Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 128. Sitzung Berlin, Freitag, den 2. Oktober 2015 Inhalt Begrüßung der neuen Abgeordneten Elfi Scho-Antwerpes 12423 A Tagesordnungspunkt 17: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2015 Drucksache 18/6100 12423 B b) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: 25 Jahre Deutsche Einheit – Leistungen würdigen, Herausforderungen angehen Drucksache 18/6188 12423 C Iris Gleicke, Parl. Staatssekretärin BMWi 12423 D Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) 12425 A Mark Hauptmann (CDU/CSU) 12428 C Halina Wawzyniak (DIE LINKE) 12430 A Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12431 A Axel Schäfer (Bochum) (SPD) 12432 A Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12433 B Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU) 12434 D Thomas Jurk (SPD) 12436 A Katharina Landgraf (CDU/CSU) 12437 B Sabine Poschmann (SPD) 12438 D Arnold Vaatz (CDU/CSU) 12439 B Tagesordnungspunkt 18: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: 18. Bericht der Bundesregierung zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik Drucksache 18/5057 12441 D b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: 17. Bericht der Bundesregierung zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik Drucksache 18/579 12441 D Ulla Schmidt (Aachen) (SPD) 12442 A Azize Tank (DIE LINKE) 12443 C Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin AA 12444 C Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12446 C Michelle Müntefering (SPD) 12448 B Sigrid Hupach (DIE LINKE) 12449 B Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU) 12450 B Doris Barnett (SPD) 12452 A Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU) 12453 A Martin Rabanus (SPD) 12454 B Dr. Thomas Feist (CDU/CSU) 12455 B Tagesordnungspunkt 19: a) Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Dr. Gregor Gysi, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ungerechtigkeiten bei Mütterrente in Ostdeutschland und beim Übergangszuschlag beheben Drucksache 18/4972 12457 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Dr. Gregor Gysi, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Spezifische Altersarmut Ost durch Korrektur der Rentenüberleitung beheben Drucksachen 18/1644, 18/5290 12457 A Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE) 12457 B Jana Schimke (CDU/CSU) 12458 C Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) 12459 C Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12461 B Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) 12462 B Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) 12463 C Dr. Martin Rosemann (SPD) 12465 A Namentliche Abstimmung 12441 C Ergebnis 12468 B Tagesordnungspunkt 8: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Zugang und Teilhabe ermöglichen – Die Dekade für Alphabetisierung in Deutschland umsetzen Drucksachen 18/5090, 18/6179 12466 D Xaver Jung (CDU/CSU) 12466 D Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) 12471 A Marianne Schieder (SPD) 12472 A Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 12473 C Sven Volmering (CDU/CSU) 12474 D Oliver Kaczmarek (SPD) 12476 C Tagesordnungspunkt 21: a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Die Alpen – Vielfalt in Europa – Ziele der Alpenkonvention voranbringen und nachhaltig gestalten Drucksache 18/6187 12478 A b) Antrag der Abgeordneten Markus Tressel, Dr. Anton Hofreiter, Steffi Lemke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Tourismusprotokoll der Alpenkonvention umsetzen – Wintertourismus nachhaltig gestalten Drucksache 18/4816 12478 A Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD) 12478 B Kerstin Kassner (DIE LINKE) 12480 A Daniela Ludwig (CDU/CSU) 12480 D Markus Tressel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12482 B Heike Brehmer (CDU/CSU) 12483 C Tagesordnungspunkt 22: a) Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Luise Amtsberg, Özcan Mutlu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zugang zu Bildung und Ausbildung für junge Flüchtlinge sicherstellen Drucksache 18/6198 12485 A b) Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Sigrid Hupach, Dr. Rosemarie Hein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gleicher Zugang zur Bildung auch für Geflüchtete Drucksache 18/6192 12485 A Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 12485 B Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin BMBF 12486 C Nicole Gohlke (DIE LINKE) 12489 C Dr. Karamba Diaby (SPD) 12491 A Cemile Giousouf (CDU/CSU) 12492 B Dr. Daniela De Ridder (SPD) 12494 A Nächste Sitzung 12495 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 12497 C Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 12498 B 128. Sitzung Berlin, Freitag, den 2. Oktober 2015 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie herzlich zu unserer Plenarsitzung. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich Sie darauf hinweisen, dass die Kollegin Christina Kampmann auf ihre Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Für sie ist die Kollegin Elfi Scho­Antwerpes nachgerückt. Im Namen des Hauses begrüße ich Sie herzlich. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit. (Beifall) Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/5921 – hier handelt es sich um das Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher – zur Mitberatung an den Haushaltsausschuss zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich vermute, ja; ich höre nichts Gegenteiliges. Dann haben wir das so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf: a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2015 Drucksache 18/6100 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Sportausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD 25 Jahre Deutsche Einheit – Leistungen würdigen, Herausforderungen angehen Drucksache 18/6188 Zum Jahresbericht der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache insgesamt 77 Minuten vorgesehen. – Auch dazu kann ich Einvernehmen feststellen. Dann verfahren wir so. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Parlamentarischen Staatssekretärin Iris Gleicke. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Iris Gleicke, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden hier nur noch selten über die alten OstWestUnterschiede und über all das Holpern und Stolpern auf unserem Weg der letzten 25 Jahre. Vielleicht ist das ja auch ein Indiz dafür, dass unser Blick nach vorne gerichtet ist. Den jungen Leuten bedeuten diese alten Unterschiede ohnehin nicht mehr viel. Das ist eigentlich ermutigend. Aber uns anderen, den Älteren und den nicht mehr ganz so Jungen, steckt so manches in den Knochen, was sich nicht so einfach abschütteln lässt. Wer im Jubiläumsjahr nur Sekt trinken oder nur Trübsal blasen möchte, hat nicht begriffen, was im Osten in den letzten 25 Jahren eigentlich passiert ist. Meine Damen und Herren, der Prozess der deutschen Einheit ist nicht immer in geraden Bahnen, sondern zum Teil auch sehr widersprüchlich verlaufen. Ich hoffe sehr, dass das in meinem Bericht deutlich geworden ist. Das liegt mir sehr am Herzen. Wir dürfen nicht darüber schweigen, dass nicht wenige von denen, die vor 25 Jahren hoffnungsvoll und mit großen Träumen in die neue Gesellschaft gestartet sind, bittere und zum Teil demütigende Niederlagen erlebt haben. Es gab nicht nur andauernden Erfolg und immerwährendes Wachstum. Es gab auch Deindustrialisierung und verheerende Massenarbeitslosigkeit. Es gab falsche Versprechungen und verheerende Fehleinschätzungen. Es wurde eben längst nicht so schnell alles besser, wie sich die meisten Ostdeutschen das erhofft hatten. Und: Die Einheit war eben auch nicht aus der Portokasse zu bezahlen, wie die meisten Westdeutschen es geglaubt hatten. Wir fanden uns gemeinsam recht schnell wieder in den Mühen der Ebenen. Bereits 1992 titelte der Spiegel „Opfer für den Osten – Das Teilen beginnt“. Und schon 1995 entdeckte die gleiche Zeitschrift das „Milliardengrab ‚Aufschwung Ost‘“. Natürlich lässt sich die deutsche Einheit nicht auf diese Irrungen und Wirrungen reduzieren, aber sie gehören dazu. Man kann lange darüber streiten, ob sich das alles hätte anders und besser managen lassen. Einige Fehler – davon bin ich persönlich überzeugt – hätten sich schon vermeiden lassen. Aber eine Partei, die nach eigener Definition immer recht hat, gibt es Gott sei Dank bei uns nicht mehr, und die Unfehlbarkeit ist meines Wissens dem Papst vorbehalten. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich nehme sie jedenfalls für mich nicht in Anspruch und kann auch allen anderen nur abraten. Wir dürfen nicht der Versuchung erliegen, uns die Geschichte zurechtzubiegen und das zu beschönigen, was nicht ganz so gut gelaufen ist oder was vielleicht sogar total schiefgelaufen ist. Das wäre Wasser auf die Mühlen der Vereinfacher und Populisten, die sich dann ihrerseits die Vergangenheit zurechtbiegen und mit Halbwahrheiten und Lügen auf Stimmenfang gehen. Wir dürfen keine nachträgliche Verklärung einer Diktatur hinnehmen, in der es Bautzen und den Schießbefehl gab und in der man Jugendliche dazu gebracht hat, sich gegenseitig zu bespitzeln. Und es darf nicht beschönigt werden, wenn es darum geht, welch totalen Umbruch die Ostdeutschen erlebt haben und wie viele von ihnen dabei gescheitert sind. Trotz alledem fällt meine Bilanz positiv aus. Der Aufbau Ost ist insgesamt gelungen. Das Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse ist in vielen Bereichen erreicht. Wir verfügen heute über eine moderne mittelständisch geprägte Wirtschaft und eine gut ausgebaute Infrastruktur. Massive Umweltschäden wurden beseitigt, die Städte wurden saniert und viele Altbauten liebevoll restauriert. In vielen Bereichen ist der Angleichungsprozess gut vorangekommen. Aber – und das ist ein großes Aber – Ostdeutschland hinkt bei der Wirtschaftskraft und bei den Steuereinnahmen weiter deutlich hinterher. Die Arbeitslosigkeit ist deutlich höher als im Westen, und die Löhne sind deutlich niedriger. Der Aufholprozess kommt schon seit Jahren nur noch sehr langsam voran. Die ostdeutsche Wirtschaft wächst zwar, aber die westdeutsche Wirtschaft wächst eben auch. Man könnte sagen: Wir verfolgen ein Ziel, das sich genauso schnell bewegt wie wir selbst, und deswegen kommen wir ihm derzeit leider nicht näher. Wir brauchen einen langen Atem. Zurückzuführen ist das vor allem auf die Kleinteiligkeit der ostdeutschen Wirtschaft. Diese Kleinteiligkeit ist ein strukturelles Problem. Uns fehlen im Osten die Großunternehmen und Konzerne und ihre Forschungs- und Entwicklungsabteilungen. Angesichts dessen vertreten manche unterdessen die Auffassung, dass der Osten den Westen niemals einholen kann. Das ist eine sehr gefährliche Argumentation. Wer ihr folgt, könnte glatt auf die Idee kommen, dass man komplett aus der Ostförderung aussteigen könnte. Meine Damen und Herren, ich bin nicht naiv. Ich weiß, dass diese Auffassung längst von manchen vertreten wird, bislang allerdings noch eher hinter vorgehaltener Hand. Aber ein Ende der Ostförderung würde bedeuten, einen Motor abzuwürgen, den man gerade mit viel Aufwand zum Laufen gebracht hat. Das wäre grotesk. Dann wäre vieles, ganz vieles umsonst gewesen. Eine reine Ostförderung ist nach dem Auslaufen des Solidarpakts II im Jahr 2019 allerdings auch niemandem mehr zu vermitteln. Was unser Land deshalb für die Zeit nach dem Solidarpakt braucht, ist eine zuverlässige Förderung der strukturschwachen Regionen in Ost und West. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Was der Osten außerdem braucht, ist ein fairer Bund-Länder-Finanzausgleich, der dafür sorgt, dass besonders in den von Abwanderung betroffenen Regionen die zentralen Aufgaben, etwa im Bereich der Daseinsvorsorge, auch in Zukunft erfüllt werden können. Meine Damen und Herren, es gibt noch ein Thema, das mir auf der Seele liegt. Das ist die für 2019 versprochene Angleichung der Renten in Ost und West. Ich bin den Koalitionsfraktionen dafür dankbar, dass sie dieses Versprechen mit ihrem Antrag noch einmal bekräftigt haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es handelt sich um die letzte Rechtsungleichheit von größerer Bedeutung. Es geht dabei natürlich um die Vollendung der sozialen Einheit. Die Rente, meine Damen und Herren, darf nicht zum Symbol der Ungleichheit werden. (Zuruf von der LINKEN: Ist sie doch längst!) Meine Damen und Herren, wir haben viel erreicht, und den Rest schaffen wir auch noch. Die Deutschen in Ost und West, wir alle haben morgen allen Grund, zu feiern. Ich wünsche mir – nicht nur für diesen Tag – ein Deutschland, das seine Einheit feiert, ohne seine Geschichte zu vergessen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute halte ich meine letzte Rede als Fraktionsvorsitzender im Deutschen Bundestag. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der CDU/CSU: Ah! – Heiterkeit bei der SPD) – Warten Sie! Los sind Sie mich noch nicht; denn ich bleibe ja im Bundestag. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Schade!) Aber ich werde dann deutlich seltener und auch zu anderen Anlässen reden. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir wissen gar nicht, ob wir uns freuen oder Mitleid haben sollen!) Ich muss schon deshalb aufhören, weil ich jetzt länger eine Abgeordnetengruppe bzw. eine Fraktion leite als Herbert Wehner oder Wolfgang Mischnick. Da sagte ich mir: Gregor, nicht übertreiben! (Heiterkeit im ganzen Hause) Lassen Sie mich etwas zur deutschen Teilung sagen. Die deutsche Teilung war das Ergebnis der NSDiktatur und des Zweiten Weltkrieges, der 50 Millionen Menschen das Leben kostete. Die Sowjetunion allein erlebte den Tod von 27 Millionen Menschen. Die Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden kostete 6 Millionen Menschen das Leben. Viele Länder waren zerstört, auch Deutschland. Deutschland selbst verzeichnete 6,3 Millionen Tote. Die Strafe der Siegermächte für Deutschland war eine Verringerung des Territoriums und letztlich auch die deutsche Teilung. West- und Ostdeutsche hatten keine freie Entscheidung hinsichtlich des Systems. 1952 gab es die Stalin-Note mit dem Angebot geheimer Wahlen in beiden deutschen Staaten. Ich meine, Adenauer hätte darauf eingehen sollen; (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Mit Sicherheit nicht!) aber es gab schon den Kalten Krieg. Das wichtigste Ergebnis der deutschen Einheit 1990 bestand darin, dass durch diese Einheit ein Krieg zwischen den beiden deutschen Staaten ausgeschlossen wurde. Wäre der dritte Weltkrieg in der Zeit des Kalten Krieges je begonnen worden, dann hätte er – da waren sich die USA und die Sowjetunion einig – zwischen den beiden deutschen Staaten begonnen. Uns alle hätte es nicht mehr gegeben. Die Einheit ist auch dank des Mutes vieler Ostdeutscher zustande gekommen. Die Vorteile für den Osten sind offenkundig: Es ist ein Gewinn an Freiheit und Demokratie. Nie wieder wird es eine Mauer in Deutschland geben. Wir haben eine funktionierende Wirtschaft, keine Mangelwirtschaft. Endlich hatten die Ostdeutschen eine frei konvertierbare Währung, die Deutsche Mark statt der Mark der DDR, das heißt eine Währung, die man weltweit einsetzen konnte. Trotzdem: Die Vor- und Nachteile hängen von der subjektiven Bewertung jeder und jedes Einzelnen ab. Für viele gab es eine Bereicherung, auch für mich; aber sehr viele wurden auch arbeitslos. Ein 50Jähriger, der bis zur Rente arbeitslos blieb, hat die Bereicherung kaum empfunden. Und Männer sind anders gestrickt als Frauen. Männer empfinden ihre Bedeutung nur über ihre berufliche Tätigkeit (Unruhe bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie Sie! – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha? Vielleicht in Ihrer Generation!) – hören Sie doch mal zu! – und unterliegen dann noch dem Irrtum, dass sie, wenn sie höher bezahlt werden, eine höhere Bedeutung haben. Frauen bringen neues Leben zur Welt und haben deshalb eine andere Perspektive als wir Männer. Aber auch für Frauen gab es Verluste, und zwar insbesondere bei den Kindereinrichtungen. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh ja! Frauen gehen in Kindereinrichtungen!) Wir Menschen sind außerdem so gestrickt: Wir genießen weniger, was wir haben, und leiden mehr unter dem, was wir nicht haben. Nun lassen Sie mich aber auch Kritisches sagen. Unser Vorschlag für die Wirtschaft bestand 1990 darin, ab 1. Juli ein Jahr lang sämtlichen DDR-Unternehmen als Subvention die Lohnkosten zu erstatten, ein Jahr später nur noch 90 Prozent davon, wieder ein Jahr später nur noch 80 Prozent – also eine degressive Subvention über zehn Jahre hinweg. Alle Unternehmen hätten die Chance gehabt, die Produkte in besserer Qualität oder auch neue Produkte herzustellen, dafür zu werben. Natürlich wären auch bei diesem Weg viele Unternehmen in Konkurs gegangen, aber nicht so viele, wie es tatsächlich geschehen ist. Stattdessen entschied die Treuhandanstalt: manchmal scheinbar – zum Beispiel, wenn Konkurrenz beseitigt wurde –, manchmal tatsächlich eher willkürlich, manchmal auch sinnvoll. Nach Abschluss der Privatisierung Ende 1994 gab es nur noch 1,5 von einst 4,1 Millionen Arbeitsplätzen in den Treuhandunternehmen. Die Treuhandverluste bei der Privatisierung betrugen 200 Milliarden Euro. Wie jetzt festgestellt wurde, bleibt die Wirtschaft im Osten wohl fast ewig hinter der westdeutschen zurück. Nur die Politik könnte wirksame Schritte dagegen einleiten. (Beifall bei der LINKEN) Was mich aber besonders störte, waren zwei Dinge: der Mangel an Respekt vor ostdeutschen Biografien und dem dortigen Leben und kein genaues Hinsehen. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Dummes Zeug!) Vieles musste überwunden werden – das steht fest –, aber einiges hätte sinnvoll in ganz Deutschland eingeführt werden können. Wenn man eine Gleichstellung der Frauen will, auch bei der Erwerbsarbeit, dann muss es genügend Kindertagesstätten und Nachmittagsbetreuung an Schulen geben. Da Ferien länger dauern als der Urlaub der Eltern, muss es Schulferienspiele und Kindererholungseinrichtungen geben. (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Das gibt es alles nicht?) Das war nicht schlecht und hätte vom Osten übernommen werden können. (Beifall bei der LINKEN) Das gilt auch für Polikliniken, die wir jetzt Ärztehäuser nennen. Im Osten gab es bei der Bildung leider – wirklich leider; nicht zu vertreten – eine politische Ausgrenzung, aber keine soziale. Vor allem Kunst, Kultur und öffentlicher Nahverkehr waren für jede und jeden erschwinglich. Heute kann die Tochter einer HartzIVEmpfängerin niemals die 9. Sinfonie von Beethoven im Original hören, nur verquetscht auf dem Computer. Wir müssen uns darüber wirklich Gedanken machen. (Beifall bei der LINKEN) Lothar Späth hat mir erzählt: Als er die Geschäftsführung von Jenoptik übernahm, hat er sofort den Betriebskindergarten geschlossen, weil er der Meinung war: Das sind völlig unnötige Kosten. Dann wollte er zwei französische Ehepaare, die hochqualifiziert waren, für sein Unternehmen gewinnen. Die hatten aber beide je zwei Kinder und fragten ihn, ob das Unternehmen einen Kindergarten habe. Da sagte er: Natürlich nicht. Dann sagten sie: Dann kommen wir nicht. – Daraufhin hat er den Kindergarten wieder eröffnet. Manchmal lohnt es sich, länger nachzudenken. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo war das?) – In Jena. Das Wichtigste ist: Wenn wir diesen Weg gegangen wären, wenn wir bestimmte Dinge eingeführt hätten, dann hätte das das Selbstbewusstsein der Ostdeutschen gestärkt. Was aber noch wichtiger gewesen wäre: Die Westdeutschen würden mit der Vereinigung verbinden, dass in diesen Punkten ihre Lebensqualität gesteigert wurde. Das wäre doch viel positiver gewesen als die jetzige Einstellung. (Beifall bei der LINKEN) Trotzdem sage ich: Wir sind für die neue Generation gut vorangekommen bei der Herstellung der inneren Einheit. Aber es müssen schnellstens zwei Dinge passieren: die Angleichung der Löhne und der Arbeitszeit in Ost und West und die Angleichung der Renten. Für die gleiche Lebensleistung muss es endlich die gleiche Rente geben. (Beifall bei der LINKEN) Bevor ich wenige weitere Wünsche und Bitten übermittle, muss ich Ihnen mittels eines jüdischen und deshalb wohl intelligenten Witzes die Dialektik erklären. Es kommt ein Jude nach Hause und ist stark frustriert. Sein Bruder fragt ihn, warum er so sauer sei. Er antwortet, dass er wütend sei, weil er den Rabbiner gefragt habe, ob er beim Beten rauchen dürfte, was dieser strikt verneint hätte. Sein Bruder erwidert, dass er ein Depp sei, weil er die Frage falsch gestellt habe. Er hätte fragen müssen, ob er beim Rauchen beten dürfe, was der Rabbiner immer erlaubt hätte. – Sehen Sie: Das ist die Dialektik. (Beifall bei der LINKEN – Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Im Gegensatz zu Ihnen hat der Witz einen Bart!) Jetzt komme ich zu einigen Wünschen und Bitten, die über das hinausgehen, was ich eben in Bezug auf Ost/West schon gesagt habe. Erstens. Wir müssen Flüchtlinge anständig behandeln und Fluchtursachen wie Krieg, Rüstungsexporte, Hunger, Armut und Rassismus bekämpfen. Aber wir dürfen die Benachteiligten bei uns nicht vernachlässigen. Wir brauchen eine sanktionsfreie Mindestsicherung und eine soziale Mindestrente gegen Altersarmut. (Beifall bei der LINKEN) Zweitens. Wenn man einen Abstand zwischen Sozialleistungen und Erwerbseinkommen haben will, dann braucht man einen höheren flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn: 10 Euro brutto die Stunde. (Beifall bei der LINKEN) Drittens. Wir müssen die Mitte der Gesellschaft entlasten. Es sind die mittleren Verdiener, die die Gesellschaft bezahlen, nicht die Vermögenden, nicht die mit hohen Einkommen – weil Sie sich an die nicht herantrauen oder nicht heranwollen –, und nicht die Armen, denn die können es nicht. Dasselbe Beispiel gilt für die Wirtschaft: Die kleinen Unternehmen können nicht die Steuern bezahlen, die Konzerne und die Banken drücken sich davor. Nur der Mittelstand bezahlt ehrlich die Steuern. Wir müssen lernen, die Mitte in der Gesellschaft zu schützen. (Beifall bei der LINKEN) Viertens. Wir müssen die Bildungsstrukturen erweitern. Ich bitte Sie: Wir haben 16 verschiedene Schulsysteme, weil wir 16 Bundesländer haben. Das passt ins 19. Jahrhundert, aber nicht ins 21. Jahrhundert. (Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Das heißt, das bayerische für alle!) Wir brauchen endlich flächendeckend Kitas, mehr und gut bezahlte Erzieherinnen und vor allem Erzieher. Wir brauchen in diesem Bereich Gebührenfreiheit und auch ein gebührenfreies, gesundes, vollwertiges Mittagessen sowohl in Kindertagesstätten als auch in Schulen. (Beifall bei der LINKEN) Fünftens. Wir müssen die prekäre Beschäftigung und die Altersarmut überwinden, jetzt und in Zukunft. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Was wir nicht brauchen, ist die Linkspartei!) Sechstens. Wir müssen die schlechte Bezahlung der sogenannten Frauenberufe überwinden. Das heißt, endlich gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Siebtens. Wir müssen zum Primat der Politik zurück, und wir müssen die Macht der Banken und Konzerne deutlich zurückfahren; ich erinnere an Bankenkrise und TTIP. Dass die Deutsche Bank entscheidet, was die Kanzlerin macht, und dass nicht mehr die Kanzlerin entscheidet, was die Deutsche Bank macht, muss geändert werden. (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU) Achtens. Wir müssen die Europäische Union und den Euro deutlich demokratischer, sozialer und ökologischer hinsichtlich ihrer Wirkungen gestalten. Neuntens. Wir haben eine geringe Wahlbeteiligung. Sozial Benachteiligte gehen nur noch zu 30 Prozent wählen. Sie überlegen sich, Wahllokale länger öffnen zu lassen. Das wird nicht helfen. Wir müssen die Demokratie attraktiver machen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Was halten Sie von einer dritten Stimme bei der Bundestagswahl, mit der die Bürgerinnen und Bürger die Reihenfolge auf der Liste der Parteien verändern können? (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf von der SPD: Haben wir doch längst!) Nicht nur die direkt Gewählten, sondern auch die auf Listen Gewählten wären doppelt unterstellt: Sie müssten ihrer Partei so nahe sein, dass sie auf die Liste kommen, und sie müssten den Bürgerinnen und Bürgern so nah sein, dass ihr Name von ihnen auch angekreuzt wird. Was halten Sie davon, dass jede Partei, die im Bundestag vertreten ist, anlässlich der Bundestagswahl eine Frage an die Bevölkerung stellen kann, die mit Ja oder Nein zu beantworten ist? Das Bundesverfassungsgericht muss in einem kurzen Verfahren prüfen, ob sowohl die Antwort „Ja“ als auch die Antwort „Nein“ grundgesetzgemäß ist. Außerdem muss es Begrenzungen hinsichtlich der Bindungen des Bundeshaushalts geben, weil wir Linken sonst mit unserer Frage gleich zwei Bundeshaushalte auf einmal ausgeben würden. Das verstehe ich. Was halten Sie von einer Ergänzung unserer Debattenkultur? Bisher haben wir doch nur Reden. Wenn wir nur Reden haben, entscheidet man selbst, auf welche Argumente des Vorredners man eingeht oder nicht eingeht. Stellen Sie sich doch einmal vor, neben den Reden hätten wir eine Streitdebatte, zum Beispiel zehn Minuten lang ein Streitgespräch zwischen Kauder und Gysi, immer redet jeder je eine Minute: Ich kann seinen Argumenten nicht ausweichen, er kann meinen Argumenten nicht ausweichen. Glauben Sie mir, es würde hier sehr viel spannender werden, wenn wir solche Dinge im Bundestag einführen würden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Ruf der Politikerinnen und Politiker in unserer Gesellschaft ist ziemlich schlecht. (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Dank Ihnen!) Das hat viele Gründe. Aber die wichtige Arbeit der Mitglieder des Bundestages in den Ausschüssen kann die Öffentlichkeit nicht wahrnehmen. Ich verstehe, dass man dort kameragerechtes Verhalten verhindern will. Aber vielleicht kann man Ausschusssitzungen teils öffentlich, teils nichtöffentlich durchführen, damit die Bürgerinnen und Bürger wissen, wo Abgeordnete außerdem arbeiten und wie viel sie arbeiten. Auch die Fragestunde zur Politik der Bundesregierung muss meines Erachtens dringend kulturell belebt werden. Zehntens und letztens. Ich wünsche mir eine andere politische Kultur. Ich weiß, dass die Union auch in den seltenen Fällen voller Übereinstimmung zusammen mit uns keine Anträge stellt. (Zuruf von der CDU/CSU: Zu Recht!) Ich glaube, das stärkt falsche Ansichten in der Union und bei uns. Denken Sie darüber nach. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die repräsentative Demokratie zeichnet sich dadurch aus, dass unterschiedliche Parteien unterschiedliche Interessen vertreten. Die meisten Linken haben begriffen, dass ein Bundestag ohne Union nicht gut wäre, weil dann bestimmte Interessen nicht mehr vertreten wären. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Kleiner, auch deutlich kleiner, dürfen Sie schon werden, aber nicht fehlen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Wie großzügig!) Aber ich befürchte, dass es noch zu viele in der Union gibt, die sich einen Bundestag ohne Linke gut vorstellen können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) – Sehen Sie. – Damit verletzten Sie aber die repräsentative Demokratie; denn wir vertreten andere Interessen, bei denen es vielleicht wichtig ist, dass auch diese im Bundestag vertreten sind. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Wähler entscheidet!) Denken Sie darüber nach. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege, denken Sie an die Zeit. (Thomas Oppermann [SPD]: Die letzte Rede!) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Das ist die letzte Seite, Herr Präsident. Ich wünsche mir ein anderes Verhältnis zu historischen Persönlichkeiten. (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Stalin!) Ich kenne die Kritik der Linken an Bismarck. Sie ist berechtigt; trotzdem sage ich: Er war auch ein herausragender Mann. Ich weiß, dass an der Kremlmauer Clara Zetkin und Fritz Heckert beerdigt sind, wichtige Persönlichkeiten. Wenn Sie Franzosen wären – ich schwöre es Ihnen –: Selbst der konservativste Präsident wäre an den Gräbern vorbeigegangen und hätte schon mal eine Blume niedergelegt. Noch nie war ein Bundespräsident dort, noch nie ein Kanzler oder eine Kanzlerin. Lassen Sie uns diesbezüglich doch ein bisschen französische politische Kultur und Toleranz einführen. Das stärkt Sie und uns und unser Land. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Niels Annen [SPD]) Zum Schluss. Ich habe bisher die Abgeordneten nie als Kolleginnen bzw. Kollegen begrüßt. Das wird Ihnen gar nicht aufgefallen sein. Das hängt mit den Diskriminierungen und Verletzungen zusammen, die ich erlebt habe, auch im Immunitätsausschuss. Die FDP hat bei mir immer einen kleinen Stein im Brett, und zwar, weil sie als Einzige nicht mitgemacht hat. Inzwischen werde ich aber auch mit Respekt behandelt. Nun muss auch ich mir einen Ruck geben. Deshalb sage ich Ihnen jetzt: Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche Ihnen allen aufrichtig beste Gesundheit, schöne Erlebnisse, viel Glück und nur ein wenig vom Gegenteil, um nicht zu verlernen, Glück zu schätzen. Außerdem wünsche ich Ihnen allen größte politische Erfolge – natürlich nur insoweit, wie sie mit meinen politischen Sichten übereinstimmen. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Und da Sie für mich immer eine Herausforderung waren, was zweifellos zu meiner Entwicklung beigetragen hat, sage ich Ihnen auch: Danke. (Anhaltender Beifall bei der LINKEN – Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Lieber Kollege Gysi, Ihre letzte Rede als Fraktionsvorsitzender der Linken hatte ja streckenweise fast den Charakter einer Regierungserklärung. (Heiterkeit im ganzen Hause) Dazu fehlt es jetzt nur noch an den erforderlichen Mehrheiten. (Zuruf von der LINKEN: Wir arbeiten daran!) Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem vereinten Deutschland – an die Wiedervereinigung erinnern wir an diesem Wochenende in besonderer Weise – und dem Staat, der vor 25 Jahren dem Geltungsbereich des Grundgesetzes beigetreten ist, besteht darin, dass in diesem Parlament nicht nur überhaupt auch Minderheiten zu Wort kommen, sondern regelmäßig auch mit längeren Redezeiten als ihnen statistisch überhaupt zusteht. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nun tun wir so, als wäre das eine ganz normale Debatte. Ich rufe den nächsten Redner auf. Das ist der Kollege Hauptmann für die CDU/CSUFraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Mark Hauptmann (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kollegen! Ich freue mich, dass der Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen heute dieser Debatte beiwohnt. – Lieber Thüringer Landsmann Roland Jahn, seien Sie herzlich willkommen bei dieser Debatte im Deutschen Bundestag. Verehrte Gäste und Freunde auf den Tribünen! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Herr Präsident, eine Regierungserklärung sieht schon anders aus. Wir haben hier einen Gregor Gysi erlebt, der wie ein Hobbypsychologe die Geschichte verklären will, wie er die Westanbindung Deutschlands ein Stück weit infrage stellt, das war schon ein starkes Stück, Herr Kollege. Deswegen möchten wir Sie gleich einmal daran erinnern – damit Sie das auch nach Ihrer letzten Rede als Fraktionsvorsitzender nicht vergessen –: Es waren die Adenauers, die Brandts und die Kohls, die die Einheit herbeigeführt haben und nicht die Lafontaines, die Honeckers und die Gysis dieser Republik. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Es war das Volk!) Liebe Kollegen, wir feiern morgen, am 3. Oktober 2015, auch zentral hier, direkt vor dem Reichstagsgebäude, unser silbernes Einheitsjubiläum, 25 Jahre deutsche Einheit. Dass Ostdeutschland in den letzten 25 Jahren enorm aufgeholt hat, das bestreitet niemand, nicht einmal Herr Gysi. Was mich an dieser Debatte allerdings immer wieder stört, ist der nostalgische Aspekt, der ein Stück weit mitschwingt, auch in Ihren Worten, wodurch unsere geschichtliche Leistung ein Stück weit kleingeredet und auch verklärt wird. Die immensen Anstrengungen der Menschen in Ostdeutschland, die Solidarität der Bürger in Westdeutschland, die Integration eines vereinigten Deutschlands innerhalb der Europäischen Union quasi über Nacht, der wirtschaftliche Erfolg, den wir heute im Jahr 2015 feiern – all das sind Beispiele und Kennzeichen dafür, dass wir hier einen Transformationsprozess erfolgreich gemeistert haben, der einmalig ist auf der ganzen Welt. Darauf können wir stolz sein und sollten es auch. (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen geht es heute bei dieser Debatte nicht nur um den Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit – die Staatssekretärin hat ihn vorgestellt –, sondern auch um einen Antrag seitens der Koalitionsfraktionen, der die deutsche Einheit als das würdigt, was sie ist, nämlich ein Erfolg und ein Geschenk unserer deutschen Geschichte. 80 Prozent der Menschen in den neuen Ländern erleben das auch persönlich so; sie erleben quasi die Wiedervereinigung als das größte historische Glück, das sie erreicht haben. Mit den Worten „Wir sind das Volk“ haben die Ostdeutschen Freiheit und ein besseres Leben angestrebt. Sie waren auch in den schwierigen Jahren, die es nach der Wiedervereinigung ohne Zweifel gab, in diesem Transformationsprozess bereit, hart anzupacken und daran mitzuwirken, die deutsche Einheit zu einem gesamtdeutschen Erfolg zu machen. Diesen können wir heute feiern. Das hört sich immer sehr abstrakt an; dabei ist es unglaublich konkret, wenn es um die Lebensqualität der einzelnen Menschen geht, wenn es um den Umweltschutz in den neuen Ländern geht, wenn es um die bessere Anbindung Deutschlands in Europa durch eine moderne Infrastruktur geht und wenn es darum geht, wie es eine innovative Wirtschaft geschafft hat, sich in diesem Transformationsprozess von der Miss- und Planwirtschaft hin zur sozialen Marktwirtschaft zu verändern. Das sind ganz konkrete Leistungen, die wir hier heute würdigen wollen. Das schönste Geschenk haben sich letztendlich die Menschen selbst gegeben. Denn dank der Lebens- und Arbeitsbedingungen und der medizinischen Versorgung ist die Lebenserwartung in Ostdeutschland heute sieben Jahre länger, als sie noch 1989 war. Das heißt, die Menschen profitieren selber davon und können tagtäglich nicht nur bei Besuchen von Bundesgartenschauen und Landesgartenschauen erleben, dass blühende Landschaften heute Realität geworden sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Ogottogott!) Dass wir es geschafft haben, in der Infrastruktur Lücken zu schließen und marode Infrastruktur zu beseitigen – über die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ wurden über 40 Milliarden Euro investiert und Schienenprojekte und Autobahnprojekte aufgelegt –, zeigt doch letztendlich, dass in vielen Bereichen unglaublich viel passiert ist. Dies kommt heute unserem gesamten Land zugute und nicht nur den Ostdeutschen. Wachstum und Innovation sind ein Bereich, in dem in den letzten Jahren enorme Fortschritte erzielt wurden, und das trotz des Strukturwandels, den wir in den letzten Jahren durchschritten haben. Dieser Aufholprozess, den die neuen Bundesländer erlebt haben, zeigt, dass hier ein gewaltiger Fortschritt erzielt wurde. Wir haben heute bei der Zahl der Arbeitslosen einen historischen Tiefstand: 750 000 Menschen in den neuen Ländern sind noch arbeitslos; jeder Einzelne von ihnen ist zu viel. Aber das ist der niedrigste Stand, den wir seit 25 Jahren haben. Die Arbeitslosigkeit ist 18 Prozent geringer als 1991. Die Arbeitslosigkeit in meinem Südthüringer Wahlkreis liegt mit 5 Prozent knapp 1,5 Prozentpunkte unterhalb des deutschen Bundesdurchschnittes. Das sind doch Leistungen, die wir nach außen tragen können, auf die wir stolz sein können, liebe Freunde. (Beifall bei der CDU/CSU) Diese Erfolge sehen wir nicht nur im Bereich der Lebensqualität und nicht nur im Bereich des Umweltschutzes – knapp 5 Prozent des Staatsterritoriums in den neuen Ländern haben wir als Biosphärenreservate und Naturparks unter besonderen Schutz gestellt –, sondern wir sehen sie auch bei über 94 000 Arbeitsplätzen in innovativen Bereichen der Forschung und Entwicklung und bei kleinen und mittelständischen Unternehmen, die sich heute teilweise als Hidden Champions zu Weltmarktführern entwickelt haben. Wer hätte vor 25 Jahren gedacht, dass wir Weltmarktführer in den neuen Ländern haben? (Zuruf von der LINKEN: Ja, warum denn nicht?) Das ist ein Erfolg, den wir nicht kleinreden sollten. Wir unterstützen ihn vielmehr mit den Instrumenten unserer staatlichen Förderung. ZIM, INNO-KOM-Ost, aber auch die Programmfamilie „Unternehmen Region“ zeigen, dass wir als Staat unserer Verantwortung gerecht werden, weiterhin einen erfolgreichen wirtschaftlichen Aufstieg zu gewährleisten. Sehr geehrte Damen und Herren, eines darf man nicht vergessen: Wir sollten heute mit dieser Debatte keinen Schlussstrich unter die Aufarbeitung der SEDDiktatur ziehen. Werter Herr Kollege Gysi, man kann 25 Jahre in verschiedenen Bereichen und für verschiedene Aspekte durchaus nutzen. Ich empfinde es schon ein Stück weit als eine Schande, dass Sie und Ihre Kollegen als Nachfolgepartei der SED die Verantwortung für Stacheldraht, Schießbefehl und Schlussverkauf in der Planwirtschaft nicht aufgearbeitet, nicht analysiert und nicht geradegerückt haben. (Widerspruch bei der LINKEN) Es ist letztendlich ein Stück weit eine Schande der deutschen Geschichte, dass Sie diese 25 Jahre nicht genutzt haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Junge, Junge!) Sehr geehrten Kollegen, das ist nicht abstrakt. Das ist sehr konkret. Die Mehrheit Ihrer Regierungskoalition im Thüringer Landtag beträgt eine Stimme, und das bei zwei ehemaligen Inoffiziellen Mitarbeitern der Stasi. Das ist die Realität im Jahr 2015. (Thomas Jurk [SPD]: Das ist Demokratie! – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Eine Schande ist das! – Zurufe von der LINKEN) Hier werden Sie Ihrer Verantwortung nicht gerecht. Die Stasimitarbeiter von gestern sind heute noch in maßgeblicher Verantwortung mit dabei. Das ist ein Stück weit eine Schande. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Hauptmann, darf die Kollegin Wawzyniak Ihnen eine Zwischenfrage stellen? Mark Hauptmann (CDU/CSU): Gerne. Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Herr Kollege Hauptmann, Sie haben gerade gesagt, dass die Vergangenheit nicht aufgearbeitet worden ist. Nun haben wir mit der Drucksache 18/3145 einen Gesetzentwurf zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften und zur SEDOpferrente vorgelegt, in dem wir unter anderem vorgeschlagen haben, dass auch diejenigen unter das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz fallen sollten, die Opfer von Zersetzungsmaßnahmen des MfS waren. Diesen Gesetzentwurf haben Sie mit breiter Mehrheit abgelehnt. Der Kollege Vaatz hat sich dazu hinreißen lassen, zu sagen, dass dieser Gesetzentwurf nur eingebracht worden ist, um den Staat zu zerstören. Wie verträgt sich das in Ihren Augen damit, dass die Vergangenheit aufgearbeitet werden soll? (Beifall bei der LINKEN) Mark Hauptmann (CDU/CSU): Werte Frau Kollegin, wenn der Thüringer Landtag feststellt, dass zwei ehemalige Inoffizielle Mitarbeiter der Stasi parlamentsunwürdig sind, (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Danach hat sie nicht gefragt! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sie hat etwas ganz anderes gefragt!) dann erwarte ich von einer Partei – und auch von einem Regierungsbündnis –, dass sie ihre Mehrheit nicht von diesen zwei Stimmen abhängig macht, sondern einen ganz klaren Schlussstrich unter die Geschichte zieht. Diesen Schlussstrich haben Sie nicht gezogen. (Ulli Nissen [SPD]: Das war doch gar nicht die Frage! – Richard Pitterle [DIE LINKE]: Sie können nicht antworten! – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Kriege ich auch eine Antwort auf die Frage?) Von daher sind die von Ihnen angesprochenen Punkte keineswegs ernst zu nehmen. Herr Gysi, Sie haben uns ein langes Pamphlet vorgetragen und gesagt, wo Sie überall Veränderungen erwarten. Wir wünschen uns als Veränderung, dass Sie damit anfangen, die Nationalhymne hier in diesem Haus mitzusingen. Da fängt es doch bereits an! (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also bitte, das ist doch unwürdig! – Tino Sorge [CDU/CSU], an die LINKE gewandt: Ich schicke Ihnen gerne mal den Text! Und den vom Grundgesetz gleich mit!) – Bleiben Sie doch ganz ruhig. Wer sich aufregt, hat permanent unrecht; das müssten Sie doch wissen. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Peinlich!) Sehr geehrte Damen und Herren, die Frau Kollegin hat mich gefragt, was wir ganz konkret machen, um den Punkt der Erinnerungskultur zu würdigen; das war ja Ihre Frage. Da hilft ein Blick in den Antrag, den wir heute verabschieden. Denn wir wollen mit diesem Antrag dafür sorgen, dass auch weiterhin eine lebendige Kultur der Erinnerung gepflegt wird, wir wollen Wissensdefizite, gerade der jüngeren Bevölkerung, bekämpfen, und wir wollen – das ist der zentrale Punkt – das Gedenken an die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft fortführen, und das mit einem eigenen Denkmal an einem zentralen Ort hier in Berlin. Das ist Bestandteil dieses Antrags. Wir verpflichten uns in dieser Legislaturperiode zu der Initiative für dieses Denkmal für die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft. Das ist die große Leistung, die diese Regierungskoalition heute mit diesem Antrag erbringt. (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Sie müssen zum Schluss kommen, Herr Kollege. Mark Hauptmann (CDU/CSU): Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Begonnen habe ich mit den Worten „Wir sind das Volk“, dem zentralen Ausspruch der Bürgerinnen und Bürger, die diesen Transformationsprozess herbeigesehnt und auch bewältigt haben. Heute können wir auch den zweiten Teil dieser zentralen Aussage von 1989 bestätigen: Ja, wir sind auch ein Volk, und wir gehen die Herausforderungen der Zukunft, egal ob in Ost oder West, gemeinsam als ein Volk an. Das ist letztendlich die wunderschönste und größte Errungenschaft, die wir nach 25 Jahren deutscher Einheit feiern können. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Stephan Kühn ist der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich gehöre zu der Generation, die in der DDR ihre Kindheit verlebt hat und im vereinigten Deutschland aufgewachsen ist. Um zu sehen, was sich in den 25 Jahren nach der Wiedervereinigung entwickelt hat, brauche ich nur vor die Haustür zu treten. Meine Berliner Wohnung liegt in der Oderberger Straße. Diese war 40 Jahre lang eine Sackgasse, denn an der Ecke Bernauer Straße verlief die Mauer. Von Westberliner Seite konnte man von einer Plattform in die Oderberger Straße schauen. Heute sind die Häuser, die in den 80erJahren noch durch Neubauten ersetzt werden sollten, saniert. Zahlreiche originelle Läden und Restaurants säumen die Straße. Dort, wo früher der Todesstreifen verlief, pulsiert heute im Mauerpark das Leben. An diesem historischen Ort wird versucht, das Wissen darüber zu erhalten, wie es war. Entlang des Grenzstreifens ist eine bemerkenswerte Ausstellung über die Teilungsgeschichte entstanden. An diesem Ort lehrt uns die Geschichte, dass Demokratie und Freiheit nicht selbstverständlich sind, sondern immer wieder neu erkämpft und bewahrt werden müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Es waren der Mut und die Entschlossenheit vieler Bürgerinnen und Bürger in der damaligen DDR: Wären sie im Herbst 1989 nicht zu Hunderttausenden auf die Straße gegangen, dann hätten sie die SEDDiktatur nicht zu Fall gebracht, und es gäbe nicht seit 25 Jahren ein in Frieden und Freiheit vereinigtes Deutschland. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Seit dem 3. Oktober 1990 haben die Menschen in Ost und West einen beispiellosen Prozess des Zusammenwachsens zweier, in vielerlei Hinsicht sehr unterschiedlicher Systeme bewältigt. Dabei gab es nicht wenige Hindernisse zu überwinden: vom Rechts- und Staatsverständnis über die Wirtschafts- und Arbeitswelt, das soziale, kulturelle und gesellschaftliche Leben bis hin zur Alltagssprache. Auf das Verdienst, diese Herausforderungen bis heute so gut gemeistert zu haben, können wir in Ost und West gemeinsam stolz sein. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Dass inzwischen eine Generation junger Erwachsener in unserem Land lebt, die Mauer, Stacheldraht und die Teilung Deutschlands nur aus Büchern und Filmen kennt, ist ein Glücksfall der Geschichte, was allerdings nicht dazu führen darf, dass – um Freya Klier aus der gestrigen Ausgabe der Leipziger Volkszeitung zu zitieren – die DDR so weit weg ist wie das Römische Reich. Das darf nicht passieren; (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU) daran müssen wir gemeinsam arbeiten. Der Bericht zum Stand der Deutschen Einheit stellt zutreffend fest, dass der gesellschaftliche Umbruch – bis hin zu vielen einschneidenden Veränderungen im persönlichen Leben – den Ostdeutschen viel abverlangt hat. Ich finde, ihre Leistungen gilt es heute zu würdigen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD) Ihr Wissen und ihre Erfahrungen – man könnte es auch Transformationskompetenz nennen – brauchen wir erneut; denn der demografische Wandel stellt insbesondere die ostdeutschen Bundesländer vor besondere Herausforderungen. Der Aufholprozess Ostdeutschlands ist in den zurückliegenden Jahren vorangeschritten; aber er hat an Dynamik verloren. Trotz unverändert breitflächiger Strukturschwäche in Ostdeutschland und einer seit Jahren stagnierenden wirtschaftlichen Angleichung gelingt es der Bundesregierung nicht, neue Impulse zu setzen. Um die zentralen Handlungsbedarfe im Jahresbericht zusammenzufassen, braucht die Bundesregierung gerade eine DINA4Seite. Es gibt keine vernünftige Analyse und auch keine Evaluation der bisherigen Maßnahmen, aus denen sich Handlungsempfehlungen zur künftigen Wirtschaftsförderung ableiten ließen. Wenn zum Beispiel die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ angeblich die Grundlage für einen erfolgreichen Aufbau Ost waren, warum ist dann trotz moderner Infrastruktur die Wirtschaftskraft in den letzten Jahren kaum gestiegen? Solche Fragen müsste man ehrlich beantworten. Der Bericht liefert viele Zahlen, aber keine neuen Ideen. Ist die bisherige Form – eine Art Statistisches Jahrbuch – für Ostdeutschland überhaupt noch zeitgemäß? (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das bloße Beschreiben des Status quo hilft doch nicht weiter. Wenn wir mit herkömmlichen Rezepten nicht weiterkommen, müssen wir uns fragen, wie ein selbsttragender Zukunfts- und Entwicklungspfad für die neuen Länder aussehen kann. Es hilft nichts, regelmäßig die Kleinteiligkeit der ostdeutschen Wirtschaft und das Fehlen von Konzernzentralen zu beklagen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich finde, die Wirtschaftspolitik muss weg von der Investitions- und Infrastrukturförderung hin zu einer Bildungs- und Innovationsförderung. Richtig ist dabei der Ansatz, die Förderprogramme der ostdeutschen Länder in ein gesamtdeutsches System für strukturschwache Regionen zu überführen. Wir müssen uns aber fragen, ob die derzeitigen Strukturen so beschaffen sind, dass die Eigenverantwortung und die Engagementbereitschaft der Menschen befördert statt behindert werden. Patentrezepte gibt es freilich nicht. Wir werden regional angepasste Konzepte und Lösungen brauchen, zum Beispiel für die Lausitz, die sich durch das Auslaufen der Kohleförderung und den demografischen Wandel mitten im Strukturwandel befindet. Die Bundesregierung muss aber endlich erkennen, dass sich die Neugestaltung der Daseinsvorsorge beispielsweise im ländlichen Raum und das Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse nicht durch eine Aneinanderreihung von Pilotprojekten und Modellvorhaben erreichen lassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich sage das bewusst mit Blick auf die bevorstehende Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen. Denn dabei muss das eine zentrale Rolle spielen. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Axel Schäfer für die SPDFraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Axel Schäfer (Bochum) (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 1950, angesichts der deutschen Teilung, schrieb Bertolt Brecht das prophetische Gedicht Kinderhymne: Anmut sparet nicht noch Mühe Leidenschaft nicht noch Verstand Daß ein gutes Deutschland blühe Wie ein andres gutes Land. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Dass dieses realisiert werden konnte, hat auch etwas mit unserem gemeinsamen Europa zu tun. 1990, nach der erfolgreichen friedlichen Revolution, haben im Europäischen Parlament unter Vorsitz eines spanischen Christdemokraten, einer französischen Liberalen und einer dänischen Sozialdemokratin die Abgeordneten den Weg planiert, dass wir durch die deutsche Wiedervereinigung nicht noch einmal der EU beitreten mussten. Ohne den sozialistischen Kommissionspräsidenten Jacques Delors wäre das auch nie in so kurzer Zeit so problemlos gelungen. Es besteht eine ewig dauernde Dankbarkeit unsererseits gegenüber unseren europäischen Nachbarn, dass dies damals so möglich war. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es geht aber noch etwas weiter zurück. 1866 hat die Sozialdemokratie in ihrem ersten Wahlprogramm geschrieben: Wir wollen die deutsche Einheit und betrachten diese einfach als Anfang eines solidarischen europäischen Staates. – 1866! Stellen wir uns nur eine Minute lang vor, was uns allen erspart geblieben wäre, wenn wir diese Form von deutscher Einheit in einem gemeinsamen Europa schon vor 150 Jahren hätten realisieren können. Auch das gehört an einem Tag wie diesem einmal ausgesprochen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) Heute, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir – gerade weil sehr viele jüngere Menschen anwesend sind – daran denken, was 1990 gelungen ist. 1990 ist es gelungen, dass letztendlich alle Parteien mit einer Ausnahme zum überwiegenden Teil gesagt haben: Wir vollenden die Einheit. – An dieser Stelle muss auch gesagt werden – das hätten die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU etwas verdeutlichen sollen –: Das ist und bleibt das Verdienst von Helmut Kohl als Bundeskanzler. Das sollten wir ihm, gerade weil er nicht mehr unserem Hause angehört, noch einmal öffentlich zurufen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Es gehört auch zur historischen Wahrheit, dass ohne die Schlauheit von Gregor Gysi vielleicht die Volkskammer der Bundesrepublik beigetreten wäre, aber nicht die DDr.  (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, das stimmt!) Auch das sollte man an dieser Stelle sagen: dass jemand, der zwar gegen den Beitritt gestimmt hat, aber dafür war, dass er möglich wurde. Auch wenn wir politische Gegner sind, kann man respektvoll sagen: Gregor Gysi, wir danken Ihnen für Ihre historische Leistung. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Wir gehen nach Thüringen!) – Dort habe ich zwei Jahre gearbeitet. Zur historischen Wahrheit gehört auch, dass wir bei der anderen entscheidenden Frage vor der Geschichte nicht versagt haben. Ich sehe, dass von damals noch mein Freund Michael Stübgen und Edelgard Bulmahn auf der SPD-Seite anwesend sind. Wir haben letztlich unser Versprechen gehalten, dass Berlin nach der deutschen Wiedervereinigung Hauptstadt wird. Heute ist das alles selbstverständlich. Aber fragen Sie einmal Bärbel Bas aus Nordrhein-Westfalen oder mich, was damals los war! Denjenigen im Westen, die für Berlin waren, hat man gesagt: Ende der Karriere! Du wirst nie etwas. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So etwas gibt es nur bei der SPD!) Wir beide sind im Deutschen Bundestag angekommen. (Thomas Jurk [SPD]: Das ist Solidarität!) Es geht sogar weiter. Manch einer in diesem Hause, der sich heute für unfehlbar hält, hat sich damals geirrt, weil er für Bonn gestimmt hat. Es ist schön, dass wir hier in Berlin gemeinsam angekommen sind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich will etwas Persönliches hinzufügen. Ich war glücklich, mit meinem damals zehnjährigen Sohn am 2. und 3. Oktober in Berlin sein und an den Einheitsfeiern teilnehmen zu können. Heute bin ich noch glücklicher, weil die deutsche Einheit für meine Familie zur Folge hatte, dass ich eine Schwiegertochter aus Mecklenburg-Vorpommern habe. (Beifall des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE] – Zuruf von der SPD: Ah! Das ist deutsche Einheit!) Willy Brandts Worte „Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört“ haben hier für mich eine besondere Bedeutung. Ich will mit Bertolt Brecht auch schließen. Seine Kinderhymne endet mit den Worten: Und weil wir dies Land verbessern Lieben und beschirmen wir‘s Und das liebste mag‘s uns scheinen So wie andern Völkern ihrs. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort der Kollegin Baerbock für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin Ihnen, Frau Gleicke, sehr dankbar, dass Sie in Ihrer Rede betont haben, dass es keinen Schlussstrich geben wird. Angesichts mancher Redebeiträge in dieser Debatte frage ich mich aber, ob das bedeutet, dass wir heute die gleiche Diskussion wie vor 25 Jahren führen müssen. Herr Hauptmann, sorry, aber wenn Sie den Stand der deutschen Einheit daran messen, wer die Nationalhymne mitsingt, dann könnten wir Brandenburg aus der Bundesrepublik Deutschland komplett ausschließen. Wir, alle Fraktionen und die Menschen aus Brandenburg, haben dort in der letzten Woche 25 Jahre Landtag gefeiert und dabei Ode an die Freude gesungen oder nur zugehört. Die Nationalhymne spielte jedenfalls dabei keine Rolle. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Schlimm genug!) Herr Gysi, Sie haben als Beispiel die Krippenplätze genannt. Das ist nun 25 Jahre her. Ich habe zwei kleine Kinder, die in Brandenburg in die Kita gehen. Ich bin dankbar, dass es dort eine Versorgung mit Krippen- und Kitaplätzen zu 90 Prozent gibt. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Gute Regierung!) Das sage ich als Westdeutsche, die in Hannover geboren ist. Aber uns, auch denjenigen, die in Ostdeutschland geboren sind wie mein Kollege Norbert Müller, ist ziemlich egal, ob wir aus West oder Ost kommen. Auch Männer interessieren sich dafür, ob es ausreichend Kitaplätze gibt, und auch Frauen wollen arbeiten gehen. Die Klischees von Mann und Frau im Zusammenhang mit Berufstätigkeit treffen nach 25 Jahren so vielleicht nicht mehr zu. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Der Grund, warum ich denke, dass es wichtig ist, keinen Schlussstrich zu ziehen, ist, dass die Mauer – daran müssen wir uns immer wieder erinnern – nicht einfach umgefallen ist, sondern dass Menschen, die teilweise auf brutalste Weise verfolgt wurden, dafür eingetreten sind, nicht mehr in einer Diktatur und in einem Willkürstaat, sondern in Frieden und Freiheit zu leben. Gerade in diesen Tagen sollte man sich des Kampfes für Freiheit, den einige vor 25 Jahren geführt haben, immer wieder bewusst sein. Wir sollten uns an die Botschaftsflüchtlinge und die Fluchthelfer erinnern. Wenn wir uns das in Erinnerung rufen, dann denken wir auch an das, was Sie zu Recht angesprochen haben, nämlich die herben Brüche, die Unsicherheiten, die existenziellen Ängste und auch daran, was es bedeutet, wenn man über Jahrzehnte nicht arbeiten kann. Wenn wir uns das vergegenwärtigen, dann sollten wir die Beschlüsse, die wir in der nächsten Sitzungswoche hier fassen wollen, noch einmal überdenken. Es reicht nicht, wenn wir den Menschen, die für Freiheit kämpfen, die vor Diktatur geflohen sind, sagen: Ihr könnt bei uns arbeiten, aber erst nach 15 Monaten. – Das sollten wir uns gerade bei solchen Feierlichkeiten immer wieder vergegenwärtigen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Wir sollten uns auch vergegenwärtigen, warum die IHKen, die Kammern, in Ostdeutschland gerade jetzt wieder fordern, dass Flüchtlinge eine Ausbildung beginnen können, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) nämlich weil wir einen Fachkräftemangel haben, wie Ihr Bericht ja auch betont. Warum findet sich das in den Vorschlägen der Bundesregierung zur Flüchtlingspolitik nicht wieder, obwohl Sie es in Ihrem Bericht selber ansprechen und es ausgerechnet die IHKen, die Kammern, immer wieder gefordert haben? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn man Ihren Bericht liest und sich auch den demografischen Wandel anguckt, dann sollte man in der Diskussion über die Flüchtlingskrise doch auch die Chancen sehen, gerade für Ostdeutschland. Ich meine nicht, dass wir sagen sollten: „Da steht alles leer; jetzt sollten dort alle einquartiert werden“, sondern ich meine die kleinen positiven Beispiele, das, was Menschlichkeit ausmacht. So gibt es in Märkisch-Oderland ein Dorf, das ausstirbt, 850 Einwohner. Die Grundschule sollte geschlossen werden, weil es statt der notwendigen 15 Erstklässler kurz vor der Einschulung nur noch 14 Erstklässler gab. Dort gibt es einen Bürgermeister, der sagt: In der Erstaufnahme in Eisenhüttenstadt leben derzeit so viele Familien mit Kindern. Könnten nicht welche in unser Dorf kommen? – Die wurden nicht zwangszugewiesen; nein, es wurde proaktiv darauf zugegangen und aufgezeigt, dass doch welche in dieses Dorf kommen könnten. Das hat dazu geführt, dass diese Grundschule, die eigentlich keine erste Klasse mehr haben sollte und damit über kurz und lang hätte geschlossen werden müssen, durch die sechs syrischen Kinder, die dort mit eingeschult wurden, sozusagen wieder zum Leben erweckt wurde und das Dorf eine neue Zukunft bekommen hat. Das funktioniert nicht überall problemlos; auch dort wird es Herausforderungen mit sich bringen. Aber das sind Maßnahmen und Geschichten, die wir in den Vordergrund rücken sollten. Wenn wir den demografischen Wandel beklagen, wenn wir sagen: „Leider wandern die Menschen gerade aus den ländlichen Regionen ab“ – darauf ist mein Kollege Stephan Kühn schon eingegangen –, dann muss es doch die Aufgabe eines politischen Berichts sein, hinzuzuschreiben: Und das sind die Maßnahmen, mit denen wir dagegen angehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich glaube, aktuell haben wir viele Chancen, die wir in dieser Krise nutzen sollten. Ich würde gern noch auf einen anderen Punkt in Ihrem Bericht eingehen, Frau Gleicke. Sie hatten beim letzten Bericht betont, dass Sie es nicht sonderlich hilfreich finden, wenn wir nur Zahlen und Fakten aneinanderreihen. Das ist jetzt leider wieder genau so passiert. Gerade beim Thema „Rückstand bei der Wirtschaftskraft“ – ein Drittel niedriger als in Westdeutschland – fällt mir das besonders auf. Es hilft nicht, wenn wir pauschal sagen – selbst wenn Sie im Wirtschaftsministerium angesiedelt sind –: Wir setzen die Wirtschaftsprogramme so fort, wie wir das auch in Westdeutschland tun. – Wenn in Ostdeutschland kein einziges DAX-Unternehmen zu Hause ist, wenn dort die Wirtschaft vor allen Dingen mittelständisch geprägt ist, dann können wir doch nicht eine Mittelstandspolitik betreiben, die für den Westen geschrieben ist, wo, in Baden-Württemberg etwa, ein KMU 500 Mitarbeiter hat, während es in Brandenburg 50, wenn nicht gar nur 10 hat. Wir brauchen eine Mittelstandspolitik, die genau auf die besonderen Herausforderungen dort abgestellt ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es wäre aus meiner Sicht eine Aufgabe für einen solchen Bericht, auch das anzusprechen; denn sonst beschreiben wir immer nur den Sachstand und kommen von diesen Unterschieden nicht weg. Da wäre ein Ansatz zum Beispiel, zu sagen: Wir gucken in Ostdeutschland nicht nur auf die Existenzförderung – Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin. Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): – ich komme zum Schluss –, weil das große Problem in Ostdeutschland die Unternehmensnachfolge ist. Wenn in einer Region 7 500 Unternehmen keinen Nachfolger finden, dann geht es auch bei im Schnitt nur 10 Beschäftigten um 75 000 Menschen, die ihren Arbeitsplatz verlieren könnten. Da müssen wir zum Beispiel in die Lausitz schauen. Wir müssen auf die Nachfolge bei diesen Unternehmen schauen und nicht immer nur auf die großen Konzerne, Vattenfall zum Beispiel, wo 8 000 Menschen beschäftigt sind. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Peter Ramsauer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir können heute wirklich sagen, dass wir zu unserem Glück seit 25 Jahren wiedervereinigt sind. Wo stünde die frühere DDR, und wo stünde die Bundesrepublik Deutschland, wenn dies nicht erfolgt wäre? Ich bin stolz darauf und glücklich darüber, dass ich – mit gar nicht mehr so vielen Kolleginnen und Kollegen – diesem Parlament genau diese 25 Jahre angehöre. Aus der Distanz von 25 Jahren erscheint uns all dies ziemlich selbstverständlich. Auf den Tribünen sitzen heute wieder viele junge Menschen. Ich diskutiere sehr viel mit jungen Besuchern und mit Schülergruppen. Dabei mache ich immer wieder die Erfahrung, dass 25 Jahre Wiedervereinigung, dass das wiedervereinigte Deutschland, dass die Tatsache, dass die Mauer gefallen ist, dass Mauer, Stacheldraht und Todesstreifen der Vergangenheit angehören, als selbstverständlich betrachtet werden. Wenn man diesen jungen Menschen dann berichtet, wie das damals war, was man selbst miterlebt hat, dann beschleicht einen dasselbe Gefühl, das unsereins in diesem Alter hatte, wenn früher ältere Menschen oder die eigenen Eltern über den Zweiten Weltkrieg berichtet haben. Das ist die gleiche, quasi historische, zeitliche Distanz. Deswegen ist es ungeheuer wichtig, dass wir gerade auch der jungen Generation über all diese Dinge berichten. Es ist auch ungeheuer wichtig, dass heute, Herr Präsident, diese Debatte in unserem Parlament geführt wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Siegmund Ehrmann [SPD]) Das sollte eigentlich eine Binsenweisheit sein: Selbstverständlich ist in der Geschichte nichts. Daher ist die Frage berechtigt: Wem haben wir denn diese Wiedervereinigung zu verdanken? Sie ist zuallererst – dazu ein klares Ja – dem Mut und dem Freiheitswillen der Menschen in der DDR zu verdanken. Und – meine Damen und Herren, das gehört auch dazu – wir haben dies Helmut Kohl zu verdanken, weil er die Zeichen der Zeit richtig deutete. Weil er in der deutschen Wiedervereinigung niemals nur eine deutsch-deutsche Frage sah, sondern eine zutiefst europäische Frage sah, und weil er dies alles in einen europäischen Zusammenhang einbettete, hatten wir das Vertrauen unserer europäischen Freunde und Partner. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Menschen in der DDR wollten den maroden Unterdrückerstaat nicht reformieren. Nein, sie wollten ihn vollkommen überwinden. Sie wollten Freiheit statt Sozialismus. Sie wollten soziale Marktwirtschaft anstatt sozialistischer Mangelwirtschaft. Sie wollten Menschen- und Bürgerrechte anstatt Ideologie und Klassenkampf. Sie wollten die Einheit, und zwar schnell. Sie wollten auch die Wirtschafts- und Währungsunion zum 1. Juli 1990 einführen – mit der Begründung: Wenn die Mark nicht zu uns kommt, dann kommen wir zur Mark. Unser Dank gilt daher auch den Architekten der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion Theo Waigel und Wolfgang Schäuble. Sie haben zusammen mit Sabine Bergmann-Pohl und Lothar de Maizière die Einheit in Freiheit vollendet. Meine Damen und Herren, dass dies alles überhaupt so kommen konnte, verdanken wir Deutsche – lassen Sie mich dies ausdrücklich unterstreichen – einem europäischen Bayern, vielleicht dem glühendsten Verfechter der deutschen Einheit, Franz Josef Strauß. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Ah! – Zurufe von der LINKEN) – Sie sollten sich für diese komische Reaktion schämen. – Herr Gysi, ich lobe Sie ausdrücklich: Ihnen ist das nicht herausgerutscht, jawohl, aber den anderen. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bin nicht wegen Strauß auf die Straße gegangen!) Meine Damen und Herren, Sie wissen ganz genau, dass sich Bayerns Klage gegen den Grundlagenvertrag als Glücksfall der deutsch-deutschen Geschichte erwiesen hat; denn das Bundesverfassungsgericht hat klipp und klar festgelegt: Das Wiedervereinigungsgebot ist für alle Verfassungsorgane bindend, und das Grundgesetz gilt für alle Deutschen, auch für die Menschen in der DDR. – Das waren die Kernsätze des Urteils. Die Verweigerung der völkerrechtlichen Anerkennung war Bayerns Beitrag zum Fall des Unrechtsstaates; denn so blieben wir Deutsche, was wir trotz Teilung immer waren: ein Volk. Trotz all dieser Freude dürfen wir die Opfer der DDR nicht vergessen. Wir halten die Erinnerung wach an die Helden und Toten des 17. Juni. Wir denken an die, die resignierten und in die innere Emigration flüchteten. Wir fühlen mit den Unzähligen, die Opfer von Bespitzelung, Willkürjustiz und Rechtsbeugung waren, und wir nehmen Anteil am Schicksal derer, die Gefangene in Hohenschönhausen, Bautzen, Schwedt und anderswo waren. Ja, die DDR war ein Unrechtsstaat, nicht nur in der Konsequenz, sondern auch von Grund auf. Heute steht Deutschland herausragend da. Wir sind stark nach innen und nach außen, und wir tragen die entsprechende Verantwortung. Aber wenn wir diese starke und großherzige Gesellschaft, die wir sind, bleiben wollen, dann müssen wir auch erkennen, wo unsere Grenzen sind; denn die Bindekräfte unserer Gesellschaft sind nicht grenzenlos, sondern sie sind endlich. Ich sage deshalb mit ausgesprochen großer Besorgnis: Wenn heute mehr Menschen als Flüchtlinge zu uns kommen als bei uns geboren werden, dann zeigt das: Die Grenze unserer Aufnahmefähigkeit ist erreicht. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir müssen deswegen Zuwanderung begrenzen. Wenn wir eine Gesellschaft des Miteinanders bleiben wollen und keine des Neben und Gegeneinanders werden wollen – die Krawalle und Kämpfe in den Aufnahmelagern lassen grüßen –, dann müssen wir entscheiden, wer zu uns kommen kann und wer nicht. Wer sonst, kann man fragen, wenn nicht wir, sollte das in bestmöglicher Weise tun? Dafür muss Europa Fluchtursachen bekämpfen, seine Außengrenzen schützen und mit den Mitgliedstaaten in der Europäischen Union feste Aufnahmekontingente verabreden. Meine Damen und Herren, es klingt banal, aber dennoch ist es so: Wer nach allen Seiten offen ist, ist nicht ganz dicht. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das auf Menschen zu beziehen, das gibt es doch nicht!) Wir müssen alles dafür tun, dass wir weltoffen bleiben; aber wir dürfen nie grenzenlos werden. Wir brauchen immer die Rückbindung an die eigene kulturelle Identität, (Richard Pitterle [DIE LINKE]: Wir brauchen die Mauer!) an die gemeinsam getragene Verbindlichkeit unserer Leitkultur. Danke, dass dieser Begriff der Leitkultur inzwischen auch von anderen Parteien dieses Hauses ganz selbstverständlich gebraucht wird. (Richard Pitterle [DIE LINKE]: Sie wollen die Mauer wiederhaben!) Ich kann mich an Zeiten vor wenigen Jahren erinnern, als von den Unionsparteien und gerade von dir, liebe Gerda Hasselfeldt, dieser Begriff gebraucht und man hämisch beschimpft wurde. Gut, dass dieser Begriff der deutschen Leitkultur, der Gültigkeit hat, nun auch zur Selbstverständlichkeit in anderen Parteien geworden ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Ja, wir müssen uns dazu bekennen – ohne Angst, aber auch ohne Träumereien. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die vergangenen 25 Jahre haben gezeigt, was wir Deutsche alles schaffen können: eine Wiedervereinigung, die ohne Rezeptbuch, ohne irgendein Beispiel in der Geschichte von uns geschafft wurde. Wir haben gelernt, dass Einigkeit und Recht und Freiheit Errungenschaften sind, die immer wieder aufs Neue errungen werden müssen. Ich ermahne und ermuntere uns: Lassen Sie uns diesen Tag zum Anlass nehmen, unsere Anstrengungen für ein gemeinsames, gutes Deutschland fortzusetzen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Sabine Poschmann [SPD]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun der Kollege Thomas Jurk für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Thomas Jurk (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das geeinte Deutschland gibt es seit nunmehr 25 Jahren. An Situation und Stimmung des Jahres 1990 vermag ich mich irgendwie noch gut zu erinnern: Ich war seit knapp einem Jahr Mitglied der Sozialdemokratischen Partei, kandidierte für den Sächsischen Landtag und arbeitete immer noch bei der PGH, der Produktionsgenossenschaft des Handwerks, ElektroRundfunkFernsehen in Weißwasser. Der Umbruch war 1990 mit Händen greifbar. Noch herrschte eine gewisse Unbefangenheit im Umgang mit den gesellschaftlichen Veränderungen. Aber, viele Menschen hatten große Hoffnungen, die Hoffnung, dass die ostdeutschen Betriebe in der Marktwirtschaft bestehen würden, die Hoffnung, dass viele Investoren kommen und neue Arbeitsplätze schaffen würden, die Hoffnung, als Selbstständiger den eigenen Lebensunterhalt bestreiten zu können, oder die Hoffnung, im goldenen Westen sein Glück machen zu können. Einige dieser Hoffnungen haben sich erfüllt, andere haben sich als Illusion erwiesen. So blieb von den einstigen ostdeutschen Unternehmen nicht viel übrig. Beispielsweise sind von den 110 000 Arbeitsplätzen im ostdeutschen Braunkohlebergbau vor 25 Jahren heute nur noch ein paar Tausend erhalten geblieben. Die Auswirkungen dieses gigantischen Strukturbruchs spürt man in meiner Region immer noch deutlich. Ich spreche dies an dieser Stelle an, da ja gelegentlich die Auffassung vertreten wird, der Strukturwandel müsse nun endlich beginnen. Vielmehr muss er auch weiterhin mit staatlicher Begleitung forciert werden. Trotz großen Engagements konnten viele Selbstständige langfristig nicht bestehen. Neben der mangelnden Erfahrung und den völlig veränderten Rahmenbedingungen fehlte es oft am nötigen Kapitalstock, um Zahlungsausfälle zu verkraften und die nötigen Investitionen zu stemmen. Nicht zuletzt hat die desaströse Privatisierungspolitik der Treuhandanstalt dafür gesorgt, dass häufig nur die unliebsame Ostkonkurrenz aus dem Weg geschafft wurde. Echte Investitionen, aus denen sich konkurrenzfähige Unternehmen entwickeln konnten, waren eher die Ausnahme; verlängerte Werkbänke ja, Unternehmenszentralen nein. Damals wurde die Grundlage für die jetzige kleinteilige Wirtschaftsstruktur im Osten gelegt, was die wesentliche Ursache für das noch immer niedrigere Produktivitäts- und Lohnniveau ist. Viele Familien wurden durch die Abwanderung gerade junger Leute auseinandergerissen. Das hat gerade auch die ältere Generation schmerzlich erfahren müssen. Neben den gesellschaftlichen Veränderungen und den vielen Umwälzungen im Leben der Ostdeutschen waren die letzten 25 Jahre so auch ein Abschied von falschen Vorstellungen. Bei all den Spuren, die dies bei den Ostdeutschen hinterlassen hat, ist die deutsche Einheit politisch jedoch unzweifelhaft geglückt; denn die wesentlichen Ziele der Ostdeutschen von 1989 wurden erreicht: Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, ein besserer Lebensstandard oder die Verbesserung der einst katastrophalen Umweltsituation. Wer unsere Städte und Gemeinden heute anschaut und mit der damaligen Tristesse vergleicht, der weiß auch, was in den letzten 25 Jahren städtebaulich Unglaubliches geschaffen wurde. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich denke hier nur an die Stadt Görlitz in meinem Wahlkreis, die aus diesem Grund inzwischen ein Produktionsstandort für internationale Kinoproduktionen geworden ist. Zu den großen Erfolgen der deutschen Einheit gehört zweifellos die Integration Ostdeutschlands in die sozialen Sicherungssysteme der alten Bundesrepublik. Die gesundheitliche Versorgung hat sich deutlich verbessert, und so ist es nicht verwunderlich, dass die Lebenserwartung seitdem stark gestiegen ist. Auch wenn es leider noch Unterschiede bei der Rentenberechnung gibt, war die Einführung des umlagefinanzierten dynamischen Rentensystems im Zuge der deutschen Einheit ein Meilenstein, konnten so doch die Rentnerinnen und Rentner in den neuen Ländern mit deutlichen Rentensteigerungen an der Lohnentwicklung der Beschäftigten teilhaben. All dies war und ist noch immer mit einem gewaltigen Finanztransfer von West nach Ost verbunden – eine großartige Solidarleistung, über die man immer wieder froh und dankbar sein sollte. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dennoch hatten die Ostdeutschen in das wiedervereinte Deutschland mehr als nur das Ampelmännchen oder den grünen Pfeil einzubringen. Ich will an dieser Stelle aber auch meine Hochachtung und meinen Respekt für all jene Menschen aus Ost und West zum Ausdruck bringen, die in Ostdeutschland eine gewaltige Aufbauleistung auf sich genommen und einfach angepackt haben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es geht der großen Mehrheit der Ostdeutschen nach eigener Auskunft heute viel besser als vor 25 Jahren. Wenn wir heute Bilanz ziehen, können wir mit gutem Recht sagen: Das meiste ist geglückt, und wir haben vieles erreicht. Es sicherlich wichtig, an Tagen wie diesen innezuhalten und auf unsere Geschichte zurückzuschauen. Jedoch ist die deutsche Einheit für mich weniger ein Feiertag, an dem wir gemeinsame Erinnerungen auffrischen, sondern vielmehr eine Aufgabe, eine Aufgabe, an der wir alle gemeinsam weiterarbeiten müssen. Bei allem Für und Wider: Wir Deutschen können zu Recht stolz auf unsere staatliche Einheit sein. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Katharina Landgraf erhält nun das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Katharina Landgraf (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Zahlenspiele zum Stand der deutschen Einheit sind nicht mein Ding. Die überlasse ich gerne den Wirtschaftspolitikern. Es gibt zu unserem heutigen Thema viele kräftige schwarze Zahlen, die mein Kollege Hauptmann schon in die Debatte eingebracht hat. Die roten Zahlen überlasse ich gerne der Opposition; denn ich will Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht die Show stehlen. Die goldenen Zahlen, die den Gesamterfolg des Unternehmens deutsche Einheit untermauern, entnehmen Sie bitte dem Jahresbericht der Bundesregierung. Daneben gibt es auch noch die grünen Zahlen. Die überlasse ich nicht der Grünenfraktion; die lasse ich mir nicht streitig machen. Grüne Zahlen sind für mich beispielsweise die Milliardensummen für die Bergbausanierung seit 1991. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ulrich Freese [SPD]) Mein Wahlkreis LeipzigLand profitiert von diesem wohl stärksten Programm für den Osten. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber schauen Sie einmal nach Bayern!) Kommen Sie einmal nach Ostdeutschland und nach Mitteldeutschland. Das müssen Sie sehen! Hier ist eine völlig neue Landschaft entstanden. Die Wunden der DDR-Wirtschaft sind hier geschlossen. (Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Sicherlich schon vergessen ist, dass hier über 40 000 Bergleute über Nacht ihren Job verloren haben. Nicht vergessen werden darf, dass der deutsche Sozialstaat mit seinen Sozialsystemen und die vielen engagierten Gewerkschafter und Betriebsräte den Prozess des Wandels mit viel Weitsicht getragen haben. Ganz persönlich sage ich hier meinem SPD-Kollegen Ulrich Freese ein herzliches Dankeschön. Er ist ein Gewerkschaftsmann der ersten Stunde, der mit all seinen Erfahrungen und seinem Engagement zu uns in den Osten gekommen ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Das war und ist gelebte Solidarität unter Deutschen, die aus zwei völlig verschiedenen Welten zueinander gefunden haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, als Landwirtschaftspolitikerin greife ich hier ein besonderes Thema der deutschen Einheit auf: die Landwirtschaft. An diesem Wochenende feiern wir in allen Regionen Deutschlands das Erntedankfest. Der Geburtstag der deutschen Einheit passt dazu. Wir alle sagen den unzähligen Menschen Dank, die sich Tag für Tag um landwirtschaftliche Produkte und Lebensmittel kümmern – bei jedem Wetter und zu allen Zeiten. Ihnen gebühren dafür Achtung und Anerkennung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wer jedoch meint, man könnte die Landwirtschaft in Deutschland wie andere Wirtschaftszweige zurückbauen, der ist auf dem berühmten Holzweg; denn zu den wichtigsten Lebensthemen gehört die Ernährung der Menschen. Das ist für uns in der Union ein fundamentaler Wert. Die Landwirtschaft darf kein Spielball von Ideologen sein. (Beifall bei der CDU/CSU) Für die Landwirtschaft in den jungen Bundesländern war der Eintritt in das geeinte Deutschland eine unglaubliche Herausforderung. Es war am Ende eine ganz spezielle Reifeprüfung. Kurz und knapp: Der Systemwandel ist gelungen. Er hat vor allem in den 90er-Jahren viel Kraft gekostet. Die Landwirtschaft im Osten ist heute modern und leistungsstark. Sie ist und bleibt der entscheidende Faktor für lebendige ländliche Räume. Heute können wir sagen: Die gesamte deutsche Landwirtschaft ist gelebte Einheit in Vielfalt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, diesen Augenblick hier und jetzt empfinde ich persönlich als Gnade. Die gibt es in der grauen und ungeliebten Politik auch. Am Abend des 2. Oktober 1990 stand ich auf den Stufen des Reichstages und blickte in Richtung Westen. Ich sah auf eine riesige, fröhliche Menschenmenge, die zu uns herauf Richtung Osten blickte. Wir Volkskammerabgeordnete waren an diesem historischen Abend mit unserer Arbeit fertig. Um Mitternacht war mein Arbeitsplatz in Berlin weg, das Mandat der Volkskammer war erloschen. Wir haben uns selbst abgeschafft. Auf diesen Augenblick haben wir ein gutes halbes Jahr hingearbeitet. So kann eine Diktatur auch enden: ohne einen Schuss, aber mit riesigem Feuerwerk, friedvoll und mit vielen Tränen der Freude. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir haben damals in Ost und West als Gesellschaft und als Politik die Reifeprüfung bestanden. Und dafür gebe ich noch heute allen Beteiligten die Bestnote. Das Verhalten der Akteure und der gesamte Prozess waren lobenswert: Anders kann ich die Vereinigung in Frieden, Recht und Freiheit nicht bezeichnen. Es ist damals etwas geschehen, was es in der Geschichte so noch nie gegeben hat. Ohne Gewalt vereinte sich eine geteilte Nation mit einer eigenen, einer souveränen Entscheidung. Meine Anmerkungen hier sind persönliche Reflexionen auf das Gestern und auf unser Heute. Ich möchte aus dem damaligen Geschehen Schlüsse ziehen für unsere heutige Zeit. Die Kreativität der Volkskammer von 1990, mit Problemen des Landes umzugehen, ist ein bleibender Wert. Ich wünschte mir eine solche Arbeitsweise auch für unsere Tage in der gesamten Politik. Deutschland ist nicht mehr eine Insel der Glückseligkeit. Die Nöte und das Elend in anderen Regionen der Welt sind plötzlich durch unzählige Hilfesuchende in unserem gut bestellten Hause präsent. Für diese neue Situation haben wir genau genommen keine Rezepte. Die hatte die Volkskammer damals auch nicht. Wir sahen zwar das Ziel, aber nicht den Weg dorthin. Also haben wir einfach losgelegt. Da gab es keine Konjunktur für Bedenkenträger. Die eigentliche Arbeit zur Gestaltung der Einheit wurde ein gemeinsamer Lern und Lebensprozess. Details erspare ich mir; auch die Diskussion über Gelungenes oder über Webfehler der Einheit. Viel wichtiger ist die staatliche und private Solidarität zwischen den Ländern und den Menschen in West und Ost. Immerhin sollte der Wandel für alle verträglich, erträglich und am Ende auch einträglich sein. Und das war er zumeist, trotz zahlreicher Schicksale von Menschen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben. Wir haben in den zurückliegenden 25 Jahren im geeinten Deutschland ein Gemeinwesen geformt, das von den Grundwerten des christlichen Abendlandes geprägt ist. Der Fleiß der arbeitenden Menschen hier in Deutschland, die engagierten Unternehmerinnen und Unternehmer, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sicherten und sichern dem Land und seinem Staatswesen eine starke, tragfähige Basis. Die politische staatliche Einheit ist gegeben. Wie können wir aber die vorhandenen Entwicklungsdefizite zwischen alten und neuen Bundesländern in den kommenden Jahren überwinden? Können wir das überhaupt mit neuen und mit einem Mehr an Gesetzen leisten? Ich glaube: kaum. Jetzt zum 25. Geburtstag der Einheit habe ich einen besonderen Wunsch: Es sollte künftig jährlich einen Bericht zur Lage der deutschen Nation geben, der die Entwicklung des gesamten Landes und seine Stellung in Europa und der Welt in den Fokus nimmt. Mit einem scharfen Blick auf die innere Situation des gesamten Landes – und nicht nur des Ostens – wären wir dann ganz bestimmt zu einer besseren und gerechteren Bundespolitik in der Lage. Einen Bericht der Bundesregierung zur Lage der Nation hat es schon einmal gegeben – allerdings für das geteilte Deutschland. Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss und am Vorabend unseres gemeinsamen 25. Geburtstages noch ein Wunsch: Gehen wir auf die Besucherplattform des Reichstages. Von diesem „Dach der Republik“ haben wir einen freien Blick in alle Himmelsrichtungen. Wir schauen nicht mehr nur nach Westen oder Osten. Diesen Weitblick brauchen wir für den Umgang mit der neuen, komplizierten Situation unserer Tage. Wir stehen wieder einmal vor einer Reifeprüfung, ähnlich wie 1990. Das erfolgreiche geeinte Deutschland ist in der jüngsten Geschichte zu einem starken Magneten geworden. Jetzt steht die Frage im Raum: Halten wir dank unserer gelebten Werte diesem Druck stand, oder stehen wir vor einer noch nie gekannten Spaltung der Gesellschaft? Gibt es eine Spaltung in Offenheit und Ablehnung, in Angst und Gleichgültigkeit, in Akzeptanz und Ignoranz, in Freunde und in Feinde? Wir müssen antworten – bei all unserer Freude über diesen Tag der Deutschen Einheit erst recht. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächste Rednerin ist die Kollegin Sabine Poschmann für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sabine Poschmann (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Morgen jährt sich zum 25. Mal die politische Einheit Deutschlands. Auch nach einem Vierteljahrhundert empfinde ich – und wohl wir alle – Freude und Dankbarkeit, diesen Tag feiern zu können. Die Wiedervereinigung war mit vielen Hoffnungen und Wünschen verbunden. Heute können wir sagen: 25 Jahre später haben sich vielleicht nicht alle, aber doch zahlreiche Hoffnungen erfüllt. Die Lebensverhältnisse in Ost und West haben sich angenähert, die Unterschiede in der Arbeitslosenquote und in der Wirtschaftskraft zumindest verringert. Mithilfe verschiedenster Förderprogramme von Bund, Ländern und der Europäischen Union hat die Wirtschaft in Ostdeutschland einen starken Aufholprozess gestartet. Diese Entwicklung müssen wir Ende 2019, nach Auslaufen des Solidarpaktes II, weiterhin kontinuierlich unterstützen, möglichst sogar beschleunigen. Wir haben in den vergangenen 25 Jahren einiges erreicht. Wir wissen aber auch, dass wir in vielen Punkten noch lange nicht am Ziel sind. Bei allem Fortschritt sehen wir weiter große Herausforderungen. An oberster Stelle steht der Bau eines neuen, gesamtstaatlichen Fördersystems für mehr Wachstum und Innovation. Wir benötigen kein Fördersystem, das seine Prioritäten an den Himmelsrichtungen orientiert. Wir benötigen eine Förderarchitektur, von der alle schwächeren Regionen in Deutschland profitieren, ohne gleichzeitig Strukturbrüche in den neuen Ländern zu riskieren; denn die Trennlinie verläuft meines Erachtens schon lange nicht mehr haarscharf zwischen Ost und West. Die Trennlinie, meine Damen und Herren, verläuft zwischen wirtschaftlich starken und schwachen Regionen in ganz Deutschland. Die Unterschiede sind teilweise enorm: Auf der einen Seite gibt es starke und attraktive Wirtschaftsräume, die vor allem junge Menschen anlocken, auf der anderen Seite haben wir altindustrielle Regionen mit oft mäßiger Wirtschaftskraft, niedriger Erwerbsquote, hartnäckig hohen Arbeitslosen- und sinkenden Bevölkerungszahlen. Dies gilt für Ost wie für West. Unsere Aufgabe muss es sein, die vorhandenen Förderprogramme noch flexibler zu gestalten. Wir benötigen eine Förderung, die passgenauer auf die Bedürfnisse der jeweiligen Region ausgerichtet ist, gleich ob Ost oder West. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die von der Bundesregierung vorgelegten Eckpunkte sind dafür eine erste Grundlage. Hierüber müssen wir weiter diskutieren. Unsere Präferenzen der Struktur- und Wirtschaftsförderung müssen noch stärker jenen Regionen und Bundesländern gelten, die den Anschluss aus eigener Kraft nicht schaffen. Das muss die künftige Richtschnur bei den Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern für die Zeit ab 2020 sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, im 25. Jahr der Einheit ist unseren heutigen Schulkindern der Gedanke an ein geteiltes Deutschland völlig fremd. Sie kennen es nur aus Geschichtsbüchern und Erzählungen. Lassen Sie uns weiter jene Wirklichkeit schaffen, die in den Köpfen vieler unserer Kinder bereits existiert und die uns das Grundgesetz vorgibt: ein vereintes Deutschland mit überall gleichwertigen Lebensverhältnissen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Arnold Vaatz für die CDU/CSUFraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Arnold Vaatz (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren im Plenum und auf der Tribüne! Ich möchte mit der Frage beginnen, was uns Deutsche in Ost und West die ganze Zeit, unabhängig von Teilung oder Nichtteilung, zusammengehalten hat. Das ist in hohem Maße unsere gemeinsame Kultur. In unserer gemeinsamen Kultur gibt es einen kleinen Teil, und das sind die deutschen Volksmärchen. Ein Volksmärchen ist das Märchen vom Fischer und seiner Frau. Ich weiß nicht, ob es jeder im Saal kennt. Deshalb ganz kurz der Inhalt: Der Fischer fängt einen Butt. Der Butt bittet darum, am Leben zu bleiben und gewährt dem Fischer im Gegenzug einen freien Wunsch. Da der Fischer und seine Frau in einem alten Kahn, Pott genannt, leben, wünschen sie sich ein festes Haus, eine kleine Hütte. Sofort gibt es einen Knall, und die kleine Hütte ist da. Nach einer gewissen Zeit wird die Frau unzufrieden und schickt den Fischer wieder zum Butt. – Das ergänzt auf schöne Weise das Bild von Herrn Gysi von der Arbeitsteilung von Mann und Frau. (Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Roland Claus [DIE LINKE]) Jedenfalls wird der Butt erneut herbeizitiert, und als Nächstes spendiert er ein größeres Haus. So geht das immer weiter. Als Nächstes möchte sie Fürst, dann König, dann Kaiser, dann Papst und zuletzt der liebe Gott werden. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fürstin, Königin, Kaiserin! – Zurufe von der LINKEN) Dann gibt es wieder einen Knall, und plötzlich landen der Fischer und seine Frau wieder im alten Pott. Ich möchte Sie, insbesondere diejenigen, die in der DDR geboren und aufgewachsen sind, einfach mal einladen, sich vorzustellen, es gäbe einen Knall und wir landeten alle binnen einer Sekunde in der DDr.  (Ulla Schmidt (Aachen) [SPD]: Das wäre ja furchtbar!) Wie sähe es dort aus? Wir wollen jetzt einfach mal über die Lebenswirklichkeit nachdenken, die es damals dort gab und die einige von uns noch kennen. Es beginnt bei den Schülern. Es war bei uns üblich – ich weiß nicht, ob sich diejenigen, die in der DDR zur Schule gegangen sind, noch erinnern –, dass man vielleicht monatlich einmal mittwochs in der großen Pause auf dem Appellplatz antrat. (Zuruf von der LINKEN: Das war montags!) – Oder montags, je nachdem; da hatten alle ihre eigene Zeitrechnung. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So viel Zeit muss sein!) Jedenfalls standen wir dort in Reih und Glied, wie die Soldaten. Dort wurden die Schüler, die Fortschritte zeigten, belobigt und die etwas schlechteren Schüler runtergemacht, und zwar in einer Weise, die man sich heute überhaupt nicht mehr vorstellen kann. Heute haben wir Datenschutz: Schlechte Leistungen dürfen überhaupt nicht mehr mit guten Leistungen verglichen werden. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Damals wurde in einer Rigorosität mit Schülern umgegangen, die man sich heute überhaupt nicht mehr vorstellen kann. Nächstes Beispiel. Die Schule beginnt im September. Was passierte Ende September, Anfang Oktober? Da ging es auf die Kartoffelfelder. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In den 80erJahren war es nicht mehr so! – Zuruf von der CDU/CSU: 20 Pfennig gab es pro Kilo!) Das heißt, die Schüler mussten Kartoffeln sammeln. Das halte ich aus pädagogischen Gründen gar nicht für so verfehlt. Aber dass eine Gesellschaft in diesem Maße auf Kinderarbeit angewiesen war, ist natürlich eine ganz andere Sache. (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN) Als Nächstes wurden die Kinder erwachsen. Sie gründeten eine Familie und zogen, wenn sie Glück hatten, in eine Wohnung. (Zurufe von der LINKEN) Die Wohnung musste dicht, warm und sicher sein; das waren die Kriterien. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Herr Vaatz, was haben Sie heute Morgen genommen? – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So etwas im Deutschen Bundestag!) Sie werden sich erinnern; so war das. Wir hatten damals alle Kohleheizungen. In Dresden wurden die Kohlefuhren Ende der 70erJahre noch in Säcken in die Keller getragen. Nach einer gewissen Zeit hatten sie wahrscheinlich keine Säcke mehr. (Zurufe von der LINKEN) Da wurden 100 Zentner Kohlen einfach vor das Haus gekippt. Dann hieß es: reinschaufeln. Wenn man fertig war, dann kriegten die Nachbarn, das ältere Ehepaar, auch noch Kohlen. Dann konnte man nicht anders, als für sie auch noch die Kohlen hereinzuschaufeln. Dann war man ziemlich fertig. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Dann gab es ein häufiges Problem, nämlich den Zustand der Öfen. Im Herbst kam die Feuerwehr und stellte fest: Die Öfen sind nicht in Ordnung, da muss was gemacht werden. – Man ging also zum Ofensetzer und fragte, ob er vielleicht bereit wäre, den Ofen zu reparieren. Die Antwort war, dass er bis nächstes Jahr ausgebucht sei, es sei denn, man hätte blaue Fliesen – das war Westgeld. Meine Damen und Herren, das war die Realität. (Sigrid Hupach [DIE LINKE]: Ist das die Geschichte vom Fischer und seiner Frau?) Wie sah es in Forschung und Entwicklung aus? Wir hatten fantastische Ingenieure. Diese haben beispielsweise in den Trabant-Werken alle paar Jahre ein neues Modell kreiert. Mangels wirtschaftlicher Möglichkeiten konnte aber keines dieser Modelle jemals gebaut werden. Die Konsequenz: Es sind Tausende Mannjahre Ingenieurarbeit in Ostdeutschland im Papierkorb gelandet. Das war Arbeitslosigkeit am Arbeitsplatz, meine Damen und Herren. Das war das Problem. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ein weiterer Punkt, der etlichen von Ihnen auch noch in Erinnerung sein dürfte, waren die Beratungsmuster. Ich weiß nicht, ob jemand etwas mit diesem Begriff anzufangen weiß. (Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nee!) Wir hatten ja wunderbare technische Errungenschaften, zum Beispiel Warmwasserboiler. Die wärmten nicht nur das Wasser, sondern gleich noch die ganze Wohnung mit. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Der Zähler rotierte wie die Hinterräder unserer Giganten der Landstraße, der Friedensfahrer. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Und was passierte, wenn sie einen neuen Warmwasserboiler brauchten, weil sie kleine Kinder hatten, die auch einmal baden mussten? Sie gingen ins Centrum Warenhaus nach Dresden, und dort sahen Sie einen wunderbaren Boiler, genau wie Sie ihn sich vorgestellt haben, ausgestellt. Wenn Sie sagten: „Einen solchen Boiler will ich kaufen“, entgegnete Ihnen der Verkäufer: Dabei handelt es sich um ein Beratungsmuster. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD) Das heißt, das Ganze war überhaupt nicht erhältlich, sondern es war zur Täuschung der westlichen Öffentlichkeit als Potemkin’sches Dorf im Centrum Warenhaus ausgestellt. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, dies alles sind die Dinge, mit denen wir die schönen statistischen Vorteile der DDR – die unsere Linkspartei gerne gegenüber der Bundesrepublik Deutschland herausstreicht – erkauft haben. (Zurufe von der LINKEN) Nachdem wir einen Blick darauf geworfen haben, möchte ich in diesem Zusammenhang noch einen Punkt hinzufügen. Nach der Wiedervereinigung gab es in der ehemaligen SED in Bezug auf das, was die DDR ausmachte, sehr viel Ehrlichkeit. (Zuruf von der LINKEN: Ja!) Diese Ehrlichkeit, zum Beispiel beim Politbüromitglied Günter Mittag, sah damals so aus – ich zitiere, was er im Spiegel zu diesem Thema gesagt hat –: Ohne die Wiedervereinigung wäre die DDR einer ökonomischen Katastrophe mit unabsehbaren sozialen Folgen entgegengegangen, weil sie auf Dauer allein nicht überlebensfähig war. (Ulla Schmidt (Aachen) [SPD]: Das stimmt!) Und weiter sagte er: Das sozialistische System insgesamt war falsch, wie wir heute wissen. Es ist eine Illusion, in der Planwirtschaft nach einem Weg zu suchen und ihn zu finden. Die Wirtschaft muss mit Gewinn arbeiten, wie das in einer Marktwirtschaft ist. Enorme Einsicht von einem Mitglied des Politbüros der SED. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Toller Kronzeuge!) Herr Gysi, Sie haben vorhin gesagt, wie nötig Sie beispielsweise die CDU brauchen. Nun sage ich Ihnen einmal, wie ich mir eine Linke, deren Vorstellungen nicht etwa mit meinen hätten übereinstimmen müssen, vorgestellt hätte: (Lachen der Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich hätte mir eine Linke gewünscht, die mit der Ehrlichkeit, wie ich sie eben zitiert habe, vorangeht und die nicht bei jeder Gelegenheit mit den alten Rezepten, die die DDR zugrunde gerichtet haben, in immer neuer Verpackung die Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland befeuert, (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Welche sollten das denn sein? Geben Sie einmal ein Beispiel!) und eine Linke, die sich gefragt hätte: Wie können wir das wiedergutmachen, was wir in Ostdeutschland angerichtet haben? (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Haben Sie abgelehnt!) Wie können wir helfen, dass Deutschland zusammenfindet? Was können wir tun? Was können wir einbringen? Aber genau das machen Sie nicht. Vielmehr überprüfen Sie alle Ihre Argumente darauf, inwieweit sie geeignet sind, die Bundesrepublik Deutschland auf denselben Weg zu führen, auf den Sie die DDR geführt haben. Das ist das Problem. (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN) Wenn Sie das ablegen, meine Damen und Herren, dann heiße ich Sie im Deutschen Bundestag herzlich willkommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Mann, Mann, Mann! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das war eine Beleidigung unserer Wählerinnen und Wähler, Herr Kollege!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Na ja, jedenfalls hat sich auch bei mir zum Schluss der Eindruck doch sehr verfestigt, dass aus einem möglichen gemeinsamen Projekt von Gysi und Vaatz, aufzuzeigen, wie eine gesamtdeutsche Partei eigentlich aussehen müsste, wohl nichts Richtiges werden könnte. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Mit dieser ernüchternden Einsicht schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/6100 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/6195 soll an dieselben Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf der Drucksache 18/6188 mit dem Titel „25 Jahre Deutsche Einheit – Leistungen würdigen, Herausforderungen angehen“. Wer möchte für diesen Antrag stimmen? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Nun hat Gregor Gysi selbst die historische Chance verpasst, gegen diesen Antrag zu stimmen. (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Er hat viele Chancen verpasst!) Damit hat er unwillentlich dazu beigetragen, dass dieser Antrag angenommen worden ist. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf: a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung 18. Bericht der Bundesregierung zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik Drucksache 18/5057 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Sportausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung 17. Bericht der Bundesregierung zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik Drucksache 18/579 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Sportausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsauschuss Auch hier soll die Aussprache nach einer interfraktionellen Vereinbarung 77 Minuten dauern. Hat jemand dagegen Einwände? – Das ist nicht der Fall. Also machen wir das so. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Ulla Schmidt für die SPDFraktion. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]) Ulla Schmidt (Aachen) (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Die Berichte, über die wir heute diskutieren und die Gott sei Dank wieder von einem Außenminister vorgelegt wurden, für den diese dritte Säule der Außenpolitik eine ganz wichtige Bedeutung hat, legen das Hauptaugenmerk auf die Krisen- und Konfliktprävention. Ich glaube, gerade angesichts der derzeitigen Situation gilt: Eigentlich war Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik nie so aktuell wie heute. Wenn wir berücksichtigen, dass sich laut UNHCR rund 60 Millionen Menschen auf der Flucht befinden – so viele wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr –, zeigt das sehr deutlich, wie in einer Welt, die aus den Fugen zu geraten scheint, die soziale Kraft der Kultur in der Frage der Krisen- und Konfliktprävention eine immer größere Bedeutung erhält. Denn viele der Krisen, die wir heute als humanitäre Krisen erleben, sind ja, wie es der Bundesaußenminister immer sagt, auch Krisen der Humanität, also der Menschlichkeit, die in Gefahr ist aufgrund von Terrorismus, ideologischem Radikalismus und auch aufgrund der Situation, dass in immer mehr Staaten jede zivile Ordnung auseinanderbricht und dass gerade in den Krisenregionen dem staatlichen Gewaltmonopol überhaupt keine Bedeutung mehr zukommt. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir in diesen Bereich der auswärtigen Politik investieren. Denn all das, worüber wir heute im Hinblick auf Fluchtursachen, worüber wir im Hinblick auf Hilfe beim Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen in den verschiedenen Ländern, worüber wir im Hinblick auf die Vermittlung von Werten diskutieren, ist von großer Bedeutung, und hier muss mit und von unseren Mittlerorganisationen sehr viel geleistet werden. Für uns, die Mitglieder des Unterausschusses Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, war immer wichtig, dass wir mithilfe unserer Mittlerorganisationen dafür sorgen, dass in den Flüchtlingslagern und in all den bedrohten Regionen keine verlorene Generation aufwächst, und dass wir zugleich in Bildung, in Kultur, in die Vermittlung von Werten investieren, dass wir den jungen Menschen die Chance geben, überhaupt wieder an Demokratie zu glauben und dafür einzutreten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte heute einmal den Blick auf die deutschen Auslandsschulen richten. Sie sind seit jeher eine tragende Säule der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Sie haben Tag für Tag damit zu tun, mit unterschiedlichen Biografien umzugehen, die Menschen in den Herkunftsländern kennenzulernen, Kindern die Chance zu geben, Werte zu entwickeln, an Demokratie zu glauben. Sie sind im Grunde genommen Orte der Begegnung, der Vielfalt, und sie sind oft Orte des Beginns des interkulturellen Austauschs. Weil sie so dafür prädestiniert sind, diese unterschiedlichen, heterogenen Aufgaben zu meistern, müssen wir in die Auslandsschulen investieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Viele von Ihnen haben sich bei Ihren Besuchen in den verschiedenen Ländern immer wieder vor Ort von der hervorragenden Arbeit der Auslandsschulen überzeugen können. Sie haben sich davon überzeugen können, wie dort Schülerinnen und Schüler mit den verschiedensten persönlichen, sozialen, religiösen und kulturellen Hintergründen miteinander und voneinander lernen, wie dort mithilfe der Lehrerinnen und Lehrer diese Schülerinnen und Schüler zu weltoffenen, toleranten, selbstbewussten jungen Erwachsenen herangebildet werden und wie die Auslandsschulen über ihre Arbeit vor Ort mit den verschiedenen Kulturen verwachsen. Ich habe heute Morgen mit der Kollegin Müntefering darüber gesprochen, welche Chancen sich für unsere Auslandsschulen bieten, auch innerhalb Europas, insbesondere in Osteuropa. Denken wir an die Diskussionen, die wir derzeit über eine gerechte Behandlung der Flüchtlinge und eine wirklich europäische Flüchtlings- und Asylpolitik führen. Unsere Schulen können dazu beitragen, dass dort Menschen heranwachsen, die mit ihren Familien dafür eintreten und vielleicht in manchen Punkten einen Sinneswandel in der Gesellschaft herbeiführen können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, weil die Schulen so gut sind, haben wir im Ausschuss und hier im Parlament entschieden, dass sie auch im Bereich der inklusiven Bildung Aufgaben wahrnehmen sollen. Wir wollen bei der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention vorangehen. Wir wollen, dass von unseren Auslandsschulen vor Ort das Signal ausgeht: Ja, auch für behinderte Menschen, für behinderte Kinder ist Teilhabe ein Menschenrecht; denn dieses Menschenrecht ist unteilbar. Schließlich wollen wir auch, dass über die Auslandsschulen unsere hervorragenden Erfahrungen im Bereich der dualen Berufsbildung vermittelt werden können. Ich füge aber hinzu: Wenn wir all das wollen, wenn wir die Möglichkeiten der Auslandsschulen nutzen wollen und wenn wir die Qualität der Ausbildung in diesen Schulen beibehalten wollen, dann müssen wir investieren; denn gute Schulen brauchen hervorragende Lehrerinnen und Lehrer. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dem entspricht nicht, dass die Auslandsschulen seit Jahren an Attraktivität einbüßen. Mittlerweile liegen die Lehrerinnen und Lehrer an Auslandsschulen 23 Prozent hinter der Gehaltsentwicklung von Bundesbeamten im Ausland zurück. Wir erleben derzeit, dass Lehrerinnen und Lehrer sagen: Ich würde das gerne machen, aber ich kann doch meine Familie, meine Kinder nicht schlechterstellen, nur weil ich eine wichtige Aufgabe wahrnehmen möchte. – Ich bitte Sie alle darum, dass wir gemeinsam daran arbeiten. Wir müssen die Besoldung der Lehrerinnen und Lehrer an die Besoldung aller anderen ins Ausland entsandten Beamten und sonstigen Kräften anpassen. Wir müssen die seit 1999 geltende Abkopplung ihrer Besoldung beenden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Außerdem müssen wir dafür sorgen, dass wir ausreichend Geld zur Verfügung haben, damit die Auslandsschulen die Aufgaben, die sie im Bereich der Inklusion und hinsichtlich der Förderung der beruflichen Bildung wahrnehmen sollen, erfüllen können. Wir müssen aber auch die Chance haben, mit entsprechenden Mitteln die Schulen zum Beispiel in Erbil im Nordirak oder in Kabul zu unterstützen, (Beifall des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) und dort, wo es noch keine Auslandsschulen gibt, kleine Schulen zu unterstützen, damit dort langsam Auslandsschulen aufgebaut werden können. Ich bitte Sie dafür um Unterstützung. Im Ausschuss werden wir darüber noch reden. Ich glaube, wir müssen jetzt investieren. Wir brauchen zusätzliches Geld im Haushalt. Dafür werbe ich bei Ihnen allen. Sie wissen, in der Kulturpolitik ist es immer so: Mit wenig Geld kann man viel erreichen, aber durch Entzug von wenig Geld kann man vieles kaputtmachen. Wir jedoch sollten in die Zukunft investieren. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun erhält die Kollegin Tank für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Azize Tank (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass die Bundesregierung laut dem vorgelegten 18. Bericht vom bisherigen Kurs in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik abweichen möchte. Infolge des Paradigmenwechsels ab 2011 hieß es – ich zitiere –: Es geht für Deutschland darum, Einfluss in der Welt zu sichern ... Stattdessen möchte Bundesaußenminister Steinmeier nun zur traditionellen Rolle der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik als dritte Säule der Außenpolitik zurückkehren. Das ist eine überfällige Kurskorrektur; denn aus Sicht der Linken kommt gerade der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik angesichts der aktuellen Krisen in Europa eine besondere Bedeutung zu. (Beifall bei der LINKEN) Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik darf nicht länger als Einbahnstraße begriffen werden, sondern muss auf gegenseitigem Austausch, Respekt und Toleranz beruhen. Sie darf nicht als Instrument der Interessenvertretung deutscher Außenpolitik benutzt werden. (Beifall bei der LINKEN) Um einen echten Wandel zu vollziehen, benötigen wir finanzielle Mittel. Von den 400 Millionen Euro, die dem Auswärtigen Amt 2015 für humanitäre Hilfe zur Verfügung stehen, muss die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik einen ausreichenden Anteil erhalten. Betonen will ich hier den internationalen Jugendaustausch. Ohne Planungssicherheit kann er seine nachhaltige Wirkung nicht entfalten. Im Unterausschuss bemühen wir uns gerade um die langfristige Gewährleistung der Bildungs- und Erinnerungsarbeit in Sobibor und Belzec, zwei ehemaligen deutschen Vernichtungslagern in Polen an der Grenze zur Ukraine. Hierfür braucht es seit langem mehr finanzielle Mittel. Doch das allein reicht nicht. Es müssen auch Projekte entwickelt werden, die die Zivilgesellschaft einbinden, die Wege zum Ausbau der Gedenkstätteninfrastruktur aufzeigen und Mittlerorganisationen wie das Deutsche Historische Institut einbeziehen. Den Absichtserklärungen des 18. Berichtes müssen jetzt konkrete Maßnahmen folgen. Angesichts der aktuellen Lage müssen die Projekte für und mit Flüchtlingen in Lagern Priorität haben. (Beifall bei der LINKEN) Dabei kann das Goethe-Institut im Bereich der Sprachvermittlung helfen. Sprache ist Grundlage der Integration. Als einen neuen Schwerpunkt nennt die Regierungskoalition im 18. Bericht die Östliche Partnerschaft. Wir als Linke sehen das kritisch. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Wundert uns nicht!) Es stellt sich die Frage, ob es sich bei der Östlichen Partnerschaft um eine wirklich gleichberechtigte Partnerschaft handelt. Aus unserer Sicht bestehen da begründete Zweifel. Kritisch sehen wir in diesem Zusammenhang auch die strukturelle Neuaufstellung der Deutschen Welle, die im 18. Bericht als Werkzeug, so wörtlich, „zur Reputation Deutschlands in der Welt“ verstanden wird. Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik darf aber nicht zum Sprachrohr der Interessen deutscher Außenpolitik werden. (Beifall bei der LINKEN) In der Kultur- und Bildungspolitik brauchen wir einen Wandel hin zu einem Dialog auf Augenhöhe und gegenseitige Anerkennung. (Beifall bei der LINKEN) Werte wie Demokratie und Respekt vor der Menschenwürde, die von Deutschland ins Ausland getragen werden sollen, müssen umgekehrt auch von uns gelebt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dazu ein persönliches Erlebnis, das mich sehr bewegt: Vor wenigen Tagen war ich an der kroatisch-ungarischen Grenze in Botovo. Hunderte Flüchtlinge, Babys in Decken gehüllt, alte und kranke Menschen, deren Rollstuhl im Schlamm stecken blieb, und die schließlich Stacheldrahtzaun und Grenzsoldaten passieren mussten – ein unvergesslicher Anblick, der bei mir und anderen Trauer und Wut auslöste. Mir wurde außerdem berichtet, dass die Geflüchteten danach in Ungarn vom Militär eskortiert und geschubst und getreten wurden, wenn sie nicht schnell genug waren. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich allen Menschen danken, die den Geflüchteten in Deutschland und in Europa selbstlos geholfen haben und helfen. (Beifall bei der LINKEN) Enttäuscht bin ich hingegen von dem sogenannten Flüchtlingsgipfel. Die Chance für eine faire und gerechte Aufnahmepolitik wurde vertan. Die Bundesrepublik setzt erneut auf Abschreckung und Entrechtung. Sie teilt Asylsuchende in vermeintlich gute und schlechte Flüchtlinge ein, in potenzielle Fachkräfte und Unqualifizierte und plant weitere Abschreckungsmaßnahmen. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: So ein Quatsch!) Wo sind hier die demokratischen, die humanistischen Werte, wo die Menschenwürde, die Willkommenskultur? Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Linke steht für eine von Toleranz getragene, dialogorientierte Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Wir wollen ihre Bedeutung klar nach außen sichtbar machen und gegen jede Einflussnahme schützen. Dafür benötigen wir aber, wie meine frühere Kollegin Luc Jochimsen bereits vor Jahren vorgeschlagen hat, die Einführung einer Bundeskulturministerin mit Kabinettsrang. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Was? Haben wir doch!) Ich möchte diesen Vorschlag noch einmal aufgreifen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ja, Frau Kollegin, aber vielleicht in einem zusammenfassenden Satz. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Genau! Nicht mehr heute!) Azize Tank (DIE LINKE): Es kann doch nicht sein, dass ein Land wie Deutschland kein Kulturministerium besitzt. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Hallo? Da hinten! Frau Grütters heißt sie!) Nur ein Ministerium kann die verschiedenen Aufgabenfelder und die Belange der Kultur sowohl gegenüber anderen Ressorts als auch auf europäischer Ebene bündeln und wirksam vertreten. Lassen Sie uns die Möglichkeiten internationaler, friedlicher Kulturförderung durch ein Kulturministerium stärken. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Bundesregierung hat nun die Staatsministerin Maria Böhmer das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin im Auswärtigen Amt: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Tank, lassen Sie mich zunächst einmal feststellen: Die Anwesenheit der Kulturstaatsministerin Professor Monika Grütters ist gegeben. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: So sieht es aus!) Deshalb sage ich an Monika Grütters einen ganz herzlichen Gruß. (Beifall bei der CDU/CSU) Mit der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik schaffen wir ein stabiles Fundament für unsere internationalen Beziehungen, weil wir auf Dialog zwischen Menschen und zwischen Kulturen setzen. Dazu gehört, dass wir die deutsche Sprache in Europa und weltweit fördern. Wir tragen dazu bei, dass überall kulturelle Identität und Vielfalt erhalten bleiben. Damit leisten wir zweifellos einen Beitrag zur weltweiten Krisen- und Konfliktprävention. Kulturelle Arbeit bereitet im vorpolitischen Raum den Boden für Verständigung, für Krisenprävention und Krisenbewältigung. Sie werden erst dadurch richtig möglich, und das ist heute wichtiger als je zuvor. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mit der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik ist das Ziel verbunden, ein wirklichkeitsgetreues, ein lebendiges Bild von Deutschland zu vermitteln. Wir sind ein Land, in dem Bildung und berufliche Entwicklung, Wissenschaft und Forschung im Fokus stehen. Wir sind ein Land, in dem Kreativität und Kultur eine wesentliche Rolle spielen. Wir sind aber nicht nur Goethe und Schiller. Wir sind auch – das sage ich ganz bewusst als Frau – eine begeisterte Fußballnation. Es ist wichtig, auch ein solches Bild nach außen zu tragen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich freue mich, dass wir uns hier einig sind; das gilt auch für die Bundesregierung. Ich stimme mit dem Bundesaußenminister überein, dass wir die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik weiter stärken müssen. Besonders gefordert sind wir angesichts der dramatischen Flüchtlingssituation. Gestern haben wir uns hier im Deutschen Bundestag auf die Situation in Deutschland konzentriert. Wir haben ein wichtiges Gesetzespaket auf den Weg gebracht. Damit stützen wir die Solidarität und die Hilfsbereitschaft der Menschen in unserem Land. Diese Hilfsbereitschaft und diese Solidarität sind ungebrochen. Dafür sage ich herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Aber wir werden diese Flüchtlingskrise nur bewältigen, wenn es uns gelingt, die Fluchtursachen wirksam zu bekämpfen: in Syrien, im Irak, in Afghanistan und in großen Teilen Afrikas; auch diese Bereiche müssen wir im Blick behalten. Wir müssen dort verstärkt helfen, wo humanitäre Hilfe gebraucht wird und wo es oft um das nackte Überleben geht. In den Flüchtlingslagern in Jordanien und im Libanon ist die Lage zunehmend dramatisch. Das darf uns nicht ruhen lassen. Anders ist die Situation in den Flüchtlingslagern in der Türkei. Ich war kürzlich in Antakya, an der türkisch-syrischen Grenze. In dem Zeltlager, das ich besucht habe, sind 3 000 Flüchtlinge untergebracht, darunter 600 Kinder. Es ist – zugegeben – ein kleineres Flüchtlingslager. Aber – was ich jetzt sage, gilt für alle Flüchtlingslager in der Türkei – die Versorgung ist gut; es gibt einen Kindergarten, eine Schule, medizinische Versorgung und einen Supermarkt. Das ist den erheblichen Anstrengungen zu verdanken, die in der Türkei unternommen werden. Und das gilt es auch anzuerkennen. Aber ich frage auch: Was ist mit den vielen anderen Flüchtlingen, die kein Dach über dem Kopf haben, die keine Schule für ihre Kinder finden, die keine Arbeit haben, deren Ersparnisse jetzt zur Neige gehen, die verzweifelt sind und denen in dieser Verzweiflung kein anderer Weg offensteht, als sich auf die Flucht zu begeben, die Grenzen zu überschreiten, um nach Europa und nach Deutschland zu kommen? Diese Flüchtlinge brauchen eine Perspektive. Sie haben mir immer wieder gesagt, sie wollen eines Tages in ihre Heimat zurückkehren. Dann müssen sie in der Lage sein, ihr Land wieder aufzubauen, und dafür müssen wir jetzt die Weichen stellen. Genau hier muss die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ansetzen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich will anhand von vier Beispielen erläutern, was das Auswärtige Amt in die Wege leitet. Erstens. Zusammen mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst haben wir im vergangenen Jahr ein Stipendienprogramm für syrische Flüchtlinge unter dem Motto „Leadership for Syria“ aufgelegt. Wir fördern damit 100 junge Menschen auf dem Weg zum Bachelor, zum Master oder einem Doktorgrad. Jetzt könnte man fragen: 100 junge Menschen angesichts dieser großen Zahl von Flüchtlingen? Aber es werden genau diejenigen sein, auf die Schlüsselpositionen zukommen. Es werden diejenigen sein, auf die sich die Blicke richten, wenn es darum geht, morgen voranzugehen, Verantwortung für ihr Land wieder zu übernehmen. Zweitens. Dazu passt, was wir mit der Alexander-von-Humboldt-Stiftung unternehmen. Wir haben ein Scholars-at-Risk-Programm für Wissenschaftler im Exil aufgelegt, damit diese später den Brückenschlag in ihre Heimat schaffen und der Wiederaufbau dann auch gelingt. Drittens. Das Goethe-Institut leistet wichtige pädagogische Arbeit in den Flüchtlingslagern. Ja, Frau Schmidt, wir stimmen überein. Auch ich sage: Wir dürfen keine verlorene Generation zulassen. Wir müssen gerade Kindern und Jugendlichen eine Hoffnung, eine Perspektive geben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Viertens ist mir wichtig: Das Deutsche Archäologische Institut leistet in Flüchtlingslagern in Jordanien, im Libanon, im Irak und in der Türkei wichtige handwerkliche Qualifizierungsarbeit. Ich weiß, wie gut sie gerade vom Kreis des Unterausschusses Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik begleitet wird. Das stärkt den Einzelnen, das hilft, Kulturgüter zu erhalten und wiederherzustellen. Das ist eine grundlegende, eine unverzichtbare Aufgabe, wenn es um Identität, wenn es um den dringend notwendigen Zusammenhalt geht. Die beiden Berichte, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ihnen heute vorliegen, belegen eindrucksvoll die große Bandbreite der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Ich will auf nur einen Themenschwerpunkt eingehen: Das Interesse an Deutschland ist groß, und es hat sich verändert. Bei Kultur und Lebensqualität, Regierungsführung, Qualität von Produkten haben wir Bestnoten. Darauf können wir stolz sein. Aber ich sage auch, dass uns das nicht übermütig machen soll. Die Wertschätzung muss uns ein Ansporn sein. Deutsch als Fremdsprache erlebt einen weltweiten Aufschwung. 15,4 Millionen Menschen lernen Deutsch, und das sind mehr als vor fünf Jahren. Das Interesse an den deutschen Auslandsschulen und den knapp 1 800 Schulen, die sich an unserer Partnerschulinitiative PASCH beteiligen, ist ungebrochen. Es gibt immer mehr Studierende, die es nach Deutschland zieht. Ich bin guten Mutes, dass wir im Jahr 2020 die Zahl von 350 000 ausländischen Studierenden erreichen werden. Das alles ist wichtig, weil die Schüler, die Studenten, die Deutschlerner unsere Partner von morgen sind. Sie legen die Grundlage für eine gute internationale Zusammenarbeit, und sie alle sprechen im wahrsten Sinne des Wortes unsere Sprache. Aber ich sage auch: Es wartet noch ein gutes Stück Arbeit auf uns, wenn es um die Auslandsschulen geht; ich will das hier mit aller Deutlichkeit unterstreichen. All diejenigen, die dabei waren, als im Januar die Jahrestagung der Schulleiterinnen und Schulleiter stattfand, wissen, wie schwierig es ist, deutsche Lehrerinnen und Lehrer für deutsche Auslandsschulen zu gewinnen. Das wird noch schwieriger werden angesichts des großen Bedarfs, den wir gegenwärtig in unserem Land haben, angesichts der steigenden Schülerzahlen durch mehr Flüchtlingskinder in den Schulen; das macht es für die Auslandsschulen nicht leichter. Wir haben darüber im Unterausschuss gesprochen, und ich hatte gestern einen sehr intensiven Austausch mit der Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Frau Kurth. Wir waren uns einig: Wir wollen gemeinsam daran arbeiten, dass es zu Verbesserungen kommt. Das heißt, wir brauchen eine bessere Wertschätzung der Arbeit an Auslandsschulen. Der Auslandsschuldienst darf nicht zum Karriereknick werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir brauchen diese Lehrerinnen und Lehrer mit ihrer interkulturellen Kompetenz. Sie werden anderen eine Richtung geben. Es gilt, die eklatante Schieflage endlich zu beseitigen: Eine Gehaltsdifferenz von 23 Prozent ist natürlich ein Hemmnis für die Entscheidung, an eine Auslandsschule zu gehen. Wir haben im Auswärtigen Amt einen entsprechenden Vorschlag vorbereitet, der Ihnen bereits zugegangen ist. Er liegt Ihnen vor, und wir werden darüber sprechen. Meine herzliche Bitte ist: Lassen Sie uns an einem Strang ziehen. Wir brauchen dafür die entsprechenden Finanzmittel. Es geht um eine gute Zukunft für die Auslandsschulen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich darf mit einem sehr herzlichen Dank an Sie alle enden. Denn Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik braucht starke Partner, und ich empfinde alle im Deutschen Bundestag – ganz besonders die Mitglieder aus dem Unterausschuss Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, aber ich binde auch unsere Haushälterinnen und Haushälter mit ein – als solche starken Partner. Lassen Sie uns weiter an einem Strang ziehen. Die Erwartungen an diesen Politikbereich sind groß. Es liegt an uns, sie zu erfüllen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Claudia Roth für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Welt ist im Umbruch, und wie Ulla Schmidt auch mit Blick auf die hohen Flüchtlingszahlen und die vielen Konfliktherde gesagt hat: Die Welt ist eigentlich längst aus den Fugen geraten. In dieser Welt im Umbruch, die wie nie zuvor von der Globalisierung geprägt ist, erhält die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik eine immer größere Bedeutung. Die Welt von heute ist aber auch geprägt von einer Repolarisierung, von Schwarz-Weiß-Denken und alten und neuen Feindbildern. Alte Gräben werden wieder aufgerissen wie zwischen Russland, Europa und den USA, zwischen Iran und Saudi-Arabien, zwischen der türkischen Regierung und den Kurden, zwischen Juden und Palästinensern oder auch innerhalb Europas, wie wir es in diesem Sommer ganz besonders und sehr erschrocken beobachten mussten. Aber auch die neuen Gräben vergrößern sich von Tag zu Tag. So lässt die Umsetzung des Friedensprozesses in der Ukraine weiter auf sich warten, und die Konflikte, die entgrenzte Gewalt in Syrien, im Jemen, in Afghanistan, in Libyen und im Irak verschlimmern sich immer mehr. Wir erleben in dieser Welt von heute postkoloniale Umbrüche, das Entstehen neuer Autokratien und die Entrechtung der universellen Menschenrechte. Dort, wo politische Kontakte nicht mehr stattfinden, sondern wo Schweigen oder, schlimmer noch, nur noch Waffengewalt herrscht, dort, wo eigentlich politisch nichts mehr geht, braucht es Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es braucht sie als leisen und vorsichtigen Brückenbauer. Es braucht sie als ersten Türöffner für den Dialog. Es braucht sie zur Stärkung einer geschwächten Zivilgesellschaft. Es muss uns Sorgen bereiten, dass in den letzten Jahren in über 80 Staaten sogenannte NGO-Gesetze verabschiedet wurden, die keinen anderen Inhalt haben, als die Rechte und Räume von NGOs einzuschränken, manchmal sogar, um ihre Arbeit zu erdrosseln. Wenn Presse- und Meinungsfreiheit und die Freiheit der Kunst kaum mehr vorhanden sind, dann braucht es die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, die geschützte Räume für kritische Gedanken schafft und ziviles Engagement und oppositionellen Mut beheimaten kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Auch dort, liebe Kolleginnen und Kollegen, wo terroristische Gewalt nicht nur Menschenleben fordert, sondern auch kulturelles Menschheitserbe systematisch zerstört wird, wie die Tempel von Palmyra in Syrien, die Buddha-Statuen von Bamiyan in Afghanistan, die Bibliothek von Timbuktu in Mali und die assyrischen Stätten in der Ninive-Ebene im Irak oder jetzt im Jemen, wo Saudi-Arabien das Land ins Mittelalter bombt und die Weltkulturerbestätten von Sanaa und Schibam zerstört werden, braucht es die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, die versucht, zu schützen und zu erhalten, was unsere gemeinsame globale Identität ausmacht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) Sie gibt sich nicht zufrieden mit einem Eintrag in die rote UNESCO-Liste, sondern versucht, Druck – auch politischen – auszuüben. Es ist dringend notwendig – wir begrüßen das –, dass das Deutsche Archäologische Institut stärker unterstützt wird. Dieses Institut plant nun zum Beispiel in Teheran eine Ausstellung zur Geschichte der deutsch-iranischen Forschung und zur 50jährigen Geschichte der Außenstelle des Instituts in der iranischen Hauptstadt. Auch Archäologie ist Kulturerhalt. Mehr noch: Sie bietet die Chance, über die Arbeit am Gestern ein gemeinsames Morgen zu eröffnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) Wir brauchen die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik aber auch als Teil unserer Erinnerungskultur. Das haben wir gerade in diesem Jahr erleben und beweisen können. 50 Jahre diplomatische Beziehungen zu Israel werden emotional erfahrbar beispielsweise durch Install­ationen von Sigalit Landau – unterstützt vom Auswärtigen Amt –, die wir in unserem Haus ausstellen konnten, oder durch ein Konzert mit den „Violinen der Hoffnung“. Das Gedenken an den Genozid an den Armeniern vor 100 Jahren vermag noch heute, Politik zu prägen und Konsequenzen für die Lebenden zu fordern. Genau da setzt die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik an; denn sie zeigt in der Erinnerungskultur, wie wir mit unserer Vergangenheit verantwortlich umgehen und ob wir wirklich bereit sind, uns ihr vollständig zu stellen, um so Vertrauen bei den Nachgeborenen des Naziterrors zu schaffen. Unsere Debatte über den deutschen Völkermord an den Herero zeigt doch exemplarisch, dass es nicht reicht, vergangenes Leid bzw. Schuld anzuerkennen, wenn damit nicht gleichzeitig eine Verantwortungsübernahme einhergeht. Da ist noch sehr viel zu tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD und des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist die dritte Säule der Außenpolitik. Damit das alle wissen: Sie ist kein Sahnehäubchen und auch kein Accessoire, das man sich nur in guten Zeiten leisten kann. Nein, oft ist sie gerade Voraussetzung für eine auswärtige Politik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Aber auch hier müssen wir uns die Frage nach der Kohärenz stellen; denn die Maßnahmen der klassischen Außenpolitik dürfen nicht den Zielen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik zuwiderlaufen. Gerade beim Instrument der Sanktionen ist das künftig viel stärker zu bedenken. Es darf doch nicht sein, wie wir es im Fall Iran erlebt haben, dass die verhängten Sanktionen gegen das Regime auch und gerade die Bildungszusammenarbeit zwischen deutschen und iranischen Universitäten unmöglich machen. Dort, wo mit Sanktionen auch zivile, kulturelle und wissenschaftliche Kooperationen getroffen werden, werden die Falschen bestraft, zur Freude des Regimes. Dann läuft etwas falsch. Im Kultur- und Bildungsaustausch sollten wir die originären Akteure in den Mittelpunkt stellen; denn es sind die Künstler, die Kreativen, die Pädagogen und die Wissenschaftler, die zumeist selbst am besten wissen, wo in den eigenen Bereichen die spannenden Ansätze bestehen und welche Initiativen und Projekte zukunftsträchtig sind. Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist also nicht einseitig als Instrument der Cultural Diplomacy zu definieren; denn der Eigensinn von Kunst und Kultur, die kreative Kraft, droht sonst unter die Räder zu geraten. Es geht also nicht vorrangig um Sichtbarkeit, um riesengroße Ausstellungsformate. Ich erinnere mich an die Deutschlandjahre der Vergangenheit zur höheren Ehre der deutschen Wirtschaft. Das ist nicht das, was ich mir unter Auswärtiger Kulturpolitik vorstelle. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es sind die vielen kleineren Formate, Tausende Kulturbegegnungen, das nachhaltig angelegte Alltagsgeschäft der Goethe-Institute und die Stipendien des Deutschen Akademischen Austauschdienstes beispielsweise für Syrerinnen und Syrer, für die Frauen des Arabischen Frühlings, die endlich wieder eine Perspektive brauchen. Das alles ist Humus für die Demokratie und die Menschenrechte. Das sind auch und gerade die deutschen Schulen im Ausland; da kann ich mich Ulla Schmidt voll und ganz anschließen. Denn es geht bei der Vermittlung von Sprache auch um Wertevermittlung. Dafür braucht es die allerbesten Lehrerinnen und Lehrer. Diese brauchen anständige Löhne. Ich hoffe, Frau Böhmer, dass Sie das dem Finanzminister so richtig beibringen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Doch was sind die neuen großen Herausforderungen und Aufgaben der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik? Wir erleben im Nahen und im Mittleren Osten das Entstehen neuer riesengroßer Städte. Es sind die großen Flüchtlingslager im Libanon, in der Türkei, im Irak, in Jordanien. Wir sollten auch nicht den afrikanischen Kontinent mit Millionen von Flüchtlingen vergessen. Beispielhaft dafür steht das Lager Dadaab in Kenia. Die Menschen in diesen neuen Zeltstädten werden voraussichtlich nicht nur wenige Jahre, sondern wohl eher Jahrzehnte, vielleicht sogar immer dort leben müssen. Das sind die neuen Orte, wo Kultur, wo Bildung Nahrungsmittel für die Menschen bedeuten, wo Bildung und Kunst so wichtig sind wie Wasser und Brot, weil sie helfen können, sich ein neues Leben einzurichten und Traumata zu überwinden. Deshalb ist es eine großartige Initiative des Goethe-Instituts, in Zusammenarbeit mit Flüchtlingsorganisationen Kultur- und Bildungsprojekte zu realisieren, die besonders Kindern und Jugendlichen, aber auch Künstlern selbst, die zu Flüchtlingen geworden sind, sinnvolle Beschäftigung vermitteln, die das Erlebte verarbeiten helfen und die kreative Alternativen entwickeln. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Es geht dabei um den Versuch, zu verhindern, dass durch das aktuelle Flüchtlingselend tatsächlich eine weitere verlorene Generation entsteht. Auch da, wo Menschen in ihre Heimat zurückkehren können, wie zum Beispiel Erbil, die Hauptstadt des kurdischen Nordirak, bilden die Kulturmittler und die deutschen Auslandsschulen ein zivilisatorisches Fundament für den perspektivischen Wiederaufbau und für die Selbstermächtigung der Menschen. Aber gerade diese Schule ist von der Schließung bedroht, weil die finanzielle Unterstützung fehlt. Da muss etwas passieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Also: Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik geht dorthin, wo sonst nichts mehr oder noch nichts möglich ist. Sie öffnet Türen, wo politische Diplomatie noch nicht angekommen ist oder wo sie am Ende ist. Sie bereitet Wege, die Begegnungen hin zu Frieden und Aussöhnung ermöglichen, und das muss uns viel, das muss uns sehr viel mehr wert sein. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Michelle Müntefering hat für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Michelle Müntefering (SPD): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Haben Sie auch die Kinderzeichnung gesehen, die ein syrisches Kind der Polizei geschenkt hat? Auf der einen Seite, unter syrischer Flagge, bewaffnete Terroristen, abgetrennte Gliedmaßen; unter deutscher Flagge ein Weg, ein Haus, eine Zuflucht. – Es ist nicht ganz klar, wie alt das Kind war, das das gezeichnet hat, ob es Mohammed oder Fatma hieß. Aber wie auch immer, wir wissen: Es zeigt die Realität. Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren, das ist die Wirklichkeit von Millionen Menschen. Viele von ihnen suchen Schutz, auch bei uns. Um helfen zu können, brauchen wir alle Kräfte. Meine Vorrednerinnen haben es gesagt: Der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik kommt hierbei eine besondere Rolle zu. Denn die Kulturdiplomatie als tragende Säule deutscher Außenpolitik hat eine besondere, eine eigene Kraft. Unser verstorbener Kollege Philipp Mißfelder, den ich in unseren Reihen vermisse, hat vor gar nicht allzu langer Zeit an diesem Pult gesagt: Die AKBP ist das Zaunkönigtum des Deutschen Bundestages. – Ich weiß nicht, wie viele Hobbyornithologen unter uns ihn damals verstanden haben, aber das stimmte: Der Zaunkönig ist winzig klein, sein Gefieder recht unscheinbar, aber sein Gesang ist laut und über Hunderte Meter weit zu hören, im Sommer wie im Winter. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ja, so ist das auch mit unserer Arbeit im Ausschuss. Liebe Kollegen, die AKBP ist nicht weniger als die „sanfte Macht“ der Außenpolitik, das, was wir durch die Beziehungen von Künstlern, Wissenschaftlern und der Zivilgesellschaft an Verständigung und Veränderung bewirken können. Sie kann helfen, kulturell, religiös oder weltanschaulich bedingte Konflikte zu bewältigen, und auch zu ihrer Prävention beitragen. Deswegen ist klar, dass wir sie brauchen. Fluchtursachen bekämpfen wir am besten, wenn wir Menschen nicht nur ein Bett, ein Dach und etwas zu essen geben, sondern wenn wir ihnen auch eine Perspektive geben: auf ein sicheres Leben, auf Bildung und auf Arbeit – in ihren Heimatländern, aber auch denjenigen, die bei uns bleiben. Es ist gut, dass Außenminister Frank-Walter Steinmeier diesen Bereich fördert, und zwar weit mehr als seine Vorgänger. Da wir im Unterausschuss als Zaunkönige für die gemeinsame Sache arbeiten, bin ich sehr froh, dass auch Frau Böhmer und alle anderen Kolleginnen und Kollegen beim Finanzminister noch einmal kräftig vorsingen werden. Die Flüchtlingsfrage zeigt, wie die Trennung von innen und außen aus der Zeit gefallen ist. Willy Brandt hat schon in meinem Geburtsjahr 1980 gesagt: Die Globalisierung von Gefahren und Herausforderungen – Krieg, Chaos, Selbstzerstörung – erfordert eine Art „Weltinnenpolitik“ ... Daran arbeiten wir heute noch. Wenn sich also wie heute die Trennung von innen und außen, von „hier bei uns“ und „dort bei den anderen“ so sehr aufhebt, dann muss auch die AKBP den Blick nach innen richten. Unsere Mittler können dabei helfen. Sie haben Kompetenz und Erfahrung. Sie können bei Sprachvermittlung und Integration helfen. Sie kennen kulturelle Vielfalt und wissen um die Bedeutung unserer Werte. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber einiges müssen wir noch verbessern – das muss an dieser Stelle in einer solchen Debatte gesagt werden –: Wir müssen unsere Mittler besser koordinieren und ihre Kompetenzen eben auch im Inland stärker nutzen. Ich will zwei Beispiele nennen, um deutlich zu machen, wie das gehen kann. Erstes Beispiel. Auch in meinem Wahlkreis HerneBochum II haben wir Asylsuchende aufgenommen und dazu Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes NRW errichtet. Wie viele von Ihnen war auch ich vor Ort, habe mit Ehrenamtlichen, mit Betroffenen und mit Anwohnern gesprochen. Mir ist aufgefallen: Wir schicken die Kinder in den Kindergarten, die Jugendlichen in Aufnahmeklassen in die Schule. Für die jungen Erwachsenen haben wir meistens Tischtennisplatten. Aber wir wissen doch: Wo die jungen Männer nix zu tun haben, gibt es Kloppe; das war schon immer so. Darüber müssen wir uns auch nicht wundern. Deswegen: Nutzen wir doch, was da ist: Smartphones, die jeder hat, mit Onlineangeboten, damit alle die Möglichkeit haben, unsere Sprache und auch etwas über unser Land, über Deutschland, zu lernen. Der Langenscheidt-Verlag zum Beispiel hat als privates Unternehmen sein Deutsch-Arabisches Wörterbuch frei zur Verfügung gestellt; das ist gut. Auch unsere Mittler steigen ein: Die Deutsche Welle hat eine Internetseite geschaltet, und das Goethe-Institut will nun auch eine App bereitstellen. All das ist gut und prima. Aber nicht jeder darf jetzt für sich allein loslegen, sondern das muss koordiniert werden. Das AA, das Auswärtige Amt, dem ich für seine Arbeit ganz ausdrücklich danke, ist bereits auf dem Weg, die Akteure zusammenzuholen. Mein Rat: Fragen Sie auch einmal die Menschen, die es betrifft. Diese werden Ihnen sagen, sie müssen nicht nur eine Zahnbürste kaufen gehen, sondern sie müssen auch auf der Behörde mit dem Amtsdeutsch zurechtkommen. Zweites Beispiel. Der DAAD und das Deutsche Archäologische Institut arbeiten in Kairo zusammen. Dabei ist etwas Außergewöhnliches entstanden. Während die Terroristen von Daesch, von ISIS, in ganz Arabien jahrtausendealte Kulturgüter zerstören, haben sie begonnen, junge Menschen auszubilden, und zwar gleichermaßen an einer deutschen und an einer ägyptischen Universität. Sie lernen von Experten, wie man Kultur erhalten kann, aber auch für die Bevölkerung nutzbar machen kann, und zwar gerade nicht dadurch, dass ausländische Fachkräfte eingeflogen werden, sondern indem junge Menschen vor Ort befähigt werden, ihr eigenes Erbe zu sichern. Das zeigt das Potenzial gemeinsamer Programme. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das, was wir brauchen, sind gleichermaßen Sprachdolmetscher und Kulturdolmetscher. Tragen wir unseren Teil dazu bei! Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Sigrid Hupach für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sigrid Hupach (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Paradigmenwechsel in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, ein Dialog auf Augenhöhe als dritte Säule, wurde heute schon vielfach angesprochen. Ich möchte noch einmal unterstreichen, warum er aus kulturpolitischer Sicht überfällig war. Vor zwei Tagen erläuterte Klaus-Dieter Lehmann im Tagesspiegel, welche Aufgabe die Goethe-Institute, deren Präsident er ist, angesichts der aktuellen Flüchtlingssituation übernehmen könnten. Im Zentrum steht dabei natürlich die Vermittlung der Sprache, aber genauso gehört die kulturelle Vermittlung dazu. Gemeinsam mit Flüchtlingsorganisationen hat das Goethe-Institut Kultur- und Bildungsprojekte für die Arbeit in den Flüchtlingslagern der Nachbarländer von Syrien und Irak entwickelt. Sie wollen das Leben in den Flüchtlingslagern erträglicher gestalten und Beschäftigung bieten, wo es ansonsten keine Möglichkeit zum sinnvollen Tun gibt. Sie wollen bei der Verarbeitung traumatischer Erfahrungen helfen und mit Bildung und Kultur einer verlorenen Generation entgegenwirken. Hier zeigt sich die große Bedeutung, die der Auswärtigen Kultur und Bildungspolitik zukommt. Mit ihr können durch Dialog und über den Weg des kulturellen Austausches Räume für Humanität geschaffen und kann für gegenseitiges Verständnis geworben werben. Ein weiteres Beispiel kultureller Vermittlung ist auch das vom Deutschen Archäologischen Institut koordinierte Projekt, bei dem Geflüchtete und Einheimische für den Kulturerhalt sensibilisiert werden und ihnen wissenschaftliche und handwerkliche Kenntnisse dafür vermittelt werden sollen. Programme dieser Art müssen aus den umfangreichen Mitteln, die das Auswärtige Amt aktuell für humanitäre Hilfe bereitstellt, adäquat finanziert werden. Dies ist ein explizites und interfraktionelles Anliegen des Unterausschusses für Auswärtige Kultur und Bildungspolitik. Eine dialogorientierte Auswärtige Kultur und Bildungspolitik kann dazu beitragen, Konflikte zu minimieren und stabilisierend in Krisenregionen zu wirken. Aber wahr ist auch: Kulturpolitik kann nicht wiederherstellen, was durch Kriegseinsätze verloren ging. Projekte dieser Art dienen nicht nur dazu, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu vermitteln. Sie sollen vor allem auch für die Bedeutung des kulturellen Erbes und die Notwendigkeit seines Erhalts sensibilisieren. Die Zerstörung von Nimrud, Hatra und Palmyra durch den sogenannten „Islamischen Staat“ belegt, dass wir uns dringend um Strategien für einen nachhaltigen Schutz des vielfältigen Erbes der Weltgemeinschaft kümmern müssen. (Beifall bei der LINKEN) Auch vor diesem Hintergrund begrüßen wir Linke die Novellierung des Kulturgutschutzgesetzes. Bei aller öffentlichen Aufregung darum geriet eine wesentliche Absicht des Gesetzesvorhabens ins Hintertreffen: der Versuch, den illegalen Handel mit geraubten Kunst und Kulturgütern zu unterbinden bzw. ihn wenigstens einzudämmen und zu erschweren. Die Novelle ist aber auch nötig, weil das Kulturgüterrückführungsgesetz von 2007 sich als wirkungslos erwiesen hat. Abgesehen von freiwilligen Rückgaben konnte seit 2008 nicht ein einziger Antrag auf Rückführung von unberechtigt nach Deutschland verbrachtem Kulturgut bewilligt werden. Grund dafür waren die viel zu hohen Anforderungen an die antragstellenden Staaten. Wir müssen uns in einem öffentlichen Diskussionsprozess darüber verständigen, was wir unter national wertvollem Kulturgut verstehen. All das, was wir hier in Deutschland halten wollen? Was verstehen wir unter dem gemeinsamen Erbe der Menschheit? All das, was im Zuge des Kolonialismus in die Sammlungen der deutschen Völkerkundemuseen gelangte und was als geteiltes Erbe einfach hierbleiben sollte? In diesem Zusammenhang möchte ich auf das Humboldt-Forum zu sprechen kommen – nicht als wiederaufgebautes Preußenschloss, sondern als Ort der Debatte zwischen Kunst, Kultur, Wissenschaft und Medien in wirklich internationaler und interkultureller Perspektive. Minister Steinmeier hat in seiner Rede bei der Konferenz des Goethe-Instituts im Februar 2015 das SechsAugenPrinzip angesprochen. Gemeint ist damit ein gegenseitiger Austausch im Sinne des VoneinanderlernenWollens, indem neben der eigenen Perspektive die des anderen einbezogen und zugleich eine dritte gemeinsame Perspektive entwickelt wird. Aktuell hat dazu Martin Roth, Direktor des Londoner Victoria and Albert Museums, den wirklich innovativen Vorschlag gemacht, auch Flüchtlinge aus den nahöstlichen Bürgerkriegsgebieten in die Planung zum HumboldtForum einzubeziehen. Er empfiehlt außerdem, bereits zum jetzigen Zeitpunkt Vertreter jener Länder in die Gremien des HumboldtForums zu integrieren, mit denen in Zukunft ein kultureller Austausch stattfinden soll. Denn es sollte nicht um Projekte gehen, so sagt er, „die hier erfunden und dort ‚unten‘ und ‚da drüben‘ akzeptiert werden, sondern um wirkliche CoEntwicklungen“. Wir unterstützen diesen Ansatz und hoffen, dass ihm Taten folgen, unterstreicht er doch, dass die Auswärtige Kultur und Bildungspolitik nicht länger nur der Repräsentation und der Sicherung des deutschen Einflusses in der Welt dienen sollte. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Dr. Bernd Fabritius hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Zeit nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, der immer größeren europäischen Familie und der immer tiefer werdenden Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in der Europäischen Union – untereinander und mit den Nachbarschaftsstaaten in Partnerschaft – wähnten wir uns in einer Epoche des Friedens in Europa. War dieser Blick womöglich zu sehr nach innen gekehrt? Haben wir nicht bemerkt, dass um uns herum Konflikte schwelten, und darauf etwa zu spät reagiert? Diese Interpretation favorisieren die Gegner Europas, und ich halte sie entschieden für falsch. Wir sollten nicht der Versuchung erliegen, mit zu einfachen Antworten all jenes infrage zu stellen, was – aktuellen Schwierigkeiten zum Trotz – eines der größten friedenspolitischen Projekte der Geschichte ist. Um dieses wieder in gutes Fahrwasser zu bringen und weiterzuführen, sind konstruktive Lösungen gefragt. Die Diplomatie kennt viele Instrumente, mit denen die aktuellen Konflikte in der Welt gelöst werden könnten. Ein solches Instrument ist mit Sicherheit auch die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Der vorliegende 18. Bericht der Bundesregierung zur AKBP beschreibt, wie dieses Instrument in den Jahren 2013 und 2014 angewendet worden ist. Seither hat sich die weltpolitische Lage deutlich verändert. Der Bericht sollte daher vorausschauend auch als Anleitung zur Lösung aktueller Krisen gelesen werden. Denn: Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik wirkt präventiv und kann verhindern, dass Konflikte überhaupt erst entstehen. Sie wirkt krisenbegleitend zur Linderung der Konfliktauswirkungen und leistet Pionierarbeit im Vorfeld der klassischen Diplomatie. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Zudem ist sie Nachbereiterin sowohl nach Erfolgen als auch dann, wenn Herausforderungen nicht ganz so überzeugend gelöst werden konnten. Die jüngsten diplomatischen Erfolge in den Atomverhandlungen mit dem Iran könnten ein gutes Beispiel für einen unterstützenden Beitrag der AKBP zu den Bemühungen des Bundesaußenministers sein. Im Jahr 2010, als der UN-Sicherheitsrat letztmalig und drastisch die Sanktionen gegen den Iran verschärfte, reiste eine Delegation des Unterausschusses Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik gerade in den Iran und signalisierte so der damaligen iranischen Regierung: Trotz des notwendigen internationalen Drucks bleibt die Tür für Gespräche geöffnet. Die von Ihnen, Frau Kollegin Roth, genannten Einschränkungen betrafen wenige und konkrete Ausnahmen, etwa technische Studiengänge. Dasselbe Prinzip gilt auch für den Umgang mit Russland im Hinblick auf die Ukraine-Krise. Von den Sanktionen, die wegen der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim verhängt wurden, sind die Mittel der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik explizit ausgenommen worden. Häufig fiel damals der Satz: Man müsse trotz der Differenzen weiter mit Russland sprechen. – Das war selbstverständlich zutreffend, und damit war auch die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik gemeint. Sosehr ich von der AKBP als Krisenbegleiterin und Wegbereiterin bei der Lösung von Konflikten überzeugt bin, so muss ich zugleich auch Grenzen erkennen. Zur Lösung des Syrien-Konflikts kann die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik derzeit leider wenig beitragen. Von der Sitzung des UNESCO-Welterbekomitees im Juni in Bonn unter der Leitung von Staatsministerin Böhmer ist aber ein deutliches Signal für einen besseren Schutz der Welterbestätten vor der Zerstörungswut des sogenannten „Islamischen Staates“ ausgegangen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir unterstützen Sie, Frau Staatsministerin, in Ihrem Engagement zum Schutz des Kulturerbes ebenso wie bei Ihrem Vorhaben einer strukturellen Reform des Welterbekomitees. Mindestens genauso wichtig wie der Schutz des Welterbes ist der Schutz der Menschen vor Krieg und Terror. Hier kann die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik zumindest die Not der Menschen lindern, die durch Flucht und Vertreibung Opfer derartiger Ereignisse geworden sind. Ein Ansatz: Durch AKBP kann dazu beigetragen werden, dass in den Zufluchtsregionen dieser Welt, in den Lagern, aus denen es zur Sekundärmigration kommt, die Situation erträglicher wird und Menschen, die bereits gerettet sind, sich nicht erneut auf Wanderschaft begeben müssen. Es muss die allererste Pflicht der gesamten Staatengemeinschaft sein, die notwendigsten Bedürfnisse der Menschen in den Flüchtlingslagern – etwa in Jordanien, der Türkei und im Libanon – zu decken, ausreichend Nahrung, Schlafplätze und ärztliche Versorgung zu sichern. Gleich danach, meine Damen und Herren, sind es aber auch die kulturellen und pädagogischen Angebote, die für die oftmals traumatisierten Menschen eine deutliche Hilfe sind. Sie erleichtern den tristen Alltag und helfen, Traumata zu überwinden. Lebhaft in Erinnerung bleiben später, wenn Negatives aus dem Gedächtnis verschwindet, gerade die kulturellen Angebote. Hier können wir mit relativ wenig Einsatz viel bewirken. Sie, Frau Kollegin Roth, haben das zu Recht deutlich angesprochen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Sicherlich wird es neben der dringlichen Aufbau- und Entwicklungshilfe gerade auch die AKBP sein, die als eine der Ersten wieder nach Syrien zurückkehren wird, wenn dieser grausame Konflikt beendet ist. Noch mehr kann Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik bewirken, wenn sie präventiv ansetzt und dazu beiträgt, dass Konflikte erst gar nicht entstehen. Wenn im Zuge der Flüchtlingskrise in den vergangenen Wochen häufig die Rede davon war, dass die Fluchtursachen bekämpft werden müssen, dann ist damit zumindest begleitend auch die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik gemeint. Am Beginn eines friedlichen Miteinanders von Kulturen, von Religionen und von Nationen steht das gegenseitige Verständnis. Ein solches Verständnis kann nicht verordnet werden. Es entsteht langsam und muss im gegenseitigen Dialog auf Augenhöhe erarbeitet werden. Hier setzt der Schwerpunkt „Kooperation und Dialog“ der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik an. Jeder Euro, den wir in die Prävention von Konflikten investieren, ist gut angelegtes Geld. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Je früher dieses Prinzip in den Bildungsbiografien einer Gesellschaft ansetzt, desto besser. Deshalb fördert die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik den Kinder- und Jugendaustausch gerade auch durch Begegnungen an historischen Gedenkorten. Sie fördert darüber hinaus über verschiedenste Stipendienprogramme unter anderem Schüler, Studierende, Wissenschaftler und Künstler. Diese Investition in das kulturelle Verständnis und die Toleranz der kommenden Generationen ist eine Investition in eine friedliche Zukunft. Damit komme ich zum wichtigsten Kapital, das die deutsche Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik zu bieten hat. Es sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Mittlerorganisationen, Entsandte, Lektoren, Redakteure, Kulturmanager, Lehrer und andere. Sie, meine Damen und Herren, setzen Tag für Tag das um, was die Ausschüsse, der Bundestag, das Auswärtige Amt und die anderen beteiligten Ministerien beschließen. Dafür sage ich an dieser Stelle deutlich: Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Eine Gruppe möchte ich besonders hervorheben, nämlich unsere Auslandslehrkräfte. Das deutsche Auslandsschulwesen ist ein Flaggschiff der deutschen Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, was auch in dem vorliegenden Bericht klar seinen Niederschlag findet. Die deutschen Auslandslehrkräfte vermitteln unsere Werte in Regionen der Welt, in denen oftmals ein Mangel an Chancengleichheit und Demokratie herrscht. Sie leisten damit wertvolle Arbeit als Bildungs- und Wertebotschafter der Bundesrepublik Deutschland. Sie vermitteln und fördern als primäre Aufgabe die deutsche Sprache im Ausland. Die Vermittlung von Deutsch als Fremdsprache schafft eine nachhaltige Bindung an Deutschland bei denen, die dann auch unsere Sprache sprechen. Mindestens ebenso wichtig ist nach meiner Überzeugung die Vermittlung von Deutsch als Muttersprache dort, wo eine entsprechende Nachfrage besteht. Muttersprachlicher Unterricht ist für im Ausland lebende Deutsche und deren Kinder existenziell wichtig. Die Sprache ist Teil ihrer Persönlichkeit und Identität. Ohne entsprechende Angebote wären gerade diese in allen Gebieten im Ausland, in denen deutsche Gemeinschaften leben, erheblich gefährdet. Ich komme zurück auf die entsandten deutschen Lehrer. Seit bald 15 Jahren sind deren Bezüge von der Lohnentwicklung abgekoppelt. Der Unterausschuss für Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist sich in weiten Teilen darüber einig, dass sich die Probleme bei der Personalfindung für die deutschen Auslandsschulen erheblich verschärfen werden, wenn wir nicht bereits im nächsten Haushalt deutlich gegensteuern. (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Siegmund Ehrmann [SPD]) Ich komme zum Ende. – Mir ist natürlich klar, dass wir schon wegen der aktuellen Flüchtlingskrise vor großen Herausforderungen stehen. Trotzdem und gerade wegen der vorher dargelegten Bedeutung und Wirkungsweise der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik wäre ein nachlassendes Engagement auf diesem Gebiet fatal. Ich werbe daher eindringlich um die Unterstützung des gesamten Bundestages für diesen Bereich. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Doris Barnett hat für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Doris Barnett (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schön, zu sehen, dass der Unterausschuss Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik sich hier in weiten Teilen einig ist und wie eine Front steht. Das müssen wir als Haushälter auch zur Kenntnis nehmen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Sehr gut!) Aber auch bei uns – das wissen Sie – gibt es Grenzen. Ich sage einmal ganz unumwunden: Diese Grenzen kann praktisch nur der Bundesfinanzminister beseitigen. Wir haben zwar alle ein Einsehen bezüglich der Forderungen, die Sie stellen. Aber aus den Mitteln, die wir jetzt für die humanitäre Hilfe zusätzlich bekommen, die Gelder für die Schulen herauszuziehen, davor kann ich nur warnen. In der Tat ist die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik als unverzichtbarer Teil der Außenpolitik und damit auch der friedenstiftenden Politik zu begreifen. Deswegen haben wir zu Beginn dieser Legislatur bei den Mitteln kräftig zugelegt, und zwar wir Abgeordnete zusammen mit dem Außenministerium. Begonnen hat dies alles mit dem ReviewProzess im Dezember 2013. Daraus haben sich dann für die AKBP Schwerpunkte herauskristallisiert. Ich nenne zum Beispiel – darauf wurde immer hingewiesen – die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft. Das gilt insbesondere für die Länder der Östlichen Partnerschaft. 82 Projekte konnten gefördert werden. Wir konnten diesen Ländern damit helfen, einen Neuanfang zu beginnen, insbesondere was den Kampf gegen die Korruption betrifft. Das ist ein weiter Weg, den die Staaten gehen müssen. Aber ich denke, dass die Mittel, die wir in den – so will ich es einmal nennen – Ukraine-Topf hineingeben, gut angelegtes Geld sind. Ich kann aus eigener Erfahrung ein Beispiel nennen. In meiner Heimatstadt gibt es einen offenen Kanal. Ich habe die Verantwortlichen angeschubst und gesagt: Helft doch mal mit! – Die haben ein Projekt in der Ukraine auf den Weg gebracht. Jetzt entsteht in der Ukraine ein Bürgerfernsehen, also ein Fernsehprogramm gemacht von Bürgern für Bürger. Auch in Kaliningrad gibt es Menschen, die dieses Projekt kopieren möchten. Das ist die Arbeit, die wir uns wünschen. Dafür stellen wir auch die nötigen Mittel bereit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben gute Kulturmittler wie das GoetheInstitut, die Alexander-von-HumboldtStiftung, den DAAD oder das Deutsche Archäologische Institut. Es wurde schon darauf hingewiesen: Es ist wichtig, dass DAAD und das Deutsche Archäologische Institut vor Ort den Menschen helfen, zu begreifen, was alles in ihrer Heimat zerstört wird: Das ist ihre eigene Identität. An dieser Stelle müssen wir helfen. Wir sind dabei, die notwendigen Mittel bereitzustellen. Für mich ist ganz wichtig, dass wir dem GoetheInstitut zu altem Glanz, so will ich es sagen, verholfen haben. In der letzten Legislaturperiode wurden dem GoetheInstitut einfach mal so 15 Millionen Euro genommen. Diese Kürzung haben wir zurückgenommen. Das GoetheInstitut kann nun mit dem alten Ansatz wieder vernünftig arbeiten. Ich glaube, ich spreche auch im Namen des Kollegen Karl – ich sehe ihn im Augenblick nicht –, wenn ich sage: Vor Ort in Windhuk konnten wir sehen, wie toll das dortige GoetheZentrum angenommen wird. Wir haben mitgeholfen, dass es jetzt zu einem Institut ausgebaut werden kann. Darauf sind wir als Haushälter natürlich ein Stück weit stolz. Ein anderes Beispiel. Wenn wir auf Auslandsreisen sind, schauen wir uns immer die Schulen an. Im letzten Jahr haben wir die deutschen Schulen in Washington und in Accra, in Ghana, besucht. Natürlich gibt es schon allein hinsichtlich der baulichen Substanz riesige Unterschiede. Aber was immer wieder auffällt, ist, wie engagiert unsere Lehrer sind und welcher Glanz in den Augen der Kinder zu sehen ist, wenn man mit ihnen Deutsch spricht. Das ist eine Bestätigung dafür, dass wir hier hervorragende Arbeit leisten. In Accra haben wir nicht nur etwas für die Bildung, sondern auch etwas für die Wirtschaftsförderung getan. Wir haben nämlich gesehen, wie schlecht dort die Stromversorgung ist. Als wir wieder zu Hause waren, haben wir gesagt: Es wäre doch eine gute Idee, der deutschen Schule in Accra Solarpaneele zu geben, damit der Strom vor Ort erzeugt werden kann. Dann können auch die Klassenzimmer gekühlt werden, sodass die armen Kinder nicht bei 40 Grad lernen müssen. Das passiert jetzt gerade. Hier zeigen wir nicht nur, dass wir ein wirtschaftsstarkes Land sind, sondern auch, wie erneuerbare Energie erzeugt werden kann, und lernen sie an. Sonne haben sie reichlich. Dieses Modellprojekt an unserer Schule kann Schule machen. So kann man vieles miteinander verbinden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich bin froh, dass wir sowohl eine vernünftige Außen- und Kulturpolitik als auch ein Stück weit Wirtschaftspolitik machen können. Ich möchte darum bitten – bei der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik haben wir auch eine Regierungsvertreterin an unserer Seite –, dass wir unseren Finanzminister davon überzeugen, wie wichtig unsere Auslandsschulen und unsere Lehrer dort sind. Deswegen müssen wir für zusätzliches Geld trommeln. Hier setze ich auf uns alle, damit es uns gelingt. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Dr. Christoph Bergner hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer die Broschüre-Ausgabe des 18. Berichts zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik durchblättert, findet sehr viele schöne, ansprechende und sympathieweckende Fotos. Diese angenehmen Bilder dürfen uns allerdings nicht – das zeigt die bisherige Debatte – darüber hinwegtäuschen, dass sich die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik im Moment in einer Welt bewähren muss, die aus den Fugen geraten ist. Unsere Aufgabe als Parlamentarier besteht ganz wesentlich darin, die Arbeit der Mittlerorganisationen, die Arbeit unserer Auslandsvertretungen mit Kulturpartnern und anderen in den Kontext der bestehenden Konflikte zu rücken und die Lösungsansätze, die dabei gefunden werden, zu unterstützen. Das ist eine Aufgabe, die aus meiner Sicht sehr viel anspruchsvoller ist, als es auf den ersten Blick scheint. Gelegentlich ist die politische Analyse leichter als die Analyse der kulturellen und geistigen Hintergründe von Konfliktsituationen. Ich will deshalb an zwei aktuellen Stichworten versuchen, zu demonstrieren, was ich damit meine. Die Stichworte sind: Ukraine-Krise und Flüchtlingsfrage – Stichworte, die von Kolleginnen und Kollegen schon angesprochen wurden. Wenn ich „Ukraine-Krise“ sage, meine ich sehr viel mehr. Der 18. Bericht betont zu Recht, Frau Tank, den Schwerpunkt der Östlichen Partnerschaft in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik; denn es geht um den Wunsch der osteuropäischen und südkaukasischen Länder, besser: Gesellschaften, sich an europäischen Leitbildern zu orientieren – ein Wunsch, der in einen Kontrast, einen Gegensatz zu den politischen Leitbildern Russlands geraten ist. Es ist an dieser Stelle wichtig, sich klarzumachen, dass hinter den politischen Leitbildern Russlands auch geistig-kulturelle Vorstellungen stehen. Ich erinnere an die Schriften von Alexander Dugin, der die eurasische Idee pflegt und dies mit einem derartigen Sendungsbewusstsein vertritt, dass die Wirkung bis zu Marine Le Pen nach Frankreich reicht. Diese Dimensionen müssen wir im Blick haben, wenn wir Östliche Partnerschaft mit den Mitteln der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik fördern und unterstützen wollen. Insofern ist es richtig, dass die Kulturzusammenarbeit aus den Sanktionsmaßnahmen der EU ausdrücklich ausgenommen ist. Mit der gemeinsamen Pflege von Strawinsky oder Puschkin bis hin zu deutschen Autoren und deutscher Literatur schaffen wir gewissermaßen ein Gegengewicht zu trennenden Ideologien und trennenden Ansätzen und sorgen dafür, dass dieses Gegengewicht Raum erhält. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es ist richtig, dass wir einen Sondertitel – er ist schon erwähnt worden – zur Pflege zivilgesellschaftlicher Kontakte im Rahmen der Östlichen Partnerschaft haben. Auch das ist ein ganz wertvolles Instrument. Wir haben uns im Rahmen der Berichterstattung im Unterausschuss darüber informieren lassen. Ich will aber darauf hinweisen, dass es Disparitäten gibt, die bei diesem Aufgabenfeld durchaus problematisch sind. 25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs gibt es in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik nach wie vor Disparitäten zwischen Ost und West. Ich könnte mehrere Zahlen nennen, will aber beispielhaft nur die Zahl der Goethe-Institute nennen: Während es in Frankreich und Italien je sieben Goethe-Institute gibt, gibt es in Polen zwei und in der Tschechischen Republik nur ein Goethe-Institut. Wenn wir die Zahl der ins Ausland entsandten Lehrer miteinander vergleichen, kommen wir zu einer ähnlichen Betrachtung. Wenn wir uns also mit dem Thema der Östlichen Partnerschaft in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik befassen, das ich für außerordentlich wichtig halte und das im 18. Bericht auch ausdrücklich hervorgehoben wird, dann müssen uns die bestehenden Disparitäten beunruhigen. Ich komme zum zweiten Punkt, der Flüchtlings- bzw. Migrationskrise. Hierzu ist schon viel gesagt worden. Ich fände es richtig, wenn es sich bestätigen sollte, dass von den zusätzlichen Mitteln, die für Flüchtlinge zur Verfügung gestellt werden, ein bestimmter Anteil für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik reserviert wird. Ich halte es für einen außerordentlich wichtigen Beitrag, nicht allein bei den unmittelbaren, „harten“ humanitären Maßnahmen anzusetzen, sondern durchaus auch Maßnahmen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik mit im Blick zu haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Flüchtlingslager sind schon angesprochen worden. Wir dürfen nicht zulassen, dass eine verlorene Generation entsteht. Das zu verhindern, ist richtig und sollte von uns unterstützt werden. Ich will aber in diesem Kontext auf einen anderen Punkt hinweisen, der mir Sorge macht – ich erkenne hier ein Bewährungsfeld der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik –: Wir wollen, dass die Flüchtlingsaufnahme europäisch gelöst wird; das heißt, wir wollen gemeinsame Verfahren und eine faire Verteilung der Aufgenommenen. Wir kennen die Probleme, auf die wir dabei gestoßen sind und die im Moment durch Mehrheitsentscheidung im JI-Rat vorübergehend gelöst scheinen. Die Weigerung, Flüchtlinge aufzunehmen, interpretieren wir im Moment mit einer gewissen Berechtigung als einen Mangel an Solidarität. Aber ich glaube, sich allein darauf zu berufen, greift zu kurz. Als Politiker im Bereich der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik sollten wir uns herausgefordert fühlen, wenn der slowakische Innenminister sagt: „Die Slowakei will keine Muslime aufnehmen“ und wenn der ungarische Ministerpräsident sein Land in die historische Tradition stellt, Bollwerk des christlichen Abendlandes zu sein. Dies sind Sichtweisen, die eine gewisse nationale Prägung zum Ausdruck bringen. Wenn wir Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ernst nehmen, dann müssen wir die Herausforderung annehmen, in einen Dialog über die Frage einzutreten, wie wir bei so unterschiedlichen nationalen Prägungen gewissermaßen zu einem europäischen Gemeinwohlbegriff kommen können. Ich glaube, der dogmatische Verweis auf die Grundwerte der Europäischen Union allein löst dieses Problem nicht. Der Gedanke der Schaffung gemeinsamer kultureller Identitäten im vereinten Europa und unter den Mitgliedstaaten hat schon im Review-Prozess des Auswärtigen Amtes eine Rolle gespielt. Insofern wünsche ich mir durchaus, dass wir auch hier, bei dieser Frage, Dialogformen und -möglichkeiten organisieren, die das Ganze nicht allein zu einer Frage von Mehrheit oder Minderheit, sondern zu einer Frage der kulturellen Verständigung machen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Martin Rabanus das Wort. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Martin Rabanus (SPD): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, wir hatten bisher eine richtig gute Debatte; denn sie belegt, dass es im ganzen Hause sehr viel Übereinstimmung hinsichtlich der Bedeutung der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik gibt, und sie hat noch einmal klargestellt: Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist kein Sahnehäubchen – wie Frau Kollegin Roth das gesagt hat –, sondern sie ist eine tragende Säule der deutschen Außenpolitik. (Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Das möchte auch ich als Bildungspolitiker und als Mitglied des Ausschusses für Bildung und Forschung unterstreichen. Es ist auch deutlich geworden, welche wichtigen Funktionen die Mittlerorganisationen wahrnehmen, dass sie zum Teil unter schwierigsten Bedingungen Menschen zusammenbringen, auch zusammenhalten, getreu dem Motto „Wer miteinander spricht, wird gegeneinander weniger gewalttätig“. Deswegen gebührt denjenigen, die diese Arbeit leisten, unser aller Dank; Herr Dr. Fabritius hat auch schon dafür gedankt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Es gibt natürlich auch noch einiges zu besorgen. Für den Bereich der deutschen Auslandsschulen ist das bereits angedeutet worden. Daher muss ich nicht das wiederholen, was Frau Kollegin Schmidt gesagt hat und was Sie, Frau Staatsministerin Böhmer, bestätigt haben. Ich ahne, dass der Kollege Feist nachher noch etwas dazu beiträgt, (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Was ihr immer ahnt!) nämlich was die Stärkung der beruflichen Bildung an den deutschen Auslandsschulen angeht. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ja, richtig!) Wir sind da ja auch ganz einer Meinung. Wir diskutieren das in Bildungszusammenhängen immer wieder. Das finde ich auch richtig und wichtig. Ich will ein weiteres Stichwort nennen, über das wir noch nicht gesprochen haben: Das ist die Außenwissenschaftspolitik. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir als Bundesrepublik Deutschland, liebe Kollegin De Ridder, haben einiges dazu beizutragen, wenn ich an die Fachhochschulen und die anwendungsorientierten Hochschuleinrichtungen denke. Zurück zu dem, was wir aktuell leisten. Der Studierendenaustausch und der Wissenschaftleraustausch sind angesprochen worden. Im Bereich des Bundesbildungsministeriums stellen wir dafür – über den dicken Daumen gepeilt – 140 Millionen Euro bereit. Liebe Frau Kollegin Roth, ich würde mich Ihrer Forderung, dass wir mit dem Herrn Finanzminister auch noch einmal über den Bildungshaushalt sprechen, gerne anschließen wollen. (Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut!) Auch da hätten wir noch ein paar Dinge zu besorgen, um bereits begonnene, aber auch sinnvolle weitere Projekte anschieben zu können – das aber nur als Fußnote –, das betrifft insbesondere den DAAD. Wir lassen uns die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik relativ viel kosten, um das Bild Deutschlands in der Welt positiv zu prägen. Die Welt hat ja auch ein tolles Bild von Deutschland. Das merken wir an unserer aktuellen Beliebtheit bei den Flüchtlingen. Ich will es einmal so herum sagen: Wir dürfen durchaus stolz darauf sein, dass alle der Auffassung sind: In Deutschland kann man ein gutes Leben führen. – Das ist nicht zu beklagen. Vielmehr ist die Frage, wie wir produktiv damit umgehen. Und es ist bereits angedeutet worden: Unsere Mittlerorganisationen sind nicht nur im Ausland gut, sie sind auch im Inland gut. Die Vorschläge des Goethe-Institutes sind angesprochen worden. Auch der DAAD hat Vorschläge entwickelt, wie man diese Kompetenz im Inland einsetzen kann. Ich finde tatsächlich – Frau Müntefering hat es angesprochen –, dass wir die Frage der Onlineplattformen, der MOOCs, die sehr schnell eine große Reichweite haben können, sehr ernst nehmen müssen. Es gibt viele Hochschulen, die entsprechende Angebote machen. Wir haben Partner, die sie in die Fläche bringen können. Das wird nicht zum Nulltarif zu machen sein. Umso wichtiger ist, dass wir hier etwas tun. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Lassen Sie mich zum Abschluss noch ein konkretes Beispiel nennen, wie es aussehen kann, wenn sich Start-ups dieses Themas annehmen. Die Kiron University in Berlin – der eine oder andere wird das in den Medien verfolgt haben – ist ein Start-up, das eine Hochschule speziell für Flüchtlinge gegründet hat. In den ersten zwei Jahren tritt sie ausschließlich mit Onlineangeboten an Flüchtlinge heran. Im dritten Jahr möchte sie mit Partneruniversitäten arbeiten. Das soll zu einem Bachelorabschluss führen. Das ist eine ganz großartige Sache. Ich finde, dass wir solche Initiativen unterstützen sollen, können und müssen. Ich werde das später an Herrn Rachel vom BMBF weitergeben, weil ich glaube, dass so mit relativ wenigen Mitteln sehr viel geholfen werden kann, sodass viele Menschen hier möglichst optimale Bildungsangebote bekommen und Ressourcen nicht verschwendet, sondern für unser Land erschlossen werden. (Beifall der Abg. Ulla Schmidt (Aachen) [SPD] und Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Dann können wir mit Recht sagen: Wir schaffen das. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Dr. Thomas Feist hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mir bei den vorherigen Reden einmal die Zeit genommen, auf die Tribünen zu schauen. (Zuruf des Abg. Dr. André Hahn [DIE LINKE]) – Doch, ich kann gleichzeitig hören und schauen. Wenn Sie das nicht können, müssen Sie es einmal trainieren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Kollege Gysi kann das auch. Schauen Sie es sich einmal ab von ihm! – Ich habe die Konzentration in den Gesichtern der jungen Menschen gesehen – ich würde es zumindest freundlicherweise als Konzentration interpretieren –, wenn von Auswärtiger Kultur- und Bildungspolitik gesprochen wurde. Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, was für ein sperriger Ausdruck! Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht: Bei mir im Wahlkreis muss ich jedes Mal erklären, was das ist. Da Plenarsitzungen sozusagen das Schaufenster des Parlaments sind, würde ich das auch an dieser Stelle gerne einmal versuchen: Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist gewissermaßen der sichtbare Teil der Außenpolitik. Während Diplomaten meistens hinter verschlossenen Türen agieren und später mit irgendeinem Ergebnis herauskommen, werden die Ergebnisse in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik sichtbar gemacht.  Da wir am Vortag des 25. Jahrestages der deutschen Einheit sind, möchte ich das gern einmal aus einer persönlichen Sichtweise heraus illustrieren. Ich habe mein halbes Leben in einem Land verbracht, das es nicht mehr gibt. Es hieß Deutsche Demokratische Republik oder, wie Erich Honecker immer nuschelnd gesagt hat, „Deutsche Kratische Plick“. (Heiterkeit) In diesem Land hatten wir zwar Westfernsehen – ich bin in Leipzig groß geworden, nicht im Tal der Ahnungslosen – und konnten uns informieren; natürlich wurden wir über den schwarzen Kanal von Karl-Eduard von ­Schnitzler, bei uns liebevoll „Sudel-Ede“ genannt, auch immer informiert, wie schrecklich „da drüben“ alles ist. Aber wirklich interessant war, was sich mit Kultur verbunden hat; denn Kultur spricht jeden Menschen an. Sie spricht die Sinne an, die Vernunft und die Emotionen. Genau dafür bieten wir Orte an, beispielsweise mit den weltweit vorhandenen Goethe-Instituten, aber auch mit anderen Einrichtungen. Dadurch erreichen wir nicht nur den Verstand, sondern auch die Herzen der Menschen. Deswegen ist Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik eine gute Art der Politik. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es gab und gibt zum Glück noch heute in Leipzig das Polnische Informations- und Kulturzentrum. Nun kann man sich über Polen auch über Bücher informieren; das machen viele sicher auch. Sie lesen und schauen im Internet – das hatten wir damals noch nicht –, was da so los ist. In diesem Informations- und Kulturzentrum gab es genau das, was mich als jungen Menschen damals interessiert hat, zum Beispiel Musik von Czeslaw Niemen, elektronische Musik oder die sogenannten Lizenzplatten von den Sex Pistols. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Sex Pistols?) – Ja, kennst du die noch, Michaela? Super Musik! – Darüber hinaus gab es – das organisieren auch unsere Goethe-Institute – Veranstaltungen. Die Veranstaltungen, die das Polnische Informations- und Kulturzentrum durchgeführt hat – das waren meistens irgendwelche wilden Free-Jazz-Konzerte, was vielleicht nicht jedermanns Musik ist –, boten die Möglichkeit, mit Menschen aus anderen Ländern zusammenzukommen, mit Künstlern, mit Kreativen, mit Verrückten. Das war eine tolle Sache. Deswegen ist das, was wir hier machen, wirklich gut. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Martin Rabanus [SPD] – Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, bei Verrückten fühle ich mich angesprochen!) – Claudia, ich habe die Toten Hosen nicht erwähnt. Ton Steine Scherben sind auch gut gewesen. Außerdem gab es zu DDR-Zeiten gar nicht weit von hier, Unter den Linden, ein französisches Kulturzentrum, gar nicht weit weg von der Berliner Mauer. Ich hatte damals als zweite Fremdsprache – Russisch war ja für alle als erste Fremdsprache verpflichtend – nicht Englisch, sondern Französisch gewählt. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Gute Wahl!) Nun, mit wem konnte man in der DDR Französisch sprechen? Mit niemandem! Deswegen war es unheimlich wichtig, dass es hier in Berlin ein französisches Kulturzentrum gab, wo es Bücher gab, wo man sich auch einmal eine Schallplatte kaufen konnte. Das war sozusagen unser Blick in die Welt, und zwar ein Blick, der nicht von irgendwelchen Klischees geprägt war; der war echt. Es ist daher wichtig, dass wir mit den Goethe-Instituten weltweit Möglichkeiten für einen solchen Blick in die Welt schaffen. Ich gebe dem Kollegen Bergner recht: Wir müssen schauen, wie man das in Zukunft noch ein bisschen ausgeglichener gestalten kann. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber etwas Gewachsenes abzusägen, ist sehr schwierig; das muss man schon sagen. – Für Menschen die Möglichkeit zu schaffen, sich auszutauschen, das ist eine tolle Sache, und das ist Außenpolitik. So verstehe ich die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Sie ist Außenpolitik nah am Menschen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es ist außenpolitisch wichtig, wenn Menschen mit klangvollen Namen von A nach B reisen, sich tief in die Augen schauen und sich die Hände schütteln. Das ist alles gut; ich habe nichts dagegen. „Nah am Menschen“ heißt aber, dass wir jungen Menschen die Möglichkeit geben, in diese Begegnungen einzusteigen; denn die jungen Menschen von heute sind diejenigen, die morgen oder übermorgen Verantwortung übernehmen müssen. – Gemeint seid auch ihr auf der Tribüne. Wir haben einen Antrag vorgelegt, in dem es darum geht, im Bereich der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik den Jugendaustausch zu verstärken. Ich finde, das ist eine gute und sinnvolle Sache. Leider gibt es verschiedene Stellungnahmen von Kulturorganisationen, die das gar nicht gut finden. Sie sagen: Wieso? Jetzt wollt ihr uns vorschreiben, was wir machen sollen, in welche Richtung wir gehen sollen? – Dazu kann ich nur sagen: Liebe Kulturorganisationen, fragt, bevor ihr das nächste Mal eine solche Kritik äußert, vorher die Menschen, die diesen Antrag geschrieben haben, die sich damit beschäftigt haben. Natürlich haben wir das Feld der freien Jugendarbeit und des Jugendaustausches, wo eigene Ideen einfließen können. Dafür ist aber ein anderes Ministerium zuständig. Bei uns geht es darum, mehr jungen Menschen im Bereich der auswärtigen Politik die Möglichkeit zu geben, an diesem Austausch teilzunehmen, und zwar bezogen auf die Schwerpunkte, die wir gesetzt haben. Die Östliche Partnerschaft ist angesprochen worden; aber es gibt auch andere. Die jungen Menschen sollen verstärkt die Möglichkeit erhalten, durch Partizipation, durch eigenes Erfahren zu lernen, wie wichtig das ist. Warum ist das wichtig? Jetzt komme ich noch einmal ganz kurz auf die Bücher zurück: Aus Büchern kann man viel über ein Land lernen – mittlerweile kann man sich auch im Internet informieren ; aber die Begegnung von Menschen kann durch Bücher nicht ersetzt werden. Genau diese Begegnung von Menschen ermöglichen wir durch den Jugendaustausch im Rahmen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Deswegen ist es richtig, dass wir als Parlament diesen Titel aufstocken wollen. Ich bitte alle herzlich dabei um Unterstützung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) – Es ist immer schwer, Beifall zu spenden, wenn der Redner keine Pause macht. Ich verstehe das; aber so ist das nun einmal, wenn es einen mitreißt. Frau Kollegin Schmidt, Sie wissen ja selber, wie das ist. Ich möchte auf die deutschen Auslandsschulen zurückkommen, um deutlich zu sagen, wie wichtig sie sind. Die deutschen Auslandsschulen sind mitnichten Schulen, die exklusiv die Beschulung von Deutschen im Ausland übernehmen, sondern sie sind offen für junge Menschen aus diesen Ländern. Deswegen ist es wichtig, dass wir diese deutschen Schulen in Zukunft besser ausstatten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wichtig ist auch, dass die Lehrer – über sie ist schon mehrfach gesprochen worden – so vergütet werden, dass sie es attraktiv finden, im Ausland zu unterrichten. Die Lehrer bleiben ja nicht immer dort. Sie kommen zurück. Angesichts der Entwicklungen in Europa und in unserem Land sind das genau die Lehrkräfte, die wir brauchen. Sie haben einen breiten interkulturellen, interreligiösen Hintergrund und können deswegen eine bessere Beschulung von Kindern und Jugendlichen hier vor Ort ermöglichen. Deswegen ist es wichtig, dass wir in diesem Bereich tätig sind. Frau Präsidentin, mit Verlaub, an dieser Stelle möchte ich gerne unserer Staatsministerin danken: Ich finde Ihr Engagement sehr gut. Es gab schon andere Staatsministerinnen, die sich nicht so engagiert eingesetzt haben. Mit Ihnen wissen wir eine verlässliche Partnerin an unserer Seite. Bitte richten Sie das auch dem Außenminister aus. Wir kämpfen für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Wenn Sie das im Ministerium auch machen, kann gar nichts schiefgehen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/5057 und 18/579 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Roland Claus, Dr. Gregor Gysi, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Ungerechtigkeiten bei Mütterrente in Ostdeutschland und beim Übergangszuschlag beheben Drucksache 18/4972 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Dr. Gregor Gysi, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Spezifische Altersarmut Ost durch Korrektur der Rentenüberleitung beheben Drucksachen 18/1644, 18/5290 Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Dietmar Bartsch für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Ich freue mich, dass Sie bei diesem Tagesordnungspunkt präsidieren. Meine Damen und Herren! Wir hatten heute früh eine sehr umfangreiche und intensive Debatte zur deutschen Einheit. Bei allen Rednerinnen und Rednern ist deutlich geworden, dass die Menschen – trotz mancher Defizite – auf das stolz sein können, was wir in den 25 Jahren erreicht haben, und zwar die Menschen in Ost und West. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie des Abg. Rüdiger Veit [SPD]) Aber eines bleibt: Bei der Rente haben wir weiterhin ganz große Defizite. Wir als Linke haben heute, ein Vierteljahrhundert nach Herstellung der deutschen Einheit, diese Debatte beantragt, um am Tag vor diesem Jubiläum ein Zeichen zu setzen, ein Zeichen für mehr soziale Gerechtigkeit. Deswegen lassen wir im Übrigen auch namentlich abstimmen. Ich hoffe, dass insbesondere die ostdeutschen Abgeordneten, die häufig in Wahlkämpfen sagen, dass sie sich dafür einsetzen werden, diese Gelegenheit nutzen und heute so abstimmen, wie sie es ihren Wählerinnen und Wählern versprochen haben. (Beifall bei der LINKEN) Die Mehrheit des Hauses muss heute einfach nur den Anträgen der Linken zustimmen und die Bundesregierung beauftragen, die Ungerechtigkeiten bei der Rentenüberleitung und bei der Mütterrente zu beenden. Hier spricht ein Haushälter zu Ihnen. Daher möge niemand mit dem Argument kommen, das sei nicht zu bezahlen. Ich könnte Ihnen jetzt ganz viele Beispiele nennen, die zeigen, für welche Bereiche wir in letzter Zeit sehr schnell sehr große Summen beschlossen haben. Wenn wir das beschließen würden, hätten Tausend Ältere in unserem Land morgen noch einen Grund mehr, zu feiern. (Beifall bei der LINKEN) Es bleibt: Die fehlende Angleichung der Renten ist zum Symbol der Rechtsungleichheit Ost/West geworden. Die Beseitigung der Rentenungerechtigkeit wäre ein wichtiger Beitrag zur deutschen Einheit. (Beifall bei der LINKEN) Ich will daran erinnern, dass Frau Merkel auf dem Seniorentag im Juni 2009 gesagt hat: Ich stehe dazu, dass wir eine solche Angleichung von Ost und West brauchen. Ich würde ... sagen, dass das Thema in den ersten beiden Jahren der nächsten Legislaturperiode erledigt sein wird. Das wäre 2011 gewesen. Wir schreiben inzwischen das Jahr 2015. Jetzt sagen Sie, es solle eventuell bis 2019 geschehen. Das wäre wieder die nächste Legislaturperiode. Das glaubt Ihnen niemand. Den Ankündigungen der Kanzlerin müssen endlich Taten folgen. Heute ist die Gelegenheit dazu. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Überleitung der Alterssicherungssysteme der DDR in bundesdeutsches Recht Anfang der 90er-Jahre war zweifelsfrei eine sehr komplexe Herausforderung. Ich will auch deutlich sagen, dass vieles dabei gelungen ist. Vieles ist, Gott sei Dank, auch erkämpft worden. Aber es ist nicht alles gut. Viele Menschen aus der DDR haben nach der Herstellung der staatlichen Einheit Rentengerechtigkeit leider nicht mehr erlebt. Die Beendigung aller Diskriminierung und Regelungen, die die Lebensleistung aus DDR-Zeiten nicht anerkennen, wäre für viele Ältere finanziell wichtig; dies wäre soziale Gerechtigkeit. Ich will Ihnen drei Beispiele nennen. Erstens: die Mütterrente. Es gibt unterschiedliche Rentenentgeltpunkte Ost und West und damit Kinder erster und zweiter Klasse. Das gilt nicht nur für Kinder, die in der DDR geboren sind, sondern auch für Kinder, die nach der Wende auf dem Territorium der ehemaligen DDR geboren sind. Es ist so, dass ein Kind, das im Jahre 1991 in Stuttgart geboren wurde, für die Mutter 29,21 Euro wert ist, ein Kind, das in Schwerin geboren wurde, allerdings nur 27,05 Euro. Ja, geht‘s noch? Das ist doch völlig inakzeptabel. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wie kann man akzeptieren, dass Kinder unterschiedlich viel wert sind, meine Damen und Herren von der Großen Koalition? Das ist neues Unrecht, das Sie geschaffen haben. Ein zweiter Punkt: die Überführungslücken für viele Beschäftigungsgruppen. Ich will die in der Braunkohleveredelung Beschäftigten – wahrhaftig nicht „staatsnah“ – nennen. Es leben noch 400 Betroffene, deren Rentenansprüche nicht anerkannt werden. Das ist weder sozial noch gerecht. Das ist einfach kleinkariert. Es geht in der Braunkohleveredelung um 400 Menschen. Das muss doch zu machen sein! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es gibt übrigens weitere Berufsgruppen, für die dasselbe gilt. Ich will ein drittes Problem nennen: die aus der DDR Geflüchteten, Abgeschobenen und Ausgereisten. Einer der Betroffenen, Gundhardt Lässig, sitzt heute Mittag auf der Tribüne. Wir haben damals, vor der Wende, so manchen Abend zusammen verbracht, auch viele Tage im schönen Prerow, wo wir manchmal zusammen am Strand gestanden haben. Er hat, als er damals gegangen ist, wie viele andere auch den „Wegweiser“ des Bundesministeriums des Innern für Flüchtlinge und Übersiedler aus der DDR bekommen, in dem es heißt: Flüchtlinge und Übersiedler aus der DDR oder Berlin (Ost) werden in der gesetzlichen Rentenversicherung grundsätzlich so behandelt, als ob sie ihr gesamtes Arbeitsleben in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt hätten. Für sie galt das sogenannte Fremdrentengesetz. Durch eine kleine Gesetzesänderung im Jahre 1993 – kaum beachtet – wurde diese Regelung abgeschafft. Für die DDR-Arbeitszeiten werden sie seitdem rentenrechtlich wieder behandelt wie ehemalige DDR-Bürger. Für ihn, für Gundhardt, sind das 500 Euro Monatsrente weniger. Jeden Monat! Das ist völlig inakzeptabel. Betroffen sind 200 000 Einzelpersonen. Ändern Sie das! Ändern Sie das wenigstens für diese Personengruppe! (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist im Übrigen egal, was das Bundesverfassungsgericht dazu ausführt. Es urteilt darüber, ob eine Regelung gegen das Grundgesetz verstößt. Hier geht es aber um eine soziale Frage. Diese Regelung ist nicht sozial gerecht, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zumal für diejenigen, die in die Schweiz gegangen sind, etwas anderes gilt. Für diejenigen, die in der Schweiz leben, gilt die alte Regelung weiterhin. Das ist doch völlig inakzeptabel. Nehmen Sie sich ein Beispiel daran! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, 25 Jahre deutsche Einheit, das ist eine gute Gelegenheit, Bestrafungen von ehemaligen DDR-Bürgern und von Bundesbürgern, die auf dem Gebiet der ehemaligen DDR gelebt haben, zu beenden. Sie haben eine ganz einfache Möglichkeit: Stimmen Sie mit der blauen, nein, roten, Stimmkarte ab! Dann tun Sie am Vortag der Feierlichkeiten zu 25 Jahren deutscher Einheit ein sehr gutes Werk. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Jana Schimke hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Jana Schimke (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben heute Morgen eine sehr interessante, sehr aufschlussreiche Debatte geführt, weil wir morgen unseren Nationalfeiertag begehen und 25 Jahre deutsche Einheit feiern. Diese Debatte hat vor allem eines deutlich gemacht: Sie hat nicht das gezeigt, was Kollege Bartsch gerade dargestellt hat – wo Unterschiede bestehen –, sondern sie hat gezeigt, wo wir einig geworden sind, wie weit wir letztendlich vorangekommen sind. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber es gibt auch noch Unterschiede!) Das Projekt „Deutsche Einheit“ zielt darauf ab, Einheit zu schaffen. Wenn man zwei unterschiedliche Staaten zusammenführt, dann ist es schlichtweg nicht möglich, dafür zu sorgen, dass sich wirklich jeder Einzelne bis ins letzte Detail mit all seinen Interessen wiederfindet. (Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: Genau!) Es geht darum, eine gesamte Gesellschaft zusammenzuführen. Wir erleben das bei unserer Arbeit täglich, wenn wir mit Bürgerinitiativen oder mit größeren Gruppen von Menschen sprechen: Es ist nie möglich, für alle immer das Bestmögliche zu erreichen. Letztendlich kommt es in einer Demokratie aber darauf an, dass sich die Mehrheit wiederfindet und dieses System akzeptiert. Ich glaube, da sind wir nach 25 Jahren sehr weit gekommen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich habe es schon einmal gesagt: Die Wiedervereinigung war ein gesamtgesellschaftlicher Kraftakt – das muss man so deutlich sagen –, auf den ganz Deutschland, auf den wir alle sehr stolz sein können. Wir können insbesondere auf die politische und die soziale Einheit stolz sein, die von den Kollegen der Linken immer wieder in Zweifel gezogen und abgelehnt wird. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Rede für die Debatte heute Morgen! Wir sind jetzt bei einem anderen Thema! Sagen Sie doch mal was zu den Unterschieden!) Gerade im Bereich der sozialen Einheit sind wir sehr weit vorangekommen; das gilt es auch anzuerkennen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, eine der wichtigsten sozialpolitischen Entscheidungen der deutschen Einheit war das Renten-Überleitungsgesetz. Es steht für eine großartige Leistung aller Versicherten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Letztendlich kam es ja darauf an, zwei unterschiedlich aufgebaute und finanzierte Sozialsysteme miteinander in Einklang zu bringen, und das vor dem Hintergrund einer heruntergewirtschafteten DDr. Wer glaubt denn ernsthaft, dass solch ein Prozess ohne Nachteile für den einen oder anderen vonstattengeht? Es war und ist schlichtweg nicht möglich, alle Härte- und Einzelfälle sowie die damals entstandenen Ansprüche des einen Systems abzubilden. Ganz ehrlich: Bei der Frage, wie wir unser Rentenrecht ausgestalten, kam es eben nicht darauf an, ob jemand „staatsnah“ war. Das sehen wir gerade auch bei der Vielzahl an Gruppen, die heute mitunter noch ihr Recht einklagen. Es ging um die gesamte Gesellschaft und nicht darum, was jemand geleistet oder auch nicht geleistet hat. Dennoch ist es nachvollziehbar, dass sich Betroffene durch entsprechende Regelungen benachteiligt fühlen; das gebe ich durchaus zu. So nehmen wir zum Beispiel das Anliegen der DDR-Flüchtlinge sehr ernst. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen! Nicht nur ernst nehmen!) Wir alle wissen, dass diese Menschen sehr viel gewagt und auch aufgegeben haben. Aber das Fremdrentengesetz galt als Ausnahmetatbestand und war ausweislich der Gesetzesbegründung von Beginn an nur als Übergangslösung vorgesehen. Auch das gehört zur Wahrheit, und auch das muss gesagt werden. Sie werden dadurch nicht zu Bürgern der DDR gemacht, wie es oftmals von der Linken behauptet wird. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!) Was geschieht, ist lediglich, dass man bei der Rentenberechnung an Sachverhalte aus DDR-Zeiten anknüpft. Aber sie werden nicht zu Bürgern der DDR gemacht, meine Damen und Herren. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das sind wir alle nicht mehr!) Auch bei den in der DDR Geschiedenen ist die Lage eindeutig. Man muss wissen, dass das Recht in der DDR im Scheidungsfall keinen Versorgungsausgleich kannte. Deshalb wurde er auch mit dem Renten-Überleitungsgesetz nicht nachträglich eingeführt. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Schimke, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Matthias W. Birkwald? Jana Schimke (CDU/CSU): Gerne. – Herr Birkwald. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben gesagt, die soziale Einheit sei sehr weit gediehen und wir Linken würden das nicht anerkennen. Dazu möchte ich zunächst einmal sagen, dass wir gerade, was die Rentnerinnen und Rentner angeht, sehr wohl anerkennen, was mit der Überleitung geleistet worden ist, dass es für viele Rentnerinnen und Rentner deutliche Verbesserungen gegeben hat. Das erkennen wir ausdrücklich an. Aber wir kritisieren die Lücken und die Ungerechtigkeiten, die es in diesem Prozess in der Vergangenheit gegeben hat und die es heute noch gibt, und das machen wir ebenso deutlich. Eben haben Sie von denen gesprochen, die aus der DDR – in der Regel aus guten Gründen – geflohen sind und heute, wie Kollege Bartsch vorhin ausgeführt hat, zum Teil 500 Euro Rente im Monat weniger bekommen. Nur für alle Menschen, die bis 1936 geboren wurden, gab es einen entsprechenden Schutz. Wer nach 1936 geboren wurde und aus der DDR in die Bundesrepublik geflohen ist, dem wurde zugesichert: Du bekommst dieselbe Rente, als wenn du hier immer als Ingenieur, Krankenschwester oder Lehrerin gearbeitet hättest. – Das ist aber nicht der Fall. Diese Betroffenen sagen selbst: Wir werden nachträglich wieder zu DDR-Bürgerinnen und -Bürgern gemacht, zu Bürgern des Staates, aus dem wir geflohen sind. – Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich habe noch eine andere Frage. Wir haben am 12. Juni 2015 einen Beschluss des Bundesrates auf den Tisch bekommen, in dem der Bundesrat die Bundesregierung auffordert, mit den Vorbereitungen zur Vereinheitlichung der Rentenwerte nicht erst 2016, sondern umgehend zu beginnen. In der Stellungnahme der Bundesregierung dazu heißt es: Nö, das haben wir gar nicht nötig. – Die Zeitung Die Welt wiederum schrieb am 21. September, dass es einen gemeinsamen Antrag (Zurufe von der CDU/CSU: Frage!) der Koalition gibt – Sie haben gerade auf die Debatte von heute Morgen Bezug genommen –, worin steht, dass die Bundesregierung sofort mit der Teilangleichung beginnen soll. (Dr. Astrid Freudenstein [CDU/CSU]: Da müsste die Sitzungsleitung reagieren! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Sie haben keine Redezeit!) Ich habe es in der Drucksache nachgelesen: Der Satz steht nicht mehr drin. Bitte erklären Sie uns, warum Sie die Ostrentnerinnen und Ostrentner im Regen stehen lassen und sie auf 2019 vertrösten. Alle Erfahrung sagt uns: Das wird wieder nichts. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Birkwald. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Die Kanzlerin hat es vor zehn Jahren versprochen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Sie hatten die Chance, zu wählen, ob Sie eine Frage stellen oder eine Bemerkung machen. Aber Sie sollten das dann auch deutlich machen. Jana Schimke (CDU/CSU): Herr Birkwald, vielen Dank für Ihre Anmerkungen, die ich selbstverständlich zur Kenntnis genommen habe. Was wir in Bezug auf die Angleichung der Renten im Jahr 2016 tun, ist, uns an den Koalitionsvertrag zu halten. (Beifall der Abg. Waltraud Wolff (Wolmirstedt) [SPD]) So ist es auch in unserem Antrag, den wir heute Morgen beraten haben, festgehalten. Wir werden uns im kommenden Jahr mit diesem Thema auseinandersetzen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Meine Damen und Herren, ich war in meinen Ausführungen bei den in der DDR Geschiedenen stehen geblieben. Zur Erinnerung: Der Versorgungsausgleich wurde in der alten Bundesrepublik 1977 eingeführt. Die Gesetzgeber haben sich damals darauf verständigt, dass der Versorgungsausgleich nur für Ehen gilt, die ab diesem Zeitpunkt geschieden wurden. Somit können auch die in Westdeutschland vor diesem Stichtag geschiedenen Ehepartner nicht von der Regelung des Versorgungsausgleichs profitieren. Auch die Mütterrente ist heute wieder Gegenstand unserer parlamentarischen Debatte. Ja, es stimmt, dass eine Rentnerin im Osten 27 Euro und im Westen 29 Euro Mütterrente pro Kind erhält, und ja, wir wissen, dass dies ein Unterschied ist, der uns perspektivisch nicht zufriedenstellen kann. Aber wir haben bei der Einführung der Mütterrente nichts anderes gemacht – das adressiere ich gerade auch an die Linke, die uns immer wieder mit diesen Fragen konfrontiert –, als uns schlichtweg an geltendes Recht zu halten. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind der Gesetzgeber! Wir können geltendes Recht ändern! Dazu sind wir da!) Wir haben geltendes Recht eingehalten und angewandt. Natürlich würden wir uns auch wünschen, dass Ost und West 25 Jahre nach der Wiedervereinigung keine Unterschiede mehr aufweisen. Aber wirtschaftlicher Aufschwung und Wachstum – damit hängt die Rentenpolitik nun einmal zusammen – können nicht politisch verordnet werden; ich habe Verständnis dafür, dass man das gerade den Linken immer wieder erklären muss. Wir haben uns doch etwas dabei gedacht, als wir nach der Wiedervereinigung den Hochwertungsfaktor in der Rente eingeführt haben. Auch er ist an die jährliche Lohnentwicklung und damit an die wirtschaftlichen Gegebenheiten unseres Landes angepasst. Der Rentenwert ist nichts anderes als Ausdruck dessen, wo wir momentan stehen, und ich bin davon überzeugt – das ist heute schon in vielen Reden der Kollegen deutlich geworden –: Wir stehen nicht schlecht da. Im Gegenteil: Wir stehen gut da. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir haben seit der Wiedervereinigung bei der Angleichung der Renten große Fortschritte erzielt. Seit der Wiedervereinigung stiegen die Renten in den neuen Bundesländern um deutlich mehr als 100 Prozent. In den alten Bundesländern hingegen betrug der Anstieg nur 25 Prozent. Der Rentenwert Ost beträgt heute mehr als 92 Prozent, und er steigt jährlich. Wir können uns trefflich darüber streiten, ob das Glas halb voll oder halb leer ist. Ich glaube, es ist ersichtlich, dass wir ein großes Stück vorangekommen sind, und absehbar, dass wir jährlich weiter vorankommen. Das sage ich auch den Bürgerinnen und Bürgern in meinem Wahlkreis immer wieder, und das ist sehr einleuchtend. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da klatscht noch nicht mal die Union!) Ich kann auch keine spezifische Altersarmut Ost erkennen, von der Sie immer wieder sprechen, Kollegen der Linken. Nur 2,1 Prozent der Menschen in den neuen Bundesländern beziehen Grundsicherung im Alter. In den alten Bundesländern sind es 3,2 Prozent. Auch im Osten gehen die Menschen heute früher in Rente, trotz Abschlägen. Das ist sehr interessant; denn das belegt, dass sich kontinuierliche Erwerbsbiografien lohnen. Das zeigt sich gerade bei den Frauen: Die durchschnittliche Rente von Frauen im Osten ist um 44 Prozent höher als die von Frauen in den alten Bundesländern. Wir reden jedes Jahr im Zusammenhang mit dem Equal Pay Day auch über den sogenannten Gender Pay Gap, den Einkommensunterschied bei Frauen und Männern, der unter anderem erwerbs- oder berufsbedingt ist. Für den Gender Pension Gap gilt: Auch er ist bei den Rentnerinnen und Rentnern im Osten deutlich geringer als bei den Rentnerinnen und Rentnern in den alten Bundesländern. Diese Fakten zeigen, dass die Linke mit ihren Anträgen stets versucht, den Osten gegen den Westen auszuspielen, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein! Definitiv nicht! Im Gegenteil!) und das auch noch 25 Jahre nach der Wiedervereinigung. Noch einmal: Niemand behauptet, dass das Rentenrecht im Zuge der Wiedervereinigung alle individuellen Ansprüche berücksichtigte. Den Müttern und Vätern der deutschen Einheit, denke ich, ist es aber hervorragend gelungen, ein einheitliches Rentenrecht zu schaffen und die soziale Einheit in Deutschland herzustellen. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt kein einheitliches Rentenrecht! Es gibt zwei Rentenrechte!) Ich bin der Meinung, dass neben der erneuerten Infrastruktur und den restaurierten Städten, die wir täglich in unseren Wahlkreisen sehen, die Einheit Deutschlands gerade am Rentenrecht ablesbar ist. Diese Einheit zielte von Beginn an darauf ab, Lebensleistung anzuerkennen. Dass wir nach 25 Jahren nach wie vor den Hochwertungsfaktor verwenden, ist nichts anderes als die Anerkennung von Lebensleistung. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Den wollen Sie ja abschaffen!) Natürlich haben wir uns mit unserem Koalitionspartner – die Kollegen haben mich schon darauf angesprochen – auf einen Fahrplan zur vollständigen Angleichung des Rentenwerts verständigt; das ist richtig. Wir werden 2016 den Angleichungsprozess gemeinsam prüfen und schauen, ob eine Angleichung mit Wirkung ab 2017 notwendig ist. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Markus Kurth hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Schimke, das Geeier vonseiten der Union, das man nach 25 Jahren deutsche Einheit noch immer und immer wieder hört, wenn es um einen einheitlichen Rentenwert in Ost und West geht, ist wirklich nur noch schwer zu ertragen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) „Das wird geprüft“ oder „Dann werden wir mal sehen“, das alles sind wachsweiche Formulierungen. In der Zeitung kann ich derweil lesen, dass der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Herr Sellering, auf Eckhardt Rehberg, der ebenfalls aus Mecklenburg-Vorpommern stammt, losgeht und dass sich die beiden streiten. Bei dieser Gelegenheit ist eines klar festzustellen – das wird gerne vergessen –: Die einzige Fraktion hier im Deutschen Bundestag, die eine sofortige Angleichung der Rentenwerte Ost und West will und konsequent bei neuen Ansprüchen auf die Höherwertung verzichten will, die einzige Fraktion, die eine Angleichung und damit den Vollzug der deutschen Einheit im Rentenrecht will, ist Bündnis 90/Die Grünen und niemand sonst, noch nicht einmal die Linke. Das darf man nicht vergessen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir sind in den letzten 25 Jahren viel differenzierter geworden. Es gibt auch zwischen Nord und Süd, zwischen Schleswig-Holstein und Bayern große Lohnunterschiede. Regionale Ausgleichsmechanismen könnte man beispielsweise auch innerhalb Brandenburgs begründen. Zu diesem Schluss könnte man kommen, wenn man sich die Unterschiede bei Lohn und Tarifbindung zwischen Potsdam und Templin oder anderen Städten in der Uckermark vor Augen führt. Wir sehen, dass wir im Bereich der Tariflöhne – erst kürzlich war dies im Tarifarchiv der HansBöcklerStiftung zu lesen – bei der Ost-West-Angleichung gut vorangekommen sind. Der Lohn- und der Rentenunterschied zwischen Ost und West besteht, weil im Osten Deutschlands die Tarifbindung so gering ist. Das ist der Kern des Problems. Das Rentenrecht kann an dieser Stelle nicht alle Probleme lösen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Herr Bartsch, wenn sich der Antrag Ihrer Fraktion nur auf die beiden Gruppen beschränkte, die Sie beispielhaft als Härtefälle angeführt haben, würden wir ihm zustimmen; denn die aus der DDR Geflüchteten hatten bestimmte Zusagen, quasi Rechtsgarantien bekommen, die ihnen nachträglich aberkannt wurden. Das ist der entscheidende Punkt, Frau Schimke. Es geht nicht darum, jede individuelle Ungerechtigkeit mit dem Rentenrecht zu nivellieren; das geht selbstverständlich nicht. Aber in diesen Fällen ist Personen etwas zuerkannt worden. Diese haben sich auf eine bestimmte Lebensplanung verlassen (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Richtig!) und haben bereits Jahre vor dem Mauerfall beispielsweise in Köln und Dortmund gearbeitet. Es ist absolut nachvollziehbar, dass an dieser Stelle etwas geschehen muss. Herr Bartsch, wenn Sie sich beispielsweise auf diesen Punkt konzentriert hätten, würden wir dem Antrag Ihrer Fraktion zustimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das gilt auch für die in der DDR geschiedenen Frauen. Wir weisen schon seit vielen Jahren auf die besondere Härte in diesen Fällen hin. Wir sind der Meinung, dass dort Regelungsbedarf besteht. Die in der DDR Geschiedenen kämpfen seit Jahren um ihr Recht. Wir schätzen ihre Zahl auf Hundertausende. Viele von ihnen leben leider in bitterer Armut. Dann gibt es noch zwei Berufsgruppen, die nach meiner Auffassung Besonderheiten aufweisen, darunter die in der Braunkohle Beschäftigten. Dabei handelt es sich, wie Sie zu Recht gesagt haben, um eine sehr geringe Anzahl. Aber Sie beschränken sich nicht auf die Gruppen, bei denen dies nachvollziehbar und begründbar ist, sondern, Herr Bartsch, Sie nehmen auch noch andere Gruppen dazu, die bestimmte Sonderansprüche in der DDR hatten, die aber keine Entsprechung im westdeutschen Rentenrecht, im SGB VI, haben. Ich nenne auch einmal Beispiele, die zeigen, wo man das nicht nachvollziehen kann. Das ist etwa bei den Spitzensportlerinnen und Spitzensportlern der Fall, die Sonderrentenansprüche gehabt haben. Man würde wiederum Privilegierungen einführen, und das ist in der Tat nicht sachgerecht. Deswegen werden wir uns bei der Abstimmung über Ihren Antrag an dieser Stelle enthalten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Mutige Enthaltung!) – Nein, nein. Was die aus der DDR Geflüchteten anbelangt, muss man auch noch einmal eines sagen. In der letzten Legislaturperiode haben Linke, SPD und Grüne gemeinsam ihren politischen Willen bekundet, an dieser Stelle etwas zu machen. Jetzt hat es im Petitionsausschuss eine Petition gegeben. Und was stellen wir fest? Die SPD hat ihre Position um 180 Grad geändert, lässt diese Petition abschließen und lässt Grüne und Linke in ihrem Einsatz für die aus der DDR Geflüchteten im Regen stehen. Ich finde es unmöglich, wirklich, dass Sie an dieser Stelle Ihr Fähnlein so sehr nach dem Wind hängen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wir werden – das ist im Moment das parlamentarische Verfahren – das im Petitionsausschuss natürlich noch einmal aufrufen. Sie können sicher sein: Früher oder später werden wir parlamentarische Initiativen zu diesem Punkt starten – vielleicht kann man das, beschränkt auf diesen Punkt, Herr Bartsch, auch einmal gemeinsam in diesem Parlament machen –, (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Gern!) und dann werden Sie Farbe bekennen müssen in der Frage, ob Sie den aus der DDR Geflüchteten diese vernünftige und ihnen zustehende Rente zugestehen. Das werden Sie dann entscheiden und hier bekennen müssen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Machen wir zusammen! Können wir gerne zusammen machen!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Waltraud Wolff für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich bin seit 1998 Mitglied dieses Hauses, und ich kann nicht mehr zählen, wie viele Gespräche ich zu den Ostrenten geführt habe: mit Menschen, die zu mir ins Büro gekommen sind, auf Veranstaltungen, auch mit Menschen, die sich zusammengetan haben, um ihre Situation deutlich zu machen. Ich muss sagen: Vieles, was diese Menschen mir erzählt haben, hat mich persönlich sehr berührt. Ich habe mich damals auch aufgerufen gefühlt, zu Lösungsansätzen beizutragen. Da will ich auch die Landesgruppe Ost ansprechen, die wir von der SPD haben. Wir haben in unzähligen Diskussionen das Thema rauf und runter behandelt. Wir haben uns mit Berufsgruppen getroffen. Wir haben Vorschläge erarbeitet, und die meisten, meine Damen und Herren, muss ich sagen, haben wir wieder verworfen. Die Frage ist: Warum? Erstens müssen wir heute – wie damals – zur Kenntnis nehmen, dass zum 1. Januar 1992 das Rentenrecht der DDR in das Sechste Buch Sozialgesetzbuch übernommen wurde. Was man auch wissen muss: Die Sondersysteme sind gerade nicht in die Sondersysteme der Bundesrepublik eingeordnet worden. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist es!) Dazu kommt: 1999 hat das Bundesverfassungsgericht abschließend darüber befunden. Zweitens haben wir festgestellt: Selbst wenn wir die Rentensystematik außer Kraft setzen würden, würden wir bei den vielen Sonderfällen, die heute auch schon zur Debatte standen, nur wieder neue Ungerechtigkeiten schaffen. Wir hätten kein Recht besser gemacht. Ich weiß, nach 25 Jahren ist das keine frohe Botschaft. Aber, meine Damen und Herren, es ist eine ehrliche Botschaft. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Schon die PDS hat in jeder Wahlperiode (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Zu Recht!) Anträge mit bis zu 18 Berufsgruppen eingebracht, für die sie Korrekturen bei der Rentenüberleitung gefordert hat. Die Linke hat dies fortgesetzt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, ich sage das jetzt wirklich mit ganz großer Ernsthaftigkeit: Mit Ihren immer wiederkehrenden Anträgen machen Sie doch den Menschen falsche Hoffnungen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie machen ihnen Hoffnungen, wohl wissend, dass sie nicht erfüllt werden können. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, weil Sie es ablehnen!) – Nein. – Sie senden lieber frohe Botschaften als ehrliche. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, ich weiß, dass viele Menschen im Osten der Republik diese heutige Debatte verfolgen. Ich finde, auch wenn es keine gute Botschaft ist: Alle haben diese Ehrlichkeit verdient. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]) Zu dieser Ehrlichkeit gehört, dass nicht alles, was die Linken als ungerecht beschreiben, wirklich ungerecht ist. (Beifall bei der Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der LINKEN) Sie beklagen zum Beispiel, die Anrechnung der Mütterrente – das haben wir eben gehabt – auf den Übergangszuschlag sei ungerecht. Der Übergangszuschlag ist ein Zuschlag zum Bestandsschutz, auf den die Rentensteigerungen die ganze Zeit angerechnet werden. Da ist es in der Rentensystematik doch logisch, dass auch die Erhöhung der Mütterrente darauf angerechnet wird. Ich finde das nicht schön, aber das gehört zur Rentensystematik dazu. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]) Wir haben das im Bundestag nicht extra beschlossen, sondern das ist die Rentensystematik. Das ist Rentenrecht in der Bundesrepublik Deutschland. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, zur Ehrlichkeit gehört auch, dass ich als Mitglied der SPD Verständnis für die Menschen habe, die gerne besser behandelt werden wollen. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Gleich behandelt werden wollen, nur gleich, nicht besser!) Das Gefühl, dass einem keine Gerechtigkeit widerfährt, das kenne ich sehr gut, und das kann ich auch nachvollziehen. Aber wir müssen doch feststellen, dass die Messen 1992 gesungen wurden. Da ist Schluss. Alles andere, was wir jetzt tun würden, würde zu neuer Ungerechtigkeit führen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU] – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Dann können wir Politik einstellen!) Zur Ehrlichkeit gehört auch, dass die Änderungen im Rentenrecht Auswirkungen auf zukünftige Renten haben können. Das gilt für Positives wie die Mütterrente. Das gilt aber auch für Negatives, zum Beispiel die Anrechnung der Ausbildungszeiten. Das gilt im Osten, und das gilt im Westen. Hier wieder Ausnahmen zuzulassen, hieße, Rentenrecht nach Gutdünken zu machen. Das wollen wir nicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß sehr wohl, dass es bei der Rentenüberleitung Ungerechtigkeiten gegeben hat; das steht zweifellos fest. Aber sie sind nicht im Rentenrecht zu lösen. Wir brauchen deshalb eine andere Lösung. Wir als SPD haben im letzten Wahlprogramm den Vorschlag gemacht, die Probleme in einem Rentenüberleitungsabschlussgesetz endgültig und abschließend zu klären und die Probleme zu beseitigen. Wir haben gesagt: Wir wollen einen steuerfinanzierten Härtefallfonds einrichten, um damit einzelne Problemfälle besserzustellen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Mindestrente!) Zu diesem Vorschlag stehe ich und steht die SPD noch immer. (Beifall bei der SPD) Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, noch in dieser Legislaturperiode dieses Rentenüberleitungsabschlussgesetz vorzulegen. Darin heißt es: 2019 soll es einheitliche Rentenwerte geben. – Auch daran halte ich fest. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Frau Kollegin. Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): 25 Jahre nach der Wiedervereinigung ist für das Gefühl von niedrigerer Wertschätzung der eigenen Lebensleistung einfach kein Platz mehr. Wir setzen uns für klare Lösungen ein: gleicher Rentenwert, Härtefallfonds, keine neuen Ungerechtigkeiten. Das ist für viele, wie ich am Anfang sagte, nicht die frohe Botschaft, aber die ehrliche Botschaft. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Dr. Astrid Freudenstein hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, Sie schreiben in Ihrem Antrag von einer spezifischen Alters­armut Ost. Sie schreiben weiter, dass eine armutsfeste und den Lebensstandard sichernde Rente für viele Menschen in Ostdeutschland nicht möglich sei. Der Zeitpunkt Ihres Antrages ist natürlich nicht zufällig gewählt. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Stimmt! – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Genau!) Zum 25. Jahrestag der deutschen Einheit wollen Sie nun endlich Rentengerechtigkeit zwischen Ost und West herstellen. Liebe Kollegen der Linksfraktion, ich bin der Meinung, dass Sie Ihr Gerechtigkeitsempfinden nachjustieren müssen. Die Rentner im Osten sind im Endeffekt und im Gesamten eben nicht so benachteiligt, wie Sie das beharrlich darstellen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Doch, wenn man Äpfel mit Äpfeln vergleicht, ist das so!) Nehmen wir die Durchschnittsrenten von ost- und westdeutschen Frauen und Männern: Die durchschnittliche Altersrente für Ostrentner ist deutlich höher als die der Westrentner. Zusätzlich haben Versicherte in den neuen Ländern bei gleichem Entgelt und gleicher Beitragszahlung aktuell um 6 Prozent höhere Rentenansprüche als Versicherte in den alten Ländern. Es ist richtig, dass die gesetzliche Rente für Ostrentner oft die einzige Bezugsquelle ist, während viele Westrentner zusätzlich Betriebsrenten und Lebensversicherungen haben. Das ändert aber nichts daran, dass es das von Ihnen beschworene Problem der spezifischen Altersarmut Ost so nicht gibt. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird sich aber ändern!) Nehmen wir noch einmal den Wert, den Sie so gerne nutzen, wenn Sie Deutschland wieder einmal in Armut versinken sehen: die Armutsgefährdungsquote. Diese Armutsgefährdungsquote liegt für die über 65-Jährigen in den neuen Bundesländern deutlich niedriger als in den alten Bundesländern. Schauen Sie sich den Anteil der Menschen an, die auf Grundsicherung im Alter angewiesen sind: Ostdeutsche Rentner, und zwar Frauen ebenso wie Männer, sind dort deutlich seltener auf die Grundsicherung angewiesen als westdeutsche Rentner. Insgesamt bewegen sich alle Zahlen auf niedrigem Niveau. Wir haben kein generelles Problem der Altersarmut in Deutschland. Der Anteil der Rentner, die Grundsicherung brauchen, liegt unter 3 Prozent. So bitter es ist: Das größte Armutsrisiko in Deutschland ist eben nicht das Alter. Das größte Armutsrisiko in Deutschland haben Menschen ohne ordentliche Schulbildung, ohne Berufsausbildung und Alleinerziehende. Junge sind in unserem Land stärker von Armut betroffen als Alte. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Deswegen sollten uns die Alten nicht egal sein!) Vor allem aber haben wir kein spezifisch ostdeutsches Problem der Altersarmut. Das wird auch nicht wahrer, wenn Sie das immer wiederholen. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird sich aber ändern! Gucken Sie mal ein bisschen in die Zukunft und nicht in die Gegenwart! Politik muss vorausschauend sein!) Damals, bei der Wiedervereinigung – es wurde erwähnt –, wurde ein allgemein akzeptiertes Verfahren der Rentenberechnung gefunden. Es berücksichtigt unterschiedliche Erwerbsbiografien und Lohnunterschiede. Dass dieses Verfahren im Einzelfall als ungerecht empfunden wird und auch im Einzelfall ungerecht ist, ist richtig. Es stimmt aber nicht, dass sich nur Ostrentner ungerecht behandelt fühlen könnten. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das hat auch niemand behauptet!) Ich kann Ihnen sagen: Es gibt auch westdeutsche Frauen und Männer, die sich durch das Renten-Überleitungsgesetz diskriminiert und benachteiligt fühlen. Die Planwirtschaft der SEDDiktatur wirkte sich ja im Nachhinein positiv für die Bürger in den neuen Ländern aus. Es gab in der sozialistischen Planwirtschaft eine vermeintliche, eigentlich eine künstliche Vollbeschäftigung, somit durchgängige Erwerbsbiografien und damit vor allem längere Versicherungszeiten. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Den Satz schreiben wir auf Plakate und schicken ihn rum!) Davon profitieren die Ostrentner heute. (Beifall bei der CDU/CSU) Ganz speziell betrifft das die Frauen im Osten. Sie bekommen heute deutlich mehr Rente als westdeutsche Rentnerinnen, (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Länger gearbeitet!) im Schnitt 50 Prozent mehr. Es ist eben mitnichten so, dass nur die Frauen im Osten gearbeitet hätten. Frauen im Westen haben natürlich ganz genauso viel geleistet: Sie haben Kinder erzogen, die Familie organisiert und sich vielfach ehrenamtlich engagiert. Weniger wert ist auch das nicht. (Beifall bei der CDU/CSU – Unruhe) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Freudenstein, ich habe die Uhr angehalten und würde gern für Gerechtigkeit sorgen, dass wir hier auch den letzten beiden Rednern in dieser Debatte folgen können. Ich bitte also darum, unbedingt notwendige Gespräche vor den Plenarsaal zu verlagern. Wir haben uns im Präsidium hier vorne davon überzeugt, dass für jeden Kollegen und für jede Kollegin, die an dieser Debatte teilnehmen, eine Sitzgelegenheit im Saal vorhanden ist. Wir brauchen also auch keine Warte- und Diskussionsgruppen hier in den Gängen zu bilden. Ich bitte jetzt wirklich darum, die Gespräche einzustellen und der Debatte – in diesem Fall der Kollegin Freudenstein – zu folgen. Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Die westdeutschen Frauen stehen heute rentenrechtlich deutlich schlechter da als die Frauen im Osten. Von daher hätten vermutlich die westdeutschen Rentnerinnen am ehesten Grund, sich jetzt zu beschweren. Meine Kolleginnen und Kollegen, die Überführung der Renten gehörte und gehört zur Wiedervereinigung dazu. Es ist im Großen und Ganzen ein gutes Verfahren, das in der Gesamtheit eben nicht ungerecht ist. Es bringt uns auch nicht weiter, wenn Sie von der Linksfraktion sich hier immer wieder als Anwalt der armen Rentner im Osten verkaufen, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir sind leider die Einzigen! Sie machen es ja nicht!) und es ist schon gar nicht in Ordnung, wenn Sie das zum 25. Jahrestag der deutschen Einheit tun. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich meine, wir sollten in diesen Tagen das gemeinsam Erreichte feiern und nicht so tun, als lägen immer noch Welten zwischen Ost und West. Wenn Sie, Herr Kollege Bartsch, vorhin empfohlen haben, mit Hellblau – also mit Ja – zu stimmen, dann stimme ich Ihnen in diesem Falle zu: Auch die Große Koalition empfiehlt heute, mit Hellblau abzustimmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Sie machen doch sonst immer das Gegenteil von dem, was gesagt wird!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Martin Rosemann für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Martin Rosemann (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Was mich am meisten an dieser Debatte ärgert, ist die Unehrlichkeit, mit der Sie hier auftreten; denn Sie haben mit keinem Satz erwähnt, dass der Höherwertungsfaktor für die Einkommen in Ostdeutschland deutlich höher ausfällt als die Differenz zwischen den Rentenentgeltpunkten Ost und den Rentenentgeltpunkten West. Das haben Sie nämlich verschwiegen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Was Sie wollen, ist ja: Sie wollen den gleichen Rentenwert plus den Höherwertungsfaktor. Das müssen Sie einmal den Menschen beispielsweise in Schleswig-Holstein erklären, die 20 Prozent und mehr weniger verdienen als die Menschen bei mir in Baden-Württemberg, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie wissen, dass das falsch ist!) Ich will mich aber auf Punkt 4 Ihres Antrages konzentrieren. Das ist das Thema „DDR-Übersiedler und Rentenüberleitung“, also das Thema, das wahrscheinlich das größte politische Interesse, das größte öffentliche Interesse erfährt. Ich selber wurde mit diesem Thema konfrontiert, weil ich einen Herrn kennengelernt habe, der 1984 aus der DDR übergesiedelt ist. Nennen wir ihn Herrn Meyer. Er stellte nun bei Renteneintritt fest, dass die Rente nicht so hoch ausgefallen ist, wie er sich das immer dachte. Der Grund dafür ist, dass für diejenigen, die vor 1989, als es die DDR noch gab, in die Bundesrepublik übergesiedelt sind, das Fremdrentengesetz galt. Das heißt, da DDR-Beschäftigungszeiten nicht direkt erfasst werden konnten, wurden ihnen fiktive Tabellenentgelte zugeordnet, die dem durchschnittlichen Verdienst einer vergleichbaren Tätigkeit in der Bundesrepublik entsprachen. Es ist schon gesagt worden: Mit der Wiedervereinigung wurde dann ein einheitliches Rentenrecht geschaffen, das SGB VI. Damit wurden für alle Bürgerinnen und Bürger, alt wie neu, Ost wie West, für die Rentenberechnung auch die tatsächlichen Einkommen herangezogen. Diese Regelung – das ist sicher richtig – war für Herrn Meyer mit finanziellen Einbußen verbunden. Meine erste Reaktion war auch: Das ist eine Ungerechtigkeit. Hier müssen wir etwas tun. – Ich weiß, dass es quer durch alle Fraktionen vielen Kolleginnen und Kollegen in diesem Haus so gegangen ist. Ich habe mich dann – wie viele von Ihnen auch – sehr intensiv damit beschäftigt. Mein Fazit vorneweg: Es gibt keine gerechte Lösung für dieses Problem, zumindest keine, ohne neue Ungerechtigkeiten zu schaffen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das erste Problem ist die Abgrenzung der Gruppe, die da überhaupt erfasst werden soll. Ein erster Anhaltspunkt könnte ja sein, diejenigen davon profitieren zu lassen, die einen sogenannten Feststellungsbescheid bekommen haben. Aber eben nicht alle, die vor dem Mauerfall in den Westen gegangen sind, gerade in den Wendemonaten kurz vor dem Mauerfall, haben einen Feststellungsbescheid bekommen. Deswegen wäre die Alternative vielleicht ein Stichtag. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war der Vorschlag der SPD in der letzten Legislaturperiode!) Aber, meine Damen und Herren, welches wäre denn der richtige Stichtag, der Tag des Mauerfalls am 9. November 1989 oder der Tag des Staatsvertrags am 18. Mai 1990? Gerechter wäre wahrscheinlich das Erste. Aber bisher hat man immer den zweiten verwendet. Alle Stichtage haben auch noch ein Problem; denn es gibt Leute, die gar nicht nachweisen können, an welchem Tag sie eigentlich übergesiedelt sind. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Haarspalterei!) Noch schwerer wiegt aber, dass es neue Ungerechtigkeiten gegenüber anderen Personengruppen geben würde: gegenüber den SED-Verfolgten mit einem vergleichbaren Versicherungsverlauf, vor allem dann, wenn diese weder in ein Zusatz- oder Sonderversorgungssystem noch in die freiwillige Zusatzrentenversicherung der DDR eingezahlt haben. Sie wären auch deutlich bessergestellt als in der DDR Gebliebene, beispielsweise Leute, die auch flüchten wollten, denen die Flucht aber nicht geglückt ist oder denen die Ausreise nicht genehmigt wurde. Schließlich wären sie auch gegenüber der großen Gruppe der Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion bessergestellt. Für die gilt nämlich weiterhin das Fremdrentenrecht, allerdings bekommen sie nur noch 60 Prozent von den ursprünglichen Tabellenentgelten. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gehört die Sowjetunion zu Deutschland, oder ist das nicht der Fall? Das ist doch ein ganz anderer Fall! Es ist eine unerhörte Geschichte, dass sich DDR-Flüchtlinge durch die Einheit verschlechtert haben!) Seit Anfang der 90er-Jahre ist es nämlich auch im Fremdrentenrecht zu Verschlechterungen gekommen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Eines kommt noch hinzu: Im Fremdrentenrecht wurden Frauen gegenüber Männern systematisch benachteiligt, weil Frauen im Westen auch in den gleichen Berufen im Durchschnitt weniger verdient haben als Frauen im Osten. Würde man zum Fremdrentenrecht zurückkehren, dann wäre das eine Diskriminierung von Frauen, die vor dem Europäischen Gerichtshof wahrscheinlich keinen Bestand haben könnte. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es gibt sogar Frauen, die sich durch den Vorschlag systematisch schlechterstellen würden. Herr Birkwald, Sie würden dann bestimmt gleich „Günstigerprüfung“ rufen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja!) Ich will Ihnen sagen: Wenn wir im Rentenrecht an einer Stelle mit der Günstigerprüfung anfangen, dann müssen wir für jeden Fall, für jede Personengruppe und für jede Rechtsänderung zukünftig Günstigerprüfungen einführen. Das Ergebnis wäre, wir könnten das Rentenrecht überhaupt nicht mehr ändern. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist völlig normal! Die gibt es ständig!) Ich komme zum Schluss. Es gilt nun einmal der Grundsatz, dass immer das Rentenrecht gilt, das in dem Moment im Gesetzblatt steht, in dem man in Rente geht. Das müssen wir all denjenigen, die davon betroffen sind, der Ehrlichkeit halber auch sagen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Weil Sie – auch die Kollegen von den Grünen – sagen, Sie wollen dazu wieder einen Antrag vorlegen: Ich finde, wir sind es den Betroffenen – wie meinem Herrn Meyer – 25 Jahre nach der deutschen Einheit schuldig, hier eine endgültige Entscheidung zu treffen, (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Ja, zu seinen Gunsten!) auch wenn sie an der einen oder anderen Stelle hart ist. Eine ehrliche Entscheidung, wie Kollegin Wolff gesagt hat, ist besser. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege. Dr. Martin Rosemann (SPD): 25 Jahre nach der deutschen Einheit, denke ich, brauchen diese Leute eine klare Antwort. Danke schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/4972 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Spezifische Altersarmut Ost durch Korrektur der Rentenüberleitung beheben“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5290, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1644 abzulehnen. Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung auf Verlangen der Fraktion Die Linke namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer an ihrem Platz? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung über die Beschlussempfehlung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgeben konnte? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1 Ich wäre jetzt den Kolleginnen und Kollegen, die an den weiteren Beratungen nicht teilhaben wollen und können, sehr verbunden, wenn sie uns die Möglichkeit schaffen würden, unsere Beratungen fortzusetzen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Zugang und Teilhabe ermöglichen – Die Dekade für Alphabetisierung in Deutschland umsetzen Drucksachen 18/5090, 18/6179 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Xaver Jung für die CDU/CSU-Fraktion; er ist freundlicherweise schon am Redepult. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Xaver Jung (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lesen und schreiben können ist ein wesentlicher Schlüssel zur Teilhabe am alltäglichen Leben. Ich freue mich, dass wir Anfang September am Weltalphabetisierungstag die Nationale Dekade für Alphabetisierung begrüßen durften. Der Bund übernimmt Verantwortung im Kampf gegen Analphabetismus in unserem Land. Damit steht das Thema ganz oben auf der bildungspolitischen Agenda. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) – Ja, da kann man klatschen. Frau Ministerin Wanka hat gemeinsam mit unserer Vorsitzenden der Kultusministerkonferenz, Brunhild Kurth, verkündet, dass in den kommenden zehn Jahren 180 Millionen Euro investiert werden, um Menschen zu helfen, die nicht richtig lesen und schreiben können. Mit dieser Menge an zusätzlichem Geld kann man ordentlich was machen. Vielen herzlichen Dank! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das eigentliche Ziel unseres Antrags wäre damit fast erreicht, so könnte man sagen. Ich sage: Es ist ein weiterer, ein großer Schritt. Im Jahr 2008 wurden wir durch die Ergebnisse der „leo. – LevelOne“ Studie wachgerüttelt. Seither wissen wir, dass 7,5 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter zwischen 16 und 65 Jahren in Deutschland nicht richtig lesen und schreiben können. Es handelt sich um sogenannte funktionale Analphabeten. Diese Zahl klingt nicht nur erschreckend, sie ist gerade für ein Hochtechnologieland wie Deutschland auch nicht hinnehmbar. Dennoch sagen mir viele Menschen, mit denen ich über diese Zahl spreche, dass sie keinen Erwachsenen kennen, der nicht lesen und schreiben kann. Statistisch gesehen hat aber jeder – Sie alle – mindestens einen Nachbarn, auf den das zutrifft. Oft weiß man es nur nicht; den Betroffenen ist es unangenehm, sich zu bekennen. Genau darin liegt das eigentliche Problem: Wie kommen wir mit unseren Angeboten an die Menschen heran? Mit dieser Debatte wollen wir auf das Problem aufmerksam machen. Wir wollen Barrieren abbauen, und wir müssen das soziale Umfeld sensibilisieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir wissen, die meisten aller funktionalen Analphabeten sind Muttersprachler. Über die Hälfte der Menschen sind über 50 Jahre alt. 80 Prozent haben sogar einen Schulabschluss; wie auch immer sie das geschafft haben. Als Antwort auf diese Studie hatten wir bereits 2012 gemeinsam mit den Ländern ein Bündnis für Alphabetisierung vereinbart. Diese nationale Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener haben wir vom Bund mit 20 Millionen Euro unterstützt und gemeinsam mit zahlreichen Partnern viele Projekte in den Bundesländern durchgeführt. An dieser Stelle möchte ich mich für das Engagement der verantwortlichen Partner, aber auch besonders der vielen ehrenamtlichen Helfer herzlich bedanken. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Mit den sogenannten Alphabetisierungskursen haben wir circa 500 000 Lerner erreicht. Das ist eine Menge. Aber wir können und werden uns damit nicht zufriedengeben. Nach Abschluss dieser nationalen Strategie haben wir Bilanz gezogen und geschaut, welche Bildungsangebote gut funktionieren und wo es hilfreiche Multiplikatoren gibt. Besonders erfolgreich laufen die Maßnahmen am Arbeitsplatz. Die Betriebe entwickeln immer mehr Interesse an solchen Angeboten. Darüber hinaus fordern wir in unserem Antrag mehr Kompetenzen und Möglichkeiten für die Bundesagentur für Arbeit. Deren Mitarbeiter müssen sensibilisiert an die Bewerber herangehen. Mit der folgenden Dekade wollen wir erreichen, dass alle Initiativen, die erfolgreich waren, verstetigt werden und in die Breite getragen werden. Wir wollen erreichen, dass es zu den passenden Bildungsangeboten auch die nötige Infrastruktur gibt und sich länderübergreifend Synergieeffekte bilden. Aus diesem Grunde freue ich mich ganz besonders, dass sich das BMBF auf unseren Vorschlag hin dazu bereit erklärt hat, eine Monitoringstelle beim Bundesinstitut für berufliche Bildung einzurichten, welche die Projekte in den nächsten zehn Jahren begleiten wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir geben nicht nur Geld und lassen die Initiativen allein, sondern wir bieten Unterstützung vor Ort. Wir übernehmen Verantwortung und Koordination. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben jetzt lang genug gepennt!) Wir setzen hiermit ein klares Zeichen. Im Rahmen der Bildungsberichterstattung wird das Parlament regelmäßig über die Entwicklung auf dem Laufenden gehalten. Für die Betroffenen, aber auch für deren engste Vertraute, also das wissende Umfeld, bedarf es kurzer Wege. Wir appellieren an die Länder, die Zahl der regionalen Grundbildungszentren und Koordinierungsstellen zu erhöhen. Nur so wird der Austausch zwischen Verbänden und Lernern schnell und unkompliziert stattfinden. Digitale Angebote zur Fort- und Weiterbildung sind gefragt und werden künftig für die Betroffenen zur Verfügung stehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Defizite gibt es nicht nur bei der Lesekompetenz. Selbstlernplattformen bieten einen guten niederschwelligen Zugang zu den wichtigsten Grundkompetenzen wie Lesen, Schreiben und Mathematik sowie zu demokratischer Grundbildung. Auch im Bereich der beruflichen Bildung werden Konzepte der Grundbildung weiterentwickelt und umgesetzt. Selbstverständlich sollen diese Angebote auch Menschen zur Verfügung stehen, die derzeit zu uns kommen, und ihnen Berührungspunkte mit der deutschen Sprache, der Verfassung und unserer Kultur ermöglichen. Die genauen Inhalte und Orte der Kurse, die im Rahmen der Dekade für Alphabetisierung stattfinden, nehmen die gesamte Familie in den Blick und suchen Alltagsbezug. So unterstützt das Projekt ABCami gezielt Frauen am Lernort Moschee, um die Menschen dort abzuholen, wo sie gerade sind. Ich spreche von Kochkursen in Mehrgenerationenhäusern. Ich spreche von Kursen wie zum Beispiel Computer für Anfänger oder KettensägePlus, welche die Menschen bei der Arbeit abholen. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: „KettensägePlus“: Sehr gut!) Über den Deutschen Volkshochschul-Verband wollen wir gemeinsam mit den Ländern die Aus- und Fortbildung der Kursleitenden unterstützen und Standards dafür setzen. Dies gilt genauso für standardisierte Lehrpläne und optimierte Lehrmaterialien. Dann werden wir auch messbare Erfolge verzeichnen. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Gut!) Um ständige Wechsel beim Lehrpersonal zu vermeiden, fordern wir die Länder auf, die Kursleitenden angemessen zu honorieren und ihnen eine sichere Perspektive zu geben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Immer schön an die Länder verweisen! – Gegenruf der Abg. Marianne Schieder [SPD]: Die sind aber zuständig, wie Sie wissen! – Gegenruf des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider!) Ebenso appellieren wir an die Länder, dafür zu sorgen, dass kein Kind und kein Jugendlicher von der Schule geht, ohne richtig lesen und schreiben zu können. Ich hoffe darauf, Herr Mutlu, dass sich die Länder nicht wieder in dem Maße aus der Finanzierung zurückziehen, in dem sich der Bund beteiligt. Die Dekade wird von weiterer Forschung zu sozialen und schulischen Ursachen von Analphabetismus begleitet. Wir wissen zwar, dass viel Vorlesen kleinen Kindern beim Zugang zu Büchern und zum Erlernen des Lesens im Allgemeinen hilft. Allerdings brauchen wir mehr Kenntnis: Wieso gibt es Menschen, die einen Schulabschluss schaffen und nicht richtig lesen und schreiben können? Und wieso kann es immer noch Kinder und Jugendliche geben, denen niemand hilft, obwohl man feststellt, dass sie Schwierigkeiten oder Probleme haben? Wir müssen herausfinden: Welche Rolle kommt dabei Eltern, Erziehern, Lehrern und Sozialarbeitern zu? Meine Damen und Herren, dieser Antrag richtet sich an alle in unserem Land; es ist eine gemeinsame Aufgabe. Ich freue mich darüber, dass die Opposition angekündigt hat, nicht dagegen zu stimmen. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das hast du gut gemacht!) Es wäre schön, wenn Sie zustimmten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich bedanke mich bei meiner Kollegin Frau Schieder für die wunderbare Zusammenarbeit. Ich darf darauf hinweisen, dass der Antrag auch in leichter Sprache vorliegt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) 2018 wird es wieder eine „Level-One“-Studie geben. Dann werden wir sehen, was wir erreicht haben. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Bevor ich die nächste Rednerin aufrufe, möchte ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt geben: abgegebene Stimmen 501. Mit Ja haben gestimmt 403, mit Nein haben gestimmt 45, und 53 Kolleginnen und Kollegen haben sich enthalten. Damit ist die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 501; davon ja: 402 nein: 46 enthalten: 53 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Thomas Bareiß Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Sybille Benning Dr. Andre Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Hans-Joachim Fuchtel Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Thorsten Hoffmann (Dortmund) Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Andreas Jung Xaver Jung Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Antje Lezius Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Gerd Müller Dr. Philipp Murmann Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Gabriele Schmidt (Ühlingen) Ronja Schmitt Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Heinz Wiese (Ehingen) Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Barbara Woltmann Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr. h.c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Dirk Heidenblut Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Arno Klare Lars Klingbeil Birgit Kömpel Dr. Hans-Ulrich Krüger Christine Lambrecht Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Detlef Müller (Chemnitz) Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoguz Markus Paschke Christian Petry Sabine Poschmann Achim Post (Minden) Florian Post Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Martin Rabanus Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dr. Martin Rosemann Dr. Ernst Dieter Rossmann Bernd Rützel Sarah Ryglewski Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Sonja Steffen Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Bernd Westphal Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Nein DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dagdelen Klaus Ernst Nicole Gohlke Dr. Gregor Gysi Dr. Andre Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Kerstin Kassner Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Sabine Leidig Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Sabine Zimmermann (Zwickau) Enthalten BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Annalena Baerbock Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Als nächste Rednerin hat jetzt Frau Dr. Rosemarie Hein, Fraktion Die Linke, das Wort. Bitte schön. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, in Deutschland können 7,5 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter nicht richtig lesen und schreiben. Man kann die Zahl gar nicht oft genug wiederholen, allerdings nicht, um sich daran einfach nur in irgendeiner Art und Weise abzuarbeiten. Vielmehr müssen wir etwas tun, müssen Strategien entwickeln und überlegen, wie wir diesen Menschen helfen können, ihre Fähigkeiten zu erweitern und Grundbildung zu erwerben. Wir müssen endlich entsprechend handeln. (Beifall bei der LINKEN) Wir sind uns über alle Fraktionen hinweg einig, dass die Fragen der Grundbildung ganz dringend angegangen werden müssen; denn wer nicht richtig lesen und schreiben oder nicht richtig rechnen kann, ist in der Gesellschaft doppelt und dreifach benachteiligt. Allerdings hilft es wenig, die Nationale Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener, die 2011 von Bund und Ländern ausgerufen wurde, nun als Dekade für Alphabetisierung fortzusetzen, wenn damit im Wesentlichen keine neuen Maßnahmen und Ziele verbunden sind und es – was auch wichtig ist – zunächst einmal nur um Verstetigung der Mittel geht. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Was ist denn dagegen einzuwenden?) Die Maßnahmen gibt es schon. Die Mittel zu verstetigen, ist gut. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Mehr als Verstetigen geht nicht!) Aber wir müssen uns auch etwas Neues einfallen lassen; denn obwohl es viele gute Konzepte und Ideen gibt, gibt es bisher noch keinen messbaren Fortschritt. Das Problem scheint nicht kleiner geworden zu sein. Eine gute Idee war zum Beispiel die multimediale Wanderausstellung. Sie war zum Kampagnenstart im Magdeburger Rathaus zu sehen. Die Frage ist nur: Wen erreichen solche Ausstellungen? Im Magdeburger Rathaus trafen sich diejenigen, die man von der Notwendigkeit der Alphabetisierung nicht mehr überzeugen musste. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Dann muss man dorthin gehen, wo die Leute sind!) – Deshalb muss man dorthin gehen, wo die Leute sind, nämlich zum Beispiel in die Einkaufstempel. Es reicht auch nicht aus, wenn wir immer nur an den Symptomen herumdoktern. Herr Jung hat es vorhin schon gesagt: Wir denken zu wenig über die Ursachen fehlender Grundbildung nach. Herr Jung, Sie sind Lehrer, ich bin Lehrerin. Wir beide wissen, in welchen Zwängen man als Lehrer vor der Klasse steht und was Lehrkräfte unter den heutigen Umständen, in den Situationen, in denen sie sich heute befinden, noch merken. Wir beide wissen auch, dass wir – ich bin Deutschlehrerin – zu wenig Strategien haben, um damit umzugehen. Das heißt, wir brauchen die Möglichkeit, Lehrkräfte in die Lage zu versetzen – zeitlich, didaktisch und fachlich –, Defizite rechtzeitig zu erkennen und sie wirksam zu beheben. Diese Möglichkeit gibt es zu wenig. (Beifall bei der LINKEN) Wir müssen uns auch die Frage stellen: Warum entsteht Analphabetismus eigentlich nach dem Abschluss schulischer und beruflicher Bildungsphasen neu? Offensichtlich merken wir nicht, wenn jemand die Schule verlässt, aber nicht richtig lesen und schreiben kann. Die Studien, die uns dazu vorliegen, sind sehr aussagekräftig: Viele haben sich durchgeschummelt. Das ist aber nicht das Problem. Manche können lesen und schreiben – vielleicht nicht auf einem besonders hohen, aber auf einem akzeptablen Niveau – und machen den Schulabschluss, aber nach einigen Jahren können sie es nicht mehr. Warum ist das so? Ich glaube, auch hier bedarf es einer intensiveren Forschung, die es gegenwärtig so noch nicht gibt. Das haben uns Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in diesem Bereich arbeiten, auch bestätigt. Ich finde, nach den vielen Exzellenzprogrammen wäre es an der Zeit, ein Forschungsprogramm zu den Ursachen fehlender Grundbildung aufzulegen und gleichzeitig fundierte Strategien entwickeln zu lassen, die aufzeigen, wie man dem entgegenwirken kann. So etwas könnten wir, der Bund, sogar leisten. Also machen wir das doch. (Beifall bei der LINKEN) Ich finde es auch richtig, dass wir Wert darauf legen, dass die Arbeitsweltorientierung Teil der Alphabetisierungsstrategie wird. Trotzdem lässt mich die Sorge nicht los, dass die Jobcenter und Arbeitsagenturen die Möglichkeit, Alphabetisierungskurse anzubieten, willfährig annehmen, weil sie damit ein Problem gelöst kriegen, und dass man jemanden in einen Alphabetisierungskurs schickt, bevor überhaupt versucht wird, ihn in Arbeit zu vermitteln. Ich finde, solche Kurse müssen berufsbegleitend bzw. arbeitsplatzbegleitend angeboten werden. Sie sollten nicht die Voraussetzung dafür sein, vielleicht irgendwann einmal Arbeit zu bekommen. Viele Punkte in dem uns vorliegenden Antrag sind nicht falsch, sie sind aber auch nicht neu. Uns fehlt vor allem der präventive Ansatz. Weil das so ist und weil viele Fragen offen bleiben, weil Ziele nicht klar genug formuliert sind und es lediglich bei einem Appell an die Länder bleibt, werden wir uns bei diesem Antrag der Stimme enthalten. Sie haben es vorhin zitiert: Alphabetisierung und Grundbildung müssen als gesamtgesellschaftliche Aufgabe aufgefasst werden. So steht es im Antrag. Nehmen wir das doch als Motto! Lassen Sie uns die Hemmnisse für eine effektivere Zusammenarbeit von Bund und Ländern endlich aufheben! (Beifall bei der LINKEN) Dann könnten wir gemeinsam viel mehr für die Grundbildung tun und müssten nicht befürchten, dass sich die Länder aus ihrer Verantwortung stehlen. Vielleicht können wir dann am Ende der Dekade, wenn nicht sogar schon 2018, einen messbaren Erfolg verzeichnen. Ich will Sie noch ganz kurz auf einen Fehler hinweisen. Ich muss nun alle Berichterstatterinnen und Berichterstatter kritisch anschauen; denn wir alle haben uns die erste Seite unseres Berichts nicht richtig angesehen. Es betrifft natürlich die erwerbsfähige Bevölkerung zwischen 18 und 64 Jahren und nicht zwischen 18 und 24 Jahren. So ausbeuterisch sind wir dann doch nicht. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächstes hat die Kollegin Marianne Schieder für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Marianne Schieder (SPD): Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ – ich gehe davon aus, dass viele von Ihnen diese Redewendung kennen. In diesen Worten steckt viel Wahrheit; denn in der Tat lernen Kinder sehr viel leichter und sehr viel schneller als Erwachsene. Aber wir wissen genauso gut – das gilt für uns alle –: Wir brauchen die Bereitschaft zum lebenslangen Lernen, und es ist nie zu spät, etwas Neues dazuzulernen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Xaver Jung [CDU/CSU]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Menschen brauchen aber nicht nur die Motivation, sondern auch die Möglichkeit, Neues dazuzulernen. Für 7,5 Millionen funktionale Analphabeten in unserem Land möchten wir mit der Dekade für Alphabetisierung neue Möglichkeiten und neue Strategien eröffnen, um Neues dazuzulernen. Politik muss nach unserer sozialdemokratischen Grundüberzeugung dafür Sorge tragen, dass allen Menschen gesellschaftliche Teilhabe möglich wird. Selbstverständlich ist richtig lesen und schreiben können eine der wichtigsten Fähigkeiten, um gesellschaftliche Teilhabe realisieren zu können. Deswegen haben wir bereits im Koalitionsvertrag dafür gekämpft, dass aus der Nationalen Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung eine Dekade für Alphabetisierung geworden ist. Der Antrag von Union und SPD, den wir heute abschließend beraten, beschreibt, wie diese Alphabetisierungsdekade ausgestaltet werden kann. Auch ich darf, lieber Herr Kollege Jung, mich herzlich bei Ihnen bedanken für die gute Zusammenarbeit. Ich meine, es ist wirklich ein guter Antrag geworden, den wir erarbeitet haben. Die Kritik daran im Ausschuss war wenig substanziell und hat wenig Neues gebracht. Deswegen kann ich wirklich nicht verstehen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken und von den Grünen, warum Sie nicht mitstimmen können, warum Sie nicht gemeinsam mit uns an einem Strang ziehen können. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Es wurde bereits darauf hingewiesen: Die Gesellschaft für deutsche Sprache hat unseren Antrag in einfache Sprache übersetzt. Diese neue Version unseres Antrags soll es den Betroffenen ermöglichen, sich selbst über ihre Belange zu informieren. Das ist also ein erster Schritt, um auf die Betroffenen zuzugehen. Ausgerufen wurde unsere Alphadekade bereits durch die Frau Ministerin und die Präsidentin der Kultusministerkonferenz; jetzt muss es also darum gehen, sie mit Leben zu füllen. Dabei muss das Rad nicht neu erfunden werden. Es gibt bereits viele gute und erprobte Ansätze, etablierte Projekte, die heute schon den Menschen helfen und die weitergeführt werden können. Genauso müssen wir aber Pilotprogramme, die sich bewährt haben, in die Breite tragen, und wir brauchen neue Förderprogramme, um die Träger der Erwachsenenbildung zu motivieren, in entsprechende Programme einzusteigen und Neuangebote zu entwickeln. Auch darauf ist schon hingewiesen worden, aber ich möchte es wiederholen: Trotz der Vielfalt der erfolgreichen Projekte haben sie eines gemeinsam: Sie sind für die Betroffenen leicht zu erreichen. Zum Beispiel lässt sich der Anruf beim Alphatelefon schnell und ohne Verpflichtung realisieren. Es droht keine öffentliche Brandmarkung, weil der Kontakt anonym bleiben kann. Ähnliches gilt für Onlineangebote. Man könnte hier viele weitere Beispiele aus den unterschiedlichen Bereichen aufzählen. Wir brauchen, liebe Frau Kollegin Hein, natürlich auch die Ausstellung im Magdeburger Rathaus; denn wir müssen schon mehrgleisig fahren. Wir müssen die Betroffenen erreichen, und wir müssen aber auch all diejenigen erreichen, die mit den Betroffenen zusammenkommen, die als Multiplikatoren in den Volkshochschulen, in den Betrieben, in den Schulen, in den Verbänden, in den Vereinen und wo auch immer mit Analphabeten zusammenkommen. Auch sie brauchen wir. Es geht darum, dass sie sich überlegen: Was können wir denn tun, um die Menschen anzusprechen? (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Unsere Alphadekade soll zuerst den Betroffenen selbst helfen – das ist ganz klar ; denn durch das Erlernen von Lesen und Schreiben, durch die Verbesserung des Lesens und Schreibens wird natürlich ein weiterer Grundstein gelegt für gesellschaftliche Teilhabe, aber auch für den weiteren beruflichen Erfolg. Immerhin ist ein Großteil der Betroffenen – darüber dürfen wir sehr froh sein, meine ich – berufstätig. Über berufliche Weiterbildung bieten sich neue Chancen, aus einer geringfügigen Beschäftigung in eine bessere berufliche Position zu kommen. Eins wissen wir doch alle miteinander: Das Angebot an Arbeitsplätzen für Menschen, die nicht richtig lesen und schreiben können, wird in diesem Land weniger und nicht mehr. Deswegen besteht auch ein gesamtgesellschaftliches Interesse, die Situation von Analphabetinnen und Analphabeten zu verbessern. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir wollen aber auch all den Menschen helfen – Herr Kollege Jung hat darauf hingewiesen; das ist dringend notwendig –, die diese Angebote durchführen, also den vielen Kursleiterinnen und Kursleitern; denn sie brauchen wirklich endlich verlässliche Perspektiven und eine gerechte Bezahlung. Wir brauchen aber auch neue Forschungsaufträge; denn um die richtigen Wege zu finden, brauchen wir noch mehr wissenschaftlich fundierte Daten. Die „leo. – Level-One“-Studie war ein guter Anfang; aber sie muss fortgesetzt und differenziert werden. Wir müssen heute den Menschen helfen, die betroffen sind. Aber wir müssen auch in Zukunft dafür Sorge tragen – das möchte ich auch betonen –, dass keine Schülerin und kein Schüler mehr die Schule verlässt, ohne wirklich rechnen, schreiben und natürlich auch lesen zu können. Deswegen liegt uns daran, dass dieses Thema Teil des Bildungsberichtes wird. Denn wenn wir dieses Problem wirklich erfolgreich in Angriff nehmen wollen, müssen wir es langfristig im Auge behalten und müssen kontinuierlich an einer Lösung arbeiten. Nur dann werden wir erfolgreich sein. Ich muss zu guter Letzt noch einmal auf die Finanzierungsfrage zu sprechen kommen. Frau Ministerin Wanka hat 180 Millionen Euro für die nächsten zehn Jahre angekündigt. Für 2016 stehen im Haushalt 16,5 Millionen Euro zur Verfügung. Mal zehn genommen ergeben sich daraus keine 180 Millionen Euro. Frau Ministerin Wanka verweist zu Recht darauf, dass es auch einen Bedarf an Alphabetisierungsangeboten für Flüchtlinge gibt. Die errechneten Zahlen und der Bedarf von 180 Millionen Euro beziehen sich aber auf Zahlen, die vor dem Einsetzen des Flüchtlingsstroms erhoben wurden. Es ist richtig, auch für Flüchtlinge Angebote zu schaffen; aber dafür müssen weitere Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Auch ich möchte allen Akteuren danken, die sich landauf, landab engagieren, um Analphabetismus zu bekämpfen. Vor allen Dingen möchte ich aber all denen Danke sagen, die sich trauen und öffentlich bekennen, dass sie von diesem Problem betroffen sind. Damit tragen sie dazu bei, dass dieses Phänomen aus der Tabuzone herauskommt und sich letztlich mehr Menschen trauen, sich ihrem Problem zu stellen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin Schieder, jetzt müssen Sie aufhören mit dem Danken. Marianne Schieder (SPD): Sofort, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen, ich glaube, eine sehr spannende und sehr lohnende Aufgabe liegt vor uns. Unterstützen Sie alle unseren Antrag, um all den Menschen, die besser lesen und schreiben lernen wollen, die Möglichkeit dazu zu geben. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Özcan Mutlu das Wort. Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 2,3 – 7,5 – 13 – das sind drei Zahlen, die im Kontext von Analphabetismus für sich selbst sprechen: 2,3 Millionen erwerbsfähige Menschen können lediglich einzelne Wörter lesen, verstehen und schreiben, jedoch nicht ganze Sätze. 7,5 Millionen Menschen – wir haben es hier wiederholt gehört; das sind 14 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung – gelten als funktionale Analphabeten, können nicht richtig lesen und schreiben. Circa 13 Millionen Menschen – das sind ganze 25 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung – haben in ihrer Schulzeit nicht gelernt, wie man richtig schreibt. – Das sind drei Zahlen, hinter denen sich knapp 23 Millionen Biografien und ganz unterschiedliche Schicksale verbergen. Diese Zahlen sind erschreckend, und wir können nicht einfach so tun, als wäre das nicht unser Geschäft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Marianne Schieder [SPD]: Tun wir auch nicht!) Dass wir in puncto Alphabetisierung neue Wege einschlagen müssen, das wissen wir spätestens seit Veröffentlichung der „leo. – Level-One“-Studie aus dem Jahr 2010. Das ist im Übrigen fünf Jahre her. Funktionalem Analphabetismus wirksam zu begegnen und so mehr Menschen Teilhabe zu ermöglichen, muss unser aller Aufgabe sein. Ich denke, dass hier Ideologie fehl am Platze ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Dann stimmt doch einfach zu!) Eine neue Studie zum Analphabetismus ist deshalb dringend nötig. Sie wird hoffentlich spätestens 2018 vorgelegt werden. Ich gebe gerne zu, dass Sie sich in puncto Alphabetisierung zumindest auf den Weg gemacht haben, zwar spät, aber immerhin. In Ihrem Antrag stellen Sie Richtiges und Wichtiges fest. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Er enthält Vorschläge, die man tatsächlich begrüßen kann. Weil uns das aber noch nicht ausreicht, werden wir uns enthalten und Sie auf dem Weg weiter begleiten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Erstens. Die bisher ergriffenen Maßnahmen sind in der Tat nicht falsch, aber sie reichen nicht aus; denn mit Ihren Maßnahmen erzielen Sie keine flächendeckende Verbesserung. Es gilt, das, was sich als Good Practice bewährt hat, zu verstetigen und in der Breite umzusetzen, nicht nur punktuell. Zweitens. Die 180 Millionen Euro an Investitionen für die Dekade für Alphabetisierung sind schön und gut. Aber gut gemeint ist in den seltensten Fällen auch gut gemacht. (Marianne Schieder [SPD]:Manchmal schon!) Wenn Sie die 180 Millionen Euro für zehn Jahre allein auf die 7,5 Millionen funktionalen Analphabeten herunterbrechen, kommen Sie auf einen Betrag von 2,40 Euro pro Person. Das ist in Anbetracht von 23 Millionen Menschen, die einen Förderbedarf haben, nicht ausreichend. (Marianne Schieder [SPD]: Das sind ja nur die Bundesmittel! Das wissen Sie doch!) – Ja, das sind nur die Bundesmittel, genau. (Marianne Schieder [SPD]: Eben!) Das reicht trotzdem nicht. Drittens. Was uns bei Ihnen fehlt, ist die Auseinandersetzung mit den Gründen, mit den Ursachen des Analphabetismus. Wir können gerne einmal darüber nachdenken, ob zwischen der Nichtzuständigkeit des Bundes und den besagten 23 Millionen nicht vielleicht doch ein Zusammenhang besteht. (Marianne Schieder [SPD]: Wie war das mit der Ideologie?) Unser Bildungssystem ist unterfinanziert. Wir sind der Meinung, dass hier deutlich mehr Engagement des Bundes erforderlich ist; denn wenn ein Viertel der Schülerinnen und Schüler die Schule verlässt, ohne richtig lesen und schreiben zu können, dann machen wir zu früh etwas falsch, dann machen wir zu lange und zu viel falsch. Das können wir nicht einfach auf die Bundesländer abschieben. Dafür tragen wir alle gemeinsam Verantwortung. Da hätte mehr geliefert werden müssen. Da haben Sie – Stichwort „Kooperationsverbot“ – leider mit der letzten Verfassungsänderung die Chance verpasst. Kollege Jung, es ist ja schön und gut, dass Sie vieles an die Länder delegieren, aber das reicht nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ihre Politik repariert etwas, das nie hätte sein dürfen. Menschen müssen erst beschämt werden, bevor sie ihre Würde wieder zurückerlangen können. Da, so sagen wir, läuft etwas gewaltig schief. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich sage hier und jetzt in aller Deutlichkeit: Dass die Kommunen 20 Prozent, die Länder 70 Prozent und der Bund knapp 10 Prozent der gesamtstaatlichen Bildungsausgaben tragen, kann so im Kern nicht richtig sein. Deshalb sagen wir: Früher und gezielter investieren, das muss unser Motto sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Da ist zum Beispiel das Programm „Lesestart – Drei Meilensteine für das Lesen“ zu nennen, das ganz früh ansetzt; es ist hier bisher nicht zur Sprache gekommen. Die Evaluationsergebnisse der ersten Projektphase belegen sowohl die hohe Durchdringung des Programms in den Kinderarztpraxen als auch die Akzeptanz und Nutzung der Lesestartangebote durch die Eltern. Das ist ein erfolgreiches Programm. Wir fordern hier deshalb – da können Sie zeigen, wie ernst Sie es meinen –, dieses Programm über 2018 hinaus zu verfestigen und nachhaltig zu sichern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Summa summarum sage ich zum Schluss: Das, was es an Good Practice in puncto Alphabetisierung gibt, gilt es nun in die Breite zu tragen, (Marianne Schieder [SPD]: Stimmen Sie zu! Das wollen wir!) und zwar landauf, landab, und finanziell nachhaltig abzusichern. Die 180 Millionen Euro, die Sie für die nächsten zehn Jahre im Haushalt festschreiben wollen, reichen nicht und sind auch keine Antwort auf die aktuellen politischen Entwicklungen, die unser Land zu bewältigen hat. Deshalb enthalten wir uns. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das war eine super Begründung! – Marianne Schieder [SPD]: Das ist aber mutig!) Wir hoffen, dass wir in Zukunft bei dieser Frage vielleicht an einem gemeinsamen Strang ziehen können. Danke sehr. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Sven Volmering, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Sven Volmering (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein Zufall, dass Frau Hein mir jetzt direkt eine Vorlage gegeben hat, indem sie auf einen Fehler hingewiesen hat. Der chinesische Philosoph Konfuzius hat gesagt: „Wer einen Fehler gemacht hat und ihn nicht korrigiert, begeht einen zweiten.“ Damit mir dies nicht passiert, möchte ich zu Beginn einen Fehler korrigieren, der mir im Rahmen der ersten Debatte über diesen Antrag unterlaufen ist. Die Beiträge dieser Debatte wurden ja bekanntlich zu Protokoll gegeben. Wahrscheinlich wäre der Fehler auch unbemerkt geblieben, wenn wir nicht alle zur Vorbereitung auf die heutige Debatte noch einmal nachgelesen hätten, was die anderen Kolleginnen und Kollegen über den wirklich guten Antrag von CDU/CSU und SPD denken. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Kollege Spiering ist leider nicht da. Ich möchte mich bei ihm entschuldigen, dass sein Name in meinem Redemanuskript falsch geschrieben wurde. Er war auch leider nicht der Berichterstatter aufseiten der SPD, dem zu danken war. (Marianne Schieder [SPD]: Das ist natürlich schlimm, dass Sie das nicht bemerkt haben!) – Jetzt hören Sie doch zu. – Das ist dem Kollegen Jung aufgefallen, der nicht nach dem Motto „Egal ob Stiering oder Spiering, Hauptsache SPD“ gehandelt hat, sondern mich direkt darauf hingewiesen hat, dass die Kollegin Schieder den Antrag aufseiten unseres Koalitionspartners mit ausgearbeitet hat. Daher gilt mein Dank zu Beginn diesmal richtigerweise den Kollegen Jung und Schieder für ihre ausgezeichnete Arbeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kommt davon, wenn man zu viel Redezeit hat!) Beim Lesen des Protokolls sind mir noch zwei weitere Dinge aufgefallen, die, zumal sie teilweise in der heutigen Debatte wieder angeklungen sind, Herr Mutlu und Frau Hein, nicht unwidersprochen bleiben dürfen. Liebe Kollegin Hein, Sie erkennen ja durch Ihre Enthaltung die Leistungen der Koalitionsfraktionen und auch der Bundesregierung an. Wir sind uns ja auch fraktionsübergreifend einig, dass die Bekämpfung des Analphabetismus eine gesamtgesellschaftliche Daueraufgabe ist, deren Lösung Zeit braucht, da dieser trotz vieler Bemühungen und Initiativen immer noch zu oft ein Tabuthema ist. Von heute auf morgen werden natürlich auch Scham, Vorurteile und Halbwissen in diesem Bereich nicht verschwinden. Aber ich bin davon überzeugt, dass im Rahmen der Dekade deutliche Fortschritte erzielt werden. Gestört hat mich daher vor allem eines: Sie haben in Ihrer ersten Rede behauptet, dass den Regierungsfraktionen „‚die schwarze Null‘ wieder näher als die Lese- und Schreibkompetenz der Menschen in unserem Land“ sei. Ich finde, in dieser Einfachheit und auch in dieser Zuspitzung kann das nicht unwidersprochen bleiben. Wir als CDU und CSU sind stolz auf die schwarze Null. Sie leistet einen enormen Beitrag zur Generationengerechtigkeit. Sie ermöglicht finanzielle Handlungsspielräume. Die Bildungsausgaben sind seit Beginn der Kanzlerschaft von Angela Merkel permanent gestiegen. Das Volumen des Haushalts des BMBF hat sich verdoppelt; in diesem Jahr packen wir 7,2 Prozent drauf. Genauso gerne stellen wir jetzt auch finanzielle Mittel für die Dekade zur Verfügung. 180 Millionen Euro sind eine stolze Summe, mit der man eine Menge auf die Beine stellen kann. (Beifall bei der CDU/CSU) Kollege Kaczmarek hat in der letzten Debatte völlig richtig gesagt, dass die Dekade für Alphabetisierung einen deutlichen Schritt nach vorne bedeutet. Die Grundfarben dieses Themas sind nicht Schwarz und Weiß wie auf einem Schachbrett, lieber Herr Mutlu. Es ist nicht so, dass – Zitat – „die Betroffenen angeschmiert sind“ und ihnen in – Zitat – „keiner Weise geholfen wird“. Es ist auch nicht so, dass die Abschaffung des Kooperationsverbotes der Zaubertrank zur Unbesiegbarkeit des deutschen Bildungssystems ist. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich auch nicht gesagt!) Es ist gut, dass das BMBF jetzt die Federführung bei der Koordinierung all dieser Maßnahmen hat; dort gibt es ja auch sehr viel Kompetenz und sehr großes Engagement. Aber die Auswirkungen der notwendigen Maßnahmen haben auch viele Berührungspunkte mit der Familien-, der Integrations- und der Arbeitsmarktpolitik. Alphabetisierung und Grundbildung sind eine Querschnittsaufgabe für alle gesellschaftlichen Akteure: (Dagmar Ziegler [SPD]: Jawohl!) für Gewerkschaften genauso wie für Arbeitgeber, für Länder und Kommunen ebenso wie für den Bund. Deshalb sind die Regionalen Grundbildungszentren, die wir einführen wollen, lokale Bündnispartner und Netzwerke unabdingbar für den Erfolg der Dekade. Im Gegensatz zu den Grünen habe ich die Antwort der Regierung auf die Anfrage nicht als PR empfunden, sondern als eine gelungene Übersicht über die Vielzahl bereits existierender Programme und Fördermaßnahmen, die hier gerade auch alle schon genannt worden sind. Von daher möchte ich mich an dieser Stelle bei allen Beteiligten, (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danken Sie uns doch für unsere Anfrage! die sich seit Jahren beruflich und ehrenamtlich in diesem Bereich engagieren, für ihren Einsatz bedanken, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es ist nicht so, dass wir jetzt einfach weitermachen wie bisher. Es ist auch niemand damit zufrieden, dass die Lesekompetenz in Deutschland unter dem OECD-Durchschnitt liegt. Deshalb ist es selbstverständlich – wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützen das ausdrücklich –, dass wir die Maßnahmen aufgrund neuer, veränderter gesellschaftlicher und politischer Rahmenbedingungen stärker mit der Lebenswirklichkeit der Menschen verknüpfen müssen. Wir brauchen eben qualitativ hochwertige Aktivitäten am Arbeitsplatz, in der Aus- und Fortbildung und in der Weiterbildung ebenso wie auch in den Sportvereinen. Deshalb ist es richtig, dass im Antrag die Qualitätsfrage, beispielsweise hinsichtlich der Curricula, gestellt und gefordert wird, die bisherigen Forschungs- und Evaluationsergebnisse im Hinblick auf erfolgreiche Maßnahmen weiter zu berücksichtigen. Aber es ist genauso wichtig, dass die Teilnehmer an all diesen Maßnahmen auch von Anfang an das Gefühl haben, dass ihre Teilnahme kein Zeichen der Schwäche oder Demütigung, sondern ein Zeichen der Stärke ist, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) dass die Maßnahmen ihnen einen Mehrwert bringen und sie bei allem Ernst auch Spaß machen können. Des Weiteren möchte ich als Berichterstatter für das Thema „Digitale Bildung“ auf die entsprechenden Potenziale hierzulande zu sprechen kommen. Die Ministerin hat in ihrer Haushaltsrede zu Recht darauf hingewiesen, dass bereits 500 000 Lernende an den Selbstlernprogrammen des Deutschen Volkshochschul-Verbandes teilgenommen haben. Qualitativ gute Blended- und Mobile-Learning-Angebote bieten enorme Chancen, kostenlos, zeit-, orts- und lehrerunabhängig ohne Druck zu lernen. Als Lehrer kann ich nur bestätigen, dass das Gefühl permanenter Beobachtung durch jemanden, der jeden Fehler sieht, oftmals dazu führt, dass man gehemmt ist. Von daher ist das eine gute Idee. Deswegen, finde ich, können die Plattformen „www.ich-will-lernen.de“ und „www.ich-will-deutsch-lernen.de“ nicht oft genug positiv erwähnt werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Weil die digitale Welt auch ein Bestandteil der Lebensrealität von Menschen ist, die nicht ausreichend lesen und schreiben können, möchte ich die Bundesregierung bestärken, auf diesem Weg fortzuschreiten. Die Entwicklung einer App zum Deutschlernen für Flüchtlinge ist bereits angesprochen worden; über die Bildungsmaßnahmen in diesem Bereich diskutieren wir gleich. Das ist, finde ich, eine sehr gute Idee. Man kann durchaus überlegen, ob man einmal mit der Bundesagentur für Arbeit darüber spricht, ob es möglich ist, diesen Ansatz auf die Grundbildung auszuweiten. Wir sollten auch darüber nachdenken, ob es sinnvoll ist, die Informationskampagne des Bundesbildungsministeriums über funktionalen Analphabetismus, die bald startet, zu einem großen Teil im Internet und in sozialen Netzwerken durchzuführen. Auch ich möchte auf den präventiven Ansatz des Projektes „Lesestart“ der Stiftung Lesen hinweisen. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Sehr gut!) Es ist ein gutes Beispiel dafür, dass der Bund auch in der Schule helfen kann und dass Koordination und Kooperation dort funktionieren bzw. funktionieren können. Der Parlamentarische Abend in dieser Woche hat auch noch einmal verdeutlicht, welch hohe Sympathie dieses Projekt genießt. Da ich am Anfang über Fehler gesprochen habe, möchte ich nicht damit enden, dass ich hier die Redezeit überziehe. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sehr gut!) Vielmehr möchte ich mit einem weiteren Konfuzius-Zitat schließen, das auch passt, weil Sie, lieber Herr Mutlu, auch von Wegen gesprochen haben. Konfuzius sagt nämlich: „Wenn du siehst, dass dein Ziel noch fern ist, dann fang an, dich auf den Weg zu machen.“ Meine Damen und Herren, CDU/CSU und SPD sind bereits auf dem Weg. (Marianne Schieder [SPD]: Wir sind kurz vor dem Ziel!) Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und den Linken, bleiben Sie jetzt nicht am Rand stehen und enthalten sich, sondern stimmen Sie unserem Antrag zu. Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit und uns morgen allen einen schönen 25. Jahrestag der Deutschen Einheit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Oliver Kaczmarek, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Oliver Kaczmarek (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ist einer der seltenen Fälle, in denen wir über eine Anregung des Parlaments reden, die die Regierung zwischen der ersten und der zweiten Lesung des Antrags direkt schon in die Tat umsetzt. Wir finden es erst einmal gut, dass das jetzt Fahrt aufgenommen hat. Wir wollen als Parlament mit diesem Antrag aber auch deutlich machen: Wir wollen das Thema jetzt nicht für zehn Jahre abgeben, sondern es aktiv mitgestalten. Das zeigt auch die engagierte Debatte hier. Gemeinsam – Parlament und Regierung – schaffen wir das. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist aber auch wichtig, zum Schluss der Debatte einen Blick auf die Frage zu werfen: Was wollen wir eigentlich nach den zehn Jahren der Alphabetisierungsdekade erreicht haben? Ich möchte gerne vier Anmerkungen dazu machen. Erstens. Wir müssen besser machen, was in der Vergangenheit nicht geklappt hat. Die Vereinten Nationen haben 2003 bis 2012 zur Weltalphabetisierungsdekade aufgerufen mit dem Ziel, die Zahl der betroffenen Menschen zu halbieren. Das Ergebnis war, dass weltweit die Zahl der betroffenen Menschen von 20 auf 17 Prozent gesunken ist. Das war gut, aber nicht ausreichend. Wir müssen aus dieser Weltalphabetisierungsdekade für unsere nationale Dekade lernen. Wir brauchen realistische Ziele. Wir brauchen geeignete Instrumente. Wir brauchen Personen, die vorangehen. Deswegen war es gut, dass die Ministerin gemeinsam mit der Kultusministerkonferenz den Impuls gesetzt hat. Und wir brauchen Geld. Ich will daran erinnern, dass Tony Blair in Großbritannien 3,6 Milliarden Euro für die Skills-for-Life-Strategie mobilisiert hat. Das kann man mit unserer Summe nicht vergleichen, weil wir hier nur über Bundesgeld reden; die Länder werden noch ein Vielfaches drauflegen. An dieser Stelle wollen wir jedoch auch sagen: Die 180 Millionen Euro, die die Ministerin in den Raum gestellt hat, finden wir gut, aber das kann nur eine Untergrenze sein. Wir helfen gern mit, da noch mehr Geld zu mobilisieren. (Beifall bei der SPD) Zweite Anmerkung. So gut es ist, dass Bund und Länder jetzt vorangegangen sind: Allein werden sie es nicht schaffen. Wir müssen in den nächsten zehn Jahren ein tragfähiges Alpha-Netzwerk aufbauen. Wir brauchen die Kompetenz derjenigen, die sich teilweise schon seit Jahrzehnten in der Alphabetisierungs- und Grundbildungsarbeit engagieren, sei es die Volkshochschule in meiner Heimatstadt, die schon seit den 80er-Jahren Alphabetisierungskurse anbietet, oder seien es die großen Verbände: der Deutsche Volkshochschul-Verband allen voran, die Stiftung Lesen ist schon genannt worden, der Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung, um nur drei Beispiele zu nennen. Das sind diejenigen, die die Kurse durchführen. Sie beraten am Alpha-Telefon, stellen die Unterrichtsmaterialien zusammen und qualifizieren die Kursleiter. Die Einbeziehung der Akteure der Alphabetisierungs- und Grundbildungsarbeit in die Dekade ist daher auch eine Frage der Wertschätzung der Arbeit, die dort teilweise schon seit Jahrzehnten geleistet wird. (Beifall bei der SPD) Ich habe eine Bitte: Lassen Sie uns auch die lokalen Netzwerke, die sich in letzter Zeit gebildet haben, im Blick behalten. Die regionalen Grundbildungszentren sind sicherlich ein guter Ansatz; das ist hier schon thematisiert worden. Vor Ort, in den Städten, können wir weitere Akteure an den Tisch holen, die wichtig sind: die Schulen, die Jobcenter, die lokale Wirtschaft, die Stadtverwaltung und viele andere mehr. Direkte Hilfe vor Ort zu organisieren, das könnte auch ein Erfolgsrezept dieser Dekade sein. Deswegen lassen Sie uns auch die Vor-Ort-Ebene im Blick behalten. Dritte Anmerkung. Was wollen wir in zehn Jahren erreicht haben? Wir wollen in zehn Jahren mehr über Analphabetismus und seine Ursachen wissen. Viele stehen immer noch ratlos vor dem Phänomen und fragen sich: Wie ist das eigentlich möglich – 7,5 Millionen betroffene Menschen in Deutschland trotz Schulpflicht, trotz Erwerbstätigkeit, trotz Muttersprache Deutsch? Und wie können sie das eigentlich in unserem schriftgeprägten Alltag verheimlichen? Die Wahrheit ist: Wir wissen etwas über das Ausmaß des funktionalen Analphabetismus, aber wir wissen herzlich wenig über die Ursachen und die Wechselwirkungen des Analphabetismus. Deswegen ist es gut, dass die „leo.“-Studie – sie ist hier mehrfach genannt worden – fortgesetzt wird. Wir brauchen in diesem Bereich kontinuierliche und gut ausgestattete Forschung. Die „leo.“-Studie ist ein Teil davon. Wir wollen, dass da in den nächsten Jahren noch mehr passiert. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) In dem Zusammenhang möchte ich neben der Forschung und den anderen Akteuren auch die Menschen benennen, die sich in den letzten Jahren getraut haben, als Betroffene an die Öffentlichkeit zu gehen und zu zeigen, wie sie gelebt haben. Wir haben von denjenigen, die sich getraut haben, als Botschafter und Lernende an die Öffentlichkeit zu gehen, viel gelernt. Herzlichen Dank dafür, und Respekt vor dem Mut! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vierte Anmerkung. Wir wollen in diesen zehn Jahren erreichen, dass kein Analphabet mehr am Rande der Gesellschaft steht; wir wollen, dass ihm oder ihr geholfen wird. Wir wollen Menschen ermutigen, Lesen und Schreiben zu lernen. Das ist oft ein langwieriger Prozess. Dabei reicht es nicht aus, einen Kurs zu besuchen. Es braucht Anreize, sich der Herausforderung zu stellen und zu erkennen, dass man mit dem Problem des Analphabetismus nicht allein ist. Aber es braucht auch – Frau Kollegin Schieder hat darauf hingewiesen – einen Anreiz, zu erkennen, wo ein Mitmensch von Analphabetismus betroffen ist. Wir brauchen mehr ausgestreckte Hände: in der Familie, im Betrieb, in den Verwaltungen oder anderswo. Dabei sind die Öffentlichkeitskampagnen, die dort gestartet werden, besonders wichtig. Es geht nicht um eine Werbekampagne. Die Kampagne soll diejenigen erreichen, die einen Kurs besuchen wollen, wie auch diejenigen, die erkennen, dass jemand ihre Hilfe braucht. Deswegen ist auch das ein ganz besonders wichtiger Teil. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. Wir haben viele gute Ziele in unseren Antrag aufgenommen. Wir werden die Dekade als Parlament begleiten. Ich bin zuversichtlich, dass wir einen wichtigen Fortschritt dabei erzielen, dass wir die Menschen unterstützen, Lesen und Schreiben zu lernen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Mit dem Beitrag von Herrn Kaczmarek ist die Aussprache beendet. Wir kommen damit zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD mit dem Titel „Zugang und Teilhabe ermöglichen – Die Dekade für Alphabetisierung in Deutschland umsetzen“, der, wie Sie alle gehört haben, auch in einfacher Sprache vorliegt und damit auch für uns im Bundestag beispielhaft ist auf dem Weg zu einem barrierefreien Parlament. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6179, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/5090 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Enthaltung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf: a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Die Alpen – Vielfalt in Europa – Ziele der Alpenkonvention voranbringen und nachhaltig gestalten Drucksache 18/6187 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Tourismus (f) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Tressel, Dr. Anton Hofreiter, Steffi Lemke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Tourismusprotokoll der Alpenkonvention umsetzen – Wintertourismus nachhaltig gestalten Drucksache 18/4816 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Tourismus (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich sehe bei Ihnen keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich bitte Sie jetzt alle, die Plätze einzunehmen. – Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Hans-Joachim Schabedoth, SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Hannibal 218 vor Christus mit großem Heer und vielen Elefanten über die Alpen zog, hat das den Alpen wohl weniger geschadet als den Elefanten. Die Verkehrsströme von heute wirken sicherlich deutlich belastender. Deshalb sind die Alpen auf schützende Regeln angewiesen. Denn die Alpen sind eine Schatztruhe für Europa, in vielerlei Hinsicht einzigartig und von existenzieller Bedeutung. Sie sind Erholungs-, Wirtschafts- und Lebensraum. Sie zeigen atemberaubende Landschaften. Die Gletscher, Seen und Schneefelder halten wichtige Süßwasserreserven für große Teile Europas. Die Bergwälder schützen vor Erosion, Lawinen und Hochwasser. Insgesamt leben in den Alpen rund 30 000 Tier- und 13 000 Pflanzenarten. Einige davon sind nach der Roten Liste gefährdet, und leider nicht nur Edelweiß und Enzian. Der Reichtum der Alpen ist allerdings auch ein Magnet der Wünsche. Eine Vielzahl von Interessen trifft hier aufeinander. Knapp 14 Millionen Menschen leben in den Alpen. In der Alpenregion mit Voralpenland leben 70 Millionen. Alle wollen hier irgendwie gut leben und wirtschaften, ihren Traditionen nachgehen und möglichst auch den kommenden Generationen ein Naturerbe hinterlassen. Mindestens 100 Millionen Menschen suchen jährlich in den Alpen Erholung und Vergnügen beim Skifahren, Klettern, Radfahren, Wandern, Gleitschirmfliegen und beim Golfen. Die Vielzahl der Interessen, die hier aufeinandertreffen, zeigt sich in der Dichte der Initiativen, Vereine, Verbände, Projekte und Programme über die Nutzung, den Schutz und den Erhalt der Alpen. Mittlerweile gibt es vier makroregionale Strategien der EU für den Alpenraum. Die älteste der europäischen Alpenstrategien ist die Alpenkonvention. Auf sie bezieht sich unser Antrag. Was ist die Alpenkonvention? Sie ist ein regionales politisches Programm, ein völkerrechtlicher Vertrag, mit dem sich die Alpenstaaten verpflichten, ihr Handeln im Alpenraum grenzüberschreitend zu koordinieren. Ziel ist, den Lebens- und Wirtschaftsraum im Einklang mit den natürlichen, ökologischen und sozialen Anforderungen zu gestalten. Dabei sollen die Interessen der Alpenstaaten, der alpinen Regionen, der EU, der Zivilgesellschaft und der alpinen Netzwerke aufgenommen und berücksichtigt werden. Mitglieder der Alpenkonvention sind die EU und die acht Alpenstaaten. Wer jetzt beim Aufzählen nur auf Österreich, Deutschland, Italien, die Schweiz und Frankreich kommt, der hat Slowenien, Liechtenstein und Monaco vergessen. Die Alpenkonvention besteht aus einer Rahmenkonvention sowie ihren Durchführungsprotokollen und Deklarationen. Die Rahmenkonvention definiert über zwölf Themenfelder die allgemeinen Maßnahmen und Grundsätze, nach denen die Alpenstaaten gemeinsam agieren wollen. Durchführungsprotokolle gibt es zu acht Fachthemen: Raumplanung und nachhaltige Entwicklung, Naturschutz und Landschaftspflege, Berglandwirtschaft, Bergwald, Tourismus, Energie, Bodenpflege und Verkehr. Was ist aber das Besondere an der Alpenkonvention? Sie ist eine von unten gewachsene Organisation, eine sogenannte Bottom-up-Institution, entstanden auf Initiative der Internationalen Alpenschutzkommission CIPRA. Sie bezieht ihren Anwendungsbereich auf ein klar definiertes regionales Gebiet. Die Ziele sind zwischen den Alpenstaaten abgestimmt und bilden die Grundlage für alpenweit integrative und nachhaltige Strategien. Hervorheben will ich deshalb diesen ganzheitlichen Ansatz. Sowohl Schutzbedürfnisse als auch Wertschöpfungsinteressen im Alpenraum werden aufgenommen und in Einklang gebracht. (Beifall bei der SPD) Die Alpenkonvention verfügt über ein bewährtes Mehrebenen-Steuerungssystem. Sie verbindet die europäische, die nationale und die kommunale Ebene. Das Gesamtkonzept der Alpenkonvention ist äußerst ehrgeizig, wie Sie daran erkennen können. Es hat Vorbildcharakter für andere Gebirgsregionen der Welt. In den Karpaten ist inzwischen eine Schwesterkonvention entstanden, die Karpatenkonvention. Die westlichen Balkanstaaten haben 2010 eine Erklärung unterzeichnet, die den Weg für eine künftige internationale Rechtsvereinigung – ähnlich der Alpenkonvention – bereiten soll. Auch im Kaukasus, in Zentralasien und sogar in den südamerikanischen Andenstaaten gibt es Überlegungen, die Gestaltung von Politiken für Bergregionen in einer gemeinsamen Strategie über die jeweiligen Ländergrenzen hinaus zu koordinieren. (Beifall der Abg. Gabriele Hiller-Ohm [SPD] und Heike Brehmer [CDU/CSU]) Die Bundesrepublik hat im November 2014 von Italien – ich glaube, darauf sind wir alle stolz – den Vorsitz der Alpenkonvention übernommen und gibt diesen Vorsitz im November 2016 an Österreich weiter. Die deutsche Haltung ist dabei nicht: Jetzt haben wir den Vorsitz und bringen das irgendwie mit Anstand hinter uns. – Wir wollen den Vorsitz nutzen, um unter dem Motto „Die Alpen – Vielfalt in Europa“ Schrittmacherdienste zu leisten. „Vielfalt“ steht hier für die Vielfalt der Kulturen der Alpenstaaten, für die biologische Vielfalt der Bergregion, für die Einbindung in europäische Verkehrsströme, für die Infrastrukturentwicklung und die Einbindung in die Entwicklung einer europäischen makroregionalen Strategie. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Bundesrepublik hat den Ehrgeiz, gemeinsam mit der Bayerischen Staatsregierung die Ziele der Alpenkonvention maßgeblich und beispielhaft voranzubringen. Bis 2016 hat sich der deutsche Vorsitz eine Vielzahl an Projekten vorgenommen. Ich nenne hier die Themenfelder Biodiversität, nachhaltiger Tourismus, Transport und Mobilität, Bodenschutz, Berglandwirtschaft, Bergwald, Raumplanung, Wasserwirtschaft. Und eine digitale Agenda gibt es auch. Aus der Fülle der Beispiele will ich nur wenige hervorheben: Bad Hindelang arbeitet derzeit an einer Digitalisierung seines gesamten Tourismusangebots. Es gibt bereits eine virtuelle Pistenabfahrt und eine Gästekarte, mit der öffentlicher Nahverkehr, Bergbahnen und verschiedene Freizeitangebote genutzt werden können. Das Projekt „Digitales Bad Hindelang“ ist ein Gewinner des Wettbewerbs „Zukunftsstadt 2030+“ und wird bereits im aktuellen Bundeshaushalt verdientermaßen gefördert. Ein weiteres Beispiel ist das Projekt „Crossing Borders“, ein transnationales Projekt mit Italien und Österreich. Es soll die Elektromobilität im Alpenraum fördern. Zum Ausbau der digitalen Infrastruktur wird unter dem deutschen Vorsitz erstmals ein Erfahrungsaustausch zwischen den Vertretern der Alpenstaaten angeregt. Dabei will man die Möglichkeiten für einen flächendeckenden und grenzüberschreitenden Ausbau von schnellem Internet und Funkdiensten identifizieren und dann koordinieren. Allen Projekten gemeinsam ist der Grundgedanke, im Einklang mit den Grundsätzen der Alpenkonvention und orientiert an den Bedürfnissen der Menschen vor Ort musterhafte Lösungen für einen nachhaltigen und ressourcenschonenden Tourismus zu entwickeln. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen mit unserem Antrag das höchst ambitionierte Programm der Bundesregierung im Vorsitz der Alpenkonvention unterstützen. Wir greifen das Konzept der Vielfalt auf. Wir verstehen auch den Tourismus als Querschnittsthema, das in viele Ressorts hineinwirkt: Wirtschaft und Umwelt, Verkehr, Arbeit und Soziales, Ernährung und Landwirtschaft, Sport, Europa-, Länder- und Kommunalpolitik. Nun liegt ein zweiter Antrag, nämlich von den Grünen, vor. Er enthält auch gute Ansätze. (Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben das angestoßen! Der war vor eurem da!) – Das erwarten wir auch von Ihnen. – Doch wie schon ein rascher Vergleich belegt, ist unser Ansatz doch etwas umfassender und weiterführender. (Heike Brehmer [CDU/CSU]: Genau!) Der grüne Antrag verengt die Thematik auf innovative Tourismuskonzepte, zu sehr konzentriert auf den Wintertourismus. Wenn Sie unseren Antrag noch einmal etwas sorgfältiger lesen, werden Sie sehen: Wir verknüpfen die Anliegen des nachhaltigen Tourismus mit der Fülle der eben genannten sonstigen Herausforderungen. Die Interessen der Bewohner des Alpenraums, der Zivilgesellschaft und der alpinen NGOs werden mit berücksichtigt. Wir heben die sozioökonomische Bedeutung des Alpentourismus hervor, beziehen uns auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der ansässigen Bevölkerung und auf die ländlichen Siedlungsstrukturen. Für den Tourismus geht es uns um die Entwicklung eines ausgewogenen ganzjährigen Tourismusangebots, also nicht nur im Winter, um eine Balance zwischen den Interessen und der Lebensqualität der Ortsansässigen und einer schonenden touristischen Nutzung. Wir legen sehr viel Wert darauf, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu vertiefen, um ein kohärentes Gesamtkonzept für den gesamten Alpenraum aufzustellen, Synergieeffekte zu identifizieren und zu nutzen. Fazit: Die Alpenkonvention enthält eine Fülle etablierter Strukturen und Arbeitsweisen, die dem deutschen Vorsitz beste Anknüpfungspunkte bieten, um den Lebensraum Alpen für Natur und Mensch nachhaltig zu sichern. Wir wollen ganz besonders dazu beitragen, dass wir nicht nur Nutzer, sondern auch Schützer der Alpen sind. Ich bitte um die Zustimmung zu unserem Antrag. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die Kollegin Kerstin Kassner das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Kerstin Kassner (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für mich hat dieses Thema – zumal am Vorabend des 25. Geburtstages – die Dimension der deutschen Einheit. In den 90er-Jahren – Sie werden sich vielleicht erinnern – gab es die Fernsehserie Ein Bayer auf Rügen. Jetzt spricht eine Rüganerin über die Alpen in Bayern. Allerdings gehören die Alpen ja nicht nur zu Deutschland, sondern, wie wir gerade von Herrn Dr. Schabedoth gehört haben, zu vielen Ländern. Deshalb ist das eine spannende Aufgabe. Nun kenne ich mich, ehrlich gesagt, in den Alpen nicht so gut aus. Ich habe noch nicht so oft Gelegenheit gehabt, dort Urlaub zu machen oder mich über das Thema noch weitgehender zu informieren. Allerdings habe ich beim Studium der beiden Anträge, aber auch der Konvention an sich erfahren, dass die Problematiken, die wir Rüganer oder Bewohner von Küstenländern haben, mit denen der Bewohner der Alpen vergleichbar sind: Überall dort, wo es sehr viele Touristen gibt und wo der Tourismus die stärkste Wirtschaftskraft ist, gibt es ähnliche Probleme. Man muss eben die Herausforderungen, die die weltweite Klimaerwärmung mit sich bringt, anpacken und Strategien entwickeln, wie man damit umgeht. Uns bereitet die ansteigende Meeresoberfläche Pro­bleme. In den Alpen ist es der auftauende Permafrostboden, der nur noch am Gipfel der Alpen fest vereist ist. Inzwischen beginnt dieser Permafrostboden schon 150 bis 200 Meter höher, also die Fläche, die lange genug über ausreichend Schnee verfügt. Das stellt viele vor große Herausforderungen. Man muss auch sagen: Das hat noch weitere Folgen. Durch das Abschmelzen werden die Berge auch brüchiger. Man muss in dieser Gegend mit Schlammlawinen und Steinschlag rechnen. All das macht das Leben dort nicht leichter. Deshalb suchen wir gemeinsam nach Strategien, wie man aus dieser Situation herauskommt. Ein Thema, das auch wir kennen, ist die Saisonverlängerung. Dabei wird nicht nur auf eine Saison gesetzt, hier die Wintersaison, sondern auch auf eine andere Saison, also hier die Sommersaison; bei uns ist das genau umgekehrt. Man reagiert mit vielfältigen Angeboten, etwa durch die Schaffung von zusätzlichen Wandermöglichkeiten und anderen Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung, die man den Gästen offeriert, also nicht nur das Skifahren. Weitere Möglichkeiten sind verkehrliche Angebote, indem man tatsächlich Alternativen schafft. Ich nenne hier nur das Stichwort „Elektrofahrzeuge“. Eine ganz wichtige Sache – das möchte ich sogar an den ersten Punkt der Liste stellen – ist, dass man die Menschen mitnimmt, dass man den Menschen von Anfang an darlegt, was das Besondere in der Region ist und wie wichtig und erhaltenswert sie ist. Natürlich muss auch das, was vorhanden ist, miteinander verknüpft werden, also Alpen und Landwirtschaft  – das kennen wir –, aber auch gesunder Raum mit Flora und Fauna. Damit kann man eine ganze Menge an zusätzlichen Angeboten entwickeln. Eines aber sage ich ganz bewusst: Das Berieseln der Hänge mit Schneekanonen ist wahrscheinlich nicht der richtige Weg. Er bringt vielleicht kurzfristig Erfolg, aber auf lange Sicht ist das nicht die Lösung für die Probleme in den Alpen; das muss man ganz deutlich sagen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich habe gerade auf einer Website etwas über ein Skigebiet zwischen Bayrischzell und Brandenburg gelesen; Frau Ludwig wird dazu bestimmt etwas sagen. (Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Ja!) In einem Winter werden dort 430 000 Kilowatt Strom benötigt, um dieses Skigebiet mit Schnee zu versorgen. Weiterhin wird da ein CO2Ausstoß von 79 Tonnen pro Jahr angegeben und dieser Wert – jetzt hören Sie einmal genau hin – mit dem Ausstoß eines DieselPkw verglichen. Wir wollen einmal ehrlich sein: So richtig glauben wir dem alle nicht. Deshalb sage ich: Andere Strategien, wie ich sie vorhin nannte, die soziokulturelle und verkehrliche Alternativen umfassen, sind der deutlich bessere Weg, um aus dieser Situation herauszukommen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Daniela Ludwig [CDU/CSU]) Ich wünsche dem deutschen Vorsitz wirklich gute Ergebnisse. Bei der XIV. Alpenkonferenz, die am 13. Oktober 2016 stattfinden wird, soll ja ein Handbuch mit dem Titel 10 Jahre ökologische Konnektivität in den Alpen vorgelegt werden. Ich bin sehr gespannt auf die Ergebnisse, die uns beispielsweise die Raumordner dort vorlegen. Denn ich bin mir sicher: Das, was wir dort erfahren, wird nicht nur für die Alpen Modellcharakter haben, sondern auch für uns. An die Kollegen der Großen Koalition habe ich eine Bitte: Sie haben einen Antrag vorbereitet, der viel enthält. Vielleicht gelingt es Ihnen, die 500 000 Euro, die wir für den Titel „Leistungssteigerung im Tourismusgewerbe“ verlieren, wiederzubekommen, beispielsweise für innovative Vorhaben in der Alpenregion. Ich würde mich darüber sehr freuen, auch als Rüganerin. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächste hat Daniela Ludwig, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Daniela Ludwig (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kassner, ich darf mir Ihre letzte Aufforderung persönlich und ganz wörtlich ins Stammbuch schreiben. Ich habe schon am vergangenen Mittwoch im Ausschuss genau das gleiche Anliegen formuliert. Wir sind jetzt gerade dabei, dies auch unseren Haushältern näherzubringen. DZT-Mittel sind schön und gut, aber wir brauchen auch weiterhin eine Förderung innovativer Projekte vonseiten des Bundes. Da können wir diese 500 000 Euro sehr gut gebrauchen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Dafür werden wir uns einsetzen. Wenn Sie uns dabei unterstützen, freut uns das natürlich umso mehr. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland ist auch 2015 das geblieben, was es bereits in den vergangenen Jahren war: eines der attraktivsten Reiseziele der Welt. Allein im ersten Halbjahr 2015 konnten wir die Zahl der Übernachtungen von in- und ausländischen Gästen bei uns im Land um 3 Prozent steigern. Wir dachten schon, 2014 sei ein Rekordjahr. Das Ergebnis von 2015 wird das von 2014 definitiv noch toppen. Das liegt sicherlich nicht nur daran – das wissen wir alle –, dass wir in Deutschland eine breite Palette touristischer Angebote haben, sondern das liegt insbesondere auch daran, dass uns der Erhalt unserer Landschaft, und zwar von Rügen bis zu den Alpen, wie auch der biologischen Vielfalt sehr am Herzen liegt und wir sie trotz Tourismus weiter aufrechterhalten wollen. Insofern ist es ganz besonders schön – das ist auch der Anlass unseres Antrages –, dass die Bundesrepublik, namentlich die Bundesregierung, derzeit den Vorsitz der Alpenkonvention hat. Das Motto ihres Programms ist „Die Alpen – Vielfalt in Europa“. Besonderes Augenmerk wird der deutsche Vorsitz auf eine Politik des „Grünen Wirtschaftens im Alpenraum“ richten. Ich glaube, da sind wir schon sehr nah beieinander. Es sind viele Ziele formuliert worden. Ich möchte mich auf einige wenige konzentrieren. Zum einen müssen wir uns die Verkehrsströme im Alpenraum sehr genau anschauen. Sehr viele touristische Orte erreicht man am Ende des Tages eigentlich nur mit dem Pkw, weil die Bahn vielleicht nicht ins letzte Bergdorf fährt, das aber ein ordentliches touristisches Angebot vorhalten kann. Das heißt, wir müssen die Alpen als sensiblen Lebensraum dringend vom PkwVerkehr entlasten und deutlich mehr Augenmerk auf den öffentlichen Personennahverkehr, aber eben auch auf den Schienenfernverkehr legen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Das können wir auch schaffen. Die Alpen bieten uns nämlich praktischerweise etwas an, was wir sonst selten finden: Die touristische Infrastruktur konzentriert sich auf ein paar wenige Regionen. 46 Prozent der Beherbergungsbetriebe befinden sich in 5 Prozent der Alpengemeinden. Das heißt, wenn wir uns darauf konzentrieren, diese Gemeinden ordentlich an den Schienenverkehr anzubinden, muss das keine Vision bleiben, sondern kann tatsächlich Wirklichkeit werden. Einiges ist dazu in der Vergangenheit bereits getan worden. Frau Kassner, Sie hatten es angesprochen: 2012 wurde schon das Projekt AlpInfoNet unter Federführung des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft ins Leben gerufen. Das ist keine neue Informationsplattform, sondern sie führt vielmehr alle Informationssysteme aus den Bereichen Tourismus und Verkehr zusammen, sodass sich jeder, der in die Alpen reisen will, sehr konzentriert informieren kann, wie er sich dort am besten fortbewegt. Das sollten wir ausbauen. Deswegen unterstützen wir mit unserem Antrag die Bundesregierung in diesem Bemühen. Wichtig ist natürlich, dass wir eine weitere Tourismussteigerung in den Alpen erwarten können. Man geht davon aus, dass sich der Tourismus in den Alpen bis zum Jahr 2030 noch um weitere 30 Prozent steigern lassen wird. Umso wichtiger ist es, dass wir uns auch mit dem CO2-Ausstoß in diesem sensiblen Lebensraum stärker befassen; denn die Emissionen nehmen demgemäß von Jahr zu Jahr zu. Daher müssen wir den Aktionsplan für die Alpen, den es bereits gibt, auch an dieser Stelle sehr ernst nehmen; denn, wie zu Anfang schon gesagt, Tourismus bei uns funktioniert nur deshalb so gut, weil wir ihn immer zusammen mit dem Erhalt unserer Landschaft betrachten. Es bedarf also einer starken Unterstützung des Aktionsplans, der unter anderem sagt: Wir müssen die Baubeschränkungen in Gletschergebieten und in sensiblen Naturräumen sehr ernst nehmen. Wir müssen den Verkehr besser bündeln. Renovierung von touristischen Betrieben muss vor ständigen Neubauten gehen. Das sind, glaube ich, Kernpunkte, die wir alle unterstützen können. Wichtig ist ferner, dass wir, auch wenn ein Gebiet zu einem großen Teil von Erholung und Tourismus lebt, die einheimische Bevölkerung nicht vergessen und sie mitnehmen. Ich denke, dass das in Zukunft im Prinzip für fast jeden touristischen Ort gelten muss, wenn wir von nachhaltigem Tourismus sprechen und nicht nur von kurzlebigen Aktionen, die da vor Ort stattfinden. Natürlich bringt der Tourismus oftmals Probleme mit sich bringt. Die Debatten, die wir zurzeit führen über die Zulässigkeit von Ferienwohnungen in Wohngebieten und dergleichen mehr, können wir selbstverständlich eins zu eins auf die Alpen übertragen. Die touristischen Ziele in den Alpen haben die gleichen Probleme wie wir: demografische Entwicklung, Umweltbelastungen, zu viel Zuzug von Neubürgern und zu viel Wegzug von Leuten, die dort aufgewachsen sind und mal gedacht haben, sie könnten sich dort ihre Zukunft aufbauen. Auch hier muss man schauen, dass man die Interessen der Fremdenverkehrswirtschaft langfristig mit den Interessen der einheimischen Bevölkerung zusammenbringt. Wir unterstützen ganz ausdrücklich das Netzwerk der sogenannten Bergsteigerdörfer – ich finde, das ist eine ganz tolle Initiative –, wir haben es in unserem Antrag explizit erwähnt. Es werden mit nationalen und EU-Mitteln beispielsweise Südtiroler Dörfer gefördert, die eine ganz besondere Infrastruktur für Bergsteiger ausgebaut haben. Dies geschieht nicht auf Kosten der Natur, weil damit letztlich nicht zu viel Bautätigkeit verbunden ist. Es soll bei einer exzellenten Landschaftsqualität ein Bergsteigererlebnis auf ganz hohem Niveau angeboten werden können. Ich glaube, dass das ganz wichtig ist. Das ist nur eine von vielen Initiativen, mit denen sich die Alpenkonvention beschäftigt und die in ihrem Rahmen realisiert werden. Ich möchte noch eine nennen, die zeigt, wie wichtig es ist, auch die Jugend nicht nur in Erhalt und Förderung der Tourismuswirtschaft in den Alpen mit einzubinden, sondern auch in Fragestellungen wie: Wie erhalten wir unsere Berglandschaft? Wie erhalten wir dieses einzigartige, wahnsinnige Berggebilde, das uns in der Mitte Europas so auszeichnet? Das Akademische Gymnasium in Innsbruck hatte 2006 die Idee, ein Jugendparlament ins Leben zu rufen. Dieses Jugendparlament begleitet sozusagen regelmäßig die Alpenkonvention. Es soll den Jugendlichen, die in den Alpen leben, die Möglichkeit geben, sich untereinander auszutauschen: Wie ist die Perspektive? Was stellt ihr euch vor? Was wünscht ihr euch? Wie können wir die Alpen ganz besonders schützen? Das Karolinen-Gymnasium in meinem Wahlkreis, in Rosenheim, beteiligt sich seit Jahren daran. Es ist wirklich eine tolle Sache, wenn man sieht, wie engagiert sich die jungen Leute in diesem institutionalisierten Rahmen mit der Thematik auseinandersetzen. Insofern ist die Alpenkonvention eine tolle Sache. Es ist schön, dass wir in diesem und im nächsten Jahr den Vorsitz haben dürfen. Es zeigt sich natürlich auch: Qualität ist die Zukunft auch im Tourismus, nicht die Quantität. Ich finde, viele Touristiker, gerade im Alpenraum, machen dies in toller Weise vor. Der Tourismusausschuss hat Südtirol besucht und konnte sich davon überzeugen, dass auch hier die Qualität an oberster Stelle steht und nicht unbedingt der Massentourismus. Ich glaube, dass wir hier gemeinsam noch viel erreichen können. Das ist der Grund unseres Antrages. Ich danke Ihnen herzlich für die Aufmerksamkeit und darf um Ihre Zustimmung bitten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Markus Tressel das Wort. Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben jetzt schon viel über die Bedeutung der Tourismusbranche und auch über die Bedeutung der Alpen gehört. Wir alle, die wir Tourismuspolitik betreiben, wissen, dass die Tourismusbranche vor allem von intakter Natur lebt. Die Alpen sind nicht nur eines der wertvollsten und artenreichsten Ökosysteme, sondern auch ein touristischer Hotspot in Europa, und wir wissen auch, dass sie nicht immer die politische Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdienen. Deshalb ist es wichtig und richtig, dass sie mit dem deutschen Vorsitz in den Fokus rücken und dass wir diese Debatte im Deutschen Bundestag heute auch im Kontext eines der wichtigsten Wirtschaftszweige der Alpen, des Tourismus, führen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wichtig ist – deswegen diskutieren wir das heute auch –, dass Deutschland mit dem Vorsitz die Verantwortung dafür trägt, Treiber und Vorreiter für eine nachhaltige Entwicklung des Alpenraumes zu sein. Wir haben in dieser Zeit des Vorsitzes die Chance, eine Zukunftsstrategie voranzutreiben, um die Alpen zu einem zukunftsfesten Urlaubsziel zu machen, sie ökologisch zu bewahren und als Lebens- und Wirtschaftsraum zu erhalten und zu entwickeln. Wenn wir uns die Bilder der Alpen ansehen – im Fernsehen, aber auch, wenn wir selber vor Ort sind – und dabei einen Rückgang der Artenvielfalt und zerstörte Hänge erkennen, die nach immer milder werdenden Wintern zum Vorschein kommen, dann wissen wir: Dagegen müssen wir etwas tun, und zwar grenzüberschreitend, aber auch national. Damit sich die Alpen als Reiseziel im Wettbewerb erfolgreich behaupten können, müssen Politik und Unternehmen schnellstens auf die Klimakrise und die demografischen Veränderungen reagieren. Gerade bei rückläufiger Schneesicherheit brauchen wir Alternativen zum Skitourismus, der die Wertschöpfung im Alpenraum erhält. Herr Kollege Schabedoth, der Wintertourismus belastet die Alpen am meisten – nicht der Sommertourismus. Deswegen haben wir in unserem Antrag auch einen Fokus darauf gelegt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Tourismus muss seinen Beitrag leisten, um die Umwelt und das Klima zu schützen und die Region gleichzeitig attraktiver zu gestalten. Die Lösung heißt hier „Innovation und unternehmerische Weiterentwicklung“. Es geht auch darum – das hat die Kollegin gerade ja auch gesagt –, die Menschen in der Region zu halten, sodass wir die Fachkräftebedarfe vor Ort decken können. Deswegen brauchen wir ein entsprechendes Konzept. Aus diesem Grunde müssen wir hier auch Bundesmittel einsetzen, um zum Beispiel einen Forschungsschwerpunkt zum Thema „Innovationsprozesse im Tourismus am Beispiel des Alpenraumes“ zu finanzieren, dessen Ergebnisse am Ende auch für die Mittelgebirgsregionen nutzbar wären. Da muss jetzt investiert werden – auch außerhalb der klassischen Genres der vergangenen Jahrzehnte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wichtig ist auch, dass wir die Alpen zur Klimamodellregion entwickeln müssen. Das bedeutet auch Verbesserungen im Verkehrsbereich – das ist angesprochen worden –: Wie komme ich dahin? Wie bewege ich mich vor Ort? Daneben müssen wir auch sehr intensiv über die Energieeffizienz und den Flächenverbrauch diskutieren. Hier spielt die E-Mobilität sicher eine Rolle, aber auch andere Themen sind hier wichtig. Wie sieht das in der Praxis aus? Die Kollegin Kassner hat das Skigebiet Sudelfeld mit dem, ich glaube, mittlerweile größten Speicherteich der Bundesrepublik angesprochen. Angesichts der Klimakrise waren die Anschaffung von 250 neuen Schneekanonen und die weiteren Maßnahmen dort kein Weg, der weiter gangbar sein wird. Dort sind über 3 Millionen Euro deutsches Steuergeld in eine Technik investiert worden, die eben nicht zukunftsträchtig ist. Ich glaube, das Geld wäre in der Forschung für zukunftsträchtige touristische Produkte und deren Förderung besser angelegt gewesen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, die Protokolle der Alpenkonvention müssen schnellstmöglich umgesetzt und zum besseren Schutz der alpinen Arten- und Ökosystemvielfalt weiterentwickelt werden. Dazu haben wir jetzt die Chance. Diese sollten wir nutzen. Bereits bestehende Förderprogramme müssen daraufhin überprüft werden, ob ihre Auswirkungen mit den Zielen der Alpenkonvention in Einklang stehen. Hier muss die Bundesregierung verstärkt auf die großen Zusammenhänge achten. Wir müssen das Know-how grenzüberschreitend bündeln und gucken, was wir hier grenzüberschreitend noch mehr tun können – insbesondere im Hinblick auf die Klimakrise. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) An dieser Stelle will ich festhalten, dass Ihre Forderungen durchaus in die richtige Richtung gehen. Ich glaube auch, dass wir im Grunde genommen nicht weit voneinander entfernt sind, liebe Frau Kollegin Ludwig. Ich habe mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen, dass Sie eben, als die Kollegin das Sudelfeld angesprochen hat, geklatscht haben. Wenn Sie das vor Ort als CSU dann auch einmal umsetzen würden, dann könnten wir alle ganz froh sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kerstin Kassner [DIE LINKE]) An dieser Stelle muss ich aber auch deutlich sagen: Es ist bedauerlich, dass wir es bei einem so wichtigen Thema nicht geschafft haben, heute hier einen gemeinsamen Antrag vorzulegen. Die Initiative dazu gab es ja. Ich glaube, das wäre ein Signal der Geschlossenheit und dafür gewesen, dass wir den Alpenschutz ernst nehmen und gemeinsam voranbringen wollen. Ich glaube, die Alpen und auch die Branche würden es uns danken, wenn wir da einen gemeinsamen Weg finden für die restliche Zeit des deutschen Vorsitzes. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Und ich danke Ihnen. – Jetzt erhält die Kollegin Heike Brehmer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Heike Brehmer (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute den Antrag der Koalitionsfraktionen und den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zur nachhaltigen Gestaltung der Alpenkonvention. Der Alpenraum – wir haben es heute schon mehrfach gehört – ist landschaftlich einzigartig und eines der wichtigsten Erholungsgebiete Europas. 120 Millionen Touristen nutzen die Alpen jedes Jahr zur Erholung sowie für Sport- und Freizeitaktivitäten. Unsere Gäste schätzen besonders den direkten Zugang zur Natur, die beeindruckenden Landschaften und das breite Spektrum touristischer Angebote. Der Erfolg der Alpen als eine der führenden Destinationen auf dem internationalen Touristikmarkt ist maßgeblich auf ihre Vielfalt zurückzuführen. Die breite Palette regionaler Ressourcen und das kulturelle Erbe erfüllen zu jeder Zeit die Erwartungen der Gäste. Der Tourismus boomt, nicht nur in den Alpen, sondern in allen Regionen unseres Landes. Die Tourismusbranche ist einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren: 2,9 Millionen Beschäftigte und rund 97 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung in Deutschland sind dafür der beste Beleg. Mit einem Marktanteil von rund 30 Prozent ist und bleibt Deutschland das Lieblingsreiseland heimischer Landsleute. Diese Zahlen zeigen, dass Deutschland in der ganzen Welt für seine Gastfreundschaft geschätzt wird. Dieser Erfolg ist aber kein Selbstläufer. Er ist das Ergebnis von Fleiß und harter Arbeit. Deshalb möchte ich den Beschäftigten der Branche, die täglich mit viel Engagement im Tourismus arbeiten, ein herzliches Dankeschön aussprechen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dass der Deutschlandtourismus insgesamt boomt, daran haben die Alpen einen erheblichen Anteil. Sie sind eines unserer wichtigsten Urlaubs- und Erholungsgebiete. Mit der Alpenkonvention haben sich acht Staaten und die Europäische Union verpflichtet, das einzigartige natürliche und kulturelle Erbe der Alpen zu schützen und den Tourismus nachhaltig zu gestalten. Der Antrag von CDU/CSU und SPD zur Alpenkonvention ist daher ganz bewusst auf Nachhaltigkeit und den Schutz natürlicher Ressourcen ausgelegt. Wir wollen unser Handeln mit Blick auf die Lebensqualität nachfolgender Generationen langfristig ausrichten. Mit der Alpenkonvention sind wir auf einem sehr guten Weg. Zu den wichtigsten Grundlagen des Tourismus zählen eine intakte Natur und Umwelt. Die Konvention legt Mindestanforderungen zum Bergtourismus fest und berücksichtigt dabei wirtschaftliche, soziale und ökologische Auswirkungen. Deutschland hat gemeinsam mit dem Freistaat Bayern im Dezember 2014 für zwei Jahre den Vorsitz der Alpenkonvention übernommen. Wir wollen einen konkreten Beitrag zum Erhalt des landschaftlichen und kulturellen Erbes der Alpenregion leisten. Dazu zählt der Abschluss des Interreg-Projektes zum länderübergreifenden Austausch von Verkehrs- und Tourismusdaten als Grundlage für gemeinsame statistische Erhebungen. Es wird zusätzlich eine Arbeitsgruppe „Nachhaltiger Tourismus“ eingerichtet. Sie führt die Erkenntnisse aus dem Vierten Alpenzustandsbericht kontinuierlich fort. Wir arbeiten eng mit den Vertragsparteien, der Zivilgesellschaft vor Ort und den alpinen Netzwerken zusammen. Die Bundesregierung wird Vertreter der Alpenstaaten, der lokalen Wirtschaft sowie von Verbänden und Politik zu einem Erfahrungsaustausch zusammenbringen. Die Zusammenarbeit der Alpenstaaten ist für den Tourismus bedeutender denn je; denn manche Chancen und Herausforderungen lassen sich in diesem Naturraum nur gemeinsam und grenzüberschreitend lösen. Beispielhaft nenne ich das Projekt „Crossing Borders“ – wir haben es heute schon gehört – zur Förderung der Elektromobilität im Alpenraum und das Gemeindenetzwerk „Allianz in den Alpen“. Es setzt sich mit seinen Projekten für den Erhalt der Biodiversität und die Vermarktung regionaler Produkte ein. Der deutsche Vorsitz hat für sein Programm den Titel „Die Alpen – Vielfalt in Europa“ gewählt. Unser heutiger Antrag zeigt konkrete Möglichkeiten auf, unterschiedliche Interessen und Ansprüche mit dem Erhalt lokaler Landschaften und Traditionen in Einklang zu bringen. Nachhaltiger Tourismus erfordert ein konzertiertes Vorgehen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene. Hier ist das Land Bayern Vorbild. Mit seiner nachhaltigen Tourismusstrategie gehört Bayern zweifellos zu den Vorreitern der deutschen Tourismuswirtschaft. Mit über 31 Milliarden Euro Bruttoumsatz und über 84 Millionen Übernachtungen sichert die Leitökonomie Tourismus das Einkommen von mehr als 560 000 Einwohnern im Freistaat. Der Ressourcenreichtum – besonders in den bayerischen Alpen – ist Verpflichtung, schonend damit umzugehen und ihn als Lebensgrundlage für künftige Generationen zu bewahren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Hans-Joachim Schabedoth [SPD]) Der Erhalt von Natur und regionaler Identität hat auch aus tourismuspolitischer Sicht hohe Priorität. In den bayerischen Alpen gibt es eine Fülle erstklassiger Lösungsansätze für den nachhaltigen Tourismus, die uneingeschränkt zur Nachahmung empfohlen werden können. Nennen möchte ich zum Beispiel das Ökomodell Achental zum grenzüberschreitenden Schutz lokaler Kulturlandschaften. Davon hat sich unser Tourismusausschuss bei seiner Reise in das Berchtesgadener Land selbst überzeugen können. So sind im Nationalpark Berchtesgadener Land die Wanderwege barrierefrei ausgebaut. Die meisten Ziele sind mit öffentlichen Verkehrsmitteln ohne eigenes Auto zu erreichen, und spezielle Wegeleitkonzepte schützen Flora und Fauna. Deutschland führt aus gutem Grund gemeinsam mit dem Freistaat Bayern den Vorsitz der Alpenkonvention. Die aktuellen Herausforderungen in den Alpenländern betreffen den Ausbau nachhaltiger Tourismuskonzepte. So wollen wir beispielsweise im Rahmen der Alpenkonvention die Verkehrsbelastung senken – das haben wir heute schon mehrmals gehört – und eine nachhaltige Verkehrspolitik umsetzen. Dazu gehört die bessere Erreichbarkeit von Tourismusdestinationen mit öffentlichen Verkehrsmitteln und die Förderung der Elektromobilität. Weiterhin wollen wir als CDU/CSU und SPD die barrierefreie Erreichbarkeit touristischer Ziel verbessern und Best-Practice-Lösungen aus dem Bereich Barrierefreiheit bekannter machen. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, zur Weiterentwicklung der Alpenkonvention wird die Bundesregierung eine Arbeitsgruppe einrichten, die einen Mehrjahresentwurf unter den bereits genannten Gesichtspunkten erarbeitet. Weiterhin wird es in Zusammenarbeit mit der Bayerischen Staatsregierung im Juni 2016 eine Konferenz der Alpenstaaten zum Thema „Nachhaltiger Tourismus und Innovation im Alpenraum“ geben. Die Konferenz wird konkrete Politikempfehlungen für die XIV. Alpenkonferenz erarbeiten. Weiterhin begrüßen wir, dass die Bundesregierung Vertreter der Alpenstaaten und der alpinen Regionen zu einem Erfahrungsaustausch zusammenbringen wird, um über Initiativen zum Thema „Digitale Netze und Mobilität“ zu beraten. Unser Antrag von CDU/CSU und SPD sieht weiterhin vor, die Deutsche Zentrale für Tourismus als größte Einrichtung zur Vermarktung Deutschlands als Urlaubs- und Reiseland in die Beratungen der Fachkonferenzen einzubeziehen. Unser Antrag enthält wichtige Ansätze zur sinnvollen Weiterentwicklung der Alpenkonvention. Dies gelingt uns nur in überlegter Zusammenarbeit mit den Alpenstaaten und den Bewohnern des Alpenraums. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Ihren Antrag lehnen wir natürlich ab, weil er die nachhaltige touristische Entwicklung des Alpenraums zu oberflächlich behandelt und die Potenziale für die Weiterentwicklung des naturnahen Tourismus in den Alpen nicht ausreichend berücksichtigt. (Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat euch das denn aufgeschrieben?) Unser Antrag hingegen entwickelt den Wirtschaftsfaktor Tourismus weiter. Wir wollen die vorhandenen Wachstumspotenziale nutzen und langfristig sichern. Daran lassen Sie uns gemeinsam arbeiten. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/6187 und 18/4816 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist es so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Luise Amtsberg, Özcan Mutlu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zugang zu Bildung und Ausbildung für junge Flüchtlinge sicherstellen Drucksache 18/6198 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Innenausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole Gohlke, Sigrid Hupach, Dr. Rosemarie Hein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gleicher Zugang zur Bildung auch für Geflüchtete Drucksache 18/6192 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Innenausschuss Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich sehe hier keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Wenn jetzt Frau Kollegin Hiller-Ohm und Herr Kollege Tressel Ihre Gespräche draußen fortsetzen würden, könnte ich die Aussprache eröffnen. Ich eröffne jetzt die Aussprache. Das Wort hat Beate Walter-Rosenheimer, Bündnis 90/Die Grünen. Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Liebe Gäste! Sehr geehrte Frau Ministerin! Wer in diesen Tagen die flüchtlingspolitische Debatte verfolgt, bekommt nicht selten abenteuerliche und absurde Vorschläge zu hören. Da will zum Beispiel eine CSU-Landesgruppenchefin Menschen abschieben, bevor sie überhaupt in Deutschland angekommen sind, da will ein Ministerpräsident aus Sachsen-Anhalt Schutzsuchende benutzen, um den Mindestlohn zu untergraben, und da will ein Finanzminister aus Bayern Zäune zur Flüchtlingsabwehr an den deutschen Grenzen errichten. Solche Vorschläge, meine sehr geehrten Damen und Herren, widersprechen geltendem Recht, (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Richtig!) vergiften das gesellschaftliche Klima und bringen in der Sache rein gar nichts, sagen dafür aber einiges über die Mauern in den Köpfen derjenigen aus, die ganz offensichtlich Politik mit Polemik verwechseln. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Den Hasselfeldts, Haseloffs und Söders dieses Landes möchte ich deshalb sagen: Lassen Sie diesen Unsinn! Hören Sie auf, Menschen in gute und schlechte Flüchtlinge zu sortieren! (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Richtig!) Leisten Sie stattdessen endlich einen Beitrag dazu, dass wir die großen Herausforderungen meistern! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Eine der großen, vielleicht sogar die größte Herausforderung bei der Integration von Flüchtlingen ist der offene und schnelle Zugang zu Bildung und Ausbildung. Über die Hälfte der Menschen, die bei uns Schutz suchen, die hierherkommen, um eine bessere Zukunft zu haben, die in diesen Wochen in Passau, München, Rosenheim und anderswo in der Republik ankommen, ist unter 25 Jahre alt. Allein dieses Jahr wird es vermutlich eine halbe Million junger Menschen sein. Es muss vor allen Dingen auch Ihnen, Frau Ministerin, ein Anliegen sein, dass diese 500 000 jungen Menschen schnell und unbürokratisch in Kitas, Schulen, Berufsschulen und Unis kommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Der Zugang zu Bildung ist ja keine kleine Fußnote in einer allgemeinen Flüchtlingsagenda, sondern Bildung – davon sind wir überzeugt – ist der zentrale Dreh- und Angelpunkt jeder gelungenen Asyl- und Integrationspolitik. Kitas, Schulen, Betriebe und Universitäten verschaffen diesen jungen Menschen nicht nur einen neuen Alltag, sondern geben ihnen auch Halt und Sicherheit. Ihr Besuch ist der erste und wichtigste Schritt im neuen Leben dieser jungen Menschen. Wer das nicht sieht, der will es nicht sehen oder weigert sich aus parteipolitischer Taktiererei, in der Realität des 21. Jahrhunderts anzukommen. Das muss man einfach, finde ich, so sehen. Länder, Kommunen und die vielen ehrenamtlichen Helfer, die wir überall haben, leisten heute schon Beachtliches. Ihnen gelten unser Respekt und unser Dank. Sie bemühen sich, den jungen Flüchtlingen einen Zugang zur Bildung zu vermitteln, so gut es geht. Aber wir finden, dies sollte den Bund herausfordern, mehr Verantwortung zu übernehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Auch die Bundesregierung muss sich endlich ihrer Verantwortung stellen. Das hören Sie heute nicht zum ersten Mal – das weiß ich –, und Sie hören es auch nicht nur von mir. Wenn ich feststellen muss, dass Ihnen als Bildungsministerin – verzeihen Sie bitte! – nicht mehr einfällt als eine Smartphone-App und Ihnen dann nur noch der Geistesblitz kommt, auf noch mehr Ehrenamtliche zu setzen, dann sehe ich schwarz für die Zukunft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Das ist jetzt auch polemisch!) Wenn ich mir einen kleinen Scherz erlauben darf: Dass Sie, Frau Ministerin Wanka, nicht mit Zahlen rechnen, wissen wir spätestens seit der heute-show; aber wenn Sie allen Ernstes glauben, fehlende Investitionen in Milliardenhöhe mit einem 130-Millionen-Euro-Programm wettmachen zu können, dann haben Sie sich dieses Mal richtig verrechnet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Bildung – das sollten Sie als Bildungsministerin doch am besten wissen – gibt es nicht zum Nulltarif. Statt Smartphone-Apps und kleine Modellprojekte brauchen wir eine große Bildungsoffensive, die auch in der Fläche wirkt. Das kostet Geld, das Sie, geehrte Frau Ministerin, offenbar nicht investieren wollen. Seit vielen Monaten drängt die Wirtschaft zum Beispiel auf ein sicheres Bleiberecht für Menschen in der Berufsausbildung. Hören Sie doch zur Abwechslung mal auf Ihre Freunde aus der Wirtschaft, und schaffen Sie endlich eine rechtssichere Lösung, die diesen Namen auch verdient! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das Gleiche gilt für den Zugang zu Unterstützungsangeboten während der Ausbildung. Asylsuchende und Geduldete sind hier immer noch stark benachteiligt. Es ist doch einfach absurd, einen jungen motivierten Menschen in den ersten 15 Monaten von jeder dieser Hilfen auszuschließen, obwohl er vielleicht schon nach drei oder sechs Monaten eine Ausbildung oder auch ein Studium aufnehmen könnte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Warum sperren Sie sich so gegen die Vorschläge von Arbeitgebern und Gewerkschaften? Geben Sie sich doch einen Ruck, und lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass alle jungen Flüchtlinge in Deutschland vom ersten Tag an unterstützt werden. (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Richtig!) Wir dürfen in dieser Debatte eines nicht vergessen: Bildung ist nicht nur der Grundstein für ein selbstbestimmtes Leben. Teilhabe durch Bildung ist auch der soziale Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält. In unserem Antrag finden Sie ein paar sehr konkrete Vorschläge, wie dieser Kitt gestärkt werden kann. Wir sind der Meinung: Eine Selbstlern-App – so gut sie als niedrigschwelliges Angebot auch sein kann – wird hier definitiv nicht ausreichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Bundesregierung erhält jetzt Frau Bundesministerin Professor Dr. Johanna Wanka das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben eine sehr große humanitäre Aufgabe vor uns. Damit, dass Hunderttausende, vor allen Dingen viele junge Menschen, deren Bildungsbiografien wir anerkennen müssen, in unser Land kommen, müssen wir umgehen. Es ist natürlich allen klar, dass es in den Gesprächen zwischen Bundesregierung und Ministerpräsidenten jetzt vor dem Winter um die akute Versorgung mit Wohnraum, mit Essen und Trinken geht; denn das ist im Moment das akute Problem. (Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD] – Dr. Karamba Diaby [SPD]: Richtig!) – Sehr schön. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Die eigentliche Aufgabe besteht aber darin, eine solch große Zahl junger Menschen zu integrieren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Und Integration durch Bildung – da sind wir uns mit den Antragstellern der beiden Anträge, die heute vorliegen, einig –, (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD] – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann können Sie ja zustimmen!) ist die effektivste Form. Deswegen ist das ganz wichtig. Wenn es gelingt, Integration so zu vollziehen, wie wir das vorhaben, dann profitieren alle davon, und zwar nicht nur der Arbeitsmarkt, sondern das ganze Land. Das ist für mich deswegen eine sehr wichtige Aufgabe. Sie haben etwas völlig missverstanden. (Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Okay?) Wir haben in meinem Haus überlegt: Was muss jetzt sofort passieren? Wir beschäftigen uns nicht erst in Anträgen zum nächsten Haushalt mit der Frage: Wie kriegen wir das Geld, und was können wir stemmen? Ein großes Programm, wie wir es planen, um viele Jugendliche in Arbeit zu bringen, kostet sehr viel Geld. Wir werden darüber diskutieren müssen: Wird das mitgetragen? Ist das möglich? Ist das finanzierbar? Die 130 Millionen Euro für die Integration junger Flüchtlinge legen wir aber sofort auf den Tisch. Wir sagen nicht: „130 Millionen, das ist die Summe, die wir für Bildung brauchen“, und fordern auch nicht nur das im Haushalt. Vielmehr bedarf es einer großen Anstrengung im Haus. Deswegen verwahre ich mich dagegen, dass behauptet wird, dass wir glauben, dass mit 130 Millionen Euro das Problem zu lösen sei. Nein, natürlich nicht! (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Das ist der Anfang!) Der Bereich Schule liegt natürlich in Länderhand. Sie haben doch mitbekommen, wie viele Milliarden wir letzten Donnerstag beschlossen haben, den Ländern für die Bewältigung der damit zusammenhängenden Aufgaben zu geben. Natürlich ist es klar, dass die Jugendlichen, die schulpflichtig sind, jetzt Schulklassen besuchen müssen. Das ist eine große Aufgabe für die Länder. Das ist aber nicht der Punkt, an dem wir als BMBF sofort aktiv werden können. Entscheidend sind also drei Punkte: Erwerb der deutschen Sprache, Erkennen der Kompetenzen, also was Ausbildungen, was Qualifikationen hier in Deutschland wert sind und was man damit machen kann, und natürlich Integration in Ausbildung oder Beruf. Wenn Sie zustimmen, dass es von ganz zentraler Bedeutung ist, die Sprache zu lernen, würde ich mich an Ihrer Stelle nicht lustig darüber machen, dass wir sagen: Wir wollen Hunderttausende junge Menschen, die sich jetzt als Flüchtlinge in Deutschland aufhalten, per App über ihre Smartphones erreichen. Damit haben sie ihre Flucht organisiert; da sind sie wunderbar vernetzt. Ein niedrigschwelliges Angebot für jeden dieser Jugendlichen, der schnell ins Deutsche einsteigen will, ohne dass er Kurse oder sonst etwas besucht, ist ein klasse Angebot. Und das kostet nicht einmal viel. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Ministerin, der Kollege Mutlu möchte eine Zwischenfrage stellen. Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung: Nein. Hinterher gerne. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Hinterher geht nicht mehr. Jetzt oder nie. Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung: Gut, okay, dann nicht. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Gut. Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung: Das heißt, es ist genau wie beim Programm Lesestart. Dieses Programm hat bei deutschen Kindern funktioniert, (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Hervorragend!) und wir haben zusammen mit der Stiftung Lesen den Zugang zum ihm sofort auch Flüchtlingskindern ermöglicht. Den Einsatz von Lernbegleitern finden Sie nicht toll. Wissen Sie denn nicht, was in den Ländern los ist? (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wissen wir sehr wohl!) Haben Sie denn keine Ahnung davon, wie viele Lehrer – ich denke da nicht nur an Deutsch-, sondern auch an andere Lehrer – für diese vielen Willkommensklassen fehlen? (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Doch! Ja, eben!) Anscheinend haben Sie keine Ahnung davon. Es ist jedenfalls nicht unsere Aufgabe, diese Lehrer einzustellen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind wieder einmal die Länder schuld? – Zuruf des Abg. Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]) Wir aber können zum Beispiel etwas machen, was Sie ebenfalls abgetan haben, nämlich Tausende von Menschen in die Lage zu versetzen, dass sie jetzt sofort Deutsch als Alltagssprache vermitteln können. Da arbeiten wir mit den Volkshochschulen zusammen. Ich spiele auf die Lernbegleiter an. Das heißt, Menschen, die sich engagieren wollen, (Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können nicht das Ehrenamt immer mehr und mehr fordern!) bekommen in der Volkshochschule eine Grundausbildung – es geht nicht darum, dass sie Lehrer für Deutsch werden –, (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Ein wichtiger Unterschied!) sodass sie in der Lage sind, einer arabischen oder einer türkischen Familie schnell und konsequent etwas klarzumachen, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) zum Beispiel, wie man sich in Deutschland bewegt, was für Vokabeln man im Gesundheitssystem braucht, wie man beim Einkaufen zurechtkommt. Das sind praktische Dinge. Sie zu vermitteln, das funktioniert nicht mit Anweisungen von oben, etwa von Lehrern, sondern es muss in der Fläche vermittelt werden. Deswegen ist die Idee, Lernbegleiter auszubilden, richtig gut. Die Volkshochschulen sind, Herr Rossmann, ein breites Netz, das beste, das wir haben. In jedem Landkreis gibt es eine Volkshochschule, und deswegen ist das von mir gerade Dargestellte das Instrument. Das Ganze ist also nicht als Peanuts abzutun; vielmehr steckt dahinter eine kluge Idee. Diese Idee aber hatten wir. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Stichwort „Berufsorientierung“: Wie gelingt es, junge Flüchtlinge in Ausbildung zu bringen? Alle jungen Flüchtlinge, die jetzt in die Schule kommen und dort normal beschult werden, müssen, wenn sie in der siebten und achten Klasse sind, sofort qualifiziert erfahren, was man in Deutschland lernen kann, welche Berufe es gibt und was man dafür wissen muss. Deswegen führen wir Potenzialanalysen und Berufseinstiegsbegleitungen durch. Die damit verbundenen Maßnahmen haben wir, Frau Nahles und ich, nicht im Rahmen von Modellversuchen getestet; vielmehr haben wir für die Qualifizierung von mindestens 500 000 jungen Leuten im Haushalt 1,2 Milliarden Euro verankert. Diese Mittel stehen sofort zur Verfügung; sie stehen auch zur Qualifizierung jedes Flüchtlingsjungen und jedes Flüchtlingsmädchens zur Verfügung, wenn sie in der entsprechenden Klasse sind. Wir müssen über die Frage reden: Reicht das? Müssen wir diese Mittel in den nächsten Jahren weiter aufstocken? Im Moment ist dieses Geld auf jeden Fall vorhanden; es ist veranschlagt. Deswegen setzen wir es an dieser Stelle ein. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich komme auf etwas zu sprechen, was wir in den letzten Jahren ebenfalls gefördert haben: die KAUSA-Beratungsstellen. Dort motiviert man beispielsweise Unternehmer mit Migrationshintergrund, etwa türkische Gemüsehändler, junge Leute auszubilden. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Wir müssen da noch etwas mehr tun!) In KAUSA-Beratungsstellen werden auch Eltern und Großeltern entsprechender Personen mit Migrationshintergrund unterrichtet. Die KAUSA-Beratungsstellen funktionieren. Aber angesichts vieler Tausend Flüchtlinge müssen wir die Zahl dieser Beratungsstellen erhöhen; vielleicht müssen wir sie verdoppeln, verdreifachen (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Eher vervierfachen!) oder vervierfachen, sodass in den Ballungsgebieten qualifizierte Personen vorhanden sind, die das nötige Wissen vermitteln können. Wenn wir in Deutschland junge Flüchtlinge in Ausbildung bringen wollen, dann müssen wir das Verteilungsproblem lösen. Es gibt unversorgte Bewerber, die keinen Ausbildungsplatz haben, und gleichzeitig gibt es freie Ausbildungsplätze. Was meinen Sie, wie schwierig es wird, junge Flüchtlinge zum Beispiel nach Mecklenburg-Vorpommern zu vermitteln! Wenn dort ein Maler, ein Bäcker oder ein Fleischer zum allerersten Mal seit Jahren einen Lehrling bekommen soll, dann müssen wir das organisieren. Das ist kein Wünsch-dir-was; das funktioniert nicht automatisch. Seit dem 1. August 2015 ist für die Geduldeten, also für die, die in ihre Herkunftsländer eventuell zurückgehen müssen, geregelt – es geht nicht um diejenigen, die die Anerkennung haben; diese bekommen vom ersten Tag an nahezu alles, worauf man in Deutschland ein Anrecht hat –, dass sie, wenn sie eine Ausbildung angefangen haben, diese auch abschließen können, da deren Aufenthaltsgenehmigung in diesem Zeitraum sicher ist. Die Gesetzeslage in Deutschland ist des Weiteren so, wie ich sie jetzt darstelle: Wenn einer eine Ausbildung, etwa als Bäcker, erfolgreich abgeschlossen hat, dann kann er im gelernten Beruf in Deutschland für zwei Jahre ohne Vorrangprüfung und ohne andere Hindernisse arbeiten, wenn er einen Arbeitsplatz hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wenn also ein Bäcker sagt: „Den nehme ich“, dann kann der Geduldete hierbleiben. Wenn der Geduldete zwei Jahre in seinem Beruf gearbeitet hat, dann kann er auch weiterhin in Deutschland bleiben, und dann kann er auch in einem anderen Beruf arbeiten. Wenn er vier Jahre hier war, hat er die Chance auf ein dauerhaftes Bleiberecht. Das ist doch, wie ich finde, eine sehr gute Regelung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Etwas kompliziert! Aber es ist immerhin eine Regelung!) Meine Damen und Herren, was den gesamten Bereich Anerkennung angeht: Es kommen ja auch Menschen nach Deutschland, die in einem ganz anderen Land einen Beruf erlernt haben. Ein Anerkennungsgesetz in der Form, wie es in Deutschland gilt, gibt es in keinem anderen Land. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Man hat nämlich einen Rechtsanspruch darauf, dass zum Beispiel festgestellt wird, was eine Ausbildung in Syrien als Ingenieur hier in Deutschland wert ist. Mit diesem Anerkennungsgesetz haben wir auch von Anfang an dem Umstand Rechnung getragen, dass auch Menschen zu uns kommen, die kein Zeugnis mehr haben, die zum Beispiel kein Facharbeiterzeugnis haben, weil es das in ihren Heimatländern vielleicht gar nicht gibt. In diesen Fällen gibt es die Möglichkeit, durch Arbeitsproben und Fachgespräche festzustellen, ob derjenige schweißen kann oder in der Lage ist, bestimmte Maschinen zu bedienen. Diese Methoden haben wir mit den Handwerkskammern und den IHKs in den letzten Jahren ganz intensiv erprobt, um sicherzustellen, dass überall in Deutschland die gleichen Qualitätsstandards gelten. Diese Methoden können jetzt eingesetzt werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) In den Kommunen und Kreisen haben wir ja Bündnisse für Bildung. Ich bin besonders stolz darauf – das sage ich in Richtung Bündnis 90/Die Grünen –, dass wir jetzt in der Lage sind, über mein Ministerium in 400 Kommunen bzw. Gebietskörperschaften die Koordination der Bildungsangebote für die Flüchtlinge vor Ort zu finanzieren. Das ist wichtig, weil ganz viel parallel läuft. Ich denke, das ist eine handfeste Unterstützung der Kommunen vor Ort, die für die Realisierung zuständig sind und damit zum Teil alleingelassen werden. Meine Redezeit ist gleich zu Ende. Ich möchte aber noch eine Bemerkung machen: In dem Antrag der SED stand: (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „SED“? – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Der war gut!) – Ja. (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Das war ja extrem witzig!) – Nein, das ist nicht witzig, Frau Gohlke. Die Partei heißt jetzt anders, aber das ist die SED. (Beifall des Abg. Dr. Thomas Feist [CDU/CSU] – Zurufe von der LINKEN) Sie ist nie aufgelöst worden. (Karin Binder [DIE LINKE]: 25 Jahre verpennt! Das ist eine Unverschämtheit!) – Nein. – Heute früh hat jemand hier am Pult gesagt, das sei die Nachfolgeorganisation. (Zuruf von der LINKEN: Oh mein Gott!) Das ist keine Nachfolgeorganisation. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist die gleiche Partei!) Sie haben Ihren Namen geändert. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen es nur noch schlimmer! – Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Ganz schlechter Stil!) – Frau Gohlke, Sie sind vielleicht zu jung. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 25 Jahre Wiedervereinigung! – Zurufe von der LINKEN) – Es stimmt aber trotzdem. Manches stimmt noch nach 50 Jahren. (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist leider wahr! – Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Es wird nicht besser!) In Ihrem Antrag steht, wir sollen die Hochschulen für Flüchtlinge öffnen. – Sie sind offen. Es ist ganz eindeutig möglich, an diese Hochschulen zu kommen. (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Hier in Berlin ist es zum Beispiel nicht möglich! Es scheint nicht so einfach zu sein!) Wir haben ein großes Paket geschnürt, um den jungen Flüchtlingen zu zeigen, wie das geht und wie man Tests leichter bestehen kann. Außerdem übernehmen wir finanzielle Verpflichtungen. Es geht aber nicht um das Absenken von Standards. Eine Hochschulzugangsberechtigung muss schon vorhanden sein. Meine Redezeit ist zu kurz, um zu allem Ausführungen zu machen. Ich glaube, dass wir gezeigt haben, dass es für uns beim Thema Bildung nicht nur um die Forderung nach mehr Geld in riesigen Dimensionen geht. Wir haben gezeigt, dass wir anpacken können. Wir haben sofort etwas auf den Tisch gelegt. Wir brauchen aber auch – ich verspreche Ihnen, mich dafür einzusetzen – weiteres Geld. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke ist die Kollegin Nicole Gohlke. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Für die SED! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht SED?) – Nein, hier sitzt die Fraktion Die Linke. Nicole Gohlke (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Eine sachfremde Bemerkung muss ich vorwegschicken: Ich glaube tatsächlich, dass Ihre Bundeskanzlerin mit der SED und der FDJ etwas mehr zu tun hatte, als ich jemals zu tun hatte. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es wäre schön, wenn Sie 25 Jahre später vielleicht auch so weit denken könnten. Der Antrag der Linken, der heute auch vorliegt, will den gleichberechtigten Zugang zu Bildung für Geflüchtete sicherstellen; denn jeder weiß, wie zentral Bildung und Sprache dabei sind, Menschen gesellschaftliche Teilhabe und Perspektiven zu eröffnen. Aus zwei Gründen ist diese Initiative der beiden Oppositionsparteien dringend nötig: Erstens. Die Regierung darf nicht länger mit dem Finger auf die Länder zeigen. Es ist ja völlig klar: Viele Dinge fallen in die Zuständigkeit der Länder und der Kommunen, und sie tragen bislang die finanzielle Hauptlast. Genauso klar ist aber doch wohl auch, dass wir es hier mit einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe zu tun haben. Das Herumschieben von politischen Verantwortlichkeiten ist der Situation absolut unwürdig, (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist kein Herumschieben! Das ist Realität!) und der Bund ist viel stärker als bisher gefordert. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Zweitens. Die Initiative ist auch deswegen nötig, weil die eigentlich selbstverständliche Haltung, nämlich schnell und unbürokratisch Unterstützung für Menschen in Not zu leisten, leider nicht in allen Teilen der Großen Koalition selbstverständlich ist. Es war zwar wirklich positiv – es fällt mir jetzt gerade zwar ein bisschen schwer, das zu sagen, aber ich sage es trotzdem, weil es wirklich positiv war –, dass die Bildungsministerin nicht in die schrille Tonlage von manch anderem eingestimmt hat (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und stattdessen, auch im Rahmen der Allianz für Aus- und Weiterbildung, Maßnahmen zur Integration von Geflüchteten angekündigt hat. Aber gleichzeitig sind es Ihre Fraktionskollegen, die einen ganz dumpfen Rassismus bedienen, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Unglaublich!) zum Beispiel, wenn aus Bayern Parolen kommen wie die, dass Deutschland „nicht das Sozialamt für den Balkan“ sei, und wenn Horst Seehofer große Verbrüderung mit einem Rassisten wie Viktor Orban feiert. (Beifall bei der LINKEN) Ich muss sagen: Ich erwarte von der Bildungsministerin auch mal ein paar klare Worte, wenn hierzulande Flüchtlingskinder von der Polizei mitten aus dem Unterricht geholt werden, weil den Eltern die Abschiebung droht, (Beifall bei der LINKEN) oder wenn so unglaubliche Vorschläge gemacht werden wie der, die Schulpflicht für Kinder von Asylbewerbern gleich ganz abzuschaffen. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Der kommt übrigens aus Thüringen! Da regieren Sie!) Kolleginnen und Kollegen, hier geht es um ein Menschenrecht, um das Recht auf Bildung. Dieses Recht gilt universell. Es ist nicht verhandelbar. Ich finde, das hat die Bildungspolitik auch einmal klarzustellen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich sage Ihnen: Es ist sehr gefährlich, wenn hier ständig nach Gruppen gesucht wird, für die diese Rechte nicht gelten sollen. Mal sind es die Asylsuchenden insgesamt, dann versucht man, Menschen über die Konstruk­tion von sogenannten sicheren Herkunftsstaaten von Arbeit und Bildung auszuschließen. Wer so denkt und so Politik macht, hat die Menschenrechte nicht verstanden. (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Bundesregierung steht in der Pflicht, allen Menschen, auch den zugewanderten, gute Bildung zu ermöglichen und die Länder und Kommunen dabei zu unterstützen, das umzusetzen. (Beifall bei der LINKEN) Deswegen fordert die Linke ein Bund-Länder-Programm für Sofortmaßnahmen in der Bildung. Und die beginnt in der Kita. Da brauchen wir endlich ausreichend Plätze. Das war schon richtig, bevor eine größere Zahl von Geflüchteten zu uns gekommen ist, und jetzt gilt es erst recht. Viel zu lange haben Sie in der Regierung mit der sinnlosen Herdprämie herumgemurkst und den Kitaausbau hinten angestellt. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Na, na! Nicht alle Teile!) Mehr als ein Drittel der Geflüchteten ist jünger als 18 Jahre. Es ist mit bis zu 400 000 neuen Schülerinnen und Schülern zu rechnen, die in den Schulalltag integriert werden müssen. Da sage ich Ihnen: Dem Bildungsministerium muss natürlich mehr einfallen als eine Smartphone-App zum Deutschlernen und ehrenamtliche Flüchtlingshelfer als Lernbegleiter. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Haben Sie zugehört?) Diese Aufgabe kann man nicht auf diese Weise abwälzen. Was es braucht – jetzt können Sie mir zuhören –, (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Tue ich!) sind mehr festangestellte, qualifizierte und gut bezahlte Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte, und zwar an öffentlichen Schulen und öffentlichen Einrichtungen, (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Können Sie in den Ländern, wo Sie Verantwortung haben, machen! – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Fangen Sie in Thüringen an!) und da muss der Bund mithelfen. (Beifall bei der LINKEN) Das ist der Unterschied zwischen uns, Frau Wanka: Ihre Partei hat Stellen von Lehrerinnen und Lehrern zum Beispiel in Brandenburg in der Zeit der Großen Koalition zu Tausenden – ich glaube, es waren über Zehntausend – abgebaut. Wir wollen Lehrerinnen und Lehrer neu einstellen, (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Wir in Bayern haben es gemacht!) weil wir wissen, vor welchen Aufgaben wir im Bildungsbereich stehen. (Beifall bei der LINKEN – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Sie wollen es, und wir haben es gemacht!) An dieser Stelle wird wieder einmal deutlich, was für ein Hemmnis das Kooperationsverbot, das Verbot der Zusammenarbeit von Bund und Ländern, in der Bildung ist. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Bitte konkret statt Ideologie!) Sie als Regierung hätten es in der Hand, damit endlich Schluss zu machen und dieses unnötige Problem aus dem Weg zu räumen und einfach das Selbstverständliche zu tun und gesamtgesellschaftliche Bildungsaufgaben auch gemeinsam zu stemmen. Es wäre schön, wenn die neue Situation wenigstens dazu führte, dass Sie einmal darüber nachdenken. (Beifall bei der LINKEN) Lassen Sie mich noch einen Satz zur Finanzierung sagen. Es ist unredlich, wenn aus der Politik suggeriert wird, die neue Situation brächte das Land an seine Belastungsgrenze. Was uns an die Belastungsgrenze bringt, ist schlechtgemachte Politik. Die Bundesrepublik hat im ersten Halbjahr dank der guten Konjunktur den höchsten Überschuss seit rund 15 Jahren erzielt. Bund, Länder und Kommunen haben deutliche Mehreinnahmen zu verzeichnen. Ich weise Sie gerne noch einmal darauf hin, dass wir ein Land mit einer sehr hohen Steuerbasis sind. Es kommt auf die richtige Verteilung an. Haben Sie den Mut, endlich die Verteilungsfrage zu stellen! Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Ideologie! Ideologie! Ideologie!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Karamba Diaby. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Karamba Diaby (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was tut die Bundesregierung für die Bildung von Geflüchteten? Öffnung von Integrations- und Sprachkursen, (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sehr gut!) bereits nach 15 Monaten Zugang zu BAföG, (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Auch sehr gut!) zusätzlich 130 Millionen Euro vonseiten des Bildungsministeriums (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Ein guter Anfang!) und nicht zuletzt die dauerhafte Unterstützung der Länder und Kommunen. (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Richtig!) Meine sehr verehrten Damen und Herren der Linken und der Grünen, viele Ihrer Forderungen sind gut gemeint, aber wir haben bereits viele davon auf den Weg gebracht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Uns allen ist doch bewusst: Mit guter Bildungspolitik steht und fällt ein gutes Zusammenleben; denn de facto bleibt der Großteil der Menschen über viele Jahre bei uns. Die Frage ist also, wie Integration gemeinsam erfolgreich gestaltet werden kann. Ob Spracherwerb, der Aufbau sozialer Netzwerke oder die berufliche Ausbildung: Bildung ist ein zentraler Baustein für Integration. Ob Kita, Schule, Ausbildungsstelle, Hochschulen: Unsere Bildungseinrichtungen sind für eine erfolgreiche Integration der Menschen, die zu uns kommen, von großer Bedeutung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dabei können die Bildungseinrichtungen an die vorhandenen vielfältigen schulischen und beruflichen Qualifikationen der Geflüchteten anknüpfen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Integration der Geflüchteten ist eine Chance für unser Bildungssystem. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Tatsache, dass Menschen in unser Land kommen und hier bleiben, hat bildungspolitische Konsequenzen. Unser Bildungssystem muss dieser Tatsache Rechnung tragen. Ich nenne drei Punkte, die für die SPD-Fraktion besonders wichtig sind: Erstens. Spracherwerb ist eine entscheidende Voraussetzung, um an Bildungsprozessen und am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. Geflüchtete mit Bleibeperspektive erhalten daher rasch Zugang zu Sprachförderung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Sprachförderung müssen wir aber flexibel und pragmatisch gestalten, zum Beispiel Praktikum und Sprachkurs gleichzeitig. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Sehr gut!) Erlauben Sie mir an dieser Stelle eine persönliche Bemerkung. Heute vor genau 30 Jahren bin ich um 15.15 Uhr als Stipendiat in die DDR gekommen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN) Tag eins: Da war meine Ankunft. Tag zwei: Anmeldungen. Tag drei: Gesundheitscheck; auch das musste sein. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Tag fünf: Sprachkurs. (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Oh! Was sagt denn da Frau Wanka?) Sicherlich, die Situation ist nicht eins zu eins übertragbar. Aber sie kann uns ein Ideengeber dafür sein, wie es laufen sollte. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Das könnte vielleicht als Orientierung dienen. Beim Thema Spracherwerb dürfen wir zudem unsere Lehrkräfte nicht vergessen. Für sie brauchen wir ordentliche Beschäftigungsverhältnisse und eine angemessene Bezahlung. (Beifall bei der SPD) Zweitens. Die Aufhebung des Kooperationsverbots für den Hochschulbereich eröffnet dem Bund bereits Handlungsspielräume. Wir wollen die Länder dabei unterstützen, Geflüchteten den Zugang zu Hochschulen zu ermöglichen. Hierfür sollten wir auf die vorhandene Expertise unserer Organisationen zurückgreifen. DAAD, Alexander-von-Humboldt-Stiftung und andere: Sie alle haben Ideen, die Hochschulen dort zu unterstützen, wo zum Beispiel Zeugnisse fehlen – auch Frau Ministerin hat davon gesprochen –, nämlich um die Studier- und Promotionsfähigkeit zu überprüfen, um Sprachkompetenzen festzustellen und Spracherwerb zu fördern und um Beratungsangebote zu bündeln und zielgruppengerecht auszubauen. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: So muss man das machen!) Die Kompetenzen von Geflüchteten dürfen wir nicht brachliegen lassen. Wir müssen sie fördern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Drittens geht es um die Anerkennung beruflicher Qualifikationen. Geflüchtete sind unsere Nachbarn und Kollegen von morgen. Aber das ist kein Selbstläufer, meine Damen und Herren. (Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD]) Es gibt viele Unternehmer, die Asylsuchende einstellen oder ausbilden wollen. Das ist ein wunderbares Signal für unser Land. Es zeigt: Ihr seid willkommen, und ihr werdet gebraucht. – Wir wissen aber auch: Nicht jeder Asylsuchende hat bereits eine Ausbildung oder ein Studium abgeschlossen, zum Beispiel weil ein Großteil noch sehr jung ist. Außerdem müssen wir neue Wege gehen, um berufliche Kompetenzen festzustellen; denn Teilhabe über Arbeit ist ein wichtiger Hebel für Integration. Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt davon – auch meine Fraktion ist überzeugt davon –, dass das Anerkennungsgesetz seine volle Wirkung erst entfalten kann, wenn es finanziell ausgestattet wird. Wir brauchen endlich ein Darlehensprogramm. Es liegt im Interesse der Geflüchteten und in unserem Interesse, wenn wir ihre Fähigkeiten fördern. Erlauben Sie mir abschließend noch eine Bemerkung zum Thema Schulpflicht. In unserem demokratisch verfassten Staat darf die Schulpflicht auf keinen Fall angetastet werden. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN) Es liegt in unser aller Interesse, dass Kinder und Jugendliche von Anfang an unsere Schulen besuchen – Frau Präsidentin, ich komme zum Ende -; denn mit guter Bildung legen wir den Grundstein für unser Zusammenleben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns eint folgender Gedanke: Bildung ist ein Menschenrecht. Wir setzen dieses Recht für alle Menschen gleichermaßen um. Danke schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat die Kollegin Giousouf für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Cemile Giousouf (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin Wanka! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Bemerkung vorab: Bei der Einhaltung der Menschenrechte brauchen wir uns von Ihnen, liebe Kollegen der linken Fraktion, bestimmt nichts erzählen zu lassen. (Beifall bei der CDU/CSU) Fakt ist: Wenn wir die Integration der Neuzuzügler, der Flüchtlinge – da stimme ich mit dir, lieber Karamba, vollkommen überein – nicht ausreichend unterstützen, werden wir verlorene Biografien in Deutschland haben. Das widerspricht nicht nur unserer persönlichen politischen Ethik, darüber hinaus ist Integration auch ganz einfach in unserem eigenen Interesse, wenn wir weiterhin als Nation stark und wettbewerbsfähig sein wollen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Deutschland hat über Jahrzehnte Einwanderer und Flüchtlinge aufgenommen. Wir sind ein Einwanderungsland. Aber wir haben am Anfang auch Fehler gemacht. Die sogenannte Gastarbeitergeneration hatte eben keine Sprachkurse und Beratungsangebote – eine Situation, die übrigens in den meisten Ländern der Welt bis heute so ist. Aber wir haben dazugelernt. Es war die unionsgeführte Bundesregierung, die Integrationspolitik maßgeblich konzeptionell entwickelt hat. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ein guter Witz!) Deshalb müssen wir, wenn wir über Integration von Flüchtlingen sprechen, den Menschen auch sagen: Wir fangen heute nicht bei null an. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: In der Tat!) So hat sich auch das Bildungsministerium seit knapp zehn Jahren intensiv mit dieser Thematik auseinandergesetzt. Die Rede der Hausherrin des integrationspolitischen Schlüsselministeriums hat gerade sehr eindrücklich deutlich gemacht, dass sich das Ministerium für Bildung und Forschung dieser Aufgabe nicht nur im aktuellen Kontext stellt. Bereits seit vielen Jahren setzt die unionsgeführte Bundesregierung bei der Integration auf den Bildungsbereich. Ich möchte daher kurz folgende Fragen aufwerfen: Wo wären wir heute angesichts der aktuellen Herausforderungen ohne das Anerkennungsgesetz, ohne die frühkindliche Bildung, ohne Sprachtests in den Kitas, ohne unsere Allianz für Aus- und Weiterbildung, ohne die Koordinierungsstelle Ausbildung und Migration? (Beifall bei der CDU/CSU) Wo wären wir ohne eine deutsche Ausbildung in islamischer Theologie? Kein Zweifel, die zukünftigen Probleme wären ohne diese Initiativen des BMBF sehr viel größer. (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen kann das BMBF auch mit großer Zuversicht in die Zukunft blicken. Wir haben eindrücklich gehört: Die eben vorgestellten Maßnahmen sind ein erster Schritt und nicht abschließend zu betrachten. Kommen wir zu den Anträgen, die schon im Ansatz problematisch sind. Beim Antrag der Linken steht in der Präambel: Der finanzielle Reichtum der Bundesrepublik Deutschland basiert auch auf der Verarmung großer Teile der Weltbevölkerung. Ich möchte dazu nur eines sagen: Ich bin fest davon überzeugt, dass die zu uns kommenden Flüchtlinge ein sehr viel positiveres Bild von Deutschland haben als ganz offenbar die Bundestagsfraktion der Linken. (Beifall bei der CDU/CSU) Vielleicht können Sie von den Zuwanderern in Landeskunde schon sehr bald lernen, ich sehe da durchaus Bedarf. (Widerspruch bei der LINKEN) Zum milliardenschweren Entlastungspaket für die Kommunen und Länder kein einziges Wort in Ihren Anträgen! Stattdessen werden Länderaufgaben mit leichter Hand dem Bund zugeschoben. Natürlich brauchen wir mehr Lehrer. Ich muss Sie aber nicht daran erinnern, dass das der schulische Bereich ist und in Länderhoheit liegt. Sie suggerieren, der Bund täte nichts. Genau nach diesem Muster werden auch Forderungen an das BMBF adressiert, die gar nicht in dessen Ressort liegen, wie, spezielle Beratungen der Flüchtlinge bei der Bundesagentur für Arbeit zu etablieren. Das Problem ist auch: Vieles von dem ist bereits in der Praxis eingeführt und als Handlungsaufforderung damit längst überholt. Erstens wird in beiden Anträgen für junge Geflüchtete und Geduldete der Schutz vor Abschiebung in der Ausbildung gefordert. Das ist eine wichtige Forderung, keine Frage. Aber mit dem 1. August 2015 wurde für jugendliche und heranwachsende Geduldete, die eine qualifizierte Berufsausbildung aufnehmen, für die Dauer der Ausbildung ein Schutz vor Abschiebung erreicht. Es gibt diese Rechtssicherheit bereits. (Beifall bei der CDU/CSU) Im Falle eines erfolgreichen Ausbildungsabschlusses können die jungen Menschen dann eine Aufenthaltserlaubnis erhalten und damit in Deutschland bleiben. Ihr Gerede von der Rechtsunsicherheit führt lediglich zu mehr Verunsicherung bei den Betrieben. Zweitens monieren Sie die BAföG-Regelungen. Zum Mitschreiben: Geduldete und Inhaber bestimmter humanitärer Aufenthaltstitel müssen künftig nicht mehr eine Vierjahresfrist abwarten, ehe sie BAföG-berechtigt sind, sondern können bereits nach 15 Monaten Unterstützung erhalten. (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Wir wollen das runtersetzen! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nach 15 Monaten! Na toll!) Ursprünglich sollte diese Frist zum 1. August 2016 gekürzt werden. Jetzt wurde dies aber auf den 1. Januar 2016 vorgezogen, um noch schneller helfen zu können. (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: 15 Monate waren zu lang! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig so!) – Genau. – Sie fordern, dass diese 15 Monate Mindestaufenthalt bei der BAföG-Berechtigung auf drei Monate reduziert werden sollen. Nach drei Monaten sollen nach Ihren Vorschlägen faktisch alle Asylberechtigten BAföG bekommen können. Um studierfähig zu sein, braucht man das Sprachniveau B 2. Wie schnell soll das gehen? Welchen Sinn macht es, dass gegebenenfalls Menschen BAföG erhalten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder ausgewiesen werden? Deswegen ist es richtig, dass die Bundesregierung die Mindestaufenthaltsdauer von vier Jahren auf 15 Monate reduziert hat. Ihre drei Monate sind purer Aktionismus. Wir müssen auch auf den Kostenfaktor achten und realistisch bleiben. (Beifall bei der CDU/CSU) Ein dritter Punkt ist die Beschäftigungsverordnung. Auch hier kann ein Blick in die Dokumente erhellend sein: Das Bundeskabinett hat am 3. August 2015 eine Änderung beschlossen, mit der jungen Asylsuchenden und Geduldeten, die gute Bleibeperspektiven haben, der Zugang unter anderem zu berufsorientierenden und studienbegleitenden Praktika erleichtert wird. Kommen wir viertens zu Ihrer Forderung nach zusätzlichen Sprach- und Alphabetisierungskursen auch für erwachsene Flüchtlinge. Unser Bundesinnenminister ist Ihnen auch hier bereits voraus. Die bewährten Integrationskurse werden für Asylbewerber mit guter Bleibeperspektive geöffnet, und die hierfür vorgesehenen Mittel werden entsprechend dem gestiegenen Bedarf aufgestockt. Auch das BMBF wird in den nächsten Jahren rund 130 Millionen Euro zusätzlich für den Erwerb der deutschen Sprache, das Erkennen von Kompetenzen und Potenzialen von Flüchtlingen und für Ausbildung und Beruf investieren. Wohlgemerkt, das sind Mittel neben dem milliardenschweren Finanzpaket, mit dem der Bund die Länder und die Kommunen unterstützen wird. Es ist richtig, dass Sprachlehrer für die Integrationskurse fehlen. Auch hier setzt das BMBF an, und die zahlreichen Ehrenamtlichen sollen in Schnellkursen zu Lernbegleitern ausgebildet werden. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieder auf die Ehrenamtlichen schieben!) Ich möchte damit nicht sagen, dass die beiden Oppositionsanträge völlig obsolet sind. (Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nett!) Aber Sie sollten schon zur Kenntnis nehmen, dass die Bundesregierung, das BMBF und auch ganz persönlich Ministerin Wanka diese Themen mit großer Ernsthaftigkeit behandeln. Eine solche Ernsthaftigkeit würde ich mir von allen politischen Akteuren sehr wünschen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das schließt die CDU auch ein!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Daniela De Ridder. (Beifall bei der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt mal Tacheles reden! Keine Märchenstunde!) Dr. Daniela De Ridder (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hinter uns liegen zwei harte Sitzungswochen, in denen wir sehr viel über Flüchtlingspolitik geredet haben. Ich fahre – das will ich als letzte Rednerin in dieser Woche sagen – frohen Mutes nach Hause. Das hat nicht nur mit den Maßnahmen zu tun, die wir auf den Weg gebracht haben, sondern auch mit dem Besuch von Schülerinnen und Schülern aus meiner Heimatstadt Schüttorf. In der Radio-AG, die mich besucht hat, waren lauter Zweit-, Dritt- und Viertklässler, und ich habe, ehrlich gesagt, noch nie mit Schülerinnen und Schülern dieser Altersgruppe gesprochen, die so offenherzig, neugierig und vehement mit mir über Flüchtlingspolitik reden wollten. Zugegeben: Das lag auch daran, dass sie gute Lehrerinnen und Lehrer haben, die im wahrsten Sinne des Wortes politische Bildung mit ihnen betrieben haben. Auf diesem Feld müssen wir unbedingt weiter arbeiten. Lassen Sie mich deshalb noch einmal die Gelegenheit nutzen, diesen Lehrerinnen und Lehrern, aber auch den Erzieherinnen und Erziehern herzlichen Dank zu sagen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In der ganzen Republik! Ja!) Politische Bildung ist in der Tat etwas, das wir weiter betreiben müssen. Davon habe ich aber in Ihren Anträgen wenig gelesen, liebe Oppositionskolleginnen und -kollegen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt klatsche ich nicht mehr!) Darüber bin ich sehr enttäuscht. Ich sage das auch mit Blick auf die Fernsehbilder, die wir zu sehen bekommen. Für mich ist es unerträglich – ich hoffe, das teilen Sie mit mir –, wenn in Deutschland wieder Flüchtlingsheime brennen. Wir haben hier eine ganz maßgebliche Aufgabe. Ich finde es geradezu fahrlässig, dass Sie hier den Eindruck erwecken, wir würden nichts oder zu wenig tun, die vielen helfenden Hände vor Ort ignorieren oder die Kommunen im Stich lassen. (Beifall des Abg. Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]) Ich will nur drei Zahlen nennen, damit Sie wissen, was ich genau meine. 4 Milliarden Euro zusätzlich wird es – Frau Ministerin Wanka hat das bereits erwähnt – in diesem und im kommenden Jahr für diese wichtige und wertvolle Arbeit geben. Damit stärken wir Länder und Kommunen. Diese sind dann an der Reihe, das Geld entsprechend einzusetzen. Mit zusätzlich 350 Millionen Euro jährlich beteiligt sich der Bund an der Versorgung von Kindern und Jugendlichen, die unbegleitet in unser Land kommen, also ohne ihre Eltern. Das ist eine mindestens ebenso wichtige Aufgabe. Als dritten Punkt will ich die 900 Millionen Euro nennen, die aus den Mitteln für das gestoppte Betreuungsgeld stammen, Frau Wanka. Wir müssen ehrlich zugeben, dass es in Sachen Betreuungsgeld sehr unglücklich verlaufen ist. Aber ich freue mich, dass das Geld nun insgesamt für die Qualitätssicherung in den Kitas und bei der frühkindlichen Bildung eingesetzt werden und so – ich hoffe, dass Sie mir darin zustimmen – allen Kindern in diesem Land, unabhängig von der Herkunft, zugutekommen kann. (Beifall bei der SPD) Ich will keinen Hehl daraus machen, dass es mir und meiner Fraktion darum geht, solche Maßnahmen auf den Weg zu bringen – auch dank der Unterstützung unseres Koalitionspartners – und es den Menschen, die aufgrund von Kriegs- und Krisensituationen in ihren Heimatländern zu uns kommen, zu ermöglichen, ganz schnell Fuß auf dem Arbeitsmarkt zu fassen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, unabhängig welcher politischen Couleur Sie angehören, will ich Ihnen mit auf den Weg geben; denn das hat auch etwas mit der Würde dieser Menschen zu tun. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mir geht es auch um die Sprachkompetenz. Hier können wir gar nicht genug tun. Hier freue ich mich auf Ihre kritisch-konstruktiven Vorschläge. Es geht darum, Sprach- und Integrationskurse weiterhin zu betreiben. Sprache ist der Schlüssel zur Verständigung und dafür, im Alltag zurechtzukommen. Sprache ist aber auch ein Schlüssel für gelungene Integration. Sprache ist immer auch Träger von Kultur. Sprache ist zudem das Vehikel – ich sage das vor allem in Richtung CSU, weil ich in dieser Woche interessante Töne von dort gehört habe –, um unsere Werte zu transportieren. Deshalb müssen wir als Bildungspolitikerinnen und -politiker hier in der Tat weiter investieren, liebe Frau Wanka. Mir ist das ganz besonders wichtig. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wie Sie wissen, wurde jahrelang gesagt – ich habe das persönlich zu spüren bekommen –, dieses Land sei kein Einwanderungsland. Die aktuelle Krisensituation, die wir nun erleben, belehrt uns eines Besseren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie erinnern sich vielleicht daran, dass bereits 1965 Max Frisch mit Blick auf die sogenannten Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter sagte – Sie alle kennen sicherlich dieses Zitat –: „Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen.“ Dass es hier immer auch um Menschen geht, dürfen wir nie vergessen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Gleichwohl geht es um ein gutes Paket, an dem wir weiter arbeiten wollen. Liebe Frau Gohlke, wir sind nicht verlegen, gute Ratschläge von Ihnen anzunehmen, wenn sie denn finanzierbar und umsetzbar sind. (Beifall des Abg. Dr. Karamba Diaby [SPD]) Aber auf das, was Sie in Ihren Anträgen vorschlagen, haben wir weiß Gott nicht gewartet; denn in der Tat sind wir bereits aktiv geworden und haben das in Rede stehende Paket mit Erfolg auf den Weg gebracht. Nehmen Sie es einfach mit in Ihren Wahlkreis, und haben Sie dort hoffentlich viele Termine an Schulen, die Sie dann beglücken können. Haben Sie vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit sind wir am Ende der Aussprache angekommen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/6198 und 18/6192 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, dass das der Fall ist. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung angekommen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 14. Oktober 2015, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen allen ein gutes Wochenende. (Schluss: 15.14 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlagen 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Aken, Jan van DIE LINKE 2.10.2015 Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2.10.2015 Beck (Bremen), Marieluise BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2.10.2015 Becker, Dirk SPD 2.10.2015 Beckmeyer, Uwe SPD 2.10.2015 Daldrup, Bernhard SPD 2.10.2015 Dehm, Dr. Diether DIE LINKE 2.10.2015 Dörmann, Martin SPD 2.10.2015 Feiler, Uwe CDU/CSU 2.10.2015 Fischer (Karlsruhe- Land), Axel E. CDU/CSU 2.10.2015 Freitag, Dagmar SPD 2.10.2015 Gabriel, Sigmar SPD 2.10.2015 Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 2.10.2015 Göring-Eckardt, Katrin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2.10.2015 Gröhe, Hermann CDU/CSU 2.10.2015 Groth, Annette DIE LINKE 2.10.2015 Heil (Peine), Hubertus SPD 2.10.2015 Hendricks, Dr. Barbara SPD 2.10.2015 Hinz (Essen), Petra SPD 2.10.2015 Irlstorfer, Erich CDU/CSU 2.10.2015 Jung, Dr. Franz Josef CDU/CSU 2.10.2015 Jüttner, Dr. Egon CDU/CSU 2.10.2015 Karawanskij, Susanna DIE LINKE 2.10.2015 Kipping, Katja DIE LINKE 2.10.2015 Kiziltepe, Cansel SPD 2.10.2015 Koenigs, Tom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2.10.2015 Kolbe, Daniela SPD 2.10.2015 Lange (Backnang), Christian SPD 2.10.2015 Lanzinger, Barbara CDU/CSU 2.10.2015 Lauterbach, Dr. Karl SPD 2.10.2015 Lay, Caren DIE LINKE 2.10.2015 Lenkert, Ralph DIE LINKE 2.10.2015 Leyen, Dr. Ursula von der CDU/CSU 2.10.2015 Maizière, Dr. Thomas de CDU/CSU 2.10.2015 Mast, Katja SPD 2.10.2015 Mihalic, Irene BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2.10.2015 Möhring, Cornelia DIE LINKE 2.10.2015 Nahles, Andrea SPD 2.10.2015 Nick, Dr. Andreas CDU/CSU 2.10.2015 Özdemir, Cem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2.10.2015 Petzold (Havelland), Harald DIE LINKE 2.10.2015 Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 2.10.2015 Pflugradt, Jeannine SPD 2.10.2015 Radomski, Kerstin CDU/CSU 2.10.2015 Rawert, Mechthild SPD 2.10.2015 Riesenhuber, Dr. Heinz CDU/CSU 2.10.2015 Rohde, Dennis SPD 2.10.2015 Röspel, René SPD 2.10.2015 Roth (Heringen), Michael SPD 2.10.2015 Schlecht, Michael DIE LINKE 2.10.2015 Schmidt (Berlin), Matthias SPD 2.10.2015 Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU 2.10.2015 Schmidt, Dr. Frithjof BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2.10.2015 Steinbach, Erika CDU/CSU 2.10.2015 Steinmeier, Dr. Frank-Walter SPD 2.10.2015 Timmermann-Fechter, Astrid CDU/CSU 2.10.2015 Troost, Dr. Axel DIE LINKE 2.10.2015 Vogel (Kleinsaara), Volkmar CDU/CSU 2.10.2015 Vries, Kees de CDU/CSU 2.10.2015 Wanderwitz, Marco CDU/CSU 2.10.2015 Weinberg, Harald DIE LINKE 2.10.2015 Wicklein, Andrea SPD 2.10.2015 Wiese, Dirk SPD 2.10.2015 Zech, Tobias CDU/CSU 2.10.2015 Zimmermann, Pia DIE LINKE 2.10.2015 Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 936. Sitzung am 25. September 2015 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: Gesetz zur Änderung des Fischetikettierungsgesetzes und des Tiergesundheitsgesetzes Gesetz zur Änderung des Häftlingsgesetzes und zur Bereinigung des Bundesvertriebenengesetzes Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes Gesetz zur Reform des Wohngeldrechts und zur Änderung des Wohnraumförderungsgesetzes ­(WoGRefG) Gesetz zu dem Protokoll vom 14. Oktober 2014 zur Änderung und Ergänzung des Abkommens vom 7. September 1999 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Usbekistan zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Auswärtiger Ausschuss Unterrichtung durch die Delegation des Deutschen Bundestages in der Ostseeparlamentarierkonferenz 23. Jahrestagung der Ostseeparlamentarierkonferenz vom 24. bis 26. August 2014 in Olsztyn, Polen Drucksachen 18/4601, 18/5162 Nr. 1 Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zum Stand der Unterzeichnung und Ratifizierung europäischer Abkommen und Konventionen durch die Bundesrepublik Deutschland für den Zeitraum März 2013 bis Februar 2015 Drucksachen 18/4881, 18/5162 Nr. 2 Unterrichtung durch die Bundesregierung Leitlinien der Bundesregierung zur internationalen Zusammenarbeit für nachhaltige Urbanisierung – Partner in einer Welt der Städte Drucksachen 18/4924, 18/5162 Nr. 4 Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zur Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Europäischen Überbrückungs¬mission in der Zentralafrikanischen Republik mit strategischem Verwundetenlufttransport und Personal¬beteiligung an multinationalen Hauptquartieren in Larissa und Bangui Drucksachen 18/5132, 18/5285 Nr. 2 Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Interparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik Tagung der deutschen Delegation in der Interparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik vom 9. und 10. September 2012 in Paphos (Zypern) Drucksachen 18/5133, 18/5285 Nr. 3 Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Interparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik Tagung der deutschen Delegation in der Interparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik vom 24. und 25. März 2013 in Dublin (Irland) Drucksachen 18/5134, 18/5285 Nr. 4 Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Interparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik Tagung der deutschen Delegation in der Interparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik vom 4. bis 6. September 2013 in Wilna (Litauen) Drucksachen 18/5135, 18/5285 Nr. 5 Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Interparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik Tagung der deutschen Delegation in der Interparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik vom 3. und 4. April 2014 in Athen (Griechenland) Drucksachen 18/5136, 18/5285 Nr. 6 Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Interparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik Tagung der deutschen Delegation in der Interparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik vom 5. bis 7. November 2014 in Rom (Italien) Drucksachen 18/5137, 18/5285 Nr. 7 Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Interparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik Tagung der deutschen Delegation in der Interparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik vom 4. bis 6. März 2015 in Riga (Lettland) Drucksachen 18/5138, 18/5285 Nr. 8 Ausschuss für Wirtschaft und Energie Unterrichtung durch die Bundesregierung Bundesbericht Energieforschung 2015 Forschungsförderung für die Energiewende Drucksachen 18/4899, 18/5162 Nr. 3 Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Programme zur Innovations- und Technologieförderung im Mittelstand, in der laufenden Legislaturperiode, insbesondere über die Entwicklung des Zentralen Innovationsprogramms Mittelstand für die Jahre 2012 bis 2014 Drucksachen 18/5058, 18/5162 Nr. 10 Unterrichtung durch die Bundesregierung Evaluation des Verfahrens zur Zulassung von Bewachungsunternehmen auf Seeschiffen gemäß § 31 der Gewerbeordnung Erfahrungsbericht des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie und der Bundespolizei Drucksachen 18/5456, 18/5976 Nr. 1.2 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 18/5459 Nr. A.1 EuB-BReg 40/2015 Drucksache 18/5459 Nr. A.2 EP P8_TA-PROV(2015)0213 Drucksache 18/5982 Nr. A.1 EP P8_TA-PROV(2015)0232 Drucksache 18/5982 Nr. A.2 EP P8_TA-PROV(2015)0271 Drucksache 18/5982 Nr. A.3 Ratsdokument 10549/15 Innenausschuss Drucksache 18/6146 Nr. A.3 Ratsdokument 11844/15 Sportausschuss Drucksache 18/4504 Nr. A.3 Ratsdokument 6720/15 Drucksache 18/4504 Nr. A.4 Ratsdokument 6721/15 Finanzausschuss Drucksache 18/5982 Nr. A.17 Ratsdokument 9949/15 Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksache 18/2935 Nr. C.1 EP P7_TA-PROV(2013)0227 Drucksache 18/4152 Nr. A.6 Ratsdokument 5744/15 Drucksache 18/4152 Nr. A.7 Ratsdokument 5745/15 Drucksache 18/5982 Nr. A.27 EP P8_TA-PROV(2015)0252 Drucksache 18/5982 Nr. A.34 Ratsdokument 11411/15 Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 18/5982 Nr. A.35 Ratsdokument 8475/15 Drucksache 18/5982 Nr. A.36 Ratsdokument 8477/15 Drucksache 18/5982 Nr. A.37 Ratsdokument 9942/15 Drucksache 18/5982 Nr. A.38 Ratsdokument 11008/15 Drucksache 18/5982 Nr. A.39 Ratsdokument 11009/15 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Drucksache 18/5982 Nr. A.41 EP P8_TA-PROV(2015)0266 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 18/1393 Nr. A.41 Ratsdokument 7632/14 Drucksache 18/1524 Nr. A.16 Ratsdokument 9042/14 Drucksache 18/5165 Nr. A.13 Ratsdokument 8707/15 1)  Ergebnis Seite 12472 --------------- ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 128. Sitzung, Berlin, Freitag, den 2. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 128. Sitzung, Berlin, Freitag, den 2. Oktober 2015 12423 Plenarprotokoll 18/128