im Kielwasser der USA Schritt für Schritt zu einer Macht werden, die auch im Kriegsgebiet „Mittlerer Osten“ an Gewicht gewinnt und militärisch mithalten kann. Die Linke sagt: Ziehen Sie die Bundeswehr aus der Krisenregion ab, und hören Sie endlich mit den Waffenlieferungen an die Türkei, an Saudi-Arabien und an den Irak auf; denn diese Staaten heizen den Krieg mit an. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, es ist schlimm genug, dass erst die Fluchtbewegung nach Europa den Blick auf die Lebensbedingungen von Millionen Menschen im Nahen und Mittleren Osten geöffnet hat. Beenden Sie endlich die Ignoranz gegenüber der Situation der Menschen in Flüchtlingslagern im Irak, in der Türkei, in Jordanien und im Libanon. Wenn Sie nicht endlich verstehen, dass diese Menschen eine zivile Perspektive brauchen, dann überlassen Sie sie den Rekrutierern der Armeen und Milizen vor Ort, und das kann doch wirklich nicht Ihr Ziel sein. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Ute Finckh-Krämer für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte an das erinnern, worum es heute in der Aktuellen Stunde eigentlich gehen sollte, was aber bei den letzten Beiträgen etwas aus dem Blick geraten ist, nämlich um die Frage, wie es jetzt positive Impulse für einen Friedensprozess in Syrien geben kann. Die wichtigste Person ist hier der UN-Sonderbeauftragte Staffan de Mistura, der aus keinem der Länder stammt, die dort im Augenblick in irgendeiner Weise militärisch beteiligt sind. Er ist ein erfahrener Diplomat mit italienischer und schwedischer Staatsangehörigkeit und hat lange Erfahrungen im Bereich der humanitären Hilfe und in Konfliktregionen. Er ist einer der Menschen, die das vermeintlich Unmögliche schaffen können. Sein Verhandlungsansatz, der vorgestern vorgestellt wurde, basiert darauf, dass in vier Arbeitsgruppen unter Leitung von Fachleuten aus vier europäischen Ländern über eine mögliche Entwicklung Syriens im Rahmen eines Friedensprozesses gesprochen werden soll. Die vier Fachleute kommen aus vier Ländern, nämlich aus der Schweiz, aus Deutschland, aus Norwegen und aus Schweden. Weil mein Thema heute die humanitäre Hilfe ist, möchte ich etwas mehr auf den norwegischen Arbeitsgruppenleiter eingehen, Jan Egeland, der ebenfalls ein langjährig erfahrener Diplomat ist und aus dem Bereich der humanitären Hilfe kommt. Im Augenblick ist er Geschäftsführer der größten norwegischen Hilfsorganisation, die sowohl im Bereich der Flüchtlingshilfe als auch im Bereich der humanitären Hilfe in den Nachbarländern Syriens und in Syrien selber mit zweistelligen Millionenbeträgen aktiv ist. Ganz so allein, wie das eben teilweise dargestellt wurde, sind wir Deutschen bei der Unterstützung eines Verhandlungsprozesses im Augenblick also auch nicht, und wir sind in Bezug auf Syrien ganz sicher nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung. (Beifall bei der SPD) Vielleicht kennen Sie die Plakatkampagne von Misereor. Auf einem Plakat heißt es: „Mut ist, dahin zu gehen, wo andere fliehen“. Das gilt natürlich in besonderem Maße für Kriegsgebiete wie Syrien. Hilfsorganisationen schaffen oft das vermeintlich Unmögliche, zum Beispiel, Zugänge auch dort zu erhalten, wo es nach landläufiger Meinung zu gefährlich ist. Sie tun das durch geduldige Verhandlungen mit den Bürgerkriegsparteien vor Ort, durch Zusammenarbeit mit lokalen Organisationen, durch immer wieder neue Analysen der aktuellen Lage und auf Basis der vier humanitären Prinzipien: Neutralität, Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Menschlichkeit. Sie sind als Grundlage für internationale humanitäre Hilfe unverzichtbar und die Grundlage dafür, dass Hilfe nach Bedürftigkeit und nicht nach Zugehörigkeit zu politischen, ethnischen, religiösen oder sonstigen Gruppen gewährt wird. So kann im Augenblick auch ein großer Teil der 2,7 Millionen Menschen, die in Syrien in von ISIS kontrollierten Gebieten leben, mit humanitärer Hilfe versorgt werden. Unmöglich wird humanitäre Hilfe allerdings meist dort, wo Kampfhandlungen stattfinden. Deswegen ist es so wichtig, lokale Waffenstillstände zu erreichen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deutsche Hilfsorganisationen können Unparteilichkeit und Neutralität in Bezug auf Syrien auch deswegen so glaubhaft machen, weil Deutschland im Syrien-Konflikt eben voll auf Diplomatie und nicht auf Waffenlieferungen an direkt oder indirekt Konfliktbeteiligte setzt. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Es gibt doch Waffenlieferungen!) Konfliktbeteiligte sind diejenigen, die im Augenblick in Syrien bomben. Wir liefern aber keine Waffen an eine der Gruppen, die in Syrien kämpfen. (Beifall bei der SPD) Wir setzen auch nicht auf den Einsatz von deutschem Militär oder die Unterstützung von denen, die dort im Augenblick mit militärischen Mitteln kämpfen. Das kann, muss und soll auch so bleiben, weil die Unabhängigkeit der humanitären Hilfe bzw. die deutsche Leistung in diesem Bereich sonst gefährdet wäre. Insofern, Herr Wadephul, wäre ich froh, wenn wir auch innerhalb der Koalition eine Initiative für eine weitere Erhöhung der Mittel sowohl für die humanitäre Hilfe als auch für die Hilfe in den Nachbarländern, die im Zusammenhang mit Entwicklungszusammenarbeit steht, erreichen könnten. Ich bin gerne bereit, daran mitzuarbeiten. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Nehmen Sie uns auch außerhalb der Koalition!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Als Nächste hat Dr. Franziska Brantner, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Damen und Herren! Wir haben es hier heute schon mehrfach gehört: Die Lage in Syrien ist dramatisch. Sie ist es nicht erst seit gestern. Auch ich möchte noch einmal daran erinnern, dass über 80 Prozent der zivilen Opfer Opfer Assads sind. Wir haben heute viel über die Fassbomben gesprochen. Ich möchte aber gerne auch noch einmal erwähnen, dass Assad die Menschen systematisch aushungert. Es ist eine seiner Strategien, ganze Gebiete auszuhungern, während er die anderen weiter bombardiert. Frankreich und Großbritannien und auch Russland beteiligen sich jetzt am Kampf gegen ISIS. Russland beteiligt sich natürlich vor allem für Assad. Mich wundert es ein wenig, wie wir hier heute Russland fast schon als Feuerlöscher feiern, der jetzt kommt, da wir doch eigentlich alle wissen, dass Russland jahrelang der Brandbeschleuniger war und diesen Krieg mit angefeuert hat, indem es Assad unterstützt hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU) Russland interveniert gerade militärisch. Alle sagen: Jetzt aber unbedingt! Russland hat es sehr klug hinbekommen, sich dadurch mit an den Tisch zu bomben. Ich glaube, wir müssen es einfach auch im Kopf haben, dass das keine einfache Rolle sein wird. Alle sagen: Es geht jetzt gegen ISIS. Und wieder einmal fallen der Bürgerkrieg an sich und die Rolle von Assad hinten herunter. Aber das ist doch schon seit einem Jahr die Strategie. Seit einem Jahr wird gegen ISIS bombardiert. Und wozu hat das geführt? Zu einem stärkeren ISIS, zu einer Ausbreitung von ISIS in Syrien. Es hat eben nicht dazu geführt, dass ISIS wirklich geschwächt wurde. Von daher ist es dringend notwendig, jetzt einen Prozess einzuleiten bzw. eine Kontaktgruppe im Rahmen der Vereinten Nationen einzusetzen. Wir müssen de Mistura mit allem unterstützen, was wir leisten können. Natürlich ist klar, dass der Iran, dass Russland, die Türkei, Katar und Saudi-Arabien dabei sein müssen. Ich möchte gerne noch etwas zu Saudi-Arabien sagen. In Bezug auf die Verhandlungen höre ich, dass Saudi-Arabien nicht gerade freiwillig und gerne an diesen Verhandlungstisch kommt, vielmehr ist es einer der Akteure vor Ort, bei dem es am schwersten ist, ihn überhaupt an den Tisch zu bekommen. Da hätten wir Deutsche vielleicht noch einmal eine Aufgabe, unser Gewicht dafür einzusetzen, dass sich Saudi-Arabien daran beteiligt und bereit ist, mit dem Iran an einem Tisch zu sitzen, auch wenn das natürlich eine Herausforderung ist. Ich nenne nur das Stichwort „Waffenexporte“. Wir haben uns jetzt hier heute geeinigt, dass man natürlich irgendwie mit Assad verhandeln muss, auch wenn er danach nicht Teil der Lösung sein kann. Trotzdem möchte ich hier gerne noch einmal die Opposition erwähnen, die zwar vielfältig ist, aber trotzdem noch existiert. Wer kann denn jetzt von den Oppositionellen verlangen, dass sie bei einer Bombardierung mit Fassbomben weiterverhandeln? Wer gibt ihnen Zusicherungen, dass sie danach nicht massakriert werden? Wir reden alle über Assad. Er darf mit Geleit nach Moskau kommen – vielleicht muss er danach irgendwann nach Den Haag. Aber wer redet über die Oppositionellen und darüber, welche Garantien wir ihnen dafür geben können, damit sie bereit sind, sich auf diesen Prozess einzulassen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Gehrcke, Sie sprachen davon, dass eine Waffenruhe durchgesetzt werden müsse. Wer setzt denn diese Waffenruhe durch? (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es gab unbewaffnete Beobachter, deren Einsatz aber zu nichts geführt hat. Wenn wir hier ehrlich diskutieren und sagen: „Wir wollen im Rahmen der Vereinten Nationen einen Prozess anstoßen und eine Lösung finden“, dann müssen wir auch sagen: Dieses Ergebnis werden wir im Rahmen der Vereinten Nationen absichern. – Herr Gehrcke, ich zähle dann auf Ihre Unterstützung, diese Waffenruhe auch umzusetzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das machen wir schneller, als Sie denken können!) Erste Prämisse für diese Verhandlungen ist, dass Mittel zur Befriedigung der humanitären Bedürfnisse vor Ort endlich bereitgestellt werden. Herr Wadephul, Sie haben es angesprochen: Das World Food Programme braucht bis Ende des Jahres 278 Millionen Euro. Das ist eigentlich eine Summe, die Herrn Schäuble keine schlaflosen Nächte beschert. Da könnte doch Deutschland vorangehen und sagen: Das zahlen wir jetzt. – Anschließend gibt es einen Nachtragshaushalt für 2015. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 278 Millionen Euro könnte Deutschland auf den Tisch legen. Da könnten wir vorangehen. Frau Merkel hat es gesagt: Wir schaffen das. Wir gehen voran. Wir warten nicht, bis alle hinterherkommen. Bei dieser Sache, nämlich das Geld für das Programm bis zum Winter aufzubringen, kann ich nur an uns alle appellieren, das möglich zu machen, und zwar nicht nur für das nächste Jahr. Diese Mittel müssen verstetigt werden, damit das World Food Programme nicht jedes Mal betteln und im April wieder sagen muss: Das Geld geht uns aus. – Das würde dazu führen, dass es im Herbst wieder nur verringerte Essensrationen gibt. Das ist doch schon seit vier Jahren ein Problem. Lassen Sie uns die Mittel dafür verstetigen. Wir werden dazu Anträge stellen. Ich freue mich sehr darauf, für diese Anträge die Stimmen der Koalition zu erhalten. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Roderich Kiesewetter für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Ute Finckh-Krämer [SPD]) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Aktuelle Stunde sollte uns Anlass geben, den Blick nach innen, in unser Land zu richten; denn die neue Dynamik berührt auch unsere Gesellschaft in erheblichem Maße. Ich möchte an dieser Stelle den vielen tausend freiwilligen Helferinnen und Helfern, die sich um die Aufnahme und Eingliederung von Flüchtlingen in unserem Land kümmern, ganz herzlich danken. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben am Montag dieser Woche in beeindruckender Weise beim Parlamentarischen Abend des Arbeiter-Samariter-Bundes gehört, welche Leistungen im Ehrenamt erbracht werden. Wir haben diese Woche einen Aufruf an die Reservisten der Bundeswehr gestartet, sich ehrenamtlich zu kümmern, und zwar mit einer sehr erfreulichen Resonanz. Zugleich erleben wir – deswegen bin ich froh, dass wir diese Aktuelle Stunde haben – eine Flut von Hassbotschafen und Hass-E-Mails aus der nationalistischen, rechtsextremen Ecke. Es ist gut, dass von diesem Parlament ein Zeichen der Hilfsbereitschaft ausgeht und dass wir unserer Bevölkerung deutlich sagen: Lasst euch von diesen Menschen nicht verunsichern! Steht für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft ein! (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Meine sehr geehrten Damen und Herren, da ich heute aus der Opposition zweimal gezielt angesprochen wurde, (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Zu Recht!) möchte ich gerne von meinem nicht vorhandenen Manuskript abweichen und zwei Punkte ansprechen. Ein Wort zu Syrien: Wir haben allein im August 46 000 syrische Flüchtlinge aufgenommen, insgesamt bisher 140 000. 15 Millionen Menschen sind innerhalb und außerhalb Syriens auf der Flucht. In der Landeserstaufnahmestelle in Ellwangen, die einmal für 500 Menschen vorgesehen war, befinden sich jetzt 4 500 Menschen, darunter knapp 2 000 Menschen aus Syrien, die alle nicht unmittelbar aus Syrien geflohen sind, sondern aus den Flüchtlingslagern im Libanon, in Jordanien und in der Südosttürkei. Ich war mit etlichen Kollegen in diesen Lagern. Wir wissen, wovon wir sprechen. Der erste Vorschlag muss dahin gehen, Staaten wie Libanon und Jordanien stärker zu helfen, als wir das bisher getan haben, und zwar im Rahmen der Bildung, der Nothilfe, im Rahmen der Lehrlingsausbildung, beispielsweise mit sauberem Wasser, medizinischer Versorgung und anderem. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Verabreden!) Wir müssen alles tun, dass diese Staaten nicht zerfallen, dass diese Staaten ihre Grenzen wirksam sichern und dass die Flüchtlinge so etwas wie Geborgenheit in der internationalen Hilfe finden. Ich kann meinen Vorrednerinnen, abgesehen von der Rednerin der Linken, und Herrn Wadephul nur zustimmen: Genau das sind die richtigen Wege. (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Das nehme ich persönlich!) Aber wir müssen uns darauf einstellen, dass wir mehr leisten müssen. Vielleicht kann die Operation im Rahmen von UNIFIL vor der Küste Libanons, an der wir uns beteiligen, einer der möglichen Hebel sein, mehr zu tun. Möglicherweise müssen wir auch mithilfe von Polizei, Technischem Hilfswerk und anderen an den Grenzen zum Libanon und zu Jordanien mehr Hilfe für die Flüchtlinge leisten. Der zweite Gedanke ist weniger angenehm. Nächste Woche, am 28. September, wird Wladimir Putin vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen sprechen. Putin wird sicherlich gutklingende Vorschläge unterbreiten. Wir haben heute früh in der Regierungserklärung schon einiges darüber gehört, was möglicherweise auf uns zukommen wird. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass Assad nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems ist. Es ist aber sehr gut, wenn Russland mithilft, (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Für was?) dass wir endlich die Blockade im Weltsicherheitsrat beseitigen, und wenn wir zu einem VNMandat kommen. Ich glaube, wir müssen für ein Mandat der Vereinten Nationen mit dem Minimalziel der Schaffung von sicheren Schutzzonen und Flüchtlingskorridoren werben. Wer soll – das klang gerade bei meiner Vorrednerin an – diese Sicherheitszonen durchsetzen? SaudiArabien zeigt zurzeit, was die arabische bzw. die sunnitische Gemeinschaft zu tun in der Lage ist. Sie organisieren eine Streitmacht mit 150 000 Soldaten – von Senegal über Marokko bis Pakistan – mit 100 Kampfflugzeugen, die möglicherweise dort zum Einsatz kommen. (Dr. Ute Finckh-Krämer [SPD]: Pakistan ist nicht dabei!) Warum um alles in der Welt sind diese Staaten nicht in der Lage, sich aufgrund von Druck aus den Vereinten Nationen und diplomatischen Verhandlungen, die wir auch auf der Ebene E3+3 führen müssen, für die Schaffung einer sicheren Flüchtlingszone in Syrien und im Irak einzusetzen? Ich halte es für ganz entscheidend, dass die Hilfe aus der Region kommt. Die Unterstützung kann von uns kommen. Auf ein Thema wurde ich gezielt angesprochen – ich habe nichts dagegen, dass wir ganz offen darüber diskutieren –: Warum sollen wir nicht mit deutschen Aufklärungstornados (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: So hat es immer angefangen!) die Stellungen von ISIS aufklären und einer wie auch immer gearteten arabischen Kraft aus der Region die Zieldaten übermitteln? Wir brauchen sichere Häfen für die Flüchtlinge und dazu ein regionales Forum unter Einbindung der Türkei, Russlands, des Iran und SaudiArabiens mit starker europäischer Unterstützung. Wenn wir das schaffen, dann können wir die Flüchtlingsflut in der Region zu einem Segen für die Menschen machen und uns Europäer stärker mit unserem Fachwissen einbringen. Das ist bitter nötig. Eine isolierte militärische Lösung ist keine Lösung. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Stefan Rebmann, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Stefan Rebmann (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Entwicklungspolitiker beschäftigen uns das Thema Syrien und die Fluchtbewegungen schon eine ganze Zeit lang. Ich finde, wir dürfen auch bei der heutigen Debatte die zunehmenden Fluchtbewegungen aus Afghanistan nicht vergessen. Auch sie dürfen wir in der Gesamtdebatte nicht außer Acht lassen. Ich kann mich noch an eine Unterrichtung im Ausschuss erinnern, bei der wir auf einer Karte von Syrien sehen konnten, wer wo stationiert ist: wo die Freie Syrische Armee und wo die syrische Armee stationiert ist und wo damals noch ISIS stationiert war. Das waren einige kleine Punkte. Wir wurden auch darüber unterrichtet, wer jeweils dahintersteckt, was deren Ziele sind und wie sie sich über Spenden aus SaudiArabien und aus Kuwait finanzieren. Wir müssen auch sehen, dass außenpolitisch schon viel unternommen worden ist, um nach Lösungen zu suchen. Man kann zwar kritisieren, dass wenig erreicht worden ist. Aber ich glaube, der Bundesregierung und insbesondere Frank-Walter Steinmeier vorzuwerfen, er hätte zu wenig getan, geht an der Realität vorbei. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Und ist noch dazu auch eine Frechheit!) Immerhin war er als einziger Außenminister mehrfach in den Flüchtlingslagern, und er war auch derjenige, der zu einer Konferenz nach Berlin eingeladen hat. Ich habe in der letzten Haushaltswoche von einer Reise der Kollegin Dagmar Wöhrl und mir nach Jordanien und in den Libanon berichtet. Ich habe davon berichtet, dass wir in der Beeka-Ebene eine junge Dame gesehen haben, die in einem Plastikzelt eine mobile Klinik aufgebaut hatte. Wir hatten dabei den Geruch der nur wenige Meter entfernt vorbeischwimmenden Fäkalien von hundertausend Menschen in der Nase. In Jordanien haben wir in einer Klinik einen jungen Mann getroffen, der sich – wegen schrecklicher Erlebnisse selbst schwer traumatisiert – um traumatisierte Kinder kümmerte. Wir haben in Saatari gesehen, dass die Menschen auf Containern standen und Richtung Syrien telefoniert haben, während im Hintergrund explodierende Fassbomben zu hören waren. Aber egal mit wem wir damals gesprochen haben, die Botschaft lautete immer: Ich will nach Syrien zurückkehren. Ich will mein Land wieder aufbauen. – Dieser Wille war allgegenwärtig zu spüren. Am vergangenen Montag und Dienstag haben wir zusammen mit Sigmar Gabriel, Kollegin Beck, Kollege Hahn und einem Kollegen von der CDU/CSU Saatari erneut besucht. Ich weiß nicht, welchen Eindruck die Kollegin und Kollegen dort gewonnen haben. Mein Eindruck ist jedenfalls, dass es einen kompletten Stimmungswechsel gegeben hat und dass Perspektivlosigkeit herrscht. Keiner hat mehr gesagt, dass er in sein Heimatland zurückkehren will, um es aufzubauen. Was bedeutet es für die gesamte Region, wenn diejenigen weggehen, die gut ausgebildet und noch fit sind und auch finanziell in der Lage sind, zu flüchten? Wer bleibt dann zurück? Wer kann dann Syrien wieder aufbauen? Es kann doch nicht in unserem langfristigen Interesse liegen, dass dort eine komplette Region entvölkert wird. Deshalb ist es so wichtig, dass wir dort nicht nur humanitäre Hilfe leisten. Vielmehr müssen wir die gesamte Region stabilisieren. Das bedeutet, dass wir den Jordanierinnen und Jordaniern Angebote in Form von Handelserleichterungen und Infrastrukturprojekten zum Beispiel im Wasserbereich machen müssen. Wir müssen uns vergegenwärtigen: Das Flüchtlingslager Saatari mit 80 000 Einwohnern steht auf dem größten fossilen Wasservorkommen in ganz Jordanien, das sonst nur über sehr wenig Wasser verfügt. Damit sind Konflikte vorprogrammiert. Deshalb ist es so wichtig, dass die Bundesregierung mit Frank-Walter Steinmeier vorangeht und Lösungen findet. Ich bin dankbar, dass wir hier im Parlament eine einhellige Meinung zu der Aufstockung der Mittel für die humanitäre Hilfe und die Entwicklungszusammenarbeit haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich schließe mich dem Dank vieler meiner Vorredner, insbesondere meines Kollegen Kiesewetter, an die Kommunen und die ehrenamtlichen Helfer an. Aber Städte wie meine Heimatstadt Mannheim, die überproportional viele Armutsflüchtlinge aufnehmen und bereit sind, noch mehr Flüchtlinge aufzunehmen, dürfen am Ende nicht die Leidtragenden eines Pingpongspiels zwischen der Staatskanzlei in Stuttgart und dem Bundesinnenministerium sein. Das würde im Endeffekt dazu führen, dass milliardenschwere kommunale Investitionen auf der Strecke blieben. Das darf nicht sein; denn so versetzen wir Kommunen nicht in die Lage, das Flüchtlingsproblem konstruktiv zu lösen. Kämpfen und streiten wir alle dafür, dass die Ansätze für humanitäre Hilfe und Entwicklungspolitik deutliche Aufwüchse erfahren. Danke. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt die Kollegin Dagmar Wöhrl. (Beifall bei der CDU/CSU) Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viereinhalb Jahre ist es inzwischen her, dass die Syrien-Krise begann. Viereinhalb Jahre mit mehr als 280 000 Toten und 13 Millionen Flüchtlingen. Davon werden bis zum Ende des Jahres laut der Vereinten Nationen 4,7 Millionen Flüchtlinge in den Nachbarländern Jordanien, Libanon und der Türkei unterkommen. Ein Problem ist, dass nicht mehr genug Nahrungsmittel zur Verfügung gestellt werden können, dass nur noch 40 Prozent des für die Familien und Kinder Notwendigen da ist. Kinder werden von der Schule genommen, damit sie arbeiten gehen und Geld wenigstens für die notwendigsten Nahrungsmittel verdienen können. Ich glaube, wir versuchen von Deutschland aus, das Beste zu tun. Wir sind einer der größten Finanziers in diesem Bereich. Allein das BMZ hat seit 2012 über 1 Milliarde Euro in diese Region investiert. Das geht von Abwasserentsorgungen über humanitäre Hilfe und vieles, vieles andere mehr. Aber wir wissen natürlich auch, dass die Fluchtbewegungen nicht abreißen werden, solange dort die Sklavenhalter und die Kopfabschneider des ISIS ihr Unwesen treiben werden und solange Assad Fassbomben auf die eigene Bevölkerung wirft. (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen sind wir froh, dass ein bisschen Bewegung in die diplomatischen Verhandlungen zu kommen scheint. Wir sind froh, dass nach Washingtons jahrzehntelanger Strategie der Isolation Teherans das Nuklearabkommen mit dem Iran auch unter Mitwirkung von Russland zustande gekommen ist. Das schafft die Chance zur Flexibilität. Es schafft die Chance, dass man sich international annähert. Wir wissen: Iran und Russland sind die Patronatswächter von Assad. Wir wissen auch, dass Russland jahrelang alle Sanktionen, die der UN-Sicherheitsrat gegen Assad hätte beschließen können, mit seinem Veto boykottiert hat. Jetzt verstärkt Russland in der Tat seine Militärpräsenz. Wir erleben die größte Militäraktion Russlands außerhalb des exsowjetischen Raums seit einem Vierteljahrhundert. Warum macht Putin das? Bestimmt nicht wegen der Flüchtlinge; von denen hat er nämlich in den letzten vier Jahren nur 2 000 aufgenommen. (Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Da will ja auch keiner hin!) Putin hat als jahrelanger Verbündeter von Assad – Russland war auch schon mit Assads Vater verbündet – Eigeninteressen. Er hat das Eigeninteresse, eine Strategie für eine mögliche Neuordnung am Ende des Krieges zu entwickeln. Er hofft natürlich auch, mit dieser Strategie auf die Weltbühne zurückzukommen, um so von Sanktionen befreit zu werden, die gegen sein Land als Folge seiner Repressionen gegenüber der Ukraine und der Annexion der Krim verhängt worden sind. Natürlich spielt auch der IS eine Rolle; aber das ist für ihn nicht primär. Wir sind froh, dass inzwischen auch Saudi-Arabien und die Türkei bereit sind, sich dem Kampf gegen den IS anzuschließen. Wir müssen hier allerdings auf die Türkei aufpassen und auf die Türkei einwirken – Erdogan wird am 5. Oktober dieses Jahres nach Brüssel kommen –, dass sie sich die Bekämpfung des IS nicht gleichzeitig für den Krieg gegen die Kurden zunutze macht. Der IS kontrolliert inzwischen 50 Prozent des gesamten Territoriums Syriens, das Assad-Regime nur noch etwa ein Drittel. Ich glaube, der Syrien-Konflikt wird nicht ohne Hilfe zu lösen sein, weder durch Bombardierungen von außen noch durch die Unterstützung besonderer Gruppen im Inneren. Das wird vor allem durch die vollständige Fragmentierung der Opposition deutlich. Es gab nach zwei Jahren ein erstes Treffen zwischen den Außenministern der Vereinigten Staaten von Amerika und Russland in Sotschi, bei dem man eine Strategie zur Bekämpfung des IS diskutiert hat. Auch wenn Kerry anschließend gesagt hat, es gehe nicht um eine Zusammenarbeit, sondern nur um eine Konfliktlösung, ist das, glaube ich, egal. Denn man hat hier ein gemeinsames Ziel erkannt, den IS zu bekämpfen. Wir brauchen hier die Vereinigung der Kräfte. Zu sagen: „Okay, USA, kümmere dich um den Nahen Osten, und Europa kümmert sich um die Ukraine“, ist, glaube ich, in diesem Zusammenhang das falsche Denken. Ich hoffe, dass die Chance besteht, unter dem Dach der Vereinten Nationen wenigstens einige, wenn auch nicht alle – dass das nicht möglich ist, wissen wir – an einen Tisch zu bekommen. Sicherlich wird die zukünftige Rolle Assads dabei eine wichtige Frage sein; man kommt daran nicht vorbei. Aber wir wissen auch: Um Frieden zu erreichen, nützt es nichts, wenn man allein mit Freunden redet, sondern man muss auch mit den Feinden reden. Das heißt nicht, dass man Assad von seinen sämtlichen Untaten und Gräueltaten, die er begangen hat – er ist ja der Verursacher dieses Krieges in Syrien –, zukünftig freisprechen kann und wird. Wir sind froh, dass sich Erdogan mittlerweile das erste Mal bereit erklärt hat, nicht mehr die Kondition zu stellen, dass Friedensverhandlungen nur stattfinden, wenn Assad sofort abgelöst wird. Er hat sich heute bereit erklärt, diese Kondition nicht mehr zugrunde zu legen. Ich bin froh darüber; denn das heißt auch, dass die syrische Opposition von ihrem Nein, sich an den Tisch zu setzen, vielleicht ein Stückchen abrückt. Wir brauchen einen Waffenstillstand – auch wenn es nur eine Serie von kleinen Waffenstillständen ist –, sodass wir endlich die Möglichkeit haben, zu erreichen, dass das Töten beendet wird, dass humanitäre Hilfe erlaubt wird. 12 Millionen Menschen sind in Syrien auf humanitäre Hilfe angewiesen. Wir kommen an 9 Prozent der Bevölkerung gar nicht heran, weil große Teile des Gebiets, wo humanitäre Hilfe notwendig ist, vom IS besetzt sind. 5,6 Millionen Kinder, die Schwächsten der Schwachen, sind betroffen. Es gibt da keine Möglichkeit, auch nicht mit unseren Hilfsorganisationen, vor Ort an die Menschen, die Hilfe brauchen, heranzukommen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin Wöhrl, denken Sie an die Zeit. Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU): Vielen Dank; ich komme auch zum letzten Satz. – Wenn wir es schaffen, in den Verhandlungen zu erreichen, dass die Fassbombenangriffe von Assad auf seine eigenen Leute aufhören, ich glaube, dann schaffen wir es auch, die Fluchtursachen erheblich zu reduzieren. Die Flüchtlinge haben nicht nur Anspruch darauf, dass man sich ihrer als Flüchtlinge annimmt, sondern sie haben auch Anspruch darauf, dass man den Krieg in ihrem Land als Ursache der Fluchtbewegung sieht und ihn zu stoppen versucht. Ich glaube, Weltpolitik erlaubt keine Verweigerung, und danach sollten wir auch handeln. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde erhält jetzt der Kollege Thorsten Frei, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Thorsten Frei (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in dieser Stunde über das bittere Fazit der vergangenen viereinhalb Jahre gesprochen, darüber, wie viele Menschen gestorben sind, und darüber, dass zwei Drittel der 23 Millionen Syrerinnen und Syrer innerhalb oder außerhalb des Landes auf der Flucht sind. Ja, es ist richtig: Die Tatsache, dass große Flüchtlingsströme nach Deutschland kommen, verändert den Fokus und zwingt uns ein gutes Stück weit, auch unser außenpolitisches Denken und Handeln konstruktiv zu hinterfragen und zu überlegen, welche Schlüsse wir daraus ziehen. Wenn man sich anschaut, dass etwa die Hälfte der Menschen, die nach Europa kommen, ihren Asylantrag in Deutschland stellen, wenn man sieht, dass davon wiederum 48 Prozent Syrer sind oder sich jedenfalls als solche ausgeben, dann wird vor allen Dingen klar, dass das Auswirkungen der Globalisierung sind, dass die starren Grenzen zwischen Außen- und Innenpolitik verschwimmen und dass uns außenpolitische Handlungsnotwendigkeiten auch als ganz konkrete innenpolitische Herausforderungen vor die Füße fallen: in unserer Gesellschaft, in unserem Land, vor Ort, in der Nachbarschaft von jedem Einzelnen von uns. Deshalb, glaube ich, müssen wir es als Gesamtheit angehen, wenn es darum gehen soll, eine Lösung zu finden. Ich will an dieser Stelle einen Aspekt erwähnen, nämlich dass wir in den vergangenen Monaten – vielleicht als eine gewisse Art Selbstschutzmechanismus, so muss man fast sagen – uns bei den außenpolitischen Problemen immer nur auf das Thema, das gerade das aktuellste war, fokussiert haben – das ist aber nicht richtig, weil die Wirklichkeit komplexer und vielschichtiger ist –: Wir haben vorgestern über die Ukraine und gestern über Griechenland gesprochen, sprechen heute über Syrien und morgen vielleicht über den afrikanischen Kontinent. Die Zusammenhänge liegen aber auf der Hand. Deshalb müssen wir das Gesamtbild stärker im Blick behalten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Niels Annen [SPD]) Es wäre falsch, glaube ich, heute hier an dem zu nörgeln, was in der Vergangenheit war, oder zu behaupten, man hätte irgendetwas besser gewusst. Ich glaube, dass das falsch wäre, weil sich die Bundesregierung in der Vergangenheit da sehr stark bemüht hat, nicht nur der Bundesaußenminister, auch der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit beispielsweise, weil viel passiert ist – wir haben es in dieser Debatte schon gehört – und weil es auch zutreffend ist, dass unsere Mittel und Möglichkeiten begrenzt sind. Wenn man auf der Grundlage einer wertebasierten, aber eben auch interessengeleiteten Außenpolitik Schlussfolgerungen ziehen möchte, dann sind es drei Aspekte, die man dabei im Blick behalten sollte: Erstens. Es geht zunächst einmal darum, unmittelbare humanitäre Hilfe zu leisten. Es geht aus meiner Sicht auch darum, auf die Herausforderung der Flüchtlingsströme, mit denen wir konfrontiert sind, nicht nur eine innenpolitische, sondern auch eine außenpolitische Antwort zu finden. Und da ist es natürlich ein Erfolg, dass man vereinbart hat, 400 Millionen Euro zusätzlich für die Bekämpfung der Fluchtursachen zur Verfügung zu stellen. Da ist es ein Erfolg, dass 1 Milliarde Euro aus EUMitteln zur Verfügung gestellt werden soll, wie gestern Abend beschlossen wurde. Aber ich will auch sagen: Das ist zu wenig. Das ist keine glaubwürdige außenpolitische Antwort mit Blick auf das, was notwendig ist. Deshalb sollten wir uns meines Erachtens auch in den Haushaltsberatungen noch einmal mit diesem Aspekt beschäftigen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Zweitens will ich die Tatsache ansprechen, dass es – das merkt man, wenn man sich die Reden auf der Münchener Sicherheitskonferenz des vergangenen Jahres in Erinnerung ruft – eine gewisse Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit gibt. Ich finde, der Anspruch, uns früher, entschiedener und substanzieller gemäß unserer Stärke und Kraft international einzubringen, ist richtig. Aber dann muss man das auch glaubwürdig unterlegen. Und das bedeutet eben auch, dass wir uns an die Finanzierungszusagen halten, die wir gegeben haben. Das gilt beispielsweise in der Entwicklungspolitik für das 0,7ProzentZiel – auch angesichts dessen, was wir in der Vergangenheit schon getan haben. Das gilt aber auch für das in der NATO vereinbarte 2ProzentZiel im Bereich Sicherheit und Verteidigung. (Zuruf von der LINKEN: Nein! Dafür gilt es eben nicht!) An dieser Stelle müssen wir uns stärker engagieren und auf die künftigen Herausforderungen vorbereiten. Und es gilt letztlich auch im Bereich des Auswärtigen Amtes für die Mittel der zivilen Krisenprävention – Stichwort „State Building“. Wir müssen die Voraussetzungen schaffen, um mit diesen Dingen fertigzuwerden. Der dritte und letzte Aspekt, Frau Präsidentin, den ich ansprechen wollte: Ich glaube in der Tat – die Vorredner haben es gesagt –, dass es ein Zeitfenster gibt, die zentralen Akteure an den Tisch zu bekommen. Das sind neben den USA und Russland vor allen Dingen die Regionalmächte Iran und Saudi-Arabien sowie das Schlüsselland Türkei. Wir sollten dieses Zeitfenster nutzen, und ich glaube, dass Deutschland eine konstruktive Rolle übernehmen kann, um in dieser schwierigen Situation zu vermitteln. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. Wir sind damit am Ende der Aktuellen Stunde angekommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Schummer, Karl Schiewerling, Jutta Eckenbach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Kerstin Tack, Katja Mast, Dr. Matthias Bartke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Integrationsbetriebe fördern – Neue Chancen für schwerbehinderte Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt eröffnen Drucksachen 18/5377, 18/6086 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Das Wort hat jetzt die Kollegin Kerstin Tack, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Uwe Schummer [CDU/CSU]) Kerstin Tack (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt kommen wir zu einem wirklich guten Thema, nämlich zum Ausbau der Integrationsbetriebe in Deutschland. Die rund 850 Integrationsbetriebe, die wir derzeit in Deutschland haben, sind eine wahre Erfolgsgeschichte. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie sind 2001 von der damaligen schwarz-, nein, rot-grünen Regierung – herrje! – (Dr. Matthias Bartke [SPD]: Ja, genau! – Beifall bei Abgeordneten der SPD) im damals neuen SGB IX verankert worden, um Menschen mit einer wesentlichen Behinderung eine Arbeitsmöglichkeit im allgemeinen, ersten Arbeitsmarkt zu bieten. Heute sind die, – wie gesagt, – rund 850 Integrationsbetriebe in Deutschland, die zwischen 25 und 50 Prozent Menschen mit wesentlicher Behinderung beschäftigen, Wirtschaftsunternehmen mit einer ganz besonderen sozialen Aufgabe. Von den rund 22 000 Beschäftigten insgesamt sind etwa 10 000 Beschäftigte mit wesentlicher Behinderung. Es ist uns ein großes Anliegen, in dieser Legislatur den inklusiven Arbeitsmarkt für Menschen mit wesentlicher Behinderung auszubauen und ihnen die Möglichkeit zu geben, aus unterschiedlichen Angeboten am Arbeitsmarkt auszuwählen. Da haben wir auf der einen Seite die sehr beschützten Werkstätten für behinderte Menschen. Wir haben auf der anderen Seite den allgemeinen Arbeitsmarkt, auf dem wir mit Lohnkostenzuschüssen und mit Mitteln zum Umbau des Arbeitsplatzes massiv Unterstützung leisten, und wir haben die Integrationsbetriebe als Teil des allgemeinen Arbeitsmarktes. Wir erleben, dass es heute zum Glück mehr Anträge auf Unterstützung, Ausbau und Weiterentwicklung der Integrationsbetriebe gibt, als wir in den letzten Jahren Mittel zur Verfügung gestellt haben. Wir wollen diesen Ausbau vorantreiben. Deshalb ist es gut, dass wir heute den Beschluss fassen wollen, den Integrationsämtern, die für die Förderung in den Ländern zuständig sind, innerhalb der nächsten drei Jahre 150 Millionen Euro zum Ausbau genau dieser so wesentlichen und wichtigen Betriebe an die Hand zu geben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Sie sind ein Baustein des inklusiven Arbeitsmarktes. Wir haben in dieser Legislatur noch mehr vor. Aber ein wesentlicher Meilenstein wird heute mit diesem Antrag erreicht. Wir möchten, dass auch die Menschen, die aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht mehr im allgemeinen, ersten Arbeitsmarkt, aus dem sie in der Regel kommen, eine Weiterbeschäftigung finden können, künftig in einer Werkstatt für behinderte Menschen oder in einem Integrationsbetrieb eine Beschäftigung erhalten, entweder ganztags, halbtags oder – auch das verändern wir – als Zuverdienstbeschäftigung mit zwölf Stunden pro Woche. Denn für viele ist eine Arbeit in Halb oder Vollzeit aufgrund ihrer psychischen Erkrankung nicht leistbar. Momentan liegt die Grenze für den Zuverdienst in den Integrationsbetrieben bei 15 Wochenstunden. Aber das ist für viele zu viel auf dem Weg der Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Deshalb werden wir mit diesem Antrag diese Grenze auf zwölf Stunden reduzieren, damit noch mehr Menschen die Möglichkeit haben, im Rahmen des ersten Arbeitsmarktes einen Einstieg zu erhalten. Ich glaube, das ist richtig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Im Rahmen der neuen Vergaberichtlinie werden wir vorsehen, dass wir die Integrationsbetriebe, die wir für besonders wichtig und unterstützungswürdig halten, bei der Vergabe öffentlicher Aufträge bevorzugen können. Wenn eine Kommune, ein Landkreis, ein Land oder der Bund öffentliche Aufträge zu vergeben hat, dann können Integrationsbetriebe vorrangig von diesen Aufträgen profitieren; denn sie sind ja ganz besonders schützenswert und unterstützungswürdig. Das ist auch richtig und gut so. Damit stärken wir die Wirtschaftskraft genau dieser Unternehmen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Uwe Schummer [CDU/CSU]) Viele fragen: Was passiert, wenn die drei Jahre um sind, die Anschubfinanzierung von 150 Millionen Euro verbraucht ist und wir dann weiteres Geld benötigen? Wenn das der Fall ist, wovon wir ausgehen, werden wir ab 2018 auch hierfür eine Lösung benötigen. Dieser Problematik sind wir uns bewusst. Ich glaube, angesichts der neuen Beschäftigungsmöglichkeiten, die wir damit schaffen, werden wir auch die dafür notwendigen Mittel zur Verfügung stellen. In unserem Antrag fordern wir auch, zu prüfen, ob weitere Zielgruppen in den Integrationsbetrieben künftig Arbeitsmöglichkeiten am allgemeinen Arbeitsmarkt erhalten können. Insbesondere die Langzeitarbeitslosen könnten eine solche Zielgruppe sein. Aber wir sind vorsichtig und sagen: Sie dürfen auf keinen Fall auf die Quote der behinderten Menschen angerechnet werden. Wenn im Einzelfall auch Langzeitarbeitslose in diese Betriebe hineinkönnen, dann dürfen für sie nicht die Fördergelder, die für Menschen mit Behinderung vorgesehen sind, ausgegeben werden; vielmehr muss das aus Mitteln der BA erfolgen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben in dieser Legislatur noch mehr für den allgemeinen und inklusiven Arbeitsmarkt vor. Wir merken, dass gerade kleine und mittelständische Unternehmen häufig nicht wissen, welche Unterstützungsmöglichkeiten sie bekommen können, wenn sie jemanden mit wesentlicher Behinderung einstellen, welche Möglichkeiten sie beim Lohnkostenzuschuss haben, was ihnen die öffentliche Hand zur Umgestaltung des Arbeitsplatzes gibt, und vieles mehr. Deshalb haben wir zum Beispiel mit der Kampagne „Wirtschaft inklusiv“ Extragelder zur Verfügung gestellt, damit genau diese Klarstellung erfolgen kann. Wer nicht weiß, dass und wie er unterstützt wird, hat auch größere Schwierigkeiten damit, sich für die Einstellung schwerbehinderter Menschen zu entscheiden. Ich will auch sagen, dass es gut ist, dass die Bundesregierung bereits vor einigen Monaten entschieden hat, die Mittel für 10 000 Plätze für unterstützte Ausbildung zur Verfügung zu stellen, damit assistierte Ausbildung – von der Schule in die Ausbildung – auch für die Personengruppe der wesentlich behinderten Menschen erfolgen kann. Das ist ein richtiges, ein gutes Zeichen. Wir verstehen Inklusion so, dass wir Menschen mit Behinderung mit allen Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, in den ersten, allgemeinen Arbeitsmarkt integrieren wollen, und zwar so viele wie möglich. Heute machen wir einen ganz wesentlichen Schritt in diese Richtung. Ich freue mich, dass wir uns fast alle einig sind. Ich finde es richtig schade, dass sich die Linke nicht entscheiden kann, den Ausbau der Integrationsbetriebe zu unterstützen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Ich darf alle Kolleginnen und Kollegen noch einmal daran erinnern, dass wir bestimmte Redezeiten vereinbart haben, und möchte darum bitten, dass wir sie einhalten. Nächste Rednerin ist die Kollegin Katrin Werner. (Beifall bei der LINKEN) Katrin Werner (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es wurde Zeit, dass Sie sich endlich des Themas annehmen und Integrationsbetriebe ausbauen und unterstützen wollen. Und dennoch, sehr geehrte Regierungsmitglieder: Ihr Antrag greift viel zu kurz und kommt auch reichlich spät. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ehrlich gesagt, an manchen Stellen habe ich leider den Eindruck, dass auch ein bisschen Show dabei ist. (Dr. Martin Rosemann [SPD]: Show? Das ist Ihr Metier!) Sie benennen Integrationsunternehmen in „Inklusionsunternehmen“ um. Aber wenn es darum geht, „Integration“ durch „Inklusion“ im deutschen Gesetzestext für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention zu ersetzen, bleiben Sie stur. Menschen mit Behinderung sind nach wie vor überdurchschnittlich oft arbeitslos, und das meist auch sehr lange. Ihre Arbeitslosenquote ist doppelt so hoch wie die nichtbehinderter Menschen, und die Anzahl der Menschen in Werkstätten nimmt ständig zu. Menschen mit Behinderung werden bei der Teilhabe am Arbeitsleben ganz klar diskriminiert. Viele junge Menschen mit Behinderung sind ausgezeichnet ausgebildet. Vor Arbeitslosigkeit schützt sie aber auch eine gute Ausbildung nicht. Deshalb sind Integrationsbetriebe bei der Integration von Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt unverzichtbar. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Albert Stegemann [CDU/CSU]) Sie eröffnen berufliche Perspektiven. Sie tragen wegweisend zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben von Menschen mit Behinderung bei. 800 Integrationsunternehmen sind einfach nicht genug. Da gebe ich Ihnen völlig Recht. (Kerstin Tack [SPD]: Das ist der Grund zur Ablehnung?) Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren der Koalition, Integrationsbetriebe dürfen nicht zum Verschiebebahnhof für Menschen werden, die von der Teilhabe am Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind. Die Teilhabe von langzeitarbeitslosen Menschen ohne Schwerbehinderung am ersten Arbeitsmarkt darf auf keinen Fall auf Kosten der Inklusion von Menschen mit Behinderung gehen. Es darf nicht zur Verdrängung kommen. (Beifall bei der LINKEN) Die Förderung von Langzeitarbeitslosen ohne Schwerbehinderung in Integrationsbetrieben aus Mitteln der Ausgleichsabgabe lehnen wir strikt ab. Und damit sind wir nicht alleine. Wieso befristen Sie die jährliche Förderung von 50 Millionen Euro bis zum Jahr 2017, wenn – Frau Tack, Sie sagten es – Sie heute schon wissen, dass es nicht ausreicht? Wie soll denn in so einem kurzen Zeitraum eine nachhaltige Entwicklung möglich sein? Warum planen Sie nicht von vornherein mehr Geld ein? Sie nehmen das Geld aus dem Topf der Ausgleichsabgabe, aus dem in absehbarer Zeit nichts mehr zu greifen ist. Sie wollen den für eine Förderung durch das Integrationsamt erforderlichen Mindestbeschäftigungsumfang von 15 Stunden ausnahmslos auf 12 Stunden kürzen. Aber wissen Sie, was Sie damit auch tun? Sie fördern weiter prekäre Arbeitsverhältnisse und treiben damit Menschen in Altersarmut. Das kann nicht wirklich Ihr Ernst sein. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Matthias Bartke [SPD]: Das ist eine Logik!) Eine eingleisige finanzielle Förderung der Integrationsbetriebe reicht absolut nicht aus. Wir brauchen parallel dazu eine strukturelle, schrittweise Umgestaltung des gesamten Werkstattsystems, so wie wir es in unserem Antrag „Gute Arbeit für Menschen mit Behinderung“ fordern. Noch immer liegt der durchschnittliche Lohn der etwa 300 000 Menschen, die in einer Werkstatt tätig sind, bei circa 180 Euro monatlich, und das oft bei einem Achtstundentag. Sie kennen das: Wir alle erhalten Bürgerschreiben. Neulich bekam ich einen Brief, in dem mir ein Mann berichtete, dass ihm jeden Tag pauschal 2,50 Euro für sein Essen abgezogen werden. Damit sind circa 75 Euro von den 180 Euro weg. Das heißt, ihm bleiben im Monat 105 Euro zusätzlich. Das ist keine gerechte Entlohnung, und dagegen verwahren wir uns. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, 180 Euro monatlich für die tägliche Arbeit sind diskriminierend und viel zu wenig, um davon zu leben. (Katja Mast [SPD]: Darum geht es hier doch gar nicht! – Dr. Matthias Bartke [SPD]: Ich dachte, wir reden hier über Integrationsbetriebe!) – Dann hören Sie doch bis zum Ende zu! – Alle Menschen haben das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben. Sie haben das Recht, eine tarifliche Entlohnung zu erhalten und damit ihren Lebensunterhalt selbst finanzieren zu können. Deshalb will die Linke bei der Umstrukturierung des Arbeitsmarktes für Menschen mit Behinderung neben einer unbefristeten Förderung von Integrationsbetrieben vor allem dreierlei erreichen: Wir wollen – erstens – Integrationsbetriebe nicht nur durch eine bevorzugte Vergabe öffentlicher Aufträge fördern, sondern sie zusätzlich und langfristig durch Investitionsförderungen und Steuerentlastungen in der Gründungsphase unterstützen. Wir wollen – zweitens – ein Budget für Arbeit, das es jedem Arbeitnehmer und jeder Arbeitnehmerin erlaubt, den Arbeitsplatz frei zu wählen. Und wir wollen – drittens – eine unabhängige Beratung durch Menschen mit Behinderung, die alle Betroffenen beim Zugang zu Integrationsbetrieben unterstützt. Damit meinen wir vor allen Dingen eine Beratung für Menschen mit Behinderung, die in Werkstätten tätig sind. (Beifall bei der LINKEN) Sehr geehrte Mitglieder der Regierungskoalition, unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch. Wenn Sie sie aufgreifen wollen, sind wir Ihnen gerne behilflich. Wir werden uns bei der Abstimmung über den Antrag enthalten. (Katja Mast [SPD]: Beim Mindestlohn enthalten, bei Integrationsbetrieben enthalten!) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion ist der Kollege Uwe Schummer. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Uwe Schummer (CDU/CSU): Verehrtes Präsidium! Meine Damen! Meine Herren! Kollegin Werner, die einzige Show, die es heute bei diesem Thema gab, kam von Ihnen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und SPD) Sie haben nicht zum Thema, nämlich Integrationsfirmen, geredet. Stattdessen haben Sie einen Standardvortrag gehalten, den Sie wahrscheinlich seit zwei, drei Jahren in der Schublade haben. Es wäre schön gewesen, wenn Sie zumindest jetzt, wo wir gemeinsam 150 Millionen Euro für die Förderung von Integrationsunternehmen in die Hand nehmen wollen, ein Stück weit pragmatisch gewesen wären und im Sinne der Betroffenen zum Thema geredet hätten. Wir fördern die Integrationsunternehmen – es sind 850, wie Kerstin Tack eben gesagt hat – bisher mit 68 Millionen Euro pro Jahr. Diese 68 Millionen Euro werden in den nächsten drei Jahren mit Bundesmitteln aus der Ausgleichsabgabe um jeweils 50 Millionen Euro aufgestockt. Natürlich wird es so sein, dass wir in diesem Jahr nicht die gesamten 50 Millionen Euro vergeben können; aber dieses Geld wird dann auf die nächsten beiden Jahre übertragen, sodass insgesamt auf jeden Fall 150 Millionen Euro für die Förderung der Integrationsunternehmen zusammenkommen und ihre segensreiche Wirkung entfalten werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Kerstin Tack [SPD] und Gabriele Hiller-Ohm [SPD]) Das ist dann keine Show, sondern Praxis, praktische Arbeit für die Menschen. Wir hatten gestern eine Präsentation dieses Antrages, gemeinsam mit Herrn Dr. Baur von der Bundesarbeitsgemeinschaft Integrationsfirmen. Mit der Bundesarbeitsgemeinschaft Integrationsfirmen ist dieses Thema aufgearbeitet worden. Sie hat uns klar und eindeutig unterstützt und Dankeschön dafür gesagt, dass die Große Koalition jetzt dieses Zeichen aus dem Parlament heraus setzt. Wir werden in den weiteren Beratungen bis Anfang nächsten Jahres den Entwurf eines Bundesteilhabegesetzes entwickeln, das vorsieht, über das Budget für Arbeit und andere Instrumente die Förderung der Inklusion auf dem ersten Arbeitsmarkt weiter zu verstetigen und auszubauen. Insgesamt 1,3 Millionen anerkannt schwerbehinderte Menschen arbeiten auf dem ersten Arbeitsmarkt. 300 000 wesentlich behinderte Menschen sind in Werkstätten tätig. Es gibt 850 Integrationsfirmen. Ich glaube nicht, dass Bußgelder oder Strafandrohungen der richtige Weg sind, um mehr Unternehmer zu motivieren, anerkannt schwerbehinderte Menschen einzustellen oder weiter zu beschäftigen. Ich glaube, dass diese Menschen Potenziale haben, und diese Potenziale müssen wir benennen. Wir müssen uns überlegen, wie wir unterstützen können, wie wir Hilfe zur Selbsthilfe leisten können, auch für Unternehmen, wenn technische Umbauarbeiten notwendig sind. Wir werden die „Unterstützte Beschäftigung“ weiter ausbauen, sodass möglichst viele behinderte Menschen inklusiv auf dem ersten Arbeitsmarkt untergebracht werden können. Es ist zu wenig bekannt, dass in diesem Bereich Potenziale zu heben sind. Zu viele haben noch Vorbehalte und Bedenken. Sie haben Angst, dass sie mit technischen Problemen, mit Umbaumaßnahmen und mit der erforderlichen Assistenz alleine gelassen werden. Deshalb ist die Assistierte Ausbildung so wichtig. Wir brauchen eine Informationskampagne, und zwar eine positive und keine, die nach dem Motto verfährt: Sei nett, beschäftige einen behinderten Menschen. – Vielmehr muss deutlich gemacht werden: Das sind Menschen mit Potenzial. Die müssen auch in Ihrem Unternehmen eine Chance haben. Jeder Unternehmer, der das nicht erkennt, ist ein schlechter Unternehmer. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Bernhard Kaster [CDU/CSU]) Wir müssen mit den positiven Eigenschaften und Fähigkeiten werben, um die Entwicklung auf dem inklusiven Arbeitsmarkt voranzutreiben. Lotsenboote auf diesem ersten Arbeitsmarkt sind die Integrationsfirmen, die zeigen, dass sie auch bei einer Behindertenquote von 25, 30 oder 40 Prozent in ihren Belegschaften effizient arbeiten können. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Integrationsfirmen hat nachgewiesen, dass die Insolvenzrate bei den Integrationsfirmen geringer ist als in der übrigen Wirtschaft, weil die Beschäftigten motiviert sind und sich sehr stark mit dem Unternehmen identifizieren. Das zeigt, dass der soziale Frieden durchaus eine produktive Kraft hat. Damit haben sie Vorbildcharakter für alle anderen Unternehmen auf dem ersten Arbeitsmarkt. Diese Lotsenboote, die auch für größere Unternehmen Vorbildcharakter haben, wollen wir mit dem Förderprogramm des Bundes in besonderer Weise fördern und dafür sorgen, dass sie in der Wirtschaft und in den Unternehmen Schule machen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Integrationsfirmen sind in allen Bereichen angesiedelt: von der Produktion über Dienstleistungen bis hin zu Gartenbau. Auch bei der Zeitarbeit gibt es Dienstleistungs- und Service-GmbHs, die sehr vorbildlich arbeiten. Ich bin überzeugt: Durch unsere Mobilisierung wird sich die Zahl der 850 Integrationsfirmen in den nächsten vier Jahren auf 1 600 oder 1 700 verdoppeln. Der „David“, den wir heute vor uns haben, wird heranwachsen und vor allen Dingen auf dem ersten Arbeitsmarkt viel in Bewegung setzen. Wir müssen das Thema Minderleistungsausgleich in Beschäftigungsverhältnissen dauerhaft klären; wir sind bereits auf dem Weg. Die Förderung durch die Vergabe öffentlicher Aufträge ist ein weiterer Baustein, um diese Unternehmen zu unterstützen. Durch ihren sozialen Charakter kommen sie für kommunale, Landes- und Bundesaufträge hervorragend in Betracht. Auch das europäische Vergaberecht ist hier kein Hindernis. Vielmehr können wir mit öffentlichen Aufträgen die Integrationsfirmen oder auch Integrationsabteilungen in den Unternehmen gezielt unterstützen. Wir wollen auch den Ausbildungsort Integrationsfirma stärken. Ohne die verschiedenen Systeme vermischen zu wollen – SGB II für Langzeitarbeitslose auf der einen Seite, Eingliederungshilfe und Ausgleichsabgabe auf der anderen Seite –: Warum sollen nicht auch ältere Langzeitarbeitslose, die viel Erfahrung haben, einen Ausbilderschein erwerben können, um in den Integrationsfirmen Ausbildungsgänge durchzuführen? Es gibt oftmals eine Kette: von der Förderschule rein in die Werkstatt, und dort kommt man dann nicht mehr raus. Das ist oftmals bei lernbehinderten jungen Menschen der Fall. Es gibt Bausteine, zweijährige Ausbildungsberufe und andere Möglichkeiten, für eine Qualifikation in Unternehmen auf dem ersten Arbeitsmarkt. Wir wollen Langzeitarbeitslose, aber auch behinderte junge Menschen zusammenführen und dafür sorgen, dass der Ausbildungsort Integrationsunternehmen gestärkt wird. Ich habe in Plauen in Sachsen ein Integrationshotel besucht, in dem gemeinsam mit einer Rehaeinrichtung solche Ausbildungsgänge angeboten werden. Die arbeiten effizient, sind auf dem ersten Arbeitsmarkt vertreten und schaffen neue Potenziale und Perspektiven für junge Menschen. In meinem Bundestagsbüro arbeite ich mit einer Rehaeinrichtung aus Berlin zusammen. Ich habe regelmäßig Praktikanten, die psychisch, die seelisch erkrankt sind. Dieses Thema wird im Übrigen durch die Fluchtbewegungen an Bedeutung zunehmen. Oftmals ist es so, dass diese Praktikanten an zwei Tagen exzellent arbeiten und sich hervorragend einsetzen, aber am dritten Tag sagen: Tut mir leid. Heute geht es nicht. Für ein klassisches Unternehmen ist es natürlich schwierig, das einzuschätzen. Trotzdem müssen wir über Integrationsfirmen Arbeitszeitmodelle und Gesundheitsmodelle entwickeln, mit denen wir das Potenzial an den zwei Tagen nutzen und dann weiter aufbauen und die Menschen nicht in die Werkstatt verschieben. Das ist eine gemeinsame Anstrengung. Integrationsfirmen können modellhaft für die übrige Wirtschaft solche Arbeitszeitsysteme entwickeln. Daher ist der heutige Tag ein guter Tag für die Inklusion und für die Integrationsfirmen. Es wäre gut gewesen, wenn wir dazu einstimmig ein klares positives Votum gesetzt hätten. Das kann man eigentlich nur unterstützen. Ich bin sicher, dass wir diese produktive Kraft der sozialen Teilhabe, die von den Integrationsfirmen ausgeht, weiter stärken werden und dass wir damit auch einen Punkt setzen, sodass man sagen kann: Gut, dass es diesen Antrag gibt. Gut, dass wir ihn umgesetzt haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächstes hat die Kollegin Corinna Rüffer, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. (Uwe Schummer [CDU/CSU]: Sag nichts Falsches!) Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Herr Schummer, so einfach werde ich es Ihnen jetzt nicht machen. In den vergangenen mehr als anderthalb Jahren habe ich von dieser Stelle aus oft geschimpft, weil hier behindertenpolitisch viel diskutiert worden ist, im Endeffekt aber nichts dabei herumgekommen ist. Insofern muss ich Ihnen anrechnen, dass wir heute endlich einmal zu einem Beschluss kommen zu einer in der Tat wichtigen Angelegenheit: Integrationsfirmen zu fördern und eine Perspektive für die nächsten drei Jahre abzusichern. Frau Tack, wenn Sie hier von „Meilenstein“ reden, dann finde ich das ein Stück weit überhöht – ich komme gleich dazu –, weil dieser Antrag selbstverständlich auch noch Probleme in sich birgt und noch nicht die Lösung ist für die Finanzierung der Integrationsbetriebe und weil die Frage eines inklusiven Arbeitsmarktes – mit Verlaub – eine bedeutendere Frage ist als die Diskussion über 4 500 zusätzliche Plätze in ganz Deutschland. In absoluten Zahlen gesehen ist es in der Tat so, dass Integrationsfirmen in ihrer Bedeutung überschaubar sind. Es sind bundesweit 800 Integrationsfirmen. Es sind 11 000 Plätze für Menschen mit teilweise schweren Behinderungen, die dort einen sozialversicherungspflichtigen – das ist wichtig – Arbeitsplatz gefunden haben. Die Bedeutung dieser Integrationsfirmen geht aber über den Anschein dieser lediglich 800 Firmen deutlich hinaus. Sie zeigen nämlich, wie es geht. Sie haben über drei Jahrzehnte Erfahrungen mit der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen. Sie machen das nicht erst seit gestern, sondern schon seit mehr als 30 Jahren. Sie stehen im Wettbewerb mit anderen Unternehmen. Sie zeigen, dass Menschen mit Behinderung zum wirtschaftlichen Erfolg beitragen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Die Finanzierung über die Ausgleichsabgabe bleibt in der Tat ein Problem, weil dadurch eine immanente Deckelung geschaffen wird. Jetzt muss ich einige Anmerkungen an Sie richten. Unser Bundesfinanzminister hat zu Beginn der Sommerpause gefordert, die Ausgleichsabgabe zu verdoppeln. Ich habe noch nicht gehört, dass das hier aufgenommen worden ist. Im Gegenteil: Im Petitionsausschuss haben Sie als Regierungskoalition eine Petition abgelehnt, mit der genau das gefordert worden ist. Konkret ging es noch nicht einmal um eine Verdoppelung, sondern um eine Erhöhung. Dazu muss ich sagen, dass das einfach bigott ist. Ich möchte, dass Sie hier und auch im Petitionsausschuss dazu stehen und diese Forderung mittragen; denn das wäre tatsächlich wichtig für die Stabilisierung des Systems der Integrationsfirmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir stellen fest, dass diese Firmen schon längst an die Grenze gekommen sind, was den Ausbau an Plätzen angeht. Das gilt zum Beispiel für Nordrhein-Westfalen. Herr Schummer, Sie wissen das. Ich glaube, das ist eine Triebfeder für Sie. Ich glaube, dass Sie das mobilisiert hat, was ich Ihnen sehr hoch anrechne. Wir brauchen aber sehr viel mehr inklusive Angebote. Wir brauchen Alternativen. Wir müssen nicht nur Alternativen zum Werkstattplatz schaffen, sondern wir müssen die Werkstätten insgesamt transformieren und zu einem Teil des inklusiven Arbeitsmarktes umgestalten. Das ist doch die Aufgabe. Dazu können Integrationsfirmen einen ganz wichtigen Beitrag leisten. Insofern finde ich das Bild vom Lotsenboot ziemlich gelungen, weil es Orientierung bietet, weil es eine Richtung aufzeigt. Weil dieser Antrag – das kann man nicht vom Tisch wischen – in die richtige Richtung geht, werden wir diesem Antrag zustimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) 150 Millionen Euro sind, gemessen an der Zahl, die Sie gerade genannt haben – zurzeit 68 Millionen jährlich –, kein Pappenstiel; das geht in Richtung Verdoppelung. Das ist zwar immer noch zu wenig, aber eine Hausnummer, mit der man arbeiten kann. Jetzt will ich aber doch etwas Wasser in den Wein gießen, was mir als Mosel-Bewohnerin besonders schwerfällt. Ich verstehe nicht, warum Sie die Hinweise und Vorschläge in den wohlwollenden Stellungnahmen vieler Verbände nicht aufgegriffen haben, so vom Sozialverband Deutschland, vom Paritätischen Wohlfahrtsverband, von der Bundesarbeitsgemeinschaft Integrationsfirmen, in deren Beirat wir gemeinsam sitzen und über diese Themen intensiv diskutieren. Ich verstehe nicht, warum wir über diese Vorschläge und Hinweise nicht noch einmal diskutiert haben, warum wir nicht nach einer Anhörung versucht haben, diesen Antrag gemeinsam zu verbessern. An verschiedenen Stellen hätten wir Änderungen vornehmen sollen. Es geht hier – das muss man sich klarmachen – um eine Anschubfinanzierung, mit der bestimmte Probleme verbunden sind: Die Anschlussfinanzierung ist nicht gesichert, die Öffnung für Langzeitarbeitslose birgt Fragen, auch die Vergabe öffentlicher Aufträge. Aus Zeitmangel – ich habe nicht so viel Redezeit wie Sie – kann ich das leider nicht näher ausführen. Die Bundesregierung – das ist der springende Punkt – spricht ständig von Beteiligung. Immer, wenn es um das Bundesteilhabegesetz geht, immer wenn es um behindertenpolitische Initiativen geht, geht es um Beteiligung. Sie sagen immer: Nichts ohne uns. – Ich frage mich: Warum gilt das nicht auch in diesem Fall? Warum waren wir nicht gemeinsam in der Lage, diesen Antrag an bestimmten Stellen wesentlich zu verbessern? Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Dr. Matthias Bartke, SPD-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der SPD) Dr. Matthias Bartke (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Mein Wahlkreis ist Hamburg-Altona, und da sind Leuchttürme nie ganz weit weg. Vielleicht finde ich Integrationsbetriebe deshalb so gut; denn Integrationsbetriebe sind auch Leuchttürme, Leuchttürme der Inklusion auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. (Beifall bei der SPD) Genau das ist der Grund, warum wir nicht nur in Norddeutschland Integrationsbetriebe ausbauen wollen. Wir Koalitionsfraktionen wollen Integrationsbetriebe künftig mit 150 Millionen Euro fördern. Das ist viel Geld, Frau Werner. Das ist keine Show. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Warum wollen wir das? Integrationsbetriebe agieren wirtschaftlich. Sie tun das erfolgreich, und sie haben einen klaren sozialen Auftrag. Sie bieten Menschen mit Behinderung einen Arbeitsplatz, aber nicht irgendeinen, sie bieten ihnen einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt; Frau Rüffer hat das eben ausgeführt. Integrationsbetriebe sind eine wichtige Ergänzung zu den Werkstätten für Menschen mit Behinderung, eine Ergänzung, die für viele genau richtig ist; denn Menschen mit Behinderung sind zuverlässige und motivierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Arbeitslose Menschen mit Behinderung sind häufig gut ausgebildet, haben es aber trotzdem deutlich schwerer, in Arbeit zu kommen, als Nichtbehinderte. Wer gestern beim Parlamentarischen Abend des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes war, weiß, wovon ich spreche. Das war eine sehr eindrucksvolle Veranstaltung. Menschen mit Behinderung machen einen guten Job. Alles, was sie brauchen, ist häufig nur ein geeigneter Arbeitsplatz. In meiner Heimatstadt Hamburg lief dafür von 2012 bis 2014 das Modellprojekt „Raus aus der Werkstatt, rein in den Betrieb!“. (Katrin Werner [DIE LINKE]: Genau! Raus aus der Werkstatt!) – Ja, ist ja richtig. – Dabei wurden dauerhafte Lohnsubventionierung, Prämien für Arbeitgeber und berufliche Assistenzleistungen gestellt. Das Projekt hat große Wirkung gezeigt: Über 100 Menschen mit Behinderung haben auf diesem Weg einen Arbeitsplatz in einem Integrationsbetrieb bekommen. In diesem Jahr hat der Hamburger Senat das Modellprojekt in eine Regelförderung überführt. Das Projekt zeigt uns erneut, welche Möglichkeiten wir durch gezielte Förderung auftun können. Seit Jahren wird in Integrationsbetrieben Teilhabe am Arbeitsmarkt und Inklusion schon gelebt – ein echtes Vorbild. Die UNBehindertenrechtskonvention gibt uns den Anreiz, dieses Vorbild voranzutreiben. Mit der UNKonvention geben wir uns aber auch den Anspruch, den Integrationsbetrieben einen neuen Namen zu geben. Was sie leisten, ist Inklusion, und deswegen sollen sie auch so heißen: Inklusionsbetriebe. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mit den veranschlagten 150 Millionen Euro können wir bis zu 4 500 neue Arbeitsplätze in Integrationsbetrieben schaffen, 4 500 neue Arbeitsplätze für echte Inklusion. Integrationsbetriebe schaffen nicht nur einen Mehrwert für die gesamte Gesellschaft. Sie tragen dafür auch besondere Kosten. Hierfür erhalten sie Gelder von Integrationsämtern. Die Gelder reichen bisher aber nicht aus. Daher konnten in der Vergangenheit nicht alle Anträge auf Neugründung oder Erweiterung genehmigt werden; Frau Tack hat das ausgeführt. Das ist verschenktes Potenzial. Dem stellen wir diesen Antrag entgegen. Wir wollen nicht nur, dass Integrationsbetriebe angeschoben werden, sondern wir wollen auch, dass sie im Wettbewerb bestehen können. Deshalb: Bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen sollen Integrationsbetriebe neben WfbMs künftig bevorzugt berücksichtigt werden. Das europäische Vergaberecht ermöglicht eine solche Bevorzugung. Voraussetzung dafür ist die soziale und berufliche Integration von Menschen mit Behinderung als Hauptzweck des Betriebes, also genau das, was Integrationsbetriebe machen. Es ist also höchste Zeit, das zu nutzen. Meine Damen und Herren, gestärkte Integrationsbetriebe haben die Chance, Menschen mit ihren individuellen Stärken und Bedürfnissen in den Mittelpunkt zu stellen. Davon profitieren die Betriebe, aber natürlich vor allem die Beschäftigten selbst. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt Dr. Astrid Freudenstein. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Unsere heutige Debatte und Beschlussfassung wird ja von einer kleinen PR-Kampagne der Bundesarbeitsgemeinschaft Integrationsfirmen flankiert. Sie hat die Politik angeschrieben und eingeladen, in diesen Wochen Integrationsbetriebe zu besuchen. Immerhin mehr als 100 Abgeordnete sind dieser Einladung gefolgt und haben sich in der vergangenen Woche und in dieser Woche einen Integrationsbetrieb angeschaut. Dies ist, wie ich finde, eine schöne Aktion, die gut zu unserem Antrag passt, der auch gut und richtig ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Die gut 800 Integrationsbetriebe in Deutschland gelten völlig zu Recht als Vorzeigeprojekte der Inklusion, weil sie sozialversicherungspflichtige Stellen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bieten, und zwar inzwischen für mehr als 10 000 behinderte und etwa ebenso viele nichtbehinderte Menschen. Sie zahlen den Mindestlohn und holen sich Aufträge auf dem freien Markt. Sie beweisen auch, dass sich wirtschaftliches Handeln und die Beschäftigung behinderter Menschen nicht ausschließen. Integrationsbetriebe zeigen so auch, dass die Befürchtungen und Ängste, die es in vielen Unternehmen gibt, wenn es darum geht, Menschen mit Behinderung zu beschäftigen, nicht nötig und auch nicht begründet sind. Wenn in diesen Tagen die großen Arbeitgeberverbände mit großer Leidenschaft und öffentlichkeitswirksam sagen, dass sie sich freuen über die vielen Flüchtlinge, die in unser Land kommen, weil sie helfen können, unseren Fachkräftemangel zu beheben, dann würde ich mir wünschen, dass die großen Arbeitgeberverbände mit gleicher Leidenschaft und ebenso öffentlichkeitswirksam sagen, dass sie sich freuen über die vielen Menschen mit Handicap in unserem Land, die hochqualifiziert sind und ein Potenzial darstellen, das bisher nicht gehoben wurde. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich selbst war jetzt nicht unter den 100 Abgeordneten, die in diesen Tagen in die Integrationsfirmen gegangen sind. Ich kenne aber die Unternehmen in meiner Heimatstadt sehr gut. Weit weg von Hamburg, Herr Kollege Bartke, im Binnenland von Regensburg, gibt es zum Beispiel vier solcher Leuchttürme. (Dr. Matthias Bartke [SPD]: Am Fluss!) – Am Fluss, ja, das ist richtig, aber da stehen keine Leuchttürme. – Ich schätze diese Unternehmen auch deswegen, weil ich ihre Dienstleistungen und Angebote schon lange und immer wieder gerne in Anspruch nehme, sei es, um vom Werkhof der Diakonie einen Baum pflanzen, Pflaster verlegen oder einen Gartenzaun hochziehen zu lassen oder bei labora, der Integrationsfirma in der Kantine des Rathauses in Regensburg, zu essen. Ich kann Ihnen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, versichern: Das, was die Integrationsbetriebe leisten, ist allerbeste Arbeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Aber allein das Loblied zu singen, wäre zu wenig. Viele Integrationsfirmen haben eine lange und auch recht wechselhafte Geschichte hinter sich. Viele haben auch nicht erst als Integrationsbetriebe begonnen, sondern waren vorher schon als Sozialunternehmen aktiv. Viele wurden von den Betreibern von Behindertenwerkstätten ausgegründet. Zwei der Integrationsunternehmen in meinem Wahlkreis, retex und der Werkhof, haben schon ihr 30-jähriges Bestehen als sozial agierendes Unternehmen gefeiert. Da lief natürlich nicht immer alles ganz glatt. Der Werkhof hat zuerst ältere arbeitslose Handwerker beschäftigt, später waren es junge Arbeitslose, und dann kamen die behinderten Menschen dazu. Jetzt wissen wir, wie gut diese Integrationsfirmen arbeiten, und wünschen uns, dass sie mehr Menschen Arbeit geben. Ich bin ganz sicher, dass diese Firmen das schaffen werden, weil sie auch bisher eine ganze Reihe von Problemen gut gemeistert haben. Viele haben ihr Angebot verändern müssen und es dem Markt angepasst. Es ist für die Integrationsbetriebe eben nicht immer ganz einfach, kostendeckend zu arbeiten und am Ende eine schwarze Null zu schreiben. Der Mindestlohn – auch dies gehört zur Wahrheit – war zunächst eine große Herausforderung für die Integrationsunternehmen. Umso respektabler ist die Leistung derer, die diese Unternehmen teilweise seit vielen Jahren leiten. Die Betriebe leisten einen ganz wertvollen Beitrag zu dem, was wir uns alle wünschen, nämlich zum inklusiven Arbeitsmarkt. Sie helfen, dass Menschen mit Handicap einen versicherungspflichtigen Arbeitsplatz bekommen. Wir wissen ja inzwischen aus der Erfahrung, dass viele bzw. die allermeisten der behinderten Beschäftigten viele Jahre, manche auch fast ihr ganzes Berufsleben dort verbringen. Unser Antrag ist deshalb ein guter und richtiger. Wir werden in diesem und in den kommenden beiden Jahren jeweils 50 Millionen Euro aus dem Ausgleichsfonds zur Verfügung stellen. Das ist umso wichtiger, als sich in den vergangenen Jahren die Beschäftigungschancen für Menschen mit Handicap nicht so verbessert haben, wie wir es uns wünschen würden. Deswegen müssen wir noch ein paar Schritte mehr unternehmen. Dazu gehört zum Beispiel das Budget für Arbeit, das wir mit dem Bundesteilhabegesetz flächendeckend und bundesweit einführen wollen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wir müssen – das ist mir ein großes Anliegen – auch die Arbeitgeber besser informieren und unterstützen. Ein Schwerpunkt muss auf dem Bürokratieabbau liegen. Momentan muss ein Handwerksmeister eine 320-stündige Zusatzausbildung absolvieren, wenn er einen behinderten Jugendlichen zum Fachpraktiker ausbilden will. Acht volle 40-Stunden-Wochen! In diesen acht Wochen lernt der Schreiner- oder Bäckermeister auch Grundlagen der Medizin und der Rechtswissenschaft. Er beschäftigt sich mit der Geschichte der Rehabilitation und mit dem ganzen Spektrum der ICD-10-Klassifikation. Diese rehabilitationspädagogische Zusatzqualifikation für Ausbilder – kurz: ReZA – geht zurück auf eine Empfehlung des Hauptausschusses des Bundesinstituts für Berufsbildung. Seit alle Kammern diese Zusatzqualifikation fordern, geht die Zahl neuer Ausbildungsverträge mit behinderten Jugendlichen rapide zurück. Meine Damen und Herren, so ein Wahnsinn behindert unsere behinderten Jugendlichen. Wir müssen ihn wieder abschaffen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir werden also zunächst die Integrationsfirmen stärken und dann weitere Schritte unternehmen, damit jeder Mensch, auch wenn er ein Handicap hat, seinen Platz auf dem Arbeitsmarkt findet. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit sind wir am Ende der Aussprache angekommen. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD mit dem Titel „Integrationsbetriebe fördern – Neue Chancen für schwerbehinderte Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt eröffnen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6086, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/5377 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Katja Dörner, Beate Walter-Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Betreuungsgeld in Kitas investieren Drucksache 18/6063 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam), Sigrid Hupach, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Betreuungsgeld für den Kitaausbau nutzen Drucksache 18/6041 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Finanzausschuss Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so entschieden. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Dr. Franziska Brantner, Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Am 21. Juli 2015 erklärte das Bundesverfassungsgericht das Betreuungsgeld für verfassungswidrig. Seither gibt es den Streit darüber, was mit dem Geld passiert. Für 2016 sind es 500 Millionen Euro und für 2017  1 Milliarde Euro. Für uns müssen dabei drei Dinge im Vordergrund stehen: Erstens. Das Geld muss im Familienhaushalt bleiben. Zweitens. Es darf nicht für den Mehrbedarf beim Elterngeld genutzt werden. Drittens. Es muss dorthin gehen, wo es gebraucht wird, nämlich in die Kitas. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Herr Schäuble möchte den Zuwachs beim Elterngeld gerne mit den Mitteln für das Betreuungsgeld decken. Der zusätzliche Bedarf ist aber nicht über Nacht gekommen, sondern deshalb, weil wir hier gemeinsam neue gesetzliche Ansprüche geschaffen haben. Die Partnerschaftsmonate gibt es eben nicht für umsonst, und wenn mehr Väter das Elterngeld nutzen, was wir uns alle wünschen, dann wird es teurer. Das hängt mit dem Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen zusammen. Das Geld hätte also ohnehin im Haushalt gefunden werden müssen, egal ob das Betreuungsgeld abgeschafft wird oder nicht. Wenn wir jetzt das wegfallende Betreuungsgeld dafür nehmen würden, dann würden wir den Familienhaushalt dafür bestrafen, dass das Elterngeld erfolgreich ist. Das kann ja wohl nicht die Logik sein, die wir hier vertreten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Eigentlich sind wir uns doch sicher, dass das Geld in den Kitas gut angelegt ist und dass das auch das ist, was die Eltern brauchen und sich wünschen. Ihr Haus, Frau Marks, hat nicht nur festgestellt, dass wir in Deutschland ohnehin noch 185 000 Kitaplätze brauchen, sondern auch, dass wir für die Kinder, die jetzt zu uns kommen, 68 000 Plätze zusätzlich brauchen werden. Diese Lücke besteht, und sie ist groß. Ich würde sagen: Ihre Zahlen sind ziemlich gut geschätzt, aber sie könnten auch gut noch ein bisschen höher liegen. Es ist doch in unserem Interesse, dass diese Kinder früh in die Kitas gehen und dort Deutsch lernen, ankommen und teilhaben können. Es ist doch wirklich unser originäres Interesse, dass das möglich ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Lassen Sie uns deswegen jetzt doch vorausschauen – dieser Bedarf wird entstehen – und nicht erst wieder dann handeln, wenn die Schlangen vor den Kitas in sechs Monaten existieren und sich die Frage stellt, wer den Kitaplatz bekommt, nämlich das Flüchtlingskind oder das Kind, das schon hier geboren wurde. Ich möchte nicht, dass sich diese Frage stellen wird. Deswegen möchte ich, dass wir jetzt vorausschauen und die Gelder jetzt, da wir sie haben, in die Kitas investieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir alle wissen, dass das nicht einfach wird. Wir brauchen auch mehr Sprachförderung. Wir haben in Ihrem Haus angefragt, ob Sie vorhaben, im nächsten Jahr mehr Geld für die Sprachförderung auszugeben. Ich finde, auch hier kann man schon ziemlich sicher davon ausgehen, dass das notwendig sein wird. Die Antwort von Ihnen war bis jetzt, dass es bei den 100 Millionen Euro bleiben wird. Auch hier ist klar: Wir brauchen mehr Geld für weitere Sprachförderung im Jahr 2016 und in den Jahren danach. Wir können die Kommunen und die Länder damit nicht alleinlassen. Manche werden es vielleicht schaffen, andere haben aber einfach nicht die Kapazitäten und Gelder dafür. Vor allem dürfen wir auch die Erzieherinnen und Erzieher damit nicht alleinlassen. Die leisten ja heute schon Enormes, machen auch heute schon unglaublich viel. Sie machen viel mehr als das, was ursprünglich ihr Auftrag war, und sie werden immer noch viel zu gering bezahlt. Eine Erzieherin für sieben Kinder unter drei Jahren ist doch schon heute kaum vorstellbar. Schon heute brauchen wir kleinere Gruppen. Die brauchen wir in Zukunft, wenn es um diese Integrationsaufgabe geht, doch erst recht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir wollen, dass das klappt, müssen wir jetzt hier rechtzeitig ansetzen. Unsere Aufgabe ist es, dass Kinder – egal ob sie neu zu uns kommen oder hier geboren sind – gute Förderung, Bildung und Betreuung bekommen. Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen. Denn für alle Kinder gilt: Was sie in jenen jungen Jahren lernen, das entscheidet über ihre Chancen später. Diese Chancen müssen wir allen – denen, die hier geboren sind, und denen, die jetzt zu uns kommen – geben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deswegen lassen Sie uns heute für morgen investieren. Liebe SPD, kämpfen Sie! Damit Sie heute zustimmen können, haben wir für Sie den Antrag auch wirklich ganz einfach gemacht. (Lachen bei der SPD – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Ein vergiftetes Lob, Frau Brantner!) – Nein. – Damit Sie – man kennt das ja – nicht sagen können, dass Ihnen ein Halbsatz nicht gefallen hat, haben wir es so formuliert: Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, die frei werdenden Mittel aus dem Betreuungsgeld in Kindertageseinrichtungen zu investieren. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie uns unterstützen und mit uns kämpfen, liebe SPD, und wir hier gemeinsam investieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich freue mich darauf, das hinzubekommen. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächstes hat der Kollege Josef Rief, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Josef Rief (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Besucher auf der Plenartribüne und vor dem Parlamentsfernsehen! Das Bundesverfassungsgericht hat keine inhaltliche Bewertung zum Betreuungsgeld abgegeben, sondern lediglich die Zuständigkeit für die Gesetzgebung beim Bund verneint. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass das Betreuungsgeld richtig war. Die Zahlen sprechen übrigens für sich. Das Betreuungsgeld wurde von den Familien – in meiner Region sind es über 70 Prozent der Eltern – sehr gut angenommen, und es ist nach wie vor hoch attraktiv. Nach der aktuellen Statistik für das zweite Quartal 2015 gab es noch einmal eine Steigerung der Bezugszahlen. In Baden-Württemberg zum Beispiel gab es aktuell eine Steigerung um über 15 Prozent auf über 100 000 Kinder, und das, obwohl mittlerweile schon viele Kinder aus der Bezugsdauer herausgefallen sind. Betreuungsgeld wird jetzt für über eine halbe Million Kinder bezogen –eine sehr beachtliche Zahl. 150 Euro monatlich sind nicht viel Geld, aber sie waren eine Hilfe. Die Hamburger Klage war daher ein Pyrrhussieg für die Familie. Die Koalition hat es wenigstens geschafft, dass das Betreuungsgeld – zum Teil auch gegen Ihre Widerstände – für die bereits bewilligten Anträge noch gezahlt wird. Vertrauensschutz ist für diese Regierung ein hohes Gut. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie sonst keine Argumente mehr haben!) Sollen kleine Kinder in der Kita oder zu Hause betreut werden? Diese Frage, meine Damen und Herren, muss sich jede Familie mit Kindern früher oder später stellen. Wir haben immer gesagt: sowohl als auch, beides, Kita und häusliche Betreuung. Deshalb werden wir jetzt nicht sagen: nur das eine, nur die staatliche Kinderbetreuung. Die vorliegenden Anträge von Grünen und Linken gehen aber in diese Richtung. Wie Sie alle wissen, geben wir viel Geld für staatliche Kinderbetreuung aus. Das soll in Zukunft noch mehr werden. Das tun wir gern, und das ist auch sinnvoll. Es gibt aber auch noch etwas anderes in unserem Land, nämlich die häusliche Betreuung bzw. die häusliche Förderung von kleinen Kindern. Denn Kinder in den ersten Lebensjahren brauchen eine verlässliche Bindung. Bindung, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist in den ersten Lebensjahren wichtiger, als Bildung sein kann. (Beifall bei der CDU/CSU) Deshalb ist die häusliche Betreuung gut und sinnvoll. Das Betreuungsgeld ist immer noch eine Anerkennung für Eltern, die die Kindererziehung zu Hause übernehmen. Es hat für viele den Übergang nach dem Ende des Elterngeldbezuges wesentlich erleichtert. Kinder sollen sich wohlfühlen, und die Gesellschaft soll sich mit Kindern wohlfühlen. Wenn aber das Aufwachsen der Kinder zuerst in Krippen und dann in Ganztagsschulen erfolgt, finden Familien in der Gesellschaft im Alltag nicht mehr statt. Kinder sehen sich heute oft mit abgehetzten Eltern konfrontiert, die in der knappen gemeinsamen Zeit noch den Haushalt schmeißen müssen. Großeltern stehen häufig nicht zur Verfügung, da sie entweder selbst noch berufstätig sind oder nicht in der Nähe wohnen. Kinder in unserer Gesellschaft finden jedenfalls nach dem Willen von Linken und Grünen nicht mehr zwischen 8.30 und 17 Uhr statt. Da haben Kinder in den Kitas zu sein. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Glauben Sie eigentlich diesen Unsinn?) Anschließend geht es auf den Heimweg und zu Hause ins Bett. (Beifall bei der CDU/CSU – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Ein hartes Schicksal!) Für junge Menschen, die darüber nachdenken, Kinder zu bekommen, sollte offensichtlich sein: In Deutschland sind Kinder erwünscht. In Deutschland sind Kinder im Alltag überall anzutreffen. Sie sind mit ihrer Neugier, ihrem Bewegungsdrang und ihrer Lautstärke akzeptiert, ja gewünscht. Kindergeschrei ist Zukunftsmusik. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Junge Menschen müssen sehen, dass unser Staat sie bei ihrer Lebensplanung unterstützt. Diese Planung muss nicht zwangsläufig eine schnelle Rückkehr ins Berufsleben vorsehen, sondern kann durchaus ein Familienleben zu Hause bedeuten. Jeder, der Kinder hat, weiß: Kinder bleiben nicht lange klein. Rasend schnell werden sie erwachsen. Ein Arbeitsleben hingegen dauert in der Regel mehrere Jahrzehnte. Warum gönnen wir den Eltern nicht mehr Zeit mit ihren kleinen Kindern? Ich sage es noch einmal: Kitas sind gut und wichtig und werden von unseren Fraktionen gerne gefördert. Wir haben den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz eingeführt. Mütter und Väter, die ihren Beruf wieder aufnehmen möchten, sollen ausreichend Kitaplätze zur Verfügung haben. Der Kitaausbau wurde und wird stark gefördert. Das wird auch in Zukunft, gerade im Hinblick auf die Flüchtlingsproblematik, weitergehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Aber es gibt noch etwas anderes, und auch diesen anderen Bedürfnissen müssen wir gerecht werden. Wir finden, finanzielle Ressourcen sollen dazu dienen, ein kinderfreundliches Umfeld zu entwickeln und es gerade auch Paaren mit Kinderwunsch zu ermöglichen, nicht nur über ein Kind oder zwei Kinder nachzudenken, sondern sich vielleicht auch ein Leben mit drei oder mehr Kindern vorzustellen. Es gibt viele Ansatzpunkte, die Familienfreundlichkeit zu verbessern: angefangen beim bezahlbaren und ausreichend großen Wohnraum über weitere Unterstützung für Alleinerziehende bis hin zu steuerlichen Entlastungen oder Kindergeld. Im Koalitionsvertrag haben wir daher einen Dreiklang vereinbart: Zeit für Familien, gute Infrastruktur und materielle Sicherheit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Nicht die Ideologie steht im Fokus unserer Politik, sondern das, was sich die Familien wünschen. Die Familien wünschen sich mehr Zeit für Kinder und mehr Zeit mit Kindern. (Eckhard Pols [CDU/CSU]: Genau!) Diese Wünsche sollten wir finanziell unterstützen. Geben wir den Müttern und Vätern mehr Zeit für ihre kleinen Kinder. Das Betreuungsgeld hat diesen Wünschen entsprochen. Wir werden jetzt nicht alles, wofür wir uns eingesetzt haben, ins Gegenteil verkehren. Wir werden uns für die Familien weiterhin starkmachen und weiter für finanzielle Mittel kämpfen, um Eltern und Kinder sinnvoll zu unterstützen. (Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie noch etwas zum Antrag sagen?) Ich fordere die Damen und Herren von den Linken und Grünen auf, mit uns daran zu arbeiten, dass Eltern mehr Zeit für ihre Kinder haben und dass Familien ihr Leben nach ihren Wünschen gestalten können. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist es so schwer, einen so kurzen Antrag zu lesen?) Wir Familienpolitiker müssen dafür eintreten, dass sich der Arbeitsmarkt und die finanzielle Situation an den Bedürfnissen der Familien orientieren (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch kein CSU-Ideologie-Seminar!) und nicht die Familien nach der Arbeitswelt organisiert werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Tagtäglich – das wurde heute angesprochen – lauern hier große Gefahren. Lassen Sie uns dafür sorgen, (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Moderne Familienpolitik!) dass sich Familien möglichst für mehrere Kinder entscheiden können. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie positionieren Sie sich denn zum Antrag?) statt dass wegen Überlastung eine einseitige Fokussierung auf Arbeitsmarkt und Karriere die Kinderzahl minimiert. (Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Soll ich Ihnen die Drucksachennummer noch sagen?) Ich trete dafür ein, dass wir das Geld den Ländern zweckgebunden geben und die familiäre Betreuung der Kinder damit unterstützen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die vorliegenden Anträge gehen in die falsche Richtung, und wir werden sie ablehnen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Norbert Müller, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Wie Ihnen sicherlich nicht entgangen ist, bin weder ich noch ist, glaube ich, die Mehrheit dieses Hauses ein Fan der Herdprämie, der Fernhalteprämie oder des Betreuungsgeldes. Nennen Sie es, wie Sie wollen. Ihr Betreuungsgeld war und ist – das hat sich gerade wieder gezeigt – Ausdruck einer zutiefst reaktionären und konsequent verfehlten Familien-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. (Beifall bei der LINKEN) Es war von Anfang an skandalös, dass sich die Sozialdemokratie wider besseres Wissen auf ein solches Unterfangen eingelassen hat. Ich weiß, dass man in Koalitionen Kompromisse eingeht, und diese sind manchmal nicht besonders schön. Aber ein Kompromiss muss immer in die richtige Richtung gehen. Das Betreuungsgeld war ein Schritt in die falsche Richtung. Gott sei Dank ist es korrigiert worden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Lieber Kollege Rief, Sie kennen die Zahlen zur Ausbausituation von Kinderbetreuungsplätzen. Ja, es sind in den letzten Jahren Fortschritte erzielt worden, und das hat auch etwas mit der Politik der Bundesregierung zu tun. Auch das stimmt. Aber wenn man – und das ist nach wie vor der Status quo – zu wenige und zu unattraktive Betreuungsplätze in den Ländern organisiert, wie es zum Beispiel in Baden-Württemberg und insbesondere in Bayern noch der Fall ist, (Max Straubinger [CDU/CSU]: Woher wissen Sie, wie es in Bayern aussieht? Hinter dem Mond leben Sie!) dann darf man sich auch nicht wundern, wenn jene, die keinen Betreuungsplatz finden, dann das Betreuungsgeld in Anspruch nehmen. Woher kommen denn die 70 Prozent? Sie kommen zustande, weil eben keine ausreichende Zahl adäquater Betreuungsplätze vor Ort geschaffen wurde. Aus politischer Sicht kann man also dankbar sein, dass unser Verfassungsgericht diesem CSUIrrsinn Einhalt geboten hat, weil es im Deutschen Bundestag keine Mehrheit dagegen gab. Die Leittragenden sind jetzt die Familien – darin gebe ich Ihnen recht –, die sich im Vertrauen auf das verfassungswidrige Versprechen der Bundesregierung auf die zusätzliche Unterstützung eingestellt haben. Zumindest die Garantie des Vertrauensschutzes – darin möchte ich Ihnen widersprechen – für die bewilligte Hilfe begrüße ich. Es hat auch niemand in diesem Hause gesagt, dass wir den Vertrauensschutz nicht wollen. Denn es ist selbstverständlich, dass das Geld, wenn es einmal bewilligt wurde, auch bis zum letzten Tag ausgezahlt werden muss. Damit haben die Grünen und wir überhaupt kein Problem. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mit dem von uns vorgelegten Antrag zeigen wir auf, wo das freigewordene Geld benötigt wird und wie es nachhaltig und sinnvoll verwendet werden kann. Diese Mittel wären eine gute Startfinanzierung für das dringend benötigte Engagement des Bundes in mehr frühkindliche Bildung. Ich sage auch – das werden Sie von uns so lange hören, bis es das gibt –: Das wäre eine gute Startfinanzierung für ein Kitaqualitätsgesetz, das auch die Verbände der freien Wohlfahrtspflege immer wieder fordern. (Beifall bei der LINKEN – Sönke Rix [SPD]: Nicht alle!) Im kommenden Jahr stehen bis zu 550 Millionen Euro zur Verfügung – 2017 sind es sogar 900 Millionen Euro –, und die Geier kreisen schon, wie es so schön heißt. Bundesfinanzminister Schäuble fordert die Mittel für den allgemeinen Haushalt oder will Leistungen, die sowieso gesetzliche Leistungen sind, daraus finanzieren. (Marcus Weinberg (Hamburg) [CDU/CSU]: Die kommen aus dem allgemeinen Haushalt!) Oder er wird wie gerade eben von seinen bayerischen Kollegen flankiert, frei nach dem Motto: Wenn Bayern die Fernhalteprämie nicht bekommt, soll im Familienbereich auch niemand anders einen Anspruch darauf haben. (Zuruf von der CDU/CSU: Wolkenschieber!) Um es mit den Worten von Hans Monath, Redakteur des Tagesspiegels, zu sagen, den auch Ihre Fraktion gerne als Referenten einlädt: Nun schmerzt die Wunde, CDU und SPD sollen der bayerischen Andersartigkeit gefälligst Respekt zollen. Schöne Worte. Ich könnte mich sogar damit anfreunden, dass die Mittel an die Länder weitergereicht werden, wie Sie es vorgeschlagen haben, allerdings mit einer anderen Zweckbindung, als Sie sich das vorstellen. Zumindest Brandenburg und Thüringen, wenn nicht sogar 15 Bundesländer würden die Mittel sinnvoll für den Ausbau der Kitaqualität, eine bessere Bezahlung des Betreuungspersonals, der Erzieherinnen und Erzieher, und die Verminderung der Gebühren für die Eltern verwenden. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Deshalb steigt die Qualität nicht!) Das fänden wir gut. 15 Länder würden das garantiert tun, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) wäre da nicht Bayern. Das haben Sie gerade gezeigt. Allein das Wissen, dass im Süden der Republik angeblich christliche und soziale Politiker eine moderne Familienpolitik scheuen wie der Teufel das Weihwasser – davon haben wir gerade wieder eine Kostprobe bekommen –, lässt mich vor einer Verteilung der Mittel an die Länder zurückschrecken. Es ist auch nicht Aufgabe des Bundes, der CSU jetzt die nächsten Wahlversprechen zu finanzieren. Nun zur SPD. Ich unterstelle Ihnen ein ehrliches Interesse daran, die Betreuungsgeldmittel für den Ausbau der Kitaqualität und die Aufstockung der Kapazitäten verwenden zu wollen. Nun wissen Sie ganz genau, dass es längst eine Mehrheit im Bundestag gibt, die das auch so sieht, zumindest seit 2013, wenn nicht sogar zuvor. Aber weil Sie wieder Angst vor der eigenen Courage haben, werden Sie das am Ende nicht durchsetzen. Weil Sie das frustriert – das kann man gut nachvollziehen –, werden Sie unsere Anträge nachher in den Familienausschuss überweisen und dann dort so lange auf Eis legen, bis sich die Koalition – das kann lange dauern, wie wir wissen – geeinigt hat. Sie haben aber auch nicht den Mumm, es einfach abzulehnen. Liebe SPD, Sie sind mit harten Ansagen gestartet – ich zitiere noch einmal Frau Bundesministerin Schwesig vom 24. Juli –: „Das Geld darf nicht im Haushalt des Bundesfinanzministeriums versickern.“ Aber ich befürchte, dass Sie als Bettvorleger der Union landen werden. Das ist sehr schade. Aber vielleicht täusche ich mich, und es wird anders. (Sönke Rix [SPD]: Das soll bei der Linksfraktion vorkommen: dass sie sich täuscht!) Zumindest lässt die gestrige Ankündigung von Frau Schwesig in der Zeitung Die Welt Hoffnung aufkommen. In der letzten Sitzungswoche habe ich vorgeschlagen, die freiwerdenden Mittel, wenn schon nicht für die Finanzierung eines Kitaqualitätsgesetzes – das finden Sie fürchterlich –, dann zumindest zur Verfügung zu stellen, um jedem Flüchtlingskind einen Kita- oder Schulplatz zu gewährleisten und so die Länder und Kommunen nicht zusätzlich zu belasten. (Beifall bei der LINKEN) Ich bin froh, dass Frau Schwesig – genauso wie die Grünen – diese Initiative aufgegriffen hat, und hoffe, dass Sie hierfür die notwendige Mehrheit findet. Wir stehen jedenfalls bereit. Kollege Weinberg, Sie waren das letzte Mal noch wenig begeistert von diesem Vorschlag – das habe ich im Protokoll nachgelesen –, wohl auch deshalb, weil er von uns kommt. Aber jetzt kommt er ja von Ihrem geschätzten Koalitionspartner. Vielleicht überzeugt Ihr Koalitionspartner bzw. Frau Schwesig Sie ja, dass es sich um eine sinnvolle Maßnahme handelt. Frau Brantner hat bereits alle Argumente dafür ausgeführt; mir fehlt für eine nähere Ausführung die Zeit. Oder Herr Rix, Ihr Koalitionspartner, die Sozialdemokraten trauen sich einmal etwas im Deutschen Bundestag. Ein sinnvoller Einsatz der Betreuungsgeldmilliarde wäre jedenfalls auch ohne die Union schon heute möglich. Er wäre nötig, wünschenswert und durchsetzbar. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Carola Reimann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Carola Reimann (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Haltung der SPD zum Betreuungsgeldurteil des Bundesverfassungsgerichtes und zur weiteren Verwendung der freiwerdenden Mittel lässt sich kurz und knapp in drei Punkten zusammenfassen: Erstens. Es ist gut, dass das Betreuungsgeld der Vergangenheit angehört. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zweitens. Die durch das Urteil freiwerdenden Mittel müssen den Familien und Kindern zugutekommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Einsparungen zulasten der Familien kommen für uns nicht infrage. Drittens. Wir wollen eine bessere Kinderbetreuung, und deshalb wollen wir die freiwerdenden Mittel in die Kitaqualität investieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wie gut dieses Geld investiert ist, davon konnte ich mich in der vergangenen Woche im Rahmen der Kitaaktionswoche der SPD-Bundestagsfraktion selbst überzeugen. In meinem Wahlkreis Braunschweig habe ich zwei Kindertagesstätten der Arbeiterwohlfahrt besucht. Es ist bewundernswert, mit welchem Engagement Erzieherinnen und Erzieher diese ebenso anspruchsvolle wie fordernde Aufgabe tagein, tagaus erfüllen. (Zuruf von der CDU/CSU: Die Mütter auch!) Kinder fordern zu jeder Zeit 100 Prozent und zu jeder Zeit volle Aufmerksamkeit. Dabei bleibt keine Zeit, zu verschnaufen oder auf das Handy zu schauen, wie das hier einige tun. Nicht nur unsere Kinder, sondern auch unserer Erzieherinnen und Erzieher haben es verdient, dass wir ihr Engagement unterstützen und verstärkt in die Kitaqualität investieren. Alle Fachleute sind sich einig: Der Kitaausbau ist die wirkungsvollste familienpolitische Maßnahme überhaupt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das hat auch die Gesamtevaluation ehe- und familienbezogener Leistungen bestätigt, die von der Vorgängerin von Frau Schwesig, Frau Schröder, in Auftrag gegeben wurde. Investitionen in die Kitabetreuung schaffen die Basis für eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sie ermöglichen die gute und frühe Förderung von Kindern, allerdings nur bei guter Qualität. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das tun Eltern auch, Frau Reimann!) Genau deshalb ist es so wichtig, dass wir die freiwerdenden Mittel aus dem Betreuungsgeld an dieser Stelle investieren. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Das hätten Sie den Familien belassen sollen!) Das gilt erst recht vor dem Hintergrund der neuen Herausforderungen, die durch die Flüchtlinge auf uns zukommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Darin bestärkt hat uns auch der aktuelle „Ländermonitor Frühkindliche Bildungssysteme“. Ich sage das, weil man sich hier häufig die Namen von Ländern gegenseitig zuspielt. (Max Straubinger [CDU/CSU]: In diesem Monitor ist aber Bayern immer vorn, zufälligerweise!) – Sie sollten diesen Text einmal lesen: Es ist leider nicht so. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Natürlich ist es so!) Bayern hat sogar das schlechteste Betreuungsverhältnis. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Aber die besseren Ergebnisse!) Dieser Ländermonitor hat uns in Sachen Kitaqualität einen positiven Trend bescheinigt. Dennoch, so der Bericht, bedarf es weiterer Investitionen, um für Kinder eine gute Tagesbetreuung zu ermöglichen und für Fachkräfte gute Rahmenbedingungen zu schaffen. Ich freue mich, dass wir bei der Frage Kitaausbau auf breite Unterstützung bauen können, nicht nur aus der Wissenschaft. Erst am Montag hat die Familienministerin Manuela Schwesig das „Memorandum Familie und Arbeitswelt“ gemeinsam mit Gewerkschaften und Arbeitgebern vorgestellt. In zehn Leitsätzen verpflichten sich Politik, Gewerkschaften und Wirtschaft, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern, unter anderem durch flexible Arbeitszeitmodelle und qualitativ hochwertige Betreuungsangebote. Dazu passt auch die Forderung von DIHK-Präsident Eric Schweitzer, der die durch den Wegfall des Betreuungsgeldes freiwerdenden Summen für weitere Impulse im Bereich der Kinder- und Schülerbetreuung nutzen will. (Beifall bei der SPD – Sönke Rix [SPD]: Guter Mann!) Sie sehen also: Qualität in den Kitas ist nicht nur der Wunsch von Eltern, Erzieherinnen, Wissenschaft und der Politik, sondern auch ein Anliegen der Sozialpartner. Ich bin überzeugt, dass wir die wenigen, die das anders sehen – auch wenn sie hier unter uns sitzen –, auch noch überzeugen werden. (Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: Hoffentlich werden es bald noch weniger!) Im Übrigen sind Mehrausgaben beim Elterngeld jedenfalls kein Grund für Mittelkürzungen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mehrausgaben sind auch keine bösen Überraschungen. Sie sind ein Erfolg. Wir in der SPD freuen uns jedenfalls, dass es bei Müttern – und zunehmend auch bei Vätern – so gut ankommt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU]) Es ist schon reichlich absurd, dass die beiden wirksamsten familienbezogenen Leistungen auf Kosten der Familien miteinander verrechnet werden sollen. Das wäre nichts anderes als Sparen zulasten der kommenden Generation, und das ist nicht nur familienpolitisch falsch, sondern auch kontraproduktiv für einen nachhaltigen Haushalt. Da ist die SPD klar positioniert. Was wir bei diesem Thema allerdings nicht brauchen, ist parlamentarische Effekthascherei. Diese Effekthascherei drückt sich aus in dem Wunsch, statt einer – wie in diesem Haus eigentlich üblich – sachlichen Beratung im Fachausschuss jetzt eine Abstimmung durchzuführen. Das lehnen wir ab. Die Entscheidung fällt im Rahmen der Haushaltsberatungen und nicht jetzt durch eine Abstimmung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Sie können sich sicher sein: Die SPD setzt sich für die Kitas ein; denn das ist eine Investition in die Zukunft. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt der Kollege Paul Lehrieder, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Brantner, Sie haben in Ihrer Eingangsrede ausgeführt: Gute Förderung, Bildung und Betreuung sind für die Kinder wichtig. Ich will ausdrücklich betonen, dass eine gute Förderung und auch Bildung und Betreuung von ein- bis dreijährigen Kindern zu Hause von den Eltern, also von der Mutter, aber auch von der Schwiegermutter, von der Oma vorgenommen werden können. Ich bitte darum, dass man diese dogmatischen Grabenkämpfe allmählich einmal überwindet. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit Vätern und Opas? – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben den Opa vergessen!) – Der Opa kommt natürlich auch infrage, Frau Brantner. Danke für diesen Hinweis. Den Opa habe ich übersehen. Er kann das Kind genauso betreuen. Er kann genauso aus einem Buch vorlesen. Er kann dem Kind genauso gut die Welt erklären. Er kann genauso eine Eins-zu-eins-Betreuung des Kindes ermöglichen. In manchen Fällen ist das vielleicht sogar noch besser als ein Schlüssel von 1 : 6 oder 1 : 8, wie er in der Kita praktiziert wird. (Sönke Rix [SPD]: Das ist gegenüber ausgebildeten Erzieherinnen und Erziehern unverschämt und anmaßend!) Bitte, lassen Sie uns da alle abrüsten. Das gilt insbesondere für den jungen Kollegen von der Linken. Herr Kollege Müller, Sie müssten es doch eigentlich besser wissen. Sie haben eben die sogenannte Herd- oder Fernhalteprämie thematisiert. Wir haben vor einem halben Jahr die Bertelsmann-Studie bekommen. In ihrem Rahmen wurden junge Eltern, junge Väter, junge Mütter, gefragt: Was macht Ihnen am meisten Sorge? Geäußert wurde nicht die Sorge, dass man für sein Kind keinen Kitaplatz oder nicht genug Elterngeld bekommt. Häufig wurde einfach die Sorge geäußert, etwas falsch zu machen. Wir dürfen uns nicht wundern, dass viele nicht mehr wissen, ob ihr Erziehungsmodell richtig ist, wenn wir über Jahre die jungen Eltern mit Kampfbegriffen verunsichern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann lassen Sie es doch sein!) Lassen wir den jungen Leuten wieder ein bisschen mehr Vertrauen zukommen! Lassen wir insbesondere den jungen Eltern die Wahlmöglichkeit! Nicht mehr und nicht weniger haben wir mit dem Betreuungsgeld geschaffen. Ja, es wird ein Landesbetreuungsgeld auf jeden Fall in Bayern geben. Ich bin gespannt. Ich habe mir einmal die Zahlen herausgesucht. 105 000 berechtigte Familien sind es in Bayern, 104 000 in Nordrhein-Westfalen. Ich wünsche mir, dass die Kollegin Kraft in Nordrhein-Westfalen die Courage hat, diese 104 000 Eltern, die zu Hause erziehen wollen, weiterhin zu beglücken. (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist also kein bayerisches Thema, Frau Kollegin Reimann. Es wurde immer gern so getan, als ob das Betreuungsgeld nur bayerischen Eltern zugutekommt. Nein, es kommt im selben Umfang nordrhein-westfälischen Vätern und Müttern zugute. Denen müssen Sie dann erklären: Für die Kitas hätten wir das Geld, aber für eure häusliche Betreuung, für diese 104 000 Familien, haben wir es nicht. – Ich freue mich darauf. Die Diskussion wird spannend werden. (Max Straubinger [CDU/CSU]: So sind sie halt, die Sozis!) Meine Damen und Herren, Investitionen in die Kinder sind Investitionen in eine gute Zukunft; darauf wurde von den Vorrednern schon hingewiesen. Den Grundstein für diese gute Zukunft legen wir unter anderem mit dem weiteren Ausbau der Betreuung für die Kleinsten. Wichtig ist in diesem Zusammenhang jedoch auch – ich habe bereits darauf hingewiesen –, den Familien eine echte Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Betreuungsmodellen zu geben (Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: Dann müssen Sie die erst einmal schaffen!) – stellen Sie eine Frage; dann habe ich mehr Zeit, Herr Müller –, da wir nur so den verschiedenen Interessen der Familien gerecht werden. „Für die Kinder ist das Beste gerade gut genug.“ Johann Wolfgang von Goethe hat das einst gesagt. Ich denke, die meisten hier werden dem zustimmen. Was aber ist das Beste? Das sollten Eltern individuell für ihr Kind entscheiden können. Wir alle sind uns einig, dass uns die Thematik der Wahlfreiheit und der Unterstützung für Familien weiter intensiv beschäftigen wird und eine zentrale Rolle in der Familienpolitik in unserem Land einnimmt. Die freigewordenen Mittel aus dem Bundesbetreuungsgeld sollten jedoch nicht zweckentfremdet für anderweitige familienpolitische Maßnahmen verwendet werden. Fast 500 000 Familien in Deutschland – ich wiederhole es: eine halbe Million – beziehen bereits Leistungen aus dem Erfolgsmodell Betreuungsgeld. Ich habe darauf hingewiesen: In Nordrhein-Westfalen sind es 104 000. Das freut mich persönlich mit am meisten – neben der bayerischen Zahl natürlich. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist der Phantomschmerz!) Es wäre ein verheerendes familienpolitisches Signal, Familien den Zugang zum Betreuungsgeld künftig zu verweigern. Ich plädiere daher dafür, die für das Betreuungsgeld vorgesehenen Mittel ungeschmälert den Ländern für eine Verbesserung der Kinderbetreuung zur Verfügung zu stellen, wobei den Ländern hinsichtlich der Verwendung eine eigene Schwerpunktsetzung obliegt – obliegen muss. Die Länder – darauf hat das Bundesverfassungsgericht hingewiesen – sind dafür zuständig. Die Länder müssen letztendlich selbst entscheiden, ob sie die Erfolgsgeschichte des Betreuungsgeldes fortsetzen, indem sie den vielen Familien, insbesondere in Nordrhein-Westfalen, die dringend benötigte finanzielle Unterstützung bei der Betreuung ihrer Kleinkinder gewähren oder nicht. (Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!) Ich appelliere aber an die jeweiligen Landesregierungen, die Mittel dann dergestalt zu verwenden, dass ein Landesbetreuungsgeld, wie Bayern es schaffen wird, die Wahlfreiheit und Unterstützung der Familien weiterhin sicherstellt. Das Bundesverfassungsgericht – darauf hat der Kollege Rief in seiner Weisheit völlig zu Recht hingewiesen – hat nicht über die Rechtmäßigkeit des Betreuungsgeldes an sich entschieden, (Beifall der Abg. Barbara Lanzinger [CDU/CSU]) sondern sich lediglich hinsichtlich der Zuständigkeit des Bundes geäußert und seine Entscheidung mit der fehlenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes begründet. Das heißt, der Bund ist nicht für die Einführung eines Betreuungsgeldes zuständig. Mit anderen Worten: Für die Einführung eines Betreuungsgeldes sind die Länder zuständig. Diese Verantwortung werden wir uns anschauen. – Ihr könnt ruhig klatschen. Ich denke, es wäre jetzt an der Zeit, Sylvia. (Beifall bei der CDU/CSU) Ob es richtig ist, Eltern, die ihre Kinder ausschließlich zu Hause betreuen, eine staatliche Anerkennung zukommen zu lassen, war ausdrücklich nicht Gegenstand der Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht; ich war bei der Verhandlung in Karlsruhe. Insofern halte ich die Einführung eines Landesbetreuungsgeldes für den richtigen Weg, Eltern auch weiterhin selbst entscheiden zu lassen, was das Beste für ihr Kind ist. Dieses Vertrauen in die jungen Eltern sollten wir haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Neben der Möglichkeit, von den öffentlichen Betreuungseinrichtungen Gebrauch zu machen, können sich die Familien somit auch entscheiden, ihr Kind selbst zu betreuen, ohne dabei – dank der finanziellen Unterstützung durch das Landesbetreuungsgeld – eine Benachteiligung erfahren zu müssen. Im Übrigen möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass sich der Bund bereits in erheblichem Maße an der Finanzierung des Ausbaus der Kinderbetreuung beteiligt hat und in den nächsten Jahren auch weiter in erheblichem Maße beteiligen wird. Es ist jetzt September 2015. Am 1. August 2013 trat der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für unter Dreijährige in Kraft. Ich kann mich noch gut erinnern an die letzte Große Koalition, 2005 bis 2009, in der unsere damalige Familienministerin, Frau Ursula von der Leyen, genau diese Diskussion mit uns geführt hat. Wir haben gesagt: Jawohl, wir machen das Elterngeld. Wir machen den Kitaausbau. Wir machen auch den Rechtsanspruch ab 2013. Ich war positiv überrascht, wie die Länder und Kommunen mitgezogen haben, sodass dieser Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz am 1. Januar 2013 in Kraft treten konnte. Dafür auch ein Lob an die Länder und Kommunen! (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Neben der größten kommunalen Entlastung durch die Übernahme der Kosten für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie der Entlastung bei der Eingliederungshilfe im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes sorgt der Bund damit weiterhin für leistungsfähige Kommunen. Und wir haben vor zwei Stunden eine intensive Debatte im Bundestag über die Entlastung der Kommunen mit den Kommunalpolitikern geführt. Mit dem Gesetz zur weiteren Entlastung von Ländern und Kommunen ab 2015 und zum quantitativen und qualitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung stockt der Bund das Sondervermögen zum Kindertagesbetreuungsausbau um 550 Millionen Euro auf rund eine 1 Milliarde Euro auf. Zudem erhalten die Länder in den Jahren 2017 und 2018 weitere 100 Millionen Euro zur Finanzierung der Betriebskosten für den Ausbau weiterer Betreuungsplätze. Sehen Sie, Frau Brantner, wir passen auf, dass die Kitas weiterhin qualitativ und quantitativ ausgebaut werden können. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass wir derzeit über das Programm „KitaPlus“ für längere Öffnungszeiten von Kindertagesstätten diskutieren. In den Jahren 2016, 2017 und 2018 werden jeweils 33 Millionen Euro – wenn man es zusammenrechnet, sind das 100 Millionen Euro – in den Qualitätsausbau und in die Verbesserung der Öffnungszeiten von Kitas investiert. Frau Präsidentin, meine Redezeit läuft ab – ich hätte noch viel zu sagen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen gute Beschlüsse. Wie gesagt, wir werden den Antrag der Grünen – damit ich dazu auch etwas gesagt habe –, Frau Brantner, selbstverständlich ablehnen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr. Fritz Felgentreu, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ist für mich heute keine Debattenrede wie jede andere. Im Wahlkampf bin ich wirklich Sturm gelaufen gegen das Betreuungsgeld. Es war mein Hauptthema – es war übrigens erfolgreich. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich war Kandidat und bin Abgeordneter für Berlin-Neukölln – eines der bekanntesten Brennpunktquartiere in Deutschland. Die Vorstellung, dass wir Geld ausgeben, damit Kinder nicht in die Kita gehen, war und ist mir immer noch schlichtweg unerträglich. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich gebe offen zu: Dass wir die Abschaffung des Betreuungsgeldes damals nicht durchsetzen konnten, hat es mir schwergemacht, dem Koalitionsvertrag zuzustimmen – und das trotz Mindestlohn und Mietpreisbremse, die ich für die Menschen in Neukölln unbedingt haben wollte. Und trotzdem, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehe ich die Abschaffung des Gesetzes durch das Bundesverfassungsgericht ein wenig mit gemischten Gefühlen. Kollege Rief, ich hätte mir gewünscht, dass eine kritische und konstruktive Debatte in diesem Haus eine politische Mehrheit für eine bessere Verwendung der Betreuungsgeldmittel hervorgebracht hätte. Die Abschaffung durch Verfassungsrecht ersetzt diese Debatte nicht. (Josef Rief [CDU/CSU]: Richtig!) Aber sie gibt uns immerhin den Anlass, diese notwendige Debatte jetzt zu führen. Es ist deswegen auch gut, dass die Fraktionen der Opposition dazu heute einen Aufschlag machen. Offensichtlich ist aber auch: Eine Einigung über die Verwendung der Betreuungsgeldmittel wird es ohne die Union nicht geben. (Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: Das ist aber schade!) Deshalb werden wir uns auch von Ihren Anträgen, Frau Kollegin Brantner, Herr Kollege Müller, als Koalition nicht treiben lassen. Der Versuch, vorzupreschen, immer der Erste zu sein, der die richtige Lösung gesehen und gefordert hat, ist der Sache nicht immer dienlich. (Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: Besser als gar keiner!  – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie lange diskutieren wir schon? Wir waren die Einzigen, die immer dagegen waren!) Die SPD geht mit ganz klaren Vorstellungen in diese Verhandlungen. Wir wollen, dass die Betreuungsgeldmittel weiter den Familien zugutekommen. (Beifall bei der SPD) Kinder und Familien fördern wir am besten und am gerechtesten durch erstklassige Kitas und Schulen. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Deshalb wollen wir dieses Geld zusätzlich in unsere Kitas investieren. Darüber werden wir mit der Union reden. Und verlassen Sie sich darauf: Diese Koalition wird eine gemeinsame Lösung finden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen ja eine gute Lösung, nicht irgendeine!) Dass die Betreuungsgeldmittel weiter für Kinder und Familie eingesetzt werden, ist der SPD-Fraktion auch vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Flüchtlingsbewegung sehr wichtig. Denn wir dürfen jetzt einen Fehler nicht machen: Wir dürfen nicht auf sinnvolle und notwendige Maßnahmen verzichten und dann als Begründung angeben, dass dafür wegen der Flüchtlinge kein Geld mehr da sei. (Beifall im ganzen Hause) Wer so argumentiert, meine Damen und Herren, der legt die Axt an die Wurzeln des guten Willens, mit dem sich die Gesellschaft zurzeit den Herausforderungen der Flüchtlingsbewegung stellt. Was die Kitas angeht, ist sowieso das Gegenteil richtig: Wer etwas für unsere Kitas tut, der tut zugleich etwas dafür, dass Flüchtlingsfamilien schnell in unserer Gesellschaft ankommen. Nach Schätzungen des Familienministeriums werden wir für Flüchtlingskinder zusätzlich knapp 70 000 Kitaplätze brauchen. Und die, meine Damen und Herren, müssen wir auch bereitstellen. Ich will jedes einzelne dieser Flüchtlingskinder in unseren Kitas sehen. Dort lernen sie Deutsch. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dort lernen sie, dass Jungen und Mädchen bei uns die gleichen Rechte haben. Dort erleben sie, nach welchen Regeln das Zusammenleben in unserer Gesellschaft funktioniert. Diese sozialisierende Funktion der Kita, die über eine einfache Bildungsfunktion weit hinausgeht, ist gerade für die Kinder aus Flüchtlingsfamilien ungeheuer wichtig. Ich will die Wahlfreiheit der Familien überhaupt nicht einschränken. Aber diese Kinder gehören in unsere Kitas. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber damit die Kitas das alles auch leisten können, brauchen sie unsere Unterstützung. Das heißt, mit jedem Euro, den wir heute in die Kitas stecken, tun wir etwas für alle: Wir tun etwas für die einheimischen Familien, die natürlich diese Kitabetreuung in hoher Qualität brauchen, sie in Anspruch nehmen und das auch weiter tun sollen, und wir tun etwas für die, die jetzt neu dazukommen. Vor allem aber tun wir etwas für eine gute gemeinsame Zukunft. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist unsere Pflicht – davon bin ich fest überzeugt, meine Damen und Herren –, dem Ernst der Lage, in der wir uns befinden, mit Realismus, aber auch mit gutem Willen und mit Optimismus zu begegnen. Gerade bei den Beratungen über die Betreuungsgeldmittel können wir beweisen, dass uns das gelingen wird. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Fritz Felgentreu. – Einen schönen Nachmittag Ihnen von meiner Seite, auch unseren Gästen! Wir kommen jetzt zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6063. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Abstimmung in der Sache, die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Überweisung, und zwar federführend an den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie mitberatend an den Haushaltsausschuss. Darüber stimmen wir jetzt ab. Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisung beschlossen bei Zustimmung von CDU/CSU, SPD und Linken gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen. Damit stimmen wir logischerweise über den Antrag in der Sache nicht ab. Tagesordnungspunkt 7 b. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/6041 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Hat dazu eigentlich jemals jemand Nein gesagt? (Sönke Rix [SPD]: Machen Sie jetzt keinen Scheiß – Entschuldigung!) Ich muss das immer fragen, aber niemand sagt Nein. Frau Noll, Sind Sie einverstanden? – Gut. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf – ich lese schon einmal vor, worum es geht, und bitte, zügig Platz zu nehmen –: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des nationalen Bankenabwicklungsrechts an den Einheitlichen Abwicklungsmechanismus und die europäischen Vorgaben zur Bankenabgabe (Abwicklungsmechanismusgesetz – AbwMechG) Drucksachen 18/5009, 18/5325, 18/5458 Nr. 3 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Drucksache 18/6091 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6092 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich sehe, dass langsam die Expertinnen und Experten Platz nehmen, und eröffne die Debatte mit der Worterteilung an Alexander Radwan für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Alexander Radwan (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir schließen mit dem heute vorliegenden Gesetz die Anpassung des Bankenabwicklungsrechts ab. Das ist der letzte Baustein auf dem Weg zur Bankenunion, die auf europäischer Ebene vorgegeben wurde. Das Ziel ist, zukünftig nicht mehr den Steuerzahler in die Pflicht zu nehmen, wenn aufgrund von Krisen die Banken in Schieflagen geraten. Wir wollen, dass sie rechtzeitig Eigenkapital aufbauen und weitere Maßnahmen treffen, damit so etwas gar nicht erst passiert. Sollte es aber passieren, dann ist es notwendig, dass die Banken und die Gläubiger hier in die Pflicht genommen werden. Deswegen werden wir jetzt gemäß der europäischen Richtlinie die Vorgaben für den Abwicklungsbereich umsetzen, die dann zum 1. Januar 2016 in Kraft treten werden. Ich bedanke mich hier beim Bundesfinanzministerium und den Kollegen für die zügige Arbeit. Wir in Deutschland sind hier Vorreiter, da wir entsprechend vorangehen. Darum will ich heute auch primär den Blick auf die europäische Ebene lenken, weil es nicht sein kann, dass Deutschland alleine vorangeht, sondern auch auf europäischer Ebene muss dieses Gesetz gemeinsam umgesetzt werden. Der Steuerzahler soll zukünftig nicht mehr haften. Um das zu erreichen, wird eine Haftungskaskade aufgebaut. Dazu soll ein Fonds gegründet werden, der erst national aufgebaut wird und dann entsprechend europäisiert wird; aber zunächst bauen wir ihn eben national auf. Hier möchte ich einen Punkt, der sicherlich in der weiteren Debatte diskutiert werden wird, herausgreifen. Ich danke ausdrücklich dem Bundesfinanzminister – sein Staatssekretär ist stellvertretend anwesend –, dass er durchgesetzt hat, dass Rechtsgrundlage dieses Fonds eben nicht das europäische Gemeinschaftsrecht ist, sondern dass er ein intergouvernementaler Fonds ist. – Herr Schick, Sie schauen so? (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich finde es falsch!) – Ich halte das dezidiert für richtig; denn wir diskutieren jetzt ja die Einlagensicherung auf europäischer Ebene. Hätten wir hier auf europäischer Ebene das Präjudiz geschaffen, dass entsprechende Zahlungen auf Basis des europäischen Gemeinschaftsrechts erhoben werden könnten, dann hätten wir jetzt eine ganz andere Lage bei den Diskussionen über die europäische Einlagensicherung. Hier mögen wir uns inhaltlich unterscheiden, ich jedenfalls halte eine europäische Einlagensicherung zum jetzigen Zeitpunkt für falsch. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dadurch, dass der Fonds intergouvernemental vereinbart wurde, haben wir als Deutscher Bundestag noch ein Wörtchen mitzureden, und wir können die Vorgaben entsprechend mitgestalten. Ich werde zum Thema Mitgestaltung bei einem anderen Punkt, wo wir nicht übereinstimmen, noch etwas sagen. Wichtig ist aber auch – das ist meine Bitte an das Bundesfinanzministerium –, genau darauf zu schauen, wie die Umsetzung in den Nationalstaaten momentan läuft. Bail-in war immer eine Forderung Deutschlands. Wir stehen dahinter, aber wir wissen aus den Diskussionen im Rat und im Parlament, dass Bail-in – dass also Gläubiger, dass diejenigen, die in den Banken engagiert sind, also die Aktionäre, herangezogen werden – nicht der Herzenswunsch aller anderen Mitgliedstaaten war. Ich beobachte, dass derzeit Bail-in in anderen Staaten nicht so strikt umgesetzt wird. Darum müssen wir genau darauf schauen und auch die Kommission ermuntern, hier entsprechend zu intervenieren, wenn es nicht in dieser Form umgesetzt wird. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben die Rangfolge der Papiere entsprechend definiert. Hier geht Deutschland voran. Auch bei diesem Punkt ist es notwendig, dass die Europäische Zentralbank den Rahmen mit definiert. Auch bei der Frage der Zentralbanktauglichkeit hatten wir heftige Diskussionen. Ich hätte mir gewünscht, dass die Europäische Zentralbank, die sich bei dem einen oder anderen Punkt sehr stark engagiert hat, zumindest rechtzeitig eine Antwort hätte geben können, ob dieser Gesetzestext die Zentralbanktauglichkeit der Papiere beeinflusst oder nicht. Das war leider nicht in wünschenswertem Maße der Fall. Ein heftiger Diskussionspunkt von deutscher Seite war das Thema Verordnungsermächtigung bei MaRisk. Ich halte den Beschluss, den wir heute fassen werden, für richtig. Wir ermächtigen das Bundesfinanzministerium, hier eine Verordnung zu erlassen. Ich halte es für notwendig und für richtig, weil wir beim Aufbau einer europäischen Aufsicht sind. Viele Mechanismen, die das Funktionieren der europäischen Aufsicht bedingen, werden in den nächsten Monaten und Jahren greifen. Das Argument, das ich gegen Ende der Beratungen gehört habe, man könne in ein, zwei Jahren eine Verordnungsermächtigung nachreichen, halte ich, gelinde gesagt, für blauäugig angesichts der Tatsache, dass die Europäische Zentralbank dann ja schon zwei Jahre lang definiert hat; da kann man dann nicht mehr nachträglich kommen. Und dem BMF und der BaFin jetzt die Waffen zu nehmen, um hier entsprechenden Einfluss auszuüben, ist kontraproduktiv. Auch den Argwohn, der hier bei manchen mitschwingt, die behaupten, dass das BMF oder die BaFin keine europäische Aufsicht möchten, halte ich für bemerkenswert. Natürlich wollen wir eine europäische Aufsicht. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seien Sie ehrlich!) Allen, die hier im Plenum, im Ausschuss und in ihren Sonntagsreden immer sagen – Herr Schick, dazu gehören auch Sie –, dass die Struktur des deutschen Bankensystems mit seinen Regionalbanken auf europäischer Ebene berücksichtigt werden muss, sei gesagt: Die Aufsichtspraxis wird jetzt definiert, und es gibt auf europäischer Ebene ein ständiges Ringen darum, wie die Normen richtig gesetzt werden sollen. Von daher halte ich es, gelinde gesagt, für indiskutabel, das BMF nicht in die Lage zu versetzen, auf europäischer Ebene tätig zu werden. Die parlamentarische Kontrolle bleibt ja erhalten. Wir werden dem BMF klar sagen: Wenn eine entsprechende Verordnung erlassen werden sollte, nachdem zuvor die EZB kontaktiert wurde, dann möge ein Vertreter des BMF zu uns in den Finanzausschuss kommen. Ich erwarte gerade von der BaFin, dass sie auf europäischer Ebene Einfluss auf die Aufsichtspraxis nimmt. Denn die Schaffung von Aufsicht auf europäischer Ebene darf nicht bedeuten, dass nur Regeln für Banken wie BNP Paribas, Barclays und UniCredit geschaffen werden; es sollte das ganze Spektrum abgedeckt werden. Ich vertraue hier dem BMF und der BaFin, dass sie es entsprechend sorgsam handhaben werden, damit wir zu einer europäischen Aufsicht kommen, die der Vielfalt in Europa gerecht wird. Die Verordnungsermächtigung, die wir heute beschließen wollen, ist also notwendig, damit wir die Diskussion aktiv mitgestalten können und nicht nur abwarten und zuschauen müssen. Übrigens sorgen wir damit auch für Transparenz und parlamentarische Kontrolle, die Sie in anderen Bereichen immer fordern. In diesem Bereich fordern Sie sie zu meinem großen Erstaunen nicht. Auf jeden Fall lehnen wir Ihren Antrag ab. Besten Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Radwan. – Nächster Redner in der Debatte: Dr. Axel Troost für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das hier vorliegende Gesetz passt deutsches Recht an europäisches Recht an, das schon längst beschlossen ist. Insofern sind die Spielräume bescheiden. Ich will mich deswegen hier nicht an Details abarbeiten. Sicher ist aber natürlich, dass eine europäische Bankenrettung insgesamt besser sein wird als das, was zum Teil handwerklich schlecht in den Jahren 2008 und folgende in einzelnen Ländern gemacht worden ist. Erinnern wir uns: Auch in Deutschland ist viel, viel Geld in die Stabilisierung der Banken geflossen, viel mehr Geld als jemals für die Sanierung Griechenlands. Anders als die Bevölkerung in den Krisenstaaten werden sich die Finanzjongleure von damals immer noch einen komfortablen Lebenswandel leisten können. Die Bankenunion hat sicherlich auch Schwächen. Eine Schwäche ist und bleibt die Tatsache, dass Großbritannien nicht wirklich miteinbezogen ist. Eine zweite Schwäche ist – sie ist von Herrn Radwan angesprochen worden –, dass man abwarten muss, mit welcher Geschwindigkeit die festgelegten Regeln in den einzelnen Ländern dann wirklich ratifiziert und umgesetzt werden. Zu den Schwächen zählt aus meiner Sicht sicherlich auch der Bankenabwicklungsfonds; denn wenn alles beschlossen ist, soll auf europäischer Ebene als letzte Stufe bei der Rettung von Banken ein Fonds in einer Größenordnung von 50 Milliarden Euro entstehen. Dieser Fonds löst dann den deutschen Fonds ab. Der deutsche Fonds umfasst 70 Milliarden Euro; jetzt haben wir sinnigerweise einen für Gesamteuropa im Umfang von nur noch 50 Milliarden Euro. (Manfred Zöllmer [SPD]: 55 Milliarden!) – 50 Milliarden Euro insgesamt. – Die Frage ist natürlich: Wird das reichen, wenn wir wirklich eine große Bank abwickeln müssen? Es bleiben auch die Fragen: Wer zahlt da in welcher Form ein? Und: Was geschieht mit unserem deutschen Fonds? Ich möchte, weil ich da gerade Zahlen bekommen habe, die restliche Zeit nutzen, um mich mit der Praxis der Einzahlung in den deutschen Fonds zu beschäftigen, der nicht aufgelöst wird, sondern bestehen bleibt, wobei keiner so genau weiß, was mit dem Geld dort passieren soll. Von 2011 bis 2014 sollten die Banken entsprechend ihrer Risikogewichtung in den Fonds einzahlen. Wenn sie dementsprechend eingezahlt hätten, dann hätte der Fonds jetzt ein Volumen von 7 Milliarden Euro. Tatsächlich sind aber nur 2,3 Milliarden Euro im Fonds enthalten. 4,7 Milliarden Euro sind nicht erhoben worden. Für diejenigen, die es interessiert, sei nebenbei bemerkt: Auf der Internetseite meiner Fraktion und auf meiner Internetseite kann man all das statistisch nachvollziehen. – So, und woran liegt das? Aufgrund von Verschonungsregeln haben die Großbanken 70 Prozent ihrer eigentlich einzuzahlenden Beiträge nicht eingezahlt, sondern sie wurden ihnen gestundet, während die Sparkassen und Genossenschaftsbanken, also die Blöden, ihre Beiträge in vollem Umfang eingezahlt haben. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Wie hoch waren die Beiträge? – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Wie hoch waren denn die Beiträge?) – Entsprechend der Risikogewichtung, so wie das hier beschlossen worden ist. (Manfred Zöllmer [SPD]: Nennen Sie einmal Zahlen! – Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]: Wie viel Euro waren das denn jetzt? – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: 12 Millionen!) – Die Aufregung kann ich schon verstehen. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Nee, nee, nee!) Jetzt gibt es eine sogenannte Zumutbarkeitsregel, gemäß der Beiträge zur Bankenabgabe nur maximal in Höhe von 20 Prozent des Jahresgewinns abgeführt werden müssen, ansonsten muss die Zahlung erst einmal gestundet werden. Gegen Stundung spricht auch nichts. Aber die Stundung gilt nur für zwei Jahre, und wenn die zwei Jahre vorüber sind, wird das Geld endgültig gestrichen; das gilt bisher schon für 2,6 Milliarden Euro. Um es klar und deutlich zu sagen: Wir haben hier Regeln beschlossen, die besagen, dass die Großbanken, dass die systemrelevanten Banken – die Einzelzahlen liegen mir vor – entsprechend einzahlen sollen, um Wiedergutmachung zu leisten für die vielen Milliarden, die wir in diese Banken gesteckt haben. Anschließend werden die Beiträge zur Bankenabgabe festgelegt. Wenn die Banken diese nicht zahlen können, dann werden diese nicht gestundet, sondern zum großen Teil endgültig gestrichen. Mit der Schaffung der Bankenunion gilt das dann auch für die restlichen 2,1 Milliarden Euro, die noch ausstehen. (Richard Pitterle [DIE LINKE]: Skandal!) Da kann man nur sagen: Das ist ein absoluter Skandal. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wenn ein normales Unternehmen Zahlungen zu tätigen hat und sie nicht leisten kann, dann werden diese gestundet, aber sie werden doch nicht nach zwei Jahren gestrichen und sind damit weg. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Was hat das mit diesem Gesetz zu tun?) – Nein, das hat mit dem vorliegenden Gesetz gar nichts zu tun, (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Eben!) aber es passt in den Gesamtzusammenhang. Dass Sie das nicht gerne hören wollen, kann ich gut verstehen. (Beifall bei der LINKEN) Eine der vielleicht kriminellsten Banken der Welt, nämlich die Deutsche Bank (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Oh! Oh! Oh! Das ist justiziabel! Frau Präsidentin, das ist justiziabel!) – ja, ja –, die jedes Jahr in den USA zu Strafzahlungen in Milliardenhöhe verknackt wird und diese auch bezahlt, kann anschließend, weil das sozusagen gewinnmindernd ist, ihre Beiträge nicht in unseren Bankenrettungsfonds einzahlen. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist ja unsäglich! Das kann man doch so nicht sagen!) Das ist aus meiner Sicht ein wirklicher Skandal. Wir verhandeln ja derzeit darüber, ob wir Kommunen und Ländern genug Geld für die Flüchtlingshilfe zur Verfügung stellen können; in diesem Rahmen sind Beträge in Höhe von 2,1 Milliarden Euro eine große Summe. Diese erlassen wir aber systemrelevanten Großbanken in Deutschland. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie müssen sich bei der Bank entschuldigen!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Troost. – Herr Brinkhaus, Sie müssen noch ein bisschen warten, dann können Sie auf die Rede von Herrn Troost eingehen. Nächster Redner: Manfred Zöllmer von der SPD. (Beifall bei der SPD) Manfred Zöllmer (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum beschließen wir heute eigentlich ein Gesetz, das Abwicklungsmechanismusgesetz heißt? Wenn wir das besser verstehen wollen, müssen wir uns gedanklich noch einmal in die Krisenjahre 2007 und 2008 zurückversetzen. Auf dem Höhepunkt der Finanzmarktkrise mussten auch in Deutschland Banken gerettet werden. Dies war notwendig, weil es sonst zu einem Zusammenbruch der Finanzmärkte mit unabsehbaren Folgen für Wirtschaft und Ersparnisse gekommen wäre. Gerettet wurden damals die Banken mit unserem Geld, dem Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Das war damals unausweichlich. Aber wir haben uns in die Hand versprochen: Das darf nicht noch einmal geschehen. Wir wollen nicht noch einmal für die Zockereien der Banken bluten. Banken werden auch in Zukunft pleitegehen können wie jedes andere Unternehmen auch. Ein „too big to fail“ wird der Vergangenheit angehören; denn zukünftig werden Eigentümer und Gläubiger vorrangig haften, nicht mehr die Steuerzahler. Risiko und Haftung gehören in Zukunft auch bei systemrelevanten Banken wieder zusammen. Dazu waren viele gesetzliche Änderungen notwendig. Deshalb hat es lange gedauert, bis wir an diesem Punkt angekommen sind. Wir haben eine europäische Bankenunion geschaffen und umgesetzt. Wir haben einen europäischen Bankenfonds eingerichtet, finanziert von den Beiträgen der Banken. Wir haben sehr viele Gesetze gemacht, um dieses Ziel zu erreichen. Jetzt sind wir dabei, das, was wir bisher in Deutschland gemacht haben, an die europäischen Vorgaben anzupassen. Wir haben die FMSA, die Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung, die als nationale Behörde tätig ist. Auf europäischer Ebene haben wir eine Abwicklungsbehörde, die von der ehemaligen BaFin-Chefin, Frau König, geleitet wird. Was haben wir umgesetzt? Mit einer sogenannten Haftungskaskade ist nun gesetzlich festgeschrieben, wer mit welchen Wertpapieren in welcher Reihenfolge haftungsmäßig im Fall der Insolvenz einer Bank herangezogen wird. Neusprachlich heißt das Bail-in. Diese Neuregelung hat nicht alle Verfahrensbeteiligten begeistert, weil nun bestimmte Papiere an Wert verloren haben, weil sie zukünftig im Insolvenzfall herangezogen werden können. Dies war aber notwendig, um das Ziel der sogenannten Bail-in-Fähigkeit zu erreichen. Wir haben aber die Übergangsfrist verlängert, damit sich die betroffenen Finanzinstitute auf diese veränderten Bedingungen einstellen können. Es wäre sehr gut, wenn diese Haftungskaskade, die wir hier beschlossen haben, in Zukunft zur Blaupause für ähnliche Beschlüsse in anderen europäischen Ländern wird. Der Kollege Radwan hat eben deutlich gemacht, dass in vielen Ländern in Europa das Ganze noch nicht umgesetzt worden ist. Das ist etwas, was so nicht sein kann. Über die Verordnungsermächtigung zur Umsetzung der sogenannten Mindestanforderungen an das Risikomanagement, über die sogenannten MaRisk, haben wir längere Zeit diskutiert. Es hat ein bisschen öffentliche Kritik der EZB gegeben. Diese fürchtete, damit sei die einheitliche europäische Bankenaufsicht bedroht. Man muss aber wissen, eine Reihe anderer Länder in Europa haben bereits ähnliche Verordnungen beschlossen. Für die beiden regierungstragenden Fraktionen gilt, dass niemand eine einheitliche europäische Aufsicht behindern will. (Beifall bei der SPD) Wir haben dafür gesorgt, dass sie eingeführt wird. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Interessant, was Sie da so sagen!) Es muss aber darum gehen, lieber Kollege Schick, die Besonderheiten des deutschen Bankensystems – wir sind uns doch sicher einig, dass das deutsche System eine ganze Reihe von schützenswerten Besonderheiten hat – (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Sehr wahr!) angemessen zu berücksichtigen. Zudem müssen wir sicherstellen, dass die BaFin in Zukunft auf Augenhöhe agieren kann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf Augenhöhe mit wem?) – Auf Augenhöhe mit der EZB. – Deshalb haben wir einen vernünftigen Kompromiss gefunden: Nicht die BaFin, sondern das Finanzministerium erlässt diese Verordnung; dies geschieht auf der Basis europäischer Regelungen, und der Finanzausschuss des Deutschen Bundestags ist entsprechend einzubinden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit unserem Gesetzentwurf stellen wir sicher, dass auch in der Übergangsphase genügend Geld zur Verfügung steht, um in einem Insolvenzfall leistungsfähig zu bleiben. Die Mittel der deutschen Bankenabgabe stehen zur Verfügung. Durch eine Kreditermächtigung haben wir die Leistungsfähigkeit der deutschen Kammer des europäischen Abwicklungsfonds erheblich erhöht, bis dieser Fonds im Jahr 2024 mit 55 Milliarden Euro, lieber Axel Troost, gefüllt sein wird. Schaut man sich die europäische Ebene genauer an, so muss es jetzt darum gehen, dass die einheitliche Umsetzung der europäischen Regelungen Vorrang hat. Es sollte Aufgabe der Europäischen Kommission sein, darauf hinzuwirken, dass diese Richtlinien zügig in nationales Recht umgesetzt werden. Man sollte nicht öffentlich über irgendwelche zu vergemeinschaftende Einlagensicherungssysteme nachdenken. Das schafft nur Verwirrung. Deshalb unterstützen wir ausdrücklich unseren Finanzminister, der deutlich gemacht hat, dass so etwas zum jetzigen Zeitpunkt mit Deutschland nicht zu machen ist. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Gesetz markiert einen guten Tag für den Steuerzahler, einen guten Tag für die soziale Marktwirtschaft. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Feststehender Textbaustein bei euch!) Risiko und Haftung fallen zukünftig wieder zusammen. Wer schlecht wirtschaftet, geht in Insolvenz. Das gilt zukünftig auch für Banken. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Zöllmer. – Nächster Redner in der Debatte: Dr. Gerhard Schick für Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Uns liegt ein Gesetzentwurf vor, der zeigt, dass die Bundesregierung und die Koalition das Eigentliche gar nicht mehr regeln müssen. Weil das auf europäischer Ebene schon geregelt ist, konnten sie zum Glück gar nicht so arg viel schlecht machen. (Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]: Wir haben viel gut gemacht, heißt das!) Die grundlegende Idee, einen Abwicklungsmechanismus auf europäischer Ebene einzuführen, finden wir richtig, und dafür sind technische Anpassungen erforderlich. Deswegen werden wir diesem Gesetzentwurf zustimmen. (Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]: Sehr gut!) Es gibt allerdings drei Punkte, die ich ansprechen muss, bei denen wir ganz klar eine andere Position vertreten – diese sind ja teilweise in den Redebeiträgen, die wir gehört haben, bereits angeklungen –: Der erste Punkt betrifft die Verordnungsermächtigung zum Risikomanagement; Herr Kollege Zöllmer, Sie haben das schon angesprochen. Wir haben in Europa ja nun endlich eine Bankenaufsicht. Wir Grünen hätten sie lieber parlamentarisch kontrolliert; (Zuruf von der CDU/CSU: Aha!) aber es wurde der Weg eingeschlagen, den die Bundesregierung vorgeschlagen hatte. Das war der einzige Vorschlag, der damals auf dem Tisch lag. Deswegen ist jetzt die Europäische Zentralbank für die Bankenaufsicht zuständig. Jetzt ist es erforderlich, dafür zu sorgen, dass diese einheitliche europäische Aufsicht ihre Arbeit sinnvoll machen kann. Wenn jetzt jeder Staat sein Bankenaufsichtsrecht einzeln definiert, dann müssen die Aufseher der Europäischen Zentralbank bei ihrem Agieren ständig unterschiedliche nationale Aufsichtsrechte zugrunde legen. Das wäre kompliziert, und vor allem hätten wir das Ziel dann immer noch nicht erreicht, nämlich ein einheitliches Spielfeld für die Banken in Europa. Wir wollen nicht, dass jeder Staat Ausnahmeregelungen gestalten kann, weil dadurch das Gesamtsystem instabil würde. Sie sprechen in diesem Zusammenhang von Waffen. Darüber wundere ich mich schon. Sie gehen also in eine neue Auseinandersetzung über die Gestaltung des Playing Fields in Europa, anstatt konstruktiv daran mitzuwirken, dass wir endlich eine sinnvolle Aufsichtsstruktur in Europa erhalten. Sie sind damit einmal mehr europapolitisch auf dem Holzweg. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der zweite Punkt, den ich ansprechen will, hat mit einem Aspekt zu tun, den wir schon seit langem thematisieren, übrigens auch gemeinsam mit den Sozialdemokraten, als sie noch in der Opposition waren. Es geht darum, dass wir hinsichtlich des Umgangs mit den Abwicklungsanstalten eine gesetzgeberische Lücke haben: Während man für die Vergütungen der Vorstände der Banken, die gerettet wurden, einen Deckel festgelegt hat, hat man einen solchen Deckel für die Vergütungen der Vorstände von Abwicklungsanstalten, die von diesen Banken abgespalten wurden, nicht festgelegt. Deswegen hat uns der Bundesrechnungshof aufgefordert, auch für die Abwicklungsanstalten Gehaltsbeschränkungen einzuführen. Wir haben einen entsprechenden Antrag im Ausschuss vorgelegt. Sie haben das abgelehnt. Ich finde, das ist ein Fehler; denn auch an dieser Stelle müssen wir dafür sorgen, dass nicht zulasten der Steuerzahler Millionen kassiert werden. Es ist ja so, dass auf dem Finanzsektor insgesamt zu hohe Gehälter gezahlt werden. Dort, wo wir sinnvolle Regelungen schaffen können, sollten wir das tun, um diese zu begrenzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE]) Der dritte Punkt betrifft die Frage, ob das Geld für den europäischen Fonds ausreicht. Die vorgesehenen 55 Milliarden Euro werden – das wird deutlich, wenn wir die Erfahrungen der letzten Finanzkrise zugrunde legen – nicht ausreichen, wenn es noch einmal zu einer schweren Krise kommt. Es wäre aber auch nicht sinnvoll, einen extrem großen Topf zu schaffen. Das Entscheidende ist, dass man eine Kreditlinie hat. Das gilt umso mehr für die Phase des Übergangs, für die Zeit, in der sich dieses System aus den nationalen Töpfen heraus aufbaut. Einmal mehr waren Sie europapolitisch auf dem Holzweg. Sie haben nicht für die Schaffung einer Kreditlinie zum ESM, also für eine europäische Lösung, plädiert, sondern Sie schaffen jetzt eine neue Kreditmöglichkeit auf nationaler Ebene. Damit stehen wir wieder vor genau dem Problem, das Sie vorgeben lösen zu wollen, nämlich einer Verbindung von Bankenrisiken und Staatenrisiken. Wenn es zu einer Bankenkrise in einem finanziell nicht so starken europäischen Mitgliedstaat käme, könnte das erneut Probleme bei der Staatsfinanzierung auslösen, und dann wären wir in genau dem Schmodder, der eigentlich bekämpft werden soll. Wir halten das für falsch. Wir haben Sie aufgefordert, das anders zu machen. Da ist auf jeden Fall noch eine wichtige Korrektur vorzunehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will mit Blick auf die weitere Diskussion über die Abwicklung von Banken noch zwei Punkte ansprechen. Das muss man an dieser Stelle einfach sagen, weil nicht der Eindruck entstehen darf, mit diesem Gesetz und den Institutionen, die bisher geschaffen wurden, seien die Probleme gelöst. Es bleibt dabei, dass die großen Banken zu komplex sind, zu groß und auch in ihrer internen Struktur so, dass man sie nicht wirklich abwickeln kann. Deswegen bleibt die Frage des Trennbankensystems auf der Tagesordnung. Es ist dringend notwendig, dass Sie von der Bremse heruntergehen und hier für ein europäisches Trennbankengesetz eintreten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]: Machen wir ja! – Zurufe von der CDU/CSU) – Aber auch eines mit Biss. Das Zweite ist etwas, über das wir noch nicht so viel diskutiert haben, nämlich das „No creditor worse off“-Prinzip. Ich glaube, dass an dieser Stelle ein Problem darin liegt, dass man in der Situation der Abwicklung nachweisen muss, dass keiner der Gläubiger schlechter gestellt wird als in einem Insolvenzverfahren. Das wird die Verfahren möglicherweise erschweren. Hier gilt es, harte Vorgaben umzusetzen. Es bleibt also in Sachen Bankenabwicklung noch viel zu tun, damit das Ziel, den Steuerzahler vor Bankenrisiken zu schützen, erreicht wird. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Gerhard Schick. – Nächster Redner in der lehrreichen Debatte: Ralph Brinkhaus für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Wenn der Kollege Troost von den Linken gar nicht zu diesem Gesetzentwurf redet und dann auch noch teilweise beleidigend und ausfallend wird, muss dieser Gesetzentwurf ja ganz gut sein. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Aber die Zahlen waren doch ganz interessant, oder nicht?) Denn sonst hätte er über das geredet, was hier heute zur Debatte steht. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Werfen Sie sich schützend vor die Deutsche Bank und die vielen kriminellen Sachen! Das ist ja krass!) Meine Damen und Herren, am 29. Juni 2012 ist Folgendes passiert: An diesem Tag hat man sich in Europa darauf geeinigt, dass man eine Bankenunion einführt, dass man alle wichtigen Banken in Europa gemeinsam beaufsichtigt, damit in Griechenland, Spanien, Portugal, aber auch in Deutschland kein Unsinn mehr geschehen kann. Man hat gesagt: Wenn eine Bank in die Insolvenz geht, dann soll nicht der Steuerzahler bluten, sondern dann sollen zuerst die Eigentümer bluten, dann die Gläubiger, dann ein Fonds, der von den Banken selber zu finanzieren ist, und erst dann, wenn etwas schiefgeht, ist der europäische Steuerzahler dran. Genau das setzen wir heute wieder einmal mit einem Gesetz um, indem wir das Sanierungs- und Abwicklungsgesetz, das Kreditwesengesetz und das Restrukturierungsfondsgesetz ändern. Dies ist ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zur europäischen Bankenunion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es wäre schön gewesen, wenn in dem einen oder anderen Debattenbeitrag auch darauf hingewiesen worden wäre, dass dieses Prinzip, dass nicht mehr der Steuerzahler für Bankeninsolvenzen zahlen soll, in Deutschland schon seit 2010 gilt, dass wir schon 2010 ein Restrukturierungsgesetz auf den Weg gebracht haben (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt der alte Textbaustein wieder!) und 2011 mit dem Restrukturierungsfondsgesetz das notwendige Geld dafür eingesammelt haben. Das zeigt, dass Finanzpolitik, dass Regulierungspolitik in Deutschland immer besonders innovativ war, auch im Gegensatz zu Europa. Wir sind nicht nur mit dem Restrukturierungsgesetz vorangegangen. Wir haben wahrscheinlich als erstes Land auf der Welt schon 2010 die toxischen Leerverkäufe reguliert und teilweise verboten. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben die Rede schon einmal gehalten!) Wir haben als erstes Land auf der Welt den Hochfrequenzhandel reguliert. Wir waren die Ersten – das haben Sie, Herr Schick, nicht gesagt –, die ein Trennbankengesetz auf den Weg gebracht haben. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es schon fünfmal gesagt! Dieses Trennbankensystem ist Mist!) Deutschland war immer sehr innovativ und ist im Bereich der Bankenregulierung und der Sicherheit der Banken vorangegangen. Wir haben auch an den europäischen Projekten sehr konstruktiv mitgearbeitet, zum Beispiel an der CRD IV und der CRR; da ging es um Eigenkapital und Liquidität. Wir haben im Schattenbankenbereich bei der AIFM-Richtlinie mitgearbeitet, und wir haben bei der Regulierung der für den Finanzmarkt sehr gefährlichen Derivate, bei der EMIRPaketlösung, mitgearbeitet. Auch das haben wir in Deutschland gemacht, weil wir eins immer wussten – das war die Leitplanke unseres Handelns –: Es muss unser Ziel sein, jedes Produkt, jeden Finanzmarkt und jeden Vertriebsweg zu regulieren. Das ist der Weg, auf dem wir 2008, damals noch in der ersten Großen Koalition, aufgebrochen sind. Jetzt, sieben Jahre später, sind wir schon viel weiter. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir waren auch diejenigen, die immer gewusst haben, dass Geld keine Grenzen kennt, dass man deswegen am besten internationale Lösungen findet und dass wir, wenn internationale Lösungen nicht möglich sind, europäische Lösungen brauchen. Deswegen akzeptieren wir, dass wir eine europäische Aufsicht und eine europäische Regulierung haben. Europa hat es uns dabei nicht immer leicht gemacht. Es war immer sehr schwierig, zu vermitteln, dass es in Deutschland so etwas wie Sparkassen und Volksbanken gibt und einen Mittelstand, der Kredite braucht. Das waren viele Kämpfe. Aber wenn diese Kämpfe ausgestanden waren, wenn diese Gesetze und Direktiven fertig waren, dann waren es meistens wir in Deutschland, die diese Dinge am schnellsten und am gründlichsten umgesetzt haben, teilweise zum Leidwesen der Wirtschaft, und die das nicht nur in die Gesetzesblätter hineingeschrieben haben, sondern auch dafür gesorgt haben, dass das im täglichen Aufsichtshandeln, in der täglichen Bankenpraxis Einzug gefunden hat. Deswegen, meine Damen und Herren, braucht uns niemand, weder in Frankfurt bei der EZB noch in Brüssel bei der Kommission, darüber zu belehren, was eine europäische Bankenunion und was europäische Finanzmarktregulierung ist. Uns muss auch deswegen niemand belehren, weil wir ganz genau wissen, welche Schwächen dieses System hat. Um einige Beispiele für die Schwächen zu nennen: Die Europäische Zentralbank hat versprochen, dass Banken nur besenrein, also ohne Risiken, in dieses System hineinkommen. Was haben wir in Griechenland gesehen? Wenn Griechenland in die Knie geht, ist das griechische Bankensystem nicht in der Lage, das zu kompensieren. Wir haben in Zypern gesehen: 50 Prozent der Bilanzsumme bestehen dort aus sogenannten notleidenden Krediten, und die dortigen Banken sind nicht durch den Stresstest gefallen. In Portugal und Spanien haben wir gesehen, dass dort mit bestimmten steuerlichen – ich will nicht „Tricks“ sagen – Instrumenten dafür gesorgt worden ist, dass der Stresstest überhaupt bestanden wurde. Wir wissen, dass es diese Fehler gibt. Wir wissen auch, dass wir keine Trennung von Steuerzahlerrisiken, Länderrisiken und Bankenrisiken hinbekommen, wenn griechische Banken das meiste Geld an den griechischen Staat, portugiesische an den portugiesischen Staat und deutsche an den deutschen Staat ausleihen. Wenn die ganze Sache nicht mit Eigenkapital zu unterlegen ist, dann haben wir auch kein geringeres Risiko. Deswegen müssen wir da nacharbeiten. Wir müssen auch an einer anderen Stelle nacharbeiten. Sehen Sie sich doch einmal an, wer die ganzen Regulierungen im Zusammenhang mit der Bankenunion in Europa umgesetzt hat – und zwar vollständig –, wer Geld in seinen Restrukturierungsfonds einzahlt, wer tatsächlich die Einlagensicherungsrichtlinie und die Abwicklungsrichtlinie umgesetzt hat. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wir!) Zum Schluss sage ich eines ganz klar – das ist die Botschaft, die hier und heute von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und, weil es im Koalitionsvertrag steht, auch von der SPD ausgeht –: Es ist vor diesem Hintergrund absolut unverständlich, dass die Kommission und die Europäische Zentralbank zu diesem Zeitpunkt über eine Vergemeinschaftung der Einlagensicherung reden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Meine Damen und Herren, das können wir nicht akzeptieren; wir werden uns an geeigneter Stelle und in anderen Debatten noch dazu äußern. Das ist eine Provokation von Brüssel, zeigt aber auch einen archetypischen Handlungsstrang, den wir in Brüssel erleben: Anstatt Hüter der Verträge zu sein, anstatt darauf zu achten, dass das, was beschlossen worden ist, richtig gemacht wird, geht man immer weiter in Richtung weiterer Vergemeinschaftungen. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Genau! Die lernen nicht dazu!) Dann muss man sich nicht wundern, wenn das Vertrauen in Europa darunter leidet. Dann muss man sich auch nicht wundern, wenn Länder wie Großbritannien darüber nachdenken, dieses Europa zu verlassen. Wir wollen ein Europa. Wir wollen ein gutes Europa. Aber dazu muss ein Schritt nach dem anderen gemacht werden. Dazu gehört: keine Vergemeinschaftung der Einlagensicherung, zumindest nicht in dieser Phase. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Brinkhaus. – Nächster Redner: Lothar Binding für die SPD. (Beifall bei der SPD) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Was der Kollege Brinkhaus eben zur Einlagensicherung und zur Vergemeinschaftung gesagt hat, findet unsere uneingeschränkte Unterstützung. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Michaela Noll [CDU/CSU]: Das ist aber sehr vernünftig!) Das ist sehr gut. Es ist nämlich ein stabilisierendes Element in Europa, auch wenn es im Moment national organisiert ist. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Und ich dachte, ihr wollt eine Schulden- und Haftungsunion! Das ist jetzt aber neu!) Ich bin mit dem Fahrrad hierhergefahren und habe auf dem Weg und eben im Restaurant einige Leute gefragt, was sie sich unter dem Abwicklungsmechanismusgesetz vorstellen. Es wird niemand glauben: Keiner wusste, was damit gemeint ist. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Dafür habe ich vollstes Verständnis; deshalb will ich dazu einen Satz sagen. Wir hatten ja eine Krise. Die Banken waren insolvent, also zahlungsunfähig. Aber es war unklar, wie die Banken und wir damit umgehen, weil es kein Insolvenzrecht für Banken gibt. Was haben wir dann gemacht? Wir haben die Banken mit Steuergeld gerettet. Das hat die Steuerzahler und uns natürlich sehr geärgert. Denn wir wollten die Sparer schützen, aber jene an den Kosten beteiligen, die die Krise verursacht haben, also zum Beispiel Spekulanten, Erfinder von toxischen Produkten und, wie wir inzwischen wissen, Leute, die den Libor manipuliert und daran verdient haben. Diese Leute sollten für die Krise bezahlen. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE], an die CDU/CSU gewandt: Die Deutsche Bank!) Das ging aber nicht. Das Gute an einem Insolvenzverfahren ist, dass man sich nach einer Insolvenz anschaut, was an dem betreffenden Unternehmen gut ist – das will man erhalten – und was an ihm schlecht und nicht mehr tragfähig ist; das will man vom Markt nehmen. Dieses Ziel verfolgen wir mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf, dessen komplizierten Namen ich eben genannt habe. Damit wollen wir künftig Sparer, Steuerzahler und Kreditnehmer schützen. Wir wollen dafür sorgen, dass die betreffenden Banken im Rahmen eines Bailin all das bezahlen, was in der Bank ist, und auch die Risiken, die dort eingegangen wurden, übernehmen. Es gibt aber immer wieder Kritik an der letzten Instanz. Wir sagen: Die Banken sollen 55 Milliarden Euro in einen Fonds einzahlen. – Diese Zahl wird kritisiert. Gelegentlich tun es die Grünen; eben hat es auch Axel Troost wieder getan. Ich will einmal meinen berühmten Zollstock herausholen und Ihnen etwas zeigen: Das ist in etwa so, als wenn man eine Treppe in den ersten Stock baut. Dabei kann man oben oder unten anfangen, je nachdem, was für eine Treppe es ist. Axel Troost sagt immer: Diese Stufe ist viel zu niedrig; da kann man das erste Stockwerk gar nicht erreichen. – Wir sagen dann: Moment mal, du hast ja vom Gesamtzusammenhang gesprochen. Wir müssen uns die ganze Treppe anschauen. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Es weiß aber keiner, wie die Treppenstufen aussehen im Einzelnen!) Wenn man die nämlich geht, dann erreicht man auch das oberste Stockwerk. Um das mit den Stockwerken etwas genauer zu beschreiben: Du hast ganz vergessen, dass zunächst das harte Eigenkapital haften muss. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das ist richtig!) – Ja, das ist richtig. – Danach muss das zusätzliche Eigenkapital haften. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das ist auch richtig!) – Das ist auch richtig. – Dann muss das Ergänzungskapital haften; das ist auch richtig. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Dann sind wir immer noch weit unter 50 Prozent!) Dann wird Fremdkapital in Eigenkapital umgewandelt; das ist auch richtig. Im Anschluss daran greifen Abschreibungsvorschriften; auch das ist richtig. Ich will das gar nicht zu Ende führen. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Mach mal ruhig weiter mit den Einlagen, die dann weg sind auf einmal!) Wir merken: Diese 55 Milliarden Euro sind nur die letzte Stufe. Alle anderen hast du vergessen. Deshalb nennst du auch den Gesamtbetrag nicht. Es wäre doch interessant, in deiner Rechnung zu erfahren, wie hoch eigentlich die gesamte Sicherung ist, die aus dieser Gesetzgebung folgt. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das weiß keiner!) – Das weiß keiner, auch nicht der Axel Troost. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Nein, aber ihr ja auch nicht!) Deshalb und weil er alles andere nicht berücksichtigt, kann er das auch nicht kritisieren, jedenfalls nicht in der Form, dass 55 Milliarden Euro nicht genügen. (Beifall bei der SPD) Wenn man alles weglässt, dann hat man natürlich zu wenig; das ist klar. (Manfred Zöllmer [SPD]: Nicht dein Tag heute, Axel!) Ich mache hier eine kleine Zäsur und will auch sagen, was uns geärgert hat: Der Bankenverband hat immer wieder versucht, zu erreichen, dass die Bankenabgabe als Betriebsausgabe steuerlich geltend gemacht werden kann. Dazu muss ich sagen: Das hat uns geärgert. Anfangs haben wir noch gesagt: Das muss in Europa gleichmäßig geregelt werden; fast alle anderen haben das nicht. – Der Bankenverband wollte das aber auch noch, als Frankreich schon längst auf dem Weg war, diese Möglichkeit wieder abzuschaffen. Ich finde, die Banker haben hier eine Logik nicht verstanden; denn wenn wir es zulassen würden, dass die Bankenabgabe als Betriebsausgabe steuerlich geltend gemacht werden kann, dann hieße das, dass sich der Steuerzahler an dem, was die Banken zu ihrer eigenen Rettung einzahlen, mit 30 Prozent beteiligt. Das wollten wir nicht. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Aber wenn die Großbanken nichts einzahlen, können sie auch nichts absetzen! Ist doch klar!) Deshalb sind wir für den von uns allen gefundenen guten Kompromiss dankbar. Dass die Anrechnungsfähigkeit als Steuersparmodell hier nicht durchgesetzt wurde, ist eine sehr gute Sache. (Beifall bei der SPD) Ich will noch kurz darlegen, woran wir erkennen, dass unsere Regulierungen gut funktioniert haben: Ich komme zwar ungern auf die Rating-Agenturen zurück – jeder weiß, dass Fitch und Standard and Poor’s Rating-Agenturen sind, und jeder kennt meine guten Englischkenntnisse und weiß, dass „Rating“ für mich von „Raten“ kommt, weshalb ich nicht gerne darauf zurückkomme –, aber sie haben etwas Gutes gemacht. Sie haben nämlich die Bonitätsnoten vieler Banken gesenkt. Daraus folgte für die Banken zwingend, dass sie sich selbst darum kümmern müssen, mehr Eigenkapital aufzubauen und die innere Sicherheit der Banken zu stabilisieren. Daran merkt man, dass unsere Regulierungen auch via Urteile der Rating-Agenturen sehr gut funktionieren. Ich hoffe, dass sie so gut funktionieren, dass der Steuerzahler tatsächlich nie mehr zur Kasse gebeten wird, weil Manager Fehlentscheidungen getroffen haben. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Hoffnungen sind immer gut!) Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen herzlichen Dank, Lothar Binding – auch für die Treppe, die Sie präsentiert haben. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die war schief! Darauf kann keiner gehen!) Für uns hier oben ist auch viel Neues dabei. Letzter Redner in dieser sehr emotionalen Debatte: Klaus-Peter Flosbach für die CDU/CSU-Fraktion. Sie müssen das jetzt toppen. Das wird nicht leicht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute, wie wir so schön sagen, über den letzten Teil der Bankenunion. Bankenunion bedeutet: Aufsicht in erster Linie über große internationale, systemrelevante Finanzunternehmen und auch deren Abwicklung, wenn sie in die Schieflage geraten. Diese Maßnahme darf man aber niemals alleine sehen, sondern man muss sie in die 40 Maßnahmen einbetten, die wir in den letzten sieben Jahren umgesetzt haben, um den Finanzmarkt nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa zu stabilisieren und um das sicherzustellen, was unser Credo ist: Wir wollen nicht mehr, dass der Steuerzahler für Banken haftet, die in die Schieflage geraten. – Das ist der Kern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Lieber Kollege Troost, ich bitte Sie, noch einmal in den Berichten der Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung nachzusehen. Sie haben gerade nämlich davon gesprochen, was die damalige Krise alles ausgelöst hat. Keine der Garantien, die wir damals durch den Soffin gegeben haben – der Gesamtumfang betrug 168 Milliarden Euro –, musste eingelöst werden. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das ist richtig!) Unser größter Verlust war der Schuldenschnitt in Griechenland mit über 9 Milliarden Euro. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: So ist das! Genau!) Viele Banken haben alles zurückgeführt. Das sollten wir hier erst einmal festhalten, bevor wir hier mit falschen Zahlen kommen. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Aber bei der HRE stimmt das nicht! Die HRE ist immer noch mit 9 Milliarden dabei!) Das Wichtigste für die Banken und für die Stabilisierung des Marktes ist ohne Zweifel, dass genügend Eigenkapital zur Verfügung steht. Ich bin auch froh, dass die G 20 im November festlegen wollen, wie viel Kapital die großen, systemrelevanten Banken vorhalten müssen und wie die Roadmap für die sogenannten Schattenbanken aussehen soll. Das ist wichtig für die gesamte Marktstabilität. Für uns ist einfach wichtig, dass wir, wenn eine Bank wirklich in Schieflage gerät, wissen, wie abgewickelt wird. Da sind wir mit diesem Gesetzentwurf, mit der Umsetzung der Anpassung an die europäischen Vorgaben, ein wesentliches Stück weitergekommen. (Beifall des Abg. Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]) Dann wird, lieber Kollege Binding, eben nicht mehr zunächst der Steuerzahler herangezogen, sondern in erster Linie die Aktionäre selbst und das Eigenkapital in Höhe von 8 Prozent der Bilanzsumme. Dann sind die Gläubiger an der Reihe – die Größenordnung wird ja im Markt diskutiert; es geht um 600 Milliarden Euro Schuldtitel ; das ist die sogenannte Bail-in-Phase. Das heißt, sie können als haftendes Eigenkapital herangezogen werden. Erst dann kommt der gemeinsam von den Banken zu finanzierende Fonds in Höhe von 55 Milliarden Euro, der in der Tat erst im Aufbau begriffen ist. Nun sage ich dem Kollegen Troost – weil er hier heute dargestellt hat, dass das alles nur ein Geschenk an die Banken gewesen ist – Folgendes: Sie haben eine Anfrage an das Ministerium gerichtet. Das habe ich mir natürlich genau angeguckt. In der Antwort steht ausdrücklich, dass die Nachhaftung nur für zwei Jahre besteht, weil erstens der Bundesrat das verlangt hat und weil zweitens erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken bestehen, das noch länger auszuführen. Es war insofern kein Geschenk. Außerdem gab es bei jeder Bank eine Begrenzung auf 20 Prozent ihres Jahresgewinns. Die zahlen natürlich erst einmal ihre normalen Steuern. Dann kommen noch einmal 20 Prozent darauf, und dieser Betrag ist nicht abzugsfähig. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Ja! Ist doch klar!) Damit hat man auch die Belastung. Deshalb bitte ich Sie als Nächstes: Gucken Sie sich einmal den Bericht der Bundesbank über die Rentabilität deutscher Banken an. Da werden wir gewarnt. Wir haben hier so viele Maßnahmen zur Regulierung der Banken durchgesetzt, dass die Bundesbank davor warnt und uns sagt, doch bitte aufzupassen, dass alles miteinander abgestimmt ist und wir nicht den Weg beschreiten, die Rentabilität in deutschen Banken total herunterzufahren. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Die kann ich stunden, aber die muss ich doch nicht erlassen!) Wir fragen natürlich: Reichen all diese Maßnahmen aus? Hier ist mehrfach der europäische Fonds angesprochen worden, der von den Banken bezahlt werden soll. Gut, das wissen wir einfach nicht. Wir wissen nur eines: Ein Grund der Krise war, dass Haftung und Verantwortung auseinandergefallen sind. Ich halte es für richtig, dass Deutschland auch in den Verhandlungen dafür gesorgt hat, dass nicht sofort der europäische Rettungsfonds, der ESM, wieder einspringt, wenn im Fonds nicht mehr genug Geld sein sollte; denn das wäre der falsche Weg. Es geht heute darum, die Risiken zu minimieren, nicht darum, sie auf die anderen Länder zu verteilen. Das wäre, Herr Troost, der falsche Weg. Den wollen wir nicht beschreiten, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir erleben in der Tat derzeit eine Asymmetrie; viele Länder haben die Bankenabwicklungsrichtlinien noch nicht umgesetzt. Wir sind in der Tat – der Kollege Brinkhaus hat das noch einmal dargelegt – immer die Ersten gewesen: beim Restrukturierungsgesetz und bei vielen anderen Maßnahmen. Wir sind die Schnellsten, um Stabilität in unserem Markt hinzubekommen. Deswegen ist es für mich auch äußerst wichtig, dass wir nicht auf die falschen Felder gehen, indem wir jetzt schon wieder vergemeinschaften wollen. Dazu kommt nun auch noch die sogenannte Einlagensicherung bei unseren Banken. Das betrifft insbesondere die Sparkassen und die Volksbanken. Es darf nicht sein, dass diese mit ihren Einlagen dafür geradestehen müssen, wenn in anderen Ländern Fehler passieren. Das machen wir auf jeden Fall nicht mit, liebe Kolleginnen und Kollegen. Herr Schick, Sie haben davon gesprochen, dass Sie keine Verordnung haben wollen, was die Mindestanforderung an das Risikomanagement angeht. Sie sagen hier – obwohl viele Länder eigene Verordnungen haben – in der jetzigen Phase, wo die europäische Abwicklung noch nicht steht, dass wir die deutsche Position jetzt aufgeben sollen. Dabei entscheidet es sich in den nächsten zwei Jahren, wie die Regeln auf europäischer Ebene sein werden. Damit würden Sie unsere Position völlig freigeben. Das werden Sie mit uns niemals machen können. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Sie haben gesagt, wir sollten in Deutschland nicht den Fehler machen, bei Abwicklungsanstalten Millionengehälter zu zahlen. In der Tat ist es so, dass wir in Deutschland zwei große Abwicklungsanstalten haben, die sogenannten Bad Banks, die derzeit Papiere in dreistelliger Milliardenhöhe verkaufen und sie in den Markt hineingeben. Sie machen das sehr erfolgreich. Bisher sind die Gehälter dort nicht über die Maßen hoch, sondern entsprechen in etwa dem, was Firmen, die in die Krise gekommen sind, an ihre Manager bezahlen. Wir haben immer dafür plädiert, da keine Begrenzung einzuführen. Nach dem Vorschlag, der in Ihrem Antrag enthalten ist, hätte jeder Sparkassendirektor ein Mehrfaches an Rentenansprüchen gegenüber denjenigen, die hier für uns die Kastanien aus dem Feuer holen sollen, die für uns dreistellige Milliardenbeträge retten sollen. Wenn sie einen Fehler machen, dann gnade uns Gott. Wir müssen dafür sorgen, dass wir die besten Leute haben, die hinter diesem Staat stehen und diese schwierige Aufgabe übernehmen, sodass wir in Deutschland keine Verluste erleben. Vizepräsidentin Claudia Roth: Denken Sie bitte an Ihre Redezeit. Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Präsidentin, ich glaube, mit diesem Gesetzentwurf zum letzten Teil der Bankenunion tragen wir einen erheblichen Teil zur Stabilisierung der Märkte, zur Stabilisierung des Finanzsystems und dazu bei, dass der Steuerzahler nicht mehr herangezogen wird, wenn Banken in eine Schieflage geraten. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen herzlichen Dank, lieber Klaus-Peter Flosbach. Dann kommen wir jetzt zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des nationalen Bankenabwicklungsrechts an den Einheitlichen Abwicklungsmechanismus und die europäischen Vorgaben zur Bankenabgabe. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6091, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/5009 und 18/5325 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und den Grünen bei Enthaltung von der Linken angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Linken angenommen. – Vielen Dank für die wirklich lehrreiche Debatte. Dass man darüber so emotional diskutieren kann, hat mich begeistert. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Nicht nur über Menschenrechte!) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Erziehungsleistung von Adoptiveltern würdigen – Mütterrente anerkennen Drucksache 18/6043 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Anrechnung von Zeiten des Mutterschutzes Drucksache 18/4107 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) Drucksache 18/5279 Ich bitte, zügig die Plätze zu wechseln, damit wir gleich anfangen können. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache mit Matthias W. Birkwald für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher auf den Tribünen! Das Rentenpaket ist jetzt mehr als ein Jahr alt. Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, haben profitiert. Chronisch Kranke, die eine Erwerbsminderungsrente beantragen müssen, und Beschäftigte, die 45 Jahre lang geschuftet haben und dieses Jahr ab 63 Jahren in Rente gehen können, profitieren ebenfalls vom Rentenpaket. (Dr. Martin Rosemann [SPD]: Ist doch gut!) – Da könnt ihr auch klatschen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der CDU/CSU und der SPD) Aber jetzt werden wir über zwei Gruppen von Müttern sprechen, die durch das Rentenpaket massiv benachteiligt werden. Ingrid Berger hat neben ihren zwei leiblichen Kindern drei Kinder aus Indien und Vietnam adoptiert. Für diese drei Kinder erhält sie keinen Cent sogenannter „Mütterrente“, weil die Bergers ihre Kinder erst nach deren erstem Geburtstag adoptiert haben. Hätten die Bergers ihre Kinder nach dem Juli 2014 adoptiert, dann würden sie die Kindererziehungszeiten anteilig angerechnet bekommen und erhielten mehr „Mütterrente“. So gehen sie leer aus. Das ist ein Schlag ins Gesicht dieser Adoptiveltern, und davon gibt es viele. Der Bundesverband der Pflege- und Adoptivfamilien spricht von sage und schreibe 40 000 betroffenen Familien. Sozial gerecht ist das nicht. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Darum fordere ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, nachdrücklich auf: Lassen Sie die 40 000 Adoptiveltern nicht im Regen stehen! Legen Sie bald eine gerechte und angemessene Lösung für die „Mütterrente“ der Adoptiveltern auf den Tisch! (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, nicht nur die Adoptivmütter werden benachteiligt. Nein, viele Mütter müssen einen Monat länger arbeiten als alle anderen, damit sie die Rente ab 63 bzw. 65 ohne Abschläge bekommen. Auch sie werden bestraft. Warum? Ein Monat Mutterschutz vor der Geburt wird den Müttern nicht auf die 45 Jahre – oder die 540 Monate – Wartezeit angerechnet, die sie brauchen, um ab 63 bzw. künftig ab 65 abschlagsfrei in Rente gehen zu dürfen. Das ist ein Monat, in dem Müttern das Arbeiten von Gesetzes wegen verboten ist – zu Recht. Sie beziehen dafür Mutterschaftsgeld, aber die Krankenkassen zahlen keinen Cent Beitrag für sie in die Rentenversicherung ein. Und zack: Der Monat taucht auf dem Rentenkonto nicht als Wartezeit auf. Herr Kollege Dr. Zimmer, Sie sagen bestimmt gleich, dass es diesen Fall in Wirklichkeit gar nicht gebe. Wir Linken sagen: Das ist falsch. Denn bei keiner Mutter, deren Kind im ersten Drittel eines Monats geboren wurde und die nicht bereits zehn Jahre zuvor schon ein Kind geboren hatte, zählt der Mutterschutzmonat vor der Geburt zur Wartezeit der Rente ab 63. Bei keiner einzigen! Das, meine Damen und Herren, ist frauendiskriminierend, verfassungswidrig und völlig inakzeptabel. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Herr Kollege Dr. Zimmer, wenn es die Rente ab 63 schon früher gegeben hätte, wäre auch bei Ihrer Mutter der Mutterschutzmonat nicht für die Rente angerechnet worden. Warum? Sie sind an einem 3. Mai geboren. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Gut recherchiert!) Der Mutterschutz begann am 23. März. Davor hat Ihre Mutter weder gearbeitet noch geboren. Darum zählt der komplette Monat April dazwischen nicht als Wartezeit für die Rente für besonders langjährige Versicherte. Wegen Ihres Gesetzes! Sie und die SPD sind dafür verantwortlich. (Dr. Martin Rosemann [SPD]: Vielleicht ist er zu spät gekommen!) Ja, Sie haben recht: Wegen dieses einen Monats wird keiner Mutter die vorgezogene Altersrente komplett verwehrt. Darum aber geht es den Betroffenen gar nicht, die sich in Briefen, EMails und Petitionen an uns Abgeordnete gewandt haben: Frau Sendelbeck aus Nürnberg, Frau Blankenhagen aus dem schönen Harz und Frau Augustin-Grau aus dem noch schöneren Köln. Ihnen geht es nur darum, dass sie nicht durch den Umstand, dass sie Kinder geboren haben, benachteiligt werden und dass sie nicht einen Monat länger auf die Rente ab 63 warten müssen als Männer. Das ist doch nur gerecht. (Beifall bei der LINKEN) Wollen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU, CSU und SPD, diesen Müttern antworten, dass es ihr Problem gar nicht gebe? Sagen Sie ihnen, dass sie mit ihrem Gerechtigkeitsempfinden völlig danebenliegen? Bitte schön: Das Ehepaar Blankenhagen und das Ehepaar Grau sitzen dort oben auf der Tribüne. Ich heiße Sie herzlich willkommen! (Beifall bei der LINKEN) Die vier sind schon ganz gespannt, was Sie ihnen zu sagen haben. Herr Blankenhagen hat sich die Mühe gemacht und die erste Debatte hier im Bundestag genau analysiert. Er hat einige der damals von Ihnen vorgetragenen Argumente zurechtgerückt. Ist das nicht eine geradezu vorbildliche Bürgerbeteiligung? Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, lesen Sie doch mal, was die Betroffenen so aufregt! Antworten Sie nicht uns Linken, sondern antworten Sie den Betroffenen! (Beifall bei der LINKEN) Sie sind nämlich dafür heute extra nach Berlin gereist. Frau Kollegin Schmidt, vielleicht werden Sie als Sozialdemokratin gleich Ihr Argument wiederholen, dass Frauen noch ganz andere Probleme bei der Rente hätten. Stimmt. Aber warum finden wir dann nicht gemeinsam eine Lösung für dieses eine konkrete Problem, das offenkundig das Gerechtigkeitsempfinden von Müttern besonders stört? Das ist kein Wunder; denn auf die 45 Jahre werden folgende Zeiten angerechnet: Pflichtbeiträge aus Beschäftigung und Minijobs, Pflichtbeiträge aus selbstständiger Tätigkeit, freiwillige Beiträge unter bestimmten Bedingungen, Wehr- oder Zivildienstzeiten, Zeiten der nicht erwerbsmäßigen Pflege von Angehörigen, Zeiten der Kindererziehung bis zum zehnten Lebensjahr des Kindes, Leistungen bei beruflicher Weiterbildung, Arbeitslosengeld, Teilarbeitslosengeld, Krankengeld, Verletztengeld, Übergangsgeld, Kurzarbeitergeld, Schlechtwettergeld, Winterausfallgeld, Insolvenzgeld, Konkursausfallgeld und Ersatzzeiten zum Beispiel für politische Haft in der DDR. Aber ausgerechnet die vier Wochen Mutterschutz gehören nicht dazu. Ich fordere Sie auf: Rechnen Sie den Mutterschutz als Wartezeit an! (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Martin Rosemann [SPD]: Das ist aber nicht neu, Herr Birkwald!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Achten Sie auf Ihre Redezeit! Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Der DGB-Frauenausschuss hat den SPD-Abgeordneten dazu einen Brief geschrieben und genau das gefordert. Antworten Sie den DGB-Frauen! Hören Sie auf sie! Unterstützen Sie den Gesetzentwurf der Linken, oder legen Sie einen eigenen vor! Dann gäbe es eine Gerechtigkeitslücke weniger in der Rente. Alle betroffenen Mütter würden es Ihnen danken. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank. – Der nächste Redner ist Dr. Matthias Zimmer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Birkwald, dass meine Mutter einmal so vom Sozialismus vereinnahmt werden würde, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Hätte sie sich auch nicht träumen lassen!) würde sie heute noch mit Empörung ablehnen, und sie hätte damit recht. Mit dem Rentenpaket, das im Juli 2014 in Kraft getreten ist, haben wir deutliche Verbesserungen für die Rentnerinnen und Rentner in Deutschland eingeführt, Verbesserungen, die so noch keine andere Regierung zuvor umgesetzt hat. Die Große Koalition hat‘s gemacht. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Die Mütterrente verbessert die soziale Absicherung der Rentnerinnen, die vor 1992 Kinder bekommen und erzogen haben. Sie erhalten einen weiteren Entgeltpunkt für jedes Kind zusätzlich zu ihrem bestehenden Rentenanspruch. Damit sorgt die Mütterrente dafür, dass die Erziehung von Kindern bei der Rente stärker ins Gewicht fällt, und das ist auch gut so. Mit der abschlagfreien Rente ab 63 Jahren können Menschen, die 45 Jahre Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt haben, ohne Abzüge in den Ruhestand gehen; bisher mussten Versicherte für jeden Monat, den sie vor der Regelaltersgrenze in Rente gehen, 0,3 Prozent Kürzungen bei ihrer Rente in Kauf nehmen. Damit wird honoriert, dass diese Menschen über einen langen Zeitraum ihren Beitrag zur Stabilisierung des Rentensystems und unserer Gesellschaft geleistet haben. Das wollte ich vorwegschicken, weil es die beiden Vorlagen der Linken in eine bestimmte Perspektive rückt. Bei dem Antrag geht es darum, dass Adoptiveltern in jedem Fall die Mütterrente erhalten. Der Gesetzentwurf problematisiert Zeiten des Beschäftigungsverbots nach dem Mutterschutzgesetz bei der Anrechnung von Wartezeiten von 45 Jahren bei der abschlagsfreien Rente. Fangen wir mit Letzterem an. Der Mutterschutz umfasst die Zeiten sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt eines Kindes. Die werdende Mutter und ihr Kind sollen in dieser Zeit vor Gefährdungen, Überforderungen und Gesundheitsschädigungen am Arbeitsplatz, vor finanziellen Einbußen, aber auch vor dem Verlust des Arbeitsplatzes während der Schwangerschaft und einige Zeit nach der Geburt geschützt werden. Während dieser 14 Wochen, sechs Wochen vor der Geburt, acht Wochen danach, besteht ein Beschäftigungsverbot. Diese Zeiten unterliegen damit nicht der Versicherungs- oder Beitragspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Während dieser Zeiten werden aber Mutterschaftsgeld und ein Arbeitgeberzuschuss gezahlt. Auch diese gewährten Leistungen unterliegen nicht der Versicherungs- und Beitragspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Rentenrechtlich handelt es sich danach also nicht um Beitragszeiten, sondern um Anrechnungszeiten, die auch nicht bei der 45-jährigen Wartezeit für die abschlagsfreie Rente ab 63 berücksichtigt werden. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist ja genau das Problem!) Nun haben die Linken eine Lücke entdeckt, die aber vermutlich keine ist. Ich will das an einem Beispiel klarmachen: Geht eine Mutter zum Beispiel im März in den Mutterschutz und wird das Kind im April geboren, wird bereits der gesamte April von der Anrechnung aufgrund der Kinderberücksichtigungszeiten erfasst. Kommt das Kind erst im Mai auf die Welt, wird der gesamte Mai erfasst. Bei sechs Wochen Mutterschutz kann aber für den Fall, dass die Geburt des Kindes weder in den einen noch den anderen Monat fällt, also weder von der Beschäftigung noch von der Kinderberücksichtigungszeit erfasst wird, ein Problem entstehen. Dafür müssen zwischen dem Beginn des Mutterschutzes und der Geburt des Kindes zwei Monatswechsel liegen. Dann wird ein Monat nicht erfasst; folglich kann frau erst einen Monat später in Rente gehen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Richtig!) Nicht zu vergessen: Dies kommt nur bei denjenigen zum Tragen, die die Voraussetzungen für den Bezug einer Rente mit 63 im Übrigen erfüllen, und eben auch nur dann, wenn genau ein Monat bei der Anrechnungszeit fehlt. – Das scheint mir ein eher theoretischer Fall zu sein. Ich darf hier den Kollegen Kurth von den Grünen anführen, der im März dieses Jahres bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs gesagt hat, ihn beschleiche der Gedanke, dass die vierwöchige Lücke – ich zitiere – „im wirklichen Leben … so gut wie keine Rolle spielen wird“. Die Kollegin Schmidt von der SPD hat damals sekundiert: Sie machen hier einen großen Bahnhof für ein sehr kleines, theoretisches Problem. Ich glaube, die beiden Kollegen haben recht. Wohl der Regierung, deren Opposition sich im ganz kleinen Karo verliert. Aber man kann ja einmal genau hinschauen; das ist in Ordnung. Das hat der Kollege Peter Weiß getan. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Zimmer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Birkwald? Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Herr Präsident, ich würde meine Argumentation gerne zu Ende führen. Vizepräsident Johannes Singhammer: Jawohl. Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Der Kollege Weiß hat im März berichtet, er habe im Ministerium nachgefragt, ob es tatsächlich solche Fälle gibt, Fälle also, bei denen aus den genannten Gründen genau vier Wochen fehlen. Die Antwort war, dem Ministerium sei kein solcher Fall bekannt. Ich habe mich heute selbst erkundigt und die Aussage erhalten, es handele sich um einen theoretischen Fall – so jedenfalls die Rentenversicherung und das Ministerium. Eine weitere Aussage war: Alle Fälle, die bisher im Ministerium vorgebracht worden sind, hätten ergeben, für den rentenrechtlichen Abschlag seien andere Faktoren wie etwa die Unterbrechung der Erwerbsbiografie verantwortlich gewesen. Im Übrigen gilt das auch für den von Ihnen geschilderten Fall: keine Unterbrechung der Erwerbsbiografie, aber eine Übertragung von rentenrechtlichen Zeiten auf den Ehemann. Wenn das stimmt – ich habe keinen Grund, an dieser Aussage zu zweifeln –, dann gilt für mich der Satz: Politik sollte keine Probleme lösen, die Menschen nicht haben. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sagen Sie das den Menschen auf der Empore!) Deswegen können wir dem Gesetzentwurf der Linken nicht zustimmen. Wir haben die begründete Vermutung, dass es hier nicht um das Wohl der Mütter geht, sondern dass ein Einfallstor geschaffen werden soll, um die Leistungen der Rente mit 63 weiter auszuweiten. – Ein netter Versuch, aber nicht mit uns. Lassen Sie mich noch kurz auf die zweite Vorlage der Linken, auf den Antrag, eingehen, in dem die Erziehungsleistungen von Adoptiveltern thematisiert werden. Mit dem Rentenpaket gilt, dass ab dem 1. Juli 2014 die ersten 24 Monate nach Ablauf des Geburtsmonats des Kindes als Kindererziehungszeit in der gesetzlichen Rentenversicherung anerkannt werden. Kindererziehungszeiten werden Adoptiveltern sowie leiblichen Eltern, Stiefeltern oder Pflegeeltern dabei nach denselben Grundsätzen anerkannt. Damit profitieren alle Eltern gleichermaßen von den verbesserten Regelungen zur Mütterrente. Wer in den ersten 24 Monaten seinen Beitrag zur Kindererziehung geleistet hat, dem werden diese Zeiten ganz oder auch teilweise angerechnet. Bei den Bestandsrentnerinnen und -rentnern wurde ein pauschaliertes Verfahren gewählt; denn nur so war zu gewährleisten, dass die Mütterrente für Eltern, die bereits in Rente sind, auch ohne zusätzliche Bürokratiekosten zum Tragen kommt. Von der Ausweitung der Kindererziehungsregelung profitiert man, wenn einem der zwölfte Kalendermonat der Kindererziehungszeiten angerechnet wurde. Damit konnte die vereinfachte Mütterrente für Bestandsrentnerinnen und -rentner als ein Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten umgesetzt werden. Eine individuelle Prüfung findet hier für keine der etwa 9,5 Millionen Betroffenen statt. Eine Ausnahmeregelung, wie sie für die Adoptiveltern vorgeschlagen wird, wäre aber nicht nur aus verwaltungstechnischen und Kostengründen schwierig. Wenn man für Adoptiveltern eine individuelle Prüfung einführen möchte, dann müsste man dies unter Gleichbehandlungsgrundsätzen auch für alle anderen Eltern einführen, die ähnlich betroffen sind, zum Beispiel bei Pflegekindern und auch Kindern, die in den ersten Monaten im Ausland erzogen worden sind. Das pauschale Verfahren, das eine Auszahlung der Mütterrente für Bestandsrentnerinnen und rentner erst möglich macht, wäre damit insgesamt hinfällig. Unter dem Strich bleibt von dem, was die Linke gefordert hat, ein großer bürokratischer Aufwand für ein minimales Ergebnis, das mit gesteigertem Pathos vorgetragen wird. Es blitzt ein wenig auf, was Sozialismus eigentlich ist. Aus diesem Grund lehnen wir beide Vorlagen ab. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für eine Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Birkwald. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie die Kurzintervention zulassen. – Herr Kollege Dr. Zimmer, zunächst zu Ihrem letzten Vorwurf, es handele sich um einen großen bürokratischen Aufwand: Ich habe unseren Gesetzentwurf natürlich dabei. Es handelt sich bei der Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch um fünf Zeilen. Fünf Zeilen! Das ist also eine ganz kleine Geschichte. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Verwaltungsvollzug ist aber was anderes als Gesetzestext!) Zweitens ist es völlig egal, wie viele Betroffene es gibt. Selbst wenn es so wenige wären, wie Sie behaupten, wäre das überhaupt kein Grund, die Gleichberechtigung von Mann und Frau außer Kraft zu setzen. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Soweit mir bekannt ist, können bisher nur Frauen die Kinder kriegen. Deswegen müssen viele Frauen vier Wochen länger arbeiten, wenn sie die Voraussetzungen für die Rente ab 63/65 erfüllen wollen. Das sind nicht so wenige; das Gesetz gilt ja erst seit dem 1. Juli vergangenen Jahres. Sie können ja einmal in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion den Test machen. Lassen Sie da doch bitte einmal alle Frauen aufstehen, deren Kinder zwischen dem Ersten und dem Zehnten eines Monats geboren wurden. Sie werden feststellen, dass das ungefähr ein Drittel aller Mütter sind, die sich im Raum befinden. Sie werden weiter feststellen, dass dieses Problem in Zukunft aufwachsen wird; denn bis dato haben viele der Betroffenen überhaupt nicht gemerkt, dass ihnen dieser eine Monat fehlt, weil er bei den Renteninformationen oder auch bei den Rentenauskünften nicht auftaucht. Erst dann, wenn es in die Nähe des 63. Geburtstags geht, wird überlegt: Habe ich die erforderlichen Monate zusammen? – Wenn die Versicherten daraufhin die Renteninformationen durchsehen, fällt ihnen – und auch der Rentenversicherung – auf, dass der Monat fehlt. Ich habe eben gesagt, dass ich den Betroffenen eine Stimme verleihen will. Deswegen lese ich das einmal kurz vor: Eine Grundschullehrerin aus den neuen Bundesländern hatte nach ihrem dreijährigen Studium an einem Institut für Lehrerbildung am 1. August 1969 ihre Arbeit im Schuldienst begonnen (Dr. Martin Rosemann [SPD]: Das haben Sie schon vorgelesen!) – nein, das habe ich noch nicht vorgelesen, Herr Dr. Rosemann – und aufgrund durchgängiger Beschäftigung am 31. Juli 2014 mit 64,5 Jahren die 45 Beitragsjahre voll. Infolge der Tatsache, dass ihre erste Schwangerschaftsfreistellung am 28. Februar 1971 begann und die Geburt am 11. April 1971 erfolgte, ist ihr der Monat März 1971 nicht als Wartezeit für die Rente 63/65 angerechnet wurden. Sie ist deshalb statt am 1. August 2014 erst am 1. September 2014 in den wohlverdienten Ruhestand nach den Bedingungen der Rente ab 63/65 gegangen. Genau darum geht es. Sie sagen: Frauen sind Beschäftigte und Rentnerinnen zweiter Klasse. Sie dürfen für ein und dieselbe Rente vier Wochen länger arbeiten. – Das ist ungerecht. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Birkwald, für eine Kurzintervention haben Sie nur ein begrenztes Zeitfenster, und dieses ist ausgeschöpft. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ich bin schon fertig!) – Prima. Dann darf ich den Kollegen Dr. Zimmer fragen, ob er darauf erwidern möchte. Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Herr Präsident, das lasse ich mir natürlich nicht entgehen, weil es mir die Gelegenheit gibt, im Sinne der Stofffestigung durch Wiederholung die wesentlichen Aussagen noch einmal vorzutragen. Ich glaube, der eigentliche Punkt, lieber Kollege Birkwald, ist folgender: Die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren – an der Stelle sind wir uns vielleicht einig – bevorzugt Männer, weil die Erwerbsbiografien von Frauen auf eine völlig andere Art und Weise gebrochen sind und deshalb vermutlich erheblich weniger Frauen davon Gebrauch machen können. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was folgt aus der Analyse?) Auf der anderen Seite, lieber Kollege Birkwald, haben Sie diese Beispiele. Ich habe beim Ministerium und bei der Rentenversicherung nachgefragt und eine sehr eindeutige Auskunft erhalten. Die Auskunft war: Es ist ein theoretisches Problem. Bislang ist bei allen Fällen, die vorgebracht worden sind, der Renteneintritt nach 45 Beitragsjahren an anderen Faktoren gescheitert. – Das hatte mit dem von Ihnen beschriebenen Problem überhaupt nichts zu tun. Deshalb meine dringende Bitte: Legen Sie diese Fälle dem Ministerium vor! Der SPD-Fraktion haben Sie sie offensichtlich vorgelegt – der CDU/CSU-Fraktion leider nicht, sodass wir bisher nicht die Möglichkeit hatten, das zu prüfen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Frau Schmidt hat das nur verstanden!) Bislang verlasse ich mich darauf, dass die Aussage des Ministeriums steht: Wir wissen von keinem solchen Fall. Wenn entsprechende Fälle vorgebracht wurden, ließen sie sich alle mit anderen Faktoren erklären. – Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen. Das würde uns viele Debatten hier ersparen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist überhaupt nicht der Punkt!) Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Markus Kurth für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Birkwald, eine Bemerkung kann ich mir nicht verkneifen: Nach Ihrer Art von Statistik müsste ja jede fünfte Person hier im Raum ein Chinese sein. Das ist aber offenkundig nicht der Fall. Insofern kann ich mich damit nicht anfreunden. (Beifall und Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Herr Zimmer, Sie haben mich korrekt zitiert: Ich habe in der ersten Lesung gesagt, ich hätte den Verdacht, dass es sich nur um sehr, sehr wenige Fälle handelt. Aber das heißt ja nicht, dass man sich diesen nicht zuwenden sollte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Gerade wenn es so wenige Fälle sind, kann man, glaube ich, an dieser Stelle doch versuchen, eine pragmatische Regelung zu finden. Das gilt auch für den Fall der Adoptiveltern. Ich finde, man sollte noch einmal genau prüfen, ob wirklich so viel Verwaltungsaufwand entstünde. Ich glaube, das ließe sich einfacher regeln. In der Tat zeigen diese beiden Vorlagen der Linken, dass das Rentenpaket unzählige Schieflagen hat, und das ist schlecht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Vorlagen zeigen aber auch, wie wenig geschlechtersensibel die Bundesregierung bei ihrem Gesetzesvorhaben vorgegangen ist. Wenn von den Begünstigten der abschlagsfreien Rente ab 63 oder nach 45 Beitragsjahren nur jeder Vierte eine Frau ist, dann hat das mit Geschlechtergerechtigkeit nicht viel zu tun. Auch das ist schlecht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Davon kann auch die sogenannte Mütterrente nicht ablenken; denn auch da entstehen für viele Frauen Gerechtigkeitslücken. Was ist denn mit all den Frauen, die die Grundsicherung im Alter beziehen? Bei ihnen wird die Mütterrente angerechnet; sie haben nichts davon, obwohl gerade sie ein Rentenplus nötig hätten. Zudem wirkt das Rentenpaket dämpfend auf das Rentenniveau; das haben wir bei den Beratungen im letzten Jahr rauf- und runterdiskutiert. Auch davon sind insbesondere Frauen betroffen. Gerade Frauen sind auf eine starke gesetzliche Rente angewiesen; denn sie verfügen seltener als Männer über zusätzliche Versorgungsmöglichkeiten aus Privatversicherungen und Betriebsrenten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Nein, das Rentenpaket ist in der Hinsicht nicht ausgewogen. Ich habe eine Kleine Anfrage zum Thema „Rentenlücke zwischen Männern und Frauen“ an die Bundesregierung gestellt. Wir müssen uns gerade mit der geschlechterspezifischen Rentenlücke hier im Deutschen Bundestag in den nächsten Wochen und Monaten noch einmal ernsthaft auseinandersetzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Problem ist, dass sich die Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt, die vielfältigen Benachteiligungen von Frauen – ich erinnere nur an die Lohnlücke, die Minijob- und Teilzeitfalle – im Laufe eines Erwerbslebens übereinanderlagern und zu einer viel größeren Rentenlücke führen. Zurzeit liegt die Rentenlücke zwischen Frauen und Männer bei der gesetzlichen Rente bei 57 Prozent, bei den privaten Lebensversicherungen bei 70 Prozent und bei der betrieblichen Altersversorgung sogar bei 79 Prozent; das ist ein enormes Gefälle. Zwar hat sich die Rentenlücke in den letzten Jahrzehnten verringert, aber wenn wir nicht grundsätzlich etwas ändern, dann akzeptieren wir, dass es noch 50, 60 oder 70 Jahre dauert, bis sich die Rentenwerte von Männern und Frauen angeglichen haben werden. So lange können wir einfach nicht warten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Daher sagen wir: Nicht pauschale Lösungen wie die sogenannte Mütterrente können das Problem lösen. Natürlich können wir uns hier mit Details beschäftigen, wie es die vorliegenden Vorlagen tun. Aber ich meine, dass wir das Problem grundsätzlich lösen müssen. Was wir neben der vollen Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt primär wollen, ist ein Mentalitätswandel, der eben auch Männer bei der Erziehung und Pflege in die Pflicht nimmt. Wir brauchen auch einen Mentalitätswandel bei den Arbeitgebern, damit Frauen eine größere Zeitsouveränität bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf haben. (Dr. Martin Rosemann [SPD]: Und Männer! – Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Und Männer!) – Das wollte ich gerade sagen; das ist mein nächster Satz. – Unseres Erachtens geht das nur über positive Anreize, die es auch für Männer attraktiver machen, sich an Erziehungsarbeit, Hausarbeit und Fürsorgearbeit stärker zu beteiligen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich spreche hier zum Beispiel von einem verbesserten Elterngeld, das partnerschaftlich aufgeteilt wird, und einer echten Pflegezeit, die es auch Männern ermöglicht, Gehaltseinbußen auszugleichen. Auch im Rentenrecht gibt es zahlreiche Möglichkeiten der emanzipatorischen Weiterentwicklung, die ich in ganzer Breite und Schönheit im Rahmen dieser Debatte mangels Zeit nicht mehr ausführen kann. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Schade!) Aber das werden wir nachholen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Aufwertungsmöglichkeiten gibt es eben auch im Rentenrecht. Ich fände es gut, wenn wir neben den Detailproblemen – das werden wir anstoßen – hier im Plenum und in den Ausschüssen ergebnisoffen und mit klarem Blick auf das Problem der geschlechtsspezifischen Rentenlücke diskutieren könnten. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Dagmar Schmidt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren auf den Tribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Birkwald, ja, es ist ungerecht, dass manchen Adoptivmüttern, die zum Zeitpunkt der Einführung der Mütterrente bereits in Rente waren, die Erziehungszeit nicht angerechnet wird. Es war bei einer so großen Reform nicht möglich, jeden Einzelfall zu berücksichtigen. Diese Pauschalregelung – Stichtag: 12. Kalendermonat nach der Geburt des Kindes – kann auch an anderen Stellen zu Ungerechtigkeiten führen. Das liegt in der Natur der Sache bei pauschalen Lösungen und bei Stichtagsregelungen. Das war für uns aber kein Grund, deswegen die Mütterrente gar nicht einzuführen. Dazu wird mein Kollege Martin Rosemann noch etwas sagen. Ja, es ist auch ungerecht, dass Zeiten des Mutterschutzes, also die sechs Wochen vor dem Geburtstermin und die acht Wochen nach der Entbindung, bei der Altersrente für besonders langjährig Versicherte nicht anerkannt werden. Das hat damit zu tun, dass anders als im Krankheitsfall für die Mutterschutzzeiten keine Rentenbeiträge gezahlt werden. Wenn Sie mich fragen, können wir darüber gerne mit dem Bundesgesundheitsminister reden. (Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE] – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Machen Sie das bitte!) Wie groß ist das Problem wirklich? Jeder Monat, in dem die Frau nur einen Tag arbeitet und Beiträge bezahlt, wird voll angerechnet. Die Monate nach dem Zeitpunkt der Geburt werden dann als Kinderberücksichtigungszeiten angerechnet. Das heißt – Sie haben es gesagt –, im Endeffekt geht es um vier Wochen, die Frauen länger arbeiten müssten als Männer. Davon können nur Frauen betroffen sein. Deswegen ist es ungerecht. Wenn Sie aber von dem großen Gerechtigkeitsempfinden reden, dann muss ich, ehrlich gesagt, sagen: Wir wurden gebeten, uns um ganz andere Probleme zu kümmern. Wir haben uns auch erfolgreich darangemacht, diese Ungerechtigkeiten zu beseitigen, und große soziale Fortschritte erzielt. Die Aufzählung erspare ich Ihnen nicht. Ich hoffe, dass auch die Familien auf der Tribüne das eine oder andere darin finden, was ihre persönliche Lebenssituation verbessert bzw. erleichtert hat. Uns haben viele Menschen geschrieben, die lange in die Rentenversicherung eingezahlt haben, die oftmals mit 14 oder 15 Jahren zu arbeiten begonnen haben und ihren solidarischen Beitrag geleistet haben. Wir haben entschieden, dass, wer 45 Jahre gearbeitet und eingezahlt hat, zwei Jahre früher abschlagsfrei in Rente gehen kann. Davon haben bisher 240 000 Menschen profitiert. Das ist auch verdient und gerecht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir haben mit der Mütterrente 9,5 Millionen Menschen, zum überwiegenden Teil Frauen, zu mehr Gerechtigkeit verholfen. Die höhere Mütterrente hat die Auszahlbeträge für Frauen insgesamt um 10 Prozent erhöht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist schon eine Hausnummer. Auch wenn wir es lieber aus Steuermitteln bezahlt hätten: Das ist gerecht, und sie haben es verdient. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir kennen wie Sie viele Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht bis zur Regelaltersgrenze arbeiten können. Deswegen haben wir die Erwerbsminderungsrente und die Reha gestärkt und im Präventionsgesetz mehr Mittel für die betriebliche Gesundheitsprävention zur Verfügung gestellt. Aber das reicht uns noch nicht. Wir wollen verhindern, dass Menschen ihre Gesundheit durch Arbeit gefährden, und ihnen zusätzliche Unterstützung beim Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz zukommen lassen. Wir haben das hier schon unter dem Stichwort „Ü45Checkup“ diskutiert. Durch flexible Übergänge in die Rente wollen wir eine individuelle Anpassung des Renteneinstiegs bezogen auf die Gesundheit und die Erwerbsbiografie ermöglichen, ohne dass die Menschen Angst vor Altersarmut haben müssen. Jede Rente – das wissen Sie – ist nur so gut wie die Erwerbsbiografie. Hier gibt es viele Baustellen, die wir angehen und abarbeiten, und zwar vor allem zugunsten der Frauen. Erstens: die Bekämpfung des Niedriglohnsektors. Wir haben einen Mindestlohn eingeführt. 4 Millionen Menschen, davon 60 Prozent Frauen, haben jetzt mehr Geld in der Tasche. Das ist verdient und gerecht, und das war überfällig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zweitens: die sogenannte gläserne Decke. Karriere hängt nicht nur vom Können ab. Uns sind Frauen bekannt, denen, obwohl sie klüger und gebildeter waren, der Mann vorgezogen wurde. Frauen machen seltener Karriere als Männer, nicht weil sie dümmer und fauler sind, sondern weil man gerne diejenigen unterstützt, die genauso sind wie man selbst. Männer helfen Männern bei der Karriere. Um dieses System zu durchbrechen, haben wir jetzt eine Frauenquote. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Drittens: ungleicher Lohn trotz gleicher Arbeit. Trotz gleicher Arbeit verdienen Frauen weniger als Männer. Deswegen wollen wir ein Gesetz für Lohngerechtigkeit. Wir wollen mehr Transparenz bei der Bezahlung und eine Diskussion darüber, wie systematische Ungerechtigkeiten überwunden werden können. Bei uns heißt das Entgeltgleichheitsgesetz. Viertens: ungleiche Bezahlung bei gleichwertiger Arbeit. Hier geht es um die bessere Bezahlung in typischen Frauenberufen. Wir wollen eine angemessene Bezahlung von Erzieherinnen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wollen wir auch! Und was hat das mit dem Thema zu tun?) Deswegen wäre es aus unserer Sicht sinnvoll, das Betreuungsgeld in die Kitas zu stecken. Herr Birkwald, es geht hier um die Frage – Herr Kurth hat das ebenfalls angesprochen –, wie wir dafür sorgen, dass Frauen am Ende ihres Erwerbslebens eine ordentliche Rente bekommen. (Beifall bei der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dafür sind wir auch!) Das ist ein Thema, das eigentlich auch Sie beschäftigen sollte. Die Gerechtigkeitsfrage wird in Briefen und Gesprächen an uns herangetragen. Deswegen rede ich an dieser Stelle darüber, auch wenn Sie uns unsere Erfolge vielleicht neiden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein! Wir haben uns beim Rentenpaket enthalten!) Fünftens: Frauen arbeiten oftmals unfreiwillig in Teilzeit. Deswegen wollen wir das Recht auf Rückkehr in Vollzeit. Ich hoffe, dass wir das noch in diesem Jahr hinbekommen. Wir fördern den Ausbau der Kitas mit mehreren Milliarden Euro; das ist kein Geld aus der Portokasse, sondern viel Geld für Verbesserungen. Wir wollen auch mehr Partnerschaftlichkeit bei Familienarbeit und Kindererziehung. Das fördern wir mit dem Elterngeld Plus. Wenn ich alles zusammenfasse, dann erzielen 4 Millionen Menschen durch den Mindestlohn ein besseres Einkommen, erfahren jetzt schon 240 000 Menschen durch die Rente nach 45 Versicherungsjahren eine Erleichterung und erhalten 9,5 Millionen Frauen durch die Mütterrente eine gerechtere Rente. Es sind Millionen Frauen, denen durch die Frauenquote, durch Entgeltgleichheit, durch Recht auf Vollzeit, durch bessere Kinderbetreuung und mehr Partnerschaftlichkeit mehr Gerechtigkeit widerfährt und widerfahren wird. Darauf, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir sehr stolz. Glück auf! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Matthäus Strebl. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Matthäus Strebl (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Als eine der wichtigsten sozialen Errungenschaften dieser Legislaturperiode hat die Regierungskoalition zum 1. Juli 2014 die sogenannte Mütterrente eingeführt. Wie wir schon gehört haben, profitieren davon 9,5 Millionen Frauen, die vor 1992 Kinder geboren haben. Wir geben jährlich rund 6,7 Milliarden Euro dafür aus. Das Geld ist zweifellos – darin sind wir uns sicher alle einig – gut angelegt. Wir haben mit der Mütterrente für mehr Gerechtigkeit gesorgt und die Erziehungsleistung von Millionen Müttern anerkannt. Die Fraktion Die Linke hat nun einen Antrag vorgelegt, in dem sie fordert, dass die Erziehungsarbeit ab dem Zeitpunkt der Adoption in vollem Umfang in der gesetzlichen Rentenversicherung anerkannt wird, und zwar unabhängig vom Alter des Kindes zum Zeitpunkt der Adoption. Lassen Sie mich kurz die Rechtslage erläutern. Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung werden Adoptiveltern nach denselben Grundsätzen wie leiblichen Eltern, Stief- und Pflegeeltern gewährt. Danach wurden zunächst die ersten 36 Monate nach der Geburt des Kindes als Kindererziehungszeit anerkannt. Seit dem 1. Juli 2014 sind es die ersten 24 Monate bei der Geburt vor 1992. Das bedeutet: Auch Adoptiveltern profitieren sehr wohl von der Mütterrente, wenn sie in diesem Zeitraum ein Adoptivkind erzogen haben. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist falsch!) Adoptiveltern haben jedoch dann keinen Anspruch auf die Mütterrente, wenn das Kind bei der Aufnahme in die Familie bereits 24 Monate beziehungsweise 36 Monate alt oder älter war. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Schon wenn es 13 Monate alt oder älter war!) Eine solche altersmäßige Grenzziehung bedeutet keine Willkür. Es wäre nicht vermittelbar, wenn zum einen die leiblichen Eltern oder der Elternteil, der die Erziehungsarbeit geleistet hat, und zum anderen auch noch die Adoptiveltern die Mütterrente erhielten. Eine Ausnahmereglung, die ausschließlich in Fällen einer Adoption auf die tatsächliche Erziehungsleistung im zweiten Lebensjahr abstellen würde, ist verfassungsrechtlich unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten sicherlich problematisch. Denn das hieße, dass sie für alle Eltern gelten müsste, die aufgrund ähnlicher Sachverhalte auch ein Interesse an einer individuellen Prüfung haben. Werte Kolleginnen und Kollegen, bei den Diskussionen um die Einführung der Mütterrente war allen Beteiligten klar, dass für die Bestandsrenten, die ebenso von der Mütterrente profitieren sollten, eine praktikable Lösung gefunden werden musste. Die gesuchte Lösung musste also praktikabel sein und die Umsetzung der Mütterrente zeitnah ermöglichen. Rentnerinnen und Rentner erhalten deshalb die Mütterrente in vereinfachter und pauschaler Form als einen Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten. Eine individuelle Prüfung bzw. Neuberechnung der etwa 9,5 Millionen Bestandsrenten unter Berücksichtigung der Erziehung von vor dem Jahr 1992 geborenen Kindern wäre zeitnah nicht umsetzbar gewesen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: 47 000! Nicht 9,5 Millionen!) Auch wenn es ungerecht erscheint, so ist doch festzuhalten, dass ein anderes Verfahren aufwendige Vorbereitungs- und Bearbeitungszeiten erfordert hätte. Die Mütterrente hätte dann nicht zum 1. Juli des vergangenen Jahres in Kraft treten können. Millionen Frauen hätten dann das Nachsehen gehabt. Ein weiterer Aspekt kommt hinzu: Wenn den leiblichen Eltern die Anrechnung von Kindererziehungszeiten zugestanden wurde, können Adoptiveltern nicht zusätzlich Kindererziehungszeiten angerechnet bekommen. Eine solche Besserstellung ist rentenrechtlich allein schon aus Gründen der Gleichbehandlung im Verhältnis zu den leiblichen Eltern ausgeschlossen. Völlig unerwähnt bleibt in dem vorliegenden Antrag, dass die Leistungsverbesserung im Zusammenhang mit der Mütterrente auch für Adoptiveltern zu einer länger anzurechnenden Kindererziehungszeit führen kann. Möglich ist auch, dass im Vergleich zur vorherigen Rechtslage überhaupt erst ein Anspruch auf Kindererziehungszeiten entsteht, dann nämlich, wenn die Adoption im zweiten Lebensjahr erfolgte. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, dem Antrag der Fraktion Die Linke können wir nicht folgen. Deswegen lehnen wir ihn ab. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Martin Rosemann [SPD]) Vizepräsident Johannes Singhammer: Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der Kollege Dr. Martin Rosemann für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Martin Rosemann (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren auf den Tribünen! Zunächst einmal will ich festhalten: Die Mütterrente ist ein Erfolg. Auch infolge der Einführung der Mütterrente sind die Renten der Frauen in Deutschland um sage und schreibe 10 Prozent gestiegen, die Renten der Frauen mit Kindern sogar um 12 Prozent. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aber die Ostkinder sind immer noch weniger wert!) Das, meine Damen und Herren, ist ein Erfolg der Politik dieser Koalition. Das haben wir erreicht, weil wir – im Gegensatz zu allen anderen Verbesserungen, die es im Rentenrecht gegeben hat – auch Bestandsrentnerinnen und Bestandsrentner davon profitieren ließen. Insofern war es richtig und wichtig, dass wir genau dies gemacht haben, sprich: die Mütterrente auch Bestandsrentnerinnen und Bestandsrentnern zugutekommen ließen. Dies führte aber, meine Damen und Herren, zu der Problematik bei Adoptionen, die wir heute hier debattieren. Um es klar zu sagen: Das ist bei allen, die zukünftig in Rente gehen, kein Problem. Hier wird die Erziehungsleistung im zweiten Lebensjahr eines Kindes uneingeschränkt denen zugerechnet, die sie erbracht haben. Das gilt selbstverständlich auch für Pflege- und Adoptiveltern. Damit aber auch Bestandsrentnerinnen von der Mütterrente profitieren können – das ist schon gesagt worden –, musste auf eine Pauschalregelung zurückgegriffen werden: Bestandsrentnerinnen bekommen pauschal einen Entgeltpunkt für das zweite Jahr der Kindererziehungszeit. Dabei bekommt derjenige den Punkt für das zweite Lebensjahr des Kindes, für den die Berücksichtigung der Kindererziehung im ersten Lebensjahr erfolgte. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist das Problem!) Alles andere wäre bei 9,5 Millionen Versichertenbiografien schlicht nicht durchführbar gewesen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Etwa 40 000!) Damit wird in den meisten Fällen auch die Realität abgebildet und damit die Lebensleistung der Kindererziehung an der richtigen Stelle gewürdigt. Natürlich kommt es in Einzelfällen zu Ungerechtigkeiten. Ich will aber darauf hinweisen, dass die Adoption kurz nach dem ersten Geburtstag eines Kindes nur ein Beispiel dafür ist. Ein anderes ist, wenn der Vater im zweiten Lebensjahr des Kindes die Kindererziehung übernommen hat, die Mutter im ersten Jahr. Dann bekommt trotzdem die Mutter den zusätzlichen Entgeltpunkt, nicht der Vater; das ist vor allen Dingen bei Scheidungen ein Problem. Wenn die Eltern das Kind im ersten Lebensjahr im Ausland erzogen haben, bekommt keiner den zusätzlichen Rentenentgeltpunkt. Wenn ein Kind beispielsweise nur bis zum zwölften Monat in einer Pflegefamilie gelebt hat, danach aber wieder bei seinen leiblichen Eltern oder in einer anderen Pflegefamilie, dann bekommt die Mutter der Pflegefamilie des ersten Jahres den Entgeltpunkt. Es gibt aber umgekehrt auch Beispiele dafür, bei denen sich die pauschale Zurechnung des Entgeltpunktes für die Erziehungszeiten für die betroffenen Versicherten positiv auswirkt, beispielsweise wenn durch die pauschale Anrechnung keine Kappung an der Beitragsbemessungsgrenze erfolgt. (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Meine Damen und Herren von den Linken, all dies verschweigen Sie in Ihrem Antrag. Eine umsetzbare Lösung für diese Probleme bieten Sie nicht an. (Beifall der Abg. Kerstin Griese [SPD] – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir haben die Bundesregierung aufgefordert, einen Vorschlag zu machen!) Natürlich wäre es theoretisch möglich, all diese Fälle noch einmal händisch zu überprüfen. Der Aufwand für die Einzelfallprüfung von Hunderttausenden von Bestandsrentnern wäre aber schlicht zu hoch. Was nicht geht – und das verschweigen Sie den Betroffenen –, ist, dass eine Einzelfallprüfung eben nur für eine Gruppe, die Sie jetzt besonders interessiert, nicht möglich ist. (Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Ich will dazu sagen, dass im Fall von Adoptionen im Zweifel jemand anderem der Entgeltpunkt wieder weggenommen werden müsste, der aber gar nicht bekannt ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Die einzige Alternative wäre also gewesen, Bestandsrentnerinnen von der zusätzlichen Berücksichtigung der Kindererziehungszeiten auszunehmen. Genau das wollten wir nicht, weil das noch mehr Ungerechtigkeiten produziert hätte. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Mich erreichen immer wieder Briefe von Adoptiveltern, die ein Kind adoptiert haben, das fünf oder sechs Jahre alt ist. Diese profitieren von der Mütterrente gar nicht. Ich kann sehr gut mit ihnen fühlen, weil ich das Thema Adoption aus meiner eigenen Familie gut kenne. Deswegen will ich an der Stelle sagen: Die Berücksichtigung der Kindererziehungszeiten für vor 1992 geborene Kinder beschränkt sich grundsätzlich auf die ersten beiden Lebensjahre und danach auf die ersten drei Lebensjahre. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Auch das ist ungerecht!) Der Grund dafür ist, dass insbesondere in den ersten Monaten nach der Geburt die Möglichkeit, Familienarbeit und Erwerbsarbeit zu verbinden, besonders eingeschränkt ist. Mir ist klar – und ich glaube, das ist uns allen klar –, dass wir damit die Lebensleistung der Erziehung eines Kindes insgesamt natürlich nicht angemessen würdigen. Ich will an dieser Stelle aber darauf hinweisen, dass es im Rentenrecht weitere Ansatzpunkte gibt: für Zeiten vor 1992 die Aufwertung von geringen Rentenanwartschaften im Rahmen der Renten nach Mindesteinkommen und ab 1992 die Höherwertung niedriger Entgeltpunkte bzw. die Gutschrift von zusätzlichen Entgeltpunkten im Rahmen der Kinderberücksichtigungszeiten. Wenn man darunter den Strich zieht, muss man sagen: Das, was wir tun konnten, um Erziehungszeiten für vor 1992 geborene Kinder besser anzuerkennen, das haben wir als Koalition auch getan. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 9 a. Interfraktionell wird Überweisung dieser Vorlage auf Drucksache 18/6043 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 9 b, zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Anrechnung von Zeiten des Mutterschutzes. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5279, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4107 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung abgelehnt mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und von BÜNDNIS 90/Die Grünen. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-Operation EUNAVFOR MED als ein Teil der Gesamtinitiative der EU zur Unterbindung des Geschäftsmodells der Menschenschmuggel- und Menschenhandelsnetzwerke im südlichen und zentralen Mittelmeer Drucksache 18/6013 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Innenausschuss Ausschuss für. Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für. Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für. wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Weil ich keinen Widerspruch vernehme, gehe ich davon aus, dass Sie alle damit einverstanden sind. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung: Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Nacht vom 18. auf den 19. April dieses Jahres kam es im Mittelmeer zu einem tragischen Unglück. Ein Flüchtlingsschiff war vor der Küste Libyens gekentert. 28 Personen konnten gerettet werden. Die italienische Küstenwache musste 24 Leichen bergen. Weitere Suchaktionen blieben erfolglos. Ein Überlebender berichtete jedoch, dass bis zu 950 Menschen an Bord gewesen seien, teils von ihren Schleusern im Laderaum eingeschlossen, darunter rund 200 Frauen und 50 Kinder. Diese Tragödie hat uns alle fassungslos gemacht und sowohl der Politik als auch der Zivilgesellschaft in Europa das grauenvolle Leid der Flüchtlinge vor Augen geführt. Leider blieb dieser zutiefst erschütternde Vorfall kein Einzelfall. Laut UN-Angaben traten seit Beginn dieses Jahres mehr als 300 000 Menschen die gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer an. Tausende von Frauen, Männern und Kindern haben bei ihrem Versuch, auf diesem Weg nach Europa zu gelangen, ihr Leben verloren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung hat deshalb bereits Ende April dieses Jahres schnell und entschlossen gehandelt und zwei Schiffe der deutschen Marine in das Mittelmeer gesandt, um zu verhindern, dass noch mehr Menschen auf See ums Leben kommen. Der Einsatzgruppenversorger Berlin und die Fregatte Hessen sowie mittlerweile der Versorger Werra und die Fregatte Schleswig-Holstein haben bislang über 8 030 Menschen aus Seenot gerettet. Das ist eine ganz außerordentliche Leistung unserer Soldatinnen und Soldaten, und zwar sowohl fachlich als auch menschlich, für die wir dankbar sind. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dieses Engagement zeigt sich auch dieser Tage, in denen es darum geht, dass wir denjenigen, die Bürgerkrieg und Not entfliehen und Asyl brauchen, hier bei uns in Deutschland Schutz gewähren. Überall dort, wo ihre Unterstützung gebraucht wird, helfen unsere Soldatinnen und Soldaten zusammen mit vielen anderen helfenden Händen mit. Auch dafür gebührt ihnen allen unser besonderer Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das Ausmaß der Flüchtlingsbewegungen der vergangenen Wochen zeigt uns sehr deutlich, dass in Europa eine gemeinsame Antwort auf die vielfältigen Dimensionen der Flüchtlingsbewegungen erforderlich ist, von der Bekämpfung der Fluchtursachen bis hin zu einer menschlichen Versorgung der Bedürftigen hier bei uns. Wir mussten leider feststellen, dass die Anstrengungen zur Unterstützung der Seenotrettung allein nicht das schreckliche Sterben im Mittelmeer stoppen konnten. Dazu war und ist das Geschäftsmodell der Schleuser einfach zu perfide und zu lukrativ. Im Gegenteil: Unsere humanitäre Hilfe wird von den Kriminellen sogar schamlos ausgenutzt. Deshalb haben wir am 18. Mai dieses Jahres mit unseren Partnern in der Europäischen Union die Operation EUNAVFOR Med ins Leben gerufen. Unser europäischer Ansatz umfasst vier Ziele: Erstens. Die Seenotrettung ist und bleibt ein Hauptanliegen unseres Engagements im südlichen und zentralen Mittelmeer. Zweitens. Wir müssen aktiv gegen die kriminellen Schleusernetzwerke vorgehen. Drittens. Wir müssen mit den Herkunfts- und Transitländern zusammenarbeiten, um die strukturellen Ursachen von Flucht und Migration zu bekämpfen. Viertens schließlich. Die innereuropäische Solidarität und Verantwortung bei der Aufnahme dieser verzweifelten Menschen in der Europäischen Union ist gefordert. Die deutsche Marine ist seit Beginn dieser EU-Operation im Juni 2015 an EUNAVFOR Med beteiligt. In der Phase 1 dieser Mission ging und geht es neben der akuten Seenotrettung auch darum, das Vorgehen der Schlepper, für die es ein abscheuliches Milliardengeschäft darstellt, all diese Menschen auf ihre lebensgefährlichen Reisen zu schicken, genau zu beobachten. Dies ist in den letzten Monaten gelungen. Wir haben ein deutlich besseres Lagebild aufbauen können, als wir es in der Vergangenheit hatten. Wir konnten wertvolle Erkenntnisse über die Schleusernetzwerke, ihre Routen und ihre Methoden gewinnen. Diese wollen wir nun gezielt nutzen und dafür sorgen, dass diese mit äußerster Brutalität vorgehenden Schleuser nicht länger schalten und walten können, wie sie wollen. Dazu wollen wir mit der Phase 2 i beginnen. Mit einer deutschen Beteiligung von bis zu 950 Soldatinnen und Soldaten soll in dieser Phase beschränkt auf die internationalen Gewässer im südlichen und zentralen Mittelmeer gezielt und effektiv gegen die kriminellen Schleusernetzwerke vorgegangen werden. Es ist zu erwarten, dass die Schleuser zu Herbstbeginn, bei aufkommendem schlechteren Wetter auch seetüchtigere Schiffe als bisher außerhalb der libyschen Hoheitsgewässer einsetzen, dass sie Schiffe aus Ägypten und Tunesien an die westliche Küste Libyens, nahe Tripolis, heranschaffen oder Schiffe zur Erkundung einsetzen, um die Flüchtlingsboote in der Nähe von EUNAVFOR-Med-Einheiten auszusetzen. Mit dem Übergang in die Phase 2 i können jetzt in internationalen Gewässern verdächtige Schiffe angehalten und durchsucht werden. Wenn sich der Verdacht bestätigen sollte, dass sie für Menschenschmuggel oder Menschenhandel benutzt werden, sind wir nun in der Lage, die Schleuserschiffe umzuleiten oder zu beschlagnahmen. Ziel dieser Phase 2 i ist es somit, die Bewegungsfreiheit der Schleuser einzuschränken und damit ihr kriminelles, menschenverachtendes Geschäft schwieriger zu machen. Zugleich – das betone ich noch einmal – wird die Seenotrettung selbstverständlich weiterhin uneingeschränkt fortgesetzt. Es ist ein richtiger und ein sinnvoller Schritt, jetzt auf hoher See gegen Schleuserschiffe vorzugehen, um dem Übel auf den Grund zu gehen und den kriminellen Machenschaften das Handwerk zu legen. Die Soldatinnen und Soldaten an Bord unserer Schiffe, im Hauptquartier in Rom und auf dem italienischen Führungsschiff leisten bereits jetzt einen erfolgreichen und sehr wichtigen Dienst. Deutschland ist nach Italien der zweitgrößte Truppensteller und eine tragende Säule der gesamten Operation. Wir sollten weiterhin zu unserem Wort stehen und zeigen, dass auf uns Verlass ist. Dieser Einsatz ist eine wichtige gemeinsame Leistung der Europäischen Union für Menschen in Not und gegen kriminelle Menschenschleusung. Wir stehen nicht allein, wir sind eingebunden in ein Bündnis, eingebunden in eine Wertegemeinschaft, und gemeinsam mit dieser handeln wir. Ich bitte Sie deswegen um Unterstützung für das vorliegende Mandat. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege Stefan Liebich spricht jetzt für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Stefan Liebich (DIE LINKE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Brauksiepe, nicht dass hier Missverständnisse entstehen: Wir debattieren und entscheiden nicht über die Rettungsaktion im Mittelmeer. Dafür ist überhaupt kein Mandat notwendig; sie läuft schon. Wir reden heute einzig und allein über die Entscheidung, Soldatinnen und Soldaten auf hohe See zu schicken, um dort militärisch gegen Schlepper vorzugehen. Das ist hier das Thema. Ich möchte in die Vergangenheit schauen: Ein Fluchthelfervertrag „verstößt weder gegen ein gesetzliches Verbot noch ohne Weiteres gegen die guten Sitten“. Wer Flüchtende dabei unterstütze, das ihnen zustehende Recht auf Freizügigkeit zu verwirklichen, kann sich auf billigenswerte Motive berufen und handelt sittlich und nicht anstößig. – So hat der Bundesgerichtshof 1977 geurteilt. Sie ahnen es: Damals ging es um die Flüchtlinge, die aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland geflohen sind, die das Risiko ihres Todes an der Mauer und dem Stacheldraht nicht eingehen wollten. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist nicht vergleichbar!) Diejenigen, die ihnen damals geholfen haben, wurden von den DDR-Oberen als kriminelle Menschenhändler bezeichnet und in der Bundesrepublik als Helden gefeiert. Es gibt selbstverständlich viele Unterschiede zu damals, aber eines galt damals wie heute: Wo Grenzen geschlossen sind, wird es immer Versuche geben, sie zu überwinden. Deshalb müssen Mauern abgebaut werden und nicht Stacheldrahtzäune errichtet. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Es ist ein Unterschied, ob man raus will oder rein will!) Stattdessen schicken Sie Soldaten in das Mittelmeer, um Schiffe anzuhalten, zu durchsuchen, umzuleiten, und, wenn es Widerstand gibt, mit Waffengewalt zu agieren. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Was ist das denn für ein Quatsch?) Sie suggerieren, dass dadurch weniger Menschen auf diese lebensgefährliche Überfahrt gehen. Das wird nicht klappen. Ja, es gibt grausame Geschäftemacher, die skrupellos die Not der Menschen ausnutzen, die um ihr Leben fliehen, ja, sie setzen sie auf seeuntüchtige Boote auf die Gefahr hin, dass sie ertrinken, oder stecken sie in hermetisch abgeschlossene Lastkraftwagen, in denen sie ersticken. Aber diese Schlepper und ihre Hinterleute sind nicht die Ursache der Flucht, sondern eine ihrer Folgen. Sie bekämpfen die Symptome, statt die Ursachen anzugehen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Haben Sie Mitleid mit den Schleppern?) Ich höre manchmal, dass die Menschen mit Lügen über ein Leben in Wohlstand hierher gelockt werden. Für denjenigen, der tagtäglich um sein Leben bangen muss, der nicht einmal mehr Gras zu essen hat – Sie kennen ja die Berichte aus den belagerten syrischen Städten –, ist es ein immenser Wohlstand, nachts ohne Assads Fassbomben oder den Terror des IS schlafen zu können und eine regelmäßige Mahlzeit zu bekommen. Es ist doch normal, dass man so einer Hölle entfliehen möchte. Würde das nicht jeder von uns tun? (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Florian Hahn [CDU/CSU]: Niemand negiert das!) In meinem Wahlkreis in Pankow hat kürzlich die Integrationsbeauftragte über den Ansturm der Menschen geklagt. Wissen Sie, was sie meinte? Sie meinte nicht den Ansturm der Flüchtlinge, sondern den Ansturm der Helferinnen und Helfer in Prenzlauer Berg, Pankow und Weißensee, die in den Kleiderkammern und bei der Essensausgabe arbeiten wollen. Sie alle kennen das auch aus Ihren Wahlkreisen. Dieses Bild vom guten Deutschland, dem Angela Merkel ein Gesicht gegeben hat, zerstören Sie mit diesen Entscheidungen. Dieses Bild wird korrigiert. Wir schicken Soldaten an Grenzen. (Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Können Sie mal zum Thema kommen?) Wir wollen das individuelle Asylrecht durch willkürliche Festlegung sogenannter sicherer Herkunftsstaaten einschränken. Es soll geringere Leistungen für Menschen geben, die ihr Recht auf Asyl wahrnehmen wollen. Das Schlimmste ist: Es gab ein einvernehmliches Treffen des CSU-Vorsitzenden, immerhin dem Vorsitzenden einer Regierungspartei in Deutschland, mit dem – ich kann es nicht mehr anders sagen – rechtsradikalen Ministerpräsidenten Ungarns. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Pfui! Pfui!) Wissen Sie, was das für ein Mann ist, mit dem Sie sich da getroffen haben? Wir alle haben das Bild des kleinen Aylan gesehen, der tot am Strand von Bodrum gelegen hat. Orban sagt: Die Türkei ist ein sicheres Land. Bleibt dort! Es ist riskant, zu kommen. Und wir können nicht garantieren, dass ihr hier akzeptiert werdet. Wie kaltherzig kann man eigentlich sein? (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ungarns Regierung schaltet Anzeigen in jordanischen und libanesischen Zeitungen auf Englisch und Arabisch: Wir Ungarn sind gastfreundlich, aber ergreifen die strengstmöglichen Maßnahmen gegen jene, die versuchen, hier illegal einzureisen. – Orban sagt über Menschen, die um ihr Leben fliehen: Sie klopfen nicht nur an die Tür, sie schlagen die Tür ein. Unsere Grenzen sind in Gefahr, ... Ungarn und ganz Europa sind in Gefahr. Mit dem heutigen Antrag der Bundesregierung geben Sie Orbans abstoßender Polemik recht. Sie stellen sich gegen die Mehrheit der Menschen in Deutschland, die hier die Flüchtlinge willkommen heißen wollen. Dieses neue Mandat ist der traurige Höhepunkt Ihrer Abschottungspolitik. Es werden doch nicht weniger Flüchtlinge kommen. Es wird gefährlichere Routen geben, und es wird höhere Preise für diejenigen geben, die fliehen wollen. Das ist doch alles Irrsinn. (Henning Otte [CDU/CSU]: Dann sollte man Kriminelle unterstützen?) Richten Sie stattdessen eine zivile Rettungsmission ein. Schaffen Sie legale Wege für Menschen, die einfach ihr Recht auf Asyl wahrnehmen wollen. Nur so können Sie den Schleppern die Geschäftsgrundlage entziehen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Stoppen Sie bitte endlich Waffenverkäufe in Kriegs- und Krisengebiete. (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Für den Frieden und dagegen, dass Menschen fliehen müssen, ist das das Beste, was Deutschland tun kann. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Eine typische Bausteinrede eines Linken!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege Niels Annen spricht als Nächster für die SPD. (Beifall bei der SPD) Niels Annen (SPD): Vielen Dank. – Herr Präsident! Lieber Herr Kollege Liebich, ich glaube, es gibt gar keinen Grund für so viel Aufregung, die Sie hier eben inszeniert haben. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Doch!) Ich habe, weil Sie das allgemein angesprochen haben, trotzdem eine Bitte – darauf lege ich schon Wert : Meine Fraktion hat sich nicht mit Herrn Orban getroffen, und wir haben auch nicht vor, das zu tun. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir beraten heute über ein Mandat – manchmal hilft ja ein Blick in den Mandatstext –, bei dem es im Wesentlichen darum geht – das hat der Kollege Brauksiepe richtig dargestellt –, dass wir das, was unsere Soldatinnen und Soldaten in den letzten Monaten bereits getan haben, fortsetzen wollen, nämlich durch die Präsenz der deutschen Marine dafür zu sorgen, dass Menschen aus Seenot gerettet werden. Etwa 8 000 Menschen sind von unseren Soldatinnen und Soldaten gerettet worden. Wir wollen, dass das fortgesetzt wird. Der zweite Grund, aus dem wir heute hier zusammenkommen, ist – mir leuchtet überhaupt nicht ein, wie man sich darüber so sehr aufregen kann –, dass diese nationale Aufgabe, die wir uns gestellt und die unsere Soldatinnen und Soldaten erledigt haben, jetzt in eine europäische Mission eingebettet wird. Deswegen, Herr Kollege Liebich, muss ich Ihnen bei aller Wertschätzung an dieser Stelle widersprechen: Diese Bundesregierung – mit Unterstützung der Fraktionen der Großen Koalition – bekämpft beides: die Fluchtursachen, aber auch die Auswirkungen. (Zuruf von der LINKEN: Na ja!) Ich finde, es ist nicht besonders redlich, hier einen Widerspruch zu konstruieren. Wenn Ihre Annahme richtig wäre, dass wir uns nicht um die Fluchtursachen kümmerten, dann könnte man über alles Mögliche reden. Aber das ist nicht der Fall. Diese Bundesregierung hat gerade Millionen Euro an Extramitteln bereitgestellt und sich in Brüssel dafür eingesetzt, dass jetzt 1 Milliarde Euro mobilisiert wird. Unser Außenminister ist, glaube ich, der einzige westliche Außenminister, der in den letzten Jahren mehrfach die Flüchtlingslager in den Nachbarstaaten besucht hat. Er hat António Guterres zu einer Konferenz eingeladen und dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen eine Bühne geboten. Er hat dafür gearbeitet – nicht immer auf der Bühne; manchmal auch hinter den Kulissen –, dass finanzielle Zusagen nicht nur gemacht, sondern auch eingehalten werden. Ja, wir sind nicht so weit gekommen, wie wir kommen wollten; niemand beklagt das mehr als ich. Aber jetzt haben wir in dieser Frage ein Momentum. Ich glaube, wir bekommen hier etwas hin. Es gibt auch wieder politische Bewegung. Aber eines muss man sehr klar sagen: Wer sich hier hinstellt und sagt: „Wir müssen die Fluchtursachen bekämpfen; wir brauchen einen regionalen Blick auf die Krise und einen umfassenden Ansatz“, dem würde ich immer sagen: Genau das ist es, worum wir uns jeden Tag bemühen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Da werden manchmal Fehler gemacht. Das reicht auch nicht immer aus. Auch das ist richtig; daher diskutieren wir hier darüber. Aber die Finanzierung der Flüchtlingslager in Syriens Nachbarländern gehört genauso zur Ursachenbekämpfung wie die Operation, über die wir hier und heute miteinander diskutieren. Nun zu der Frage: Wer nimmt eigentlich Flüchtlinge auf? In Deutschland haben wir Hunderttausende von Menschen aufgenommen. Ich glaube, wir sind uns alle einig: Es ist eine großartige Leistung der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land, aber auch der öffentlichen Verwaltung, der Kommunen, der Landesregierungen und des Bundes, dass wir das gemeinsam und miteinander hinbekommen. (Beifall des Abg. Dr. Rolf Mützenich [SPD]) Dazu gehört aber auch, dass wir in einer europäischen Dimension nicht nur über Quoten reden – ich hoffe, auch da machen wir langsam Fortschritte –, sondern auch den Ländern, die von diesem Unglück ganz besonders betroffen sind, helfen. Vizepräsident Johannes Singhammer: Kollege Annen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Neu? Niels Annen (SPD): Selbstverständlich, Herr Präsident. Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): Herr Kollege Annen, wir haben jetzt mehrfach den Begriff „Fluchtursachen“ gehört. Ich habe von Ihnen aber noch keine konkrete Fluchtursache genannt bekommen, außer dass die Flüchtlingslager im Nahen Osten eine Ursache sein könnten. Aber es dürfte doch wesentlich mehr dazugehören. Im Übrigen habe ich den Eindruck, dass die Flüchtlingslager im Nahen Osten nicht die tatsächliche Ursache, sondern auch ein Symptom sind. Vielleicht können Sie das etwas präzisieren. Niels Annen (SPD): Ja, das kann ich sehr gerne machen, Herr Kollege. – Ich glaube, wer die Entwicklung der letzten Wochen und Monate durch Zeitungslektüre aufmerksam verfolgt hat – ich empfehle ja immer ein Qualitätsprodukt aus meinem Wahlkreis, die Tagesschau –, der wird sicherlich wissen, dass die desaströse Lage in den Flüchtlingslagern eine Ursache ist. Inzwischen ist, glaube ich, allgemein bekannt – darüber bin ich übrigens froh –, dass die finanziellen Mittel des Welternährungsprogramms nicht mehr ausreichen, um die etwa 30 Dollar pro Monat zu bezahlen. Wir liegen aktuell bei etwa 13 Dollar pro Monat. Viele Familien haben keine Perspektive mehr. Da es keine Perspektive gibt, während des Krieges in das Heimatland Syrien zurückzukehren, richtet man sich natürlich in Richtung Europa aus; das ist auch nachvollziehbar. Es gibt aber auch Gründe, die wir nicht unmittelbar beeinflussen können. Das Assad-Regime ist in den letzten Monaten militärisch unter Druck geraten. Das bedeutet – das werden Sie sicherlich auch verfolgt haben, Herr Kollege Neu –, dass inzwischen auch im Kernland des Assad-Regimes gekämpft wird. Ich weiß nicht, ob Sie sich mit der Lage in Syrien beschäftigt haben, aber bei einem Blick auf die Landkarte werden Sie sehr schnell feststellen, dass die Gebiete, die Assad kontrolliert, die Gebiete in Syrien sind, in denen die meisten Menschen leben. Das heißt, der Krieg, den der IS führt, betrifft nur einen relativ kleinen Teil der Bevölkerung. Es gibt also ein Zusammentreffen von unterschiedlichen Ursachen: die Kampfhandlungen, eine Unterfinanzierung und eine Perspektivlosigkeit. Ich glaube, all das hat mit dazu beigetragen, dass wir heute eine solche Situation haben. Ich denke, damit ist meine Antwort beendet, und Sie dürfen sich gerne wieder hinsetzen. Ich komme nun zu dem Thema, auf das ich sowieso zu sprechen kommen wollte: Es gibt in der gesamten nordafrikanischen Region – vor allem aber in Libyen – eine Destabilisierung. Diese hat dazu geführt, dass es in Libyen nach der Intervention keine funktionierenden staatlichen Strukturen mehr gibt. Ich will an dieser Stelle einmal sagen: Hier geht es auch um die Bekämpfung von Fluchtursachen, Herr Kollege Liebig. Unser Außenminister hat mit vielen hochengagierten Kolleginnen und Kollegen im Auswärtigen Amt Tag und Nacht daran gearbeitet, dass der UN-Vermittler unterstützt wird. Wir haben jetzt einen Vertragstext für ein Übereinkommen, das – ich will es vorsichtig formulieren – die Chance zu einer Einheitsregierung eröffnet. Wir müssen alles dafür tun, dass diese Chance ergriffen wird; (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) denn nur eine Einheitsregierung in Libyen versetzt uns in die Lage, am Ende wieder staatliche Strukturen in diesem Land aufzubauen. Das wird natürlich nicht von heute auf morgen gehen. Da wir heute über die Operation EUNAVFOR MED sprechen, die sich übrigens auf die internationalen Gewässer bezieht – auch das hat der Staatssekretär hier ja zu Recht erwähnt –, müssen wir hier natürlich auch erwähnen – wir tun das im Übrigen auch; wir verschweigen das ja nicht –, dass wir das Problem nicht allein durch eine militärische Operation der europäischen Partner in den Griff bekommen, sondern dass wir in Nordafrika wieder eine Staatlichkeit brauchen. Es geht natürlich auch um die Schleuserbekämpfung. Herr Kollege Liebig, ich finde, man darf das, was dort passiert, nicht relativieren. Dort werden Leute in nicht mehr seetüchtigen Booten geradezu gestapelt. Diejenigen, die oben einen Platz bekommen, haben am meisten bezahlt, und diejenigen, die unten sitzen, haben möglicherweise überhaupt keine Überlebenschance. Wir reden hier also über keine Banalität. Um die Chance zu nutzen, diese Kriminalität wirklich nachhaltig zu bekämpfen, brauchen wir polizeiliche Maßnahmen. Diese können wir aber erst dann gewährleisten, wenn es dort wieder staatliche Strukturen gibt. Deswegen hängt das alles miteinander zusammen. Ich glaube, es ist der Sache und auch der Arbeit unserer Soldatinnen und Soldaten nicht angemessen, das so zu vereinfachen, wie Sie es getan haben. (Beifall der Abg. Dr. Bärbel Kofler [SPD]) Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Omid Nouripour für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unabhängig davon, wie wir zu einzelnen Einsätzen stehen, ist es hier eine gute Tradition, dass wir denjenigen, die wir am Ende des Tages entsenden – mit welchen Stimmenverhältnissen auch immer –, für ihren Einsatz danken. Ich möchte an dieser Stelle etwas Persönliches sagen, weil mich das sehr ergriffen hat: Vor ziemlich genau 48 Stunden war ich in Erbil, und ich habe den deutschen Kontingentführer dort getroffen, der dort auch die Ausbildung des Peschmerga verantwortet hat. Wenige Stunden danach ist er leider Gottes verstorben. Ich glaube, dass das für seine Familie unheimlich hart sein muss. Ich kann mir das gar nicht vorstellen. Ich glaube, es ist wichtig, dass von dieser Stelle aus auch ein Zeichen des Mitgefühls an sie ergeht. Wir können nicht nachempfinden, wie es der Familie und den Angehörigen geht. Nun zur Sache: Herr Staatssekretär, das Thema Fluchthelfer hatte bei Ihnen aus meiner Sicht einen etwas komischen Zungenschlag. Es gibt Fluchthelferinnen und Fluchthelfer, die eine unglaubliche Arbeit leisten, und zwar jeweils auch in dem eigenen Land – jenseits der Legalität. Das sind Leute – das ist jetzt angemerkt worden –, die vor 26, 27 Jahren in diesem Land noch ein Bundesverdienstkreuz erhalten hätten. Ich kenne solche Leute im In- und Ausland und bin dankbar, dass sie in unmöglichen Situationen den Menschen beim Überleben helfen. Ich finde, auch das muss man hier sagen, auch wenn viele der Leute, die im Mittelmeer tätig sind, nicht unter diese Kategorie fallen. Das ist zweifelsfrei so. Es gibt also schon einen großen Unterschied zwischen Fluchthelfern und Schleppern. Ich finde, dass das auch betont werden muss. Ich würde mich wirklich freuen, wenn ein Vertreter der Bundesregierung das irgendwann einmal an irgendeiner Stelle zum Ausdruck bringen würde. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das vorliegende Mandat stellt eine Symptombekämpfung dar. Es ging hier schon ein paar Mal um Symptombekämpfungen. Denen haben wir – zum Beispiel am Beginn von Atalanta – zugestimmt. Es muss aber immer klar sein, welcher politische Rahmen existiert, und es muss klar sein, wie man das Problem denn eigentlich angehen will. Wenn man gegen das Geschäftsmodell der Schlepper im Mittelmeer, unter denen – ich sage es noch einmal – sich sehr viele Schwerkriminelle befinden, vorgehen will, dann muss man natürlich auch legale Wege finden. Dabei geht es zum Beispiel um das Resettlement. Man muss natürlich auch über eine Einwanderungsgesetzgebung bzw. darüber nachdenken, wie man Einwanderung regulieren kann. Natürlich muss man ebenfalls darüber nachdenken, wie man den Nachbarstaaten helfen kann. Der Kollege Annen hatte ja mit der Antwort, die er gerade gegeben hat, völlig Recht. Er hat davon gesprochen, wie es in den Lagern aussieht und dass es für die Menschen dort nicht auszuhalten ist. Natürlich müssen wir alles daran setzen, dass die Nachbarstaaten stabil sind und dass die humanitäre Hilfe auch kommt. Ich schaue mir jetzt einmal das Umfeld und das, was Sie vorlegen, an: Das CDU-Präsidium hat beschlossen, dass ein Einwanderungsgesetz sinnvoll ist. Es will nach 2017 darüber beraten. Das wurde komplett vertagt. Also Fehlanzeige! Ich komme zur Transparenz: Wir müssen doch wissen, worüber wir als Parlament abstimmen. Wir müssen doch wissen, was die Bundeswehr darf und nicht darf. Wir müssen doch überprüfen können, ob das Refoulement-Verbot wirklich eingehalten wird. Das heißt, dass Menschen, die dort ankommen oder in internationalen Gewässern aufgegriffen werden, auch Asylanträge stellen können. Das kann die Bundesregierung – auch auf Nachfrage nicht – gar nicht nachprüfen. Mir liegt hier die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage meines Kollegen Jürgen Trittin vor. Dort wird einfach nur – um es mit meinen Worten zu sagen – festgestellt: Na ja, wir wissen es nicht so genau. Um das aber zu wissen, müssen wir in den Operationsplan gucken können. Das war bisher bei jedem Mandat üblich gewesen. Der Operationsplan lag schön brav in der Geheimschutzstelle. Man ist dorthin gegangen und hat sich ihn angeguckt. Aus irgendeinem Grund – nach vielen Nachfragen – weigert sich die Bundesregierung einfach, uns den Plan zu zeigen. Das ist nicht unbedingt ein Vertrauensvorschuss. Damit können wir hier nicht arbeiten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN  – Rainer Arnold [SPD]: Nächste Woche!) Herr Staatssekretär, Sie haben doch gerade gesagt, dass die Seenotrettung natürlich weitergeht. Das ist richtig so. Wir haben aber Zahlen, welche die Frau Kollegin Brugger erfragt hat. In zwei Monaten wurden 6 000 Menschen gerettet. Danach gab es in der Statistik einen Bruch. Der trat in dem Augenblick ein, als nicht mehr das nationale Kommando, sondern das EU-Kommando galt. Seit dem wurden in zweieinhalb Monaten 2 500 Menschen gerettet. Die Zahl ging also von 6 000 auf 2 500 herunter. Das zeigt eindeutig, dass da andere Dinge Priorität haben. Wenn man richtig hört, geht es jetzt in erster Linie um Aufklärung und nicht nur um Seenotrettung. Auch das ist eine Prioritätensetzung, mit der wir einfach nicht leben können. Genauso steht es auch um das gesamte Krisenmanagementkonzept. Wir sind jetzt bei Phase 2 i). Die Phase 1 betraf die Seenotrettung. Wir waren – mit den Konsequenzen, die ich gerade beschrieben habe – dafür. Jetzt steht Phase 2 i) an. Dabei geht es um die Bekämpfung der Schlepper. Die Bundesregierung hat in Brüssel ja längst den weiteren Phasen – also 2 ii) und 3 ii) – zugestimmt. Dabei geht es um die libyschen Häfen bzw. um die Frage, was man dort tun soll. Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn Sie in Libyen eine Einheitsregierung haben wollen, dann sollten Sie, wie es der Kollegen Annen gerade völlig zu Recht beschrieben hat, vielleicht auch einmal auf die Stimmen von Libyen hören. Die klingen nicht unbedingt so, als ob irgendeine der beiden Regierungen davon begeistert wäre, dass jetzt demnächst Schiffe in Häfen versenkt werden sollen, bei denen man tagsüber aus der Luft nicht sehen kann, ob das ein Schlepperboot oder ein Schleuserboot ist. Von daher kann das einfach nicht funktionieren. Man hat auch nicht das Gefühl, dass es für die Option, an Land gegen Schleuser vorzugehen, in Libyen eine große Begeisterung gibt. Jetzt wird es spannend: Es sollte ja im Sicherheitsrat ein Mandat dafür geben. Wenn man sich aber anschaut, wie die afrikanischen Vertreter dort – Angola, der Tschad und Nigeria – dazu stehen, erkennt man: Alle drei Länder lehnen dieses Ansinnen höchst vehement ab. Von daher muss man eigentlich sagen: Es geht nicht nur um das Binnenverhältnis zwischen Schleppern und EU, sondern es gibt im Übrigen auch noch ein paar lokale Akteure. Deren Stimme bzw. Zustimmung haben Sie aber nicht. Vizepräsidentin Petra Pau: Herr Nouripour, bitte, versuchen Sie jetzt, einen Punkt zu setzen. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zum letzten Punkt: Wenn nicht noch ein Wunder passiert, wenn das Mandat so bleibt, wenn Sie uns den Operationsplan nicht vorlegen und weiterhin so argumentieren, wie Sie es tun, kann ich meiner Fraktion leider Gottes bei aller Ablehnung des Geschäftsmodells der Schlepper nur empfehlen, dieses Mandat abzulehnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Jürgen Hardt das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Jürgen Hardt (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Nouripour, in der gegenwärtigen Situation gilt das humanitäre Gebot: Wir müssen verhindern, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken. Das können wir zum einen dadurch tun, dass wir diese Menschen aus den seeuntüchtigen Booten retten, mit denen sie von den Schleppern fahrlässigerweise aufs Meer hinausgeschickt werden. Das können wir zum anderen dadurch tun, dass wir verhindern, dass Schlepper diese Menschen mit falschen Versprechungen und unter Verharmlosung des Risikos in diese Boote locken und damit in Lebensgefahr bringen. Ich glaube, dass in diesem Einsatz, sowohl so, wie er bisher in Stufe 1 abgelaufen ist, als auch so, wie er jetzt geplant ist, genau diese Kombination vorgesehen ist. Es geht darum, Menschen zu retten. Nach heutigem Stand konnten durch Schiffe der deutschen Marine 8 030 Menschen gerettet werden. Es geht auch darum, zu verhindern, dass dieser äußerst gefährliche, für viele leider tödliche Weg beschritten wird. Frau Brugger hat – darüber haben wir im Bundestag nicht debattiert – zu diesem Thema mit Spiegel Online gesprochen, was wir natürlich alle lesen werden. Ich glaube nicht, dass der Einsatz der Stufe 2 i), wie er jetzt von der Bundesregierung in diesem Antrag beschlossen werden soll, dazu führen wird, dass weniger Flüchtlinge gerettet werden. (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat er aber schon! – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Zahlen liegen vor!) Erstens. Die Zahl der Schiffe, die unter EU-Mandat fahren, wird sich von vier auf acht erhöhen. Zweitens. Die Zahl der Schiffe, die auf andere Weise zur Rettung beitragen, hat in der letzten Zeit zugenommen, sodass möglicherweise die Notwendigkeit, dass Marineschiffe Flüchtlinge aufnehmen müssen, nicht mehr in dem Maße gegeben ist, wie das in der Anfangsphase der Fall war. Es ist allerdings auch so, dass das Wetter im Herbst strenger wird und dass es dann offensichtlich wird, wie gefährlich eine Flucht auf dem Meer ist, und vielleicht auch deswegen der eine oder andere davor zurückschreckt. Ich möchte den Blick auf das wenden, was wir in der EU auch noch vereinbart haben. Wir haben gesagt: Wenn es eine libysche Regierung gibt – es liegt jetzt ein Friedensvertrag vor, der von den Parlamenten in Tobruk und Tripolis abgesegnet werden muss, was vielleicht bald geschehen wird –, mit der wir zusammenarbeiten können, dann werden wir sicherlich auch darüber nachdenken, ob wir weitergehen und die Stufe 2 ii), so ist es offiziell formuliert, und dann gegebenenfalls die Stufe 3, also ein konkreter Einsatz vor der libyschen Küste, umsetzen. Das ist im Grunde das, was wir anstreben, nämlich den Flüchtlingen ein sicheres Zuhause jenseits des Mittelmeers zu geben. Wir möchten ihnen zusichern können, dass ihrem Antrag auf Schutz vor politischer Verfolgung im Einvernehmen mit der libyschen Regierung entsprochen wird. So können wir vermeiden, dass diese Menschen nach Europa kommen müssen, um hier ihren Antrag zu stellen. Ich glaube, Ihre Ablehnung und Ihre Skepsis gegenüber dem Antrag der Bundesregierung fußen ganz wesentlich darauf, dass Sie wissen: Wenn Sie heute zustimmen, wird es bei einem späteren Antrag, der vielleicht in wenigen Wochen oder Monaten vorliegen wird, noch schwieriger, Nein zu sagen. Ich glaube, dass wir diesen Weg konsequent weitergehen sollten, um zu vermeiden, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken. Ich möchte an dieser Stelle noch ergänzen, dass wir die Bemühungen der Bundesregierung, die Mittel der UN-Ernährungsprogramme zur Versorgung von Flüchtlingen deutlich aufzustocken, damit es nicht zu finanziellen Engpässen kommt, welche zu einer erneuten Flucht und zu einer Verunsicherung der Menschen führen, massiv unterstützen. Wir stellen uns aber schon die Fragen: Wie konnte es so weit kommen? Wie können wir die Strukturen der UN und ihrer Tochterorganisationen optimieren und verbessern? Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Hardt, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Keul? Jürgen Hardt (CDU/CSU): Ja, gerne. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Kollege. – Sie haben eben gesagt: Wir werden in wenigen Wochen mit der Stufe 3, also mit der Erteilung eines Mandats, vor der libyschen Küste tätig zu werden, zu rechnen haben. Die Lage in Libyen sieht nicht gerade rosig aus. Sie wissen, dass Sie dafür eine völkerrechtliche Grundlage brauchen. Haben Sie irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass Russland sich in diesem Zusammenhang irgendwie bewegen wird und es im UNSicherheitsrat hierzu eine Einigung geben wird? Jürgen Hardt (CDU/CSU): Zunächst einmal habe ich meine Erwartung zum Ausdruck gebracht, dass wir in dem Fall, dass es eine legitime libysche Regierung gibt, gemeinsam über weitere Schritte nachdenken können und dass wir dann auch konsequenterweise, weil wir in der EU einen Mehrstufenplan vereinbart haben, die weiteren Schritte gehen. Man könnte sich in diesem Fall zuallererst vorstellen, dass die libysche Regierung uns einlädt, dies zu tun. Wir werden jetzt im Rahmen der Stufe 2 i) zwar die Schlepper, die wir identifizieren, erkennungsdienstlich behandeln, aber wir werden sie nicht an eine libysche Regierung zu einer weiteren strafrechtlichen Verfolgung übergeben. Ich glaube, dass es zunächst dazu kommen wird, dass wir auf Einladung einer libyschen Regierung gegebenenfalls mit ihr zusammenarbeiten und mit ihr gemeinsam das Schlepperwesen bekämpfen und vor allem – das ist meines Erachtens noch viel wichtiger – gemeinsam zu einem Weg kommen, wie mit den Flüchtlingen auf libyschem Boden in humanitärer Hinsicht vernünftig umgegangen werden kann. Ich war bei den Programmen der Vereinten Nationen stehen geblieben. Wir erleben jetzt, dass die Bundesregierung dabei konsequent vorangeht. Sie hat auch schon vor einigen Monaten in Berlin eine Konferenz einberufen. Trotzdem finde ich es unbefriedigend, dass wir bei den Vereinten Nationen nicht zu Strukturen kommen, die dafür sorgen, dass wir erst gar nicht in eine solche Situation geraten. Ich finde, es muss klare Vereinbarungen und Frühwarn- und Vorwarnmechanismen geben, die das verhindern. Im 70. Jahr der Vereinten Nationen sollten die Vereinten Nationen so weit entwickelt sein, dass die großen Hilfsprogramme nicht von der Hand in den Mund leben müssen. In diesem Sinne wünsche ich mir, dass wir uns gemeinsam dafür einsetzen. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Dr. Fritz Felgentreu hat für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Lieber Kollege Jürgen Hardt, ich denke, es ist auch in Ihrem Sinne, wenn ich an dieser Stelle auch im Namen des Verteidigungsausschusses ganz allgemein den Männern und Frauen vom Tender „Werra“ und von der Fregatte „Schleswig-Holstein“ für ihren großartigen Einsatz im Mittelmeer und vor allen Dingen auch für die humanitäre Wirkung dieses Einsatzes danke, die heute bereits mehrfach angesprochen worden ist. Das möchte ich hiermit gerne tun. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Linke hat kritisiert, dass wir mit der Erweiterung und dem Eintritt in die Phase 2 des Einsatzes auch ein politisches Bekenntnis dazu ablegen, die Schleuserkriminalität zu bekämpfen. Ich möchte dieses politische Bekenntnis gerne noch einmal ausdrücklich unterstreichen. Die Tatsache, dass es sich bei der Bekämpfung von Schleuserkriminalität in der Tat um Symptombekämpfung handelt, heißt doch nicht, dass es nicht sinnvoll ist, diese Symptome zu bekämpfen. (Beifall bei der SPD) Die Schleuser im Mittelmeer nutzen mit krimineller Intention die Notlage der Menschen aus und setzen deren Not manipulativ ein, um selber viel Geld zu verdienen und die Europäer zu einem humanitären Einsatz zu zwingen. Diese Art der Herangehensweise verdient es, bekämpft zu werden. Wenn dafür der EUNAVFOR-MED-Einsatz ein effektives Mittel ist, dann müssen wir unbedingt zu diesem Mittel greifen. Das heißt nicht – ich glaube, das ist der Punkt, über den wir eigentlich reden müssen –, dass wir die Bekämpfung der Fluchtursachen deswegen aufgeben. Das eine ist die Ebene der Symptombekämpfung, um die wir uns auch im Sinne einer europäischen Solidarität kümmern müssen. Das andere ist die Frage, wie wir damit umgehen können, damit in Zukunft weniger Menschen den Wunsch entwickeln, den gefährlichen Weg der Flucht über das Mittelmeer zu gehen. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Felgentreu, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Liebich? Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Selbstverständlich, gerne. Stefan Liebich (DIE LINKE): Herr Kollege Felgentreu, selbstverständlich hat die Linke gar nichts dagegen, dass Kriminalität bekämpft wird. Unser Argument war, dass die Bekämpfung, wie Sie sie vorschlagen, aussichtslos sein wird. Denn solange die Grenzen geschlossen sind, wird es immer Leute geben, die versuchen, illegal über die Grenzen zu kommen. Mich würde interessieren, was Sie zu diesem Argument sagen. Dann habe ich noch eine Frage: Finden Sie nicht auch, dass die Bekämpfung von Kriminalität Aufgabe der Polizei und nicht der Armee ist? Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Sie kommen auf einen Punkt zu sprechen, auf den ich in meiner Rede gerade eingehen wollte. Eines ist doch vollkommen klar: Wenn wir erreichen wollen, dass die Menschen nicht mehr den Wunsch haben, über eine gefährliche Flucht nach Europa zu gehen, dann müssen wir die Fluchtursachen bekämpfen. Die Bekämpfung der Fluchtursachen erreichen wir nicht, indem wir die Kriminellen bekämpfen, die die Not der Flüchtlinge ausnutzen. Das ist aus meiner Sicht ein völlig klarer Zusammenhang. Insofern brauchen wir eine Strategie, die an allen Punkten ansetzt. Die Grenzsicherung in Europa ist ebenfalls eine militärische Aufgabe. Dass diese im Rahmen des EUNAVFOR-MED-Einsatzes auch von der Bundeswehr wahrgenommen wird, halte ich für eine Selbstverständlichkeit. Bei der Bekämpfung der Fluchtursachen müssen wir allerdings wesentlich tiefer ansetzen. Dazu gehört natürlich auch der Vorschlag der Grünen, legale Wege der Einwanderung zu schaffen. Ich würde an diesem Punkt gerne weitermachen, erspare Ihnen aber, das im Rahmen meiner Antwort zu tun. Herr Nouripour, Sie haben vollkommen recht – die SPD-Fraktion hat sich bereits mehrfach in diesem Sinne geäußert –, dass die legalen Wege der Einwanderung ausgeweitet werden müssen. Das wollen wir auch tun. Deswegen wollen wir gerne ein Einwanderungsgesetz schaffen. In einem Punkt glaube ich allerdings nicht, dass dies weit genug trägt. Die bloße Möglichkeit einer legalen Einwanderung wird niemals so ausgestaltet werden können, dass sie den gesamten Druck nimmt. Wenn wir legale Wege der Einwanderung schaffen, die für die einzelnen Menschen mit unerträglich langen Wartezeiten verbunden ist, dann wird es trotzdem viele Menschen geben, die den gefährlichen Weg der Flucht weitergehen wollen. Deswegen kann das nur ein Baustein einer Strategie sein und niemals die gesamte Strategie ersetzen. Der heute bereits mehrfach gegebene Hinweis auf den Zusammenbruch der staatlichen Ordnung in Libyen ist wichtig. Hier nähern wir uns einem Punkt an, über den wir bei der Bekämpfung der Fluchtursachen zu wenig diskutiert haben. Wir haben über die unerträglichen Verhältnisse in den Lagern und die Tatsache gesprochen, dass das Leben in Libyen unsicher geworden ist. Wenn wir aber den Blick über Libyen hinaus richten, dann sehen wir, dass überall dort, wo Menschen in dem tödlichen Dreieck aus organisierter Kriminalität, Terror und Korruption versuchen müssen, ein Leben aufzubauen, eine echte Perspektive nicht entstehen kann. Es ist gerade diese Perspektivlosigkeit, die anständige Menschen in die Flucht treibt. Deswegen meine ich, dass wir als Europäer auf ganz andere Weise als bisher – konsequenter und stringenter – und mit größerer Bereitschaft die Machtmittel, über die wir verfügen, bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität und der Korruption einsetzen müssen. Da haben Sie vollkommen recht, Herr Kollege Liebich: Das wird eher die Aufgabe der Polizei, von Interpol und Europol, sein als die der Bundeswehr. Aber wir müssen es tun. Wir dürfen nicht nur die Schleuser verhaften, die Boote über das Mittelmeer steuern. Vielmehr müssen wir auch die Geldströme offenlegen, die durch die Schleuserkriminalität generiert werden. Wir müssen das Geld, das damit verdient wird, beschlagnahmen. Wir müssen internationale Haftbefehle gegen die für solche Schleuseraktivitäten verantwortlichen Hintermänner ausstellen können, die an vielen Stellen als scheinbare Ehrenmänner ihrer Arbeit nachgehen und die wir als Ansprechpartner nicht gebrauchen können. Das ist der eigentliche Punkt. Die Bekämpfung von Fluchtursachen setzt an vielen Stellen an. Armutsbekämpfung ist eine davon. Letzter Hinweis. Kollege Nouripour, Sie haben bemängelt, dass der Operationsplan bislang nicht vorliegt. Damit haben Sie natürlich recht. Aber er soll im Laufe dieser Woche eingehen. Es ist sicherlich eine Selbstverständlichkeit, dass man in den Ausschüssen nicht vernünftig über EUNAVFOR MED diskutieren kann, wenn man keinen Zugang zum Operationsplan hat. Sie haben auch gesagt, Sie könnten so nicht darüber abstimmen. Sie müssen aber auch noch nicht darüber abstimmen. Heute ist die erste Beratung. Seien Sie versichert: Bis zur Abstimmung wird die Bundesregierung auch in diesem Punkt ihre Hausaufgaben gemacht haben, sodass wir dann eine vernünftige Beratungsgrundlage haben. Ich danke Ihnen für Ihre Geduld. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Florian Hahn hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Florian Hahn (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 135 000 Flüchtlinge und Wirtschaftsmigranten sind in den ersten drei Wochen im September 2015 in Bayern angekommen. Das sind mehr als im gesamten Jahr zuvor. Das fordert von unseren Behörden, von den Beamten, von der Polizei, von den vielen Ehrenamtlichen, von Organisationen wie den freiwilligen Feuerwehren, vom THW, von anderen Rettungsdiensten und vor allem auch von unseren kommunalen Entscheidungsträgern, den bayerischen Landräten, den bayerischen Bürgermeistern, unglaubliche Kraft, Kreativität und Courage. Denn die Menschen müssen erstversorgt und untergebracht werden. Außerdem müssen sich gerade die Kommunalpolitiker bei unzähligen Bürgerversammlungen, bei Interviews mit den Lokalmedien und in direkten Gesprächen mit den zunehmend besorgten Bürgern auseinandersetzen, die sich fragen, wie das alles weitergehen soll. Ich möchte deshalb ausdrücklich der Bundeskanzlerin danken, dass sie für den kommenden Montag ein Gespräch mit den bayerischen kommunalen Spitzenverbänden zugesagt hat. Das ist ein gutes Zeichen. Das zeigt, dass wir uns in der Bundespolitik dieser Belastung vor Ort bewusst sind. Der Zustrom Hunderttausender Menschen nach Europa, nach Deutschland, fordert die Politik, also uns alle, auf allen politischen Ebenen. Die CSU hat in einem Papier ihres außen- und sicherheitspolitischen Arbeitskreises am 5. September dieses Jahres und heute mit einer Erklärung ihrer Landtagsfraktion zu diesem Thema zahlreiche Lösungsideen ausgearbeitet. Um auch in Zukunft den Menschen, die Hilfe am dringendsten benötigen, zeitnah und direkt helfen zu können, sind aus unserer Sicht folgende Punkte unerlässlich: Wir müssen den Zustrom insgesamt eindämmen. (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zustrom eindämmen – das spricht Bände!) Wir brauchen mehr europäische Solidarität, und wir müssen nationale Handlungsspielräume ausschöpfen und schaffen. Übrigens, wenn wir über mehr europäische Solidarität reden und diese erreichen wollen, dann müssen wir feststellen: Diese Solidarität erreicht man nicht, wenn wir andere Regierungschefs beschimpfen. Vielmehr müssen wir mit anderen Regierungschefs sprechen, und genau das hat die CSU getan. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Tolle Solidarität!) Wenn Sie von der Linken konsequent wären, dann würden Sie auch Herrn Tsipras beschimpfen, der offensichtlich wieder bereit ist, mit den finsteren Nationalisten in Griechenland zu paktieren. An dieser Stelle höre ich bei Ihnen irgendwie gar nichts. Aber wenn es darum geht, die Dinge anzupacken, dann geht es auch darum, Asylmissbrauch abzustellen, (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt keinen Asylmissbrauch! Das ist ein Grundrecht!) Verfahren zu beschleunigen und bleibeberechtigte Flüchtlinge zu integrieren, auszubilden und sie möglicherweise auch auf die Zeit nach dem Bürgerkrieg in ihrer Heimat vorzubereiten. Außerdem müssen wir, wo wir dies können, Fluchtursachen und Schleuserkriminalität bekämpfen. Vieles, was diese Woche entschieden wurde bzw. noch vorbereitet und entschieden wird, geht in die richtige Richtung und wird dem gerecht. Das sehen wir auch bei der Mission EUNAVFOR MED, deren Ziel es ist, die kriminellen Aktivitäten der Menschenschleuser im Mittelmeer vor der nordafrikanischen Küste zu bekämpfen. Diese Mission war bislang erfolgreich, nicht nur, weil es den Besatzungen deutscher Schiffe gelungen ist, mehr als 800 000 Menschen von hochseeuntauglichen Kähnen und Schlauchbooten zu retten, sondern auch, weil es möglich war, wichtige Informationen über die Organisationen der Schleusernetzwerke im Mittelmeer, über ihre Routen und über ihre Taktiken zu sammeln. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an die Soldatinnen und Soldaten der Marine. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich konnte mir mit Kollegen vor Ort auf der Fregatte „Schleswig-Holstein“ einen Eindruck davon verschaffen, welchen physischen und psychischen Belastungen unsere Frauen und Männer bei einer solchen Seenotrettung ausgesetzt sind. 10 bis 16 Stunden dauert eine solche Evakuierung. Die Soldaten stecken während dieser Zeit bei hohen Außentemperaturen gerade im Sommer in Ganzkörperschutzanzügen, müssen dafür sorgen, dass es zu keinen Tumulten kommt, dass Flüchtlinge nicht ins Wasser fallen und ertrinken und dass sie sich selbst nicht in Gefahr bringen. Ich habe vor dieser Leistung allerhöchsten Respekt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jetzt ist es sinnvoll, zügig in die Phase 2 i) dieser Operation einzutreten und die Bewegungsfreiheit der Schleuser einzuschränken, um deren kriminellen Aktionen Grenzen setzen zu können. Dabei findet natürlich weiter Seenotrettung statt; das ist doch gar keine Frage. Aber der Einsatz bewaffneter Streitkräfte ist auf mittlere Sicht sinnvoll, wenn der Schwerpunkt tatsächlich auch auf die Bekämpfung der Schleuseraktivitäten übergeht. Dazu wird mit diesem neuen, erweiterten Mandat ein entscheidender Schritt getan. Deswegen ist dieses Mandat absolut sinnvoll. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/6013 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Keul, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gesetzliche Grundlage für Angehörigenschmerzensgeld schaffen Drucksache 18/5099 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich bitte, die notwendigen Umgruppierungen in den Fraktionen zügig vorzunehmen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Katja Keul für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Während der Sommerpause haben wir erlebt, wie sich die Auseinandersetzung zwischen der Lufthansa und den Opferanwälten hinsichtlich der Entschädigung der Hinterbliebenen der Opfer des Flugzeugabsturzes verschärfte. Die Lufthansa hat den Angehörigen einen Betrag angeboten, in dem unter anderem die Trauer der nächsten Angehörigen mit 10 000 Euro bemessen wurde. Das haben nun einige als unangemessen zurückgewiesen. Ich will hier und heute auch nicht darüber debattieren, welcher Betrag für den Verlust eines Angehörigen angemessen ist oder nicht. Das Problem im deutschen Recht ist ein ganz anderes. Danach steht den Angehörigen nämlich gar kein eigener Schmerzensgeldanspruch zu; es stehen ihnen also genau 0,00 Euro zu. Sie müssten durch die Trauer erst selbst krank werden; dann würden sie entschädigt. Bei – in Anführungszeichen – normaler Trauer besteht kein Rechtsanspruch. Alles, was die Lufthansa hier angeboten hat, ist reine Kulanz. Das gilt nicht nur in Fällen der gesetzlichen Gefährdungshaftung, wie sie für eine Fluggesellschaft oder den Halter eines Kfz gilt, sondern auch bei schuldhaftem Handeln. Das heißt: Auch dann, wenn Sie jemanden töten, egal ob vorsätzlich oder fahrlässig, brauchen Sie keinen Cent an die Angehörigen zu zahlen. Teuer wird es nur, wenn das Opfer mit seinen Schmerzen überlebt. Ich will es mal etwas krasser formulieren: Sollten Sie einen Menschen überfahren haben, setzt das deutsche Zivilrecht den Anreiz, noch mal zurückzusetzen und die Sache zu Ende zu bringen. Das sollten wir als Gesetzgeber so nicht stehen lassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn ich einen Arm oder ein Bein verliere, habe ich erhebliche Schmerzen. Wenn ich mein Kind verliere, habe ich auch Schmerzen. Es wird Ihnen vielleicht so gehen wie mir: Ich würde eher einen Arm oder ein Bein hergeben als das Leben meines Kindes. – Warum also dieser Schmerz nicht auch beziffert werden könnte, ist nicht ersichtlich, zumal wir damit im europäischen Vergleich ziemlich isoliert sind. Wenn sich jetzt die Kfz-Versicherer zu Wort melden und davor warnen, die Beiträge würden erheblich steigen, können wir ganz gelassen bleiben. Es geht ja nicht darum, amerikanische Verhältnisse einzuführen. Die Höhe des Schmerzensgeldes steht im deutschen Recht im Ermessen der Richter, deren Entscheidungen in sogenannten Schmerzensgeldtabellen gesammelt werden, die für eine gewisse Gleichbehandlung und Transparenz sorgen. Das Gleiche würde auch für das von uns geforderte Angehörigenschmerzensgeld gelten. Dabei sind keine Millionenbeträge zu erwarten. Soweit es um Verkehrsunfälle geht, ist die Summe der materiellen Schäden, also der Blechschäden, ohnehin um so vieles höher als die Schmerzensgelder, dass letztere in der Gesamtheit kaum ins Gewicht fallen. Was machen unsere Nachbarn? In der Schweiz beträgt das Angehörigenschmerzensgeld bis maximal 48 000 Euro, in Frankreich bis zu 30 000 Euro, in Italien bis zu 80 000 Euro. Vielleicht entscheiden sich deutsche Gerichte für einen niedrigeren Betrag. Am Ende wird sich der Betrag in die bisherige Schmerzensgeldtabelle einfügen müssen. Entscheidend ist aber, dass wir überhaupt erst mal den Weg für diesen Anspruch frei machen. Die Nulllösung ist keine Lösung. Sie ist eine Schieflage im deutschen Zivilrecht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ihre Beseitigung ist rechtssystematisch auch nicht allzu schwierig. Wir müssen das BGB dazu nicht neu schreiben. Die zentrale Anspruchsnorm für das Schmerzensgeld ist § 253 Absatz 2 BGB, der da lautet: Ist wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten, kann auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden. Wenn wir nun dieser Aufzählung die Worte „dem Tode eines nahen Angehörigen“ beifügen, sind wir schon ein ganzes Stück weiter. Das Gleiche müssten wir dann noch im § 823 Absatz 1 BGB machen. Damit hätten wir für den Bereich des Verschuldens ein Angehörigenschmerzensgeld begründet. Für die gesetzlichen Fälle der Gefährdungshaftung müssten wir nur jeweils die Ergänzungen in den entsprechenden Anspruchsgrundlagen vornehmen. Mit unserem Antrag wollen wir einen konstruktiven Beitrag zu der Lösung dieses rechtspolitischen Problems leisten. Wir hoffen, dass das Justizministerium bald einen entsprechenden Gesetzentwurf erstellt und einbringt. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD]) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Hendrik Hoppenstedt für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich beginne, möchte ich kurz auf einen Punkt von Ihnen eingehen, Frau Keul. Sie haben gesagt: Wenn Sie einen Verkehrsteilnehmer überfahren haben, macht es zivilrechtlich viel Sinn, wieder zurückzusetzen. – Ich will das gar nicht auf die Schnelle beurteilen, aber ich will auf jeden Fall sagen: Strafrechtlich haben Sie dann ein deutlich größeres Problem. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Das sage ich deswegen, weil wir hier eine ganze Menge Zuschauer haben, die nicht auf dumme Gedanken kommen sollen. Meine Damen und Herren, die Debatte um die Einführung eines Schmerzensgeldanspruches hat, wie viele andere Debatten, einen etwas bizarren Verlauf genommen. Begonnen hat diese Debatte nämlich nicht etwa mit der Verabredung im Koalitionsvertrag, einen Schmerzensgeldanspruch für Angehörige ins BGB zu schreiben. Dort heißt es – ich zitiere –: Menschen, die einen nahen Angehörigen durch Verschulden eines Dritten verloren haben, räumen wir als Zeichen der Anerkennung ihres seelischen Leids einen eigenständigen Schmerzensgeldanspruch ein … Das hat übrigens – das darf ich an dieser Stelle in Bescheidenheit anmerken – unsere Fraktion in den Koalitionsvertrag mit hineinverhandelt. Nein, die Debatte begann am 24. März dieses Jahres, als unter tragischen Umständen ein Germanwings-Flugzeug in den französischen Alpen zerschellt ist. In der Presse war dazu zu lesen: Der Germanwings-Absturz hat die Koalition aufgerüttelt, die Opferentschädigung weiter zu fassen. Oder: Die Koalition ist wegen des Germanwings-Absturzes unter Druck geraten. Das ist aus zweierlei Gründen, meine Damen und Herren, ziemlich falsch. Erstens haben wir uns in der Koalition – und zwar gerade unabhängig von tragischen Unglücksfällen – zur Einführung eines solchen Hinterbliebenenschmerzensgeldanspruches verabredet. Das Unglück setzt uns also nicht unter Druck, sondern bestätigt und untermauert – das tut übrigens auch der Antrag, den Sie hier stellen – die Richtigkeit dessen, was wir in diesem Vertrag vereinbart haben – so schmerzlich das für den einen oder anderen sein mag. (Beifall bei der CDU/CSU) Zweitens – das möchte ich gerne auch deshalb darstellen, weil Sie die Lufthansa Gruppe erwähnt haben – leistet die Lufthansa nicht nur materiellen Schadensersatz für den Tod der Passagiere – zum Beispiel in Form von Unterhaltszahlungen an die Angehörigen – und zahlt ein Schmerzensgeld, welches Passagiere aufgrund der letzten Minuten an Bord zugesprochen bekommen haben und welches jetzt auf die Erben übergeht, sondern die Lufthansa zahlt auch 10 000 Euro Schmerzensgeld für jeden nächsten Angehörigen. Eine solche Schmerzensgeldzahlung kommt nach der Schockschaden-Rechtsprechung eigentlich nur dann in Betracht, wenn der Angehörige Gesundheitsschäden erlitten hat, für die er im Übrigen auch noch beweispflichtig ist. Die Lufthansa hat auf den Beweis verzichtet, was im Ergebnis in vielen Fällen de facto der Zahlung eines Hinterbliebenenschmerzensgeldes gleichkommt, welches gesetzlich ja noch gar nicht verankert ist. Daher ist jedenfalls nach meinem Empfinden das Verhalten der Lufthansa Gruppe ein denkbar schlechter Anlass, nach dem Gesetzgeber zu rufen – abgesehen davon, dass die Lufthansa Gruppe ein großer Konzern ist, was ja in Teilen unserer Gesellschaft inzwischen schon an sich als schlecht bewertet wird. Ein wichtiger Anlass, um über das Thema zu debattieren, wären allerdings die vielen trauernden Angehörigen der Straßenverkehrstoten, die jeden Tag aufgrund des Verschuldens Dritter zu beklagen sind. Diese Angehörigen haben eben keinen Anspruch auf Anerkennung ihres seelischen Leids – darauf liegt im Übrigen auch kein medialer Fokus. Ich bin sehr zuversichtlich, dass das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz noch in diesem Jahr einen – wie üblich – sehr anständigen Gesetzentwurf vorlegen wird. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört, hört! – Zurufe) – Also, meistens sind die Gesetzentwürfe anständig; (Heiterkeit – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Steht schon im Protokoll!) ich will ja nicht, dass der Staatssekretär hier in Freudentänze ausbricht. Um noch einmal klarzustellen, worum es eigentlich geht: Es geht nicht darum, wie vielfach fälschlicherweise in der Diskussion behauptet wird, Leben materiell zu bewerten, sondern es geht vielmehr darum, einen symbolischen Ausgleich für den Trauerschmerz nächster Angehöriger zu leisten, in dem Bewusstsein, dass eine solche Geldleistung den Verlust eines geliebten Menschen niemals wird ausgleichen können. Bei der konkreten Ausgestaltung treten wir als Union erstens dafür ein, dass dieser Anspruch nicht nur bei Verschulden ausgelöst wird, sondern auch im Falle der Gefährdungshaftung, weil wir den Angehörigen langwierige und schwierige Beweisprozesse ersparen möchten. Wir treten zweitens dafür ein, dass der Anspruch in seiner Höhe in richterliches Ermessen gestellt wird und nicht wie in vielen anderen Rechtsordnungen Europas mit einer Fixsumme abgegolten wird, weil wir nämlich glauben, dass die Qualität von Opfer und Angehörigem in weiten Bereichen ganz unterschiedlich sein kann. Das muss gerecht und vernünftig gelöst werden, deswegen das richterliche Ermessen. Drittens treten wir dafür ein, dass sich die Anspruchshöhe in einem maßvollen Rahmen bewegt, zum Beispiel in dem Rahmen, in dem sich auch die Rechtsprechung zu Schockschäden bewegt. Denn klar ist, dass kein Geld dieser Welt einen geliebten Menschen zurückbringen kann. Unser Gesetzesvorhaben soll zeigen, dass die Rechtsgemeinschaft aller Bürgerinnen und Bürger ein Signal des Mitgefühls an diejenigen aussendet, die durch Fremdverschulden den Tod eines nächsten Angehörigen zu verarbeiten haben. Meine Damen und Herren, zum Schluss. Wir haben es hier mit einem Antrag der Grünen zu tun, der nahezu ausschließlich aus dem Koalitionsvertrag abschrieben ist. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, na, na!) Ich begrüße, dass Sie den Koalitionsvertrag regelmäßig lesen. Ich kann Sie nur ermuntern, das weiter zu tun. Ich finde, dass die intellektuelle Leistung des Abschreibens an sich ausbaufähig ist. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Hoppenstedt. Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU): Ich bin sofort fertig. – Ich meine, dass das zumindest ein Anlass und Indiz dafür sein könnte, dass wir in diesem Hohen Hause eine große Mehrheit für die Einführung eines solchen Anspruches finden können. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Jörn Wunderlich hat für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf den Rängen! Mit dem vorliegenden Antrag der Grünen wird die Bundesregierung aufgefordert, einen eigenen gesetzlichen Schmerzensgeldanspruch für Hinterbliebene zu schaffen. Dazu sollen die entsprechenden Paragrafen im BGB geändert werden. Im Falle der Gefährdungshaftung – die Kollegin Keul hat es ausgeführt – soll der gesetzliche Schadensersatzanspruch um ein Schmerzensgeld für Hinterbliebene erweitert werden, und im Opferentschädigungsgesetz soll ergänzt werden, dass Hinterbliebene im Falle der Zahlungsunfähigkeit auch einen Anspruch gegen den Staat geltend machen können. Es ist hier schon festgestellt worden: In diesem Antrag wird letztlich das gefordert, was im Koalitionsvertrag steht und was sich die Koalition vorgenommen hat. Denn auch die Koalition will diesen eigenständigen Schmerzensgeldanspruch beim Verlust eines nahen Angehörigen durch Verschulden eines Dritten. Wer nach den Ausführungen meines werten Vorredners jetzt aber denkt, dass dieser Antrag hier einstimmig angenommen wird und die Bundesregierung schnell einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegt, dem sage ich: Das wäre ja ein Novum. Es hieß ja schon: Es ist ein Antrag der Grünen. – Das wäre ja das erste Mal, dass ich hier erlebe, dass ein Antrag der Opposition zustimmend abgeschlossen wird. (Dr. Hendrik Hoppenstedt [CDU/CSU]: Das habe ich nicht gesagt!) Ich meine, ihr überlegt euch ja jetzt schon, mit welcher Begründung ihr im Ausschuss diesen Antrag dann ablehnt, anstatt mal das Problem anzugehen. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Nein! Das wissen wir jetzt schon! – Beifall bei der LINKEN) Die Standardbegründung ist dann immer: Wir brauchen eure Anträge nicht, wir lösen das selber. – Aber ihr macht es ja nicht. Im Koalitionsvertrag steht: Wir wollen das. – Zwischen Wollen und Tun klafft in dieser Koalition eine Kluft, die kein Mensch überspringen kann. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das Problem ist erkannt, und es bleibt dabei: Es muss behoben werden. Wir wissen, wie die jetzige Rechtsprechung ist: sehr restriktiv. Es ist ja schon gesagt worden: Anspruch für Hinterbliebene gibt es nur bei einer traumatischen Schädigung der psychischen oder physischen Gesundheit, die medizinisch fassbar ist und deshalb Krankheitswert besitzt und über das normale Maß einer seelischen Erschütterung hinausgeht. Dieser Anspruch ist also ganz eng gefasst. Das ist es ja, was wir beheben wollen – alle miteinander hier im Hause. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Genau!) Aber ihr macht es eben nicht. Denn, Kollege Fechner, im Juli, nach dem schweren und schlimmen Unfall in den Alpen, haben Sie selber noch gesagt: Das wollen wir machen. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Natürlich! – Dr. Matthias Bartke [SPD]: Alles zu seiner Zeit!) Das ist auch schon zwei Monate her. Und was ist seither passiert? Nichts. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Sommerpause!) Es heißt jetzt wieder: „Ja, wir machen“ und „bis zum Jahresende“. Das glaube ich wohl. Dann könnt ihr doch sagen: „Gut, wir stimmen dem Antrag zu“, und die Regierung legt das entsprechende Gesetz vor, das ja hier schon angekündigt wurde, das ich aber noch nicht sehe. Deshalb ist es gut, dass die Grünen mit ihrem Antrag die Koalition noch einmal auffordern, ihrer eigenen Agenda endlich gerecht zu werden und den Schmerzensgeldanspruch endlich gesetzlich zu normieren. (Beifall der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Mir ist auch klar – das ist bereits gesagt worden –, dass Geld diese Verluste nicht ersetzen kann. Auf eines muss ich noch hinweisen: Wie Sie alle wissen, gibt es im SGB II, im SGB XII und im Asylbewerberleistungsgesetz Regelungen, nach denen ein Anspruch auf Leistungen nur besteht, wenn nicht ausreichend Einnahmen oder Vermögen zur Verfügung stehen. Bei all diesen Transferleistungen gilt das sogenannte Zuflussprinzip. Wir müssen also bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfes – ich spreche hier den Staatssekretär an, der mitten in der Arbeit ist, wie es heißt – (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD – Christian Lange, Parl. Staatssekretär: So schlimm ist es auch wieder nicht!) klarstellen, dass das Schmerzensgeld wegen eines Schadens, der kein Vermögensschaden nach § 253 Absatz 2 BGB ist, nicht als Einkommen berücksichtigt wird. Wir müssen darauf achten, dass der gesetzliche Anspruch auf Schmerzensgeld für Hinterbliebene entweder im § 253 Absatz 2 BGB geregelt wird oder in den entsprechenden Transfergesetzen, damit es nachher nicht heißt: Du bist zwar ein Angehöriger und hast seelisches Leid, und wir versuchen, eine wie immer geartete Geldsumme an dich auszukehren, um dieses Leid ein wenig zu lindern. Aber es tut uns furchtbar leid, du bist arm und deshalb wird dieses Geld verrechnet. – Auch arme Menschen leiden und sollen eine entsprechende Entschädigung bekommen. Darauf müssen wir dringend achten. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion erhält der Kollege Dr. Johannes Fechner das Wort. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dr. Johannes Fechner (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Auch die SPD-Fraktion wollte in den Koalitionsverhandlungen diese Regelungen. In meiner früheren Tätigkeit als Rechtsanwalt hatte ich den Fall, dass bei einem Verkehrsunfall eine Familie die Katastrophe erlebt hat, dass ein einjähriges Kind zu Tode kam. Für eine Familie kann man sich nichts Schlimmeres vorstellen. Auch wenn wir den Verlust eines Kindes nie durch eine Geldzahlung aufwiegen können, so ist es eine wertvolle Hilfe in solchen schwierigen Zeiten, der Familie finanzielle Unterstützung zu gewähren. Deshalb brauchen wir den Lückenschluss; wir brauchen diese Regelung im BGB. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Die Hürden – das ist schon gesagt worden – sind zu hoch. Nach der Rechtsprechung kann nur derjenige einen Anspruch auf Schmerzensgeld geltend machen, der den Nachweis erbringt, dass er eine über das normale Maß der Trauer hinausgehende psychische Beeinträchtigung hat. An diesen Formulierungen merkt man schon, dass es sehr schwierig ist, den Nachweis zu erbringen. Deswegen brauchen wir im Sinne der Rechtsklarheit diese Regelung. Wir sind dabei in unseren Beratungen schon recht weit. Wir wollen über die bloße Verschuldenshaftung hinaus auch die Gefährdungshaftung in den Anspruch einbeziehen, etwa bei Verkehrsunfällen. Es ist eine wichtige Regelung. Wir sind uns darüber hinaus einig, dass wir die Frage, ob wir beim Opferentschädigungsgesetz etwas machen, zunächst zurückstellen. Wir wollen also mit der BGB-Regelung beginnen. Kollege Bartke wird dazu noch Ausführungen machen. Für uns ist auch klar, dass der Anspruch für die Hinterbliebenen nur greifen soll, wenn die nahestehende Person verstirbt. Bei schweren Verletzungen wollen wir diesen Anspruch nicht zubilligen. Einigen müssen wir uns noch in der Frage, ob wir den Vorschlag aufgreifen, einen Mindestbetrag in das Gesetz zu schreiben, wie es ihn in anderen Ländern gibt. Ich persönlich würde dies nicht tun. Ich glaube, es wäre systemfremd und zu weit gegriffen, wenn wir uns als Parlamentarier anmaßen würden, den Wert eines Menschen zu beziffern und eine konkrete Summe in die BGB-Norm zu schreiben. Aber ich kann mir sehr wohl vorstellen, dass wir als eine Art Richtschnur für die Rechtsprechung in der Gesetzesbegründung einen Korridor benennen. 20 000 Euro könnte ich mir als Mindestbetrag durchaus vorstellen. Es soll kein Almosen, sondern den Menschen in einer solchen schwierigen Situation eine Hilfe sein. In vielen anderen Ländern gibt es das, etwa in Belgien oder in Finnland. Deswegen meine ich: Auch in Deutschland sollte dies möglich sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich teile die Bedenken der Versicherungswirtschaft, dass in der Folge Unsummen an Schadensersatz- und Schmerzensgeldbeträgen auszubezahlen sein werden und dann die Beiträge explodieren werden, ausdrücklich nicht. Wir beschränken den Anspruch, wie gesagt, auf Todesfälle. Wenn man sich die Rechtsprechung bei Schockschäden anschaut, dann weiß man: Schon heute sind keine Millionenbeträge, sondern deutlich niedrigere Beträge zu zahlen. Im Übrigen meine ich, dass die Feststellung, wie hoch das Schmerzensgeld sein sollte, beim jeweiligen Einzelrichter gut aufgehoben ist. Auch das ist ein Grund, warum wir keine Summe ins Gesetz schreiben sollten. Sie sehen also: Wir sind in unseren Beratungen schon weit. Ich hoffe, dass wir noch in diesem Jahr den Gesetzesentwurf vorlegen können. Dass dies notwendig ist, hat auch das Gefeilsche nach der Germanwings-Katastrophe gezeigt. Ich fand es unwürdig. Ich glaube, wenn wir schon heute eine klare gesetzliche Regelung hätten, würden diese Diskussionen anders verlaufen. Man kann einem Hinterbliebenen, der sein Kind oder einen nahen Angehörigen verloren hat, nicht zumuten, in dieser Trauersituation auch noch um Gelder zu feilschen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie sehen: Wir sind schon recht weit. Deswegen müssen wir im Ausschuss nicht lange überlegen, mit welcher Begründung wir den Antrag dort ablehnen werden. Es ist schlicht nicht notwendig, dass der Bundestag die Bundesregierung zum Handeln auffordert, weil wir das jetzt schon tun. Im Übrigen erheben Sie im Zusammenhang mit dem Opferentschädigungsgesetz eine Forderung, die wir so nicht unterstützen. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die steht doch gar nicht drin im Antrag! – Gegenruf des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD]: Natürlich!) – Doch, Frau Keul: unter Ziffer 3 auf der zweiten Seite. Ich zeige Ihnen gern Ihren Antrag. Vizepräsidentin Petra Pau: Das müssen Sie jetzt bitte auf die Ausschussberatungen verschieben. Dr. Johannes Fechner (SPD): Das verschieben wir. Gestatten Sie mir bitte einen letzten Satz. – Ich finde es sehr wohltuend, dass wir uns hier im Sinne der Hinterbliebenen, für die diese Regelung so wichtig ist, wohl parteiübergreifend auf einen Vorschlag einigen und zu einer einvernehmlichen Lösung kommen werden. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Dr. Silke Launert hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Silke Launert (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Nach Massenunglücken stellt sich immer wieder die Frage – es wurde mehrfach angesprochen – nach Schadensersatz und Schmerzensgeld. Wir kennen es vom Zugunglück in Eschede, vom Seilbahnunglück in Kaprun und jetzt, wie schon mehrfach angesprochen, vom Absturz der Germanwings-Maschine in den französischen Alpen. Ganz häufig – mein Kollege Hoppenstedt hat es zu Recht schon erwähnt – kommt die Frage in der Praxis nach tödlichen Verkehrsunfällen auf. Damit geht immer konkret die Frage nach einem Schmerzensgeld für die Angehörigen der Opfer einher. Bislang ist im BGB vorgesehen, dass die nahen Angehörigen grundsätzlich nur einen Anspruch auf Ersatz der materiellen Schäden haben, aber nur ausnahmsweise auf Ersatz der immateriellen Schäden, wobei eine Gesundheitsverletzung die Voraussetzung dafür ist. Das heißt, in diesen Fällen, bei sogenannten Schockschäden, ist es erforderlich, dass eine Gesundheitsbeeinträchtigung vorliegt, die deutlich über das hinausgeht, was Nahestehende als mittelbar Betroffene in derartigen Fällen erfahrungsgemäß an Beeinträchtigungen erleiden. Da sieht man: Das aktuelle Recht ist sehr eng, die Anforderungen sind sehr streng, die Rechtsprechung ist sehr restriktiv. Das wird von den Angehörigen der Opfer oft als nicht nachvollziehbar empfunden. Der heutige Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert jetzt die Bundesregierung auf, dieses Defizit zu beseitigen und einen Schmerzensgeldanspruch für Angehörige einzuführen. Ich freue mich über den Antrag; denn er zeigt, dass wir uns zumindest bei diesem hochsensiblen Thema offensichtlich einig sind und in die gleiche Richtung gehen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann können Sie ja dem Antrag zustimmen!) Ich möchte daran erinnern, dass die CSU schon 2012 auf ihrem Parteitag einen entsprechenden Entschluss gefasst hat, dass wir eine entsprechende Forderung in den Koalitionsvertrag aufgenommen haben, dass sich unser bayerischer Justizminister, Herr Bausback, dafür starkgemacht hat und übrigens schon im Januar dieses Jahres einen sehr ausdifferenzierten Vorschlag vorgelegt hat und dass die Vorlage des Entwurfs des Bundesjustizministeriums bevorsteht; im August hat man sich schon auf Eckpunkte geeinigt. Ich verstehe also nicht, wieso man sagen kann: Da ist nichts passiert. Deshalb brauchen wir jetzt den Antrag der Grünen, um Druck auf die Bundesregierung zu machen. – Seit Januar liegt ein ausdifferenzierter Vorschlag des bayerischen Justizministeriums vor. Sehr gut! (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind hier nicht in Bayern! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist hier der Bundestag und nicht der Landtag Bayern!) Ich hoffe, das Bundesjustizministerium orientiert sich daran; Eckpunkte sind ja auch schon beschlossen. Der Antrag der Grünen ist für mich ein Schaufensterantrag. (Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie es doch besser, Frau Kollegin!) – Ganz genau: Wir machen es besser. Wir, Bayern, die CSU, haben etwas vorgelegt. Der Punkt ist doch: Was steht in Ihrem Antrag drin? Fast nichts! (Beifall bei der CDU/CSU) Also, wenn ich einen Vorschlag mache, dann schreibe ich auch etwas Konkretes rein. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum reden wir dann darüber?) – Weil fast nichts in Ihrem Antrag steht. Sonst könnten wir uns über Details unterhalten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Jetzt reden wir nur darüber, ob der Antrag Sinn macht oder nicht. (Zuruf der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Es steht nicht drin, wie Sie sich die Gefährdungshaftung konkret vorstellen. Sie bringen keine eigenen Ideen ein. Es steht nicht drin, welche Vorstellung Sie in Bezug auf die Höhe des Schmerzensgeldes haben oder in welchem Rahmen sich ein Anspruch bewegen soll. Das hätte ich mir gewünscht. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können ja einen Änderungsantrag stellen! Den nehmen wir sogar an! – Heiterkeit der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) – Glauben Sie mir, es wird nicht mehr lange dauern, dann legen wir einen ganz konkreten Antrag vor und nicht nur Blabla. (Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen auch nur Blabla und nix Konkretes!) – Doch! Hören Sie zu! (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU], an den Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] gewandt: Kommen Sie einmal in den Rechtsausschuss und diskutieren Sie mit!) – Ja, genau. Ich möchte, dass wir uns hinsichtlich der Bezifferung an der ausdifferenzierten Rechtsprechung, die wir in Deutschland haben, orientieren. Ich möchte nicht, dass wir in den Sog großer Summen geraten, wie man sie aus den USA kennt. Das würde zum einen dem Ansinnen des Anspruchs und zum anderen dem System des bestehenden Schadensersatzrechtes, das wir in Deutschland haben, nicht gerecht. Wir haben eben kein Strafschadensersatzrecht. Wichtig ist, dass wir dabei nicht aus den Augen verlieren, warum wir diesen Anspruch einführen wollen. Es geht um das Schutzbedürfnis, aber auch um den Wertungswiderspruch, der heute schon mehrfach angesprochen wurde. Schon im Koalitionsvertrag steht: Es geht uns darum, ein Zeichen der Anerkennung des seelischen Leids zu setzen. Es geht uns nicht darum, den Eindruck zu erwecken, dass wir den Verlust eines Menschen aufwiegen oder finanziell ausgleichen wollen. Mehr als dieses Stückchen Anerkennung kann es nicht sein. Abschließend möchte ich noch sagen: Sicher wird das Schmerzensgeld für Angehörige niemals Trost bieten, und gewiss wird es nicht gutmachen, was nicht gutzumachen ist, so wie es das Schadensersatzrecht eigentlich vorsieht. Doch ist es für die Angehörigen ein Zeichen in schweren Zeiten. Ich freue mich darauf, dass uns bald der ausdifferenzierte, hoffentlich am bayerischen Entwurf (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Gibt es den auch schon in der übersetzten Fassung?) orientierte Entwurf des Bundesjustizministeriums vorliegen wird. Dann können wir richtig im Detail verhandeln. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Matthias Bartke für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Matthias Bartke (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch wenn es zuweilen nicht den Anschein hatte: Wir reden hier über eine Situation, die wir alle niemals erleben möchten. Wir alle hoffen inständig, niemals als Hinterbliebene Schmerzensgeld fordern zu müssen. Wir haben eben schon verschiedene Beispiele für eine solche furchtbare Situation gehört. Die vielen Einzelschicksale bleiben oft unbemerkt. Allerdings ist der Absturz des Germanwings-Flugzeugs im März dieses Jahres in unser aller Bewusstsein gedrungen: Von einem Tag zum anderen können wir durch ein Verbrechen unser Kind oder unseren Ehepartner verlieren. In vielen europäischen Ländern wird in solchen Fällen Angehörigenschmerzensgeld gezahlt – das ist schon gesagt worden –, in Deutschland ist das bisher nicht der Fall. Nur wenn Hinterbliebene eine schwere seelische Erschütterung über das „normale“ Maß an Trauer hinaus nachweisen können, steht ihnen ein Schadensersatz zu. Es bleibt aber noch eine andere Möglichkeit: Der Schmerzensgeldanspruch des Getöteten kann vererbt werden; das hat Frau Keul eben ausgeführt. Das geht aber nur, wenn er nicht gleich tot war. Das führt zu Versicherungsschreiben der folgenden makaberen Art: Aufgrund des erlittenen Genickbruchs ist nicht davon auszugehen, dass der Verstorbene noch gewisse Zeit gelebt hat. Ein Schmerzensgeld kann daher nicht gewährt werden. Im Zweifelsfall steht damit der Schädiger im Falle der Tötung besser da, als wenn das Opfer mit Beeinträchtigungen überlebt. Das, meine Damen und Herren, kann nicht richtig sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Beerdigungskosten und entgangener Unterhalt der Hinterbliebenen werden bisher abgedeckt, Trauer und Leid werden es nicht. Diese Lücke wollen wir schließen. Darauf haben wir uns bereits im Koalitionsvertrag geeinigt. Aktuelle Beispiele machen den Bedarf nur deutlicher. Wir werden den Hinterbliebenen nun einen eigenen Schmerzensgeldanspruch einräumen. Dabei ist eines ganz klar: Trauer ist unermesslich und kann nie mit Geld aufgewogen werden. Meine Damen und Herren, wir haben bereits erste Vorstellungen von dem Hinterbliebenenanspruch. Dazu gehört, dass der Anspruch nur im Falle des Todes eines nahestehenden Menschen gewährt wird. Der Anspruch soll außerdem nicht nur bei Verschulden, sondern auch in den Fällen der Gefährdungshaftung bestehen. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das freut mich sehr!) Liebe Frau Keul, Sie merken, mit Ihrem Antrag schlagen Sie mit diesen beiden Punkten also genau unsere Richtung ein. Das freut mich sehr. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr konkret auch!) Ihre Forderung zum Opferentschädigungsgesetz sehen wir allerdings sehr kritisch. Im OEG gibt es derzeit weder Schadenersatz noch Schmerzensgeld. Es soll vielmehr Schädigungsfolgen ausgleichen. Ein Angehörigenschmerzensgeld widerspricht diesem Zweck deutlich. In Ihrem Antrag steht auch etwas zum OEG. Wenn Sie Ihren Antrag noch einmal lesen, werden Sie das auch nachvollziehen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie wollen mit dem Angehörigenschmerzensgeld eine Leistung in das Opferentschädigungsgesetz einführen, die nicht einmal die Geschädigten selbst durch das Gesetz erhalten. Ich halte das aus Gleichheitsaspekten für völlig unvertretbar. Meine Damen und Herren, wir werden das Recht der sozialen Entschädigung neu ordnen. Ich würde es aber für falsch halten, wenn wir dabei ein Angehörigenschmerzensgeld in dieses Gesetz einfügten. Ich bin mir aber sicher, dass eine zivilrechtliche Lösung, wie sie sich derzeit in Vorbereitung befindet, eine bedeutende positive Änderung für Hinterbliebene einleitet. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/5099 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung zum Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften Drucksache 18/4902 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Drucksache 18/6094 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6095 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Olav Gutting für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Olav Gutting (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Was passiert, wenn man zu sperrige Gesetzestitel wählt, das sehen wir hier an der Medienwand, nämlich „Anpassung der Abgabenordnung an den EU-Zollkodex“. Das haben wir jedoch bereits 2014 beschlossen. Hier geht es um etwas anderes, nämlich um die Umsetzung der Protokollerklärung dazu. Ich freue mich, dass wir eigentlich nicht darüber debattieren, sondern heute abschließend über das Steueränderungsgesetz 2015 beraten, aber nicht über das Gesetz zur Umsetzung der Protokollerklärung zum Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlichen Vorschriften. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bereits in der ersten Lesung habe ich gefordert, dass wir dringend an der Namensgebung dieses Gesetzes eine Änderung vornehmen müssen. Auch wenn sich das ursprüngliche Wortungetüm in der Praxis der beratenden Berufe über die Dauer der Beratungen etwas verfestigt hat, so muss man doch sagen: Wir machen Gesetze auch und gerade für die Bürgerinnen und Bürger und auch für die Bundestagsverwaltung. Diese müssen ja nicht gleich kollabieren oder in Schockstarre verfallen, wenn sie diesen Gesetzestitel lesen. Inhaltlich ist das Gesetz natürlich auch gelungen, auch wenn es sich in weiten Passagen quasi um eine Auftragsgesetzgebung nach den Wünschen des Bundesrates handelt. Mit dem Wegfall des Funktionsbenennungserfordernisses bei § 7 g des Einkommensteuergesetzes vermeiden wir Anwendungsunsicherheiten bei Unternehmen. Dies ist im Übrigen auch ein Beitrag zur Entbürokratisierung. Denn bisher ist für die Inanspruchnahme des Investitionsabzugsbetrages die Funktion des anzuschaffenden oder herzustellenden begünstigenden Wirtschaftsgutes bis zu drei Jahre im Voraus zu benennen. Mit dem Steueränderungsgesetz 2015 hätten wir gerne auch die Problematik der überschießenden Wirkung bei der Wegzugsbesteuerung nach § 50 i des Einkommensteuergesetzes endgültig korrigiert. Diese äußerst komplexe Vorschrift ist ein Dauerbrenner bei unseren Beratungen und wird von vielen Verbänden fundiert und völlig zu Recht kritisiert. Auch die eigens geschaffene Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat festgestellt, dass diese Norm in der aktuellen Fassung überschießende Wirkung erzeugt, die wir mit dem ursprünglichen Ziel der Regelung so nicht verfolgen wollten. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass wir es bis zum Abschluss der Beratungen zu diesem Gesetz nicht geschafft haben, eine rechtssichere, europarechtssichere, praktikable gesetzliche oder auch untergesetzliche Regelung zu erarbeiten. Wir werden aber an diesem Thema dranbleiben und eine Lösung suchen und sicherlich auch finden. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Änderungen im Umwandlungssteuerrecht waren im Koalitionsvertrag so vereinbart. Ob es hier überhaupt eine systemwidrige Lücke gibt oder gab, die es zu schließen gilt, darüber gehen die Meinungen durchaus auseinander. Uns war es wichtig, dass wir bei der neuen Regelung wenigstens eine Mittelstandskomponente einbauen. Dies ist mit der Anhebung der Grenze auf 500 000 Euro zumindest in Teilen gelungen. Wirtschaftlich sinnvolle Umstrukturierungen im Mittelstand wollen wir nicht verhindern. Wir wollen auch nicht an die Eigenkapitalbasis dieser Unternehmen herangehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Bezüglich des zweimaligen Anfalls der Grunderwerbsteuer bei der Abwicklung von offenen Immobilienfonds haben wir uns darauf geeinigt, diese Fehlstellung im Gesetz zu beseitigen. (Beifall des Abg. Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]) Spätestens im anstehenden Gesetzgebungsverfahren zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens werden wir hier die Situation für unsere Verbraucherinnen und Verbraucher entscheidend verbessern. Die Umsatzsteuer bei der interkommunalen Zusammenarbeit wird mit diesem Gesetz ebenfalls rechtssicher gestaltet. Die durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs bestehende Unsicherheit wird durch die Schaffung eines neuen § 2 b des Umsatzsteuergesetzes beseitigt. Um es kurz zu sagen: Die Kommunen dürfen Leistungen umsatzsteuerfrei nur dort erbringen, wo sie dadurch nicht unternehmerisch tätig werden. Das ist uns wichtig; denn wir wollen auch die berechtigten Interessen von kleinen und mittelständischen Unternehmen wahren. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir hatten das Ziel, die Beratungen zu diesem Steueränderungsgesetz – man kann auch sagen, das war eine Art Jahressteuergesetz – rechtzeitig vor Ende dieses Jahres abzuschließen, sogar mehrere Monate vor Ende dieses Jahres. Dieses Ziel haben wir erreicht. Warum ist das wichtig? Weil wir den steuerberatenden Berufen und denjenigen, die diese Gesetze anwenden müssen, auch in der Verwaltung, genügend Zeit geben wollen, um sich darauf vorzubereiten. Die meisten der Regelungen treten ja zum 1. Januar 2016 in Kraft. Dies ist uns gelungen. Deswegen möchte ich mich an dieser Stelle bei den Kolleginnen und Kollegen Berichterstattern bedanken. Ich darf Sie alle ermuntern, diesem Gesetz heute zuzustimmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]: Nur das mit dem 50 i war ein bisschen kritisch! Aber sonst war die Rede gut! – Heiterkeit bei der CDU/CSU!) Vizepräsidentin Petra Pau: Jetzt hat der Kollege Richard Pitterle für die Fraktion Die Linke das Wort. Richard Pitterle (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Gutting, ich befürchte, dass das Beste an dem heute vorliegenden Gesetzentwurf tatsächlich die vorgeschlagene Namensänderung ist. Statt „Gesetz zur Umsetzung der Protokollerklärung zum Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“ (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das war jetzt eine Minute Redezeit!) soll es jetzt schlicht „Steueränderungsgesetz 2015“ heißen. (Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]: Die Linke kann auch loben! Das ist schon mal was!) Aber auch als „Steueränderungsgesetz 2015“ wird es den Erwartungen, zum Beispiel hinsichtlich der Bekämpfung von Steuerumgehung, nicht gerecht. Ich will mich angesichts der mir zustehenden vier Minuten Redezeit auf ein paar Punkte beschränken. Erstens. Die Bundesregierung unternimmt nichts, um die Steuerumgehung durch hybride Gestaltungen zu verhindern. Bei hybriden Gestaltungen nutzen grenzüberschreitend tätige Unternehmen eine Rechtsform, die in zwei Staaten steuerrechtlich unterschiedlich behandelt wird. Auf diese Weise können sie eine doppelte Nichtbesteuerung erreichen und sich so vor dem Steuerzahlen drücken, auf Kosten aller anderen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Die OECD hat konkrete Vorschläge gemacht, welche Maßnahmen hiergegen getroffen werden müssten. Sogar der Bundesrat hat Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, aufgefordert, zu handeln: Ein weiteres Abwarten mit der Folge weiterer Steuermindereinnahmen für die öffentlichen Haushalte ist nicht hinnehmbar. Doch anstatt mit diesem Gesetz endlich konkrete Maßnahmen umzusetzen, gründen Sie stattdessen nach dem Motto „Wenn ich nicht weiter weiß, gründe ich einen Arbeitskreis“ eine Bund-Länder-Gruppe, die irgendwann einmal ein Zwischenergebnis liefert, wenn wir bis dahin nicht alle gestorben sind. Zweiter Punkt: der Investitionsabzugsbetrag bei der Einkommensteuer. Bisher konnten kleine und mittlere Unternehmen ihre Anschaffungskosten für bestimmte Wirtschaftsgüter wie zum Beispiel eine neue Maschine oder einen Firmenwagen steuerlich sozusagen im Voraus absetzen, um für die Investition genügend Mittel ansparen zu können. Sie mussten jedoch, vereinfacht ausgedrückt, klipp und klar sagen, was mit dem Geld angeschafft werden soll. Diese Bedingung haben Sie jetzt gestrichen, sodass die vorverlagerte Abschreibung von Investitionen in Höhe von 200 000 Euro jetzt quasi voraussetzungslos gewährt wird. Das öffnet einem Missbrauch des Investitionsabzugsbetrags Tür und Tor. Deswegen lehnen wir das ab. (Beifall bei der LINKEN) Letzter Punkt: die Schließung von Lücken im Umwandlungssteuergesetz. Beim VW-Porsche-Deal Mitte 2012 wurden bestimmte Regelungslücken so ausgenutzt, dass dem Fiskus geschätzte 1,5 Milliarden Euro an Steuereinnahmen entgangen sind. Es ist schon peinlich, dass die Bundesregierung drei Jahre gebraucht hat, um darauf zu reagieren. Noch schlimmer ist, dass Sie hier nur halbherzige Regelungen vorlegen, die immer noch Steuerschlupflöcher lassen. Das ist für uns nicht hinnehmbar. (Beifall bei der LINKEN) Ihre in der ersten Lesung zu diesem Gesetz noch vollmundig angekündigte Schließung von Regelungslücken war offensichtlich wieder einmal nur heiße Luft. Nach alldem kann die Linke diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Da aber an anderer Stelle im Gesetz zumindest ein paar gute Ansätze, zum Beispiel bei der notwendigen Anpassung der Grunderwerbsteuer an das kürzlich ergangene Urteil des Bundesverfassungsgerichts, vorhanden sind, werden wir den Gesetzentwurf auch nicht ablehnen, sondern uns der Stimme enthalten. Man muss ja schließlich schon froh sein, wenn Sie hier ausnahmsweise einmal nicht kompletten Murks präsentieren. (Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD) Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN – Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]: Wenn er sich anstrengt, geht es auch positiv!) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Dr. Jens Zimmermann hat für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dr. Jens Zimmermann (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich sage einmal so: Wenn sich die Opposition enthält, ist das eigentlich ein Prädikat für dieses Gesetz und zeigt, dass wir hier offensichtlich ein gutes Ergebnis abgeliefert haben. Ob „Murks“ parlamentarisch ist, weiß ich nicht, aber, ich glaube, insgesamt haben wir bei diesem Gesetz gute Arbeit gemacht. Es ist immer eine große Herausforderung für alle Beteiligten, für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, für die Parlamentarier und für das Ministerium. Es sind viele Runden, die wir da drehen. Aber jetzt sind wir zu einem guten Ergebnis gekommen. Es ist schon erwähnt worden: Wir setzen eine Protokollerklärung um, die wir dem Bundesrat bei der Umsetzung des Zollkodex-Anpassungsgesetzes gegeben haben. Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass wir Zusagen, die wir treffen, am Ende einhalten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Auch wenn die Bundesratsbank nicht so voll ist, wie man es sich vielleicht wünschen könnte, wenn wir hier Dinge umsetzen, die der Bundesrat so vehement gefordert hat, (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) ist es doch wichtig, dass wir an dieser Stelle arbeitsfähig bleiben. Natürlich haben wir wieder Klassiker dabei, bei denen es um redaktionelle Änderungen geht. Aber wir haben eben auch eine ganze Menge Themen, bei denen wir auf Rechtsprechung eingehen. Es ist wichtig, dass wir unsere Steuergesetzgebung in regelmäßigen Abständen entsprechend anpassen. Ich will auf zwei Punkte eingehen, weil sie für uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten von großer inhaltlicher Bedeutung sind. Das eine ist die Änderung von § 20 des Umwandlungssteuergesetzes. Der Begriff „VW-Porsche-Deal“ hat ja in den heutigen Tagen fast schon ein schwieriges Geschmäckle, aber auch damals hat man gedacht – viele sagen das noch heute –, dass diese Fusion ein Geschmäckle hatte, weil dort keine Steuern angefallen sind. Es ist sehr aufschlussreich, die einschlägigen juristischen Internetforen zu konsultieren. Dort werden schon heute Tipps gegeben, wie man auf unser Gesetz, das wir gleich verabschieden wollen, zu reagieren hat, welche Beratungsansätze es gibt. Das ist für mich Zeichen genug, dass wir hier etwas Richtiges machen, dass wir eine Lücke schließen. Wir wollen die Möglichkeiten des Mittelstandes, sich zusammenzuschließen, nicht beschränken, aber wir wollen hier ein ganz legales Steuerschlupfloch schließen, und das ist gut so. (Beifall bei der SPD) Lassen Sie mich im zweiten Teil der Rede noch auf § 50 i EStG eingehen. Da geht es um die Entstrickung. Auch da haben wir sehr lange diskutiert. Das ist ja ein Thema, das nicht im Gesetz enthalten ist, sondern wir diskutieren immer noch darüber, was zu tun ist. Wir haben eine Protokollerklärung mit aufgenommen, und es gibt eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die sich über dieses Thema unterhält. Aber es gibt da natürlich einige Probleme: Auf der einen Seite wird behauptet, er hätte überschießende Tendenz, hier würden also Steuerpflichtige übermäßig belastet. Auf der anderen Seite haben wir bis heute aber keinen konkreten Fall vorliegen, in dem das wirklich nachgewiesen wurde. Aus diesem Grund sind wir der Meinung, dass wir da weitermachen müssen. Hier kann ich auch unsere Gesprächsbereitschaft signalisieren; wir sind bereit, weiter über dieses Thema zu diskutieren. Aber wir können erst dann Zustimmung signalisieren, wenn ein Vorschlag auf dem Tisch liegt, der auch europarechtskonform ist. Denn die Problematik ist – das kennen alle, die sich damit beschäftigen –: Bei allen Lösungen, über die momentan diskutiert wird, besteht die Gefahr, dass europäische Inländer und Ausländer wieder diskriminiert werden, und dann fliegt uns das ganze Thema genauso um die Ohren wie die Autobahnmaut. Das kann nicht unser Ziel sein. (Beifall bei der SPD) Alles in allem glaube ich, dass wir ein ordentliches Gesetz auf den Weg gebracht haben. Es wird – leider – nicht das letzte Gesetz dieser Art sein. Ich schaue einmal alle Beteiligten an und sehe: Wir alle freuen uns schon wieder sehr darauf, in vielen Runden über die nächsten Änderungen zusammen zu debattieren. Aber ich glaube, wenn wir alle das genauso besonnen machen, wie wir es diesmal gemacht haben, dann werden wir ein gutes Steueränderungsgesetz 2016 hinbekommen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Dr. Thomas Gambke das Wort. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr verehrte Präsidentin! Liebe späte Besucher im Plenum! Werte Kolleginnen und Kollegen! Hätten Sie doch diesen ersten Änderungsantrag nicht eingebracht, in dem Sie das Gesetz als „Steueränderungsgesetz 2015“ bezeichnen! Das ist ein Etikettenschwindel, meine Damen und Herren vor allen Dingen von der Union. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ach ja? Der Vorredner hat das Gegenteil gesagt!) Denn ein Steueränderungsgesetz 2015 hätte genau die Punkte aufgreifen müssen – Kollege Pitterle hat schon ein paar genannt –, die wir hätten regeln müssen. Ich war gerade im Mittelstandsbeirat beim Bundeswirtschaftsministerium. Da haben wir über die Abschreibung geringwertiger Wirtschaftsgüter und die Anhebung der viel zu niedrigen Schwelle für die Sofortabschreibung gesprochen. Ein Handy beispielsweise muss man heute über fünf Jahre abschreiben. Da hätten Sie anpacken müssen. Und Sie hätten die Steuergestaltung verhindern müssen; Herr Pitterle hat es angesprochen. Haben Sie schon einmal etwas von der Atomisierung in Bezug auf die Zinsschranke gehört? (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Haben Sie denn schon mal etwas von der schwarzen Null gehört?) Dabei geht es um Immobilienfonds, die man bis zur 3-Millionen-Euro-Freigrenze bei der Zinsschranke füllt, um die Gewinne dann, weil die Zinsschranke nicht greift, ins Ausland zu transferieren. Das, was hier Zinsen wären, sind dann Dividenden, die im Ausland nicht versteuert werden. Meine Damen und Herren, ich könnte noch ein paar weitere Themen nennen. Und ich will auch noch eines nennen, weil es mir wirklich auf den Nägeln brennt: das Thema Umsatzsteuerbetrug. Es ist für Sie als Zuschauer vielleicht ganz interessant, zu hören: Es wird nicht nur bei VW der Dieselmotor mit Elektronik frisiert, sondern es werden auch Kassen im Handel frisiert. Es wird in die Software von Kassen eingegriffen, um den Umsatz zu verringern und Umsatzsteuer zu hinterziehen. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Was? Wo denn? Sagen Sie mal, wo!) – Das ist gerichtsnotorisch. Eine Eisdiele im Saarland beging einen Umsatzsteuerbetrug in Höhe von 1,9 Millionen Euro. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist ja ein Straftatbestand!) Sie sollten sich das einmal anschauen. Das geschieht mithilfe einer modifizierten Software. Da hätten Sie reagieren müssen. Die Länder haben mit 16 gegen 0 einen Bericht dazu vorgelegt. Aber das Bundesfinanzministerium hat diesen Bericht nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Meine Damen und Herren, wir müssen etwas tun. Wenn man „Steuergesetz 2015“ draufschreibt, dann sollte auch „Steuergesetz 2015“ drin sein, und dann müssen solche Sachen angepackt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE] – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Also, diese Eisdiele müssen Sie mir mal zeigen!) Richtig, die Protokollerklärung ist umgesetzt worden. Da stehen eine Menge Dinge drin, die gemacht werden mussten; das hat unsere volle Zustimmung. Aber es gibt eben auch ein paar andere Sachen, die gemacht wurden, zum Beispiel bei den Regelungen für die Versicherungsindustrie. Sie haben vorgesehen, dass die Rücklagen für Beitragserstattungen bis Ende 2015 weiterhin als Eigenkapital gelten sollen. Das ist branchenbezogen vielleicht eine Sache, die man sich überlegen kann, aber die finanziellen Auswirkungen sind erheblich. Ehe man eine solch einschneidende Regelung macht, hätte man noch zweimal darüber nachdenken müssen. In einem anderen Punkt haben Sie ja sogar noch in der letzten Minute eine Änderung zurückgezogen. Meine Damen und Herren, das ist kein Steueränderungsgesetz 2015. Das ist die Umsetzung einer Protokollerklärung, ja. Aber das Etikett, das Sie dem Gesetzentwurf gegeben haben, hat er nicht verdient. Sie können ihn ja noch ablehnen. Dann heißt es nach wie vor „Umsetzung der Protokollerklärung“. Ich sage: Wir werden ihn zwar nicht ablehnen, aber bei den handwerklichen Mängeln, die wir immer noch erkennen, können wir uns bei der Abstimmung über diesen Gesetzentwurf nur der Stimme enthalten. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE] – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Was ist das denn?) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Fritz Güntzler für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Fritz Güntzler (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Gambke, da wir das Steuerrecht ändern, ist der Begriff „Steueränderungsgesetz 2015“ an sich schon richtig. Nur weil Sie sich mit Ihren Vorstellungen bisher nicht durchsetzen konnten – vielleicht können Sie das ja einmal, (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es sind Ihre!) wenn es hier andere Mehrheiten gibt –, können Sie die Begrifflichkeit an sich nicht abwählen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Was kann es eigentlich Schöneres geben, als hier an einem Donnerstagabend über Steuerpolitik und Steuerrecht zu diskutieren? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]: Das meinen wir auch!) Als Steuerberater habe ich das Steuerrecht über Jahre anwenden dürfen, müssen, können, und jetzt darf ich es mitgestalten. Über manche Debattenbeiträge bin ich teilweise aber doch etwas verwundert. Ich bin froh, dass wir mit diesem Gesetzentwurf Teile des Koalitionsvertrages umsetzen. Das gilt insbesondere für die interkommunale Zusammenarbeit. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass es keine steuerrechtliche Behinderung der interkommunalen Zusammenarbeit geben soll. Wir wollten keine Belastung mit Umsatzsteuer und wünschten uns eine EU-rechtliche Lösung, die es aber so schnell nicht geben wird – das mussten wir erfahren –, sodass wir als nationaler Gesetzgeber gefordert waren, zu handeln, und wir haben gehandelt. Damit haben wir Wort gehalten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das Handeln war dringend notwendig, nachdem der EuGH und der Bundesfinanzhof in mehreren Entscheidungen entschieden haben, dass die kommunalen Beistandsleistungen nicht mehr steuerfrei sind. Früher hatten wir ja das System, dass bei einer Kommune steuerbar nur das war, was im Rahmen eines Betriebes gewerblicher Art geschah; die Beistandsleistungen wurden vom BFH eben nicht als eine Tätigkeit im Rahmen eines Betriebes gewerblicher Art gesehen. Daher hätten wir, wenn auf die Urteile nicht reagiert worden wäre, jetzt das Problem, dass alle Kommunen mit den Beistandsleistungen in der interkommunalen Zusammenarbeit in die Umsatzsteuerschuld hineingewachsen wären. Ich glaube, gerade aufgrund der finanziellen Situation einiger Kommunen wäre das sehr problematisch gewesen. Wir wollen ja die interkommunale Zusammenarbeit – aufgrund der demografischen Entwicklung in vielen Regionen, aber auch aufgrund der finanziellen Ausstattung der Kommunen. Die Anpassung war also notwendig. Wir mussten den Artikel 13 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie berücksichtigen, haben aber auch im Auge haben müssen, dass es immer ein gewisses Spannungsfeld zwischen der kommunalen wirtschaftlichen Tätigkeit und der Wirtschaft gibt. Ich finde, die Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat hier einen guten Kompromiss gefunden, den wir umsetzen, und ich bin auch froh, dass sich zum Beispiel der Zentralverband des Deutschen Handwerks und die kommunalen Spitzenverbände darauf verständigt haben – es kam zu einer gemeinsamen Auslegung, die wir ja auch in den Bericht des Finanzausschusses noch aufgenommen haben –, dass sie mit diesen Dingen leben können. Ich sage auch in Richtung Wirtschaft, dass ich sehr aufmerksam beobachte, was die Kommunen machen, und ich habe meine Zweifel, ob eine Kommune im Bundesland A unbedingt etwas über einen Zweckverband im Bundesland C anbieten muss. Die Frage ist aber, ob das Umsetzsteuerrecht das richtige Vehikel ist, sich mit diesen Dingen auseinanderzusetzen, oder ob es nicht das Gemeindewirtschaftsrecht ist, das wir überall haben. Vielleicht müsste auch die Kommunalaufsicht hier und da einmal ein bisschen besser hinschauen, ob das, was uns teilweise berichtet wird, wirklich noch im kommunalen Bereich geschieht. Ich glaube, wir haben, wie gesagt, einen guten Kompromiss gefunden. Wir betreten steuerrechtliches Neuland. Wir haben das Vergaberecht herangezogen, um die Kriterien für eine sogenannte größere Wettbewerbsverzerrung zu erzeugen. Das ist eine gute Lösung. Man muss der Wirtschaft auch sagen, dass das für die Kommunen heißt: Was bis jetzt steuerpflichtig war, wird auch in Zukunft steuerpflichtig sein, und was bis jetzt nicht steuerbar war, wird in Zukunft steuerbar und steuerpflichtig sein. Der Status quo wird für die Kommunen gar nicht gehalten, sondern sie werden in diesem Punkt unter Umständen einiges verlieren. Das werden wir uns genau angucken müssen. Von daher ist es auch richtig, dass wir die Übergangsregelung haben, dass die Kommunen bis zum 1. Januar 2021 wählen können, nach welchem Regime sie die Umsatzbesteuerung durchführen wollen. Ich sage auch in Richtung Kommunen und kommunaler Spitzenverbände – insbesondere in Richtung der Berater in den Kommunen, von denen ich viel kenne –, dass wir uns das genau angucken werden. Wenn dieses Vehikel des § 2 b Umsatzsteuergesetz dazu genutzt wird, den Vorteil von 19 Prozent für andere Dinge des Wettbewerbsrechts zu nutzen, werden wir uns mit dem Gesetz noch einmal neu beschäftigen müssen; denn das ist nicht intendiert. Wir haben aber die Zusage der kommunalen Spitzenverbände, sich damit zu beschäftigen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Der neue § 2 b Umsatzsteuergesetz ist also, wie ich finde, eine gute Lösung für die Kommunen, aber auch für die Wirtschaft. Lassen Sie mich jetzt noch zwei oder drei kleine Anmerkungen zu dem machen, was vorher gesagt wurde. Über das Umwandlungssteuergesetz – §§ 20, 21 und 24 – könnte man jetzt viel sagen. Man könnte sich dazu äußern, ob das gerechtfertigt ist oder nicht, ob es – Fachleute sehen das teilweise anders – wirklich eine Missbrauchsregelung oder ein Steuerschlupfloch ist. Ich finde nur, es ist schade, dass wir uns nicht einigen konnten, dass diese Regelung nicht rückwirkend angewandt wird. Im Gesetz steht ja jetzt: 1. Januar 2015. Das heißt, alle Einbringungen, die in dieser Zeit – bis heute – gelaufen sind, werden den Beratern unter Umständen – so lange sie nicht unter dem Freibetrag oder unter 25 Prozent liegen – auf die Füße fallen. Ich finde, wir haben auch eine Treuepflicht gegenüber Anwendern unseres Rechtes. Diese sollten die Möglichkeit haben, sich darauf einzustellen. Man kann von ihnen auch nicht verlangen, dass sie Bundesratsprotokolle lesen. Ich sage immer: Wer das tut, liest auch Telefonbücher. Ich glaube, wir dürfen die Erwartungshaltung da nicht zu hoch schrauben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich komme zum § 50 i EStG, Herr Binding. Ich hoffe, dass wir im Rahmen des Steueränderungsgesetzes – Herr Dr. Zimmermann hat das für 2016 schon angekündigt – endlich einen § 50 i EStG verwirklichen. Denn die Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat ja festgestellt, dass es diese überschießende Wirkung gibt. Die bezweifeln Sie immer noch. Beschäftigen Sie sich einmal mit den Ergebnissen. (Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Sie hat aber keine Lösung gefunden!) – Ja, wir brauchen aber eine Lösung, denn die Fälle sind ja schon verwirklicht. Wenn Sie sagen, dass sie Ihnen nicht bekannt sind, lade ich Sie gerne einmal zu mir in die Kanzlei ein. Ich kann Ihnen die Fälle zeigen, die wir zurzeit nicht bearbeiten können. Dabei handelt es sich um reine Inlandsfälle, die wir nicht gestalten können. Wir haben hier einen dringenden Handlungsbedarf beim § 50 i EStG. Ich könnte noch etwas zu den hybriden Gestaltungen sagen, wenn meine Redezeit nicht vorbei wäre. Herr Pitterle, Sie wissen genau, dass wir im BEPS-Prozess sind. Wir haben 15 Maßnahmen und sind da auf dem Weg, missbräuchliche Gestaltungen – auch die hybriden Gestaltungen – anzugehen. Es macht keinen Sinn, dass der nationale Gesetzgeber da alleine vorgeht. Uns zu unterstellen, dass wir da untätig wären, ist einfach unrichtig. Ich bitte Sie jetzt einfach, dem Gesetz zuzustimmen. Ich hoffe, der Bundesrat tut das auch möglichst schnell, damit sich die Steuerpflichtigen darauf einstellen können. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Andreas Schwarz das Wort. (Beifall bei der SPD) Andreas Schwarz (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Angesichts meiner knapp bemessenen Redezeit möchte ich mich nur auf einen Aspekt dieses umfassenden Steuergesetzes konzentrieren, der mich als ehemaliger Bürgermeister und immer noch amtierender Kommunalpolitiker mit besonderer Freude erfüllt. Es handelt sich hier ganz genau um die Neuregelung der Umsatzbesteuerung von Leistungen der öffentlichen Hand. Mich haben dazu zahlreiche Briefe von Kommunen aus meinem Wahlkreis erreicht, denn die Kommunen waren angesichts der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes mehr als verunsichert, was die steuerliche Belastung und natürlich auch die damit verbundene interkommunale Zusammenarbeit angeht. Die Zusammenarbeit öffentlicher Einrichtungen ist nicht zuletzt aufgrund knapper Haushalte und des demografischen Wandels von großer Bedeutung. Ob bei der Erfüllung hoheitlicher Aufgaben oder bei Leistungen der Daseinsvorsorge: Die Nutzung von Synergieeffekten und die Auslastung vorhandener personeller und sachlicher Ressourcen liegen im öffentlichen Interesse und erfolgen nicht im Wettbewerb mit privaten Leistungen. Daher soll dieser Leistungsaustausch öffentlicher Einrichtungen weiterhin nicht mit Umsatzsteuer belastet und dadurch verteuert werden. Das ist, denke ich, ein Vorteil für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. An dieser Stelle sei klargestellt: Hier geht es nicht darum, dass etwa die Kommunen den Wettbewerb stören oder behindern. Im Wettbewerb erbrachte Leistungen unterliegen ja, wie es der Kollege gerade erklärt hat, auch künftig der Umsatzsteuer. Das ist auch richtig so. Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich jedoch immer dafür eingesetzt, die Zusammenarbeit öffentlicher Einrichtungen bei hoheitlichen Tätigkeiten nicht zu besteuern. (Beifall bei der SPD) Das gilt für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die Kirchen und insbesondere die Kommunen. Schon im Koalitionsvertrag haben wir das Bekenntnis zur interkommunalen Zusammenarbeit verankert. Gemeinsam mit unserem Koalitionspartner ist es nun gelungen, in diesem Gesetz klare Regeln für die Umsatzbesteuerung öffentlicher Leistungen zu entwickeln. Mit der Neuregelung haben wir unser Ziel für beide Seiten erreicht, für die öffentlichen Einrichtungen auf der einen Seite und für die Wirtschaftsunternehmen auf der anderen Seite, eine dauerhafte und auch rechtssichere Planungsgrundlage zu schaffen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung zum Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6094, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/4902 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Opposition angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Sigrid Hupach, Dr. Petra Sitte, Halina Wawzyniak, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke Verleihbarkeit digitaler Medien entsprechend analoger Werke in Öffentlichen Bibliotheken sicherstellen Drucksache 18/5405 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Kultur und Medien (f) Ausschuss Digitale Agenda Federführung strittig Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. – Ich bitte, gegebenenfalls notwendige Gespräche außerhalb des Plenums zu führen. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Die sind überflüssig!) Das gilt bitte auch für die Kollegen der Unionsfraktion. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Jetzt mal hurtig raus, wenn ihr quatschen wollt!) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Sigrid Hupach für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sigrid Hupach (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir legen heute einen Antrag vor, der dafür wirbt, gleiche Regelungen für den Verleih von digitalen und körperlichen Medien, kurz E-Books und klassischen Büchern, in öffentlichen Bibliotheken einzuführen. Das ist in unserer digitalen Zeit eigentlich eine Selbstverständlichkeit, sollte man meinen. Die Realität sieht aber anders aus. Obwohl die öffentlichen Bibliotheken zu den meistgenutzten Bildungseinrichtungen in Deutschland gehören und Bücher immer öfter auch als E-Books erscheinen, stehen die Nutzerinnen und Nutzer unserer Bibliotheken häufig vor einem enttäuschend mageren E-Book-Angebot. Das Wenige, das auszuleihen ist, ist meist nicht das Aktuelle oder das Gesuchte. Wer sich in seiner Lektüre zum Beispiel an der Spiegel-Bestsellerliste orientiert, wird hier kaum auf seine Kosten kommen. Noch immer ist es so, dass von den Titeln dieser Liste nur die Hälfte in den Bibliotheken ausgeliehen werden kann. Betroffen sind davon einmal mehr Menschen mit niedrigem Einkommen; denn gerade für sie bieten die öffentlichen Bibliotheken die Möglichkeit, am kulturellen Leben teilzunehmen. Die Bibliotheken fürchten, durch das reduzierte Angebot an elektronischen Medien an Attraktivität zu verlieren. Seit Jahren setzen sie sich deshalb in Deutschland und auf europäischer Ebene für eine Gleichstellung von digitalen und analogen Medien im Urheberrecht ein. Dennoch unterscheidet sich das E-Book in seiner rechtlichen Stellung erheblich vom gedruckten Buch, auch wenn der darin transportierte Inhalt identisch ist. Elektronische Medien werden auf der Basis von zeitlich befristeten Lizenzverträgen zwischen Verlagen oder Anbietern wie der divibib GmbH mit ihrem Onleihe-Angebot und den Bibliotheken angeboten. Genau hier liegt das Problem. Bei den digitalen Medien können öffentliche Bibliotheken nicht ausschließlich selbst bestimmen, welche Titel sie einkaufen. Denn die Anbieter diktieren hier die Bedingungen von Auswahl und Preis. Große Verlage wie Fischer, Rowohlt oder die Holtzbrinck-Gruppe verweigern gar den Verleih von EBooks. Bibliotheken haben aber den Auftrag, die Meinungsvielfalt widerzuspiegeln. Bei den digitalen Medien jedoch bestimmen wirtschaftliche Interessen das Angebot. Wir fordern mit unserem Antrag die Bundesregierung auf, zu einer Klarstellung in den §§ 17 und 27 des Urheberrechtsgesetzes zu kommen, (Beifall bei der LINKEN) mit dem Ziel, unsere Bibliotheken endlich zukunftssicher zu machen. Die Erweiterung des Erschöpfungsgrundsatzes auf nicht körperliche Werke, das damit verbundene Schaffen von fairen Lizenzvergabemodellen und die Ausweitung und Aufstockung der Bibliothekstantieme würden die Bibliotheken in die Lage versetzen, ihren Lesern ein aktuelles und vielfältiges Angebot zu unterbreiten und dieses zu fairen Preis- und Lizenzkonditionen zu erwerben. Diese Anpassung des Urheberrechts ist eine so einfache wie überfällige Maßnahme, mit dem Effekt, dass eigentlich alle davon profitieren würden: sowohl die Nutzer als auch die Bibliotheken, Autoren und auch die Verlage. Der Verleih von gedruckten Büchern hat die Verlage trotz aller Unkenrufe in den 60erJahren nicht in den Ruin getrieben; er hat vielmehr die Lesefreudigkeit gestärkt. Beim Verleih von EBooks wird das genauso sein. Besinnen Sie sich also auf Ihren Koalitionsvertrag, in dem schon angekündigt wurde, zu prüfen, ob den öffentlichen Bibliotheken gesetzlich das Recht eingeräumt werden soll, elektronische Bücher zu lizenzieren! Zwei Jahre hatten Sie Zeit dafür; aber noch immer liegt kein Entwurf vor. Da lassen Sie uns einmal mehr Ihre Arbeit machen. Auch Frau Grütters kritisierte erst kürzlich die aufwendige Lizenzierungspraxis für EBooks seitens der Verlage. In den Handlungsempfehlungen der Internet-Enquete heißt es deutlich: Der Verleih digitaler Medien soll wie bei analogen Werken sichergestellt werden. Auch auf europäischer Ebene gibt es in dieser Frage deutlich mehr Bewegung als im Bundestag: Im Juli stimmte das Europäische Parlament über den Reda-Bericht zur Reform der InfoSoc-Richtlinie von 2001 ab. Auch hier heißt es: Neue Ausnahmen beim Urheberrecht sollen das Ausleihen von EBooks ermöglichen. Unser Antrag versetzt Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, jetzt in die komfortable Lage, mit einer einfachen Zustimmung zu diesem Antrag den nächsten Schritt ins digitale Zeitalter zu tun und vielen Menschen in diesem Land einen einfachen und kostengünstigen Zugang zu Information, Wissen und Kultur zu ermöglichen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Dr. Stefan Heck das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Stefan Heck (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte gestatten Sie, dass ich die Rede mit einem schon etwas älteren Zitat beginne: Überdem zwingt das deutsche Publicum seine Schriftsteller, nicht nach dem Zuge des Genius, sondern nach Speculationen des Handelns [ihre Tätigkeit] zu wählen. So beklagt sich schon 1784 der erst 25jährige Theaterdichter Friedrich Schiller. Er wandte sich mit diesem und anderen Hilferufen wahllos an glühende Bewunderer, deren Briefe er zuvor in den kalten Wintermonaten aus materiellen Gründen unbeantwortet gelassen hatte. Friedrich Schiller konnte von dem erst nach seinem Tod 1805 etablierten Autorenschutz nicht mehr profitieren. Er lebte vielmehr von dem Ertrag seiner Aufführungen und seiner Herausgebertätigkeit. Seinen Lebensunterhalt konnte er mit seinen Werken, die heute noch immer zur Weltliteratur gehören, nicht bestreiten. Seit den Zeiten Friedrich Schillers hat sich das deutsche Urheberrecht zum Glück gewandelt. Das moderne Urheberrecht schützt nicht nur die Urhebereigenschaft des Autors, sondern es stellt auch sicher, dass ihm ein finanzieller Ertrag aus seinen Werken zusteht. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich glaube, wenn Friedrich Schiller heute gelebt hätte, hätte er bestimmt gute Erfahrungen mit der VG Wort gemacht. Aber spätestens seit dem Aufkommen von Tablet-Computern und EBook-Readern hat die Digitalisierung aller Lebensbereiche auch den Buchmarkt erreicht. Die neuen Möglichkeiten, die damit verbunden sind, sind in ihrer Revolution wahrscheinlich vergleichbar mit der Erfindung des Buchdrucks vor über 550 Jahren. Komplizierter als damals ist aber die Frage, welche Verkaufsmodelle sich in Zukunft durchsetzen werden. Deshalb ist es uns, der CDU/CSU-Fraktion, besonders wichtig, dass wir diese neue technische Entwicklung von Anfang an auch rechtlich angemessen begleiten und dabei einen umfassenden Autorenschutz sicherstellen. Die Autoren von heute müssen die Schwierigkeiten von Friedrich Schiller jedenfalls nicht mehr kennenlernen. Vielleicht darf man noch erwähnen, dass auch hinter jedem E-Book ein Autor steht. Ebenso wie bei „körperlichen Medien“ ist er darauf angewiesen, dass er aus dem Verkauf seiner Werke einen Ertrag erhält. Insbesondere für Schriftsteller und Autoren von nicht wissenschaftlichen Werken ist dieser Ertrag entscheidend beim Bestreiten des Lebensunterhalts. Dafür handeln Kopiergerätebetreiber und Verleiher von gedruckten Werken eine Vergütung mit der VG Wort aus. Diese wird dann anschließend an die Autoren ausgeschüttet. Deshalb macht es schon einen Unterschied – damit sind wir bei den Bibliotheken –, ob ein gedrucktes Buch verliehen wird oder ob für den Download ein E-Book zur Verfügung gestellt wird. Bei dem Verleih gedruckter Bücher bleibt nämlich die Anzahl der in Verkehr gebrachten Bücher stets gleich. Der Autor hat für jedes Exemplar, das sich im Umlauf befindet, bereits ein Honorar erhalten. Ganz anders verhält es sich bei der „Ausleihe“ von E-Books. Sie sind auf einem Datenträger gespeichert und können der Bibliothek nicht mehr im eigentlichen Sinne zurückgegeben werden. Deshalb ist es technisch schwierig, zu gewährleisten – eine Garantie ist wahrscheinlich ausgeschlossen –, dass das ausgeliehene E-Book nicht einfach an Dritte weitergegeben wird. Deshalb kann bei dem sogenannten Verleih von E-Books auch nicht sichergestellt werden, dass der Autor für jedes im Umlauf befindliche Exemplar ein Honorar erhalten hat. Sobald ein einziges Exemplar herausgegeben wurde, kann dieses zumindest technisch zum Nulltarif und unkontrollierbar weitergegeben werden. Der Autor droht so um die verdienten Früchte seiner Arbeit gebracht zu werden. Wir wollen deshalb dafür Sorge tragen, dass der Erschöpfungsgrundsatz auch zukünftig für gedruckte und digitale Medien unterschiedlich gehandhabt wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vor diesem Hintergrund ist der Ansatz, den Erschöpfungsgrundsatz auf digitale Medien, E-Books und Hörbücher, auszudehnen, ziemlich sachfremd. Was würde das denn für die Autoren von E-Books und Hörbüchern bedeuten? Hat ein Nutzer der Bibliothek das E-Book auf einem Datenträger gespeichert, oder hat ein Käufer bei einem Onlinehändler das Hörbuch heruntergeladen, dürfen diese Werke beliebig weiterverbreitet werden. Das Urheberrecht des Autors wäre praktisch nutzlos. (Sigrid Hupach [DIE LINKE]: Kann man ja begrenzen!) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, entweder wollen Sie diesen Unterschied zwischen gedruckten und digitalen Werken nicht verstehen, oder Sie trampeln ganz bewusst auf dem geistigen Eigentum der Urheber herum. Auf jeden Fall lassen Sie mit Ihrem Antrag die Kreativen und die Intellektuellen in diesem Land im Stich, auf die Sie sich sonst so gerne berufen. (Beifall bei der CDU/CSU – Sigrid Hupach [DIE LINKE]: Ein Buch kann man auch einscannen!) Die CDU/CSU-Fraktion wird weiterhin dafür streiten, dass im Grundsatz der Autor darüber entscheiden darf, wer sein Werk zu welchen Konditionen nutzen darf. Die von der Linken offensichtlich betriebene Sozialisierung geistigen Eigentums wird es mit uns nicht geben. Wir werden deshalb gegen den vorliegenden Antrag stimmen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ihr bleibt beim Papier!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Tabea Rößner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Damen und Herren! Examenszeit, und das Standardwerk ist in der Bibliothek nicht auffindbar oder über Monate vorgemerkt, oder wichtige Seiten sind herausgerissen. Viele von Ihnen kennen das vielleicht, sofern Sie Ihre Arbeiten selbst geschrieben haben. (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das müsste in digitalen Zeiten mit Internet, iPad, Tolino und Co. eigentlich vorbei sein. Das ist es aber nicht. Auch in der digitalen Bibliothek können Bücher vergriffen sein, weil nur so viele Exemplare verliehen werden können, wie Lizenzen erworben wurden. Die öffentliche Bibliothek muss sich für die digitale Zukunft neu aufstellen. Hierfür braucht sie – da trifft der Antrag der Linken den richtigen Nerv – ein breitgefächertes digitales Angebot und dafür finanzielle Unterstützung. Die Bibliothek muss als Bildungseinrichtung für alle sozialen Schichten und Altersstufen, für Schul- und Erwachsenenbildung sowie als Anlaufpunkt für Migrantinnen und Migranten erhalten bleiben, auch digital. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich habe aber Zweifel, ob die hier vorgeschlagenen Änderungen den Verbraucherinnen und Verbrauchern tatsächlich einen Mehrwert bringen. Mehr noch: Sie könnten ihnen sogar einen Bärendienst erweisen. Der Buchmarkt versucht gerade, sich mit kommerziellen Leihportalen für E-Books auf die neuen Lesegewohnheiten einzustellen. Das ist übrigens etwas, was wir immer eingefordert haben. Das Angebot der Bibliotheken erscheint da schädlich. Es ist kostenfrei, und für die Ausleihe zahlen die Bibliotheken an Autoren und Verlage die Bibliothekstantieme; sie liegt jetzt bei 4 Cent. Bei Skoobe oder Readfy erhalten Autoren und Verlage zwischen 16 Cent und 1,10 Euro pro Leihe. Mit der Bibliothekstantieme würden sie also nur noch einen Bruchteil bekommen. Die Kreativen dürfen aber eben nicht zu den Verlierern der Digitalisierung werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Da könnten Sie von der Union eigentlich auch klatschen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dabei ist es richtig, die Bibliotheken finanziell besser auszustatten. Es sollte ihnen weiterhin möglich sein, eine dem öffentlichen Auftrag entsprechende qualitative Auswahl anzubieten. Ich hadere hier allerdings vor allem mit der geplanten Änderung in § 17 Urheberrechtsgesetz. Abgesehen davon, dass wir damit erst einmal Brüssel durchlaufen müssten: Digitale Medien könnten dann an jeden weiterverkauft werden. Das klingt zwar erst einmal wunderbar, hat aber einen Haken: Ein florierender Gebrauchtwarenhandel mit digitalen Gütern könnte eine ungewollte Spirale nach unten auslösen. Anbieter wie Amazon oder Apple stehen bereits mit Secondhand-Verkaufsplattformen für Digitales in den Startlöchern. Sollte es hier grünes Licht geben, wäre die Konkurrenz für Verlage enorm. Digitales verrottet nicht. Gebrauchte E-Books wären mit einem Klick in alle Welt weiterverkauft, zu Spottpreisen, und zwar ohne Riss oder Kaffeefleck. Das stärkt geschlossene Systeme wie das von Amazon, und es schadet dem kulturellen Angebot. Denn wer investiert dann noch? Wer nimmt das wirtschaftliche Risiko eines Flops auf sich, und wer setzt noch auf unbekannte Autoren oder vielleicht auf gewagte Inhalte? Unter idealen Bedingungen sind das die Verlage. Es sind zumindest nicht die digitalen Verkaufsplattformen. Wir dürfen das wirtschaftliche Fundament nicht derart erschüttern, dass die kulturelle Vielfalt darunter leidet. Wenn nur noch risikofreie Bestseller auf dem Markt sind, kann das sicher nicht im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir sprechen hier ja nicht nur von E-Books. Digitale Medien, das sind ja auch Musik- oder Filmdateien. Ich möchte festhalten: Öffentliche Bibliotheken müssen ein facettenreiches digitales Angebot bereithalten, und sie dürfen keine Nischeninstitutionen werden. Wir brauchen aber eine sozialverträgliche Lösung, und dafür sollten sich alle Seiten ins Zeug legen. Um dies zu schaffen, müssen Länder und Kommunen dringend in die Lage versetzt werden, digitale Bibliotheken finanziell ausreichend auszustatten. Die Belange der Kreativen müssen mitgedacht werden. Zudem braucht es Mut bei den Verlagen, auch Neues zu wagen, und die beteiligten Kreise müssten aufeinander zugehen und eine gemeinsame Lösung erarbeiten, die dann allen Seiten zugutekommt. Dabei sind faire Lizenz- und Nutzungsbedingungen Pflicht. Wenn diese Chance aber vertan wird, dann muss der Gesetzgeber die Lösung für sie finden. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Christian Flisek für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Stephan Harbarth [CDU/CSU]) Christian Flisek (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Hupach, offen gesprochen, ich begrüße es außerordentlich, dass sich auch die Linke um ein modernes Urheberrecht im digitalen Zeitalter bemüht. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Ich begrüße es aber umso mehr, dass vor allen Dingen die Koalition und hier insbesondere Bundesjustizminister Heiko Maas dem urheberrechtlichen Stillstand insbesondere der letzten Legislaturperiode ein Ende setzt und sich mit einer sehr klar umrissenen urheberrechtlichen Agenda mit uns gemeinsam aufmacht, den modernen Rechtsrahmen für den Kreativstandort Deutschland zu setzen. (Beifall bei der SPD) Man muss kein Prophet sein, um festzustellen, dass die nächsten Monate für alle urheberrechtlich Interessierten in diesem Hause sehr intensiv sein werden. Der Bundesjustizminister hat jetzt innerhalb kurzer Zeit zwei Referentenentwürfe vorgestellt. Das eine ist ein Referentenentwurf für ein Verwertungsgesellschaftengesetz. Damit wird in Umsetzung einer EU-Richtlinie das Wahrnehmungsgesetz, der Rechtsrahmen der Verwertungsgesellschaften, komplett auf neue Füße gestellt. Insbesondere werden die Abgabe für Geräte und Speichermedien und der damit verbundene Prozess der Tariffindung straffer gefasst; er wird effizienter gestaltet. Das sind sehr gute Signale an die Branche. Lieber Herr Dr. Heck, Sie haben eingangs Ihrer Rede Friedrich Schiller angesprochen. Wir werden vor allen Dingen die Schillers des 21. Jahrhunderts in ihrer Position stärken. Wir werden nämlich dafür sorgen, dass das Urhebervertragsrecht weiterentwickelt wird, modern weiterentwickelt wird. Wir werden insbesondere dafür sorgen, dass Urheber aus ihrer Einzelkämpferstellung herausgeholt werden. Wir werden gemeinsame Vergütungsregelungen stärken. Wir werden auch die kollektive Rechtsdurchsetzung stärken. Das ist ein gutes Zeichen für alle Kreativen in diesem Land. Man kann also mit Fug und Recht sagen: Es tut sich einiges im Urheberrecht, meine Damen und Herren, und dabei wird es nicht bleiben. Der Bundesjustizminister hat am Montag dieser Woche beim Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb in München eine viel beachtete Rede zur Zukunft des Urheberrechts gehalten. Ich empfehle jedem die Lektüre. Er hat dort angekündigt, dass er in Kürze eine Studie von diesem Max-Planck-Institut vorlegen wird, die sich damit beschäftigt, wie wir es schaffen, die Nutzergewohnheiten, die in den nächsten 5, 10, 15 Jahren aufkommen werden, so in unserem Urheberrecht zu berücksichtigen, dass das Urheberrecht endlich einmal auf der Höhe der Zeit ist, dass wir also proaktiv tätig werden und nicht immer nur reaktiv den technischen Entwicklungen hinterherlaufen. Wenn man sich vor allen Dingen mit der Methodik dieser Studie auseinandersetzt, erkennt man etwas sehr Beachtliches: Es werden – so ist es angekündigt – 40 hochinnovative Geschäftsmodelle von Start-ups empirisch analysiert, um genau diese modernen Nutzergewohnheiten einmal vor Augen zu haben. Ich glaube – das sage ich dann auch an die Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei –, das wird eine sehr gute empirische Grundlage sein, sodass wir dann gemeinsam in diesem Hause einmal eine grundsätzliche Debatte über den Modernisierungsbedarf des Urheberrechtsgesetzes führen können und bewerten können, wo wir tatsächlich einen Regelungsbedarf haben. Es ist von meinen Kolleginnen und Kollegen schon angesprochen worden: Man muss sehr vorsichtig sein, wenn man zum Beispiel beim Erschöpfungsgrundsatz Hand anlegt. Das bezieht sich nicht nur auf die Bibliotheken oder auf Einzelproblemlagen. Das sind sehr grundsätzliche Normen, die eine Vielzahl von Fällen regeln. Da muss man mit Bedacht herangehen. Ich glaube, das Vorgehen des Bundesjustizministers bietet uns hierfür eine wirklich gute empirische Grundlage. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir noch in dieser Legislaturperiode hierzu weitere Vorschläge machen werden. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Dr. Volker Ullrich das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn Sie sich in einer der 10 000 Leihbüchereien in Deutschland ein Buch ausleihen, hat es zuvor die Kommune oder der Staat gekauft, und pro Ausleihe werden 3 bis 4 Cent Bibliothekstantieme fällig. Wenn Sie sich ein gedrucktes Buch selbst kaufen, wird damit der Urheber entschädigt, und Sie können das Buch frei weitergeben. Das nennt sich „Erschöpfungsgrundsatz“. Die Vertriebswege ändern sich jedoch mit der Digitalisierung. Wir haben im letzten Jahr knapp 5 Prozent E-Books im deutschen Markt gehabt. In den Vereinigten Staaten ist man mittlerweile bei etwa 20 Prozent angelangt. Wer meint, dass die Verhältnisse des digitalen Marktes eins zu eins mit denen des analogen vergleichbar sind, der irrt, und der liegt falsch. Es geht um die Frage: Welche rechtlichen Rahmenbedingungen setzen wir im Bereich der zunehmenden Digitalisierung, um geistiges Eigentum zu schützen? Ihr Ansatz, die wesentlichen Elemente des Schutzes des geistigen Eigentums im analogen Bereich – Bibliothekstantieme, Erschöpfungsgrundsatz – in die digitale Welt zu übertragen, geht fehl. Dieser Ansatz, meine Damen und Herren, ist geprägt von einem grundsätzlichen Missverständnis vom Funktionieren der digitalen Welt und – ich füge hinzu – auch von einem grundsätzlichen Mangel an Sensibilität dem geistigen Eigentum gegenüber. (Beifall bei der CDU/CSU) Vielleicht sollten Sie sich einmal ein paar Zitate vor Augen führen. Der – inzwischen verstorbene – Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Frank Schirrmacher hat gesagt: Die Vorstellung, dass das Netz an sich frei und kostenlos sei, ist eine der stärksten Illusionen der Gegenwart. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Da hat er recht!) Und weiter: Es ist aber eine Schlüsselfrage der digitalen Zukunft, dass sich jedermann der unerwünschten Verbreitung ... seines geistigen Eigentums widersetzen kann. Oder lesen Sie die vielbeachtete Rede von Jaron Lanier, Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, nach! Er hat auch davor gewarnt, dass Autoren ihr Recht verlieren und ein erhebliches Maß an Ungerechtigkeit erleiden müssen. Oder lesen Sie gar beim britischen Unternehmer James Daunt nach, der gewarnt hat, dass die EBookAusleihe eine zerstörerische Kraft ist, die den Markt so zerstören kann, dass Autoren nichts mehr davon haben werden. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Und Oscar Wilde!) Das sind sicherlich dramatische Worte. Aber diese Worte müssen uns zu einer wesentlichen Erkenntnis bringen: Welcher Vertriebsweg auch immer gewählt wird, wie sehr die Digitalisierung Aspekte unseres Lebens umfasst – der Schutz des geistigen Eigentums und die Vergütung des Urhebers bleiben für uns gültige und eherne Rechtsgrundsätze. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich muss Ihnen sagen, liebe Kollegen der Linkspartei: Sie haben mir einen zu sorglosen Umgang mit dem geistigen Eigentum! Wir mussten erst kürzlich über die Abschaffung des Leistungsschutzrechtes debattieren (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Hätten Sie mal zugestimmt!) und haben Ihren Antrag dazu zu Recht niedergestimmt. Heute haben wir eine weitere Schleifung des Urheberrechts zu bereden, und ich sage Ihnen: Der Schutz des geistigen Eigentums hat bei uns hohen Wert. Wir werden Ihre Anträge nicht unterstützen. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Das hat doch nichts mit geistigem Eigentum zu tun!) Ich kann für unsere Fraktion festhalten: Die Herausforderungen einer Wissensgesellschaft werden wir nur dann meistern, wenn wir geistigem Eigentum und Kreativität schützenden Raum geben. Das sind wir den Autoren und den Künstlern schuldig. Wir stehen an der Seite der Autoren. Sie stehen an der Seite derjenigen, die kopieren wollen und diejenigen zurückdrängen, die an geistigen Materien hart arbeiten. (Beifall bei der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Na, na, na! Vorsichtig!) Man kann es vielleicht, wenn wir in die Zukunft des Urheberrechts blicken, auch an einer sprachlichen Finesse festmachen: Im Englischen heißt es „copyright“ – das Recht, zu kopieren. Im Französischen spricht man über „le droit d’auteur“ – das Recht des Autors. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Und auf Spanisch?) Wir werden am Ende des Tages das Recht des Autors schützen – das geistige Eigentum als wesentliches Element der Wissensgesellschaft. Diesen Weg lassen wir uns nicht nehmen; deswegen lehnen wir Ihren – untauglichen – Antrag ab. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Siegmund Ehrmann das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Siegmund Ehrmann (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Entwicklung des Buchmarktes zeigt, dass Bücher schon lange nicht mehr das alleinige Trägermedium sind. Lässt man die Fachbücher und die Schulbücher außen vor, sieht es auf dem sogenannten Publikumsmarkt so aus, dass im zweiten Quartal des Jahres 2015 die EBooks einen Anteil von etwa 5,6 Prozent am Markt hatten. Das ist ein Zuwachs gegenüber dem Vergleichsquartal des Jahres 2014 um etwa 12 Prozent. Wenn man sich dann noch vergegenwärtigt, dass in der ersten Hälfte des Jahres 2015 bei den über Zehnjährigen 2,9 Millionen EBooks erworben haben, dann zeigt das, wie sich die Nachfrage auf dem Markt verändert hat. Es ergibt sich damit aber auch ein Reflex mit Blick auf die Situation der öffentlichen Bibliotheken. Denn die Veränderungen im Markt müssten sich in der Angebotspalette der Bibliotheken widerspiegeln. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag formuliert, dass öffentliche Bibliotheken auch im digitalen Umfeld ihrem Auftrag nachkommen können müssen. Sie sind die am stärksten genutzten Kultur- und Bildungseinrichtungen in Deutschland. Insgesamt 10 000 Bibliotheken halten jährlich 440 Millionen Medien bereit, die dort nachgefragt werden können. So vollzieht sich Teilhabe an Wissen, und das ist eine ganz wichtige öffentliche Leistung, die wir über die öffentlichen Bibliotheken darbieten. (Beifall der Abg. Bärbel Bas [SPD]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Antrag der Linken zielt auf diesen Kontext. Ich würde nicht so weit gehen wie mein Vorredner, das mit dem Untergang des Abendlandes und dem Schleifen des geistigen Eigentums gleichzustellen. (Heiterkeit bei der SPD – Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das ist von Oswald Spengler!) Es sind erwägenswerte Aspekte in ihm formuliert, aber die entscheidende Frage ist – das gebietet fairer parlamentarischer Umgang –, zu prüfen, ob sie tragen. Da habe ich meine Zweifel. Nicht zu verkennen ist: Den Bibliotheken werden bereits heute EMedien über private Anbieter – es wurde erwähnt – wie Onleihe, ciando eBooks oder OverDrive angeboten. Das ist gut, hat aber Schwächen. Wenn dabei lediglich rund 1 400 öffentliche Bibliotheken mitmachen, kann man nicht von einem flächendeckenden Angebot sprechen. In der Tat ist es so, dass Bestseller nur zu 50 Prozent über die Onlineangebote, die dargeboten werden, zugänglich sind. Zudem liegt die Einkaufsentscheidung bei der privaten Wirtschaft, bei den Partnern in den Unternehmen, bei den Anbietern und nicht wie bei analogen Medien bei den öffentlichen Bibliotheken. Meine Damen und Herren, alleine die rechtliche Gleichstellung von digitalen und körperlichen Medien führt nicht automatisch zu einem vernünftigen, angemessenen und gerechten Interessenausgleich zwischen Autoren, Übersetzern und Verlagen auf der einen Seite und den Bibliotheken auf der anderen Seite. Hierzu bedürfte es genauerer Eckpunkte der anzustrebenden Lizenzverträge. Das ist vorhin in Debattenbeiträgen formuliert worden. Da bleibt der Antrag also vage. Schließlich und zuletzt – es wurde erwähnt –: Heiko Maas hat eine wirklich beachtliche und beeindruckende Rede in München gehalten (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Kennen wir noch nicht!) und dabei die urheberrechtlichen Projekte der Großen Koalition vorgetragen. Auch das Thema „EBooks in Bibliotheken“ wurde darin erwähnt, und es wurde auf die europarechtliche Dimension abgestellt. So ganz einfach und allein können wir das hier nicht verhandeln, unabhängig von den Aspekten, die ich vorgetragen habe. Das wird mit Sicherheit in den Gesetzesvorlagen der Koalition, die uns erreichen werden, zu verhandeln sein. Ihr Gesetzentwurf ist gut gemeint, löst aber die zu Recht beschriebenen Probleme nicht wirklich. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herzlichen Dank. – Wir sind am Ende der Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/5405 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Wie auch sonst manchmal ist die Federführung strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, die Fraktion Die Linke wünscht Federführung beim Ausschuss für Kultur und Medien. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Die Linke – Federführung beim Ausschuss für Kultur und Medien – abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dieser Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – Federführung beim Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz – abstimmen. Wer stimmt für diesen Vorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Befristung von Vorschriften nach den Terrorismusbekämpfungsgesetzen Drucksache 18/5924 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Evaluation nach Artikel 9 des Gesetzes zur Änderung des Bundesverfassungsschutzgesetzes Drucksache 18/5935 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1 – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/5924 und 18/5935 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Richard Pitterle, Susanna Karawanskij, Dr. Axel Troost, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Sonderermittler zur Aufarbeitung der Cum-Ex-Geschäfte einsetzen Drucksachen 18/3735, 18/6088 Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden.2 – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist so beschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6088, den Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke auf Drucksache 18/3735 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) – zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Prinzipien des deutschen Bildungswesens stärken – Gleichwertigkeit und Durchlässigkeit der beruflichen und der akademischen Bildung durchsetzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Ausbildungsqualität sichern – Gute Ausbildung für alle schaffen – zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Brigitte Pothmer, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mit einer echten Ausbildungsgarantie das Recht auf Ausbildung umsetzen Drucksachen 18/4928, 18/4931, 18/4938, 18/6040 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich bitte, die Plätze einzunehmen und die Gespräche, die noch notwendig sind, vielleicht außerhalb des Plenarsaales zu führen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Dr. Thomas Feist, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute in dieser Debatte abschließend unseren hervorragenden Antrag (Beifall bei Abgeordneten der SPD) „Prinzipen des deutschen Bildungswesens stärken – Gleichwertigkeit und Durchlässigkeit der beruflichen und der akademischen Bildung durchsetzen“. Wenn man sich die Entwicklung der letzten Jahre anschaut, dann erscheint es mir so, dass wir für die berufliche Bildung etwas mehr tun müssen, als wir das bisher getan haben. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hindert Sie denn?) Genau darauf zielt unser Antrag, und deswegen werden wir ihm heute mit großer Mehrheit zustimmen. Das werden auch Sie, Herr Kollege Mutlu, nicht verhindern können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wo wir jetzt über die Gleichwertigkeit akademischer und beruflicher Bildung reden, stelle ich mit Freude fest, dass der Bundesregierung unsere Diskussionen, auch die, die wir dazu im Ausschuss geführt haben, nicht verborgen geblieben sind. So sind im Regierungsentwurf des Haushaltes die Themenbereiche, deren Unterstützung wir im Antrag gefordert haben, schon mit Mitteln untersetzt, die mich fröhlich stimmen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind aber leicht zufriedenzustellen!) Der Ansatz für die Berufsorientierung, den wir um 27 Prozent aufgestockt haben, bleibt in dieser Höhe bestehen. Das ist genau der richtige Weg, jungen Menschen eine gute Berufs- und Studienorientierung zu ermöglichen. Bei der Vielzahl der Wege, die man über das Studium und über den Beruf in eine Karriere hinein hat, ist es wichtig, so vorzugehen und damit alle jungen Menschen, egal welcher Schulform, zu erreichen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Darüber hinaus machen wir etwas für die überbetrieblichen Ausbildungsstätten. Die überbetrieblichen Ausbildungsstätten liefern genau dort einen Mehrwert, wo Betriebe entsprechende Fertigkeiten und Fähigkeiten nicht vermitteln können. Bei der Förderung dieser überbetrieblichen Ausbildungsstätten ist im Haushaltsentwurf ein Aufwuchs von 25 Prozent vorgesehen. Auch das ist ein Ergebnis unserer Beratungen, ein Ergebnis, worüber wir uns freuen können. Die Begabtenförderwerke assoziiert man gemeinhin mit Studienförderwerken, aber es gibt Begabtenförderung auch sehr erfolgreich in der beruflichen Bildung und beruflichen Weiterbildung. Im Haushalt haben wir einen Aufwuchs von 7 Prozent. Ich komme noch zu einer anderen Zahl: Wenn wir über Internationalisierung und Gleichwertigkeit im akademischen Bereich reden, dürfen wir den beruflichen Bereich nicht außen vor lassen. Auch dort gibt es einen Mittelaufwuchs von 15 Prozent. Von unserem Antrag sind also genau die richtigen Signale ausgegangen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Einen Punkt müssen wir noch in den Blick nehmen – auch das ist im Antrag beschrieben –: die Berufsschulen. Der Kollege von der SPD freut sich. Vielleicht wird der Punkt nachher auch noch von der SPD erwähnt. Wir sind uns aber völlig einig – ich glaube, im ganzen Haus –, dass wir für die Berufsschulen mehr tun müssen; (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Bernhard Kaster [CDU/CSU]) denn sie haben in den Ländern oft nicht den Stellenwert, der ihnen eigentlich zustände. Da wird uns sicherlich noch irgendetwas Gutes einfallen, was wir hier im Deutschen Bundestag auf den Weg bringen können, um die Qualität an den Berufsschulen nicht nur sicherzustellen, sondern sie auch dort, wo es nötig ist, ganz gezielt zu erhöhen. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Bei den Berufsschulen, den überbetrieblichen Ausbildungsstätten, geht es vor allen Dingen um Qualität. Wenn ich an Qualität im internationalen Maßstab denke, dann fallen mir die WorldSkills ein, die Berufsweltmeisterschaften. Sie sind nicht nur deswegen gut, weil sie vor zwei Jahren in meiner Heimatstadt Leipzig stattgefunden haben. In diesem Jahr haben sie in São Paulo stattgefunden. Dort haben 1 200 junge Leute aus 50 Ländern in 59 Disziplinen miteinander gewetteifert, wer der Beste ist. Ich finde, dass wir den Drive der WorldSkills nutzen sollten, um etwas für Exzellenz im Bereich der beruflichen Bildung und Weiterbildung zu tun. Wir haben, um ein Bild zu verwenden, einen super Breitensport, aber im Spitzensport fehlt noch etwas. Ich will mich gerne mit Ihnen in Zukunft für mehr Exzellenz in der beruflichen Bildung einsetzen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächste hat Dr. Rosemarie Hein, Fraktion Die Linke, das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Feist, Ihre Fröhlichkeit kann ich nicht teilen. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist schade! Würde Ihnen gut stehen!) Sie haben hier zum Beginn des neuen Ausbildungsjahres eine Haushaltsrede gehalten. Ich will über andere Zahlen reden. Im vergangenen Jahr gab es in der beruflichen Bildung bekanntlich einige Sorgen. Sie haben die Sorgen durchaus geteilt; zum Teil hatten wir sie gemeinsam. Auch aus diesem Grund hat sich die Allianz für Aus- und Weiterbildung, in der Unternehmerverbände, Gewerkschaften, Bundesagentur für Arbeit, Bund und Länder vertreten sind, zusammengesetzt, um Lücken zu schließen. Es wurde ein umfangreicher Maßnahmenkatalog verabschiedet, der zum Teil schon in diesem Ausbildungsjahr umgesetzt werden sollte. Ich will mich nur mit zwei der Maßnahmen befassen: Erstens. Angesichts der hohen Zahl unversorgter Bewerberinnen und Bewerber sollten der Bundesagentur für Arbeit 20 000 zusätzliche Ausbildungsstellen gemeldet werden. Das hielten wir für zu wenig. Wir haben auch bezweifelt, dass es zu schaffen ist. Nun hat die DGB-Jugend am 1. September einen Bericht auf Basis der Zahlen der Bundesagentur vorgelegt, aus dem hervorgeht, wie es im Monat August aussah. Fakt ist: Zur Erreichung des Ziels von 20 000 zusätzlichen Stellen fehlten einen Monat vor Ausbildungsbeginn noch 15 000 Stellen. Nun werden Sie sicherlich sagen: Warten Sie mal ab, der 30. – – (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ich höre zu! Ich sage gar nichts!) – Ich weiß doch, was Sie denken. So gut ist das schon. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das wusste man in der DDR schon immer!) – Das war jetzt eine Bemerkung, die Sie sich gut hätten schenken können. (Beifall bei der LINKEN) Sie werden also einwenden, dass am 30. September abgerechnet wird und bis dahin noch Zeit ist. Aber es ist ja wohl nicht anzunehmen, dass man 15 000 Stellen in einem Monat schafft, wenn man in acht Monaten nur 5 000 geschaffen hat. Vielmehr ist festzustellen, dass es jetzt noch weniger Betriebe als im vergangenen Jahr gibt, die ausbilden. Die Zahl der unbesetzten Ausbildungsplätze – es sind immerhin 123 000 bundesweit – ist hoch; aber mehr als doppelt so viele Ausbildungsplätze werden noch gesucht, nämlich über 300 000. Es ist also zu befürchten, dass dieses wichtige Ziel der Allianz schon im ersten Jahr nicht erreicht wird. Zweitens. Die Allianz wollte die soziale Chancengleichheit beim Zugang zur Ausbildung verbessern. Dazu wurde die Möglichkeit der assistierten Ausbildung geschaffen und im SGB III verankert. Es gab dazu Modellprojekte, in denen sehr gute Erfahrungen gesammelt wurden. Nun lasse ich mal beiseite, dass dafür die Bedingungen im SGB III verschlechtert worden sind; es bleibt trotzdem ein gutes Instrument. Also habe ich mich in der Sommerpause umgehört, wie denn jetzt der Start gelungen ist. Ich habe mit Unternehmen, mit der Bundesagentur und mit Trägern geredet. Alle haben mir gesagt: Gute Idee, aber wir haben Schwierigkeiten bei der Umsetzung. 10 000 Plätze sollten geschaffen werden, 5 000 sind es in diesem ersten Jahr geworden, und nicht einmal die konnten besetzt werden. Es ist also offensichtlich schwierig, sowohl Betriebe als auch Jugendliche davon zu überzeugen, dass eine assistierte Ausbildung ihnen tatsächlich bei den Schwierigkeiten helfen kann, die sie sonst hätten, zum Beispiel ihre Ausbildung überhaupt anzutreten oder auch sie erfolgreich zu absolvieren. Vielleicht müssen wir bei unseren Anstrengungen noch etwas nachlegen. Vielleicht müssen wir überprüfen, ob die Instrumente überhaupt greifen. Vielleicht muss man sich die Konditionen noch einmal ansehen. Vielleicht muss man auch anders dafür werben. Vielleicht muss man den bürokratischen Aufwand überprüfen usw. Ich finde, man muss auch die Erfahrung der Träger, die in der Modellphase gut gearbeitet haben, nutzen. Ich verstehe überhaupt nicht, warum die Ausschreibungsbedingungen so gestaltet wurden, dass viele Modellträger aus der Modellphase keine Chance hatten, wieder den Auftrag zu bekommen. Ich finde, da müssen Sie etwas tun. Sie haben auch noch Zeit. Die nächste Ausschreibung endet am 5. November. Vielleicht können Sie da noch etwas nachsteuern. Verehrter Herr Dr. Feist, die Berufsschulen zu verändern und ihre Qualität zu verbessern, das finden wir auch wichtig; da sind wir uns einig. Ich muss Ihnen nur sagen: Das ist dummerweise nicht Aufgabe des Bundes; vielmehr unterliegt das der Länderhoheit. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das sagen sonst immer nur andere! Sie sonst nie!) – Das ist richtig. Ich würde da auch mitmachen. Aber Sie sind doch immer der Hemmschuh an dieser Stelle. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Warten Sie doch einmal ab!) – Schauen wir einmal, was Ihnen einfällt. Sie können natürlich auch eines machen, nämlich unserem Antrag heute zustimmen. Dann wären eine ganze Menge Probleme erledigt. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Rainer Spiering, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Rainer Spiering (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ich habe nachgeschaut: Vor fast genau einem Jahr, übrigens fast zur gleichen Zeit, habe ich an diesem Rednerpult gestanden und Bemerkungen zur universitären Lehrerausbildung gemacht. Ich möchte mich ausdrücklich beim Kollegen Feist bedanken, dass er den Ball aufgenommen hat und das Thema Berufsschule in den Fokus der CDU/CSU-Fraktion gerückt hat. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das steht schon im Antrag drin!) Auch ich möchte eindringlich begründen, warum das so eminent wichtig ist. Ich habe im letzten Jahr die Diskussion hier im Hause verfolgt und festgestellt – Frau Dr. Hein, auch Ihre Anmerkungen belegen das –, dass der Fokus hinsichtlich beruflicher Ausbildung häufig auf die Nachfrageseite, also auf die der Betriebe, gelegt wird. Wir sollten unseren Fokus aber deutlicher auf die ganz starke Seite dessen richten, was der Staat macht. Sie dürfen nie vergessen: Berufsausbildung der Jugend ist arbeitsmarktabhängig. Der Arbeitsmarkt kann dabei helfen, den Jugendlichen einen viel besseren Start ins Leben zu ermöglichen. Das ist eine Säule. Wir vertreten eine andere Säule – hinsichtlich der Zuständigkeit der Länder bin ich übrigens auch nicht Ihrer Meinung –: (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Ist aber so!) Staatliche Aufgabe ist die Berufsschulbildung. Wir haben übrigens, wenn ich auch das sagen darf, ein Berufsbildungsgesetz, und das ist Bundesangelegenheit. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Da kommen die Berufsschulen nicht vor!) – Wenn Sie möchten, dann können Sie gern eine Zwischenfrage stellen. Was die Unterstützung der Länder oder die Frage der Länderkompetenzen angeht, so möchte ich auf die „Qualitätsoffensive Lehrerausbildung“ eingehen, für die der Bund 500 Millionen Euro frisches Geld freigegeben hat. Darüber hatten nicht die Länder zu entscheiden. Vielmehr konnten sich die Universitäten bewerben. 500 Millionen Euro frisches Geld! Jetzt liegen die Ergebnisse vor. In 2 von 30 Bewerbungen der Universitäten geht es um Berufsschullehrerausbildung. Eine Bewerbung möchte ich herausgreifen, weil ich sie schon im letzten Jahr eingefordert habe: Die TU Berlin, die übrigens einen richtig guten Ruf hinsichtlich der Berufsschullehrerausbildung hat, verfolgt ein Projekt, bei dem es um Professions- und Forschungsorientierung in berufsbezogenen Lehramtsstudien geht. Das heißt, die TU Berlin geht auf die Metaebene und hinterfragt: Was passiert eigentlich in unserem Land? Das ist der richtige Ansatz. Nur wenn wir Forschungsergebnisse haben, auch sozialwissenschaftlicher Art, die sich am Beruf orientieren, können wir auch Antworten geben. Ich möchte deutlich machen, warum das für uns alle so wichtig ist. Wir sind ein Hightech-Land geworden. Wir haben in den letzten zehn Jahren im Forschungsbereich elementar viel erlebt und erreicht. Im Bereich Ingenieurwissenschaften haben wir einen Riesensprung nach vorne gemacht. Berufsschule leistet den Transfer dieser Erkenntnisse ins reale Leben. Dabei geht es um die Kernkompetenz. Berufsschullehrerausbildung beinhaltet nämlich Berufspädagogik, methodik und  didaktik, und zwar zehn Semester lang Es geht mir darum, diese Qualität, die wir ehemals vorzeigbar weltweit gehabt haben, wieder zu erreichen. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Das bedeutet, dass wir wesentlich elementarere Anstrengungen unternehmen müssen. Wir müssen unsere Universitäten auffordern, in diesem Bereich tätig zu werden. Das ist keine Ländersache, sondern universitäre Sache. Die Universitäten waren frei, sich zu bewerben. Daraus, dass zwei Universitäten den Zuschlag bekommen haben, kann man zwei Varianten ableiten. Erste Variante: Bei der Berufsschullehrerausbildung an den Universitäten ist die Welt so in Ordnung, dass es keinen Bedarf gibt. Zweite Variante, über die man auch mal nachdenken kann: Die Berufsschullehrerausbildung ist zurzeit nicht unbedingt im Fokus aller Universitäten. Wenn dem so sein sollte, dann ist es Aufgabe dieses Hohen Hauses, dies zu benennen und sich damit auseinanderzusetzen, und zwar sowohl mit den Mitteln der politischen Rede als auch mit den Mitteln eines Haushalts. Wenn ich Herrn Dr. Feist richtig verstanden habe, hat er den Ball vom vergangenen Jahr aufgenommen, und er erkennt gemeinsam mit der CDU/CSU-Fraktion die elementare und wichtige Bedeutung von Berufsschulen in unserem Land. Wenn wir uns in diesem Hohen Hause darüber einig sind, dann werden wir auch Mittel und Wege finden, um die Berufsschulen in Zukunft wesentlich stärker zu unterstützen, als wir das heute tun. Herzlichen Dank fürs Zuhören. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Beate Walter-Rosenheimer. Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Am 1. September hat ein neues Ausbildungsjahr begonnen – ein weiteres Jahr ohne Ausbildungsgarantie, ein weiteres Jahr, in dem junge Menschen in Deutschland keine Garantie auf einen Ausbildungsplatz haben. Diese Ausbildungsgarantie haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und von der Union, in Ihrem Koalitionsvertrag groß angekündigt. Heute wissen wir: Dieses Versprechen haben Sie nicht eingelöst. Auch in den kommenden Wochen werden deshalb wieder Hundertausende junger Menschen in den Maßnahmen des Übergangsdschungels landen. Das, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, ist für diese jungen Menschen eine herbe Enttäuschung und, wie ich finde, politisch untragbar. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sicher, im Bereich der Ausbildungspolitik hat sich einiges getan. Das haben wir auch gehört. Wir begrüßen zum Beispiel ausdrücklich, dass mit der assistierten Ausbildung – auch auf Druck der grünen Bundestagsfraktion – (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Oh! – Zuruf des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD] – Gegenruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Recht hat sie!) – das finde ich schon – ein sehr sinnvolles Instrument ausgebaut wird. Die bisherigen Schritte sind jedenfalls für eine Große Koalition und eine noch größere Allianz für Aus- und Weiterbildung ziemlich klein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Och!) – Ja, seien Sie doch nicht so verzagt! Wagen Sie doch einmal einen großen Wurf! Das wäre auch eine Möglichkeit. Der Zugang zu Bildung ist der Schlüssel zu echter gesellschaftlicher Teilhabe. Das wissen auch Sie. Ich denke, in diesem Punkt sind wir uns auch einig. Das gilt für diejenigen, denen das Lernen leichter fällt, und auch für diejenigen, die etwas mehr Zeit brauchen. Das gilt ganz besonders für die vielen jungen Menschen, die in diesen Tagen als Flüchtlinge zu uns kommen. Auch das ist ein Aspekt bei der beruflichen Bildung. Die Hälfte der Flüchtlinge, die jetzt bei uns ankommen und in Deutschland Sicherheit und Schutz suchen, sind unter 25 Jahre alt und brauchen Bildung und Ausbildung. (Beifall des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das sind nach Schätzungen allein in diesem Jahr etwa 400 000 bis 500 000 junge Menschen. Das stellt eine gewaltige Herausforderung für unser Bildungssystem dar und erfordert schnelles und entschiedenes Handeln. Denn eins ist klar: All diese jungen Menschen werden nicht einfach wieder verschwinden, auch wenn sich die CSU das scheinbar immer noch anders wünscht. Gerade Ihnen möchte ich sagen: Nehmen Sie doch einmal ernst, was Ihre Freunde bei den Industrie- und Handelskammern, beim Handwerk und den Arbeitgebern seit Monaten fast gebetsmühlenartig vortragen: Junge Flüchtlinge bringen Potenzial mit, sie sind wissbegierig, sie wollen lernen, sie wollen arbeiten. Gleichzeitig suchen viele Unternehmen händeringend nach Azubis und engagieren sich vorbildlich für Flüchtlinge. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, verdient auch großen Respekt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Von der Bundesregierung wird dieses große Engagement, wie ich finde, viel zu wenig unterstützt. Nehmen Sie einmal das Beispiel des Bleiberechts während der Berufsausbildung. Seit vielen Monaten fordern wir Sie gemeinsam mit den Sozialpartnern auf, dafür zu sorgen, dass Asylsuchende und Geduldete während der Ausbildung nicht mehr abgeschoben werden dürfen. Man kann kaum glauben, was Sie hier liefern. Schaffen Sie doch endlich eine anständige und rechtssichere Lösung! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das Gleiche gilt übrigens auch für den Zugang zu staatlicher Unterstützung während der Ausbildung. Junge Flüchtlinge sollen schnell in Ausbildung und Arbeit kommen. Das unterstützen wir voll und ganz. Wir fragen uns aber schon, warum Sie so wenig tun, wenn auch Sie dafür sind. Wir fordern Sie deshalb auf: Unterstützen Sie junge Flüchtlinge in der Ausbildung endlich ordentlich! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wer von Teilhabe und Integration spricht, liebe Kolleginnen und Kollegen, der darf über Bildung nicht schweigen. Lassen Sie Ihren schönen Worten also endlich handfeste Taten folgen! Und sorgen Sie dafür, dass auch junge Flüchtlinge die Hilfe bekommen, die sie für ihren Ausbildungserfolg brauchen; das ist menschlich geboten, das ist integrationspolitisch wichtig, und das ist auch volkswirtschaftlich sinnvoll. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass das duale System in Deutschland auch bei der Integration von Flüchtlingen sein großes Potenzial entfalten kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt Uda Heller. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Uda Heller (CDU/CSU): Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute findet zeitgleich der erste Bund-Länder-Sondergipfel zum Thema Flüchtlinge statt. Es ist mir daher ein besonderes Anliegen, der aktuellen Flüchtlingsproblematik auch in dieser Debatte zur Berufsbildung einen Platz einzuräumen. Unsere Ministerin, Frau Wanka, hat in der gestrigen Ausschusssitzung schon aufgezeigt, welch wichtige Impulse gesetzt werden sollen. So werden beispielsweise 1,2 Milliarden Euro aus dem Haushalt für Berufsorientierung und Potenzialanalysen eingesetzt. Davon sollen 500 000 Jugendliche und auch Flüchtlinge profitieren. Wir alle kennen die Folgen des demografischen Wandels. Mein Bundesland ist davon besonders betroffen: Sachsen-Anhalt soll bis zum Jahr 2060 rund ein Drittel seiner Bürger verloren haben. Meine Damen und Herren, diese Entwicklung spiegelt sich auch deutlich in unserem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt wider. Uns allen ist bekannt, dass Unternehmen seit Jahren den zunehmenden Mangel an Fachkräften und unzureichende Ausbildungsbewerber beklagen. Aus diesem Grund ist die deutsche Wirtschaft auf Zuwanderung angewiesen. Wir sollten diese dramatische Situation als Chance ansehen und unseren Flüchtlingen eine Perspektive geben. Gleichzeitig warne ich davor, zu hohe Erwartungen zu wecken. Die Mehrzahl der Jugendlichen hat keine Deutschkenntnisse und ist nicht auf dem Stand, um sofort in eine Ausbildung eingegliedert zu werden. Hier müssen wir eine Menge Unterstützungsarbeit leisten. Dazu sind wir als Koalition bereit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Problematisch ist auch, dass Jugendliche oft nicht an Ausbildungsstandorten bleiben, die sie als unattraktiv empfinden. Bei meinen Besuchen in gastronomischen Einrichtungen wird mir berichtet, dass Auszubildende aus dem Ausland ihre Ausbildungsstätten im ländlichen Raum häufig verlassen und in attraktivere Städte wechseln. Viele Unternehmen haben dies bereits erkannt und versuchen, durch wohnortnahe Ausbildung, durch Anschlussperspektiven und andere Anreize Auszubildende zu gewinnen. Hier denke ich beispielsweise an die Initiativen und Programme des Handwerks, der Siemens AG oder auch an die Ausbildungsprojekte der Deutschen Bahn für Migranten. Neben den großen gibt es auch zahlreiche kleine Unternehmen, beispielsweise den Fahrradhersteller MIFA in meiner Heimatregion. Auch dort will man versuchen, junge Flüchtlinge über eine Berufsausbildung zu integrieren. Im Moment versuchen wir, eine Ausbildungsklasse für Fahrradmonteure am Berufsschulstandort zu bilden. Besonders freue ich mich auch über die kürzlich unterzeichnete Erklärung aller 14 Partner der Allianz für Aus- und Weiterbildung. Sie enthält zahlreiche Maßnahmen, damit Flüchtlinge schnellstmöglich in Bildung, Ausbildung oder Beschäftigung kommen. Hierfür müssen sich Bund, Länder, Wirtschaft, Gewerkschaften und natürlich die Agentur für Arbeit intensiv abstimmen und vernetzen. Meine Damen und Herren, ich denke, wir sind uns alle einig, wenn ich sage, dass „Menschen in Sprache und Arbeit zu bringen … der Schlüssel zum Integrationserfolg“ ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Bundesregierung hat durch zahlreiche Maßnahmen bereits viel erreicht, um Flüchtlingen den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern. Zum Beispiel haben wir das Gesetz zur Aufhebung des Arbeitsverbotes für Asylsuchende und Geduldete verabschiedet. Seit dem 1. August 2015 sind Geduldete, die eine qualifizierte Berufsausbildung aufnehmen wollen, für die Dauer der Ausbildung vor einer Abschiebung geschützt. Auch die Wartefrist für die Aufnahme einer Beschäftigung wurde auf 3 Monate gekürzt, und nach 15 Monaten entfällt auch die Vorrangprüfung. Die Aufnahme von Praktika sowie der Zugang zu ausbildungs- und berufsbegleitenden Maßnahmen für junge Asylsuchende und Geduldete wurde erleichtert. Dass sich jedes Engagement für die duale Ausbildung lohnt, zeigt sich beispielsweise daran, dass nach Zeiten sinkender Ausbildungszahlen im Handwerk nun ein Anstieg der Zahl der Lehrverträge verzeichnet werden kann. Wenn der Anstieg auch nicht allzu hoch ist, so sind auch 2 Prozent etwas. In den ostdeutschen Ländern sind es sogar 4,3 Prozent mehr als im Vorjahr. Einen wichtigen Schritt in Richtung Gleichwertigkeit beider Bildungssäulen sind wir kürzlich gegangen, indem wir die Leistungen nach dem AFBG deutlich verbessert und so das Meister-BAföG erhöht haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Mit unserem Antrag wollen wir die Qualität und Attraktivität der Berufsausbildung weiter stärken und junge Menschen im Ausbildungssystem unterstützend begleiten, egal ob Deutsche oder Migranten. Lassen Sie uns diesen Weg gemeinsam gehen. Ich lade Sie herzlich ein, unserem Antrag zuzustimmen und die Gleichwertigkeit beider Bildungssäulen zu befürworten. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erhält jetzt der Kollege Willi Brase, SPD-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Willi Brase (SPD): Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unser gemeinsamer Antrag zur Durchlässigkeit und Gleichwertigkeit der beruflichen und der akademischen Bildung zeigt sehr deutlich Wege auf, wie wir dies Zug um Zug auch im Sinne von Qualität nach vorne bringen werden. Wenn man sich die berufliche Bildung und die hochschulische Bildung anschaut – auch das, was wir im Bachelor-Bereich mittlerweile an vielfältigen Ordnungen haben –, dann sieht man, dass die berufliche Bildung einen Vorteil hat, nämlich den, dass die Ordnungen der über 320 Ausbildungsberufe eine bundesweite Gültigkeit haben. Diese bundesweite Gültigkeit sollten wir erhalten und weiter unterstützen. Das ist ein positives Merkmal. Um die Durchlässigkeit kümmern wir uns. Das haben wir mit den Ländern verabredet und beschlossen. Es gibt nach wie vor diese zwei wunderbaren Wege für die jungen Leute, um bis ganz nach oben zu kommen. Das wird auch in unserem Antrag deutlich. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ein zweiter Punkt, den ich ansprechen möchte – er ist auch schon von Vorrednern dargestellt worden –, ist die Situation mit den Flüchtlingen. Ich glaube, dass wir ein großes und gutes Instrumentarium haben, um die jungen Flüchtlinge, deren aufenthaltsrechtlicher Status geklärt ist, sozusagen in Qualifizierung zu nehmen. Ich möchte hier für die Einstiegsqualifizierung verbunden mit Sprachkursen als ein wesentliches Mittel werben. Bei der Einstiegsqualifizierung können junge Leute ein Stück weit praktisch arbeiten und gleichzeitig Sprachkurse machen; dies orientiert sich an einer Ordnung der dualen Ausbildung. Wenn wir das in der Allianz mit den Arbeitgebern, mit den Unternehmen, mit den Organisationen und mit den Arbeitgeberverbänden gemeinsam hinbekommen, machen wir etwas sehr Gutes und Sinnvolles für die jungen Flüchtlinge in unserem Land. Dafür möchte ich sehr herzlich werben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ein weiterer Punkt ist sicherlich die Frage – das haben wir auch im Antrag formuliert –: Wie schaffen wir es, die Wege des Aufstiegs durch die duale Ausbildung stärker bekannt zu machen? Was haben wir an Fortbildungsordnungen? Ein Teil der Fortbildungsordnungen ist bundesweit geregelt. Wir haben auch vielfältige Ordnungen, die in den jeweiligen Industrie- und Handelskammern oder in den Handwerkskammern, sprich: in den zuständigen Stellen, verankert sind. Für mich bedeutet Qualität der dualen Ausbildung, diese Aufstiegsmöglichkeiten noch viel stärker als bisher in der Berufsorientierung, in der Berufsberatung deutlich zu machen, damit junge Leute wissen, welchen wunderbaren Weg sie über die duale berufliche Ausbildung gehen können. Das halte ich für richtig und notwendig. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Lassen Sie mich noch ganz kurz zwei Bemerkungen zur assistierten Ausbildung und zur Unterstützung der Bundesländer machen. Die assistierte Ausbildung wird von der Allianz ausdrücklich gefordert. Wir haben sie im Frühjahr dieses Jahres hier im Bundestag beschlossen. Man kann bemängeln, dass das noch nicht genug ist; aber wenn man sich die Verlautbarung der Allianz zur Betreuung und zur Unterstützung von jugendlichen Flüchtlingen anschaut, dann sieht man, dass dort die assistierte Ausbildung neben anderen Maßnahmen angeführt wird. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Aber die Betriebe machen nicht mit!) – Doch, auch die Betriebe machen mit. Schauen Sie sich in der Presse an, was derzeit von Unternehmen gesucht und was angeboten wird. Die Industrie- und Handelskammern nicht nur in meiner Region, sondern auch anderswo führen teilweise schon Kurse mit Flüchtlingen durch; Ehrenamtliche erteilen dort Sprachunterricht. Das bürgerschaftliche Engagement ist gewaltig. Es ist gigantisch, was dort abläuft, nicht nur in der direkten Betreuung, was Unterkunft, Kleidung und Essen angeht, sondern auch im Hinblick auf die Maßnahmen der Industrie- und Handelskammern. Da kann man nur Danke schön sagen, dass dies so schnell und unmittelbar vonstattengeht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Was die Berufsschulen angeht, Frau Kollegin Hein: Wir haben 2002 – damals in Anbetracht der Zinsersparnisse aufgrund der Versteigerung der UMTS-Frequenzen – ein Programm aufgelegt und den Ländern Mittel gegeben, um die sächliche, technologische Ausstattung der Berufskollegs zu verbessern. Das war ein sehr gutes Programm. Ich denke, auch da ist es richtig, wenn wir bei den Berufsschullehrern anfangen. Wir brauchen zur Qualitätssicherung gute Berufsschullehrer. Ich halte das, was Kollege Spiering, Kollege Feist und auch Sie gesagt haben, für richtig: Lassen Sie uns das gemeinsam machen! Frau Präsidentin, jetzt muss ich noch einen ganz kurzen Satz zitieren, wenn ich darf. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Aber wirklich einen kurzen. (Heiterkeit) Willi Brase (SPD): Es ist ein ganz kurzer Satz. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Es ist immer verdächtig, wenn jemand von kurzen Sätzen spricht. Willi Brase (SPD): Am Ende wird alles gut. Wenn es nicht gut wird, ist es noch nicht das Ende. In diesem Sinne: Glück auf! (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Ende dieses Tagesordnungspunktes angekommen. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 18/6040. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/4928 mit dem Titel „Prinzipien des deutschen Bildungswesens stärken – Gleichwertigkeit und Durchlässigkeit der beruflichen und der akademischen Bildung durchsetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4931 mit dem Titel „Ausbildungsqualität sichern – Gute Ausbildung für alle schaffen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4938 mit dem Titel „Mit einer echten Ausbildungsgarantie das Recht auf Ausbildung umsetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Niema Movassat, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Versöhnung mit Namibia – Gedenken an und Entschuldigung für den Völkermord in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika Drucksache 18/5407 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom Koenigs, Uwe Kekeritz, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Beziehungen zwischen Deutschland und Namibia stärken und unserer historischen Verantwortung gerecht werden Drucksache 18/5385 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Niema Movassat, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Niema Movassat (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zwischen 1904 und 1908 beging das Deutsche Kaiserreich in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, einen brutalen Völkermord. Bis zu 100 000 Menschen wurden damals ermordet. Es war Generalleutnant Lothar von Trotha, der damals den Vernichtungsbefehl gegen die Herero erteilte. Ich zitiere ihn: Gewalt mit krassem Terrorismus und selbst mit Grausamkeit auszuüben, war und ist meine Politik. Ich vernichte die aufständischen Stämme in Strömen von Blut … Die deutschen Truppen trieben daraufhin die Herero, darunter Alte, Frauen und Kinder, in die Wüste und ließen sie dort verhungern und verdursten. Die deutschen Kolonialherren steckten Herero und Nama in Konzentrationslager, deportierten sie und missbrauchten sie für rassistische, pseudowissenschaftliche Experimente. Die deutsche Wirtschaft zog Herero und Nama zur Zwangsarbeit heran. Doch nicht nur ihre Freiheit, sondern auch ihr Land und ihr Vieh wurden ihnen geraubt. Dies alles ist über 100 Jahre her. In diesen über 100 Jahren hatte kein einziges deutsches Staatsoberhaupt den Mumm und den Anstand, das Wort „Völkermord“ in den Mund zu nehmen und offiziell um Vergebung zu bitten. Ich finde das beschämend. (Beifall bei der LINKEN) Erst in den letzten Jahren bewegte sich endlich etwas: 2004 entschuldigte sich die ehemalige Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul im eigenen Namen erstmals für die Verbrechen. Seit dem letzten Jahr führt das Auswärtige Amt einen Dialog mit der namibischen Regierung, in dem es die Definition „Völkermord“ endlich anerkannt hat. In diesem Jahr schließlich, zum 100. Jahrestag des Endes der deutschen Kolonialherrschaft im damaligen Deutsch-Südwestafrika, hat Bundestagspräsident Lammert unmissverständlich von Völkermord gesprochen. Das alles ist sehr zu begrüßen. (Beifall bei der LINKEN) Zwei wesentliche Schritte zu einer echten Versöhnung mit Namibia stehen aber noch aus: Erstens eine offizielle Entschuldigung durch den Bundespräsidenten und die Bundeskanzlerin, am besten im Rahmen eines Besuchs in Namibia, bei dem vor den Nachfahren der Opfer um Vergebung gebeten wird. (Beifall bei der LINKEN) Einige denken vielleicht: Das ist so lange her. Warum müssen wir uns jetzt noch entschuldigen? Es hat etwas mit Anstand zu tun, die Verbrechen der eigenen Vorfahren beim Namen zu nennen und um Vergebung dafür zu bitten. Das gehört zu einem anständigen Verhalten dazu. (Beifall bei der LINKEN) Zweitens – und das ist sehr bedeutsam – leiden die Nachfahren der Opfer bis heute an den Folgen des damaligen Völkermordes und insbesondere des Land- und Viehraubs. Noch heute sind fast 80 Prozent ihres ursprünglichen Farmlandes in der Hand von Weißen. Die Nachfahren der Opfer sind bitterarm und haben keine wirtschaftliche Grundlage für ein menschenwürdiges Leben. Deshalb ist es notwendig, dass wir auch über eine Wiedergutmachung diskutieren. (Beifall der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) Dabei geht es nicht um individuelle Entschädigungen, sondern darum, strukturelle Nachteile auszugleichen. Es geht darum, diejenigen, deren Vorfahren Land und Vieh genommen wurden und die deshalb bis heute in bitterer Armut leben, zu unterstützen. (Beifall bei der LINKEN) Die Bundesregierung sollte diese Fragen in einem transparenten und ergebnisoffenen Dialog mit der namibischen Regierung und den Nachfahren der betroffenen Volksgruppen diskutieren. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass es dem internationalen Ansehen der Bundesrepublik schaden würde, wenn diese Dinge erst vor internationalen Gerichten landen müssten – egal wie die Entscheidung dann ausgeht. Lassen Sie uns endlich die richtigen Schritte gehen. Der Völkermord wird jetzt von der Bundesregierung auch als solcher bezeichnet. Nun muss die Entschuldigung folgen, und der Dialog über Wiedergutmachung muss beginnen. Ich finde es übrigens bedauerlich, dass die Regierungskoalition bisher keinen eigenen Antrag zu diesem Thema hier vorgelegt hat. Insbesondere von der SPD bin ich enttäuscht; denn in der letzten Legislatur haben Sie noch einen recht vernünftigen Antrag mit der Unterschrift des heutigen Außenministers Steinmeier vorgelegt. Wir müssen endlich gemeinsam eine Lösung finden und dafür sorgen, dass Deutschland seiner kolonialen Vergangenheit offen ins Auge blickt. Das sind wir den Nachfahren der Opfer schuldig. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Professor Dr. Egon Jüttner, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Während der deutschen Kolonialzeit zwischen 1884 und 1915 sind in Deutsch-Südwestafrika die Menschenrechte schwer verletzt worden. Den traurigen Höhepunkt stellt die brutale Niederschlagung des Aufstandes der Herero, der Nama und der Damara dar, in deren Folge Zehntausende Menschen auf grausamste Weise umkamen. Als im August 1904 der Aufstand der Herero niedergeworfen wurde, floh der größte Teil von ihnen in die fast wasserlose Kalahari-Wüste, wo sie mitsamt ihren Frauen und Rinderherden verdursteten. Von rund 80 000 bis 100 000 Hereros im Jahre 1904 lebten 1911 nur noch 15 130. Die verbrecherische und menschenverachtende Vorgehensweise bei der Niederschlagung der Revolte der Herero war bezeichnend für die Denkweise der damals Verantwortlichen. Gefangene Herero und Nama wurden von den Deutschen in eigens für sie errichtete Konzentrationslager gebracht, in denen nicht einmal die Hälfte der Gefangenen überlebte. Die Verurteilung der damaligen Ereignisse ist parteiübergreifend. So wurden sowohl im Jahre 1989 unter der von der CDU/CSU geführten Bundesregierung als auch im Jahre 2004 unter der sozialdemokratisch geführten Regierung weitreichende Anträge beschlossen, die das deutsch-namibische Verhältnis betreffen. In diesen Anträgen bekennen sich die Antragsteller zu Schuld und Verantwortung und stehen nach wie vor dazu. Meine Damen und Herren, diese parteiübergreifenden Bekenntnisse machen deutlich, dass sich die Bundesrepublik Deutschland der historischen Verantwortung Deutschlands für die Ereignisse im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika bewusst ist, zu ihrer Verantwortung steht und deshalb besondere Beziehungen zu Namibia pflegt. Integraler Bestandteil, tragende Säule und Ausdruck der besonderen Beziehungen zwischen Namibia und Deutschland ist dabei die Entwicklungspolitik. Erwähnt sei die seither gezahlte Summe der deutschen Entwicklungshilfe, die etwa 800 Millionen Euro beträgt. Damit ist Namibia nicht nur afrikaweit Spitzenreiter deutscher Zuwendungen pro Einwohner, sondern auch das Land, das von Deutschland weltweit die höchste Entwicklungshilfeleistung pro Einwohner erhält. Im Rahmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit werden Fachkräfte entsandt und beispielsweise für den Transportbereich Ausbildungsprogramme erarbeitet. Das Straßennetz wird verbessert. Bisher wurden etwa 1 000 Kilometer Straßen mit deutscher Unterstützung gebaut oder erneuert. Im Jahre 2007 wurde außerdem die deutsch-namibische Sonderinitiative begonnen, für die Deutschland 31 Millionen Euro bereitgestellt hat. Mit diesen Mitteln werden Maßnahmen der Kommunalentwicklung in den Siedlungsgebieten derjenigen Volksgruppen finanziert, die unter der deutschen Kolonialherrschaft besonders gelitten haben. Im kulturellen Bereich – um nur ein weiteres Beispiel zu nennen – gibt es ebenfalls eine gute Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Namibia. Das bilaterale Kulturabkommen zwischen beiden Ländern umfasst weitreichende Kooperationen in den Bereichen Hochschule, Sprachförderung, Medien, Film, Literatur und Sport. Meine Damen und Herren, es ist wohl unbestritten, dass das, was vor 111 Jahren in Namibia geschehen ist, nach heutigen Maßstäben des Völkerrechts als Völkermord bezeichnet wird. Die Rechtsnorm des Völkermords wurde allerdings erst 1948 geschaffen, sodass ein Rückbezug nicht möglich ist und Rechtsansprüche daraus auch nicht hergeleitet werden können. Dennoch gibt es seit dem 2. Juni 2014 – das muss man betonen – zwischen dem deutschen Außenminister und der namibischen Außenministerin einen politischen Dialogprozess, der einen gemeinsamen Beitrag dazu leisten soll, die Fragen der Kolonialzeit zu überwinden und eine würdige Kultur des Gedenkens und Erinnerns an die damaligen Gräuel zu finden. Die Gespräche verlaufen, wie aus dem Auswärtigen Amt zu hören ist, sehr gut, sind aber noch nicht abgeschlossen. Diesem Prozess und seinem Ergebnis sollten wir jetzt nicht durch Beschlüsse des Bundestages vorgreifen. Vielmehr sollte erst der zwischen den beiden Regierungen gefundene Konsens abgewartet und danach im Deutschen Bundestag diskutiert werden. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächster hat jetzt der Kollege Tom Koenigs, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind uns also hier im Hause einig: Das war Völkermord. Es war der erste Völkermord im 20. Jahrhundert, und es war einer, bei dem wir Schuld auf uns geladen haben. Generalleutnant von Trotha, der damals Verantwortliche, sagte: Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero, mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh, erschossen. Ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auf sie schießen. Das erfüllt den Tatbestand der wissentlichen und gewollten Ausrottung dieses Volkes. Jetzt kann man sagen: Das ist lange her, wir sind uns einig, und wir haben eigentlich schon alles gemacht. – In anderen Versöhnungsprozessen zwischen Ländern, in denen schwerste Verbrechen verübt worden sind – aktuell gerade in Kolumbien –, fordern die Opfer immer Wahrheit, Gerechtigkeit, Entschädigung und die Garantie der Nichtwiederholung. Wir müssen uns schon fragen, wie weit die Wahrheit über die koloniale Verantwortung Deutschlands in unseren Schulen bekannt ist. Wissen wir, dass zum Beispiel im Wettlauf um Afrika der damalige Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Bernhard von Bülow, sagte: Wir wollen niemanden in den Schatten stellen, aber wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne. Das war unsere Sonne, nicht die Sonne in Afrika. Wissen wir auch, dass zum Beispiel August Bebel in diesem Hause an dieser Stelle vehement gegen den Kolonialismus polemisiert hat? (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau! Liebknecht auch!) Das ist weitgehend nicht bekannt. Das gehört aber zur Wahrheit. Das muss in die Schulen. Der zweite Punkt ist Gerechtigkeit. Wie kann man den Nachkommen der Opfer Gerechtigkeit angedeihen lassen? Ich glaube, da ist sehr vieles nötig: das Anerkennen der Schuld, etwa in einer Resolution dieses Bundestages, die Bitte um Entschuldigung, auch durch eine Resolution dieses Bundestages, aber vor allem die Wiederherstellung der Würde der Opfer. Deshalb muss man die Nachkommen der Opfer anhören, und zwar auf Augenhöhe. Das ist sehr schwierig. Da gibt es aber ein paar Dinge, zum Beispiel die Rückgabe der Schädel, an die man übrigens auf scheußliche Weise gekommen ist und die angeblich zu wissenschaftlichen Zwecken – das waren fadenscheinige Gründe – hierhergeschickt worden sind. Aber es gibt auch andere Dinge, etwa Austausch oder Zusammenarbeit. Dann kommt der schwierige Punkt Entschädigung. Was kann das sein? Richtig: Es geht nicht darum, jedem Nachkommen oder jedem, der behauptet, ein Nachkomme zu sein, 1 000 Euro in die Hand zu drücken. Aber eines ist ganz offensichtlich: Wer schon einmal in Namibia war, der weiß, dass es in Namibia eine fast perfekte Rassentrennung gibt. Von den wunderschönen Loggias gehört keine einzige einem Schwarzen. Sie finden in den Restaurants in Windhuk keinen einzigen weißen Kellner und keinen einzigen schwarzen Gast. Sie finden in den Slums in Namibia keinen einzigen Weißen. Das kann doch kein Zufall sein. Ich glaube, da müssen wir ansetzen. Wir müssen sehen: Da ist noch einiges im Argen. Das ist Rassismus, wenn auch nicht so aggressiv wie damals in Südafrika, den es anzugehen gilt. In diese Richtung müssen wir unsere Initiativen lenken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das darf nicht durch entwürdigenden Paternalismus geschehen oder in der Art: Wir wissen schon, wie es geht. Vielmehr muss dies mit der Bevölkerung, auch mit der armen Bevölkerung des Landes geschehen und auch mit Kritik an der reichen, der weißen Bevölkerung, die das immer hintanstellt. Ich glaube – das hat Professor Jüttner richtig gesagt –, wir brauchen eine ganz besondere Beziehung zu der Republik Namibia. Diese Beziehung muss so besonders und so intensiv wie mit anderen Staaten sein, deren Angehörige wir zu Opfern gemacht haben. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau!) Ich würde mich freuen, wenn sich das auf allen Ebenen unseres Staates und auch in diesem Parlament ausdrücken würde. Danke sehr. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt die Kollegin Dagmar Freitag, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dagmar Freitag (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute Abend schon einiges über die deutsche Kolonialherrschaft in Deutsch-Südwestafrika, wie es damals hieß, gehört. Ohne Zweifel gehört dieses Kapitel zu den ganz dunklen in der deutschen Geschichte. Natürlich – ich denke, darin sind wir uns hier alle einig – ist es an der Zeit, eine politische und moralische Verantwortung für die Gräueltaten an den Herero, den Nama und Angehörigen weiterer Volksgruppen zu übernehmen. Ich glaube, wir sind uns fraktionsübergreifend dieser nicht geringen, sondern sehr großen Verantwortung bewusst. Ebenso sind wir uns – Herr Kollege Koenigs, ich stimme Ihnen darin ausdrücklich zu – der Schuld bewusst, die die kaiserlichen Kolonialtruppen auf sich geladen haben, und ich wiederhole – auch wenn es heute Abend schon mehrfach festgestellt worden ist –: Der Vernichtungskrieg vor über 100 Jahren war ein Kriegsverbrechen, ja, es war auch Völkermord. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier nahm Mitte letzten Jahres mit seiner namibischen Amtskollegin Gespräche auf mit dem Ziel, dem deutsch-namibischen Dialogprozess neue Dynamik zu geben und endlich die ungeregelten Fragen aus unserer Vergangenheit aufzuarbeiten. Ziel dieses Dialoges ist es, gemeinsam – auf diesem Wort liegt die Betonung – eine angemessene und natürlich auch würdige Form des Gedenkens und des Erinnerns an die entsetzlichen Taten der Vergangenheit zu finden. Denn natürlich haben Deutschland und Namibia eine gemeinsame Vergangenheit, und diese muss auf der Basis des gegenseitigen Vertrauens aufgearbeitet werden. Ich glaube, die Initiative unseres Außenministers ist sehr dazu angetan, genau diese Basis des Vertrauens zu schaffen. (Beifall bei der SPD) Die ersten Gespräche verlaufen auf beiden Seiten sehr konstruktiv, aber – und das sollten wir nicht unterschätzen – sie werden ihre Zeit brauchen. Diese Zeit sollten wir ihnen, denke ich, geben. Denn Sorgfalt geht in dieser schwierigen Phase sicherlich vor Schnelligkeit. Wichtig ist aus unserer Sicht – auch das möchte ich erwähnen –, dass die namibische Seite mit abgestimmten Wünschen in die formellen Gespräche mit Deutschland hineingehen kann. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: Es gibt bereits einen eng abgestimmten Dialog auf Regierungsebene. Hinzu kommen – das werden auch die Kolleginnen und Kollegen aus der SADC-Parlamentariergruppe bestätigen können – ausgesprochen gute parlamentarische Beziehungen, nicht nur vonseiten der Präsidenten der beiden Parlamente, sondern auch vonseiten der Fraktionen des Hohen Hauses. Im Juni dieses Jahres leitete ich als Vorsitzende der SADC-Parlamentariergruppe eine Delegationsreise, die uns selbstverständlich auch nach Namibia führte; das war in der Gruppe von vornherein völlig klar. Wir hatten dort einen ausgesprochen intensiven Meinungsaustausch mit Abgeordneten sowohl der Regierungspartei als auch der Opposition und mit zahlreichen Vertretern der Regierung. Dies gilt es unbedingt aufrechtzuerhalten und, wo möglicherweise noch notwendig, vielleicht auch noch zu intensivieren. Denn wir dürfen eines nicht unterschätzen: All das, was in der Vergangenheit von deutscher Seite in Namibia geschehen ist, ist bis heute tief im geschichtlichen Bewusstsein der Menschen im Lande präsent. Das heißt, ein offener Diskurs zur deutschen Kolonialvergangenheit ist aus unserer Sicht unverzichtbar. Wir befürworten und unterstützen daher auch eine Vielzahl von Förderprogrammen im In- und Ausland, die an die Gewalttaten von damals erinnern. Ich will nur beispielhaft auf Maßnahmen des Auswärtigen Amtes wie die „Aktion Afrika“ oder das Kulturerhaltprogramm ebenso wie auf die Programme des Goethe-Instituts verweisen. In diesem Zusammenhang ist es für Sie sicherlich auch von Interesse, dass wir einem langgehegten namibischen Wunsch nachkommen, indem wir das Goethe-Zentrum in Windhuk in ein Goethe-Institut umwandeln und damit aufwerten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Nachgang des 100. Jahrestages der Schlacht am Waterberg und der bereits zitierten Äußerungen der damaligen Entwicklungsministerin Heidi Wieczorek-Zeul wurde die Sonderinitiative „Namibian-German Special Initiative Programme“ ins Leben gerufen. Diese Sonderinitiative hat das Ziel, durch mit der Bevölkerung abgestimmte Projekte die Lebensbedingungen in den Siedlungsgebieten derjenigen Volksgruppen zu verbessern, die in besonderer Weise unter der deutschen Kolonialherrschaft gelitten haben. Zurzeit läuft eine gemeinsame Auswertung dieser Initiative von namibischer und deutscher Seite. Eines wurde in unseren Gesprächen in Namibia ganz deutlich – die Kollegen werden das bestätigen können –: Eine Fortsetzung dieser Sonderinitiative über das Jahr 2015 hinaus würde begrüßt. Ich denke, wenn die Evaluierung positiv ist, werden wir uns fraktionsübergreifend – so ist es jedenfalls verabredet – dafür einsetzen, diese Initiative weiter zu verfolgen. Zum Schluss noch ein Wort zu den Anträgen der Kolleginnen und Kollegen der beiden Oppositionsfraktionen. Sie enthalten sehr viele richtige Ansätze und sinnvolle Impulse. Aber viele der von Ihnen angesprochenen Elemente sind ohnehin fester Bestandteil des laufenden Dialogprozesses. Ich sage ganz offen: Ich halte es für wenig sinnvoll, wenn in dieser sensiblen Phase der Gespräche durch Anträge möglicherweise eine Diskussion in Gang gesetzt wird, die nicht als ausgesprochen hilfreich bezeichnet werden könnte. Der Gedanke unseres Handelns sollte wie ein roter Faden die Versöhnung zwischen beiden Ländern sein. Das gilt für die Versöhnung zwischen den Ländern genauso wie für die innernamibische Versöhnung; denn nach Möglichkeit sollen – auch das ist wichtig – keine neuen innernamibischen Gräben aufgerissen werden. Wir sind auf einem wirklich guten Weg, unserer historischen Verantwortung gegenüber Namibia – ich sage ausdrücklich: endlich – gerecht zu werden. Daher begrüße ich natürlich, dass beide Länder im Rahmen des Dialogprozesses an einer gemeinsamen Zukunft arbeiten. Vergangenheit aufarbeiten bedeutet in der Konsequenz, Zukunft zu gestalten. Das ist der Weg unserer beiden Länder. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt Dr. Bernd Fabritius. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was vor nunmehr 111 Jahren im heutigen Namibia begann, ist sicher mehr als nur ein sehr trauriges Kapitel deutscher Kolonialgeschichte. Ein beachtlicher Teil der Historiker sowie letztlich die Aufzeichnungen der deutschen Kolonialherren selbst zeichnen ein brutales Bild des Grauens. Nachdem es zu einem Aufstand der unterdrückten Völker und des damaligen DeutschSüdwestafrikas kam, rächte sich die sogenannte deutsche Schutztruppe gnadenlos und rottete mit menschenverachtender Konsequenz beträchtliche Teile der Stämme aus. Im vergangenen April haben wir in einer anderen Debatte hier im Haus über das erbarmungslose Vorgehen des Osmanischen Reiches gegen die Armenier vor 100 Jahren gesprochen. Dabei wurde festgehalten, dass die UN-Völkermordkonvention, die erst 1951 in Kraft getreten ist, selbstverständlich hinsichtlich ihrer Rechtsfolgen nicht rückwirkend angewendet werden kann. Gleichzeitig haben wir aber einhellig bekräftigt, dass die in der Konvention enthaltene Definition von Völkermord keine zeitlich beschränkende Komponente beinhaltet. Deshalb haben wir damals klar gesagt, dass die an den Armeniern verübten Verbrechen den Tatbestand des Völkermordes erfüllen und daher selbstverständlich als Völkermord zu bezeichnen sind. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Lassen Sie es mich an dieser Stelle ganz klar sagen: Selbstverständlich muss bei Beurteilung der Verbrechen im damaligen DeutschSüdwestafrika derselbe Maßstab angelegt werden. Das Vorgehen der Kolonialtruppen unter dem berüchtigten General von Trotha erfüllt bei genauer Betrachtung und nach heutigen Erkenntnissen den gleichen Tatbestand und kann daher – so meine feste Überzeugung – ebenfalls als Völkermord bezeichnet werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bereits in besagter Debatte im April habe ich daran erinnert, dass eine wahrheitsgetreue, kritische Auseinandersetzung mit der jeweils eigenen Geschichte Grundlage jedweder Versöhnung ist. Ein solcher Aufarbeitungsprozess ist in Bezug auf die Verbrechen, die an den Herero, Nama und anderen Völkern verübt wurden, seit längerem im Gange. Das eindeutige Bekenntnis zur deutschen Verantwortung hat auch der Bundestag bereits 1989 und 2004 bekräftigt, was Sie, Herr Kollege Jüttner, schon zu Recht erwähnt haben. Nicht nur aus diesem Grund bin ich allerdings über den Zeitpunkt der Einbringung der Oppositionsanträge etwas verwundert. Auch die Kolleginnen und Kollegen der Grünen und der Linken müssten wissen, dass derzeit ein Dialogprozess zwischen Deutschland und Namibia in die entscheidende Phase geht, in dem gemeinsam eine ganze Reihe der von Ihnen zu Recht – das betone ich – vorgebrachten Punkte thematisiert werden. Am Ende dieser intensiv und erfreulich konstruktiv geführten Gespräche soll ein würdiges Gedenken, ein würdiges Erinnern an die damaligen Verbrechen gefunden werden. Es wäre äußerst unklug – hier teile ich ebenfalls die Meinung des Kollegen Jüttner –, den Ergebnissen dieses Dialogprozesses vorzugreifen. Ihre Anträge verwundern auch aus einem anderen Grund: Es gibt in Afrika nun wahrlich eine ganze Reihe akuter Probleme zu bewältigen. Von Somalia über Boko Haram bis hin zu den Nachwehen des sogenannten Arabischen Frühlings reicht die Bandbreite, um nur einige dieser Probleme zu nennen. In Europa wiederum stehen wir derzeit vor der größten Herausforderung für Staat und Gesellschaft seit Jahrzehnten. Die Asylkrise in Deutschland ist Symptom einer humanitären Katastrophe gigantischen Ausmaßes. Wir werden mit einer Völkerwanderung konfrontiert, auf die unser Asylrecht – als Individualanspruch für einzelne Personen und nicht für ganze Völker – nicht eingerichtet ist und die, wenn es so weitergeht, zu einem Kollaps staatlicher Systeme führen wird. Sie verweigern sich einer Realpolitik zu dieser Thematik, erschöpfen sich in Symbolpopulismus und beschäftigen uns mit solchen Anträgen, die nur eine weitere emotionale Betroffenheit befeuern sollen. Dem kann ich nicht zustimmen. (Beifall bei der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das sind schon böse Unterstellungen! Das sind sehr mutwillige Unterstellungen!) Was Sie in Ihren Anträgen leider auch ausblenden, auch wenn Sie, Herr Kollege Movassat, es vorhin zugegeben haben: Parallel zu dem angesprochenen Dialogprozess findet seit vielen Jahren gerade wegen der besonderen Verantwortung Deutschlands gegenüber Namibia eine ausgeprägte Entwicklungszusammenarbeit statt. Diese ist integraler Bestandteil der besonderen Beziehungen beider Länder, was auch im Umfang der deutschen Leistungen deutlich zum Ausdruck kommt: Bis zum Jahr 2014 belief sich das Volumen der Entwicklungszusammenarbeit auf insgesamt über 800 Millionen Euro. Ich bin der Bundesregierung sehr dankbar – damit komme ich zum Ende –, dass die bilateralen Beziehungen zu Namibia weiterhin so hohe Priorität genießen. Noch mehr freut es mich, dass in den vergangenen Jahren geradezu freundschaftliche Bande zwischen unseren beiden Ländern aufgebaut werden konnten. Gerade deshalb bin ich sehr zuversichtlich, dass der laufende Dialogprozess zeitnah und vor allem mit einem positiven Ergebnis im Sinne einer angemessenen Aufarbeitung abgeschlossen werden kann. Die Anträge der Opposition brauchen wir dazu nicht, erst recht nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Wir sind damit am Ende der Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/5407 und 18/5385 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner Drucksache 18/5901 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Für die Bundesregierung hat der Parlamentarische Staatssekretär Christian Lange das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Christian Lange, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist ein weiterer wichtiger Schritt hin zum Ziel der vollständigen Gleichstellung von Ehe und Lebenspartnerschaft. (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich dachte, es geht um Rechtsbereinigung!) In gleichgeschlechtlichen Partnerschaften werden Werte gelebt, die grundlegend für unsere Gesellschaft sind. Die Bundesregierung verfolgt daher das Ziel, bestehende Diskriminierungen von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften und damit eine unterschiedliche Behandlung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität in allen gesellschaftlichen Bereichen zu beenden. Dies umfasst insbesondere die Beseitigung rechtlicher Regelungen, die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften im Vergleich mit der Ehe schlechterstellen. Lebenspartnerschaften – in kaum einem anderen Bereich des Rechts dürfte es in den letzten Jahren einen so erheblichen und rasanten gesellschaftlichen Wandel und, damit verbunden, eine Änderung des Rechts gegeben haben. Diese Entwicklung dauert noch an. Erst seit dem 1. August 2001 können gleichgeschlechtliche Paare durch Begründung einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft ihrer Beziehung einen rechtlichen Rahmen geben, nicht einmal zehn Jahre nach der ersatzlosen Aufhebung der Strafandrohung in § 175 Strafgesetzbuch. Um die Schlechterstellung von Lebenspartnerinnen und Lebenspartnern zu beseitigen, wurden in der Folgezeit weitere Anpassungen, unter anderem im Steuerrecht und im Beamtenrecht, vorgenommen. Noch immer gibt es jedoch im deutschen Recht Vorschriften, in denen Ehe und Lebenspartnerschaft unterschiedlich behandelt werden, ohne dass dafür ein überzeugender Grund ersichtlich wäre, und genau das wollen wir ändern. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die Bundesregierung, meine Damen und Herren, hat nach der Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils zur Sukzessivadoption im letzten Jahr nunmehr den Entwurf eines Gesetzes zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner auf den Weg gebracht. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck? Christian Lange, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Nein, das gestatte ich nicht; denn ich bringe den Gesetzentwurf der Bundesregierung ein. (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten hier mal erläutern, warum da was drinsteht und anderes nicht!) Der Gesetzentwurf sieht gleichstellende Regelungen für Ehe und Lebenspartnerschaft in zahlreichen Gesetzen und Verordnungen aus ganz unterschiedlichen Rechtsgebieten vor. Die vorgeschlagenen Änderungen betreffen insbesondere das Zivilrecht, das Sozialrecht und das Verfahrensrecht. Ich möchte hervorheben, dass der Entwurf mehrere Änderungsvorschläge enthält, die durchaus sehr große praktische Auswirkungen entfalten, zum Beispiel die geplante Einführung einer Bescheinigung zur Begründung einer Lebenspartnerschaft im Ausland. Der Gesetzentwurf sieht die Möglichkeit der Ausstellung einer Bescheinigung für gleichgeschlechtliche Paare vor, die im Ausland eine Partnerschaft auf Lebenszeit begründen wollen. Die Behörden einiger Staaten verlangen nämlich eine Bescheinigung einer deutschen Behörde, dass der Begründung einer Partnerschaft auf Lebenszeit kein rechtliches Hindernis entgegensteht. Eine deutsche Bescheinigung ist daher notwendig. Ihre Einführung entspricht nicht nur dem Wunsch der Betroffenen; auch die deutschen Auslandsvertretungen haben einen entsprechenden Bedarf mitgeteilt. Als wichtigen Schritt auf dem Weg hin zur vollständigen Gleichbehandlung von Ehe und Lebenspartnerschaft sehe ich ferner, dass mit dem Inkrafttreten des Gesetzes eine Gleichstellung im gesamten Mietrecht erreicht wird. Dann wird nämlich beim Tod eines Mieters dessen Lebenspartner ein vorrangiges Eintrittsrecht in das Mietverhältnis zustehen. Nach derzeitigem Recht hat nur ein Ehepartner ein solches vorrangiges Eintrittsrecht. Sie sehen: Mit diesem Gesetzentwurf kommen wir auf dem Weg der vollständigen Gleichstellung der Lebenspartnerschaft mit der Ehe ein Stück weiter. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Ein Stück“ und „vollständig“! Die Formulierung ist ja kabarettreif!) Deshalb, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, bitte ich um Ihre Zustimmung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Harald Petzold, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr verehrte Besucherinnen und Besucher! Der vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner, wie er genannt wird, ist aus Sicht meiner Fraktion eine einzige Mogelpackung. (Beifall bei der LINKEN) Er täuscht etwas vor, was er im Endeffekt nicht einhält. (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er bereinigt!) – Na ja. Volker, du wirst uns nachher noch ganz genau erklären, was er bereinigt. – Ich sage: Man könnte es auch Betrug nennen. (Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD) Es ist bezeichnend, dass sich Herr Staatssekretär Lange als Vertreter eines SPD-geführten Bundesministeriums hier weigert, eine Zwischenfrage zu dem Gesetzentwurf zuzulassen, (Mechthild Rawert [SPD]: Ein bisschen auf dem Teppich bleiben! – Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Das ist jedermanns Sache! – Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann hätte er die Hosen runterlassen müssen!) weil nämlich die SPD im Wahlkampf versprochen hat: 100 Prozent Gleichstellung nur mit uns. (Mechthild Rawert [SPD]: Das wollen wir immer noch!) Jetzt wird wieder ein Gesetzentwurf vorgelegt, der nicht vollständig gleichstellt. Das ist ein Betrug an all denjenigen, die an die Umsetzung des Koalitionsvertrages glauben und auf das vertrauen, was dort zugesichert wird, dass nämlich bestehende Diskriminierungen von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften und von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität in allen gesellschaftlichen Bereichen beendet werden. (Mechthild Rawert [SPD]: Daran arbeiten wir noch!) Das wird mit diesem Gesetzentwurf nicht eingehalten. Ich frage Sie: Ist es Ihnen nicht peinlich, dass Sie die Umsetzung des Koalitionsvertrages nicht einmal von Ihrem SPD-geführten Bundesministerium einfordern, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD? (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bankrotterklärung!) An die Bundesregierung gerichtet, sage ich: Wir haben jetzt die Halbzeit der Wahlperiode. Sie feiern sich als Bundesregierung rauf und runter, (Zurufe von der CDU/CSU: Zu Recht!) aber kommen uns hier wieder mit einem Gesetzentwurf, den Sie noch dazu als großen Wurf feiern, der nicht gleichstellt – im Gegenteil. Sie schreiben ja selbst: Es handelt sich hierbei im Wesentlichen um redaktionelle Änderungen von Vorschriften von geringerer praktischer Bedeutung. Genau das ist es. (Mechthild Rawert [SPD]: Mietrecht ist nicht so ohne!) Die Bundesländer – wenigstens diejenigen mit Regierungsbeteiligung von SPD, Grünen und Linken – haben inzwischen begriffen, dass man das Problem mit einem einzigen Satz lösen könnte: der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Partnerschaften. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Genau das hat die Linke bereits im Dezember 2013 mit einem Gesetzentwurf vorgeschlagen, der seitdem im Rechtsausschuss zur Behandlung vorliegt, genauso wie es Bündnis 90/Die Grünen in diesem Sommer beantragt haben; ihr Gesetzentwurf liegt ebenfalls im Rechtsausschuss. Sie haben immer mit dem Verweis darauf, dass die Bundesregierung einen eigenen Gesetzentwurf einbringen wird, eine öffentliche Anhörung zu unseren Gesetzentwürfen verhindert oder verschoben, (Dr. Sabine Sütterlin-Waack [CDU/CSU]: Kommt doch jetzt!) und jetzt legen Sie hier einen solchen Witz vor. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das ist ja eine Sauerei!) Kommenden Freitag werden die Bundesländer uns wieder ins Stammbuch schreiben, was eigentlich verlangt wird, nämlich die volle rechtliche Gleichstellung. Die Länder Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein, Thüringen, Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen – alles Bundesländer, in denen die Linke, die SPD und die Grünen an der Regierung beteiligt sind – werden einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen. Brandenburg wird dem als neuntes Bundesland ebenfalls zustimmen. Damit ist die Mehrheit gesichert. Dieser Gesetzentwurf ermöglicht die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare durch Ergänzung des § 1353 des BGB. (Beifall bei der LINKEN) Wenn Sie hier im Bundestag die Abstimmung schon nicht freigeben, sodass jeder Abgeordnete nach seinem Gewissen abstimmen kann, dann nehmen Sie sich doch wenigstens ein Beispiel an dem Abstimmungsverhalten, das im Bundesrat gepflegt wird. Wenn sich dort eine Koalitionsregierung nicht einig ist, dann enthält sie sich. Enthalten Sie sich hier doch einfach der Stimme, wenn über die Gesetzentwürfe von Grünen und Linken abgestimmt wird! Dann reichen unsere Stimmen nämlich aus. Dann haben wir eine Mehrheit dafür, dass endlich gleichgestellt werden kann. Vielen Dank, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt Dr. Sabine Sütterlin-Waack. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner, den wir heute in erster Beratung lesen, ist ein weiterer wichtiger Schritt zur rechtlichen Gleichstellung von Ehegatten und Lebenspartnern; der Herr Staatssekretär hat das ausgeführt. Die Bundesregierung hat ein Artikelgesetz ausgearbeitet ähnlich dem Gesetz zur Anpassung steuerlicher Regelungen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das wir im letzten Jahr verabschiedet haben. (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür haben Sie gleich zwei Gesetze gebraucht, weil es im ersten Anlauf nicht geklappt hat!) Mithilfe des Gesetzes sollen Vorschriften verschiedenster Rechtsbehelfe angepasst werden, Vorschriften, in denen Ehegatten und Lebenspartner bislang unterschiedlich behandelt wurden. Gleich vorweg: Die gemeinsame Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare sowie die Öffnung der Ehe stehen heute nicht zur Debatte bzw. sind – wenig überraschend – nicht Regelungsgegenstand des vorliegenden Gesetzentwurfs. (Mechthild Rawert [SPD]: Was nicht ist, kann ja noch kommen!) Der Entscheidungsfindung mit Blick auf diesen Gesetzentwurf und einige andere Gesetzentwürfe wird sicherlich die öffentliche Anhörung am kommenden Montag dienen. Dem Kenner der Materie wird nicht entgangen sein, dass uns vor einigen Monaten ein Artikelgesetz, eingebracht von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, vorgelegt wurde, das eine höhere Anzahl an zu verändernden Gesetzen zum Inhalt hat. Aus diesem quantitativen Unterschied lässt sich nun aber wirklich nicht der Schluss ziehen, die Regierungskoalition wolle weitere Ungleichheiten bewusst aufrechterhalten. Das wäre falsch. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Fast alle im vorliegenden Gesetzentwurf ungeregelten Angleichungen werden auf andere Art und Weise reguliert, teils durch Wegfall, teils durch grundlegende Überarbeitung der entsprechenden Gesetze. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin, der Kollege Beck möchte Ihnen eine Frage stellen. Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU): Ich folge der Tradition des Staatssekretärs und möchte diese Frage nicht zulassen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Der Kollege Beck hat danach auch noch das Wort. (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil die Koalition nicht in der Lage ist, ihren Gesetzentwurf zu verteidigen!) Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU): Heute geht es überwiegend um redaktionelle Änderungen von Vorschriften des Zivil- und Verfahrensrechts sowie des sonstigen öffentlichen Rechts. So sieht der Gesetzentwurf gleichstellende Regelungen unter anderem in der Insolvenzordnung, im Bereich der Vollstreckung, im Bundesvertriebenengesetz sowie in vielen anderen Gesetzen und Verordnungen vor. Konkret heißt es zum Beispiel, dass die Vorschriften bezüglich der Insolvenzmasse nicht nur für die ehelichen Partner, sondern auch für die Gütergemeinschaft der Lebenspartner gelten. Darüber hinaus wird geregelt, dass ein eingetragener Lebenspartner gegenüber seinem Partner nun auch die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung beantragen kann, allerdings nur, wenn diese der Aufhebung der Miteigentümergemeinschaft dient und Kinder sonst in Mitleidenschaft gezogen werden würden. Ansprüche aus dem Bundesvertriebenengesetz können dem Gesetzentwurf folgend jetzt nicht nur durch Ehegatten, sondern auch durch die eingetragenen Lebenspartner geltend gemacht werden. In einigen wenigen Fällen gab es sogar Besserstellungen der Lebens- gegenüber den Ehepartnern. (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Quatsch!) Auch diese werden nun beseitigt. So wird künftig nicht nur die Begründung der doppelten Ehe, sondern auch die Eingehung der doppelten Lebenspartnerschaft strafbar sein. Wir beraten also heute keine spektakulären, aber dennoch wichtige Änderungen. (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können Sie das Frau KrampKarrenbauer gleich durchgeben?) Besonders hervorheben möchte ich die Änderung im Personenstandsgesetz sowie die Änderung im BGB im Bereich des Mietrechts. Im Personenstandsgesetz ist ein bisher wichtiger Sachverhalt nicht geregelt, nämlich das Ausstellen von Ehefähigkeitszeugnissen für diejenigen, die im Ausland eine Partnerschaft auf Lebenszeit mit einem gleichgeschlechtlichen Partner begründen wollen. Bisher war das Ausstellen solcher Zeugnisse den Ehewilligen vorbehalten. Eine derartige Bescheinigung ist in einigen Staaten eine Voraussetzung, um zu heiraten oder die Partnerschaft eintragen zu lassen. Deswegen ist die Neuregelung des § 39 a Personenstandsgesetz sehr zu begrüßen. Durch diese Vorschrift wird es dem zuständigen Standesamt künftig möglich sein, ein Äquivalent zum Ehefähigkeitszeugnis auszustellen. Wir haben es schon gehört: Eine weitere Änderung, die ich ausdrücklich erwähnen möchte, ist die Ergänzung im Mietrecht. Konkret: Jetzt können Lebenspartner genau wie Ehepartner nach dem Tod des alleinigen Mieters vorrangig vor den Kindern in den Mietvertrag eintreten. Wir gehen also mit dem vorliegenden Gesetzentwurf den seit 2001 beschrittenen Weg weiter, Lebenspartner und Ehegatten rechtlich gleichzustellen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Endlich! – Mechthild Rawert [SPD]: Jetzt sind wir aber neugierig!) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es war ein Beispiel für Feigheit vor der Wahrheit, wenn Koalitionsredner nicht Rede und Antwort stehen wollen zu der Frage (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Was wollten Sie denn fragen? Wir sind schon sehr gespannt!) – das will ich gerade sagen; vielleicht kann der Anschlussredner das aufklären –, warum bestimmte Regelungen in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung enthalten sind, inwiefern das Recht da bereinigt wird, wie es in der Überschrift des Gesetzentwurfs heißt, und warum andere Regelungen darin fehlen. Es ist ja nicht so, dass dieses Gesetz konkurrenzlos ist. Sie haben es erwähnt: Ein Gesetzentwurf meiner Fraktion, der tatsächlich Schluss machen würde mit allen Rechtsungleichheiten zwischen der Lebenspartnerschaft und der Ehe, liegt seit einem Jahr im Rechtsausschuss. Sehen wir einmal von dem Streit beim Adoptionsrecht ab, bleiben trotzdem noch einige Fragen offen: Warum werden die Schutzrechte im Transsexuellengesetz, die für Ehegatten gelten, nicht auf Lebenspartner übertragen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Petzold (Havelland) [DIE LINKE]) Warum wird bei der Einbürgerung des Lebenspartners eines Spätaussiedlers – das interessiert vielleicht Herrn Fabritius – ein anderes Recht angewandt, als wenn beide verheiratet wären? (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Welches Defizit haben homosexuelle Menschen, dass beim Sprengstoffgesetz für Ehegatten und Lebenspartner ein anderes Recht gelten soll? (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unglaublich!) Haben Sie sich etwas dabei gedacht, oder haben Sie einfach den Überblick verloren? Dass Sie den Überblick verloren haben, mag schon sein. Wir haben im Mai nachgefragt, ob die Bundesregierung weiß, wie oft das Lebenspartnerschaftsrecht seit 2001 geändert wurde. Die Bundesregierung konnte das nicht sagen. Mittlerweile wissen die Ressorts nicht mehr, wann und wo sie etwas angeglichen haben oder wo sie bei einer Reform etwas vergessen haben, was hinterher wieder angeglichen werden muss. Das zeigt: Das Herumdoktern am Lebenspartnerschaftsgesetz sollte ein Ende haben. Nehmen Sie sich an der großen Zahl der Länder ein Beispiel, und öffnen Sie die Ehe! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das wäre ein Beitrag zur Entbürokratisierung, und das würden die Menschen verstehen. Wie wollen Sie eigentlich den vielen Menschen, die gerade zu uns kommen, erklären, was den Gesetzgeber getrieben hat, ein Lebenspartnerschaftsgesetz zu verabschieden, und was es beinhaltet? (Dr. Sabine Sütterlin-Waack [CDU/CSU]: Die Flüchtlinge haben andere Probleme!) Lassen Sie uns die Ehe öffnen. Jeder weiß, was darunter zu verstehen ist. Von Finnland bis Südafrika, von Kanada bis Argentinien gibt es die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Was läuft in diesem Land verkehrt, dass das bei uns nicht möglich sein soll? Frau Kramp-Karrenbauer, Ihre Parteivorsitzende im Saarland, hat kürzlich vor Publikum erklärt, worum es geht. Ja, es ginge um Bauchgefühl. – Ich sage Ihnen: Es wäre ganz schön, Frau Merkel kaufte sich einen Kamillentee, widmete sich der Besserung ihrer Stimmung im Bauch (Mechthild Rawert [SPD]: Magen!) und sagte auch bei diesem Thema: Ja, gleiche Rechte für Lesben und Schwule, Respekt vor der Verschiedenheit der Menschen. Wir schaffen das. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächster hat Alexander Hoffmann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Kollege Beck, ich habe Ihren Einwurf bezüglich der Flüchtlingssituation nicht so recht verstanden. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich schon!) Die Zuwanderungssituation stellt uns im Moment vor besondere Herausforderungen. Ich finde es wichtig, dass auch die Regierungskoalition keinerlei Zweifel daran lässt, dass die Menschen, die in diesen Tagen zu uns kommen, unser Rechtsgefüge, unsere Rechtsordnung akzeptieren müssen. Dazu gehört auch, dass gleichgeschlechtliche Menschen bei uns in Form einer Lebenspartnerschaft gegenseitige Verantwortung auf Lebenszeit übernehmen können. Aber, Herr Kollege Beck, Sie pflichten mir sicher bei, dass das eine große Herausforderung sein wird, weil es gerade im muslimischen Kulturkreis noch das eine oder andere Vorurteil zu beseitigen gilt. (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor allen Dingen, wenn Sie die Differenzierung im Sprengstoffgesetz erklären müssen!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin froh, dass wir heute die Gelegenheit haben, über dieses Thema zu debattieren. Es ist ein Thema, das sensibel ist und Emotionen betrifft. Deswegen ist es wichtig, dass wir darüber reden und nicht nur etwas aufschreiben und zu Protokoll geben. Was mich an dieser Debatte grämt – das will ich ganz offen sagen –, ist, dass die Opposition heute wieder keine Gelegenheit ausgelassen hat, das Bild von einer Union zu zeichnen, die offensichtlich durchsetzt ist von homophoben Spinnern. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ja!) Wenn man genau hinsieht, dann muss man ehrlich sagen: Über 90 Prozent der Regelungen, die wir heute verabschieden, können Sie unterschreiben. Warum kann man an der Stelle nicht fernab von jeglicher Parteipolitik sagen: „Mensch, das ist ein gewaltiger Schritt in die richtige Richtung“? (Harald Petzold (Havelland) [DIE LINKE]: Weil es kein gewaltiger Schritt ist, Herr Kollege!) Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Es sind über 31 Gesetze, die heute ihre Überarbeitung finden. (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Petzold (Havelland) [DIE LINKE]: Das ist kein gewaltiger Schritt!) Man muss konstatieren: Wir sind uns doch im Ergebnis einig. Wir alle wollen nicht, dass Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) Wir wollen Gleichstellung. Das Einzige, was uns im Moment noch unterscheidet, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist der Weg dorthin. Wir wollen Gleichstellung, wenn auch – das gebe ich zu – mit einer unterschiedlichen Bezeichnung. Wir wollen uns die Zeit nehmen, uns die Gesetze vorzunehmen. (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und warum nicht beim Sprengstoffgesetz?) Und Sie wollen – Kollege Beck, das war doch Ihr neuester Antrag – eigentlich die Ehe für alle öffnen und deswegen alle Zweifel beseitigen. (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber warum machen Sie das mit der Gleichstellung so unvollständig? Hat das einen Sinn? Haben Sie sich etwas dabei gedacht?) Aber dass eine gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft etwas anderes ist als eine Ehe, (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen wir am Sprengstoffgesetz fest!) sagt zum Beispiel das Bundesverfassungsgericht. Am 7. Mai 2013 bestätigte es, dass das Institut der Ehe allein der Verbindung zwischen Mann und Frau vorbehalten ist. (Mechthild Rawert [SPD]: Aber der Gesetzgeber kann es ändern!) Man beachte die Wortwahl: „vorbehalten“. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle haben seit Jahren über Gleichstellung gesprochen. Mit der Verwendung des Wortes „Gleichstellung“ haben wir immer bestätigt, dass wir dem Grunde nach davon ausgehen, dass es sich um verschiedene Konstellationen handelt, die wir gleichwertig behandeln wollen. Wenn man im Duden, wenn man in Wikipedia nach dem Begriff „Gleichstellung“ forstet, dann findet man folgende Erklärung: Es ist die „Angleichung der Lebenssituation von im Prinzip als gleichwertig zu behandelnden Bevölkerungsgruppen“ – gleichwertig zu behandeln, aber eben nicht gleich. (Mechthild Rawert [SPD]: Ich wusste schon immer, warum ich Frauenpolitikerin bin! – Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wikipedia als Rechtsquelle!) Dinge, die gleich sind, können wir gleich bezeichnen. Bei Dingen, die gleichwertig sind, schadet eine unterschiedliche Bezeichnung aber doch nicht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es sei denn, die Leute müssen einen Antrag auf Grenzübertritt stellen!) So sind wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, über Jahre hinweg an dieses Thema der Antidiskriminierung, der Gleichstellung herangegangen – so wie bei Mann und Frau, die unterschiedlich bezeichnet werden, die aber bei uns über genau dieselben Rechte verfügen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Erst in den letzten Monaten hat ein Schwenk stattgefunden, vielleicht unter dem Eindruck eines gesellschaftlichen Mainstreams. Und jetzt ist die Diktion: Wir wollen die Ehe für alle. – (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 1989 habe ich die Ehe für alle zum ersten Mal gefordert!) Ich empfehle uns: Nehmen wir uns die Zeit, zu einer echten Gleichstellung zu kommen. Ich glaube, das ist sehr im Interesse aller Beteiligten. Ich freue mich auf die weitere Beratung und bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt der Kollege Karl-Heinz Brunner das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Geschätzte Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Schön, dass zu dieser späten Stunde noch so viele der Debatte zu diesem wichtigen Thema folgen! Ich befürchtete schon eine etwas schütterere Anwesenheit. Die Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne machen es noch besser. Es hat mich eigentlich gefreut, heute festzustellen: Schön, dass es die SPD gibt! Denn wenn es uns nicht gäbe, woran könnte sich sonst jetzt die Opposition abarbeiten und reiben? (Harald Petzold (Havelland) [DIE LINKE]: Da finden wir schon etwas!) Eine wirkliche Gleichstellung gibt es nur mit uns. Deshalb war der Slogan „100 % Gleichstellung nur mit uns“ richtig; er ist richtig und wird richtig bleiben. Denn die Beseitigung von Diskriminierungen bei schwulen und lesbischen Ehen und Familien gibt es nur mit uns. (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In wie vielen Wahlkämpfen wollen Sie das noch plakatieren?) Meine sehr verehrten Damen und Herren, eigentlich ist es ja beschämend, dass es bei uns 14 Jahre nach der Einführung des Instituts der Lebenspartnerschaft immer noch Diskriminierung, Ausgrenzung und Intoleranz gibt. Schlimm ist für mich immer noch, wenn gegen diese Diskriminierung und Intoleranz nicht entschieden vorgegangen wird, obwohl die breite Mehrheit der Gesellschaft, die Mehrheit der Abgeordneten dieses Hauses – aus allen Fraktionen – sowie inzwischen die Mehrheit in Europa längst für die Ehe für alle ist. (Beifall bei der SPD) Aber das ist heute leider nicht das Thema. Heute geht es nur um die Angleichung der Rechtsvorschriften. Meine Damen und Herren, für mich ist es absolut unverständlich und auch nicht hinnehmbar, dass selbst die im Koalitionsvertrag vereinbarten Ziele unterlaufen, ignoriert und torpediert werden. Man müsste erwarten – ja, man sollte es –, dass das Wohl aller Deutschen einschließlich der Schwulen und Lesben Richtschnur des Handelns ist, und zwar im Kanzleramt, bei der Kanzlerin. Warum sage ich das? Ich wiederhole, was ich schon im Frühjahr gesagt habe: Schon seit Sommer 2014 lag der entsprechende Gesetzentwurf im Kanzleramt. Ich frage: Warum hat ihn Frau Merkel bis zum Koalitionsgipfel im Frühjahr 2015 in ihrem Hause blockiert? Und warum hat Frau Merkel die Bedenkenträger und Bewahrer miefiger Intoleranz weitere sieben Monate das Verfahren verzögern lassen? Warum geht es mit dem Nationalen Aktionsplan gegen Homophobie im federführenden Innenministerium nicht voran? Schließlich zeigt unsere Familienministerin, wie das gehen könnte. (Mechthild Rawert [SPD]: Richtig!) Warum sind hier die kleinen Schritte so klein, dass es auch mir schwerfällt, überhaupt noch Bewegungen festzustellen? Warum ist die Entscheidung über die feste Verbindung zweier Menschen eine politische und keine Gewissensfrage? (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat die Kanzlerin auch das Explosionsstoffgesetz gestoppt?) Ich will nicht, dass wir auf der Stelle treten. Ich als Sozialdemokrat will Bewegung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich will ein weltoffenes Land ohne Diskriminierung von Asylbewerbern, Flüchtlingen, Schwulen, Lesben, Bi- und Transsexuellen. Ich will dies, das sage ich deutlich, mit dieser Regierung, und das möglichst bald. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Gestatten Sie noch eine Frage des Kollegen Hoffmann? Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Gerne, wenn wir schon einmal beieinander sind. Kollege Beck darf auch noch eine Frage stellen. Wir haben heute Abend, bis das Licht ausgeht, noch etwas Zeit hier im Hause. (Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Kollege Brunner, ich denke, die Zeit haben wir. – Sie haben über die Kanzlerin und über das Innenministerium referiert. In meinem Kopf ist noch ein Fragezeichen geblieben. Der Entwurf, über den wir reden, ist ein Entwurf des Justizministeriums? Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Selbstverständlich. Im Sommer 2014 wurde er dem Kanzleramt vorgelegt, und bis zum Koalitionsgipfel im Frühjahr 2015 ist er im Kanzleramt liegen geblieben. (Dr. Katarina Barley [SPD]: Das geht ja gar nicht!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Jetzt darf der Kollege Beck endlich seine Frage stellen. (Dr. Katarina Barley [SPD]: Ja, endlich! – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Was ist denn jetzt mit dem Sprengstoffgesetz?) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zunächst einmal lobe ich ausdrücklich Ihren Mut und Ihre kollegiale Fairness, die anderen Rednern vorhin abgingen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Ich wollte Sie fragen, ob Sie wissen, warum das Rechtsbereinigungsgesetz von Heiko Maaß zahlreiche Regelungen wie das Explosionsstoffgesetz, die Einbürgerungsregelung für Lebenspartner von Spätaussiedlern oder verschiedene Laufbahnverordnungen des Bundes nicht enthält? Gibt es dafür einen rechtspolitischen oder einen verfassungsrechtlichen Grund? Oder war das Schlamperei? Oder hat die Bundeskanzlerin diese Artikel eigenhändig aus dem Gesetzentwurf herausgerissen? (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Hat die Kanzlerin herausgenommen! Genau!) Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Da ich nicht weiß, was die Bundeskanzlerin in dem Fall denkt bzw. was im Gesetzentwurf enthalten ist, kann ich nur die Vermutung anstellen, man wollte auch der Opposition die Gelegenheit geben, in der Beratung in den Ausschüssen an diesem Gesetzentwurf zu feilen. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann stimmen Sie unserem Änderungsantrag ja sicher zu!) Ich sage herzlichen Dank und wünsche allen einen schönen Abend. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit sind wir am Ende dieser Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/5901 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a bis 19 d auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Mehrseitigen Vereinbarung vom 29. Oktober 2014 zwischen den zuständigen Behörden über den automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten Drucksache 18/5919 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Innenausschuss b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten in Steuersachen und zur Änderung weiterer Gesetze Drucksache 18/5920 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Lisa Paus, Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Abgeltungsteuer abschaffen Drucksache 18/6064 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Lisa Paus, Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Transparenz von Kapitaleinkommen stärken – Automatischen Austausch von Informationen über Kapitalerträge auch im Inland einführen Drucksache 18/6065 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/5919, 18/5920, 18/6064 und 18/6065 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Damit sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes Drucksache 18/5865 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.3 – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/5865 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 25. September 2015, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen allen noch einen wunderschönen Abend. Auf Wiedersehen. (Schluss: 22.39 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Becker, Dirk SPD 24.09.2015 Dağdelen, Sevim DIE LINKE 24.09.2015 Feiler, Uwe CDU/CSU 24.09.2015 Hartmann (Wackernheim), Michael SPD 24.09.2015 Höhn, Bärbel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 24.09.2015 Irlstorfer, Erich CDU/CSU 24.09.2015 Karawanskij, Susanna DIE LINKE 24.09.2015 Kiziltepe, Cansel SPD 24.09.2015 Kolbe, Daniela SPD 24.09.2015 Kühn (Tübingen), Christian BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 24.09.2015 Lach, Günter CDU/CSU 24.09.2015 Lenkert, Ralph DIE LINKE 24.09.2015 Möhring, Cornelia DIE LINKE 24.09.2015 Müller (Chemnitz), Detlef SPD 24.09.2015 Nick, Dr. Andreas CDU/CSU 24.09.2015 Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 24.09.2015 Röspel, René SPD 24.09.2015 Scheuer, Andreas CDU/CSU 24.09.2015 Schlecht, Michael DIE LINKE 24.09.2015 Tressel, Markus BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 24.09.2015 Ulrich, Alexander DIE LINKE 24.09.2015 Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 24.09.2015 Wicklein, Andrea SPD 24.09.2015 Wiese, Dirk SPD 24.09.2015 Zimmermann (Zwickau), Sabine DIE LINKE 24.09.2015 Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Befristung von Vorschriften nach den Terrorismusbekämpfungsgesetzen – der Unterrichtung durch die Bundesregierung Evaluation nach Artikel 9 des Gesetzes zur Änderung des Bundesverfassungsschutzgesetzes (Tagesordnungspunkt 14 a und b) Clemens Binninger (CDU/CSU): Der internationale Terrorismus ist unverändert eine weltweite Gefahr, die auch in Deutschland und Europa mittlerweile Realität ist. Das machen die Nachrichten deutlich, die uns besonders auch in den letzten Monaten viel zu häufig erreichten. Ob in Paris im Januar dieses Jahres, in Kopenhagen nur einen Monat später oder erst kürzlich im August im Thalys von Amsterdam nach Paris. Die Zahl der radikalislamischen Salafisten in Deutschland steigt. Viele von ihnen, mittlerweile über 700, haben sich aufgemacht, um in Syrien und Irak für die IS-Terrormiliz zu kämpfen. Einige kehren zurück, manche desillusioniert, manche aber auch radikalisiert. Damit steigt das Gefährdungspotenzial in Deutschland weiter erheblich, denn es ist nicht auszuschließen, dass Anschläge auch in Deutschland geplant werden. Dabei stehen auch die Nachrichtendienste vor besonderen Herausforderungen. Unsere Aufgabe ist es deshalb, die Dienste weiter mit geeigneten Befugnissen auszustatten, um die erforderliche Aufklärungsarbeit leisten zu können. Das Terrorismusbekämpfungsgesetz ermöglicht Nachrichtendiensten bisher, bei Luftfahrtunternehmen, Kreditinstituten und Telekommunikationsdiensten Auskünfte einzuholen. Es geht jetzt darum, die Fristen für diese Befugnisse zu verlängern. Die Grundlage für den heute behandelten Gesetzentwurf ist ein Evaluierungsbericht des Instituts für Gesetzesfolgenabschätzung. Durch die Evaluierung ist erneut deutlich geworden, dass die Befugnisse für den Erkenntnisgewinn wesentlich sind: Durch die erhobenen Verkehrsdaten stellte etwa das Bundesamt für Verfassungsschutz im vergangenen Jahr zahlreiche Kontakte von Angehörigen des gewaltbereit-salafistischen Spektrums fest und war so in der Lage, Beziehungen und Netzwerke aufzuklären. Einer Person konnte daraufhin die Werbung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung nachgewiesen werden. In weiteren Fällen konnten Syrien-Rückkehrer erkannt oder auch die Mitgliedschaft in der PKK erwiesen werden. Leidvolle Erfahrungen hat es in Deutschland in jüngster Zeit auch mit Terrorakten rechtsextremistisch motivierten Hintergrunds gegeben. Die Gefährdung ist angesichts der zunehmenden, sich radikalisierenden Szene längst nicht gebannt. Im Gegenteil, Waffenbeschaffungen und Waffendeals in der rechtsextremen Szene waren und sind eine reale Gefahr. Die Befugnisse der Nachrichtendienste aus dem Terrorismusbekämpfungsgesetz sind deswegen auch in diesem Bereich Grundlage für wertvolle Erkenntnisse: So konnten im Rahmen einer Finanzermittlungsmaßnahme gegen einen Verdächtigen wegen möglicher Waffenbeschaffung für die rechtsextremistische Szene Kontakte in die Schweiz festgestellt werden. Darüber hinaus war feststellbar, dass der Verdächtige über ein Konto im Ausland verfügte, auf das Gelder unbekannter Herkunft einbezahlt wurden, und auch, dass der Verdächtige selbst immer wieder hohe Bargeldbeträge auf sein Konto einzahlte. Zudem zeigten Finanztransaktionen an regionale und überregionale Größen der rechtsextremen Szene die Einbindung und Bedeutung des Rechtsextremisten in der Szene. Die Evaluierung hat deutlich gezeigt, dass die Befugnisse notwendig sind. Ich höre auch immer wieder aus den Reihen der Opposition, es bestehe die Gefahr, die Dienste würden ihre Befugnisse maßlos einsetzen. Aber auch hier hat ist das Ergebnis eindeutig: Die Dienste handeln sehr maßvoll. Genau, wie es der Bundestag als Gesetzgeber beabsichtigt hat. So wurden im Jahr 2014 insgesamt gerade einmal 72 besondere Auskunftsverlangen angeordnet. 33 davon sind bei Telekommunikationsdiensteanbietern ergangen, um Verkehrsdaten-Auskünfte einzuholen. Von flächendeckender Überwachung kann nicht einmal im Ansatz die Rede sein. Es geht nun darum, die Empfehlungen aus der Evaluierung umzusetzen und die Befugnisse erneut zu befristen. Mit einer weiteren Befristung gewährleisten wir, dass die weitere Entwicklung im Blick bleibt. Alle Experten bestätigen, dass die Gefährdungslage ernst ist. Wir sollten deshalb nicht zur Hysterie neigen, aber wir sollten das Notwendige tun für die Sicherheit der Menschen und die Funktionsfähigkeit der Sicherheitsbehörden. Die Sicherheitsbehörden verdienen unser Vertrauen. Es gibt keinen Grund, eine weitere Befristung abzulehnen. Uli Grötsch (SPD): Heute beraten wir den Entwurf eines Gesetzes zur Verlängerung der Befristung von Vorschriften nach den Terrorismusbekämpfungsgesetzen, die wir nach den Anschlägen am 11. September 2001 eingeführt haben. Bei diesem Wortungetüm handelt es sich um die nachrichtendienstlichen Befugnisse unserer Sicherheitsbehörden zur Auskunftseinholung bei etwa Luftfahrtunternehmen, Kreditinstituten und Telekommunikationsdienstleistern. Für die SPD war es von entscheidender Bedeutung, dass wir diese Anti-Terrorgesetze erneut befristen, bis 2021. Es wird dann erneut auf seine Wirksamkeit hin geprüft. Diese zugegebenermaßen weitreichenden Befugnisse haben sich bewährt: Unsere Sicherheitsbehörden arbeiten auf Hochtouren: Erst im April dieses Jahres konnten in Oberursel Terrorverdächtige verhaftet werden. Um nur ein Beispiel zu nennen. Diese und andere Anschlagspläne konnten unter anderem dank dieser Befugnisse verhindert werden. Meiner Meinung nach stellt sich heute und hier deshalb die Frage nicht, ob wir das Gesetz verlängern. Das ist nun die dritte Verlängerung. Ich kann Ihnen heute keine Hoffnung machen, dass die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus, den islamischen Terrorismus, nachlässt. Wir wissen, dass schreckliche Terroranschläge wie im Mai 2014 in einem jüdischen Museum in Brüssel oder wie im Januar dieses Jahres auf das Satireblatt Charlie Hebdo in Paris auch bei uns in Deutschland passieren können. Die Terrormiliz IS ruft ganz konkret zu individuellen Terrortaten in Deutschland auf. Wir können und dürfen uns aber nicht darauf verlassen, dass „zivile“ Helden wie im Thalys-Schnellzug in Frankreich ihr Leben für uns riskieren. Unsere Sicherheitsbehörden sind deshalb gut aufgestellt, in den aktuellen Haushaltsberatungen stocken wir beispielsweise das BKA mit 200 zusätzlichen Beamten und 12 Millionen Euro Sachmitteln auf. Die Bundespolizei bekommt 3 000 neue Beamtenstellen. Wir wissen, dass Paragraphen alleine noch keine effektive Terrorbekämpfung sind: Ich setze auf Prävention. In den letzten Wochen und Monaten habe ich mich mit sehr vielen im Bereich Extremismusprävention engagierten Vereinen und Trägern getroffen und mir ein Bild von ihrer Arbeit gemacht. Ihre Arbeit ist nachgefragter, denn je. Ich denke da an die Beratungsstelle „Hayat“, die Aussteigern und Angehörigen von radikalisierten Personen Hilfe anbietet. Und auch an das Violence Prevention Network (VPN), in dem erfahrene Fachkräfte sich in Justizvollzugsanstalten um jugendliche Gewalttäter kümmern, um nicht den islamistischen Rattenfängern das Feld zu überlassen. In einem weiteren Projekt betreuen sie von Rekrutierungsmaßnahmen des IS betroffene junge Frauen. Es gibt in den Bundesländern viele solcher niedrigschwelligen Projekte, die sich gegen den gewaltorientierten Islamismus wenden und erfolgreich sind. Deshalb war es richtig, letztes Jahr das neue Bundesprogramm „Demokratie Leben“ um 10 Millionen Euro auf jetzt 40,5 Millionen Euro aufzustocken. Das ist der richtige Weg, und deshalb danke ich unserer Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Manuela Schwesig, die früher als andere erkannt hat, dass es auf Prävention ankommt. Wir alle haben in den letzten Monaten Videos und Bilder vom Terrorregime des IS sehen müssen, die menschenunwürdig sind. Wir sind fassungslos angesichts dieser Enthemmtheit, aber wir dürfen nicht sprachlos sein. Lassen Sie uns als gesamtes Haus ein deutliches Signal senden und unsere Entschlossenheit zeigen. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Die Bundesregierung beantragt die weitere Verlängerung einer ganzen Reihe sogenannter Antiterrorgesetze, die seit 2001 nach und nach eingeführt wurden. Auf die Kritik, diese Gesetze griffen unverhältnismäßig in die Grundrechte ein, hieß es bei ihrer Einführung beschwichtigend, sie seien ja befristet, würden also nur vorübergehend gelten. Tatsächlich werden sie aber routinemäßig verlängert, ohne dass die Grundrechtseingriffe überhaupt noch thematisiert werden. Wir von der Linken finden jedenfalls: Den Geheimdiensten immer mehr Macht einzuräumen, ist nicht Teil einer Lösungsstrategie, es ist Teil des Problems. Nun gilt es, wieder abzurüsten und den Grundrechten die Priorität einzuräumen, die sie verdienen. Die Gesetze, um die es hier geht, berechtigen die Geheimdienste etwa dazu, Kontodaten abzufragen, Verkehrsdaten von Telekommunikationsunternehmen und Flugdaten einzusehen, Handy-Standorte zu erfassen und Gespräche abzuhören. Die Anzahl der durchgeführten Maßnahmen beläuft sich im Schnitt nur auf eine zweistellige Zahl pro Jahr. Das allein gibt aber noch keinen Aufschluss über deren Verhältnismäßigkeit. Das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder darauf hingewiesen, dass es bei Grundrechtseingriffen auch auf deren kumulative Wirkung ankommt. Das heißt: Angesichts der Vielzahl von Geheimdienstbefugnissen und der heutigen technischen Möglichkeiten muss jedes Gesetz im Rahmen einer Gesamtschau und in der Wechselwirkung mit anderen Gesetzen bewertet werden. Aber in der Evaluation, die jetzt die Verlängerung der Gesetze legitimieren soll, ist diese Prüfung einfach unterblieben. In dem Papier heißt es wörtlich: „Eine solch umfassende Analyse ist jedoch vom Evaluationsauftrag nicht abgedeckt gewesen“. Weiter heißt es, eine umfassende Auswertung sei schon – Zitat – ,,mit Blick auf die Besonderheiten nachrichtendienstlichen Arbeitens nicht realisierbar.“ Auch eine Langzeitbeobachtung sei weder beauftragt gewesen noch mit den Geheimdiensten überhaupt möglich, heißt es. Schuld daran ist das Bundesinnenministerium, das den Rahmen für dieses Gutachten erstellt hat. Es hat den Auftrag bewusst eng formuliert, um einen Bericht zu bekommen, der die Regierungslinie unterstützt. Anders ausgedrückt: Das Bundesinnenministerium hat sich ein Gefälligkeitsgutachten besorgt. Das zeigt sich zum Beispiel auch bei der Frage nach der Wirksamkeit der Überwachungsgesetze. Da tappen wir auch nach der Evaluation weiterhin im Dunkeln. Denn die Bewertung der Gesetze wurde von den Nachrichtendiensten selbst vorgegeben. Deren Behauptung, die Gesetze seien notwendig und wirksam, sollen wir einfach glauben ohne die Möglichkeit einer unabhängigen Nachprüfung. Entschuldigung, aber eine solche Blauäugigkeit zu verlangen, nach Jahren voller NSU- und NSA-Skandale, das ist wirklich eine Beleidigung des Parlaments und auch der Bürgerinnen und Bürger. Es gibt für eine solche Art von Bewertungen ein Wort: Gefälligkeitsgutachten. Die Linke ist sehr dafür, Terroristen das Handwerk zu legen. Aber wir werden keinem Gesetz zustimmen, das die Kompetenzen der Geheimdienste erweitert, ohne die Folgen für die Grundrechte zu beachten. Der Nutzen der Gesetze ist nicht erwiesen, daher kann man sie Ende des Jahres getrost auslaufen lassen. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Ursprünge des Gesetzes, dessen Geltung zum dritten Mal verlängert werden soll, reichen in die Zeit unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September 2001 zurück. Damals wurden den Geheimdiensten mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz Befugnisse eingeräumt, in Grundrechte von Bürgerinnen und Bürgern einzugreifen. Sie sollten Kontendaten, Flugdaten, Passdaten und Verkehrsdaten von Telekommunikationsmedien abfragen dürfen. Auch ging es um den Einsatz von so genannten IMSI-Catchern. Weil es um Grundrechtseingriffe ging, sollten diese an enge Einschränkungen gebunden sein. Schon die Anordnung sollte von höchster Stelle und nur mit parlamentarischer Kontrolle möglich sein. Die Betroffenen sollten nachträglich informiert werden. Die Regelungen sollten nur dem Kampf gegen Terrorismus dienen und befristet auf zehn Jahre gelten. Wegen der gewollt stark einschränkenden Bedingungen wurde das Gesetz nur restriktiv und in wenigen Fällen angewandt. Befürchtungen, das Gesetz könnte zu massenhaften Grundrechtsverletzungen führen, bewahrheiteten sich nicht. Flugdaten, Kontodaten, Verkehrsdaten wurden im einstelligen und unteren zweistelligen Bereich pro Jahr erhoben, insgesamt 64#$# bis 77#$#mal pro Jahr, Postdaten gar nicht. Gleichwohl wurde die Geltung des Gesetzes 2007 für fünf Jahre verlängert. Die Bedingungen wurden etwa für Kontodaten gemildert. Nicht mehr Minister mussten die Anordnungen genehmigen. 2011 wurde die Gesetzesanwendung erneut um fünf Jahre verlängert. Beiden Verlängerungen lagen keine unabhängigen Überprüfungen des Nutzens der Verlängerung zugrunde. Deshalb wurde nun erstmals eine Evaluierung durch Wissenschaftler durchgeführt. Das Ergebnis liegt seit April 2015 vor. Wieder wurde festgestellt, dass das Gesetz nur in wenigen Fällen angewandt wurde. So gab es zum Beispiel von November 2013 bis November 2014: 23 Kontoabfragen, zwei für Flugverbindungen, für Verkehrsdaten 33 und Kontostammdaten 21#$#mal Abfragen. Unterrichtungen der Betroffenen erfolgten all die Jahre nur in etwa in einem Drittel der Fälle. Jetzt soll das Gesetz zum dritten Mal verlängert werden bis 2021. Schon angesichts der geringen Zahl der Anwendungsfälle ist zu bezweifeln, ob dies zwingend notwendig ist. Schließlich geht es nicht nur um irgendwelche Befugnisse für die Geheimdienste, sondern um Grundrechtseingriffe. Deshalb wurde das Gesetz 2002 nur beschlossen, um Aufklärungsmöglichkeiten in der besonders angespannten und gefährlichen Situation zu schaffen. Ein Dauergesetz für Jahrzehnte war nicht beabsichtigt. Ein einfaches Durchwinken einer Verlängerung kommt für uns nicht in Betracht. Zur Vorbereitung einer vertretbaren Entscheidung müssen die konkreten Ergebnisse der Gesetzesanwendung in den letzten fünf Jahren darauf anhand der konkreten Fälle überprüft werden, wie relevant diese für den Kampf gegen den Terrorismus gewesen sind. Das bisherige Evaluationsergebnis bringt dazu keine ausreichenden Erkenntnisse. Also muss die Bundesregierung uns konkrete Zahlen nachliefern, wie oft durch die Anwendung der fraglichen Befugnisse schwere Terrordelikte verhindert oder aufgeklärt werden konnten. Ohne solche Belege können Grüne dem Entwurf nicht zustimmen. Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär im Bundesministerium des Innern: Der internationale djihadistische Terrorismus ist nach wie vor eine globale Bedrohung für das friedliche Zusammenleben und die zentrale Herausforderung für unsere Sicherheitsbehörden. Erfolgreiche und zum Teil in letzter Minute verhinderte Anschläge haben sich in jüngster Zeit in unmittelbarer Nähe zu uns ereignet: in Brüssel, Paris und Kopenhagen und im Thalys-Schnellzug in Nordfrankreich. Das zeigt, dass der Terror längst Mitteleuropa erreicht hat. Und es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass nicht auch Deutschland längst im Fadenkreuz des islamistischen Terror steht. Ja, und auch bislang mussten wir schon deutsche Terror-Tote und Terror-Tote in Deutschland beklagen. Ein konkretes Anzeichen für die Gefährdung der Menschen in Deutschland sind vor allem die über 700 Personen mit salafistischem Hintergrund, die aus Deutschland in die Krisenregion Syrien/Irak ausgereist sind. Von den Rückkehrern aus dieser Gruppe geht eine besondere Gefahr aus. Sie sind weiter radikalisiert, oft kampferprobt, verroht und zu ungeheurer Brutalität fähig. Die gesetzgeberischen Antworten auf diese Terror-Gefahr basieren auf einer rationalen Gefährdungsanalyse. Und das Terrorismusbekämpfungsgesetz ist ein Herzstück bei dieser besonnenen und rationalen Antwort des Gesetzgebers. Mit dem heute in erster Lesung behandelten Gesetzentwurf wollen wir die bewährten nachrichtendienstlichen Befugnisse verlängern, um den Kampf gegen den internationalen Terrorismus fortsetzen zu können. Im Wesentlichen geht es um Vorschriften zur Auskunftseinholung bei Luftfahrtunternehmen, Kreditinstituten und Telekommunikationsdiensten, die bis Januar 2016 befristet sind. Grundlage des Gesetzentwurfs ist der Evaluierungsbericht unabhängiger Wissenschaftler des Instituts für Gesetzesfolgenabschätzung und Evaluation. Die Auswahl des Instituts war zusammen mit dem Bundestag erfolgt. Lassen Sie mich zu den Evaluierungsergebnissen zwei besonders praxisbedeutsame Maßnahmen herausstellen. Besondere Auskunftsverlangen: Im Untersuchungszeitraum November 2013 bis November 2014 wurden gerade einmal 72 Auskunftseinholungen bei Luftfahrtunternehmen, Kreditinstituten, Telediensten und Telekommunikationsdiensten angeordnet. Das ist maßvoll und zeigt wie streng wir die Regelungen gefasst haben. Vielfach konnten dabei Kontakte, Beziehungen und Netzwerkstrukturen auf geklärt werden. Einer Person konnte etwa die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung nachgewiesen werden. Ausschreibung im SJS II: Eine weitere, wichtige Vorschrift ermöglicht den drei Nachrichtendiensten, Personen im Schengenerinformationssystem II auszuschreiben. Wird dann die ausgeschriebene Person im Schengenraum kontrolliert, erhält die ausschreibende Behörde Informationen über Reisebewegungen und eventuell mitreisende Personen. Im Erhebungszeitraum der Evaluation wurden 329 Personen im SIS II ausgeschrieben, überwiegend durch das Bundesamt für Verfassungsschutz. So konnten zum Beispiel wichtige und dringend notwendige Erkenntnisse über Syrien-Rückkehrer gewonnen werden. Die wissenschaftliche Untersuchung des evaluierenden Instituts kommt zu glasklaren Ergebnissen: Die Anwendung der nachrichtendienstlichen Befugnisse ist auch im aktuellen Auswertungszeitraum wiederum fokussiert und verantwortungsvoll erfolgt. Und sie hat unverzichtbare Erkenntnisse erbracht. Das Terrorismusbekämpfungsgesetz wahrt die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit. Wer diese Befugnisse beseitigen will, der opfert unsere Sicherheit – und zwar nicht zugunsten der Freiheit. Nein, er beseitigt unsere Freiheit dabei gleich mit. Ich bitte den Deutschen Bundestag daher um eine ebenso sorgfältige wie zügige Beratung dieses Gesetzes zum Schutze der Menschen in unserem Lande. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sonderermittler zur Aufarbeitung der Cum-Ex-Geschäfte einsetzen (Tagesordnungspunkt 15) Olav Gutting (CDU/CSU): Bereits im Januar, als wir hier im Parlament zum Thema Dividendenstripping, auch bekannt als Cum-/Ex-Trade, debattiert hatten, habe ich klargestellt, dass es sich dabei um kein Steuergestaltungsmodell findiger Berater, sondern nach meinem Dafürhalten schlicht um Betrug zulasten des Fiskus gehandelt hat. Auch wir halten die Rückforderung von Kapitalertragsteuer, welche tatsächlich nie gezahlt wurde, nicht nur für höchst problematisch und unmoralisch, sondern für rechtswidrig. Auch das Bundesfinanzministerium hatte stets die Rechtsauffassung, dass nur einmal abgeführte Kapitalertragssteuer nie doppelt bescheinigt werden darf. Zweck dieses unrechtsmäßigen Geschäftsmodels war es, bei Leerverkäufen über den Dividendenstichtag Zusatzrenditen zu erzielen, weil die deutsche Kapitalertragsteuer durch das Auseinanderfallen von rechtlichem und wirtschaftlichem Eigentum mehrfach bescheinigt wurde. Jedem, der die doppelte Bescheinigung zu seiner Renditesteigerung nutzte, muss klar gewesen sein, dass er unrechtmäßig doppelt kassiert und damit den Fiskus schädigt. Bereits im Januar habe ich bei meiner Rede gefordert, die rechtliche Einordnung dieser Handlungen den zuständigen staatlichen Strafverfolgungsbehörden und unserer Gerichtsbarkeit zu überlassen. Im Übrigen laufen hierzu bereits verschiedene Ermittlungsverfahren. Der Bundestag und auch die Bundesregierung haben sich aus staatsanwaltlichen Ermittlungen rauszuhalten. Dies gebietet schon unsere Verfassung, in der – mit sehr guten Gründen – die Gewaltenteilung festgeschrieben ist. Gegen die Einsetzung eines Sonderermittlers bestehen auch deshalb verfassungsrechtliche Bedenken, weil unsere Verfassung einen solchen Ermittlertyp schlichtweg nicht kennt. Ihr Antrag lässt auch nicht erkennen, welchen Mehrwert Sie sich von der Einsetzung eines solchen verfassungsrechtlich bedenklichen Sonderermittlers erhoffen? Schließlich sind alle Erkenntnisse der Bundesregierung hierzu bekannt, weil dieses Thema Gegenstand mehrerer Anfragen war. Der Antrag zur Einsetzung eines unabhängigen Sonderermittlers ist deshalb völlig unnötig, man kann auch sagen schlicht Unfug. Er stellt nur eine Nebelkerze dar, um das zu verschleiern, was Sie mit Ihrem Antrag tatsächlich bezwecken, nämlich die Klärung einer vermeintlichen politischen Verantwortung, für die es aber das Instrument des Untersuchungsausschusses gibt. Obwohl die Grünen sonst nicht so zimperlich bei der Forderung zur Einsetzung von Untersuchungsausschüssen sind, begnügen sie sich hinsichtlich der Cum-Ex-Geschäfte mit der Bestellung eines verfassungsrechtlich problematischen Sonderermittlers. Die jeweilige Bundesregierung hat gemeinsam mit dem zuständigen Bundesfinanzministerium – dies muss in diesem Zusammenhang festgehalten werden – stets mit Erlassen auf entsprechende konkrete Hinweise reagiert. Auch der Gesetzgeber selbst blieb nicht untätig. Ein politisches Aufklärungsbedürfnis sehe ich daher nicht. Ihr Sonderermittler soll auch klären, welche Stellen und welche Personen auf der staatlichen Seite für den entstandenen Schaden zum einen formal und zum anderen tatsächlich verantwortlich sind. Mit Verlaub! Dieses Ansinnen ist nun wirklich Unfug, denn eine Mitverantwortung setzt eine Beteiligung an dem rechtwidrigen Geschäftsmodell voraus. Eine solche Unterstellung ist absurd. Der Bundestag hat in den Jahren 2007 und 2009 sowie zuletzt im Jahr 2011 mit dem OGAW-IV-Umsetzungsgesetz den Cum-Ex-Geschäften die Grundlage vollends entzogen. Somit liegt die nachträgliche strafrechtliche Aufarbeitung allein bei den zuständigen Staatsanwaltschaften. Ihr Antrag ist daher abzulehnen. Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU): Im Antrag wird gefordert, einen unabhängigen Sonderermittler einzusetzen, der klären soll, wie es dazu gekommen ist, dass die sogenannten Cum-Ex-Transaktionen zehn Jahre nicht unterbunden wurden, wer letztendlich verantwortlich für den entstandenen Schaden war, ob die getroffenen Maßnahmen zur Schadensbegrenzung adäquat sind und ob Vorkehrungen getroffen wurden, ähnliche Probleme frühzeitig zu erkennen und zu unterbinden. Zunächst einmal stellt sich die Frage, ob ein Sonderermittler tatsächlich eingesetzt werden kann. Dem stehen nämlich erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber. Unsere Verfassung kennt die Funktion eines Sonderermittlers nicht. Die Einsetzung eines Sonderermittlers ist also verfassungsrechtlich zumindest zweifelhaft und schon allein daher abzulehnen. Es stellt sich aber auch die Frage, warum die beiden Oppositionsfraktionen diesen Sonderermittler fordern, der ja wohl von der Bundesregierung eingesetzt werden sollte und damit auch erst einmal nur der Bundesregierung gegenüber berichtspflichtig wäre. Das Parlament wäre damit zunächst einmal außen vor. Wenn man so erheblichen Zweifel an der Korrektheit der Vorgehensweise bei den Vorfällen der Cum-Ex-Transaktionen anmeldet, dann wäre das geeignete parlamentarische Instrument zur Aufklärung aller Fragen und zur Erarbeitung von Verbesserungsvorschlägen ein Untersuchungsausschuss. Im übrigen wäre zu klären, wer denn überhaupt so die Rolle eines Sonderermittlers übernehmen könnte. Wer hätte das geeignete Fachwissen und gegebenenfalls auch den ausreichend geschulten Apparat, um eine so umfangreiche Überprüfung der vielen, durchaus unterschiedlichen Sachverhalte durchzuführen. Die Transaktionen erstreckten sich ja nicht nur auf inländische Kreditinstitute, sondern auch auf das Ausland. Auch Landesbanken waren in diese Transaktionen verwickelt. Müsste man dazu dann auch noch entsprechende Landesbehörden beauftragen? Die Cum-Ex-Transaktionen sind hochgradig komplizierte Geschäfte, die nur mit umfänglichen Spezialwissen und mit großem Sachverstand geprüft werden können. Das Bundeszentralamt für Steuern hat bereits zusätzliche personelle Ressourcen bereitgestellt, damit auffällige Erstattungsanträge, auch aus der Vergangenheit, geprüft werden können. Den Bundesländern wurde vom Bundeszentralamt in diesem Zusammenhang eine Unterstützung bei Außenprüfungen angeboten. Dabei wird auf Initiative des Bundesministeriums für Finanzen ein Wissenstransfer zwischen den mit Cum-Ex-Transaktionen befassten Stellen aus Bund und Ländern ermöglicht, um ständig weitere Erkenntnisse zu dieser komplexen Materie und zur börsentechnischen Abwicklung dieser Geschäfte zu gewinnen. Um den aus Cum-Ex-Transaktionen resultierenden Steuerausfällen entgegenzuwirken, wurden im Jahressteuergesetz 2007 Dividendenausgleichszahlungen der materiellen Steuerpflicht und damit der Kapitalsteuerpflicht unterworfen. Abzuführen war damit die Kapitalertragsteuer auf Rechnung des Erwerbers durch das inländische Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstitut, das für den Veräußerer der Aktien dessen Verkaufsauftrag ausführte. Die von dem Kredit- bzw. Finanzdienstleistungsinstitut abgeführte Kapitalertragsteuer wurde dem Konto des Veräußerers zusammen mit der Dividendenausgleichszahlung belastet. Die Anwendung dieser Vorschrift erfasst allerdings nicht Geschäfte, die ohne Intermediär oder über einen ausländischen Intermediär abgewickelt wurden. Ab 1. Januar 2012 wurde deshalb eine weitere gesetzliche Maßnahme ergriffen, um die missbräuchlichen Gestaltungen unter Einbeziehung ausländischer Banken zu unterbinden. Dividenden müssen jetzt von der ausschüttenden Aktiengesellschaft als Bruttodividende, sprich ohne Kapitalertragsteuerabzug, an die auszahlenden Stellen weitergeleitet werden. Die Abzugsverpflichtung liegt damit bei dem inländischen Institut, das die Kapitalerträge gutschreibt bzw. auszahlt oder – falls die Gutschrift bzw. Auszahlung durch eine ausländische Stelle erfolgt – bei der letzten inländischen Stelle, die die Beträge an die ausländische Stelle weitergeleitet hat. Steuerausfälle sind mit dem neuen System damit ausgeschlossen. Es wurden also sämtliche gesetzliche Maßnahmen ergriffen, um dem Missbrauch bei Cum-Ex-Transaktionen zu begegnen. Vergangenheitsfälle werden immer wieder aufgedeckt und führen zu entsprechenden Steuer- und Strafzahlungen. Ein besonders augenfälliger Streitfall in diesem Zusammenhang ist die Klage von einem Steuerpflichtigen gegen die Bank Sarrasin in der Schweiz, in dem mehrere Kläger Schadensersatz in Millionenhöhe von der Bank wegen falscher Beratung fordert. Die Bank Sarasin in Basel hatte das Cum-Ex-Vehikel im Frühling 2010 aufgebaut mit dem Ziel, dieses groß in Deutschland zu vermarkten. Jetzt sieht sich die Bank und ihr Eigentümer allerdings neben den Privatklagen auch umfänglichen Ermittlungen schweizerischer und deutscher Strafverfolgungsbehörden ausgesetzt. Die Finanzverwaltung war immer der Auffassung, dass es sich bei diesen Geschäften nicht um ein steuerliches Gestaltungsmodell handelt, sondern um unzulässige Gestaltungen. Diese Haltung wurde auch vom BFH mehrfach bestätigt. Frühe Hinweise auf diese Handhabungen waren allerdings so unkonkret, dass erst entsprechende Prüfungen zu den heutigen Erkenntnissen führten. Die Modelle waren außerdem mit größtmöglicher Verschleierung konstruiert, womit eine Entdeckung äußerst schwierig war. Alle diese Sachverhalte wurden vom zuständigen Ministerium auf zahlreiche Anfragen von Mitgliedern des Hohen Hauses immer wieder vollumfänglich dargestellt. Es ist nicht notwendig, diese Sachverhalte nochmals durch einen Sonderermittler prüfen zu lassen, weil es zu keiner neuen Erkenntnis führen würde. Für die Einsetzung eines Sonderermittlers gibt es keine Rechtsgrundlage. Die illegalen Machenschaften werden von den Steuerbehörden und von der Staatsanwaltschaft verfolgt. Es wurden auch alle Maßnahmen ergriffen, um missbräuchliche Gestaltungen für die Zukunft zu unterbinden und für die Vergangenheit aufzuarbeiten. Aus diesen Gründen wird dieser Antrag von uns abgelehnt. Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Cum ex? Bei den Cum-Ex-Geschäften handelt es sich um einen der größten Fälle von Steuerbetrug in Deutschland. Einzelne Banken und Fonds haben aus dem Steuerbetrug ein Geschäftsmodell gemacht. Der entstandene Schaden für den Fiskus ist immens. Im Kern haben sich die Finanzmarktakteure vom Fiskus Kapitalertragsteuer erstatten lassen, die sie gar nicht bezahlt haben. Aufgrund der Komplexität und Intransparenz der Geschäfte konnten diese Machenschaften lange Zeit nicht aufgedeckt werden. Es bedurfte auch mehr als eines Anlaufs, um diesen Geschäften die Grundlage zu entziehen. Die Gestaltungen konnten erst durch eine vollständige Umstrukturierung des Erhebungsverfahrens der Kapitalertragsteuer abgestellt werden. Grundlage der „Geschäfte“ waren Leerverkäufe von Aktien rund um den Dividendenstichtag. Es wurde dabei ausgenutzt, dass die Stelle, die die Kapitalertragsteuer an den Fiskus abführte, und die Stelle, die die Kapitalertragssteuerzahlung bescheinigte, auseinanderfielen. Es konnten deshalb mehrere Steuerbescheinigungen erlangt werden, die unberechtigte Erstattungsansprüche begründeten. In verschiedenen Gerichtsverfahren geht es inzwischen um die Frage, ob die „Geschäfte“ legal waren oder nicht. Die Dreistigkeit der Betrüger ist beispiellos. Sie pochen auf die Legalität der mehrfachen Erstattung einer einmal gezahlten Steuer. Einen rechtmäßigen Erstattungsanspruch kann es aber nur auf eine zuvor durch einen Steuerabzug erhobene Kapitalertragsteuer geben. Wir sehen erneut: In einer Unkultur, in der alles als erlaubt gilt, was nicht verboten ist, gibt es praktisch keine Grenzen für die Gier – wer „den Staat“ dermaßen betrügt, betrügt jeden seiner Nachbarn, jeden seiner Freunde, denn alle anderen im Staat müssen für den Schaden aufkommen, also mehr Steuern bezahlen. Klaus Ott schreibt in der Süddeutschen Zeitung vom 28. Februar 2015: Bei dieser speziellen Form des Börsenhandels muss sich der Verkäufer der Aktien dieselben erst noch beschaffen, obwohl er die Papiere bereits einem Abnehmer verbindlich zugesagt hat. Bei Cum-Ex-Leerverkäufen konnte es passieren, dass eine- und dieselbe Aktie rein formal betrachtet zwei Eigentümer hatte. Den alten Inhaber mit (Cum) Dividende, bei dem sich der Leerverkäufer erst noch mit den von ihm bereits weiter verkauften Papieren eindecken musste. Und den neuen Inhaber, dem der Leerverkäufer das Papier fest versprochen hatte, inklusive (Cum) einer Kompensationszahlung für die Dividende. Zwei Eigentümer, zwei Mal Cum, zumindest auf dem Papier, das bedeutete für den Fiskus bis 2012 in zahlreichen Fällen: Es gab zwei Bescheinigungen über gezahlte Dividende und die darauf fällige Kapitelertragsteuer; ausgestellt von den am Aktienhandel beteiligten Banken. Mit diesen Bescheinigungen konnten sich beide Aktienbesitzer die Kapitalertragsteuer später vom Fiskus wieder erstatten lassen; im Wege der Verrechnung mit anderen Abgaben. Tatsächlich aber war die Dividende nur einmal geflossen und die darauf fällige Steuer auch nur einmal an das Finanzamt gezahlt worden. Bei Cum-Ex-Leerverkäufen im Inland war es ab 2007 nicht mehr möglich, den Fiskus auszunehmen. Doch eine Abwicklung über ausländische Banken machte das noch bis 2012 möglich. Grüne und Linke fordern mit ihrem Antrag – wir werden an die USA erinnert – die Einsetzung eines „Sonderermittlers“ zur Aufklärung dieser Cum-Ex-Geschäfte. Für die Einsetzung eines „Sonderermittlers“ gibt es aber weder eine Rechtsgrundlage noch ist sein Nutzen erkennbar. Allerdings kein Sonderermittler des Parlaments, sondern der Regierung. Also: Die Regierung soll einen Sonderermittler beauftragen, der gegen die Arbeit der Regierung auf der Grundlage der von der Regierung zur Verfügung gestellten Unterlagen und anschließend dem Parlament – natürlich objektiv – berichtet. Das entspricht in etwa dem naiven Aufsichtsrat, der den Vorstand entlastet, weil er die Vorlage des Vorstandes kritisch geprüft hat und deshalb ja 100#$#prozentig Bescheid weiß. Ist ja klar. Wenn der Vorstand das sagt. Natürlich kann ein Sonderermittler der Bundesregierung nur von der Bundesregierung eingesetzt werden. Und das ist ihr jederzeit und unbeschränkt möglich. Das Parlament kann das fordern, hat aber keinen Anspruch darauf. Es gibt keine Regelung, keine Rechtsgrundlage. Wir schauen mal auf den Geheimdienst-Untersuchungsausschuss des Bundestages: Dort ging es um eine „unabhängige Vertrauensperson“. Die Bundesregierung hatte zur Wahrung der Rechte des Untersuchungsausschusses (UA) dem UA den Vorschlag gemacht, einen „Sonderermittler“ einzusetzen, den der UA benennt und der dem UA dann Bericht erstattet. Eingesetzt hat ihn aber die Bundesregierung. Das war ein Kompromiss, weil die Bundesregierung nicht bereit war, den Kolleginnen und Kollegen des UA unmittelbar Akteneinsicht zu gewähren. Die Grünen haben das zusammen mit den Linken gefordert. Sie haben die Vertrauensperson abgelehnt, weil sie sich aus Artikel 44 GG berechtigt sahen, selbst Einblick zu nehmen. In diesem Fall gehen die Grünen und Linken vehement gegen einen Sonderermittler vor, obwohl dies mit ein wenig Abstraktionsvermögen eine ganz ähnliche Konstruktion ist, wie sie für die Cum-Ex-Geschäfte nun gefordert wird. Grüne und Linke wollen also selber Einsicht nehmen. Merkwürdigerweise wollen sie das bei der Aufarbeitung der Cum-Ex-Geschäfte einem „Sonderermittler“ überlassen, obwohl dort die Verhältnisse offen liegen. Nachfolgend sei nochmal Klaus Ott aus der SZ vom 28.2.1015 zitiert: Die Empörung war groß und parteiübergreifend, als der Bundestag am 15. Januar 2015 über spezielle Börsengeschäfte mit Namen Cum-Ex diskutierte. Abgeordnete von Union und SPD, Grünen und den Linken entrüsteten sich über „skrupellose“ Methoden. Von „Betrug“ und „Schweinerei“ war die Rede, und von einem „Raubzug“ von „Multimillionären“. Gierige Kapitalanleger, gerissene Fondsbetreiber und abgebrühte Banker hätten, so der Tenor, systematisch die Staatskasse geplündert. Das sei kriminell gewesen. Mit der Einigkeit war es aber sofort vorbei, als die Opposition wissen wollte, warum die Bundesregierung diese Steuertricks in Milliardenhöhe erst 2012 endgültig unterbunden hatte, und einen Sonderermittler forderte. Union und SPD spotteten, Grüne und Linke könnten ja einen Untersuchungsausschuss beantragen. Solch ein Ausschuss ist aber gar nicht nötig, um aufzuklären, was schief gelaufen ist. Die Süddeutsche Zeitung hat nach dem Informations-Freiheitsgesetz (IFG), das die Bundesbehörden zu weitreichenden Auskünften verpflichtet, Einblick in mehrere tausend Seiten umfassenden Cum-Ex-Akten des Bundesfinanzministeriums genommen. Die SZ hat zudem interne Dokumente großer Banken sowie Ermittlungsunterlagen gesichtet und mit Akteuren auf allen Seiten gesprochen. Akten und Auskünfte geben Aufschluss über das Versagen der Politik; über die fragwürdige Rolle großer Banken und weiterer Profiteure; und über die schleppende Aufklärung. So weit Klaus Ott. Wir sehen, dass die Forderung nach einem Sonderermittler ein wenig Marketing für die Opposition ist. Tatsächlich ist hier eine andere staatliche Gewalt gefragt. Die Strafprozessordnung sieht die Staatsanwaltschaften als Ermittlungsorgane vor. Diese ermitteln in eigener Zuständigkeit als zur Objektivität verpflichtete Organe der Rechtspflege. Einen Sonderermittler sieht unsere Strafprozessordnung dagegen nicht vor. Der Beitrag, den ein Sonderermittler für die politische Aufklärung liefern könnte, ist unklar. Ein Mangel an Aufklärung besteht nicht. Die Bundesregierung hat parlamentarische Anfragen ausführlich beantwortet. Der Presse wurde umfassender Einblick in die Akten des Bundesfinanzministeriums gewährt. Klaus Ott, der für die Süddeutsche Zeitung die Vorgänge um die Cum-Ex-Geschäfte recherchiert hat, stellt dies, wie sich aus den Zitaten leicht ergibt, ausdrücklich in seinem Artikel vom 28. Februar dieses Jahres fest. Derzeit werden verschiedene Gerichtsverfahren über die Frage der Legalität der Cum-Ex-Geschäfte geführt. Die Gestalter sind der Auffassung, dass die Cum-Ex-Geschäfte rechtmäßig waren und sie einen Erstattungsanspruch hätten. Dies begründen sie damit, dass sie ein wirtschaftliches Eigentum an den Aktien erworben hätten. BMF vertritt dagegen Auffassung, dass unabhängig von der Erlangung eines wirtschaftlichen Eigentums an einer Aktie nur die durch Steuerabzug erhobene Kapitalertragsteuer einmal erstattet werden könne – außerdem seien solche Geschäfte von jeher rechtswidrig gewesen und gesetzlich nicht gedeckt. Die Cum-Ex-Geschäfte wurden zuletzt am Mittwoch eingehend im Finanzausschuss beraten. Konsequent, jedenfalls formal gedacht, wäre die Forderung nach einem Untersuchungsausschuss. Da Grüne und Linke auf die Einsetzung eines solchen Untersuchungsausschusses verzichten, scheint ihr Aufklärungsinteresse doch begrenzt zu sein. Seit der Umstellung des Erhebungsverfahrens der Kapitalertragsteuer sind die betrügerischen Cum-Ex-Geschäfte ausgeschlossen. Versuche des Steuerbetrugs wird es leider auch in Zukunft geben. Notwendig ist deshalb die Herstellung transparenter Besteuerungsverfahren und die enge Zusammenarbeit der Finanzverwaltung über Grenzen hinweg. Die SPD wird sich auch weiterhin konsequent für solche Maßnahmen zur Vorbeugung und Verfolgung von Steuerbetrug einsetzen. Richard Pitterle (DIE LINKE): Zusammen mit den Grünen fordert die Fraktion Die Linke die Einsetzung eines Sonderermittlers zur Aufarbeitung der Cum-Ex-Geschäfte. Nochmal zur Erinnerung: Bei den sogenannten Cum-Ex-Geschäften handelte es sich um Aktiengeschäfte, durch welche der deutsche Staat und damit die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler von 2002 bis 2012 um geschätzt zwölf Milliarden Euro gebracht wurde. Dieser Schaden entstand, weil bei diesen Geschäften zweimal Kapitalertragsteuer vom Staat zurückerstattet oder verrechnet wurde, obwohl sie nur einmal gezahlt worden war. Banken und Großinvestoren lachten sich ins Fäustchen und machten ordentlich Kasse. Ob diese Praktiken legales Ausnutzen einer Regelungslücke oder schlicht Betrug waren, ist noch nicht abschließend geklärt, aber das ist bei dem vorliegenden Antrag auch gar nicht die Frage. Die Frage ist: Warum hat die Bundesregierung und insbesondere das Bundesfinanzministerium trotz verschiedener Hinweise auf diese Geschäfte zehn Jahre lang fast nichts unternommen, um diese Praxis zu unterbinden? Bereits 2002 kam der erste Hinweis des Bankenverbandes an das Ministerium, nichts ist passiert. Trifft es zu, dass es nicht nur diesen Hinweis des Bankenverbands gegeben hat, sondern zugleich die Warnung aus den Lobbykreisen davor, gesetzgeberisch einzugreifen, weil die Cum-Ex-Geschäfte dann nach London abwandern würden, womit der Standort Frankfurt gefährdet wäre? Diese Untätigkeit zugunsten der Finanzindustrie hat die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zwölf Milliarden Euro gekostet, und das lassen wir so nicht durchgehen. Meine Damen und Herren von der großen Koalition, leider haben Sie in den Beratungen zu diesem Antrag kein Interesse an der Aufklärung dieses zahlenmäßig wohl größten Finanzskandals in der Geschichte der Bundesrepublik gezeigt. Sie haben immer nur abgewiegelt, dass das Ganze ja ohnehin als Betrug zu klassifizieren und dementsprechend strafbar sei. Man müsse stattdessen nach vorne schauen, für die Vergangenheit sei alles geklärt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Selbst wenn die Gerichte abschließend zu der Feststellung kommen, dass die Cum-Ex-Geschäfte illegal waren – das Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler ist weg. Um nach vorne schauen zu können, muss erst mal geklärt werden, welche Abläufe im Ministerium und bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, kurz BaFin, strukturell diese Vorgänge befördert haben, damit sich so etwas eben nicht wiederholt. Und wenn Sie schon stets betonen, dass es sich bei den Cum-Ex-Geschäften um Straftaten handelte, dann nehmen Sie bitte auch zur Kenntnis, dass es Aufgabe des Staates ist, Straftaten von vornherein zu verhindern, insbesondere, wenn diverse Hinweise auf ihre fortwährende Begehung vorliegen. In der ersten Lesung zu diesem Antrag hat der geschätzte Kollege Binding von der SPD immerhin eingestanden, dass sich hier keiner freisprechen könne und dass dieser gewaltige Schaden zulasten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler unter den Augen der Politik über Jahre hinweg entstehen konnte. Ich begrüße Ihre Selbstkritik, sehr geehrter Herr Kollege, aber wieso sehen Sie dann keinen Aufklärungsbedarf? Noch einmal: Zwölf Milliarden Euro Schaden! Zehn Jahre hat das Bundesfinanzministerium fast tatenlos zugeschaut! Dass Sie, meine Damen und Herren von der großen Koalition, angesichts dieser Eckwerte trotzdem keinen Aufklärungsbedarf sehen wollen, ist unbegreiflich. Geben Sie sich also einen Ruck und sorgen Sie gemeinsam mit Grünen und Linken dafür, dass die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler erfahren, wie es dazu kommen konnte, dass sie um zwölf Milliarden Euro gebracht wurden. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zehn Jahre lang konnten Betrüger am Finanzmarkt die Bürgerinnen und Bürger unseres Land ausplündern. Schätzungsweise 12 Milliarden Euro konnten uns gestohlen werden, weil die verschiedenen staatlichen Stellen nicht in der Lage waren, diese Betrügereien rechtzeitig zu stoppen. Profitiert haben die beteiligten Banken und die Millionäre, die in die entsprechenden Finanzprodukte investiert haben. Verloren haben die ehrlichen Steuerzahler, deren Geld nicht für öffentliche Leistungen verwendet, sondern ohne Gegenleistung an Millionäre überwiesen wurde. Das ist der Skandal, der sich mit dem Stichwort Cum-Ex verbindet. Und das schlimme ist, dass das Hase-und-Igel-Spiel am Finanzmarkt unverändert weitergeht. Mit den Cum-Cum-Geschäften haben wir ja bereits die nächste Runde in diesem Spiel, bei der es wieder um Milliarden Euro an Steuergeld geht. Umso wichtiger ist es, dass dieser Skandal aufgeklärt wird und daraus Konsequenzen gezogen werden, damit so etwas künftig nicht mehr vorkommen kann. Die Finanzverwaltungen versuchen inzwischen, den Schaden für den Steuerzahler zu mindern. Zahlreiche zivilrechtliche Verfahren sind anhängig, in denen die Frage geklärt wird, wie die Geschäfte steuerlich zu behandeln sind, wer Steuern nachzahlen oder erstattete Steuer zurückzahlen muss. Doch die Frage, warum die Behörden eigentlich dem Treiben an den Finanzmärkten so spät auf die Spur kamen und nicht in der Lage waren, den Fiskus vor dem Betrug zu schützen, wird in diesen Gerichtsverfahren nicht geklärt, das müssen wir politisch klären. Das fehlt bisher. Die Staatsanwaltschaften ermitteln inzwischen gegen eine Reihe von Beteiligten. Natürlich müssen diese Betrüger bestraft werden. Ich hoffe, dass anders als in vielen anderen Fällen am Finanzmarkt tatsächlich die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden können. Was aber die Staatsanwaltschaften nicht untersuchen, sind die Fehler aufseiten der Politik. Das zu klären, ist unsere Aufgabe. Wir müssen doch verstehen, warum wir diese Betrügereien überhaupt ermöglicht haben. Um es in einem Bild zu sagen: Wir wissen alle, dass Einbruch illegal ist. Trotzdem schließen wir unsere Türen ab, wenn wir morgens das Haus verlassen. Was würde Ihre Familie Ihnen sagen, wenn Sie ihre Haustüre und ihre Fenster weit geöffnet gelassen hätten und Einbrecher ihre Wohnung verwüstet hätten? Was müssten Sie sich anhören, wenn Sie dies nicht einmal aus Versehen gemacht hätten, sondern zehn Jahre lang, jeden Tag die Türen offen gelassen hätten und jeden Tag die Einbrecher bei Ihnen ein – und ausgegangen wären? Würde Ihre Familie sich damit zufrieden geben, wenn Sie auf die Gesetze hinweisen würden, dass Einbruch illegal sei? Nein, die Erwartung wäre, dass man die Türen verschließt. Genau das aber ist doch die Situation mit den Cum-Ex-Geschäften. Das Finanzministerium hat die Tür zum Finanzamt weit offen gelassen. Tag für Tag, zehn Jahre lang durften Einbrecher die Steuergelder Ihrer und unser aller Familien ausplündern. Niemand hat die Türe abgeschlossen, obwohl es laute Warnung gab, dass sie weit offen stand. Und die Verantwortung dafür und die Konsequenzen daraus müssen geklärt werden, damit in Zukunft das Steuergeld geschützt ist. Durch eine Gesetzesänderung wurden die Verfahren verändert, sodass heute die damaligen Trickerseien in genau dieser Form wohl nicht mehr nötig sind. Doch warum geschah das erst, nachdem schon Milliarden verloren waren? Im Jahr 2002 hat der Bankenverband die Bundesregierung schriftlich darauf hingewiesen, dass das System der Kapitalertragsteuer in Deutschland betrugsanfällig sei. Banken und sehr vermögende Privatpersonen könnten sich die Kapitalertragsteuer zweimal vom Fiskus erstatten lassen, obwohl sie nur einmal abgeführt worden sei. In seinem Schreiben hatte der Bankenverband nicht nur abstrakt auf eine Betrugsmöglichkeit hingewiesen, sondern diese klar beschrieben: Es ging um Leerverkäufe von Aktien während des Dividendenstichtags, sogenannte Cum-Ex-Geschäfte. Besonders betrugsanfällig seien diese Cum-Ex-Geschäfte zwischen einer ausländischen und einer inländischen Bank. Die Bundesregierung ignorierte dieses Schreiben fünf Jahre lang. Warum? Waren das Bundesfinanzministerium und die Länderfinanzministerien so naiv, zu meinen, dass Finanzmarktakteure eine solche Möglichkeit nicht nutzen würden? Oder sollte aus Gründen der Finanzmarktförderung möglichst nicht gegengesteuert werden? Im Jahressteuergesetz 2007 wurden Regelungen eingeführt, die Betrügereien mittels Cum-Ex-Geschäften zwischen inländischen Banken mindern sollten. Die Bundesregierung war sich dessen bewusst, dass es sich hier nur um eine Teillösung handelte und die Betrugsmöglichkeiten durch das Gesetz nur „verringert“ wurden, wie es in der Begründung des Finanzministeriums zum Gesetz hieß (BT Drucks. 16/2712, Anlage 3, S. 47). Warum gelang es 2007 nicht, dem Treiben ein Ende zu machen? Das sind auch Fragen, denen wir uns im Finanzausschuss kritisch stellen müssen. Besonders peinlich für den Staat wird es, wenn man sich die Rolle der Landesbanken anschaut. Warum haben öffentliche Banken mitgemacht beim Betrug an der Öffentlichkeit? Auch hier gibt es bislang keine Antworten, wie das geschehen konnte. Angesichts all dieser offenen Fragen ist es dringend erforderlich, aufzuarbeiten, was aufseiten des öffentlichen Sektors – Bankenaufsicht, Bundeszentralamt für Steuern, Landesbanken, Landesfinanzministerien und Bundesfinanzministerium – politisch, strukturell und organisatorisch schiefgelaufen ist. Wir müssen Fehler verstehen, sonst werden wir sie wieder machen. Die Koalition argumentiert nun widersprüchlich. Einerseits wird so getan, als sei der Koalition das Thema auch sehr wichtig und nur das von uns vorgeschlagene Instrument Sonderermittler passe nicht. Andererseits gab es aber keine Bereitschaft für einen anderen Weg der Aufklärung. Wir hatten in mehreren Gesprächen in den letzten Wochen deutlich gemacht, dass wir auch für andere Wege der Aufarbeitung dieses Skandals bereit wären. Doch die Koalition hat keinen Vorschlag gemacht, wie es denn anders gehen könnte. Das macht deutlich, was die eigentliche Position der Koalition ist – und das wurde dann in den Ausschussberatungen ja auch am Schluss ehrlich zugegeben: Die Koalition will nicht, dass hier etwas aufgearbeitet wird. Ein anderes Argument gegen unseren Antrag war: Die Unterlagen sind doch alle öffentlich. Doch das stimmt nicht. Über das Handeln oder Nicht-Handeln der Bankenaufsicht gibt es keine öffentlichen Informationen. Auch nicht über die interne Kontrolle bei den Landesbanken oder die Meinungsbildung zwischen Bund und Ländern. Vor allem aber ist das eine sehr komplexe Materie, bei der es nicht um eine einzelne Fehlentscheidunge geht, sondern um eine ganze Phase von offenbar unzureichendem Handeln staatlicher Organe und Behörden. Sinnvoll wäre daher – und deshalb haben wir genau das vorgeschlagen –, dass ein sachkundiger und unabhängiger Experte Zugang zu den entsprechenden Dokumenten bekommt und uns die Zusammenhänge, Ursachen und die Reaktionen der Exekutive aufarbeitet und bewertet. Auf dieser Grundlage könnten wir im Finanzausschuss dann fundiert über notwendige Konsequenzen aus diesem Skandal für Gesetzgebung und Administration diskutieren. In anderen Ländern, aber auch bei uns gibt es zahlreiche Vorbilder für eine solche Vorgehensweise. Ich finde es vor dem Hintergrund des entstandenen Schadens unverständlich und aus der Perspektive der geschädigten Bürgerinnen und Bürger unverständlich, dass Sie sich einer solchen konstruktiven Vorgehensweise verweigern. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Mehrseitigen Vereinbarung vom 29. Oktober 2014 zwischen den zuständigen Behörden über den automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten in Steuersachen und zur Änderung weiterer Gesetze – des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Abgeltungsteuer abschaffen – des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Transparenz bei Kapitaleinkommen stärken – Automatischen Austausch von Informationen über Kapitalerträge auch im Inland einführen (Tagesordnungspunkt 19 a bis d) Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): Bei der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuervermeidung gehen wir heute einen weiteren – grundlegenden – Schritt voran. Bei der Bekämpfung der illegalen Steuerhinterziehung – das sind Fälle wie Hoeneß oder Alice Schwarzer – sind wir einen ganz wesentlichen Schritt vorangekommen. Im Oktober vergangenen Jahres haben insgesamt 51 Staaten hier in Berlin die multilaterale Vereinbarung über den automatischen Informationsaustausch über Finanzkonten unterzeichnet, die maßgeblich durch diese Bundesregierung initiiert wurde. Danach werden ab 2017 die Steuerbehörden in den Unterzeichnerstaaten in einem automatisierten Verfahren Kontoinformationen von den in ihrem Staat oder Gebiet ansässigen Banken und Finanzdienstleistern erhalten, und sie werden diese Daten untereinander austauschen. Das ist ein grundlegender Schritt im Kampf gegen Steuerhinterziehung. Länder, die sich daran beteiligen, stehen als Fluchtort für Kapitalvermögen nicht mehr zur Verfügung. Dazu beraten wir heute zwei Gesetzentwürfe, mit denen der automatische Informationsaustausch über Finanzkonten in Steuersachen mit den anderen EU-Mitgliedstaaten und Drittstaaten ab 2017 in Deutschland umgesetzt wird. Mit der Mehrseitigen Vereinbarung verpflichten sich die Vertragsparteien, die in dieser Vereinbarung bezeichneten und für das Besteuerungsverfahren in den anderen Vertragsstaaten erforderlichen Informationen über Finanzkonten regelmäßig zu erheben und dem anderen Vertragsstaat automatisch zu übermitteln. Mit dem Gesetz zum automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten in Steuersachen und zur Änderung weiterer Gesetze soll die Anwendung des Gemeinsamen Meldestandards für den Informationsaustausch zwischen den zuständigen Behörden geregelt werden. Es wird ein eigenes Stammgesetz zum automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten in Steuersachen geschaffen. Informationen sollen aber nur mit den Ländern ausgetauscht werden, die unsere hohen deutschen Datenschutzstandards erfüllen. Dazu wird Deutschland eine besondere Datenschutzklausel bei der OECD hinterlegen. Durch den jährlichen Informationsaustausch wird es für die Finanzbehörden künftig einfacher, für eine gerechte Besteuerung zu sorgen. Indem wir bestehende Steueransprüche durchsetzen, sichern wir die Grundlagen unseres Gemeinwesens. Unser Bildungswesen, unsere Verkehrsinfrastruktur, unsere innere Sicherheit, unsere hohe soziale Absicherung – all das hängt davon ab, dass die öffentlichen Haushalte zuverlässig und auskömmlich finanziert sind. Niemand soll sich auf Kosten der Allgemeinheit seiner Steuerpflicht entziehen können. Wir haben aber nicht nur die illegale Steuerhinterziehung im Blick, sondern genauso die Probleme legaler Steuervermeidung, vor allem durch international tätige Konzerne. Gemeinsam mit seinem britischen Kollegen hat Finanzminister Schäuble dazu bereits vor vier Jahren auf Ebene der G 20 und im Rahmen der OECD das internationale Projekt „Gegen die Aushöhlung von Steuerbemessungsgrundlagen und Gewinnverlagerung“ (Base Erosion and Profit Shifting – kurz BEPS) initiiert. Ziel des BEPS-Projekts ist es, international abgestimmte Standards zu vereinbaren, um die Möglichkeiten multinational tätiger Unternehmen zur kreativen Steuergestaltung zu begrenzen. Es ist ein veritabler Erfolg, dass Anfang Oktober in Lima die abschließenden Berichte zu BEPS vorgestellt werden. Die nationale Umsetzung steht dann unmittelbar an. Mit dem automatischen Informationsaustausch und der BEPS-Initiative gehen wir deshalb gleichermaßen entschieden gegen Steuerbetrug und legale Steuervermeidung vor. Die Anträge der Opposition lehnen wir ab. Es bedarf keiner schrankenlosen Transparenz über alle Kapitaleinkünfte und keiner weiteren Lockerung des Bankgeheimnisses. Die Finanzbehörden – das ist entscheidend – werden die Informationen über Kapitaleinkünfte im Ausland durch den Informationsaustausch umfassend erhalten. Im Inland werden Kapitaleinkünfte bereits heute durch die flächendeckende Kapitalertragsteuer erfasst. Schlupflöcher bestehen nicht, denn die Kapitalertragsteuer wird automatisch durch die Banken erhoben und in anonymisierter Form an die Finanzverwaltung abgeführt. Eine Abschaffung der Abgeltungsteuer steht jetzt nicht zur Debatte. Zwar erklären sich immer mehr Staaten zum Informationsaustausch über Kapitaleinkünfte bereit, noch ist aber nicht gesichert, dass wir alle Auslandseinkünfte erfassen können. Im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit unseres Finanzstandortes, der damit verbundenen Arbeitsplätze sowie der daran anknüpfenden Steuereinnahmen ist die Abgeltungsteuer sinnvoll und richtig. Andreas Schwarz (SPD): Die vorliegenden Umsetzungsgesetze zum automatischen Informationsaustausch sind ein Meilenstein in der Bekämpfung der Steuerkriminalität. Seit vielen Jahrzehnten diskutiert die Politik, wie man Steuerhinterziehern auf die Schliche kommt, die ihre Zinsgewinne vor dem Fiskus im Ausland verstecken. Steuerbetrug kann auch mit nationaler Gesetzgebung wirksam bekämpft werden. Das haben wir mit der Verschärfung der strafbefreienden Selbstanzeige im vergangenen Jahr eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Bereits die Ankündigung, die Bedingungen für die Selbstanzeige ab 1.1.2015 zu verschärfen und vor allem deutlich teurer zu machen, hat im letzten Jahr über 40 000 Steuerflüchtige dazu bewogen, sich selbst anzuzeigen. Auch in diesem Jahr wird mit rund 20 000 Selbstanzeigen gerechnet. Das war in dieser Höhe nicht unbedingt zu erwarten. Trotz dieses großen Erfolges eines nationalen Gesetzes: Steuerhinterziehung ist mit nationalstaatlicher Gesetzgebung alleine nicht beizukommen. Das erreichen wir nur durch internationale Zusammenarbeit. Bereits am 13. Oktober 1931 hatte der damalige sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Dr. Rudolf Breitscheid in einem Antrag die Reichsregierung Brüning aufgefordert – ich zitiere –, „der frevelhaften Kapital- und Steuerflucht deutscher Staatsangehöriger“ zu begegnen. Breitscheid forderte die damalige Reichsregierung auf, ich zitiere–, „über eigene gesetzgeberische Maßnahmen zur Bekämpfung der Steuer- und Kapitalflucht hinaus in Verhandlungen mit den Regierungen anderer Staaten einzutreten mit dem Ziele, eine internationale Rechtshilfe gegen Kapital- und Steuerfluchthandlungen zu vereinbaren“. Dieses über 80 Jahre alte Zitat drückt sehr gut aus, um was es geht. Es bedarf nationaler, aber vor allem auch internationaler Gesetze und Vereinbarungen, um Steuerkriminalität wirksam bekämpfen zu können. Es fehlte viel zu lange an dieser unerlässlichen internationalen Zusammenarbeit, wobei wiederum nicht jedes internationale Abkommen zielführend sein muss. Das deutsch-schweizerische Steuerabkommen ist so ein Beispiel. Bei Inkrafttreten dieses Abkommens wären sämtliche Steuerhinterzieher anonym und straffrei geblieben. Das haben wir damals aus guten Gründen zum Glück verhindern können. Aber was wurde in den letzten Jahrzehnten tatsächlich auf internationaler Ebene unternommen, um ein wirksames Instrument zur Aufdeckung grenzüberschreitender Steuerhinterziehung zu schaffen? 1962 erarbeitete Fritz Neumark im Auftrag der EG-Kommission ein Konzept, das die EG-weite Einführung einer einheitlichen anrechenbaren Quellensteuer sowie einen gemeinschaftlichen Auskunftsdienst für eine wirksame Steuerkontrolle vorsah. Realisiert wurde es nicht. 1989 war der Vorschlag der Europäischen Kommission, eine Quellensteuer in Höhe von 15 Prozent auf die Zinserträge ausländischer Anleger einzuführen, von den Mitgliedstaaten mehrheitlich abgelehnt worden. Es dauerte viele weitere Jahre, bis dann im Juni 2003 die EU-Zinsrichtlinie verabschiedet wurde. Nach einigen Verzögerungen trat sie im Juli 2005 in Kraft. Lediglich Belgien, Österreich und Luxemburg scherten aus und erhoben zur Wahrung ihres Bankgeheimnisses eine Quellensteuer. Es hat also über 40 Jahre gedauert, bis endlich ein Instrument für eine effektive Besteuerung grenzüberschreitender Zinszahlungen zur Verfügung stand. Über 40 Jahre! In der heutigen Zeit kommt es aber vor allem bei den Kapitalströmen entscheidend darauf an, dass wir schnell reagieren, wenn wir einen Missstand beheben wollen. Mit der Umsetzung der Mehrseitigen Erklärung spitzen wir nicht nur den Mund, wir pfeifen auch. Denn bereits ein knappes Jahr nach der Unterzeichnung der Mehrseitigen Erklärung Ende Oktober 2014 schaffen wir nun die gesetzlichen Grundlagen für die Anwendung des OECD-Standards. Für diese Leistung spreche ich allen Beteiligten meinen herzlichen Dank aus. Die im Jahre 2014 überarbeitete Zinsrichtlinie ist ein guter Zwischenschritt zum Automatischen Informationsaustausch nach OECD-Standard. Ein Zwischenschritt deshalb, weil der OECD-Standard weiter geht als die EU-Zinsrichtlinie. Denn künftig werden zum Beispiel auch Beteiligungs- und Veräußerungserträge erfasst. Mit der Ratifizierung der Mehrseitigen Vereinbarung von Ende Oktober 2014 über den automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten nach dem OECD-Standard und dem Finanzkonten-Informationsaustauschgesetz, das die Anwendung des Gemeinsamen Meldestandards für diesen automatischen Informationsaustausch über Finanzkonten mit den EU-Mitgliedstaaten auf Grundlage der EU-Amtshilferichtlinie sowie mit Drittstaaten auf Grundlage der Mehrseitigen Vereinbarung regelt, kommen wir endlich den globalen Erfordernissen nach. Von Januar 2016 an werden die teilnehmenden Staaten Daten über Konten erheben, die diese ab September 2017 untereinander austauschen. Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt ausdrücklich, dass es für unsere Steuerbehörden somit künftig deutlich einfacher wird, die notwendigen Informationen über Privatkonten deutscher Staatsbürger von ausländischen Steuerbehörden zu erhalten. Die Übermittlung der Finanzkonten-Daten sind unerlässlich, um Steuerflucht noch wirksamer zu bekämpfen und damit dem Staat die Mittel zukommen zu lassen, die er für die Erfüllung seiner Aufgaben dringend braucht. Das damit einhergehende faktische Ende des Bankgeheimnisses war unumgänglich. Es diente in den vergangenen Jahrzehnten leider allzu oft als Deckmantel für Steuerhinterziehung. Damit wird jetzt endlich Schluss gemacht. Steuerhinterziehung darf sich nicht lohnen. Es lohnt sich deshalb nicht, weil die Gefahr erwischt zu werden immer größer wird. Mit dem neuen OECD-Standard existiert jetzt ein neues Instrument zur Aufdeckung von Steuerstraftaten, das hoffentlich auch dem Letzten klar macht, welche Stunde es geschlagen hat. Ich komme zum Schluss. Die Bekämpfung von Steuerbetrug bedeutet für uns Sozialdemokraten immer auch ein Stück Steuergerechtigkeit. Mit der heutigen ersten Lesung und der endgültigen Verabschiedung am 13. November kommen wir auch hier wieder ein gutes Stück voran. Richard Pitterle (DIE LINKE): Vor einem Jahr wurde das völkerrechtliche Abkommen über den Austausch von Kontodaten zwischen Finanzbehörden der Unterzeichnerstaaten geschlossen. Ziel des Abkommens ist es, Steuervermeidung und Steuerhinterziehung durch die Nutzung von Konten im Ausland zu bekämpfen. Das Abkommen gibt den Steuerbehörden die Möglichkeit, Auslandskonten durch einen Datenaustausch weltweit nachzuspüren. Dieses Abkommen erfüllt eine langjährige Forderung der Linken. Wir werden daher das Zustimmungsgesetz zum Abkommen selbstverständlich unterstützen. Was uns der Bundesfinanzminister darüber hinaus zur Beratung vorgelegt hat, verdient nicht einmal die Note ungenügend. Mit dem Finanzkonten-Informationsaustauschgesetz soll der vereinbarte Datenaustausch gesetzlich geregelt werden. Die Stümperhaftigkeit dieses Werkes lässt mich fassungslos und ratlos zurück. Es ist eine Ansammlung 1:1 kopierter Textpassagen aus der EU-Amtshilferichtlinie und dem Abkommen. So ist zum Beispiel § 25 des Gesetzentwurfes - mit der schon unverständlichen amtlichen Überschrift „Trusts, die passive NFEs sind“ - der Text der Nr. 5 Anhang II der EU-Amtshilferichtlinie. Der strukturlose Entwurf wimmelt von unverständlichen Formulierungen, Doppelungen und Leerplätzen. Unzählige Definitionen sind völlig sinnfrei: Ein „Neukonto natürlicher Personen“ ist überraschend definiert als „ein Neukonto, dessen Inhaber eine natürliche Person ist“. Ein „passiver NFE“ ist ein „NFE, der kein aktiver NFE ist“. Offenkundig ist im Bundesfinanzministerium weder das vom Bundesjustizministerium herausgegebene Handbuch der Rechtsförmlichkeit noch die seit 2009 bestehende Sprachberatung in den Bundesministerien für verständliche Gesetze bekannt. Im Vorwort zum Handbuch der Rechtsförmlichkeit heißt es mahnend: „Es geht aber nicht nur darum, dass eine Vorschrift juristisch stimmig ist. Wenn sie die Bürgerinnen und Bürger, die Unternehmen und die Rechtsanwender erreichen soll, muss die Norm auch übersichtlich gestaltet, klar und verständlich formuliert sein“. Nichts, aber auch gar nichts davon erfüllt dieser Entwurf! Auch scheint das Bundesfinanzministerium nicht zu wissen, dass Richtlinien und völkerrechtliche Verträge weder nach ihrer Entstehungsgeschichte, ihrer Struktur noch nach ihrer Zielgruppe überhaupt dazu geeignet sind, wörtlich übernommen zu werden. Das nationale Recht ist den Richtlinien anzupassen und hat völkerrechtliche Verträge umzusetzen. Verbindlich ist das Ziel, nicht die Form. So steht es im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Schon formell ist das Gesetz handwerklich ein Totalschaden und so miserabel, dass sich die Fehler in unserem Haus nicht mehr beheben lassen. Ich habe aber auch inhaltliche Bedenken. Als Finanzpolitiker streite ich für maximale Transparenz im Kampf gegen die Steuerhinterziehung. Als Rechtspolitiker sehe ich, dass der automatische Datenaustausch Fragen des Datenschutzes - und damit Grundrechte - vital berührt. Bei der Unterzeichnung des Abkommens hat die Bundesrepublik zwar die Verwendung der Daten für andere Zwecke als die Besteuerung untersagt und die Zustimmung an die Wahrung des Datenschutzes geknüpft. Nur finden diese richtigen Beschränkungen keinen Niederschlag im Ausführungsgesetz. Mit dem Gesetz werden Finanzinstitute verpflichtet, Daten - wie zum Beispiel Namen, Geburtsort, Geburtstag, Steuernummer, Kontensalden, Zinsen - zu erheben und an das Bundeszentralamt für Steuern zu übermitteln. Dieses speichert und überträgt die Daten automatisch auf Abruf ins Ausland. Der automatische Austausch von Informationen über Finanzkonten ist damit die anlasslose Vorratsdatenspeicherung im Steuerrecht. Ich bezweifle, dass der Entwurf der Rechtsprechung des EuGH und des Bundesverfassungsgerichtes zur Vorratsdatenspeicherung und zum automatisierten Kontenabruf gerecht wird. Ich sehe im Entwurf keine klaren und präzisen Regelungen hinsichtlich der Datensicherheit, der Datenverwendung, der Transparenz und des Rechtsschutzes. Ich sehe auch keine Regelungen, die einen wirksamen Schutz personenbezogener Daten vor Missbrauchsrisiken, vor unberechtigtem Zugang und unberechtigter Nutzung gewährleisten. Ein Schutz, der bei einer Vielzahl von Unterzeichnerstaaten mit völlig unzureichendem Datenschutzniveau zwingend ist. Abschließend lassen Sie mich erneut für die Abschaffung der Abgeltungssteuer werben. Lieber „25 Prozent von X, statt 42 Prozent von nix“ ließ der damalige Bundesfinanzminister Steinbrück verlauten. Der tragende Grund für die Abgeltungssteuer war die Angst vor einer Kapitalflucht ins Ausland. Mit der Umsetzung des Abkommens entfällt dieser Grund. Lassen Sie uns endlich mehr Steuergerechtigkeit herstellen und Kapitalerträge in Zukunft wenigstens genauso besteuern wie Arbeitseinkommen. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Einführung des automatischen Informationsaustauschs fordern wir Grüne im Bundestag seit vielen Jahren. Finanzminister Schäuble hat sich solch einem automatischen Informationsaustausch lange verweigert. Indem er mit der Schweiz ein auf Anonymität basierendes Steuerabkommen aushandelte bewies er, dass ihm nichts an einem automatischen Informationsaustausch lag. Erst die rot-grüne Ablehnung dieses Abkommens im Bundesrat hat den Weg für den automatischen Informationsaustausch frei gemacht. Ohne unseren Einsatz würden wir heute diesen Gesetzentwurf nicht diskutieren. Die Einführung des automatischen Informationsaustauschs ist nur ein erster Schritt hin zu einem gerechteren Steuersystem, das Steuerhinterziehung konsequent unterbindet. Meine Fraktion bringt daher zwei Anträge zu dem vorliegenden Gesetzentwurf ein, mit denen wir weitere notwendige Schritte einfordern. Mit dem ersten Antrag fordern wir die längst überfällige Abschaffung der Abgeltungsteuer. Von Anfang an war die Abgeltungsteuer ungerecht und verfassungsrechtlich zweifelhaft, weil sie Kapitaleinkünfte gegenüber zum Beispiel Arbeitseinkommen stark privilegiert. Die steuerliche Begünstigung von Fremdkapital gegenüber Eigenkapital führte zudem zu ökonomischen Verzerrungen bei der Finanzierung und Investitionstätigkeit von Unternehmen. Die einzige Begründung für die Abgeltungsteuer war, dass die deutsche Regierung vermeintlich keine Handhabe gegen illegale Kapitalflucht ins Ausland hatte. Die damalige Bundesregierung kapitulierte und machte den Steuerflüchtigen das Angebot: Ihr bleibt mit eurem Vermögen in Deutschland, versteuert eure Kapitalerträge, aber nicht mehr mit bis zu 45 Prozent progressiv, sondern anonym und linear mit 25 Prozent. Dieser Steuersatz gilt selbst bei Kapitaleinkünften in Millionenhöhe. Schon die vielen Steuerhinterziehungsskandale wie zum Beispiel Swiss-Leaks, Commerzbank-Leaks und der Fall Uli Hoeneß zeigen deutlich, dass diese Rechnung nie aufging. Auch 25 Prozent sind zu hoch, wenn man woanders gar keine Steuern zahlt. Mit Einführung des automatischen Informationsaustauschs mit allen wichtigen internationalen Finanzzentren ist die Begründung für die Abgeltungsteuer endgültig hinfällig. Es besteht eine Handhabe gegen Steuerhinterziehung. Im Vergleich zu Arbeitseinkommen liegt der Steuersatz bei Kapitaleinkünften durch die Abgeltungsteuer um bis zu 20 Prozent niedriger. Das verstößt nicht nur gegen jegliches Gerechtigkeitsempfinden, es verstößt auch gegen den Gleichheitsgrundsatz. Spätestens mit der Einführung des automatischen Informationsaustauschs besteht keine Rechtfertigung mehr für diese steuerliche Begünstigung von Kapitaleinkünften. Die Abgeltungsteuer wird somit verfassungswidrig. In unserem Antrag fordern wir daher, dass Kapitaleinkünfte noch in dieser Legislaturperiode dem progressiven Einkommensteuertarif unterworfen werden. In unserem zweiten Antrag „Transparenz von Kapitaleinkommen“ setzen wir uns dafür ein, dass deutsche Banken verpflichtet werden, sämtliche Kapitalerträge an die Finanzbehörden zu melden, unabhängig davon, wo der Konteninhaber ansässig ist. Denn für die Frage der Transparenz bei Kapitaleinkommen ist eine Unterscheidung von ausländischen und inländischen Inhabern deutscher Konten nicht gerechtfertigt. Spätestens wenn die Abgeltungsteuer abgeschafft ist und Kapitaleinkommen wieder im Rahmen der Einkommensteuer erklärt werden, brauchen die Finanzbehörden mehr Befugnisse, um die Richtigkeit der Steuererklärungen überprüfen zu können. Die einfachste und gerechteste Lösung ist dabei ein automatischer Informationsaustausch zwischen Banken und Finanzbehörden auch im Inland. Die Meldung sämtlicher Kapitalerträge hätte zum einen den Vorteil, dass die Banken die Ansässigkeit der Kunden nicht mehr aufwendig prüfen müssen, wie es im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehen ist. Zum anderen wäre die Besteuerung der Kapitalerträge in Deutschland weitestgehend sichergestellt, wenn die Finanzbehörden automatisch Informationen über die Kapitalerträge erhalten. Bei Arbeitseinkommen ist es selbstverständlich, dass die Löhne vom Arbeitgeber an das Finanzamt gemeldet werden. Wir sehen keinen Grund für die Ungleichbehandlung von Löhnen und Zinsen – hier völlige Transparenz, dort völlige Verschwiegenheit. Die Daten müssen natürlich durch das strikte deutsche Steuergeheimnis geschützt werden, um sicherzustellen, dass diese Daten nicht für andere Zwecke verwendet oder an andere Stellen weitergeleitet werden. In den vergangenen Jahren erlebten wir eine Vielzahl an Steuerhinterziehungs-Skandalen, die das Verstecken von Geldern in Steuersümpfen, auf Offshore-Konten oder in Offshore-Firmen zum Hintergrund hatten. Bezeichnend war, dass die Informationen zu den Steuerbetrügern nicht auf offiziellem Wege zugänglich waren, sondern zufällig durch Datenlecks an die Öffentlichkeit gelangten. Dass die Zahl der Selbstanzeigen während der Berichterstattung über diese Steuerskandale signifikant gestiegen ist, macht deutlich: Nicht die Anonymität von Konten oder gar die Begünstigung von Kapitalerträgen durch eine Abgeltungsteuer führen zu Steuerehrlichkeit bei Steuerbetrügern, sondern ein hohes Entdeckungsrisiko. Ein automatischer Informationsaustausch für sämtliche Kapitalerträge in Verbindung mit der Abschaffung der Abgeltungsteuer wird die Entdeckungsgefahr erhöhen. Das ist ein großer Fortschritt im Kampf gegen Steuerhinterziehung. Einige offensichtliche Schwächen enthält aber auch der vorliegende Gesetzentwurf. Ein mit Vorsatz begangener Verstoß gegen die zukünftigen Meldeverpflichtungen der Banken soll lediglich als Ordnungswidrigkeit gelten, die mit maximal 5 000 Euro Geldbuße geahndet wird. Es ist abzusehen, dass von dieser Regelung keine große Abschreckungswirkung ausgeht. Dass wir in Deutschland kein Unternehmensstrafrecht haben, darf nicht dazu führen, dass vorsätzlich gegen die Vorschriften handelnde Personen nicht strafrechtlich belangt werden. Hier bedarf es unbedingt einer Klarstellung oder aber einer Verschärfung der Straf- und Bußgeldvorschriften. Andernfalls gleicht diese Regelung eher einer Einladung, Konteninformationen von zum Beispiel politisch exponierten Personen weiterhin vorsätzlich nicht zu melden. Auch die Regelung, nach der es gerade die Banken selbst sind, die die Ansässigkeit der Konteninhaber und Meldepflicht prüfen sollen, lässt viel Spielraum für Steuerhinterziehung. Bei fehlender Strafandrohung darf vermutet werden, dass diese Prüfung eher lax ausfällt. Zielführender wäre eine Überprüfung durch die Finanzämter. Weiterhin dürfen wir natürlich nicht vergessen: Es ist gut, dass bisher fast 100 Länder beim automatischen Informationsaustausch mitmachen. Aber das bedeutet eben auch, dass ungefähr 100 Staaten noch fehlen. Der automatische Informationsaustausch wirkt umso besser gegen Steuerhinterziehung, wenn weltweit alle Staaten mitmachen. Deshalb muss die Bundesregierung dafür sorgen, dass sich die Zahl der Teilnehmerstaaten weiter erhöht. Mit unseren Anträgen wollen wir das deutliche Signal setzen, dass wir beim internationalen automatischen Informationsaustausch nicht stehen bleiben dürfen und auch zu Hause unsere Hausaufgaben machen sollten. Zusätzlich zur Einführung des automatischen Informationsaustausches ist die Abgeltungsteuer abzuschaffen und eine Meldepflicht für sämtliche Kapitalerträge unabhängig von der Ansässigkeit der Konteninhaber einzuführen. Dadurch erfolgt die Besteuerung von Kapitalerträgen nicht mehr anonym und steuerbegünstigt, sondern progressiv nach der tatsächlichen Leistungsfähigkeit. Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Die Welt hat sich durch moderne Kommunikationstechnologie maßgeblich gewandelt; sie hat sich vernetzt. Damit ist es leichter geworden, Gelder innerhalb kürzester Zeit auf andere Kontinente zu verschieben und damit auch vor nationalen Steuerbehörden zu verbergen. Es war daher ein großer Erfolg unserer Politik, als sich fast genau vor einem Jahr hier in Berlin über 50 Staaten und Gebiete mit der Unterzeichnung der Mehrseitigen Vereinbarung zu dem OECD-Standard zu Transparenz und effektivem Informationsaustausch für Besteuerungszwecke bekannt und sich entsprechend verpflichtet haben, diesen umzusetzen. Inzwischen sind es übrigens schon 61 Staaten und Gebiete und es werden immer mehr. Der grenzüberschreitende Steuerbetrug und die grenzüberschreitende Steuerhinterziehung haben die einzelnen Staaten in den zurückliegenden Jahren vor erhebliche und von den einzelnen Ländern nicht mehr allein zu bewältigende Herausforderungen gestellt. Steuergerechtigkeit und die Gewährleistung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung sind unabdingbare Voraussetzungen für ein funktionierendes Gemeinwesen und einen handlungsfähigen Staat. Eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den nationalen Steuerbehörden ist daher unerlässlich, um die ordnungsgemäße Ermittlung der Steuerpflicht zu gewährleisten und damit internationale Steuerhinterziehung zu bekämpfen. Dabei kommt insbesondere der Schaffung von Transparenz in Steuerangelegenheiten und dem automatischen Informationsaustausch eine entscheidende Rolle zu. Das ist ein neues wichtiges Instrument im Bereich der internationalen Amtshilfe. Wir schaffen hierdurch mehr Transparenz und mehr Fairness für unsere globalisierte Welt im 21. Jahrhundert. Die Bundesregierung wird sich im Rahmen dieses vorgesehenen Informationsaustauschs weiter dafür einsetzen, dass eine möglichst große Anzahl von Staaten an diesem Informationsaustausch teilnehmen wird. Nur so ist es möglich, weltweit einen einheitlichen internationalen Standard für einen fairen internationalen Steuerwettbewerb zu schaffen. Steuerhinterziehung kann letztlich nur auf globaler Ebene wirkungsvoll bekämpft werden. Aufgrund der vorliegenden Mehrseitigen Vereinbarung erhalten deutsche Finanzbehörden künftig von den anderen Unterzeichnerstaaten Informationen, die zur Sicherung und dem Erhalt deutschen Steuersubstrats beitragen. Ein erster Informationsaustausch ist bereits in 2017 vorgesehen. Durch das Vertragsgesetz soll dieses Abkommen die Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften erhalten. Die von der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich geprägte Mehrseitige Vereinbarung zum automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten ist ein weiterer wesentlicher Beitrag in unseren Bemühungen um einen internationalen fairen Steuerwettbewerb, der eben nicht auf Verzerrungen und mangelnde Transparenz aufbaut. Nicht zuletzt unsere Bemühungen im Rahmen des G20-Prozesses haben dazu geführt, dass es zu einer beschleunigten Umsetzung des bei der OECD entwickelten einheitlichen Common Reporting Standard zum Informationsaustausch für Besteuerungszwecke gekommen ist. Die Bundesregierung wird sich für eine rasche Entwicklung von wirksamen Einzelregelungen auf der Grundlage der Mehrseitigen Vereinbarung einsetzen. Hierzu zählt auch der vorliegende eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zum automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten in Steuersachen und zur Änderung weiterer Gesetze. All diese Gesetze dienen der konsequenten nationalen Umsetzung der von uns eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtung zum internationalen Informationsaustausch. Hierdurch soll national gewährleistet werden, dass wir der durch die Zeichnung der Mehrseitigen Vereinbarung eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtung zum ersten Informationsaustausch ab 2017 nachkommen. Durch dieses Gesetz werden daher deutsche Finanzinstitute verpflichtet, die entsprechenden Informationen an das Bundeszentralamt für Steuern zu übermitteln. Das Bundeszentralamt für Steuern leitet diese Informationen dann an die Staaten weiter, die diese Informationen für eigene Steuerzwecke benötigen. Ich möchte nicht verhehlen, dass der vorgegebene Zeitplan sowohl in rechtlicher als auch in technischer Hinsicht sehr ambitioniert ist. Das Bundesministerium der Finanzen arbeitet daher in enger Zusammenarbeit mit dem Bundeszentralamt für Steuern mit Hochdruck an der rechtzeitigen technischen Implementierung des Standards. Wir sind davon überzeugt, die vorgegebenen Anforderungen zeitgerecht umzusetzen. Dies gilt auch für die Umsetzung durch die von dem vorliegenden Gesetz verpflichteten Finanzinstitute. Mit den Gesetzesentwürfen wird der automatische internationale Informationsaustausch in Steuerangelegenheiten als effizientes und wirkungsvolles Instrument der Verwaltungszusammenarbeit in der Bundesrepublik Deutschland implementiert und stellt einen Pfeiler für unsere Brücke zu mehr internationaler Steuergerechtigkeit dar. Von Beginn an war dabei auch der Schutz der im Rahmen des automatischen Informationsaustauschs zu übermittelnden Daten ein wesentliches Anliegen der Bundesregierung. Sowohl bei den Beratungen auf OECD-Ebene als auch bei der Erstellung des Gesetzentwurfs wurde dafür Sorge getragen, dass die Sicherheit und der Schutz dieser personenbezogenen Daten gewährleistet werden. Die Bundesrepublik Deutschland wird durch die Hinterlegung einer sehr umfangreichen Erklärung zu Verwendungsbeschränkungen und Datenschutzbestimmungen gewährleisten, dass Informationen, die ein anderer Staat von Deutschland erhält, dem gleichen datensicherheitsrechtlichen Schutz unterliegen, wie Daten die wir von anderen Staaten erhalten. Zudem stellt die Erklärung klar, dass die von der Bundesrepublik Deutschland übersandten Daten nicht für Zwecke verwandt werden dürfen, die gegen den „Ordre public“ der Bundesrepublik Deutschland verstoßen. Zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (Abgeltungsteuer abschaffen) Ein abschließendes Wort zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass eine Evaluierung der Notwendigkeit der Abgeltungsteuer erst vorgenommen werden sollte, wenn der internationale Informationsaustausch über Finanzkonten etabliert ist und wirksam umgesetzt wurde. Zieldatum für die Umsetzung des automatischen Informationsaustausches ist 2017. Die Frage der Evaluierung der Abgeltungsteuer stellt sich vor diesem Hintergrund derzeit nicht.“ Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes (Tagesordnungspunkt 20) Steffen Kanitz (CDU/CSU): Mir ist wichtig, dass wir in Deutschland eine tragfähige und verantwortungsvolle Gesamtstrategie der nuklearen Entsorgung entwickeln. Dafür müssen wir in Sachen sichere Endlagerung in Deutschland endlich weiterkommen. Alles andere wäre weder im Sinne der Sicherheit noch im Sinne der Wirtschaftlichkeit und damit auch nicht im Sinne der jungen Generation. Beide Prinzipien finden sich übrigens im Standortauswahlgesetz. Wir täten gut daran, diese zu beherzigen. Die nationale Entsorgungsstrategie im Nuklearbereich wird maßgeblich von den Empfehlungen der Endlagerkommission mitbestimmt, die diesem Parlament bis Mitte 2016 ihren Abschlussbericht vorlegen wird. Denn das Nationale Entsorgungsprogramm steht explizit unter Revisionsvorbehalt der Ergebnisse dieser Kommission. Um das Ziel eines tragfähigen Gesamtkonzeptes zu erreichen, muss die Endlagerkommission ihren Arbeitsauftrag stringent und pünktlich abarbeiten. Aber die Endlagerkommission ist eben nur ein Meilenstein auf dem Weg zu einer erfolgreichen Gesamt-Entsorgungsstrategie. In der Öffentlichkeit, Wirtschaft und Politik wird derzeit im Nuklearbereich nicht nur die Arbeit der Endlagerkommission diskutiert, sondern auch Stresstests, Rückstellungen, Unternehmensabspaltungen, mögliche Atomstiftungen und zuletzt insbesondere ein mögliches Nachhaftungsgesetz. Leider geht in der öffentlichen Debatte dabei vieles durcheinander. Mein Appell ist: Lassen Sie uns die verschiedenen Prozesse im Nuklearbereich miteinander denken: Wenn wir es ernst meinen mit einem vernünftigen Gesamtkonzept für den Ausstieg aus der Kernenergie, dann müssen wir systematisch vorgehen und nicht das Pferd von hinten aufzäumen. Es gibt offene Fragen, die wir zügig und in der richtigen Reihenfolge klären müssen. Um diese noch offenen Fragen zu klären haben wir drei Prozesse in Gang gebracht: Erstens. Wir haben die noch laufende Endlagerkommission eingerichtet, die bis Mitte 2016 Empfehlungen für das Verfahren einer neuen Endlagersuche formulieren wird. Das ist auch für die Frage eines Nachhaftungsgesetzes relevant. Denn von dem noch festzulegenden Verfahren wird auch der Kostenrahmen der Endlagersuche abhängen. Dieser hängt maßgeblich von der Frage ab, wie viele potenzielle Endlagerstandorte erkundet werden sollen. Erst wenn der Kostenrahmen feststeht, wird man wirklich beurteilen können, ob die 39 Milliarden Euro an Rückstellungen, die die Kernkraftwerkbetreiber bisher gebildet haben, ausreichen werden. Solange wir das nicht wissen, können wir auch nicht mit dem Finger auf die Unternehmen zeigen und kritisieren, dass die Rückstellungen nicht ausreichen. Das macht für mich keinen Sinn und ist auch nicht zielführend. Ob die 39 Milliarden ausreichen, kann zurzeit keiner sagen. Auch Zeitungsberichte zu aktuellen Prognosen von Wirtschaftsprüfern würde ich mit Vorsicht genießen. Die Wirtschaftsprüfer haben offenbar mit einem negativen Realzins gerechnet, was dazu führt, dass die notwendigen Rückstellungen finanzmathematisch ins unendliche steigen. Dieses Szenario ist völlig unrealistisch. Interessant finde ich, dass die Opposition vor wenigen Jahren noch lautstark kritisiert hat, dass die Kernkraftwerksbetreiber zu HOHE Rückstellungen in ihre Bücher geschrieben hätten mit dem Ziel, Steuern zu sparen. Sie müssen sich schon auf eine Argumentationslinie einigen, wenn Sie glaubwürdig sein möchten. Deutsche Konzerne sind dafür bekannt, dass sie mit einem konservativen Realzins von nur einem Prozent rechnen, ganz im Gegensatz zu vielen anderen Ländern. Ich sehe uns als Politik in der Pflicht, anhand der Empfehlungen der Endlagerkommission den betroffenen KKW-Betreibern Planungssicherheit zu gewähren. Das erreichen wir, indem das vorgeschriebene Verfahren zur Endlagersuche mit einem Kosten- und Terminplan belegen, der dann den KKW-Betreibern vorzugeben ist. Bis dahin gilt es, den Arbeitsergebnissen der Endlagerkommission nicht durch ein Haftungsgesetz vorzugreifen, sondern die Robustheit der bestehenden Rückstellungen zu prüfen und diese in einem sinnvollen Modell zu sichern. Genau zu diesem Zweck haben wir neben der Endlagerkommission zwei weitere Prozesse in Gang gesetzt: Zweitens. Wir haben die noch laufenden Stresstests eingeführt, die Aufschluss über den Status Quo der vorhandenen Rückstellungen und deren Robustheit geben sollen. Ein offizielles Ergebnis liegt uns nicht vor. Drittens. Zusätzlich soll eine Rückstellungskommission eingerichtet werden, die die verschiedenen Modelle zur Sicherung der Rückstellungen diskutiert und Empfehlungen erarbeitet – Stichwort öffentlich-rechtliche Stiftung oder Fondsmodell. Ich würde es sehr begrüßen, wenn diese Kommission zeitnah ihre Arbeit aufnähme. Als Blaupause für eine öffentlich-rechtliche Stiftung im Entsorgungsbereich wird häufig die RAG-Stiftung für Ewigkeitslasten genannt. Die RAG-Stiftung ist eine in der deutschen Wirtschaft einzigartige Konstruktion zur Übernahme von langfristiger Verantwortung für die Ära nach dem Steinkohlebergbau; ein Modell das funktioniert. Die Herausforderung ist dort eine ähnliche, wie die Unsere, sowohl mit Blick auf den Zeitfaktor, als auch vor dem Hintergrund der Tragweite der Aufgabe. Die RAG-Stiftung finanziert sich durch ihre Anteile an den Gewinnen der abgespalteten RAG-Nachfolgekonzerne – Evonik und Vivawest –, die ihre Profitabilität u.a. durch Unternehmensbeteiligen dynamisch steigern und auf diese Weise hohe Erträge erwirtschaften. Wir sprechen jährlich etwa 330 Millionen Euro, um mal eine Hausnummer zu nennen. Wenn man das Stiftungsvermögen stattdessen langfristig in Staatsanleihen anlegte, käme man angesichts der aktuellen Niedrigzinsphase auf eine Wertsteigerung von gerade einmal 1,5 Prozent, das ist weniger als die Inflation und käme somit einem Werteverlust gleich. Zudem hat die RAG-Stiftung einen sozialverträglichen Anpassungsprozess des Bergbaus ermöglicht, den auch wir anstreben sollten. Bisher wurde kein Bergbaumitarbeiter frühzeitig entlassen, und alles deutet darauf hin, dass dies bis zum endgültigen Ausstieg aus dem Bergbau im Jahr 2018 so bleiben wird. Das sollte auch unser Leitmotiv sein. Wenn es um das Lieblingsthema der Opposition – einen externen Fonds mit unbegrenzter Nachschusspflicht der Konzerne – geht, dann kann ich nur den Kopf schütteln und mahnen: Haftung und Kontrolle müssen schon zusammengehören. Wenn öffentlicher Fonds, dann muss die Haftung und die Verantwortung für vernünftige Renditen auch dort liegen. Sonst schlachten Sie die Kuh, die Sie melken wollen, liebe Kollegen von der Opposition. Vor dem Hintergrund der laufenden Prozesse im Bereich der nuklearen Entsorgung – Endlagerkommission, Stresstests, Rückstellungskommission – ist es derzeit wenig sinnvoll, ein Haftungsgesetz zu verabschieden. Übrigens wäre ein solches Gesetz im sonstigen Gesellschaftsrecht ohne Beispiel. Unabhängig von rechtlichen Fragen, sehe ich aber noch eine ganz andere Gefahr: nämlich dass ein solches Gesetz zum Startschuss für die Deindustrialisierung unseres Landes wird. Eine zeitlich und inhaltlich unbegrenzte Haftung kann nicht verhältnismäßig sein und entfaltet eine gefährliche Signalwirkung für andere, risikobehaftete Branchen. Heute wollen Sie ein Einzelfallgesetz für die Energieversorgungsunternehmen und morgen diskutieren wir über weitere Branchen mit langfristigen Risiken – ein verheerendes Signal für den Industriestandort Deutschland! Das Nachhaftungsgesetz geht von der verfassungsrechtlich unzutreffenden Prämisse aus, die EVU hätten alles zu bezahlen, was der Staat für gesellschaftspolitisch wünschenswert hält. Das ist ein Irrglaube! Als Mitglied der Endlagerkommission liegt mir deren Arbeit besonders am Herzen. Daher erlauben Sie mir noch eine kurze Bemerkung: In den letzten Wochen ging das Thema Asseabfälle und die Frage, ob diese in der Endlagerkommission auch behandelt werden sollen, durch die Presse. Und damit verbunden kamen viele besorgte Fragen, ob denn der gesetzte Zeitrahmen bis Mitte 2016 dann noch einzuhalten sei. Dazu möchte ich sagen: Wir werden das Thema „Wohin mit den Asse-Abfällen“ in der Kommission bearbeiten und aufzeigen, welche Auswirkungen diese Abfälle auf ein Endlager für insbesondere hochradioaktive Abfälle hätten. Und laut unseres Vorsitzenden der entsprechenden Arbeitsgruppe ist das bis Mitte 2016 auch leistbar. Klar muss aber auch sein, dass der Schwerpunkt unserer Arbeit der Kriterienkatalog für ein HAW-Endlager bleibt. Denn wir haben den Auftrag, einen robusten Weg zur Lösung der Endlagerfrage in Deutschland zu finden. Sollte sich der Zeitplan zur Rückholung der Abfälle aus der Asse verzögern, dann muss das HAW-Endlager trotzdem unabhängig davon geplant und umgesetzt werden können. Alles andere wäre verantwortungslos. In diesem Sinne werde ich mich weiter für ein konstruktives und wissenschaftsbasiertes Ergebnis der Endlagerkommission einsetzen. Florian Oßner (CDU/CSU): Mit dem vorliegenden Entwurf eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes kommt die Bundesrepublik Deutschland nicht nur ihren vertraglichen Verpflichtungen nach, die Richtlinie 2011/70/Euratom in nationales Recht umzusetzen, sondern es wird mit dem hierdurch erstellten Nationalen Entsorgungsprogramm auch eine unschätzbar nützliche Übersicht geschaffen. Für die Bewältigung der Jahrhundertaufgabe einer sicheren Einlagerung des radioaktiven Abfalls bietet das Nationale Entsorgungsprogramm ein Verzeichnis, das uns ermöglicht, den nötigen Umfang von Endlagern für Atomabfälle besser einschätzen zu können. Alle derzeitigen und zukünftig noch anfallenden radioaktiven Abfallarten sind hier ebenso aufgelistet wie der Zeitumfang und die Prognose der zu erwartenden Kosten. Über diese Anpassung im Atomgesetz durch die Einführung der Paragrafen 2 c und 2 d sowie 9 h und 9 i werden weitere Vorgaben der Richtlinie 2011/70/Euratom in bundesdeutsches Recht umgesetzt. Bereits mit dem Standortauswahlgesetz haben wir 2013 zentrale Vorgaben dieser EU-Richtlinie in Angriff genommen. Wir sind bei der durch das Standortauswahlgesetz vorgegeben Aufgabe, Kriterien und Verfahren für die Endlagerung von insbesondere hoch radioaktiven Abfallstoffen zu erarbeiten, auch schon ein gutes Stück vorangekommen. So haben wir in der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe, der sogenannten „Endlagerkommission“, als eines der zentralen Elemente des Standortauswahlgesetzes beispielsweise erste Grundlagen für eine mögliche Behördenstruktur der Endlagerung skizziert. Ziel muss eine klare und vernünftige Struktur sein, die im Einklang mit den EU-Vorgaben steht. So sollte die Regulierung und der Betrieb der Endlagerung in einer Bundesbehörde und einer Gesellschaft getrennt voneinander organisiert werden, die unter der Aufsicht unterschiedlicher Bundesministerien stehen. Doch verdeutlicht uns das Nationale Entsorgungsprogramm auch, dass die Endlagerkommission noch weitere komplexe Fragen zu beantworten hat. Uns wird ausdrücklich vor Augen geführt, dass wir sowohl hoch radioaktive als auch schwach- und mittelradioaktive Abfallstoffe zu entsorgen haben. Obwohl mit dem Schacht Konrad voraussichtlich 2022 ein Endlager für die schwach- und mittelradioaktiven Abfälle für 303 000 Kubikmeter in Betrieb gehen wird, bleibt zu klären, was beispielsweise mit den im Nationalen Entsorgungsprogramm aufgeführten 47 000 Kubikmetern schwach- und mittelradioaktivem Abfall aus der Schachtanalage Asse II geschehen soll. Doch darf uns dieser Aspekt nicht daran hindern, im vorgesehenen gesetzlichen Zeitrahmen der Endlagerkommissionsarbeit bis zum 30. Juni 2016 einen Abschlussbericht zu erstellen. In diesem Bericht sollten wir ein Verfahren für die Suche nach einem Endlager mit Schwerpunkt hoch radioaktive Abfälle entwickeln. Die Verfahrensentwicklung für die Endlagersuche der anderen Abfallarten könnte beispielsweise im Anschluss erfolgen. Wir müssen uns der Verantwortung für zukünftige Generationen bewusst sein. Verschiebungen oder Verzögerungen verunsichern und tragen massiv zum Unverständnis innerhalb der Bevölkerung bei. Daher ist die Einhaltung der Zeitvorgabe ein klares Zeichen an die Menschen, dass wir das Thema ernst nehmen und pragmatische Lösungsvorschläge zügig erarbeiten. Gerade für die Bürgerinnen und Bürger an den Standorten der Kernkraftwerke ist es wichtig, zu erfahren, dass und wann sie mit einem Endlager rechnen können. Schließlich lagern bei ihnen die abgebrannten Brennelemente aus den Kernkraftwerken in den dortigen Zwischenlagern. Zudem muss der Rückbau stillgelegter Anlagen zur „grünen Wiese“ schnellstmöglich in Angriff genommen werden, um die vor Ort vorhandene Fachkräftekapazität zu nutzen. Durch die Vorgaben des Standortauswahlgesetzes werden jetzt auch noch 26 Castor-Behälter mit hoch radioaktivem Abfall aus den Wiederaufbereitungsanlagen La Hague und Sellafield in vier der Kernkraftwerk-Standorte verbracht. Damit die möglichen Zwischenlagerstandorte sich nicht schleichend in Endlager verwandeln, ist es mehr als notwendig, die vorgegeben zeitlichen Fristen im Standortauswahlgesetz einzuhalten. In der Frage der Castoren-Rückführung müssen auch die betroffenen Länder und Standortgemeinden rechtzeitig einbezogen werden. So schaffen wir gegenüber den Betroffenen Vertrauen und können gleichzeitig transparente Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung anwenden. Vertrauen und Glaubwürdigkeit sollten wir bei der Ausarbeitung von Kriterien auch in Bezug auf die Standorte beachten. Es gilt, dass kein infrage kommender möglicher Standort vorab ausgeschlossen wird. Die besondere Geschichte des Erkundungsbergwerks in Gorleben in diesem Zusammenhang ist mir bewusst. Doch heißt das nicht, dass dieser Standort per se ausscheidet. Das Standortauswahlgesetz spricht hier in Paragraf 29 eine klare Sprache. Das Bundesamt für Strahlenschutz als zuständige Bundesbehörde ist daher gefordert, alle rechtlichen, bergmännischen und technisch erforderlichen Maßnahmen zu veranlassen, dass das Grubengebäude in Gorleben für eine mögliche Erkundung offen bleibt. Das Nationale Entsorgungsprogramm führt auch die Menge der Abfälle durch Forschungsreaktoren wie zum Beispiel in München/Garching auf. Diese Tatsache sollte uns jedoch nicht dazu veranlassen, ein generelles Exportverbot von hoch radioaktiven Abfällen in der Debatte um die Endlagersuche zu fordern, das auch entsprechende Abfälle aus Forschungsreaktoren betreffen würde. Es gilt, die Grundlagenforschung weiterhin aufrechtzuerhalten, um weitere Entwicklungen in der Nuklearmedizin, der Radiologie sowie bei Krebsbehandlungen zu ermöglichen. Gerade im Hinblick auf die Spitzenstellung des Forschungsstandorts Deutschland sollten wir Augenmaß walten lassen und nicht kopflos unsere Zukunft verspielen. Das Nationale Entsorgungsprogramm darf hier nicht als Begründung für ein komplettes Exportverbot von abgebrannten Brennelementen zweckentfremdet werden, weil man unzutreffend befürchtet, über die Beibehaltung der Atomforschung eine Hintertür für den Wiedereinstieg in die friedliche Nutzung der Kernenergie offen zu halten. Für die nun beginnende Behandlung im Umweltausschuss fordere ich ein, dass das Nationale Entsorgungsprogramm entsprechend sachlich behandelt wird und nicht im parteipolitischen Streit für einseitige Sichtweisen auf das Thema Endlagerung missbraucht wird. Die konsensorientierte Arbeitsweise in der Endlagerkommission könnte bei diesem sensiblen Thema auch beispielgebend für die Behandlung in den beteiligten Ausschüssen sein. Hiltrud Lotze (SPD): uns liegt der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur 14. Novelle des Atomgesetzes vor. Damit soll eine EU-Richtlinie in nationales Recht umgesetzt werden. Für uns in der Legislative ein an sich normaler, ja manchmal schon routinemäßiger Vorgang. Aber es lohnt, wie immer, eine intensive Beschäftigung mit dem Inhalt und Vorgang. Die EU-Richtlinie 2011/70/Euratom, die nun in weiteren Teilen in unser Recht aufgenommen wird, ist insofern sehr bemerkenswert, weil sie die Grundlage für ganz Europa bildet. Sie setzt den Rahmen dafür, wie wir hier in Zukunft mit den Folgen der Atomwirtschaft umgehen wollen. Es ist eine Gemeinschaftsanstrengung, und das Ziel ist, vergleichbare Bedingungen in ganz Europa zu schaffen. Auf dieser Gemeinsamkeit basiert Europa, auch wenn es sich in der Flüchtlingsfrage gerade anders darstellt, leider. In Fragen des Umgangs mit dem Atommüll jedenfalls sind wir ein gutes Stück weiter. Künftige Generationen sollen sich darauf verlassen können, dass in allen Ländern nach den gleichen Rahmenbedingungen mit dem Müll verfahren wird. Der erste große Schritt, die europäische Norm in nationales Recht umzusetzen, ist mit dem Standortauswahlgesetz vom 23. Juli 2013 gegangen worden. Einen weiteren Schritt stellt nun die 14. Novelle des Atomgesetztes dar, wobei der wichtigste Teil die Regeln für die Erstellung eines Nationalen Entsorgungsprogramms festlegt. Das Nationale Entsorgungsprogramm – kurz NaPro – ist im August endgültig vom Kabinett verabschiedet worden, und zwar schon nach den Leitlinien, die wir jetzt erst ins Gesetz aufnehmen wollen. Jetzt zeigt sich auch, wie entscheidend es ist, dass das NaPro explizit unter Vorbehalt der Ergebnisse der Endlager-Suchkommission steht – und nicht umgekehrt, wie von den Linken gefordert. In der letzten Woche vor der Sommerpause haben wir den Antrag der Linken debattiert, in dem gefordert wird, den Auftrag der Endlagerkommission dem Nationalen Entsorgungsprogramm anzupassen. Nun hat das federführende Umweltministerium, abweichend von den ersten Entwürfen, ein gemeinsames Lager vorgeschlagen für die Endlagerung von schwach- und mittelradioaktivem Müll, insbesondere dem Müll, der aus der Asse herausgeholt werden soll. Ein höchst umstrittener Vorschlag, der zahlreiche Konsequenzen mit sich bringt. In der Endlagerkommission gab es folgerichtig heftige Debatten über den Umfang des Auftrags der Kommission, über das Ziel und den Zeitplan. Denn laut Gesetz dient die Kommission der Kriterienfestlegung für die Suche nach einem Lager für „insbesondere“ hoch radioaktiven Müll. Einige Mitglieder legten den Begriff „insbesondere“ so aus, dass definitiv ein Endlager nur für den hochradioaktiven Müll gesucht werden soll. Wären wir dem Antrag der Linken gefolgt – ich erinnere: den Auftrag der Endlagerkommission dem Nationalen Entsorgungsprogramm anzupassen – hätte die Kommission wieder bei Null anfangen müssen. Denn: Ob man einen Standort und eine geologische Formation für 30 000 Kubikmeter hochradioaktiven Müll sucht oder für zusätzlich 300 000 Kubikmeter schwach- und mittelradioaktiven Müll, das macht einen erheblichen Unterschied. Auch ich bin alarmiert, wenn ich lese, dass bei einem möglicherweise so riesigen Kombilager eigentlich nur noch eine geologische Formation in Frage kommt, nämlich Salz. Mit dem Nationalen Entsorgungsprogramm hat die Bundesregierung eine offene und ehrliche Bestandsaufnahme des vorhandenen und noch anfallenden Mülls gemacht. Und ich werbe dafür, dass wir jetzt auch so weitermachen: offen und ehrlich, ohne Vorfestlegungen. Denn nur dann können wir letztlich zu einer Endlagersuche kommen, die möglichst breit akzeptiert wird. Ich meine, es ist der richtige Weg, wenn die Kommission weiterhin insbesondere die Kriterien für die Endlagerung hochradioaktiven Mülls erarbeitet, gleichzeitig aber in einem Kapitel des Endberichts auf die Implikationen eines möglichen Kombilagers eingeht. Ob wir, angesichts dieser veränderten Situation, mehr Zeit für die Endlagerkommission benötigen oder die Kommission womöglich nur eine Art Zwischenbericht abliefern kann, müssen wir hier noch einmal intensiv debattieren. Diese Debatte heute ist aber auch ein guter Anlass, um hier einmal explizit unseren Ministern Barbara Hendricks und Sigmar Gabriel zu danken, denn es bewegt sich unter ihrer Verantwortung so vieles mehr in und um die Frage des Atommülls als in vielen, vielen Jahren vorher. Sigmar Gabriel hat sich ausdrücklich der Frage angenommen, ob und wie die Atomkonzerne ihren Verpflichtungen auch in Zukunft gerecht werden können und wie wir vermeiden, dass die Allgemeinheit auf den Kosten sitzen bleibt, nachdem die Konzerne die Gewinne eingestrichen haben. Barbara Hendricks hat nicht nur für eine ehrliche Bilanz des vorhandenen Atommülls gesorgt, sondern auch dafür, dass sich wieder Vertrauen in diesen Fragen bilden kann. Mit der 14. Atomrechtsnovelle gehen wir weiter den richtigen Weg, um die Bürden der verfehlten Atompolitik der Vergangenheit für die künftigen Generationen so klein wie möglich zu halten. Hubertus Zdebel (DIE LINKE): Schon wieder Atommüll – und das Thema wird der Republik noch viele Jahre erhalten bleiben. Direkt vor der Sommerpause hat der Bundestag bereits über das neue „Nationale Entsorgungsprogramm“ diskutiert. Auf Anforderung der EU hat die Bundesregierung einen Plan erstellt, in dem sie über die immer noch wachsenden Atommüllberge und was sie damit vorhat, berichtet. Und jetzt muss mit der 14. Atomgesetznovelle der Rechtsrahmen für diesen Atommüllbericht geschaffen werden. Fast 70 000 Menschen, Initiativen und auch Kommunen haben zum Bericht des Nationalen Entsorgungsprogramms (NaPro) Einsprüche erhoben. Die Öffentlichkeit schaut also hin, wenn es um Atommüll und die mit seiner Lagerung verbundenen Risiken geht. Das ist gut so, und der Bundestag ist gut beraten, sich mit diesen Einsprüchen intensiv zu befassen. Auch deswegen hat Die Linke schon vor den Sommerferien einen Antrag zum NaPro-Bericht und zur Kritik daran in den Bundestag eingebracht, und es dürfte sinnvoll sein, den Bericht im Zusammenhang mit der Gesetzesnovelle hier im Bundestag weiter zu diskutieren. Hier mal eben schnell die ATG-Novelle durchzuziehen und dann den Deckel drauf zu setzen, wäre kein gutes Signal für den angeblichen Neustart beim Umgang mit Atommüll, bei dem doch ein gesellschaftlicher Konsens angestrebt wird. Wir Linken fordern beim Umgang mit den radioaktiven Abfällen mehr Transparenz und Ehrlichkeit. Der Bericht hat dazu durchaus einige positive Ansätze, die wir ausdrücklich begrüßen. Aber wir sehen auch die erheblichen Mängel im Nationalen Entsorgungsprogramm. An dieser Stelle nur zwei Hinweise, wo aus unserer Sicht nachzubessern ist: An diversen Standorten sind in den letzten Jahren verrostete Atommüllfässer gefunden worden, in Brunsbüttel und in Karlsruhe zum Beispiel. Von diesen Problemen wird im Bericht mit keiner Silbe gesprochen, und es ist nicht gut, wenn diese Wirklichkeit beim Umgang mit Atommüll einfach nicht genannt wird. Der Bericht spricht ferner von einem Eingangslager für Castor-Behälter mit hochradioaktivem Atommüll. Dieses Lager soll dort neu gebaut werden, wo irgendwann mal ein „Endlager“ für diesen Müll entstehen soll. Doch der Bericht schweigt darüber, dass dort die enorme Menge von bis zu 500 Castoren mit hochgefährlichem Atommüll oberirdisch gelagert werden soll und dass das für Jahrzehnte so sein wird. Diese Information fehlt völlig, und damit wird ein ganz wichtiger Aspekt im Grunde unter den Tisch gefegt. Für Insider ist das völlig klar: Dieses neue Eingangslager ist von zentraler Bedeutung. Nur kann das niemand erkennen, der den Bericht als gebildeter Laie liest. Deswegen braucht es nach Auffassung der Linken – und das ist in der jetzt anstehenden Beratung über die 14. ATG-Novelle dann zu klären und gesetzlich umzusetzen – klare und ehrliche Anforderungen, wie solche NaPro-Berichte erstellt werden. Ein solcher Bericht muss auch die Probleme beim Umgang mit dem Atommüll benennen, er sollte die möglichen Alternativen nennen und auch die Abwägungen beschreiben, warum die eine oder andere Variante am Ende vorgeschlagen wird. Das würde die Qualität und die Ehrlichkeit eines solchen Berichts deutlich verbessern. Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Nationale Entsorgungsplan, um den es bei der 14. AtG-Novelle geht, steht unter Revisionsvorbehalt. Die Endlager-Kommission hat das Recht, ihn durch ihre Empfehlungen zu verändern, und das ist gut so. Denn in der Kommission werden die Dinge – anders als in Ausschüssen und Plenum mit den eng begrenzten Redezeiten für die Opposition – zwischen allen Beteiligten ausdiskutiert. Die Grundausrichtung des NaPro ist positiv: das Bekenntnis zur Inlandsentsorgung, die erstmalige Benennung der Abfälle aus der Urananreicherung in Gronau als Atommüll. Doch dieser Grundausrichtung fehlt die klare Konsequenz. Das Bekenntnis zur Inlandsentsorgung endet an den Forschungsreaktoren. Und der Erkenntnis, dass Urantails Atommüll sind, folgt nicht die Konsequenz, die Menge des Atommülls festzulegen, indem gemäß dem Atomausstieg ein Abschaltdatum für die Urananreicherungsanlage in Gronau verfügt wird. Nein, Urenco soll unbegrenzt weiter Uran anreichern und unbegrenzt Atommüll produzieren dürfen. Das macht diesen Atommüll innerhalb der Aufgabe, die BMUB mit dem NaPro an die Endlager-Kommission weiterreicht, zu einem unberechenbaren Faktor. Das Umweltministerium weiß, dass es für die Suche nach einem Endlager Zahlen nennen muss. Für die Urantails nennt es 100 000 m³. Diese Zahl ist logischerweise völlig gegriffen. So unseriös kann die Endlager-Kommission nicht arbeiten. Es wäre eine gute Gelegenheit, Frau Ministerin, die Lücke im Atomausstieg, die die beiden Atomfabriken in Deutschland bilden – die Urananreicherung in Gronau, die Brennelementefabrik in Lingen – zu schließen. Bundestag und Bundesregierung sollten das Ziel ins Auge fassen, die Atomfabriken in Deutschland abzuschalten, um den Atomausstieg voranzubringen und eine gelingende Endlagersuche zu ermöglichen. Der vorgelegte Nationale Entsorgungsplan und die entsprechende 14. Atomgesetz-Novelle, über die wir heute beraten, weist eine entscheidende Veränderung zum ursprünglichen Entwurf auf: Sowohl die Urenco-Abfälle wie auch die Asse-Abfälle nach geglückter Rückholung sollen nicht mehr für das Endlager Schacht Konrad vorgesehen werden, sondern es soll prioritär geprüft werden, ob diese Abfälle auch im noch zu findenden Standort des Endlagers für hochradioaktiven Atommüll eingelagert werden können. Darüber soll die Endlager-Kommission beraten und eine Empfehlung abgeben. BMUB reagiert hier auf über 70 000 Einwendungen aus der Bevölkerung, die sich gegen den ursprünglichen Plan verwahren. Ich finde diese Reaktion richtig. Schacht Konrad ist in der Bevölkerung nach wie vor umstritten, es fand kein vergleichendes Auswahlverfahren statt, das Endlager entspricht bei Inbetriebnahme nicht dem Stand von Wissenschaft und Technik, wenn es nicht in einem neuen Anlauf auf diesen gebracht wird. Im NaPro findet sich dazu allerdings keine Absichtserklärung, sondern ganz im Gegenteil der Hinweis, dass der Stand von Wissenschaft und Technik laut Planfeststellungsbeschluss erst zum Betriebsende hin nachgewiesen sein muss. Frau Ministerin, so machen Sie den Menschen um Schacht Konrad das Leben mit dem Endlager zusätzlich schwer. Schacht Konrad muss vor der Einlagerung von Atommüll auf den Stand von Wissenschaft und Technik gebracht werden. Hier haben Sie noch nachzuarbeiten. Gleichwohl begrüße ich, dass Sie der Bevölkerung um Schacht Konrad nicht auch noch zumuten wollen, sich mit der Einlagerung von doppelt so viel Atommüll wie die Genehmigung bisher vorsieht konfrontiert zu sehen. Die Arbeit der Endlager-Kommission wird durch die neue Aufgabe erheblich erschwert. Niemand kann heute sagen, wie die Asse-Abfälle genau zusammengesetzt sind und wieviel kontaminiertes Salz mit zu entsorgen sein wird. Das macht es mindestens schwer – einige Kommissionsmitglieder sagen: unmöglich – Sicherheitskriterien für das Endlager zu erstellen. Klar ist dagegen heute schon, dass Wechselwirkungen zwischen Wärme entwickelnden bzw. hochradioaktiven und nicht Wärme, dafür aber Gas entwickelnden schwach- und mittelradioaktiven Abfällen verhindert werden müssen. Das heißt, die Abfälle werden in zwei klar voneinander getrennte Endlager eingelagert werden müssen, was an einem Standort entweder ein Wirtsgestein von besonders großer Mächtigkeit erfordert oder zwei eventuell übereinander liegende günstige Wirtsgesteine. Die Zahl geeigneter Standorte wird sich definitiv drastisch verringern. Wir nehmen uns der neuen Aufgabe in der Kommission, an ohne zu wissen, ob wir sie lösen können. Vielleicht können wir zum Ende unserer Tätigkeit im Juni 2016 nur einen Zwischenbericht abgeben, vielleicht müssen wir sagen, dass eine Suche nach einem gemeinsamen Standort für diese unterschiedlichen Abfälle in überschaubarer Zeit aussichtslos ist. Klar muss aber für alle Kommissionsmitglieder sein, dass wir die Gesamtgemengelage in den Blick nehmen müssen. Sich mit einer Art Tunnelblick auf die hochradioaktiven Abfälle zu konzentrieren, weil die Verfahrensentwicklung dann immer noch schwer genug, aber einfacher ist, das füllt die Verantwortung nicht aus, die Bundestag und Bundesrat der Kommission übertragen haben. Letzter Punkt: große Kritik an der laut NaPro beabsichtigten Errichtung eines Eingangslagers mit der ersten Teilgenehmigung des Endlagers. Liebe Frau Ministerin, wenn man mit dem A... wieder einreißen will, was man mit den Händen aufgebaut hat, dann errichtet man nach einer langen ergebnisoffenen transparenten und partizipativen Endlagersuche ein Eingangslager am Endlager-Standort, bevor es genehmigt ist. So landet man am Ende dann doch wieder beim Prinzip Gorleben. Ich weiß, dass wir mit den Zwischenlagern in schweres Wasser kommen, weil wir aus allen Genehmigungen rauslaufen. Das heilen wir aber damit nicht. Über die Zwischenlager-Situation müssen wir uns gesondert Gedanken machen. Die Endlagersuche darf nicht am Ende durch unangemessenes Faktenschaffen desavouiert werden. Da dürfen Sie, Frau Ministerin, mit unserem erbitterten Widerstand rechnen. 1)  Anlage 2 2)  Anlage 3 3)  Anlage 4 --------------- ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 124. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 24. September 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 124. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 24. September 2015 III Plenarprotokoll 18/124