Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 125. Sitzung Berlin, Freitag, den 25. September 2015 Inhalt Gedenken an die Opfer der Massenpanik bei der Hadsch 12121 A Tagesordnungspunkt 21: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Zweites Pflegestärkungsgesetz – PSG II) Drucksache 18/5926 12121 B b) Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Katja Dörner, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gute Pflege braucht sichere und zukunftsfeste Rahmenbedingungen Drucksache 18/6066 12121 B Hermann Gröhe, Bundesminister BMG 12121 C Pia Zimmermann (DIE LINKE) 12123 C Dr. Karl Lauterbach (SPD) 12124 C Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12125 D Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) 12127 D Harald Weinberg (DIE LINKE) 12129 C Hilde Mattheis (SPD) 12130 C Pia Zimmermann (DIE LINKE) 12131 A Erwin Rüddel (CDU/CSU) 12132 A Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12132 D Mechthild Rawert (SPD) 12133 D Tagesordnungspunkt 22: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher Drucksache 18/5921 12135 B b) Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Luise Amtsberg, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das Kindeswohl bei der Versorgung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge absichern Drucksache 18/5932 12135 B Manuela Schwesig, Bundesministerin BMFSFJ 12135 C Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) 12137 C Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) 12139 C Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12141 C Gülistan Yüksel (SPD) 12143 A Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12144 A Martin Patzelt (CDU/CSU) 12144 D Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12146 A Paul Lehrieder (CDU/CSU) 12147 B Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) 12147 C Tagesordnungspunkt 23: b) Antrag der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Luise Amtsberg, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Psychotherapeutische und psychosoziale Versorgung von Asylsuchenden und Flüchtlingen verbessern Drucksache 18/6067 12150 A Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12150 B Ute Bertram (CDU/CSU) 12151 B Kathrin Vogler (DIE LINKE) 12153 B Hilde Mattheis (SPD) 12154 C Emmi Zeulner (CDU/CSU) 12155 C Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12156 B Dirk Heidenblut (SPD) 12157 B Tagesordnungspunkt 24: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Drucksache 18/5923 12158 D Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär BMF 12159 A Richard Pitterle (DIE LINKE) 12160 D Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) 12162 B Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 12163 D Antje Tillmann (CDU/CSU) 12165 D Cansel Kiziltepe (SPD) 12167 B Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU) 12168 D Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU) 12170 B Tagesordnungspunkt 25: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie Drucksache 18/5922 12171 B Ulrich Kelber, Parl. Staatssekretär BMJV 12171 C Caren Lay (DIE LINKE) 12172 C Dr. Stefan Heck (CDU/CSU) 12173 C Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12174 C Mechthild Heil (CDU/CSU) 12175 C Dennis Rohde (SPD) 12176 C Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 12177 C Tagesordnungspunkt 26: a) Antrag der Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam), Sigrid Hupach, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kinderrechte umfassend stärken Drucksache 18/6042 12178 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Doris Wagner, Beate Walter-Rosenheimer, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Von Anfang an beteiligen – Partizipationsrechte für Kinder und Jugendliche im demografischen Wandel stärken Drucksachen 18/3151, 18/5276 12178 D Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) 12178 D Eckhard Pols (CDU/CSU) 12180 B Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12181 D Svenja Stadler (SPD) 12183 A Dr. Silke Launert (CDU/CSU) 12184 B Susann Rüthrich (SPD) 12186 A Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zu unzutreffenden Angaben beim Spritverbrauch und Schadstoffausstoß von Pkw Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12187 D Alexander Dobrindt, Bundesminister BMVI 12189 A Sabine Leidig (DIE LINKE) 12190 C Kirsten Lühmann (SPD) 12191 D Thomas Viesehon (CDU/CSU) 12193 A Herbert Behrens (DIE LINKE) 12194 B Arno Klare (SPD) 12195 C Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12196 B Florian Oßner (CDU/CSU) 12197 C Ulli Nissen (SPD) 12199 A Dr. Matthias Heider (CDU/CSU) 12200 B Andreas Jung (CDU/CSU) 12201 C Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU) 12202 D Nächste Sitzung 12204 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 12205 C Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 12205 D 125. Sitzung Berlin, Freitag, den 25. September 2015 Beginn: 9.01 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit Entsetzen und Trauer ist überall in der Welt, nicht nur im islamischen Kulturkreis, die Nachricht von der großen Zahl von Opfern zur Kenntnis genommen worden, die die Massenpanik bei der Hadsch, der großen Pilgerfahrt nach Mekka, verursacht hat: über 700 Tote, mehr als 800 Verletzte. Unser Mitgefühl und unsere Anteilnahme gelten allen Angehörigen und allen Betroffenen. Ich möchte Sie bitten, sich als Zeichen unserer Anteilnahme von den Plätzen zu erheben. (Die Anwesenden erheben sich) – Ich danke Ihnen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Zweites Pflegestärkungsgesetz – PSG II) Drucksache 18/5926 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Katja Dörner, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gute Pflege braucht sichere und zukunftsfeste Rahmenbedingungen Drucksache 18/6066 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Also können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Bundesminister für Gesundheit, Hermann Gröhe. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Hermann Gröhe, Bundesminister für Gesundheit: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! „Vergiss mich nicht“, „Remember me“, das war das Motto des Welt-Alzheimer-Tages am vergangenen Montag. Damit wurde auf eine Krankheit hingewiesen, deren eindrücklichstes Zeichen der Verlust der eigenen Erinnerungsfähigkeit ist. Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, dass es unsere Aufgabe ist, dass es Aufgabe der gesamten Gesellschaft ist, die Menschen, die an demenziellen Erkrankungen leiden, nicht zu vergessen. Es gibt in dieser Woche für Menschen mit einer Demenz viele Aktionen der 40 Partner der Allianz für Menschen mit Demenz. Im ganzen Land wird darauf hingewiesen, was wir als Gesamtgesellschaft tun müssen, damit Menschen mit demenziellen Erkrankungen möglichst gute Lebensumstände finden, um möglichst lange selbstbestimmt, in guter Begleitung ihr Leben führen zu können. Dabei geht es um die Erkrankten und um ihre Angehörigen. Es trifft sich gut, dass wir am Ende dieser Woche, an diesem Freitag, im Deutschen Bundestag den Entwurf eines Gesetzes auf den Weg bringen, das einen entscheidenden Fortschritt bringen wird: Wir erreichen den gleichberechtigten Zugang für demenziell Erkrankte zu allen Leistungen der Pflegeversicherung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das ist eine wichtige – die Bundeskanzlerin hat in der Haushaltsberatung gesagt: revolutionäre – Entwicklung. Zehn Jahre wurde in diesem Land über einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff diskutiert. Jetzt wird er eingeführt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das bedeutet, dass wir nicht länger allein auf körperliche Beeinträchtigungen und einen zeitlich messbaren Unterstützungsbedarf bei Grundfertigkeiten schauen. In Zukunft wird anhand von fünf Modulen genauer auf die Potenziale, die Möglichkeiten von Menschen, die pflegebedürftig sind, geschaut: Wo sind die konkreten individuellen Unterstützungsbedarfe? Was ist erforderlich, damit sie auch mit Pflegebedürftigkeit möglichst selbstbestimmt leben können? Dabei geht es nicht allein um Mobilität, um kognitive Möglichkeiten, um die Fähigkeit zur Selbstversorgung oder den Umgang mit Krankheit und Therapie. Das ist ein großer Fortschritt. Gute Pflege gibt es nicht von der Stange. Sie wird hiermit gleichsam ein Stück weit zu einem Maßanzug, bei dem wirklich geschaut wird, was sie bzw. er braucht. Gute Pflege zu erhalten, das ist der Wunsch der Pflegebedürftigen, das ist der Wunsch ihrer Angehörigen, sie zu leisten, das ist nicht zuletzt der Wunsch der Pflegekräfte in unserem Land, die herausragende Arbeit leisten, meine Damen, meine Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Der Pflegebedürftigkeitsbegriff wird eingeführt. Auf dem Weg dorthin haben wir zum 1. Januar dieses Jahres wichtige Leistungen für demenziell Erkrankte nachhaltig verbessert. Wir haben darüber hinaus im letzten Jahr intensiv die Begutachtung erprobt, die in Zukunft der Einstufung der Pflegebedürftigkeit zugrunde liegen wird. Mir sind drei Dinge wichtig, die ich in diesem Zusammenhang hervorheben möchte. Erstens. Die Leistungen der Pflegeversicherung setzen zukünftig früher an. Mit dem Pflegegrad 1 wird am Beginn einer Pflegebedürftigkeit bereits frühzeitig mit Maßnahmen zur Wohnumfeldgestaltung, zur Betreuung und Entlastung begonnen. Auch Beratung gehört dazu. Mittelfristig werden dadurch ungefähr 500 000 Menschen erstmalig unterstützende Leistungen der solidarischen Pflegeversicherung erhalten. Die Pflegeversicherung greift früher. Der zweite Punkt ist mir genauso wichtig. Er betrifft die stationäre Altenpflege. Durch das Fortschreiten des Pflegebedarfs werden wir in Zukunft aufgrund eines einheitlichen pflegebedingten Eigenanteils nicht mehr ansteigende Belastungen haben. Damit tragen wir der Erfahrung aus der Praxis Rechnung, dass in so mancher Pflegeeinrichtung die Höherstufung trotz nachgewiesenem höheren Pflegebedarf unterblieb, weil die Pflegebedürftigen oder ihre Angehörigen Angst vor einem steigenden Eigenanteil hatten. Indem wir einen einheitlichen Eigenanteil festsetzen, verhindern wir, dass sachgerechte Einstufungen aufgrund finanzieller Ängste unterbleiben. Das stärkt die Solidarität. Außerdem wird der reale Pflegebedarf in einer Einrichtung so besser abgebildet. Das ist ein Fortschritt, der mir ganz wichtig ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Drittens. Wir machen mit dem Ansatz „Reha vor Pflege“ ernst. Das beginnt, wenn ich das so offen sagen darf, im Kopf. In unserem Kopf gilt „ambulant vor stationär“, weil wir die Vorstellung haben, dass wir möglichst lange in den eigenen vier Wänden leben möchten. „Reha vor Pflege“ ist nicht in vergleichbarer Weise bereits in den Köpfen verankert. Viel zu häufig denken wir: Rehabilitation, das ist doch das Wiederfitmachen für den Beruf, für den Gang am morgigen Tag in den Betrieb, ins Büro oder wohin auch immer. – Nein, auch nach der Verrentung, auch bei beginnender Pflegebedürftigkeit kann Rehabilitation Selbstständigkeit und Lebensqualität sichern. Wenn aus über 1 Million Begutachtungen der Pflegebedürftigkeit in diesem Land aufgrund der im Jahr 2012 eingeführten Verpflichtung, zu prüfen, ob Rehabedarf gegeben ist, gerade einmal 5 000 Rehaempfehlungen resultieren, dann zeigt dies, dass wir da noch gewaltig Luft nach oben haben, dass der Grundsatz „Reha vor Pflege“ noch nicht in unseren Köpfen verankert ist. Eines der Ergebnisse der Erprobung des neuen Begutachtungsverfahrens war, dass es geeignet ist, genau diesen Mehrbedarf an Rehabilitation abzubilden und dann den Menschen auch solche Maßnahmen zugutekommen zu lassen. „Reha vor Pflege“ ist ein weiterer wichtiger Schritt unserer Pflegereform. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wenn Pflege individueller wird, dann wird Beratung wichtiger. Deswegen ist ein Element unserer Pflegereform, dass wir die Beratung qualifizieren und einen entsprechenden Auftrag erteilen, festzulegen, welcher Qualität die Beratung entsprechen muss. Nach meiner Vorstellung sollte diese qualifizierte Beratung wo auch immer vom Pflegebedürftigen gewünscht, also auch in seinem eigenen Wohnumfeld, angeboten werden. Wir führen auch einen Beratungsanspruch der Angehörigen ein; dieser gilt selbstverständlich nur, wenn der Pflegebedürftige einverstanden ist. Auch damit unterstützen wir die Angehörigen und die Situation in der häuslichen Pflege. Doch nicht nur das ist in der Reform, die wir heute auf den Weg bringen, ein wichtiger Punkt für die Angehörigen. Wir verbessern auch die Leistungen der Pflegeversicherung in der Rentenversicherung. Von derzeit 900 Millionen Euro im Jahr steigern wir die Mittel um ungefähr 400 Millionen Euro im Jahr erheblich, um damit die Anerkennung von Pflege durch Angehörige in der Rente zu verbessern. Es kann doch nicht sein, dass jemand, der für die Pflege eines Angehörigen beruflich kürzer tritt und dadurch Einkommenseinbußen hinnimmt, im Alter selbst über ein Minus in der Rente und dann vielleicht auch Auswirkungen im Fall eigener Pflegebedürftigkeit gleichsam doppelt büßt. Deswegen ist es richtig, die rentenrechtliche Absicherung der Pflegearbeit von Angehörigen jetzt zu verbessern. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ein Weiteres ist mir wichtig. Wir stellen einiges um. 2,7 Millionen Menschen erhalten zurzeit Leistungen aus der Pflegeversicherung. Wichtig ist: Wer heute Leistungen bekommt, bekommt in keinem Fall zukünftig weniger. Es gibt im Rahmen der Überleitung einen umfassenden Bestandsschutz. Das ist wichtig. Viele werden durch die automatische Überleitung, durch die demenzielle Erkrankungen höher eingestuft werden, besser gestellt werden. Niemand wird schlechter gestellt werden. Diesen Bestandsschutz werden wir über die nächsten Jahre durch ungefähr 4,4 Milliarden Euro aus dem Ausgleichsfonds abfedern und bezahlen können. Das ist nicht – das ist mir angesichts mancher missverständlichen Berichterstattung wichtig – der Vorsorgefonds, sondern sozusagen die Ausgleichsreserve. Das ist möglich. Das sichert Bestandsschutz. Das ist eine gute und wichtige Nachricht für die heute Pflegebedürftigen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Gute Pflege gibt es nur dank engagierter Pflegekräfte in diesem Land. Wir gehen mit dieser Reform einen weiteren Schritt, diesen Pflegekräften bessere Arbeitsbedingungen zu bieten. Im Pflegestärkungsgesetz I zu Beginn des Jahres haben wir die Tarifbezahlung der Pflegekräfte rechtlich abgesichert (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) und 20 000 zusätzliche Betreuungskräfte vorgesehen, um Entlastung bei der Arbeit zu schaffen. Ich danke Karl-­Josef Laumann, dem Pflegebevollmächtigten, dafür, in welchem Umfang er die Entbürokratisierung bei der Pflegedokumentation vorantreibt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Über 30 Prozent der Einrichtungen machen da bereits mit. Der Wunsch der Pflegerinnen und Pfleger, möglichst viel Zeit für die Pflegebedürftigen und nur, wenn es unbedingt nötig ist, Zeit fürs Papier aufzubringen, wird dadurch unterstützt. Herzlichen Dank, Karl-Josef Laumann. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Gemeinsam mit Manuela Schwesig und in engen Gesprächen mit den Ländern treiben wir die Modernisierung der Pflegeausbildung voran, die in ein Pflegeberufsgesetz münden soll. Dies alles und auch die Erinnerung an die Vertragspartner auf Länderebene, ihre Zusagen, den Personalschlüssel zu überarbeiten, wenn dies in den letzten Jahren noch nicht geschehen ist, und dies auch in Zukunft durch ein Bemessungsverfahren, das wir auf Bundesebene erproben und erarbeiten wollen, zu unterstützen, tragen dazu bei, dass Menschen, die in der Pflege arbeiten, die diesen Beruf heute wählen – es gibt einen Rekord bei der Zahl der Auszubildenden –, auch merken, dass sie eine gute Berufswahl getroffen haben. Dies treibt uns bei den nächsten Schritten an. Heute machen wir einen großen Schritt nach vorne für die Pflegebedürftigen, für ihre Angehörigen und für die Pflegekräfte in unserem Land. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Pia Zimmermann für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Pia Zimmermann (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff soll nun Wirklichkeit werden. Ja, durch die Reform des Begutachtungsverfahrens werden nun endlich auch Menschen mit einbezogen, die bisher keinen oder nur unzureichenden Anspruch auf Pflegeleistungen hatten. Das betrifft in besonderem Maße – Herr Gröhe, Sie haben es genannt – Menschen mit demenziellen Erkrankungen. Dass sich damit der Kreis der Anspruchsberechtigten deutlich erweitert, ist sehr zu begrüßen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Was auch wichtig ist: Dieser längst überfällige Schritt ist dem jahrelangen gesellschaftlichen Druck auf die verschiedenen Regierungen zu verdanken. Sie geben diesem Druck nun nach, aber nur so weit, dass es nicht wehtut und nicht so viel kostet. Meine Damen und Herren, anstatt die Pflegeversicherung endlich auf eine solide finanzielle Basis zu stellen, setzen Sie von Union und SPD auf Ihre altbewährte Strategie der Konzeptlosigkeit und vergessen die Pflegerealität, nämlich dass pflegende Angehörige am Limit sind, nicht nur körperlich, sondern auch finanziell; denn Pflege in Deutschland macht arm. Das hat nicht zuletzt die Antwort auf unsere Kleine Anfrage an die Bundesregierung bestätigt. Das Personal in der Pflege leistet sehr gute Arbeit, und das, obwohl die Personalsituation im Grenzbereich ist; denn die Personaldecke in der Pflege ist viel zu dünn. Gut ausgebildete Fachkräfte verlassen ihren Beruf schon nach wenigen Jahren, weil der Dauerstress nicht länger zu ertragen ist, die Löhne nicht ansatzweise eine angemessene Anerkennung der täglichen Leistung spiegeln und auch, weil sie ein anderes Verständnis von ihrem Beruf haben. Die zunehmende Auslagerung von Tätigkeiten an Betreuungskräfte ist für die Arbeitgeber billiger. Die Pflege wird somit aber aufgespalten. Für viele Pflegekräfte führt das zu Frust. Sie haben ein ganzheitliches Verständnis von Pflege. (Mechthild Rawert [SPD]: Wir auch!) Nicht zuletzt die Teilleistungsversicherung in der Pflege bleibt ungerecht. Menschen mit Pflegebedarf können nicht selbstbestimmt entscheiden – Ihr Gesetz ändert daran gar nichts, Herr Gröhe –, wo und von wem sie gepflegt werden wollen; das können Menschen mit Pflegebedarf heute, aber auch nach Ihrem Gesetz nicht entscheiden. Ganz im Gegenteil: Ihr Gesetz zwingt die Menschen in den unteren Pflegegraden gerade dazu, von Angehörigen gepflegt zu werden, und das, ohne dass Sie die Rahmenbedingungen dafür verbessern. Ganz im Gegenteil: In den unteren Pflegegraden werden mal eben – hopplahopp – mehrere 100 Euro gestrichen. Sie können sich darauf verlassen: Das ist mit uns nicht zu machen. (Beifall bei der LINKEN – Mechthild Rawert [SPD]: Wir werden Thüringen sehr genau beobachten!) Ihre Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffes reicht einfach nicht aus. Was die Menschen, die auf Pflege angewiesen sind, und diejenigen, die pflegen, brauchen, ist ein neuer Pflegebegriff, der auch mit Leben erfüllt wird und nicht als leere Luftblase daherkommt. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, es geht nicht nur darum, ab wann und in welchem Grad ein Mensch auf Pflege und Unterstützung angewiesen ist, sondern auch darum, wie diese Pflege und Unterstützung gestaltet und geleistet wird. Es reicht nicht, das Begutachtungsverfahren zu verbessern, wenn die Leistungen dahinter nicht qualitativ weiterentwickelt und auf die Bedürfnisse der Menschen mit Pflegebedarf und die ihrer Angehörigen ausgerichtet werden. (Dr. Roy Kühne [CDU/CSU]: Das machen wir doch mit dem Gesetz! Das können Sie doch auch mal sagen!) Meine Fraktion ist der Auffassung, dass ein neues Verständnis von Pflege auch zu einem veränderten Pflegeprozess führen muss. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Mechthild Rawert [SPD]: Genau! Deswegen haben wir so viel gearbeitet in der Vergangenheit!) Das heißt, Mechthild Rawert, teilhabesichernde Pflege braucht Zeit und qualifiziertes Personal. Es muss ebenso das Ziel sein, die Menschen dabei zu unterstützen, den Alltag weitestgehend alleine zu meistern. Daher fordern wir gemeinsam mit Gewerkschaften und Sozialverbänden schon lange eine verbindliche Personalbemessung. (Beifall bei der LINKEN) Die Bundesregierung hat diesem Druck jetzt nachgegeben und will bis 2020 ein Personalbemessungsinstrument entwickeln. Aber das ist nur ein ganz kleiner Schritt – zwar in die richtige Richtung, aber nur ein kleiner Schritt –; denn das Personal wird jetzt gebraucht. Kurzfristige Maßnahmen fehlen in Ihrem Gesetz völlig. Stattdessen parken Sie Geld, das jetzt so dringend benötigt wird, in einem Pflegefonds. Ihr Gesetz führt zu einer weiteren Arbeitsverdichtung für die Pflegekräfte und gefährdet die Pflegequalität noch weiter. (Heike Baehrens [SPD]: Ganz falsch!) Ich wiederhole mich gerne, meine Damen und Herren: Gute Pflege ist ein Menschenrecht. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Der Zugang zu einer qualitativ hochwertigen und umfassenden pflegerischen Versorgung darf nicht Kostenkalkülen untergeordnet werden. Es liegt in der gesellschaftlichen Verantwortung, Bedingungen zu schaffen, damit dieses Menschenrecht auch verwirklicht wird. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke versteht unter gesellschaftlicher Verantwortung Solidarität. Ich komme zum Schluss. – Um grundsätzlich ein neues Pflegeverständnis und eine bedarfsdeckende pflegerische Versorgung nachhaltig zu sichern, ist ein Systemwechsel in der Finanzierung erforderlich. Eine solche solidarische Pflegeversicherung schafft den notwendigen finanziellen Spielraum für eine gute Pflege und für gute Arbeitsbedingungen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Karl Lauterbach von der SPD-Fraktion ist der nächste Redner. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Karl Lauterbach (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst einmal bei Minister Gröhe und auch bei den Mitgliedern der Fraktionen ganz herzlich dafür bedanken, dass wir gestern bei der Lösung der Probleme im Bereich der Gesundheit für die Asylsuchenden aus meiner Sicht einen sehr tragfähigen und weitreichenden Kompromiss finden konnten, der sich sehen lassen kann. Die Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen wird dadurch deutlich und auch nachhaltig verbessert. Das wäre ohne die Zusammenarbeit, die, wie wir gesehen haben, ohne politisches Geschrei und sehr konstruktiv erfolgte, nicht möglich gewesen. Daher vielen Dank an alle, die daran mitgewirkt haben. Die Reform der Pflegeversicherung, die wir jetzt beschlossen haben, führt zur größten prozentualen Aufstockung der Mittel einer Sozialversicherung, die wir in Deutschland jemals gesehen haben. Sie werden um fast 25 Prozent aufgestockt. Diese Mittel sind gut eingesetzt. Ich will die Grundzüge nur noch einmal in Umrissen erklären, sodass die Gesamtstruktur dieser Pflegereform gewürdigt werden kann: Die körperliche Pflegebedürftigkeit wurde bei der Pflegeversicherung bisher einigermaßen gut berücksichtigt, die demenzielle Pflegebedürftigkeit wurde nur wenig berücksichtigt, und die Pflegebedürftigkeit bei psychischen Erkrankungen wurde so gut wie gar nicht berücksichtigt. Das war eine systematische Diskriminierung insbesondere derjenigen, die an psychischen Erkrankungen oder an Demenz gelitten haben. Diese Diskriminierung beenden wir nun, indem wir die Pflegebedürftigkeit in allen drei Bereichen in vergleichbarer Art und Weise anerkennen, die Mittel aufstocken und allen eine qualitativ gleich gute Pflege ermöglichen. (Beifall bei der SPD) Ein zweiter sehr wichtiger Grundzug dieser Reform besteht darin, dass wir dazu übergehen, nicht mehr zu messen, was bei jemandem pro Tag gemacht werden muss – das war im Wesentlichen der Reparaturansatz in der Pflege –, sondern zu schauen, was ein Mensch noch kann, und dass wir das, was er noch kann, stärken. Das ist ein ganzheitlicher Teilhabeansatz, den wir auch in anderen Bereichen verfolgen. Dazu passt, dass wir versuchen, denjenigen zu rehabilitieren, bei dem das noch möglich ist. Wir stärken das, was jemand noch kann, und reparieren nicht das, was er nicht mehr kann. Dieser Ansatz, dieses Umdenken, ist der wichtigste Grundsatz bei der Neudefinition der Pflegestufen und der Pflegebedürftigkeit. Das ist eine ganz andere Herangehensweise als bisher. Dadurch werden die Pflegebedürftigen die Hilfe bekommen, die sie benötigen, ohne dass es zu einer Reparaturpflege kommt, und auch die in der Pflege Tätigen werden dadurch motiviert, weil sie das tun können, was sie am liebsten tun, nämlich, jemandem zu helfen, das, was er noch kann, zu erhalten oder weiter aufzubauen. Das ist die wichtigste Umstellung, aber keine technische Umstellung, sondern dahinter steht eine ganz andere Pflegephilosophie. Es war höchste Zeit, dass wir hier umstellen; das ist schon angesprochen worden. Ich glaube, dies ist sehr gut gelungen. Darauf können wir stolz sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ein weiterer sehr wichtiger Ansatz dieser Reform der Pflegeversicherung, der sich durch alle Bereiche zieht, ist die Vermeidung von stationärer Pflegebedürftigkeit. Ich will nur zwei Beispiele nennen: Das Wohnumfeld der Menschen, die unter den ersten Pflegegrad fallen, wird deutlich verbessert. Das kommt etwa 500 000 Menschen zugute, die bisher nicht als pflegebedürftig galten. Dadurch helfen wir diesen Menschen, weiterhin zu Hause leben zu können. Durch die Anpassung des Wohnumfeldes werden viele dieser Menschen niemals eine stationäre Pflege in Anspruch nehmen müssen. Das ist ein sehr wichtiger Schritt in Richtung Pflegebedürftigkeitsvorbeugung. Damit stärken wir diejenigen, die zu Hause leben wollen und das noch können. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) In die gleiche Richtung – Vorbeugung statt Heilung – geht der Versuch, diejenigen, die diese Leistung erbringen können – die Familienangehörigen –, dafür auch ein Stück weit besser abzusichern. Die bessere Anerkennung der Rentenansprüche für diejenigen, die zu Hause jemanden pflegen, ist – in Kombination mit der Stärkung der häuslichen Pflege, auch mit den erhöhten Mitteln, die wir für die häusliche Pflege zur Verfügung stellen – ein ganz wichtiger Schritt, damit diese Menschen nicht bei der Rente benachteiligt werden. Wir wollen dafür sorgen, dass es Familien leichter haben, ihre Angehörigen zu Hause zu versorgen, sodass die Pflege zu Hause eine noch stärkere Rolle spielen wird und die höheren Pflegegrade in der stationären Versorgung nicht notwendig werden. Die Reform leistet auch einen wichtigen Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit. Es war bisher ungerecht, dass die sozial Schwächeren durch den Anstieg der Eigenanteile bei höheren Pflegestufen diese aus finanziellen Gründen oft gemieden haben. Wir haben eine systematische Unterversorgung der ärmeren Menschen, weil diese zur Schonung ihrer Angehörigen oder ihrer Ressourcen nicht in die höheren Pflegestufen übergegangen sind, obwohl es oft medizinisch notwendig gewesen wäre. Die wichtige Beseitigung dieser Ungerechtigkeit würde ich nicht unterschätzen. Es ist richtig, dass wir die Eigenanteile für alle Pflegestufen einheitlich gestalten. Nur so wird es möglich sein, dass auch die sozial schwächeren Menschen die Pflege bekommen, die sie benötigen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich komme zum Schluss. Wir stärken die Lebensqualität. Wir dehnen die Betreuungsleistungen aus, sodass auch einmal gespielt werden kann, dass man mit den Pflegebedürftigen nach draußen gehen kann, sodass nicht nur das Medizinische im Vordergrund steht, sondern Pflegebedürftige auch das erleben, was am Leben noch schön ist. Da sind die Betreuungsleistungen, die man nicht gegen die eigentliche Fachpflege ausspielen darf, eine wichtige Ergänzung. Die gesamte Reform ist paritätisch finanziert worden. Das ist für mich auch für zukünftige Reformen in der Krankenversicherung vorbildlich. (Beifall bei der SPD) Die Reform ist ein wichtiger Baustein, eine aus meiner Sicht gelungene ganzheitliche Reform, die die Pflegelandschaft in Deutschland nachhaltig beeinflussen wird. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Elisabeth Scharfenberg, Bündnis 90/Die Grünen. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister Gröhe! Herr Laumann! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich könnte Sie hier auch mit „Sehr geehrte Pflegebedürftige von morgen und übermorgen“ begrüßen. (Zuruf von der CDU/CSU: Nicht so pessimistisch!) Sie bringen heute den Entwurf eines Gesetzes, des PSG II, ein. Offensichtlich sind Ihnen ja blumige Namen wie „Pflegeneuausrichtungsgesetz“ und „Pflegeweiterentwicklungsgesetz“ ausgegangen. Wir fangen jetzt an, durchzunummerieren. Das PSG I hatten wir ja schon. Wir werden sehen, wo wir am Ende dieser Legislatur landen. Ich befürchte, das wird jetzt eine unendliche Geschichte werden. Nach vielen Jahren soll nun endlich mit dem PSG II der Pflegebegriff umgesetzt werden. Dieser Pflegebegriff – ich habe das immer betont – ist das Herzstück aller Pflegereformen der letzten Jahre. 500 000 Menschen mehr sollen in die Pflegeversicherung mit einbezogen werden, und die Beiträge werden um insgesamt ein Viertel ansteigen. Das sind 6 Milliarden Euro zusätzliche Beiträge der Versicherten jährlich. Dies ist eine der größten Veränderungen in der Pflegeversicherung seit ihrem Bestehen. (Mechthild Rawert [SPD]: Und das ist gut so!) Demenzkranke sollen erstmals gleichberechtigt in die Pflegeversicherung einbezogen werden. Und Leistungen für Pflegebedürftige werden danach bemessen, wie stark die Selbstständigkeit eingeschränkt ist. Das heißt, es wird nicht mehr gefragt: Was kann wer nicht mehr? Vielmehr wird die Frage gestellt: Was kann wer noch? Und da geht es, ehrlich gesagt, richtig um was. Wir nehmen uns gerade einmal etwas mehr als eine Stunde Zeit, um dieses Gesetz einzuführen und zu beraten. Wir werden auch bei der Anhörung am nächsten Mittwoch nicht viel Zeit haben. Und die kritischen Stimmen der Expertinnen und Experten werden Sie – wie bei so vielen anderen Themen – einfach überhören. Noch im November wird dann das PSG II hier verabschiedet. Das ist, ehrlich gesagt, ein Husarenritt nicht in Hochgeschwindigkeit, sondern in Höchstgeschwindigkeit, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und das bei einem Gesetz, das wichtig ist für so viele Menschen in unserem Land: für die Pflegebedürftigen, für die Angehörigen und insbesondere auch für die Pflegekräfte. Das ganze Vorgehen wundert mich nicht einmal. Sie betonen gerne und häufig die Wichtigkeit der Pflege. Um diese Wichtigkeit zu beweisen, jagen Sie ein Pflegegesetz nach dem anderen durchs Parlament: (Mechthild Rawert [SPD]: Auch das ist gut so!) das Pflegestärkungsgesetz I, das Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf, aktuell das PSG II mit dem neuen Pflegebegriff, demnächst dann die unsägliche Reform der Pflegeausbildung. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Kollegin, was sollen wir denn? Sollen wir handeln, oder sollen wir gar nichts machen?) Dazu kommt das Krankenhausstrukturgesetz. Auch hier ist ein zentraler Punkt der Pflegepersonalmangel in den Krankenhäusern. Dann kommt noch das Hospiz- und Palliativgesetz. Davon sind Pflegeeinrichtungen und Pflegekräfte wesentlich betroffen. Aber es bleibt keine Zeit für eine öffentliche Auseinandersetzung. (Mechthild Rawert [SPD]: So ein Quatsch!) Ehrlich: Sie selbst kommen bei diesem Tempo nicht mehr mit. Unterm Strich: Sie weigern sich, die wirklich wichtigen Fragen zu beantworten. Ich habe das Gefühl, Sie schaffen lieber erst einmal Tatsachen. Aber Quantität bedeutet eben nicht automatisch Qualität, und gut gemeint bedeutet eben noch lange nicht gut gemacht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ein neuer Pflegebegriff, eine Pflege, die den Menschen mehr Selbstständigkeit und Teilhabe am Leben ermöglichen soll, 500 000 Menschen mehr, die Leistungen aus der Pflegeversicherung erhalten sollen: Das kostet Geld. Dazu braucht es natürlich mehr gut qualifiziertes Personal. Woher soll das denn bitte kommen? (Mechthild Rawert [SPD]: Durch eine generalistische Ausbildung! – Gegenruf des Abg. Tino Sorge [CDU/CSU]: Naja, warten wir mal ab!) – Dazu komme ich gleich. – Sie haben den Beitrag zur Pflegeversicherung erhöht. Aber Sie selbst geben ja zu, dass diese Finanzierung eben mal bis 2022 steht. Nur bis 2022! Ehrlich: Das ist alles andere als nachhaltig! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, lieber Herr Minister, eine Reform, die so viele Menschen betrifft, braucht ein wirklich starkes Fundament. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Das hat sie!) Aber davon fehlt mir hier jede Spur. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Einzige, was Ihnen zur Finanzierung einfällt, ist der Pflegevorsorgefonds; ein Fonds, der jährlich rund 1,2 Milliarden Euro an Beitragsgeldern einfach schluckt; (Maria Michalk [CDU/CSU]: „Anlegen“ heißt das, nicht schlucken!) Beitragsgelder, die wir aktuell woanders viel dringender bräuchten, Beitragsgelder, die aktuell dringend für die Pflege verwendet werden müssten. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Das ist ein Element der Vorsorge, Frau Kollegin! Das wissen Sie doch auch!) – Hören Sie auf die Expertinnen und Experten! Diese haben Ihnen bestätigt, dass das kein Element der Vorsorge ist, sondern nur absolute Showpolitik. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Man kann sich immer die Experten raussuchen, die man will! Es gibt auch andere Experten, die genau das Gegenteil sagen!) Dieser Fonds wird dazu führen, dass der Beitrag in der Zukunft um gerade einmal 0,1 Prozentpunkte sinken wird. Ehrlich: Das ist keine spürbare Entlastung. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nach 20 Jahren wird dieser Fonds leer sein. Es wird aber nicht plötzlich mehr Beitragszahlerinnen und Beitragszahler geben; das ist doch eine absolute Milchmädchenrechnung. Der Beitrag wird dann einfach wieder sprunghaft steigen müssen. Wir haben einen besseren Vorschlag. Wir predigen schon lange Zeit die grüne Pflegebürgerversicherung. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Oh nein!) Sie würde uns finanzielle Spielräume eröffnen, zum Beispiel mehr Geld für Pflegekräfte; denn natürlich brauchen wir mehr Personal. Es muss uns doch allen klar sein: Wir brauchen mehr Personal, wenn mehr ältere und pflegebedürftige Menschen in unserer Gesellschaft leben. Wir werden auch mehr Personal brauchen, wenn das PSG II so umgesetzt werden soll, wie es uns der Kollege Lauterbach gerade so blumig dargestellt hat. Wo soll denn dieses zusätzliche Personal herkommen? Die Pflegekräfte arbeiten jetzt schon am Limit; das wissen wir doch alle. Wenn das PSG II 2017 in Kraft treten wird, dann werden die Pflegekräfte noch mehr gefordert werden; denn die Pflege wird sich ändern, ändern müssen, wenn wir den Pflegebegriff ernst nehmen. Die Antwort auf dieses Problem? Tja, leider Fehlanzeige! Sie wollen bis 2020 ein Personalbemessungsinstrument entwickeln. Ehrlich: Das ist viel zu spät. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Pia Zimmermann [DIE LINKE]) Wenn dieses Instrument entwickelt ist, dann ist es auch noch nicht flächendeckend umgesetzt. Ich möchte noch einmal erinnern: Ihre Finanzierung steht bis 2022. Wenn Sie 2020 anfangen, zu überlegen, wie Sie ein Personalbemessungsinstrument umsetzen, dann ist die Kasse schon lange wieder am Limit. Wir brauchen mehr Menschen, die in der Pflege arbeiten und das auch wollen. Nur so können wir auch Personalbemessungsvorgaben umsetzen und erfüllen. Diese Menschen kommen aber nur, wenn sich die Arbeitsbedingungen in der Pflege wesentlich verbessern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die generalistische Pflegeausbildung, die Sie planen, wird das Gegenteil erreichen. Drei Ausbildungen sollen zu einem Beruf zusammengelegt werden, und das bei der gleichen Ausbildungsdauer: drei Berufsausbildungen eingedampft auf drei Jahre. (Mechthild Rawert [SPD]: Modernisiert! In anderer Form!) Es springt einen doch an: Da wird Fachwissen verloren gehen. Das wertet einen Beruf nicht auf; das wertet einen Beruf ab. (Heike Baehrens [SPD]: Unsinn! Das ist doch einfach Unsinn!) Und: Sie ignorieren die massiven Probleme bei der Umsetzung. Es scheint Sie überhaupt nicht zu interessieren. Doch es gibt diese Probleme. Es gibt einen Mangel an generalistisch qualifizierten Lehrkräften. (Mechthild Rawert [SPD]: Wir wollen doch in Richtung Qualität! Es wird zu wenig Praxisstellen, es wird zu wenig Praxisanleitungen geben. Die Kosten werden steigen. Die Finanzierung ist ungeklärt. Diese Probleme existieren. Sie blenden sie aus. Wir bekommen keine Antworten, und das ist, ehrlich gesagt, ein ganz unlauteres Vorgehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Diese Probleme werden aber dazu führen, dass die Zahl der Ausbildungsplätze in der Pflege nicht steigen, sondern zurückgehen wird. Das wird verheerende Auswirkungen auf die gesamte Pflegelandschaft haben. Der neue Pflegebegriff wird nicht umzusetzen sein. Sie versprechen auch mehr Unterstützung für pflegende Angehörige: ein bisschen mehr Absicherung in der Arbeitslosenversicherung, ein bisschen mehr Rente – für manche. Viele wird das gar nicht erreichen. Das wird bei weitem nicht reichen. Wir brauchen endlich Angebote für pflegende Angehörige, die wirklich entlasten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Mechthild Rawert [SPD]: Grüne Wählerinnen und Wähler gibt es in der Pflege auf jeden Fall nicht!) Die Gesetze, die Sie bisher dazu gemacht haben, belasten die Angehörigen, beispielsweise das Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf. Mit dem Darlehen bleiben alle Lasten bei den Angehörigen hängen. Sie tun nichts, was Strukturfragen angeht, und sie tun nichts für eine nachhaltige Finanzierung. Alles wird in die Zukunft verschoben. Das sind ungedeckte Schecks, und das bei einem PSG II, in das so viele Menschen berechtigte Hoffnung setzen. Ich fordere Sie auf: Denken Sie die Probleme in der Pflege endlich zusammen! Lösen Sie die wichtigen Probleme! Kümmern Sie sich um eine zukunftsfeste Finanzierung! Sorgen Sie für ein besseres Ansehen des Pflegeberufs, und tun Sie endlich etwas für bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege! (Hilde Mattheis [SPD]: Mit so einer Kritik bestimmt nicht!) Am Mittwoch haben Tausende Pflegekräfte am Brandenburger Tor genau dafür demonstriert. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Das stimmt ja so nicht!) Das sollte Sie endlich wachrütteln. Sehen Sie doch einmal die Realität! Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Georg Nüßlein das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Frau Kollegin Scharfenberg, ich war wirklich auf Ihre Rede gespannt. Ich war gespannt, weil ich noch im Ohr hatte, was Sie uns die ganze Legislatur über alles erzählt haben: Es komme alles zu spät – das haben Sie heute wiederholt –, und es gehe alles nicht schnell genug. „Ankündigungspolitik“ war eines Ihrer Worte. (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es scheint angekommen zu sein!) Wir würden Menschen ruhigstellen und ständig an kleinsten Schräubchen drehen. Und heute reden Sie von einem Husarenritt. Sie müssen sich schon entscheiden, was Sie denn an der Stelle wollen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich will eine verantwortungsvolle Politik!) Ich hätte erwartet, dass Sie sagen: (Tino Sorge [CDU/CSU]: Danke, Koalition!) Wir haben es nicht geglaubt. Wir waren skeptisch. Aber Sie haben es gut gemacht. Wir haben es Ihnen einfach nicht zugetraut. – Es hätte Ihrer Rolle als Opposition angestanden, zu sagen: Wir haben es Ihnen nicht zugetraut; aber Sie haben jetzt diesen zusätzlichen Schritt, diesen großartigen, großen Schritt gemacht, und wir haben in unserer Kleinkrämerei einfach nicht geglaubt, dass das so kommen wird. Stattdessen kritisieren Sie an Kleinigkeiten herum. Beim letzten Mal haben Sie uns noch dafür gescholten, dass wir die Dinge wohlüberlegt angehen. Darum ist es doch gegangen. Es geht doch an der Stelle um ein hochsensibles Thema, meine Damen und Herren. Es geht um Menschen in einer schwierigen, wenn nicht sogar in ihrer schwierigsten Lebensphase. Es geht um Angehörige, die mit einer Situation, die für sie neu und auch problematisch ist, konfrontiert sind. Und es geht in der Tat – da haben Sie recht – auch um das Personal und um diejenigen, die Großartiges – auch professionell – leisten. Das muss ich auch sagen. Wenn Sie eine anständige Rede gehalten hätten, dann hätten Sie gesagt: Jawohl, diese Reform – Stufe I wie Stufe II – tut für alle etwas. Sie hat die zu Pflegenden im Blick, um die es geht. Sie hat die Angehörigen im Blick, die viel leisten, und sie tut auch im Personalbereich etwas. – Stattdessen kritisieren Sie daran herum. Schauen Sie sich doch Ihren Antrag an! Sie sagen doch, das sei alles zu wenig. 25 Prozent mehr an Rentenbeiträgen und 6 Milliarden Euro: Was soll man denn sonst noch tun? (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fragen Sie mal die demonstrierenden Pflegekräfte, was Sie sonst noch tun können!) Das war aus meiner Sicht der Gipfel. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fragen Sie mal in den Pflegeheimen!) Wenn Sie dann auch noch kritisieren, dass wir nur eine Beitragsperspektive bis zum Jahr 2022 – das sind sieben Jahre, und das in heutiger Zeit – vorsehen, und sagen, das sei noch zu wenig, dann glaubt Ihnen das doch niemand. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Beitragsperspektive von sieben Jahren gibt uns Zeit, etwas zu tun; das ist richtig. Man darf nicht vergessen, dass wir an einem Gesetz operieren, das 20 Jahre Bestand hatte. Wenn dies der Maßstab für alles wäre, was wir hier machen, dann wäre schon etwas gewonnen. Ich möchte an dieser Stelle einen Gruß an Norbert Blüm senden. Ich weiß nicht, ob er zuhört, aber es war eine großartige Leistung, damals eine solche Reform auf die Beine zu stellen, (Beifall bei der CDU/CSU) die 20 Jahre Bestand gehabt hat und damals einen Paradigmenwechsel darstellte. Wir haben Menschen, die pflegebedürftig wurden – das ist eine ganz schwierige Situation –, vor der Schmach bewahrt, in die Sozialhilfe zu fallen. Das ist das Großartige dieses Ansatzes gewesen. Wir entwickeln dieses großartige Gesetz nun in einem riesigen Schritt fort. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen Sie doch im Ernst nicht den Pflegekräften erzählen!) Kollege Lauterbach hat fachlich präzise beschrieben, worum es geht, nämlich um die Demenzkranken, aber nicht nur um die. Auch die psychisch Kranken werden einbezogen. Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie sagen: Überfällig. – Ja, das stimmt. Aber warum kritisieren Sie dann das als Husarenritt? Entweder ist dieser Schritt überfällig, oder es handelt sich um einen Husarenritt. Wir machen das auf jeden Fall wohlüberlegt und zielgerichtet. Die Weiterentwicklung erfolgt in zwei Stufen. Die Pflegestufe I hat pflegebedürftigen Personen, auch Demenzkranken und Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz sowie deren Angehörigen deutliche Verbesserungen, mehr Flexibilität und mehr Leistungen gebracht. Wenigstens das hätten Sie anerkennen können. Das ist nämlich Fakt; das haben wir schon in der ersten Stufe geleistet. Wir geben Geld für mehr Betreuung und damit für mehr Personal aus. Das müssen Sie anerkennen. Das, was wir hier tun, kostet Geld und ist mit Beitragserhöhungen in erheblichem Ausmaß verbunden. Aber es sind die unumstrittensten Beitragserhöhungen im Sozialversicherungsbereich, die wir jemals hatten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Der allergrößte Teil der Bevölkerung sagt: Das, was ihr macht, hat Sinn und ist zielführend und gut. Wir sind bereit, dafür Geld auszugeben. – Das sagen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam. Ich bin überzeugt, dass Ähnliches auch für die Stufe II gilt. Normalerweise wissen Parlamentarier sofort – egal ob ein Gesetzentwurf aus einem CDU/CSU-geführten oder aus einem SPD-geführten Haus kommt –, was man grundsätzlich ganz anders machen müsste. Die Minister kennen das Struck’sche Gesetz – Herr Gröhe kann ein Lied davon singen –: Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es hineingekommen ist. – Ich habe ein Problem mit diesem Gesetz; denn mir fällt auf Anhieb nichts ein, was man an dem vorliegenden Gesetzentwurf groß ändern müsste. (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warten Sie mal die Erhöhung ab!) Es handelt sich um eine ganz, ganz gute Vorlage. Ich möchte mich herzlich bedanken beim Minister, beim Pflegebeauftragten, Herrn Laumann, und bei Frau Kraushaar. Eine ganz, ganz tolle Vorlage! Vielen herzlichen Dank! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) In der Tat verhält es sich so, wie die Vorredner gesagt haben: Das Herzstück ist ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff. Das Hauptanliegen muss natürlich sein, gerade die Demenzkranken von Anfang an richtig und sinnvoll zu versorgen. Das erwartet man von uns, und das muss auch in die Zukunft gerichtet so sein; denn das Risiko, an Demenz zu erkranken, steigt mit zunehmender Lebenserwartung, die Gott sei Dank ebenfalls steigt. Das ist sicherlich ein Wohlstandsthema. Mittelfristig werden jedenfalls zusätzlich 500 000 Menschen Leistungen aus der Pflegeversicherung beziehen. Das kann man unter Kostengesichtspunkten sehen. Aber ich sehe das hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt der medizinisch-pflegerischen Versorgung. Auch deshalb müsste man dieses Gesetz loben. Dass die Opposition das nicht kann, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das schadet aber nichts!) mag an der Rolle liegen, die ihr der Wähler zugewiesen hat. Das kann man bedauern. Wenn Sie aber in Ihrer Kritik ein bisschen differenzierter gewesen wären, Frau Scharfenberg, dann wäre das glaubhafter gewesen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Hilde Mattheis [SPD]: Das kann man wohl sagen!) Da wir das mit einer Übergangsphase machen, muss niemand Sorge haben, dass er heruntergestuft wird und dass die Angehörigen stärker belastet werden. Das zeigt, wie wohlüberlegt wir das Ganze gemacht haben. Ich möchte auch unterstreichen, dass wir durchaus sehen, dass viele pflegende Angehörige an die Grenze ihrer Belastbarkeit gehen. Diesen Punkt, die Hilfe für die Pflege zu Hause, haben wir schon Anfang dieses Jahres mit insgesamt 1,4 Milliarden Euro verstärkt. Ich möchte das wiederholen, was Herr Lauterbach hier gesagt hat: Wir haben das Ganze so austariert, dass die Chance, gar nicht in eine Pflegeeinrichtung zu müssen, gewachsen ist. Wir haben es so gemacht, dass mehr Menschen die Option haben, viel länger zu Hause zu bleiben. Es ist doch ein Anliegen derjenigen, die langsam in die Pflegebedürftigkeit rutschen, möglichst lang zu Hause zu bleiben und eben nicht in eine Einrichtung zu kommen. Aber natürlich gibt es dann irgendwann einmal den Punkt, an dem das unvermeidlich ist. Daher haben wir die Beratung der Angehörigen gestärkt. Wir werden das Thema Pflege-TÜV aufgreifen. In diesem Zusammenhang werden wir auch das Thema Bürokratieabbau im Blick haben. Ich darf Ihnen sagen: Den Pflege-TÜV werden wir neu aufstellen. Der heutige Pflege-TÜV ist in spätestens zweieinhalb Jahren Geschichte. Das ist keine Ankündigung, sondern etwas, worauf sie sich verlassen können. Meine Damen und Herren, wir werden die Bedingungen für das Pflegepersonal weiter verbessern; auch das ist wichtig. Da geht es um die Arbeitsbedingungen auf der einen Seite und um die materiellen Bedingungen auf der anderen Seite. Niemand arbeitet für lau. Letztendlich arbeitet jeder, um seinen Lebensunterhalt zu sichern. Das muss man im Blick haben, wenn man über die Frage redet: Wie bekommt man mehr Pflegekräfte? Natürlich werden wir uns in diesem Zusammenhang in der nächsten Zeit auch über die Frage der Pflegeausbildung unterhalten. Dabei muss abgewogen werden, was die generalistische Pflegeausbildung am Schluss bringt und was sie verändern wird. Vielen herzlichen Dank fürs Zuhören. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile dem Kollegen Harald Weinberg das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Harald Weinberg (DIE LINKE): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Nüßlein, welche Rolle wir als Opposition einnehmen, das müssen Sie uns schon selber überlassen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das hat der Wähler so entschieden! Gott sei Dank!) Das ist das erste Wesentliche, was ich Ihnen sagen möchte. Dann möchte ich allerdings schon noch einmal betonen: Ich kann mich noch recht gut an die letzte Wahlperiode erinnern. Da haben wir irgendwie einen extrem langen Herbst gehabt. Der damalige Gesundheitsminister Bahr hat uns immer wieder angekündigt: Es gibt im Herbst einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff. Dieser Herbst war extrem lang: Er ging bis in den November, bis in den Dezember, bis in den Januar hinein, und es kam und kam und kam nichts. Insofern ist es natürlich schon so, dass man dieser Regierung Anerkennung dafür zollen kann, dass sie etwas vorlegt, und zwar schnell. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hilde Mattheis [SPD]: Vielen Dank! – Mechthild Rawert [SPD]: Bravo! – Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]) Ich denke, man kann auch anerkennen, dass das Pflegestärkungsgesetz I und das Pflegestärkungsgesetz II vom Finanzvolumen her sicher die größte Reform der Pflegeversicherung seit ihrem Bestehen sind. Außerdem gilt es erst einmal, einiges weitere durchaus Positive an diesem Pflegestärkungsgesetz anzuerkennen. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Dann machen Sie es doch! Die Anerkennung wollen wir hören, jetzt! – Mechthild Rawert [SPD]: Aber? Aber?) Aber – jetzt kommt natürlich das Aber – dennoch reicht das Geld aus den Beitragssatzanhebungen um 0,5 Prozentpunkte nicht aus, um die grundsätzliche Unterfinanzierung und die grundsätzlichen Probleme der Pflege zu lösen. Dass diese Beitragssatzerhöhung unumstritten sei, darin gebe ich Ihnen durchaus recht. Aber umstritten an dieser Beitragssatzerhöhung ist durchaus, dass 0,2 Prozentpunkte, das heißt 40 Prozent von 0,5 Prozentpunkten, in einen sogenannten Spahn-Fonds fließen sollen. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Spar-Fonds!) – „Spahn-Fonds“. Ja, ich nenne es „Spahn-Fonds“, weil Herr Spahn mit Sicherheit seine Finger darin gehabt hat, als es darum ging, dass es diesen Fonds in der Form gibt. (Beifall bei der LINKEN – Mechthild Rawert [SPD]: Das ist jetzt eine nachträgliche Veredelung!) Das, was in diesen Fonds hineinkommt, steht der Pflege und der Pflegeversorgung natürlich nicht zur Verfügung. Was wir in der Pflege brauchen, das sind natürlich vor allen Dingen Personal, Personal, Personal, gute Arbeit für die Beschäftigten, gute Pflege für die Pflegebedürftigen, eine bessere Bezahlung, eine Wertschätzung der Arbeit. Wir müssen weg von der Teilkaskoversicherung mit Verarmungsgarantie für die Betroffenen, hin zu einer Pflegeversicherung, die notwendige Leistungen voll übernimmt. (Beifall bei der LINKEN) Das alles geht nur mit einer Reform der Einnahmeseite. Damit sind wir beim Thema. Nur, ich würde es nicht „grüne Bürgerversicherung“ nennen, sondern „solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung“. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Da seid ihr euch einig!) Damit sind wir bei der solidarischen Bürgerinnen- und Bürgerversicherung in der Pflege. Ich meine, das wäre ein gutes Einstiegsprojekt; denn wir haben in der Pflege die Situation, dass die Leistungen in der privaten Versicherung und in der gesetzlichen Versicherung identisch sind. Wir können hier tatsächlich sozusagen ein Einstiegsprojekt mit einer Systematik machen und könnten dabei womöglich auch die Rücklage von 25 Milliarden Euro, die es bei der privaten Pflegeversicherung gibt, in die Versorgung und in die zukünftige Versorgung einbringen. (Beifall bei der LINKEN) Theoretisch hätten wir sogar eine Mehrheit dafür in diesem Haus. Praktisch befindet sich die SPD hier in babylonischer Gefangenschaft. Dennoch wollen wir diese Alternative zumindest mit diskutieren und haben daher unseren Antrag zu einer solidarischen Bürgerinnen- und Bürgerversicherung in der Pflege eingebracht. Ich freue mich auf die Beratungen. Ich glaube, es gibt schon noch einigen Änderungsbedarf bei dem hier vorgelegten Gesetzentwurf. Danke. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun erhält die Kollegin Hilde Mattheis das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hilde Mattheis (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich und meine Fraktion freut sich, weil wir nach vielen Jahren Überzeugungsarbeit heute wirklich ein Herzstück einer Pflegereform auf den Weg bringen – ein Herzstück! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich glaube, wir können für uns in Anspruch nehmen, dass wir das, was wir in der Opposition immer vertreten haben, jetzt in der Regierung umsetzen. (Beifall bei der SPD – Axel Schäfer (Bochum) [SPD]: Sehr wahr!) Das ist ein wichtiger Schritt; denn uns allen ist klar: Wir brauchen in der Pflege große Anstrengungen, und diese großen Anstrengungen gehen dahin, nicht nur mehr Geld in die Pflege zu geben, sondern auch strukturelle Verbesserungen zu erreichen. (Beifall bei der SPD) Diese strukturellen Verbesserungen hängen fest und eng mit dem Pflegebedürftigkeitsbegriff zusammen. Wenn wir es nicht geschafft hätten, weg von der Mangelerhebung und hin zu einem Teilhabeaspekt zu kommen, hätten wir noch so viele Leistungsverbesserungen auf den Weg bringen können – wir hätten es nicht erreicht, individuell zu helfen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir dieses Herzstück nicht nur diskutieren, sondern auch auf den Weg bringen. Sie und Sie von der Opposition haben vor wenigen Jahren – da bitte ich Sie, einfach einmal Ihre Reden nachzulesen – mit uns genau diese Forderung erhoben. Ich fand es damals gut und richtig, dass wir eine breite Übereinstimmung hatten. Deshalb appelliere ich an Sie: Begleiten Sie uns durchaus kritisch-konstruktiv! Auch wir werden im parlamentarischen Verfahren an der einen oder anderen Stelle sicherlich nicht nur Nachfragen haben, sondern auch Schwerpunkte anders setzen. Denn unser gemeinsames Streben muss es sein, dass wir in dieser Großen Koalition das hinkriegen, was wir den Menschen versprochen haben, nämlich auch in der letzten Lebensphase Lebensqualität zu erhalten. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Maria ­Michalk [CDU/CSU] – Abg. Pia Zimmermann [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Das geht damit, dass man auf der einen Seite mehr Geld in dieses Sozialversicherungssystem hineinholt. Mehr Solidarität wäre auch uns als SPD noch lieber. Daran werden wir arbeiten; denn die solidarische Absicherung dieser wichtigen Sozialversicherungssäule ist unser Ziel. Aber wir können nicht alles auf einmal erreichen; das ist richtig. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Mattheis, darf die Kollegin Zimmermann eine Frage stellen? Hilde Mattheis (SPD): Bitte, Frau Zimmermann; gern. Präsident Dr. Norbert Lammert: Bitte schön. Pia Zimmermann (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Mattheis, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Zu meiner Frage. Sie sagen, dass es darum geht, was wir den Menschen versprochen haben, und dass wir nachlesen sollen, was in unseren Reden stand. Im Wahlprogramm der SPD zur letzten Bundestagswahl stand die Bürgerinnen- und Bürgerversicherung. Da frage ich mich: Wie gehen Sie denn jetzt damit um, vor allen Dingen auch vor dem Hintergrund, dass die private Pflegeversicherung – mein Kollege, Herr Weinberg, hat es erwähnt – 2014 eine Rücklage von 25 Milliarden Euro – jetzt wahrscheinlich noch mehr – hatte? Um das einmal anhand von Versorgungszeiten deutlich zu machen: Es ist so, dass die private Pflegeversicherung mit dieser Rücklage 32 Jahre lang ihre Pflegeleistungen erbringen kann, während die sogenannte soziale Pflegeversicherung das mit ihrer Rücklage nur ein Vierteljahr lang kann. Wie wollen Sie das denn politisch bewältigen, um da zu einem Gleichgewicht zu kommen und das, was auch Sie selbst fordern, nämlich die solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung, umsetzen zu können? (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Hilde Mattheis (SPD): Frau Zimmermann, wir kennen die Zahlen. Ich habe gerade gesagt, dass das unser Ziel ist und bleibt: Wir wollen mehr Solidarität in diesem System. Wir wollen eine Bürgerinnen- und Bürgerversicherung, die diesen Namen auch verdient. Ich glaube auch, dass Sozialversicherungssysteme nie abgeschlossen sind, Frau Scharfenberg. Man muss immer daran arbeiten, dass das System besser wird. Und wir erreichen jetzt mit diesem wichtigen Schritt, dass es besser wird. Das, was wir in die Koalitionsverhandlungen eingebracht haben, was wir Wort für Wort mit unserem Koalitionspartner fest vereinbart haben, können wir jetzt umsetzen – mit der Reform, mit dem Pflegestärkungsgesetz II. (Beifall bei der SPD) Worum geht es dabei? Es geht im Kern darum, die Beratung auszudehnen. Wir haben mit dem PSG I wichtige Leistungsverbesserungen verabschiedet, die jetzt passgenau eingefügt werden müssen. Das bedeutet: Wir müssen genau schauen, ob eine niedrigschwellige Beratung – das wird einer unserer Schwerpunkte sein – mit diesem Grundstein tatsächlich verwirklicht werden kann. Dabei geht es darum, die Kommunen sehr viel mehr zu stärken, damit diese die Infrastruktur planen können, um niedrigschwellige Pflegeangebote auszubauen. Das ist für uns ein wichtiger Punkt. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Pflege-AG ist doch gescheitert! Das ist doch alles nur Gerede!) Ein weiterer wichtiger Punkt ist, mehr Gerechtigkeit in dieses System zu bringen. Deshalb müssen wir hinterfragen, ob mit dem gedeckelten Betrag für Zusatzleistungen, mit Eigenanteilen unser Ziel tatsächlich erreicht wird, ob das wirklich mehr Gerechtigkeit im System schafft. Diese Fragen werden wir erörtern müssen. Und dabei setze ich schon auf eine breite Unterstützung. Ich glaube, davon brauche ich Sie auch gar nicht zu überzeugen; denn das haben wir alle hier so diskutiert. Das Anliegen, dass Menschen in ihrer letzten Lebensphase die größtmögliche Solidarität von uns, von der Solidargemeinschaft, erfahren sollen, tragen wir gemeinsam. Dieses Anliegen wollen wir mit dem Pflegestärkungsgesetz I und dem Pflegestärkungsgesetz II verwirklichen. Wir werden hier aber ebenfalls noch zu besprechen haben, was die Ergebnisse der Bund-Länder-Arbeitsgruppe bedeuten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Und wir werden noch das Pflegeberufegesetz zu besprechen haben. Das sind die wichtigen Bausteine. In diesem Kontext sollten wir alle miteinander diskutieren, wie wichtig es ist, dass wir die Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs jetzt gemeinsam auf den Weg bringen. Dabei setze ich auf Ihre Unterstützung. Ich glaube, auch in der Opposition muss man an manchen Stellen einmal sagen: Ja, die Zielsetzung stimmt, auch wenn nicht alles in Reinkultur umgesetzt werden kann. – Aber die Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs betrifft unsere Ansprüche in Reinkultur, die wir immer gemeinsam formuliert haben. Ich meine, man sollte auch in der Opposition manchmal über den eigenen Schatten springen und dem zustimmen, was da an Grundsteinen gelegt wird. Um diese Zustimmung bitte ich Sie; denn wir brauchen an dieser Stelle eine breite gesellschaftliche Debatte und eine breite gesellschaftliche Unterstützung. Natürlich gibt es bei der Umsetzung einige Hürden zu überwinden – Stichworte „Übergangsregelungen“ und „Begutachtung“. Wir müssen schauen, ob das neue Begutachtungssystem funktioniert. Aber stellen Sie sich einmal vor, was passieren würde, wenn wir das in dieser Phase der Pflegereform nicht hinbekommen würden! (Mechthild Rawert [SPD]: Das wäre eine Katastrophe!) Wir hätten viel versprochen, aber nichts für die Menschen gewonnen. In diesem Sinne: Ich würde mich über eine breite Unterstützung und durchaus auch über eine kritische Begleitung während der parlamentarischen Beratungen freuen. Aber wir sollten uns klarmachen, dass wir den Kern dieser Reform nicht aus dem Auge verlieren dürfen, den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun spricht der Kollege Erwin Rüddel für CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Erwin Rüddel (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Scharfenberg, ich weiß, es ist Ihre Rolle, unsere gute Arbeit zu kritisieren. Und da diese Arbeit immer besser wird, fällt es Ihnen natürlich auch immer schwerer, diese Arbeit zu kritisieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Aber es war auch einmal Ihre Rolle, Pflegepolitik zu betreiben. Als die Grünen hier im Hause regiert haben, hat es nicht einen einzigen Ansatz gegeben, die entsprechenden Strukturen zu verändern. (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was für ein kalter Kaffee, Herr Rüddel!) Da waren die Grünen ein Totalausfall. Ich denke, Sie sollten sich in Ihrer Kritik etwas mäßigen. (Beifall bei der CDU/CSU – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das erzählen Sie in hundert Jahren immer noch!) Was die Bürgerversicherung angeht, kann ich nur sagen: Wir haben das beste Gesundheitssystem weltweit. Überall dort, wo es eine Bürgerversicherung gibt, ist das Gesundheitssystem schlechter. (Beifall bei der CDU/CSU – Mechthild Rawert [SPD]: Das ist nicht wahr!) Warum sollen wir auf ein schlechtes System hinarbeiten? Wir wollen unser gutes System noch besser machen. (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Waren Sie am Mittwoch am Brandenburger Tor?) Das Zweite Pflegestärkungsgesetz, über das wir heute diskutieren, ist ein weiterer Baustein bei der Runderneuerung der Pflegeversicherung. Ich bin froh, dass in dieser Legislaturperiode so viel Aufmerksamkeit auf die Pflege gerichtet ist wie noch nie. Wir lösen mit diesem Gesetz ein zentrales Versprechen aus unserem Koalitionsvertrag ein: Wir verwirklichen den Pflegebedürftigkeitsbegriff. Wir stellen Menschen mit kognitiven Einschränkungen und Menschen mit somatischen Einschränkungen erstmals gleich und schließen eine große Gerechtigkeitslücke. Wir mobilisieren insgesamt zusätzlich 5 Milliarden Euro jährlich für eine bessere Versorgung pflegebedürftiger Mitbürgerinnen und Mitbürger. Alle Menschen mit demenziellen Erkrankungen werden davon profitieren und wesentlich besser gestellt als bisher. Eine halbe Million Menschen erhalten zusätzlich Leistungen aus der Pflegeversicherung. In Zukunft wird es passgenaue Einstufungen geben. Die Minutenpflege wird entfallen. Es wird einen Bestandsschutz geben. Niemand, der heute schon pflegebedürftig ist, muss sich Sorgen machen, künftig schlechter eingestuft zu werden. (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Das stimmt doch gar nicht! Unglaublich!) Ausdrücklich begrüße ich in diesem Gesetzentwurf auch die neu hinzukommenden, verbesserten Leistungen in der gesetzlichen Rentenversicherung und in der Arbeitslosenversicherung für pflegende Angehörige. Damit wird die Pflege eines Angehörigen nun auch in den sozialen Sicherungssystemen endlich angemessen anerkannt. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Rüddel, darf die Kollegin Scharfenberg Ihnen eine Zwischenfrage stellen? Erwin Rüddel (CDU/CSU): Sie darf. Präsident Dr. Norbert Lammert: Bitte. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Kollege, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage erlauben. – Ich habe eine ganz konkrete Frage. Sie haben gesagt: Zukünftig wird die Minutenpflege entfallen. – Erklären Sie mir und den vielen Tausend Pflegekräften hier im Land einmal, was das bedeutet. Wie schaffen Sie die Minutenpflege ab, und was meinen Sie genau damit? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Erwin Rüddel (CDU/CSU): Sie wissen, dass heute bei der Begutachtung sehr genau auf die Anzahl der Minuten geachtet wird und dies darüber entscheidet, in welche Pflegestufe man kommt. Hier kommt es durch die Einführung des Pflegebedürftigkeitsbegriffes zu einem Paradigmenwechsel. Es wird nämlich danach gefragt, wie viel Hilfe man braucht, um ein eigenständiges Leben führen zu können. Dabei spielen dann die Minuten keine Rolle mehr, sondern es wird insgesamt betrachtet, wie viel Hilfe jemand braucht. Man sieht nicht mehr auf die Minuten. Das bedeutet die Abschaffung der Minutenpflege, so wie sie von uns angedacht ist. Ich denke, das ist wertvoll für alle Menschen, die vor einem Begutachtungsverfahren stehen und anschließend betreut werden. (Beifall bei der CDU/CSU – Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) – Dann machen wir direkt mit der nächsten Frage weiter. Präsident Dr. Norbert Lammert: Nein. Ich weiß ja, dass die Großzügigkeit von Rednern beinahe unerschöpflich ist, beliebig viele Zwischenfragen zuzulassen. Ich lasse diese Frage jetzt nicht zu; denn wir haben uns auf eine Gesamtdebattenzeit geeinigt, auf die ich ebenfalls achten muss. – Bitte schön, Herr Rüddel. Erwin Rüddel (CDU/CSU): Wir klären das nachher. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Ist ja auch keine Vorlesung heute Morgen!) Zusammen mit dem Ersten Pflegestärkungsgesetz gibt es die größte Leistungsverbesserung in der Pflegeversicherung seit 20 Jahren. Schon seit dem 1. Januar sind Leistungsverbesserungen im Wert von 2,4 Milliarden Euro wirksam. Die Mittel kommen dort an, wo sie gebraucht werden: bei Pflegebedürftigen, deren Familienangehörigen und den Pflegekräften. Die Leistungen dienen vor allem der besseren häuslichen Versorgung. Ausgebaut wurden auch die Kurzzeit- und Verhinderungspflege sowie die Tages- und Nachtpflege, und es gibt zusätzliche Mittel für die Verbesserung des Wohnumfeldes. Die beiden Pflegestärkungsgesetze bedeuten in der Summe eine so massive Aufstockung in unserem Sozialleistungssystem, wie es das noch nie gegeben hat. Das kann man nicht oft genug betonen. Wir haben zu Beginn der Legislaturperiode mehr Qualität, mehr Geld, mehr Betreuung und mehr Hände für gute Pflege in unserem Land versprochen, und wir haben Wort gehalten. Meine Damen und Herren, das Gesamtbild wird aber erst dadurch komplett, dass wir die bedeutenden Verbesserungen mit einer großen Anzahl weiterer Maßnahmen flankiert haben. Wir senken den Schlüssel für die Betreuungskräfte. Wir reduzieren überflüssige Bürokratie. Pflege muss am Bett ankommen. Wir reformieren den Pflege-TÜV grundlegend. Wir brauchen möglichst bald eine Bewertungspraxis, die sich an der Ergebnisqualität, das heißt an der Pflegequalität, in der jeweiligen Einrichtung orientiert. Wir wollen ferner noch in dieser Wahlperiode ein neues Pflegeberufegesetz verabschieden; denn wir brauchen Anreize, um noch mehr Menschen als bisher für die Pflege zu motivieren. In diesem Kontext ist sicherlich positiv zu vermerken, dass die Altenpflege in Deutschland im laufenden Jahr mit über 29 000 Ausbildungsplätzen so viele angeboten hat wie nie zuvor. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass wir bald auch vermehrt junge Flüchtlinge ausbilden können, zumal die Altenpflege mit der Ausbildung von Menschen aus Drittstaaten bereits positive Erfahrungen gemacht hat. Dabei versteht sich von selbst, dass die Beherrschung der deutschen Sprache auch für den Umgang mit alten und pflegebedürftigen Menschen eine Grundvoraussetzung ist. Unabhängig davon müssen sich die Arbeitsbedingungen in der Pflege weiter verbessern; denn leider gilt nach wie vor, dass gerade viele jüngere Menschen nicht dauerhaft im Beruf bleiben. Zuvörderst sind die Arbeitgeber in der Pflicht, anständige Tariflöhne zu zahlen, um den Pflegeberuf attraktiv zu machen. Die brauchen dann aber auch die Rückendeckung bei den Kostenträgern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, viele Senioren und pflegebedürftige Menschen haben Probleme mit der Einnahme mehrerer Medikamente. Nicht immer sind die Therapien optimal aufeinander abgestimmt. Häufig gibt es unerwünschte Wechselwirkungen. Mit dem E-Health-Gesetz werden wir dafür sorgen, dass gerade ältere Patienten, die mehrere Wirkstoffe einnehmen, einen verbrieften Anspruch auf einen übersichtlichen Medikationsplan erhalten. Das heißt, ein Arzt muss die Medikamente auf Wechselwirkungen prüfen und die Therapien möglichst optimal aufeinander abstimmen. Um die medizinische Versorgung für die Heimbewohner in Deutschland zu verbessern, werden wir außerdem im Palliativ- und Hospizgesetz die Voraussetzungen für Verträge zwischen Heimträgern und Ärzten schaffen. Bislang sind die Heimbewohner gerade von fachärztlicher Versorgung häufig ausgeschlossen. Auch ist es immer schwierig, Ärzte zu motivieren, nachts und am Wochenende in Einrichtungen zu gehen. Diese Versorgungslücke wollen wir schließen, indem wir die Ärzte für eine Rufbereitschaft besonders vergüten. Das hilft, dass Pflegebedürftige nicht unnötig in Krankenhäuser eingewiesen werden müssen. Das hilft den Patienten, aber auch den Pflegemitarbeitern. Wir haben in dieser Debatte eine Gesamtschau des Pflegestärkungsgesetzes gesehen. Ich komme zu dem Schluss, dass wir in dieser Wahlperiode in diesem Bereich einen großen Wurf und eine Runderneuerung geschaffen haben. Ich denke, wir können in diesem Haus darauf stolz sein, dass wir in dieser Legislaturperiode so viele positive Dinge für die Pflege, für die Pflegebedürftigen, für die Familienangehörigen und für die Mitarbeiter in der Pflege auf den Weg gebracht haben. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Mechthild Rawert für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Markus Koob [CDU/CSU]) Mechthild Rawert (SPD): Geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörende und Zuschauende! Wir haben einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff, und das ist eine wirklich gute und frohe Botschaft. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Markus Koob [CDU/CSU]: Da haben Sie recht, Frau Kollegin!) Ich freue mich, wenn ich jetzt den Bürgerinnen und Bürgern mitteilen kann: Wir machen in der Pflege einen Riesenschritt nach vorne. Wir vollziehen die größte Pflegereform seit der Einführung der Pflegeversicherung 1995. (Beifall bei der CDU/CSU – Markus Koob [CDU/CSU]: Da haben Sie wieder recht!) Denn die SPD hat über viele Jahre hart daran gearbeitet. Ich erinnere an den unermüdlichen Einsatz von Ulla Schmidt. Ich erinnere an unsere unermüdliche Arbeit in der Opposition, an unser tolles Wahlprogramm und an den guten Koalitionsvertrag. (Beifall bei der SPD) Der Pflegebedürftigkeitsbegriff wurde lange und gründlich vorbereitet, und das ist auch gut so. Trotz der vielen, teilweise auch noch sehr komplizierten Worte im Pflegestärkungsgesetz – möglicherweise zählt auch das Wort „Pflegebedürftigkeitsbegriff“ dazu – sind sehr viele Menschen gut informiert und sehr interessiert. Wir alle wissen: Wenn wir Veranstaltungen zum Thema Pflege anbieten, kommen im Durchschnitt über 100 Menschen pro Versammlung. Das zeigt: Das ist ein Thema, das die Gesellschaft bewegt, nicht nur die Älteren, sondern die gesamten Familien, Familiensysteme und auch viele jüngere Leute. Wenn ich jetzt der Opposition zuhöre, die ja auch an der Entwicklung und der gesamten Diskussion beteiligt gewesen ist, denke ich mir: Die Opposition hat ein wenig Angst vor der eigenen Courage. Jetzt, kurz vor der Umsetzung, zu sagen, es gäbe ausschließlich Schwierigkeiten, die ganze Reform wäre – in Anführungszeichen – Mist, trifft den Kern der Verbesserungen für die gesamte Bevölkerung nicht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir modernisieren die Pflege. Die Strukturveränderungen und die Leistungsverbesserungen kommen direkt im Alltag der Pflegebedürftigen, direkt im Alltag der stationären Einrichtungen, direkt im Alltag der Familiensysteme an, (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie denn?) und das ist auch gut so. Wir schaffen mehr Gerechtigkeit, wir schaffen mehr Lebensqualität, und zwar durch die jetzt besseren Zugänge nicht nur für körperlich Erkrankte, sondern auch für demenziell Erkrankte und psychisch Erkrankte. Das ist ein ganz wesentliches Moment, um sagen zu können: Jede Bürgerin und jeder Bürger ist uns in der Pflege gleich viel wert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mir ist sehr wichtig – auch das hat der Minister herausgestellt –: Wir stärken das Prinzip „Prävention vor Rehabilitation vor Pflege“. Wir helfen damit, die Pflegebedürftigkeit hinauszuzögern, manches Mal sogar zu vermeiden, und das ist gut so. Vorhin ist kritisiert worden, wir würden zu wenig in die Gesellschaft hineingehen, die öffentliche Debatte wäre nicht groß genug. Ich denke, das ist falsch. Noch ein Punkt, der mich ein wenig geärgert hat. Wir führen am 30. September, nächste Woche Mittwoch, eine fast dreistündige Anhörung durch. (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Frage ist: Was wird mit den Erkenntnissen getan?) Bei dieser Anhörung werden alle gesellschaftlichen Akteure miteinbezogen. Uns liegen jetzt schon Stellungnahmen vor, die teilweise 175 Seiten lang sind. Wer sich also am Wochenende noch intensiv damit beschäftigen möchte, ist herzlich eingeladen, dies zu tun. Die Anhörung zeigt: Wir greifen aus Sicht der Parlamentarierinnen und Parlamentarier noch bestehende Probleme auf. (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird sich zeigen!) Das ist gut so; denn Sie wissen: Die parlamentarischen Beratungen sind bedeutungsvoll, und das Bessere ist immer der Feind des Guten. Wir werden in der Anhörung über verschiedene Themen diskutieren: über ausreichendes Personal in den Pflegeeinrichtungen, über eine reibungslose Überleitung in die neuen Pflegegrade und über gerechte Bezahlung. Wir werden auch darüber diskutieren, dass wir bei der Pflege nicht nur an Ältere, an Senioren und Seniorinnen, denken dürfen. Vielmehr müssen wir gewährleisten, dass es auch für Kinder und Jugendliche gute Pflege in ausreichender Form gibt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir werden über die Abgrenzung zwischen stationärer Pflege und Unterbringung in Wohngruppen diskutieren; denn hierzu haben sich viele Fragen ergeben. Wir werden auch über die soziale Absicherung der pflegenden Angehörigen diskutieren. Seien Sie gewiss: Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stehen in der Welt. Viele von Ihnen wissen, dass mir das Thema Frauen -und Genderpolitik sehr wichtig ist. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Das ist mir neu! – Erwin Rüddel [CDU/CSU]: Das hören wir zum ersten Mal!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das werden wir jetzt mit der gebotenen Gründlichkeit nicht mehr behandeln können. Mechthild Rawert (SPD): Aber den Satz darf ich noch zu Ende führen? – Danke schön. Ich empfehle allen, die Stellungnahme des Deutschen Frauenrates zu lesen. Denn eines ist klar: Pflege darf nicht zum alleinigen Frauenthema werden. (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Das ist es schon! Meine Güte!) Das würde das Thema „Gleichstellung in der Gesellschaft“ zu Unrecht schmälern. Von daher: Auf eine gerechte Gesellschaft, auf eine gleichgestellte Gesellschaft! Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/5926 und 18/6066 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher Drucksache 18/5921 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für. Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Innenausschuss Ausschuss für. Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für. Arbeit und Soziales Ausschuss für. Gesundheit Ausschuss für. Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Luise Amtsberg, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das Kindeswohl bei der Versorgung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge absichern Drucksache 18/5932 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für. Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Innenausschuss Ausschuss für. Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für. Gesundheit Ausschuss für. Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für. Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll auch diese Aussprache 60 Minuten dauern. – Das ist offenbar einvernehmlich. Dann verfahren wir so. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Bundesministerin Manuela Schwesig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Kein anderes Thema wie die Situation der Flüchtlinge beschäftigt uns in den letzten Wochen und Monaten so intensiv. 60 Millionen Menschen weltweit sind auf der Flucht, die Hälfte davon sind Kinder und Jugendliche. Viele von ihnen machen sich sogar alleine auf den Weg, sind vier Monate quer durch die Welt auf der Flucht, ohne Angehörige, ohne Familie – für uns fast unvorstellbar. Allein 200 000 Kinder und Jugendliche in diesem Jahr sind als Flüchtlinge in unser Land gekommen, davon viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. In diesem Jahr waren es 22 000. Wir schätzen, dass es im nächsten Jahr sogar 30 000 sein werden. Deshalb ist es gut, dass die Bundesregierung gestern gemeinsam mit den Ministerpräsidenten ein klares und starkes Zeichen gesetzt hat. Wir lassen die Kommunen und Länder bei der Bewältigung dieser großen Herausforderung nicht im Stich. Der Bund übernimmt Verantwortung, insbesondere für Kinder, Jugendliche und ihre Familien. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Bund wird die Länder in diesem Jahr um zusätzlich 1 Milliarde Euro entlasten, im nächsten Jahr um 2,7 Milliarden Euro. Wir werden uns an den laufenden Kosten für die Flüchtlinge beteiligen. Aber – das ist ganz wichtig –: Die von uns getroffenen Maßnahmen kommen nicht nur Familien, die mit ihren Kindern geflüchtet sind, zugute, sondern auch Familien, die bereits hier leben. Dazu gehört die Entscheidung, die Mittel für den sozialen Wohnungsbau um 500 Millionen Euro aufzustocken. Das hilft allen Familien, denen, die hier schon leben, und denen, die zu uns kommen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir haben uns entschieden, dass freiwerdende Mittel aus dem Betreuungsgeld nicht gegen andere Leistungen gegengerechnet werden, auch nicht gegen andere Familienleistungen. Wir haben uns entschieden, ein klares Zeichen für die Familien in unserem Land und die, die zu uns kommen, zu setzen: Wir werden diese freiwerdenden Mittel – 1 Milliarde Euro pro Jahr – Familien und Kindern für eine bessere Kinderbetreuung zugutekommen lassen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir wollen die Hilfen vor Ort, das Ehrenamt, mit 10 000 zusätzlichen Stellen im Bundesfreiwilligendienst unterstützen. Auch das ist ein wichtiges Zeichen. Die besonders schutzbedürftige Gruppe der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge wird von uns zukünftig mit jährlich 350 Millionen Euro unterstützt. Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, dieses Paket zeigt: Die Bundesregierung steht zu den Familien, Kindern und Jugendlichen in unserem Land, egal ob hier geboren oder zu uns gekommen. Es gibt nicht Kinder erster und zweiter Klasse. Sie sind uns alle etwas wert. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Deshalb lege ich Ihnen heute einen Gesetzentwurf zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher vor. Wir haben in unserem Land etwas ganz Besonderes: Kinder und Jugendliche erhalten durch die Kinder- und Jugendhilfe einen besonderen Schutz. Wir wollen sie eben nicht behandeln wie kleine Erwachsene, weil Kinder besondere Bedürfnisse haben. Sie haben ein Recht auf Bildung, sie haben ein Recht auf Schutz, sie haben ein Recht auf Versorgung, auf medizinische Betreuung. Mit diesem Gesetz legen wir noch einmal fest, dass alle Kinder, auch alle ausländischen Kinder, Zugang zur Kinder- und Jugendhilfe haben. Ein Beispiel: Auch Kinder, die zu uns kommen, können einen Kitaplatz in Anspruch nehmen. Das ist wichtig, um früh die deutsche Sprache zu lernen, um unter Kindern zu sein, um Freunde zu finden. Damit das funktioniert, damit wir genügend Kitaplätze für die Flüchtlingskinder haben, aber auch genügend Kitaplätze für die Kinder, die hier geboren werden – wir haben mehr Geburten, was toll ist –, stellt der Bund den Ländern zukünftig Geld zur Verfügung, sodass sie selbst entscheiden können, für welche Art der Kinderbetreuung sie das Geld einsetzen wollen, ob für individuelle Leistungen oder für institutionelle Leistungen. Die 1 Milliarde Euro aus dem Betreuungsgeld ist ein wichtiges Signal: Wir kürzen nicht zulasten der Familien, sondern wir investieren weiter in die Familien in unserem Land. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, ich habe es angesprochen: In der Gruppe der Kinder und Jugendlichen gibt es eine kleine, aber sehr schutzbedürftige Gruppe. Das sind Kinder und Jugendliche, die sich alleine auf den Weg machen, aus Afghanistan, aus Eritrea, aus Syrien. Für mich ist das, offengestanden, unvorstellbar. Sie machen sich alleine auf diesen gefährlichen und schwierigen Weg und suchen hier Schutz und Zuflucht. Diese Kinder und Jugendlichen können nicht einfach in die großen Erstaufnahmeeinrichtungen gesteckt werden. Das Gesetz sagt jetzt, dass diese Kinder und Jugendlichen dort in Obhut genommen werden, wo sie ankommen, dass wir als Staat Verantwortung übernehmen, so lange, bis sie wieder bei ihren Eltern sind oder Pflegeeltern haben, oder in einer Jugendhilfeeinrichtung leben. Wir haben also ein gutes Gesetz für diese unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge. Aber es trägt in den heutigen Zeiten nicht mehr; denn dieses Gesetz schreibt vor, dass wir sie nur dort in einem Kinderheim oder einer Jugendwohngruppe unterbringen dürfen, dass wir sie nur dort mit Sozialarbeitern und Therapeuten begleiten dürfen, wo sie ankommen. Sie kommen aber nicht gleichmäßig in Deutschland verteilt an, sondern sie kommen in den Ballungszentren an, in Passau, in Hamburg, in München, in Dortmund. Die Kapazitäten dort sind erschöpft. Das ist nicht eine Frage des Geldes. Es geht darum, dass man eben nicht auf einmal für 1 800 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge Plätze in Jugendwohngruppen in Dortmund hat, dass man für diese 1 800 Kinder und Jugendlichen nicht genügend Sozialarbeiter und Therapeuten hat. Ich selbst habe mit einem jungen Afghanen gesprochen, der vier Monate auf der Flucht war. Er ist in Hamburg gestrandet und schläft dort mit vielen Jugendlichen in einer Turnhalle. Die Hamburger Sozialarbeiter strengen sich sehr an, sagen aber auch: Wir schaffen das gar nicht, so schnell so viele individuell zu betreuen. Warum können wir nicht Angebote von Jugendwohngruppen in Schleswig-Holstein oder in Rostock in Mecklenburg-Vorpommern nutzen? – Das bisherige Gesetz ist sozusagen nicht auf die heutige Krise ausgelegt. So sagt es auch die Dortmunder Jugenddezernentin. So sagen es die Vertreter der Diakonie in München. Ich finde, wir sollten auf diese Praktiker hören. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Deshalb wird mit diesem Gesetzentwurf vorgeschlagen, dass wir zukünftig Kapazitäten in allen Bundesländern nutzen, sodass sich alle Bundesländer der besonderen Verantwortung der Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen stellen. Es ändert sich nichts daran, dass die Jugendlichen zunächst von dem Jugendamt in der Kommune aufgenommen werden, in der sie ankommen. Dieses Jugendamt schaut, ob es zum Beispiel in Hamburg noch freie Plätze gibt. Wenn nicht, dann schaut das Jugendamt, ob woanders Plätze frei sind. Dann wird der Jugendliche dorthin begleitet, immer unter dem Gesichtspunkt der Kindeswohlsicherung. Eine Besonderheit dieses Gesetzentwurfs ist es, dass wir in einer Zeit, in der alle über Standardabsenkung sprechen und in der viele auch mich fragen, ob wir diese Standards eigentlich noch halten können, ein Signal setzen und sagen: Wir heben das Mindestalter für die Handlungsfähigkeit im Asylverfahren von 16 Jahren auf 18 Jahre an, wie es auch die UN-Kinderrechtskonvention vorsieht. Auch das trägt zum Schutz bei. Deshalb kann ich keine Kritik an diesem Gesetzentwurf verstehen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Diese besondere Begleitung, diese besondere Versorgung kostet Kraft und Energie. Deshalb möchte ich mich an dieser Stelle ganz herzlich bei allen, die jetzt in den Kommunen, insbesondere in den besonders belasteten Kommunen, diese Arbeit verrichten, bedanken. Es ist eine wirklich aufopferungsvolle Arbeit für Kinder und Jugendliche, die diesen Schutz brauchen, es ist mehr als Dienst nach Vorschrift. Danke für dieses Engagement. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir können aber nicht einfach denjenigen Danke sagen und darauf verweisen, dass alles so bleibt, wie es ist, sondern wir müssen neue Wege gehen. Wir haben diesen Gesetzentwurf gemeinsam mit den Ländern sehr lange vorbereitet. Ich bin froh, dass wir nicht erst jetzt, da alle über Flüchtlinge reden, damit anfangen, sondern bereits seit einem Jahr in intensiven Gesprächen sind. Natürlich kostet dieser besondere Schutz, kostet diese besondere Begleitung mehr Geld. Deshalb hat sich der Bund gestern entschieden, neben der regulären Unterstützung für Flüchtlinge ein Zeichen zu setzen und jährlich 350 Millionen Euro zusätzlich für diese besonders schutzwürdige Gruppe zur Verfügung zu stellen. Das ist ein starkes Signal der Bundesregierung, dass uns diese Kinder und Jugendlichen nicht egal sind, sondern dass wir eine besondere Verantwortung übernehmen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, wir sollten diesen Gesetzentwurf schnell verabschieden. Die Ministerpräsidenten haben gestern darum gebeten, dss das Gesetz möglichst zum 1. November in Kraft tritt mit einer Übergangsregelung bis zum 1. Januar 2016, die die aufnehmenden Länder brauchen. Viele sind vorbereitet. Ich möchte mich bedanken für positive Stimmen der jetzt aufnehmenden Länder. Der Sozialdezernent von Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern, einer strukturschwachen Region, sagt: Wir sehen das nicht als Belastung an. Wir sehen diese jungen Menschen als einen Gewinn für unsere Region an. Wenn wir immer beklagen, dass junge Leute weggehen, dann sollten wir froh sein, dass junge Menschen zu uns kommen. Der Ministerpräsident Thüringens hat gesagt, er stehe dazu, er werde Jugendliche aufnehmen. Es ist wichtig, dass wir die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge nicht nur als Kostenfaktor debattieren, sondern sagen: Da kommen junge Menschen zu uns. Wenn wir es gut machen, wenn sie die Chance auf einen Schulabschluss, auf eine Berufsausbildung und auf eine gute Begleitung haben, dann sind das junge Staatsbürger von morgen, auf die wir setzen. In diesem Sinne wünsche ich mir ein positives Signal, das von diesem Gesetz ausgeht. Ich hoffe auf schnelle und konstruktive Beratungen. Gleichzeitig bitte ich um Verständnis, dass ich während der Debatte schon in den Bundesrat gehe, weil dieser Gesetzentwurf heute auch den Ländern vorgestellt wird. Schließlich ist das auch ein wichtiges Gesetz für die Länder. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und wünsche gute und konstruktive Beratungen, dass wir so schnell wie möglich denen helfen können, die den Schutz am meisten brauchen: den Kindern und Jugendlichen, die bei uns Zuflucht suchen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Bestellen Sie, Frau Ministerin, dem Bundesrat herzliche Grüße des geschwisterlichen Verfassungsorgans. Wir setzen in der Zwischenzeit unsere Beratungen fort, zunächst mit dem Kollegen Norbert Müller für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Frau Bundesministerin Schwesig, ich glaube, es geht völlig in Ordnung, dass Sie in den Bundesrat fahren, um dort den Gesetzentwurf einzubringen. Meine Fraktion hat am 5. März dieses Jahres einen guten Antrag vorgelegt, in dem wir ein kindeswohlgerechtes Verfahren für die Verteilung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge aus überlasteten Einreiseknotenpunkten vorschlagen. In unserem Antrag fordern wir als Grundlage einer freiwilligen Verteilung der unbegleiteten Minderjährigen eine Stärkung der Kinder- und Jugendhilfe und den Aufbau kompetenter Strukturen für ein umfassendes Clearingverfahren. Dies wird von den Fachverbänden auch ausdrücklich unterstützt. Einige Kolleginnen und Kollegen waren ja gestern beim parlamentarischen Frühstück zum Thema Flüchtlingskinder. Der nun vorliegende Gesetzentwurf ist das Ergebnis eines offenbar nicht ganz einfachen politischen Aushandlungsprozesses. Getrieben von den betroffenen Bundesländern standen Umverteilungsinteressen der Länder einerseits gegen Grundsätze der Jugendhilfe und der UNKinderrechtskonvention andererseits. In diesem Spannungsfeld hat die Koalition untereinander und mit den Ministerpräsidenten verhandelt. Am Ende haben die Ministerpräsidenten der am stärksten betroffenen Länder zusammen mit dem Bundesinnenministerium die Feder geführt, auch weil innerhalb der Bundesregierung – das bedaure ich sehr – nach wie vor ungeklärt zu sein scheint, ob sie grundsätzlich eine flüchtlingsfreundliche oder eine flüchtlingsablehnende Politik fährt. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Das ist nicht ungeklärt!) Die Handschrift des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend kann ich in diesem Gesetzentwurf nicht mehr sehen; er entspricht nicht den Ankündigungen, die Sie noch vor einem Dreivierteljahr getätigt haben. Monatelang sind Sie nicht zu Potte gekommen. Nun, nachdem ein meines Erachtens schlechter Entwurf vorliegt, machen Sie Druck, dass dieses Gesetz noch früher in Kraft treten soll und die Umverteilung noch früher beginnen soll, nachdem es zwischenzeitlich hieß, dass die Länder bis zum 1. April 2016 Luft haben. Ihre Handlungsunfähigkeit hat dazu geführt, dass sich die betroffenen Kommunen und Länder derzeit selbst helfen. Helfen ist hier ein Euphemismus. Um es ganz klar zu sagen: Wenn in Brandenburg und in anderen Bundesländern in den letzten Wochen Hunderte unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus Bayern angekommen sind, die man dort schlichtweg einfach in Züge und Busse gesetzt hat, ohne sie in Obhut zu nehmen, ohne sie zu registrieren, ohne die Kinder- und Jugendhilfe in Kraft treten zu lassen, dann ist das schlichtweg ein rechtswidriges Verfahren gewesen. (Beifall bei der LINKEN) Die Bayerische Staatsregierung hat die Verteilung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, weil ihr das Gesetz offenbar zu lange gedauert hat, inzwischen in die eigenen Hände genommen. Das ist meines Erachtens illegal. Das hat mit Jugendhilfe nichts zu tun. Hier kann man nicht mehr von einer Überforderung der Kinder- und Jugendhilfe sprechen, sondern nur noch von einem Totalversagen der politisch Verantwortlichen. (Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) An die Adresse der CSU: Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie hätten Sie eigentlich reagiert, wenn das nicht Hunderte ausländische Kinder und Jugendliche gewesen wären, die in München gestrandet sind, sondern wenn das deutsche Kinder gewesen wären? Hätten Sie die auch planlos in irgendwelche Züge und Busse zu anderen Jugendämtern gesetzt, damit sie dort aufgenommen werden, frei nach dem Motto: Ob Budapest oder Wien, es hält sich gerade eh niemand mehr an die Gesetze und das Recht, warum sollte es dann Bayern machen? Das ist inakzeptabel. Das geht so nicht. (Beifall bei der LINKEN – Sönke Rix [SPD]: Das ist ausgemachter Blödsinn, was Sie gerade gesagt haben!) Vielleicht ist Ihnen aber das Kindeswohl – da kommen Sie möglicherweise in Widerspruch zu Bundesministerin Schwesig – im Falle der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge eben nicht ganz so wichtig, da es sich nicht um deutsche Kinder handelt. Sie können sich jetzt aufregen. Die grüne Landtagsfraktion im Bayerischen Landtag – ich bin ihr dafür sehr dankbar – hat sich im Zuge einer Kleinen Anfrage von der Bayerischen Staatsregierung beantworten lassen, dass es sogar Ziel der Bayerischen Staatsregierung ist, die Kinder- und Jugendhilfestandards für nichtdeutsche Kinder herabzusetzen. Das ist übrigens genau das Gegenteil von dem, was Frau Bundesministerin Schwesig gerade vorgestellt hat. In einer so schwierigen Situation legen Sie nun Ihren Gesetzentwurf vor. Dabei ist es doch so: Sie erfinden ein total bürokratisches Umverteilungsverfahren nach dem Königsteiner Schlüssel; das wird nicht funktionieren, das prognostiziere ich Ihnen. Aber gehen wir einmal davon aus, dass zumindest diese Umverteilung funktionieren wird, dann können Sie das beste Interesse der Kinder – das schreibt die UNKinderrechtskonvention vor – damit nicht sichern. Fakt ist doch: Die Kinder- und Jugendhilfe steht schon jetzt in vielen Teilen des Landes vor dem Kollaps, und zwar nicht, weil wir Flüchtlingskinder aufnehmen, weil wir unbegleitete Minderjährige aufnehmen, sondern weil es eine chronische Unterfinanzierung der sozialen Infrastruktur über Jahre gegeben hat. (Sönke Rix [SPD]: Außer in Brandenburg! Da regieren die Linken mit!) Wenn jetzt ein paar dazu kommen, tun sich die Probleme auf. Mit der starren Umverteilung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge nach dem Königsteiner Schlüssel verteilen Sie die Überforderung bundesweit. Wie sollen denn unvorbereitete, unterfinanzierte und unerfahrene Kommunen bzw. Jugendämter dem Kindeswohl von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen gerecht werden? Ich will Ihnen einmal skizzieren, wie das Verteilungsverfahren im Gesetz beschrieben ist – das muss man sich, glaube ich, ein Stück weit auf der Zunge zergehen lassen –: Ein 15-jähriger afghanischer Flüchtling wird in München von der Bundespolizei aufgegriffen, wird registriert und dem Münchener Jugendamt vorgestellt. Das Münchener Jugendamt hat dann sieben Tage Zeit, um Meldung an das Land abzusetzen, um das Alter feststellen zu lassen und zu schauen, ob es möglicherweise Geschwisterkinder gibt, mit denen er zusammengeführt werden soll. Sieben Tage! Das Landesjugendamt in Bayern muss dann binnen drei Tagen nach dieser Meldung dem Bundesverwaltungsamt Meldung machen, dass ein 15-jähriger afghanischer Flüchtling in München aufgegriffen wurde und, weil Bayern davon schon so viele hat, irgendwohin verteilt werden soll. Das Bundesverwaltungsamt hat dann wiederum zwei Tage Zeit, um eine Entscheidung zu treffen, wo dieser 15-jährige afghanische Junge hin soll. Binnen zwei Tagen nach der Entscheidung, die dann getroffen wurde, muss sich das Landesjugendamt des aufnehmenden Bundeslandes ein regionales Jugendamt aussuchen, wo der junge, 15-jährige Afghane hin soll. Dann sind bereits mindestens zwei Wochen ins Land gegangen. Wenn gerade Sommerpause ist, es zu Urlaubsvertretungen kommt oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erkrankt oder schlichtweg nicht verfügbar sind, weil überlastet, dann ist der Monat, den das Gesetz für die Umverteilung vorschreibt – danach darf sie nicht mehr erfolgen –, bereits abgelaufen. Das heißt, sie erfolgt in der Praxis überhaupt nicht. Das Gesetz ist selbst nach Ihren eigenen Ansprüchen überhaupt nicht praktikabel. Nun hat der gestrige Flüchtlingsgipfel beschlossen, 350 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen; das haben Sie gerade ausgeführt. Ich habe das über Nacht durchrechnen lassen: Für einige Bundesländer reicht das für etwa 10 Prozent des Mehrbedarfs in der Kinder- und Jugendhilfe aus. 10 Prozent des Mehrbedarfs! Andere Bundesländer sagen: Wir kommen damit vielleicht zwei Monate hin. – Zwei Monate! Nach Ihrem Konzept müssen in Zukunft alle Kommunen und Jugendämter flüchtlingskindgerechte Kapazitäten (Sönke Rix [SPD]: Das ist heute auch schon so!) im Allgemeinen Sozialen Dienst, Vormünder, Ergänzungspfleger, Schulen, Schulplätze, Jugendhilfeangebote, Gesundheitsdienste, Übersetzer und Sprachlernkurse vorhalten. Das soll ohne ausreichende finanzielle Mittel geschehen, und das Ganze am besten aus dem Stegreif, weil das Gesetz nämlich zum 1. Januar 2016 in Kraft tritt. Wie soll das leistbar sein? Um es deutlich zu sagen: Nach Aussagen der Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik der Technischen Universität Dortmund haben von den 402 Landkreisen und kreisfreien Städten, die wir heute haben, ganze 60 Erfahrung mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. – In Sachsen-Anhalt wurden letztes Jahr ganze 22 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge betreut. Ganze 22! – Die müssen jetzt relativ schnell, aus dem Stegreif, deutlich mehr aufnehmen. Sie müssen auch die Strukturen dafür vorhalten, Kollege Rix, und die entsprechenden Strukturen aufbauen. Sie wissen doch ganz genau: Das Fachpersonal dafür gibt es überhaupt nicht. Die Schulplätze sind nicht zur Verfügung gestellt. Sie können mir nicht erklären, dass das ein sinnvoller, guter Weg ist. Das hat etwas damit zu tun, dass wir die soziale Infrastruktur über Jahre unterfinanziert haben, sie am Ende verknappt wurde und jetzt fehlt. Richtig wäre es, eine Umverteilung auf bestehende Kompetenzzentren durchzuführen. Zur Finanzierung muss neben einer Aufstockung der 350 Millionen Euro aber auch ein Ausgleichsmechanismus zwischen Ländern und Kommunen entwickelt werden, weil es natürlich völlig richtig ist, Länder und Kommunen nicht aus der Verantwortung zu lassen. Aber hier ist es sinnvoller, die Finanzen zu verteilen, als die Kinder durch die Gegend zu schicken. Mit Ihrem Gesetz werden die bestehenden Kompetenzzentren aber sogar noch geschwächt. Denn wenn Zentren, die seit Jahren Erfahrung mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen haben und jetzt überlaufen – auch hier muss Abhilfe geschaffen werden –, schlagartig deutlich weniger haben, entstehen sogar freie Kapazitäten, während anderswo aufnehmende Jugendämter gar nicht wissen, wie sie fachgerecht und kindeswohlgerecht mit den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zurechtkommen sollen. Wir müssen flächendeckend große Strukturen aufbauen. Aber was passiert eigentlich, wenn die Fallzahlen in zwei, drei, vier, fünf Jahren möglicherweise zurückgehen? (Petra Crone [SPD]: Sollen wir es etwa lassen, oder wie? Meine Güte!) Dann haben Sie flächendeckend in der Kinder- und Jugendhilfe passgenaue Strukturen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aufgebaut, die dann möglicherweise so niemand mehr braucht. Das halten Ihnen übrigens auch die Fachverbände immer wieder vor. Hinzu kommt, dass sich fluchterfahrene Kinder nicht nach Ihrer Quote richten werden. (Marcus Weinberg (Hamburg) [CDU/CSU]: Was ist denn jetzt Ihre Alternative? – Martin Patzelt [CDU/CSU]: Sie drehen die Dinge alle um!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege, denken Sie an die Redezeit? Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): Ich komme zum Ende, Herr Präsident. – Schon heute sind die Abgänge in die Illegalität, gezwungene Kriminalität und Menschenhandel nicht zu vernachlässigen. Was glauben Sie eigentlich, was ein Jugendlicher macht, dem man nach Wochen der Ungewissheit erzählt, dass er nach Heidenau kommt? (Susann Rüthrich [SPD]: Die Sächsische Schweiz hatte schon unbegleitete Jugendliche!) Wir brauchen dringend eine Lösung, welche Ihr Gesetzentwurf nicht anbietet. Mit Ihrem Gesetz verlagern Sie die Probleme auf die Länder und Kommunen und lassen sie damit im Wesentlichen allein. Die 350 Millionen Euro sind ein Tropfen auf den heißen Stein. Am Ende lassen Sie die Kinder und Jugendlichen, um die es hier geht, alleine. Ich hoffe, dass wir in den Beratungen hier noch substanzielle Änderungen vornehmen können. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Petra Crone [SPD]: Das war aber ein Armutszeugnis! Ganz schlimm! – Zuruf von der CDU/CSU: Und da klatschen die auch noch!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Marcus Weinberg hat nun für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Müller, es waren viele Punkte, die Sie angesprochen haben – aber leider kein Treffer. Robert Lewandowski war am Dienstag in acht Minuten erfolgreicher. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Paul Lehrieder (CDU/CSU): Da hat er recht!) Ich will gerne zu dem kommen, was die Ministerin zu Anfang angesprochen hat. Wir haben in den letzten Wochen und Monaten über dieses große Thema diskutiert – das ist möglicherweise die größte Herausforderung für die deutsche Gesellschaft in den letzten 60 Jahren –, und wir haben strittig darüber diskutiert. Wir erkennen tatsächlich Chancen und sehen die Begeisterung vieler Menschen in Deutschland, die sagen: Wir müssen für diese Menschen, die aus Krisen- und Kriegsgebieten kommen, etwas tun. – Auf der anderen Seite – das gehört zur Ehrlichkeit – gibt es aber auch Sorgen, Nöte, Ängste, teilweise beginnende Überforderung, gerade im Bereich der Jugendhilfe. Am Ende dieser Woche der strittigen Diskussionen gibt es, glaube ich, zwei wesentliche Entscheidungen, durch die wir unsere Handlungsfähigkeit zeigen: Gestern haben wir die erste kluge und gute Entscheidung getroffen, dass der Bund den Kommunen und den Ländern zusätzliche finanzielle Mittel bereitstellt. Die zweite kluge Entscheidung zeigt sich in dem heute vorliegenden Gesetzentwurf, mit dem wir die Rahmenbedingungen weiter verbessern werden. Ich glaube, insgesamt können wir sagen: Nach einer intensiven Diskussion stehen wir heute davor, das Thema Integration endlich nachhaltig auf den Weg zu bringen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Unsere Handlungsfähigkeit ist also bewiesen. Der Bund hat verstanden und auch gehandelt. Jetzt geht es darum, dass wir das gerade mit Blick auf die Familien, die Kinder und die Jugendlichen, die – Sie haben es erwähnt – in einer besonderen Situation sind, gestalten. Unsere Erfahrungen aus der Vergangenheit – es gab viele Epochen der Migrationsbewegung – müssen dabei mit einfließen. Wir müssen jetzt weiterhin Handlungsfähigkeit zeigen, Chancen erkennen, Herausforderungen definieren, gleichermaßen fördern und fordern und dabei auch mit viel Ehrlichkeit und im Sinne einer fördernden und fordernden Integration von Anfang an gestalten. Im Zentrum stehen dabei die jungen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge. Die Kinder werden immer jünger. Es sind nicht mehr nur 16- oder 15-Jährige, sondern mittlerweile kommen 12-, 10- und sogar 9-Jährige nach Deutschland. Die meisten von ihnen werden auch in 10 oder 15 Jahren noch in Deutschland leben. Die Frage muss für uns doch lauten: Was passiert in den nächsten 10 bis 15 Jahren unter dem Gesichtspunkt der Integration? Wie geht es den heutigen Kindern dann, wenn sie junge Erwachsene sind, wenn sie 25 oder 30 Jahre alt sind? Sind sie dann gut ausgebildet? Haben sie dann hier in Deutschland eine Sprachkompetenz? Konnten sie sich in den Arbeitsmarkt integrieren? Haben sie ihr Lebensumfeld so organisiert, dass sie ihr Leben auch gestalten können? Verstehen sie die Prinzipien in Deutschland, wie Freiheit? Richten sie sich nach der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, zu der zum Beispiel auch die Gleichberechtigung von Frauen und Männern gehört? Haben sie das übernommen und akzeptiert? Tragen sie das auch in sich? Sind sie bereit, der deutschen Gesellschaft auch etwas zurückzugeben? Oder aber – das wäre die Alternative – ist es so, dass sie im Bildungsbereich nicht angekommen sind, dass sie arbeitslos sind und unter Armut leiden und dass sie sich von dieser Gesellschaft möglicherweise entfernt haben? Hier sehe ich die große Gefahr, dass es dann, wenn wir jetzt nicht richtig handeln, eine Gruppe von 25- bis 30Jährigen geben wird, die sich von der Gesellschaft distanziert hat, ihr eigenes Leben nicht organisieren kann und sich möglicherweise radikalisiert – auch über besondere religiöse Zugänge. Deswegen ist es wichtig, dass wir jetzt nach dieser Begeisterung und Unterstützung, die richtig und gut waren, entsprechende Strukturen schaffen und eine nachhaltige Integration organisieren. Das ist die Voraussetzung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Zahlen wurden angesprochen: Mittlerweile kommen sechsmal so viele junge unbegleitete minderjährige Flüchtlinge als in der Vergangenheit zu uns. Im Jahre 2015 werden es insgesamt wahrscheinlich 30 000 sein. Diese Kinder und Jugendlichen haben Schlimmes erfahren und sind traumatisiert. Dadurch, dass sechsmal so viele wie in den vergangenen Jahren bei uns aufgenommen werden, kommt auf die Jugendämter und all diejenigen, die in der Jugendhilfe verantwortlich sind, eine immense Aufgabe zu. Es wurde hier zu Recht noch einmal denjenigen gedankt, die diese Aufgabe in den letzten Monaten schon gemeistert haben. Ich weiß das aus Hamburg; aber auch die Jugendämter in München, Dortmund und Köln, die mit der Jugendhilfe ohnehin schon eine besondere Aufgabe haben, erleben das ja tagtäglich. Deswegen war es jetzt auch wichtig, dass wir vonseiten des Bundes reagiert und uns überlegt haben, wie wir das finanziell unterlegen und in einen Gesetzentwurf packen können. Ich stimme ausdrücklich zu: Dieses Gesetz muss so schnell wie möglich kommen. Hamburg, Bayern und auch andere haben viel geleistet, aber es muss jetzt endlich eine gerechtere Verteilung im Sinne des Kindeswohls geben. Herr Müller, das ist entscheidend: Das Kindeswohl muss immer an erster Stelle stehen. Das ist auch unstrittig. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es war richtig und natürlich auch verständlich, dass die Ministerpräsidenten am 11. Dezember 2014 gesagt haben: Wir müssen hier endlich ein Gesetz auf den Weg bringen. – Den entsprechenden Gesetzentwurf beraten wir heute. Ich möchte das noch einmal ausdrücklich betonen: Es gibt nicht nur die UN-Kinderrechtskonvention, sondern bei uns gilt ohnehin der Grundsatz, dass wir Kinder und Jugendliche gleichbehandeln. Es wird nicht gefragt: „Wo kommst du eigentlich her?“, sondern: Wo spiele ich mit dir zusammen? – Unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls bieten wir ihnen entsprechende Möglichkeiten. Ich glaube, unser Gesetzentwurf ist hier richtig angelegt, weil die Verteilung endlich anders organisiert wird. Wir verteilen nicht nach dem Königsteiner Schlüssel zwischen den Kommunen. Das ist nicht unsere Aufgabe. Wir können aber erwarten, dass die Bundesländer, die möglicherweise noch nicht so viel aufgenommen, teilweise aber die entsprechenden Strukturen haben, jetzt auch in die Verantwortung genommen werden. Es wird dann so sein, dass, wenn Hamburg entlastet wird, Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg natürlich mehr Jugendliche aufnehmen müssen. Die Verteilung zwischen den Kommunen wird von den Ländern geregelt. Sie wissen, wo ihre Strukturen sind. Sie wissen, wie die Jugendhilfe in der Kommune aufgestellt ist. Die Kommunen, die noch nicht so weit sind, werden sicherlich nicht belastet werden. Es ist aber, glaube ich, auch gut so, dass wir hier Strukturen aufbauen und unterstützen. Ich finde – das sage ich noch einmal –, dass die finanzielle Leistung des Bundes in diesem Zusammenhang wirklich ein hervorragender Aufschlag ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es gibt im Gesetz weitere Punkte, die wichtig sind. Das gilt gerade für das Thema der Familienzusammenführung, was auch in der UN-Kinderrechtskonvention bereits formuliert ist. Wichtig ist es aber, noch einmal ein Signal zu geben, indem wir sagen: Es ist für das Kind immens wichtig, dass es sich dort aufhalten kann, wo sich Familienangehörige – zum Beispiel Onkel oder Tante – befinden. Es gibt den besonderen, exemplarischen Fall eines Neunjährigen in Hamburg: Dessen Vater wurde in Damaskus umgebracht. Seine Mutter war nicht mehr in der Lage, zu flüchten. Sie hat zu dem Onkel gesagt: Nimm das Kind mit, bringe es in Sicherheit, bringe es nach Deutschland. – Es muss natürlich gewährleistet sein, dass diese Kinder nicht von ihrer Bezugsperson getrennt werden. (Beifall der Abg. Petra Crone [SPD]) Ich glaube, es ist wichtig, dass das noch deutlicher im Gesetz herausgearbeitet wird. Was das Thema Mindestalter angeht, geht es darum, im Asyl- bzw. Ausländerrecht die Handlungsfähigkeit zu betrachten. Hier wird das Alter von 16 Jahre auf 18 Jahre hochgesetzt. Die Maßnahmen der Jugendhilfe galten schon immer für die unter 18Jährigen. Daran wird sich nichts verändern. Da wird auch nichts ausgebaut werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Jetzt bietet dieses Gesetz den ersten Rahmen. Wir werden das Asylgesetz bzw. die Pakete des Asylgesetzes in der nächsten bzw. übernächsten Sitzungswoche intensiv besprechen. Das ist der Rahmen, der gesetzt werden muss. Jetzt wird es darauf ankommen, das Thema Nachhaltigkeit zu begleiten. Im Übrigen wollen und sollten wir das Thema mit den Ländern und Kommunen gemeinsam begleiten; denn es stehen jetzt ein paar wichtige Dinge an. Es ist gut und richtig, den Bundesfreiwilligendienst um 10 000 Plätze zu erweitern. Es muss aber gewährleistet sein, dass sich diejenigen, die das anbieten, in der Arbeit mit Flüchtlingen auskennen, dass sie qualifiziert werden. Wir müssen verhindern, dass Salafisten möglicherweise versuchen, sich hier irgendwie einzuschleichen. Das heißt, jetzt wird es darauf ankommen, die guten Dinge zu gestalten. Das betrifft den Bundesfreiwilligendienst in Bezug auf die 10 000 Stellen. Es betrifft auch andere Fälle. Wir wollen genau sehen, wie die Kinder jetzt in die Kinder- und Jugendhilfe bzw. in die Kindertagesstätten bzw. Schulen kommen. Denn eines darf nicht passieren: dass die vielen Menschen in diesem Land, die sagen „Jawohl, wir wollen hier helfen“, dann erkennen: Oh, es kommen mehr Flüchtlingskinder in die Kitas. – Sie müssen auch sehen, dass mehr Erzieherinnen und Erzieher in die Kitas kommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Auch müssen sie erkennen, dass jetzt mehr Lehrerinnen und Lehrer eingestellt werden. Auch das ist dann – ich sage das ganz deutlich – eine Verantwortung der Länder. Wir haben ein großes, wichtiges Paket – das ist an dieser Stelle wirklich entscheidend – geschnürt. Die Umsetzung aber muss dann auch erfolgen. Das werden wir auch begleiten. Denn wir sind nicht diejenigen – schönen Gruß an den Bundesrat! –, die das Geld am Ende zur Verfügung stellen, sondern wir sind auch diejenigen, die hier unserer Verantwortung gerecht werden wollen. Die Familienzusammenführung habe ich bereits angesprochen. Es gibt aber noch weitere Themen, die auch wichtig sind. Wir werden erst jetzt erkennen, dass es gewisse Veränderungen gibt. Ich will zwei Themen ansprechen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Das muss jetzt aber ganz zügig gehen. Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Herr Präsident, da ich ja zügig oder schnell sprechen kann, werde ich es versuchen. – Ich will das Thema Frauen ansprechen, wo wir eine besondere Verantwortung haben. Und ich will auch das Thema Einhaltung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ansprechen. – Das will ich hiermit angesprochen haben. Ich glaube, es ist ein guter Entwurf. Wir alle sind jetzt aufgefordert, diesen Entwurf schnell umzusetzen und dann auch zu schauen, dass wir das Thema Integration von Anfang an – jetzt auf den Weg bringen; denn wir haben eine Riesenchance. Nutzen wir diese Chance. Diskutieren wir ehrlich darüber, was zu tun ist. Ich freue mich auf die Beratungen in den nächsten Wochen und Monaten. Wir haben – das wissen wir – noch viel zu tun. Das wollen wir aber für die Flüchtlinge und die Menschen in Deutschland angehen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Katja Dörner hat nun das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Über die Verwendung der Betreuungsgeldmittel haben wir ja noch gestern debattiert, und wir werden das garantiert noch weiter tun. Wir Grüne haben sehr vehement gefordert, dass das Geld für die Kitas zur Verfügung gestellt werden soll. Auch die Ministerin bzw. die SPD haben das sehr vehement gefordert. Ich will festhalten: Die Vereinbarung von gestern Abend stellt gerade nicht sicher, dass es wirklich in den Kitas ankommt. (Sönke Rix [SPD]: Es ist ja nicht so, dass die Grünen nicht an Landesregierungen beteiligt sind! Sich jetzt aus der Verantwortung zu stehlen, ist ein bisschen billig!) So viel Ehrlichkeit muss in dieser Debatte sein, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Sönke Rix [SPD]: Auch Herr Kretschmann und die grüne Landesregierung haben zugestimmt!) Zum vorliegenden Gesetzentwurf. Es ist richtig, dass zurzeit eine Handvoll Jugendämter bundesweit für einen sehr großen Teil der minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge zuständig ist. Es ist auch richtig beschrieben worden, dass diese Jugendämter finanziell und personell sehr stark gefordert, zum Teil auch überfordert sind. Deshalb ist trotz des sehr großen Engagements dieser Jugendämter und vieler Initiativen und ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer eine dem Kindeswohl entsprechende Inobhutnahme neu ankommender minderjähriger Flüchtlinge mancherorts nicht mehr oder kaum noch möglich. Diesen Fakt, der hier beschrieben worden ist, müssen wir ernst nehmen. Es macht aus unserer Sicht Sinn, eine andere Verteilung zwischen den Kommunen und auch zwischen den Bundesländern anzustreben. Ich denke, das ist auch im Sinne der betroffenen jungen Flüchtlinge. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Aber wir sprechen über Kinder und Jugendliche, die allein, ohne ihre Familien, teilweise ohne Freunde und teilweise ohne irgendwelche Bezugspersonen, zu uns flüchten. Viele von ihnen haben eine Fluchtgeschichte hinter sich, die wir uns überhaupt nicht vorstellen können. Es ist ganz klar, dass wir für diese Kinder und Jugendlichen eine ganz besondere Schutzverantwortung tragen. Deshalb müssen das Kindeswohl und die Sicherstellung einer guten Versorgung dieser jungen Menschen unmissverständlich im Vordergrund der Verteilungsfrage stehen. Das ist für uns Grüne ganz klar. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Eine schnöde Verteilung nach dem Königsberger Schlüssel ist für uns nicht der richtige Weg. Das, was hier beschrieben worden ist, nämlich die Verteilung nach dem Königsteiner Schlüssel und die Orientierung am Kindeswohl, ist sozusagen die Quadratur des Kreises. Wir hätten uns in dieser Frage eine größere Flexibilität gewünscht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Sönke Rix [SPD]: Wie sieht die aus?) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich will auch sagen, dass der Gesetzentwurf, so wie er heute vorliegt, deutlich besser als das ist, was wir befürchten mussten, als die ersten Initiativen des Landes Bayern im Bundesrat aufgeschlagen sind. Darin war nämlich von einer Kindeswohlorientierung überhaupt nichts zu merken. Hier hat es deutliche Fortschritte gegeben. (Beifall der Abg. Petra Crone [SPD]) Ich will einen Punkt ganz besonders hervorheben – er ist auch schon angesprochen worden –: 16- bis 18-Jährige werden in ihren Asylverfahren zukünftig nicht mehr wie Erwachsene behandelt, sondern, konform mit der UN-Kinderrechtskonvention, als Minderjährige. Das haben wir Grüne und die Kinderschutzverbände in den letzten Jahren immer wieder vehement gefordert. Es ist sehr gut, dass dies in diesem Gesetzentwurf verankert ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ob wir bereit sind, die Rechte von Kindern und Jugendlichen, und zwar von allen Kindern und Jugendlichen, gerade auch der minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge, zu wahren, diese Frage stellt sich insbesondere dann, wenn der Wind rau bläst, also heute und jetzt. Deshalb will ich zwei Aspekte aus dem Gesetzentwurf aufgreifen, hinter die wir Grüne noch Fragezeichen machen möchten. Das eine ist die Frage: Was muss am Erstaufnahmeort zur Klärung der Situation der Minderjährigen tatsächlich erfolgen? Dazu will ich sagen: Aus unserer Sicht ist es unbedingt notwendig, dass schon bei der vorläufigen Inobhutnahme ein Abgleich der persönlichen Daten erfolgt, dass eine Alterseinschätzung vorgenommen wird und dass wir die Alterseinschätzung nach seriösen Standards durchführen, also gemäß der Handlungsempfehlung der BAG der Landesjugendämter. Auch der medizinische und therapeutische Bedarf muss unmittelbar bei der vorläufigen Inobhutnahme festgestellt werden. Ich will den zweiten Aspekt ansprechen, der uns ganz wichtig ist. Auch minderjährige unbegleitete Flüchtlinge haben ein Recht auf Beteiligung. Die Wünsche und Bedürfnisse der Jugendlichen, auch bei ihren Reisezielen, zu berücksichtigen, ist gerade in der derzeitigen Situation kein „Nice to have“. Ich habe es schon gesagt: Wir sprechen über Kinder und Jugendliche, die sich allein durch fremde Länder, durch Kriege, durch Elend gekämpft haben und die ihre Familien zurückgelassen haben. Die Vorstellung, dass man diese Kinder einfach an einen Ort verschieben kann, wo gerade Platz ist und wo es Kapazitäten gibt, ist illusionär. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Dörner. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Deshalb ist die Beteiligung der Kinder und Jugendlichen in dieser Frage absolut zentral und eine Grundvoraussetzung dafür – ich komme zum Schluss –, dass die Integration der Kinder und Jugendlichen da, wo sie dann untergebracht werden, überhaupt gelingen kann. Deshalb ist es uns sehr wichtig, dass die Beteiligungsrechte im Gesetzentwurf stark verankert sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Abschließend – Präsident Dr. Norbert Lammert: Nein, das geht jetzt nicht. Sie haben die Redezeit deutlich überschritten. Jetzt können Sie nicht noch einmal eine Zugabe geben. Ich bitte um Nachsicht. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Junge Flüchtlinge haben es verdient, dass wir sie besonders in den Blick nehmen. Trotz des sehr verkürzten Beratungsverfahrens haben wir ein großes Interesse daran, dass wir uns seriös mit Verbesserungsvorschlägen auseinandersetzen. Ich komme zum Schluss und freue mich auf die Beratungen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun hat die Kollegin Gülistan Yüksel für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gülistan Yüksel (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in den letzten Monaten Entwicklungen erlebt, die wir uns alle so nicht haben vorstellen können. Die Bilder der flüchtenden Menschen, die lebensgefährliche Routen über das Meer und über das Land auf sich nehmen, um einen Ort zu finden, wo sie in Frieden leben können, haben sich uns allen ins Gedächtnis eingebrannt. Heute diskutieren wir über eine besonders schutzbedürftige Gruppe: die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge. Insbesondere für diese müssen wir jetzt Lösungen finden. Wir brauchen eine schnelle Entlastung der Jugendämter an den Knotenpunkten wie München und Hamburg. Ich bin sehr dankbar, dass das Familienministerium, dessen Vertreter sich früh mit den Ländern zusammengesetzt haben, um eine Lösung zu finden, diesen Gesetzentwurf jetzt nach intensiven Beratungen vorgelegt hat. Ich weiß, dass die Belange der Kinder und Jugendlichen in unserem Familienministerium in guten Händen sind und dass das Kindeswohl stets im Mittelpunkt steht. Das Primat der Kinder- und Jugendhilfe ist gegeben. Besonders freue ich mich über die Anhebung der Altersgrenze zur aufenthalts- und asylrechtlichen Handlungsfähigkeit von 16 auf 18 Jahre. Auch dringend notwendig sind belastbare Daten zur Lebenssituation der unbegleiteten Minderjährigen, die nun erhoben werden sollen. Zusammen mit den gestern beschlossenen 350 Millionen Euro, die schon mehrfach erwähnt worden sind, ist der Gesetzentwurf ein erster wichtiger Schritt, um die Herausforderung im Sinne der Kinder und Jugendlichen anzugehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mit dem vorliegenden Entwurf gelingt ein schwieriger Spagat zwischen dem besonderen Schutzbedürfnis der Kinder und Jugendlichen und praktikablen Verfahrensregeln, ein Spagat zwischen den Forderungen der Länder und Kommunen und den Forderungen der Verbände. Ich gebe zu, dass der Zeitplan für das Gesetz sehr eng getaktet ist. Aber angesichts der angespannten Flüchtlingssituation, in der wir uns jetzt befinden, müssen wir schnell handeln. Die Kinder und Jugendlichen brauchen jetzt unsere Hilfe und nicht erst in ein bis zwei Jahren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Abwarten löst die Probleme nicht, sondern macht sie täglich größer. Letztendlich haben wir alle dasselbe Ziel und – das möchte ich betonen – auch die Pflicht, etwas zu tun. Die UN-Kinderrechtskonvention gibt vor, dass für alle Kinder, egal welcher Herkunft, gleiches Recht gilt. Lassen Sie uns deshalb parteiübergreifend dafür sorgen, den Kindern und Jugendlichen, die in großer Not und unter unfassbaren Umständen zu uns fliehen, die hier alleine sind, in einem fremden Land mit einer fremden Kultur und Sprache, und die zum Teil traumatisiert sind, so gut zu helfen, wie wir können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es geht darum, dass wir ihnen einen neue Heimat bieten, eine neue Perspektive, dass wir ihnen vom ersten Tag nicht nur eine gute Unterbringung, sondern auch Wärme und Schutz bieten, dass wir ihnen durch Spracherwerb und Bildungszugang die Chance auf Beteiligung und eine bessere Zukunft fernab von Krieg und Gewalt ermöglichen und dass sie Zugang zu den Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe wie Kita und Sport haben. Für eine gelingende Integration ist das das A und O, liebe Kolleginnen und Kollegen. Diese Kinder und Jugendlichen haben ihr ganzes Leben noch vor sich, und es liegt in unserer Hand, dass sie eine gute Grundlage mit auf den Weg bekommen. Eine solche Grundlage kann auch woanders als in Hamburg oder München gelegt werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dabei müssen wir darauf achten, dass die bewährten Standards der Kinder- und Jugendhilfe eingehalten werden. Wenn die personellen und räumlichen Kapazitäten erschöpft sind, wenn keine Feldbetten und keine Sanitäranlagen mehr zur Verfügung stehen, wenn Turnhallen überbelegt sind, dann gibt es schlicht und einfach keinen Platz. Wie soll das Kindeswohl dort geachtet werden? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich finde, das ist keine Situation, die einem Flüchtling zugemutet werden darf. Wir kommen daher um eine Verteilung nicht herum. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Integration ist anstrengend und ein langwieriger Prozess. Ich kenne das aus meiner über 20jährigen Erfahrung mit Integrationspolitik in meinem Wahlkreis sehr gut. Aber sie lohnt sich. Sie lohnt sich für junge Menschen; denn sie bekommen eine Perspektive. Sie lohnt sich für uns; denn was wir heute geben, bekommen wir morgen zurück. Wir als Gesellschaft haben es in unserer Hand, diesen Kindern und Jugendlichen eine echte Zukunft zu geben. Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin stolz auf unser Land. Ich bin gerührt über die große Hilfsbereitschaft, die wir tagtäglich sehen. Ich bin dankbar für jeden Haupt- und Ehrenamtlichen, der sich engagiert. Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass die Willkommenskultur nicht in Unmut umschlägt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist ganz wichtig, alle mitzunehmen, sowohl diejenigen, die zu uns kommen, als auch diejenigen, die bereits hier sind. Nur gemeinsam können wir Verbesserungen erreichen, zusammen mit den Kommunen, den Ländern, den Verbänden, den Helfern und der Bevölkerung. Wir stehen vor einer großen gesamtgesellschaftlichen Herausforderung. Die Zukunft der Kinder und Jugendlichen ist auch unsere Zukunft, oder, um es abschließend mit den Worten von Johannes Rau zu sagen: Es kommt nicht auf die Herkunft des einzelnen an, sondern darauf, dass wir gemeinsam die Zukunft gewinnen. Lassen Sie uns also gemeinsam die Zukunft mitgestalten! Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Beate Walter-Rosenheimer, Bündnis 90/Die Grünen. Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen! Ich bin seit langem in Bayern unterwegs und schaue mir die Lage vor Ort an, in Flüchtlingsunterkünften, in den Landratsämtern und auch in den Jugendämtern. Die Überforderung ist groß. Ich denke an Passau, Rosenheim und München – Sie alle kennen die Bilder. In Bayern kommen besonders viele Flüchtlinge an, darunter viele Minderjährige und auch unbegleitete Minderjährige. Bisher waren die Kommunen damit ziemlich alleingelassen; das muss man so sagen. Das alles war nur zu stemmen durch einen fast überirdischen Einsatz sowohl der Landräte als auch der Kommunalpolitikerinnen und -politiker als auch der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jugendämtern und den Landratsämtern. Vor allem ist es den vielen Ehrenamtlichen zu verdanken, dass man das überhaupt stemmen konnte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Man darf die Kommunen damit nicht länger alleinlassen. Ich wollte das heute eigentlich fordern. Aber der gestrige Gipfel hat viele Verbesserungen beschlossen, auch dank der grün regierten Bundesländer, die viele gute Dinge hineinverhandelt haben. Verbesserungen sind also in Sicht. So werden zum Beispiel 350 Millionen Euro für die Versorgung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen bereitgestellt. Wie lange das Geld reichen wird, werden wir sehen. Es ist auf jeden Fall gut, dass jetzt etwas passiert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wir fordern in unserem Antrag – ich muss ein bisschen schneller reden, weil mir von meiner Redezeit eine Minute abgezogen wird, weil Frau Dörner ihre überzogen hat –, dass vor einer eventuellen Verteilung eine intensive Feststellung des Bedarfs durchgeführt wird. Wir wollen, dass in keinem Fall verteilt wird, wenn es Verdachtsmomente auf Sklavenhandel, Zwangsprostitution oder Sklaverei gibt. Wir wollen auch nicht, dass verteilt wird, wenn der Verdacht besteht, dass die betreffenden Kinder oder Jugendlichen Kindersoldaten waren. Diese Kinder haben genug durchgemacht. Sie brauchen Ruhe, sie müssen erst einmal ankommen. Dafür braucht es Zeit, Empathie, viel Sensibilität und viel Professionalität. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]) Eine überhastete Verteilung würde jedes Vertrauen dieser jungen Menschen in ihre Betreuer und Betreuerinnen, aber auch in unsere Behörden erschüttern, was eine Zusammenarbeit sehr erschweren würde. Vergessen wir den zentralen Punkt nicht, den uns die UN-Kinderrechtskonvention vorgibt. Wir müssen die Kinder und Jugendlichen – Frau Dörner hat das schon gesagt – an solchen Entscheidungen beteiligen. Wir müssen sie auch fragen, welches Reiseziel sie haben und warum. Es macht auch gar keinen Sinn, Kinder, die monatelang allein auf Reisen waren, irgendwo hinzubringen. Sie bleiben dort nicht, sie gehen weg und fallen in die Illegalität. Sie können dann nicht mehr unter den Schutz der Jugendhilfe des Staates gestellt werden und sind dann ganz allein. Deswegen muss man mit ihnen auch verhandeln. Es ist natürlich klar, dass wir nicht jeden Wunsch dieser Flüchtlinge erfüllen können; das ist nicht möglich. Aber wir können ihre Bedürfnisse ernst nehmen und genau hinschauen, was mit ihnen passiert ist und warum sie einen Wunsch äußern. Das ist sehr wichtig. Insofern bitte ich Sie von der Regierungskoalition: Geben Sie sich einen Ruck, und schauen Sie sich Ihre Gesetzesvorhaben noch einmal an, damit Sie wirklich das Kindeswohl und nicht die Finanzen in den Mittelpunkt stellen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Martin Patzelt [CDU/CSU]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion Martin Patzelt. (Beifall bei der CDU/CSU) Martin Patzelt (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucher auf den Tribünen! Ich muss erst einmal zu Ihnen sagen, Herr Müller: Sie haben die Dinge nach meinem Ermessen auf den Kopf gestellt. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: So ist es!) Es ging ausdrücklich um das Kindeswohl. Im Interesse der jungen Menschen mussten wir dringend eine Umverteilung in die Länder hinein vornehmen. Denn nicht etwa die bayerische Staatsregierung oder Kommunen in Bayern – wir haben es gerade gehört – haben versagt, (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Ganz im Gegenteil! – Zuruf des Abg. Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]) sondern der unerwartete Ansturm junger ausländischer Menschen in einer solchen Größenordnung verlangte, dass wir sie in ihrem Interesse an Orten unterbringen, wo man ihren Bedürfnissen besser gerecht werden kann. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]) Insofern bietet der vorliegende Gesetzentwurf wirklich eine gute Lösung. Im Übrigen ist die Unterbringung dieser jungen Menschen die Hauptregelung in diesem Gesetzentwurf. Das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) galt ja für die jungen unbegleiteten Flüchtlinge schon immer. (Sönke Rix [SPD]: Genau!) Es gibt also nichts Neues. Es wird an bestimmten Stellen – da, wo vielleicht Unklarheiten bestanden – justiert. Gerade wir, die Mitglieder des Familienausschusses, haben noch einmal festgestellt, dass das KJHG galt und weiter gilt und dass es auch schon früher spezifische Regelungen für die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge gab, nach denen verfahren wurde. Ich danke an dieser Stelle besonders den freien Trägern der Jugendhilfe, die im Prozess der Gesetzgebung ihre Erfahrungen und Impulse eingebracht haben. Sie haben sich in den vergangenen Jahren ja schon intensiv um junge Menschen gekümmert. Dadurch konnten sie wesentliche Erfahrungen als Input für unsere Gesetzgebung beisteuern. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir verweisen durch die vorgesehene Regelung die ganze Last auf die Länder. Die Länder werden in noch höherem Maße für die Einhaltung der Qualitätsstandards zuständig sein. Insbesondere die Kommunen werden die Last zu tragen haben. Die Kommunen als Träger der Jugendhilfe haben hierbei die Hauptverantwortung und die Hauptlast. Insofern stellen die in Rede stehenden Unterstützungen des Bundes – sie sind erheblich; das zeigt sich, wenn man bedenkt, dass die Unterstützung für die einzelnen Flüchtlinge zusammen mit der Sonderunterstützung für die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge bei insgesamt 350 Millionen Euro liegt – eine erhebliche Entlastung für die Kommunen dar. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der vorletzten Ausgabe der Zeit trug ein Artikel die Überschrift: „Starke Truppe“. In diesem Artikel wurde mit der Notwendigkeit der Aufstockung der Polizei und der Sicherheitsorgane für einen starken Staat argumentiert. Es heißt dort, dass wir in Zeiten kommen werden, in denen wir angesichts der dramatischen Zuwächse von Flüchtlingen in unserem Lande eine sehr starke Polizei und einen sehr starken Staat brauchen. Ich sage an dieser Stelle noch einmal: Damit allein wäre es nicht getan. Wir brauchen jetzt vor allen Dingen ganz starke Jugendämter, starke Kommunen, die fachlich, personell und finanziell das stemmen können, was wir ihnen aufgetragen haben, (Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: Fällt aber auch nicht vom Himmel!) die mit Realitätsbezug und Augenmaß ihre tatsächlichen Möglichkeiten sehen. Hier warne ich davor, dass wir uns Illusionen hingeben. Das, was hier uns als Gesellschaft abverlangt wird, wird angesichts der schon jetzt nicht ausreichenden Anzahl an Erzieherinnen und Sozialpädagogen überhaupt nicht in der Form zu stemmen sein, wie es eigentlich gemacht werden müsste. Ich höre schon, wie wieder gesagt wird: Hier versagt die öffentliche Jugendhilfe. Hier versagen die Länder. Hier versagt der Bund. – Es geht um Ressourcen, die wir niemals einplanen konnten und die erst einmal nicht da sind. Schon jetzt sucht man in ganz Deutschland dringend nach Erzieherinnen. Wenn der Verband der Psychotherapeuten fordert, dass schwer traumatisierte junge Menschen eine entsprechende psychotherapeutische Hilfe bekommen sollen, dann frage ich: Wo leben denn diejenigen, die das fordern? Sie alle wissen doch, dass es Wartelisten gibt und dass man jahrelang auf eine Behandlung warten muss. Schon jetzt können sie deutsche Patienten nicht kurzfristig behandeln. (Karin Binder [DIE LINKE]: Ja, woran liegt das denn?) Woher sollen also die notwendigen Kapazitäten kommen? Wir müssen uns jetzt gemeinsam bemühen, entsprechende Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass wir die Bedarfe stillen. Aber im Moment müssen wir uns anders behelfen. Deshalb sage ich: Wir brauchen auch eine starke Zivilgesellschaft. Wir können es nicht der Politik und den Jugendämtern überlassen, zu bestimmen, wie es den jungen Menschen geht. Wenn das Willkommen verklungen ist, wenn die Träume der jungen Menschen vom Paradies der Desillusion gewichen sind, wenn die jungen Menschen in der Wirklichkeit in Deutschland angekommen sind, dann brauchen sie vor allen Dingen Hilfe, Begleitung, Nähe von Menschen. Die jungen Menschen haben Hunger auf Leben, und sie haben sich uns anvertraut. Ich bin tief überzeugt, dass Integration, von der jetzt so viel gesprochen wird, die gefordert wird – meist einseitig von denen, die zu uns kommen –, nicht einseitig funktioniert. Ich glaube, dass auch wir uns bemühen müssen, diesen Integrationsprozess miteinander zu gehen. (Beifall der Abg. Susann Rüthrich [SPD]) Integration bedarf auch immer der Partizipation. Wenn wir die Menschen nicht an unserem Leben teilhaben lassen, dann ist die ganze Integrationsforderung eine Utopie. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auf noch etwas möchte ich aufmerksam machen. Wir müssen darauf bedacht sein, dass wir Identitäten schützen. Es kann nicht sein, dass die jungen Menschen, die zu uns kommen, von ihrer Vergangenheit, von ihren Wurzeln, aus denen sie hervorgekommen sind, abgeschnitten werden. Kindeswohl verlangt danach, dass sie ihr bisheriges Leben – das Milieu, aus dem sie kommen, ihre lieben Menschen, auch ihr Vaterland – in ihrem Bewusstsein behalten können, schon deshalb, weil wir gar nicht wissen, ob sie nicht eines Tages zurückgehen werden – hoffentlich als ausgebildete Facharbeiter, vielleicht sogar mit einem Studium. Wir kennen ihre Zukunft nicht. Aber unabhängig davon, auch wenn sie hierbleiben: Sie haben Wurzeln, und die dürfen wir ihnen nicht nehmen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Patzelt, darf ich kurz unterbrechen? – Der Kollege Mutlu möchte Ihnen gern eine Frage stellen. Martin Patzelt (CDU/CSU): Wenn es wesentlich ist, gern. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön. Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke, Frau Präsidentin. Danke, Herr Kollege, dass Sie die Frage zulassen. Zunächst einmal möchte ich Ihnen ganz persönlich für Ihren Einsatz und für den Einsatz Ihrer Frau danken. Sie haben, wie wir über die Medien erfahren haben, Flüchtlinge bei sich aufgenommen. Trotz Anfeindungen, trotz Angriffen haben Sie daran festgehalten. (Beifall im ganzen Hause) Das ist absolut vorbildhaft. Sie haben ja jetzt über die letzten Monate am eigenen Leib Erfahrungen gemacht und wissen, wie es ist, einen Flüchtling aufzunehmen – trotz dieser Anfeindungen in Ihrer Gemeinde, von manchen, Gott sei Dank nicht von allen. Sind Sie denn aufgrund der Erfahrungen, die Sie jetzt gesammelt haben, der Meinung, dass das, was gerade als Vorhaben vor uns liegt, hinreichend ist? Was würden Sie auf die Frage sagen, wo ergänzt werden kann, wo Verbesserungsbedarf besteht? Martin Patzelt (CDU/CSU): Ich bedanke mich ausdrücklich für die Frage. Ich werde nämlich in meinen weiteren Ausführungen genau darauf Antwort geben. Ich bedanke mich auch für die Wertschätzung, wobei ich mir immer bewusst bin, dass das, was wir als Familie tun, nicht verallgemeinerbar ist. Das ist bei der Herkunft und dem Lebenskontext eine spezifische Möglichkeit. Wir haben an Lebensqualität nur gewonnen, Gott sei Dank; es hätte auch anders kommen können. Aber das will ich nun wirklich nicht als Maßstab für andere setzen. – Danke schön. (Beifall im ganzen Hause) Ich sprach davon, dass wir die Identitäten der jungen Menschen schützen müssen. Ich meine auch, dass wir achtgeben müssen, dass keine Parallelwelten entstehen. Wenn wir das nicht begleiten und wenn wir nicht aufmerksam sind und wenn wir vor allen Dingen keine Partizipation an unserem Leben zulassen, an unseren gesellschaftlichen Aktivitäten in Vereinen, Sportvereinen, Chören, Schulklassen, dann werden ganz schnell, wie man das auch jetzt schon in Deutschland in bestimmten Großstädten erleben kann, Parallelwelten entstehen, die uns und den Menschen, die zu uns gekommen sind, auf Dauer eher schaden als nützen werden. Wir dürfen keine Angst davor haben, dass auch wir uns in diesem Prozess verändern werden. Wenn wir uns auf die jungen Menschen, auf die Fremden, einlassen, wenn wir mit ihnen leben – jetzt weiß ich auch, wovon ich spreche –, dann wird das auch uns wahrnehmbare Veränderungen abfordern. Davor brauchen wir keine Angst zu haben. Jeder, der Kinder hat, weiß, dass er, wenn die Kinder groß sind, nicht mehr der junge Vater oder die junge Mutter sein wird, der oder die er einmal war. Wir können uns bei unseren Kindern eigentlich bedanken, dass sie uns immer in ihre Lebenswelt mit hineinnehmen und uns Älteren damit auch Lernmöglichkeiten schenken. Ich denke, dass sich in Deutschland so etwas wie eine Willkommenseuphorie – so würde ich fast sagen – abspielt, was auch schön und wunderbar zu erleben ist, weil es eine so wertvolle und gute Stimmung sowie ein gutes Zeichen für unser Land ist. Aber wenn diese Euphorie verflogen ist, müssen wir über Sachmittel hinaus vor allen Dingen Beziehungsangebote machen. Die Jugendämter haben dafür Sorge zu tragen, dass die sachliche Ausstattung gut ist, ausreichend ist. Und wenn man das vergleicht: Kinder aus manchen Milieus in Deutschland haben lange nicht den gleichen materiellen Standard für ihre Lebensführung wie die Kinder, die durch die Jugendhilfe betreut werden. Das müssen die Jugendämter verantworten. Aber keine Politik, kein Amt kann das geben, was uns Menschen so nottut, nämlich lebendige Beziehungen. Das auch als Antwort auf Ihre Frage. (Beifall im ganzen Hause) Wir sollten deswegen von hier und überall in unseren Wahlkreisen das Signal aussenden: Liebe Freunde, liebe Verwandte, liebe Kolleginnen und Kollegen, kümmert euch um diese jungen Menschen! Sucht euch einen aus, nehmt ihn mit in eure Familien, nehmt ihn mit in eure Bekanntenkreise, nehmt ihn mit auf eure Reisen! Ladet ihn ein! Ermuntern wir unsere Kinder, zu sagen: Wir haben jetzt neue Mitbürgerinnen und Mitbürger. – Ich war am Dienstag bei einer Versammlung, auch wieder zu diesem Thema, und da haben mich Kinder aus mehreren Schulklassen gefragt: Wie können wir helfen? Was können wir denen geben? – Ich habe geantwortet: Eure Gemeinschaft, eure Nähe, eure Anteilnahme. Spielt, singt, wandert, redet einfach miteinander! Macht miteinander Ausflüge! Hört einander zu! Wir erleben in Deutschland eine zunehmende Angst – das nehme ich jedenfalls so wahr – vor dem, was angesichts der Menge der Flüchtlinge auf uns zukommt. Diese Angst lähmt uns; diese Angst verführt uns vielleicht dazu, in extreme Positionen zu verfallen, von denen wir gar nicht wissen, wohin sie unser Land bringen könnten. Angst ist ein schlechter Berater; Angst macht blind. (Beifall im ganzen Hause) Ich wünsche mir, unserem Land und auch denen, die zu uns gekommen sind, sehr, dass wir miteinander einen Weg gehen, auf dem wir die Angst verlieren. Denn beim Gehen kann man die Angst verlieren. Letzten Endes nehmen wir auch durch die Beispiele, die wir geben, die Ängstlichen in unserem Lande mit, indem wir ihnen zeigen: Es geht doch! – Auf einmal haben Flüchtlinge ein Gesicht. Sie haben einen Namen. Dann werden sie auf einmal sogar angenehme Zeitgenossen. Ich könnte Ihnen dazu ein Beispiel erzählen. Ein Nachbar kam zu uns und sagte: Jetzt möchte ich die beiden mal zu mir einladen; ich möchte ihnen beibringen, wie man einen Computer bedient. – Er hat ihnen gestern den Schlüssel von seiner Wohnung gegeben und gesagt: Ihr könnt immer in meine Wohnung gehen, wenn ihr am Computer arbeiten wollt. Da entwickeln sich Dinge, die man vorher nie geglaubt hätte, weil Menschen ein Beispiel sehen und sich dadurch ermutigt fühlen und keine Angst mehr haben. Wir haben Angst um unsere Identität. Deutschland wird aus diesem Prozess nicht wieder so hervorgehen, wie es hineingegangen ist. Aber das muss nicht zu unserem Schaden sein. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Patzelt, ich muss Sie jetzt trotzdem bitten, zum Schluss zu kommen. Martin Patzelt (CDU/CSU): Noch zwei kurze Sätze, in denen ich eine Lebenserfahrung mitteilen möchte, die viele machen und die man auch immer wieder auf Kalenderblättern liest: Es gibt nirgendwo Glück zu kaufen; Glück entsteht aus Begegnung. Versagen wir uns doch nicht dieses Glück, Menschen zu begegnen, die uns besonders brauchen. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Der nächste Redner ist der Kollege Paul Lehrieder, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Werte Zuschauer! Als letzter Redner in dieser Debatte zu Wort zu kommen, hat den großen Vorteil, dass man noch kurz auf einige vorherige Ausführungen eingehen kann. Herr Müller – Sie schauen zu Recht her –, natürlich muss ich Ihren Wortbeitrag abermals, wie bereits gestern Nachmittag, kritisieren. Sie haben ja ausgeführt, was an diesem Gesetz noch verbesserungsfähig ist. Wir werden am 12. Oktober eine Anhörung dazu haben. Aber ich will Ihnen eines mitteilen – Frau Präsidentin, wenn Sie die Uhr nicht laufen lassen, dann darf ich hier unbegrenzt reden. Darauf wollte ich nur hinweisen. (Heiterkeit im ganzen Hause – Petra Crone [SPD]: Bitte nicht!) Gut, ab jetzt laufen meine neun Minuten. Bitte nichts abziehen! Also, Herr Müller, ich darf darauf hinweisen – ich habe mich extra noch bei der Frau Ministerin kundig gemacht –: Gestern bei der Besprechung im Kanzleramt war auch der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow dabei. Und ich wünsche mir ausdrücklich, dass ihm Ihr Redebeitrag zugesandt wird, damit er einmal beurteilen kann, was Ihre Fraktion im Bundestag zu den Ergebnissen sagt, die er am Vorabend ausgehandelt hat. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wir sind froh, dass wir endlich einen guten Kompromiss – Herr Müller möchte mir eine Frage stellen. Ich würde sie zulassen, Frau Präsidentin. (Heiterkeit im ganzen Hause) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Müller muss sich richtig melden, damit wir das hier auch sehen können. Paul Lehrieder (CDU/CSU): Er hat sich bei mir gemeldet. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Sie würden die Frage zulassen. – Herr Müller, bitte schön. Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): Vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen, Herr Lehrieder. Sie sind ja schneller als das Präsidium. Respekt! (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Gutes Auge!) Übrigens höre ich Ihnen immer aufmerksam zu. Ich will gerne Folgendes von Ihnen wissen – vielleicht haben Sie schon davon gehört –: Ist Ihnen bekannt – wenn nicht, ist es Ihnen nach meiner Frage bekannt –, dass die Thüringer Staatsregierung gestern ihr Einverständnis nur gegeben hat, damit es überhaupt einen Kompromiss in der Runde der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten gibt, und dass sie ihr Einverständnis unter den Vorbehalt gestellt hat, dass sie nicht jedem dieser Punkte, wenn er als Gesetzesvorhaben in den Bundesrat kommt, zustimmen wird? Ist Ihnen das bekannt? (Nadine Schön (St. Wendel) [CDU/CSU]: Was ist denn das für eine Vereinbarung? – Sönke Rix [SPD]: Das bezieht sich auf die Herkunftsstaaten!) – Das ist eine Protokollerklärung. Die bezieht sich selbstverständlich nicht nur auf die Herkunftsstaaten. Paul Lehrieder (CDU/CSU): Es geht um die sicheren Herkunftsstaaten. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass Thüringen einer besseren Verteilung zugestimmt hat, Herr Müller. Das müssen Sie akzeptieren. (Sönke Rix [SPD]: Genau!) Bodo Ramelow hält diesen Kompromiss für gut in den Punkten, über die wir heute debattieren. Wir debattieren jetzt nicht über das Asylpaket, sondern wir debattieren die Situation der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge. Den Umgang mit diesen haben Sie in Ihrem Wortbeitrag kritisiert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Dem gefundenen Kompromiss hat Bodo Ramelow gestern sogar ausdrücklich und vernünftigerweise zugestimmt. Es gibt ja auch noch ein paar Vernünftige bei den Linken. Man sollte das nicht für möglich halten. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Von daher sind wir froh, dass wir Bodo Ramelow in Thüringen haben. Die Frage ist beantwortet. Wie schon gesagt: Wir hoffen, dass wir das in den weiteren Beratungen gut hinbekommen. Aber noch einmal, Herr Müller: Man sollte bitte nicht alles vermischen. Die Frage der sicheren Herkunftsländer mag zu einem Vorbehalt bei Bodo Ramelow geführt haben; das ist kein Thema. Aber die Lösung für die Problematik, die wir heute debattieren, begrüßt auch Thüringen ausdrücklich, im Übrigen auch Herr Kretschmann aus Baden-Württemberg. Frau Dörner, Frau Rosenheimer, das muss einfach auch gesagt werden. In Anbetracht dessen, was gerade passiert, sind wir alle gefordert, die Kräfte zu bündeln. Wir stehen derzeit vor der größten zentralen Herausforderung unserer Zeit. Es wurde von den Vorrednern bereits darauf hingewiesen: Alle Probleme, die wir in den letzten Jahren gehabt haben, werden vor dem Hintergrund dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, die jetzt vor uns liegt, relativiert. Ich darf an dieser Stelle auch noch einmal ausdrücklich den Dank an alle wiederholen, die sich hier engagieren. Ich beginne mit den Ehrenamtlichen: Es gibt eine Vielzahl von Ehrenamtlichen, die in Notunterkünften und in Flüchtlingsunterkünften Aufnahme überhaupt erst möglich machen. Ja, es kommen unwahrscheinlich viele Menschen zu uns. Die Menschen, die zu uns kommen, müssen wir ordnungsgemäß, human und fair behandeln. Darum bemühen wir uns. Ich darf mich bedanken beim THW, beim Roten Kreuz, bei den Maltesern, bei den Johannitern, bei der Polizei, bei den Kommunen und bei den Bürgermeistern, die schweren Herzens manche Turnhalle zur Verfügung gestellt haben und jetzt die Gratwanderung schaffen müssen zwischen Schulsport einerseits und der Schaffung von Unterkunftsmöglichkeiten andererseits. Wir haben sehr viele tüchtige Bürgermeister landauf, landab. Sie dürfen versichert sein: Was Bayern angeht, weiß ich, wovon ich rede. Darüber hinaus sind es natürlich die Länder, die toll mitziehen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben. Mit dem gestrigen Kompromiss haben sie 1 Milliarde Euro extra bekommen, damit sie ihren Aufgaben nachkommen können. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, an der wir als Bund uns beteiligen, an der sich die Länder beteiligen, an der sich die Kommunen beteiligen, an der sich die Ehrenamtlichen beteiligen. Nur so kann es gelingen. Dafür ein herzliches Wort des Dankes an alle, die daran einen Anteil haben: an die Bürgermeister, die Landtagskollegen, die Ehrenamtlichen des THW und des Roten Kreuzes. Herzlichen Dank! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Gleichwohl gebietet es aber auch die Ehrlichkeit, zu sagen: Unsere Kapazitäten sind nicht unbegrenzt. Wir müssen aufpassen und uns fragen: Wie viele Menschen können wir aufnehmen? Wie viele Menschen können wir – mit den ganzen Institutionen, die ich angeführt habe – hier bei uns betreuen, wenn wir ihnen gerecht werden wollen? Deshalb ist auch der gestern Abend gefundene Kompromiss – Herr Müller, man muss sichere Herkunftsländer definieren – durchaus richtig, und es ist vertretbar, zu sagen: Jawohl, wir werden die Kapazitäten, über die unsere Gesellschaft verfügt – und die sind sehr groß –, auf die beschränken müssen, die tatsächlich Kriegsflüchtlinge sind, die tatsächlich aus Not zu uns kommen und die tatsächlich um ihr Leben fürchten. Es gibt viele Beispiele. Viele von uns kennen aus ihren Wahlkreisen syrische oder afghanische Flüchtlinge. (Zurufe des Abg. Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]) Wir sind gefordert, an einer gelingenden Integration mitzuwirken. Herr Kollege Patzelt hat das völlig zu Recht gesagt: Die jungen Menschen kommen zu uns nach wochen-, monate- oder zum Teil jahrelanger Flucht. Sie wähnen sich am Ziel. Daher dürfen wir sie nicht ins Nichts fallen lassen. Wir müssen sie betreuen. Wir müssen sie auffangen. Wenn uns diese Integration nicht gelingt, drohen uns in mehreren Jahren große gesellschaftliche Probleme. Deshalb ist richtig, dass wir uns mit dem Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher auf die Gruppe der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge besonders konzentrieren. Alle unter 18Jährigen, die alleine zu uns kommen, verdienen besonderen Schutz. Das ist aufwendig; das kostet viel Geld. Ja, das ist richtig. Aber wenn uns das nicht gelingt und wir diese Gruppe Jugendlicher als verlorene Generation Salafisten oder anderen radikalen Kräften zutreiben lassen, dann haben wir etwas falsch gemacht. Deshalb ist dieses Gesetz, zu dem wir am 12. Oktober eine Anhörung durchführen, das wir am 14. Oktober im Ausschuss abschließend beraten werden und das am 15. oder 16. Oktober in zweiter und dritter Lesung bereits den Bundestag verlassen soll, ebenso der richtige Weg wie die Kompromisse, die wir gestern Abend gefunden haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine sehr geehrten Damen und Herren, unabhängig von der noch ungeklärten Frage, wie auch die europäischen Nachbarländer die Verantwortung, die wir als EU gemeinsam tragen, wahrnehmen können, gehen wir die Herausforderungen in unserem Lande an. Es wurde bereits ausgeführt, dass wir die bei uns lebenden Menschen anständig und menschenwürdig behandeln müssen. So hat es unser Fraktionsvorsitzender Volker Kauder gestern in seiner Bundestagsrede ausdrücklich formuliert. Wir müssen insbesondere diejenigen Kinder und Jugendlichen schützen, die ohne ihre Eltern zu uns kommen. Dass sie die Kraft dazu haben – Frau Ministerin hat darauf hingewiesen –, kann man sich oft nicht vorstellen. Wie kann ein 10-, 12-jähriges Kind Tausende Kilometer mit Schlepperbooten über das Mittelmeer den Weg zu uns schaffen? Woher haben sie die Kraft? – Wir müssen also besonders diejenigen Kinder und Jugendlichen schützen, die ihre Eltern während der Flucht verloren oder aus den Augen verloren haben, deren Eltern auf der Flucht verstorben sind, vielleicht getötet worden sind. Gleichzeitig stellt die stetig steigende Anzahl der ausländischen Kinder und Jugendlichen, die ohne ihre Familie nach Deutschland fliehen, unsere Kommunen vor Ort vor erhebliche, auch finanzielle, Herausforderungen und Belastungen. Da nach geltendem Recht das Jugendamt, in dessen Zuständigkeitsbereich die Einreise des unbegleiteten ausländischen Minderjährigen fällt, zu dessen Inobhutnahme verpflichtet ist, stellt das viele Kommunen – ich denke insbesondere an Rosenheim, an Passau, aber auch an Hamburg – vor große Probleme. Insbesondere die vorgenannten Einreiseknotenpunkte haben ihre Kapazitätsgrenzen erreicht. Es stellt sich nun die Frage, ob ein überlastetes Jugendamt im Grenzbereich besser für die Betreuung der Jugendlichen geeignet ist als ein Jugendamt im Landesinneren, wo freie Kapazitäten sind und man sich mit Engagement, mit Verve und mit Leidenschaft besser um die Jugendlichen kümmern kann. So ist die Zahl der unbegleiteten minderjährigen Ausländer, die nach Deutschland gekommen sind, seit 2010 um 133 Prozent gestiegen. In Anbetracht der aktuellen Lage müssen wir diesbezüglich mit einem weiteren Anstieg der Zahlen rechnen. In Bayern befanden sich mit über 10 000 Minderjährigen derart viele unbegleitete Kinder und Jugendliche in der Obhut der bayerischen Jugendämter, dass teilweise eine dem Kindeswohl entsprechende Unterbringung, Versorgung und Betreuung der Kinder und Jugendlichen nicht mehr ausreichend gewährleistet werden kann. Aber gerade dies, meine sehr geehrten Damen und Herren, muss sichergestellt werden. Auch wenn ich aus Bayern komme, will ich dem Freistaat Bayern ganz bewusst danken, dass man es in diesem Jahr geschafft hat, dass man in Vorleistung getreten ist in der Erwartung, dass es einen vernünftigen finanziellen Kompromiss als Ausgleich durch den Bund geben wird. Das ist ja auch nicht selbstverständlich. Bayern hat vieles geleistet. Herzlichen Dank an die Jugendämter, die in den letzten Monaten besonders betroffen waren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]) Meine Damen und Herren, nicht nur nach den Vereinbarungen der UN-Kinderrechtskonvention, sondern auch nach unserem christlichen und humanitären Menschenbild müssen wir eine den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen angepasste Betreuung sicherstellen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir erreichen, dass Kinder und Jugendliche, die ohne ihre Eltern vor Krieg und Vertreibung aus ihren Heimatländern fliehen, bei uns die bedarfsgerechte Versorgung und Betreuung erhalten, die sie benötigen. Durch die Einführung einer gesetzlichen bundesweiten Aufnahmepflicht der Länder soll eine am besonderen Schutzbedürfnis und Kindeswohl der einreisenden Kinder und Jugendlichen ausgerichtete Versorgung sichergestellt werden. Die angesprochene Aufnahmequote – darauf wurde bereits hingewiesen – orientiert sich am sogenannten Königsteiner Schlüssel – also nicht Königsberger Schlüssel, wie hier schon gesagt wurde – und wird durch einige Kindeswohlgesichtspunkte ergänzt, wie zum Beispiel möglichst auf einen Abschluss des Verteilungsverfahrens innerhalb von 14 Werktagen hinzuwirken, die Überführung zum Jugendamt durch eine geeignete Begleitperson durchzuführen oder einen Ausschluss des Verteilungsverfahrens vorzusehen, sofern der Gesundheitszustand des Minderjährigen dies nicht zulässt oder das Kindeswohl hierdurch gefährdet wäre. Zudem werden etwaige soziale Bindungen bei einer eventuellen Verteilung berücksichtigt, das heißt beispielsweise familiäre Beziehungen. Wir wollen ganz bewusst den Jugendlichen dahin schicken, wo der Onkel, die Tante oder ein Familienangehöriger bereits Unterkunft gefunden hat. Meine Damen und Herren, es wird eine Querschnittsaufgabe. In meinem vorbereiteten Redebeitrag hätte ich dazu noch einiges auszuführen. Meine Zeit neigt sich abermals sehr schnell dem Ende zu. Ich bekomme auch keine Zwischenfragen mehr von Ihnen, Herr Müller, und leider auch nicht von Frau Dörner. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Deshalb darf ich darauf hinweisen: Wir müssen aufpassen, dass wir die Kinder und Jugendlichen, die bei uns sind, angefangen von der Kita über die schulische Ausbildung, die Berufsausbildung bis in das Berufsleben, begleiten, dass wir ihrem Leben einen Sinn geben, wenn sie schon bei uns sind. Vor kurzem habe ich bei einer Glasspezialfirma in meinem Wahlkreis erlebt, mit welchem Stolz zwei afghanische Praktikanten Elektroteile zusammengeschraubt haben. Das hat mich beeindruckt. Wir haben hier Potenziale. Wir sind aber verpflichtet, es richtig zu machen. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten. Liebe Opposition, Sie brechen sich nichts ab, wenn Sie das Gesetz auch einmal loben würden. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Der Kollege Lehrieder hat schon darauf hingewiesen, dass er der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt war. Damit sind wir am Schluss der Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/5921 und 18/5932 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe, dass Sie damit einverstanden sind. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen dann zum Tagesordnungspunkt 23 b: – Beratung des Antrags der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Luise Amtsberg, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Psychotherapeutische und psychosoziale Versorgung von Asylsuchenden und Flüchtlingen verbessern Drucksache 18/6067 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Innenausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Maria Klein-Schmeink, Bündnis 90/Die Grünen. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Liebe Frau Vorsitzende! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute zum zweiten Mal über die Situation von Flüchtlingen. Zu jungen Menschen auf der Flucht haben wir gerade eben viel gehört. Wir alle wissen, dass es darauf ankommt und dass es auch eine unserer größten humanitären Pflichten ist, dass wir Flüchtlingen zuallererst den Schutz gewähren, den sie brauchen, ihnen Sicherheit geben, ihnen medizinische Versorgung und auch psychotherapeutische Versorgung zukommen lassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist sehr deutlich geworden, dass da, gerade was die Situation der unbegleiteten Jugendlichen anbelangt, großer Handlungsbedarf besteht. Insgesamt müssen wir davon ausgehen, dass circa 40 Prozent aller Flüchtlinge, die hierhergekommen sind, mit schweren posttraumatischen Belastungsstörungen zu kämpfen haben, 20 Prozent mit sehr schweren und einschränkenden Belastungsstörungen, dass 40 Prozent der Kinder, die hierhergekommen sind, psychisch auffällig und wiederum 20 Prozent schwer traumatisiert sind. Das alles bedeutet: Es ist eine große Herausforderung, da die wirklich passende Hilfe bereitzustellen, die die betroffenen Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen brauchen. – Das wollte ich vorausschicken. Wir müssen sagen: Da waren wir auch schon in der Vergangenheit nicht besonders gut. Schon vor der großen Flüchtlingswelle gab es deutliche Defizite in der psychotherapeutischen und psychosozialen Versorgung von Flüchtlingen und Flüchtlingskindern hier in Deutschland. Das müssen wir erst einmal festhalten und es jetzt als ganz klaren Auftrag verstehen, die Situation wirklich zu verbessern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir müssen diese Aufgabe nicht nur aus humanitären Gründen annehmen; wir sind es auch unserer Bevölkerung insgesamt schuldig. Auf der einen Seite geht es um enorm viel ehrenamtliches Engagement im Rahmen der Begleitung von betroffenen Flüchtlingen bei dem Versuch, die neue Situation zu bewältigen und den Weg in unsere Gesellschaft hinzubekommen. Auf der anderen Seite dürfen wir nicht zulassen, dass eine Konkurrenz entsteht zwischen denen aus der deutschen Bevölkerung, die nach Versorgung suchen, und denen, die notfallgetrieben unser System brauchen, die Versorgung, Unterstützung und medizinische Hilfe brauchen. Deshalb müssen wir handeln. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Unser Antrag geht zwar auf bestehende Defizite zurück, die schon vor der Flüchtlingswelle bekannt waren; aber er hat jetzt natürlich eine besondere Brisanz erhalten. Ich muss sagen: Der Asylkompromiss von gestern Abend beinhaltet zwar einen Teilbereich dessen, was hier nötig ist, nämlich die Sonderermächtigung von Psychotherapeuten für die Versorgung von besonders Schutzbedürftigen; aber Sie sollten noch einmal genau hinschauen. Das, was jetzt vorliegt, springt zu kurz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wir werden mehr machen müssen. Es darf nicht sein, dass wir unsere Hilfe nur auf diejenigen beschränken, die länger als 15 Monate in Deutschland sind und eine sichere Bleibeperspektive haben. Vielmehr müssen wir alle einbeziehen, die akuten und absehbaren Bedarf haben, damit auf der einen Seite keine Chronifizierung und auf der anderen Seite keine schwerwiegenden, auf einem Trauma basierenden Erkrankungen entstehen. Sonst werden die Menschen später in der Notfallambulanz einer Psychiatrie oder eines Uniklinikums landen, weil im Vorfeld nicht genug getan worden ist. Da müssen wir gegensteuern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Eine besondere Aufgabe ist die Finanzierung der psychosozialen Zentren für Folteropfer und Traumatisierte. Es gibt circa 33 solcher Einrichtungen hier in Deutschland. Die meisten arbeiten hauptsächlich spendenfinanziert. Nur zu einem kleinen Teil werden sie durch Bund, Länder oder Kommunen finanziert. Diese Zentren sind derzeit die Hauptanlaufstellen für die betroffenen Personengruppen. Deshalb müssen wir bei der Finanzierung nachsteuern. Es kann nicht sein, dass ein so überaus wichtiges Angebot von Spendenaufkommen abhängig ist. Hier müssen wir umsteuern. Sie müssen für eine regelhafte Finanzierung dieser Zentren sorgen, damit diese ihrer übergreifenden Arbeit nachkommen können. Gerade dort wird besondere Arbeit geleistet. Dort gibt es Fachleute für den Umgang mit dieser besonderen Art der Traumatisierung. Sie kennen die psychosoziale Situation der Flüchtlinge. Deshalb ist es wichtig, diese völlig unterfinanzierten Zentren in den Blick zu nehmen und dafür zu sorgen, dass sie auf Dauer bestehen und ihrer wichtigen Aufgabe nachkommen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Zum Schluss möchte ich folgenden Punkt ansprechen: In Ihrer Vereinbarung von gestern Abend steht, dass die Eingrenzung der Leistungen gemäß §§ 4 und 6 des Asylbewerberleistungsgesetzes bestehen bleibt. Ich bitte Sie: Schauen Sie sich einmal an, was das eigentlich heißt. Es liegt eine Studie vor, die deutlich zeigt: Die Regelversorgung ist preiswerter und besser. Wir müssen die verrückte Unterscheidung aufgeben nach Flüchtlingen, die in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht sind, Flüchtlingen, die – nach der neuen Richtlinie – nach einem halben Jahr in einen Zwischenbereich fallen, wo sie über die Kommunen versorgt werden müssen, und Flüchtlingen, die nach 15 Monaten in die Regelversorgung aufgenommen werden. Überdenken Sie Ihre Position! Überlegen Sie sich: Was bedeutet das an bürokratischem Aufwand, an Intransparenz und Leistungseinbrüchen? Das können wir uns gerade in Anbetracht der großen Flüchtlingszahlen nicht mehr erlauben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In unserem Antrag schlagen wir eine Möglichkeit vor, wie mit diesem Problem umgegangen werden könnte; unabhängig von dem gesamten Asylpaket, das in den nächsten zwei Wochen geschnürt werden soll. Bitte überdenken Sie noch einmal die Situation, die wir zu stemmen haben. Zeigen Sie sich offen, und gehen Sie konstruktiv mit unseren Vorschlägen um. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächste hat Ute Bertram, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Ute Bertram (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir alle sind sehr berührt von den Flüchtlingsströmen, die aus Syrien, dem Irak und auch aus Afrika, vor allem aus Eritrea, zu uns kommen. 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, der Flucht und Vertreibung in bis dahin unvorstellbarer Größe hervorgebracht hat, wird die Erinnerung an diese katastrophalen Zeiten gleichsam aktualisiert. Wir stehen als Bundesrepublik Deutschland in der Pflicht, die gegenwärtigen Zustände zu bewältigen. Was da noch auf uns zukommt, können wir bestenfalls erahnen. Unser ganzes Staatswesen ist gefordert: Bund, Länder und Kommunen; aber das reicht noch nicht. Wir benötigen die Hilfe aus allen Ecken der Gesellschaft: von der professionellen Unterstützung bewährter Großorganisationen wie dem Deutschen Roten Kreuz und dem Technischen Hilfswerk bis hin zur nachbarschaftlichen Hilfe. Die Flüchtlinge haben Schlimmes erlebt. Oft sind sie geradezu der Hölle entronnen. Da stellt sich nicht nur die Frage nach Essen, Trinken und Unterkunft, sondern da stellen sich auch diese Fragen: Wie verwundet sind ihre Seelen? Wie verarbeiten diese Menschen das Erlebte? Und vor allem: Wie groß ist überhaupt der Bedarf an einer medizinischen und psychotherapeutischen Versorgung? Und: Was kann tatsächlich geleistet werden? Die Bundespsychotherapeutenkammer hat hierzu vor wenigen Tagen einige Zahlen veröffentlicht, die zumindest erahnen lassen, mit welchen Dimensionen des Schreckens wir es zu tun haben. So sind 70 Prozent der nun hier lebenden Erwachsenen und 41 Prozent der Kinder und Jugendlichen in ihren Heimatländern oder auf der Flucht Zeugen von Gewalt geworden. 55 Prozent der Erwachsenen haben selbst Gewalt erfahren, bei den Kindern sind es 15 Prozent. Folter haben 43 Prozent der Erwachsenen erlitten. Von Gefangenschaft waren 35 Prozent der Erwachsenen betroffen. 20 Prozent der Erwachsenen waren Opfer von Vergewaltigungen, erlitten sexuellen Missbrauch. 5 Prozent der Kinder waren ebenfalls davon betroffen. In Deutschland werden momentan bis zu 4 000 Flüchtlinge in psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer behandelt. Bundesweit gibt es 23 dieser Zentren, in denen etwa 130 Psychotherapeuten arbeiten. Allein im Berliner Zentrum wird die Betreuung in 22 Sprachen abgedeckt. Der Arbeit, die hier geleistet wird, zolle ich meine Hochachtung und meinen Respekt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die in diesen psychosozialen Zentren arbeitenden Therapeuten sind geradezu massenweise konfrontiert mit der sogenannten Posttraumatischen Belastungsstörung, deren Symptome sich in Albträumen, Konzentrationsstörungen, Schreckhaftigkeit und emotionaler Taubheit äußern. Zu den Symptomen gehören auch sogenannte Flashbacks, in denen sich Angstzustände, bis zur Todesangst, zeigen, wenn schmerzliche Erinnerungen wach werden. Nicht zuletzt sind Depressionen unter den Flüchtlingen weit verbreitet. Unsere besondere Aufmerksamkeit muss der schnellen und konsequenten Behandlung und Betreuung von Kindern gelten; denn hier besteht in erhöhtem Maße die Gefahr einer Chronifizierung von traumabedingten Störungen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Bundespsychotherapeutenkammer schätzt, dass mindestens jeder zweite Flüchtling unter einer psychischen Störung leidet. Sollte sich bewahrheiten, dass in 2015 fast 800 000 Flüchtlinge nach Deutschland kommen, hätten wir einen Personenkreis von 400 000 Flüchtlingen, der zumindest aus der Perspektive der Bundespsychotherapeutenkammer psychotherapeutisch zu versorgen wäre. Aus dem Bereich der Ärztlichen Psychotherapeuten ist demgegenüber zu hören, dass bei Flüchtlingen Depressionen keineswegs häufiger auftreten als in Gesellschaften in Friedenszeiten. Wie dem auch sei, eine grundsätzliche Tatsache kann weder geleugnet noch kurzfristig behoben werden: In der jetzigen Situation, die durch eine anhaltend steigende Flüchtlingszahl gekennzeichnet ist, kann auch die psychiatrische Versorgung zunächst nur eine Akutversorgung sein. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum?) Wir wissen nicht, ob, wie lange und in welchem Ausmaß der Zustrom der Flüchtlinge anhalten wird; da müssen wir uns alle ehrlich machen. Ich halte es deshalb für nicht angebracht, wenn Berufsverbände der Psychotherapeuten die jetzige Situation zum Anlass nehmen, eine Debatte über die allgemeine psychotherapeutische Versorgungslage loszutreten. Darüber haben wir schon vor der Sommerpause im Zusammenhang mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz ausgiebig diskutiert. Wir wissen alle, dass es keinen Mangel an ausgebildeten Psychotherapeuten gibt. Es gibt hinsichtlich der Versorgung aber bekanntlich eine ungleiche Verteilung, die zu überversorgten und unterversorgten Regionen geführt hat. Wir haben ein Stadt-Land-Gefälle, dessen tiefere Ursache in der demografischen Entwicklung liegt. Dieser strukturellen Problemlage stellen wir uns, aber bitte nicht im Zusammenhang mit der Akutversorgung von Flüchtlingen. Ich hätte es übrigens begrüßt, wenn Berufsverbände der Psychotherapeuten an ihre Mitglieder appelliert hätten, sich für die Versorgung von Flüchtlingen unbürokratisch zur Verfügung zu stellen. Die entsprechende Erklärung der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung von gestern, dass die Zahnärzteschaft zu einer schnellen und unbürokratischen Versorgung der zahlreichen Flüchtlinge bereit ist, hat mir jedenfalls sehr gefallen. (Beifall bei der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Flüchtlinge werden, sobald sie sich 15 Monate in Deutschland aufhalten, im Krankheitsfall über das System der gesetzlichen Krankenversicherung versorgt. Nun wird kritisiert, dass in diesem System nicht genügend Ärzte und Psychotherapeuten für die psychiatrische bzw. psychotherapeutische Behandlung besonders schutzbedürftiger und traumatisierter Flüchtlinge zur Verfügung stehen. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt ja auch!) Eine begonnene Versorgung durch die Therapeuten in den psychosozialen Zentren könne nicht fortgesetzt werden, wenn diese Therapeuten keine Kassenzulassung besäßen. Diese Situation ist häufig gegeben, weil in vielen NGOs ausgebildete Psychotherapeuten beschäftigt sind, die aber keine Kassenzulassung haben. In der Tat ist es ein grundsätzliches Problem, wenn im Laufe einer psychotherapeutischen Versorgung der Therapeut gewechselt werden muss. Dies gefährdet oft den bis dahin erreichten Behandlungserfolg und ist deshalb nach Möglichkeit zu vermeiden. Deshalb begrüßt meine Fraktion die Absicht der Bundesregierung, dem Problem durch eine Änderung der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte der GKV abzuhelfen und eine bruchlose Versorgung zu sichern, wenn nach 15 Monaten Leistungen nach dem GKV-Katalog anstehen. Dies soll dadurch geschehen, dass die Zulassungsausschüsse verpflichtet werden, Ärzte, Psychotherapeuten und Einrichtungen wie die psychosozialen Zentren auf Antrag zu ermächtigen, einen eingeschränkten, besonders schutzbedürftigen Personenkreis psychotherapeutisch und psychiatrisch zu versorgen. Dieser Personenkreis soll beschränkt sein auf Empfänger laufender Leistungen nach § 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben. Auf diese Weise können begonnene Therapien der Akutversorgung von den behandelnden Therapeuten auch dann fortgesetzt werden, wenn sie bislang nicht zugelassen worden sind. So wird die Kontinuität der Behandlung gewährleistet. Damit stellt sich die Bundesregierung auch ihrer Verantwortung aus Artikel 19 der EU-Aufnahmerichtlinie, der eine psychologische Behandlung in besonderer Weise einfordert. Nebenbei kommt diese Regelung auch der allgemeinen vertragsärztlichen und vertragspsychotherapeutischen Versorgung der Versicherten in der GKV zugute; denn die regulär im GKV-System tätigen Leistungserbringer werden nicht angezapft. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die Akutversorgung von Flüchtlingen ist schon für sich genommen eine außerordentliche Herausforderung für alle Beteiligten. Hinzu kommen die sprachlichen Hürden und kulturellen Barrieren. Bei der Kommunikation stellt sich zunächst die quantitative Frage nach Dolmetschern. Vielfach wird es auch notwendig sein, auf eine Drittsprache – vielleicht Spanisch, Englisch oder Französisch – auszuweichen. Dabei besteht naturgemäß das permanente Risiko von Missverständnissen. Vor allem aber besteht in einer psychotherapeutischen Behandlung fremdsprachiger Flüchtlinge das grundlegende Problem, dass es sich bei einem Dolmetscher immer um eine dritte Person handelt. Ob und inwieweit diese als Vertrauensperson von Patient und Therapeut anerkannt wird, kann sich immer nur von Fall zu Fall erweisen. Das gilt oft auch dann, wenn Sprachmittler Familienangehörige sind. Auch die bereits erwähnten kulturellen Barrieren dürfen nicht unterschätzt werden. Die Offenlegung persönlichster Gedanken und Empfindungen als Opfer von Gewalt gegenüber einem Therapeuten, der zugleich ein Unbekannter, ein Fremder ist, stellt schon für sich genommen eine Hürde dar, die nicht jeder Mensch überwinden kann oder will. Dies gilt umso mehr für Menschen aus einem Kulturkreis, in dem die Offenlegung von persönlichen oder intimen Darstellungen weitgehend tabuisiert ist. (Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin, ich muss Sie bitten, zum Schluss zu kommen. Ute Bertram (CDU/CSU): Ja. Ich bin gleich beim Schluss. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Nach Ablauf der Redezeit ist keine Zwischenfrage mehr erlaubt. Ute Bertram (CDU/CSU): Ich will mit diesen Hinweisen auf keinen Fall den Eindruck erwecken, die anstehenden Aufgaben für eine psychotherapeutische Betreuung der Flüchtlinge könnten nicht bewältigt werden. Sie können bewältigt werden, wenn es uns gelingt, die hierfür vorhandenen Kräfte koordiniert und möglichst frei von bürokratischen Hemmnissen einzusetzen. Dazu müssen die Stellen von Bund, Ländern und Kommunen sowie die gesellschaftlichen Ressourcen engagiert zusammenarbeiten und neben den anerkannten Kompetenzen beim Organisieren auch die Tugend der Improvisation reichlich bedienen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin Bertram, das geht jetzt zulasten der Redezeit Ihrer Kollegin. (Emmi Zeulner [CDU/CSU]: Das ist okay!) Ute Bertram (CDU/CSU): Jetzt ist die Zeit zupackenden Helfens. Wir werden daraus lernen können. Darüber diskutieren wir danach. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächste hat Kathrin Vogler, Fraktion Die Linke, das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Kathrin Vogler (DIE LINKE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste oben auf der Tribüne! Gestern hat die Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten der Länder eine Vereinbarung zur Gesundheitskarte für Flüchtlinge getroffen. Wir als Linke begrüßen sehr, dass sie eingeführt wird. Dazu haben wir ja hier im Haus schon vor drei Monaten einen Antrag eingebracht. Leider kommt sie zu spät und vor allem nicht überall. Denn es gibt gerade in der Union noch Leute, denen sogar das zu viel ist. Ich zitiere: Hätte jeder Asylbewerber Anspruch auf eine solche Karte, würde dies eine fatale Sogwirkung vor allem auf dem Westbalkan haben. Das meint Georg Nüßlein, stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion, laut Handelsblatt. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Recht hat er!) Weiter meint er: Die Gesundheitskarte steht im Ausland für die gute Gesundheitsversorgung in Deutschland. Es besteht mithin die Gefahr, dass Menschen sich nur deswegen nach Deutschland auf den Weg machen. (Karin Binder [DIE LINKE]: So ein Unsinn!) Da kann man doch nur sagen: Ja, geht es noch? Das ist zynisch, absurd, unsinnig. (Beifall bei der LINKEN – Emmi Zeulner [CDU/CSU]: So ein Schmarrn!) Die Bundeskanzlerin hat gestern in ihrer Regierungserklärung erstaunlich klar über Fluchtursachen gesprochen. Man konnte in ihren Worten sogar so etwas wie menschliches Mitgefühl für die Flüchtlinge aus Eritrea und Syrien hören. Vielleicht ist ja die Kanzlerin in der Lage, ihren Fraktionskollegen zu erklären, dass diese Menschen, die alles aufgeben, die Haus und Hof verlassen, die ihre Eltern verlassen, die ihr Leben riskieren, um es zu retten, ganz bestimmt nicht nach Deutschland kommen, um sich in Günzburg in einer Arztpraxis anzustellen. Es wäre wirklich zu wünschen, dass der Kanzlerin dies gelingt. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Auch Herr Dr. Nüßlein weiß es besser. In demselben Artikel gibt er zu, dass Asylbewerber und Flüchtlinge auch mit der Karte noch lange nicht vollen Zugang zu unserem Gesundheitssystem haben. Es ist doch so: Bislang muss ein Flüchtling in unserem Land zunächst ins Rathaus laufen und dort einem Sachbearbeiter oder einer Sachbearbeiterin seine Beschwerden schildern. Dieser Mensch, meistens ohne medizinische Ausbildung, entscheidet dann, ob der Kranke einen Behandlungsschein erhält und zum Arzt gehen darf. Die Kosten für die Behandlung übernimmt dann die Kommune, allerdings nur für akute, lebensbedrohliche und schmerzhafte Erkrankungen sowie für Impfungen und Schwangerschaftsvorsorge. Stellen wir uns das einmal praktisch vor. Der siebenjährige Achmed A. aus Syrien bekommt am Freitagmittag schlimmes Zahnweh. Leider hat das Sozialamt schon geschlossen. Bis zum Montagmorgen bekommt das Kind also keinen Behandlungsschein. Ein Wochenende mit einem weinenden Kind in einer Flüchtlingsunterkunft – dafür, dass das so bleibt, kämpft die CSU. Na sauber! (Emmi Zeulner [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht!) Brigitte B. aus Nigeria leidet an Bluthochdruck. Das ist weder schmerzhaft noch akut lebensbedrohlich. Der Beamte hält daher die Ausstellung eines Behandlungsscheins für unnötig. Das Risiko, dass die Frau einen Schlaganfall bekommt, ist ihm nicht bewusst. Schon aus diesen Beispielen wird deutlich, dass es notwendig ist, dass jeder kranke Mensch unmittelbar zum Arzt gehen kann. Nur Ärztinnen und Ärzte können beurteilen, ob eine Erkrankung behandlungsbedürftig ist. Dafür sind sie ausgebildet. Für die Kommunen ist die Karte angesichts wachsender Flüchtlingszahlen eine Erleichterung. Denn bei mehr Flüchtlingen müssten sie auch mehr Scheine ausstellen. Deswegen unterstützt die Linke alle Bemühungen, die Gesundheitskarte für Flüchtlinge flächendeckend einzuführen. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir sagen aber auch: Die Kosten dafür muss der Bund übernehmen, (Zurufe von der CDU/CSU: Ach!) und keinesfalls dürfen sie den Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung durch die Hintertür aufgebürdet werden. (Beifall bei der LINKEN – Ute Bertram [CDU/CSU]: Aber das ist doch nicht das Problem der psychotherapeutischen Versorgung!) Außerdem verlangt die Linke, das Menschenrecht auf Gesundheit auch für Flüchtlinge und Asylbewerber umzusetzen. Denn wenn jemand eine chronische oder psychische Erkrankung hat, dann muss diese ebenso behandelt werden wie ein akuter Schmerz, und zwar unabhängig vom Aufenthaltsstatus. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Alles andere verstößt unserer Auffassung nach gegen die Menschenrechte, gegen die Prinzipien der Humanität und gegen die medizinische Ethik. Ich freue mich, dass auch die Grünen genau dies in ihrem Antrag fordern, darüber hinaus weitere diskussionswürdige Vorschläge machen, etwa zu Dolmetscherdiensten, zur psychotherapeutischen Versorgung, zur Stärkung der Strukturen in der psychosozialen Betreuung usw. usf., und sich auch mit der Frage der traumatisierten Kinder in Flüchtlingsunterkünften auseinandersetzen. Ich finde, in den Beratungen über die Anträge, die im Ausschuss anstehen, sollten wir gemeinsam versuchen, die Union wieder auf den Boden der Menschlichkeit und der christlichen Nächstenliebe zurückzuholen. Darauf freue ich mich. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt Hilde Mattheis das Wort. (Beifall bei der SPD) Hilde Mattheis (SPD): Werte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, Zahlen sind hier schon viele genannt worden. 800 000 bis 1 Million Menschen suchen bei uns Schutz, Unterkunft und auch gesundheitliche Versorgung. Hinter jeder Zahl steht ein Mensch, mit all seinen Ängsten, mit all seinen Bedürfnissen und vor allen Dingen auch mit der Hoffnung, hier bei uns gut unterzukommen und Hilfe zu bekommen. Viele Ehrenamtliche leisten diese Hilfe. Ich bin froh, dass wir durch die Einigung von gestern Abend auch im Gesundheitsbereich einige Maßnahmen auf den Weg bringen, die ich „Basisvereinbarungen“ nenne, Basisvereinbarungen, bei denen wir – neben den Problemen der Erstunterkunft und der weiteren Unterkünfte, den Versorgungsnöten wie ausreichend Essen, ausreichend Kleidung und Bewegungsmöglichkeiten – auch den wichtigen Punkt der gesundheitlichen Versorgung im Blick haben. Diesen Blick, der sich in vier Punkten zusammenfassen lässt, möchte ich gerne beleuchten. Als ersten Punkt will ich die Gesundheitskarte ansprechen. Ich finde, dazu ist schon einiges Richtiges gesagt worden. Die Gesundheitskarte ist ein Instrument, das Zugänge erleichtert, nicht Leistungen ausweitet. Lassen Sie uns die Gesundheitskarte also nicht als Instrument missbrauchen, um irgendwelche Aggressionen zu schüren, sondern sie als das gebrauchen, was sie tatsächlich ist. Sie ermöglicht ohne Bürokratie niedrigschwellige Zugänge zu einem Leistungssystem, das nach dem Asylbewerberleistungsgesetz klare Leistungsansprüche umreißt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das kann man gut oder schlecht finden; aber sie ist ein Instrument. Von daher, glaube ich, sollten wir uns hier einig sein: Wir begrüßen das Instrument der Gesundheitskarte und sagen: Ja, in den Fällen, die Sie, Frau Vogler, gerade beschrieben haben, muss es möglich sein, diese niedrigschwelligen Zugänge zu ermöglichen. – Das ist der erste Punkt. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der zweite Punkt betrifft die Ausweitung der Schutzimpfungen. Wir haben erlebt, dass im letzten Winter die Masern ausgebrochen sind. Daher brauchen wir geeignete Möglichkeiten, um die Impfquote zu erhöhen. In der Umsetzung wird sich zeigen, wo wir weitere Hilfestellung leisten müssen. Der dritte wichtige Punkt ist: Lasst uns, bitte schön, all diejenigen, die eine Qualifikation im Gesundheitsbereich haben und bereits in ihrem Herkunftsland aktiv einen entsprechenden Beruf ausgeübt haben, auch hier bei uns einspannen. Wir sollten diese Menschen bitten, bei uns Hilfe zu leisten, damit wir keine Dolmetscherprobleme haben und wir eine Unterstützung bekommen, was den direkten kulturellen Zugang anbelangt. Das fände ich gut. Vielleicht sollte man das sogar ausweiten. An den Universitäten gibt es ja viele Arabisch sprechende Studierende. Vielleicht besteht die Möglichkeit, auch sie einzubeziehen.Auch auf dieser Seite gibt es ein großes ehrenamtliches Engagement. Sie heben In Ihrem Antrag einen vierten Punkt heraus, der uns natürlich alle beschäftigt: Ja, es gibt keine Teilung von Körper und Seele. Die Menschen kommen mit körperlichen, aber auch mit seelischen Problemen zu uns. Hier denken wir natürlich insbesondere an die Kinder und Minderjährigen, die unsere Unterstützung brauchen. Dabei sollten wir uns auf den Sach- und Fachverstand der Psychotherapeuten und Psychiater verlassen, die uns Vorschläge gemacht haben, und zwar auch über die Kassenzulassung hinaus. Wir alle haben sicherlich in gewisser Weise Kontakt zu den entsprechenden Zentren – ich selbst bin Mitglied im Förderverein des Behandlungszentrums für Folteropfer Ulm – und wissen, welch wichtige Arbeit sie leisten. Sie sind für die Bewältigung der vor uns stehenden Herausforderungen ein wichtiger und zentraler Baustein. Da es aber nur circa 24 dieser Zentren gibt, erreichen sie womöglich nicht alle Flüchtlinge. Deswegen ist es wichtig, auch die Angebote der Kammern anzunehmen, die uns vorschlagen: Lasst uns doch ein E-Learning-Programm auflegen, mit dem wir Ehrenamtliche schulen, sodass sie psychische Probleme erkennen, wenn sie vorliegen. – Die 2 Millionen Euro, die dafür aufzuwenden sind, sind angesichts der vorhandenen Problematik sicher als überschaubar zu bewerten. Die Kammern schlagen auch vor: Lasst uns wesentlich stärker eine Therapieform anwenden, die die Menschen nicht über Sprache, sondern über Augenbewegungen erreicht. – Das kann man in dieser Phase für die Problembewältigung sicherlich aufgreifen. All das muss nun gebündelt und organisiert werden. Uns als SPD beschäftigt dies sehr stark, weil wir den Bereich der Gesundheit als sehr wichtig für die Befindlichkeit, den Austausch und die Integration der Menschen in unsere Gesellschaft ansehen. Wir wollen, dass die Organisation über die Taskforce etwas konzentrierter gestaltet wird. Man darf sich zum Beispiel bei der Lösung der Problematik, woher man fahrbare Röntgengeräte für den Einsatz in den Ländern bekommt, nicht auf Privatinitiativen verlassen; das muss vielmehr zentral gesteuert werden. Deshalb haben wir den Anspruch an die Bundesebene, auch an das Bundesinnenministerium, dass die Taskforce des Bundes diese Dinge ein Stück weit stärker und zentraler organisiert. Daneben müssen die Taskforces der Länder für die Weitergabe an die entsprechenden Stellen sorgen; denn das Ehrenamt muss unterstützt werden. Wir müssen auf politischer Ebene für die entsprechende Organisation und die notwendigen Rahmenbedingungen sorgen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt Emmi Zeulner. (Beifall bei der CDU/CSU) Emmi Zeulner (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Menschen in unserem Land fordern zu Recht Antworten vonseiten der Politik auf die aktuellen Entwicklungen. Für mich ist dabei das Wichtigste, dass die Politik die Realitäten anerkennt. Selbstverständlich hat jede Opposition das Recht, in ihren Anträgen Maximalforderungen zu formulieren; aber die Parteien, die in politischer Verantwortung stehen, müssen sich an den Realitäten messen lassen. Für mich ist Fakt, dass es für Deutschland in Bezug auf den Zustrom von Flüchtlingen eine Belastungsobergrenze gibt, und ich bitte, das auch anzuerkennen. Fakt ist auch, dass die Landratsämter und die Polizei in unserem Land nicht erst gestern an ihre Belastungsgrenze gestoßen sind. (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Du meine Güte!) Fakt ist weiterhin, dass die Ehrenamtlichen alles geben; aber auch sie sind keine unerschöpfliche Ressource. Wenn Flüchtlinge verteilt werden, geschieht es nicht selten – wie bei uns in Bayern, in München –, dass der eigentlich für 15 Uhr angekündigte Bus mit hundert Flüchtlingen erst zu später Stunde in der Nacht eintrifft oder dass der Bus plötzlich da ist und das Rote Kreuz sehr schnell reagieren muss. Die Ehrenamtlichen, die versuchen, diese Aufgabe zu bewältigen, haben aber auch noch einen Beruf, dem sie nachgehen müssen. Ein Krankenpfleger, der ehrenamtlich beim Roten Kreuz arbeitet, hat bis spät in die Nacht hinein Flüchtlinge zu untersuchen. Trotzdem muss er um 5 Uhr in der Früh aufstehen und im Krankenhaus arbeiten. Deswegen stellt sich für mich die Frage: Wie lange können wir diese Solidarität strapazieren? (Mechthild Rawert [SPD]: Durch eine bessere Organisation!) Wir haben aktuell die Situation – es ist mir wichtig, das zu schildern –, dass ein Flüchtling mit Krätze schnell zu behandeln ist. Er wird in der Praxis geduscht, eingecremt und für einen Tag isoliert. Wenn jetzt aber der Winter kommt, werden die Erstuntersuchungen andere Krankheitsbilder ergeben. (Hilde Mattheis [SPD]: Ja, Taskforce!) Das ist für unser System wirklich eine sehr große Herausforderung. Ich bin überzeugt, dass wir das schaffen können. Es wird aber nicht so reibungslos vonstattengehen, wie sich das manche vielleicht vorstellen. Bereits jetzt ist es so, dass wir in vielen Bereichen Abstriche machen, auch was die innere Sicherheit angeht. Da machen wir Kompromisse. (Hilde Mattheis [SPD]: Welche?) Es ist mir aber wichtig, zu sagen, dass wir – entgegen den Unterstellungen, die hier laut geworden sind – jeden Flüchtling, der bei uns ankommt, im Notfall natürlich gut versorgen. Liebe Kollegen vom BÜNDNIS 90/Die Grünen, Ihr Antrag zur Verbesserung der psychotherapeutischen und psychosozialen Versorgung von Asylsuchenden und Flüchtlingen in allen Ehren: Die Forderung, dass „Schutzsuchende innerhalb von höchstens 15 Tagen nach Antragstellung in einer ihnen verständlichen Sprache umfassende Information und Beratung über ihre Ansprüche nach der Aufnahmerichtlinie erhalten und hierbei insbesondere über ihr Recht auf angemessene medizinische, psychotherapeutische und psychosoziale Versorgung informiert werden“, hört sich sehr gut an, ist aber natürlich in der jetzigen Situation in gewisser Weise etwas realitätsfern. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin Zeulner, die Kollegin Klein-Schmeink würde Ihnen gerne eine Frage stellen. Lassen Sie das zu? Emmi Zeulner (CDU/CSU): Selbstverständlich. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Zeulner, ist Ihnen bekannt, dass der Passus wortgleich in der EU-Richtlinie enthalten ist, die wir bereits seit August 2015 zu erfüllen haben – wir begehen im Moment sogar Vertragsverletzungen –, und dass genau diese Regelung hier in Kürze sowieso beschlossen werden muss? Natürlich müssen wir Sorge tragen, dass die Flüchtlinge nicht nur Schutz und Unterstützung bzw. gesundheitliche Versorgung erhalten, sondern auch wissen, dass sie überhaupt Anspruch auf diese Hilfen haben. Genau das würde damit geregelt. Das steht eins zu eins so in der EU-Richtlinie. Insofern entspricht diese Passage schlichtweg der Umsetzung schon vorhandenen Rechts in deutsches Recht. Emmi Zeulner (CDU/CSU): Ja, es geht eben darum, dass wir das in die Praxis umsetzen. In der Richtlinie steht es sehr gut, auch in Ihrem Antrag steht es sehr gut. Wenn wir das beschließen, wird es auch im Beschluss entsprechend gut stehen. Wir brauchen aber eine Umsetzung in der Praxis. Deshalb habe ich zu Beginn meiner Rede dafür plädiert, dass wir die Realitäten einfach ein bisschen mehr anerkennen. Im Moment stehen wir einfach vor anderen großen Herausforderungen, sodass dies in gewisser Weise schon ein Stück weit in den Hintergrund rückt. Das sind die Realitäten, die ich bitte anzuerkennen. (Beifall bei der CDU/CSU – Mechthild Rawert [SPD]: Wollen wir jetzt die EU-Richtlinie nicht umsetzen?) Sie haben für alle Flüchtlinge – egal ob es sich um einen Wirtschaftsflüchtling oder um einen tatsächlich Verfolgten handelt – ab dem ersten Tag ihrer Ankunft einen uneingeschränkten Zugang zum Gesundheitssystem gefordert. Das kann ich einfach nicht unterstützen. Auch wenn die Kollegin von der Linken etwas anderes behauptet: Selbstverständlich brächte das weitere Pull-Effekte mit sich, und genau diese Pull-Effekte gilt es zu vermeiden. Auch wenn in Gesundheitsdebatten immer wieder suggeriert wird, die Gesundheitsversorgung in Deutschland sei nicht so gut und so attraktiv, ist festzustellen, dass die Leute aufgrund unserer im internationalen Vergleich guten Gesundheitsversorgung zu uns kommen. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schauen Sie sich einfach mal die Studien an!) Ich mache niemandem einen Vorwurf; aber es ist auch hier Teil der Realität, dass es einen weiteren Pull-Effekt gäbe, wenn wir sagen würden: Jeder, der zu uns kommt, hat ab dem ersten Tag die gleichen Ansprüche wie ein gesetzlich Krankenversicherter. (Mechthild Rawert [SPD]: Das ist einfach falsch!) – Doch, das stimmt. Wir würden innerhalb der Europäischen Union ein weiteres Gefälle bei der Versorgung schaffen. Wenn wir in Zukunft eine faire Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der Europäischen Union anstreben, dann müssen wir auch unsere Standards angleichen. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das ist doch ideologisch verfasstes Zeug, was Sie da erzählen!) Nur dann können wir sicher sein, dass die Verteilung funktioniert und die Flüchtlinge bzw. anerkannten Asylbewerber in dem ihnen zugewiesenen Land bleiben. Sie haben weiter die Ausgabe einer Gesundheitskarte gefordert. Diese Entscheidung wird den Ländern überlassen. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Schert Bayern wieder aus?) – Ja, weil wir darin einen falschen Anreiz sehen. Das würde in gewisser Weise auch einen Verlust an Sicherheit in unserem Land bedeuten. (Mechthild Rawert [SPD]: Wegen TBC, oder was?) – Nein. Aber wenn sich ein Flüchtling beim Landratsamt melden muss, besteht die Möglichkeit, noch einmal zu kontrollieren: Wer ist da, und wo genau befindet er sich gerade? (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viele Personen haben Sie denn in Ihrem Landratsamt?) Wir in Bayern, um das noch einmal deutlich zu sagen, werden die Gesundheitskarte nicht einführen. Aber wir leben in einem föderalen System, und das hat uns so stark gemacht. (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen gilt in einem Stadtstaat wie Bremen anderes als in einem Flächenstaat wie Bayern. Ich möchte aber auf Folgendes hinweisen: Das bayerische System hat sich bewährt. In jeder Erstaufnahmeeinrichtung sowie in den Notunterkünften gibt es Ärztezentren und Konsiliardienste, die für die psychiatrische Betreuung zuständig sind. (Hilde Mattheis [SPD]: Ich sage nur: Masern in München!) Wenn eine weitere fachliche Expertise gefordert ist, erfolgt natürlich eine Überweisung zum Facharzt. Auch ich erkenne die Realitäten an und sehe, dass wir aufgrund der steigenden Zahl an Flüchtlingen einen weiteren Bedarf haben, was die psychotherapeutische und psychiatrische Behandlung angeht. Deswegen unterstütze ich den Vorschlag der Bundesregierung, die Zulassungsverordnung für Vertragsärzte zu ändern und eine sichere, zeitnahe und kontinuierliche psychotherapeutische und psychiatrische Behandlung von Flüchtlingen zu gewährleisten. Auch die Zusicherung, das Angebot an Personal im medizinischen System zu erweitern, muss mit Leben erfüllt werden. Das wird schwer genug werden. Ich halte den vorliegenden Vorschlag für eine seriöse und machbare Antwort auf die aktuellen Herausforderungen. Er zeichnet sich durch eine gewisse Nachhaltigkeit, Professionalität und – diesen Begriff darf man an dieser Stelle eigentlich nicht in den Mund nehmen; ich mache es trotzdem – Bezahlbarkeit aus. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wissen Sie, dass die teuerste Behandlung die im stationären Bereich ist, wenn Sie die Leute alle ins Krankenhaus bringen müssen?) Über alles Weitere werden wir im Ausschuss diskutieren. Wie schon die Kollegin von der SPD gesagt hat: Wir brauchen pragmatische Lösungen. Davor verschließen wir uns nicht. Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dirk Heidenblut, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dirk Heidenblut (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich muss zugeben: Nach dem letzten Vortrag fällt es mir recht schwer, meine geplante Rede zu halten. Ich will zumindest auf einige Aspekte kurz eingehen. Erstens. Die Tatsache, dass viele Menschen zu uns kommen, muss natürlich dazu führen, dass wir einzelne Bereiche entlasten. So werden wir etwa 3 000 Polizeibeamte zusätzlich einstellen und Ähnliches mehr. Aber das darf nicht dazu führen, dass wir Menschen, die Not, Verfolgung und Elend erlebt haben und bei uns Hilfe und Zuflucht suchen, durch Zugangsbeschränkungen vor der Tür stehen lassen und im Zweifel in Ungarn verhungern lassen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das kann nicht das Ergebnis sein. Das ist auch nicht unsere Politik. Zweitens. Für mich heißt eine Anpassung der Standards zunächst einmal, die Standards nach oben und nicht nach unten anzugleichen. Das heißt, wir sollten alles versuchen, die anderen europäischen Länder mitzunehmen. (Emmi Zeulner [CDU/CSU]: Ist das die Realität?) – Frau Zeulner, ob das die Realität ist oder nicht: Wir müssen versuchen, Realitäten zu schaffen, und wir haben die Möglichkeit, auf die Realitäten in Europa Einfluss zu nehmen. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Oder möchten Sie unterstellen, dass unsere Kanzlerin keinen Einfluss in Europa hat? Wir sollten also alles tun, um die Standards anzuheben und nicht nach unten zu drücken. Drittens. Lassen Sie mich als energischen Verfechter der elektronischen Gesundheitskarte auch für Flüchtlinge und als jemand, der sich sehr freut, dass das Flächenland Nordrhein-Westfalen diese Einführung sehr konsequent umgesetzt hat, sagen: Sie machen in Bayern einen Fehler, wenn Sie das nicht tun. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU) Aber das ist Ihnen als Land überlassen. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das überlassen Sie mal uns!) – Ja, das überlassen wir Ihnen ja auch. (Mechthild Rawert [SPD]: Mit schwerem Herzen!) Bayern überlassen wir Ihnen. (Zuruf von der SPD: Das musst du richtigstellen!) – Ja, Entschuldigung: nicht ganz, nur was die Gesundheitskarte angeht, sonst nicht. Jetzt komme ich aber auf den Antrag zurück. Ich finde gut, dass dieser Antrag vorliegt; denn Sie rücken damit einen Aspekt in den Fokus, der bei aller berechtigten Konzentration auf die Frage der Unterbringung, Verpflegung und Versorgung nicht verloren gehen darf. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Recht hat der Mann!) Als Gesundheitspolitiker kann ich nur sagen: Auch die Erstuntersuchung und die Frage der Versorgung von Traumata oder Traumafolgeschäden gehören zum unmittelbaren Bedarf. Wenn wir uns in diesem Bereich nicht auf den Weg machen, wird es schwierig. Aufgrund der nahezu unvermeidlichen schrecklichen Erfahrungen vieler Flüchtlinge, die zu uns kommen – zum Großteil haben sie Folter, Krieg, Vertreibung und ähnliches Leid selbst erlebt, oder sie haben es bei Freunden, Verwandten oder Begleitern auf der Flucht miterlebt –, haben viele von ihnen – die Zahlen sind schon genannt worden – mit erheblichen psychischen Problemen und Traumata zu kämpfen. Wir müssen versuchen, diesen Flüchtlingen die nötige Hilfe zu geben, aber den Eindruck vermeiden, bei allen Flüchtlingen sei automatisch von einem Trauma auszugehen. Das ist natürlich nicht der Fall; denn es gibt sicherlich viele, die das Erlebte anders überstehen. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal den psychosozialen Zentren danken, die eine Herkulesaufgabe zu leisten haben. Diese Zentren, die – Frau Klein-Schmeink hat es bereits angesprochen – schon vorher nicht optimal aufgestellt waren, haben jetzt noch ein richtiges Pfund dazubekommen. Ich möchte ihnen ausdrücklich dafür danken, wie engagiert sie versuchen, zu helfen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie sind in der aktuellen Situation in der Zahl – das macht Ihr Antrag deutlich – etwas zu wenige; sie liegen zu weit auseinander, sind unzureichend finanziert und ausgestattet. Es gibt zwar weitere Traumazentren und Spezialeinrichtungen – das weiß ich aus meiner Heimatstadt –; aber wir müssen erst einmal die Wege ebnen, damit sie mit diesen speziellen Formen der Traumata, die uns in Deutschland glücklicherweise nicht so vertraut sind, umgehen können. Ich möchte eines deutlich sagen: Die Frage, ob das Teil der Gesundheitsleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ist oder nicht, darf hier eigentlich keine Rolle spielen; denn wir müssen an dieser Stelle die nötige Hilfe erbringen. Für mich liegt unzweifelhaft ein sofortiger Behandlungsbedarf vor. (Beifall der Abg. Sabine Dittmar [SPD]) Das wäre nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ebenso der Fall. Die erforderliche Therapie ist aus meiner Sicht sozusagen die OP am akut entzündeten Blinddarm. Auch wenn man das eigentlich nicht vergleichen kann – das sage ich mit Blick auf einen anwesenden Arzt –, gibt es insofern Ähnlichkeiten, als dass auch eine nicht geleistete erforderliche Therapie bedeutet, dass keine Hilfe geleistet wird, und wenn wir das laufen lassen, werden die Folgeschäden exorbitant sein. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Das ist im Übrigen auch für die Helferinnen und Helfer sowie für die Lehrer und Erzieher in den Einrichtungen wichtig. Denn wir haben es hier sehr häufig mit Patientinnen und Patienten zu tun, die von sich aus gar keine Krankheitseinsicht haben, wie man so schön sagt, und womöglich gar nicht zum Arzt gehen würden. Aber den Helferinnen und Helfern fallen die Symptome auf. Den Lehrern und Erziehern fällt auf, wenn etwas nicht stimmt. Sie müssen Unterstützung und Hilfe bekommen, damit sie damit nicht allein gelassen werden und die Probleme am Ende in den Schulen oder Kindergärten landen, ohne dass es Möglichkeiten gibt, darauf einzugehen. Jetzt habe ich mich durch die einführenden Worte selbst herausgebracht, Frau Präsidentin. Ich werde versuchen, zum Schluss zu kommen. Gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung. Eines sollten wir immer im Blick behalten: Die Menschen, um die es hier geht, werden wohl bei uns bleiben. Wir werden sie integrieren müssen, und das wollen wir auch. Deshalb ist es grob fahrlässig, im Vorfeld die erkennbar hohen Risiken durch Traumatisierung außer Acht zu lassen, statt so schnell wie möglich im Interesse aller Beteiligten und auch unserer Gesellschaft darauf einzugehen. Ich bedanke mich ganz herzlich für die Aufmerksamkeit und freue mich auf die weitere Diskussion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Vorlage auf Drucksache 18/6067 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Drucksache 18/5923 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich sehe, dass Sie damit einverstanden sind. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Michael Meister. Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben hier ein wirtschaftspolitisch, steuerpolitisch und verfassungsrechtlich bedeutsames Thema auf der Tagesordnung. (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch gesellschaftspolitisch!) Aus unserer Sicht ist es von zentraler Bedeutung, dass wir die besondere Kultur der Familienunternehmen in Deutschland erhalten. In den Familienunternehmen hat der Inhaber eine personelle Verantwortung gegenüber seinen Arbeitnehmern und dem Geschehen im Unternehmen. Mit dieser Kultur unterscheiden wir uns wesentlich von kapitalmarktfinanzierten Ländern wie etwa den Vereinigten Staaten oder Großbritannien. Wir wollen in Deutschland bei der nun anstehenden Reform diese Kultur erhalten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ingrid Arndt-Brauer [SPD]) Wir sprechen hier über 60 Prozent der Arbeitsplätze und über mehr als 90 Prozent der Unternehmen in Deutschland. Deshalb ist es wirtschaftspolitisch von zentraler Bedeutung, wie wir uns an dieser Stelle positionieren. Wir müssen uns in Erinnerung rufen, dass für ein Familienunternehmen die Generationenübergabe eine Schlüsselsituation ist, in der es darum geht, die Weiterführung des Unternehmens in die Zukunft zu gewährleisten. Wir sollten dabei keine Hindernisse in den Weg stellen, sondern darauf achten, dass bestehende Unternehmen und Arbeitsplätze sicher in die nächste Generation geführt werden können. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir werden dabei zwischen der steuerpolitischen Betrachtung – es handelt sich um einen Vermögenszufluss aufseiten des Erben oder des Beschenkten – und der Verantwortung für das Unternehmen und seine Mitarbeiter abwägen. Wir streben eine ausgewogene Lösung an. Ich will ausdrücklich sagen, dass wir eine verfassungskonforme Lösung wollen, die diesem Ziel entspricht. Unsere Absicht ist nicht das Erzielen von Steuermehreinnahmen. Das ist kein Ziel dieses Gesetzes. (Beifall bei der CDU/CSU) Seit 1995 gab es bislang drei Urteile in Karlsruhe zur Erbschaft- und Schenkungsteuer. Der Tenor der Urteile lautete jedes Mal: „Ja im Grundsatz, aber...“. Beim vierten Anlauf sollten wir uns daher auf eine nachhaltig rechtssichere Lösung konzentrieren und darauf achten, dass das Ganze verfassungskonform ist. Das liegt hochgradig auch im Interesse der betreffenden Arbeitnehmer und Unternehmen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müsst ihr aber deutlich nachbessern!) – Diese Aufgabe wird auch durch Zurufe nicht weniger komplex. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) Selbst das Bundesverfassungsgericht hat zur Erläuterung der Frage, ob eine Abweichung vom in Artikel 3 des Grundgesetzes verankerten Gleichheitsgrundsatz aus Gründen des Erhalts von Arbeitsplätzen, Unternehmen und Familienunternehmenskultur erlaubt werden kann, nahezu 300 Randnummern in seinem Urteil gebraucht. Das zeigt die Komplexität der Aufgabe. Wir haben uns vorgenommen, an der bisherigen Grundkonzeption festzuhalten; denn die Grundkonzeption der Verschonung ist im Urteil ausdrücklich als zulässig und mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt worden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir werden uns also auf diejenigen Punkte konzentrieren, bei denen das Bundesverfassungsgericht Korrekturen angemahnt hat. Ich will diese vier Punkte benennen: Der erste Punkt ist die Tatsache, dass mit zunehmender Größe des Unternehmens und damit mit zunehmender Größe des Erbes die Abweichung von dem in Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes verankerten Gleichheitsgrundsatz zunimmt. Deshalb muss es ab einer gewissen Unternehmensgröße eine besondere Rechtfertigung geben, um eine Verschonung gewähren zu können, Stichwort „Bedürfnisprüfung“. Der zweite Punkt ist die Tatsache, dass eine große Zahl der Unternehmen – weit über 90 Prozent – weniger als 20 Mitarbeiter hat. Das Verfassungsgericht hat uns aufgetragen: Wenn der Erhalt der Arbeitsplätze im Mittelpunkt steht, dann muss dies auch entsprechend verifiziert werden. Der dritte Punkt ist die Tatsache, dass bisher zugelassen ist, dass 50 Prozent des Verwaltungsvermögens der Verschonung unterliegen. Diesen Umfang hat das Verfassungsgericht nicht akzeptiert. Der vierte Punkt ist die Tatsache, dass es in unserem Land viele hochintelligente Steuerberater gibt, die immer wieder dazu neigen, bestimmte Gestaltungen auszuprobieren. Das Verfassungsgericht hat uns beauftragt, solche Gestaltungen, wenn sie erkennbar werden, zu unterbinden. Dieser Auftrag ist nicht an die Steuerberater gerichtet, sondern an den Gesetzgeber, der hier vor mir sitzt. Diesen Auftrag sollten wir ernst nehmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Mit dem Gesetzentwurf, den die Bundesregierung am 8. Juli 2015 im Kabinett beschlossen hat und der heute in den Deutschen Bundestag eingebracht wird, wird versucht, die wirtschaftspolitische, steuerpolitische und verfassungsrechtliche Dimension aufzugreifen. Wie haben wir die vier angemahnten Korrekturen umgesetzt? Wir haben zunächst einmal festgelegt: Als groß gilt, wer dem höchsten Erbschaftsteuersatz unterliegt. Sobald der Wert des begünstigten Vermögens die Grenze von 26 Millionen übersteigt, haben wir es mit größeren Erbschaften zu tun. Wir betrachten dabei nicht die Größe des Unternehmens, sondern den einzelnen Erben oder Beschenkten gemäß dem Unternehmensanteil, der ihm zufließt. Das ist also die vorgeschlagene Grenzgröße. Oberhalb dieser Grenze lassen wir den Erben oder Beschenkten die Wahl. Sie haben zwei Optionen: Die eine ist, eine Bedürfnisprüfung vornehmen zu lassen, die andere ist, ein sogenanntes Abschmelzmodell, bei dem der Grad der Verschonung mit zunehmendem Vermögen reduziert ist, zu wählen. Ich glaube, das ist ein vernünftiges und faires Angebot. Bei dem Verschonungsabschlag, also bei der zweiten Option, verringert sich die Verschonung um jeweils 1 Prozentpunkt für jede vollen 1,5 Millionen Euro, die der Wert des begünstigten Vermögens die Grenze von 26 Millionen Euro übersteigt. Das geht bis zu einer Größenordnung von 116 Millionen Euro. Danach gilt eine feste Verschonung. Wir, die Bundesregierung, glauben, dass wir damit den verfassungsrechtlich gezogenen Rahmen ausgeschöpft haben und keinerlei Spielraum besteht, noch weiter zu gehen. Bei der Bedürfnisprüfung wird die Erbschaftsteuerschuld festgestellt und erlassen, soweit der Erbe sie nicht aus nichtunternehmerischem Vermögen bzw. der Hälfte seines nichtunternehmerischen Vermögens bedienen kann. Zum Thema Lohnsumme schlagen wir vor, dass wir bei der bisherigen Konzeption bleiben. Wir haben die Länder, die Bundestagsfraktionen und auch die Öffentlichkeit gefragt, ob es einen anderen geeigneten Parameter gibt, um Kleinstunternehmen, die wir von der Lohnsummenprüfung verschonen wollen, abzugrenzen. In der Diskussion der letzten Monate ist deutlich geworden, dass der Parameter „Anzahl der Mitarbeiter“ der richtige ist. Wir haben versucht, die Zählweise etwas praxisnäher auszugestalten. Wir schlagen jetzt als Grenze die Anzahl 3 vor, damit wir das Verhältnis von Regel und Ausnahme in die richtige Balance bringen. Der Vorwurf des Bundesverfassungsgerichts lautete ja, dass wir den Ausnahmefall zur Regel erklären. Ich glaube, wir müssen den Regelfall zur Regel erklären. Das versuchen wir mit diesem Ansatz. Weil das Ausscheiden eines Mitarbeiters aus einem kleinen Unternehmen natürlich eine besondere Auswirkung auf die Prozentzahlen hat, haben wir uns darauf verständigt, die Anforderungen an die Lohnsumme bei Unternehmen mit einer Mitarbeiteranzahl zwischen 4 und 15 zu reduzieren. So wird die Wirkung des Ausscheidens eines Mitarbeiters vernünftig abgebildet. (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Sehr guter Vorschlag!) Ich weiß, dass es an dieser Stelle viele Diskussionen gibt, aber, ich glaube, es ist ein richtiger Ansatz. (Beifall bei der CDU/CSU) Zu den Punkten 3 und 4 des Bundesverfassungsgerichtsurteils: Gestaltungsanfälligkeit, 50 Prozent Verwaltungsvermögen. Wir schlagen an dieser Stelle vor, einen neuen Ansatz zu wählen, von der seitherigen Definition „Verwaltungsvermögen“ abzugehen und zu einer Definition „Hauptzweck“ zu kommen. Das heißt, wir definieren positiv, was wir verschonen wollen, und treffen nicht eine Negativdefinition, in der wir erklären, was wir nicht verschonen wollen. Die Negativdefinition war so, dass wir eine Aufzählung hatten und Ausnahmen von der Aufzählung und Rückausnahmen von der Aufzählung gemacht hatten. Ich glaube, es ist vernünftig, hier einen positiven und geraden Ansatz zu wählen. Das erspart uns möglicherweise, Frau Präsidentin, dass wir in der Zukunft noch öfter und länger über die Erbschaftsteuer sprechen müssen. Ich hoffe, dass die Kollegen hier im Haus und auch die Kollegen im Bundesrat damit eine gute Grundlage für die anstehenden Gesetzesberatungen haben, und hoffe im Interesse der Unternehmen und der Arbeitnehmer in Deutschland, dass wir in dieser Diskussion zu einem guten Ergebnis kommen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Nächster Redner ist der Kollege Richard Pitterle, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Richard Pitterle (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer auf der Tribüne! Seit vielen Wochen und Monaten wird die Erbschaftsteuer auf Betriebsvermögen von den Lobbyverbänden als todbringende Gefahr für den Mittelstand gegeißelt. Und ich sage Ihnen vorweg: Ich kann dieses Märchen wirklich nicht mehr hören. (Beifall bei der LINKEN) Erst einmal zur Erinnerung: Das Bundesverfassungsgericht hatte Ende letzten Jahres verlangt, die weitreichenden Verschonungsregeln für Erbinnen und Erben von Unternehmen bei der Erbschaftsteuer einzuschränken. Als dann das erste Eckpunktepapier des Finanzministeriums zur Erbschaftsteuerreform herauskam, brach ein unfassbarer Propagandasturm der Lobbyisten los, der den Teufel in Form des Endes des Mittelstandes an die Wand gemalt hat. Unter diesem Druck ist der Gesetzentwurf entstanden, der heute vor uns liegt. Er besteht letztlich wieder aus großzügigen Steuergeschenken an die Unternehmensdynastien. Die Linke wird dem nicht zustimmen. Die Geschenke sehen so aus: Wird Betriebsvermögen vererbt, winken den Erbinnen und Erben, abhängig vom Vermögenswert und unter der Voraussetzung, dass sie das Unternehmen eine bestimmte Zeit weiterführen, satte Verschonungsbeträge. Erbt man zum Beispiel ein Unternehmen im Wert von 20 Millionen Euro und führt man den Betrieb über sieben Jahre unter Einhaltung einer bestimmten Lohnsumme für die Beschäftigten weiter, so erhält man einen Abschlag von 100 Prozent. (Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Das ist gut für die Beschäftigten!) Man muss also überhaupt keine Erbschaftsteuer zahlen. Erbt man mehr als 26 Millionen Euro, so ist künftig eine Verschonungsbedarfsprüfung vorgesehen. Das heißt, man muss, um in den Genuss einer Verschonung zu kommen, darlegen, dass man sozusagen bedürftig ist und die Steuerschuld nicht begleichen kann. Diese Prüfung hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil angemahnt. Es ist eigentlich schon kaum vorstellbar, dass jemand, der Unternehmensvermögen im Wert von zum Beispiel 70 Millionen Euro erbt, bedürftig sein soll und sich die Zahlung der Erbschaftsteuer nicht leisten kann. Aber jetzt kommt der Hammer: Um den Wohlhabendsten unserer Gesellschaft noch weiter entgegenzukommen, wurde für Erbfälle über dieser besagten Grenze von 26 Millionen Euro noch das sogenannte Abschmelzmodell eingeführt. Anstatt sich einer Bedarfsprüfung zu unterziehen, können sie alternativ dieses Modell wählen und bekommen bei Fortführung des Unternehmens immer noch einen satten Verschonungsabschlag, ganz egal, wie viel sie erben und ob sie überhaupt bedürftig sind. Wer Hartz IV bekommt, wird auf das Gründlichste durchleuchtet, bevor gezahlt wird, aber bei den Reichen macht man natürlich wieder eine Ausnahme, und das ist eine Frechheit, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) Es ist angesichts der genannten Zahlen auch absolut lächerlich, vom Ende des deutschen Mittelstands zu sprechen. Das immer wiederkehrende Argument, dass die Unternehmen und somit die Arbeitsplätze durch die Erbschaftsteuer in ihrer Existenz gefährdet seien, ist an den Haaren herbeigezogen. Folgende Fakten müssen von allen Beteiligten endlich einmal zur Kenntnis genommen werden: Erstens. Bis heute ist kein einziger Fall bekannt, in dem ein Unternehmen an der Last der Erbschaftsteuer zugrunde gegangen wäre; wohlgemerkt: weder vor noch nach Einführung der Verschonungsregeln im Jahr 2009. Sollte ein Unternehmen tatsächlich einmal aufgrund anstehender Erbschaftsteuerzahlungen in Schieflage geraten, was – ich muss es einfach wiederholen – noch nie passiert ist, so ließe sich dies ganz einfach über eine Stundung, im Extremfall sogar über einen Steuererlass regeln. Zweitens. Die Lobbyisten nutzen hier gern das romantische Bild des Familienunternehmens. Es geht aber bei der vom Bundesverfassungsgericht angemahnten Verschärfung der Verschonungsregeln gar nicht um den kleinen Bäckereibetrieb oder das in dritter Generation geführte Familienhotel, sondern vor allem um schwerreiche Unternehmensdynastien wie die Familie Quandt und Co. Von der von den Lobbyisten verteufelten Bedarfsprüfung etwa sind nach dem jetzigen Entwurf gerade einmal weniger als 2 Prozent aller Unternehmen in Deutschland überhaupt betroffen. Dritter und wichtigster Punkt: Auch hierzulande nimmt die Vermögenskonzentration immer weiter zu. Immer mehr Vermögen befindet sich in immer weniger Händen. Mittlerweile besitzt 1 Prozent der Bevölkerung in Deutschland ein Drittel des gesamten Vermögens, während die unteren 50 Prozent, also die ärmere Hälfte der Bevölkerung, gerade einmal 1 Prozent des Gesamtvermögens besitzt. Hier wäre die Erbschaftsteuer ein adäquates Mittel, um dieser unheilvollen Entwicklung und der fortschreitenden Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken. Die derzeitigen Einkünfte aus der Erbschaftsteuer betragen aber weniger als 1 Prozent des gesamten Steueraufkommens. Da ist noch reichlich Luft nach oben – auch und gerade bei den Erbinnen und Erben großer Unternehmensvermögen. Ausgerechnet in der bayerischen Verfassung steht übrigens ein Satz, den ich Ihnen an dieser Stelle nicht vorenthalten will: Die Erbschaftssteuer dient auch dem Zwecke, die Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen einzelner zu verhindern. Und auch im Grundgesetz steht: Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Ich meine, diese beiden Verfassungsnormen sollten die Richtschnur für diese Erbschaftsteuerreform sein. (Beifall bei der LINKEN) Und wo wir gerade beim Verfassungsrecht sind: Meine Damen und Herren von der Großen Koalition, ich streite zwar gerne mit Ihnen über Ihre unbegründeten Ängste bezüglich des deutschen Mittelstands. Dennoch will ich Ihnen den Hinweis geben, dass Ihre ganze Dampfplauderei, mit der Sie Ihr Steuergeschenk durchs Plenum wuchten wollen, (Max Straubinger [CDU/CSU]: Hey, hey!) am Ende umsonst gewesen sein wird. Wenn Sie nämlich dieses Gesetz so verabschieden, wird der nächste Gang nach Karlsruhe nicht lange auf sich warten lassen. Das Bundesverfassungsgericht wird das Gesetz allein schon wegen Ihres Abschmelzmodells kassieren, und das zu Recht. An Herrn Schäuble gerichtet, der heute nicht da ist, aber die Diskussion sicherlich vor dem Fernseher verfolgt: Wenn es um die Sparauflagen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Griechenland geht, dann zeigen Sie unbarmherzige Härte. Nach unten lässt sich immer leicht treten, aber bei der Lobby der Superreichen knicken Sie trotz der eindeutigen Hinweise des Bundesverfassungsgerichts sofort ein. Das finde ich, mit Verlaub, beschämend. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU]) Ganz besonders bitter ist für mich übrigens der Beitrag eines Teils der SPD bei diesem Trauerspiel. Ausgerechnet der SPD-Finanzminister meines Bundeslandes hat Schäuble noch rechts überholt und eine noch umfassendere Verschonung der Erbinnen und Erben von Betriebsvermögen gefordert. Da kann man sich wirklich nur noch an den Kopf fassen! Ich hoffe, dass wenigstens die Grünen nicht einknicken, deren Stimmen für die Verabschiedung des Gesetzes im Bundesrat erforderlich sind. Meine Damen und Herren, wie Sie es auch drehen und wenden – am Ende gibt es für dieses riesige Steuergeschenk, das Sie den Unternehmenserbinnen und Unternehmenserben machen wollen, keine tragfähige Begründung. Das Mantra vom Untergang des Mittelstands und von massenhafter Arbeitsplatzvernichtung ist der allerletzte Quatsch. Die Verschonungsregelungen gehören ersatzlos gestrichen. Alle, auch die Unternehmenserbinnen und Unternehmenserben, müssen ihren Beitrag für die Gemeinschaft leisten und die ihren Verhältnissen angemessenen Steuern zahlen. Dafür wird zumindest die Linke kämpfen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Und für die Enteignung!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Lothar Binding. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer hier im Haus und auch an den Fernsehern! Als Dr. Meister vorhin das Modell sehr schön und geschickt, wie ich fand, erklärt hat, da hat er gesagt, dass bei dem Betrag von 26 Millionen Euro eine Grenze ist. Bei einem geerbten Vermögen bis zu einem Betrag von 26 Millionen Euro wird man zu 100 Prozent verschont bzw. kann eine 100-prozentige Verschonung erreichen. Jetzt müssen Sie aufpassen: Jeder hier im Saal oder von den Zuschauern, der mehr als 26 Millionen Euro erbt, wird von dem Betrag, der die Summe von 26 Millionen Euro übersteigt, ein klein wenig versteuern müssen. Erst ab einer Summe von weit mehr als 100 Millionen Euro wird die Steuer, die wir uns überlegt haben, dann überhaupt zur Geltung kommen. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das hört sich gerecht an!) Ich rate Ihnen also jetzt schon einmal zu ein bisschen Panik; denn die Belastung von Vermögen oberhalb von 26 Millionen Euro wird Sie alle ereilen. (Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]) – Christian von Stetten muss jetzt seine Rede umschreiben. – Interessant ist: In der Gemeindeordnung von Baden-Württemberg steht, dass man, wenn der Anschein der Befangenheit besteht, nicht an der Abstimmung teilnehmen darf. Wer sich jetzt einmal die Berichterstatter der Union anschaut, kann sich seinen Teil denken. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Von 100 Milllionen bin ich noch weit entfernt!) Das Gute an dem Gesetz ist, dass wir die Erbschaftsteuer erhalten; das steht im Koalitionsvertrag. Das ist sehr gut. Das Schlechte ist, dass wir die optimale Lösung noch nicht gefunden haben. Wir wissen: Der heute vorliegende Gesetzentwurf ist nur ein Entwurf, und wir stecken sehr tief im Suchprozess nach einem Kompromiss. Vor wenigen Stunden hat ja auch der Bundesrat festgestellt, dass ihm einiges hinsichtlich der Verschonung zu weit geht. Es wird also sicher noch ein langer Weg werden. Ich bin gleichwohl optimistisch, dass wir einen Kompromiss finden. Wir kommen von sehr weit auseinanderliegenden Positionen. Das zeigt schon, wie sehr wir uns anstrengen müssen, einen Kompromiss zu finden. Das ist der Charakter einer Großen Koalition, und das ist auch gut so. Außerdem ist es nicht allein unser Problem. Das Bundesverfassungsgericht hat ja schon drei Mal Korrekturen verlangt: 1995, 2006 und 2015. Jedes Mal hielt es die entsprechende Regelung für verfassungswidrig. Jetzt gibt es also eine neue Aufgabe für uns. Daran sieht man schon: Ganz so einfach ist es nicht. Jetzt könnte man natürlich vermuten, dass das Bundesverfassungsgericht gesagt hat: Ihr belastet den Bürger zu stark. – Denn normalerweise will das Parlament vom Einzelnen immer zu viel Steuern. Das ist doch die große Idee. (Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Wir nicht!) Weit gefehlt! Wir wurden gerügt, weil wir vom Einzelnen für die Gemeinschaft zu wenig Steuern verlangt haben. Es ist doch eine interessante Beobachtung, dass das Bundesverfassungsgericht sagt, dass wir übervorsichtig waren. Wir waren sozusagen verfassungswidrig übervorsichtig. Die Übervorsichtigkeit begann aber erst ab einem bestimmten Vermögen, über das nur die verfügen, die richtig reich sind. Ich finde, das Bundesverfassungsgericht hat eine gute Entscheidung getroffen. Diese zeigt uns auch einen Weg. Wir hatten 2008 die Besteuerung der Vermögensarten am Verkehrswert orientiert, weil die vorherige Regelung ungerecht war. Das war sehr gut und hätte auch zu Mehreinnahmen führen können. Leider haben wir diese Mehreinnahmen, die wir gut hätten gebrauchen können, sofort dadurch kompensiert, dass wir wieder Begünstigungen eingeführt haben. Dadurch wurde dieser schöne Effekt, wenn man so will, wieder ruiniert. Das Dumme war: Das war zu viel des Guten, und zu viel des Guten ist das Schlechte. Die Unternehmer waren jedenfalls hochzufrieden. Das ist auch in Ordnung. Da schließe ich mich auch dem an, was Dr. Meister gesagt hat: Natürlich wollen wir die mittelständischen Strukturen in Deutschland erhalten. Natürlich wollen wir Familienunternehmen erhalten. Wir wären doch verrückt, wenn wir die Basis unseres Landes zerstören wollten. Wer will denn das? Diese wollen wir natürlich erhalten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Max Straubinger [CDU/CSU]: Ein guter Ansatz! Ein guter Gedanke!) Wir wollen aber auch, dass sie sich fair an der Stärkung der Gemeinschaft beteiligen. Um noch einmal auf die Verantwortung zurückzukommen: Man muss ja schon sagen, dass zwischen den beiden Urteilen die Erben von Unternehmen durch eine vorweggenommene Erbfolge mit allen denkbaren Nachhol- und Vorzieheffekten versucht haben, sich dieser marginalen und lächerlichen Steuer zu entziehen und dadurch Steuern in Milliardenhöhe zu sparen. Da meine ich: Wenn wir uns anstrengen, um mittelständische Strukturen und Familienunternehmen zu stärken, dann müssen diese sich auch anstrengen, die Gemeinschaft zu stärken. Das ist etwas Symmetrisches. (Beifall bei der SPD) Was uns an dem Urteil sehr gefreut hat, war, dass der Erhalt von Arbeitsplätzen im Interesse des Gemeinwohls liegt. Das heißt, wir können den Erhalt von Arbeitsplätzen als Rechtfertigung benutzen, um Unternehmer bzw. Erben von der Steuer zu befreien oder sie zumindest in dieser Hinsicht zu privilegieren, wenn sie Arbeitsplätze schaffen. Ich will trotzdem noch einmal eines erwähnen: Jemand, der einen Arbeitsplatz schafft, schafft diesen ja nicht, um keine Steuern zahlen zu müssen, sondern er schafft ihn, weil er damit eine Ertragserwartung verbindet. Denn denjenigen, der einen Arbeitsplatz schafft, um Verluste zu generieren, den möchte ich einmal kennenlernen. Der Arbeitsplatz ist nicht altruistisch, also selbstlos, geschaffen, sondern zum Zwecke der Gewinnerzielung. Hinsichtlich der Erbschaften haben mich manche Verbände sehr irritiert. Das, was vererbt wird, wurde natürlich zuvor vom Manager und dem Eigner erarbeitet. Es wird aber gelegentlich vergessen, dass bei den richtig dicken Erbschaften von über 100 Millionen Euro auch der eine oder andere Arbeitnehmer daran beteiligt gewesen ist, dieses Vermögen zu schaffen. Auch das muss man in den Blick nehmen, wenn man über Erbschaften redet. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nachdem wir also bewiesen haben, dass wir verfassungswidrig sensibel sind, erschreckt mich – das muss ich sagen – die simulierte Panik vieler Unternehmer. Wenn ich sehe, wie dick der Stapel der Gutachten ist, wie dick der Stapel von Briefen ist, die ich von Leuten bekomme, denen es richtig gut geht – deswegen schreiben sie gar nicht selber; meistens schreibt uns eine Rechtsanwaltskanzlei –, wie viele Gespräche, Anrufe, Podiumsdiskussionen und Besuche wir durchführen mussten, wie extrem hoch der Druck der Verbände, Vorstände, Einzelpersonen, Rechtsanwaltsbüros, Berater war, dann glaube ich, dass wir uns davon frei machen müssen. Wir brauchen eine eigene Meinung hinsichtlich der Besteuerung, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) damit sie gleichmäßig, gerecht und in angemessener Höhe, die wir definieren, erhoben wird, die wir auch verantworten können. Wir dürfen nicht vergessen, dass einer nicht anruft – das hat mich total enttäuscht –: Das Gemeinwesen hat überhaupt nicht angerufen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das Gemeinwesen hat nicht gesagt: Ihr müsst mehr Steuern einnehmen. Wir sorgen für Verkehrsinfrastruktur, wir sorgen für innere Sicherheit. Wir schaffen eigentlich die Basis für die Unternehmen, die die Gewinne erzielen, die anschließend nicht versteuert werden sollen. – Da das Gemeinwesen immer vergisst, anzurufen, müssen insbesondere wir uns darum gut kümmern. Ich glaube, wenn wir an das Gemeinwesen denken, sind wir mit der Erbschaftsteuer auf einem guten Weg. Jetzt will ich noch eine Lanze für die Unternehmer brechen. Mir ist nämlich aufgefallen, dass es eine große Diskrepanz gibt zwischen dem Bemühen der Verbände, mit uns etwas zu erreichen, und den Einzelunternehmern. Die Einzelunternehmer sagen mir in Gesprächen ganz oft: Ich hätte gerne eine unbürokratische, einfache Steuer mit einem Satz, den wir aushalten. Lasst das andere weg. – Das wäre eine synthetische Erbschaftsbesteuerung. (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: 6 Prozent! Schlag ein!) Dann würden die ganzen Sonderregelungen wegfallen können. Was wir leider aus Zeitgründen versäumt haben, ist, die anderen Modelle, die es gibt – vom Sachverständigenrat, vom Wissenschaftlichen Beirat beim BMF, vom Bundesverband der Steuerberater und auch vom Wirtschaftsministerium des Saarlands – näher zu untersuchen. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Neun Monate habt ihr dafür Zeit gehabt! Und nichts ist gekommen! – Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Wir machen 6 Prozent auf alles! Jetzt kannst du einschlagen!) Wir sollten uns etwas stärker darum kümmern; denn dann hätten wir eine gute Perspektive für eine Erbschaftsteuer. Wir werden an diesem Entwurf arbeiten. Ich bin immer noch optimistisch, dass wir es schaffen, einen guten Kompromiss zu finden. Daran wollen wir arbeiten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächste hat Lisa Paus das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist schwer zu toppen. Allerdings wäre es schön, wenn dem auch Taten folgen würden. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das schaffst du!) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der bayerischen Verfassung steht ein sehr schöner und klarer Satz: Die Erbschaftssteuer dient auch dem Zwecke, die Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen einzelner zu verhindern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine lieben Kollegen aus Bayern, Ihnen ist doch auch sonst alles Bayerische so heilig. Daher frage ich Sie heute: Warum halten Sie sich eigentlich mit Ihrer Politik nicht an Ihre eigene Verfassung? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Eines steht außer Frage: Weder die derzeitige verfassungswidrige Regelung der Erbschaftsteuer noch der hier heute vorliegende Gesetzentwurf werden diesem Zweck gerecht, meine Damen und Herren. Sie wollen weiterhin sehr großzügige Befreiungen – das haben wir schon gehört – bei einem Erwerb von Vermögen in Höhe von bis zu 52 Millionen Euro für Unternehmenserben ohne Prüfung gewähren, und das, wo man in Deutschland im Durchschnitt 120 000 Euro erbt. In Berlin liegt der Durchschnitt übrigens bei 65 000 Euro. Also: ein Erwerb von 52 Millionen Euro ohne Prüfung für die Unternehmenserben, auch wenn nicht ein einziger Arbeitsplatz gefährdet ist. Worum geht es jetzt? Es geht um die Korrektur. Am 17. Dezember hat das Bundesverfassungsgericht die derzeitige Erbschaftsteuerregelung für verfassungswidrig erklärt. So mancher Nicht-Steuerexperte hat tatsächlich erst infolge dieses Urteils mitbekommen, was die Große Koalition damals, 2008, beschlossen hat, was 2009 in Kraft getreten ist. Die bisherige Regelung ist schlichtweg unglaublich. Ich zitiere jetzt den Verfassungsrichter Reinhardt Gaier, der es in der mündlichen Anhörung des Bundesverfassungsgerichts so formuliert hat: Das geltende Erbschaftsteuergesetz ist eine Subventionierung des Großkapitals. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Man kann es auch wissenschaftlich formulieren: Die 4,5 Milliarden Euro Erbschaftsteuer, die jährlich seit 2009 erhoben wurden, wurden fast ausschließlich von der Mittelschicht gezahlt. Im Durchschnitt mussten diese Erben nämlich 14 Prozent Erbschaftsteuer pro Erbfall zahlen, während selbst Superreiche, etwa Erben von DAX-Konzernen, wegen der Steuerfreistellung von Betriebsvermögen bestenfalls – wenn es hoch kam – 2 Prozent Erbschaftsteuer zahlen mussten. 19 Milliarden Euro sind dem Fiskus dadurch bis 2013 verloren gegangen. Deswegen hat das Bundesverfassungsgericht zu Recht geurteilt: Die Privilegierung betrieblichen Vermögens ist … unverhältnismäßig, soweit sie über den Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen hinausgreift, ohne eine Bedürfnisprüfung vorzusehen. Zehn Monate später liegt jetzt ein Gesetzentwurf einer Großen Koalition vor. Man muss leider konstatieren: Er unterscheidet sich materiell kaum vom derzeitigen Gesetz. Das ist insbesondere für die SPD peinlich. Denn Sie von der SPD hatten sich ja auch mal für eine höhere Besteuerung von großen Vermögen eingesetzt – Sie haben es heute auch noch mal so formuliert –, (Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]: Das ist der Charakter von Kompromissen!) aber die Wahrheit ist, dass Wirtschaftsminister Gabriel, Ihr Parteivorsitzender, genau das verhindert: die Besteuerung von großen Vermögen. (Manfred Zöllmer [SPD]: Na ja, Ihr Ministerpräsident ist ja auch nicht viel besser! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir Grüne legen bei der Umsetzung des Urteils drei Kriterien an: Erstens. Die Erbschaftsteuer muss wieder zu einer Gerechtigkeitssteuer werden. Zweitens. Sie muss natürlich wirtschaftspolitisch vernünftig sein. Wir wollen die Wirtschaft in diesem Land stärken und weiterentwickeln. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Und die Vermögensabgabe wieder einführen!) Drittens. Das Mindeste ist: Sie muss verfassungsfest sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Gehen wir die Punkte durch: Ist der vorliegende Entwurf gerecht? Ich habe es schon deutlich gemacht: Er ist es nicht. Ich mache es noch mal anhand anderer Zahlen deutlich: Laut Bundesfinanzministerium – es sind nicht unsere Zahlen, sondern die Zahlen des BMF – wären schon nach dem Referentenentwurf, der eine Freigrenze von 20 Millionen Euro pro Unternehmenserben vorsah, mehr als 99 Prozent aller Unternehmenserben ohne irgendwelche Prüfungen steuerfrei geblieben. Das heißt umgekehrt und in absoluten Zahlen: Ganze 80 Personen, vielleicht auch mal 100 Personen pro Jahr in ganz Deutschland wären nach dem Schäuble-Entwurf überhaupt nur gefährdet gewesen, jetzt oder in Zukunft Steuern zahlen zu müssen, und auch das nur maximal bis zur Hälfte ihres Privatvermögens, um Liquidität und Investitionsfähigkeit der Unternehmen nicht zu beeinträchtigen. Jetzt, mit der hier auch schon angesprochenen weiteren Erhöhung der Freigrenze auf 26 bzw. 52 Millionen Euro für Familienunternehmen, verbunden mit der Option, das Privatvermögen doch nicht offenlegen zu müssen, reden wir vielleicht noch von ganzen 50 Fällen im Jahr. Und die Betroffenen schreiben Briefe, Briefe, Briefe. Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf sieht keine Begrenzung des Steuerprivilegs auf kleine und mittlere Unternehmen zum Zwecke des Erhalts von Arbeitsplätzen vor. Damit bleibt es dabei: Mit diesem Gesetzentwurf wird die Mittelschicht die Erbschaftsteuer zahlen und die Leistungsfähigen in diesem Land eben nicht. Deswegen ist sie nicht gerecht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]: Die Mittelschicht ist auch leistungsfähig!) Ist die Erbschaftsteuer wirtschaftspolitisch vernünftig? Das ist ja Ihr Hauptargument. Dazu kann man zum einen sagen: Der Wissenschaftliche Beirat beim BMF hat schon vor mehreren Jahren festgestellt, dass die derzeitige Regelung nicht wirtschaftspolitisch vernünftig ist. Das könnte man vom vorliegenden Gesetzentwurf auch sagen. Aber eine Regelung im Gesetzentwurf finden wir tatsächlich wirtschaftspolitisch vernünftig: die Begrenzung der Steuerschuld auf die Zahlungsfähigkeit bezogen auf das Privatvermögen. Wir finden in der Tat: Das ist eine klare Ansage, wenn es darum geht, die Liquidität des Unternehmens nicht zu gefährden. Allerdings muss man im weiteren Prozess noch sehen, wie man es gut abgrenzen kann, damit es nicht zu Steuergestaltungen kommt. Allerdings gibt es in diesem Gesetzentwurf noch weitere Punkte, zum Beispiel neue Halteregeln – nicht nur bezogen auf die Lohnsumme –, die es ermöglichen, entsprechende Privilegien in Anspruch zu nehmen. Da darf man jetzt 10 Jahre im Voraus und 30 Jahre nach Eintreten des Erbfalles, also 40 Jahre lang, sozusagen nichts ändern, um massive Privilegien in Anspruch nehmen zu können. Das ist schlichtweg wirtschaftspolitischer Irrsinn, weil es total ineffizient ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Hauptpunkt: Ich habe an vielen Gesprächsrunden teilgenommen. Die meisten Experten sagen schon jetzt, dass der vorliegende Gesetzentwurf verfassungswidrig ist. Somit besteht nach wie vor eine massive Investitionsunsicherheit bei der deutschen Wirtschaft, und das ist schlichtweg Gift für die Wirtschaft. Seit einem Jahr wartet die Wirtschaft auf eine vernünftige Regelung, und sie ist immer noch nicht in Sicht. Der vorliegende Gesetzentwurf ist sehr wahrscheinlich verfassungswidrig. Er wird sicherlich wieder vor dem Bundesverfassungsgericht landen. So ein Damoklesschwert braucht Deutschland nicht. Investitionsunsicherheit zu schüren, ist das wirtschaftspolitisch Schlechteste, was man in Deutschland machen kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ist der Gesetzentwurf verfassungsgemäß? Wie gesagt: Es gibt zahlreiche Experten, die das deutlich hinterfragen. Der erste wichtige Punkt – ich habe es schon gesagt –: 99 Prozent der Unternehmenserben und mehr werden von der Regel ausgenommen. Das Regel-Ausnahme-Verhältnis, das im Gesetz eigentlich beachtet werden soll, wird eklatant verletzt. Zweiter Punkt. Die Regelungen des Gesetzentwurfes sind extrem gestaltungsanfällig. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil festgehalten, dass allein diese Gestaltungsanfälligkeit ein Grund für Verfassungswidrigkeit ist. Drittens. Im Unterschied zum Referentenentwurf gibt es im vorliegenden Gesetzentwurf keine Folgerichtigkeit der Verschonungswege mehr. Auch deswegen wird er aus meiner Sicht verfassungswidrig sein. Es gibt übrigens inzwischen neue Zahlen zur Vermögenskonzentration in Deutschland. Das Deutsche Institut für Altersvorsorge prognostiziert, dass in den nächsten zehn Jahren die reichsten 2 Prozent der Deutschen ein Drittel des Gesamtvolumens der Erbschaften auf sich vereinen werden. Ich komme zum Schluss. In der bayerischen Verfassung steht: Die Erbschaftsteuer dient auch dem Zwecke, die Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen einzelner zu verhindern. Ich appelliere an Sie: Überarbeiten Sie also den vorliegenden Gesetzentwurf grundlegend. Auch Erbschaften und Schenkungen von großen Betriebsvermögen müssen angemessen besteuert werden. Dann werden wir uns auch wieder konstruktiv an der Debatte beteiligen. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Antje Tillmann, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Antje Tillmann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Man sollte meinen, dass wir heute das Erbschaftsteuergesetz schon in zweiter und dritter Lesung beraten. Wir diskutieren über dieses Thema seit dem 26. Februar dieses Jahres: zuerst über die Eckpunkte, dann über den Referentenentwurf, jetzt über den Gesetzentwurf. In zahlreichen verschiedenen Veranstaltungen sind wir immer wieder aufeinandergetroffen und haben über dieses Thema diskutiert. Sie haben der Rede meines Kollegen Binding entnehmen können, dass es zwischen den Koalitionsfraktionen durchaus noch Einigungsbedarf gibt. Aber solange das in einer konstruktiven Stimmung ausgetragen wird, ist mir das recht. Wir haben noch einiges zu bereden. Das sollten wir auch tun. Sie können sich sicher sein, dass wir über dieses Thema verantwortungsbewusst diskutieren und einen Kompromiss finden werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die erforderliche Neuregelung haben nicht wir uns ausgedacht. Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht – das ist mehrfach gesagt worden – uns ins Buch geschrieben, dass Betriebsvermögen nur aus zwei Gründen anders besteuert werden darf als Privatvermögen: zum einen, um mittelständische Strukturen in Deutschland aufrechtzuerhalten, und zum anderen, um Arbeitsplätze zu sichern. Herr Kollege Pitterle, Sie erwecken den Eindruck, als wollten wir den Tennis spielenden Nichtstuer begünstigen; das tun wir eben nicht. Vielmehr geht es um den Arbeitnehmer und um die Arbeitnehmerin. Um deren Arbeitsplatz zu erhalten, schaffen wir bestimmte Begünstigungen bei der Besteuerung von erworbenen Betriebsvermögen. Ich finde das Verhalten der Linken ausgesprochen wenig konkludent; denn wenn in einer Stadt das größte mittelständische Unternehmen pleitezugehen droht, dann sind Sie die Ersten, die mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern demonstrieren, Sie sind die Ersten, die Steuermittel für Auffanggesellschaften fordern, Sie sind die Ersten, die sagen, der Staat muss dieses Unternehmen retten. Wir gehen den anderen Weg. Wir bringen das Unternehmen erst gar nicht in Schwierigkeiten. Damit sind die Arbeitsplätze gesichert. Ich glaube, unser Weg ist für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der viel sicherere und der nervenschonendere. (Beifall bei der CDU/CSU – Richard Pitterle [DIE LINKE]: Sagen Sie doch einen einzigen Fall!) Auch Sie, lieber Kollege Binding, haben vermutlich überhaupt keine Probleme, Arbeitsplätze durch Subventionen zu sichern bzw. entstehen zu lassen. In den Kommunen werden Grundstücke vergünstigt zur Verfügung gestellt. Es gibt eine GFAW-Förderung. Wir subventionieren die Schaffung von Arbeitsplätzen. – Das alles sind Steuergelder. Aber an der Stelle, an der wir mit einem Teil von Steuergeldern Arbeitsplätze, die schon da sind, bestehen lassen wollen, haben Sie Probleme? Ich kann nicht nachvollziehen, inwiefern das eine besser sein soll als das andere. Wir glauben, es ist sehr viel leichter, einen bestehenden Arbeitsplatz zu erhalten, als einen neuen zu schaffen. (Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]: Das haben wir doch beschlossen! Das ist aber sehr missverständlich formuliert!) Deswegen beschreiten wir mit dem, was wir tun, den richtigen Weg. Wir begünstigen wirklich nur das Betriebsvermögen. Dass der Eindruck erweckt wird, dass der Unternehmenserbe demnächst keine Steuern zahlt, ist doch völlig irre. (Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]: Die meisten zahlen keine!) Es wird keinem einzigen Unternehmenserben gelingen, nur Betriebsvermögen zu erben. Er wird natürlich auch Privatvermögen erben, und das wird er ganz normal versteuern. Nach der Neuregelung wird er auch nichtbegünstigtes Betriebsvermögen, sogenanntes Verwaltungsvermögen, erben. Auch das wird er ganz normal versteuern, sogar noch stärker als vorher, weil das Verfassungsgericht die Grenze für unschädliches Verwaltungsvermögen von 50 Prozent auf 10 Prozent reduziert hat. (Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]: Dann müsste das Aufkommen aber viel höher sein!) Selbstverständlich wird er das Verwaltungsvermögen versteuern. Aus diesem Grund sind wir dankbar, dass es von der Vorlage des Eckpunktepapiers bis zum jetzt vorliegenden Gesetzentwurf einige Veränderungen gegeben hat: Hinsichtlich der Lohnsummenprüfung steht im Gesetzentwurf jetzt eine Zahl von drei Mitarbeitern. Das war ursprünglich anders vorgesehen. Man wollte den Wert des Betriebsvermögens zugrunde legen. Wir sind froh, dass wir jetzt wieder die Anzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zugrunde legen, weil das für die Unternehmen weniger bürokratisch ist, als das Betriebsvermögen zu berechnen. Ich bin auch froh, dass es eine Gleitklausel gibt: zwischen 4 und 15 Mitarbeitern. Ich bin mir manchmal nicht sicher, ob das, was hier zur Freigrenze gesagt wird, draußen ankommt, und umgekehrt. Zur Erhöhung der Freigrenzen auf 26 Millionen Euro bzw. auf 52 Millionen Euro sagen interessanterweise alle Verbände: Das ist ein reiner Placeboeffekt. Nicht ein einziges Unternehmen wird unter diese Grenzen fallen. – Sie haben Bilder an die Wand gemalt, nach denen die meisten Unternehmen demnächst 52 Millionen Euro erbschaftsteuerfrei übergeben können. Irgendwo dazwischen liegt die Wahrheit. Die werden wir in den Anhörungen finden. Wir werden uns auch mit diesem Punkt sehr intensiv befassen. Lothar Binding, in einem bin ich mit Ihnen einer Meinung: Über den Ton der Verbände, die uns im Moment aus meiner Sicht in ausgesprochen unangemessener Weise beschimpfen, obwohl wir uns wirklich Mühe geben – ich sage das für die CDU/CSU-Fraktion ausdrücklich –, eine Lösung zu finden, die die besonderen Beschränkungen bei Familienunternehmen widergespiegelt, bin ich sehr verärgert. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich denke, die Angesprochenen wissen das. Die sollen sich das ruhig einmal zu Herzen nehmen. Abschließend möchte ich einen Appell an die Mitglieder des Bundesrates richten: Wir erleben heute den Beginn einer Debatte über eine Ländersteuer. Die Erbschaftsteuer ist ausschließlich Länderaufkommen. Sie wird von den Ländern verwaltet. Ich sehe hier keinen Ländervertreter, der mitberät. Das mag daran liegen, dass heute der Bundesrat tagt. Die Meinungen im Bundesrat über diese Steuer gehen aber noch weiter auseinander als die Meinungen von Lothar Binding und mir, als die Meinungen von SPD und CDU/CSU. Das muss sich ändern. Es ist Aufgabe der Länder, ihre Steuer zu reformieren. Ich erwarte, dass in den nächsten Wochen ein abgestimmter Vorschlag der Ministerpräsidentinnen und der Ministerpräsidenten vorgelegt wird, damit wir dieses Gesetz gemeinsam reformieren und verfassungskonform gestalten können, damit wir die Arbeitsplätze sichern können. Das ist ausdrücklich unser Ziel. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dabei haben wir natürlich auch die Bürokratie im Auge. Frau Paus, diesbezüglich teile ich Ihre Auffassung: Eine Aufbewahrungs- und Nachweispflicht von 30 Jahren scheint mir für die Betriebe gar nicht so problematisch zu sein. Die werden die Belege schon aufbewahren können. Aber die armen Finanzbeamten, die bei jeder Erbschaftsteuererklärung demnächst in den Keller wandern, um 30 Jahre alte Akten herauszusuchen, bedauere ich sehr. Auch darauf werden wir einen Schwerpunkt legen. Wir wollen ein Gesetz, das möglichst wenig Bürokratie verursacht, das zu einer gerechten Besteuerung führt, das Arbeitsplätze sichert, das Unternehmensübertragungen möglich macht und das natürlich auch sicherstellt, dass ein gewisser Beitrag zum Allgemeinwohl geleistet wird. Ich bin sicher, das werden wir schaffen. Die Debatte hat heute erst begonnen. Wir haben noch Zeit, um endgültige Lösungen zu finden. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Cansel Kiziltepe von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Cansel Kiziltepe (SPD): Frau Präsidentin! Als Erstes möchte ich ausdrücklich meine Kolleginnen und Kollegen vom Bundesrat in Schutz nehmen: Der Bundesrat tagt zeitgleich. Der Bundesrat – das möchte ich Ihnen und Euch als Botschaft mitteilen – hat heute beschlossen – Ziffer 18 zum Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz –, dass die Abschmelzzone in der im Entwurf vorliegenden Form abgelehnt wird und die Sockelverschonung abgeschafft werden soll. Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung ist durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Dezember vergangenen Jahres notwendig geworden. Es ist nicht das erste Urteil des Verfassungsgerichts zu diesem Thema. Das haben wir schon mehrfach gehört. Gerade deshalb sollte es unser vorrangiges Ziel sein, dass die zu findende Lösung auch eine verfassungsfeste Lösung ist, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz hat in seiner heutigen Ausgestaltung Gültigkeit seit Anfang 2009. Es gab also mehrere Reformen. Es gewährt hohe persönliche Freibeträge. Für Ehepartner und Lebenspartner sind bis zu 500 000 Euro, für Kinder sind bis zu 400 000 Euro steuerfrei. Diese persönlichen Freibeträge sind also so ausgestaltet, dass sich niemand Sorgen machen muss, dass die Übertragung des vielzitierten Häuschens der Oma besteuert wird. Das Bundesverfassungsgericht hat sich allein mit der Praxis der Verschonungsregelung von Betriebsvermögen auseinandergesetzt. Die gute Nachricht ist, dass wir als Gesetzgeber den Arbeitsplatzerhalt als Ziel verfolgen können. In Zukunft müssen wir aber unterscheiden zwischen denen, die dafür eine Verschonung von der Erbschaftsteuer brauchen, und denen, die diese Verschonung dafür nicht brauchen. Der Bundesfinanzminister hat im März solide Eckpunkte für die Diskussion vorgelegt, die zu großen Teilen in den Gesetzentwurf eingeflossen sind, zu Teilen aber auch nicht. Für die allermeisten Betriebe in Deutschland konnten wir eine Lösung finden, die unkompliziert ist. Diese orientiert sich an der Betriebsgröße gemäß Beschäftigtenzahl und der Einhaltung gewisser Lohnsummenregeln. In Zukunft wird aber auch bei großen und größten Erbschaften und Schenkungen geschaut werden müssen, ob die Erwerber eine Verschonung wirklich nötig haben oder nicht. Jetzt komme ich zur Bedürfnisprüfung. Die Verfassungsrichter haben klargemacht: Je größer das Unternehmen ist, umso größer ist auch die Notwendigkeit, eine Verschonung zu rechtfertigen. Sie haben auch klar herausgestellt, dass mit der steuerlichen Privilegierung unternehmerischen Vermögens nicht das Ziel verfolgt werden darf, einzelne Erben und Beschenkte zu verschonen. Es geht immer um den Erhalt von Arbeitsplätzen – das kann man nicht oft genug betonen –, aber nicht um die Verschonung von hohen Erbschaften. Insofern ist aus unserer Sicht die Einbeziehung des Privatvermögens nicht nur folgerichtig, sondern auch eine Frage der Gerechtigkeit. Wir brauchen diese Verteilungsgerechtigkeit in Deutschland, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD) Über die Grenze, ab der eine Bedürfnisprüfung notwendig werden soll, ist in den vergangenen Monaten viel gesprochen worden. Die Eckpunkte vom März sahen eine Grenze von 20 Millionen Euro je Erbfall vor. Im Gesetzentwurf stehen nun 26 Millionen Euro bzw. 52 Millionen Euro, aber auch das reicht einigen nicht. Wir alle, die sich intensiv mit dieser Neuregelung der Erbschaftsteuer beschäftigen, sind seit Wochen und Monaten mit dem massiven Druck der Lobbyarbeit konfrontiert. Vor allem angesichts dieses Drucks möchte ich die Kolleginnen und Kollegen von CSU und CDU bitten: Laufen Sie mit Ihren Forderungen bitte nicht denjenigen hinterher, deren einziges Ziel es ist, keinen Cent Steuern auf ihre Erbschaften zu zahlen! (Beifall bei der SPD) Denn die Steuerausfälle durch die Überprivilegierung des Betriebsvermögens sind enorm. Das Statistische Bundesamt hat berechnet, dass zwischen 2009 und 2013 sage und schreibe 105 Milliarden Euro steuerfrei übertragen wurden. Hiervon profitieren vor allen Dingen große Vermögen. Im Rahmen des vorgeschlagenen Wahlrechts zwischen Bedürfnisprüfung und Abschmelztarif können auch in Zukunft Erben von Milliardenvermögen selbst dann steuerbefreit werden, wenn sie umfangreiches Privatvermögen besitzen, weil sie eben die Wahlmöglichkeit haben. (Zuruf von der CDU/CSU: Nicht steuerfrei!) Erst ab 116 Millionen Euro bzw. ab 142 Millionen Euro gilt – Stichwort „Sockelverschonung“ – eine Mindestbesteuerung. Dabei hatte das Bundesverfassungsgericht eine Bedürfnisprüfung für große und sehr große Vermögen als zwingend angemahnt. Das fehlt hier noch. Im Ergebnis führt das dazu, dass nur 0,2 Prozent der Erbvorgänge über dem Schwellenwert für diese Mindestbesteuerung liegen. Somit werden weiterhin über 98,5 Prozent der Erben die Möglichkeit der Vollverschonung in Anspruch nehmen. Das halten wir für nicht verfassungsfest. Diese Zahlen zeigen aber auch, dass nicht davon gesprochen werden kann, dass der gesamte Mittelstand betroffen ist. Betroffen sind vielmehr nur einige wenige. Wie heute in der FAZ zu lesen war, hat mein Kollege Christian von Stetten wieder einmal propagiert, dass wir große deutsche Familienunternehmen nicht verstünden und mit unserer Position dafür sorgen würden, dass diese Deutschland verlassen würden. (Manfred Zöllmer [SPD], an den Abg. Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU] gewandt: So was haben Sie gemacht? – Gegenruf des Abg. Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Für meine Verhältnisse war ich sehr zurückhaltend! – Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]: Die Autoren des Entwurfs sind ja auch bekannt! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der SPD) – Genau. – Befangenheit, Herr von Stetten? Nein, glaube ich nicht. Diese Punkte werden wir uns im Gesetzgebungsverfahren ganz genau anschauen müssen. Alle Zweifel an der Verfassungsfestigkeit müssen ausgeräumt werden. Ich möchte an dieser Stelle auch auf die Beratungen der Länder hinweisen. Ich hatte anfangs erwähnt, dass es heute einen Beschluss dazu gab. Dem vorausgegangen war ein Beschluss der Landesfinanzminister, die auch Bedenken bei dem Abschmelzmodell haben. Die Mehrheit der Landesfinanzminister ist der Meinung, dass die Schwelle für die Bedürfnisprüfung wieder gesenkt werden muss. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Sie sehen, die Liste an Fragen und Aufgaben ist lang. Länder und Kommunen sind auf die Einnahmen angewiesen. Sie brauchen die Gelder für lange aufgeschobene Zukunftsinvestitionen. Ich möchte die Aufmerksamkeit auch noch auf einen weiteren Punkt lenken; dieser kam in den letzten Monaten zu kurz. Drei Richter des Bundesverfassungsgerichts haben ein Minderheitenvotum abgegeben, das wir ernst nehmen müssen. Dieses besagt, dass die Erbschaftsteuer nicht nur an der Sicherung von Arbeitsplätzen orientiert werden kann, sondern es auch Instrumente bedarf, um der zunehmenden Ungleichverteilung von Vermögen und damit Macht und Lebenschancen entgegenzuwirken. Artikel 20 unseres Grundgesetzes definiert Deutschland als Sozialstaat. Das vergessen viele immer wieder. Die Erbschaftsteuer ist daher aus Sicht der drei Richter ein zentrales Instrument, um der Vermögenskonzentration zu begegnen. Dieses Minderheitenvotum sollten sich vor allem diejenigen zu Gemüte führen, die in den letzten Monaten mit dem Gedanken gespielt haben, die Erbschaftsteuer gleich ganz abzuschaffen. Das wird es mit mir, das wird es mit uns, mit der SPD, nicht geben, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE]) Wenn wir über die Erbschaftsteuer reden, dann reden wir über diejenigen, die das Glück hatten, in die richtige Familie geboren worden zu sein. (Antje Tillmann [CDU/CSU]: Das ist aber relativ!) Die Zeit schrieb im Juni an die Adresse der zukünftigen Erben: „Hört auf zu jammern!“. Das Ziel der SPD ist es nicht, größtmögliche Erbschaften abzusichern, sondern im Rahmen der Verfassungsmäßigkeit Arbeitsplätze zu erhalten und einen kleinen Beitrag zur Finanzierung des Sozialstaates zu leisten. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Christian Freiherr von Stetten von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat: Es ist nicht das erste Mal, dass wir uns im Deutschen Bundestag mit der Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer beschäftigen. Das Bundesverfassungsgericht hat es so gewollt. Deswegen ist es wichtig und richtig, dass wir uns in den nächsten Wochen intensiv mit diesem Thema beschäftigen und – das ist mir besonders wichtig – den Betroffenen in der Anhörung ausreichend Gelegenheit geben, ihre Sorgen und Befürchtungen im intensiven Dialog mit uns deutlich zu machen. Herr Dr. Meister für die Bundesregierung und Antje Tillmann, unsere finanzpolitische Sprecherin, haben für unsere Fraktion deutlich gemacht, dass wir uns für eine mittelstandsfreundliche Reform einsetzen und für eine Reform, die von den großen Familienunternehmen in Deutschland praktikabel umgesetzt werden kann. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hat Lösungswege vorgegeben, die wir für unsere Kleinbetriebe und den Mittelstand brauchen. Herzlichen Dank auch für dieses klare Bekenntnis zum Mittelstand. Für uns kommt es jetzt darauf an, dass wir im vor uns liegenden Gesetzgebungsverfahren noch einige Feinjustierungen vornehmen. Denn am Ende brauchen wir eine Gesetzgebung, die die besonderen Situationen und die besonderen Bedürfnisse der großen deutschen Familienunternehmen ebenfalls berücksichtigt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]) Diese Familienunternehmen sind Weltmarktführer, sind Hidden Champions, lieber Lothar Binding, um die uns die ganze Welt beneidet. (Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]: Da sind wir auch stolz drauf!) – Eben. Da sind wir stolz drauf. – Ob CDU-Minister oder SPD-Minister, CSU-Minister oder grüne Ministerpräsidenten – davon haben wir leider auch einen –, weltweit nehmen sie die Unternehmer mit, um zu zeigen, was die besondere Unternehmenskultur in Deutschland bedeutet. Deswegen ist es ganz wichtig, dass wir diese Unternehmen, die maßgeblich zum wirtschaftlichen Wohlstand in unserem Land beitragen und sichere Arbeitsplätze am Wirtschaftsstandort Deutschland sichern, im Gesetzgebungsverfahren berücksichtigen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Um es klar zu sagen: Am Ende des Gesetzgebungsprozesses muss die Gefahr – die in einigen Einzelfällen besteht –, dass Unternehmen und Unternehmer unser Land wegen zu hoher Erbschaftsteuer verlassen, beseitigt sein. Wenn Unternehmen das Land verlassen, weil sie die Löhne nicht mehr zahlen können, weil sich Produktionstechniken verändert haben, weil vielleicht Kunden ins Ausland gegangen sind und die Unternehmen deswegen mitwandern, dann ist das ein Punkt. Aber wenn Unternehmen aufgrund zu hoher Erbschaftsteuer den Standort verlassen, dann ist das ein Punkt, den wir nicht zulassen dürfen. Es sieht ja ganz gut aus, dass es uns gemeinsam gelingt, dafür zu sorgen, dass dies nicht passiert. Wenn ihr Fachpolitiker – die unseres roten Koalitionspartners und die der grünen Opposition – im Finanzausschuss das umsetzet, was eure Spitzenleute bei Unternehmensbesuchen propagieren und in Sonntagsreden vor Unternehmerinnen und Unternehmern vortragen, dann können wir, glaube ich, innerhalb kürzester Zeit einen vernünftigen Gesetzentwurf, der Hunderttausende von Arbeitsplätzen sichert, auf den Weg bringen und verabschieden. (Beifall bei der CDU/CSU) Aber eines, lieber Lothar Binding und liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, ist klar: Das, was ihr in eurem Wahlprogramm zur letzten Bundestagswahl zur Erbschaftsteuer stehen hattet, können und werden wir hier nicht umsetzen. Das, was auf Parteitagen von euch beschlossen wurde, ist weder praxistauglich, noch ist es für den Wirtschaftsstandort Deutschland Erfolg versprechend. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich bekomme, wie auch ihr, viele Briefe von betroffenen Unternehmern. Sie sind keine Lobbyisten. Sie sind vielleicht Patrioten – aber auch das gefällt euch ja nicht –, (Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]: Patrioten haben wir gern, nur Nationalisten nicht! Der Patriot liebt sein Vaterland, der Nationalist verachtet die anderen!) deutsche Patrioten, die ihre Unternehmen am Standort Deutschland aufgebaut haben, in diesem Land bleiben wollen, da sie hier ihre Mitarbeiter haben und hier Arbeitsplätze geschaffen haben, und die jetzt auf die katastrophalen Folgen hinweisen, die eventuell eintreten, wenn wir im Gesetzgebungsverfahren einen Fehler machen. Deswegen ist das kein verbotener Lobbyismus. (Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]: Aber die Art und Weise ist unanständig!) Vielmehr erwarte ich von allen Betroffenen, egal in welchem Gesetzgebungsverfahren, dass sie auf ihre Abgeordneten – ob von Rot, Grün oder Schwarz – zugehen und ihnen mitteilen, welche Punkte besonders wichtig sind. Was noch viel besser ist: Sehr viel mehr Briefe als von betroffenen Unternehmern bekomme ich von Mitarbeitern von Familienunternehmen, die mir klarmachen: Ein Familienunternehmen ist etwas ganz Besonderes. (Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]: Aber das muss man uns doch nicht klarmachen! Das ist uns doch bekannt!) Ich bekomme auch Briefe von Betriebsräten und gewerkschaftlich engagierten Bürgerinnen und Bürgern, die mir mit dramatischen Worten verdeutlichen, welche Vorteile es hat, statt bei einem anonymen Börsenkonzern bei einem familiengeführten Unternehmen zu arbeiten, bei einem Unternehmer, den man kennt, (Carsten Schneider (Erfurt) [SPD]: Na ja!) den man persönlich ansprechen kann und der nicht im erbschaftsteuerfreien Ausland wohnt. Sie schreiben mir mit Begeisterung, dass sich Familienunternehmer in der letzten Krise Sorge um jeden einzelnen Arbeitsplatz gemacht haben, dass privates Kapital in das Unternehmen gesteckt worden ist und dass man zusammengerückt ist, um die Krise gemeinsam – Familienunternehmer und Belegschaft – zu meistern. Sie schreiben mir auch vom sozialen und kulturellen Engagement der Unternehmer, das aber dann abbricht, wenn der Unternehmer nicht mehr am Sitz des Unternehmens, sondern ins Ausland verzogen ist. Sie schreiben mir auch – Dr. Meister hat es angesprochen – von den besonderen Strukturen, auch von den kulturellen Strukturen in einem solchen Unternehmen, die es so wahrscheinlich nur in unserem Land gibt. Sie haben Angst um die Arbeitsplätze und befürchten einen Wettbewerbsnachteil, der dadurch entstehen könnte, dass der Unternehmer in Deutschland wohnt. Ja, es ist klar: Börsennotierte Unternehmen oder ausländische Unternehmen müssen eine eventuell zu erwartende Erbschaftsteuer bei der Preisfindung nicht berücksichtigen. Wenn das Werkstück in Deutschland produziert wurde und es deswegen einige Prozentpunkte oder Cent teurer ist als das im Ausland produzierte, dann erweisen wir uns damit sicherlich einen Bärendienst. Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss möchte ich klarmachen: Im jetzt beginnenden parlamentarischen Verfahren werden wir uns intensiv mit den Betroffenen austauschen. Wir geben auch in unserem Gesetzentwurf ein klares Bekenntnis zu unseren Familienunternehmen ab. Es würde mich freuen, wenn auch die Kolleginnen und Kollegen dieses klare Bekenntnis im Ausschuss abgeben würden und dies auch bei der abschließenden Beratung unseres Gesetzentwurfes, über den wir jetzt diskutieren, deutlich würde. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe die Bitte, sich an die Redezeit zu halten. Wir sind nämlich schon eine halbe Stunde in Verzug, inzwischen wahrscheinlich schon 35 Minuten. Ich bitte, das in Erinnerung zu behalten. Als nächster Redner hat Philipp Graf Lerchenfeld von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Hohes Haus! Nachdem die bayerische Verfassung hier mehrfach zitiert worden ist, möchte auch ich sie zitieren. Zunächst einmal ist festzustellen, dass es nach unserer Verfassung eine eigene bayerische Staatsangehörigkeit gibt. Das ist auch gut so. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Daneben steht in Artikel 153 – ich empfehle Ihnen allen, diesen Artikel zu lesen –: Die selbstständigen Kleinbetriebe ... in Landwirtschaft, Handwerk, Handel, Gewerbe und Industrie sind in der Gesetzgebung und Verwaltung zu fördern und gegen Überlastung und Aufsaugung zu schützen. (Beifall bei der CDU/CSU) Was tun wir anderes, indem wir jetzt den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts erfüllen und einen verfassungsfesten Gesetzentwurf zur Erbschaftsteuer vorlegen? (Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]: Gut, dass ich das nicht gehört habe!) Ein ganz besonderer Punkt in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts war, dass es die Verschonung gewisser Vermögensarten grundsätzlich zugelassen hat. Dazu zählen auch – das möchte ich betonen – das selbstbewohnte Haus und das Betriebsvermögen. Als Hauptzweck – um in der Sprache des Gesetzestextes zu bleiben – sind die Sicherung und Erhaltung von Arbeitsplätzen der typisch deutschen Unternehmenslandschaft zu nennen. Die tragende Säule der deutschen Wirtschaft sind mittelständische, familiengeprägte Unternehmen, die sich gerade in den Zeiten der Wirtschaftskrise, also noch vor kurzem, als Stabilitätsanker und Arbeitsplatzgarant erwiesen haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Diese einzigartige Unternehmensstruktur müssen wir erhalten. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Unternehmensnachfolger durch ein falsch ausgestaltetes Gesetz gezwungen werden, Unternehmen zu verkaufen oder Investitionen hintanzustellen, weil sie zu hohe Steuerbelastungen haben. Unsere mittelständischen Unternehmen – das hat Christian von Stetten schon ganz richtig gesagt – stehen im internationalen Wettbewerb mit Unternehmen, die sich über den Kapitalmarkt finanzieren und damit eine ganz andere Kapitalstruktur haben als unsere Unternehmen. Wir müssen damit rechnen, dass es bei einer falschen Gesetzgebung auf Dauer zu einer massiven Veränderung der Kapitalstruktur deutscher Unternehmen kommen wird. (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Sehr richtig!) In den letzten Jahren ist es den meisten mittelständischen Unternehmen gut gegangen. Die Wirtschaftslage hat dazu geführt, dass Eigenkapital wieder aufgebaut werden konnte. Auf diese Art und Weise wurde auch das Rating der Unternehmen verbessert. Ich erinnere mich daran, dass die Unternehmen vor einiger Zeit noch Schwierigkeiten hatten, Kredite aufzunehmen, weil das Rating aufgrund des so geringen Eigenkapitals so schlecht war. (Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]: Ja!) Natürlich würde eine Steuerbelastung durch die Erbschaftsteuer jetzt wiederum in das Rating der Finanzinstitutionen einfließen und gegebenenfalls dafür sorgen, dass sich mittelständische Unternehmen wieder schlechter refinanzieren können. Das müssen wir verhindern. Wir dürfen den Unternehmern den Zugang zu Kreditmitteln nicht erschweren. (Beifall bei der CDU/CSU) Sicherlich sind bei dem Gesetzentwurf, der jetzt vorliegt, noch einige Baustellen offen. Hier werden wir vernünftige und in der Praxis auch handhabbare Regelungen finden. Wir werden noch viele Detailfragen beantworten müssen: Der Begriff „begünstigtes Vermögen“ ist sicherlich noch genauer zu definieren. Auch Fragen hinsichtlich des Finanzmitteltests und der Aufteilung bzw. der Verrechnung der Schulden müssen beantwortet werden. Daneben müssen wir uns damit beschäftigen, dass eine Doppelbelastung durch Erbschaft- und Einkommensteuer zu dramatischen Problemen führen kann. Der Umfang des einzubeziehenden Privatvermögens wird uns ebenso beschäftigten wie die Aufgriffsgrenzen bei entsprechenden gesellschaftsvertraglichen Bindungen der Anteilseigner, und nicht zuletzt müssen wir uns auf jeden Fall auch mit der vereinfachten Bewertung auseinandersetzen; denn die jetzige Ausprägung führt zu total unrealistischen Werten. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir sollten in unsere Überlegungen natürlich auch einbeziehen, was inzwischen im Bundesrat diskutiert und beschlossen worden ist. Dort wurden einige sicherlich nicht uninteressante Vorschläge gemacht. Ich denke hier zum Beispiel an die Verkürzung der Fristen bei Kapitalbindungen, die wir gut in den Gesetzentwurf übernehmen können. Wir müssen in den nächsten Wochen darum ringen, administrative Holpersteine in diesem Gesetz zu entfernen und unnötige Belastungen für die Unternehmen zu vermeiden. (Beifall bei der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht jetzt bei dieser Reform nicht darum, vorgefasste ideologische Gedanken zu verwirklichen, sondern es geht ausschließlich darum, Arbeitsplätze in unseren mittelständischen Unternehmen jeder Größenordnung zu erhalten. Ich appelliere deshalb an alle, die sich in den nächsten Wochen mit diesem Gesetzentwurf beschäftigen werden, ideologische Scheuklappen abzulegen und sich ausschließlich auf den Erhalt der einzigartigen Unternehmenslandschaft mit vielen Tausend Arbeitsplätzen zu konzentrieren. Ich wünsche uns gute und vor allem vernünftige Beratungen. Unsere deutsche Wirtschaft, die eben nicht überwiegend aus börsennotierten Großkonzernen, sondern aus familiengeprägten mittelständischen Unternehmen besteht, ist es wert, dass wir uns alle um ein vernünftiges Gesetz zur Besteuerung von Unternehmensübergängen bemühen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. Die Redezeit wurde hervorragend eingehalten. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/5923 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 25 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie Drucksache 18/5922 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Finanzausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen, und ich kann die Aussprache eröffnen. Als erster Redner hat der Parlamentarische Staatssekretär Ulrich Kelber das Wort. (Beifall bei der SPD) Ulrich Kelber, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir kommen nun von den glücklichen Erben großer Vermögen – auch Immobilienvermögen – zu denjenigen, die sich eine Immobilie Stück für Stück sparsam über einen Immobilienkredit erarbeiten müssen. Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie – also der europäischen Richtlinie – stärken wir den Verbraucherschutz bei der Vergabe und der Vermittlung solcher Immobilienkredite. Zudem setzen wir zwei Vorhaben des Koalitionsvertrages um: Es wird die Honorarberatung bei Immobilienkrediten eingeführt, mit ihr bauen wir die unabhängige Beratung weiter aus. Außerdem schaffen wir ein verpflichtendes Beratungsangebot bei dauerhafter und erheblicher Inanspruchnahme eines Dispokredites. Ein Immobilienkredit ist durchaus mit erheblichen finanziellen Risiken verbunden. Mit den neuen Regelungen werden wir Verbraucherinnen und Verbraucher besser vor möglichen Fehlentscheidungen schützen, indem wir die Transparenz und Vergleichbarkeit der Produkte erhöhen. Künftig müssen Verbraucherinnen und Verbraucher vor Vertragsabschluss besser über die wesentlichen Inhalte des Angebots informiert werden. Die Kreditwürdigkeit muss strenger geprüft werden, um auch im Verbraucherinteresse unverantwortliche Kreditvergaben zu vermeiden. Wer zukünftig Beratungsleistungen bei Abschluss eines Kreditvertrages erbringen möchte, muss Verbraucher transparent beraten und bestimmte Standards einhalten. Der Verkauf von mit anderen Finanzprodukten gekoppelten Immobilienkrediten ist nur noch in einigen Fällen zulässig. Außerdem schützen wir die Verbraucherinnen und Verbraucher vor den Risiken von Fremdwährungskrediten. Die in Deutschland vorherrschende Kultur, Immobilienkredite mit festen Zinsen zu vergeben, hat sich in der Finanzkrise als Vorteil erwiesen. Mit der Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie stärken wir diese Kultur. Sie liegt gerade auch im Interesse von Verbraucherinnen und Verbrauchern. Wir wollen die Anforderungen an die Vermittlerinnen und Vermittler verschärfen. Sie müssen nachweisen, über spezifische Sachkunde zu verfügen. Sie müssen bei der Beratung bestimmte Qualitätsstandards einhalten und über eine Haftpflichtversicherung verfügen. Wir bauen auch die Honorarberatung weiter aus. In Zukunft wird es den Honorarberater geben. Wer diese Funktion innehaben will, darf keine Provision von Kreditgebern mehr annehmen. Er wird ausschließlich von seinen Kundinnen und Kunden bezahlt, die dann wissen, dass die Beratung unabhängig erfolgt. Der Honorarberater dient nicht der Bank, er dient den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Außerdem verbessern wir den Verbraucherschutz bei Dispokrediten. Wenn Verbraucherinnen und Verbraucher in der sogenannten Dispofalle stecken, wird ihnen in Zukunft ein Beratungsgespräch über Alternativen zum Dispokredit angeboten. Wir wissen aus Erhebungen, dass viele Verbraucherinnen und Verbraucher nicht darüber informiert sind, dass es selbst in dieser Situation oft noch preisgünstige Alternativen für sie gibt. Darüber hinaus soll rechtzeitig vor den Folgen einer dauerhaften Inanspruchnahme eines Dispokredites gewarnt werden. Ich freue mich, dass sich die Kreditwirtschaft bereit erklärt hat – über das hinaus, zu dem wir sie nach europäischem Recht rechtlich verpflichten können –, ihre Kunden mit einem Warnhinweis zu informieren. Die Banken werden überdies dazu verpflichtet, die Höhe ihrer Kreditzinsen auf ihrer Website gut sichtbar darzulegen. Hierdurch versetzen wir Verbraucherinnen und Verbraucher in die Lage, Zinssätze, Konditionen und Bedingungen für Girokonten schnell und einfach miteinander zu vergleichen. Wir setzen über Transparenz auf den Wettbewerb. Es wird schwer, von den Verbraucherinnen und Verbrauchern unangemessen hohe und vorher nicht bekannte Dispozinsen zu verlangen. Wir mussten immer wieder feststellen, zuletzt in einer Untersuchung der Stiftung Warentest, dass selbst bekannte Institute versucht haben, die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht zu informieren, zum Beispiel über die Höhe von Dispokrediten. Das ist schlicht ein Fall von unseriösem Geschäftsgebaren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]) Meine sehr geehrten Damen und Herren, durch eine transparente und verantwortungsvolle Kreditvergabe wird die im Verbraucherinteresse liegende Kultur von festverzinslichen Krediten in Deutschland weiter gestärkt. Wir wollen, dass Kredite für Verbraucherinnen und Verbraucher bezahlbar bleiben, damit sie sich ihren Traum von einer eigenen Immobilie erfüllen können. (Beifall bei der SPD) Wir erleichtern die unabhängige Beratung, damit ich weiß, dass derjenige oder diejenige, die mich berät, auf meiner Seite ist und ich wirklich die besten Konditionen vermittelt bekomme. Aus Erfahrung wissen wir: Ein nach einer bezahlten, unabhängigen Beratung vermittelter Kredit ist oft günstiger als ein Kredit, der auf Provisionsbasis durch eine Bank vermittelt wurde. Ein transparenter Wettbewerb wird außerdem – davon bin ich fest überzeugt – zur Senkung der Höhe der Dispozinsen führen. In einer solchen Landschaft können Werte von 10 Prozent und mehr nicht gehalten werden. Für diese Vorhaben bitte ich Sie um Ihre Unterstützung bei den bevorstehenden Beratungen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Ebenfalls vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Caren Lay von der Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Caren Lay (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für viele Menschen ist der Bau oder Kauf eines Eigenheims ein ganz großer Traum. Darauf wird jahrelang hingearbeitet, dafür wird jahrelang gespart. Die allermeisten können das aber alleine nicht stemmen. Sie sind also auf einen Kredit angewiesen. Ausgerechnet da, wo es um diese Kredite geht, gibt es viele versteckte Kosten, weil die Banken denken, dass sie bei dieser Gelegenheit ordentlich mitverdienen können. Weil es eben für die meisten Menschen der größte Kauf ist, den sie im Leben tätigen, ist das Ausmaß der versteckten Kosten und der Verbraucherabzocke hier besonders hoch. Deswegen, denke ich, ist es völlig unstrittig, dass Häuslebauer gesetzlich besser geschützt werden müssen. (Beifall bei der LINKEN) Ich finde es allerdings umso bedauerlicher – da habe ich an zwei Punkten eine andere Einschätzung –, dass die Bundesregierung an einigen Stellen im vorliegenden Gesetzentwurf nicht die Möglichkeiten nutzt, die die EU hier bietet. Es ist im Verbraucherschutz ein ganz typischer Vorgang: Zuerst zwingt die EU Sie zum Handeln. Dann werden die Spielräume, die uns Brüssel lässt, von der Bundesregierung nicht genutzt. Kommen wir beispielsweise zu dem Merkblatt, auf dem alle wichtigen Informationen stehen sollen. Das sieht auf den ersten Blick nicht schlecht aus. Auf den zweiten Blick finde ich das etwas mutlos. Wir kennen die Debatte von den sogenannten Beipackzetteln bei Finanzprodukten. Aus dieser Erfahrung wissen wir, dass diese Merkblätter nur dann etwas nutzen, wenn es Mindestanforderungen gibt und wenn diese Merkblätter standardisiert sind. Wir sagen: Die Regeln an dieser Stelle müssen deutlich konkretisiert werden, damit sie überhaupt etwas nützen. (Beifall bei der LINKEN) Dass Provisionen, die sich ergeben, offengelegt werden und dass die Honorarberatung eingeführt wird, ist zweifellos ein wichtiger Schritt. Wir wissen, dass viele Kreditvermittler auf Provisionsbasis arbeiten. Das lädt natürlich dazu ein, dass die Interessen der Bank Vorrang gegenüber den Interessen der Häuslebauer bekommen. Denn je teurer der verkaufte Kreditvertrag ist, desto höher ist am Ende die Provision. Wir halten die Provisionsberatung für den falschen Weg. Es geht um eine Stärkung der Honorarberatung, und vor allen Dingen geht es auch um eine Stärkung der Verbraucherzentralen. Denn die unabhängige Beratung durch die Verbraucherzentralen halten wir für den richtigen Weg. (Beifall bei der LINKEN) Ein Fall, der aus meiner Sicht hätte geregelt werden sollen: Wenn ein Kreditnehmer, also ein Häuslebauer, seinen Kredit früher zurückzahlen will, weil er beispielsweise eine Gehaltserhöhung bekommen hat, zocken die Banken ordentlich ab. Eine Studie hat ergeben, dass für eine vorzeitige Kreditrückzahlung 15 bis 20 Prozent fällig werden. Wir sagen: Das muss unterbunden werden. Wir brauchen endlich klare Obergrenzen. Ich habe wenig Verständnis dafür, dass diese Möglichkeit, die die EU eingeräumt hat, von Deutschland nicht genutzt wird. Hier muss der Gesetzentwurf nachgebessert werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn man schon über Immobiliendarlehen redet, dann sollte man in diesem Zusammenhang auch über andere Verbraucherdarlehen reden, wie es die Verbraucherzentralen und die Verbraucherverbände auch fordern. Nehmen wir beispielsweise die Restschuldversicherungen. Auch sie sind ein lukratives und häufig verstecktes Zusatzgeschäft für die Banken, das für die Verbraucherinnen und Verbraucher zwar einen höheren Preis bedeutet – was sie bei Vertragsabschluss häufig gar nicht erkennen können –, ihnen im Endeffekt aber wenig bringt. Der Vorschlag lautet, dass das automatisch in den Effektivzins mit eingerechnet wird, der dadurch höher ausfallen würde. Dann könnten die Verbraucher von vornherein sehen, dass es sie teuer zu stehen kommt. Ich bin mir sicher, dass diese häufig unsinnigen Versicherungen dann den Verbrauchern nicht mehr so leicht unterzujubeln wären. Zu guter Letzt zum Dispozins. Wir fordern als Linke seit sieben Jahren, dass die Dispozinsen gesetzlich gedeckelt werden müssen. Im Bundestagswahlkampf hat die SPD sich dieser Forderung angeschlossen, und in jeder Wahlkampfrede wurde die Abzocke durch die Banken gegeißelt, und zwar zu Recht. Deswegen finde ich es enttäuschend, dass dieser Gesetzentwurf nichts weiter vorsieht als die Herstellung von Transparenz. Das mag ja schön und gut sein, aber wenn alle Banken in einer Art Kartellabsprache nur Dispozinsen zwischen 8 und 12 Prozent anbieten, dann gibt es gar keine Wahlfreiheit für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Deswegen sagen wir: Die Dispozinsen müssen gesetzlich gedeckelt werden, und zwar auf 5 Prozent über dem Leitzinssatz. Das ist der einzige richtige Weg, um diese Abzocke der Banken endlich zu beenden. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Dr. Stefan Heck von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Stefan Heck (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Auf diese Steine können Sie bauen“: So lautet ein Werbeslogan, der uns allen bekannt ist. Dieser Satz steht nicht nur für einen großen Anbieter auf dem Baufinanzierungsmarkt; er steht auch für unser deutsches Baufinanzierungssystem in seiner Gesamtheit. Im europäischen Vergleich gehören wir noch immer zu den Ländern mit den niedrigsten Zinsen im gesamten Immobilienfinanzierungsbereich. Eine Studie zu Beginn dieses Jahres hat gezeigt, dass Darlehen mit zehnjähriger Zinsbindung in unserem Nachbarland Frankreich immerhin 0,8 Prozentpunkte teurer sind als in Deutschland, in Großbritannien und Italien jeweils ganze 2 Prozentpunkte und in Spanien sogar 2,73 Prozentpunkte. Das heißt im Klartext: Bei einem Hausbau mit den üblichen Kreditkonditionen sind die Kosten für einen zehnjährigen Kredit in Deutschland oftmals um einen hohen fünfstelligen Betrag niedriger als in unseren Nachbarländern. Hinzu kommt die nach wie vor große Solidität unseres Bankensektors. Die globale Finanzkrise ist am ­Subprime-Markt und eben nicht im deutschen Festzinssystem ausgebrochen. Unser Bankensystem ist zwar nicht ganz ohne Blessuren aus der Krise gekommen, aber wir haben sie doch wesentlich besser meistern können als viele unserer europäischen Partner. Darauf können wir stolz sein, und das wollen wir auch in Zukunft bewahren. Im Zuge der Umsetzung der europäischen Wohnimmobilienkreditrichtlinie wollen wir unser funktionierendes Baufinanzierungssystem ergänzen und weiter befestigen. Den ersten Baustein hatte ich bereits erwähnt: Es ist das deutsche Festzinssystem. Es ermöglicht seit vielen Jahren den Verbrauchern sichere und planbare Darlehensmöglichkeiten, damit der Traum vom Eigenheim auch in Erfüllung gehen kann. Weil auch Banken langfristig planen müssen, profitieren die Verbraucher wiederum von im internationalen Vergleich niedrigen Zinshöhen. Dies führt mich bereits zum zweiten wichtigen Baustein, den wir bewahren werden. Es sind das Prinzip der Vertragsfreiheit und der damit verbundene Grundsatz „pacta sunt servanda“. Die langfristige Bindung an wechselseitige Vorteile ist für beide Seiten gut, einerseits für die Verbraucher, andererseits für die Banken. Deswegen sind wir der festen Überzeugung, dass das vertragliche Gleichgewicht zwischen beiden Seiten nicht durch gesetzgeberische Maßnahmen gestört werden darf. Ein vorzeitiger Ausstieg aus einem Kreditvertrag mit zumeist langfristiger Bindung muss daher im Rahmen der vertraglichen Vereinbarungen auch in Zukunft eine entsprechende Vorfälligkeitsentschädigung zur Folge haben können. Sonst bestünde für die Banken hinsichtlich ihrer Refinanzierung keine Planungssicherheit mehr. Beispiele dafür erleben wir unter anderem in den USA. Dort wird keine Vorfälligkeitsentschädigung gefordert, mit der Folge, dass alle Verbraucher höhere Zinsen für ihre Kredite zahlen müssen. Das wollen wir als CDU/CSU-Fraktion in Deutschland so nicht hinnehmen. (Beifall bei der CDU/CSU) Richtig hingegen ist – ich glaube, diese Überzeugung teilen wir alle –, dass der Vermittler dem Verbraucher genau und verständlich erklären muss, zu welchen Modalitäten eine vorzeitige Rückzahlung möglich ist, wie die Vorfälligkeitsentschädigung berechnet wird und wie hoch sie am Ende werden kann. Damit komme ich zum dritten Baustein, auf den wir weiterhin bauen werden und der untrennbar mit der Vertragsfreiheit verbunden ist: Verbraucherschutz durch Transparenz. Um den Verbrauchern mehr Klarheit über den Inhalt des Festzinsdarlehensvertrags zu verschaffen, sieht der Gesetzentwurf eine detaillierte Beratung vor, in der der Vermittler eine individuelle Empfehlung zu einem Produkt abgibt. Eine zwingende Kreditwürdigkeitsprüfung soll gewährleisten, dass dem Verbraucher keine unzumutbare Kreditlast auferlegt wird. Der Darlehensvermittler muss zukünftig Sachkunde und Zuverlässigkeit nachweisen. Die Koalition wird die Gelegenheit nutzen – Sie haben das bereits angesprochen –, um Transparenz in einem anderen Finanzierungsbereich zu schaffen. Ich spreche von den wichtigen Neuregelungen bei den Dispokreditzinsen. Kunden, die über längere Zeiträume den Dispositionskredit in erheblicher Höhe in Anspruch nehmen, werden künftig über günstigere Finanzierungsmöglichkeiten beraten. So wollen wir sicherstellen, dass die Kunden umfassende Informationen über mögliche Alternativen erhalten. Die Kreditinstitute werden verpflichtet, die Höhe ihrer Dispozinsen transparent auf ihrer Webseite zu veröffentlichen. Dadurch wollen wir die Position der Verbraucher bei Dispokrediten weiter stärken. Gleichzeitig müssen wir feststellen, dass in einem anderen Bereich ein überfrachteter Verbraucherschutz in keinem Verhältnis mehr zur Rechtssicherheit steht. Es ist zwar richtig, dass fehlende oder falsche bzw. unvollständige Belehrungen über Widerrufsrechte zu einer Verlängerung der sonst üblichen 14-Tages-Frist führen, innerhalb derer Verbraucher bei vielen Geschäften ihre Kaufentscheidung widerrufen können. Unverhältnismäßig war jedoch, dass die Widerrufsfrist in diesen Fällen erst dann begann, wenn später eine zutreffende Belehrung ergangen ist. Die Notwendigkeit einer Einschränkung haben wir alle erkannt: das Ministerium, das einen entsprechenden Vorschlag gemacht hat, aber auch wir im Parlament. Die Banken müssen sich durch die Refinanzierung dauerhaft festlegen, um ihren Kunden niedrige Zinsen weiterhin anbieten zu können. Die Unsicherheit, ob ein Darlehensnehmer vielleicht nach 10 oder 15 Jahren doch widerruft, bringt das Festzinssystem insgesamt in Gefahr. Damit solche Widerrufe nicht zulasten aller anderen Darlehensnehmer gehen, müssen klare Fristen für den Widerruf gelten. Ich möchte abschließend noch einmal betonen: Vertragsfreiheit, Planbarkeit und Verlässlichkeit durch das Festzinssystem sowie Transparenz für den Verbraucher, auf diese Steine sollten wir auch in Zukunft bauen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD]) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Dr. Gerhard Schick von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Heck, ich möchte als Erstes sagen: Ich finde, Productplacement muss bei einer Bundestagsrede nicht sein. Ich würde zumindest davon absehen, hier Werbeslogans von Unternehmen zu verwenden. Ich hoffe, dass das nicht in Absprache mit dem Unternehmen stattgefunden hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Lachen des Abg. Dr. Stefan Heck [CDU/CSU]) Bei der Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie geht es im Kern darum, wie wir die Stärke von Bank und Kunden in einem Vertragsverhältnis rechtlich regeln. Das heißt, die Frage ist, ob sich der Gesetzgeber in den verschiedenen Bereichen eher auf die Seite der Banken oder auf die Seite der Kunden stellt. Leider sind Sie da zu bankenfreundlich. Ich will an vier Punkten deutlich machen, warum diese Kritik gerechtfertigt ist: Der erste Punkt betrifft die Dispozinsen. Einmal ganz ehrlich: Wenn wir stolz darauf sind, dass wir im Gesetz regeln, dass die Banken ihre Konditionen veröffentlichen müssen – das kann ja wohl nicht sein! Das ist doch wohl eine Selbstverständlichkeit. Das ist doch das absolute Minimum. Wenn man darauf stolz ist, dann heißt das, dass man die eigentlichen Fragen nicht angeht. Beim Thema Dispozins heißt das auch: Es braucht eine Begrenzung, die natürlich gewisse Spielräume lässt, sich an den Marktzinsen orientiert. Aber es kann doch nicht sein, dass wir das, was es teilweise an Auswüchsen gibt, einfach nur mit dem Regeln von Selbstverständlichkeiten, mit der Offenlegung der Konditionen, angehen. Das ist eindeutig zu wenig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Der zweite Punkt betrifft das Widerrufsrecht. Das Widerrufsrecht war für die Banken und Sparkassen in der Vergangenheit tatsächlich ein großes Problem, auch weil im Gesetz ein Fehler war. Das muss man konstatieren. Wenn wir uns das Ganze allerdings einmal mit Blick auf die Zukunft anschauen, gilt trotzdem: Beide, der Verbraucher und die Bank, haben es mit komplexen rechtlichen Fragen zu tun. Es ist ja wohl eher der Bank, dem Profi, als dem Kunden zuzumuten, diese Regelungen zu verstehen und richtig anzuwenden. Deswegen ist es richtig, dass der Kunde hier ein Widerrufsrecht hat. Ich glaube, dass Sie hier zu bankenfreundlich sind. Für den Kunden muss es auch in Zukunft die Möglichkeit geben, zu widerrufen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der dritte Punkt betrifft das Thema Vorfälligkeitsentschädigung. Dabei sind folgende Fragen wichtig: Die eine ist: Wie hoch dürfen Vorfälligkeitsentschädigungen sein? Braucht es eine Begrenzung oder nicht? Die andere Frage lautet: Wie ist die Berechnungsmethode? Wird das überprüft? Läuft das sauber? Außerdem stellt sich die grundlegende Frage: Wollen wir Vorfälligkeitsentschädigungen überhaupt? Es ist klar, dass es dann, wenn wir – das gilt auch für meine Fraktion – an einem über mehrere Jahre festen Zins, also an der Zinsbindung, festhalten wollen, richtig ist, dass es Vorfälligkeitsentschädigungen gibt; sonst haben die Banken keine Planungssicherheit – so weit d’accord. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob man eine Begrenzung festlegen muss. Ich meine, eine Begrenzung ist notwendig, um sicherzustellen, dass es keine Exzesse gibt. Außerdem muss die Berechnungsmethode – das ist das absolute Minimum – einheitlich und transparent sein. Es kann nicht sein, dass sich die Verbraucher darauf nicht verlassen können; denn sie können im Einzelnen nicht so gut rechnen wie eine Bank. Es ist eine absolute Selbstverständlichkeit, dass wir im Gesetz eine einheitliche und transparente Berechnungsmethode festlegen. Auch da springen Sie mit Ihrer gesetzlichen Regelung deutlich zu kurz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will noch einen vierten Punkt nennen – es gibt weitere Punkte; die werden wir in den weiteren Beratungen ansprechen –: die Kopplungsgeschäfte. Die EU-Richtlinie legt fest, dass man Kopplungsgeschäfte nur durchführen kann, wenn sie behördlich genehmigt sind. Es bleibt den Mitgliedstaaten überlassen, das entsprechend umzusetzen. Sie haben aber hier genau diese Begründung, dass es einen Nutzen für den Verbraucher haben muss, weggelassen. Damit öffnen Sie Tür und Tor dafür, dass es weiterhin eine Reihe von unsinnigen Kopplungsgeschäften gibt, dass etwa ein Immobilienkredit mit einem Bausparvertrag oder mit einer Versicherung gekoppelt wird, bei denen die Kosten für den Kunden teilweise deutlich steigen, was für ihn weder transparent noch nachvollziehbar ist, oder die Risiken deutlich zunehmen, weil nicht klar ist, ob ein Kunde am Ende das Geld hat, um seinen Kredit wirklich zurückzahlen zu können. Solche problematischen Geschäfte, die es reihenweise in Deutschland gibt, auch bei vielen, wie wir meinen, eigentlich seriösen Häusern, müssen wir zurückdrängen. Wir müssen schauen, dass es hierfür nicht wieder eine offene Tür gibt. Sie haben aber genau hier die Bindung an die Voraussetzung, dass ein solches Geschäft dem Kunden nutzen muss, weggelassen. Auch dieser Fehler zeigt, dass Sie zu bankenfreundlich sind. Deswegen sehen wir in dem vorgelegten Gesetzentwurf einen großen Korrekturbedarf und hoffen, dass es in den Ausschussberatungen gelingt, diesen auch durchzusetzen. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Mechthild Heil von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Mechthild Heil (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Lay, Sie haben recht: Der Traum vom Eigenheim ist bei vielen Deutschen wirklich stark verankert. Etwa drei Viertel aller Deutschen halten das Eigenheim für die beste Geldanlage. Daran hat auch die Finanzkrise nichts geändert. So verwundert es heute nicht, dass die aktuell noch sehr niedrigen Zinsen auch zum Kauf von Wohnimmobilien genutzt werden. Ich halte das für eine gute Idee, natürlich nicht nur deshalb, weil ich Architektin bin. Ich freue mich auch als Verbraucherschutzbeauftragte darüber, dass wir heute in erster Beratung über die Wohnimmobilienkreditrichtlinie sprechen; denn wir werden viele Dinge beschließen, die die Position der Verbraucher weiter stärken werden. Was planen wir da genau? Wer sich zukünftig zu einer Immobilie beraten lässt, der muss über die Höhe des Beratungsentgelts und die Berechnungsmethode informiert werden, und er muss informiert werden, ob der Berater seiner Empfehlung nur eigene Produkte oder auch fremde Produkte zugrunde legt. Zu Beginn der Beratung steht natürlich immer die Datenerfassung. Darüber hinaus müssen auch die Wünsche und Bedürfnisse eines Kunden aufgenommen werden. Damit gilt dann auch hier das, was wir bereits in anderen Finanzdienstleistungsbereichen erfolgreich eingeführt haben. Wir legen einen anderen Schwerpunkt auf die Qualifikation der Berater. Was für die Finanzanlagen- und Versicherungsvermittler heute schon eine Selbstverständlichkeit ist, gilt nun bald auch für die Immobilienberater. Dazu gehören die Einführung eines Sachkundenachweises, der Nachweis einer Berufshaftpflichtversicherung und eine Registrierung bei der jeweiligen Aufsichtsbehörde. Nicht selten werden zusätzlich zum Immobilienkredit noch weitere Produkte verkauft. Es werden Verträge abgeschlossen, die den Kunden – vermeintlich – absichern sollen. In vielen Fällen sind sie aber gar nicht notwendig und nutzen in erster Linie dem Darlehensgeber. Diese Geschäfte werden wir stark eindämmen, indem wir ein Kopplungsverbot aussprechen werden. Der Kunde soll nicht mehr gezwungen werden können, einen Vertrag zu einem weiteren Produkt gemeinsam mit dem Immobilienkredit abschließen zu müssen. Freiwillig kann er das natürlich nach wie vor tun, aber ein Kopplungsgeschäft werden wir ausschließen. Um auch in diesem Bereich die Zahl der Wahlmöglichkeiten zu erhöhen, schaffen wir die Voraussetzungen für eine Honorarberatung analog zur Anlageberatung. In dem vorliegenden Entwurf sprechen wir noch ein weiteres Thema an – auch die Kollegen haben es schon angesprochen –: den Dispozins. Seit Jahren fordern wir die Banken auf, die Dispozinssätze im Internet zu veröffentlichen. Auch das, sollte man meinen, sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein; Herr Schick, da gebe ich Ihnen vollkommen recht. Manche Banken sind in den letzten Jahren allerdings sehr hartnäckig gewesen und sind unserer Aufforderung nicht gefolgt. Damit muss jetzt Schluss sein. Deswegen schreiben wir in dem Gesetz jetzt eine Offenlegung vor. Jeder Kunde kann dann die Dispozinsen online vergleichen und für sich das beste Angebot heraussuchen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ein weiterer Punkt, den wir angehen, sind die Beratungspflichten bei der Überziehung. Aus einer Umfrage aus dem Jahr 2013 geht hervor, dass etwa 10 Prozent aller Bürger jeden Monat den Dispo nutzen; 8 Prozent nutzen ihn permanent, das ganze Jahr und über Jahre hinweg. Das legt den Schluss nahe, dass vielen dieser Dispokunden nicht bekannt sein kann, dass es wirklich kostengünstigere Alternativen zum Dispo gibt. Das wollen wir und das müssen wir ändern. Wenn ein Kunde – um das jetzt genau festzulegen – sein Konto zukünftig über sechs Monate zu mehr als 75 Prozent des vereinbarten Höchstbetrages überzieht oder die geduldete Überziehung über drei Monate ununterbrochen zu mehr als 50 Prozent nutzt, wird ihm ein Beratungstermin offeriert. Wichtig dabei: Es bleibt nach wie vor seine freie Entscheidung, ob er die Beratung annimmt oder ob er sie ablehnt. Die Beratung – das fordern wir allerdings ein – muss auf alle Alternativen zum Dispokredit hinweisen, mögliche Konsequenzen aufzeigen oder auch geeignete Beratungsstellen nennen, etwa eine Schuldnerberatung. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann muss man erst mal zwei Alternativen bieten!) Mir als CDU/CSU-Verbraucherschutzpolitikerin sind natürlich die Verbraucherinformationen ganz besonders wichtig. Überall und immer spreche ich davon: Nur wenn man gute Informationen hat, kann man auch eigenverantwortlich handeln und eigenverantwortliche Entscheidungen treffen. Der Entwurf geht an dieser Stelle schon in die richtige Richtung, aber sicherlich gibt es an der einen oder anderen Stelle auch noch etwas nachzujustieren. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen mit Ihnen und bin mir sicher, dass wir am Ende eine Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie haben werden, die ein Stück weit mehr die Handschrift der CDU trägt und uns als CDU/CSU in der Verbraucherpolitik ein weiteres Stück nach vorne bringt. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner spricht Dennis Rohde von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dennis Rohde (SPD): Geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Welt ist komplizierter und globaler geworden. Wenn wir heute Kreditprodukte kaufen wollen, dann haben wir eine Fülle von Angeboten vor uns. Wenn meine Großeltern Bankgeschäfte getätigt haben, dann sind sie meistens im Dorf geblieben. Sie sind zu ihrem „Bankbeamten“ gegangen. Das war zwar in der Regel kein Beamter, aber allen Leuten kam es so vor, als sei er ein Beamter. Hatten sie Geld über, haben sie es aufs Sparbuch gelegt; benötigten sie Geld, haben sie bei ihm einen Kredit aufgenommen. Und wenn sie eine Beratung bei einem Hauskauf brauchten, dann hat das alles bei dieser einen Person stattgefunden, die in der Regel in der Nachbarschaft gewohnt hat. Und wenn die Mist gebaut hat, hat man bei ihr an der Haustür geklingelt und sich dort beschwert. Die Welt ist, wie ich gesagt habe, etwas komplizierter geworden. Wir kaufen Produkte im Internet und schließen dort Kredite ab. Wenn wir ein Haus kaufen wollen, dann haben wir nicht nur das Angebot von unserem „Bankbeamten“ vor Ort, sondern wir können unter vielen verschiedenen Angeboten auswählen. Wir haben verschiedenste Produkte zur Auswahl, Produkte wie einfache Immobilienkredite, die wir sofort verstehen, aber auch Produkte mit ganz komplizierten Namen, bei denen wir erst einmal gar nicht wissen, was sich dahinter versteckt. So bietet zum Beispiel meine Bank einen Select Emerging Markets Investment Grade Bond Fund an. Es ist wohl allen klar, was damit gemeint ist. Wenn jemandem es nicht klar ist – ich habe die Beschreibung dabei. Die Welt ist also komplizierter geworden. Entsprechend muss auch die Antwort der Verbraucherschutzpolitik sein. Wir müssen die Verbraucherinnen und Verbraucher ein bisschen an die Hand nehmen. Gleichzeitig harmonisieren wir den europäischen Markt. Wir treffen nicht nur Entscheidungen für unser Land, sondern versuchen, einen möglichst einheitlichen europäischen Markt aufzubauen. Dafür wurde heute ein Gesetzentwurf zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie eingebracht, die ganz viele Bereiche der Wohnimmobilienkredite regelt. Sie enthält – ich zitiere aus der Begründung des Gesetzentwurfs – im Wesentlichen Bestimmungen zu Werbung, (vor) vertraglichen Informationen, Kreditwürdigkeitsprüfung, Widerrufsrecht oder Bedenkzeit, vorzeitiger Rückzahlung und Vorfälligkeitsentschädigung, Fremdwährungsdarlehen, Beratungsleistungen bei der Kreditvergabe und -vermittlung sowie zu Kopplungsgeschäften. Ich weiß, die Frau Präsidentin schaut hinter mir auf die Uhr; ich kann nicht zu allen Punkten etwas sagen. Ich möchte daher zwei Punkte herausgreifen und sie etwas näher ausführen. Zum einen regeln wir mit der Wohnimmobilienkreditrichtlinie auch die Honorarberatung für diesen Bereich. Ich finde, es ist ganz wichtig, dass wir ein zusätzliches Angebot für die Verbraucherinnen und Verbraucher schaffen. Aber ich möchte betonen, dass es ein zusätzliches Angebot ist. Denn ich glaube, dass bei vielen Verbraucherinnen und Verbrauchern an dieser Stelle erst einmal ein Umdenken stattfinden muss. Wenn wir heute eine Versicherung oder einen Kredit brauchen, dann gehen wir davon aus, dass die Beratungsdienstleistung für uns kostenfrei ist, dass wir nicht dafür bezahlen müssen; denn der Berater bekommt ja am Ende die Provision von der Versicherung bzw. von der Bank. Deshalb glaube ich, dass erst einmal ein Umdenken stattfinden muss, dass jetzt für diese Leistung bezahlt werden soll. Aber natürlich ergibt sich daraus auch ein Mehrwert; denn ich kann zumindest mit dem sicheren Gefühl nach Hause gehen, auch wirklich das für meine individuelle Situation beste Produkt bekommen zu haben. Ich muss nicht immer die Frage im Hinterkopf haben, ob es wirklich das beste Produkt für mich ist oder ob es für dieses Produkt vielleicht nur die höchste Provision gab. Ich finde es gut, dass wir mit der Umsetzung dieser Richtlinie die Honorarberatung für diesen Bereich auf den Weg bringen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der zweite Punkt ist schon mehrfach angesprochen worden: Wir legen neue Regelungen für die Dispozinsen fest. Ich möchte Frau Heil ausdrücklich recht geben: Was da auf dem Zinsmarkt stattfindet, ist zum Teil eine schreiende Ungerechtigkeit. Wir haben momentan einen Basiszinssatz von 0,83 Prozent. Der Euribor liegt weit unter 0,5 Prozent. Der Zinssatz für einen Dispokredit liegt im Durchschnitt – so die Stiftung Warentest – immer noch im zweistelligen Bereich. Es gibt immer noch Banken, die für Dispozinsen 15 Prozentpunkte mehr verlangen und ihre Dispozinsen verschleiern – das hat Frau Heil gerade gesagt – und nicht veröffentlichen, sodass man sich als Verbraucher nicht informieren kann. Es ist richtig und wichtig, dass wir endlich sagen: Mit diesem Geschäftsgebaren muss Schluss sein. Jeder, der Dispozinsen anbietet, muss auch transparent machen, wie hoch diese sind. (Beifall bei der SPD) Ich muss für unsere Fraktion noch einmal betonen, dass es uns natürlich am liebsten wäre, wenn wir sagen würden: Wir warten jetzt einmal nicht ab, was diese Transparenzregelung bringt. Wir warten jetzt einmal nicht ab, ob sie greift. – Wir sind da guter Dinge. Die beste Lösung ist, dass wir eine gesetzliche Deckelung auf den Weg bringen, wie sie übrigens vor wenigen Stunden wenige Meter von hier entfernt der Bundesrat beschlossen hat. Der Bundesrat fordert in der Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie eine Deckelung auf 8 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. Ich finde, dass wir uns zumindest damit noch einmal intensiver beschäftigen müssen. (Beifall bei der SPD) Natürlich helfen Dispozinsen nicht denjenigen, die überschuldet sind. Wir wissen, dass fast 10 Prozent der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger in einer Situation sind, die man schon fast als Überschuldung oder als klare Überschuldung, bei der der einzige Ausweg die Privatinsolvenz ist, bezeichnen muss. Für diese Bürgerinnen und Bürger brauchen wir andere Lösungen. Ich bin dafür, dass wir uns in den nächsten Wochen und Monaten auch einmal selbst die Frage stellen: Welche Regelung können wir denn auf den Weg bringen, um Menschen davor zu schützen, überhaupt in die Verschuldungsfalle zu kommen? Denn Vorbeugung ist, glaube ich, besser, als Leute nachher in die Privatinsolvenz zu schicken. Auch das sollte für uns eine Herausforderung in den nächsten Wochen und Monaten sein. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Dr. Volker Ullrich von der CDU/CSUFraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Wort „Kredit“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „das in Treu und Glauben Anvertraute“. Wir haben die Aufgabe, in einem umfangreichen Gesetzgebungsprozess Vertrauen gerecht zu werden und Vertrauen zu schaffen, einerseits das Vertrauen des Verbrauchers in einen praktikablen und ordnungsgemäßen rechtlichen Rahmen der Kreditabwicklung und andererseits das notwendige Vertrauen einer Volkswirtschaft in einen funktionierenden Kreditmarkt. Aus Sicht des Verbrauchers steht diese Anforderung im Spannungsfeld zwischen dem notwendigen Schutz einerseits und der notwendigen Eigenverantwortung andererseits. Ich meine, dieser Gesetzentwurf wird diesem Spannungsfeld gerecht. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich möchte auf drei Punkte eingehen, die aus meiner Sicht eine nähere Betrachtung erfahren sollten. Erstens. Wir führen auch zivilrechtlich eine sogenannte Kreditwürdigkeitsprüfung im Bereich der Verbraucherdarlehen ein. Bislang war es so, dass lediglich die darlehensausreichende Bank aufsichtsrechtlich nach dem Kreditwesengesetz eine Kreditwürdigkeitsprüfung vornehmen musste. Jetzt wird diese auch im BGB verankert. Die Sanktionen sind durchaus gravierend: Wenn ein Kredit ausgereicht wird, ohne eine ordnungsgemäße Kreditwürdigkeitsprüfung vorgenommen zu haben, ermäßigt sich gesetzlich der Zinssatz auf den öffentlicher Pfandbriefe, das heißt im Augenblick auf praktisch null. Allerdings tritt diese Ermäßigung nur bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz in Bezug auf die Mitwirkungspflicht des Darlehensnehmers ein. Kommt der Darlehensnehmer seiner Mitwirkungspflicht fahrlässig oder leicht fahrlässig nicht nach, dann kann er diese Ermäßigung nicht in Anspruch nehmen. Ich möchte betonen, dass wir im Ergebnis den schlampigen Kreditnehmer nicht auch noch belohnen sollten. Deswegen sollten wir bei dieser Frage noch einmal genauer hinsehen. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch betonen, dass wir uns überlegen sollten, ob sich die Kreditwürdigkeitsprüfung nicht auch auf sogenannte NullProzentFinanzierungen erstrecken sollte. NullProzentFinanzierungen unterliegen nicht dem Darlehensbegriff, weil sie eben nicht entgeltlich sind. Aber die Folgen sind ähnlich, vielleicht sogar gravierender, weil demjenigen, der eine NullProzentFinanzierung in Anspruch nimmt, beispielsweise die Möglichkeit der Einrede der Mängelrüge fehlt. Das heißt, wenn er das gekaufte Gut zurückgibt, dann muss im Zweifel der Kredit dennoch bedient werden. Das ist eine Unbilligkeit, die wir aufheben sollten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Bei der Frage der Dispozinsen möchte ich ein wenig meine Enttäuschung darüber zum Ausdruck bringen, dass trotz der Appelle aus diesem Hohen Haus und der Debatte, die wir seit eineinhalb Jahren führen, die Banken kein Zinsniveau erreicht haben, das allgemein akzeptabel und dankbar ist. Die Dispozinsen sind nach wie vor zu hoch. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Die Frage ist, wie wir darauf reagieren. Gesetzliche Deckelungen mögen eine Antwort sein. Die andere ist aber, auf Transparenz und Beratung zu setzen, und zwar Beratung in einem Umfang, der es für die Banken gar nicht mehr attraktiv macht, hohe Dispozinsen zu verlangen. Wenn Sie in diesen Gesetzentwurf schauen, dann stellen Sie fest, dass die Banken beraten und dokumentieren müssen. Sie müssen mehrmals beraten. Am Ende des Tages müssen sie sogar auf Schuldnerberatungen und andere Einrichtungen hinweisen. Da wäre es doch für die Banken zukünftig einfacher, die Dispozinsen zu senken, um diesen Dokumentationspflichten zu entgehen. Der letzte Punkt bezieht sich auf die Vorfälligkeitsentschädigung und ihre Deckelung. Es ist zunächst einmal Konsens, dass Vorfälligkeitsentschädigungen ein wichtiges Instrument sind, weil sie die Disposition der Bank und das Vertrauen auf die Laufzeit des Darlehens ein Stück weit kompensieren und weil damit die Banken ihre eigenen Refinanzierungsmöglichkeiten besser absichern können. Die Frage ist also, ob eine Vorfälligkeitsentschädigung gerade im Bereich der Immobilienkredite gedeckelt werden sollte oder nicht. Ich bitte darum, dass wir diese Frage sehr sorgsam prüfen. Es nützt nämlich nichts, wenn wir die Vorfälligkeitsentschädigungen bei Immobiliendarlehen deckeln, dadurch aber das Zinsniveau allgemein steigt, wir das Festzinsniveau in Deutschland unterminieren und damit am Ende die Kredite für Häuslebauer teurer sind. Wir hätten dem ganzen System damit einen Bärendienst erwiesen. Das wollen wir nicht. Wir stehen an der Seite unserer Häuslebauer. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, es ist ein umfangreiches Gesetzespaket mit einer enormen praktischen Auswirkung. Deswegen kann ich für unsere Fraktion zusichern, dass wir dieses Gesetzesvorhaben sehr sorgsam und intensiv begleiten und offen sind für praxistaugliche, verbraucherfreundliche und das System unserer Volkswirtschaft schützende Vorschriften und Vorschläge. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 18/5922 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 26 a und 26 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam), Sigrid Hupach, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Kinderrechte umfassend stärken Drucksache 18/6042 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Doris Wagner, Beate Walter-Rosenheimer, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Von Anfang an beteiligen – Partizipationsrechte für Kinder und Jugendliche im demografischen Wandel stärken Drucksachen 18/3151, 18/5276 Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, ihre Plätze einzunehmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat Norbert Müller von der Fraktion Die Linke das Wort. Gleichzeitig bitte ich die Kolleginnen und Kollegen, sich an die Redezeit zu halten; denn wir sind schon in Verzug. (Beifall bei der LINKEN) Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): Ich will es versuchen, Frau Präsidentin. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher, die Sie am Freitagnachmittag auf der Tribüne sitzen! Es ist eine gute Gelegenheit, dass wir auf der Grundlage einer Petition, die über 100 000 Menschen unterzeichnet haben, jetzt darüber reden können, in Deutschland einen Kinderbeauftragten einzuführen. Die Debatte ist deutlich älter. Es gibt sie seit den 80er-Jahren. Aber immerhin hat der Druck der Petition insgesamt wieder Bewegung in das ganze Thema „Kinderrechte“ und „Kinderrechte ins Grundgesetz“ gebracht. Der Antrag, den wir vorgelegt haben, vereint erstmals die Frage der Einberufung eines Kinderbeauftragten auf der einen Seite mit der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention, die am 20. November ins 27. Jahr ihres Bestehens geht, und der Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz auf der anderen Seite. Warum wollen wir Kinderrechte stärken? Wir glauben, dass Kinderrechte ins Grundgesetz gehören, damit die UN-Kinderrechtskonvention in all ihren Punkten wirkungsmächtig umgesetzt werden kann. Gerade die Vereinten Nationen weisen immer wieder auf Defizite in Deutschland hin. Ich will nur einige exemplarisch nennen: hohe Kinderarmut bei gleichzeitigem massivem Reichtum im Land, frühe Selektion im Bildungssystem und verwehrte Bildungschancen, die häufig mit der Armut der Familien zu tun haben und sich dann vererben, massive Qualitätsunterschiede bei Betreuung und Bildung im Land, aber auch Rekrutierung und Werbung der Bundeswehr in Schulen und Kitas, Rekrutierung von 17-Jährigen zum Dienst an der Waffe – auf freiwilliger Basis, aber immerhin –, mangelnder Schutz für besonders schutzbedürftige Gruppen wie junge Flüchtlinge oder junge Menschen mit Behinderung; über junge Flüchtlinge haben wir heute früh bereits gesprochen. Ich glaube übrigens, Herr Lehrieder: Hätten wir bereits einen Bundeskinderbeauftragten, dann würde er Ihnen – ähnlich wie ein Menschenrechtsbeauftragter – angesichts des heute früh andiskutierten Gesetzes zur Umverteilung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen die Leviten lesen. (Beifall bei der LINKEN – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Ach, hör mir auf! Ein gutes Gesetz haben wir da!) Was ist jetzt der Stand im Verfahren, und was sind die Interessen der Koalition? Ich hatte gesagt: Die Debatte um die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz ist 25 Jahre alt. Es gab bereits in den 80er-Jahren eine Bewegung für die Einsetzung eines Kinderbeauftragten. Im Ergebnis wurde immerhin die Kinderkommission des Deutschen Bundestages eingerichtet. Nun müssen wir einen Schritt weiter gehen. Die Petition hat 114 000 Unterschriften erzielt. Aber sie betrifft eben nur eine Seite der Medaille. Um einen UN-kinderrechtskonformen Zustand in Deutschland herzustellen – darauf weist die Konvention selbst bereits hin –, muss die Konvention in nationales Recht, auch in nationales Verfassungsrecht, überführt werden. Ein Kinderbeauftragter kann dabei als Ergänzung zur Stärkung der Rechtssubjektstellung von Kindern im Grundgesetz angesehen werden. Es gehört eben zusammen; man darf es nicht voneinander isolieren. Was sind die drei Kernziele unseres Antrages? Erstens. Wir wollen die Kinderrechte ins Grundgesetz bringen, das heißt, wir wollen den Vorrang des Kindeswohls und den Anspruch der Kinder auf Schutz, Förderung und Beteiligung verfassungsrechtlich verankern. Das ist dringender denn je. Zweitens. Wir wollen im Grundgesetz einen unabhängigen Kinderbeauftragten verankern. Das ist eine Forderung, die auch von den Verbänden erhoben wird. Es gibt immer den Hinweis auf den Wehrbeauftragten. So ähnlich kann man sich das vielleicht vorstellen. Ich glaube, wenn man auf der einen Seite die Rechtssubjektstellung der Kinder stärkt, indem man die Kinderrechte im Grundgesetz verankert, muss dies zwingend nach sich ziehen, den Kinderbeauftragten ebenfalls im Grundgesetz zu verankern. Drittens. Wir brauchen ein Gesetz über die Befugnisse eines Kinderrechtsbeauftragten. (Beifall bei der LINKEN) Wie können diese Befugnisse aussehen, liebe Kolleginnen und Kollegen? Ein Kinderbeauftragter könnte unseres Erachtens zur Kinderrechtskonformität von Gesetzesvorhaben des Bundes – möglicherweise auch der Länder, wenn man das ganze System so ausgestaltet – Stellung nehmen. Er könnte Behördenhandeln, das gegen die UN-Kinderrechtskonvention verstößt, kritisieren. Wir bauen allmählich über das Deutsche Institut für Menschenrechte entsprechende Strukturen auf, aber wir sind da erst ganz am Anfang. Kinderrechte müssen ins öffentliche Bewusstsein gebracht werden. Auch dafür kann ein Kinderbeauftragter Botschafter an prominenter Stelle sein. Er kann aber auch Ansprechpartner für die zum Teil schon vorhandenen Kinderbeauftragten auf Landes- und kommunaler Ebene sein. Wir wollen dem Kinderbeauftragten darüber hinaus Rechte geben. Auch deswegen muss er in der Verfassung verankert werden. Wir wollen, dass er Akteneinsicht und ein Anhörungsrecht, aber auch ein Recht auf Amtshilfe erhält, um beschwerdeführende Kinder vertreten zu können. Wir wollen, dass Landesverfassungen und Landesgesetze an den Vorrang des Kindeswohls angepasst werden bzw. – um es mit den Worten der UN-Kinderrechtskonvention zu sagen – im besten Interesse des Kindes formuliert werden. Wir wollen, dass die Beteiligungsmöglichkeiten sukzessive ausgebaut werden. Dafür bedarf es aber auch entsprechender finanzieller Möglichkeiten auf kommunaler und Landesebene sowie auf Bundesebene. Die Monitoringstelle, die jetzt beim Deutschen Institut für Menschenrechte eingerichtet werden soll, muss deutlich stärker aufgestellt werden, damit sie wirklich befähigt wird, dafür zu sorgen, dass die UN-Kinderrechtskonvention vollständig umgesetzt wird und es keine größeren Verletzungen mehr geben kann; sie muss ertüchtigt werden. Dass es sie gibt, kann eben nur ein Anfang sein. (Beifall bei der LINKEN) Wir haben erste Befürchtungen, was die Koalition daraus machen wird. Wir wissen, dass Sie da unterschiedlichste Vorstellungen haben. Ich weiß, dass die Sozialdemokraten ebenso – da sind wir uns sehr einig – die Kinderrechte ins Grundgesetz aufnehmen und einen Kinderbeauftragten einsetzen wollen. Wir hören aus der Union – wir hatten ja schon eine erste Anhörung dazu –, dass auch Sie sich vorstellen könnten, einen Kinderbeauftragten einzusetzen. Aber was ich da an konkreten Vorstellungen höre, das macht mir eher Angst und Bange. Ich sage Ihnen deutlich: Wenn die Debatte über einen Kinderbeauftragten am Ende dazu genutzt wird, um die spezifische Stellung der Kinderkommission des Deutschen Bundestages zu schleifen – das nennen Sie dann Aufwertung, ich nenne das Abwertung –, daraus einen ordentlichen Ausschuss zu machen, oder wenn sich die Fraktionen der Großen Koalition mit Fraktionszwang durchsetzen, um den Anfang von öffentlicher Ombudschaft für Kinder – denn das ist die KiKo ein Stück weit – wegzuschleifen, um dann einen zahnlosen Kinderbeauftragten, der in Personalunion auch Vorsitzender der Kinderkommission sein soll, zu installieren, dann ist das genau der falsche Weg. Das führt zum Abbau von Kinderrechten. Das geht nicht in die richtige Richtung. (Beifall bei der LINKEN) Wir wollen, dass das Amt des Bundeskinderbeauftragten keine Alibiveranstaltung wird. Wir wollen die 114 000 Petentinnen und Petenten ernst nehmen. Sie ernst zu nehmen, heißt in erster Linie – ich komme zum Schluss –, Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen, aber auch, einen Kinderbeauftragten zu installieren, der handlungsfähig ist. Er muss Verfassungsrang bekommen, und er muss eine gesetzliche Grundlage bekommen, damit er ordentlich arbeiten kann. Ich wünsche mir eine konstruktive Debatte über unseren Antrag im Ausschuss. Herr Lehrieder, ich wünsche mir auch, dass wir die Durchführung einer Anhörung im Ausschuss nicht weiter aufschieben, sondern zu einer zeitnahen Terminierung kommen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das machen wir doch am Mittwoch, Herr Müller!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Eckhard Pols von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Eckhard Pols (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Jugendliche auf der Tribüne, ich freue mich, dass dieser Debatte auch junge Leute beiwohnen! Herr Müller hat es schon gesagt: Wir befassen uns heute mit zwei Anträgen der Oppositionsfraktionen, die sich in unterschiedlicher Breite und unterschiedlicher Tiefe der Frage der Kinderrechte widmen. Sie beziehen sich auf Rechte – das haben wir schon gehört –, die in der UN-Kinderrechtskonvention verbrieft sind und damit unmittelbare Geltung in unserem Land haben. Es sind die wichtigen Rechte auf Schutz vor Gewalt und Krieg, auf freie Meinungsäußerung, auf ein gesundes Aufwachsen, aber auch auf Freizeit, Ruhe und Spiel, um nur einige zu nennen. Ich denke, Kollege Müller, dass wir in einigen Punkten nicht ganz so weit mit den anderen Fraktionen auseinanderliegen, was die Wertschätzung und den Wunsch nach Stärkung der Kinderrechte in Deutschland angeht. (Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: Bei uns beiden glaube ich das schon!) Insbesondere in Zeiten von Flüchtlingsströmen und internationalen Krisen ist das Kindeswohl etwas, das unserer besonderen Aufmerksamkeit bedarf. Vielmehr: Es sind die Kinder, die unseres Schutzes bedürfen. Ich denke hier besonders an die unzähligen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, denen wir schnellstens Obdach, Sicherheit und ein möglichst kindgerechtes Umfeld bieten müssen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Nicht umsonst ringen wir intensiv um den Gesetzentwurf zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher, über den wir heute Vormittag in diesem Hause debattiert haben. Bei aller Einigkeit bei der Einstellung zu Kinderrechten gibt es jedoch im Detail einiges, was uns, die Oppositionsfraktionen und die Koalitionsfraktionen, trennt. Das ist vor allem die Frage der praktischen Umsetzung. Welche Wege wollen wir einschlagen, um eine Stärkung der Kinder und ihrer unveräußerlichen Rechte zu erreichen? Im Grunde lässt sich dabei die wiederkehrende Debatte auf zwei zentrale Punkte zuspitzen: Werden Kinderrechte stärker wahrgenommen, wenn sie im Grundgesetz stehen? Werden sie besser geachtet, wenn es einen Bundeskinderbeauftragten bzw. eine -beauftragte in Deutschland gibt? Gerade in der letzten Zeit – Herr Müller hat es angesprochen – hat der letzte Punkt durch eine Petition des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte ein bisschen Aufwind bekommen. An dieser Stelle möchte ich den Petenten danken, dass sie uns wichtigen und richtigen Input gegeben haben und den Finger auf einen Punkt legen, über den seit vielen Jahren innerhalb und außerhalb der Politik debattiert wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Der Antrag der Linken und in Teilen auch der Antrag der Grünen greift die Forderung der Petenten auf. Sie fügen dem potenziellen Amt aber auch weitere Anforderungen, Aufgaben und Strukturen hinzu. Ich sage auch – es ist ein offenes Geheimnis –, dass ich einer Stärkung der Kinderrechte, in welcher Form auch immer, offen gegenüberstehe. Dennoch halte ich den Zeitpunkt der Anträge für unglücklich. Denn wie auch Sie, liebe Kollegen der Oppositionsfraktionen, wissen, findet innerhalb der Regierungskoalition eine intensive Diskussion – ich schaue hier besonders meine Kollegin Rüthrich an – über die Petition und die politischen Handlungsmöglichkeiten statt. (Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: Wir können jetzt nicht mehr abwarten!) Diese Diskussion ist noch nicht abgeschlossen, (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum müsst ihr es ein bisschen beschleunigen!) und ich möchte dem Ergebnis an dieser Stelle auch nicht vorgreifen. Für mich ist bei allen Optionen, die wir haben, die derzeit im Raum stehen, entscheidend, dass wir am Ende eine substanzielle Verbesserung für Kinder und deren Interessen erreichen. Das ist genau das, was ich, glaube ich, vor einem Jahr in der Debatte zum 25. Jubiläum der Kinderrechtskonvention hier deutlich gemacht habe. Es muss die Frage geklärt werden, ob die Einrichtung einer neuen Bundesstelle für die Anliegen von Kindern hilfreich ist oder ob dadurch hinderliche Doppelstrukturen zu bestehenden Institutionen und Organen geschafft würden. Auch muss geklärt werden, ob Verbesserungen bestehender Organisationen nicht sinnvoller sind, um eine Aufwertung der Kinderrechte zu erreichen. Parallel zur Diskussion der angesprochenen Fragen nehmen wir voraussichtlich schon im Herbst eine wichtige Stärkung von Kinderrechten vor, indem wir die Monitoringstelle für die Umsetzung der Kinderrechtskonvention einsetzen. Sie wird beim Deutschen Institut für Menschenrechte angesiedelt und mit Bundesmitteln gefördert. Daran wird deutlich: In Sachen Kinderrechte ist einiges in Bewegung. Es ist also anders, als die Opposition uns das immer wieder glauben machen will. An dieser Stelle möchte ich einen Hinweis zum Antrag der Grünen geben – das habe ich in der Ausschussdebatte schon angesprochen; als aktiver Kommunalpolitiker möchte ich das aber wiederholen –: Viele Ihrer Vorschläge zur Beteiligung mögen im ersten Moment sinnvoll und schön klingen, aber leider nur im ersten Moment; denn – das wissen Sie alle – wir haben in der Bundesrepublik Deutschland aus gutem Grund eine föderale Grundordnung. Aus einem ebenso guten Grund werden viele Entscheidungen möglichst nah am Menschen getroffen. Das ist übrigens ein Gütezeichen dieser föderalen Ordnung: geteilte Zuständigkeiten und gemeinsame Aufgaben. Diese Erkenntnis sprechen Sie, werte Kollegen der Grünen, in Ihrem Antrag indirekt selbst an. Sie stellen zu Recht fest, dass eine Beteiligung von Kindern an den Orten am meisten Sinn macht, an denen die Kinder direkt betroffen sind, nämlich in ihrem Lebensumfeld. Umso verwunderlicher ist es für mich, dass Sie dabei nicht feststellen, dass ein Großteil der in Ihrem Antrag formulierten Forderungen nicht in die Zuständigkeit des Bundes fällt, sondern dafür aus guten Gründen die Landesebene oder die Kommunen zuständig sind. Partizipation von Kindern fängt überall dort an, wo die Lebenswelten von Kindern berührt sind. Das beginnt in der Familie, geht über den Kindergarten und die Schulen bis zum Sportverein, also im direkten örtlichen Umfeld. Es gibt wunderbare Beispiele, wie Kinder und Jugendliche vor Ort eingebunden werden können. Ich denke an die engagierten Schülersprecher, an Vorstandsmitglieder in Vereinen, aber auch die zahlreichen Kinder- und Jugendparlamente, an die Kreisjugendringe, die Jugendgemeinderäte oder die Kinder- und Jugendbeauftragten. Sie leisten eine hervorragende Arbeit im Lebensumfeld der Kinder, und damit unmittelbar erlebbar für die Kinder. Die engagierten Jugendlichen, aber auch die Mandatsträger vor Ort können sich der Unterstützung des Bundes sicher sein, sei es über Fördermittel aus dem Fonds „Demokratie leben!“, die gezielt für die Bildung von Jugendforen und Jugendfonds zur Verfügung stehen, über spezielle Förderinstrumente des Innovationsfonds des Kinder- und Jugendplans des Bundes oder durch praktische Tipps in der Broschüre „Qualitätsstandards für Beteiligung von Kindern und Jugendlichen“ des Bundesministeriums. Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Viele Kommunen gehen bereits neue und auch innovative Wege in Sachen Kinder- und Familienfreundlichkeit, schlicht und ergreifend, weil sie es müssen. Offenheit für die Belange der Kinder und die besonderen Bedürfnisse von Familien ist ein Standortvorteil, den ein Lokalpolitiker natürlich gerne für sich nutzt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Sönke Rix [SPD]) Dieses Engagement und den Ideenreichtum kleinzureden, liebe Kolleginnen und Kollegen, empfinde ich ein bisschen als Missachtung des Engagements der Menschen vor Ort. Anträge, die von einer solchen Einstellung getragen werden, Herr Müller, kann und will ich nicht unterstützen. Lassen Sie uns den Menschen und den Strukturen vor Ort vertrauen. Bringen wir ihnen Vertrauen entgegen; denn die Menschen vor Ort wissen, wo Hilfe dringend nötig ist. Unsere Aufgabe besteht zum großen Teil darin, die dafür notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Ich glaube, wir sind da auf dem richtigen Weg. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin spricht Beate Walter-Rosenheimer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen! Ich bin froh, dass wir heute diese Debatte zum Thema Kinderrechte führen. Ich begrüße ausdrücklich den Antrag der Linken, über den wir heute sprechen und zu dem wir unseren Antrag „Von Anfang beteiligen“ dazugestellt haben. Kinder- und Jugendpartizipation im Zeitalter des demografischen Wandels ist in aller Munde. Diskutiert wird über Kinderrechte. Experten referieren, wie gut und wichtig eine möglichst frühe altersgerechte Beteiligung von Kindern ist und wie wichtig diese für unsere Gesellschaft ist. Ich glaube, da sind wir uns alle einig. Warum sprechen wir aber immer noch und immer wieder darüber, Kinderrechte umfassend zu stärken? Weil, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, diese Begriffe in der Theorie zwar gut klingen, in der Praxis aber immer noch relativ stiefmütterlich behandelt werden. (Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: Richtig!) Da heißt es: endlich handeln! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die UN-Kinderrechtskonvention ist bei uns nicht vollständig umgesetzt, auch nicht im Hinblick auf die Partizipationsrechte. Die Vereinten Nationen ermahnen Deutschland immer wieder, den Kinderrechten mehr politisches Gewicht zu verleihen. Deutschland ist, was Kinderrechte angeht, ein Flickenteppich. Das sage nicht ich, das sagen nicht die Grünen, sondern das sagen die Vereinten Nationen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch richtig so! Da müssen wir ran jetzt!) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, Sie fordern in Ihrem Antrag einen Gesetzentwurf, „der die Kernaufgaben, die Befugnisse, die Stellung sowie die Ausstattung des/der Bundeskinderbeauftragten regelt“. Das finde ich gut. Das wollen auch wir als Grünefraktion. Eines muss klar sein: Wenn wir einen Kinderbeauftragten auf Bundesebene etablieren, dann braucht dieser eine gewichtige Stimme – und kein Stimmchen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]) Die Position muss stark sein und darf kein Spielball politischer Interessen werden. Kinder- und Jugendpolitik ist aber viel mehr. Sie bedeutet Beteiligung. Das hat Herr Pols, mein Kollege aus der Kinderkommission, gerade schon gesagt. Selbst entscheiden, selbst mitmachen, natürlich vor Ort in der Familie, aber auch überall, Demokratie lernen. In Ihrem Antrag, liebe Linke – das ist für mich ein Wermutstropfen –, kommt dieser Partizipationsstrang ein bisschen zu kurz. Deshalb haben wir uns in unserem Antrag auf das Wahlalter 16 fokussiert. Auch dieses Thema wird seit langem diskutiert. (Zuruf von der CDU/CSU: Das bringt aber nichts!) Einzelne Kommunen und Länder sind mit gutem Beispiel vorangegangen. Nur im Bund warten wir bis heute darauf. Das muss sich ändern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Warum? Ich finde, da lohnt sich ein genauerer Blick. Ihre Ministerin, Frau Schwesig, war auch Ministerin im Mecklenburg-Vorpommern und hat sich dort vehement für die Einführung des Wahlrechts ab 16 eingesetzt. Und was ist passiert? Dürfen Jugendliche unter 18 jetzt den Landtag in Schwerin mitwählen? Nein, sie dürfen es nicht. Nun ist Frau Schwesig Bundesfamilienministerin. (Zuruf von der LINKEN) – Ja. Da war sie aber nicht. – Plötzlich scheint dieses Thema von ihrer jugendpolitischen Agenda komplett verschwunden zu sein. Die Opposition in Mecklenburg-Vorpommern hat der Ministerin, die heute leider nicht da ist, (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Ist im Bundesrat!) damals vorgeworfen, dass sie, was dieses Thema angeht, zwar – ich zitiere jetzt nur – kluge Reden hält, aber wenn es darauf ankommt, schweigt und nicht handelt. Ich hoffe, dass wir es auf Bundesebene nicht mit dem gleichen Phänomen zu tun haben. Die Frau Ministerin hat in ihrer eigenen Fraktion bei diesem Thema doch einen großen Rückhalt. Erst kürzlich, im Juli, hat der werte Herr Kollege Rix die generelle Absenkung des Wahlalters auf 16 gefordert. Die Frau Ministerin hat viele gute Dinge durchgesetzt – das will ich nicht bestreiten, und ich bin auch sehr froh darüber –, aber jugendpolitisch sieht das anders aus. Jugendpolitisch ist ihre Bilanz ein weißer Fleck auf der Landkarte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]) Die Hälfte dieser Wahlperiode ist um. Langsam wird es Zeit. Oder ist Ihnen beim Thema Jugendpolitik buchstäblich auf halber Strecke die Luft ausgegangen? Ich nenne ein Beispiel. Nach der Wahl haben Sie einen Jugend-Check angekündigt. Das klingt erst einmal total gut und hört sich richtig gut an. Im Juli 2015 wollte ich von Ihrem Ministerium wissen, was daraus wird und wann der Jugend-Check eingeführt wird. In der Antwort lese ich, dass Sie sich im September auf Arbeitsebene mit den Kollegen des österreichischen Familienministeriums zusammensetzen. Das ist Mitte der Legislaturperiode das erste Gespräch auf Arbeitsebene. Na ja, da brauche ich nicht mehr viel zu sagen. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da bin ich gespannt, ob das noch hinhaut!) Sehr geehrte Große Koalition, geben Sie sich einen Ruck! Es spricht vieles für das Wahlalter 16 und nichts Vernünftiges dagegen. (Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: In Brandenburg war die CDU dagegen!) Wie sagte Frau Ministerin Schwesig selbst zum Weltkindertag am vergangenen Sonntag so schön: „Wir müssen Jugendliche ernst nehmen, ihnen konkrete Angebote machen, die Zukunft unserer Gesellschaft aktiv mitzugestalten“? (Zurufe von der CDU/CSU) – Genau. – Machen Sie sich ans Werk. Die Devise heißt: Wagen statt Zaudern, Handeln statt Ankündigen, Umsetzen statt Versprechen. Stehen Sie zu Ihren Worten, und handeln Sie auch für Jugendliche. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Svenja Stadler von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Svenja Stadler (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Kürzlich habe ich auf einem Elternabend einen interessanten Satz gehört: Dass Kinder Pflichten haben, wird gern erwähnt, dass sie aber auch Rechte haben, wird ebenso gern vergessen. – Natürlich haben Kinder Rechte, und zwar ganz spezielle Rechte. (Beifall bei der SPD) Dazu gehört insbesondere die Feststellung, dass Kinder und Jugendliche Träger eigener Rechte sind und nicht bloß als Teil einer Familie oder als Kind von Eltern betrachtet werden dürfen. Deshalb freue ich mich, dass wir zwei Anträge vorliegen haben, die uns einen Anlass geben, hier heute über das wichtige Thema Kinderrechte zu diskutieren. – Herr Weinberg, ich freue mich, wenn Sie mitdiskutieren. Danke. (Zuruf des Abg. Marcus Weinberg (Hamburg) [CDU/CSU] – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) – Vorher sollten Sie mir vielleicht zuhören. Zum einen diskutieren wir über den Antrag der Linken, der die UNKinderrechtskonvention in den Mittelpunkt stellt. In diesem Monat jährt sich zum 25. Mal das Inkrafttreten der Konvention. Das bedeutet, dass heute die erste Generation Kinder bereits erwachsen ist, die von diesen Rechten profitiert hat. Ich finde, das ist ein Grund zum Feiern, zum Feiern der Konvention selbst als Grundlage für eine Politik, die Kindern ein gutes Aufwachsen ermöglicht, und zum Feiern der Fortschritte, die wir bei ihrer Umsetzung gemacht haben. Denn der Kinderrechtsausschuss der Vereinten Nationen, der die Staatenberichte zur Umsetzung der Konvention auswertet und beurteilt, stellte zuletzt fest, dass Deutschland große Fortschritte gemacht hat. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tatsächlich?) Darüber hinaus gab es auch Verbesserungsvorschläge. Zum Beispiel wurde vorgeschlagen, eine unabhängige Monitoringstelle einzurichten. Diese wird übrigens inzwischen vom Familienministerium installiert. Sie ist vollständig unabhängig und – das wurde richtig festgestellt – beim Deutschen Institut für Menschenrechte angesiedelt. Die Geschäftsführerin und auch die Mitarbeiter sind eingestellt, und die Strukturen werden gerade aufgebaut. (Beifall bei der SPD) Sehen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, wir arbeiten kontinuierlich daran, die Umsetzung der Konvention zu verbessern. Das Jubiläum ist aber auch ein Anlass, wie ich finde, sich zu fragen, was wir noch tun können, um die Rechte von Kindern und Jugendlichen zu verbessern und zu stärken. Für mich liegt es ganz klar auf der Hand: Die Kinderrechte gehören ins Grundgesetz. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]) Schon in der letzten Legislaturperiode legte die SPD-Bundestagsfraktion einen Antrag dazu vor. (Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: Wir auch!) Auch mit unserer Familienministerin Manuela Schwesig sind wir uns darin einig. Neben dem Antrag der Linken sprechen wir heute auch über einen Antrag der Grünen. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Genau!) Ihnen geht es insbesondere um die Beteiligungsrechte und die Partizipation von Kindern und Jugendlichen. Dieser Teilbereich der Kinderrechte ist mir als engagementpolitische Sprecherin meiner Fraktion besonders wichtig. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Engagementpolitische Sprecherin! – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen!) Denn Beteiligung und das Sicheinbringen in eine demokratische Gesellschaft müssen von Anfang an erfahren und erlernt werden. Ich möchte hier noch einmal auf die aktuelle Situation der Flüchtlinge zu sprechen kommen. Bei uns in Deutschland leben bereits jetzt viele Kinder und Jugendliche, die aufgrund von Kriegen, Terror und Verfolgung aus ihren Heimatländern flüchten mussten. Machen wir uns nichts vor: Weitere werden kommen. Viele von ihnen leben ohne Eltern oder Familie bei uns. Ihnen müssen im Sinne der Chancengleichheit, wie sie in der UNKinderrechtskonvention festgeschrieben ist, dieselben Rechte zukommen wie allen anderen Mädchen und Jungen in Deutschland auch. (Beifall bei der SPD) Deshalb ist es unendlich wichtig, dass gerade diese Kinder und Jugendlichen von Anfang an das Gefühl haben, dass sie sich und ihre Interessen einbringen können, dass sie bei uns Gehör finden, dass wir sie ernst nehmen. Wer Demokratie lernen soll, der muss von Anfang an die Erfahrung machen, dass Demokratie etwas mit ihm selbst zu tun hat. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass die Beteiligungsrechte wirklich allen Kindern zustehen, unabhängig von ihrer Herkunft und unabhängig von ihrer Religion. Bereits heute Vormittag haben wir über die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge und ihre Situation gesprochen. Der dazu vorgelegte Gesetzentwurf ist in meinen Augen eine gute Grundlage. Wir müssen aber auch weiterhin sehr genau darauf achtgeben, dass die Rechte von Kindern gewahrt und geachtet bleiben. Auch angesichts einer Krisensituation können und dürfen wir hier keine Abstriche machen. (Beifall bei der SPD) Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass in unserem Land jedes Kind gut und frei von Gewalt aufwächst, von Anfang an gute Bildung genießt und sich aktiv in unsere Gesellschaft einbringen kann, unabhängig von seiner Herkunft und unabhängig von seiner Religion. Packen wir es an! Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Dr. Silke Launert von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Silke Launert (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit Jahren wird kontrovers darüber diskutiert, ob wir Kinderrechte in das Grundgesetz aufnehmen sollen. Das 25-jährige Jubiläum der UN-Kinderrechtskonvention bietet nun einmal mehr Gelegenheit, darüber zu diskutieren, und ist Anlass für die Anträge der Opposition. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht reden! Machen!) Was da beantragt wird, hört sich zunächst einmal gut an: „Kinderrechte ins Grundgesetz!“ – Was, die stehen da noch nicht drin? Das kann doch nicht sein. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau, das stimmt!) Aber beim Durchlesen des Antrages stellt man sich, wenn man sich genau mit dem Verfassungsrecht beschäftigt hat, die Frage: Ist es denn wirklich so? Sind Kinder bei uns in Deutschland verfassungsrechtlich noch nicht ausreichend abgesichert? (Svenja Stadler [SPD]: Ja! – Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: Ja, so ist es!) Wenn man sich ein bisschen mehr mit der Verfassung beschäftigt, erkennt man, dass Kinder natürlich Träger von Grundrechten sind; (Beifall bei der CDU/CSU – Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: Eigenständige Rechte!) das wird hier nicht oft genug betont, aber es ist so. Sie sind Träger des Grundrechts auf Menschenwürde, Artikel 1 Grundgesetz. Sie sind Träger des Grundrechts auf Leben und Gesundheit, Artikel 2 Absatz 2 Grundgesetz; das ist relevant, wenn Kinder zu Hause verletzt werden. Sie sind Träger des allgemeinen Persönlichkeitsrechts; das wird immer wieder angeführt. Sie sind nach der geänderten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts inzwischen sogar Träger des Rechts auf Pflege und Erziehung durch die Eltern aus Artikel 6 Absatz 2 Grundgesetz. Die Rechtsprechung hat also schon sehr viel entwickelt; es gibt da sehr viel. Kinder sind Menschen, und sie haben dieselben Grundrechte wie Menschen. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Ehrlich?) – Ja, weil Sie so tun, als seien Kinder bei uns in der Verfassung nicht ausreichend geschützt. So ist es eben nicht. (Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!) Ich frage mich: Wenn wir jetzt anfangen, Kindern besonderen Schutz zuzugestehen, kommen dann nicht auch die Senioren, kommen dann nicht zu Recht auch die Behinderten und sagen: „Auch wir möchten einen besonderen Schutz bekommen“? (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh ja! Ich will auch noch mehr!) Kommt dann nicht – zu Recht – die nächste Gruppierung? (Ulli Nissen [SPD]: „Gruppierung“? – Weiterer Zuruf von der SPD: Kinder sind doch keine Gruppierung!) Genau darum geht es. Das ist mit dem System der Grundrechte, so wie es derzeit angelegt ist, nicht vereinbar. (Dr. André Hahn [DIE LINKE], an die SPD gewandt: Habt ihr einen tollen Koalitionspartner!) Wissen Sie, ich habe ein Jahr Verfassungsrecht gemacht, mich ein Jahr mit Artikel 6 Grundgesetz beschäftigt. (Zurufe von der SPD: Oh! – Na, dann müssten Sie sich ja eigentlich auskennen! – Wie toll!) – Nein, aber die, die das fordern, haben sich meistens eben nicht so tief eingearbeitet. Deshalb würde ich Ihnen gern kurz sagen, was da drinsteht. Es gibt in der Verfassung eine zentrale Norm, in der das Verhältnis Kinder/Eltern/Staat geregelt ist. Dafür gibt es auch einen Grund; den erzähle ich Ihnen nachher. Wenn ich Sie jetzt fragen würde, würden Sie ihn nämlich wahrscheinlich nicht kennen. (Susann Rüthrich [SPD]: Ja, wir sind alle zu blöd dazu! – Stefan Schwartze [SPD]: Danke, Frau Dozentin!) Artikel 6 Absatz 2 Grundgesetz besagt: Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern – das natürliche Recht! – und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Das heißt, die Eltern sind in der Pflicht. Das ist also nicht nur das einseitige Recht der Eltern, sondern es ist ein dienendes Recht im Interesse des Kindes. Entscheidend ist das Kindeswohl. Wenn Sie sagen: „Wir brauchen das Kindeswohl“, antworte ich Ihnen: Da steckt es drin. Das Bundesverfassungsgericht sagt das schon die ganze Zeit. In Artikel 6 Absatz 2 Grundgesetz geht es wie folgt weiter – Satz zwei –: Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft. Genau das ist der Unterschied, den wir hier haben: Es erfolgt eine Kontrolle durch den Staat. Die Eltern haben das natürliche Recht und die Pflicht, die Interessen der Kinder wahrzunehmen. Der Staat darf dagegen nur wachen und nicht von vornherein bestimmen, was das Kindesinteresse ist. (Susann Rüthrich [SPD]: Was ist das Interesse des Kindes?) Der Staat darf eingreifen – es gibt aber Gegenrechte, zum Beispiel das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Kindes –, und er darf sogar – Artikel 6 Absatz 3 des Grundgesetzes – das Kind von den Eltern trennen, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn das Kind zu verwahrlosen droht. Glauben Sie mir: In der Praxis passiert es nicht selten, dass die Eltern versagen und man ihnen die Kinder wegnehmen muss. Weil es Kinderrechte gibt, dürfen Kinder auch jetzt schon den Eltern weggenommen werden. Wir haben ein ausdifferenziertes System, und das funktioniert. Sie wollen mir doch nicht im Ernst sagen, dass alle Kinder bei uns schrecklich leiden. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Glauben Sie, dass wir die Kinder als Objekte betrachten? Mannomann! – Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen wir doch auch gar nicht!) Der Rechtsprechung gelingt es hier, für einen angemessenen Ausgleich zu sorgen. Ich möchte jetzt noch einmal ganz kurz sagen, warum sich diejenigen, die die Verfassung geschrieben haben, für diesen Ausgleich entschieden haben: Sie haben sich für diese Gestaltung entschieden, weil man während der NS-Diktatur entsprechende Erfahrungen gemacht hat. Damals war es üblich, die Kinder den Eltern wegzunehmen und sie, wann man wollte, von morgens bis abends fremdzubetreuen und zu indoktrinieren. Glauben Sie es mir: Genau das ist der Grund, warum diejenigen, die die Verfassung geschrieben haben, den Artikel 6 Absatz 2 so verankert haben, wie er ist. (Unruhe) – Ich weiß, dass Sie es nicht wissen, sonst würden Sie sich nicht so aufregen. – Die Eltern sollen ein bisschen Freiheit haben, und der Staat soll nicht diktieren, was das Wohl des Kindes ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Das ist mein Problem: (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Ich glaube, das ist nicht Ihr einziges Problem!) Was wollen Sie mit Ihrem Antrag? Wollen Sie, dass wir einfach nur eine schöne Symbolpolitik machen, die man gut verkaufen kann, nach dem Motto: Kinderrechte jetzt auch ins Grundgesetz? (Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: Für die Symbolpolitik sind Sie gerade zuständig!) – Nein, Sie haben es nicht verstanden. (Lachen bei der LINKEN) Wollen Sie nur eine Symbolpolitik? Die haben wir jetzt schon. Wollen Sie, dass der Staat mehr in die Pflicht genommen wird? Oder wollen Sie – das ist der Grund, warum ich bezüglich dieses Antrags Angst habe –, dass wir noch mehr Gegenrecht – Kinder gegen Eltern – haben? Wer bestimmt das Recht der Kinder? Der Staat? Wollen Sie, abgesehen von all den Einschränkungen des Elternrechts, die wir jetzt schon haben, dass jemand vom Schreibtisch aus alles besser weiß und bestimmt? Ich will das nicht. (Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: Wir reden über Beteiligung! Nicht über Diktatur! Das ist etwas anderes!) Ich kann es nicht mehr hören, dass man von morgens bis abends immer nur sagt, Fremdbetreuung sei das einzig Wahre. (Sönke Rix [SPD]: Wer sagt das denn? Wer hat das denn gesagt? – Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie nicht zugehört?) Glauben Sie es mir: Wir brauchen auch ein bisschen Freiheit für die Eltern. Geben Sie sie ihnen, und lassen Sie es sein. (Sönke Rix [SPD]: Wer hat das denn gesagt? – Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: Sie haben einen falschen Antrag!) Ich habe einfach Angst, dass hier eine weitere Stärkung wieder dazu genutzt wird, um gegen die Eltern zu schießen. In diesem Zusammenhang sage ich: Denken Sie noch einmal darüber nach. Ich weiß, es ist 70 Jahre her. Viele wissen es nicht mehr. Wehret den Anfängen! Es gibt einen Grund, warum der Artikel 6 Absatz 2 des Grundgesetzes so aussieht, wie er aussieht. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Stefan Schwartze [SPD]: Manche Redebeiträge tun körperlich weh! – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Realität! Wir sind in der heutigen Zeit! – Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: Jetzt wird es hart! Das geht hart an die Grenze!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Susann Rüthrich von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Susann Rüthrich (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dem überwiegenden Teil der Kinder in Deutschland geht es gut. Sie wachsen geborgen auf und bringen sich ein. Ein Beispiel aus der vergangenen Woche: Ich habe die Kinder zweier Grundschulklassen aus meiner Region dazu eingeladen, mir ihre Stadt aus ihrer Sicht zu zeigen. Was wir da hörten, war: Es geht uns gut, wir fühlen uns wohl in unserer Stadt, wir fühlen uns wohl mit unseren Eltern, wir fühlen uns wohl in unserer Schule. – Das soll auch so sein, und das freut mich. (Beifall bei der SPD) Die Kinder sagten aber auch: Wir hätten noch ein paar Vorschläge. Es geht nämlich noch besser. – Hier schlugen sie einen Fußgängerüberweg und da einen Spielplatz vor. Außerdem hätten sie gern mehr Zeit, und zwar nur für sich. (Beifall bei der SPD – Michaela Noll [CDU/CSU]: Hätte ich auch gerne!) Das ist vielleicht ein kleiner Baustein dafür, was wir manchmal ein bisschen abstrakt „Beteiligung“ nennen. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, wollen das Recht auf Beteiligung von Kindern stärken. Wir wollen das auch. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich will, dass das überall passiert: von der Einrichtung über die einzelnen Ebenen bis hin zur internationalen Politik. Ein gutes Beispiel dafür ist „Plant for the Planet“. Das ist eine Initiative von Kindern und Jugendlichen, die kommunal gestartet ist und mittlerweile weltweit Kinder und Jugendliche organisiert, um sich für Klimaschutz einzusetzen, und sie tun auch selbst etwas, indem sie Bäume pflanzen. Außerdem streiten die sehr engagiert und, wie ich finde, mit sehr guten Argumenten – wir haben uns in der Kinderkommission davon überzeugt – dafür, selber wählen zu können bzw. Kinder an allen sie betreffenden Entscheidungen und Fragen selber zu beteiligen. Das ist kein Fall für: Wenn es nichts kostet und wenn es gerade passt, dann machen wir das gerne. – Nein, es ist ihr Recht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Nicht alle Kinder kommen zu diesem Recht – weder zu dem auf Beteiligung noch zum Beispiel zu dem auf beste gesundheitliche Versorgung. Das ist so, wenn ich etwa an Flüchtlingskinder denke, die leider weitestgehend immer noch nicht mit einer Karte einfach zum Arzt gehen können. Auch kommen nicht alle Kinder zu dem Recht der freien Entfaltung der Persönlichkeit. Dabei denke ich etwa an den Umgang mit intergeschlechtlich geborenen Kindern oder an Kinder mit Behinderung. Mich macht es richtig traurig, dass auch Deutschland die Kinderrechtscharta noch nicht vollständig umsetzt. Da müssen wir aber hin. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nur wie? Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, schlagen verschiedene Hebel vor. Die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz ist einer. Dafür haben Sie, wie Sie wissen, unsere vollständige Zustimmung. Ich würde liebend gerne endlich in die Debatte einsteigen, welche Formulierung und welche Aspekte wohin geschrieben werden, anstatt dauernd beim Ob aufgehalten zu werden. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie wollen einen nationalen Aktionsplan für Kinder- und Jugendbeteiligung. Wir wollen das auch. Da sind wir dabei. Sie wollen das Wahlalter auf 16 Jahre senken. Gern, das wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Sie können gerne in den Bundesländern, wo Sie mitregieren, damit anfangen: (Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: Haben wir schon! – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir schon: in Schleswig-Holstein!) zum Beispiel in Baden-Württemberg und in Hessen. Da haben wir noch ein bisschen vor uns. Da, wo die Jugendlichen von „Plant for the Planet“ hinkommen wollen, wären wir damit immer noch nicht. Die schlagen zum Beispiel – ich finde das durchaus überzeugend – ein Wahlregister vor, in das sich Menschen unter 18 Jahre eintragen lassen können. Sie müssen dazu nur ihren persönlichen freien Willen bekunden. Dann sollte ihnen dieses hohe Gut auch nicht vorenthalten werden. Die unabhängige Monitoringstelle muss dankenswerterweise nicht mehr gefordert werden. Es gibt sie seit Juli. Wir werden sie nach Kräften unterstützen und wünschen der Leiterin, Frau Kittel, die wir alle aus guter Zusammenarbeit mit der National Coalition kennen, und ihren Kolleginnen und Kollegen bestes Gelingen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie fordern des Weiteren einen Kinderbeauftragten. Wir alle kennen die Petition dazu. Ich habe mich darüber sehr gefreut. Der Bundestag befasst sich noch damit. Hier und jetzt einen Beschluss dazu zu fassen, würde dem Verfahren vorgreifen. Ich nehme trotzdem zu ein paar Punkten daraus Stellung. Viele der Problembeschreibungen der Petenten teilen wir. Sie gehen in Ihren Anträgen ja auch darauf ein. Diese Probleme abzustellen, muss unser gemeinsames Ziel sein. Wir wollen aber natürlich nicht, dass der Kinderbeauftragte im Rahmen einer Symbolpolitik – so nach dem Motto: klingt gut, dann haben wir ja immerhin etwas gemacht – in die Landschaft gestellt wird. Nein, wir müssen uns natürlich um die in der Petition beschriebenen Aufgaben kümmern. Die nennen Sie ja auch in Ihrem Antrag. Schauen wir uns die also im Einzelnen an: Die Monitoringstelle gibt es schon. Weiter fordern Sie, Gesetze auf ihre Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche hin zu prüfen. Das ist der Jugend-Check. Der wird gerade im Ministerium erarbeitet. Er steht im Koalitionsvertrag. Ich wünsche mir, dass er nicht nur im Familienministerium, sondern in allen Häusern angewendet wird. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben ein Beschwerdesystem. Das nennt sich Petitionsausschuss. Wenn wir den mit einem Beschwerdesystem nur zu Kinderthemen ausstatten würden, um die Zugänge kindgerecht zu machen, hätten wir eine Beschwerdestelle. Es gibt die Kinderkommission. Sie bringt die Belange von Kindern ins Parlament – und damit in die Gesetzgebung – ein. Das Einstimmigkeitsprinzip, Herr Müller, macht uns in der Kinderkommission stark. Da wollen wir nicht ran. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Doch, wir könnten mehr, wenn wir ein eigenes Antragsrecht, eigene Mitbefassungen und die Ressourcen dazu hätten und wenn wir als KiKo-Mitglieder im Zweifel die Kinderpetitionen bearbeiten würden. Sie sprechen die Öffentlichkeitsarbeit an. Das macht das Ministerium. Und Sie wollen Beteiligung. Richtig! Aber das zum Beispiel ist ja gerade die Stärke von Kinder- und Jugendverbänden. Dort engagieren sich die Kinder und Jugendlichen. (Beifall bei der SPD) Und es ist unsere Aufgabe, die dann auch entsprechend zu hören und auszustatten. Meine Schlussfolgerung ist demzufolge: Ja, wir stärken die Kinderrechte. Wir haben Instrumente neu geschaffen, und wollen die ausbauen, die es schon gibt. An den ganz dicken Brettern bohren wir gemeinsam weiter, bis wir es geschafft haben. Die Kinderrechte werden irgendwann im Grundgesetz stehen; da bin ich mir ganz sicher. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/6042 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Von Anfang an beteiligen – Partizipationsrechte für Kinder und Jugendliche im demografischen Wandel stärken“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5276, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3151 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Koalition. Wer stimmt dagegen? – Die Opposition. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Ich rufe jetzt Zusatzpunkt 5 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haltung der Bundesregierung zu unzutreffenden Angaben beim Spritverbrauch und Schadstoffausstoß von Pkw Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie bitten, zügig Ihre Plätze einzunehmen und keine Gespräche mehr zu führen. Das gilt auch für die Kolleginnen. Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner in der Aktuellen Stunde gebe ich Oliver Krischer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ermittlungen der US-amerikanischen Umweltbehörde EPA haben in dieser Woche den wohl größten industrie- und umweltpolitischen Skandal der letzten Jahre offenbar gemacht – nicht ausgelöst –, der den VW-Konzern ins Wanken bringt und den Ruf der Vorzeigeindustrie Deutschlands, der Automobilbranche, schwer beschädigt. Es ist deutlich geworden, dass zumindest der VW-Konzern, aber offensichtlich auch – das können wir nicht ausschließen – die gesamte Branche mehr Ressourcen dareingesetzt hat, mit Tricksen und Täuschungen bis hin zu illegalen Betrügereien die Abgastests so zu manipulieren, dass die Fahrzeuge die Abgaswerte im Labor einhalten, aber nicht auf der Straße. Diese Aufweichung von Umwelt- und Klimaschutzstandards, dieses Hintergehen von Vorgaben zeigt, dass es langfristig einer Industrie schadet, wenn sie versucht, zu tricksen und zu täuschen, statt zu versuchen, die höchsten Standards tatsächlich einzuhalten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es macht deutlich: Nur wer die höchsten Standards auf der Welt hat und sie auch einhält, der hat eine Chance auf den Weltmärkten der Zukunft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dabei ist das Problem keineswegs neu. Millionen deutscher Autofahrer, die sich einen VW Passat kaufen, kennen das: In den Papieren steht, dass das Auto 4 Liter auf 100 Kilometern verbraucht, aber an der Tankstelle gibt es das böse Erwachen. Der Wagen verbraucht 5,5 oder 6 Liter. Ich sage: Schon allein diese Tatsache ist ein Betrug. Das ist Verbrauchertäuschung. Damit muss Schluss sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Darüber hinaus belegen diverse Studien, dass gerade Dieselfahrzeuge der neuen Generation die Grenze für Stickoxidwerte, die in unseren Städten vielfach überschritten wird, wobei dieser Stoff als Ursache für eine Vielzahl von Erkrankungen gilt, trotz ihrer Zulassungen aufgrund der Abgaswerte und der erfolgreichen Tests im Labor um ein Vielfaches überschreiten. Ich kann, ehrlich gesagt, nur kopfschüttelnd fragen: Wie skrupellos oder inkompetent müssen Manager eigentlich sein, die in Kenntnis dieser Studie versuchen, genau diese Fahrzeuge unter der Überschrift „Clean Diesel“ in den USA auf den Markt zu bringen? Das ist ein Skandal. Das ist ein Negativbeispiel für deutsches Management und deutsche Industrie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich fürchte, das ist auch das Ende des Traums vom Diesel als sauberer Antriebstechnologie. Wir werden darüber reden müssen, was das in Zukunft zum Beispiel auch für das Subventionieren des Diesels an der Zapfsäule heißt. Aber noch schlimmer als das, was im Management passiert ist, ist, dass die Automobilindustrie die Tests selber durchgeführt hat und dass es keine Kontrolle gab. Mit freundlicher Unterstützung der Bundesregierung hat man akzeptiert, dass die Automobilindustrie sich selber kontrollieren kann und dass sie manipulieren, tricksen und täuschen kann. Das zuständige Kraftfahrt-Bundesamt, das Herrn Dobrindt untersteht, hat nicht einmal einen Etat dafür, solche Überprüfungen vorzunehmen. Es ist doch unglaublich, dass der Rückzug des Staates, die Kumpanei zwischen Bundesregierung und Automobilindustrie, genau dazu führt, dass diese Industrie jetzt schwer beschädigt wird. Damit muss Schluss sein. Wir brauchen eine starke Kontrolle des Staates bei Abgaswerten. Nur so werden wir auch in Deutschland nicht nur die Umwelt und das Klima schützen, sondern auch der Autoindustrie auf Dauer eine Perspektive geben, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich staune über den zuständigen Verkehrsminister Herrn Dobrindt. Er sagt allen Ernstes, er habe von diesen Manipulationen und Überschreitungen der Grenzwerte für CO2 und Stickoxide zum ersten Mal am Sonntag aus der Zeitung erfahren. Meine Damen und Herren, wenn man vorher schon Zeitung gelesen und sich ein paar Studien angesehen hätte, dann hätte man das als normaler Zeitungsleser mitbekommen können, erst recht als Verkehrsminister. Ich will jetzt gar nicht darüber reden, dass der Minister seinen Antworten auf unsere Anfrage selber nicht glaubt. Ich staune, dass die Bundesregierung am 18. August 2015 geschrieben hat, dass ihr seit Herbst 2014 belastbare Indizien vorliegen, dass bei Stickoxiden Überschreitungen gerade bei Euro6-Fahrzeugen vorliegen. Man staunt, dass das der EU-Kommission geschrieben worden ist, der zuständige Verkehrsminister aber davon offensichtlich nichts gewusst haben will. Was wir brauchen, ist ein Mentalitätswechsel. Wir brauchen die ehrliche Einhaltung von Umwelt- und Klimastandards, gerade auch zum Schutz für eine Zukunftsperspektive der deutschen Automobilindustrie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn VW jetzt reinen Tisch machen will, dann muss dieser Mentalitätswechsel her. Der erste Schritt ist, dass umfassende Transparenz hergestellt wird und dass die Fahrzeuge all derjenigen, die geglaubt haben, einen sauberen Wagen zu kaufen, zurückgerufen und nachgerüstet werden. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Diesen Mentalitätswechsel brauchen wir. Dazu brauchen wir auch einen Verkehrsminister, der das vorantreibt und diese Maßnahmen angeht. Herr Dobrindt, ich habe aber Zweifel, dass Sie dazu in der Lage sind. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns selber die Regel gegeben, dass die Redezeit im Rahmen einer Aktuellen Stunde fünf Minuten beträgt, nicht sechs Minuten, und ich bitte, das auch zu beachten. Als nächster Redner hat der Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt für die Bundesregierung das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der darf neun Minuten reden!) Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Krischer, Sie setzen das fort, was Sie schon die ganze Woche über in den Medien öffentlich verkündet haben. Ich sage Ihnen noch einmal sehr deutlich: Ich missbillige dieses Verhalten von Ihnen. (Stephan Kühn (Dresden) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten das Verhalten von VW missbilligen! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kümmern Sie sich um VW! Kümmern Sie sich um die Industrie! Machen Sie Ihren Job!) Sie haben in einem Interview gesagt: Es ist … ganz offensichtlich so, dass man hingenommen hat, dass diese Manipulationen stattfinden. Sie haben dabei die Bundesregierung verdächtigt. Ich kann Ihnen dazu sagen: Ihre Verdächtigungen sind falsch. Ihr Verhalten ist unanständig, und Ihr Auftritt hier war ein Minusrekord auf der Skala, lieber Herr Krischer. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wussten schon im letzten Jahr!) Die von Volkswagen eingestandenen Manipulationen bei Emissionen an Dieselfahrzeugen sind unzulässig und illegal. Daran gibt es keinen Zweifel. Das bedeutet nicht nur einen großen Schaden für die Marke VW, sondern erschüttert auch das Vertrauen der Verbraucher zutiefst. VW steht hier in der Verantwortung, den Schaden zu beheben und das Vertrauen wiederherzustellen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Bundesregierung!) Deswegen sind in der Tat lückenlose Aufklärung der Manipulationen, vollständige Transparenz, Kooperation und öffentliche Unterrichtung gefordert. Das ist von uns auch so gegenüber Volkswagen eingefordert worden. Ich habe zu diesem Zweck bereits am Montag nach Bekanntwerden der Manipulationen das Kraftfahrt-Bundesamt angewiesen, strenge spezifische Nachprüfungen bei Volkswagen durch unabhängige Gutachter vornehmen zu lassen. Die Nachprüfungen erstrecken sich übrigens auch auf Fahrzeuge anderer Hersteller sowohl aus dem Inland als auch aus dem Ausland. Und wir werden diese Nachprüfungen sowohl auf dem Prüfstand, der sogenannten Rolle, als auch unter realen Verkehrsbedingungen vornehmen. Am Dienstag habe ich eine Untersuchungskommission aus Fachleuten des Bundesverkehrsministeriums und des Kraftfahrt-Bundesamtes eingesetzt, die bereits am Mittwoch vor Ort in Wolfsburg zu ersten Gesprächen waren und Einsicht in Unterlagen genommen haben. Sowohl bei diesem Termin als auch bei den weiteren Gesprächen mit Volkswagen hat VW zugesagt, die Arbeit der Kommission vollumfänglich zu unterstützen und bei der Aufklärung mitzuarbeiten. Klar ist inzwischen, dass auch Fahrzeuge in Deutschland von diesen Manipulationen betroffen sind. Es sind nach unserer aktuellen Kenntnis Fahrzeuge der 2Liter- und der 1,6Liter-Dieselklasse. Dabei handelt es sich um circa 2,8 Millionen Fahrzeuge auf dem deutschen Markt. Es ist jetzt in der Diskussion, dass 1,2-Liter-Fahrzeuge ebenfalls betroffen sind. Zumindest aktuell gehen wir davon aus, dass sich auch hier mögliche Manipulationen zeigen können. Weiteres wird gerade in den aktuellen Gesprächen mit Volkswagen ermittelt. Wir konnten ebenfalls feststellen – so unser aktueller Kenntnisstand –, dass auch leichte Nutzfahrzeuge von Volkswagen betroffen sind, in denen ebenfalls die in Rede stehenden Motoren zum Einsatz kamen. Das Kraftfahrt-Bundesamt fordert Volkswagen auf, verbindlich zu erklären, ob sich das Unternehmen in der Lage sieht, die eingestandenen technischen Manipulationen zu beheben, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie oft hat das Kraftfahrt-Bundesamt das vorher einmal geprüft? Wie oft?) sodass die Fahrzeuge in einen den technischen Regeln entsprechenden Zustand gebracht werden können. Wir erwarten einen verbindlichen Zeitplan, aus dem hervorgeht, bis wann eine technische Lösung vorliegt und bis wann sie umgesetzt werden kann. Klar ist dabei auch, dass die Verbraucherinteressen vollumfänglich berücksichtigt werden müssen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Endlich!) Das heißt, dass alle Maßnahmen, die der Schadensbehebung dienen, wie auch mögliche Folgeauswirkungen nicht zulasten des Kunden gehen dürfen. Meine Damen und Herren, wir achten darauf, dass sowohl die Aufklärung als auch die Transparenz als auch die Schadensbehebung als auch die vollumfängliche Berücksichtigung der Kundeninteressen so stattfinden. Ich habe gegenüber Volkswagen keinen Zweifel daran gelassen, dass wir dies ständig aufmerksam begleiten werden und nicht nachlassen, bis der ganze Fall aufgeklärt ist. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie denn vorher gemacht?) Sehr geehrter Herr Krischer, was wir dabei nicht machen sollten, ist die unzulässige Vermischung von einer verbotenen technischen Manipulation an Fahrzeugen mit den Verhandlungen, die wir seit 2011 auf europäischer Ebene führen, um die Prüfmechanismen zu optimieren. Sie wissen eigentlich sehr genau, dass sich die Verhandlungen zwischen der Kommission und den Nationalstaaten in Brüssel seit 2011 darum drehen, dass wir neben dem Test auf der Rolle auch einen Test im Realverkehr auf der Straße schaffen, den sogenannten RDE-Test. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Setzen Sie sich mal dafür ein, dass da etwas verbessert wird! Sie verhindern das seit Jahren!) Aktuell finden Diskussionen darüber statt, wie dieser Test ausgestaltet werden soll. Die Verkehrsminister der Länder sind sich seit langem darüber einig, dass diese RDE-Tests eingeführt werden. Deswegen wird in den nächsten Wochen und Monaten weiter darüber debattiert, bis wann dies geschehen kann. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 2017 oder 2019?) Wir werden auf dem nächsten Verkehrsministerrat in Brüssel ebenfalls darüber reden. Die Vermischung der beiden Diskussionen ist – ich sage es noch einmal – eindeutig unzulässig. Auf der einen Seite geht es um eine verbotene Manipulation. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie denn getan, als Sie eingestanden haben, dass die Stickoxidwerte nicht eingehalten werden?) Auf der anderen Seite versuchen wir, die Prüfmechanismen zu verbessern. Diskussionsgegenstand hinsichtlich der Prüfungen war, dass die Tests auf der Rolle andere Verbräuche und damit andere Schadstoffausstoßwerte hervorbringen, als bei Fahrten auf der Straße entstehen. Das liegt aber daran, dass bei den Tests auf der Rolle klar definiert ist, wie die Emissionen des Fahrzeugs zu messen sind. Das kann sich natürlich vom individuellen Fahrverhalten auf der Straße unterscheiden. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber das wissen Sie alles seit Jahren! Warum taten Sie nichts? Warum kommt das jetzt?) Gerade deswegen wird die Idee verfolgt, Tests auf die Straße zu verlegen, um so näher an das reale Fahrverhalten der Autofahrer heranzukommen. Wir führen darüber eine Diskussion, und wir setzen das entsprechend um. Das ist allgemein bekannt. (Lachen des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Und wir werden da zu einem Ergebnis kommen. Dass Sie versuchen, das eine mit dem anderen zu vermischen und daraus einen Vorwurf zu machen, das halte ich in der Tat für unredlich. Wir arbeiten daran, dass die Bedingungen der Tests verbessert werden, und wir lassen keinen Zweifel daran, dass Manipulationen – diese sind ja unzulässig – nicht stattfinden dürfen. Zumindest dürfen sie nicht ungestraft stattfinden. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Sabine Leidig von der Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Leidig (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Ich will zunächst darüber sprechen, warum dieser Abgasskandal eigentlich so gewaltig ist. Dann stelle ich einige Sofortmaßnahmen vor, die wir als Linksfraktion fordern. Zunächst also: Was ist Sache? In den USA wurde nachgewiesen, dass VW mit einem technischen Eingriff seine Dieselmotoren manipuliert hat, und zwar bei 11 Millionen Autos; das hat VW zugegeben. Die meisten Autos sind in Europa, viele auch in Deutschland, unterwegs. VW hat dafür gesorgt, dass bei den standardisierten Messverfahren niedrige Abgaswerte vorgetäuscht werden. Im wirklichen Fahrbetrieb aber kommt das Zigfache aus dem Auspuff. Andere Autokonzerne haben das Gleiche gemacht. BMW ist in den Schlagzeilen. Die Firma Bosch hat bekannt gegeben, dass sie das Förder- und Dosiermodul zur Abgasnachbehandlung an fast alle Autohersteller geliefert hat. Auch die Werte von Benzinmotoren werden mit verschiedenen Eingriffen so manipuliert, dass sie auf dem Prüfstand deutlich weniger verbrauchen oder ausstoßen als auf der Straße. Das weiß man seit Jahren; die Deutsche Umwelthilfe hat es akribisch nachgewiesen. Ich war auf einem Seminar zu diesem Thema. Einige Fraktionen von hier haben dort komplett gefehlt – schade. Heute veröffentlichte der VCD, dass diese Abweichungen 2001 noch bei 8 Prozent lagen. Mittlerweile liegen sie bei 40 Prozent. Das heißt, das Ganze hat System. Die Autofahrerinnen und Autofahrer, die auf sparsamen Verbrauch achten, werden belogen und betrogen. Seit Jahren wird darüber gesprochen. Die Umweltverbände haben es öffentlich kritisiert. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur der Verkehrsminister hat es nicht mitgekriegt!) Seit Jahren werden unabhängige Prüfungen gefordert. Passiert ist nichts. Der Verkehrsminister hat nicht reagiert. Das zuständige Kraftfahrt-Bundesamt hat keine einzige eigene Kontrollmessung durchgeführt. Dabei geht es ja nicht irgendwie um gewisse Abweichungen. Die Verantwortlichen in der Automobilindustrie haben veranlasst, dass Schadstoffe weit über das verträgliche Maß hinaus in die Landschaft und in die Städte geblasen werden, und zwar, weil sie noch mehr Profit machen wollen. Was in den Chefetagen der Automobilindustrie organisiert wurde, ist gewerbsmäßiger Betrug. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Herbert Behrens [DIE LINKE]: Skandal!) Sie tragen bewusst und systematisch zur Schädigung von Gesundheit, Umwelt und Klima bei, und das ist der eigentliche Skandal, den wir nicht länger hinnehmen dürfen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es reicht nicht, wenn ein paar Herren aus den Vorständen zurücktreten. Die Verantwortlichen müssen strafrechtlich verfolgt werden. Die Bundesregierung muss alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um die milliardenschweren Eigentümer der Autokonzerne für den finanziellen Schaden haftbar zu machen, der den Verbraucherinnen und Verbrauchern, dem Fiskus und der Allgemeinheit entstanden ist. Damit bin ich bei unseren Forderungen für ein Sofortprogramm: Erstens. Es muss eine neue und unabhängige Untersuchungskommission eingesetzt werden. Die Expertinnen und Experten, die da zum Einsatz gebracht werden, müssen von den Umwelt- und Verbraucherorganisationen oder vom VCD und anderen benannt werden, von den Organisationen, die tatsächlich seit Jahren gegen diesen Abgasbetrug vorgehen. Herr Dobrindt hat die eigenen Fachleute eingesetzt, aus seinem Ministerium und aus dem Kraftfahrt-Bundesamt. (Kirsten Lühmann [SPD]: Die sind zuständig!) Aber genau die Leute haben diese Machenschaften seit Jahren einfach nicht gekontert. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die wissen das alle! Die kennen das alle!) Sie haben sie durchgehen lassen, als Helfershelfer quasi, und jetzt sollen sie der Sache auf den Grund gehen. Das ist der ungeeignete Mechanismus. (Beifall bei der LINKEN) Zweitens. Die Kommission, deren Einsetzung wir fordern, muss bei allen in Deutschland produzierenden Autoherstellern, beim Automobilverband VDA und bei Autozulieferern wie Bosch zu den Manipulationen an Fahrzeugmotoren ermitteln, und sie muss dabei umfassend mit der Staatsanwaltschaft zusammenarbeiten. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt ja noch nicht mal eine Strafe für diese Manipulationen!) Es geht nicht nur darum, herauszufinden, mit welchem technischen Modul es VW gemacht hat. Drittens. Die Kommission muss eine unabhängige Überprüfung der tatsächlichen Abgas- und Verbrauchswerte veranlassen. Das muss für alle Pkw repräsentativ durchgeführt werden. Da darf man auch nicht auf das neue europäische Prüfverfahren warten, das ja die Bundesregierung bisher immer verzögert hat. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wird es weiter verzögern, wie immer!) Es ist überhaupt nicht sinnvoll, darauf zu warten. Man kann sofort etwas tun. Und dann muss die Kommission aus diesen Überprüfungen errechnen, wie hoch die gesellschaftlichen Schäden sind, die die Automobilkonzerne verursacht haben. (Beifall der Abg. Karin Binder [DIE LINKE]) Schließlich muss diese Kommission dem Bundestag berichten, und nicht dem Minister; denn der Bundestag ist dafür verantwortlich, Schaden von der Bevölkerung und auch von der Umwelt abzuwenden. Zum Schluss noch eine Anmerkung. Dieser Skandal ist kein einzigartiges Ereignis. Die Bundesregierung hat immer wieder ihre schützende Hand über die Automobilindustrie gehalten. Auch in dieser Legislatur gehen die Spitzenvertreter der Automobilindustrie im Kanzleramt und im Verkehrsministerium ein und aus. Das nützt aber den Menschen in diesem Land nichts. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch der Industrie selber nicht!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen. Sabine Leidig (DIE LINKE): Es ist höchste Zeit, dass die Verkehrspolitik auf andere Füße gestellt und sozialökologisch umgebaut wird, (Ulli Nissen [SPD]: Verstaatlichen, oder was?) und das geht nicht mit diesem Verkehrsminister. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Sechs Minuten Quatsch!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Ich bitte wirklich noch einmal, auf die fünf Minuten zu achten. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das waren 20 Sekunden mehr!) Als nächste Rednerin spricht Kirsten Lühmann von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Kirsten Lühmann (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Als Erstes ist festzustellen: Die deutsche Fahrzeugindustrie ist ein weltweiter Innovationsmotor für neue Sicherheits- und Umwelttechnik. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und beim Manipulieren! – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Und für Betrug!) Das haben wir in den letzten Jahrzehnten deutlich gesehen. Ich könnte Ihnen Beispiele nennen; das geht vom Fahrerairbag über ABS bis hin zu digitalen Außenspiegeln und teilautonomem Fahren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Super! Digitale Außenspiegel! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber bei Klima- und Umweltschutz nicht unbedingt!) Über 750 000 Menschen in unserem Land bauen zuverlässige und sichere Fahrzeuge. Das war letzte Woche so, das ist diese Woche so, und das wird nächste Woche auch so sein, liebe Kollegen und Kolleginnen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn die so weitermachen, wird das bald nicht mehr so sein!) Nur eines ist in dieser Woche anders. Es ist etwas bekannt geworden, was uns die Wirtschaft immer als bei deutschen Firmen undenkbar dargestellt hat, nämlich dass aus Gründen der Gewinnmaximierung bei gesetzlichen Standards betrogen wurde. Für mein gänzliches Unverständnis sorgt die Tatsache, dass einige Fachleute jetzt sogar sagen, dass der zur Diskussion stehende Motor durchaus die strengen amerikanischen Normen problemlos hätte einhalten können, wenn nur zum Beispiel ein entsprechender Filter eingebaut worden wäre. Das ist allerdings nicht passiert, weil einige VW-Verantwortliche das Geld dafür eben sparen wollten. Das ist skandalös, liebe Kollegen und Kolleginnen. (Beifall bei der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt sind es einige Verantwortliche!) Das Thema hat zwei Dimensionen. Die erste ist die Aufklärung. Dabei hat VW uneingeschränkte Kooperation zugesagt; VW hat auch erste personelle Konsequenzen gezogen. Der neue Vorstandsvorsitzende muss jetzt allerdings den Worten Taten folgen lassen. Das kann er sehr gut, weil der Minister – er hat es eben angesprochen – eine Kommission eingesetzt hat, die die Frage untersuchen soll, ob die Motoren die europäischen Normen auch ohne Manipulationen erfüllen können. Da die Antwort auf diese Frage und die möglicherweise daraus resultierenden rechtlichen Folgen bis hin zu Rückrufaktionen die Menschen in Deutschland besonders bewegen, sind wir der Meinung, dass es einen zeitnahen Zwischenbericht im Verkehrsausschuss geben sollte – möglichst noch im nächsten Monat. (Lachen des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die zweite Dimension betrifft die Frage, wie solche Manipulationen in Zukunft möglichst verhindert werden können. Zurzeit schreibt die EU umfangreiche Prüfungen vor, und zwar sowohl für Neufahrzeuge bei der Typzulassung als auch später mit Gebrauchtwagen. Und, Herr Krischer, Sie wissen genau: Die Prüfungen mit Gebrauchtfahrzeugen werden nicht von den Fahrzeugherstellern durchgeführt, sondern von unabhängigen Prüforganisationen. Allerdings – da gebe ich Ihnen recht – finden all diese Prüfungen im Labor unter den gleichen Bedingungen statt, um eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse sicherzustellen. Das Problem dabei ist: (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es werden alle Verbraucher belogen!) Auf dem Prüfstand kommen idealisierte Werte zustande, die wenig mit dem tatsächlichen Verbrauch der Fahrzeuge zu tun haben und daher als Kundeninformationen wenig hilfreich sind. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja mal ein Eingeständnis!) Der zweite Punkt in diesem Zusammenhang ist: Vorhersehbare Prüfzyklen sind relativ einfach manipulierbar. Es ist bekannt, dass Programme, die Prüfzyklen erkennen, nicht nur zur Beeinflussung von CO2- und Stickoxidemissionen, sondern zum Beispiel auch zur Beeinflussung von Lärmemissionen existieren. EUweit sind bei Motoren sogenannte Abschaltautomatiken verboten – grundsätzlich. Grundsätzlich heißt aber auch, dass sie ausnahmsweise eingebaut werden können. Das nun ist das Problem bei der Prüfung: Die Prüfenden müssen feststellen, ob es sich um eine legale Abschaltautomatik handelt oder ob neben der legalen Software noch eine illegale Software aufgespielt ist. Dazu muss tief in die Programmierung geschaut werden. Allen EUMitgliedstaaten ist diese Problematik bekannt. Daher haben sie auch gehandelt. Sie haben eben nicht nichts getan. Vielmehr haben alle Verkehrsminister verabredet, Lösungen zu entwickeln. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber er wusste doch am Sonntag noch gar nichts davon! Frau Lühmann, das verstehe ich nicht! Er hat gesagt, am Sonntag wusste er noch nichts davon!) Und wir alle gemeinsam haben im Verkehrsausschuss die Fortschritte dabei verfolgt. Niemand wusste mehr als der andere. Wir alle wussten – es ist eben angesprochen worden; ADAC und Deutsche Umwelthilfe haben seit Jahren darauf hingewiesen –: Die Werte aus dem Labor können nicht realistisch sein, seien sie nun manipuliert oder nicht. Daher sind neue Verfahren im Echtbetrieb erforderlich. Der Minister will so etwas jetzt prüfen, auch wenn das noch keine Rechtsfolgen haben kann. Denn Rechtsfolgen kann es nur haben, wenn wir die von der EU inzwischen entwickelten Verfahren endlich verbindlich einführen, nämlich vergleichbare Standards im Echtbetrieb, die wenig manipulationsanfällig sind. Die Kommission hat uns solche Verfahren vorgeschlagen. Ja, es gibt da auch noch einige Bedenken. Deshalb habe ich erfreut zur Kenntnis genommen, dass der Verband der Automobilindustrie jetzt sagt, er möchte intensiv und konstruktiv an der Lösung dieses Themas mitarbeiten. Angesichts der aktuellen Ereignisse gehe ich also davon aus, dass der Verband aktiv die möglichen Bedenken von Kritikern ausräumen wird, damit wir das neue Verfahren möglichst schnell – möglichst noch im nächsten Jahr – einführen können. Das führt dann endlich zu der erforderlichen Klarheit sowohl für die Verbrauchenden als auch für die Behörden. Das wäre wenigstens ein positives Ergebnis dieses Skandals. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Thomas Viesehon von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Thomas Viesehon (CDU/CSU): Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das VW-Werk im nordhessischen Baunatal ist mit rund 16 000 Beschäftigten der größte Arbeitgeber meines Wahlkreises mit einer herausragenden Bedeutung für die gesamte Region. Mit großem Fleiß und großer Zuverlässigkeit werden dort von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern jährlich unter anderem mehr als 4 Millionen Schalt- und Automatikgetriebe produziert. Das entspricht der Hälfte der weltweit vom Konzern benötigten Getriebe. Die von dem jetzigen Skandal ausgehende Betroffenheit ist daher in meiner Heimat besonders groß. Ich selbst bin fassungslos, wie Einzelne im VWKonzern mit ihrer Verantwortung für das Unternehmen und für Hunderttausende Beschäftigte umgegangen sind. Ich will aber, ohne das Handeln von VW in irgendeiner Weise zu relativieren, auch auf die Verantwortung der Gesetzgeber bei der Festlegung von Grenzwerten eingehen. In Sachen Dieseltechnologie hat sich in den letzten Jahrzehnten viel getan, auch unter Mitwirkung der Politik. Durch strengere Abgasnormen auf EU-Ebene haben wir die Einführung von Rußpartikelfiltern bei Dieselfahrzeugen erreichen können, eine Regelung, die die Industrie mit vorhandener Technik umsetzen konnte und die heute zum Standard gehört. Dazu kommt die seit Februar 2012 bestehende Möglichkeit einer vom Bund geförderten Nachrüstung dieser Filter. Wir haben den Dieselmotor im PkwBereich mit erfüllbarem Aufwand sauberer gemacht – zusammen mit der Automobilindustrie –, und wir bleiben am Ball. Mit Einführung der Euro6Norm haben wir den zulässigen Ausstoß von Stickoxid (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Studien belegen, dass es nicht eingehalten wird, Herr Kollege!) für neu zugelassene Dieselfahrzeuge auf einen Maximalwert von 80 Milligramm pro Kilometer begrenzt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das denn? Sie haben ja gar nichts verstanden!) – Herr Kreischer. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) – Entschuldigung. Herr Krischer, ein bisschen mehr Zurückhaltung bitte. (Ulli Nissen [SPD]: Kreischer war besser!) Für Ottomotoren gilt ein Grenzwert von 60 Milligramm. Der Fortschritt in der Dieseltechnologie ist gewaltig, wenn man bedenkt, dass wir von einem Grenzwert von 500 Milligramm in 2001 kommen. Die Gründe dafür, dass der Grenzwert für Dieselfahrzeuge in den USA gerade einmal halb so hoch ist, können verschieden sein. Es sind sicherlich Umweltaspekte, aber ich bin sicher, dass die USA damit auch wirtschaftliche Eigeninteressen verfolgen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) Die Dieseltechnologie kommt aus Europa und ist für die Verbraucher attraktiv, weil der Treibstoff energieeffizienter, günstiger und der Verbrauch überdies geringer ist. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn das für eine Verschwörungstheorie?) Im Jahr 2012 waren lediglich 3 Prozent der zugelassenen Fahrzeuge in den USA Dieselfahrzeuge. (Zuruf des Abg. Stephan Kühn (Dresden) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die neuen, höchst innovativen Dieseltechnologien, die auch VW nutzt, ließen eine Steigerung um mehr als das Doppelte auf 7 Prozent zu. Für 2023 wurden 28 Prozent prognostiziert. Worauf will ich hinaus? Mit der Herabsetzung von Grenzwerten kann man eine Technologie natürlich auch ganz vom Markt verdrängen. Scheinbar wollen Sie das. Ich will es nicht; denn ich bin für einen schonenden und effizienten Umgang mit unseren Ressourcen. Bei allem Fortschritt und der Förderung umweltschonender Technologien, die ich ausdrücklich gutheiße, kommt derzeit eine völlige Verdrängung des Diesels ja wohl nicht in Betracht. Um zu verstehen, warum das so ist, muss man sich einmal mit der Gewinnung von Dieselkraftstoff befassen. Diesel ist ein Produkt, das unweigerlich bei der Aufbereitung von Rohöl gewonnen wird, genauso wie Benzin, Kerosin und Flüssiggas. Deshalb sollten wir dieses Produkt auch weiterhin einer Nutzung zuführen. Die Verdrängung oder die Abschaffung des Diesels wäre der falsche Schritt und würde nicht einmal zur weiteren Verbesserung des Klimas führen. Ganz im Gegenteil: Bei der Verbrennung von Benzin entstehen mehr Treibhausgase als bei der Verbrennung von Diesel. Auch ich bin dafür, dass die Weiterentwicklung vorangetrieben wird. Dazu hat auch die Politik einen Beitrag geleistet und wird ihn weiter leisten, aber mit Bedacht und zumutbaren Vorgaben, die die Hersteller auch umsetzen können. Ich will das Vorgehen von VW – das wird Sie dann beruhigen – in keiner Weise entschuldigen oder bagatellisieren. Ich möchte aber, dass der Vorfall zum Anlass genommen wird, die Grenzwertpolitik der vergangenen Jahre – im Übrigen gilt das auch für andere Emissionen – ab und zu einmal zu hinterfragen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das heißt, Sie wollen die noch erhöhen! Das gibt es doch nicht! – Stephan Kühn (Dresden) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen also die Luftqualität in den Städten nicht verbessern!) – Wir sind auf einem guten Weg, Herr Krischer. Ihr Weg ist natürlich, die Autos einfach stehen zu lassen. Wenn das Ihr Weg ist, dann sage ich Ihnen: Meiner ist es nicht. (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hallo?! Haben Sie den Gong überhaupt gehört? – Gegenruf der Abg. Ulli Nissen [SPD]: Sie wollen die doch senken!) Natürlich geht vollumfassende Aufklärung vor. Alexander Dobrindt hat zu Recht eine Überprüfung angeordnet, ob vergleichbare Manipulationen am Abgassystem auch in Deutschland stattgefunden haben. Die von ihm einberufene Untersuchungskommission wird dies in Zusammenarbeit mit dem Kraftfahrt-Bundesamt und auf technischer Seite mit den unabhängigen Sachverständigen von TÜV und DEKRA klären. Lassen Sie uns das Ergebnis dieser Untersuchung abwarten und dann urteilen. Lassen wir aber nicht zu, dass dieser Fall dazu führt, dass eine ganze Branche, die in den letzten Jahren gerade im Hinblick auf die Verminderung von Schadstoffemissionen vieles geleistet hat – auch Frau Lühmann hat das eben betont –, in Verruf gerät. Das schadet nicht nur zu Unrecht den anderen Unternehmen, sondern am Ende auch den fleißigen, ehrgeizigen und zu Recht stolzen Mitarbeitern der deutschen Automobilindustrie. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb halten Sie daran fest!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Herbert Behrens von der Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Herbert Behrens (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn das, was uns Herr Viesehon hier vorgestellt hat, auch der Punkt sein sollte, mit dem die Untersuchungskommission in Wolfsburg unterwegs ist, dann wird mir angst und bange. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) So würde aber genau das Gegenteil von dem erreicht, was Sie gesagt haben. Sie haben gesagt: Lasst uns bloß bei den Grenzwerten aufpassen, damit wir nicht eine ganze Industrie in eine Ecke drängen, in die sie nicht gehört. (Thomas Viesehon [CDU/CSU]: So ist es!) Wenn wir nicht aufpassen, dass die Industrie mit diesem Vorgehen um Marktanteile ringt, dann schafft die Industrie uns und die Arbeitsplätze ab. (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU) So herum müssen Sie das denken. Von daher sind wir sowohl als Gesetzgeber als auch als Parlamentarier gehalten, in das, was wir hier sehen, politisch einzugreifen. Wir wissen: Autoabgase töten. Darum wird der Gesetzgeber aktiv. Er ist dafür verantwortlich, dass die Bevölkerung in diesem Land gesund leben kann, auch bei zunehmenden Verkehrsbelastungen. Darum gibt es Grenzwerte. Darum gibt es auch die Pflicht, diese Grenzwerte einzuhalten. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Richtig!) Und es gibt die Notwendigkeit, diese Grenzwerte zu kontrollieren. Umzukehren und zu sagen: „Jetzt passen wir die geltenden Grenzwerte den tatsächlichen Verbräuchen und dem tatsächlichen Schadstoffausstoß an“, würde bedeuten, sämtliche Umweltpolitik, sämtliche Verkehrspolitik der letzten Jahre mit einer Tat aus der Welt zu räumen. Das dürfen wir auf keinen Fall zulassen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Autokäufer sind sich beim Kauf eines Autos durchaus bewusst: Wenn sie möglichst umweltschonend fahren wollen, dann müssen sie sich ein Auto aussuchen, das sowohl beim Schadstoffausstoß als auch beim Verbrauch die Werte einhält, die angegeben sind. Wenn diese Werte gar nicht stimmen, dann ist es ein vorsätzlicher Betrug an den Interessen der Kundinnen und Kunden, mit dem entsprechenden wirtschaftlichen Schaden. In den USA wird angesichts der entsprechenden Klagemöglichkeiten, die man dort hat, damit gerechnet, dass für den VW-Konzern ein Schaden in Höhe von bis zu 18 Milliarden Euro entstehen kann. Wenn das mal kein Schaden für die deutsche Volkswirtschaft ist! Daran sind wir durch unsere falsche Kontrollpolitik, wie sie von meiner Kollegin Leidig schon dargestellt worden ist, auch ein Stück weit mitverantwortlich. Wenn wir nicht dafür sorgen, dass durch Kontrollen die Angaben eingehalten werden, sind wir ebenfalls mitverantwortlich, wenn die Verbraucherinnen und Verbraucher so getäuscht und betrogen werden. Wir haben deshalb einen Fünf-Punkte-Plan aufgelegt, um sehr schnell und gründlich mit den Punkten aufzuräumen, die offenkundig – so der Sachstand heute – dazu geführt haben, dass diese Betrügereien am Kunden stattfinden konnten. Die Automobilindustrie täuscht bei den Verbrauchswerten, beim Schadstoffausstoß. Sie geht mit solchen Maßnahmen vor, um im mörderischen Wettbewerb der Automobilindustrie zu bestehen. Wir haben als Gesetzgeber die Pflicht, diesem mörderischen Konkurrenzkampf zulasten der Kundinnen und Kunden und der Bevölkerung Einhalt zu gebieten. Darum ist es wichtig, sofort und schnell zu handeln. Die Bosse haben den Schaden erst einmal von sich weggeschoben und haben gesagt: Wir werden das mit entsprechenden personellen Maßnahmen lösen. – Darum wurden schon einmal die Manager ausgetauscht. Winterkorn und Neußer gehen bei VW, Hatz geht bei Porsche, Hackenberg geht bei Audi. Damit werden offenbar Verantwortliche aus dem Verkehr gezogen. Aber sie sind trotzdem verantwortlich. Darum ist es so wichtig, dass die Verantwortung bei denen bleibt, die jetzt aus ihren Verantwortungsbereichen abgelöst worden sind und künftig nicht mehr verantwortlich sein sollen. Darum sind sie sowohl beim finanziellen Ausgleich als auch bei strafrechtlichen Konsequenzen, wenn es sie geben sollte, heranzuziehen. Der Porsche-Piëch-Clan, so kann man es ja sagen, verfügt über ein privates Vermögen von 35 Milliarden Euro. Winterkorn gehörte zu den bestbezahlten Managern Europas. Sie haben über Jahre gescheffelt, immer mit dem Hinweis: Wir sind die Erfolgreichen auf dem Automobilmarkt. Darum stehen uns solche Gehälter, darum stehen uns solche Boni zu. Das, was sie in den letzten Jahren da abgeräumt haben, muss zum Ausgleich des Schadens wieder herangezogen werden. (Beifall bei der LINKEN) Die Belegschaft steht vor einer Riesenaufgabe. Sie hat, wenn es der Verkehrsminister am Sonntag aus der Zeitung erfahren hat, vielleicht auch erst am Sonntag aus der Zeitung erfahren, welche Instrumente sie in den Jahren in den Autos verbaut hat. Das wollten sie nicht. Von daher ist es notwendig, dass wir innerhalb des VW-Konzerns zu einer Zusammenarbeit zwischen den Mitbestimmungsgremien und der Belegschaft kommen; denn sie hat offenbar überhaupt nicht funktioniert. Wenn Herr Osterloh, der Betriebsratsvorsitzende, davon spricht, in Wolfsburg habe ein Kasernengehorsam geherrscht, dann ist da doch das Problem zu sehen. Insofern ist es notwendig, dass wir jetzt im Rahmen der Untersuchungen – wir wollen sie auf der Grundlage unseres Fünf-Punkte-Programms durchführen – alle Hinweisgeber, sogenannte Whistleblower, davor schützen, dass sie Nachteile erleiden, wenn sie endlich auspacken und über die Struktur des vorsätzlichen Betrugs berichten, den es bei VW gegeben hat und den wir bekämpfen wollen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Arno Klare von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Arno Klare (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin der Auffassung, dass wir jetzt zwei große Aufgaben haben. Die erste Aufgabe besteht darin, das Vertrauen wiederherzustellen. Das Vertrauen drückt sich darin aus, dass die gemessenen Verbrauchswerte auch die tatsächlichen sind. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!) Das Zweite ist – etwas in die Zukunft gesprochen –: Wir müssen jetzt politisch die richtigen Weichen stellen, indem wir diese Krise als Chance zur Dekarbonisierung der Mobilität nutzen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Falsche Partei!) Lassen Sie mich etwas zum ersten Punkt sagen. Kann man es hinbekommen, dass die gemessenen Werte die tatsächlichen sind? Ja, das geht; Frau Lühmann hat gerade schon darauf hingewiesen. Die Systemanforderungen sind eigentlich auf ein paar Punkte zu reduzieren, die da lauten: Das System muss transparent sein, das System muss messgenau sein, es muss zuverlässig, zukunftssicher, kosteneffizient und standardisierbar sein, und es muss natürlich auch – leider muss man das sagen – möglichst manipulationsresistent sein. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Frage ist jetzt: Gibt es so etwas schon? Im Lkw-Bereich gibt es das bereits. Manchmal muss man nachschauen, was für Dinge man im eigenen Hause – um es mit Kafka zu sagen – vorrätig hat. Das System heißt VECTO. Das ist ein Akronym und heißt im Langtext: Vehicle Energy Consumption Calculation Tool. Das kann man als Nichtverkehrspolitiker sofort wieder vergessen; nur VECTO sollte man sich merken. Was ist das? Das ist eine Kalkulationssoftware, die einzelne Elemente, die verbrauchsrelevant sind, und zwar die tatsächlichen Verbrauchswerte, misst und dann im Kalkulationstool zusammenführt. Bei Prototypen von Lkws, bei denen das Tool im Gebrauch ist, funktioniert das so gut, dass die Abweichungen unter 3 Prozent liegen. Das ist also durchaus treffgenau. Am Ende könnte so etwas wie ein Verbrauchertool stehen: Man sucht sich dann ein Auto nicht mehr anhand der Marke aus, sondern legt im Rahmen der Konfiguration bestimmte Bedingungen fest. So erhält man Fahrzeuge mit optimierter THG-Bilanz, und erst dann werden ihnen die Marken zugeordnet. Das wäre ein Fortschritt. (Beifall bei der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Gute Idee!) – Es ist nicht nur eine Idee. VECTO gibt es bereits. Es geht also über die Blaupause hinaus. Der zweite Punkt, zu dem ich kommen will: Die Zukunft sind Wasserstoff- und Brennstoffzellenantriebe und die Elektromobilität. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Herr Rimkus wird nicht müde, immer wieder darauf hinzuweisen, dass das die Zukunft sei, und er hat völlig recht. Wir müssen nicht Emissionen heraus- und herunterrechnen, sondern technologische Innovationen in die Welt setzen und natürlich auch – darauf hat der Bundeswirtschaftsminister gestern hingewiesen – durch Kaufanreize den Markt in diesem Bereich stimulieren. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Er hat gesagt, wir brauchen jetzt Incentives. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Endlich sagt es mal einer hier!) Man muss auch mal einen Blick in den Haushalt werfen: Genau für diesen Bereich, für die NOW, stehen 20 Millionen Euro mehr bereit. (Stephan Kühn (Dresden) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kriegt der Winterkorn ja mehr als Abfindung!) In der mittelfristigen Finanzplanung summiert sich das auf 220 Millionen Euro genau für diesen Bereich. Das heißt, die Behauptung, die Große Koalition würde dort nicht investieren, stimmt einfach nicht. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Florian Oßner [CDU/CSU]) Das gibt es nämlich schon. Wir müssen aus der Krise eine Chance machen. Ich bin relativ sicher, dass uns das gelingt, dass wir das können. Frau Lühmann hat zu Recht zu Beginn ihrer Rede darauf hingewiesen: Wir haben die besten Automobilingenieure der Welt, und wir bauen auch mit die besten Autos der Welt. Diese Autos müssen in Zukunft emissionsfrei und CO2-neutral durch die Gegend fahren. Dann wird daraus der Business Case für das ganze Land. Danke schön. – Vier Minuten! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Super! Vorbildlich! – Als nächster Redner spricht Stephan Kühn von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass VW die Abgaswerte illegal manipuliert hat, ist wirklich schockierend. Die wirtschaftlichen Folgen sind derzeit noch nicht absehbar. Aber klar ist: Die gesamte Automobilbranche hat nicht nur einen Kratzer abbekommen, da ist richtig der Lack ab. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Schön wär‘s!) Der noch größere Skandal ist aber, dass seit Jahren durch zahlreiche Untersuchungen belegt ist, dass Dieselautos die Abgaswerte um ein Vielfaches überschreiten und die Bundesregierung null dagegen unternommen hat. Volkswagen ist insofern nur ein neues Kapitel in einer langen Kette von Mogeleien. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Man habe seit dem Herbst 2014 belastbare Indizien, dass selbst moderne Euro-6-Diesel im Realbetrieb vielfach erhöhte Stickoxidemissionen aufweisen. Das schrieb die Bundesregierung im August in ihrer Antwort auf einen Mahnbrief aus Brüssel; denn Brüssel hat gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren eröffnet, weil die gesundheitsgefährdende Stickoxidbelastung in unseren deutschen Städten zu hoch ist. Sehr geehrter Kollege Viesehon, das ist das Problem, über das wir hier reden. Zwei Drittel der NOx-Belastungen gehen auf den Verkehr und hier vor allen Dingen auf Dieselmotoren zurück. Das gehört zur Wahrheit dazu. Diese Emissionen müssen gesenkt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der ICCT hat im Oktober 2014 herausgefunden, dass die Stickoxidwerte auf der Straße die erlaubten Werte im Durchschnitt um das Siebenfache überschreiten. Diese Abweichungen lassen sich im Übrigen nicht mit Unterschieden zwischen Laborbedingungen und realem Fahrverhalten erklären; denn der überwiegende Teil der beobachteten Überschreitungen konnte weder extremen noch untypischen Fahrsituationen zugeordnet werden. Das ist also ganz klar ein systematisches Problem. Was haben Sie, Herr Dobrindt, mit den Ergebnissen, die seit 2014 vorliegen, gemacht? Nichts! Sie haben nichts gegen diese Verbrauchertäuschung unternommen. Spätestens nach der Veröffentlichung des ICCT-Berichts 2014 hätten Sie eine Untersuchungskommission einrichten müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Spätestens 2014 hätten Sie das Kraftfahrt-Bundesamt mit Nachtests beauftragen müssen und nicht erst diese Woche. Auch das Umweltbundesamt hat Untersuchungen durchgeführt und Nachprüfungen eingefordert. Insofern ist es albern, sich hier hinzustellen und zu sagen, dass wir auf das RDE-Messverfahren warten sollen; denn das wird bekanntlich nicht vor 2017 in die Praxis umgesetzt. Trotz der Untersuchung einer nachgeordneten Behörde des Bundes hat der Bundesverkehrsminister sich nicht ein einziges Mal die Mühe gemacht, die Angaben der Hersteller zu kontrollieren. Erst jetzt wollen Sie prüfen, ob das, was typgenehmigt wurde, auch tatsächlich verbaut wurde. Das ist viel zu spät. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an Bundesminister Alexander Dobrinth gewandt: Fakten, Fakten, Fakten!) Die grüne Bundestagsfraktion hat in dieser Woche den Antrag „Zum Schutz der Verbraucher – Unzutreffende Angaben beim Spritverbrauch und Schadstoffausstoß von PKW beenden“ eingebracht. Darin fordern wir regelmäßige, unabhängige Nachtests für Abgase und CO2-Emissionen. Die zahlreichen legalen Schlupflöcher bei den Labortests müssen beseitigt werden. Die Abgastests spiegeln in keiner Weise die Wirklichkeit wider. Schnelles Beschleunigen oder Fahren über 120 km/h kommen darin überhaupt nicht vor. Das geht an den realen Fahrsituationen aber völlig vorbei. Deshalb brauchen wir andere Labortests, damit Abgastests wirklich aussagekräftig sind. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist im Übrigen traurig, dass es einen Skandal solchen Ausmaßes braucht, damit das Kraftfahrt-Bundesamt das tut, was es schon längst hätte tun müssen. Zusätzlich zur Überprüfung der Fahrzeuge im Labor müssen auch Straßentests vorgenommen werden, also Messungen während Realfahrten, nicht nur auf dem Rollenprüfstand. Die zuständigen Behörden müssen diese Ergebnisse dann auch endlich allen Verbraucherinnen und Verbrauchern öffentlich zugänglich machen. Auch das ist bisher nicht erfolgt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Der Verband der Automobilindustrie – der in den letzten Tagen auffällig abgetaucht ist – wollte uns immer weismachen, dass der sogenannte Clean Diesel für das Erreichen der Klimaziele absolut unverzichtbar sei. Genau das Gleiche hat das Bundesverkehrsministerium auch immer behauptet. (Florian Oßner [CDU/CSU]: Ist ja auch richtig!) Nein, meine Damen und Herren, der Diesel ist ein Teil des Problems. Es wird erkennbar, dass die Bundesregierung kein Konzept hat, wie sie die Stickoxidbelastungen in unseren Städten deutlich reduzieren und die Luftqualität deutlich verbessern will. Das fehlt. Das ist das Problem, über das wir zu sprechen haben, Herr Kollege Viesehon. Auch die Reduktion der CO2-Emissionen im Verkehr findet nur auf dem Papier statt. Wir reden nicht nur über Abgase. Auch hier hat der ICCT Differenzen zwischen Herstellerangaben und tatsächlichem Kraftstoffverbrauch festgestellt, die im Übrigen immer größer werden. Auch hier gibt es zahlreiche Schlupflöcher in Testverfahren im Labor. Wenn jetzt die Abgaswerte vom Kraftfahrt-Bundesamt kontrolliert werden, müssen auch die Verbrauchsangaben in die Untersuchung einbezogen und kontrolliert werden. Herr Minister, das erwarten wir jetzt von Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wer die CO2-Emissionen wirklich reduzieren und die Luft in den Städten verbessern will, der muss endlich die Chance ergreifen und die Elektromobilität zum Fliegen bringen. Das sehe ich ganz genauso wie der Kollege Klare. Insofern sage ich auch: – Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): – Wenn wir das erreichen wollen, brauchen wir ein entsprechendes Marktanreizprogramm zum Kauf von Elektroautos. Dieses Marktanreizprogramm muss jetzt kommen. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Florian Oßner von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Florian Oßner (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, wir stimmen alle darin überein, dass es sich bei den Manipulationen in einem Automobilkonzern um ein völlig inakzeptables Fehlverhalten handelt. Allerdings stehen wir erst am Anfang der Ermittlungen. Viele Details und Fragen sind derzeit noch ungeklärt. Deswegen warne ich ausdrücklich davor – dies ist insbesondere an Sie gerichtet, liebe Kollegen der Grünen –, sich im Eifer des Gefechts wie ein Elefant im Porzellanladen aufzuführen und die positive Reputation unserer Automobilindustrie zu zerdeppern. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Durch diesen Porzellanladen ist VW schon selber gefahren! Sie haben ja keine Ahnung! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch ein Witz! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lächerlich!) Hören Sie bitte auf, immer alles zu skandalisieren und schlechtzureden. (Beifall bei der CDU/CSU) Allerdings ist es schon interessant, sich in diesem Zusammenhang die Chronologie der Ereignisse anzuschauen. Der International Council on Clean Transportation mit Sitz in Berlin liefert Informationen in die USA. Die Fraktion der Grünen stellte hierzu im Sommer eine Kleine Anfrage. Die Diskussion kommt ausgerechnet zu dem Zeitpunkt auf, wo mit der IAA in Frankfurt die weltweit größte Leistungsschau der Automobilbranche stattfindet. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Wir sind ferngesteuert von den USA! Oder was wollen Sie uns jetzt erklären? Das ist abenteuerlich!) Wir sollten im Rahmen dieser Debatte nicht vergessen, dass in der deutschen Automobilindustrie erstklassige Arbeit geleistet wird. Die deutschen Autobauer sind weltweit spitze, insbesondere was die Umweltverträglichkeit angeht. Die hart arbeitenden Mitarbeiter in der Automobilbranche dürfen deshalb nicht aufgrund Verfehlungen Vereinzelter unter Generalverdacht gestellt werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Dann müssen Sie die Einzelnen mal strafrechtlich verfolgen!) Zudem warne ich davor, die jetzige Debatte dazu zu missbrauchen, die Selbstzünder komplett zu verteufeln, auch wenn ich selbst, wie auch einige Vorredner, ein Freund der wasserstoffbetriebenen und vollelektrischen Fahrzeuge bin. Bei Verbrennungsmotoren hat sich in den letzten zehn Jahren nämlich Gewaltiges getan, sowohl im Verbrauch als auch hinsichtlich der spezifischen CO2-Emissionswerte der Pkws, die in Deutschland von 175 auf 125 Gramm CO2 pro Kilometer gesunken sind, also um fast ein Drittel. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Im Labortest, aber nicht in der Realität, Herr Kollege! Im manipulierten Labortest! Das ist doch das Problem!) – Herr Krischer, Schreien allein hilft da auch nicht. – Das ist eine beeindruckende Zahl, vor allem, wenn man zugleich den stetigen Anstieg der Verkaufszahlen der sparsameren Dieselfahrzeuge berücksichtigt. Das ist eine großartige Leistung der Automobilindustrie. Das war übrigens nur mit der Dieseltechnologie möglich. Für das Einsetzen einer Untersuchungskommission mit dem Auftrag, festzustellen, ob die betroffenen Fahrzeuge unter Einhaltung der bestehenden deutschen und europäischen Vorschriften gebaut wurden, möchte ich ausdrücklich ein großes Lob an unseren Bundesverkehrsminister aussprechen: Lieber Alexander Dobrindt, herzlichen Dank für dieses sehr beherzte Handeln. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da klatscht einer!) Die Kommission hat am 22. September 2015 ihre Arbeit aufgenommen und wird unter anderem Gespräche mit der amerikanischen Umweltbehörde EPA sowie mit den Automobilherstellern führen. Mit Ihren falschen Anschuldigungen, liebe Grüne, die Bundesregierung hätte seit dem Frühsommer alle Vorgänge gekannt, sowie mit Ihren fortgesetzten Angriffen auf Bundesminister Dobrindt tragen Sie keineswegs zur Aufklärung des Sachverhalts bei, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Der war doch längst aufgeklärt!) sondern verzögern diese vorsätzlich, und zwar aus einfacher, populistischer Profilierungssucht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ihr Verhalten ist nicht nur kontraproduktiv, sondern auch ein Stück weit scheinheilig. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Angst muss ja groß sein, dass Sie immer noch solche Sachen reden!) Ich will ergänzen, warum dies so ist. Die Antwort der Bundesregierung, die Sie als direkten Beweis heranziehen, war Ihnen doch schon seit Monaten bekannt. Sie hätten also schon vor Monaten Alarm schlagen müssen, wenn doch alles so klar gewesen wäre. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind ja von den USA ferngesteuert! Deshalb haben wir gewartet!) Da Sie das nicht getan haben, sondern der Bundesregierung nun Untätigkeit vorwerfen, kann man Ihr Verhalten nur als heuchlerisch bezeichnen. (Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 2,8 Millionen VW-Besitzer hören Ihre Rede!) Man muss schon auf dem Boden der Tatsachen bleiben. Fakt ist, dass Artikel 3 Absatz 10 der Verordnung (EG) Nummer 715/2007 den Begriff einer Abschalteinrichtung legal definiert. Fakt ist aber auch, dass diese Definition im Zusammenhang mit Artikel 5 Absatz 2 zu sehen ist. In diesem wird klar und unmissverständlich geregelt, wann die Verwendung einer Abschalteinrichtung zulässig ist und wann nicht. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn es darum geht, den Motor vor Beschädigungen oder bei einem Unfall zu schützen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Rede ist auch ein Unfall!) Ein Blick in Ihre eigene Anfrage, liebe Grüne, erleichtert definitiv die Wahrheitsfindung. Darin steht, dass die Bundesregierung die Auffassung der Europäischen Kommission teilt, dass sich das Konzept zur Verhinderung von Abschalteinrichtungen in der Praxis bislang nicht umfänglich bewährt hat (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Rede kommt in der heute-show!) und daher die Arbeiten (Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – hören Sie doch einmal zu, damit Sie etwas dazulernen – zur Fortentwicklung des EU-Regelwerks weiter unterstützt werden, und zwar nicht erst seitdem die Vorgänge in den USA bekannt geworden sind. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mann, Mann, Mann!) Anstatt politische Scheingefechte zu führen, sollten wir lieber gemeinsam an der Aufklärung dieser aktuellen Missstände arbeiten (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir schon seit Jahren gesagt!) und weiteren Schaden vom Industriestandort Deutschland abwenden. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Auch Sie muss ich ermahnen, zum Schluss zu kommen. Florian Oßner (CDU/CSU): Herzliches Vergelts Gott fürs Zuhören. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war eine dolle Nummer am Freitagnachmittag!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat die Kollegin Ulli Nissen von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Ulli Nissen (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von VW! Wir alle sind am Wochenende von den unter Betrugsabsicht manipulierten Abgaswerten von VW kalt erwischt worden. Erst dachte ich, das kann doch nur eine gefälschte Nachricht sein, aber leider erwies sie sich als wahr. Alle sind geschockt von diesem Vorgehen, auch die Belegschaft von VW. Der Betriebsratsvorsitzende Osterloh hat es in einem Schreiben formuliert – ich zitiere –: Dies rüttelt am Selbstverständnis unseres Unternehmens und diskreditiert die gute Arbeit ... Dem kann ich nur zustimmen. Weltweit sind knapp 600 000 Beschäftigte betroffen, in Deutschland etwa 270 000, davon etwa 16 000 in Nordhessen; das ist schon erwähnt worden. Wie geht es jetzt der Belegschaft? Viele machen sich Sorgen um ihren Arbeitsplatz und haben zudem Verluste durch den Kursverfall bei Mitarbeiteraktien erlitten. Auch in deren Interesse ist die lückenlose Aufklärung hinsichtlich des Ausmaßes der Manipulationen wichtig. Aufklärung allein genügt aber nicht. Wir müssen auch handeln und verändern. Mich als Umweltpolitikerin hat es besonders empört, dass erneut sträflich mit der Gesundheit der Bevölkerung umgegangen wurde. Grenzwerte wurden bewusst umgangen. Damit wurden mehr Schadstoffe als erlaubt ausgestoßen. Der Gedanke der Nachhaltigkeit, der Unternehmensverantwortung für die Umwelt, für die Luft und auch für die Menschen hörte an der eigenen Fabriktür auf. Das ist schäbig. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Herbert Behrens [DIE LINKE]) Das ist auch kein Problem eines einzigen Unternehmens oder einer einzelnen Branche; das will ich hier deutlich machen. Hohe Absatzzahlen und deutliche Gewinnsteigerungen sind bei vielen Unternehmen wichtiger als Umwelt und Gesundheit. Die Gemeinwohlverpflichtung des Grundgesetzes scheinen viele nicht zu kennen. Was nutzen Werte – ich meine sowohl Messwerte als auch moralische, ethische Werte –, wenn sie nur auf dem Papier existieren und nicht ins reale Handeln umgesetzt werden? Das Umweltbundesamt hat deutlich gemacht, dass Stickstoffdioxid Luftschadstoff Nummer eins ist. Die erlaubten Werte überschreiten wir immer noch um 60 Prozent im Jahresmittel. Dies hat Deutschland zu Recht reichlich Ärger mit der Europäischen Kommission eingetragen. Ein Beispiel für Überschreitungen ist Darmstadt. Dort hatten wir – Stand gestern Abend – schon 57 Fälle. Erlaubt sind für das gesamte Jahr aber nur 18. (Sören Bartol [SPD], an BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gewandt: Das wird von den Grünen regiert! – Gegenruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Kollege Krischer, es wäre schön, wenn Sie zuhören würden. – Auch in meinem Wahlkreis Frankfurt kommt es an der Friedberger Landstraße immer wieder zu Überschreitungen. An einer solchen Straße zu leben, erhöht das Risiko, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder an Lungenkrebs zu erkranken. Stickstoffdioxid ist zudem an der Entstehung von Ozon beteiligt. Bei Sonneneinwirkung kann es zu Sommersmog führen, der zu Lungenreizungen führt und gefährlich für Asthmatiker und andere Empfindliche ist. Auch das müssen wir bedenken, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nach einer aktuellen Studie eines Max-Planck-Instituts sterben jährlich weltweit 3,3 Millionen Menschen an den Folgen von Luftverschmutzung; Ursache sind natürlich nicht nur Verkehrsemissionen, aber auch. In Deutschland sind das 35 000 Tote pro Jahr, hiervon allein 7 000 durch die Luftbelastung im Verkehr. Das sind doppelt so viele Tote wie durch Verkehrsunfälle. Ich selber fahre schon seit 2009 einen Elektroroller und seit 2012 ein Elektroauto. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich versuche – es hat mich letzte Woche hart getroffen, weil ich in strömenden Regen gekommen bin; aber ich habe es gemacht –, (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) möglichst alle Fahrten im Stadtgebiet mit diesen Fahrzeugen zu erledigen. Das ist gut für die Luft und senkt zusätzlich die Lärmbelastung. Wir müssen endlich die Gesundheit der Menschen in den Vordergrund rücken. Noch einmal: In Deutschland sterben doppelt so viele Menschen an den Folgen der Verkehrsemissionen wie an Verkehrsunfällen. Deshalb brauchen wir Grenzwerte. Sie wirken aber natürlich nur, wenn sie eingehalten werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das mal in Richtung Regierungsbank!) Deshalb brauchen wir bessere Tests und bessere Kontrollen in Deutschland und natürlich auch in Europa. Wir haben schon einiges auf den Weg gebracht. Meine Kollegin Kirsten Lühmann hat es bereits angesprochen. Weitere Schritte und schärfere Maßnahmen müssen natürlich folgen. Sie müssen klar und deutlich sein sowie unabhängig kontrolliert werden. Ich denke, das wollen wir alle. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Schock sollte für uns Anreiz und Antrieb sein, endlich mit dem nötigen Druck in der EU, aber auch in Richtung der Automobilhersteller zu sagen: Wir müssen die Grenzwerte im realen Betrieb einhalten. So können wir Vertrauen wiedergewinnen. Das ist ein Wettbewerbsvorteil und keine zusätzliche Bürde. Nutzen wir die Chance, um saubere Autos herzustellen, damit wir saubere Luft, saubere Städte und gesunde Menschen haben. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und herzliche Grüße an die Kolleginnen und Kollegen von VW. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Dr. Matthias Heider von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Matthias Heider (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Als ich am vergangenen Wochenende die ersten Meldungen aus den USA über die Verstöße von VW gesehen habe, war ich genauso entsetzt wie Sie. Wir alle kennen die Produkte von VW als zuverlässig und qualitativ hochwertig. Umso mehr sind die offenbar gezielten Manipulationen an den Testergebnissen von VW in den USA zu kritisieren. Sie sind inakzeptabel. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, was Sie hier heute in der Öffentlichkeit abziehen, ist mindestens genauso inakzeptabel. (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hä?) Ich habe ja ein gewisses Verständnis dafür, dass die Opposition immer ein gesatteltes Pferd im Stall stehen haben muss. Aber wenn Sie es schon heute herausholen, dann sollten Sie zumindest nicht die anderen Pferde scheu machen. Beschädigen Sie nicht eine Branche, beschädigen Sie nicht den Wirtschaftsstandort Deutschland. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er beschädigt sich gerade selbst! – Stephan Kühn (Dresden) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht er gerade selber!) Fügen Sie den Unternehmen und Arbeitnehmern und vor allen Dingen ihren Familien heute keinen Schaden zu. Das ist meine dringende Bitte. (Beifall bei der CDU/CSU – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Wer die Betrüger benennt, beschädigt nicht!) Meine Damen und Herren, das Gebot der Stunde ist, umfassend und unverzüglich weiter aufzuklären. Das ist VW den Verbrauchern, den Aktionären, aber auch der gesamten Branche schuldig. Es muss für die Verbraucher klar werden, welche Autos in Deutschland betroffen sind. Es geht nicht an, dass wir Wasserstandsmeldungen über den Ticker bekommen, wie viele Fahrzeuge betroffen sind. Das muss jetzt auf den Tisch. Ich bin dem Verkehrsminister sehr dankbar, dass er über das Umweltbundesamt und das Kraftfahrt-Bundesamt dazu beiträgt, dass die entsprechenden Werte auf den Tisch kommen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das eine Kritik am Minister?) Das sind erste Schritte, um das Vertrauen der Verbraucher, der deutschen Autofahrer, wieder zu sichern. Die bereits getroffenen personellen Konsequenzen in den Gremien von VW sprechen für sich. Das zeigt, dass VW handelt. Das macht Hoffnung auf eine weitere umfassende und schnelle Aufklärung. Das ist gut so. Auch die anderen international tätigen Autobauer müssen schnell aufkommende Verdachtsmomente aus dem Weg räumen und klarstellen, dass das bei VW ein Einzelfall ist. (Stephan Kühn (Dresden) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist doch längst klar, dass es so nicht ist!) Mich hat noch etwas anderes völlig entsetzt. Das sind die Auswirkungen auf die Branche und auf den Automobilbau in Deutschland, die wir zu befürchten haben. Wir wissen, dass jeder siebte Arbeitsplatz in Deutschland mittelbar vom Automobilbau abhängt; direkt sind es sogar 750 000 Arbeitsplätze. Deshalb kann ich kaum verstehen, meine Damen und Herren von den Grünen, dass Sie hier heute versuchen, eine ganze Branche für einen Vorfall in Mithaft zu nehmen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Vorfall? 2,8 Millionen geschädigte Kunden allein in Deutschland!) Wir müssen aufklären, ja – aber bitte ohne politisches Kalkül. Daran sollten Sie denken, wenn Sie so vortragen, wie Sie es heute getan haben. Die Automobilindustrie ist eine Schlüsselindustrie mit einigen Hunderttausend Arbeitsplätzen, die davon betroffen sind. (Stephan Kühn (Dresden) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und deshalb dürfen die manipulieren, oder was?) Jetzt kommt es auf Verantwortungsbewusstsein an, auch im politischen Raum. (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das genau ist das Problem! Ihre Rede macht das Problem deutlich!) Im Übrigen: Zu unterstellen, dass es keine Informationen über und keine Anhaltspunkte für unterschiedliche Testverfahren, für Echtbetrieb und Testverfahren im Labor, gegeben habe, ist völlig abwegig. Das ist längst bekannt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) Der guten Ordnung halber wäre hier vielleicht auch der Hinweis angebracht gewesen, dass schon zwischen dem Typzulassungsverfahren und den normalen Abgasuntersuchungen bei einer Hauptuntersuchung ein großer Unterschied besteht. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, und?) Bei der Hauptuntersuchung wird beispielsweise sichergestellt, dass sich die Abgaswerte der zugelassenen Fahrzeuge über den Nutzungszeitraum innerhalb der festgelegten Überwachungsgrenzen bewegen. Diese sind mit den Grenzwerten, die von der jeweiligen Abgasnorm einmalig bei einem Zulassungsverfahren gefordert werden, keineswegs identisch. Herr Krischer, das hätten Sie mit einigen Klicks im Internet herausbekommen können. Das ist doch kein Geheimnis. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was hat das jetzt mit dem Thema zu tun?) Dass das Messverfahren der NEFZ von 1996 inzwischen sicherlich veraltet ist, ist klar. Dass ein neues Messverfahren, das WLTP, gerade in Arbeit ist – wir werden es in wenigen Jahren bekommen –, ist richtig. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In wenigen Jahren? Aha! – Ulli Nissen [SPD]: Das sollte doch wohl ein bisschen früher klappen! – Sabine Leidig [DIE LINKE]: „In wenigen Jahren“? Das ist ja wohl ein Witz!) Hier spielen nicht nur die Werte zum CO2-Ausstoß, sondern auch die Stickoxidemissionen eine Rolle. Lassen Sie mich zum Schluss, wenn Sie schon Werte vergleichen, ein Beispiel anführen: Ein Kleinwagen hat andere Werte als ein Familien-Van; (Ulli Nissen [SPD]: Ach! So ein Glück, dass Sie mir das jetzt gesagt haben! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das musste ja mal gesagt werden!) das muss auch messbar sein. Ein Familien-Van ist ein Gegenstand, der schwer ist. Der braucht eben mehr Energie, um in Bewegung gebracht zu werden, und er hat auch einen höheren Schadstoffausstoß. Das ist Physik, Herr Krischer, (Stephan Kühn (Dresden) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja überraschend!) und wenn man Messzyklen zusammenrechnet, dann ist das Mathematik. Die entsprechenden Ergebnisse müssen dann evaluiert werden. Das ist vernünftig. Vernunft ist, glaube ich, das Gebot der Stunde. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Andreas Jung, ebenfalls von der CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Andreas Jung (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist offenkundig: Durch die Manipulation von VW ist viel Vertrauen zerstört worden. Deshalb muss es jetzt bei allem und uns allen darum gehen, Vertrauen wiederherzustellen. Darauf müssen jetzt alle Anstrengungen gerichtet sein. Der erste wichtige Punkt ist dabei Aufklärung und Transparenz. Deshalb halte ich und halten wir es für richtig, dass der Bundesverkehrsminister sofort nach Bekanntwerden der Manipulation eine Untersuchungskommission eingesetzt hat, in der die Experten aus dem Ministerium und die Experten des Kraftfahrt-Bundesamtes den Vorwürfen nachgehen und untersuchen, was bei VW passiert ist und wie die Situation bei anderen Automobilkonzernen ist. Das ist der richtige Weg. Es muss alles auf den Tisch. Für dieses Vorgehen hat der Minister unsere volle Unterstützung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Ulli Nissen [SPD], an das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gewandt: Da könnt ihr ruhig mitklatschen!) Zweitens. Selbstverständlich stellt sich auch die Frage nach der Belastbarkeit der Messwerte; auch sie ist wichtig. Aber dabei geht es um etwas anderes. Deshalb, glaube ich, tut man dem Anliegen, Vertrauen zu schaffen, keinen Gefallen, wenn man diese beiden Sachverhalte wissentlich miteinander vermischt, obwohl sie nicht zusammengehören, und dann irgendwelche Vorwürfe daraus strickt. Auch dieses Thema ist wichtig und schon länger bekannt. Dabei geht es aber, wie gesagt, um etwas anderes als bei den aktuellen Fragen. Hier wird schon länger an einer Antwort gearbeitet; auch das ist gesagt worden. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Leuten ist es egal, ob sie legal oder illegal betrogen werden!) Die Bundesregierung befindet sich in Abstimmung mit den europäischen Partnern. Es ist entschieden worden, dass man ein neues Messverfahren einführt, bei dem unter realistischen Bedingungen auf der Straße gemessen wird und nicht im Labor. Der Minister hat gesagt, bei der nächsten Tagung der EU-Verkehrsminister wird dieses Thema auf der Tagesordnung stehen. Ich finde, wir sollten ihn gemeinsam dabei unterstützen, dieses Thema voranzubringen, damit das neue Messverfahren so schnell wie möglich eingeführt werden kann. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Genau! So schnell wie möglich! Das ist richtig!) Drittens geht es natürlich darum – ich denke, auch hier gibt es große Übereinstimmung –, Vertrauen dadurch zu gewinnen bzw. jetzt zurückzugewinnen, dass Deutschland die Technologieführerschaft hat, (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) weil unsere Autos die effizientesten, die besten und die ökologischsten sind und sie auch unserem Anspruch, Vorreiter beim Klimaschutz zu sein, gerecht werden. (Ulli Nissen [SPD]: Ja!) Das ist eine ökologische, aber auch eine wirtschaftliche Frage. (Ulli Nissen [SPD]: Das muss aber zusammenpassen!) Das werden die Autos der Zukunft sein. Wenn wir weiterhin das Autoland Nummer eins bleiben wollen, dann müssen wir hier an der Spitze sein. Das muss unser Anspruch sein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Das richtet sich natürlich als Erstes an die Automobilunternehmen, die diese Entwicklungen vorantreiben müssen, aber auch an die Politik. Wir setzen die Rahmenbedingungen. Die Bundesregierung hat einen Prozess eingeleitet, um die Brennstoffzelle und die Elektromobilität voranzubringen und genau das zu erreichen. Sie hat Milliardenprogramme aufgelegt und ihre Forschungsanstrengungen in den Bereichen Batterietechnik, Antriebstechnik, Leichtbautechnik und in Bezug auf die Verbindung zum Energiesystem erhöht. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kaufanreize für Elektromobilität!) – Herr Krischer, mit der Forderung nach Kaufanreizen greifen Sie eine Forderung der Automobilindustrie auf. (Zuruf von der SPD: Oh! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht der deutschen!) – Diese Forderung wird auch in der Automobilindustrie so vertreten. – Ich bin da etwas zurückhaltend. Ich glaube, ein Auto wird dann gekauft, wenn die Technik überzeugt, wenn es effizient ist, wenn der Käufer das Auto fahren will, weil es einfach gut ist. Natürlich geht es auch darum, Rahmenbedingungen zu setzen. Diese haben wir mit dem Elektromobilitätsgesetz auf den Weg gebracht. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Da haben Sie ein paar Busspuren freigegeben! Das ist das Elektromobilitätsgesetz! – Gegenruf des Abg. Carsten Müller (Braunschweig) [CDU/CSU]: Herr Krischer hat es nicht verstanden!) Denken Sie zum Beispiel an die Nutzervorteile und andere Dinge. Es geht hier auch um steuerliche Anreize. Kaufprämien, wie Sie sie fordern – normalerweise nennen Sie das „Subventionen“ –, sind zum Beispiel in Frankreich eingeführt worden. Damit hatte man aber nur sehr begrenzt Erfolg. Ich glaube deshalb, dass man noch einmal darüber nachdenken muss, wie man bei diesem Thema anders vorankommt, gemeinsam mit der Nationalen Plattform Elektromobilität, die hierzu bereits Vorschläge erarbeitet hat. Das Ziel ist klar: Wir brauchen die besten Autos mit alternativen Antrieben, und wir brauchen Fortschritte bei den konventionellen Fahrzeugen. Das ist die Linie der Bundesregierung und auch die Linie unserer Fraktion. Auf diesem Weg sollten wir gemeinsam mit der Autoindustrie vorankommen. Unser Anspruch muss sein: Die besten Autos kommen aus Deutschland. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als letzter Redner in der Aktuellen Stunde hat Carsten Müller von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In meiner Heimatregion Braunschweig/Wolfsburg spreche ich im Moment mit vielen besorgten Menschen, mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Volkswagen, mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Zulieferern, auch mit Leuten, die mit dem Volkswagen-Konzern und der Branche gar nichts zu tun haben, aber trotzdem besorgt sind. Wir haben es in den Kommunen in meiner Heimatregion mit der Situation zu tun, dass die Haushaltsberatungen verschoben werden, weil die Kalkulationsbasis für die Gewerbesteuereinnahmen überhaupt nicht mehr vorhanden ist. Sie mögen daraus ableiten, wie tief die Verunsicherung ist. Es gibt an dieser Stelle keine zwei Meinungen. Die illegalen Manipulationen, die es bei Volkswagen ganz offensichtlich gegeben hat, sind überhaupt nicht tolerierbar. Hier ist Vertrauen verspielt worden, und dieses Vertrauen muss durch rückhaltlose Aufklärung zurückgewonnen werden. Daran arbeitet die Bundesregierung hart – das ist heute mehrfach richtigerweise gesagt worden –; sie hat in dieser Woche umgehend die richtigen Maßnahmen ergriffen. Wie gesagt: Die Situation ist schlimm. Ich will den Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aber auch einmal ganz deutlich sagen: Wie Sie sich heute hier aufgeführt haben, ist fast genauso schlimm. Für die Menschen in meiner Heimatregion, die Sie heute beobachtet und gesehen haben, mit welcher klammheimlichen Schadenfreude Sie diese Diskussion geführt bzw. begleitet haben, war das über alle Maßen erschreckend. (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unverschämtheit! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie auch noch zur Sache? Sagen Sie auch noch etwas zum Thema?) Frau Leidig, zu Ihnen komme ich am Schluss. Das, was Sie hier heute geäußert haben, fand ich ganz besonders bemerkenswert. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Gut, dass Sie zugehört haben!) Der SPD will ich einen guten Rat geben – Kolleginnen und Kollegen aus Nordrhein-Westfalen sind ja da –: Sagen Sie Ihrem SPD-Justizminister in Nordrhein-Westfalen einmal, dass es in dieser Situation nicht hilfreich ist, wenn er um einer billigen Schlagzeile willen sofortige Schadensersatzzahlungen an VW-Fahrerinnen und -fahrer fordert. Damit spielt er meines Erachtens mit den Ängsten. (Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der VW-Konzern ist nicht Opfer, sondern Täter!) Die Linken haben gefordert, dass die milliardenschweren Eigner von Autokonzernen erst einmal enteignet werden müssen. Frau Kollegin Leidig, das ist kenntnislos. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Da haben Sie leider nicht zugehört!) – Ich habe ganz genau zugehört. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Wir haben gesagt, sie müssen den Schaden begleichen! Sie müssen bei der Wahrheit bleiben, Herr Kollege! Nicht einfach lügen!) Sie wollen vor allen Dingen das Land Niedersachsen drankriegen, das an Volkswagen beteiligt ist, und die vielen Belegschaftsaktionärinnen und -aktionäre. Das halte ich für schäbig. Zu den Grünen. Herr Kollege Krischer, ich halte das, was Sie hier gesagt haben, ehrlich gesagt, für über alle Maßen wohlfeil. Es kommt selten vor – es gibt nur einen Fall –, dass die öffentliche Hand an einem Automobilkonzern beteiligt ist. Die Beteiligung an Volkswagen wird durch eine Landesregierung ausgeübt, an der die Grünen beteiligt sind, und Sie stellen sich jetzt hierhin und unterstellen dem mit der Aufklärung befassten Alexander Dobrindt, der das hervorragend macht, (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Warten wir es mal ab!) dass er bestimmte Dinge gewusst hätte. Ich frage Sie: Was haben Sie und Ihre Parteifreunde in Niedersachsen in ihrer Eigentümerstellung eigentlich gemacht, um dieses Thema frühzeitig anzugehen? Ich sage es Ihnen: Nichts! Deswegen ist das auch wohlfeil, was Sie hier abliefern. Sie spielen mit den Ängsten der Menschen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD]) Was ist zu tun? Erstens. Das verlorengegangene Vertrauen muss zurückgewonnen werden; darüber denken wir heute alle nach, hoffentlich auch Sie von den Linken und den Grünen. Das geht aber nicht einfach so. Rückhaltlose Aufklärung ist erforderlich. Da ist die Bundesregierung gefordert, ebenso andere Stakeholder. Da ist auch die Industrie gefordert, zwar nicht nur Volkswagen, aber vor allen Dingen Volkswagen. Zweitens. Das Thema RDE, Real Driving Emissions, ist heute mehrfach angesprochen worden. Eigentlich soll das 2017 kommen. Dann sollen die Prüfzyklen so durchgeführt werden, dass sie der wirklichen Benutzung der Fahrzeuge auf der Straße entsprechen. Das ist wichtig; denn mit reiner Theorie kann man nichts ausrichten. Zudem führt das zu Verbraucherverunsicherung. Ich könnte mir schon vorstellen – und würde mir das auch wünschen –, dass man hier schneller vorankommt und die RDE-Zyklen nicht erst 2017 auf dem Weg über Europa einführt. Hier müssen wir dranbleiben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Drittens. Wenn man sich mit diesem Thema auseinandersetzt, sieht man, dass es noch andere Möglichkeiten gibt. Wenn wir uns anschauen, welche ISO-Normen beispielsweise für sicherheitsrelevante Systeme in Fahrzeugen gelten – ich hebe hier auf die ISO-Norm 26262 ab –, kann ich mir durchaus vorstellen, eine analoge Regelung in Bezug auf eine unabhängige Testierung der umweltrelevanten Komponenten bei Straßenfahrzeugen zu erreichen. Das sollten wir uns überlegen. Damit können wir, glaube ich, ganz wesentlich Verbrauchervertrauen zurückgewinnen. Meine Damen und Herren, das waren drei Punkte. Ich habe mir während der Debatte noch einen vierten Punkt notiert. Wir alle sollten – ich wende mich abermals an die Grünen und die Linken – nicht mit den Ängsten der Menschen spielen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Wir machen das auch nicht!) – Frau Leidig, ich hatte versprochen, dass ich noch zu Ihnen komme. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Kollege, ich würde Sie bitten, zum Schluss zu kommen. Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU): Das mache ich. Ich komme Ihrer Bitte gerne nach. – Als der Kollege Kühn sagte, bei der Automobilindustrie sei der Lack ab, haben Sie dazwischengerufen: „Schön wär’s!“ – Das ist zynisch. Die Menschen in diesem Lande sollen das wissen. Schlimm! Schämen Sie sich! (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Dieses Thema wird uns aber sicherlich noch etwas länger beschäftigen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages, auf Mittwoch, den 30. September 2015, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen eine gute Heimfahrt. (Schluss: 16.08 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Becker, Dirk SPD 25.09.2015 Dağdelen, Sevim DIE LINKE 25.09.2015 Feiler, Uwe CDU/CSU 25.09.2015 Glöckner, Angelika SPD 25.09.2015 Hartmann (Wackernheim), Michael SPD 25.09.2015 Hendricks, Dr. Barbara SPD 25.09.2015 Höhn, Bärbel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 25.09.2015 Hübinger, Anette CDU/CSU 25.09.2015 Irlstorfer, Erich CDU/CSU 25.09.2015 Karawanskij, Susanna DIE LINKE 25.09.2015 Kolbe, Daniela SPD 25.09.2015 Kretschmer, Michael CDU/CSU 25.09.2015 Kühn (Tübingen), Christian BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 25.09.2015 Lach, Günter CDU/CSU 25.09.2015 Lenkert, Ralph DIE LINKE 25.09.2015 Merkel, Dr. Angela CDU/CSU 25.09.2015 Möhring, Cornelia DIE LINKE 25.09.2015 Müller (Chemnitz), Detlef SPD 25.09.2015 Müntefering, Michelle SPD 25.09.2015 Murmann, Dr. Philipp CDU/CSU 25.09.2015 Nick, Dr. Andreas CDU/CSU 25.09.2015 Nietan, Dietmar SPD 25.09.2015 Ostermann, Dr. Tim CDU/CSU 25.09.2015 Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 25.09.2015 Pflugradt, Jeannine SPD 25.09.2015 Röspel, René SPD 25.09.2015 Scheuer, Andreas CDU/CSU 25.09.2015 Schlecht, Michael DIE LINKE 25.09.2015 Schwarzelühr-Sutter, Rita SPD 25.09.2015 Steinbach, Erika CDU/CSU 25.09.2015 Steineke, Sebastian CDU/CSU 25.09.2015 Steinke, Kersten DIE LINKE 25.09.2015 Thews, Michael SPD 25.09.2015 Träger, Carsten SPD 25.09.2015 Tressel, Markus BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 25.09.2015 Ulrich, Alexander DIE LINKE 25.09.2015 Vogel (Kleinsaara), Volkmar CDU/CSU 25.09.2015 Weisgerber, Dr. Anja CDU/CSU 25.09.2015 Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 25.09.2015 Wicklein, Andrea SPD 25.09.2015 Wiese, Dirk SPD 25.09.2015 Zertik, Heinrich CDU/CSU 25.09.2015 Zimmermann (Zwickau), Sabine DIE LINKE 25.09.2015 Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) hat mitgeteilt, dass er gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung 2014 nach § 7 des Gesetzes zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates Bessere Rechtsetzung 2014: Amtlich – einfach – spürbar Drucksachen 18/4720, 18/4865 Nr. 3 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Arbeit der Nationalen Kontaktstelle der OECD für multinationale Unternehmen seit der Überarbeitung der Leitsätze im Jahr 2011 bis zum 31. Dezember 2014 Drucksachen 18/4766, 18/4865 Nr. 5 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Haushaltsausschuss Drucksache 18/5165 Nr. A.7 Ratsdokument 8801/15 Drucksache 18/5165 Nr. A.8 Ratsdokument 8818/15 Drucksache 18/5286 Nr. A.5 Ratsdokument 8908/15 Drucksache 18/5286 Nr. A.6 Ratsdokument 8976/15 Drucksache 18/5459 Nr. A.9 Ratsdokument 6695/15 Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksache 18/5459 Nr. A.11 Ratsdokument 9391/15 Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 18/5459 Nr. A.12 Ratsdokument 9341/15 Verteidigungsausschuss Drucksache 18/5459 Nr. A.13 EP P8_TA-PROV(2015)0214 Drucksache 18/5459 Nr. A.14 EP P8_TA-PROV(2015)0215 II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 125. Sitzung, Berlin, Freitag, den 25. September 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 125. Sitzung, Berlin, Freitag, den 25. September 2015 III Plenarprotokoll 18/125