Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 131. Sitzung Berlin, Freitag, den 16. Oktober 2015 Inhalt: Zusatztagesordnungspunkt 5: a)   – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten Drucksachen 18/5088, 18/6391 12761 A – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten Drucksachen 18/5171,18/6391 12761 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Dr. André Hahn, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Auf Vorratsdatenspeicherung verzichten Drucksachen 18/4971, 18/6391 12761 B Dr. Johannes Fechner (SPD) 12761 C Halina Wawzyniak (DIE LINKE) 12762 D Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) 12765 A Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12767 A Heiko Maas, Bundesminister BMJV 12768 C Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12770 B Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 12771 C Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12773 B Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 12773 C Christian Flisek (SPD) 12773 D Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12775 B Christian Flisek (SPD) 12775 C Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) 12775 D Thorsten Hoffmann (Dortmund) (CDU/CSU) 12777 C Namentliche Abstimmung 12779 A Ergebnis 12780 B Tagesordnungspunkt 26: Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Krankenhäuser gemeinwohlorientiert und bedarfsgerecht finanzieren Drucksache 18/6326 12779 B Kathrin Vogler (DIE LINKE) 12779 C Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin BMG 12783 B Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12785 A Dr. Edgar Franke (SPD) 12786 C Lothar Riebsamen (CDU/CSU) 12788 A Birgit Wöllert (DIE LINKE) 12789 D Marina Kermer (SPD) 12790 D Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12792 A Reiner Meier (CDU/CSU) 12792 D Heike Baehrens (SPD) 12794 A Maria Michalk (CDU/CSU) 12795 A Bettina Müller (SPD) 12796 D Tagesordnungspunkt 27: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Den Lebensstart von Kindern in Entwicklungs- und Schwellenländern verbessern – Grundlagen für stabile Gesellschaften schaffen Drucksache 18/6329 12797 D Dr. Georg Kippels (CDU/CSU) 12797 D Niema Movassat (DIE LINKE) 12799 B Michaela Engelmeier (SPD) 12800 C Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12801 D Waldemar Westermayer (CDU/CSU) 12802 C Stefan Liebich (DIE LINKE) 12803 B Stefan Rebmann (SPD) 12804 C Tagesordnungspunkt 28: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts (Vergaberechtsmodernisierungsgesetz – VergRModG) Drucksache 18/6281 12805 D Marcus Held (SPD) 12806 A Klaus Ernst (DIE LINKE) 12807 B Marcus Held (SPD) 12808 A Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU) 12809 A Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12811 A Barbara Lanzinger (CDU/CSU) 12812 A Bernd Westphal (SPD) 12813 C Tagesordnungspunkt 29: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie – zu dem Antrag der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Caren Lay, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bad Bank-Pläne der Atomkonzerne zurückweisen – Rückstellungen der AKW-Betreiber in einen öffentlich-rechtlichen Fonds überführen – zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Keine Bad Bank für Atom – Rückstellungen der Atomwirtschaft in öffentlich-rechtlichem Fonds sicherstellen Drucksachen 18/1959, 18/1465, 18/6382 12814 C Dr. Nina Scheer (SPD) 12814 C Ralph Lenkert (DIE LINKE) 12815 D Jens Koeppen (CDU/CSU) 12816 C Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12818 A Barbara Lanzinger (CDU/CSU) 12819 A Hiltrud Lotze (SPD) 12820 C Nächste Sitzung 12821 D Berichtigung 12821 B Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 12823 C Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Thomas Jurk, Detlef Müller (Chemnitz), Dr. Simone Raatz und Susann Rüthrich (alle SPD) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten (Zusatztagesordnungspunkt 5 a) 12823 D Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Lothar Binding (Heidelberg) und Svenja Stadler (beide SPD) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten (Zusatztagesordnungspunkt 5 a) 12824 B Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten (Zusatztagesordnungspunkt 5 a) 12826 C Angelika Glöckner (SPD) 12826 D Sebastian Hartmann (SPD) 12827 A Gabriele Hiller-Ohm (SPD) 12827 D Hilde Mattheis (SPD) 12830 B Bettina Müller (SPD) 12830 C Markus Paschke (SPD) 12832 B Mechthild Rawert (SPD) 12833 D Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten (Zusatztagesordnungspunkt 5 a) 12834 B Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Karamba Diaby (SPD) zu den namentlichen Abstimmungen über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes (130. Sitzung, Tagesordnungspunkt 5 a) 12834 C Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Christoph Strässer (SPD) zu den namentlichen Abstimmungen über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes (130. Sitzung, Tagesordnungspunkt 5 a) 12834 C Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Kerstin Tack (SPD) zu den namentlichen Abstimmungen über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes (130. Sitzung, Tagesordnungspunkt 5 a) 12834 D Anlage 9 Amtliche Mitteilungen 12835 A 131. Sitzung Berlin, Freitag, den 16. Oktober 2015 Beginn: 9.00 Uhr Vizepräsident Peter Hintze: Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe die Zusatzpunkte 5 a und 5 b auf: a)   – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten Drucksache 18/5088 – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten Drucksache 18/5171 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/6391 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Dr. André Hahn, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Auf Vorratsdatenspeicherung verzichten Drucksachen 18/4971, 18/6391 Über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 77 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Johannes Fechner, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Johannes Fechner (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Über wohl kaum ein anderes Thema ist in den letzten Jahren in der Rechtspolitik so intensiv diskutiert worden wie über das Thema Vorratsdatenspeicherung, zu Recht, wie ich finde. Denn wenn die Daten von Bürgern gespeichert werden, ist dies unbestritten ein Grundrechtseingriff, der gerechtfertigt werden muss; darüber müssen wir intensiv diskutieren. Wir meinen, dass die Vorratsdatenspeicherung ein wichtiges Mittel sein kann, um Beweismittel zu erlangen, die Täter überführen. Es gibt genügend Beispiele aus der kriminalpolizeilichen Praxis, die dies belegen. Es kann durch die Erhebung der Telekommunikationsdaten nachgewiesen werden, dass ein Täter entgegen seinen Beteuerungen doch am Tatort war, weil sein Handy von der den Tatort abdeckenden Funkzelle erfasst wurde. Es gab beispielsweise den als Flensburger Bahnhofsfall bekanntgewordenen Mordfall, bei dem der Täter vor allem deshalb über die Telefonverbindungsdaten überführt werden konnte, weil die Telefongesellschaft die Daten noch gespeichert hatte, was sie nach der geltenden Rechtslage nicht hätte tun müssen. Aber es gab auch Fälle, in denen es zu Freisprüchen kam, etwa den Fall eines Angeklagten vor dem Landgericht Hamburg, der freigesprochen wurde, weil die Telefonverbindungsdaten, die noch da waren, nachwiesen, dass er an einem anderen Ort und nicht am Tatort war. Es geht uns also um genau die Fälle, in denen für oder gegen einen Angeklagten ein Beweismittel da sein kann, wenn die Verbindungsdaten noch gespeichert sind, was nach heutigem Recht nicht verpflichtend geregelt ist. Wir wollen es nicht dem Zufall überlassen, ob Daten noch vorhanden sind, sondern wir wollen mit einer klaren Regelung sicherstellen, dass Anbieter von Telefondiensten die Verbindungsdaten, also Rufnummer, Datum und Uhrzeit eines Telefonats, für zehn Wochen speichern müssen und die Standortdaten für vier Wochen. Wohlgemerkt: Es geht uns nicht um die Inhalte der Kommunikation. Es wird nicht gespeichert, was per E-Mail verschickt wurde oder worüber telefoniert wurde, sondern es geht nur um die Verbindungsdaten. Wir sind im internationalen Vergleich äußerst restriktiv. In der Sachverständigenanhörung war der zentrale Kritikpunkt der Mehrheit der Sachverständigen, dass dieser Gesetzentwurf nicht weit genug geht. Es wurde vorgeschlagen, sechs Monate oder noch länger zu speichern. Aber wir meinen, dass wir hier in ein Grundrecht eingreifen und dass dieser Eingriff daher auf das Nötigste beschränkt werden muss. Die Beschränkung auf zehn bzw. vier Wochen ist also ausreichend. Wir regeln zudem die Verpflichtung, dass Betroffene, deren Daten abgefragt werden, informiert werden müssen. Es gibt die klare Verpflichtung, dass die nach diesem Gesetz gespeicherten Daten nach Ablauf der Speicherfristen zu löschen sind. Wenn ein Unternehmen dies nicht tut, dann erhält es ein hohes Bußgeld. Zu erwähnen ist auch, dass wir mit diesem Gesetz den Straftatbestand der Datenhehlerei schaffen. Wer zum Beispiel illegal erlangte Daten weiterverkauft, riskiert eine Haftstrafe von bis zu drei Jahren. Ich halte dies für angemessen, weil der Schutz von Daten gerade heute noch viel mehr gewährleistet werden muss und Verstöße gegen den Datenschutz hart bestraft werden sollten. Zu diesem neuen Straftatbestand gab es in den vergangenen Wochen Kritik, etwa von Journalisten, die befürchteten, dass dadurch journalistische Datenrecherche strafbar werden könnte. Dazu ist klarstellend festzuhalten, dass wir auf diese Kritik reagiert haben; denn der Tatbestandsausschluss in dem neuen § 202 d Absatz 3 StGB ist so gefasst, dass er journalistische Tätigkeiten ausnimmt. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reicht aber nicht!) Eine Erfüllung konkreter beruflicher Pflichten – das ist das entscheidende Tatbestandsmerkmal – liegt bei journalistischer Tätigkeit bereits dann vor, wenn die Handlungen nur der Recherche dienen und in eine Veröffentlichung münden können. Wie gesagt, wir haben gerade im europäischen Vergleich äußerst restriktive Regelungen: kurze Speicherfristen, Zugriff nur bei abschließend genannten schweren Straftaten, keine Speicherung von Inhalten, keine Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft, und die Daten sind im Inland gespeichert, also in Deutschland. Ganz besonders wichtig ist der Richtervorbehalt. Es gibt keinen staatlichen Datenabruf ohne richterlichen Beschluss. Das zeigt, dass wir eine äußerst restriktive Speicherpflicht in diesem Gesetzentwurf geregelt haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Ein paar Sätze noch zu den Einwänden der EU-Kommission. Die Europäische Kommission hat am vorliegenden Entwurf zu bemängeln, dass die Dienstleistungsfreiheit dadurch beeinträchtigt wäre, dass die Daten zwingend in Deutschland gespeichert werden müssen. Diesen Einwand kann ich nicht nachvollziehen. Ich finde, es ist ein wichtiges Element des Datenschutzes und vor allem auch der Rechtsdurchsetzung, dass die Daten in Deutschland gespeichert sind. Die Rechtsdurchsetzung im Ausland, etwa die Vollstreckung des Löschungsanspruchs, den wir normieren, wäre erschwert, wenn nicht gar unmöglich, wenn die Daten im Ausland gespeichert wären. Hier muss die Dienstleistungsfreiheit hinter einem effektiven Datenschutz zurücktreten. Deswegen können wir, glaube ich, einem Vertragsverletzungsverfahren, wenn es denn eingeleitet würde, gelassen entgegensehen. Der effektive Datenschutz ist wichtiger als die Dienstleistungsfreiheit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der letzte Konvent meiner Partei, der SPD, hat sich intensiv mit dem Pro und Kontra dieser Regelung beschäftigt. Gerade weil wir hier einen Grundrechtseingriff sehen – gerechtfertigt, aber es gibt ihn –, wollen wir eine Evaluierung. Deswegen haben wir im Gesetzgebungsverfahren noch eine Evaluierungsklausel eingeführt, die die Bundesregierung verpflichtet, das Gesetz über einen Zeitraum von drei Jahren zu überprüfen. Dann wird ein mit dem Bundestag im Einvernehmen zu bestimmender unabhängiger Sachverständiger ein Urteil abgeben, und wir können mögliche Konsequenzen ziehen. Abschließend möchte ich sagen, dass wir hier einen vernünftigen Kompromiss zwischen den Grundrechten und den Freiheitsrechten einerseits, aber auch den Erfordernissen einer effektiven Strafverfolgung andererseits gefunden haben. Es gibt genügend Beispiele, dass die Vorratsdatenspeicherung für den Angeklagten sowohl zu einem Freispruch führen kann als auch im Sinne der Strafverfolgung zu einer Verurteilung. Ich finde, Herr Maas hat hier einen äußerst ausgewogenen Kompromissvorschlag vorgelegt. Dem können wir nur zustimmen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Vorratsdatenspeicherung heißt jetzt Höchstspeicherfrist. Was heißt das konkret? Bisher dürfen Telekommunikationsanbieter zu Abrechnungszwecken Daten speichern. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das dürfen sie immer noch!) Dürfen heißt aber nicht müssen, und so können die Telekommunikationsanbieter auch darauf verzichten, wenn sie wollen, zum Beispiel wenn sie ein datenschutzfreundliches Geschäftsmodell anbieten wollen. Wenn die Vorratsdatenspeicherung durchkommt, dann müssen sie aber Daten speichern. Sie dürfen gerade nicht darauf verzichten. Was wird nun wie lange gespeichert? Verkehrsdaten für zehn Wochen, Standortdaten für vier Wochen. Das Telekommunikationsgesetz regelt klar, was Standortdaten und was Verkehrsdaten zu Abrechnungszwecken sind. Die Neuregelung verpflichtet die Telekommunikationsanbieter nun zur Speicherung unter anderem folgender Daten: Rufnummer und Kennung des angerufenen und anrufenden Anschlusses; Datum und Uhrzeit von Beginn und Ende der Verbindung; Angaben zum genutzten Dienst, wenn unterschiedliche Dienste genutzt werden; die internationale Kennung des anrufenden und des angerufenen Endgerätes – das ist neu –; bei Internettelefondiensten die Internetprotokolladressen des anrufenden und des angerufenen Anschlusses sowie die zugewiesene Benutzererkennung – das ist neu ; die Übermittlung einer Kurz-, Multimedia- oder ähnlichen Nachricht – das ist neu ; unbeantwortete oder wegen eines Eingriffs des Netzwerksmanagements erfolglose Anrufe – das ist neu ; für die Internetnutzung die zugewiesene Internetprotokolladresse – das ist neu ; die eindeutige Kennung des Anschlusses über den Internetzugang – das ist neu ; Datum und Uhrzeit von Beginn und Ende der Internetnutzung und der zugewiesenen Protokolladresse – das ist neu. Mit anderen Worten: Die Telekommunikationsanbieter werden nicht nur gezwungen, Daten zu speichern, sondern sie werden auch noch gezwungen, mehr Daten als vorher zu speichern. Wenn Sie jetzt richtig zugehört haben, dann haben Sie gemerkt: Jegliche Kommunikation mit ihren technischen Geräten mit Ausnahme der E-Mail wird erfasst. Jetzt kommt noch hinzu, dass im Falle der Nutzung mobiler Telefondienste die Funkzellen gespeichert werden, die vom anrufenden und angerufenen Anschluss genutzt werden. Ihnen ist jetzt schon klar, dass damit nachvollziehbar ist, wann Sie sich wo aufgehalten haben. Wenn Ihnen das gefällt, dann müssen Sie der Vorratsdatenspeicherung zustimmen. Wenn Ihnen das nicht gefällt, dann stimmen Sie dagegen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das machen wir!) Dem Gesetzentwurf fehlt eine Überwachungsgesamtrechnung. Gerade die hat das Bundesverfassungsgericht aber eingefordert. Schauen wir uns an, was wir da schon haben: Ich nenne beispielsweise die Rasterfahndung, die akustische Wohnraumüberwachung, die anlassunabhängige Funkzellenabfrage, die Videoüberwachung im öffentlichen Raum und, nicht zu vergessen, die Möglichkeiten der Geheimdienste, in die Telekommunikationsfreiheit einzugreifen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Irgend­wie klingt das alles nicht so schlecht, was Sie vortragen!) Ich habe einen Tipp für Sie: Lesen Sie in den nächsten beiden sitzungsfreien Wochen einfach einmal Was macht ihr mit meinen Daten? von Malte Spitz. Er hat ein ganzes Buch darüber geschrieben, was mit Daten passiert. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Guter Tipp!) Sie von der Großen Koalition haben bislang nicht die Frage beantwortet – Sie können sie auch nicht beantworten –, warum Sie Telekommunikationsanbieter verpflichten wollen, die Verkehrs- und Standortdaten zu speichern – wohlgemerkt: verpflichten. Das Standardargument ist: weil Straftaten begangen werden und die gespeicherten Daten möglicherweise, unter Umständen, vielleicht zur Aufklärung benötigt werden können. Das ist aber ein Generalverdacht. In einer Demokratie gehört sich das nicht. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ich habe mir unter freiheitlich-demokratischer Grundordnung etwas anderes vorgestellt. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Sie haben immer wieder behauptet, die Vorratsdatenspeicherung sei notwendig für die Strafverfolgung und die Gefahrenabwehr; ohne Vorratsdatenspeicherung entstünden Schutzlücken. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Stimmt auch!) Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht, wer diese These in den öffentlichen Raum geblasen hat. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Praktiker!) Sie wabert da herum, wird ständig wiederholt, und, ich bin geneigt, zu sagen: Sie ist zur Ideologie geworden. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wie es sich für ordentliche Ideologen gehört, sind Sie blind für alles, was diese Ideologie erschüttern könnte. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: Das kennen Sie ja gar nicht! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Heiterkeit bei der CDU/CSU!) Es interessiert Sie nicht, dass es keinerlei Nachweis dafür gibt, dass für die Strafverfolgung und für die Gefahrenabwehr die Vorratsdatenspeicherung erforderlich ist. Sie verfahren einfach nach der Devise: Irritieren Sie mich bitte nicht mit Fakten. Ich habe schon eine Ideologie (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie lassen sich Ihre Vorurteile ja auch durch Argumente nicht zerstören!) – Ich weiß, dass Sie das aufregt; aber ich kann nichts dafür, dass Sie an dieses Thema ideologisch herangehen. Herr Minister Maas hat bei der Vorstellung des Gesetzentwurfs gesagt, er habe in der Vergangenheit Gespräche geführt und es habe viele Fälle gegeben, in denen Straftaten nicht hätten aufgeklärt werden können, weil Daten nicht gespeichert worden seien. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Genau! So ist das!) Als ich nachfragte, welche Fälle das konkret gewesen seien und welche Fakten zu dieser Erkenntnis geführt hätten, lautete die Antwort wie folgt: Es handelt sich um allgemeine Erkenntnisse, die in Gesprächen gewonnen wurden. – Aha. – Die Aussage beziehe sich nicht auf konkrete Einzelfälle. – Interessant. Ich kann mich da nur wiederholen: Es gibt offensichtlich weder viele Fälle noch konkrete Fälle. Es gibt, mit anderen Worten, keinerlei Beleg für die Erforderlichkeit der Vorratsdatenspeicherung. In einem demokratischen Rechtsstaat bedeutet das dann: Finger weg von der Einschränkung von Grundrechten. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Maas, Sie sind in einer misslichen Situation: Sie haben einen Koalitionspartner, der gar nicht genug Überwachungsinstrumente bekommen kann und jeden Tag nach einem neuen schreit, und dann erklärt Ihr Parteivorsitzender in bester Schröder’scher Art und Weise auch noch: Basta, die Vorratsdatenspeicherung wird gemacht. – Wofür braucht man einen Koalitionspartner, wenn man so einen Parteivorsitzenden hat! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zurück zur Erforderlichkeit der Vorratsdatenspeicherung. In der Anhörung wurde versucht, die Erforderlichkeit zu belegen. Das misslang deutlich. Es wurde davon geredet, sie sei ermittlungstechnisch nicht ausreichend. Es gebe unzählige Tatsachen, die belegten, eine sechsmonatige Speicherung sei erforderlich. Es konnte nicht gesagt werden, warum die Regelung nicht ausreicht. Es konnte auch nicht gesagt werden, welche unzähligen Rechtstatsachen es denn konkret sind. Im Gegenteil: Herr Frank vom Richterbund hat uns noch aufgeklärt: Es gibt keine Statistiken über Fälle, die ohne Vorratsdatenspeicherung nicht gelöst werden konnten. Der Versuch des Sachverständigen Berger, doch noch etwas zur Erforderlichkeit der Vorratsdatenspeicherung beizutragen, indem er auf 25 Seiten 20 Einzelfälle auflistete, scheiterte. Das Problem ist nämlich: Wenn es in 17 von 20 Fällen einen Angeklagten gab, obwohl es keine Vorratsdatenspeicherung gegeben hat, dann ist die Vorratsdatenspeicherung nicht erforderlich. Wenn es in den drei anderen Fällen, bei denen es die frühere Vorratsdatenspeicherung gab, eine Anklage wegen freiwilliger Datenweitergabe und in einem Fall geständige Angaben gab, dann ist auch das ein Beleg dafür, dass die Vorratsdatenspeicherung nicht erforderlich ist. (Beifall bei der LINKEN) Ich fasse zusammen: Eine Schutzlücke durch eine fehlende Vorratsdatenspeicherung gibt es nicht. Sie können es nicht schaffen, die Erforderlichkeit nachzuweisen. In einem demokratischen Rechtsstaat muss für einen Grundrechtseingriff die Erforderlichkeit aber begründet werden. Bei der Vorratsdatenspeicherung geht das nicht. Wenn das so ist, dann ist es in einem demokratischen Rechtsstaat ganz einfach: Finger weg von der Einschränkung von Grundrechten! Finger weg von der Vorratsdatenspeicherung! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich sage Ihnen sehr deutlich: Die Gegner der Vorratsdatenspeicherung verteidigen den Rechtsstaat, die Befürworter gefährden ihn. (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Thomas Oppermann [SPD]: Sie haben wirklich ein klares Weltbild! – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Ein bisschen zu viel Kaffee getrunken heute Morgen!) Nun klopfen Sie von der Sozialdemokratie sich auf die Schulter, weil Sie in den Gesetzentwurf eine Evaluierung hineinverhandelt haben. Ich verstehe das sogar ein wenig; denn die Union ist bei dem Thema so vernagelt, dass das aus Ihrer Sicht vermutlich tatsächlich ein Erfolg ist. Aber wenn Sie der Vorratsdatenspeicherung nun mehrheitlich zustimmen, liebe Genossinnen und Genossen von der SPD: Richtig sozialdemokratische Politik wäre eine Befristung des Gesetzes gewesen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Lassen Sie mich noch auf einen Punkt eingehen, der Gefahr läuft, in der Debatte unterzugehen. Ich rede vom Straftatbestand der Datenhehlerei. Sie wollen unter Strafe stellen, wenn jemand Daten, die nicht allgemein zugänglich sind und die ein anderer durch eine rechtswidrige Tat erlangt hat, sich oder einem anderen verschafft, einem anderen überlässt, verbreitet oder sonst zugänglich macht, um sich oder einen Dritten zu bereichern oder einen anderen zu schädigen. Ich finde das angesichts der Vorfälle um netzpolitik.org ein ziemlich starkes Stück. Da hilft auch der Absatz 3 nicht weiter, der die Strafbarkeit unter bestimmten Umständen ausschließt. Natürlich fallen Journalistinnen und Journalisten wegen ihres Zeugnisverweigerungsrechts in der Strafprozessordnung grundsätzlich unter diesen Absatz. Aber Sie schreiben, dass die Daten entgegengenommen, ausgewertet oder veröffentlicht werden müssen. In der Begründung schreiben Sie, dass unter die beruflichen Pflichten, die zum Strafausschluss führen können, journalistische Tätigkeiten in Vorbereitung einer konkreten Veröffentlichung fallen. Ja, da steht tatsächlich „Tätigkeiten in Vorbereitung einer konkreten Veröffentlichung“. Sie können ja etwas anderes gemeint haben. Aber dann gilt: Augen auf bei der Gesetzesformulierung! Wenn der Journalist oder die Journalistin noch gar nicht weiß, ob er oder sie überhaupt etwas veröffentlichen will, dann gilt nach Ihrer Gesetzesbegründung der Ausschluss der Strafbarkeit nicht. Ich habe jetzt noch nicht einmal über Whistleblower geredet. Sie machen ein Whistleblower-Bestrafungsgesetz. Nötig wäre aber ein Whistleblower-Schutzgesetz. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich komme zum Schluss. Die Erforderlichkeit der Vorratsdatenspeicherung ist nicht erwiesen. Der Straftatbestand der Datenhehlerei führt zu einem Whistleblower-Bestrafungsgesetz. Die Linke lehnt den Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung ab. Ich kann Sie alle nur auffordern, das ebenso zu tun. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Elisabeth Winkelmeier-Becker, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Selbst bei der EU-Kommission ist angekommen, dass die Debatte über die Vorratsdatenspeicherung oder über die Anordnung von Höchstspeicherfristen sehr emotional und ideologisiert geführt wird. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber von Ihnen!) Ich glaube, das war jetzt gerade ein besonderer Beweis dafür, dass das richtig ist und dass es gut ist, dass wir diese Diskussion heute hier zu einem sehr guten Ende führen. Wir bringen eine gute Regelung ins Gesetzblatt. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich bin froh, dass wir den Koalitionspartner überzeugen konnten, dass wir damit ein sehr wichtiges Ermittlungsinstrument haben, auch wenn die Regelung – das sage ich auch ganz klar – einen Kompromiss darstellt. (Zuruf von der LINKEN) Gerade nach der Anhörung der Sachverständigen am 21. September ist klar geworden, dass es sinnvoll gewesen wäre, in einigen Punkten auch über die jetzt vorgesehenen Regelungen hinauszugehen. Aber das, was wir jetzt als Kompromiss erarbeitet haben, stellt auf jeden Fall einen wichtigen Fortschritt dar. Wir haben uns bei der Sachverständigenanhörung genau erklären lassen, worum es geht. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das ist schön!) Es geht um schwere Kriminalität, bei der der Zugriff auf Verbindungsdaten erforderlich ist, um diese aufzuklären und um zu Verurteilungen kommen zu können. Aus der einjährigen Praxis eines Strafsenats beim BGH wurden uns viele Fälle geschildert, in denen Verkehrsdaten genau der entscheidende Ansatz waren, um Ermittlungen aufzunehmen und zu Beweisen zu kommen. Es ging in 20 Beispielsfällen aus einem Jahr um sieben Tötungsdelikte, (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Alle ohne Vorratsdatenspeicherung angeklagt!) vier Raubdelikte, vier Bandendiebstähle, zwei Erpressungen, dazu um Betrug in Form des Enkeltricks, Brandstiftung und Betäubungsmittelkriminalität. In all diesen Fällen waren die Verbindungsdaten ein erster Ermittlungsansatz, der als Hebel gedient hat, um zu weiteren Beweisen zu kommen. In der Regel sind die Verbindungsdaten selber nicht aussagekräftig genug, um jemanden zu überführen. Sie sind aber ein ganz wichtiges Element, um weitere Aufklärung vornehmen zu können und dafür zu sorgen, dass Täter überführt werden. Die genannten Beispiele fallen in der Tat in eine Zeit, in der keine verpflichtende Speicherung angeordnet war; aber in diesen Fällen konnte auf Verbindungsdaten zugegriffen werden, (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Aber dazu braucht man keine Vorratsdatenspeicherung!) weil die Provider diese Daten von sich aus zu geschäftlichen Zwecken gespeichert hatten. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Warum brauchen wir dann Vorratsdatenspeicherung?) Bisher hängt es eben vom Zufall ab, ob in entsprechenden Fällen auf Daten in Deutschland zugegriffen werden kann oder nicht. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Um eine Straftat aufzuklären!) Wenn wir das verbindlich regeln, können deutlich mehr Straftaten aufgeklärt werden. Genau das ist unser Ziel. (Beifall bei der CDU/CSU) Da Sie davon sprachen, dass wir hier dem Datenschutz nicht genügen, muss ich Ihnen entgegnen: Sie betreiben an dieser Stelle Täterschutz. (Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Haben Sie noch so ein Argument? – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Winkelmeier-Becker, das war selbst Ihrer nicht würdig! Dann hätten Sie seit Jahrzehnten Täterschutz gemacht!) Die Beispiele, die genannt wurden, gingen auch noch weiter. Das waren jetzt Beispiele aus dem Bereich des BGH. Wir hatten einen weiteren Sachverständigen, der uns aus dem Bereich der Internetkriminalität Beispiele genannt hat, nämlich der frühere Leiter der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität in Hessen. Er hat uns dargelegt, dass über ein Fünftel der Bürger bereits davon ausgehen, dass ihre Daten, ihre Identität im Internet gestohlen worden sind, um sie zu missbrauchen. Drogenhandel, Waffenhandel, Beschaffungsdelikte oder Kinderpornografie sind andere Dinge, die ihren Marktplatz im Internet haben. Die Zunahme an Straftaten gerade auch im Internet, der Missbrauch von persönlichen Daten – das ist für uns auch mit ein Grund, warum wir den neuen Straftatbestand der Datenhehlerei einführen; denn hier gibt es eine Strafbarkeitslücke: Derjenige, der sich die Daten illegal beschafft, macht sich strafbar, derjenige, der sie dann nutzt, um Betrügereien zu begehen, macht sich strafbar, aber derjenige, der dazwischen sitzt und mit den Daten handelt, macht sich nicht strafbar. Hier schließen wir eine Lücke. Meine Damen und Herren, die Beispiele zeigen nicht nur, welche ermittlungstechnische Bedeutung die Verbindungsdaten haben, sondern sie zeigen auch, um welche Straftaten es geht, nämlich schwere Kriminalität, und sie zeigen auch, wie diese Daten erhoben werden. Sie werden nicht beliebig zusammengeführt, einmal herumgerührt und dann irgendwie missbraucht, sondern sie werden immer nur punktuell im Zusammenhang mit ganz konkreten Ermittlungen in Fällen schwerer Kriminalität herangezogen. Das zeigt vor allem, worum es nicht geht: Es geht nicht um Meinungskontrolle, nicht um Generalverdacht, nicht um generelle Überwachung oder das Erstellen von Bewegungsprofilen. Hier werden in unverantwortlicher Weise Ängste geschürt. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Beispiele zeigen aber auch, wer bisher davon profitiert hat, dass wir auf dieses Ermittlungsinstrument verzichtet haben. Das waren nicht die kritischen Geister, die Journalisten, die Bürger in ihrer privaten Lebensführung, sondern es waren kriminelle Täter, skrupellose Mörder, Räuber, Bandendiebe, Erpresser, Händler und Nutzer von Kinderpornografie. Das muss jeder wissen, der sich bisher gegen die Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen hat. Es ist richtig: Sie ist noch nicht empirisch aufgearbeitet worden. In der Tat haben die Ermittler bisher Besseres zu tun, als festzuhalten, was sie mit der Vorratsdatenspeicherung hätten machen können. Wenn sie ihnen nicht zur Verfügung steht, dann hat das im Moment keinen praktischen Wert. Wir haben uns deshalb vorgenommen, das im Rahmen einer Evaluation aufzuarbeiten. Ich kann die Anwender in der Praxis jetzt nur bitten, wirklich festzuhalten, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Bitten“?) was der Zugriff auf Verkehrsdaten für sie bedeutet, sei es, dass sie mit solchen Daten wirkliche Ermittlungsfortschritte erzielen, oder sei es, dass sie unter der jetzigen Regelung noch keinen Zugriff haben und ebendeshalb nicht weiterkommen. All das wird im Rahmen der Evaluation wichtig und hilfreich sein. Bei unserer heutigen Entscheidung stützen wir uns auf diese zahlreichen Beispiele aus der Praxis. Meine Empirie ist da schon ziemlich umfangreich – das muss ich wirklich sagen –, und die Beispiele sind absolut plausibel. Diese Verkehrsdaten erlauben einen Blick in die Vergangenheit und erlauben deshalb eben auch, Tatverläufe zu rekonstruieren. Das muss sein. Der Staat hat das Monopol zur Strafverfolgung, und er darf sich bei der Verfolgung von Tätern nicht von vornherein schwächer machen, als es die Täter sind, die diese Kommunikationsmittel ohne Weiteres nutzen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vielfach wird gesagt, dass hier ein Missbrauchsrisiko besteht. Ich darf sagen: Es ist aus der Zeit, in der die Vorratsdatenspeicherung geregelt war, kein einziger Fall des Missbrauchs bekannt geworden. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wissen Sie doch gar nicht!) Auch die Internet-Community hat keinen einzigen Fall auftun können, in dem hier irgendetwas schiefgegangen ist. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Fragen Sie doch mal Ihren BND-Koordinator! – Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der hat auch keine Ahnung!) Wir gehen auch in Zukunft auf Nummer sicher und erhöhen den Sicherheitslevel noch weiter. Uneingeschränkter Richtervorbehalt, Vier-Augen-Prinzip, Verschlüsselung, Trennung vom Internet bei der Speicherung: Dieses Niveau ist extrem hoch – wohlgemerkt für dieselben Daten, die bei den Telekommunikationsunternehmen selber aus betrieblichen Gründen allein nach den Regeln des Bundesdatenschutzgesetzes gespeichert werden können, und zwar mit deutlich geringeren Standards. Meine Damen und Herren, ich möchte noch kurz auf die Bedenken der EU-Kommission eingehen, vor allem auf die Reaktion der Netzgemeinde darauf. Unser Gesetzentwurf sieht bekanntlich vor, dass Daten nur in Deutschland gespeichert werden dürfen, und zwar deshalb, damit wir hier die Einhaltung dieser allerhöchsten Sicherheitsstandards gewährleisten können. Die Kommission hatte angemerkt, dass das eventuell eine Benachteiligung von Anbietern aus dem EU-Ausland darstellen könnte. Was tut die Netzgemeinde? Angesichts der erneuten Kritik aus Brüssel an der deutschen Vorratsdatenspeicherung lautet eine Überschrift: „Wir veröffentlichen“ – hu, hu, alles geheim – „die Stellungnahme der EU-Kommission zu Vorratsdatenspeicherung: Noch viele weitere Mängel (Update)“. Da wird der Eindruck erweckt, hier hätte die EU-Kommission wieder Datenschutzmängel in unserer Regelung aufgezeigt. Das Gegenteil ist der Fall: Der EU ging es in diesem Zusammenhang nicht etwa um unzureichenden Datenschutz, sondern um Wettbewerbsinteressen. Es ging ihr darum, dass die Wettbewerber im EU-Ausland nicht schlechtergestellt werden. Hier hätte man eine Kommentierung erwartet, in der die EU-Kommission kritisiert wird und die Regierung bzw. die Koalition dazu aufgefordert wird, am hohen Schutzstandard und an der Speicherung in Deutschland festzuhalten. Die Überschriften gingen genau in die andere Richtung. Das zeigt mir, dass hier nicht redlich argumentiert wird. Hier wird Panikmache betrieben und Ideologie verbreitet. Deshalb sind wir froh, dass wir das jetzt gut unter Dach und Fach bekommen. Es ist ein guter Tag für den Rechtsstaat. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was ich bisher von den Koalitionsfraktionen gehört habe, fand ich ziemlich dünn. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Der Kollege der SPD hat so getan, als hätte man grundsätzlich und sehr intensiv beraten. Aber, Herr Kollege Fechner, davon habe ich nichts gemerkt. Sie haben gezeigt, gerade die SPD, dass Sie ein ewiges Hin und Her vollendet haben. Erst ist Herr Maas lange Zeit rumgelaufen und hat gesagt: Nein zur Vorratsdatenspeicherung. Denn sie sei mit der Rechtsprechung und unseren Grundrechten nicht vereinbar. Dann ist er irgendwie über Nacht, nachdem er vorher als ein kleines Vögelchen im Baum saß und den Mund spitzte, vom Ast gefallen, statt das Lied der Grundrechte zu singen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Anders kann man es gar nicht bezeichnen. Plötzlich war er weg. Oder wenn er uns hier später zehn Minuten etwas erklärt: Er hat zu keinem Zeitpunkt etwas erklärt. Er hat sich nicht einmal getraut, am letzten Mittwoch oder zu einem anderen Zeitpunkt in den Ausschuss zu kommen und sich zu seinem Meinungswandel, zu den Beispielen befragen zu lassen. Wahr ist doch – Herr Fechner, Sie sagen: Wir müssen eine große Debatte über Grundrechte führen –: Sie haben in Ihrer eigenen Rede diese Debatte gar nicht geführt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das haben wir gemacht! Es ist intensiv auf dem Parteikonvent besprochen worden!) – Nein, im Parteikonvent! Wer ist der Parteikonvent? Hier ist der Deutsche Bundestag mit seinen Ausschüssen. Auch hier müssen Sie diese Beispiele bringen. Ich sage Ihnen: Kein Beispiel, das ich hier oder im Ausschuss gehört habe, hat am Ende Bestand gehabt. Das Putzigste war, dass ein Ermittler sagte: Wenn man nach dem Ausbrennen des Wohnwagens der NSU-Terroristen die Handys hätte auswerten können, was hätte man dann alles über den NSU erfahren. – Meine Damen und Herren, was hätten wir alles über den NSU erfahren, wenn die deutschen Behörden zehn Jahre lang ordentlich gearbeitet hätten, und zwar ohne Vorratsdatenspeicherung? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Es gibt viele Argumente, aber dafür reicht meine Redezeit nicht. Sie haben gesagt, Sie wollen Grundrechte diskutieren und haben am Ende – ich finde: ideologisch – nur Sicherheitsaspekte gebracht, wobei Sie nicht einmal Alternativen diskutiert haben. Was würde eigentlich nach einer Tat gegen Quick Freeze sprechen? Das kommt bei Ihnen gar nicht vor. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So ein alter Vogel! Der ist schon vor ein paar Jahren vom Ast gefallen!) Sie könnten die Daten einer bestimmten Region, die Sie grundsätzlich speichern wollen, per Quick Freeze speichern, um alle Daten der Menschen, die in einem bestimmten Umkreis eines Tatortes anwesend waren, zu haben. Diese Alternative könnte man ja erörtern. Aber nein, Sie machen alle in dieser Bundesrepublik zu Verdächtigen, alle und nicht nur die Netzgemeinde, sondern jeden, der kommuniziert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie tun so, als ginge es um ein paar Daten. Unser Kollege Malte Spitz ist schon erwähnt worden. Er hat das bei der Telekom abgefragt und in einem Buch niedergelegt. Meine Damen und Herren, gehen Sie getrost davon aus: Alle drei, vier Minuten wird von jedem von uns, von jedem, der technische Geräte hat, festgestellt, wo er sich aufhält, wie lange er dort ist, mit wem er kommuniziert. Das hat Orwell in 1984 gar nicht so gut beschreiben können, wie es heute passiert. Dann kommen die Fluggastdaten dazu, demnächst, denke ich, die Pkw-Maut, Wohnraumüberwachung und Ähnliches. Keiner kann begründen, warum wir alle derartig verdächtig sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Niemand von Ihnen hat bis jetzt die Frage der Datensicherheit beantwortet. Man muss ja Mitleid mit den Providern haben, die wieder einmal dreistellige Millionenbeträge ausgeben müssen, um angeblich ein Sicherheitsniveau herzustellen. Wenn das beim EuGH scheitert, können Sie einmal schauen, wie es mit dem Geld ist, meine Damen und Herren. So macht man Mittelstandsförderung à la SPD. Wo ist eigentlich der Wirtschaftsminister, der hier immer von digitalen Agenden spricht? Zur Datensicherheit nach Snowden. Wie naiv sind Sie? Oder was glauben Sie, wie naiv wir sind, dass wir glauben, man könnte Daten an einem Ort über zehn Wochen speichern, ohne dass die NSA da rankommt? Da können Sie noch so viel spielen. Sie müssen sich mit der Frage auseinandersetzen: Jeder Tag der Speicherung an zentralen Orten führt dazu, dass Geheimdienste dieser Welt, im Zweifelsfalle sogar unser eigener, auf diese Datenmengen und das Profil, das man damit bilden kann, Zugang haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Jetzt sagen Sie vielleicht, meine Damen und Herren: Das können wir alles schützen, das entwickeln wir. – Ich sage Ihnen: Ich traue unseren Geheimdiensten auch keinen halben Meter, nicht nur wegen der aktuellen Enthüllung. Einem Geheimdienst, der sagt, er wisse nicht, nach welchen Adressen in den Selektorenlisten der USA gefragt wird, traue ich nicht zu, dass er meine Daten schützt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ihre Vorlage verstößt gegen europäisches Recht; denn der EuGH hat gesagt, dass die anlasslose Verarbeitung der Daten unzulässig ist. Er hat ganz klar gesagt: Es muss irgendeinen Bezug zwischen mir als Person, dem überwachten Bürger, und dem Risiko oder dem Verdacht geben. – An keiner Stelle haben Sie so etwas aufgezählt. Sie verlagern das nach hinten, in die Verwertung, meine Damen und Herren. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist so dünn!) Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Das Urteil des EuGH besagt auch: Sie müssen differenzieren, zum Beispiel bei Berufsgeheimnisträgern. – Was sagen Sie uns in den Ausschüssen? Na ja, dann hört man halt in das Gespräch rein, und dann wird man schon rausfinden, ob es ein Anwalt oder ein Abgeordneter ist. (Thomas Strobl (Heilbronn) [CDU/CSU]: So ein Quatsch! – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das kann man nicht, weil der Gesprächsinhalt nicht gespeichert wird!) – Entschuldigung. Ich meinte: Man guckt sich die Dinge an und stellt später fest, (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Aha!) dass es zu XY gehört. – In dem Augenblick sind die Daten vorhanden, und da hilft es mir nicht, dass gesagt wird, das dürfte am Ende nicht für eine Urteilsbegründung verwertet werden. Sie sagen, technisch gehe das nicht. – Wir leben im 21. Jahrhundert! Billionen Daten werden verarbeitet, und Sie sagen: Es geht nicht. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wichtige Daten sind die zur übrigen Redezeit! Die ist jetzt nämlich bei Ihnen abgelaufen!) Es gehe nicht mal, die Anschlüsse des Deutschen Bundestags herauszunehmen. – Das glauben Sie doch selbst nicht! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich sage Ihnen: Dieses Gesetz widerspricht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des EuGH, die im Zusammenhang mit Safe Harbor bekräftigt wurde. Das, was Sie hier machen, ist weder erforderlich noch geeignet noch verhältnismäßig, meine Damen und Herren. Deshalb kann man, um die Freiheit dieses Landes zu schützen, dieses Gesetz heute nur ablehnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wer die Sicherheitsideologie so weit treibt, dass er die Freiheit opfert, hat am Ende weder Sicherheit noch Freiheit, und das wollen wir nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Für die Bundesregierung erteile ich das Wort Bundesminister Heiko Maas. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf geben wir Justiz und Polizei bei schwersten Straftaten ein zusätzliches Instrument an die Hand. Wir geben es ihnen an die Hand, um dabei mitzuhelfen, dass Straftaten wie Mord und Totschlag sowie Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung besser aufgeklärt und damit weitere Straftaten der betreffenden Straftäter verhindert werden können. Wir wägen die Rechtsgüter untereinander ab: Es ist ein Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung. Aber in der Abwägung der Rechtsgüter kommen wir zu dem Ergebnis, auch nach höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass dieser Eingriff nicht nur verhältnismäßig, sondern auch zulässig ist, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Aber nicht erforderlich! – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Und notwendig!) Er ist auch verhältnismäßig, weil nun im Vergleich zur früheren Vorratsdatenspeicherung weniger Daten gespeichert werden, weil sehr viel kürzer gespeichert wird und weil der Zugriff auf die Daten deutlich erschwert worden ist. Nicht gespeichert wird der Inhalt von Telefongesprächen, welche Internetseiten aufgerufen werden. Und jetzt werden auch sämtliche E-Mails ausgenommen; es wird nicht gespeichert, wann eine E-Mail gesendet oder empfangen worden ist. (Thomas Strobl (Heilbronn) [CDU/CSU]: Schönheitsfehler!) Außerdem werden die Standortdaten nur noch für vier Wochen erfasst, alle übrigen Daten zehn Wochen. Danach müssen sie gelöscht werden. Damit werden wir der höchstrichterlichen Rechtsprechung vollumfänglich gerecht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, schließlich haben wir auch den Katalog der Straftaten, bei deren Verfolgung die Daten genutzt werden dürfen, stark eingeschränkt; die Anzahl der entsprechenden Delikte haben wir halbiert. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Och! Das ist ja ein wichtiges Argument!) – Das kann man ganz einfach nachzählen, Frau Künast. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist mir aber zu wenig!) Ich möchte insbesondere auf drei Aspekte eingehen, die in der Beratung eine besondere Rolle gespielt haben. Der erste Aspekt ist die schon angesprochene Stellungnahme der Europäischen Kommission. Ich bin ein bisschen verwundert, dass die Europäische Kommission in der Lage ist, sich so intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss sie ja! Dafür wird sie ja bezahlt! Notifizierung! Das muss sie jetzt! Während Sie vergessen haben, dass man notifizieren muss!) aber sich anscheinend dennoch nicht in der Lage sieht, eine neue Richtlinie auf den Weg zu bringen, um die Dinge in Europa vielleicht etwas einheitlicher zu regeln. Nichtsdestotrotz: Die Kommission hat kritisiert, dass wir in dem Gesetzentwurf vorsehen, dass die erhobenen Daten ausschließlich in Deutschland gespeichert werden dürfen. Die Kommission meint, es müsse eben auch zulässig sein – und zwar aus Wettbewerbsgründen; es hat nichts mit Datenschutz zu tun, sondern bedeutet, wie wir finden, genau das Gegenteil –, die Daten in anderen Mitgliedstaaten der EU zu speichern. Meine Damen und Herren, es ist sicherlich nicht so, dass es nur in Deutschland einen Datenschutz gibt. Aber der Europäische Gerichtshof hat erst vor wenigen Tagen das Safe-Harbor-Abkommen für ungültig erklärt und hat sehr deutlich gezeigt, dass Brüssel mit dem Datenschutz bisher vielleicht doch etwas zu leichtfertig umgegangen ist. Deshalb bleibt es für uns dabei: Deutsche Daten sind ausreichend und gut geschützt, aber das können wir im Zusammenhang mit den Höchstspeicherfristen nur gewährleisten, wenn die Daten weiterhin in Deutschland gespeichert werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn die Daten auf Servern im Ausland liegen, können wir nicht rechtssicher nachvollziehen, ob sie dort von Behörden, Polizei und Diensten abgegriffen werden. Deshalb haben wir uns dazu entschlossen, den Gesetzentwurf an dieser Stelle trotz der Einwendung der Kommission nicht zu verändern. Der zweite Punkt ist hier auch schon angesprochen worden, nämlich der Schutz des Berufsgeheimnisses. Für Personen und Institutionen, die anonyme Hilfe und Beratung anbieten, stellen wir sicher, dass Verbindungsdaten zu ihren Anschlüssen überhaupt nicht gespeichert werden; das betrifft die Telefonseelsorge oder ähnliche Einrichtungen. Wichtig ist aber, noch einmal klarzustellen: Viele andere Berufsgruppen, bei denen es auch ein Berufsgeheimnis zu wahren gilt, arbeiten nicht anonym: Rechtsanwälte arbeiten nicht anonym, sie können auch gar nicht anonym arbeiten. Das Berufsgeheimnis will hier nicht die Anonymität schützen, sondern ein besonderes Vertrauensverhältnis zum Mandanten oder – bei Ärzten – zum Patienten. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und dass es ein Mandat gibt! Das muss man auch schützen!) Deshalb schreiben wir ins Gesetz, dass für alle Berufsgeheimnisträger ein umfassendes Erhebungs- und Verwertungsverbot, also auf der Zugriffsebene, gilt. Solche Verbote kennt das Gesetz auch schon heute, zum Beispiel bei so gravierenden Eingriffen wie der akustischen Wohnraumüberwachung. Auch dort bietet das Erhebungs- und Verwertungsverbot umfassenden Schutz – das wurde bisher auch nicht kritisiert –, und genau diesen Schutz wird es zukünftig auch bei den Verkehrsdaten geben. Das ist in unserem Gesetz so gesichert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich doch gerade vorgelesen: Es darf nicht gespeichert werden!) Der dritte Aspekt betrifft den neuen Straftatbestand der Datenhehlerei; darüber ist in den letzten Wochen einiges geschrieben worden. Wenn wir einerseits den Pool gespeicherter Daten erweitern, dann müssen wir andererseits diese Daten in Zukunft wirksamer schützen. Das sind wir nicht nur den Betroffenen schuldig, sondern das ist eine Erkenntnis aus der zunehmenden Digitalisierung unserer Gesellschaft, an der wir uns nicht vorbeimogeln können. Der Vorwurf, damit würden auch Whistleblower kriminalisiert, trifft nicht nur nicht zu: Er ist völlig falsch und an den Haaren herbeigezogen. Datenhehlerei gilt nur für gestohlene Daten, die zum Beispiel durch einen Hackerangriff erbeutet werden. Ein Whistleblower besitzt aber in der Regel seine Informationen völlig rechtmäßig. Der entscheidende Punkt bei ihm ist die Weitergabe der Information, aber diese Weitergabe ist weder für den Whistleblower eine Datenhehlerei noch für denjenigen, der die Information entgegennimmt; das ist eigentlich relativ einfach nachvollziehbar. Wir stellen außerdem sicher, dass Journalisten durch den neuen Straftatbestand nicht beeinträchtigt werden. Ihre Tätigkeit wird von diesem Straftatbestand nicht erfasst; das schreiben wir sogar explizit ins Gesetz. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Aber nur in die Begründung!) Dabei ist es nicht erforderlich, dass der Journalist schon bei der Beschaffung der Daten eine konkrete Veröffentlichung vor Augen oder einen Artikel in der Schublade hat. Geschützt werden zwar nicht die rein privaten Aktivitäten eines Journalisten, aber es reicht, wenn die Handlungen der Recherche dienen und in eine Veröffentlichung münden können. Insofern ist vieles, was in den letzten Wochen zu diesem Thema gesagt und veröffentlicht wurde, einfach völlig falsch. Ich bitte, das zu berücksichtigen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Damit diese Bestimmung wirkt, gilt der Tatbestandsausschluss nicht nur für hauptberufliche Journalisten, sondern er schützt auch freie Mitarbeiter und nebenberufliche Journalisten, und auch Blogger können sich grundsätzlich darauf berufen. Das heißt, es gibt an der Stelle keine Schutzlücke. Meine Damen und Herren, der Bundestag hat im Rahmen seiner Beratungen den Gesetzentwurf an einer wichtigen Stelle ergänzt: Er hat eine verbindliche Evaluierung vorgesehen. Ich glaube, dass das eine sehr vernünftige Ergänzung ist, weil darüber diskutiert wird, was die Speicherung von Daten überhaupt nutzt. Nach der Evaluierung, wenn die Daten ausgewertet sind, wissen wir, welche Kosten dabei anfallen und wie diese Daten den Ermittlern helfen. Wenn das Ergebnis der Evaluierung vorliegt, werden wir darüber eine Debatte führen können, und zwar auf einer vernünftigen, empirischen Grundlage, die es bisher noch nicht gibt. Ich danke den Abgeordneten des Bundestages für diese Ergänzung, auch für die sicherlich nicht immer einfachen Beratungen. In diesen Dank will ich auch die Mitarbeiter meines Hauses einschließen, denen wir in diesem Verfahren einiges an Arbeit abverlangt haben. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Konstantin von Notz, Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frage der Vorratsdatenspeicherung, über die wir seit Jahren hier diskutieren, ist die Kernfrage der Bürgerrechte in unserer digitalisierten Welt. Die Massenspeicherung der Kommunikations- und Bewegungsdaten aller Bürgerinnen und Bürger in Deutschland auf Vorrat stellt einen rechtsdogmatischen Dammbruch par excellence dar. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deswegen gehört er auf den Müllhaufen der Geschichte und nicht wieder hier ins Parlament. Herr Maas, wirklich: Sie halten hier diese lapidare Rede und sagen, das, was dazu veröffentlicht worden ist, sei alles komisch. Sie sprechen nicht den EuGH und nicht das Bundesverfassungsgericht an. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Natürlich!) Ich lese Ihnen einmal Ihre eigene Veröffentlichung vor. Sie haben, Gott sei Dank, bei Twitter mal was Richtiges gesagt: Die Vorratsdatenspeicherung lehne ich entschieden ab. Sie verstößt gegen das Recht auf Privatheit und Datenschutz. Kein deutsches Gesetz und keine EU-Richtlinie! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das war Ihre Aussage, und die war richtig. Und jetzt erzählen Sie hier lapidar das Gegenteil. Ich sage Ihnen: Das ist schlecht für Sie. Das bricht Ihnen das Rückgrat, aber auch Ihrem Haus, das jahrelang gegen dieses Instrument gearbeitet hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sind alle entgeistert jetzt!) Das haben Sie an das Bundesinnenministerium verkauft, und das ist das Letzte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Als wir das letzte Mal hier darüber diskutiert haben, haben Sie gesagt: Das muss umgesetzt werden; das ist ein schwieriges Gesetz, aber das müssen wir machen; denn es gibt diese EU-Richtlinie. – Jetzt stehen wir hier, nachdem zwei höchste Gerichte gesagt haben: „Das ist verfassungswidrig“, und jetzt sagen Sie: Es gibt keine EU-Richtlinie; deswegen muss das umgesetzt werden. – Ihnen ist jedes Argument recht. Aber das ist eben unseriös. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Vorratsdatenspeicherung ist nicht nur Gift für unsere Demokratie; sie ist auch Gift für unsere Wirtschaft. Laut Bundesnetzagentur sind circa 3 000 kleine Anbieter betroffen. Die genauen Kosten sind unabsehbar, liegen bei den Kleinstanbietern pro Betrieb aber bei über 100 000 Euro. Das heißt, Sie machen auch noch die Kleinstanbieter platt. Das, was Sigmar Gabriel im Wirtschaftsministerium gegen die Megagiganten aus den USA versucht hochzuziehen – für mehr Wettbewerb –, das reißen Sie mit dem Hintern wieder ein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber auf Anweisung von Gabriel!) Das geht alles überhaupt nicht. Da hilft Ihnen auch kein IT-Gipfel. Zur Datenhehlerei. Das ist doch wirklich unfassbar: Vor wenigen Wochen hatten wir – unter Ihrer fröhlichen und traurigen Beteiligung, Herr Maas – den Landesverratsskandal, und jetzt bringen Sie hier einen Gesetzentwurf ein, mit dem Whistleblower in einen – so sage ich jetzt einmal – Graubereich gestellt werden. Sie versuchen, die Journalistinnen und Journalisten auszunehmen, in § 202 d StGB-E ist der Straftatbestand aber unzureichend klar formuliert. Nur ein Beispiel: In der Begründung Ihres Gesetzentwurfs steht, dass bei der Schädigung ein immaterieller Nachteil – beispielsweise beim Datenhandel „zum Zwecke der öffentlichen Bloßstellung im Internet“ – genügen soll. Na, herzlichen Dank! Das heißt, auch bei der Kohl-Spendenaffäre wäre durch die öffentliche Bloßstellung ein immaterieller Nachteil eingetreten. Schon in diesem Bereich kriminalisieren Sie. Das geht nicht, und das lehnen wir ab. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das schadet dem, was wir brauchen. Wir brauchen einen Whistleblowerschutz. Unklare Strafgesetze sind gefährlich. Sie schaffen die dem Gesetzgeber zuzurechnende Gefahr von Ermittlungen gegen Journalisten und Whistleblower und – das ist wahrscheinlich – von Fehlurteilen. Diese Einschüchterung, die zwangsläufig – so ist es ja von der Union auch gemeint – zu Chilling Effects führt, und zwar dadurch, dass sich Leute nicht mehr trauen, Informationen weiterzugeben, ist genau das Gegenteil von dem, was wir heute brauchen, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zum Schluss ein Wort zu der Sozialdemokratie. (Dr. Eva Högl [SPD]: Ein Wort zur Sozialdemokratie! – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Gerne! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ach! – Oh Gott!) – Ja, ja; jetzt wird es traurig. (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU) – Da lacht sogar die Union. – Herr Oppermann hat nach Snowden – da war ja Wahlkampf und so – gesagt: Die Vorratsdatenspeicherung muss die Sozialdemokratie gänzlich neu bewerten. – Gänzlich neu bewerten! (Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: Hat sie ja getan! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man muss die Sozialdemokratie selbst jetzt gänzlich neu bewerten!) – Ja, genau. Er sagte auch, die SPD wolle – jetzt wird es noch fröhlicher – die neue Bürgerrechts- und Internetpartei werden. Dass ich nicht lache! Dann hat Sigmar Gabriel aus reinstem politischem Opportunismus (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: So was macht der nie! Opportunismus kennt der gar nicht!) die ganze Überlegung, man müsse mehr für die Bürgerrechte machen, zulasten seines Ministers abgeräumt. (Brigitte Zypries, Parl. Staatssekretärin: Ach was! Das geht ja gar nicht!) Das zeigt, wie hoch der Stellenwert dieses Themas bei Ihnen ist. Auf Sie ist beim Thema Bürgerrechte kein Verlass. Das ist wirklich hochbedauerlich, vor allen Dingen, nachdem Sie schon das letzte Mal mit den gleichen Argumenten angetreten sind und von zwei höchsten Gerichten korrigiert werden mussten. Wenn man den Freiheitsrechten der Menschen und der Verfassung zu Leibe rückt, wie Sie es tun, wie es die GroKo jetzt tut, dann hat man schon verloren, wenn einem offenbar jedes Argument recht ist. Deswegen sage ich Ihnen hier heute: Wir werden gegen dieses Gesetz klagen – da haben wir gute Chancen –, und wir werden versuchen, es auf diesem Wege zu verhindern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wer es mit der Großen Koalition gut meint, der kann sagen: Das letzte Mal ist Ihnen das so durchgerutscht. Oder: Das war grob fahrlässig, meine Damen und Herren. – Diesmal aber gehen Sie vorsätzlich gegen das Grundgesetz vor. Dagegen werden wir uns wehren. Ganz herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben im Gegensatz zu Ihnen, meine Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen, eine intensive und sachliche Debatte über die Einführung von Speicherpflichten für Verkehrsdaten geführt. (Beifall des Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD] – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da lachen ja die Hühner!) Um mit einem Missverständnis, das in der öffentlichen Debatte immer wieder aufkommt, aufzuräumen, möchte ich hier heute klarstellen: Der Staat speichert nicht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Der Staat legt keine staatliche Datensammlung an. Wir verpflichten durch das heutige Gesetz die Telekommunikationsanbieter, Verbindungsdaten für zehn Wochen und IP-Adressen und Anrufkennungen ebenfalls für zehn Wochen zu speichern; Standortdaten von Mobiltelefonen werden für vier Wochen gespeichert. Um ein weiteres Missverständnis aus der Welt zu schaffen: Diese Speicherung wird im Wesentlichen nicht neu begründet, sondern die Telekommunikationsanbieter halten diese Daten bereits vor, zu Rechnungszwecken oder zu Wartungs- und Reparaturzwecken. (Beifall bei der CDU/CSU) Bereits jetzt können Strafverfolgungsbehörden nach richterlichem Beschluss auf diese Daten zugreifen. Nur hängt es im Augenblick vom Zufall ab, ob die Daten noch gespeichert sind oder nicht. Ich sage Ihnen ehrlich: Zufälligkeit ist für uns kein gültiges Rechtsprinzip. (Beifall bei der CDU/CSU) Wann darf der Staat auf diese Daten zugreifen? Er darf nur dann zugreifen, wenn es der Aufklärung oder Verhinderung schwerster und allerschwerster Straftaten dient, (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Und woher weiß er das?) wenn es um die Gefahrenabwehr, zum Beispiel die Abwehr von terroristischen Anschlägen, oder um Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder der Länder geht. (Zuruf des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]) Dieser Zugriff darf nur nach richterlichem Beschluss und nur im Einzelfall erfolgen. Die Daten von Berufsgeheimnisträgern unterliegen einem absoluten Verwertungsverbot. Warum brauchen wir das? Wir brauchen das, weil sich beispielsweise im Bereich des Kindesmissbrauchs und der Kinderpornografie Ermittlungsansätze bald nur noch in der digitalen Welt finden lassen. (Thomas Strobl (Heilbronn) [CDU/CSU]: So ist das!) Wir brauchen das, weil wir bei Mord und Totschlag oftmals durch die Funkzellen feststellen können: Wer hat sich denn im Umfeld eines Tatortes aufgehalten? Wir brauchen das, um Schleuserkriminalität zu bekämpfen, und wir brauchen das auch, um möglichen Hinweisen auf islamistische, rechtsextreme und andere Attentate nachzugehen. (Thomas Strobl (Heilbronn) [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Der wehrhafte Rechtsstaat braucht diese Instrumente. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Viele Delikte vollziehen sich heute in der digitalen Sphäre. Dieser Gesetzentwurf trägt dazu bei, eine digitale Spurensicherung sicherzustellen. Der Gesetzentwurf eröffnet den Strafverfolgungsbehörden nicht alle Möglichkeiten. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Doch!) Er schafft aber im begrenzten Umfang zumindest Chancengleichheit mit Verbrechern; er behebt Defizite in der Strafverfolgung. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wir wollen nicht, dass Verbrecher ihre Taten mit Smartphones planen und ausführen, während die Strafverfolgungsbehörden, wenn es nach Ihnen ginge, nur Schreibmaschinen und Kohlepapier haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Dieser Gesetzentwurf wahrt auch einen hohen Datenschutzstandard. Bei der Speicherung und beim Abruf der Daten wird der Stand der Technik der Jahre 2015, 2016 und 2017 zugrunde gelegt. Die Daten sind im Inland zu speichern. Hier rufe ich der Kommission zu: Wie wir unsere Sicherheit und Ordnung gestalten, ist eine Frage der inneren Sicherheit und nicht des Wettbewerbs und des Binnenmarkts. (Beifall bei der CDU/CSU) In diesem Gesetzentwurf ist auch geregelt, dass die Daten eine Woche nach Ablauf der Frist zwingend zu löschen sind und dass die Telekommunikationsanbieter, die gegen diese Löschungspflicht verstoßen, teilweise hohe Bußgelder riskieren. Das ist ein Goldstandard des Datenschutzes. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD] – Thomas Strobl (Heilbronn) [CDU/CSU]: Mehr Datenschutz!) Auch um Missverständnissen vorzubeugen, sei auf das Bundesverfassungsgericht hingewiesen. Das Bundesverfassungsgericht hat die damalige Regelung des Jahres 2007 für verfassungswidrig erklärt, weil wir in einigen Punkten zugegebenermaßen nicht präzise genug waren. Es hat aber nicht gesagt, dass die Speicherung von Verbindungsdaten per se verfassungswidrig ist. Wer das sagt, nimmt das Verfassungsgericht in eine Geiselhaft. Das ist nicht anständig. Im Gegenteil! (Beifall bei der CDU/CSU) Das Bundesverfassungsgericht hat einen rechtlich zulässigen Rahmen aufgezeigt, in welchem eine Speicherung und ein Abruf von Verbindungsdaten zulässig sind. Wir halten uns nicht nur an diesen Rahmen, sondern wir bleiben sogar weit hinter dem, was der zulässige Rahmen möglich macht, zurück. Auch in Bezug auf die Erforderlichkeit hat das Bundesverfassungsgericht ganz deutlich gesagt – ich zitiere –: Der Gesetzgeber darf eine sechsmonatige Speicherung der Telekommunikationsverkehrsdaten auch als erforderlich beurteilen. Mich ärgert in diesem Zusammenhang, dass Sie manchmal eine sehr unsensible Sprache wählen. Im Vorfeld ist viel von „Massenüberwachung“ und „Generalverdacht“ gesprochen worden. Sie können einen Gesetzentwurf mit Argumenten zutreffend oder auch weniger zutreffend kritisieren oder hinterfragen – gar keine Frage –, aber wenn Sie darüber sprechen, dann haben Sie auch die Verantwortung, sensibel mit Begriffen umzugehen. Wer bei rechtsstaatlichen, engen Ermittlungsansätzen von Überwachung spricht, der ist geschichtsvergessen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Herr Kollege, Herr von Notz begehrt eine Zwischenfrage. – Sie lassen sie nicht zu. Okay. (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Peinlich! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich wollte noch auf das Geschichtsbewusstsein zu sprechen kommen!) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Wir haben festzustellen, dass dieser Gesetzentwurf in engen Grenzen selbstverständlich einen Grundrechtseingriff bedeutet; das ist gar keine Frage; (Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: Genau!) das haben wir auch nie bestritten. Wir gehen mit diesem Umstand auch sehr verantwortungsvoll um. Aber die Ziele dieses Gesetzentwurfs haben ebenfalls einen hohen Verfassungsrang. Es ist von hohem Verfassungsrang, schwere und schwerste Straftaten gleichermaßen aufzuklären. Es ist von hohem Verfassungsrang, Gefahren für Leib und Leben abzuwenden. Es ist von hohem Verfassungsrang, den Opferschutz sicherzustellen. Wir stellen den Täterschutz nicht über den Opferschutz. Für uns sind die Opfer wichtig, und wir kümmern uns um die Opfer, indem wir schwere und schwerste Straftaten aufklären. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es gibt in dieser Frage keinen Gegensatz von Freiheit und Sicherheit. Ganz im Gegenteil: Freiheit und Sicherheit bedingen sich. Ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit. Mit diesem Gesetz wird die notwendige Freiheit ein Stück weit gewährleistet, weil wir Gefahren, die es heute gibt, aus dem Weg schaffen oder zumindest dafür sorgen, dass schwerste Straftaten aufgeklärt werden. Wir übernehmen damit Verantwortung für die Freiheit und die Sicherheit der Menschen in diesem Land. Deswegen empfehle ich die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten von Notz das Wort. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich möchte auf den doch sehr harten Vorwurf der Geschichtsvergessenheit kurz zu sprechen kommen; denn das kann man so nicht im Raum stehen lassen, Herr Kollege Ullrich. Die Menschenrechte und die Grundrechte, die in unserer Verfassung stehen, sind vor allen Dingen die Lehre aus einer schlimmen Diktatur, in der der Staat gegenüber seinen Bürgerinnen und Bürgern massiv übergriffig war, und zwar auf schlimmste Weise. Dazu kommt eine grauenvolle Diktatur, die wir im Osten dieses Landes lange hatten. Deswegen haben wir Grund- und Bürgerrechte, Abwehrrechte, die uns gegen den Staat schützen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Jetzt könnten Sie sagen, das sei eine grüne Mindermeinung. Nur, Sie haben hier einen solchen Gesetzentwurf mit denselben Argumenten vor ein paar Jahren schon einmal eingebracht. Uns haben zwei höchste Gerichte in unserer Auffassung recht gegeben, dass Sie damit die Linien, die die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes gezogen haben, überschritten haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deswegen sind Sie geschichtsvergessen. Wir lassen uns diesen Vorwurf nicht gefallen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Wollen Sie antworten? (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das kann man ja so nicht stehen lassen!) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Herr Kollege Dr. von Notz, Sie haben das Urteil des Bundesverfassungsgerichts offenbar nicht gelesen. Das Verfassungsgericht nimmt eine sehr kluge Abwägung vor zwischen Freiheitsrechten einerseits und andererseits dem notwendigen Anspruch des Staates, Straftaten aufzuklären und damit Sicherheit zu gewährleisten. Grundrechte stehen immer in einem Spannungsverhältnis. Der wehrhafte Rechtsstaat hat die Aufgabe, dieses Spannungsverhältnis aufzulösen. Für uns steht bei dieser Auflösung der Opferschutz im Mittelpunkt, weil es nicht sein kann, dass der wehrhafte Rechtsstaat in einer digitalen Welt auf dieses Ermittlungsinstrument verzichtet und damit schwerste Straftaten unaufgeklärt bleiben. Das ist unser Anspruch. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das ist doch nicht der Fall! Sie bleiben ja nicht unaufgeklärt!) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Christian Flisek, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Christian Flisek (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, nahezu zum Schluss der heutigen Debatte lohnt es sich durchaus, noch einmal, wenn man so will, auf die Geschäftsgrundlage unserer Diskussion hier zu blicken und sie sich noch einmal klarzumachen. Wir haben im Jahre 2010 ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts bekommen wegen Verstoßes gegen das Fernmeldegeheimnis, das die damalige Regelung zur Vorratsdatenspeicherung für nichtig erklärt hat. Wir haben vier Jahre später ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs bekommen, das die zugrundeliegende Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung wegen Verstoßes gegen die Grundrechtecharta für unwirksam erklärt hat. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, zur Wahrheit der Analyse gehört eben auch, dass keines der beiden Urteile – der Kollege Dr. Ullrich hat darauf zu Recht hingewiesen – eine Regelung zur Speicherung von Kommunikationsverkehrsdaten per se für unzulässig erklärt hat. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Beide Urteile sehen einen sehr engen, einen klar umrissenen Möglichkeitsraum für eine solche Regelung vor. Das ist, wenn Sie so wollen, die Geschäftsgrundlage, die wir seit 2014 vorfinden. Damit war auch klar, dass die Debatte um die Wiedereinführung einer wirksamen und rechtskonformen gesetzlichen Regelung nicht beendet war – und ich füge hinzu: insbesondere nicht in Zeiten, in denen wir durchaus eine Bedrohungslage durch terroristische Anschläge haben, wie zuletzt in Paris Anfang des Jahres auf die Redaktionsräume von Charlie Hebdo. Man kann das ignorieren; aber ich glaube, die Bürgerinnen und Bürger erwarten auch von uns, dass wir diese Belange hier aufmerksam und sachlich diskutieren, dass sie hier eine Rolle spielen. Wir haben in den letzten Monaten hierzu eine intensive Debatte geführt, auch in meiner Partei; ich sage das mit Stolz. Das ist keine Schwäche. Es ist eine Stärke der Sozialdemokratie, dass wir uns bei diesen Fragen mit einer intensiven Debatte auseinandersetzen. (Beifall bei der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, wenn man sich danach richtig entscheidet!) Das ist im Übrigen einer der Gründe, warum wir seit 152 Jahren existieren. Vizepräsident Peter Hintze: Herr Kollege, der Kollege Ströbele würde gerne eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie die zu? Christian Flisek (SPD): Momentan nicht. Vizepräsident Peter Hintze: Bitte schön. Fahren Sie fort. Christian Flisek (SPD): Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kunst war es jetzt, diesen verbliebenen Möglichkeitsraum so auszuloten, dass er unter strikter Achtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben und unter Wahrung der Grundrechte und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ausgefüllt wird. Die einzelnen Stellschrauben der Regelung waren so auszutarieren, dass eine wirksame, aber vor allem eine grundrechtsschonende Regelung herauskommt. Und es ist der SPD – vor allen Dingen auch Bundesminister Maas – zu verdanken, dass das in dieser Form gelungen ist. (Beifall bei der SPD) Ich bin davon überzeugt, dass dieser Gesetzentwurf unter anderen zeitlichen oder auch unter anderen politischen Verhältnissen eine ganz und gar andere Handschrift tragen würde. In der Form, wie wir ihn jetzt vorfinden, trägt er eine sozialdemokratische Handschrift, und das ist gut so. Die Tonlage dieses Gesetzes ist eine ruhige und keine hitzige, eine abwägende und keine überdrehte Tonlage. Wir wissen auch aus der öffentlichen Anhörung, dass die Forderungen aus Sicherheitskreisen sehr viel schärfer waren. Wir haben aber auch gesagt: Sicherheitspolitik ist kein Wunschkonzert, sondern gerade das Geschäft eines Abwägens mit Augenmaß. Deswegen kann ich sagen: Vor uns liegt heute der mit Sicherheit grundrechtsschonendste Ansatz, den wir jemals – zumindest in Europa, auf jeden Fall in Deutschland – zu Speicherfristen gesehen haben. Herr Bundesminister Maas hat diesen Gesetzentwurf bereits in seinen Einzelheiten vorgestellt. Lieber Kollege von Notz, wir verbringen viel Zeit miteinander, (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) zum Beispiel im Untersuchungsausschuss, ja gestern, an jedem Donnerstag, sehr, sehr lange. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) Wir teilen nicht jedes Argument. Ich höre dir sehr intensiv zu; aber ich würde nie sagen, dass das eine lapidare Rede war. Auch ich würde mir manchmal wünschen, dass man sich gerade auch bei den Debatten, die hier besonders hitzig geführt werden, nicht in der Tonlage vergreift, insbesondere wenn man selber, wie du das gerade getan hast, mit Interventionen klarmacht, dass man sehr viel Wert auf die Wahl von Begriffen legt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, es bleibt zusammenfassend festzustellen: Diese Regelung sieht vor: Es werden erheblich weniger Daten gespeichert. Es wird sehr viel kürzer gespeichert, und vor allen Dingen unter sehr viel strengeren Voraussetzungen, und zwar im Inland, gespeichert. Frau Künast, lassen Sie mich eines sagen: Sie benutzen ja nahezu jedes Urteil, um es auf Ihre Linie zu bringen. Wir greifen dem Safe-Harbor-Urteil, wenn Sie so wollen, mit der Umsetzung dieses Gesetzes geradezu vor, eben weil wir eine im Rahmen der EU-Kommission durchaus strittig diskutierte Regelung im Inland vorsehen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist der eine Teil!) Genau aus diesen Gründen, die im Safe-Harbor-Urteil stehen, sagen wir: Wir wollen, dass die Daten im Inland gespeichert werden, und wir stellen uns mit denselben Argumenten der Kommission entgegen. Ich finde, das ist gut. Frau Künast, eines will ich auch sagen: Ich kann nicht verstehen, dass Sie als Vorsitzende des Rechtsausschusses, als jemand, der das gesamte Verfahren begleitet hat, behaupten, hier werde ein Gesetz im Schweinsgalopp, im Eiltempo, durch den Bundestag gepeitscht, (Zurufe von der LINKEN) noch dazu, man nutze die Flüchtlingskrise aus, um diesen Gesetzentwurf jetzt zu verabschieden. Liebe Frau Künast, ich sage Ihnen ganz offen: Ich verstehe das nicht. Die Eckpunkte liegen seit dem 15. April vor. (Thomas Strobl (Heilbronn) [CDU/CSU]: Das ist wohl wahr!) Wir haben den ganzen Sommer darüber debattiert. Wir haben eine öffentliche Anhörung durchgeführt. Wir haben hier eine sachliche erste Lesung gehabt. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Am Montagabend haben Sie den Tagesordnungspunkt beantragt! Am Montagabend!) So ein Beitrag, Frau Künast, ist ein Beitrag zur Politikverdrossenheit. Ich finde das von der Vorsitzenden des Rechtsausschusses nicht in Ordnung. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So viel Angst habt ihr?) Vizepräsident Peter Hintze: Die Zeit. Christian Flisek (SPD): Ich möchte zum Schluss kommen. – Meine Damen und Herren, man muss kein euphorischer Anhänger der alten Vorratsdatenspeicherung gewesen sein, um dennoch diesem Gesetzentwurf heute mit gutem Gewissen zustimmen zu können; denn es ist ein Gesetzentwurf mit Augenmaß. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Ströbele das Wort. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Flisek, leider haben Sie meine Frage nicht zugelassen. Ich höre genau zu, auch wenn Sie reden, und ich finde es nicht in Ordnung, dass Sie diese grauenhafte Tat in Paris hier zur Begründung der Vorratsdatenspeicherung missbrauchen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Herr Kollege Flisek, Sie sind genauso wie ich bestens darüber informiert, dass die Täter dieses Anschlages der Polizei vorher nicht nur als Gewalttäter bekannt waren, sondern auch legitim abgehört worden sind, und dass sämtliche Überwachungsmaßnahmen gegen sie angewandt worden sind. Der eine war lange im Gefängnis; sie waren einschlägig vorbestraft. Das heißt, gerade das ist ein Beispiel, warum man Vorratsdatenspeicherung nicht braucht, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) wenn man seine Pflicht tut – Kollegin Künast hat darauf hingewiesen – und die ganz normalen Ermittlungsmaßnahmen gegen Verdächtige konsequent durchführt. Sie sollten sich schämen, (Zurufe von der CDU/CSU: Nein!) wenn Sie dies als Argument für die Einführung der Vorratsdatenspeicherung missbrauchen wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Möchten Sie antworten? – Bitte schön, Herr Abgeordneter Flisek. Christian Flisek (SPD): Herr Kollege Ströbele, schämen tue ich mich gar nicht. Wenn es nach Ihnen ginge, müssten wir uns im Untersuchungsausschuss jede Stunde schämen. Das ist nicht meine Wortwahl; das sage ich Ihnen ganz offen. Mein Eindruck ist – den kann ich Ihnen einmal wiedergeben –: Ich komme aus Passau. Das ist momentan in der Flüchtlingskrise, wenn Sie so wollen – der Begriff ist schon anderweitig verwendet –, einer der Hotspots. Wenn ich in meinem Wahlkreis mit Bürgerinnen und Bürgern rede, bekomme ich von sehr vielen Menschen aus allen politischen Lagern, auch von denen, die sehr hilfsbereit sind und die Bereitschaft haben, Menschen aufzunehmen, momentan sehr viele Bedenken und Ängste signalisiert. Wenn Sie mir vorwerfen, ich würde unter Verweis – das war ein sachlicher Verweis – auf eine terroristische Bedrohungslage, die vielleicht selbst Sie nicht negieren können, diese missbrauchen, dann verkennen Sie, glaube ich, völlig die Stimmung der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Ich sage Ihnen: Ich kann Ihren Ansatz überhaupt nicht teilen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Patrick Sensburg, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren der Opposition, ich kann es Ihnen nicht ersparen: Sie täuschen, Sie tarnen, Sie blenden in Ihrer Argumentation zu diesem Gesetzentwurf. Sie schüren Ängste in unserer Bevölkerung, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zusammen mit dem Bundesverfassungsgericht! Zusammen mit dem Europäischen Gerichtshof!) indem Sie hier Inhalte und einzelne Punkte erwähnen, aber immer wieder falsche Dinge berichten. (Beifall der Abg. Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU] – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dieselben Sätze wie vor fünf Jahren!) – Herr Kollege von Notz, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Sensburg!) Sie können gar nicht so laut schreien, um die Dinge richtigzustellen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht so aggressiv, Herr Sensburg! Das bekommt Ihnen nicht!) Frau Künast, Sie haben eben gesagt: Man hört die Gespräche mit. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, ich habe gesagt: Das war ein Versprecher, weil ich im Eifer des Gefechts war!) Sie haben sich dann korrigiert. Ich habe es aber wörtlich mitgeschrieben. Ihre Formulierung war: Man hört ins Gespräch rein. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das war aber im Eifer des Gefechts!) Aber Sie wissen genau, dass man das nicht tut. Sie sagen immer wieder, dass Inhaltsdaten erhoben werden. Der Minister hat es gerade richtiggestellt: Es werden keine Inhaltsdaten erhoben. Es werden keine E-Mails und keine Webseiten gespeichert. Alles, was Sie behaupten, stimmt nicht. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Aber alles, was ich gesagt habe, stimmt! – Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Halina!) Der Kollege Ullrich hat es gerade ebenfalls richtiggestellt: Der Staat speichert nicht die Daten. Trotzdem behaupten Sie immer wieder das Gegenteil. Sie führen diese Debatte unseriös. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Rede ist daneben! Ich habe das zurückgenommen!) Sie spielen mit den Ängsten der Bürgerinnen und Bürger. Aber auch in einer politischen Debatte muss man ein bisschen der Wahrheitspflicht nachkommen. Das gehört dazu. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es ist richtig: Wir müssen einen Ausgleich finden – das ist schwierig, und die Koalition hat es sich nicht leicht gemacht – zwischen dem notwendigen Schutzinteresse, das die Bürgerinnen und Bürger auch dann haben, wenn sie sich im Internet, in der digitalen Welt, bewegen – es besteht ein grundgesetzlicher Anspruch, dass der Staat den Schutz der Bürger gewährleistet –, und dem Schutz der informationellen Selbstbestimmung, also der digitalen Privatsphäre, wie der Bundesminister gerade dargelegt hat. Dieser Ausgleich, diese Balance muss stattfinden. Das ist nicht leicht. Aber ich finde es ärgerlich, dass diejenigen, die sich zu einer Seite hingezogen fühlen, lediglich mit ihren Interessen argumentieren. Die einen sagen: „Die Ermittlungsansätze stehen über allem.“ – Die anderen sagen: „Im Internet darf gar nichts angetastet werden“, und nehmen lieber in Kauf, dass Straftaten ungesühnt bleiben und dass Menschen geschädigt werden. Wenn wir uns trotz dieser unterschiedlichen Positionen nicht einigen, haben wir politisch versagt. Da haben wir als Koalition gesagt: „Wir wollen den Gestaltungsanspruch wahrnehmen“, und haben das Spannungsfeld mithilfe eines guten und ausgleichenden Gesetzes aufgelöst. (Beifall bei der CDU/CSU) Dass ein Spannungsfeld besteht, haben die Gerichte, die eben zitiert wurden – das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof –, in ihren Urteilen und Begründungen sehr dezidiert aufgezeigt. Sie haben gesagt, was durch den Gesetzgeber als erforderlich angesehen werden kann. Sie haben aber nicht gesagt, dass die Vorratsdatenspeicherung per se unzulässig ist. (Thomas Strobl (Heilbronn) [CDU/CSU]: Das Gegenteil!) Die Gerichte, insbesondere das Bundesverfassungsgericht, haben uns als Gesetzgeber in einer Art Maßnahmenkatalog aufgezeigt, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit Vorratsdatenspeicherung rechtlich – sowohl verfassungsrechtlich als auch europarechtlich – zulässig ist. Der Minister und das Ministerium haben auf sehr kluge Art und Weise – genauso wie wir in zweiter und dritter Lesung hier im Parlament – die Voraussetzungen geschaffen und das Spannungsfeld zu einem Ausgleich gebracht. Ich glaube, dass wir heute einem klugen und guten Gesetz zustimmen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Christian Flisek [SPD]) Bei vielen Fällen, auf die hingewiesen wurde – ich kann Ihnen, Frau Kollegin Wawzyniak, sicherlich gleich noch welche nennen, wenn es die Zeit zulässt; vielleicht geben Sie mir die Möglichkeit, auf eine Frage zu antworten –, handelt es sich oft um erste Ermittlungsansätze, die dazu dienen, Hintermänner bzw. weitere Beteiligte in einem Geschehen zu finden. Immer mehr Straftaten werden ausschließlich im Internet begangen. Bei solchen Straftaten ermöglicht einzig die Vorratsdatenspeicherung Ermittlungsansätze. Es kann doch nicht vom Provider abhängen – der Kollege Ullrich hat das ebenfalls gerade gesagt –, ob wir Straftaten ermitteln können. Frau Kollegin Wawzyniak, Sie haben in Ihrer Rede durchaus etwas Richtiges gesagt. Sie haben gesagt: Schon jetzt können Telekommunikationsanbieter Daten speichern. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Richtig!) Das tun sie auch. Aber sie machen das in einer großen Bandbreite. Manche speichern die Daten für statistische Zwecke sehr lange. Andere Anbieter speichern die Daten nur sehr kurz, weil sie sie nicht mehr brauchen. Um dies zu vereinheitlichen und um für Klarheit zu sorgen, schaffen wir ein Gesetz, das man eigentlich Gesetz zur Bekämpfung der Kriminalität im Internet nennen müsste; denn darum geht es bei diesem Gesetz. (Beifall bei der CDU/CSU) Frau Künast, auch Ihren Vorschlag muss ich unter das Motto „Tarnen, täuschen, blenden“ stellen, Stichwort „Quick Freeze“. Ihnen muss doch klar sein – wir hatten die Debatte in der letzten Legislaturperiode –, dass man nur etwas „freezen“ kann, wenn man es vorher gespeichert hat. (Dr. Eva Högl [SPD]: Genau!) Wenn Sie also sagen, Sie wollten es erst speichern, dann sind Sie bei uns. Stimmen Sie dann einfach mit uns. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um ein, zwei, drei Tage nach einer Tat! Das wissen Sie auch! Eigentlich sind Sie intelligenter als Ihr Beitrag jetzt!) Dann können wir auch „quick freezen“. Sie müssen sich einmal die Praxis in den Vereinigten Staaten anschauen. Dort findet Quick Freeze statt, weil im Rahmen der Ermittlungsverfahren möglicherweise Daten gelöscht werden und sie dann in einem Prozess nicht mehr eingebracht werden können. Das ist der Grund, warum in Amerika Quick Freeze stattfindet. Daten müssen aber erst vorliegen. Wenn Sie das wollen, dann können Sie heute guten Gewissens diesem Gesetz zustimmen. Eine zweite Tatsache, die zur Klarheit gesagt werden muss: Wir haben in diesem Gesetzentwurf eine Regelung, die ganz deutlich besagt, dass die entsprechenden Daten beim Teledienstanbieter, also bei dem Vertragspartner des jeweiligen Kunden, gespeichert werden, nicht beim Staat. Edward Snowden, den Sie immer zitieren, sagt zur amerikanischen Praxis, die jetzt geändert worden ist – nicht mehr der Staat speichert, sondern die Teledienstanbieter –: Das ist ein Fortschritt. So soll es sein. Das Gute ist, dass nicht der Staat speichert, sondern der Vertragspartner der Teledienstanbieter. – Dann stimmen Sie doch zu, wenn Sie die Forderungen selbst erheben. Es ist ein guter Gesetzentwurf. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unfassbar!) Die Fälle, die Sie hier negieren, debattieren wir jetzt seit mehreren Jahren. Vertreter der Polizei, des Bundeskriminalamts und der Staatsanwaltschaften haben uns immer wieder Fälle genannt – das betraf den Bereich der Kinderpornografie, Gewaltvideos auf YouTube oder anderen Plattformen, die Anbahnung von sexuellen Handlungen mit Minderjährigen über ICQ –, in denen wir im Grunde nur über IP-Adressen und andere Informationen digitaler Art erfahren konnten, wer dahinter steht. Sie können natürlich sagen: Das wollen wir nicht ermitteln. – Dann führen Sie aber eben nicht den Ausgleich der unterschiedlichen Grundrechte, die im Raume stehen, herbei. Dann schlagen Sie sich auf eine Seite, und das sollte der Rechtsstaat nicht tun. Ich glaube, dass wir im Ergebnis ein ausgewogenes Gesetz geschaffen haben, das den Ansprüchen des Bundesverfassungsgerichts und auch den Forderungen des Europäischen Gerichtshofs Rechnung trägt. Ich bitte Sie, diesem Gesetz zuzustimmen und es ehrlich und offen zu debattieren. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Ich erteile nun das Wort dem Abgeordneten Thorsten Hoffmann, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Thorsten Hoffmann (Dortmund) (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es bleibt dabei: Unser Staat sammelt keine Verkehrsdaten. Wir beschließen heute vielmehr eine klare Regelung für Provider, wie mit anfallenden Daten umzugehen ist. Darüber freue ich mich sehr. Der Schutz persönlicher Daten ist uns ein hohes Gut. Dazu gehören längst auch die Verbindungsdaten der Telefon- und Handynutzung. Diese Daten ermöglichen auch die Erstellung von Bewegungs- und Persönlichkeitsprofilen. Gelangen sie in falsche Hände, wissen zum Beispiel Einbrecher, wann wir zu Hause sind. Ich glaube nicht, dass wir das möchten. Deshalb ist es dringend nötig, dass wir heute ein Gesetz verabschieden, das den Umgang mit diesen Verkehrsdaten regelt. Es darf nicht sein, dass die Dauer der Speicherung allein im Ermessen von Unternehmen liegt. Die Speicherung erfolgt völlig willkürlich, so zum Beispiel für 8 Tage oder aber für 24 Monate. Deshalb müssen wir diese sensiblen Verkehrsdaten künftig besser schützen. Sie sollen nur noch 10 Wochen gespeichert werden, Standortdaten sogar nur 4 Wochen. Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Gesprächs- und Kommunikationsinhalte nicht gespeichert werden. Dieser innerste Kern der Kommunikation unterliegt einem besonderen Schutz. Übrigens: Bei Facebook, Google und WhatsApp ist das anders. Dort geben wir freiwillig die Kontrolle über unsere Daten und Kommunikationsinhalte ab. Auch hier im Plenum und auf den Zuschauerrängen nutzt fast jeder diese Dienste. Da bin ich mir sehr sicher. Mit der Verabschiedung des nun vorliegenden Gesetzentwurfs übernehmen wir Verantwortung für die Sicherheit unserer Daten und sorgen zugleich für die innere Sicherheit unseres Landes; denn Freiheit und Sicherheit – das ist schon des Öfteren angeklungen – sind keine Gegensätze. Es gibt sie nur gemeinsam. Wir stehen in der Verantwortung, das richtige Verhältnis zu finden. Ich denke einmal, das haben wir hier geschafft. (Beifall bei der CDU/CSU) Indem wir der Polizei unter einem strengen Richtervorbehalt und nur bei schwersten Straftaten die Nutzung von Verbindungsdaten ermöglichen, sorgen wir für eine deutliche Verbesserung im Kampf unter anderem gegen die organisierte Kriminalität, gegen Terrorismus, gegen extremistische Straftaten von links und rechts. Dies steht in der besten Tradition unseres Rechtsstaates. Es muss uns möglich sein, unsere Gesetze zur Anwendung zu bringen. Unser Staat muss auch im digitalen Zeitalter effektiv und handlungsfähig sein. Die Nutzung der Speicherdaten ist dabei natürlich oft nur ein Strang in einem Strauß von polizeilichen Maßnahmen. Sie sind nur eine Möglichkeit, um Verbrechen zu bekämpfen und Kriminelle dingfest zu machen. Das möchte ich noch einmal betonen: In einigen Fällen sind diese Daten der einzige Weg und der einzige Ermittlungsansatz zur Aufklärung schwerer Straftaten. Die derzeitige unterschiedlich lange Speicherdauer bei den einzelnen Unternehmen ist in den meisten Fällen ein Hindernis bei der Strafverfolgung. Statistische Erhebungen des Bundeskriminalamtes machen dies deutlich. Bislang laufen mehr als 80 Prozent der Auskunftsersuche ins Leere. Die Daten sind gelöscht, weil es keine Speicherpflicht gibt. So wird die Aufklärung schwerer Straftaten verhindert. Täter kommen davon, und Opfer erhalten keine Gerechtigkeit. Die Aufklärung von Verbrechen darf aber nicht von willkürlichen Unternehmensentscheidungen abhängen. Eines werde ich zudem klar sagen – das muss deutlich werden –: Die Auswertung von Verbindungsdaten durch die Polizei kann Straftaten zwar zunächst möglicherweise nicht verhindern; aber sie kann helfen, Netzwerke und Strukturen zu erkennen. Indem wir in der Lage sind, diese Zusammenhänge zu verstehen, dient diese Neuregelung eben nicht nur der Strafverfolgung, sondern auch der Gefahrenabwehr, und sie wirkt somit präventiv. (Beifall bei der CDU/CSU) Glauben Sie mir: Als ehemaliger Kriminalbeamter und Fahnder, der im hochkriminellen Milieu über 2 000 Festnahmen in ganz Deutschland getätigt hat, weiß ich ganz genau, wovon ich rede. Wenn ich mit meinen Kollegen vor Ort in Dortmund spreche, gibt es zu diesem Thema keine zwei Meinungen. Ich fordere Sie auf: Hören Sie auf diese Experten! Vertrauen wir dem Urteil unserer Polizistinnen und Polizisten, Staatsanwaltschaften und Gerichte! (Beifall bei der CDU/CSU) Sie können ihre Aufgaben nämlich nur effektiv wahrnehmen, wenn sie entsprechend ausgestattet sind, nicht nur mit Personal und Material, sondern eben auch mit Ermittlungsinstrumenten. Wenn es durch die Nutzung von Verkehrsdaten die Möglichkeit gibt, schwere Verbrechen aufzuklären, müssen wir unserer Polizei den Weg zur Nutzung dieser Daten ebnen. Unsere Polizistinnen und Polizisten stehen jeden Tag im Einsatz für unsere Sicherheit ein. Sie haben unser Vertrauen verdient, und dafür möchte ich ihnen an dieser Stelle ganz herzlich danken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Noch einmal: Die Nutzung der gespeicherten Verkehrsdaten wird nur dann möglich sein, wenn es sich um schwerste Kriminalität handelt, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet ist, ein Richter darüber entschieden hat und es keinen anderen Ermittlungsansatz gibt. Erst dann dürfen die Daten von der Polizei genutzt werden. Zuvor aber müssen die betroffenen Personen über den Abruf der Daten informiert werden. Passiert das nicht, muss auch hier ein Richter die Genehmigung erteilen. Die Erhebung von Verkehrsdaten bestimmter Berufsgruppen, die ein Zeugnisverweigerungsrecht haben, ist zudem unzulässig. Die Verkehrsdaten von E-Mails sind ebenfalls ausgenommen. Im Übrigen wird auch der Handel mit gestohlenen Daten unter Strafe gestellt; der neue Straftatbestand der Datenhehlerei schließt nun endlich eine Strafbarkeitslücke. Eine klare gesetzliche Regelung zur Speicherung der Daten bei den Anbietern schafft eine verlässliche Grundlage zur Verbesserung des Datenschutzes, der Strafverfolgung und auch der Gefahrenabwehr. Ich freue mich, dass das nun auch der Justizminister so sieht. Vielen Dank, Herr Maas! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) In 36 Monaten haben wir die Chance der Evaluierung, und das ist gut so. Ich bin mir sicher, dass dann eines deutlich wird: Mit der heutigen Entscheidung für eine Speicherpflicht und eine Höchstspeicherfrist haben wir uns für die Sicherheit und für die Freiheit entschieden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bitte Sie herzlich um Ihre Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten. (Unruhe) – Langsam, langsam! Es kommt noch nicht die namentliche Abstimmung. So weit sind wir noch nicht. Erst einmal bitte sitzen bleiben. – Es liegen dazu eine Reihe von Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.1 Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6391, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/5088 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Stimmzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist er mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion bei einigen Gegenstimmungen und Enthaltungen aus der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in zweiter Beratung so angenommen worden. Jetzt kommen wir zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Wir stimmen über den Gesetzentwurf auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die dafür vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? – Wir brauchen noch einen Oppositionsschriftführer auf der rechten Seite. Herr Petzold eilt herbei. Gut. – Sind jetzt alle Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung. Gibt es ein Mitglied des Hauses, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – Wie sieht es jetzt aus? Gibt es jetzt noch ein Mitglied des Hauses, das seine Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen später bekannt gegeben.2 Wir sind noch bei den Abstimmungen zu Zusatzpunkt 5; das darf ich denen, die noch hier sind, sagen. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6391 empfiehlt der Ausschuss, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/5171 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist das bei Nichtteilnahme zahlreicher Kolleginnen und Kollegen einstimmig so beschlossen. Zusatzpunkt 5 b. Wir setzen die Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz auf Drucksache 18/6391 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4971 mit dem Titel „Auf Vorratsdatenspeicherung verzichten“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Ausschusses? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist das mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Krankenhäuser gemeinwohlorientiert und bedarfsgerecht finanzieren Drucksache 18/6326 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen­abschätzung Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 77 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich bitte diejenigen, die jetzt noch andere Dinge beraten wollen, das außerhalb des Saales zu tun, (Glocke des Präsidenten) und gebe das Wort der Abgeordneten Kathrin Vogler. (Beifall bei der LINKEN) Kathrin Vogler (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In meiner Heimatstadt Emsdetten haben in den letzten zwölf Monaten Tausende Menschen demonstriert, sind auf die Straße gegangen für den Erhalt ihres von Schließung bedrohten Krankenhauses. 26 000 Menschen haben eine Petition unterschrieben, und das in einer Stadt von 36 000 Einwohnern. Der Stadtrat und die Gesundheitskonferenz des Kreises Steinfurt haben sich einstimmig für den Erhalt des Krankenhauses ausgesprochen. Die Reaktion aus der Landeshauptstadt Düsseldorf ist bisher fast null. Das sorgt natürlich vor Ort für Wut, Empörung, Frust. Ich kann diese Leute gut verstehen. Ich finde, sie haben recht. (Beifall bei der LINKEN) Was wir im Kreis Steinfurt und anderswo erleben, ist, dass inzwischen ein zynisches Monopoly gespielt wird; und bezahlt wird mit der Gesundheitsversorgung der Menschen. Wir Linke lehnen es ab, dass die Gesundheitsversorgung verspielt wird. Deswegen haben wir heute einen Antrag eingebracht, durch den die Finanzierung der Krankenhäuser wieder vom Kopf auf die Füße gestellt werden soll. (Beifall bei der LINKEN) Wir sagen: Aufgabe eines Krankenhauses ist es nicht, Gewinn zu erzielen, sondern es ist die Aufgabe eines Krankenhauses, die Bevölkerung zu versorgen. Das und nur das muss das Ziel sein. (Beifall bei der LINKEN) Die Krankenhausreformen der letzten 20 Jahre der verschiedenen Bundesregierungen haben vielerorts eine Situation geschaffen, die man wirklich nur noch als katastrophal beschreiben kann: marode Häuser, überarbeitetes Pflegepersonal, Pflege im Sekundentakt. Hier in Deutschland muss eine Pflegefachkraft zehn Patientinnen und Patienten betreuen, während das Verhältnis zum Beispiel bei unseren niederländischen Nachbarn gerade halb so hoch ist. Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass in den Niederlanden die Strategien zur Bekämpfung von Krankenhauskeimen viel erfolgreicher sind; denn es ist natürlich auch eine Frage, wie viel Zeit ich bei der Arbeit wirklich für die notwendigen Verrichtungen und Hygienemaßnahmen habe. Den Pflegekräften ist überhaupt kein Vorwurf zu machen. Sie reißen sich tatsächlich das Bein aus für ihre Patientinnen und Patienten und schieben Überstundenberge noch und nöcher vor sich her. So kann es nicht weitergehen. (Beifall bei der LINKEN) Ursächlich für diese Situation ist auch das System der Fallpauschalen, das die Krankenhäuser in einen ruinösen Wettbewerb getrieben und in den Häusern eine unglaubliche Bürokratie erzeugt hat. Man muss sich das einmal vorstellen: In Deutschland verdienen Kodierexperten, die wissen, wie man durch geschickte Abrechnung das meiste Geld rausholt, mehr als eine OP-Schwester im Nacht- und Schichtdienst. Deswegen sagen wir: Diese Fallpauschalen, die das verursacht haben, müssen weg. (Beifall bei der LINKEN) Die Krankenhäuser müssen wieder zu Einrichtungen der Daseinsvorsorge werden, in denen Kranke gesund werden können und in denen die Beschäftigten gute Arbeitsbedingungen vorfinden. Das Krankenhausstrukturgesetz, über das diese Bundesregierung hier in drei Wochen abstimmen lassen wird, wird die Probleme nicht lösen, sondern im Gegenteil: Es wird sie verschärfen. Das wurde ja auch in der Anhörung im Gesundheitsausschuss deutlich, in der Ihnen die Expertinnen und Experten ganz klar gesagt haben, dass damit mehr Krankenhäuser in die roten Zahlen kommen werden. Dafür haben Sie sogar einen sogenannten Strukturfonds vorgesehen, der aber nichts anderes sein wird als eine Abwrackprämie. Das Ziel ist allein, Krankenhäuser aus dem Markt zu nehmen, ohne dass man dafür politische Entscheidungen treffen muss. Ich sage Ihnen: Wenn Sie weiter auf Markt und Wettbewerb setzen, dann werden Sie weitere Kliniken in die Insolvenz treiben. (Heike Baehrens [SPD]: Im Gegenteil!) Die Zeche dafür zahlen dann vor allem die Menschen in den ländlichen Regionen. Auch das ist ein Ausdruck von Zweiklassenmedizin in diesem Land. (Beifall bei der LINKEN – Thomas Stritzl [CDU/CSU]: Grundfalsch!) Wir sind uns ja alle einig: Krankenhäuser müssen wirtschaftlich arbeiten, und sie müssen Qualität erbringen. Für diese Qualität ist aber eine ausreichende Personalausstattung notwendig, nicht die 6 000 Stellen, die Ihr lächerliches Pflegestellenprogramm vorsieht. Viel mehr Stellen werden gebraucht. Die Experten haben uns in der Anhörung vorgerechnet, dass zwischen 78 000 und 100 000 Pflegestellen in diesem Land fehlen. Deshalb fordert die Linke gesetzliche Regelungen, wie viel Pflegepersonal eingestellt werden muss. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Woher nehmen wir das?) Darüber hinaus soll die Vergütung der Krankenhäuser künftig nach noch festzulegenden Qualitätskriterien erfolgen. Das hat aber doch den Fehler, dass Sie noch nicht einmal wissen, was das eigentlich ist und wie das gemessen werden soll. Auch der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses, der diese Qualitätskriterien festlegen soll, hat einmal gesagt, er wisse überhaupt nicht, wie Pay for Performance gehen solle, und das habe ihm auch noch niemand erklären wollen. Na, viel Spaß! Klar ist auf jeden Fall: Der Dokumentationsaufwand in den Kliniken und die damit verbundene Bürokratie werden weiter ansteigen. Die Kodierexperten und die Fachanwälte jubeln, und das Pflegepersonal wird weiter ächzen. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Meine Güte!) Ein Krankenhaus, das im Krankenhausplan steht, muss die Mittel bekommen, die es für die Versorgung seiner Patientinnen und Patienten braucht – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Linke ist der Auffassung: Wer Gewinne erwirtschaften will, der soll gerne Staubsauger verkaufen, aber nicht Gesundheit; denn Gesundheit ist keine Ware. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten, Drucksachen 18/5088 und 18/6391, bekannt: abgegebene Stimmen 559. Mit Ja haben gestimmt 404, mit Nein haben gestimmt 148, 7 Kolleginnen und Kollegen haben sich enthalten. Damit ist der Gesetzentwurf angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 559; davon ja: 404 nein: 148 enthalten: 7 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Peter Altmaier Artur Auernhammer Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Sybille Benning Dr. Andre Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Hermann Färber Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Hans-Joachim Fuchtel Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Michael Hennrich Peter Hintze Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Thorsten Hoffmann (Dortmund) Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Jan-Marco Luczak Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dietrich Monstadt Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Gerd Müller Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Ronja Schmitt Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Matthäus Strebl Thomas Stritzl Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Bernhard Daldrup Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr. h.c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Uli Grötsch Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Hubertus Heil (Peine) Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Arno Klare Dr. Bärbel Kofler Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Susanne Mittag Dr. Rolf Mützenich Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoguz Markus Paschke Christian Petry Joachim Poß Achim Post (Minden) Florian Pronold Martin Rabanus Stefan Rebmann Dr. Carola Reimann Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Marianne Schieder Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Bernd Westphal Dirk Wiese Dagmar Ziegler Stefan Zierke Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Nein SPD Klaus Barthel Lothar Binding (Heidelberg) Marco Bülow Dr. Daniela De Ridder Saskia Esken Angelika Glöckner Gabriele Groneberg Michael Groß Wolfgang Gunkel Dirk Heidenblut Gabriela Heinrich Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Frank Junge Thomas Jurk Cansel Kiziltepe Lars Klingbeil Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Jeannine Pflugradt Sabine Poschmann Florian Post Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Simone Raatz Mechthild Rawert Gerold Reichenbach Sönke Rix Dennis Rohde Susann Rüthrich Dr. Nina Scheer Swen Schulz (Spandau) Frank Schwabe Svenja Stadler Sonja Steffen Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Gabi Weber Gülistan Yüksel Dr. Jens Zimmermann DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dagdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. Andre Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Dr. Julia Verlinden Dr. Valerie Wilms Enthalten SPD Helga Kühn-Mengel Bettina Müller Dr. Sascha Raabe Andreas Rimkus Udo Schiefner Ewald Schurer Martina Stamm-Fibich (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Für die Bundesregierung erteile ich nun der Parlamentarischen Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der heute Vormittag hier zur Debatte stehende Antrag der Linken – liebe Frau Vogler, daran hat Ihre Rede nichts geändert – (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die war sehr gut!) ist ein „Wünsch dir was“ der Sozialpolitik. Im Ergebnis sind die von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen nicht finanzierbar; (Tino Sorge [CDU/CSU]: Das gesundheitspolitische Perpetuum mobile der Linken!) aber sie sind vor allen Dingen und in erster Linie in der Sache falsch. Sie sind nur kosten- und nicht qualitäts- und leistungsorientiert, sie negieren jede Form von selbstverantwortlichem Handeln. (Beifall bei der CDU/CSU) Sie würden damit Strukturen zementieren, die weder dem Patienten noch den Beschäftigten noch den Beitragszahlern nutzen. Wir, die Große Koalition, wollen mit unserem Krankenhausstrukturgesetz – der Name sagt es auch – Krankenhausstrukturen verändern. Wir wollen sie vor allen Dingen patientengerecht weiterentwickeln und damit zukunftsfähig machen. Unser Reformpaket beinhaltet entscheidende Neuregelungen zur Stärkung der Qualität der Krankenhausversorgung, zur Weiterentwicklung der Krankenhausfinanzierung und zum bedarfsgerechten Umbau vorhandener Krankenhauskapazitäten. Dabei spielen natürlich die Themen „Pflegepersonal“ und „ausreichende Finanzierung des Personals in den Krankenhäusern“ eine wichtige Rolle. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Uns war stets bewusst, dass wir mit der Themenauswahl, die wir uns vorgenommen haben, ein ehrgeiziges Reformprojekt anschieben. Die Einführung von Qualitätsvorgaben für die Krankenhausplanung oder die Einführung einer qualitätsorientierten Vergütung sind zwei Paradebeispiele und Herausforderungen, die wir meistern wollen. Wir gehen diesen Schritt. Er ist ambitioniert, aber wir leiten damit einen grundlegenden Strukturwandel für eine zukunftsfeste Krankenhauslandschaft ein. (Beifall bei der CDU/CSU) Ihre Vorschläge sind im Gegensatz dazu alles andere als zielführend. Ein pauschales Weiter-so, das heißt, undifferenziert in vorhandene Strukturen einfach nur weiter Geld geben oder sogar bewährte Instrumente abschaffen, ist genau der falsche Weg. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie hat einen Paradigmenwechsel vorgeschlagen!) Ich teile Ihre Auffassung nicht, dass das DRG-basierte Vergütungssystem abgeschafft werden muss. Ich kenne im Übrigen auch kein Krankenhaus und keine Krankenhausgesellschaft, die diesen Rückwärtsgang einlegen will. Die geforderte Wiedereinführung – das drücken Sie explizit aus – des Selbstkostendeckungsprinzips wäre ein total falsches Signal. Solche Vorschläge sind ein Rückschritt in die Krankenhausfinanzierung des letzten Jahrhunderts. Aber da befinden Sie sich mit vielen Vorschlägen Ihrer Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich kann nur sagen: Die Einführung des Fallpauschalensystems als ein leistungsorientiertes Entgeltsystem war richtig. Es gehört nicht abgeschafft, sondern es sollte klug weiterentwickelt werden. Das ist unsere Aufgabe. Die Wiedereinführung des Selbstkostendeckungsprinzips würde die Vergütung nicht in die Krankenhäuser lenken, in denen ein hoher Behandlungsaufwand anfällt, sondern dorthin, wo hohe Kosten entstehen. Da spielt es keine Rolle, ob sie durch Unwirtschaftlichkeit entstanden sind. Das kann doch nicht richtig sein. Ich möchte zu Ihrem Antrag zwei Dinge anmerken. Erstens. Ich glaube, gute Krankenhausversorgung und Wettbewerb schließen sich nicht aus. Nein, sie vertragen sich sogar. Ich habe keine Hinweise dafür, dass die Behandlungsqualität in Krankenhäusern und in Krankenhausbetrieben, die Gewinne erwirtschaften, schlechter ist als in anderen Krankenhäusern. Im Gegenteil: Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung kommt in seinen Krankenhausratingreporten zu dem Ergebnis, dass Qualität, Patientenzufriedenheit und Wirtschaftlichkeit vielfach sogar Hand in Hand gehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie, die Gegner des Wettbewerbs, müssen sich schon einmal fragen lassen: Sollen sich unsere Krankenhäuser oder die Konkurrenz dem Wettbewerb um gute Versorgungsqualität und effiziente Versorgungsstrukturen stellen oder sich davor verstecken? Warum sollen wir nicht zum Wohle der Patienten und der Solidargemeinschaft die Grundlagen dafür schaffen, dass die Krankenhäuser in Sachen Qualität und Effizienz auch vorhandene Potenziale heben? Zweitens. An dieser Stelle möchte ich der Behauptung vehement entgegentreten, unser Krankenhausstrukturgesetz ändere an der Not der Krankenhäuser nichts. Sie schreiben das in Ihrem Antrag. Ihre Formulierung lässt klar vermuten, dass Sie die vereinbarten Veränderungen an unserem Gesetzentwurf zumindest nicht wahrgenommen haben. Am 2. Oktober haben sich Bund und Länder darauf verständigt. Tatsache ist einfach: Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat ein Änderungspaket vereinbart, das den Krankenhäusern im Vergleich zum ursprünglichen Gesetzentwurf nochmals Mehreinnahmen von jährlich circa 800 Millionen Euro bringen wird, ab dem Jahr 2018 insgesamt jährlich bis zu 2,2 Milliarden Euro, ab 2020 bis zu 4 Milliarden Euro Mehreinnahmen. Dieses Paket umfasst zum Beispiel die Einführung eines Pflegezuschlags mit einem Volumen von 500 Millionen Euro als Ersatz für den wegfallenden Versorgungszuschlag. Wir schaffen mit diesem Instrument neben dem Pflegestellensonderprogramm einen finanziellen Anreiz, vor allen Dingen auch einen systematischen Anreiz, in Zukunft Pflegestellen nicht wieder abzubauen. Ich erinnere an die Regelungen zum Fixkostendegressionsabschlag, dessen Ansatz wir von fünf auf drei Jahre verkürzen, und insbesondere daran, dass wir tarifbedingte Kostensteigerungen über der Obergrenze in Zukunft hälftig refinanzieren. Das sind nachhaltige Instrumente zur Refinanzierung von Personalkostensteigerungen. Sie wirken in den Krankenhäusern genau dort, wo sie gebraucht werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir verbessern die Vergütung der Notfallversorgung, sowohl hinsichtlich der Höhe als auch hinsichtlich der Zuständigkeit für die Vergütung. Wir schaffen den Investitionskostenabschlag vollständig ab. Auch über den Strukturfonds, über den wir Mittel der gesetzlichen Krankenversicherung für die Finanzierung von Investitionen bereitstellen, erleichtern wir vielen Ländern den Zugang zu entsprechenden Umstrukturierungsmaßnahmen. Auch das ist ein wichtiger Beitrag zur Zukunftsfähigkeit unserer Krankenhauslandschaft. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch hinsichtlich der Bewältigung der aktuellen Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Flüchtlingsstrom geben wir Antworten, nämlich dahin gehend, dass die Mittel, die die Krankenhäuser für die Erbringung von Leistungen für Asylbewerber erhalten, nicht durch Mehr­erlösausgleiche und Mehrleistungsabschläge gekürzt werden. Schließlich erreichen wir auch dadurch eine wichtige Verbesserung für die Patientinnen und Patienten, dass wir das Hygieneförderprogramm um drei Jahre verlängern und ausweiten. Damit leisten wir einen enormen Beitrag zu mehr Qualität und Sicherheit in unseren Krankenhäusern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bund und Länder haben mit diesem Paket auf die Kritik und die Anregungen unserer Krankenhäuser reagiert. Wir ermöglichen den Krankenhäusern, ihre Entwicklung am Bedarf und an der Qualität zu orientieren, und sichern ihnen damit eine solide Finanzierungsbasis. Das sehen die Krankenhäuser im Übrigen auch so. Man muss ja nur in die Zeitungen schauen und die Erklärungen zur Kenntnis nehmen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wie man an dieser Stelle überhaupt zu einer anderen Einschätzung kommen kann, wie Sie es heute getan haben, ist mir unverständlich. Ich kann Ihnen von der Linken nur sagen: Nutzen Sie doch jetzt die Chancen in den Bundesländern, in denen Sie mitregieren! Machen Sie die Landesregierungen von Thüringen und Brandenburg darauf aufmerksam, welche Verantwortung sie jetzt wahrnehmen können und welche Unterstützung durch die gesetzliche Krankenversicherung man an dieser Stelle erhalten kann! (Beifall der Abg. Karin Maag [CDU/CSU]) Ich bin mir sicher, dass wir mit der Krankenhausreform, die wir in der nächsten Sitzungswoche hier zu einem parlamentarischen Abschluss bringen wollen, das Interesse der Patienten an einer qualitativ hochwertigen Krankenhausversorgung auf der einen Seite und das Interesse der Krankenhäuser an einer auskömmlichen Finanzierungsgrundlage auf der anderen Seite zu einem guten und angemessenen Ausgleich bringen werden. Das wird dann insbesondere im Bereich der pflegerischen Patientenversorgung bemerkbar sein. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Bärbel Bas [SPD]) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Liebe Kolleginnen und Kollegen, guten Morgen! Herr Präsident! Es gibt sicher gute Gründe, sich ausgedehnt über die Krankenhäuser in unserem Lande zu unterhalten. Ich hoffe, dass der heutige Tagesordnungspunkt nicht der Anlass dafür ist, dass die Große Koalition dann, wenn die Verabschiedung des Krankenhausstrukturgesetzes ansteht, nur 45 Minuten Debattenzeit vorsieht. Eigentlich müssten wir da länger debattieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE] – Maria Michalk [CDU/CSU]: Da geben wir Ihnen recht!) Zurück zu den guten Gründen. Woher kommen die denn? Sie kommen – das wird im Antrag der Linken auch beschrieben – daher, dass insbesondere an der Basis Unmut herrscht: Unmut über Arbeitsverdichtung, Unmut über Ökonomisierung – eine Frage, der wir uns sicherlich noch einmal stellen müssen, weil Ökonomisierung natürlich im Widerspruch zum Anspruch von Gesundheitsberufen steht, weil hier nach Indikationen gearbeitet wird – und auch Unmut darüber, dass trotz der vielen Anstrengungen, die in den Krankenhäusern unternommen werden, am Ende trotzdem rote Zahlen geschrieben werden. Man muss sich mit den Argumenten und Forderungen der Linken auseinandersetzen. (Beifall der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]) Das möchte ich anhand einiger Punkte machen. In der Beschreibung Ihres Antrags ist sehr viel von § 8 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes die Rede und von höchstrichterlichen Entscheidungen aus dem Jahr 1997, bei denen es um Pflegesätze usw. ging. Das ist für mich ein Anlass, darauf hinzuweisen, dass das zu verabschiedende Krankenhausstrukturgesetz gerade unter diesem Gesichtspunkt überprüft werden muss. Denn wir haben die Situation, dass das Krankenhausfinanzierungsgesetz uns manchmal daran hindert, Versorgungsstrukturen zu modernisieren. Man kann zwar Krankenhäuser aufnehmen. Aber wenn aus der Planung hervorgeht, dass sie eigentlich geschlossen werden müssten, dann ist es sehr schwer, sie wieder loszuwerden. Das ist ein Problem, und ich weise darauf hin, dass wir es lösen müssen. Zu den Punkten im Einzelnen. Sie haben unter Punkt 1 darauf abgehoben, dass eine sektorenübergreifende, am Gemeinwohl orientierte Krankenhausplanung notwendig ist. Wir haben in einem früheren Antrag ausgeführt, dass es eine Weiterentwicklung hin zu einer umfassenden Versorgungsplanung geben muss, von der die Krankenhausplanung dann ein Teil ist. Es kann aber nicht sein, dass die Krankenhausplanung selbst die sektorenübergreifende Versorgungsplanung beinhaltet; deswegen heißt sie ja auch Krankenhausplanung. Die Krankenhausplanung muss auf wissenschaftlich fundierten Ergebnissen beruhen, was die Bedarfe in den Regionen betrifft. Da ist es mir viel zu unscharf, zu sagen: Man muss die Gesellschaft allgemein daran beteiligen. Vielmehr muss es ganz klare Aussagen dazu geben, worauf sich eine solche weiterentwickelte Versorgungsplanung bezieht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich komme zu Punkt 2. Hier ist von Gemeinwohl­orientierung die Rede. Ich persönlich benutze viel lieber den schärferen Begriff und sage: Die Krankenhäuser gehören zur Daseinsvorsorge. Denn das hat auch Folgen für die Finanzierungsentscheidungen, die man trifft. Gemeinwohlorientiert – das ist zwar ein emotional schöner Begriff, aber er ist etwas zu unklar. Das täuscht nicht darüber hinweg, dass wir uns als Gesetzgeber darüber Gedanken machen müssen, ob es eigentlich richtig ist, dass solidarisch aufgebrachte Mittel, die in die Krankenhäuser fließen, von Krankenhauskonzernen zur Profiterzielung sozusagen herausgelöst werden können. (Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Wir erleben häufig, dass auch die Kommunen gerne handgreiflich am Budget des Krankenhauses werden, um damit etwas ganz anderes zu finanzieren. Das sind Gelder, die von den Versicherten – das gilt im Übrigen für alle Versicherten, sogar für die Privatversicherten – zur Gesundheitsversorgung aufgebracht werden. Dass die dann für etwas ganz anderes ausgesteuert werden, ist nicht in Ordnung. Darüber müssen wir uns unterhalten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Nichtsdestotrotz ist der Vorschlag, wieder zum Selbstkostendeckungsprinzip überzugehen, ein Griff ins Jenseits. Denn, machen wir uns doch nichts vor – wer sich daran erinnert, weiß dies –: Das Selbstkostendeckungsprinzip war ein ineffizientes und auch kostentreibendes System. Es werden auch Individualbudgets für Kliniken gefordert. Das hatten wir gerade in der Diskussion über Landesbasisfallwerte und die Konvergenz bei Basisfallwerten, die die Vergleichbarkeit in den Regionen ermöglicht, abgeräumt, und das auch zu Recht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) Zu Punkt 3. Ohne Zweifel liegt ein Pflegenotstand vor. Wir als Gesetzgeber haben zu gewährleisten, dass ausreichend Geld für Pflege einkalkuliert wird und dass das einkalkulierte Geld auch in der Pflege ankommt. Zunächst einmal sind wir dafür verantwortlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Klar ist auch, dass man sich über Regelungen hinsichtlich der Personalbemessung Gedanken machen muss. Wenn ich in dem Antrag lese, dass „eine bundesgesetzliche, für sämtliche Krankenhäuser verbindliche Personalbemessung“ eingeführt werden soll, dann weiß ich nicht, was das bedeuten soll. (Zuruf von der CDU/CSU: Zentralistische Planung der Linken!) Sollen wir als Gesetzgeber in Berlin festlegen, ob Ueckermünde soundso viele Pflegekräfte oder soundso viele Pflegekräfte hat? Wir haben nur dafür zu sorgen, dass ausreichend Geld einkalkuliert wird und dieses Geld in der Pflege ankommt. Ansonsten muss man den Krankenhäusern eine gewisse Freiheit zugestehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zu Punkt 4. Ich glaube, zur Investitionsfinanzierung haben wir Bündnisgrüne genug gesagt. Ich glaube nicht, dass wir die Investitionen aus Bundessteuergeldern finanzieren werden. Es gibt andere gute Vorschläge, wie man das regeln kann. Fazit: Der Antrag hat den Charakter eines Entschließungsantrags, der nachgeliefert wird. Ich hätte mir gewünscht, dass so etwas in der Anhörung mitbetrachtet worden wäre. Ich glaube, dass damit zumindest teilweise ein deutlicher Griff ins Jenseits getan worden ist. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Harald Terpe. – Schönen guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Einen schönen guten Morgen auch unseren Gästen auf der Tribüne! Der nächste Redner in der Debatte: Dr. Edgar Franke für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Edgar Franke (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe in der Sommerpause über 30 Krankenhäuser besucht, die mich als Ausschussvorsitzenden eingeladen haben. Ich habe mich viel mit Klinikpersonal unterhalten, ich habe mit Verdi-Vertretern diskutiert, vor allen Dingen mit Landräten, Oberbürgermeistern und Krankenhausdirektoren. Nicht jede Podiumsdiskussion war vergnügungssteuerpflichtig; das muss ich sagen. Viele haben wider besseres Wissen einiges behauptet. Vor allen Dingen wurde behauptet, wir hätten im Krankenhausbereich gespart. Das Gegenteil ist richtig: Wir haben von 2007 bis 2012  20 Prozent mehr ausgegeben. Wir haben 15 Milliarden Euro mehr ausgegeben. Wir sind jetzt bei 70 Milliarden Euro. Das ist schon eine beträchtliche Summe. Im Krankenhausbereich ist also gerade vom Bund nicht gespart worden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Liebe Linken, wir werden in Zukunft nicht weniger, sondern mehr Geld ausgeben. Wir werden es nur strukturiert ausgeben, für eine sinnvolle und moderne Versorgungsstruktur; denn wir haben in einigen Krankenhäusern noch Strukturen der 70er-Jahre. Wir brauchen aber Spezialisierungen. Wir haben Behandlungsteams im Bereich Onkologie, und es werden kardiologische Interventionen durchgeführt. Das eine oder andere Krankenhaus auf Kreisebene kann inzwischen zwar Herzkatheter legen; aber ich glaube, in diesen Bereichen müssen wir die Qualität verbessern und für Spezialisierungen sorgen. Das ist das Thema, dem wir uns widmen sollten, und wir sollten nicht Geld mit der Gießkanne ausgeben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Im internationalen Vergleich haben wir – auch das muss man ehrlich sagen – eher zu viele als zu wenig Betten. Deswegen ist eine grundlegende Krankenhausreform wichtig. Wir – die Frau Staatssekretärin hat es schon erwähnt – wollen zwei Themen auf die politische Agenda setzen: Qualität und verbesserte Personalausstattung. Bei den Krankenhäusern gibt es eine Abstimmung mit den Füßen: Wo gehen die Leute hin? Sie gehen in die Krankenhäuser, die Qualität bieten. Sie gehen in die Krankenhäuser, in denen Qualitätsberichte die hohe Qualität dokumentieren und in denen sie erfahrungsgemäß gut betreut werden. Daran kann kein Beschluss etwas ändern. Deswegen ist die Qualität der Maßstab unserer Politik, und so muss das auch sein, liebe Freundinnen und Freunde. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Es kann sein, dass in Ballungszentren ein Krankenhaus entbehrlich ist, weil die Qualität nicht stimmt oder weil es zu viele gibt. Dann ist es vernünftig, finanzielle Anreize zu setzen, damit das Krankenhaus zum Beispiel in eine geriatrische Einrichtung oder ein Hospiz umgewandelt wird. Dafür finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen, ist genau richtig. Das ist der richtige Weg und Ausdruck einer zukunftsorientierten Politik; das muss ich sagen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Ich sage Ihnen auch: Zielgerichtete Ausgaben, strukturierte Ausgaben sind viel vernünftiger, weil wir damit etwas bewirken, weil wir dann eine Politik in die richtige Richtung machen. Wenn wir Qualität, eine ausreichende Anzahl von Leistungen und Erfahrungen zum Maßstab nehmen, ist auch das wichtig, weil dann nämlich das Patientenwohl und eben nicht das Geldausgeben im Vordergrund steht. Gleichzeitig brauchen wir neben Qualität aber auch Versorgungssicherheit. Wir haben viele Krankenhäuser im ländlichen Bereich – ich komme aus Nordhessen –, die eben nicht die nötigen Fallzahlen und die entsprechende Größe haben. Genauso ist es in Bayern. Ich war bei der Kollegin Bärbel Kofler, die da hinten sitzt, in Südostbayern. Dort gibt es in der Fläche natürlich Krankenhäuser, die nicht die Quantität haben, die aber für die Versorgung wichtig sind, weil auch ambulant tätige Ärzte aus der Fläche gehen. Diesen Krankenhäusern müssen wir helfen. Dafür gibt es auch ein vernünftiges Instrument: Diesen Krankenhäusern geben wir mit Sicherstellungszuschlägen finanzielle Anreize, weil sie einfach nicht so hohe Einnahmen erwirtschaften können wie andere Krankenhäuser, die ganz andere Fallzahlen haben. Auch das ist ein richtiger Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Sie schreiben in Ihrem Antrag von Länderfinanzierung und DRGs. Zunächst ist es so: Dass wir eine Unterfinanzierung und ökonomischen Druck haben, liegt vielleicht weniger an den DRGs als vielmehr daran, dass wir aus den Betriebsausgaben Investitionen erwirtschaften müssen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Das ist der eigentliche Grund für die Unterfinanzierung. Das ist aber kein struktureller Grund. Herr Terpe hat ja so schön gesagt, das Selbstkostendeckungsprinzip sei ein Griff ins Jenseits. Es reicht nicht, wenn wir jetzt vollkommen überholte Rezepte recyceln, sondern wir müssen moderne Strukturen schaffen, damit sich die Versorgung aus Sicht der Patienten verbessert. Wir dürfen aber nicht in die sozialistische Mottenkiste greifen, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Was hat denn das mit „sozialistischer Mottenkiste“ zu tun?) Das Problem der dualen Finanzierung werden wir nicht lösen; denn wir haben gar keinen Durchgriff. Wir haben, sehr verehrte Frau Vogler, gar keinen Durchgriff auf die Länder, weil wir im Föderalismus leben. Das kann auch die Große Koalition nicht ohne Weiteres machen; das geht eben nicht. Aber man muss auch festhalten, dass sich die Länder in dem Bund-Länder-Papier ausdrücklich verpflichtet haben, ihrer Investitionspflicht in stärkerem Maße gerecht zu werden. Auch das ist ein Weg in die richtige Richtung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lassen Sie mich zum Abschluss noch einen Punkt, der mir und vielen in der Koalition am Herzen liegt, ansprechen: die Verbesserung der Personalsituation in den Krankenhäusern. Eine Pflegekraft in Deutschland – da haben Sie recht – muss mehr als doppelt so viele Patienten betreuen wie eine Pflegekraft in den skandinavischen Ländern oder in den Niederlanden. Da ist Ihre Analyse richtig. Wir alle wissen, dass die Arbeit der Pflegekräfte eine höhere Wertschätzung verdient. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deswegen werden wir vier Maßnahmen durchführen: Wir werden nicht nur das Pflegestellenförderprogramm mit 6 000 bis 7 000 zusätzlichen Pflegestellen auf den Weg bringen, wir werden nicht nur eine Expertenkommission einsetzen, um den Pflegebedarf besser abzubilden – sei es durch Personalbemessung, sei es in den DRGs –, sondern wir werden auch die steigenden Kosten infolge von Tarifabschlüssen, die die Obergrenze überschreiten, hälftig refinanzieren. Wir werden schließlich den sogenannten Versorgungszuschlag in einen Pflegezuschlag umwandeln. Das wird für die Krankenhäuser 500 Millionen Euro zusätzlich bringen. Ich glaube, das ist ein riesiger Fortschritt im Hinblick auf die strukturelle Situation der Krankenhäuser bei uns in Deutschland, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Denken Sie an Ihre Redezeit? Dr. Edgar Franke (SPD): Ich komme sofort zum Schluss. So erhalten die Krankenhäuser einen finanziellen Anreiz, ein angemessenes Personalbudget vorzuhalten. Da sie über die Mittel sogar frei verfügen können, ist sozusagen das Indiz für die Höhe des Pflegezuschlags, wie hoch das Personalbudget ist. Das ist vernünftig, das ist kreativ, und das ist die zielgerichtete Gesundheitspolitik der Koalition. Denn eine solche Politik ist am Patienten orientiert und nicht am Geldausgeben mit der Gießkanne. Vielmehr werden die Strukturen und damit die Versorgung aus dem Blickwinkel des Versicherten verbessert. Das ist zukunftsorientierte Politik. Das ist die Gesundheitspolitik, die maßgeblich auch von der SPD betrieben wird. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich möchte Sie wirklich bitten, die Redezeiten einzuhalten, weil wir noch einiges auf der Tagesordnung haben. Nächster Redner ist Lothar Riebsamen für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Lothar Riebsamen (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Linke fordert mit ihrem Antrag eine bedarfsgerechte Krankenhausfinanzierung. Dem könnte man sich anschließen. Daran ist zunächst einmal nichts falsch. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Hört! Hört!) Was ist aber die Voraussetzung für eine bedarfsgerechte Krankenhausfinanzierung? Voraussetzung ist, dass man zunächst einmal eine objektive Krankenhausbedarfsplanung betreibt, die an Erreichbarkeit und Qualität ausgerichtet ist – das werden wir in dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz auch so verankern –, bei der aber nichts nur deshalb so bleibt, wie es ist, weil es immer so war. (Beifall bei der CDU/CSU) Schauen wir jetzt doch einmal nach Thüringen, in ein Bundesland, in dem die Gesundheitspolitik voll in den Händen der Linken liegt. Am 21. November 2014 war in der ÄrzteZeitung zu lesen, was im dortigen Koalitionsvertrag steht: Die Koalition gibt den Krankenhäusern Bestandsgarantie. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Prima!) Na toll! Das könnte man ja noch verstehen, wenn es in Thüringen zu wenige Krankenhäuser und zu wenige Krankenhausbetten gäbe. Wenn man dort hinguckt, dann sieht man aber, dass Thüringen unter den Flächenländern der absolute Spitzenreiter ist, wenn es um die Zahl der Krankenhausbetten geht. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Im Gegensatz zu Sachsen! – Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Aber das hat nicht die Linke zu verantworten! Da waren vorher andere dran!) Eine Krankenhausbedarfsplanung kann nicht so funktionieren, dass man zunächst eine Bestandsgarantie gibt und erst anschließend die Bedarfsplanung durchführt. Ich kann Ihnen sagen: Das wäre ein Offenbarungseid bei der Krankenhausbedarfsplanung. So wird es nicht funktionieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Richtig ist, dass wir in unserem Land aufgrund der demografischen Entwicklung vor großen Herausforderungen stehen. Erfreulicherweise werden wir häufig in Gesundheit älter. Daran haben die Krankenhäuser einen beachtlichen Anteil. Auch der medizinisch-technische Fortschritt ist hier eine große Herausforderung. Weil wir immer älter werden, steigt natürlich auch das Risiko, dass wir möglicherweise – keinem ist es zu wünschen – an Demenz oder an Krebs erkranken, deren Behandlung sehr teuer ist. Gerade weil dies so ist, ist es umso nötiger, bedarfsgerechte Strukturen und ein Finanzierungssystem für die Zukunft zu schaffen, sodass wirtschaftlich und nicht mit Methoden der Steinzeit – Selbstkostenfinanzierung und all diese Dinge – gearbeitet werden kann. (Beifall bei der CDU/CSU) Im Grunde haben wir in den Krankenhäusern vier Grundbaustellen: Es geht um Erlöse und um Kosten – hier sind wir mit dem Krankenhausentgeltgesetz gefordert –, es geht um Strukturen – hier sind die Länder mit einer Bedarfsplanung und vor allem auch die Träger vor Ort gefordert –, und es geht um die Investitionskostenfinanzierung. Ich beginne mit den Kosten und mit den Erlösen. Hier gibt es zunächst einmal ein systemimmanentes Problem, das uns die Krankenhäuser immer wieder einmal nicht ganz zu Unrecht vorgehalten haben, nämlich die Tarifschere. Immer dann, wenn der Tarifabschluss höher war als die Veränderungsrate des Grundlohns, ist logischerweise ein Defizit entstanden. Über die Jahre hinweg musste hier immer wieder einmal mit Notprogrammen nachgesteuert werden, wie zuletzt mit dem Versorgungszuschlag. Genau an dieser systemimmanenten Stelle werden wir mit dem Krankenhausstrukturgesetz Abhilfe schaffen, indem die Krankenkassen zukünftig, wenn dieser Fall eintritt, 0,5 Prozentpunkte dieser Differenz übernehmen und den entsprechenden Betrag an die Krankenhäuser bezahlen müssen. Das ist ein ganz gewaltiger Fortschritt, den wir mit diesem Gesetzentwurf erreichen. Damit kommen wir den Krankenhäusern sehr entgegen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Heike Baehrens [SPD]) Diese Lücken – ich habe es angesprochen – sind entstanden, und der Versorgungszuschlag, der ausläuft, hat hier geholfen. Deswegen ist es richtig, ihn weiterlaufen zu lassen. Dieser muss aber an das Pflegepersonal gebunden werden. Über das Pflegestellenförderprogramm hinaus, das ja schon im ursprünglichen Gesetzentwurf steht, werden diese 500 Millionen Euro also an das Pflegepersonal gebunden, um die Pflegesituation in den Krankenhäusern in Deutschland zu verbessern. Früher war das einmal der größte Budgetblock in einem Krankenhaus. Das ist heute nicht mehr unbedingt so. Deswegen besteht hier dieser Nachholbedarf, und ich denke, hier sind wir auf einem absolut richtigen Weg, indem wir dies jetzt entsprechend korrigieren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Heike Baehrens [SPD]) Dann geht es um ein Thema, das über Jahre hinweg kritisch diskutiert wurde, die doppelte Degression. Das heißt, die Krankenhäuser, die nicht mehr Patienten versorgt haben als vereinbart, mussten für die bluten, die diese Mehrleistungen erbracht haben. Das war ungerecht. Wir schaffen die doppelte Degression ab und helfen damit in erster Linie den kleinen Krankenhäusern, vor allem im ländlichen Raum; das ist wichtig. Auf der anderen Seite gleichen wir hier aber aus. Da gab es zunächst Kritik an der Organisation. Aber auch hier haben wir in den vergangenen Wochen im Rahmen der Berichterstattergespräche und zusammen mit den Vertretern der Länder Lösungen gefunden, auf deren Grundlage auch mit Blick auf den sogenannten Fixkostendegressionsabschlag – jeder, der dieses Wort ohne Unfall aussprechen kann, ist ein Fachmann – deutliche Verbesserungen gegenüber dem Entwurf erreicht werden. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Du bist der Fachmann!) Ein anderes Thema sind die Landesbasisfallwerte. Wenn wir Wert auf das Prinzip „gleiches Geld für gleiche Leistung“ legen, dann ist es notwendig, an dieser Stelle nachzujustieren und die großen Preisunterschiede zwischen den Ländern bis zum Jahr 2021 auf ein notwendiges Maß zu korrigieren. Auch wird es uns mit dem Gesetz gelingen, im Bereich Orientierungswert einen sachgerechten Warenkorb für die Krankenhäuser zu definieren. Nun zu den Strukturen. Ich habe es erwähnt: Letztlich kommt es auf die Träger vor Ort an. Die Krankenhausbedarfsplanung ist zwar wichtig – dazu habe ich das Notwendige gesagt –, aber letztlich müssen die Träger vor Ort sie umsetzen. Es ist für die Landräte, die Bürgermeister, die Ehrenamtlichen, Gemeinderäte und Kreisräte die größte Herausforderung, die Entscheidung zu vertreten, wenn eine Abteilung oder gar ein ganzes Krankenhaus geschlossen werden soll. Selbst wenn es nur um Fusionen geht, ist das eine äußerst schwierige Diskussion. Wir können diesen Menschen die Diskussion nicht abnehmen; das ist so. Aber wir können sie konstruktiv begleiten. Das machen wir mithilfe des Strukturfonds. Ich bitte darum, diesen Punkt nicht zu unterschätzen. Ich glaube, dass wir mit den 500 Millionen Euro aus dem Fonds und den 500 Millionen Euro aus den Ländern, also 1 Milliarde Euro, den Kommunen – denn die sind hauptsächlich betroffen – richtig helfen können, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) und zwar in der Argumentation gegenüber der Bevölkerung, aber auch, wenn es darum geht, einen Krankenhausstandort in etwas anderes, Vernünftiges umzuwandeln. Das kann die Schaffung von ambulanten Strukturen sein, die von der Qualität her möglicherweise besser sind als das, was bisher da war. Das kann vielleicht auch die Verbesserung von ambulanten Notfallstrukturen sein, etwa durch Förderung der Telemedizin; das ist ein Punkt, den wir bereits auf der Agenda haben und der für die Zukunft äußerst wichtig sein wird. Das kann auch die Einrichtung von Hospizen sein. Mit 1 Milliarde Euro kann man an dieser Stelle einiges anfangen. Deswegen ist dieser Strukturfonds, den wir mit diesem Gesetz schaffen, so wichtig. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Darüber hinaus – dafür bin ich sehr dankbar – werden zukünftig auch die gesetzlichen Krankenkassen in die Lage versetzt, Mittel beizusteuern, um Krankenhausumwandlungen zu finanzieren oder Krankenhausanpassungen mit abzufedern. Diese Möglichkeit hat in der Vergangenheit gefehlt. Zu fragen ist auch: Was machen wir mit noch nicht abgeschriebenen Fördermitteln? Müssen wir diese zurückzahlen, wenn wir ein Krankenhaus schließen? Das ist natürlich ein Unding. So kann ich gegenüber der Bevölkerung, dem Gemeinderat oder dem Kreistag nicht argumentieren: Ich mache das Krankenhaus zu und muss an das Land zusätzlich ein paar Millionen Euro überweisen, sozusagen als Dankeschön. – Diese Fehlsteuerung in der Gesetzgebung werden wir ebenfalls angehen. Auch das wird äußerst hilfreich sein, wenn es um Strukturen vor Ort und um Krankenhausbedarfsplanung geht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Zu den Investitionskosten noch ein Satz. Hier können wir nicht helfen, weil wir als Bund nicht zuständig sind. Die Länder sind für die Förderung der Investitionskosten zuständig. Hier ergeht der Appell an die Länder, ihrem Auftrag nachzukommen, die Investitionskosten zu 100 Prozent zu fördern. Mit Blick auf die Schließungen – das habe ich gerade erwähnt – werden wir die Krankenkassen einbinden. Wir werden sehen, wie diese Entwicklung weitergeht. Wir werden uns sicher auch zukünftig über Krankenhausstrukturen unterhalten. Ich sehe, meine Redezeit ist abgelaufen. Ich hätte gerne noch etwas zu den Notfallstrukturen gesagt; auch das ist wichtig. Ich will aber die Geduld der Vorsitzenden nicht überstrapazieren. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Der Präsidentin!) Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Ich bin sicher, dass wir in der nächsten Sitzungswoche ein hervorragendes Gesetz für unsere Krankenhäuser verabschieden werden. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege. Vorsitzende ist bei Ihnen jemand anders. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Frau Präsidentin! – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: So viel Zeit muss sein!) – Gut, danke schön. – Nächste Rednerin in der Debatte: Birgit Wöllert für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Birgit Wöllert (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Fresenius, der Gesundheitskonzern, der unter anderem auch mit Helios hier in Deutschland 111 Kliniken betreibt, hat 2013 erstmals über 1 Milliarde Euro Gewinn gemacht und möchte dieses Ergebnis bis 2017 auf mindestens 1,4 bis 1,7 Milliarden Euro erhöhen. Er verspricht Anlegern hervorragende Gewinnaussichten. Der Zweck eines Krankenhauses ist das aber gerade nicht. Und das ist Gegenstand unseres Antrages. (Beifall bei der LINKEN) Der Zweck eines Krankenhauses ist eben nicht die Gewinnerzielung, sondern – da sind wir uns ja völlig einig – die Versorgung der Bevölkerung mit notwendigen gesundheitlichen Leistungen. Diesem Zweck steht allerdings die gegenwärtige Orientierung an Markt und Wettbewerb genau entgegen. Das muss geändert werden. Ich sage Ihnen jetzt auch, warum. (Beifall bei der LINKEN) Es wird deutlich, dass sich die bisherige Politik weder für die Krankenhäuser noch für die Patientinnen und Patienten bewährt hat. Die Krankenhäuser kommen in immer größere Nöte. Das prägt unter anderem die jetzt mit 151 000 Unterschriften eingegangene Verdi-Petition. Sie macht deutlich, dass das Limit beim Personalabbau längst überschritten ist. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) Das wird – die Pflegekräfte sagen das auch – zunehmend zur Gefahr für Patientinnen und Patienten. Zur Gefahr für Patientinnen und Patienten wird aber auch, dass sie sich gar nicht mehr sicher sein können, ob ausschließlich medizinische oder nicht doch ökonomische Gründe für die gewählte Behandlungsform ausschlaggebend sind. Da besteht schlicht und einfach Änderungsbedarf. (Beifall bei der LINKEN) Auf der Strecke bleibt dabei nämlich auch die notwendige Versorgung vor Ort. Ich gebe Ihnen ein weiteres Beispiel: Die Kinder- und Jugendmedizin – sie kam übrigens auch in der Anhörung vor – ist sehr speziell, weil es sich bei Kindern nicht um kleine Erwachsene handelt, sondern es muss die ganze Familie ins Auge gefasst werden. Das erfordert einen besonderen Aufwand. Dieser Aufwand wird aber durch die Fallpauschalen gerade nicht abgebildet. Dafür ist bisher nichts vorgesehen. Deshalb wird in großen Kliniken oftmals quersubventioniert. Je weiter man ins Land hinein kommt, umso geringer ist diese Möglichkeit; denn das geht dem Krankenhaus vom Gesamtgewinn ab. Das wollen viele nicht mehr tragen. Deshalb werden in der Fläche Abteilungen zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen geschlossen. Das muss beendet werden. (Beifall bei der LINKEN) Ob ein Krankenhaus nämlich Gewinne oder Verluste macht, hat nichts mit der Bedarfsnotwendigkeit zu tun. Es darf auch kein Grund für die Schließung von Abteilungen sein. Da bin ich durchaus bei unserem Vorsitzenden Dr. Franke. Ich sage nur: Versorgungsqualität und Erreichbarkeit müssen zusammengehen; denn das gehört auch zusammen. Es muss dann auch gemeinsam finanziert werden. (Beifall bei der LINKEN) Dabei muss Folgendes gewährleistet werden: Erstens. Die Krankenhausplanung der Länder muss sektorenübergreifend und transparent unter Einbeziehung der Gesamtgesellschaft erfolgen. Herr Terpe, wir hatten ja auch ein Versorgungsstärkungsgesetz behandelt. Dazu hatten wir einen Antrag zur Bedarfsplanung vorgelegt. In ihm war all das, was Sie hier benannt haben, genau beschrieben worden. Wir haben deshalb gedacht, dass Sie alle ein so gutes Gedächtnis haben, dass wir das hier nicht noch einmal machen müssen. (Beifall bei der LINKEN) Zweitens. Betrieb und Finanzierung der Krankenhäuser sind am Gemeinwohl auszurichten. Dazu höre ich eigentlich immer großes Einverständnis. Ich habe gar nicht gedacht, dass es da irgendwelche Meinungsunterschiede zwischen uns gibt. Eine Kapitalrendite bzw. ein gewinnorientierter Betrieb müssen ausgeschlossen werden. Übrigens sagen das leitende Krankenhausärzte und Krankenhausdirektoren selber. Auch das macht ihnen nämlich das Leben schwer. (Beifall bei der LINKEN) Drittens. Es soll schnellstmöglich eine gesetzliche, für alle Krankenhäuser verbindliche Personalbemessung eingeführt werden. Das ist übrigens Gegenstand der Petition von Verdi. Das heißt, dass wir es spätestens in der öffentlichen Sitzung des Petitionsausschusses auf der Tagesordnung haben werden. Wir können es uns dann – das gilt auch für Sie – von den Betroffenen selbst erklären lassen. Viertens. Wir fordern eine Anschubfinanzierung des Bundes, damit die Mehraufwendungen für die Beseitigung des Investitionsstaus bei den Ländern aufgebracht werden können. Dies ist übrigens vorrangig in den alten Bundesländern notwendig; denn in die neuen Bundesländer ist bereits wirklich viel Geld gegeben worden, mit dem sie ihren Investitionsstau abbauen konnten. Deshalb wollen wir diese Anschubfinanzierung. Vielleicht denken Sie ja einmal darüber nach, und wir finden gemeinsam noch bessere Lösungen, als in unserem Antrag stehen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Heike Baehrens [SPD]) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Birgit Wöllert. – Nächste Rednerin: Marina Kermer für die SPD. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Marina Kermer (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf den Rängen und an den Bildschirmen! In drei Wochen werden wir das Krankenhausstrukturgesetz verabschieden. Damit sichern wir den Erhalt unserer guten Krankenhausversorgung für die Zukunft. In intensiven Beratungen mit den Bundesländern haben wir die entscheidenden Weichen für die erfolgreiche Weiterentwicklung der bedarfsgerechten, patientenorientierten und qualitativ hochwertigen stationären Versorgung gestellt. Wir legen einen Gesetzentwurf zur Abstimmung vor, der von einer breiten Mehrheit getragen wird: von den Ländern, den Regierungsfraktionen des Bundestages bis hin zu den Krankenhäusern und Gewerkschaften. Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten waren und sind zwei Punkte des Krankenhausstrukturgesetzes von herausragender Bedeutung. Beide werden wir umsetzen: erstens die Stärkung von Qualität und Transparenz für die Patientinnen und Patienten und zweitens Verbesserungen für die Pflegekräfte in den Krankenhäusern als Voraussetzung für mehr Qualität. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist auch dringend nötig. Denn die Personaldecke in vielen Krankenhäusern ist zu dünn. Die Pflegerinnen und Pfleger sind an ihrer Belastungsgrenze. Wir wollen und werden Pflege am Bett sichern. Es muss mehr Pflegepersonal eingestellt werden. Dazu können die Kliniken 660 Millionen Euro im Rahmen des Pflegestellenförderprogramms abrufen. Weil schon die geringe Kofinanzierung für manche Kliniken nicht realisierbar ist, werden wir ab 2017 jährlich 500 Millionen Euro zusätzlich bereitstellen. Hier möchte ich unserem Koalitionspartner dafür danken, dass Sie unsere guten Argumente und den vorgeschlagenen Pflegezuschlag mittragen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Die Kliniken, die bereits auf gute Personalausstattung in der Pflege gesetzt haben, werden gestärkt, aber auch jene, die dies bisher nicht getan haben. Sie erhalten gemessen an ihrer Personalausstattung einen geringeren Anteil. Damit können sie ihre Personalausstattung verbessern, um im Folgejahr einen anteilig höheren Zuschlag zu erhalten. Wenn ein Krankenhaus seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anständig bezahlt, darf es nicht auf den Kosten sitzen bleiben. Dafür wird es Mittel zum Ausgleich von Tariflohnanpassungen geben. Gute Bezahlung wird zukünftig nicht nur für Arbeitnehmer von Interesse sein. Der Fachkräftemangel führt dazu, dass sich die Menschen ihren Arbeitsplatz aussuchen können. Sie werden sich für Kliniken mit guten Arbeitsbedingungen und mit fairen Gehältern entscheiden. Pflege sichern heißt auch, langfristig mehr Menschen für den Pflegeberuf zu gewinnen. Das kann nur mit einem guten Image und besseren Bedingungen in der Pflege gelingen. Dazu geben wir jetzt den Krankenhäusern die Mittel an die Hand. Heute heißt Pflege oft Hetzen von Bett zu Bett statt Fürsorge. Viele arbeiten in Teilzeit, weil sie die Belastung nicht aushalten. Weil die Belastungen hoch sind, steigen die Krankheitsausfälle. Man springt ein, die Zahl der Überstunden explodiert, die Zeit der Erholungsphasen sinkt, es kommt zu noch mehr Ausfällen. Also muss die Belastung auf mehr Personal verteilt werden. Viele Pflegerinnen und Pfleger würden dann in die Vollzeitbeschäftigung zurückkehren oder für den Beruf neu gewonnen werden können. Wenn mehr Personal zur Verfügung steht, kann man auch für besonders sensible Bereiche wie Intensivstation oder die Nachtbetreuung über Personalbemessung nachdenken, aber so, dass dabei in den Kliniken bedarfsorientiert und flexibel gehandelt werden kann. Im Gegensatz dazu steht der Antrag der heutigen Debatte, der zwar Personalbemessungen fordert, aber nicht erklärt, wie, wo und wann. Woher soll das Pflegepersonal kommen, Frau Vogler? Keine Angaben. Wofür soll es einen Pflegeschlüssel geben? Für alle Stationen im Krankenhaus oder nicht? Keine Angaben. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das steht in Ihrem Gesetz auch nicht!) Sucht man im Antrag nach Umsetzungsstrategien für die vielen Forderungen und Handlungsfelder, findet man keine Angaben. Die Frage, wie das alles finanziert werden soll, wird nicht gestellt. Aus Bundesmitteln, das ist klar, aber mehr erfahren wir nicht. Wir geben den Krankenhäusern und den Ländern mit dem Krankenhausstrukturgesetz mehr Geld, aber kon­trolliert und gezielt. Die Krankenhäuser müssen mit angemessener Bezahlung und guten Arbeitsbedingungen für das Geld sowie mit qualitativ guter Versorgung geradestehen. Das ist der Unterschied zwischen verantwortlichem Regierungshandeln und willkürlicher Flickschusterei. Wir geben mit dem Pflegestellenförderprogramm Geld zweckgebunden für die Pflege am Bett. Die Zuwendung aus dem Pflegezuschlag richtet sich nach dem Anteil, den das Krankenhaus für Pflegepersonal aufwendet. Der Strukturfonds unterstützt bei regional erforderlichen Strukturreformen. Eine Expertenkommission wird langfristig dafür sorgen, dass der Pflegeaufwand besser in der Abrechnung abgebildet wird. (Beifall bei der SPD) Wir sorgen für mehr und besser bezahltes Personal. Das kommt uns allen zugute. Das ist gemeinwohlorientiert. Sie wollen das Geld mit der Gießkanne verteilen; es würde versickern. Das könnten wir uns wahrscheinlich auch gar nicht leisten. Wir starten eine Qualitätsoffensive, um den wachsenden Ansprüchen auch zukünftig gerecht zu werden. Die Partner der Selbstverwaltung beim GBA tragen hier besondere Verantwortung; denn sie werden Qualität definieren und geeignete Kriterien für eine vergleichbare Qualitätsmessung erarbeiten. Man soll sich gut informieren können. Wir wollen Transparenz, damit man entscheiden kann, für welches Krankenhaus man Vertrauen empfindet. Ich komme zum Schluss. Das Krankenhausstrukturgesetz ist ein Gesetz im Interesse der Patientinnen und Patienten sowie der Pflegerinnen und Pfleger. Es ist ein Gesetz, das unser Gesundheitssystem zukunftsfähig und zukunftsfest gestaltet. Deshalb werde ich gegen den vorliegenden Antrag stimmen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin Kermer. – Nächste Rednerin in der Debatte: Maria Klein-Schmeink von Bündnis 90/Die Grünen. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Linken wirft durchaus richtige Fragen auf. Auch die Ansprüche, die formuliert werden, sind nicht von der Hand zu weisen. Natürlich muss es darum gehen, die Gemeinwohlorientierung gerade in der Krankenhausversorgung sicherzustellen. Natürlich muss es bedarfsgerecht sein, und natürlich müssen wir uns endlich der Situation der Pflege in den Krankenhäusern stellen. Das kann man, glaube ich, sogar für alle Beteiligten in diesem Parlament sagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Heiko Schmelzle [CDU/CSU]) Aber die Antworten, die im Antrag nahegelegt werden, sind in sich weder schlüssig, noch sind es nach vorne gerichtete Vorschläge. Man muss ehrlich sagen: Es wäre, wenn man schon so einen Antrag stellt, gut gewesen, ihn so zu stellen, dass er auch Gegenstand von Anhörungen werden kann, damit man etwaige Vorschläge aufnehmen und mit den Praktikern reflektieren kann. Das ist jetzt leider nicht geschehen. Bei den Problemen, die Sie angesprochen haben, geht es letztendlich nicht um das Verhältnis von privaten Kliniken zu öffentlich-rechtlichen oder freigemeinnützigen Kliniken und um die Gewinnentnahme. Vielmehr müssen wir schauen, wie es um die Situation der kommunalen Krankenhäuser bestellt ist; denn diese weisen in großem Stil Probleme auf. Wenn Sie sehen, welche öffentlichen Krankenhäuser in private umgewandelt werden, dann stellen Sie fest, dass es sich in der Regel um kommunale Krankenhäuser handelt. Hier müssen wir uns Fragen stellen. Eine wichtige Frage ist, warum das Krankenhausfinanzierungsgesetz einen Extrapassus zum Schutz der freigemeinnützigen und privaten Krankenhäuser, aber nicht einen zum Schutz der kommunalen Krankenhäuser enthält. Da sollten wir noch einmal genau hinschauen. Das wäre eine Grundsatzdebatte wert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nun zur Koalition. Die Koalition hat in der Tat mit diesem großen Paket einige wichtige, längst überfällige Probleme zwar nicht in den Griff bekommen, (Tino Sorge [CDU/CSU]: Doch! Wir haben alles im Griff!) wohl aber ansatzweise angefasst. Von einer Großen Koalition im Zusammenspiel mit den Ländern hätten wir aber andere und weiter reichende Reformen gebraucht; das muss man ganz klar feststellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das geht zuallererst in Richtung Pflege. Die Situation in den Kliniken vor Ort ist in der Tat katastrophal: eine absolut zu hohe Arbeitsverdichtung und zu wenige Stellen in der Pflege. Das zeigt die Statistik deutlich. Seit 1996 haben wir einen Personalabbau von 11 Prozent bei gleichzeitigem Anstieg der Zahl der Fälle zu verzeichnen. Das kann nicht gut gehen. Das geht zulasten der Qualität. Dagegen müssen wir etwas tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Erste, was nötig wäre, wäre eine tatsächliche Verbesserung der Personalsituation, aber nicht in so kleinen Schritten, wie Sie sie jetzt vorgenommen haben und die am Ende vier Stellen in einem Krankenhaus ausmachen werden, mehr nicht. (Mechthild Rawert [SPD]: Aber bundesweit! – Tino Sorge [CDU/CSU]: Rechnen Sie doch mal richtig! Den Versorgungszuschlag vergessen Sie auch jedes Mal!) Wir brauchten ein viel größeres Programm. Wenn Sie die Voraussetzungen der alten Pflegesatzrelation zugrunde legen, dann müssten Sie mehr als das Vierfache bereitstellen. Das wäre ein Schritt, den Sie mindestens einleiten müssten. Das, was Sie jetzt machen, ist zu wenig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich sage Ihnen auch: Wer den Versorgungszuschlag in einen Pflegezuschlag umwandelt, macht inhaltlich einen richtigen Schritt. Er hat damit aber nicht mehr Geld ins System gegeben, sondern Geld verwendet, das schon im System war. Das ist nicht die Lösung des Problems. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist doch auf Dauer angelegt!) Da müssen wir deutlich vorankommen. Die Pflege im Krankenhaus muss besser ausgestattet werden. Sie braucht ein anderes Arbeitsfeld, sonst werden wir auch den Nachwuchs in den Krankenhäusern gefährden. Das darf so nicht weitergehen. So, wie es heute ist, geht es zulasten der Patienten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Maria Klein-Schmeink. – Nächster Redner: Reiner Meier für die CDU/CSUFraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Reiner Meier (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte zeigt, dass die Krankenhausreform die Menschen in unserem Land berührt und bewegt. Nicht nur Ärzte, Pflegekräfte und Fachpolitiker, sondern auch viele Patienten haben mich in den vergangenen Wochen und Monaten besucht und mir berichtet. Dabei waren für mich Besuche und Diskussionen vor Ort durchaus wichtig und hilfreich. Besonders auf dem flachen Land stelle ich fest, dass viele Menschen verunsichert sind und sich fragen, wie die Krankenhausversorgung künftig aussehen wird. Heute kann ich mit gutem Gewissen sagen: Mit dem Krankenhausstrukturgesetz stärken wir eine flächendeckende und qualitativ hochwertige Krankenhausversorgung in unserem Land. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ein wichtiger Baustein hierzu ist eine gute Personalausstattung in den Krankenhäusern, insbesondere bei den Pflegekräften. Ich möchte schon deutlich machen, dass wir als CSU uns besonders für den Pflegezuschlag eingesetzt haben und den Krankenhäusern pro Jahr 500 Millionen Euro für Pflegepersonal zur Verfügung stellen. Es wurde heute schon oft gesagt, aber man kann es nicht oft genug sagen: Dieses Geld werden wir nicht mit der Gießkanne verteilen, sondern zielgenau dort einsetzen, wo Krankenhäuser Geld für gute Pflege in die Hand nehmen. (Beifall bei der CDU/CSU) Auf der anderen Seite werden Häuser, die Pflege künftig gar abbauen, dies finanziell spüren müssen. Der Pflegezuschlag wird übrigens unabhängig vom Pflegestellenförderprogramm gewährt, das ab 2016 für den Aufbau der Pflegepersonalstellen nochmals 660 Millionen Euro bereitstellt. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bis 2017!) Mit diesen Maßnahmen verbessern wir ganz wesentlich die finanziellen Grundlagen der Pflege in unseren Krankenhäusern. (Beifall bei der CDU/CSU) Den 1,2 Millionen Pflegekräften verschaffen wir dadurch eine dringend nötige Entlastung. Weniger Druck und weniger Hektik in der Pflege werden auch vom Patienten wahrgenommen werden. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht mit vier Stellen pro Krankenhaus! – Gegenruf des Abg. Lothar Riebsamen [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Plus Versorgungszuschlag!) Meine Damen und Herren, uns ist doch allen klar, dass die Arbeit im Krankenhaus viel Personal erfordert. Entsprechend hoch sind die Ausgaben für die Gehälter der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Steigende Tariflöhne stellen die Krankenhäuser manchmal vor finanzielle Probleme; denn Personalkosten fließen erst allmählich in die Vergütungssätze ein. Auf unsere Initiative hin werden wir deshalb künftig auch jene Tarifsteigerungen, die die Obergrenze für Preiszuwächse übersteigen, zur Hälfte ausgleichen. Damit unterstützen wir die Krankenhäuser dabei, die steigenden Personalausgaben kurzfristig besser aufzufangen. (Beifall bei der CDU/CSU) Im Bereich der ambulanten Notfallversorgung vertiefen wir – auch das wurde heute schon erwähnt – die Kooperation zwischen Krankenhäusern und den niedergelassenen Ärzten. Wie werden wir das erreichen? In den Krankenhäusern wird es künftig Portalpraxen der niedergelassenen Ärzte geben. Diese Praxen werden als erste Anlaufstelle für die Patienten dienen. Dort bekommt jeder unbürokratisch die Behandlung, die er benötigt, und zwar unabhängig davon, ob sie ambulant vom niedergelassenen Arzt oder stationär im Krankenhaus erbracht wird. Flankierend sorgen wir mit der Abschaffung des Investitionsabschlags und direkten Vergütungsverhandlungen zwischen den Verantwortlichen für eine solide Finanzierung der Krankenhausambulanzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: Wir sind bereit, wo es erforderlich ist, viel Geld in die Verbesserung der Strukturen der Patientenversorgung zu investieren. Das heißt aber auf der anderen Seite nicht, dass sich unsere Krankenhäuser nicht weiterentwickeln werden. Patientenströme ändern sich ebenso wie die Anforderungen der Bevölkerung an die medizinische Infrastruktur vor Ort. Gleichzeitig sehen wir, dass Patienten heute bei planbaren Leistungen mobiler sind als je zuvor. Ich habe vor kurzem mit einem Patienten im Krankenhaus Tirschenreuth gesprochen, der für seine Operation quer durch Bayern gefahren ist. Was zeigt uns das? Im Notfall kommt es auf die Nähe an. Bei planbaren Eingriffen wollen unsere Patienten erfahrene Spezialisten und bestmögliche Qualität. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Im Notfall auch!) Mit dem Strukturfonds reagieren wir auf diese Entwicklungen und unterstützen die Länder und die Krankenhäuser mit insgesamt 1 Milliarde Euro bei der Optimierung der Versorgungslandschaft. Dabei haben wir bewusst nur wenige Vorgaben gemacht. Wir wollen keinen Einheitsbrei für alle, sondern einen gesunden Wettbewerb um maßgeschneiderte und innovative Versorgungslösungen für die Verhältnisse vor Ort. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den kriegen Sie ja so nicht!) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss noch etwas Grundsätzliches zum vorliegenden Antrag der Fraktion die Linke sagen: Wir führen im Gesundheitsausschuss ja in der Regel sachliche und fundierte Diskussionen über alle Parteigrenzen hinweg. Ich kann deshalb nicht verstehen, warum heute solch ein offenkundiger Schaufensterantrag vorliegt, ein Antrag, von dem Sie selbst wissen, dass er mit seiner Planwirtschaft Grundrechte und Länderkompetenzen verletzt und damit auch verfassungswidrig ist. (Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Da haben Sie ihn aber nicht richtig gelesen! – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das ist ja originell! Ausgerechnet von jemandem von der CSU, von denen jedes Gesetz als verfassungswidrig kassiert wird!) Ich kann daraus nur schließen, dass Sie in unserem Gesetzentwurf keinen Anhaltspunkt für Kritik mehr finden. Ich würde mir wünschen, dass Sie das heute einmal offen zugeben. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Meier. – Jetzt wollte ich Ihnen als nachträgliches Geburtstagsgeschenk – gestern hatten Sie Geburtstag; alles Gute! – eine zusätzliche Minute Redezeit schenken; aber Sie haben diese Minute gar nicht in Anspruch genommen. Vielleicht nächstes Mal. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Die Minute können Sie ja Frau Michalk schenken!) – Nein, nein. Herr Meier hat Geburtstag gehabt. Nächstes Jahr versuche ich, mich daran zu erinnern. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Dann kriegt Herr Meier nächstes Jahr aber zwei Minuten!) – Jetzt fängt er schon an zu handeln. Na, schauen wir mal. Nächste Rednerin in dieser Debatte: Heike Baehrens für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Heike Baehrens (SPD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Nachdem nun schon viel über das Thema Krankenhausfinanzierung gesprochen wurde, möchte ich gerne einen Punkt aufgreifen, der zwar in der Begründung des Antrags der Linken vorkommt, für den es aber keinen konkreten Lösungsansatz gibt. Sie haben ja vor allem die verbesserte Kooperation der Leistungserbringer eingefordert, vor allem auch im Übergang vom Krankenhaus zum ambulanten Bereich, und darauf möchte ich gerne eingehen. Wir haben ja bereits im GKVVersorgungsstärkungsgesetz Verbesserungen beim Entlassmanagement geregelt. Krankenhäuser und Rehakliniken können künftig für bis zu sieben Tage Arzneimittel, Heil- und Hilfsmittel, häusliche Krankenpflege und Soziotherapie verordnen und sogar die Arbeitsunfähigkeit feststellen. Mit dem Krankenhausstrukturgesetz, das wir im November verabschieden werden, schließen wir – das ist wichtig – eine weitere Lücke zwischen ambulanter und stationärer Versorgung. Wir schaffen nämlich einen neuen Leistungsanspruch auf Überleitungspflege. (Beifall bei der SPD) Warum ist das wichtig, und wen haben wir dabei im Blick? Ich denke da beispielsweise an eine befreundete Familie mit drei Kindern. Ein Kind ist noch im Kindergarten, zwei Kinder sind in der Schule. Die Mutter ist schwer an Krebs erkrankt. Immer wieder hat sie Phasen von Krankenhausaufenthalten, aber auch Phasen von intensiver ambulanter Behandlung. Das sind Zeiten, wo die Familie Unterstützung und Entlastung im Haushalt benötigt. Hierfür erweitern wir den Anspruch auf Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung nach § 38 SGB V. Der Anspruch besteht dann nicht nur, wie es heute geregelt ist, um einen Krankenhausaufenthalt zu vermeiden, sondern auch, damit einer solchen Familie im Alltag geholfen und für Entlastung gesorgt werden kann. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Maria Michalk [CDU/CSU]: Eine wichtige Verbesserung!) – Genau. – Wir ermöglichen beispielsweise auch, dass diese Leistung der Haushaltshilfe Familien mit Kindern bis zu zwölf Jahren zukünftig sogar für bis zu 26 Wochen im Jahr gewährt wird. Das ist bei solch extremen Krankheitsfällen enorm wichtig und ein bedeutender Fortschritt. Ich will aber noch ein anderes Beispiel nennen. Ich hatte einen Mitarbeiter, der relativ jung war, Single, allein lebend. Er ist als Motorradfahrer schwer verunglückt; ihm wurde die Vorfahrt genommen. Er hatte Glück im Unglück, weil er keine schweren inneren Verletzungen erlitt; aber er hatte einen gebrochenen Fuß und mehrfache Brüche in beiden Armen. Operation, Krankenhausaufenthalt. Und dann? Wie geht es nach dem Krankenhausaufenthalt zu Hause weiter? Er hatte große Schwierigkeiten, damit umzugehen. Genau für solche Situationen schaffen wir jetzt einen Leistungsanspruch auf Kurzzeitpflege; denn Haushaltshilfe wie im ersten Beispiel reicht nur dann aus, wenn Angehörige im häuslichen Bereich mithelfen können. Wenn das nicht der Fall ist, steht man im Grunde vor dem Nichts. Deshalb schaffen wir dieses Angebot. In der Pflegeversicherung besteht ein Anspruch auf Pflege nur dann, wenn der Pflegebedarf absehbar über sechs Monate hinausgeht und eine Einstufung in eine entsprechende Pflegestufe vorhanden ist. Deshalb braucht es ein solches Leistungsangebot im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung, und genau dieses schaffen wir mit dem Krankenhausstrukturgesetz. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Um auch das noch zu sagen, Frau Vogler und Frau Wöllert: Das ist nicht erst eine Folge der Einführung der DRGs. Aber durch die Einführung der DRGs ist der Zustand sozusagen noch einmal zugespitzt worden, weil es natürlich zu früheren Krankenhausentlassungen kommt. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Genau!) Deshalb ist dieser Bedarf da. Es gibt im Landkreis Göppingen einen Arbeitskreis „Kurzzeitpflege für Jüngere“, der seit Monaten genau für ein solches Angebot kämpft, wie wir es jetzt schaffen. Ich freue mich, dass wir mit der Überleitungspflege, die wir vereinbart haben, und vor allem mit diesem Angebot einer Kurzzeitpflege auch für Jüngere wichtige Bausteine für die Versorgungskette schaffen, damit der Übergang vom Krankenhaus in die ambulante Versorgung und vor allem auch das Sich-wieder-zu-Hause-Einfinden deutlich erleichtert und verbessert werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich bin davon überzeugt, dass dieser Arbeitskreis und auch Initiativen an anderen Orten den Finger in die richtige Wunde gelegt haben, und kann nur sagen, Frau Vogler, Frau Wöllert: Die Koalition setzt um, was sie versprochen hat. Darum muss sich, wer nach schwerer Krankheit das Krankenhaus verlassen darf, zukünftig keine Sorgen machen, dass er danach nicht angemessen unterstützt und versorgt wird. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Heike Baehrens. – Nächste Rednerin in der Debatte: Maria Michalk für die CDU/CSUFraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Maria Michalk (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dem Antrag der Linken wird heute ziemlich viel Debattenzeit eingeräumt. Das wäre eigentlich Ihre Chance gewesen. Wenn Sie, Frau Vogler, aber bei der Einbringung Ihres Antrages sagen, dass wir mit den Krankenhäusern ein „zynisches Monopoly“ spielen, (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Ja, das ist doch so!) ist das einfach an der Sache vorbei. Ich muss Ihnen noch etwas vorwerfen: Wenn Sie die Organisation eines Krankenhausbetriebes – das ist ein hochkomplexer Prozess – mit dem Verkauf von Staubsaugern vergleichen, kann ich Ihnen dazu nur sagen, dass ich das zynisch finde. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Marina Kermer [SPD]) Frau Wöllert, Sie haben in Ihrer Rede beklagt, dass die Fallpauschalen, die DRGs, den wirklichen Bedarf, die tatsächlichen Kosten nicht wirklich widerspiegeln. Sie wissen ganz genau, dass es sich von Anfang an um ein lernendes System handelte, das laufend überprüft wird. Inzwischen analysiert eine Kommission aus Politikern und Wissenschaftlern unter Federführung des BMG genau den tatsächlichen Istzustand. Also auch diese Kritik zielt ins Leere. Das muss man einfach einmal sagen. (Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Na, dann brauchen Sie auch keine Kommission!) Wir alle zusammen, das Parlament und die Regierung, müssen zwei Megatrends im Gesundheitsbereich bewältigen, und zwar müssen wir auf der einen Seite die Ergebnisse und den Nutzen des medizinischen Fortschritts allen Patienten zugutekommen lassen und auf der anderen Seite den demografischen Wandel in einer älter werdenden Gesellschaft mit Mehrfacherkrankungen und vielen chronischen Erkrankungen, die natürlich den laufenden Betrieb in einem Krankenhaus massiv verändern, gestalten. Da das Krankenhausgeschehen insgesamt den größten Ausgabenblock im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung darstellt, ist es natürlich nur logisch, dass wir hier immer wieder austarieren müssen. Wir müssen somit auf der einen Seite dafür sorgen, dass die Leistungen da sind, und auf der anderen Seite dafür, dass das System für all die Beitragszahler, die dieses System finanzieren, wirtschaftlich bleibt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Weil das so ist und wir nicht nach dem Sankt-Florians-Prinzip weiterarbeiten können, hat die Koalition schon im Koalitionsvertrag beschlossen, eine große Krankenhausreform durchzuführen. Es gab dazu eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, wir haben das Krankenhausstrukturgesetz in erster Lesung intensiv diskutiert, wir haben Anhörungen durchgeführt, wir haben nachgebessert, und in drei Wochen werden wir, wie schon mehrfach heute hier gesagt – Wiederholung ist die Mutter des Erfolgs; deswegen hoffe ich, dass Sie das auch verstehen –, (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) die große Krankenhausreform beschließen. Ich will Ihnen an einigen Punkten noch einmal klar darlegen, warum Ihr Antrag eigentlich völlig überflüssig ist. Sie sprechen gleich in der ersten Forderung zur Krankenhausreform davon, dass sektorübergreifend geplant werden soll und die Planungsprozesse transparent sein sollen. Sie verkennen dabei, dass wir die Überwindung der verschiedenen Sektoren nicht erst jetzt mit dem neuen Gesetz vertiefen, sondern dieses schon seit längerer Zeit auf den Weg gebracht haben. Seit 2011 gibt es Instrumente, damit sich gerade die Zusammenarbeit zwischen ambulantem und stationärem Bereich besser entwickeln kann. Wir wollen auch keine staatlich verordnete Planung der Krankenhausstrukturen. Dieses sozialistische Instrument hat in der Realität versagt. Das wissen Sie auch. (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) Deshalb finde ich es komisch, dass Sie das in Ihrem Antrag wiederum bringen; denn in keinem einzigen Industrieland dieser Welt hat dieses Instrument funktioniert. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das ist der Sozialismus von Ludwig Erhard und Konrad Adenauer!) Die Beweise liegen auf dem Tisch. Vielmehr ist es richtig, dass wir unser gegliedertes Versorgungssystem weiter ausbauen mit starken Krankenhäusern, die strukturell genau das tun, was heute hier schon mehrfach betont wurde, nämlich sich in Fachkrankenhäusern auf Fachgebiete zu spezialisieren und zugleich die wohnortnahe Versorgung für Notfälle zu gewährleisten. Unser Ansatz ist deshalb genau der, dass wir auf der einen Seite mehr Qualität einbringen, auch mit finanziellen Instrumenten wie Boni und Stimuli, die finanziell wirken, und auf der anderen Seite die wohnortnahe Versorgung stärken. Dabei ist der Aspekt zu berücksichtigen, dass nicht jeder so lange im Krankenhaus ist, bis er wieder total eigenständig zu Hause leben kann. Frau Baehrens hat es gerade sehr schön erklärt, welche Instrumente wir in diesem Gesetzentwurf vorgesehen haben, die genau auf solche Wechselfälle des Lebens – jeder muss ja individuell seine Situation meistern – Antwort geben. Deshalb wird das, wie ich finde, ein richtig gutes Gesetz werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Zu den DRGs, die Sie ja in der Weiterentwicklung haben wollen, habe ich Ihnen schon gesagt, dass wir die Landeskrankenhausplanung natürlich beibehalten und dass wir die Länder deshalb nicht aus ihrer investiven Verantwortung für die Krankenhäuser entlassen können, auch wenn wir es wollten. Der Bund war ja vor einiger Zeit schon einmal dazu bereit. Damals waren die Länder nicht so weit und haben dem nicht zugestimmt. Deshalb bleibt es bei der dualen Finanzierung der Krankenhauslandschaft. Das heißt aber auch: Die Länder müssen ihrer Pflicht nachkommen. Wir unterstützen sie mit unserem Programm im Umfang von 500 Millionen Euro, das auf 1 Milliarde Euro aufgestockt werden kann. Das ist Jahr für Jahr ziemlich viel Geld. Das übersteigt auf die Jahre gesehen weit die 2,5 Milliarden Euro, die Sie in Ihrem Antrag angesetzt haben, wenn ich richtig gelesen habe. Im Grunde genommen müssen Sie doch einfach einmal zugestehen, dass das, was wir jetzt verhandelt haben, an der Stelle eine weiter gehende Verbesserung ist, der Sie eigentlich nur zustimmen können. Deshalb sage ich Ihnen noch einmal etwas zur Personalbemessung, die Sie in Ihrem Antrag thematisieren. Sie wollen die Zahl der Pflegekräfte erheblich erweitern. Ja, wir sind uns einig, dass da noch mehr passieren muss. Die 5 000 Stellen sind im Grunde genommen ein guter Beitrag. Wenn Sie diese Zahl jetzt verdreifachen oder gar vervierfachen wollen – das kann man ja alles machen –, (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: 5 000 Stellen bundesweit! Das ist doch ein Tropfen auf den heißen Stein! – Gegenruf des Abg. Lothar Riebsamen [CDU/CSU]: Woher nehmen?) dann müssen Sie sich doch selber auch einmal die Frage stellen: Sind denn auf unserem freien Arbeitsmarkt die qualifizierten Fachkräfte im Pflegebereich wirklich präsent? Gibt es wirklich so viele arbeitslose Fachkräfte? (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die würden Sie finden, wenn sie nicht völlig gestresst und überarbeitet aus dem Beruf aussteigen würden!) Wir stocken die 5 000 Stellen aus dem Sofortprogramm Jahr für Jahr auf. Ich denke, dass das auch in den Regionen machbar sein wird und dass wir das hinkriegen. Aber nach Ihrem Antrag müssen diese Leute sofort zur Verfügung stehen. Wir müssen jedoch auch ausbilden; das ist doch wohl logisch. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die meisten bleiben gerade einmal zehn Jahre in ihrem Beruf!) Das Instrument, das wir vorsehen, nämlich der Ausgleich der Tarife und die Kopplung an die tatsächliche Zahl der Pflegekräfte in den Krankenhäusern, ist viel besser geeignet, um das zu steuern. Insofern finde ich Ihren Antrag ausgesprochen problematisch. Das Pflegestellenprogramm im Umfang von 660 Millionen Euro ist da genau die richtige Antwort. Sie schreiben in Ihrem Antrag auch, dass wir nach der UNBehindertenrechtskonvention die Barrierefreiheit garantieren müssen. Das kann man mit dem Programm, das in unserem Strukturreformpaket enthalten ist, alles machen. Unser Gesetzentwurf gibt Antwort auf die vielleicht noch offenen Fragen, die Sie zu Recht thematisiert haben. Ihre sozialistischen Planungsinstrumente wollen wir nicht. Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu, und ziehen Sie Ihren Antrag zurück. (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) Das wäre die richtige Antwort. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin Michalk. – Auf unserer Besuchertribüne begrüße ich recht herzlich Handwerksgesellen auf der Wanderschaft. Zumindest sehen Sie so aus, als wären Sie Zimmerleute auf der Walz. Schön, dass Sie auf Ihrer Walz kurz im Bundestag haltgemacht haben. Herzlich willkommen bei uns! (Beifall) Nächste und letzte Rednerin in dieser Debatte: Bettina Müller für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bettina Müller (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das war schon ein ziemlich heißer Krankenhaussommer, den wir alle in unseren Wahlkreisen hinter uns gebracht haben. Wenn es Kolleginnen und Kollegen gab, die noch nicht alle Kliniken in ihrer Region kannten, dann werden sie sie spätestens seit August kennen durch die vielen Brandbriefe, die wir bekommen haben, einschließlich aller wirtschaftlichen Kennzahlen. Dass die Opposition das als Steilvorlage nutzt, ist nachvollziehbar. Die Linke hat in ihrem Antrag aber auch kein echtes Gegenkonzept. Im Gegenteil: Mit Ihrer Kernforderung nach einer Rückkehr zum Kostendeckungsprinzip und der Finanzierung über Tagessätze kommen Sie mit Ansätzen von vorgestern daher. Ich lese bei Ihnen nichts von Qualität, nichts über Innovationsförderung und auch nichts über Anreize zu Strukturveränderungen. Genau darauf setzt aber die Koalition mit dem neuen Krankenhausstrukturgesetz. Dabei geht es vorrangig darum, mit einem neuen, erweiterten Instrumentarium die Versorgung im ländlichen Raum mit einer Verteilwirkung zu sichern, die insbesondere den Häusern der Grundversorgung zugutekommt. Und dabei müssen wir auch die Neuordnung der stationären Versorgung immer im Zusammenhang mit dem sehen, was wir schon beschlossen und durchgesetzt haben – im ambulanten Bereich mit dem GKV-Versorgungsgesetz und bei der Finanzierung mit dem GKV-FQWG. Dort haben wir nämlich Qualität als Maßstab und Finanzierungskriterium eingeführt sowie den Abbau von Überversorgung und die Umverteilung von Mitteln dahin, wo es Unterversorgung gibt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist der sektorenübergreifende rote Faden, der sich durch die Gesundheitspolitik der Koalition zieht und den die Linke letztendlich in ihrem Antrag von uns einfordert. Die Maßnahmen, die wir im stationären Bereich mit dem KHSG umsetzen wollen, stärken – das ist mir ein persönliches Anliegen – vor allem die Krankenhäuser in kommunaler Trägerschaft, die ja einen Großteil der Grundversorgung in der Fläche leisten. Diese Häuser verdienen einen Vertrauensvorschuss. Anders als etwa privatwirtschaftlich geführte Kliniken großer Konzerne fühlen sie sich der Daseinsvorsorge verpflichtet und gehen in der Regel anders mit ihrem Personal um, sowohl im Hinblick auf Tariffragen als auch im Hinblick auf die Personalbemessung. Hier funktionierte – das fordert die Linke ja auch – die gesellschaftliche Kontrolle schon immer, weil die politischen Vertreter auf der kommunalen Ebene nah dran sind, weil sie Einfluss nehmen können und dies auch tun. Als Mitglied im Kreistag eines Kreises, der Träger eines großen Klinikums ist, weiß ich sehr gut, wovon ich rede. Insofern freue ich mich ganz besonders, dass es der SPD gelungen ist, in den Verhandlungen zum KHSG den Versorgungszuschlag in Form eines Pflegezuschlags zu erhalten. So werden noch einmal 500 Millionen Euro vorrangig an die Krankenhäuser ausgeschüttet, die in den letzten Jahren eben nicht beim Pflegepersonal gespart haben und auf zusätzliche Einnahmen durch mehr Ärzte gesetzt haben. Das sind vor allem auch die kommunalen Krankenhäuser. Für andere Häuser wird ein Anreiz gesetzt, beim Pflegepersonal endlich wieder aufzustocken. Dieses Instrument in Verbindung mit dem Pflegestellenförderprogramm in Höhe von 600 Millionen Euro hat eine wichtige Brückenfunktion und wird zu mehr Personal führen, bis uns eine Expertenkommission Vorschläge unterbreitet, wie wir in Zukunft eine sinnvolle Personalbemessung hinbekommen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Zu den Maßnahmen zur Verbesserung der Personalausstattung gehört aber auch, die Pflegeberufe insgesamt zu stärken, aufzuwerten und auf den Versorgungsbedarf der Zukunft auszurichten. Dafür werden wir auch die Reform der Pflegeberufe schnell angehen. Pflegestellen in den einzelnen Stationen der Krankenhäuser zu schaffen, ist eine Sache, sie zu finanzieren ist eine weitere. Aber diese Stellen am Ende mit qualifiziertem Fachpersonal zu besetzen, ist noch einmal eine ganz andere Sache. Kolleginnen und Kollegen, dazu kann ein aufgewerteter, moderner Pflegeberuf, wie wir es mit dem Pflegeberufegesetz noch in dieser Wahlperiode planen, noch vieles beitragen. Eine neu ausgerichtete Ausbildung unter Einbeziehung der Altenpflege – denn die beiden Versorgungsbereiche wachsen aus demografischen Gründen immer mehr zusammen – ist ein weiterer wichtiger Baustein im Gesamtgefüge der Gesundheitspolitik der Koalition. Vizepräsidentin Claudia Roth: Kommen Sie bitte zum Ende. Bettina Müller (SPD): Sofort, Frau Präsidentin. – Alle Bausteine zusammen ergeben damit eine gute Grundlage, um die stationäre Versorgung, auch im ländlichen Raum, zukunftsfest gestalten zu können. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/6326 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Möglicherweise gibt es jetzt einen Platzwechsel. Dann bitte ich Sie, ihn zu vollziehen, obwohl für die Gesundheitspolitiker das nächste Thema auch interessant ist. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Das stimmt! Da haben Sie recht!) Dann rufe ich Tagesordnungspunkt 27 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Den Lebensstart von Kindern in Entwicklungs- und Schwellenländern verbessern – Grundlagen für stabile Gesellschaften schaffen Drucksache 18/6329 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen­abschätzung Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Dann eröffne ich die Debatte. Es spricht Dr. Georg Kippels für die CDU/CSUFraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dr. Georg Kippels (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Mit unserem Antrag wollen wir nichts Geringeres, als den steinigen und unsicheren Weg von Kindern aus Entwicklungs- und Schwellenländern ins Leben leichter, besser und zukunftsfähiger zu gestalten. Kinder sind die Zukunft. Kinder sind die zerbrechlichsten Wesen auf dieser Erde. Kinder brauchen Schutz und Fürsorge; denn sie brauchen ihre Kraft und ihre Fähigkeiten, um die Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte zu meistern. Die Kinder der Entwicklungsländer und ihre Chancen im Leben werden ihre und auch unsere Gesellschaften gestalten. Sie werden das Angesicht der zukünftigen Welt prägen. Mit unserem Antrag möchten wir dabei die wechselseitige Bedeutung von Gesundheit und Bildung für eine nachhaltige und stabile Gesellschaft hervorheben, und zwar gerade am Anfang des Lebens, weil dort gemachte Fehler meist nicht mehr korrigiert werden können. Insofern ist der Anfang des Lebens die mit Abstand wichtigste Phase der Entwicklung – einmalig und uneinholbar. Gesundheit ist die Basis von gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklung. Ohne eine gesunde Bevölkerung von Kindesbeinen an ist keine erfolgreiche Entwicklung einer Gesellschaft möglich. Ohne Gesundheit als Fundament von Bildung und Bildung als Fundament einer qualifizierten Arbeit führt der Lebensweg eines Kindes nicht aus der Armut heraus; es verliert die Eigenverantwortlichkeit und damit seine Würde. Der Antrag beschreibt daher die zwingende Bedingung, ohne die eine erfolgreiche Entwicklung von Staaten gar nicht stattfinden kann. Alles, was danach kommt, sind nur unvollständige Reparaturmaßnahmen. Dies lässt sich an belastbaren Befunden festmachen. In diesem Zusammenhang möchte ich zwei Themen besonders betonen: Das ist zum einen die Rolle der Frauen in der Gesellschaft. Die Entwicklung der Kinder ist untrennbar mit der Achtung der Frauen und damit der Mütter verbunden. Missachtet man die Rechte der Frau, wird zwangsläufig auch das Kind in seiner Entwicklung verletzt. Werden Frauen geachtet, wird den Rechten von Frauen umfassend Rechnung getragen, ist dies ausschlaggebend für Müttergesundheit und gesellschaftliche Selbstbestimmung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Damit ist der Start ins Leben gesichert, und die Mutter ist immer die Anwältin der Kinderrechte. Zum anderen ist die Erstellung von belastbaren Gesundheitssystemen von zentraler Bedeutung für eine leistungsfähige und damit auch produktive Gesellschaft. Hierzu bedarf es der koordinierten und ganzheitlichen Bemühungen der internationalen Gemeinschaft, die Situation in den Entwicklungs- und Schwellenländern signifikant zu verbessern und auf Standards zu bringen, die nach unseren langjährigen Erfahrungen absolut zwingend notwendig sind. Dies will ich gerne an einem konkreten Beispiel belegen. Seit fast neun Monaten erleben wir in meinem Büro hier in Berlin die Schwangerschaft einer Mitarbeiterin mit. Es ist eine Freude, zu sehen, wie gut es Mutter und Tochter – dass es ein Mädchen ist, weiß sie schon – in dieser Zeit geht. Dies verdankt sie unserem frei zugänglichen und modernen Gesundheitssystem, in dem Mutter und Kind von der ersten Minute der Schwangerschaft an optimal betreut werden. Dies wird sich bis zur Entbindung und sofort darüber hinaus im Leben der neuen Erdenbürgerin fortsetzen. In den Industrieländern ist dies eigentlich nichts wirklich Bemerkenswertes mehr. Aber wie viele Risiken entstehen für Mutter und Kind, wenn all diese Versorgungsleistungen fehlen? 2014 starben in Deutschland im ersten Lebensjahr weniger als vier Kinder je 1 000 Lebendgeburten. Diesem Ideal stehen nun die Realitäten der Entwicklungs- und Schwellenländer gegenüber. Hier ist Millenniumsentwicklungsziel 5 – Verbesserung der Gesundheitsversorgung der Mütter – eines der Ziele, bei denen immer noch großer Handlungsbedarf besteht. Die Todesursachen sind Mangelernährung, auch schon in der Schwangerschaft, Malaria, HIV/Aids, Pneumonie und Durchfall. Vieles ist behandelbar und manches allein durch Aufklärung vermeidbar. Deshalb hat die Verbesserung der Gesundheit von Müttern bei den Zielen der 2030Agenda für nachhaltige Entwicklung Priorität; sie ist Teil des sogenannten SDG 3. Millenniumsentwicklungsziel 4 – die Senkung der Kindersterblichkeit – hatte die Reduzierung der Sterblichkeitsrate von Kindern unter fünf Jahren um zwei Drittel angestrebt. Zwischen 1990 und 2015 konnte die Sterblichkeitsrate fast halbiert werden. 2012 starben damit 6 Millionen weniger Kinder als 1990. Der Erfolg ist beachtlich, aber er ist auf keinen Fall zufriedenstellend. Und die Ursachen sind im Grunde geblieben: Krankheiten, fehlende Hygiene und nicht nur keine, sondern auch fehlerhafte Ernährung; „satt“ heißt eben nicht zwingend auch „gesund“. Krankheiten stellen ein besonderes Problem für die Entwicklung von Kindern dar, vor allen Dingen, wenn sie schon während der Schwangerschaft übertragen werden. Die Geißeln der Menschheit heißen auch heute noch: HIV/Aids, Tuberkulose, Malaria und 17 vernachlässigte Tropenkrankheiten, die NTDs. Kinder sind diesen Bedrohungen besonders ausgesetzt; allein 500 Millionen Kinder bei den NTDs. Die Infektion mit einer oder gar mehreren Krankheiten bedeutet eine existenzielle Benachteiligung der Kinder in ihrer physischen wie mentalen Entwicklung, und dies vor allen Dingen, wenn dies in den ersten drei Lebensjahren geschieht. Die Verarbeitung von Bildung setzt aber auch körperliche Gesundheit voraus. Die Schwangeren- und Neugeborenenversorgung und vor allen Dingen die Vorsorge sind immer noch unzulänglich. Wir brauchen dringend Geburtshelfer, Gesundheitsfachkräfte, auch unterhalb der Qualifikation eines Arztes, und vor allen Dingen Hebammen. Der Bedarf wird immerhin auf 350 000 Hebammen geschätzt. Unsichere Abtreibungen sind nach wie vor in erschütternd hoher Zahl Todesursache von schwangeren Frauen. Ungefähr die Hälfte aller schwangeren Frauen in den Entwicklungs- und Schwellenländern leiden unter Anämie. Als Folge dessen sterben jährlich 100 000 Frauen bereits bei der Geburt. Die körperliche und geistige Unterentwicklung eines Kindes lässt sich zu 50 Prozent auf die Ernährung der Mutter während der Schwangerschaft zurückführen. Ein Fünftel aller Behinderungen weltweit sind Folge von Hunger und Unterernährung. Die Todesursache bei Kindern unter fünf Jahren ist in 45 Prozent der Fälle eine vermeidbare Mangelernährung. Dabei zeigte eine Studie des Welternährungsprogramms, dass das Wissen um die Zusammenhänge von Hygiene, Gesundheit und Ernährung wichtiger ist als der reine Zugang zu Lebensmitteln. Wie einfach die Vermittlung von Wissen helfen kann, zeigt ein Beispiel aus Myanmar, das die Wirkung von Hygiene- und Ernährungsinformationen auf das Leben von Mutter und Kind beschreibt. Die 30jährige Ngwar Sa Ra hat vier kleine Kinder. Nach dem Training wurde ihr allerdings erstmals klar, dass das Stillen genauso wichtig ist wie das gesunde Zufüttern. Davor gab sie ihrer Tochter immer Wasser zu trinken, weil sie dachte, Wasser sei wichtiger als Muttermilch. Nach der Schulung begann sie, ihre Tochter voll zu stillen und später gesund zu füttern. Um immer mehr Kindern zu einem guten Start ins Leben zu verhelfen, fordern wir in unserem Antrag deshalb nicht nur mehr Eigenverantwortung von den Partnerländern beim Auf- und Ausbau von Gesundheitssystemen, einschließlich professioneller Geburtshilfe, sondern auch, bei dem Beitrag der Bundesregierung zur Umsetzung der 2030Agenda einen Schwerpunkt auf ganzheitliche Gesundheitsförderung für Kinder zu legen. Wir fordern deshalb, weitere Partnerländer dabei zu unterstützen, Mangelernährung bei Kindern zu bekämpfen und Mittel zur Förderung von außerschulischer Hygiene, Ernährungs- und Gesundheitsbildung bereitzustellen. Und last but not least fordern wir die Bundesregierung auf, mit den Partnerländern an einer erheblichen Verbesserung bei der Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf reproduktive und sexuelle Rechte und Gesundheit zu arbeiten. Ich möchte, dass mehr Kindern, wie der alsbaldigen Tochter meiner Mitarbeiterin, die den Namen Emilia tragen soll, ein bestmöglicher Start ins Leben ermöglicht wird. Daher schließe ich mit einer Liedzeile von Herbert Grönemeyer: Die Welt gehört in Kinderhände, dem Trübsinn ein Ende ... Kinder an die Macht! Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Dr. Georg Kippels. – Nächster Redner in der Debatte: Niema Movassat für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Niema Movassat (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann fast allem zustimmen, (Beifall des Abg. Stefan Rebmann [SPD]) was im Analyseteil Ihres Antrags steht, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD. Denn Sie beschreiben die Situation von Kindern in Entwicklungsländern sehr zutreffend. Trotzdem ist mir ein wenig die Kinnlade heruntergefallen, als ich den Antrag das erste Mal gelesen habe; denn obwohl Sie das Richtige sagen, machen Sie eine völlig entgegengesetzte Politik. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) So beschreiben Sie in Ihrem Antrag die fatalen Auswirkungen von Krieg, Flucht, Folter und Zwangsrekrutierungen von Kindersoldaten ganz richtig; aber in den vergangenen zehn Jahren hat Deutschland unter Ihrer Regie allein Kleinwaffen und Munition im Wert von fast 1 Milliarde Euro exportiert. Was glauben Sie, wer vor allem die Opfer dieser Waffen sind? Oft genug Frauen und Kinder. Die besten Programme und Ideen für frühkindliche Bildung und Schwangerschaftsberatung helfen nicht weiter, wenn Frauen und Kinder auch mit deutschen Waffen ermordet werden. (Beifall bei der LINKEN) Wenn Sie sagen: „Krieg ist schlecht für Kinder; Kinder sollen überall auf der Welt friedlich aufwachsen“, dann verbieten Sie endlich Waffenexporte. (Beifall bei der LINKEN) Wichtigste Abnehmer deutscher Kleinwaffen sind übrigens – und die Exporte steigen – arabische Diktaturen, Länder wie Saudi-Arabien, Länder, die Frauenrechte mit Füßen treten. Gleichzeitig fordern Sie in Ihrem Antrag mehr selbstbestimmte Lebensführung für junge Frauen und verurteilen zu Recht Zwangsehen und Frühverheiratung von Mädchen. Sie unterstützen also mit Waffenlieferungen frauenfeindliche Diktaturen, aber verurteilen Zwangsehen. Das ist schlicht und einfach schizophren. (Beifall bei der LINKEN) Ziehen Sie die logische Konsequenz aus Ihrem Antrag, aus Ihrer eigenen Analyse, und beenden Sie die Kumpanei mit den reaktionären Golf-Monarchien! (Beifall bei der LINKEN) Auch beim Thema Kinderarbeit vergießen Sie Krokodilstränen. Entgegen aller praktischen Erfahrung der letzten 15 Jahre setzen Sie im Bereich „globale Unternehmensverantwortung“ weiterhin auf die Freiwilligkeit der Konzerne. (Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Das stimmt doch nicht!) Zwingen Sie die Konzerne endlich gesetzlich dazu, ihren Sorgfaltspflichten nachzukommen, damit sie in ihren Produktionsketten Kinderarbeit ausschließen; denn die Menschenrechte von Kindern müssen mehr wiegen als die Profitinteressen der Konzerne. (Beifall bei der LINKEN) Auch wie Sie das Thema „frühkindliche Bildung“ in Ihrem Antrag verarbeiten, finde ich ein bisschen frech. Seit Jahren kritisieren Nichtregierungsorganisationen, dass Deutschland viel zu wenig Mittel in die Grundbildung investiert und stattdessen vor allem die berufliche Bildung in Kooperation mit der Wirtschaft fördert. Gerade einmal 2 Prozent des gesamten Entwicklungshaushalts fließen in die globale Grundbildung. 2 Prozent! Wenn Sie nun kritisieren, dass zu wenig internationale Entwicklungsgelder in die Grundbildung fließen, kann ich nur sagen: Fassen Sie sich einmal an die eigene Nase. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Übrigens: Wer Kinderrechte global durchsetzen will, muss auch bereit sein, die nötigen Mittel dafür zu geben. Auf meine Frage, wie die Bundesregierung in den nächsten Jahren das 0,7Prozent-Ziel erreichen will, hat man mir gerade erst erklärt, dass sie die ODA-Quote schlicht bei 0,4 Prozent halten will. Es gibt keinen Plan, wie man die versprochenen 0,7 Prozent erreichen möchte. Wie wollen Sie die ganzen Forderungen in Ihrem Antrag durchsetzen, wenn es die Mittel dafür nicht gibt? (Beifall bei der LINKEN) Den Widerspruch in Ihrem Antrag haben Sie anscheinend selbst bemerkt. Schließlich stellen Sie an die erste Stelle die Eigenverantwortung der Partnerländer. Mit dem alleinigen Verweis auf die Eigenverantwortung zeigen Sie, dass Sie verkennen, dass wir als globaler Norden einen gehörigen Anteil daran haben, dass die Menschen in den Ländern des Südens in Armut und Elend leben: Der globale Norden liefert die Waffen, der globale Norden zerstört vor Ort lokale Strukturen und Märkte durch aufgezwungene Freihandelsverträge, der globale Norden setzt sich vor allem für die Interessen seiner Großkonzerne ein und nicht für Menschenrechte. Wir brauchen eine gänzlich andere Politik, wenn wir Kinderrechte weltweit durchsetzen wollen. (Beifall bei der LINKEN) Es bräuchte eine friedensorientierte Außenpolitik, die keine Waffen liefert, keine Kriege führt und keine Drohnenkriege unterstützt. Es bräuchte eine solidarische Handelspolitik, die armen Ländern keine für sie nachteiligen Freihandelsverträge aufzwingt. Es bräuchte eine globale Bildungspolitik, die nicht primär am Bedarf der Wirtschaft an geeignetem Humankapital ausgerichtet ist, sondern dafür sorgt, dass jedem Kind Lesen und Schreiben beigebracht wird. (Beifall bei der LINKEN) Zum Schluss will ich sagen: Ich habe vor kurzem gelesen, dass die CSU den syrischen Flüchtlingen verbieten will, ihre Kinder und Frauen nach Deutschland zu holen (Zuruf von der CDU/CSU: Nicht die CSU!) und damit in Sicherheit zu bringen. Wie sehr können Sie, werte Kolleginnen und Kollegen der CSU, eigentlich heucheln? Sie fordern in Ihrem Antrag, den Sie mit eingebracht haben, Verbesserungen für Kinder weltweit, (Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: Ja!) aber wollen gleichzeitig Kinder in einem Bürgerkriegsland lassen. (Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: Das stimmt doch so nicht!) Ich finde das unglaublich. Wenn Sie Ihren eigenen Antrag ernst nehmen, müssen Sie diese Forderung zurückziehen. (Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: Das stimmt so nicht! Völlig falsch!) Und wenn Sie sagen: „Das stimmt nicht“, sage ich: Die Zitate können Sie im Internet selber nachlesen; das hat die CSU mehrmals gefordert. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Kollege Movassat. – Nächste Rednerin: Michaela Engelmeier für die SPD. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Michaela Engelmeier (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer könnte etwas dagegen haben, den Lebensstandard von Kindern zu verbessern? Wie kann es in praktischer Hilfe aussehen, die Fluchtursachen zu bekämpfen? Wie können Kinder mit internationaler Hilfe besser aufwachsen? Mit genau diesen Fragen befasst sich der Antrag unserer Koalition, den wir heute im Plenum beraten. Er befasst sich umfassend mit der Lebenssituation von Kindern – genau wie wir es immer fordern –, um nachhaltig die Lebenssituation von Kindern und damit auch von Familien zu verbessern. Laut aktuellen Schätzungen von UNICEF sind derzeit 59 Millionen Kinder in 50 Ländern auf lebensrettende humanitäre Hilfe angewiesen. Wie diese Hilfe aussehen soll, beantwortet uns die UN-Kinderrechtskonvention, die 1989 verabschiedet wurde. In dieser ist ganz genau geregelt, welche Rechte Kinder haben. Die Konvention hat eine hohe Bedeutung, weil immerhin 195 Staaten dieser Welt mit ihr einen Vertrag geschlossen haben, in dem festgelegt wurde, wie Kinder aufwachsen und leben sollen. Der Kinderrechtskonvention sind mehr Staaten beigetreten als allen anderen UN-Konventionen, nämlich alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme der USA. In Artikel 1 ist formuliert, dass ein „gleiches Recht für alle Kinder“ gelten soll. Wie aber soll das Recht wahrgenommen werden, wenn Armut, Hunger, keine Chancen auf Bildung und Gesundheit das Leben der Kinder prägen? Wie können Kinder Schutz erfahren, wenn in ihrem Heimatland Krieg herrscht? Was ist, wenn die Staatsgewalt weitgehend die Kontrolle verloren hat, wenn Kinder Opfer von Menschenhandel, Zwangsrekrutierung, Zwangsverheiratung und Versklavung werden? Was ist, wenn Kinder dem entfliehen und in Flüchtlingslagern landen oder als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Europa ankommen? Ja, meine Damen und Herren, dann sind sie auf unsere Hilfe angewiesen. Genau damit befasst sich unser Antrag. Unabhängig davon, wo sie leben, benötigen alle Kinder Gesundheit, auch im präventiven Sinn. Sie müssen Schutzimpfungen erhalten. Sie brauchen frühkindliche, primäre, sekundäre und berufliche Bildung. Sie brauchen Nahrung und Zugang zu gesundem Wasser. Sie brauchen Schutz vor Versklavung, Zwangsverheiratung, Genitalverstümmelung, Kinderarbeit und Krieg. Insbesondere Mädchen sind von extremer sozialer und ökonomischer Ungleichheit und Ungerechtigkeit betroffen. Am letzten Wochenende, am 11. Oktober, war der Internationale Mädchentag; die Welt wurde pink. Dieser fand zum dritten Mal statt. Es ist der Tag, an dem international auf die Situation von Mädchen aufmerksam gemacht wird. Dieser Tag hat für mich eine hohe Bedeutung – deswegen heute das pinke Halstuch. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das Motto „Because I am a Girl“ von Plan International macht mehr als deutlich, dass es die Mädchen sind, die immer noch in vielen Gesellschaften als minderwertiger angesehen werden als Jungen, die häufiger Opfer von Gewalt, Ausbeutung, Ausgrenzung und Benachteiligungen sind. Hier im Deutschen Bundestag müssen wir uns für die Kinder und besonders für die Mädchen einsetzen, um die Kinderrechte Wirklichkeit werden zu lassen. Mit einem klaren Bekenntnis zu den Ende September von den Vereinten Nationen verabschiedeten Nachhaltigkeitszielen, kurz SDGs, verbinden wir, wie in unserem Antrag formuliert, politisches und finanzielles Engagement für die Umsetzung aller nachhaltigen Entwicklungsziele unter besonderer Berücksichtigung der Verwirklichung von Geschlechtergerechtigkeit. Wir begrüßen hierbei ausdrücklich das große Engagement der Bundesregierung im Bereich sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechte. Dahinter verbirgt sich ein Prozess von immenser historischer Bedeutung um das Bemühen um Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Probleme, die wir lösen müssen, gibt es genug. Laut UNICEF werden mehr als 60 Millionen Mädchen vor ihrem 18. Lebensjahr gegen ihren Willen verheiratet. Sie werden nicht nur ihrer Kindheit beraubt, sondern auch ihrer Chancen auf Bildung und Beruf. Mädchen aus den ärmsten 20 Prozent der Haushalte haben ein dreifach höheres Risiko, als Kind verheiratet zu werden. Im Zusammenhang mit extremer Armut geraten Mädchen häufiger in die Zwänge von Prostitution, die ihre gesundheitliche Situation weiter verschärft, erst recht, wenn aus der Prostitution eine Schwangerschaft hervorgeht. Frauen werden oft gezwungen, ihren Peiniger zu heiraten. Nicht selten werden Frauen Opfer eines Ehrenmordes, wenn sie durch Prostitution oder Vergewaltigung schwanger geworden sind. Alle zehn Minuten stirbt irgendwo auf dieser Welt ein Mädchen, weil es Opfer von Gewalt geworden ist. Noch mehr Mädchen leiden ihr Leben lang an den körperlichen und psychischen Folgen von Gewalt. Frühe Ehen bedeuten für die Mädchen nicht nur ein abruptes Ende ihrer Kindheit. Viele müssen ihre Schul- und Ausbildung abbrechen. Frühe Schwangerschaften bergen das höchste Sterberisiko. Mädchen stellen einen Besitz des Mannes dar und werden auch so behandelt. Stirbt ein Mädchen, wird sie durch ein neues Mädchen ersetzt. Das bedeutet für die Männer sogar einen finanziellen Zugewinn, weil sie eine Mitgift erhalten. Diese Mitgift müssen Mädchen oft unter harten und gesundheitsgefährdenden Bedingungen selbst erwirtschaften, zum Beispiel als Textilarbeiterin in Indien. Es ist mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass es selten der Wille der Eltern ist, ihre Mädchen früh zu verheiraten, sondern das ist oft allein dem finanziellen Druck geschuldet. Je älter ein Mädchen wird, desto mehr Mitgift müssen die Eltern an die Familie des Bräutigams entrichten. Diesen Teufelskreis kann man nur mit einem umfassenden querschnittsorientierten Ansatz durchbrechen, wie ihn die SDGs ermöglichen und wie wir es in unserem Antrag zugrunde gelegt haben. Wir alle wissen, dass Bildung der Schlüssel für eine zukunftsfähige Entwicklung darstellt. Durch mangelnde Bildung ist die Kinderversorgung oft nicht gewährleistet. Die Armut vererbt sich. Daher müssen wir unser besonderes Augenmerk auf die Bildungsangebote für Kinder richten. Ich komme zum Schluss: Es gibt mehr als die schwarze Null. Jede Investition in die Bildung von Kindern ist die Rendite für unsere Zukunft. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Michaela Engelmeier. – Nächster Redner in der Debatte: Uwe Kekeritz für Bündnis 90/Die Grünen. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag, über den wir heute diskutieren, enthält, glaube ich, eine sehr gute statistische Zusammenstellung schockierender globaler Zahlen über die Situation von Kindern und Minderjährigen weltweit. Wir wissen: Es gibt eine Menge zu tun, um die Situation von Kindern in Schwellen- und Entwicklungsländern zu verbessern. Der vorliegende Antrag hierzu leistet jedoch nichts dafür. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Er ist ein Paradebeispiel für die Schaufensterpolitik – (Dr. Georg Kippels [CDU/CSU]: Ach Gott!) nicht der Regierung, sondern der Abgeordneten der Koalition, deren Antrag das ja ist. Oder sollte man vielleicht sogar besser von dem verlängerten Arm der Exekutive sprechen? Ich frage mich jetzt aber schon, ob wir und die Öffentlichkeit aus Ihrem Antrag herauslesen sollen, dass diese Regierung auf diesem Gebiet nichts macht. Herr Fuchtel, Sie müssten einmal mit der Koalition reden. Partnerländer dabei unterstützen, Kinder vor Gewalt zu schützen, Mangelernährung bei Kindern bekämpfen, Bildung von Frauen und Mädchen verbessern: Tun Sie das alles nicht? Herr Kippels, Sie haben einfach den Zielkatalog des BMZ abgeschrieben und daraus einen Forderungskatalog gemacht. Das ist aber noch nicht das Schlimme daran. Das Schlimme daran ist, dass Sie diesen Zielkatalog eingrenzen und unter die Prämisse stellen, dass der Zielkatalog nur dann erfüllt werden kann, wenn die haushaltspolitische Zielsetzung das erlaubt. Diese Zielsetzung kennen wir alle; das ist nämlich die schwarze Null. Ich halte es für ziemlich geschmacklos, zu sagen, dass die Regierung endlich etwas dazu beitragen soll, die sexuelle Ausbeutung von Kindern zu verhindern, aber nur, wenn die haushaltspolitische Zielsetzung das erlaubt. Mit Verlaub: Ich halte das für zynisch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Herr Westermayer, Herr Kippels, es wäre wirklich verdienstvoll gewesen, sich einmal die Regierungspolitik etwas genauer anzuschauen. Minister Müller kündigte in seiner Antrittsrede nämlich vollmundig an, die Haushaltsmittel für Bildung auf 400 Millionen Euro jährlich zu erhöhen. Geschehen ist an dieser Stelle nichts. Es wäre Ihre Aufgabe gewesen, einmal nachzufragen, wo das Geld ist. Ein weiteres Beispiel ist die Globale Partnerschaft für Bildung. Der Fonds ist das zurzeit einzige multilaterale Gremium zur langfristigen Unterstützung armer Länder zur Verwirklichung des Menschenrechts auf Bildung. Trotzdem wurde der Fonds vonseiten der Bundesrepublik Deutschland zuletzt gerade einmal mit 7 Millionen Euro jährlich unterstützt. Angesichts eines globalen Finanzierungsdefizits von 34 Milliarden Euro jährlich ist das ein erbärmlicher Beitrag Deutschlands. Dieses Beispiel macht deutlich: Die Bundesregierung setzt sich bei Großveranstaltungen wie im Zusammenhang mit GAVI gerne wunderbar in Szene, zieht eine Sonderinitiative nach der anderen aus der Schublade und lässt sich feiern. Wenn es allerdings um gravierende Finanzlücken geht, wie zum Beispiel im Bereich der Grundbildung, da machen Sie nichts. Das ist auch verständlich; denn damit kommt man nicht großartig in die Medien. (Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: Das ist aber jetzt etwas platt! Da habe ich schon Besseres von Ihnen gehört!) Aber ich kann Ihnen sagen: Entwicklungspolitik ist eben weit mehr als Public Relations. Leider konzentrieren sich bestehende Projektinitiativen der Bundesrepublik Deutschland zu einseitig, wie ich finde, auf Weiterbildungsmaßnahmen und Erwachsenenbildung. Auch sie sind wichtig. Aber man muss auch in dem anderen Bereich sehr viel mehr tun. Es muss uns allen doch klar sein: Der Erfolg der Post-15-Entwicklungsagenda, das Erreichen der SDGs, hängt entscheidend davon ab, ob wir Kindern einen guten Lebensstart in einem funktionierenden Gesundheitssystem mit ausreichenden Bildungschancen ermöglichen. Dafür muss wesentlich mehr getan werden. Wir sollten uns auch darüber im Klaren sein, dass die Ausgaben für Bildung und Gesundheit keine Kosten sind, sondern Investitionen, die eine enorm hohe gesellschaftliche Profitrate abwerfen. Sie sind Voraussetzung für Entwicklungsländer, um den Weg hin zu einer positiven Entwicklung überhaupt einschlagen zu können. Bildung hat eine Basisfunktion; da stehen wir auf einer Seite. Dafür brauchen wir aber solche Anträge wie den vorliegenden wirklich nicht. Wir benötigen langfristige Strukturpolitik und einen politischen Willen, der nicht vom Geiste der schwarzen Null dominiert wird. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: Wir denken auch an unsere Kinder, wenn wir die schwarze Null haben wollen!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Kekeritz. – Nächster Redner in der Debatte: Waldemar Westermayer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Waldemar Westermayer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine werten Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal: Es ist die Aufgabe der Opposition, auch einen so guten Antrag zu zerreden. Das ist Ihnen jedoch nicht gelungen, Herr Kekeritz und Herr Movassat; (Niema Movassat [DIE LINKE]: Das liegt im Auge des Betrachters!) denn wir blicken in die Zukunft. Dazu sage ich nachher noch etwas. Ansonsten halte ich mich jetzt an mein Manuskript. Das ist nämlich sehr gut und sehr klug ausgearbeitet. Denn aus der Stille kamen tausende Stimmen. Die Terroristen dachten, sie könnten meine Ziele verändern und meinen Ehrgeiz stoppen. Aber in meinem Leben hat sich nichts verändert mit einer Ausnahme: Schwäche, Angst und Hoffnungslosigkeit sind verschwunden, Stärke, Kraft und Mut sind geboren. Ein Jahr ist es her, dass Malala für ihre Stärke, für ihre Kraft und für ihren Mut den Friedensnobelpreis erhalten hat. Ein Jahr ist es her, dass auch hier im Bundestag über sie geredet wurde. Ein Jahr ist es her, dass die Welt die Stimme einer jungen Frau hörte, die zuvor von den Taliban fast getötet worden wäre, und das nur, weil sie lesen und schreiben lernen will und weil sie sich als Kind und junge Frau frei entwickeln möchte. Ein Jahr ist es also auch her, dass besonders wir als Entwicklungspolitiker aufgefordert wurden, der Bedeutung von Kindern für nachhaltige Entwicklung gerechter zu werden. Deshalb lautet unser Antrag heute: „Den Lebensstart von Kindern in Entwicklungs- und Schwellenländern verbessern – Grundlagen für stabile Gesellschaften schaffen“, und nicht mehr. Das Anliegen des Antrags ist dringend; denn Kinder leben und leiden jetzt in diesem Moment an vielen Orten der Erde. Kinder sind überall auf der Welt das Fundament unserer Zukunft. Dieses Fundament müssen wir jetzt stärken und nicht erst in zehn Jahren. Wenn über ein Viertel der Weltbevölkerung unter 15 Jahren ist und sogar jeder zehnte Mensch auf der Erde unter 8 Jahren ist, dann können wir von Kindern nicht mehr nur als einer Minderheit sprechen. Wir müssen uns ernsthafte Gedanken machen, wie wir für diese und mit diesen 25 Prozent Menschen das Morgen gestalten wollen. Als stark vernetzte Weltgemeinschaft ist es unsere einzige Aufgabe, friedlich zusammenzuleben. Das können wir schaffen, wenn wir uns engagieren. Konkret heißt das: Wir müssen die Situation von Kindern in Krisen- und Entwicklungsländern verbessern. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung vom Kollegen Liebich von der Linken? Waldemar Westermayer (CDU/CSU): Bitte. Stefan Liebich (DIE LINKE): Herr Kollege Westermayer, vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Mein Kollege Niema Movassat hat vorhin in seiner Rede darauf hingewiesen, dass es Vorschläge aus der Unionsfraktion gibt, den Familiennachzug zu begrenzen. Daraufhin gab es große Empörung, und Sie alle haben gesagt, das würde nicht stimmen. (Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: Nicht so, wie es gesagt worden ist!) Ich habe einfach einmal nachgeschaut, weil ich das gar nicht glauben mochte, aber es ist in Wirklichkeit noch viel schlimmer. Das ist gar kein Vorschlag der CSU, sondern offenkundig einer der Unionsfraktion insgesamt. Ich darf wörtlich zitieren: „Es ist in Anbetracht der exorbitant hohen Zahlen nicht sachgerecht, es jedem Syrer zuzugestehen, seine Familie nachzuholen.“ Das hat der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gesagt. (Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Zusammenhänge verzerrt!) Er hat gleichzeitig angeregt, nicht nur das nationale Recht, sondern auch die entsprechende EU-Richtlinie zu ändern. Dass das Kinder in Entwicklungs- und Schwellenländern betrifft, können Sie ja nicht bestreiten. Deshalb würde ich gerne von Ihnen wissen: Was ist denn nun die Linie der Unionsfraktion? Ist es das, was Herr Mayer hier gesagt hat? Oder das, was hier eben hineingerufen wurde, dass das nicht stimmen würde? (Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: So nicht!) Waldemar Westermayer (CDU/CSU): Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten; denn ich weiß jetzt nicht, was Herr Mayer genau gesagt hat. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das habe ich doch vorgelesen!) – Ja gut, Sie können viel vorlesen. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Wie sehen Sie es denn? – Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: Das ist wieder einmal typisch!) Wir haben diesen Antrag jetzt eingebracht, um die Situation der Kinder in der Welt insbesondere in den Bereichen Gesundheit und Bildung zu verbessern. Darum geht es. Es geht jetzt nicht um Zuzug und sonstige Dinge, sondern um die vielen Kinder in der Welt, die dringend Hilfe brauchen. Das, was Sie angesprochen haben, ist ein Thema, das man extra behandeln muss. Herzlichen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Niema Movassat [DIE LINKE]: Das gehört zusammen! Es geht um Kinder in einem Bürgerkriegsland!) Auch das Recht auf eine freie und friedvolle Entwicklung für Kinder haben wir eingefordert. Geben wir dieses Wissen um die Würde und den besonderen Schutz eines jeden Kindes weiter. Deshalb sollte die deutsche und europäische bzw. internationale Entwicklungsarbeit den Fokus stärker auf die langfristige und umfassende Arbeit mit Kindern in Entwicklungs- und Schwellenländern richten. Die offizielle Unterstützung muss vorbeugend und ganzheitlich – und damit auch nachhaltiger und kosteneffizienter – erfolgen. Die bekannten Teufelskreisläufe, die vor allem bei den Ärmsten von Generation zu Generation weitergegeben werden, können wir am besten bei den Kindern durchbrechen. Ihnen müssen wir eine Chance auf Bildung geben, damit sie Strukturen nachhaltig verändern können. Die großen Förderbereiche sind allen bekannt. Es geht um Gesundheit, Bildung, Hygiene, Ernährung und angemessene Betreuung. Weiter geht es um die Einforderung universaler Rechte. Und es geht um die soziale Verantwortung von Gesellschaften gegenüber ihren Jüngsten; denn diese gestalten, ob wir es wollen oder nicht, die Welt von morgen. Um dieses Gestalten positiv zu beeinflussen, müssen wir vor allem bessere Bildungssysteme für Kinder in Entwicklungs- und Schwellenländern einfordern. Dabei stützten wir uns bisher auf das Millenniumsentwicklungsziel 2. Dieses wurde nun von den Agenda-2030-Zielen 4.1 und 4.2 abgelöst. Alle Kinder sollen die Möglichkeit haben, eine Vorschule, eine Grundschule und dann auch eine Sekundarschule zu besuchen. Sie sollen in erreichbaren und bezahlbaren bzw. kostenlosen Einrichtungen und Schulen mit ausgebildeten Erziehern und Lehrern lernen können. Sie sollen ihre Schule nicht abbrechen müssen, sondern sollten in der Lage sein, nach mehreren Schuljahren lesen, schreiben und rechnen zu können. Mit der aktuellen Flüchtlingswelle nach Europa und Deutschland sind auch die Themen Bildung, Integration und Inklusion im eigenen Land zu komplexen Herausforderungen geworden. Diesen müssen wir uns auf vielen Ebenen neu stellen. Entwicklungspolitik muss also zukünftig noch mehr national und weiterhin international ausgerichtet werden. Es leben bereits genügend Kinder und unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus gescheiterten Staaten in unserem Land. Als Entwicklungspolitiker konzentrieren wir uns auf die Bekämpfung der Ursachen von Flucht, Vertreibung und Krieg in den Herkunftsländern. Als Abgeordnete sind wir aber tagtäglich in unseren Wahlkreisen mit den Auswirkungen der Krisen bei uns vor Ort konfrontiert. Daher sollten wir mit unserer Unterstützung bei den Kindern – hier und weltweit – ansetzen. Die Investitionen in die ganzheitliche Bildung von Kindern sind elementar für stabile Gesellschaften. Das habe ich auf meiner letzten Reise nach Guatemala – einige von Ihnen waren ja dabei – in mehreren Kinderbildungsprojekten selbst erfahren. Die Kinder waren aufgeweckt, froh, wissensdurstig und auch dankbar. Wenn es eine flächendeckende Bildungsförderung der Kleinsten gäbe, müssten wir uns nicht mehr den verlorenen Generationen und ihren gewaltsamen Folgen stellen. Derzeit sind aber – das wurde vorhin schon einmal angesprochen – in 50 Staaten 59 Millionen Kinder auf humanitäre Hilfe angewiesen. Knapp die Hälfte der 60 Millionen Flüchtlinge weltweit sind Kinder und Jugendliche. Man kann nur erahnen, was diese Dimensionen anschließend für die internationale Entwicklungszusammenarbeit, aber vor allem auch für Deutschland und seine Bürger hier bedeuten werden. Klare und vielfältige, aber vor allem integrale Ansätze sind deshalb dringend zu unterstützen und auszubauen. Es geht um das allgemeine Kindeswohl, und es geht um die individuelle Förderung von Mädchen. Es geht um mehr Sport-, Kultur- und Spielmöglichkeiten und den Ausbau und besonderen Schutz der kinderfreundlichen Räume in Krisenregionen. Es geht um eine verstärkte psychosoziale Begleitung der vom Krieg, von Kinderarbeit und von der Flucht traumatisierten Kinder. Es geht um die Bekämpfung von Analphabetismus, um Chancengleichheit und Erreichbarkeit von Bildung für Kinder aus ländlichen Regionen. Es geht vor allem auch um die Förderung der Eigenverantwortung der Partnerländer beim Aus- und Aufbau von Bildungssystemen. Die Förderungen sind dringend notwendig, wenn wir in Zukunft hier in Deutschland, in Europa und auf der Welt in Frieden leben wollen. Seit fast 16 Monaten – so lange bin ich mittlerweile im Bundestag – beschäftige ich mich nun mit den verschiedenen Dimensionen der Entwicklungspolitik. Als Vater von fünf Kindern und als Großvater muss ich jedoch kein Entwicklungspolitiker sein, um zu erklären, dass die Förderung und Begleitung von Kindern unser wichtigstes Anliegen sein muss, auch zu unserer eigenen Sicherheit und aus unserer politischen Verantwortung heraus. Unser Antrag ist nach vorne gerichtet und hilft den Kindern in den Schwellen- und Entwicklungsländern. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Westermayer. – Letzter Redner in der Debatte: Stefan Rebmann für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Stefan Rebmann (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf der Zuschauertribüne! Wir reden heute über einen Antrag, der das Liebste und das Wichtigste betrifft, das wir haben. Wir reden über einen Antrag, der sich um unsere Kinder dreht. Wir alle haben hoffentlich diesen Urinstinkt, diesen Beschützerinstinkt, wenn es um Kinder geht. Gleichwohl müssen wir leider feststellen, dass weltweit 168 Millionen Kinder zwischen 5 und 17 Jahren täglich arbeiten müssen, 85 Millionen davon in gefährlichen Arbeitsverhältnissen. Das sind Zahlen der ILO. 85 Millionen – die Bundesrepublik Deutschland hat im Moment 81,4 Millionen Einwohner. 85 Millionen Kinder arbeiten, wie gesagt, laut ILO in gefährlichen Arbeitsverhältnissen. Die Schätzungen der Vereinten Nationen besagen, dass 215 Millionen Kinder täglich arbeiten müssen, davon 115 Millionen Kinder in gefährlichen Arbeitsverhältnissen. Das ist die Bevölkerungsanzahl der Bundesrepublik Deutschland, Österreichs, der Schweiz und der Niederlande zusammengenommen. Gefährliche Arbeit bedeutet: Das sind Kinder barfuß in Gießereien, das sind Kinder barfuß in Gerbereien in der Lauge, wo edles Leder hergestellt wird, das wir hier teuer erwerben können, der coolste neueste Style. 7 Prozent dieser Kinder arbeiten unter gefährlichen Arbeitsbedingungen, in Schuldknechtschaft in Minen, beispielsweise in Pakistan. 50 000 Kinder arbeiten allein im Kongo in sogenannten Mineralminen, wo Coltan gefördert wird, damit wir unser neuestes hippstes Smartphone – Galaxy Trallala – und sonst irgendwas haben. Aus unseren Handys, aus unseren Smartphones fließt zum Teil Blut. Den stillen Schrei dieser Kinder überhören wir, wenn wir die Kopfhörer, aus denen das Wummern irgendwelcher Bässe kommt, aufgesetzt haben. Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass 59 Prozent der Kinder in der Landwirtschaft arbeiten, dass ganz viele Kinder in Kambodscha, in Indien, in Nepal und in Bangladesch in den Nähstuben der Industriestaaten schuften, dann wird auch klar, dass der Catwalk, der hier in der Nähe immer für die Fashion Week aufgebaut wird, eigentlich in Bangladesch beginnt – blutig, schmutzig und mit Leichen gepflastert. Das ist die Realität. Wir befassen uns nun mit einem Antrag, der zum Teil kritisiert und zum Teil gelobt wird. Ich will den Kollegen Kekeritz und Movassat sagen: Sie beide wissen, dass wir im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung eine ganze Reihe kritischer Geister haben, die sich auch kritisch zu Wort melden. Wir hatten schon die eine oder andere Debatte, in der wir ganz klar gesagt haben, dass das nicht ausreicht und dass wir mehr Verbindlichkeit und mehr finanzielle Mittel brauchen. Ich finde, das müssen wir schon hinzufügen. Wir müssen den Teufelskreis durchbrechen, der daraus besteht, dass Kinder arbeiten müssen, deshalb nicht zur Schule gehen können, deshalb eine schlechte Ausbildung haben, deshalb schlechte Arbeitsverhältnisse haben, dann schlecht bezahlt werden, wieder schlechte Arbeitsbedingungen haben und dadurch wieder krank werden. Das setzt sich dann von Generation zu Generation fort. Diesen Teufelskreis müssen wir durchbrechen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn wir die Ende September in New York verabschiedeten SDGs ernst nehmen, dann müssen wir fragen, was wir hier bei uns zum Erreichen dieser Ziele tun können. Wir erarbeiten im Moment einen nationalen Aktionsplan zu Sorgfaltspflichten von Unternehmen. Ich hoffe, dass wir auf diese Weise für wesentlich mehr Verbindlichkeit sorgen werden. Der Kollege Raabe hat lange dafür gekämpft, dass das Thema Konfliktmineralien deutlicher hervorgehoben wird. Wir haben einen hervorragenden Antrag mit dem Titel „Gute Arbeit weltweit“ vorgelegt. Hier geht es um gute, faire Arbeitsbedingungen. Niemand ist ein schlechter Mensch, weil er in einem Discounter Schokolade kauft; denn kaum jemand weiß, dass weniger als 1 Prozent der Schokolade, die in Deutschland gehandelt wird, fair produziert wurde. Es ist unsere Aufgabe, im Zusammenhang mit dem vorliegenden Antrag, über den wir erstmalig beraten, dafür zu sorgen, dass verbindliche Regeln eingeführt werden und Kinderarbeit verboten wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Mit Blick auf die folgende Debatte über die Modernisierung des Vergaberechts sage ich: Auch hier können wir verbindliche Regeln schaffen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Darauf achten, Kollegen! Stefan Rebmann (SPD): Wenn eine öffentliche Verwaltung Handys kauft, dann sollte sie darauf achten, dass es sich um Handys handelt, die fair produziert und gehandelt wurden, die kein Coltan enthalten und nicht durch Kinderarbeit hergestellt wurden. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist möglich. Diese Handys sind sogar preiswerter als andere, von vielen als cool angesehene Handys. Ich wünsche Ihnen allen noch eine schöne Debatte. Vizepräsidentin Claudia Roth: So, jetzt reicht es. Stefan Rebmann (SPD): Reden Sie, wenn Sie zu Hause in Ihren Wahlkreisen sind, darüber, wie engagiert im Bundestag debattiert wird. Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Man merkt, woher Sie kommen. Das sind die Rheinland-Pfälzer, gell? (Stefan Rebmann [SPD]: Kurpfälzer!) – Gut, die Kurpfälzer. Vielen Dank, lieber Kollege Stefan Rebmann. Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/6329 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Dann kommen wir zum nächsten Tagesordnungspunkt, zu dem Kollege Rebmann schon eingeführt hat. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts (Vergaberechtsmodernisierungsgesetz – VergRModG) Drucksache 18/6281 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor­sicherheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und ­Entwicklung Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Dazu gibt es keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Dann gebe ich dem ersten Redner in der Debatte das Wort. Das ist Marcus Held für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Marcus Held (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe verbleibende Zuhörerinnen und Zuhörer! Zunächst ein herzliches Dankeschön für das Lob an die Rheinland-Pfälzer. Das möchte ich aufgreifen, auch wenn es eigentlich um das Vergaberecht geht. Wenn bisher zum Beispiel in Kommunalparlamenten über Vergaben entschieden wurde, wurde letztendlich nur über den Preis entschieden, und das führte in der Regel bei Kommunalpolitikern zu Ärger und Unzufriedenheit. Andere Vergabeverfahren kennen wir zwar aus vielen anderen europäischen Ländern oder auch aus den Zeiten beispielsweise der Konjunkturprogramme I und II, bisher sind wir in Deutschland aber leider immer wieder in die alten Vergabemuster zurückgefallen. Dies wird sich nun glücklicherweise mit der heute zu beratenden Modernisierung des Vergaberechts ändern, nämlich mit der Umsetzung von drei EU-Richtlinien. Auch wenn das Gesetz nur im Oberschwellenbereich gilt, das heißt bei Bauaufträgen mit einem Volumen von über 5,1 Millionen Euro und bei Dienstleistungen ab 207 000 Euro: Das Gesetz wird natürlich auch Auswirkungen auf die Länder haben, die sich bei ihren Vergabegesetzen daran orientieren werden. Es ist auch unser großes Ziel, dass hier möglichst eine Vereinheitlichung über die Länder hinweg erfolgt. Das neue Vergaberecht ist ein großer Wurf; denn wir erreichen eine wesentliche Vereinfachung in der Struktur des Vergaberechts. Waren Vorschriften zur Vergabe bisher über ganz viele unterschiedliche Regelwerke verteilt, so haben wir nun die wesentlichen im GWB, im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, zusammengeführt. Dies schafft Übersichtlichkeit, dies schafft aber auch eine Entbürokratisierung in den Verwaltungen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dort, wo sich Strukturen bewährt haben, belassen wir sie, so zum Beispiel im Baurecht. Hier gilt die eigene Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen auch in Zukunft, nämlich die Ihnen allen bekannte VOB/A. Viel diskutiert wurde im Vorfeld die strategische Zielsetzung bzw. die damit verbundenen Inhalte des Gesetzes, nämlich Nachhaltigkeit, aber auch soziale Kriterien. Öffentliche Auftraggeber können diese in Zukunft sehr viel stärker als bisher gewichten, und dies gleich in mehreren Phasen der Vergabe: schon zu Beginn, nämlich wenn die Leistungsbeschreibung zusammengestellt wird, aber auch bei den Eignungskriterien, bei den Zuschlagskriterien oder am Ende, wenn es um die Ausführungsbedingungen des Auftrags geht. Erstmals wird es mit diesem Gesetz künftig möglich sein, Unternehmen aus Vergabeverfahren auszuschließen, wenn sie beispielsweise gegen Arbeits- oder Sozialrecht verstoßen haben. Hierfür sind extra die §§ 123 und 124 in dem Entwurf des GWB aufgeführt, die zwingende, aber auch fakultative Ausschließungsgründe beschreiben, zum Beispiel wenn Straftatbestände vorliegen, aber auch wenn Sozialversicherungsbeiträge nicht bezahlt worden sind oder wenn in der Vergangenheit bei öffentlichen Aufträgen das jeweilige Unternehmen geltende umwelt-, sozial- oder arbeitsrechtliche Verpflichtungen nicht eingehalten hat. Auch Vorgaben zur Herstellung von Waren, zum Beispiel die uns allen bekannten ILO-Kernarbeitsnormen, oder zum Handel mit Waren, zum Beispiel Fair-Trade-Anforderungen, finden in Zukunft im neuen Vergaberecht Berücksichtigung. (Beifall bei der SPD) Wir werden darüber hinaus Regelungen für Gütezeichen treffen, mit denen die Anforderungen an den Herstellungsprozess und die damit verbundene teilweise sehr lange Lieferkette nachgewiesen werden können. Wir sind für die Prüfung der Einrichtung eines Korruptionsregisters. Aber uns muss bewusst sein: Wir können noch so schöne und wünschenswerte Regelungen in dieses Gesetz als Ziel aufnehmen, entscheidend ist am Ende die Überwachung und die Einhaltung der Regelungen in der Praxis. Hier appelliere ich an alle Ausführenden des Gesetzes, gegenwärtig und auch in Zukunft genügend Zollbeamte und Kontrolleure einzustellen, die auf den Baustellen und bei der Realisierung der Maßnahmen tätig werden. Bei den Lieferketten obliegt die Überwachung dem jeweiligen Auftraggeber, was natürlich zu besonderem Aufwand und zu besonderen Herausforderungen führt. Aber alle rechtlichen Verpflichtungen sind einzuhalten. Hier besteht kein Ermessensspielraum, auch wenn dies im Vorfeld der Diskussion immer wieder einmal anders dargestellt worden ist. Ich möchte hier ganz explizit auf § 128 im neuen GWB eingehen, nach dem – im Wortlaut – „Unternehmen … bei der Ausführung des öffentlichen Auftrags alle für sie geltenden rechtlichen Verpflichtungen einzuhalten“ haben. Dann kommt ein ganz langer Katalog mit entsprechenden Punkten: Steuern, Abgaben, Sozialversicherungsbeiträge, Mindestlohn, Tarifvertragsgesetze, aber auch alle Wirkungen, die mit dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz zu tun haben, und vieles mehr. Das Gesetz ist aber auch deshalb ein großer Wurf, weil soziale Dienstleistungen künftig in einem erleichterten Verfahren vergeben werden können. Auch im sogenannten sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis stehen alle Verfahren der Vergabe künftig parallel zur Verfügung. Auch hier werden wir für die Praxis alle wichtigen Details in entsprechenden Verordnungen parallel zum Gesetz regeln. Dieses Gesetz ist auch deshalb ein großer Wurf, weil wir die Belange von Menschen mit Behinderung stärker berücksichtigen als bisher – hier verweise ich auf den § 118 –, weil wir die kommunale Zusammenarbeit erleichtern – wir ermöglichen sogenannte Inhouse-Vergaben für Kommunen, was mehr Freiräume schafft –, weil wir die Rettungsdienste privilegieren, wenn sie in der Trägerschaft von gemeinnützigen Organisationen stehen. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die gegenwärtige Flüchtlingsproblematik eingehen. Was wären wir in unseren Ländern, in unseren Kommunen ohne diese Rettungsdienste! Deshalb bin ich froh, dass wir mit dieser Privilegierung ihnen auch etwas zurückgeben können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Abschließend ein weiterer sozialer Aspekt, nämlich der Personalübergang beim Betreiberwechsel im Schienenpersonennahverkehr. Hier bedanke ich mich ganz besonders für die Initiative der Länder, insbesondere des Landes Rheinland-Pfalz. Durch diese Bundesratsinitiative soll künftig nämlich geregelt sein, dass bei Personenübernahmen Tarifverträge fortgelten. Ich glaube, Sie haben an meinen Ausführungen erkannt, wie wichtig die Modernisierung des Vergaberechts ist. Es bringt Verbesserungen für mittelständische Unternehmen durch Teil- und Fachlosvergabe. Es bringt auch Verbesserungen für die Kommunen und die öffentlichen Einrichtungen insgesamt, weil sie mehr Flexibilität bei der Vergabe bekommen, aber auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, weil mehr soziale Kriterien berücksichtigt werden müssen. Außerdem bringt es Verbesserungen für Menschen in aller Welt, deren Produkte zur hiesigen Verwendung eingesetzt werden, durch die Beachtung von Nachhaltigkeits- und Umweltkriterien. Nicht zuletzt bringt es Verbesserungen für Menschen mit Behinderung und für unsere Rettungsdienste. Ich freue mich auf die Diskussion mit Ihnen in den kommenden Wochen. Ich kann Sie schon heute um Ihre Zustimmung zu diesem Gesetz bitten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Marcus Held. – Nächster Redner: Klaus Ernst für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Klaus Ernst (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 400 Milliarden ist die Summe, die Bund, Länder und Kommunen für die öffentliche Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen ausgeben – eine Riesensumme. Welche Möglichkeiten hätten wir, mit unserer Vergabepraxis in den Betrieben Dinge positiv zu beeinflussen! (Klaus Barthel [SPD]: Machen wir doch!) Das, was Sie hier angesichts der Möglichkeiten, die die Europäische Kommission jetzt bietet, vorlegen, ist gewaltig. Wenn es weiterhin so ist, dass nur der Preis entscheidet, dann bekommt oft der den Zuschlag, der der Billigste ist und der soziale und ökologische Gesichtspunkte nicht berücksichtigt. (Marcus Held [SPD]: Das ändert sich ja jetzt!) Jetzt wollen wir uns Ihren Gesetzentwurf genau anschauen; Kollege Held, ich habe ihn bereits studiert. Wir haben folgende Probleme: Erstens. In § 123 des vorliegenden Gesetzentwurfs ist geregelt, wann ein Unternehmen vom Vergabeverfahren zwingend ausgeschlossen wird – zwingend. Nach § 124 gibt es die Möglichkeit – das Ganze ist also fakultativ –, jemanden auszuschließen. Nun frage ich: Warum sollen Verstöße gegen umwelt-, sozial- und arbeitsrechtliche Verpflichtungen nicht zwingend zum Ausschluss führen? Warum nicht? (Beifall bei der LINKEN) Wenn man diese Möglichkeit lässt, dann führt das dazu, dass es die eine Kommune so und die andere so macht. Das ist keine vernünftige Regelung. An ihr kann man sich nach wie vor vorbeischleichen. Ich frage noch einmal: Warum führen diese Verstöße nicht zwingend zum Ausschluss? Deutlicher kann man eigentlich gar nicht zeigen, dass man den ganzen Vorgang eigentlich nicht so richtig ernst nimmt. Die Forderung der Gewerkschaften, ein zentrales Register einzuführen, in der alle Unternehmen, die gegen die Vergaberichtlinien schon einmal verstoßen haben, aufgeführt werden, sodass derjenige, der einen Auftrag vergibt, schauen kann, ob das interessierte Unternehmen ein schwarzes Schaf ist oder nicht, ist zu unterstützen. Leider ist die Schaffung eines solchen Registers im Gesetzentwurf nicht vorgesehen. (Marcus Held [SPD]: Der Vorschlag wird geprüft!) – „Wird geprüft“. Ihr legt einen Gesetzentwurf vor, und da steht es nicht drin. So einfach ist die Welt. (Marcus Held [SPD]: Leider nein!) Dann regelt die Schaffung eines solchen Registers im Gesetzentwurf, wenn ihr es wollt. Ihr habt nichts Entsprechendes hineingeschrieben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Marcus Held [SPD]: Wir wollen Rechtssicherheit!) Zweitens. Kommen wir zur Regelung der Entscheidung, welches Unternehmen einen Zuschlag bekommen soll. Nach dem Gesetzentwurf müssen bei Ermittlung des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses ökologische und soziale Kriterien nicht zwingend berücksichtigt werden – sie stehen nicht im Gesetz –, sondern es bleibt im Prinzip dem, der den Auftrag vergibt, überlassen, ob er das macht oder nicht. Warum? Ihr hättet jetzt die Möglichkeit, mit Blick auf die 400 Milliarden Euro wirklich ein Zeichen zu setzen und das ins Gesetz zu schreiben. Das macht ihr aber nicht. Traurig, traurig! (Beifall bei der LINKEN) Im Übrigen wäre auch die Bestimmung möglich gewesen, dass ein Angebot mit einem ungewöhnlich niedrigen Preis zwingend abgelehnt werden muss, wenn davon auszugehen ist, dass bei diesem Angebot etwas nicht stimmen kann. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege Ernst, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung vom Kollegen Held? Klaus Ernst (DIE LINKE): Sehr gern. Vizepräsidentin Claudia Roth: Das habe ich mir gedacht. – Herr Held. Marcus Held (SPD): Lieber Kollege Ernst, wenn es um soziale, aber auch um Umweltkriterien geht, dann muss ich sagen: Wir haben in den letzten Wochen sehr intensiv über Probleme – ich nenne es einmal so allgemein – bei einem großen deutschen Automobilhersteller diskutiert. (Zuruf von der LINKEN) – Sie rufen „Betrug“. Ich will es nicht werten. – Wenn wir vorgeben, solche Umweltkriterien zwingend zu berücksichtigen, ist die Frage an Sie alle, aber vor allem an den Redner Ernst doch die: Wollen Sie tatsächlich alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei VW dadurch bestrafen, dass Sie ein Unternehmen wie VW bei Ausschreibungen dauerhaft nicht mehr berücksichtigt sehen wollen, auch wenn es zum Beispiel um die Beschaffung von Polizeiautos hier in Berlin geht? (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Dann werden andere bestraft!) Das kann doch nicht unser Interesse sein. Da stimmen Sie mir doch hoffentlich zu. (Beifall des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD]) Klaus Ernst (DIE LINKE): Ich kann Ihnen sagen: Es fehlt das Register. Es wäre ja schon schön, wenn es ein Register gäbe. Bei VW braucht man es nicht. Das weiß jetzt die ganze Welt. (Marcus Held [SPD]: Aber die würden wir dadurch ausschließen!) Aber es ist trotzdem notwendig, ein solches Register zu haben. Ich sage Ihnen: Ja, ich bin dafür, dass der, der wirklich in erheblichem Maß gegen entsprechende Bestimmungen verstoßen hat, künftig nicht berücksichtigt wird. Es gibt übrigens in Deutschland auch noch andere Hersteller als VW, bei denen man Polizeiautos kaufen könnte. (Marcus Held [SPD]: Das ist der Punkt! Sie wollen die Arbeitnehmer bestrafen!) – Ich bin mit der Beantwortung Ihrer Frage, Kollege Held, eigentlich noch nicht ganz fertig, aber bequemer ist es, zu sitzen. Es wäre vielleicht gar nicht so schlecht, wenn man solche Unternehmen für ein Jahr ausschließen würde, damit sie wissen, was sie da angestellt haben. Wenn wir dann noch Regelungen schaffen, dass das nicht zulasten der Beschäftigten geht, sondern zulasten derer, die den Saustall verursacht haben, dann hätten wir was gewonnen, Kollege Held. (Beifall bei der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: Das würde zulasten der Beschäftigten gehen! Wollen Sie das?) – Wollen Sie eine Frage stellen? (Zurufe: Nein!) Ich fahre mit meiner Rede fort, Frau Präsidentin. – Nach dem Gesetzentwurf muss sich ein Auftragnehmer nur an Tarifverträge halten, die nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz allgemeinverbindlich sind. Was ist eigentlich mit den anderen Tarifverträgen? Warum schreiben Sie in das Gesetz nicht hinein, dass man sich prinzipiell an Tarifverträge zu halten hat? (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das wäre eine Möglichkeit. Das ist übrigens auch eine Forderung der Gewerkschaften. Weil ich die Frauen hier sitzen sehe, muss ich auch einmal Folgendes sagen: Jetzt haben wir eine Frauenquote, zwar eine schlechte, aber wir haben zumindest eine in großen Aktiengesellschaften. Warum schreiben wir in das Gesetz nicht hinein, dass ein öffentlicher Auftrag nur dahin vergeben wird, wo die Frauenquote eingehalten wird? Das wäre doch mal was für die Frauen, oder nicht? (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Warum klatschen Sie da nicht mit, Frau Gundelach? Weil Sie in der Union die Frauenquote vielleicht gar nicht wollen? (Marcus Held [SPD]: Wie wollen Sie das denn im Tiefbau machen? Wie wollen Sie das im Straßenbau machen? Sagen Sie doch mal, wie Sie das im Straßenbau machen wollen!) Das wäre zum Beispiel eine Möglichkeit, da etwas zu erreichen. Sie machen das nicht. (Marcus Held [SPD]: Alles über einen Kamm scheren! – Johann Saathoff [SPD]: Wolkenkuckucksheim!) Meine Damen und Herren, weil Sie das nicht machen, bleibt der Gesetzentwurf weit hinter den Möglichkeiten zurück, die die Europäische Union einräumt. Ich nenne Ihnen einen weiteren Punkt, Herr Held. Was ist mit den Subunternehmern? Was ist, wenn einer einen Auftrag von der öffentlichen Hand annimmt und dreimal weitergibt? Sie regeln dazu in dem Gesetz überhaupt nichts. Das wird im Ergebnis zu dem führen, was wir auch in Dortmund schon erlebt haben. Ein Auftrag, der an die Bundesdruckerei vergeben wurde, ist dann irgendwo in Ungarn gelandet. Man muss doch im Gesetz regeln, dass auch die Subunternehmer unter die gesetzlichen Bestimmungen fallen; denn sonst läuft das ins Leere. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb kann ich Ihre Auffassung, dass das ein ganz großer Wurf ist, überhaupt nicht teilen. Ich kann Ihnen sagen: Das ist ein Würfchen, was Sie hier machen. Ich hoffe, dass es uns im weiteren Verfahren zu diesem Gesetzentwurf gelingt, die Dinge hineinzubringen, die dringend notwendig sind, und dass wir als Gesetzgeber die Möglichkeit nutzen, Dinge in den Betrieben tatsächlich zu verändern. „Tarifautonomie stärken“, das heißt zum Beispiel, dass man festlegt: Ein Auftrag wird nur an ein tarifgebundenes Unternehmen gegeben, sofern ein solches vorhanden ist. – So einfach wäre das zu regeln. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Dr. Herlind Gundelach das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute über ein Thema, das in der Regel eigentlich nur Spezialisten interessiert und von dem vermutlich auch die meisten Bürgerinnen und Bürger noch nie etwas gehört haben, nämlich über das Vergaberecht. (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) – Die meisten nicht. – Oder wie kürzlich jemand so treffend formulierte: Das ist ein Rechtsbereich im Wesentlichen von Juristen für Juristen. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist überhaupt nicht so! Er ist sehr breit interessiert! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Nein! Nein! Nein!) – Aber es beschäftigen sich meistens die Juristen damit. (Johann Saathoff [SPD]: Jeder Kommunalpolitiker! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sozialpolitiker! Wirtschaftspolitiker!) Das Vergaberecht strukturiert und regelt die Vergabe von Aufträgen und die Beschaffung von Waren und Leistungen durch die öffentliche Hand. Und da, Herr Ernst, möchte ich Ihnen schon einmal gleich energisch widersprechen: Das Vergaberecht ist keine verkappte Gesellschafts- und Sozialpolitik. Das sind zwei getrennte Paar Stiefel. Das muss man einmal ganz klar sehen. Man kann nicht immer alles durcheinandermischen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Anlass für die Reform sind die im März 2014 veröffentlichten drei EU-Vergaberichtlinien; das hat ja der Kollege Held schon gesagt. Wir stehen heute deswegen auch vor dem bisher umfangreichsten vergaberechtlichen Gesetzgebungsverfahren. Die Umsetzung wird weiterhin im GWB erfolgen, wie es jetzt auch schon der Fall ist; ich denke, das ist auch vernünftig. Es wird also kein eigenes Vergabegesetz geben. Warum das so ist, darauf möchte ich später noch einmal eingehen. Unser erklärtes Ziel bei der Gesetzgebung ist es, das Vergaberecht einfacher, unbürokratischer, anwenderfreundlicher und rechtssicherer zu gestalten. Außerdem wollen wir insbesondere die Möglichkeiten des Zugangs für kleinere und mittlere Unternehmen verbessern. Insgesamt – und da stimme ich dem Kollegen Held absolut zu – ist der Regierungsentwurf aus meiner Sicht gelungen. Die Vorschläge gehen in die richtige Richtung. Ich denke, es gibt aber auch noch ein paar Punkte, bei denen wir nachbessern könnten. Dazu würde ich gerne ein bisschen ausholen. Oberstes Prinzip bei der Vergabe ist, dass öffentliche Auftraggeber zu den wirtschaftlichsten und sachlich besten Konditionen beschaffen sowie Wettbewerb, Gleichbehandlung und transparente Verfahren gewährleisten. Diese Grundsätze sind wie bisher in § 97 GWB geregelt. Dadurch verhindern wir Korruption und Vetternwirtschaft. Alle zusätzlichen Regelungen im Vergaberecht müssen im Prinzip diesen Grundprinzipien folgen. Aus meiner Sicht gibt es zwei wesentliche Punkte im Regierungsentwurf, die nicht ganz konform mit diesen Grundsätzen sind. Ich denke, auf diese müssen wir im weiteren Gesetzgebungsverfahren eingehen. Da ist zunächst einmal die Einbeziehung der sogenannten strategischen Ziele. Früher wurden diese übrigens als vergabefremde Kriterien bezeichnet. Ich denke, das zeigt auch schon die Problematik, die dahinterliegt. Die europäische Richtlinie gibt nämlich ausdrücklich vor, dass geltende umwelt-, sozial- und arbeitsrechtliche Verpflichtungen eingehalten werden müssen – ich denke, das ist in einem Rechtsstaat eine schiere Selbstverständlichkeit – und zusätzliche Auflagen, die allerdings in direktem Zusammenhang mit dem Auftrag stehen müssen, gemacht werden können. Diesen Vorstoß begrüße ich außerordentlich; denn das gibt der Exekutive insgesamt einen deutlich breiteren Handlungsspielraum. Der Regierungsentwurf formuliert nun aber wie bei den sozial- und umweltbezogenen Aspekten „werden“, das heißt in dem Fall ein Muss. Sozial- und umweltbezogene Aspekte erhalten insoweit auch die gleiche Wertigkeit wie die Aspekte Qualität und Innovation. Die Maßgabe in Artikel 67 der Richtlinie ist aber, dass ein direkter Bezug dieser Kriterien – und darauf müssen wir Wert legen – zum Auftragsgegenstand bestehen muss. Außerdem liegt es im Ermessen des Auftraggebers, ob er strategische Ziele verfolgen möchte oder nicht. Er muss es nicht, aber er kann es machen. Ich sehe hier ein praktisches Problem und vor allen Dingen auch ein Problem der Rechtssicherheit; denn in der Vergangenheit hat der EuGH mehrfach Landesvergabegesetze wegen vergabefremder Kriterien gekippt: 2008 das niedersächsische Vergabegesetz im sogenannten Rüffert-Urteil und 2014 das NRW-Vergabegesetz. Nun ist es so, dass diese beiden Landesvergabegesetze damals vornehmlich den Bereich Mindestlohn geregelt haben. Dieser ist in der Zwischenzeit Gott sei Dank geregelt. (Beifall bei der SPD) Es bleibt aber dabei: Aus europarechtlicher Sicht werden an die Einbeziehung strategischer Ziele ganz klare Anforderungen gestellt. Das ist aber so im Regierungsentwurf nicht verankert und sollte daher aus meiner Sicht im Sinne einer Eins-zu-eins-Umsetzung entsprechend angepasst werden. Kommen wir zum zweiten Aspekt, der meines Erachtens wichtig ist und tiefer gehend betrachtet werden muss. In Artikel 12 Absätze 1 und 4 der Richtlinie werden die vom EuGH entwickelten Ausnahmen vom Anwendungsbereich des Vergaberechts bei sogenannten Inhouse-Geschäften – das ist die vertikale Ebene – und bei der sogenannten interkommunalen Zusammenarbeit – das ist die horizontale Ebene – erstmals geregelt. Demnach fällt ein zwischen zwei oder mehr öffentlichen Auftraggebern geschlossener Vertrag nicht unter das Vergaberecht, wenn die Zusammenarbeit ein gemeinsames Ziel verfolgt und dem öffentlichen Interesse dient – das ist gerade schon dargelegt worden – und die Beteiligten auf dem offenen Markt weniger als 20 Prozent der durch die Zusammenarbeit erfassten Tätigkeiten erbringen. Der damalige Vorschlag der Kommission sah übrigens 10 Prozent vor und entsprach auch einem Urteil des EuGH. Nun ist es so: Auch wenn wir die europäische Vergaberichtlinie noch nicht abschließend in deutsches Recht umgesetzt haben, ist sie dennoch bereits geltendes Recht. Daher beschäftigen sich zum Teil auch schon unsere Gerichte damit. Dieser Bereich ist eben sehr kompliziert. Das Oberlandesgericht Koblenz hat sich vor diesem Hintergrund im Dezember 2014 mit der Definition des Wortes „Zusammenarbeit“ beschäftigt. Das Gericht hat ganz klar zum Ausdruck gebracht, dass es sich bei der interkommunalen Zusammenarbeit um eine echte Zusammenarbeit handeln muss – die Betonung liegt auf „Arbeit“ und nicht auf „zusammen“ –, das heißt, es kann sich nicht nur um die Erbringung einer Leistung gegen Bezahlung handeln. Das ist in den Kommunen momentan eigentlich eher gängige Praxis. Ich denke, auch darüber müssen wir im laufenden Gesetzgebungsverfahren noch einmal nachdenken. Darüber hinaus hat das OLG Celle ebenfalls im Dezember 2014 um eine Vorabentscheidung beim EuGH zum Thema Zweckverband gebeten. Die Gründung eines Zweckverbandes ist nämlich häufig die Folge, wenn die soeben beschriebene interkommunale Zusammenarbeit in die Kritik gerät. Das OLG Celle möchte ganz konkret wissen, ob die Aufgabenübertragung auf einen Zweckverband ein öffentlicher Auftrag sein kann, und falls ja, ob dieser Vorgang als Fall der Inhouse-Vergabe oder der interkommunalen Zusammenarbeit in den Anwendungsbereich des Vergaberechts fällt und daher ausgeschrieben werden muss. Die Kommunen vertreten in der Regel die Ansicht, dass die Gründung eines Zweckverbandes und die damit verbundene Aufgabenübertragung ausschreibungsfrei ablaufen kann, da es keinen Vertrag zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und dem Unternehmer und somit auch keinen Beschaffungsvorgang gebe. Die Gründung eines Zweckverbandes wird als Aufgabenbewältigung durch Eigenleistung der beteiligten öffentlichen Auftraggeber betrachtet, durch die nur öffentliche Interessen berührt werden und die durch das kommunale Selbstverwaltungsrecht nach Artikel 28 Absatz 2 des Grundgesetzes geschützt ist. Ich finde es deswegen äußerst spannend, wie der Europäische Gerichtshof diesbezüglich entscheiden wird; denn daran werden wir uns dann halten müssen. Grundsätzlich denke ich aber, dass wir national so oder so das Wort „Zusammenarbeit“ im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens klar definieren sollten, damit in der Zukunft schlicht keine vielfältigen Interpretationen stattfinden. Insgesamt halte ich die Vorlage, wie gesagt, für ausgewogen, wobei ich zugeben muss, dass ich mir auch noch weiter gehende Regelungen hätte vorstellen können. Denn mit der Vergaberechtsreform – das haben wir gehört – erhalten wir weder ein eigenes Vergabegesetz noch führen wir einen konsequenten Systemwechsel durch. Das Kaskadensystem bleibt in Teilen erhalten, anderes geht im Gesetz und in der dazugehörigen Verordnung auf. Mir ist klar, dass diese Forderungen vielleicht manchmal ein bisschen zu weit gehen, aber ich denke, wir nähern uns mit dem vorliegenden Gesetzentwurf diesen Vorstellungen an. Vielleicht gelingt uns ja dann bei der nächsten Novellierung des Vergaberechts der große Wurf. Gestatten Sie mir zum Abschluss noch eine persönliche Bemerkung. Sie zielt auch ein bisschen auf das ab, was der Kollege Held schon gesagt hat. Wir alle reden immer von Bürokratieabbau. Es wäre mit Sicherheit eine große Erleichterung, vor allem für unsere KMUs, wenn die Länder ihre Landesvergabegesetze an das neue Recht anpassen würden, vor allem vor dem Hintergrund, dass die elektronische Vergabe die Vergabe der Zukunft sein wird. 16 verschiedene Softwares und Regularien sind mit Sicherheit nicht das, was unsere Unternehmen brauchen können. Der Bund regelt mit diesem Gesetz – auch das ist schon erwähnt worden – ja nur die Vergabe oberhalb bestimmter Schwellenwerte; denn nur diesen Bereich geben auch die Richtlinien vor. Insofern wäre es ein Gewinn für die Wirtschaft, wenn man sich auch unterhalb dieser Schwellenwerte auf ein einheitliches Vergaberecht verständigen könnte, und vermutlich sogar auch eine Vereinfachung für die ausschreibenden Behörden; denn die Bundesländergrenzen sind für Bieter und Auslober aus meiner Sicht eine unliebsame und bürokratische Hürde, die wir mittel- und langfristig beseitigen könnten. Das wäre aus meiner Sicht einer der besten Beiträge zum Bürokratieabbau, den Bund und Länder gemeinsam leisten können. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin spricht Katharina Dröge von den Grünen. Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Dr. Gundelach, Sie haben zu Beginn Ihrer Rede gesagt, dass das Vergaberecht keine verkappte Gesellschafts- und Sozialpolitik sein soll. Ich muss sagen: In dieser Zuspitzung, so wie Sie sie formuliert haben, teile ich Ihre Aussage nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn man sich anschaut, was wir in der Vergabepolitik machen, muss man sagen: Die öffentliche Hand bewegt Milliarden. Jeder sechste Euro in der Europäischen Union wird durch die öffentliche Hand bewegt. Das ist ein Riesenvolumen. Damit ist der Staat der wichtigste Nachfrager für die Wirtschaft. Die Kriterien, die wir uns durch die Vergabepolitik geben, gestalten in erheblichem Ausmaße, wie wir unsere Wirtschaft lenken und ob wir auf dem Weg zu einer nachhaltigen und sozial gerechten Wirtschaft sind oder eben nicht. Darum geht es in der Vergabepolitik. Und damit hat die Vergabepolitik eine erhebliche Lenkungswirkung für ganz viele gesellschaftliche Bereiche, für ganz viele Bereiche unseres alltäglichen Lebens. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Um diese Kriterien, die wir heute mit der Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen beachten, geht es. An erster Stelle steht in der Vergabepolitik natürlich immer die Garantie eines fairen Wettbewerbs. Es geht darum, dass beispielsweise in einer Stadt – ich komme aus Köln – ein Auftrag an ein Unternehmen nicht allein deshalb vergeben wird, weil der Bürgermeister den Chef dieses Unternehmens vom Fußball kennt. (Marcus Held [SPD]: Das ist eine Unterstellung! Das ist unmöglich!) Darum geht es an erster Stelle in der Vergabepolitik. An zweiter Stelle geht es in der Vergabepolitik darum, dass die öffentliche Hand nicht nach der Maxime „Geiz ist geil“ verfahren darf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Sie darf nicht durch Vorgaben, die sie macht, und durch Preisgrenzen, die sie setzt, die Unternehmen, die die Angebote machen, zu Lohndumping und Preisdumping veranlassen. Das ist aus meiner Sicht nicht nur ein soziales, sondern auch ein ökonomisch sinnvolles, ein wirtschaftliches Kriterium; denn das billigste Angebot ist in ganz vielen Fällen nicht immer das wirtschaftlichste Angebot. Wenn man für die öffentliche Hand arbeitet, spielen Qualitätskriterien an vielen Stellen eine ebenso wichtige Rolle. Deshalb finde ich es so wichtig, dass die EU-Vergaberichtlinie den Begriff der Wirtschaftlichkeit hier noch einmal ausdrücklich verankert hat, um dieser Politik entgegenzuwirken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich habe die EU-Vergaberichtlinien an verschiedenen Stellen angesprochen. Herr Kollege Held, Sie haben sehr ausführlich und – wie ich finde – auch an vielen Stellen richtig geschildert, um welche Verbesserungen es bei der Novellierung des Vergabegesetzes geht. In erster Linie – das gehört auch zur Wahrheit – ist der Entwurf, den Sie als Bundesregierung vorlegen, eine Umsetzung von EU-Richtlinien. Das ist richtig und Ihr gutes Recht. Aber zur Wahrheit gehört auch dazu, dass man sagt, dass die EU-Vergaberichtlinien in erheblichem Maße dadurch verändert wurden, dass zum Beispiel meine Kolleginnen und Kollegen im Europaparlament – ich möchte hier insbesondere Heide Rühle als Berichterstatterin erwähnen – in erheblichem Maße Veränderungen daran durchsetzen konnten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Im Bereich „nachhaltige und soziale Beschaffung“, im Bereich „Fair Trade“, im Bereich „erleichterte Bedingungen für kleine und mittelständische Unternehmen“ hat meine Fraktion im Europaparlament Änderungen vorgenommen. Die können wir heute gemeinsam begrüßen. Die setzen Sie auch um, das ist richtig. Aber ich finde, das zu erwähnen, gehört zur Wahrheit der Geschichte dazu. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich habe gesagt, Sie setzen mit Ihrem Gesetzesentwurf viele richtige Vorgaben der Richtlinien um. Wir stehen erst am Anfang des Beratungsprozesses. Wir haben noch eine Ausschussanhörung. Wir haben noch eine Ausschussberatung. Ich hoffe, dass wir auch in einen Dialog treten können. An der einen oder anderen Stelle nutzen Sie nämlich Spielräume, die Ihnen der EU-Gesetzgeber gegeben hat, aus meiner Sicht nicht ausreichend. Darüber müssen wir miteinander sprechen. Zum Beispiel geht es um soziale Dienstleistungen. Wir haben in der Vergangenheit erfahren, dass die Vergabepolitik gerade im Bereich der Arbeitsmarktdienstleistungen und der sozialen Dienstleistungen dazu geführt hat, dass Preisdumping und Lohndumping die Folge waren. Wenn Träger, die einen Qualitätsanspruch hatten, oder Träger, die auf Tariflöhne gesetzt haben, bei der Vergabe nicht ausreichend berücksichtigt wurden, bekamen sie deswegen keinen Zuschlag und mussten sich vom Markt zurückziehen. Insolvenz war dann die Folge, und Personal wurde entlassen. Teilweise hat es dann zwar bei anderen Trägern neue Beschäftigung gefunden, aber zu deutlich schlechteren Bedingungen. Das wiederum hat negative Auswirkungen auf die Qualität der Dienstleistungen. Hier hat der EU-Gesetzgeber Spielräume vorgesehen, die in Ihrem Gesetzentwurf aus meiner Sicht – wir haben viele Stellungnahmen der Sozialverbände gelesen; Sie haben sie genauso bekommen wie wir – nur unscharf umgesetzt wurden. Hier gibt es noch Präzisierungsspielraum, den Sie nutzen sollten. Ich hoffe, dass wir in der Anhörung in einen konstruktiven Dialog eintreten können, um den Gesetzentwurf an dieser Stelle verbessern zu können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mit Blick auf die Zeit möchte ich es an dieser Stelle damit bewenden lassen. Ich habe noch eine Reihe von Punkten, die wir in der Anhörung beraten können. Ich muss ganz ehrlich sagen: Das Vergaberecht ist das wichtigste Steuerungsinstrument, das wir haben, um die Wirtschaft zu lenken. Es geht nicht um die Sanktionierung von Geschäftsmodellen, sondern es geht um das Befördern einer positiven, einer nachhaltigen, einer sozial gerechten Wirtschaft. Mit der Novellierung des Vergabegesetzes haben wir eine große Chance. Diese sollten wir im Parlament gemeinsam nutzen. Darauf freue ich mich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Barbara Lanzinger von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Barbara Lanzinger (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher! Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint: Das Vergaberecht ist eine wirklich spannende und vor allem wichtige Materie. Es geht um die Frage: Wie erteilt die öffentliche Hand Aufträge an die Wirtschaft? Vergaberecht muss fairen Wettbewerb garantieren. Nur wenn Unternehmen wissen, dass sie faire Chancen haben, gibt es auch viele Bewerberinnen und Bewerber – sonst nützen die ganzen Ausschreibungen nichts. Das ist wichtig für die öffentliche Hand, damit sie gute, innovative Angebote erhält und wirtschaftlich handeln kann. Das Vergaberecht ist aber auch wichtig für die Wirtschaft, vor allem für den Mittelstand. Öffentliche Aufträge haben ein Volumen von circa 300 Milliarden Euro im Jahr; Sie haben sogar von 400 Milliarden Euro gesprochen. Insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen ist das ein attraktiver Markt. Seit langem ist aber auch klar, dass das Vergaberecht komplex und auch sehr verschachtelt ist. Das erschwert gerade mittelständischen Unternehmen die Teilnahme an solchen Verfahren sowie ihre Durchführung. Nachdem es 2009 schon einmal einen Ansatz zur Vereinfachung des Vergaberechts gab, unternehmen wir nun einen neuen Anlauf. Anlass für die Reform sind auch diesmal neue Regelungen auf europäischer Ebene. Nicht alle europäischen Regelungen freuen uns, aber hier ist es aus meiner Sicht schon so. Wir erhalten die Gelegenheit zur weiteren Straffung und Vereinfachung des deutschen Vergaberechts. Wir sollten sie nutzen, und wir nutzen sie auch. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wir müssen drei EU-Richtlinien in deutsches Recht umsetzen: die Richtlinie über die öffentliche Auftragsvergabe, die Sektorenrichtlinie und die Konzessionsrichtlinie. Diese Modernisierung ist gut für die deutsche Wirtschaft; denn wir verschlanken die Struktur des Vergaberechts, wir schaffen klarere, flexiblere Regeln und bauen Bürokratie ab. Das Vergaberecht wird übersichtlicher. Die bisherige dreistufige Kaskade aus GWB – Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen –, Vergabeverordnung und Verdingungsordnungen wird teilweise aufgehoben – so wie es Kollegin Gundelach schon gesagt hat. Die Verdingungsordnungen – mit Ausnahme der für den Bau – werden in die Vergabeverordnung integriert. Die Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen, VOL, und die Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen, VOF, gehen künftig in der neuen Vergabeverordnung auf. Die Einzelheiten der Vergabeverfahren werden dort geregelt. Das ist geradezu ein Paradigmenwechsel. Deshalb ist es wichtig, dass das Parlament ein Mitspracherecht bei der Ausgestaltung der Verordnung bekommt, und zwar auch dann, wenn künftig Änderungen anstehen. Ein Paradigmenwechsel ist es auch, was die Struktur der Vergabeverfahren betrifft. Auftraggeber erhalten jetzt eine größere Wahlfreiheit hinsichtlich des Vergabeverfahrens. Ich denke, das ist sehr wichtig. Damit können sie Ausschreibungen noch besser an die spezifischen Anforderungen des jeweiligen Auftrags anpassen. Diese neue Wahlfreiheit hat auch Vorteile für Auftragnehmer: Wenn künftig häufiger das nichtoffene Verfahren gewählt wird, profitieren die Bieter davon. Die Angebotserstellung ist einfacher. Unternehmen können so ihre Ressourcen je nach Erfolgsaussicht der Bewerbung effizienter einsetzen. Dadurch fördern wir die Bereitschaft der Unternehmen, an öffentlichen Ausschreibungen überhaupt teilzunehmen. Das ist gut für den Wettbewerb. Transparenz und Chancengleichheit bleiben trotzdem gewahrt; denn auch jedem nichtoffenen Verfahren geht ein öffentlicher Teilnahmewettbewerb voraus. So steht jedem Unternehmen bei beiden Verfahrensarten eine Bewerbung grundsätzlich offen. Die Vereinheitlichung des Vergaberechts auf europäischer Ebene ist auch gut für den Wettbewerb innerhalb Europas; denn bei öffentlichen Ausschreibungen können sich Bieter aus dem gesamten europäischen Wirtschaftsraum bewerben – natürlich auch deutsche Firmen bei Ausschreibungen im Ausland. Je einheitlicher die Regelungen innerhalb der EU sind, desto weniger Barrieren gibt es für internationale Bewerbungen. Das liegt auf der Hand. Wichtig ist aber schon, die Verordnungen möglichst eins zu eins umzusetzen und möglichst wenige Ausnahmen zu machen. Die EU-Vergaberichtlinien lassen viel Spielraum, sie enthalten viele Kannvorschriften. Diese Spielräume sollten wir – das ist meine und unsere Meinung – möglichst erhalten. Denn sie machen das Vergaberecht flexibler und handhabbarer – für die öffentlichen Auftraggeber, aber auch für die Unternehmen. Ich nenne ein Beispiel: die Losvergabe. Die Richtlinie sieht vor, dass es den Auftraggebern überlassen bleibt, ob sie einen Auftrag gesamt oder aufgeteilt in mehrere Lose vergeben. Die Losaufteilung soll vor allem bewirken, dass sich mittelständische Unternehmen, KMUs, um Aufträge bewerben können. Wenn der Auftrag nicht geteilt wird, dann muss dies begründet werden. Ich meine, das ist eine sehr gute Lösung: Sie gewährleistet den Vorrang der Losaufteilung, schreibt ihn aber nicht zwingend vor. Damit ist die Flexibilität für Auftraggeber gewährleistet, und die Interessen des Mittelstandes bleiben ebenfalls gewahrt. Die strategischen Ziele wurden heute schon angesprochen. Auch hier müssen wir die Spielräume der EU-Vorgaben nutzen. Die sogenannten strategischen Ziele, also qualitative, umweltbezogene und soziale Aspekte, sind nicht neu, sie gibt es schon. Auch im aktuellen GWB haben Auftraggeber die Möglichkeit, solche Aspekte in die Vergabeentscheidung mit einzubeziehen. Ich denke, auch das hat sich bewährt. Eine stärkere Betonung dieser Ziele halte ich nicht für richtig; denn bei allen gutgemeinten Nebenzielen dürfen wir nicht das Wesen des Vergaberechts aus den Augen verlieren. Es geht darum, die zu vergebenden Mittel im Sinne der Steuerzahler effizient einzusetzen und das wirtschaftlichste Angebot auszuwählen. Wichtig ist aber, dass wir Wirtschaftlichkeit definieren. Es kommt zu oft vor, dass die Wirtschaftlichkeit vorrangig über Kosten und Preis definiert wird – das ist angesichts knapper Kassen manchmal verständlich –, aber nicht alles, was auf den ersten Blick wenig kostet, ist langfristig günstiger, nämlich dann nicht, wenn die Qualität nicht stimmt und kostenintensive Nachbesserungen notwendig sind. Daher meine ich, wir müssen die Wirtschaftlichkeit so definieren, dass sie neben Preis und Kosten zwingend auch die Qualität beinhaltet. (Beifall des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD]) – Danke. Konzentration auf das Wesentliche heißt auch: Das Vergaberecht darf keine Spielwiese – das sage ich ganz bewusst – für vergabefremde Ziele werden. Unternehmer, die öffentliche Aufträge übertragen bekommen, müssen gesetzestreu sein. Aber nicht jeder Verstoß muss zum Ausschluss aus dem Vergabeverfahren führen. Sanktionen für Verstöße gegen das Mindestlohngesetz oder auch gegen die Regelungen zur Frauenquote zum Beispiel sollten nicht indirekt über das Vergaberecht erfolgen; das wäre unverhältnismäßig. Ich sage ganz bewusst: Leistungserbringung hat nichts mit Quoten zu tun. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das stimmt nicht!) Vorhin wurde das Thema Gemeinnützigkeit in Bezug auf Rettungsdienste angesprochen. Es geht hier aber nicht um Gemeinnützigkeit – das ist wichtig, zu erwähnen –, sondern es geht um den Zivil- und Katastrophenschutz; somit können die Aufträge frei an die Unternehmen vergeben werden. Ich komme zum Schluss; (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, reicht jetzt!) ich hätte zwar noch ein paar Punkte, aber die Zeit ist zu kurz. Was wollen wir mit dem neuen Vergaberecht erreichen? Wir wollen Qualität und Wettbewerb stärken, wir wollen Bürokratie abbauen und den Mittelstand fördern. Konzentrieren wir uns auf das Wesentliche, dann sind wir auf einem guten Weg. Ich möchte mit Ludwig Erhard schließen, der gesagt hat: Je freier die Wirtschaft, desto sozialer ist sie auch. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Da hat er sich geirrt!) Helmut Schmidt hat einmal sehr gut gesagt: Märkte sind wie Fallschirme – sie funktionieren nur, wenn sie offen sind. In diesem Sinne: Lassen Sie uns weiter diskutieren. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als letzter Redner in dieser Debatte hat Bernd Westphal von der SPD das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bernd Westphal (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden die wesentlichen Regelungen der neuen EU-Vergaberichtlinie in deutsches Recht umgesetzt. Im Grundsatz geht es darum, faire Ausschreibungsbedingungen, aber auch soziale und Umweltbelange mit einzubeziehen. Es sollen jene Unternehmen von den öffentlichen Vergaben profitieren, die zum Beispiel durch Tarifverträge, durch die Einhaltung von Arbeitsschutzstandards oder durch Mitbestimmung wichtige Aspekte der sozialen Marktwirtschaft erfüllen. Es geht heute um die Regeln, nach denen unser Staat die öffentlichen Aufträge vergibt. Es geht – wir haben es eben gehört – um riesige Milliardenbeträge jedes Jahr. Der Staat, der auf allen Ebenen gefordert ist – das erleben wir gerade in den letzten Wochen und Monaten –, muss bestimmen, nach welchen Regeln das erfolgt. Deshalb gibt es ein ausgefeiltes System im Vergaberecht mit verschiedenen Verordnungen, Richtlinien und Gesetzen, die die Beschaffung der öffentlichen Hand regeln. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf haben wir erstmals seit zehn Jahren die Chance, das Vergaberecht zu modernisieren. Ziel ist, das bestehende Recht in Anpassung an die europäischen Regelungen flexibler und übersichtlicher zu gestalten. Die Möglichkeiten zur Berücksichtigung zusätzlicher sozialer Kriterien bei der Vergabe werden erweitert. Die Nachhaltigkeit spielt bei der Beschaffung eine wichtige Rolle. Als Mitglied des Parlamentarischen Beirates für nachhaltige Entwicklung finde ich diesen Aspekt besonders wichtig. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Eine Modernisierung versprechen wir uns auch von der elektronischen Vergabe. Für das eine oder andere kleinere Unternehmen ist das sicherlich eine Hürde; aber das ist ein Beitrag – Stichwort: E-Governance –, um die Modernisierung der Verwaltung auf den Weg zu bringen. Voraussetzung für diese Vergaben ist, dass die öffentliche Hand in der Lage ist, Investitionen zu tätigen. Deshalb hat sich gerade die Sozialdemokratie für eine Entlastung der Kommunen eingesetzt; denn dadurch haben sie den notwendigen finanziellen Spielraum, um diese Aufträge vergeben zu können, um diese Infrastrukturmaßnahmen leisten zu können. Wir haben von der Fratzscher-Kommission, die vom Wirtschaftsministerium eingesetzt wurde, eine ganze Reihe von Vorschlägen aufgezeigt bekommen, wo öffentliche Investitionen getätigt werden müssen. Dabei geht es vor allen Dingen um die Infrastruktur, also um die Sanierung von Brücken und Straßen, um die Sanierung von öffentlichen Gebäuden, aber natürlich auch um Investitionen im Bildungsbereich. Dafür sind Mittel zur Verfügung zu stellen. Im Bereich der Infrastruktur ist es wichtig, dass wir nicht nur Schlaglöcher, sondern auch Funklöcher beseitigen und die digitale Entwicklung unseres Landes voranbringen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Heinz Riesenhuber [CDU/CSU]) Mit diesem Gesetz kann, wie schon gesagt, eine Menge geregelt werden. Es geht auch darum, Investitionen anzureizen und abzusichern. Nach Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfs profitiert unser Land von den sozialen und ökologischen Standards, die damit gesetzt werden. Deswegen freue ich mich auf die weiteren Beratungen im Ausschuss. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/6281 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Caren Lay, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Bad-Bank-Pläne der Atomkonzerne zurückweisen – Rückstellungen der AKW-Betreiber in einen öffentlich-rechtlichen Fonds überführen – zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Keine Bad Bank für Atom – Rückstellungen der Atomwirtschaft in öffentlich-rechtlichem Fonds sicherstellen Drucksachen 18/1959, 18/1465, 18/6382 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat Nina Scheer von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Nina Scheer (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über zwei Anträge der Oppositionsfraktionen und stimmen auch darüber ab. In den Anträgen geht es um die Folgelasten der Nutzung von Atomenergie. Uns liegt ein Antrag der Linken mit dem Titel „Bad Bank-Pläne der Atomkonzerne zurückweisen – Rückstellungen der AKW-Betreiber in einen öffentlich-rechtlichen Fonds überführen“ und ein Antrag der Grünen mit dem Titel „Keine Bad Bank für Atom – Rückstellungen der Atomwirtschaft in öffentlich-rechtlichem Fonds sicherstellen“ vor. Ich möchte vor allem erst einmal darauf hinweisen, dass wir schon eine sehr lange Zeit über dieses Thema sprechen und wir es gesellschaftlich verschlafen haben, während der Jahrzehnte, in denen wir die Atomenergie genutzt haben, mitzudenken, was wir mit den Folgelasten der Atomenergienutzung anstellen. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir nicht!) Die gesamte Gesellschaft war nicht in der Lage dazu, vom Beginn der Nutzung der Atomenergie an hierfür Sorge zu tragen. Das bestätigt sich etwa darin, dass nach Berechnungen des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft allein von 1970 bis 2014 umgerechnet 219 Milliarden Euro an Subventionen geleistet wurden. Das FÖS hat ebenfalls ausgerechnet, dass in Rückbau und Endlagerung 30 bis 70 Milliarden Euro fließen werden. Allein diese Spanne von 30 bis 70 Milliarden Euro verdeutlicht vor allem eines: Es ist absolut unabsehbar, wie viel Last in ökonomischer Hinsicht da wirklich auf uns zukommt. Wir wissen, dass es bei Großprojekten, die ja für sich genommen Schritte und Maßnahmen umfassen, die wir alle beherrschen, zu Kostenexplosionen kommen kann – ich nenne nur den Berliner Flughafen; es wurde in Deutschland ja bisher nicht nur ein Flughafen gebaut –, die wir kaum zu beherrschen wissen. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tja, in Berlin regiert eben die SPD!) Da kann man sich, denke ich, ausmalen, welche Anforderungen beim Umgang mit höchst gefährlichem Material an uns alle gestellt werden. Bis heute gibt es weltweit keine Endlagermöglichkeiten für den Müll. Insofern finde ich es bezeichnend, aber auch zutreffend, was ich im Handelsblatt – es ist gut, dass es inzwischen auch dort solche Stimmen gibt – gelesen habe. Ich möchte das Handelsblatt zitieren: Atomkraft? Nie wieder! Zu riskant, zu teuer: Die Geschichte der Kernenergie in Deutschland ist ein einzigartiges Fiasko – zumal jetzt auch noch die Bürger für die finanziellen Folgen geradestehen sollen. Deutschland hätte sich auf dieses Abenteuer nie einlassen dürfen, das am Ende mehrere Hundert Milliarden Euro kosten könnte. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Solche Stimmen nun breit in der Gesellschaft und auch in den Medien zu vernehmen, ist wichtig; das führt uns auch die Brisanz der hiermit aufgeworfenen Fragen vor Augen. Wenn man sich überlegt, wer dafür die Verantwortung zu übernehmen hat, dann ist an allererster Stelle das Verursacherprinzip zu nennen, das in unserer Rechtsordnung ganz klar verankert ist. Damit sind natürlich die AKW-Betreiber und die Konzerne, zu denen die AKW-Betreiber gehören, angesprochen, und zwar was die Stilllegung, den Rückbau, aber auch die Endlagerung betrifft. (Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) Sie müssen grundsätzlich für alle Folgen aufkommen. Wenn man sich vergegenwärtigt, was ich zu Anfang gesagt habe – welche immensen, unabsehbaren Kosten auf uns zukommen können –, folgt daraus natürlich auch, dass man eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung hat, Sorge zu tragen, dass dafür Vermögen vorhanden ist bzw. dass man dem tatsächlich gerecht wird, wenn diese Pflichten zu erfüllen sind. Wir merken, dass es eine hochgradige gesellschaftliche Abhängigkeit von der Zahlungsfähigkeit der Konzerne gibt – ich denke, in einem Ausmaß, das wir noch nie hatten und das, wie ich bereits sagte, nicht eindeutig zu beziffern ist. Hier müssen wir eine gesellschaftlich-politische Verantwortung übernehmen. Es ist richtig, dass dieses Anliegen auch in den Anträgen der Oppositionsfraktionen zum Ausdruck kommt. Aber genauso wichtig ist, hier zu erwähnen, dass auch vonseiten der Regierungskoalition bzw. des Wirtschaftsministeriums entsprechende Schritte unternommen werden, und das nicht erst als Reaktion auf die Oppositionsanträge. So möchte ich nennen: Zunächst ist vom Wirtschaftsministerium ein Stresstestgutachten in Auftrag gegeben worden. Es ist ein Gesetzentwurf zur Konzernnachhaftung in Planung, der auch gleich zu Veränderungen der Aufspaltungspläne bei Eon geführt hat. Jetzt ist die Einsetzung einer Kommission in Planung, die den Umgang mit den Konzernen regeln und klären soll, wie man sowohl die Mittel aus den steuerfreien Rückstellungen als auch die Mittel in Bezug auf die weitergehenden Haftungen, die nach dem Verursacherprinzip gegeben sind, sicherstellen kann. In den nächsten Wochen wird sich diese Kommission zusammensetzen. In den nächsten Wochen wird auch die Konzernnachhaftung im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens parlamentarisch behandelt werden. Trotz der aktuellen dramatischen Situation – so möchte ich sie nennen – möchte ich den optimistischen Ausblick wagen, dass in den nächsten Monaten weitere ernsthafte Schritte in Richtung einer – ja, wie soll man es in den letzten drei Sekunden mit den besten Worten ausdrücken? – Haftungsübernahme unternommen werden und dass wir es auf jeden Fall hinbekommen, die notwendigen Schritte in die Wege zu leiten und einen rechtssicheren Rahmen zu schaffen. An dieser Stelle bleibt mir nur, zu sagen: Die vorliegenden Anträge kann man angesichts der geplanten Vorhaben, die ich genannt habe, nur ablehnen, auch wenn ich anerkenne, dass die Anliegen, die in diesen Anträgen formuliert sind, natürlich durchaus richtig und lobenswert sind. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Ralph Lenkert von der Linken das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Ralph Lenkert (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wer zahlt die Zeche? Normalerweise der, der bestellt! Das heißt, für die Lagerung des Atommülls und für die Stilllegung und den Rückbau der Atomkraftwerke müssten selbstverständlich die Energiekonzerne Eon, RWE, Vattenfall und EnBW zahlen. Angeblich haben die Atomkonzerne 35 Milliarden Euro an Rückstellungen. Egal ob wir von 50 Milliarden Euro, 80 Milliarden Euro oder 100 Milliarden Euro reden, die wir für den Rückbau der Atomkraftwerke und für die Endlagerung von Atommüll brauchen: Diese Rückstellungen werden nicht reichen. Wenn jetzt nicht gegengesteuert wird, müssen wir fürchten, dass die Hinterlassenschaften von 50 Jahren Atomkraftnutzung der Gesellschaft aufgedrückt werden. Das lehnt die Linke ab. Für uns gilt: Wer bestellt, der zahlt. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Koalitionäre, haben Sie aus den Manövern von Eon, RWE und Co. eigentlich nichts gelernt? Zuerst versuchten die Konzerne, sich per Ablasshandel von der Verantwortung freizukaufen und dann eine Bad Bank zu gründen – und das alles, um der Gesellschaft den Atommüll anzudrehen. Die Bundesregierung verhinderte wenigstens, dass sich Eon von der Atomsparte trennt. Ihr Gesetzentwurf zur Haftung der Mutterkonzerne für ihre Atomtöchter fehlt aber nach wie vor. Die Rückstellungen sind sicher, sagt die Regierung. Doch selbst ihr Gutachter, Herr Irrek, zerpflückt die eigenwillige Argumentation bei dieser Betrachtung. (Barbara Lanzinger [CDU/CSU]: Unabhängiger Gutachter! Das ist Quatsch!) Liebe Koalitionäre, kennen Sie das Insolvenzrecht? Maximal zehn Jahre rückwirkend besteht die Möglichkeit, auf ehemalige Vermögenswerte der Atomkonzerne zuzugreifen. Der Rückbau der AKW und der Aufbau der Endlager dauern jedoch noch viele Jahrzehnte – genügend Zeit für die Konzerne, das Geld beiseitezuschaffen. Ich erinnere Sie an den PCB-Skandal in Dortmund. Dort wurde mit krebserregenden Chlorverbindungen – mit PCB – aus Profitgründen nachlässig gearbeitet. Die Gewinne wurden aus dem Unternehmen gezogen. Gleichzeitig wurden Mitarbeiter und Umwelt vergiftet. Dann ließ man das Unternehmen in die Insolvenz gehen, und für die Sanierung der Umweltschäden fließen jetzt viele Millionen Euro – aus dem Steuertopf. Sie haben anscheinend noch nichts gelernt; (Beifall bei der LINKEN – Bernd Westphal [SPD]: Natürlich!) denn wenn Sie etwas gelernt hätten, dann würden Sie heute die Anträge der Grünen und von uns, den Linken, nicht ablehnen. (Beifall bei der LINKEN) Wir wollen die Rückstellungen in einem Fonds unter öffentliche Kontrolle bringen. Aus Erfahrung wissen wir: Das ist verdammt notwendig. Denn oftmals versuchen Manager und Aktionäre alles, nur um nicht zahlen oder haften zu müssen. Dagegen muss sich unsere Gesellschaft wehren. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir müssen verhindern, dass sich die Rückstellungen der Atomkonzerne in Luft auflösen – sei es, weil alte Anlagen oder Kohlekraftwerke zu Rückstellungen erklärt werden, weil profitable Unternehmensteile scheibchenweise ausgegründet werden oder weil die leeren Hüllen der ehemaligen Atomkonzerne letztendlich in Insolvenz gehen. Vor diesen Gefahren müssen die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler geschützt werden. Das sehen Sie von der Koalition doch hoffentlich genauso. Seit Montag gibt es wenigstens ein bisschen Hoffnung auf Vernunft bei der Bundesregierung. Jetzt wird nämlich eine Kommission eingesetzt, die die Höhe, das Vorhandensein und die Verfügbarkeit der Rückstellungen für den Atommüll untersuchen soll. Ich kann nur wünschen, dass sich die Kommission durchsetzt und Abstand zu den Konzerninteressen bewahrt. Damit aber dauerhaft sichergestellt wird, dass beim Atommüll die Verursacher die Zeche zahlen, müssen wir die Rückstellungen in einem öffentlichen Fonds sichern. Das sagt übrigens auch Ihr eigenes Gutachten, und das geht auch ganz einfach: Stimmen Sie heute den Anträgen der Grünen und von uns, den Linken, zu. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Jens Koeppen von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Jens Koeppen (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das klingt schon alles sehr abenteuerlich, was man hier hört, etwa der Kampfbegriff „Bad Bank“ für Atomrückstellungen. Die gibt es ja gar nicht; das sind von Ihnen erfundene Kampfbegriffe. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Es ist der Kampf der Konzerne!) Es gibt keine Bad Bank für Atomrückstellungen. Die vorliegenden Anträge stammen aus dem Mai und dem Juli 2014, wurden jetzt herausgeholt und uns wieder vorgelegt. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Weil jetzt die Zeit dafür ist!) Sie selbst haben in Ihrem Antrag geschrieben, dass Sie die Bad-Bank-Pläne Medienberichten entnehmen. Da muss ich Sie fragen: Wie professionell ist es, Medienberichte zum Anlass zu nehmen, im Deutschen Bundestag einen Antrag vorzulegen? Ich halte das für abenteuerlich. Dann kommt wieder die alte Geschichte der vier großen bösen Energieversorger, die, sage ich einmal, die Gewinne privatisieren (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Verluste sozialisieren! Leider!) und die Kosten vergesellschaften, die die Steuerzahler schröpfen, die Gesellschaft zugrunde richten usw. usf. Dazu muss ich Ihnen sagen: Bei den Rücklagen, die Sie ansprechen, ist es doch immer so gewesen – das wissen Sie auch –, dass sie Konsens waren, dass diese Rücklagen natürlich staatlich festgelegt und auch immer gelenkt waren. Ich komme dazu auch noch auf Ihre eigene Regierungszeit zu sprechen. Sie wissen auch, dass die friedliche Nutzung der Kernenergie politischer Konsens war, dass die Nutzung der Kernenergie dazu beigetragen hat, Deutschland als Industriestandort zu wirtschaftlichem Erfolg zu verhelfen. Das war eine saubere Energieform. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie sauber sie ist, sehen wir jetzt! Darum sind die Kosten ja so viel!) Diese Energieform ist verfügbar, grundlastfähig und auch regelbar. Auf der anderen Seite – da haben Sie natürlich recht, deswegen gibt es den Konsens über den Ausstieg – gibt es die Frage: Was ist mit dieser Risikotechnologie? Vor allen Dingen – das ist besonders wichtig –: (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer zahlt?) Was ist mit den Endlagerkosten? Deswegen ist dieser Ausstieg im politischen Konsens beschlossen worden. Den einen ging er zu schnell – auch ich gehöre dazu –, zu abrupt, weil wir mit den Erneuerbaren und Alternativen noch nicht so weit sind. Ihnen ging er zu langsam. Aber jetzt können wir sehen, wie wir damit umgehen. Sie aber fordern, die Konzerne zu zerschlagen. Wem nützt das? (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo lesen Sie das denn, dass die zerschlagen werden sollen? – Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Wo steht das denn?) Wir werden die vier großen Konzerne benötigen, um den Weg ins Zeitalter der erneuerbaren Energien zu gehen. Meine Damen und Herren, was ist geplant gewesen? Welche Überlegungen gab es? Es gab die Überlegung, möglicherweise eine öffentlich-rechtliche Stiftung zu gründen und so die Stilllegung und die Endlagerkosten mit den 36 Milliarden Euro an Rückstellungen zu begleiten. Das war ein Konzeptpapier der Konzerne, die gefragt haben: Wie wollen wir jetzt damit umgehen? Sie müssen zugeben, dass diese Überlegung berechtigt ist; denn wir haben den Konzernen politisch, obwohl es andere Agreements gab, ganz abrupt das Geschäftsmodell entzogen. Dann wird man auch darüber nachdenken dürfen, was in dieser Situation zu machen ist. Bündnis 90/Die Grünen verurteilen in ihrem Antrag diese öffentlich-rechtliche Stiftung. Zwei Absätze weiter fordern sie die Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Fonds – das ist genau das Gleiche – mit Sicherung der Rücklagen, also der 36 Milliarden Euro, allerdings mit einem gewissen Unterschied: Sie fordern von den Unternehmen eine Ewigkeitsgarantie. Meine Damen und Herren, es gibt keine Garantie für die Ewigkeit, bei keinem Unternehmen und nirgendwo auf der Welt. Übrigens fordern Sie auch nicht die Ewigkeitsgarantie bei Windkraftanlagen in dem Fall, dass sie abgebaut werden müssen, oder bei Solaranlagen dafür, dass sie recycelt werden müssen usw. (Klaus Mindrup [SPD]: Sie müssen Bürgschaften hinterlegen! – Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Kennen Sie den technischen Unterschied zwischen Aluminium und Stahl und Uran und Plutonium?) Von diesen Unternehmen fordern Sie keine Ewigkeitsgarantie. Also, warum dort? Meine Damen und Herren, die Debatte um die Höhe der Rücklagen ist wirklich sehr alt. Natürlich gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, ob diese Rücklagen in Höhe von 36 Milliarden Euro ausreichen oder ob sie nicht ausreichen. Ich muss noch einmal daran erinnern: Sie sind politisch festgelegt und gelenkt. Wer allerdings heute beklagt, dass die Rücklagen nicht ausreichen, der sollte wissen, dass zur Zeit der rot-grünen Bundesregierung mächtig in die Kasse der Rücklagen gegriffen wurde. Ich will Ihnen das auch erläutern. 2001 gab es eine Stellungnahme der Bundesregierung an die Europäische Kommission. Darin hieß es von der rot-grünen Bundesregierung, also Ihrer Regierung, dass die deutschen Rückstellungssysteme bewährt seien, dass die Rückstellungen in der Höhe ausreichend seien und dass es wirklich keinen Reformbedarf gebe. Darüber hinaus haben insbesondere Sie – auch das ist verbrieft – oft gesagt, dass die Rückstellungen zu hoch sind, dass sie zu schnell gebildet werden und die steuerlichen Vorteile für die Unternehmen daraus einen Wettbewerbsnachteil für andere Energieträger darstellen. Deswegen müsse man die Rückstellungen, was die Schnelligkeit ihrer Bildung und die Höhe betrifft, begrenzen. Das alles kann ich Ihnen zeigen, es sind Ihre Worte. Deswegen hat der damalige Finanzminister Oskar ­Lafontaine – der ja danach die Flucht ergriffen hat – mit Ihnen zusammen in die Kasse gegriffen. Er sagte, dass es nachträgliche Besteuerungen für die Atomkonzerne geben muss. Das hat zur Folge, dass jetzt 50 Milliarden D-Mark in den Rückstellungen fehlen. Meine Damen und Herren, das ist zwar gut für den rot-grünen Haushalt gewesen, aber sehr schlecht mit Blick auf das, was Sie heute beklagen. Was ist das Fazit aus dieser Geschichte? Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hat jetzt einen Stresstestbericht vorgelegt. Dort ist die Bewertung der Rückstellungen ganz klar. Es wird gesagt, dass die Gutachter davon ausgehen, dass die Rückstellungen ausreichend sind. Jetzt gibt es natürlich auch andere Gutachten. Daher ist es auch nicht verwunderlich, wenn Sie sagen: Wir brauchen 78 Milliarden Euro. – Dann kommt aber noch jemand, der mit seiner Zahl genau dazwischen liegt. Ich gehe von dem Stresstestbericht aus, den die Bundesregierung vorgelegt hat. Natürlich müssen wir schauen, wie wir jetzt gemeinsam den Weg ins Zeitalter der erneuerbaren und der alternativen Energien gehen. Ich kann Ihnen nur sagen, dass es niemandem nützt, wenn wir große Konzerne – deutsche Firmen bzw. international erfolgreiche Firmen – zerschlagen. Wir werden die Energieversorgungsunternehmen nach wie vor – gerade auf dem Weg hin zu den erneuerbaren Energien bzw. im Zeitalter der alternativen Energien – brauchen. Wir brauchen sie auch bei der Stilllegung bzw. bei der Endlagerung. Weiter brauchen wir sie, wenn es darum geht, neue Technologien zu entwickeln und auszuprobieren. Das wiederum ist ein gesamtgesellschaftlicher Konsens – genauso wie es damals einen gesamtgesellschaftlichen Konsens im Hinblick auf die Nutzung der Kernenergie gab. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Sylvia Kotting-Uhl von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Koeppen, ich habe keine Lust und leider auch keine Zeit, mit Ihnen noch einmal die Schlachten der Vergangenheit zu schlagen. Es war wieder erkennbar, wie sehr Sie den Atomausstieg bedauern und wie sehr Sie gerne die Zeit zurückdrehen würden. Allein, wir haben ihn. Und wir haben ihn hier beschlossen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich will aber – von den vielen Dingen, die Sie so halb richtig formuliert haben – doch kurz auf einen Punkt eingehen. Sie sagten, wir hätten immer beklagt, die Rückstellungen seien zu hoch. Das war ein Teil der Klage, in der Tat. Wir haben gesagt: Angesichts mangelnder Transparenz kann man nicht wissen, ob sie vielleicht zu hoch oder zu niedrig sind. – Diese Transparenz ist jetzt ein Stück weit mehr hergestellt. Dafür bin ich auch sehr dankbar. Aber ich will trotzdem sagen: Dieser Stresstest stellt keine rein positive Botschaft dar; er sagt nicht: Wir brauchen uns keine Sorgen zu machen. – Ich will nur zwei Zitate aus dem Stresstestbericht anführen. Es heißt auf Seite 19: Aus dieser Feststellung und daraus, dass das Vermögen der EVU die Verpflichtungen abdeckt, – das wird festgestellt – kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass die Finanzierung der künftigen Entsorgungskosten sicher ist. Ein zweites Zitat findet sich auf Seite 100: Das Risiko, dass über die Gesamtdauer der Entsorgung … eine Unterdeckung eintritt, liegt nach dieser Grafik deutlich über 25 %. Das ist, finde ich, keine Ausgangslage, die berechtigt, sich keine Sorgen zu machen. Ich will ganz ehrlich sagen: Die Koinzidenz, die darin lag, dass die Aktienkurse der Energieversorger abstürzten und dann – nachdem noch wenige Tage vorher die Nachricht etwas anders lautete – die frohe Botschaft kam „Macht euch keine Sorgen, es ist alles in Ordnung“, bringt zumindest mich nicht dazu, hundertprozentiges Vertrauen in diese Botschaft zu haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich glaube, ein gewisses Misstrauen und eine gewisse Vorsicht sind hier durchaus angebracht. Ich komme zum Nachhaftungsgesetz. Ich finde, das ist ein richtiges Gesetz. Es ist der richtige Zeitpunkt dafür. Das ist ein notwendiger erster Schritt; aber es schützt uns auch nicht vollkommen. Die Parole „Eltern haften für ihre Kinder“ ist gut und richtig, nur haben wir jetzt durch den Abspaltungsvorgang bei Eon nicht mehr die Sorge, dass sich die Mutter der Haftung entzieht. Vielmehr entzieht sich das Kind natürlich der Haftung; denn es ist ja auch gar nicht vorgesehen, dass es haftet. Das heißt, Uniper wird eben nicht für Eon haften. Eon ist zuständig für die AKW-Sparte und damit auch für die Rückstellungen. Wir haben im Moment eine starke Debatte mit vielen Akteuren – leider muss ich da auch den NRW-Minister Duin von der SPD nennen –, die sagen: Halt, was heißt hier „Eltern haften für ihre Kinder“? Es gab doch zwei Elternteile. Es gab die Mutterkonzerne, und es gab Vater Staat. Also muss auch Vater Staat mit in die Haftung, vor allem in die finanzielle Haftung genommen werden. – Da muss ich sagen: So haben wir nicht gewettet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) So waren all die Abmachungen auch nicht von Anbeginn. Es ist richtig: Die Konzerne oder die Vorgänger der Konzerne mussten damals von der Politik etwas zum Jagen getragen werden. Aber sie haben nie protestiert, als es darum ging, über die Jahrzehnte Milliarden über Milliarden mit diesen Atomkraftwerken zu verdienen. Sie haben bis heute – das kommt erst jetzt – auch nie einen Zweifel daran gelassen, dass sie am Ende für die Entsorgung zuständig sind und dafür Rückstellungen bilden müssen. Jetzt, wo absehbar wird, dass es etwas eng werden könnte, jetzt, wo sie sagen: „Huch, plötzlich kommt die Politik mit lauter Entscheidungen, auf die wir uns ja gar nicht einstellen konnten, und jetzt verdienen wir ja auf einmal auch gar nicht mehr so viel“, soll die Politik einspringen. Es ist nicht die Aufgabe der Politik, in vorauseilendem Gehorsam zu sagen: Ja, das machen wir schon. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vielmehr ist es Aufgabe der Politik, sich ganz klar an die Seite der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zu stellen und erst einmal dafür zu sorgen, dass die Verpflichtungen der Energieversorger auch von ihnen getragen werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vielleicht noch etwas zum Insolvenzrisiko der Konzerne, das ja jetzt immer auch der öffentlichen Hand, dem Staat zugeschoben wird. Es heißt: Ihr habt den Atomausstieg gemacht, ihr kommt jetzt plötzlich mit Endlagersuche an. Das konnten wir ja alles gar nicht ahnen. – Ich will sagen: Das Insolvenzrisiko der Energiekonzerne hängt nicht davon ab, ob ein öffentlich-rechtlicher Fonds gegründet wird oder ob jetzt Rückstellungen verlangt werden, um die lange bestehenden Verpflichtungen zu sichern. Das Insolvenzrisiko der Konzerne hängt ganz allein von ihrer Fähigkeit ab, ihr Geschäftsmodell profitabel zu entwickeln. Das ist Aufgabe der Konzerne und im eigenen Interesse. Es ist nicht Aufgabe der öffentlichen Hand und der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, für ein falsches Geschäftsmodell verantwortlich zu sein und am Ende dafür zu zahlen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ein Konzern wie RWE, der 5 Prozent erneuerbarer Energien in seinem Portfolio hat, muss sich schleunigst umstellen; sonst kann er nicht nur für die Rückstellungen nicht aufkommen, sondern wird auch sehr schnell insolvent sein. Zum Schluss. Der Bundestag, wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen uns entscheiden, an wessen Seite wir stehen. Wir können uns an die Seite der Konzerne stellen. Wir können uns aber auch an die Seite der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler stellen. Wer das nicht tut, wer sich nicht an die Seite der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler stellt und dafür sorgt, dass sie nicht die verfehlten Verpflichtungen der Konzerne übernehmen, wird das den Bürgern erklären müssen. Stimmen Sie unserem Antrag zu! Dann stehen Sie auf der richtigen Seite. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Barbara Lanzinger von der CDU/CSU das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Barbara Lanzinger (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Besucherinnen und Besucher! Nach dem Beschluss des Bundestages, aus der Atomenergie bis 2020 auszusteigen, heißt es für uns: Wir müssen uns nicht nur Gedanken darüber machen, wie wir die Umstellung unseres Energiesystems meistern – das ging dann ja doch recht schnell –, sondern auch, wie wir gemeinsam die nukleare Energie zurückbauen und entsorgen. Dass diese Technologie nicht ohne Einschränkungen nutzbar sein wird, war uns, denke ich, schon von Anfang an klar. Wir haben bereits 1960 das Atomgesetz erlassen. Ein Gesetz, in dem klar geregelt wird, dass die Betreiber von Kernkraftwerken auch für den Rückbau und die Entsorgung verantwortlich sind – getreu dem Verursacherprinzip. (Beifall der Abg. Ute Vogt [SPD]) Und genau dieses Prinzip gilt auch heute noch für uns. Aus dieser Verantwortung wollen und werden wir die Energieunternehmen auch nicht entlassen. Das steht für uns auch gar nicht zur Debatte. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Deshalb haben wir auch im Koalitionsvertrag festgelegt, dass wir „von den Kernkraftwerksbetreibern ihre Mitwirkung an der Energiewende und die Wahrnehmung ihrer Verantwortung für die geordnete Beendigung der Kernenergienutzung erwarten“ und dass wir auch erwarten, „dass die Kosten für den Atommüll und den Rückbau der kerntechnischen Anlagen von den Verursachern getragen werden“. Dafür müssen und mussten die Konzerne Rückstellungen bilden. Eines steht für uns fest: Betrieb und Rückbau sind ein Gesamtpaket und nicht verschiedene Teile. Es darf jedoch nicht sein, dass die Energieversorgungsunternehmen ihre Verantwortung mit der Auszahlung von Rückstellungen weitergeben bzw. übergeben. Hierfür müssen wir die rechtlichen Ansprüche und Konsequenzen klären. Neben der Verantwortung der Kernkraftbetreiber müssen wir aber auch darauf achten, dass die Rahmenbedingungen für die Betreiber vernünftig sind, um den Energieversorgern ein Wirtschaften zu ermöglichen und ihre Vermögenswerte auch nicht zu entwerten. Wenn wir als Politik ständig über neue Orte diskutieren, die für ein Endlager geeignet sind, und ständig neue Anforderungen stellen, dann haben die Unternehmen keine Planungssicherheit. Dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn die Rückstellungen dann nicht ausreichen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist nicht sinnvoll, ständig über die Insolvenz dieser Unternehmen zu spekulieren und sie regelrecht herbeizureden, wie Sie das machen. Diese Unternehmen spielen für uns schließlich noch für lange Zeit eine wichtige Rolle für unsere Versorgungssicherheit. Deshalb haben wir neben den finanziellen und gesellschaftsrechtlichen Fragen auch insbesondere verfassungsrechtliche Fragen zu klären. Ganz anders lesen sich Ihre Anträge und das von Ihnen in Auftrag gegebene Gutachten. Dieses kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Unternehmen bewusst ihrer Verantwortung entziehen würden. Das kann man so nicht stehen lassen. Eine Rückstellungsbildung bedeute zwangsläufig – so Sie und Ihre Gutachten –, dass Gelder für den Zweck der Finanzierung von Rückbau und Ewigkeitslasten angelegt würden. Diese Argumentation ist nicht sachgerecht. Ich kann mir die Forderung aus Ihrem Gutachten, die Versorgungsunternehmen nicht nur finanziell zu belangen, sondern auch noch ihr Eigentum an Sachanlagen und Beteiligungen im Netzbereich und gegebenenfalls sogar im Energievertriebsbereich in einen Fonds zu überführen, überhaupt nicht erklären. Das kann man nicht gutheißen. Das käme einer Enteignung gleich. Das ist Sozialismus pur. So etwas dulden wir nicht, und so etwas tragen wir auch nicht mit. (Beifall bei der CDU/CSU – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben die Gutachter des Wirtschaftsministeriums empfohlen!) Vor kurzem habe ich zu dem Thema ein interessantes Zitat von Ihnen gelesen, Frau Kotting-Uhl. Sie sind zwar der Meinung, dass man nicht immer auf die Vergangenheit abheben sollte. Aber manchmal ist es wichtig, zu vergleichen. Sie haben kürzlich im Tagesspiegel gesagt: Der Stresstest zeigt vielmehr, dass das bisherige System der Rückstellungen mit großen Unsicherheiten behaftet und schlicht nicht tragfähig ist. Ich bin schon sehr erstaunt, dass Sie das Rückstellungssystem sowohl in der Presse als auch in Ihren Anträgen so stark kritisieren; denn mit diesem System wird seit dem Beginn der Kernenergienutzung in Deutschland, also seit 50 Jahren, erfolgreich gearbeitet. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben wir es ja noch nicht gebraucht!) – Schreien Sie doch nicht so! (Abg. Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) – Nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu. (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was wurde denn rückgebaut?) Und 2001 hat die rot-grüne Bundesregierung noch in ihrer Mitteilung an die EU betont, dass „das deutsche Rückstellungssystem für die Kernenergie sich seit Jahrzehnten bewährt. (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) Es gibt keinen Fall, in dem Rückstellungsmittel nicht bedarfsgerecht für die Stilllegung zur Verfügung standen oder nicht künftig zur Verfügung stehen werden.“ Jetzt sehen Sie das plötzlich ganz anders, obwohl sich nichts verändert hat. Ich kann Ihnen nur noch einmal sagen: Wir müssen den Fakten ins Auge sehen und vernünftige Rahmenbedingungen für die Energiewirtschaftsunternehmen schaffen, statt ständig neue Anforderungen zu stellen und Stimmung zu machen. Um bessere Bedingungen zu schaffen, wurden am 1. Juli im Koalitionsausschuss drei wichtige Schritte beschlossen, die ich wiederholen möchte. Der erste Schritt war der Stresstest, mit dem Wirtschaftsprüfer die Höhe der Rückstellungen sowie die Korrektheit der Bilanzierungspraxis überprüft haben. Das Ergebnis zeigt: Die Rückstellungen in Höhe von circa 38 Milliarden Euro wurden sachgerecht gerechnet und reichen aus. Auch sei die Werthaltigkeit der Güter gegeben. Die Energieversorger sind grundsätzlich in der Lage, ihre atomrechtlichen Entsorgungsverpflichtungen zu erfüllen. Die Kostenschätzung zeigt noch etwas Interessantes; denn es werden verschiedene Beispiele berechnet: Die Rückbaukosten werden in Deutschland auf durchschnittlich 857 Millionen Euro je Reaktor geschätzt, während die geschätzten Kosten in anderen Staaten zwischen 205 Millionen und 542 Millionen Euro liegen. Die Endlagerproblematik ist eine große Aufgabe für die Endlagerkommission. Wenn die Politik ein zusätzliches Endlager möchte – ich wiederhole mich jetzt – und dann die Rückstellungen nicht reichen, liegt das nicht in der Verantwortung der Energieversorger. In einem zweiten Schritt wurde dann gestern die Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs eingesetzt. Hier sollen unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Stresstests und der Einbindung der Endlagerkommission die verschiedenen Modelle gründlich überprüft werden. Der dritte Schritt, das Gesetz zur Konzernnachhaftung, wurde heute schon erwähnt. Das brauche ich nicht noch einmal zu tun, außer Sie wollen es noch einmal hören. Sie sehen: Wir nehmen die Thematik sehr ernst. Wir müssen die Fragen im Gesamtzusammenhang sehen und können diese nicht, wie von der Opposition gefordert, getrennt voneinander diskutieren und entscheiden. Gerade bei einem solch wichtigen Zukunftsthema gilt – das ist mein Motto, das wir, das gebe ich zu, oftmals vernachlässigen –: Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit. Vielen Dank für das Zuhören. Ich wünsche Ihnen noch ein schönes Wochenende. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat Hiltrud Lotze von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hiltrud Lotze (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Besuchertribünen! 2022, in sieben Jahren, wird in Deutschland das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet, und das ist sehr gut. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]) Damit beginnt dann ohne Wenn und Aber die Phase des Rückbaus, die sowohl technisch als auch finanziell sehr anspruchsvoll ist. Im Ziel sind wir gar nicht auseinander: Die Energiekonzerne müssen haften, und dafür muss das Geld da sein, bis das letzte Atomkraftwerk abgebaut und der Atommüll im Endlager verschlossen ist. (Beifall bei der SPD) Für uns als SPD ist es zwingend, dass die Atomkonzerne ihren Verpflichtungen vollumfänglich nachkommen. Deswegen haben wir das auch im Koalitionsvertrag festgehalten. Wie wir das sicherstellen, über den Weg zur Erreichung dieses Ziels, darüber diskutieren wir noch. Gut ist – und dafür danke –, dass unser Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und die Umweltministerin Barbara Hendricks in Sachen Atomausstieg, Rückbau und Endlagerung so viel bewegen wie noch nie zuvor: Wir haben gestern die 14. Novelle zum Atomgesetz beschlossen. Das NaPro liegt vor. Die Endlagerkommission arbeitet. Der Gesetzentwurf zur Nachhaftung liegt vor. Eine Kommission zur Überprüfung der Finanzen des Kernenergieausstiegs wurde eingesetzt, und es wurden die beiden hier schon erwähnten Studien erstellt. Diese Studien sagen aus, dass es letztlich fast unmöglich ist, die Kosten für den Rückbau der AKW und die Endlagerung genau abzuschätzen. Die Studien sagen weiter aus, dass die Kosten vermutlich immer etwas höher als niedriger liegen werden und dass es wichtig ist, im Hinblick auf die Entwicklungen Vorsorge zu treffen. Ich wiederhole es, liebe Kolleginnen und Kollegen: Das Verursacherprinzip gilt uneingeschränkt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir als SPD werden keiner Lösung zustimmen, bei der am Ende die Gewinne bei den Konzernen bleiben, die Folgekosten für Rückbau und Endlagerung aber auf die Allgemeinheit, auf den Steuerzahler abgewälzt werden. (Beifall bei der SPD) Etwas anderes wäre auch nicht zu vermitteln, schon gar nicht in meiner Heimatregion, zu der auch Gorleben gehört. Sigmar Gabriel hat mit dem Gesetzentwurf zur Nachhaftung klargestellt, dass auch im Fall einer Abspaltung der Atomsparte ein Konzern weiter mit seinem gesamten Vermögen haften muss und sich nicht aus der Affäre ziehen kann. (Johann Saathoff [SPD]: So sieht das aus!) Meine Damen und Herren, besonders diejenigen, die in der Endlagerkommission mitarbeiten, wir wissen, dass ein Endlager für hochradioaktive Abfälle voraussichtlich nicht vor 2050 zur Verfügung steht. Dann wird es noch mehrere Jahrzehnte in Anspruch nehmen, bis der Müll eingelagert ist. Das Gesetz zur langfristigen Nachhaftung ist deswegen ein wichtiger erster Schritt dahin, dass die Verursacher ihrer Verantwortung auf lange Zeit gerecht werden. Das Gesetz schützt aber nicht vor einer möglichen Insolvenz. Deswegen wird in einem zweiten wichtigen Schritt die Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs – ein langer Name, kurz: KFK –, eingesetzt. Diese Kommission wird bis Ende Januar 2016 – das ist ein ziemlich ambitionierter Zeitraum – Handlungsempfehlungen erarbeiten, wie die Finanzierung von Stilllegung und Rückbau der Kernkraftwerke sowie Entsorgung des Atommülls so gestaltet werden kann, dass dem Verursacherprinzip auch noch in 2050, in 2060, in 2070 ff. Rechnung getragen wird. Ich gehe davon aus, dass bei den Überlegungen in dieser Kommission natürlich auch die Fondslösung diskutiert wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ganz vorrangig!) Dieser Diskussion und den Ergebnissen der Kommission sollten wir doch nicht vorgreifen. Heute ein Gesetz zu verabschieden, macht keinen Sinn. Warten wir die Ergebnisse der Kommission ab, und machen wir dann auf Grundlage dieser Ergebnisse ein Gesetz. Das ist der richtige Ablauf. Deswegen lehnen wir heute Ihre beiden Anträge ab. Ich danke für die Aufmerksamkeit und wünsche allen bis zum 4. November 2015 eine gute Zeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie auf Drucksache 18/6382. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1959 mit dem Titel „Bad-Bank-Pläne der Atomkonzerne zurückweisen – Rückstellungen der AKW-Betreiber in einen öffentlich-rechtlichen Fonds überführen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Dann ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Unter Buchstabe b der Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1465 mit dem Titel „Keine Bad Bank für Atom – Rückstellungen der Atomwirtschaft in öffentlich-rechtlichen Fonds sicherstellen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Dann ist auch diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Jetzt sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 4. November 2015, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen allen einige hoffentlich erholsame Tage. (Schluss: 14.13 Uhr) Berichtigung 130. Sitzung, Seite 12612 C, vierte Spalte: Bei den Enthaltungen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist der Name „Omid Nouripour“ durch den Namen „Cem Özdemir“ zu ersetzen. 130. Sitzung, Seite 12705 A, erster Absatz, erster Satz, ist wie folgt zu lesen: „Wann kommen denn die Vorschläge, wie man die Instrumente EnEV und Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz sinnvoll zusammenführt und ganzheitliche Ansätze bei der energetischen Sanierung gesetzlich besser verankert?“ Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 16.10.2015 Becker, Dirk SPD 16.10.2015 Beckmeyer, Uwe SPD 16.10.2015 Crone, Petra SPD 16.10.2015 Drobinski-Weiß, Elvira SPD 16.10.2015 Ebner, Harald BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 16.10.2015 Fabritius, Dr. Bernd CDU/CSU 16.10.2015 Feiler, Uwe CDU/CSU 16.10.2015 Finckh-Krämer, Dr. Ute SPD 16.10.2015 Gambke, Dr. Thomas BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 16.10.2015 Gleicke, Iris SPD 16.10.2015 Gysi, Dr. Gregor DIE LINKE 16.10.2015 Hasselfeldt, Gerda CDU/CSU 16.10.2015 Henke, Rudolf CDU/CSU 16.10.2015 Heveling , Ansgar CDU/CSU 16.10.2015 Höger, Inge DIE LINKE 16.10.2015 Irlstorfer, Erich CDU/CSU 16.10.2015 Kauder, Volker CDU/CSU 16.10.2015 Kolbe, Daniela SPD 16.10.2015 Kretschmer, Michael CDU/CSU 16.10.2015 Launert, Dr. Silke CDU/CSU 16.10.2015 Ludwig, Daniela CDU/CSU 16.10.2015 Mast, Katja SPD 16.10.2015 Middelberg, Dr. Mathias CDU/CSU 16.10.2015 Mihalic, Irene BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 16.10.2015 Nietan, Dietmar SPD 16.10.2015 Nord, Thomas DIE LINKE 16.10.2015 Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 16.10.2015 Pilger, Detlev SPD 16.10.2015 Schlecht, Michael DIE LINKE 16.10.2015 Steinbach, Erika CDU/CSU 16.10.2015 Strässer, Christoph SPD 16.10.2015 Straubinger, Max CDU/CSU 16.10.2015 Tressel, Markus BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 16.10.2015 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 16.10.2015 Ulrich, Alexander DIE LINKE 16.10.2015 Wagner, Doris BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 16.10.2015 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 16.10.2015 Weinberg, Harald DIE LINKE 16.10.2015 Weiß (Emmendingen), Peter CDU/CSU 16.10.2015 Werner, Katrin DIE LINKE 16.10.2015 Wicklein, Andrea SPD 16.10.2015 Wolff (Wolmirstedt), Waltraud SPD 16.10.2015 Zdebel, Hubertus DIE LINKE 16.10.2015 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Thomas Jurk, Detlef Müller (Chemnitz), Dr. Simone Raatz und Susann Rüthrich (alle SPD) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten (Zusatztagesordnungspunkt 5 a) In den Verhandlungen mit dem Koalitionspartner ist unserem Justizminister Heiko Maas mit der deutlichen Verkürzung der geplanten Speicherfristen ein beeindruckender Erfolg gelungen. Es wurde jedoch kein Kompromiss erreicht, den wir nach bestem Wissen und Gewissen unterstützen könnten. Die Speicherpflicht stellt auch in der abgespeckten Form des aktuellen Gesetzesentwurfes einen massiven Eingriff in die Grundrechte dar. Die Bürgerinnen und Bürger müssen die Möglichkeit haben, unbeobachtet miteinander kommunizieren zu können. Die anlasslose Speicherung von IP-Adressen, Standortdaten und anderen Kommunikationsdaten gefährdet jedoch ihre Privatsphäre, ohne dabei geeignet zu sein, Verbrechen zu verhindern. Sie kann maximal im Nachhinein bei der Verfolgung der Täterinnen und Täter helfen. Bei der Strafverfolgung bringt diese Speicherung kaum messbare Vorteile im Vergleich zur konventionellen Ermittlungsarbeit. Wir zweifeln stark daran, dass das allgemeine Wohlbefinden und das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung durch alltägliche Überwachung verbessert werden kann. Stattdessen sollten wir uns darum bemühen, die Bevölkerung vor dem Missbrauch ihrer Daten zu schützen. Doch Missbrauch kann nur völlig ausgeschlossen werden, wenn erst gar keine Daten gesammelt und gespeichert werden. Für uns stellt die Einführung der Speicherpflicht einen Paradigmenwechsel dar. Wir befürchten, dass wir damit eine Entwicklung starten, die zukünftig eher Debatten über die Verlängerung der Höchstspeicherfristen statt über die Abschaffung der Datenspeicherung bei ausbleibendem Erfolg zulässt. Zu dieser Entwicklung möchten wir keinen Beitrag leisten. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Lothar Binding (Heidelberg) und Svenja Stadler (beide SPD) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten (Zusatztagesordnungspunkt 5 a) In der SPD spielen die Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität eine außerordentlich wichtige Rolle. Sie sind Maßstab für die Kultur einer Gesellschaft. In der Vergangenheit sind vielen Kolleginnen und Kollegen die Abstimmungen über die VDS schwergefallen. Denn trotz verschiedener rechtlicher Restriktionen, insbesondere der EURichtlinien, und dem Druck vieler Bürgerinnen und Bürger, wenigstens „Waffengleichheit“ zwischen Kriminellen (Terroristen) und den Strafverfolgungsbehörden herzustellen, sind unsere Grundwerte davon unbenommen. Die Mitgliedstaaten in Europa wollten mehrheitlich Speicherfristen von zwei Jahren. Die ehemalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) hatte – gegen harten Widerstand – eine Speicherfrist von maximal sechs Monaten in die Richtlinie verhandelt. Das war unser Stolz – aber ärgerlich gleichwohl. Ein prima Verhandlungsergebnis – aber unbefriedigend. Inzwischen haben sich diese Randbedingungen glücklicherweise deutlich verändert – zum Vorteil der Freiheit. Im Koalitionsvertrag steht zwar zur Vorratsdatenspeicherung noch: „Wir werden die EURichtlinie über den Abruf und die Nutzung von Telekommunikationsverbindungsdaten umsetzen. Dadurch vermeiden wir die Verhängung von Zwangsgeldern durch den EuGH. Dabei soll ein Zugriff auf die gespeicherten Daten nur bei schweren Straftaten und nach Genehmigung durch einen Richter sowie zur Abwehr akuter Gefahren für Leib und Leben erfolgen. Die Speicherung der deutschen Telekommunikationsverbindungsdaten, die abgerufen und genutzt werden sollen, haben die Telekommunikationsunternehmen auf Servern in Deutschland vorzunehmen. Auf EUEbene werden wir auf eine Verkürzung der Speicherfrist auf drei Monate hinwirken.“ Und zu digitaler Sicherheit und Datenschutz: „Ziel der Koalition ist es, die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit auch in der digitalen Welt zu schaffen und zu bewahren.“ Aber inzwischen hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 8. April 2014 die bestehende EURichtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für rechtswidrig erklärt. Sie ist mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht vereinbar. Die Speicherung von Kommunikationsdaten ohne Verdacht auf Straftaten ist danach nicht zulässig. Die Richter begründen ihre Entscheidung damit, dass die Regelung „einen Eingriff von großem Ausmaß und besonderer Schwere in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf den Schutz personenbezogener Daten, der sich nicht auf das absolut Notwendige beschränkt“, enthalte. Damit ist dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD hinsichtlich der Vorratsdatenspeicherung die Geschäftsgrundlage genommen und Deutschland nicht mehr zu einer Umsetzung der EURichtlinie verpflichtet. Bisher war dies ein großes Handicap, denn die Ablehnung der Vorratsdatenspeicherung war eine Verletzung einer EURichtlinie, außerdem drohte die Zahlung von Zwangsgeldern. Das hat im Bundestag zu schwierigsten Abwägungen und teilweise in sich widersprüchlichen Positionen geführt, führen müssen, denn entweder verstieß man gegen eine EURichtlinie oder gegen seine Überzeugung, dass Vorratsdatenspeicherung weder mit EURecht noch mit der Verfassung vereinbar ist. Deshalb sind wir sehr froh über die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Vorratsdatenspeicherung, ein Urteil, das sich in die Grundbewertung des Bundesverfassungsgerichts und dessen Urteil sehr gut einfügt. Während die Richtlinie zur Vorratsspeicherung von Daten Telekommunikationsbetreibern und Internetanbietern zwingend vorschrieb, Verbindungs- und Standortdaten für die Strafverfolgung zu speichern, und Deutschland die Richtlinie mit Wirkung ab 2008 umsetzte, hob das Bundesverfassungsgericht die deutschen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung schon im Jahr 2010 auf, weil sie unverhältnismäßig tief in die Grundrechte eingriffen. Das Bundesverfassungsgericht führt aus: „[Es] handelt … sich bei einer solchen Speicherung um einen besonders schweren Eingriff mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt: Erfasst werden über den gesamten Zeitraum von sechs Monaten praktisch sämtliche Telekommunikationsverkehrsdaten aller Bürger ohne Anknüpfung an ein zurechenbar vorwerfbares Verhalten, eine – auch nur abstrakte – Gefährlichkeit oder sonst eine qualifizierte Situation. Die Speicherung bezieht sich dabei auf Alltagshandeln, das im täglichen Miteinander elementar und für die Teilnahme am sozialen Leben in der modernen Welt nicht mehr verzichtbar ist.“ „[Es] lassen sich schon aus den Daten selbst – und erst recht, wenn diese als Anknüpfungspunkte für weitere Ermittlungen dienen – tiefe Einblicke in das soziale Umfeld und die individuellen Aktivitäten eines jeden Bürgers gewinnen. … aus diesen Daten lassen sich … bei umfassender und automatisierter Auswertung bis in die Intimsphäre hineinreichende inhaltliche Rückschlüsse ziehen. [Sie lassen] in ihrer Kombination detaillierte Aussagen zu gesellschaftlichen oder politischen Zugehörigkeiten sowie persönlichen Vorlieben, Neigungen und Schwächen derjenigen [zu], deren Verbindungsdaten ausgewertet werden.“ „… die anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten [ist] geeignet, ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen, das eine unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Bereichen beeinträchtigen kann.“ (BVerfG, Urt. v. 2. März 2010–1 BvR 256/08, Rn. 210, 211, 212) So weit das Bundesverfassungsgericht (BverfG) Im politischen Raum fällt es offensichtlich schwer, die Urteile und deren Begründungen mit der gebotenen Vorsicht zu lesen. So sieht Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) in Mindestspeicherfristen alias Vorratsdatenspeicherung noch immer ein wichtiges Mittel für die Aufklärung schwerer Straftaten: „Auch wenn die Richtlinie selbst nun aufgehoben wurde, hat die Entscheidung aber Gewissheit gebracht, dass das Instrument der Vorratsdatenspeicherung sowohl verfassungsrechtlich als auch europarechtlich zulässig ist.“ Und weiter: „Da wir dieses Instrument dringend zur Aufklärung schwerer Straftaten sowie zur Abwehr akuter Gefahren für Leib und Leben benötigen, dränge ich rasch auf eine kluge, verfassungsgemäße und mehrheitsfähige Neuregelung.“ Das sehen wir anders. Mit Blick auf die Arbeitsergebnisse im Zusammenhang mit den NSUMorden, aber auch mit Blick auf die Arbeit des BND, der allem Anschein nach fremden Geheimdiensten geholfen hat, Bürgerinnen und Bürger sowie deutsche und europäische Unternehmen – wer wollte wissen, wen außerdem noch – auszuspionieren, scheint der Bundesinnenminister hier eine gewagte Idee zu verfolgen. Außerdem hat das Bundesverfassungsgericht ja gerade auch zu diesem Sachverhalt erklärt, warum „Die bloße Möglichkeit, dass Daten zu Zwecken der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr benötigt werden könnten“, den Eingriff nicht rechtfertigt. Neben de Maizière wird der fachliche Bedarf der Vorratsdatenspeicherung auch von der Innenministerkonferenz der Länder und sogar vom Deutschen Richterbund als „unerlässliches Instrument gegen die Verbrechensbekämpfung“ gefordert. Das wurde bisher nicht bewiesen, ist aber verständlich, denn es ist viel leichter, sich ein neues Werkzeug zu kaufen, als die vorhandenen zu schärfen. In der Großen Koalition ist es ein Meisterstück von Bundesjustizminister Heiko Maas, nun zehn bzw. vier Wochen Speicherfrist rausverhandelt zu haben. Bundesinnenminister, Polizei und Diensten ist das zu wenig, obwohl Ermittler auch heute schon auf gespeicherte Daten der Telekommunikationsbetreiber zugreifen können – Funkzellenabfrage. Berücksichtigen wir diese Gemengelage, wird deutlich, wie groß der Verhandlungserfolg von Heiko Maas ist. Der Verhandlungserfolg ist maximal. Leider ist aber das mit der CDU/CSU maximal Mögliche nicht das Optimale für unsere Gesellschaft. Exkurs: Aber es wäre ja auch merkwürdig, wenn sich Wahlergebnisse nicht in der konkreten Politik, also der Gesetzgebung, wiederfinden würden, und bei der letzten Bundestagswahl wurden CDU und CSU mehrheitlich gewählt. Solche Wahlen entscheiden auch über die gesellschaftliche Lage auf einer Skala zwischen Polizeistaat und freiheitlicher Demokratie. Mehr Thomas de Maizière oder mehr Heiko Maas? Am 15. April 2015 hat Heiko Maas Leitlinien vorgelegt, die eine eng begrenzte Pflicht für alle Telekommunikationsanbieter zur Speicherung von wenigen, genau bezeichneten Verkehrsdaten unter Ausnahme von Diensten der elektronischen Post – also EMail – enthalten. Oberste Richtschnur aller Regelungen sind dabei die strengen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes und des Europäischen Gerichtshofes. Die genannten Leitlinien sind viel restriktiver als das vom Bundesverfassungsgericht aufgehobene, ehemalige Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung, viel restriktiver als die aufgehobene europäische Richtlinie und auch viel restriktiver, als es CDU und CSU wollen. Es müssen nur genau bezeichnete Telekommunikationsdaten gespeichert werden. Dazu zählen Rufnummer, Beginn und Ende des Telefonats sowie im Fall von InternetTelefondiensten auch die IPAdressen. Diese Daten sollen zehn Wochen gespeichert werden. Eine Speicherfrist von vier Wochen gilt für die Bezeichnung der Funkzellen, die durch den anrufenden und den angerufenen Anschluss bei Beginn der Verbindung genutzt werden. Diese kurze vierwöchige Speicherfrist ist vorgesehen, weil verhindert werden soll, dass mittels dieser Daten Bewegungs- und Persönlichkeitsprofile erstellt werden können. Zusätzlich muss im richterlichen Anordnungsbeschluss einzelfallbezogen begründet werden, warum der Abruf von Funkzellendaten erforderlich und angemessen ist. Anders als etwa in Frankreich dürfen Kommunikationsinhalte und aufgerufene Internetseiten nicht gespeichert werden. Um die Grundrechte der Betroffenen auf Datenschutz und Schutz ihrer Privatsphäre zu wahren, ist der Datenabruf nur zur Verfolgung von schwersten Straftaten möglich. Daten von Berufsgeheimnisträgern wie Journalisten, Anwälten oder Ärzten unterliegen einem Verwertungsverbot. Dies gilt auch bei Zufallsfunden. Wichtig ist, dass der Zugriff auf die gespeicherten Daten transparent und restriktiv geregelt ist: Es gibt einen strengen Richtervorbehalt, das heißt, nur auf richterlichen Beschluss hin dürfen Ermittlungsbehörden die Daten abrufen, und es gibt keine Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft oder der Polizei. Darüber hinaus müssen die Betroffenen grundsätzlich über jeden Abruf informiert werden. Nach Ablauf der Speicherfrist von zehn bzw. vier Wochen müssen die gespeicherten Daten gelöscht werden. Verstöße gegen die Löschpflichten oder die Weitergabe von Daten haben strenge Sanktionen für die Dienstanbieter zur Folge. Um die Sicherheit der gespeicherten Daten zu gewährleisten, werden die Dienstanbieter zudem verpflichtet, die Daten zu schützen. Auch müssen die Server, auf denen die Daten gespeichert werden, innerhalb Deutschlands stehen. Wenn ein Dienstanbieter mit den gespeicherten Daten Handel treibt und diese unbefugt an Dritte weitergibt, ist dies zukünftig eine Straftat nach dem neu zu schaffenden Tatbestand der Datenhehlerei. Die Leitlinien sind also eine gute Grundlage für die weitere Debatte und das anstehende parlamentarische Verfahren, und am Ende kann ein ausgewogener politischer Kompromiss stehen. Und: Deutschland hätte damit die strikteste Regelung zur Speicherung von Verkehrsdaten in ganz Europa. Gleichwohl werden wir einem Gesetz, das anlasslose Vorratsdatenspeicherung – auch Mindestdatenspeicherung oder Mindest- bzw. Höchstspeicherfrist – von Kommunikationsdaten erlaubt, nicht zustimmen. Unser Hauptargument findet sich in der Begründung der Beschwerdeführer, die gegen die Vorratsdatenspeicherung vor das BVerfG gezogen sind: „Die Vorratsdatenspeicherung beeinträchtige die … Unbefangenheit der Kommunikation. Der Schutz der Menschenwürde verlange ein gewisses Maß an unbeobachteter Kommunikation …“ In den USA sehen viele Menschen das Sammeln und Speichern von Daten als unproblematisch an, dort ist allein wichtig, was mit den Daten geschieht. Demgegenüber gibt es in Deutschland die Tendenz, die missbräuchliche Verwendung von Daten dadurch zu verhindern, dass Daten schon gar nicht gesammelt oder gespeichert werden. Insofern bereitet die Erlaubnis der Vorratsdatenspeicherung auch einen Kulturwandel vor, dem wir nicht Vorschub leisten möchten. Die Ablehnung der Vorratsdatenspeicherung birgt natürlich Risiken. Falls es zu terroristischen Anschlägen kommen sollte oder andere Gefahren nicht rechtzeitig erkannt würden, könnte stets der Vorwurf gemacht werden, mit der Vorratsdatenspeicherung hätte diese oder jene Gefahr abgewendet werden können. Aber erstens ist keinesfalls gesichert, dass Vorratsdatenspeicherung überhaupt der Gefahrenabwehr dienen kann, was der grausame Anschlag im Januar dieses Jahres in Frankreich zeigt. Zweitens würde das für unsere Gesellschaft bedeuten, dass das Wohlbefinden durch permanente Überwachung stärker bedroht wäre als durch terroristische Gefahren. Diese Terroristen hätten ihr Ziel erreicht: die Einschränkung unserer Freiheit durch Angst und permanente Überwachung. Leider macht auch die Ablehnung der Vorratsdatenspeicherung nicht nur Freude. Wenn wir die Häme in so manchem Blog von Leuten lesen, die sich einem sensiblen Abwägungsprozess hinsichtlich der Vorratsdatenspeicherung verschließen, erreichen uns ähnliche Bedenken, die uns den Überwachungsstaat ablehnen lassen. Noch verwunderter sind wir über Aktivisten im Web, die zwar Vorratsdatenspeicherung – und sei sie staatlich noch so gut reguliert – vehement ablehnen, aber keinen Schmerz damit haben, jede Menge persönlicher Daten bzw. Verhaltensprofile in die Hände von privaten aus den USA gesteuerten Konzernen zu geben. Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten (Zusatztagesordnungspunkt 5 a) Angelika Glöckner (SPD): Dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten am Freitag, 16.10.2015 stimme ich, nach Abwägung aller für mich relevanten Gesichtspunkte, nicht zu. Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD haben sich im Koalitionsvertrag dazu verpflichtet, die europäische Datenschutzrichtlinie über den Abruf und die Nutzung von Telekommunikationsverbindungsdaten umzusetzen. Diese wurde jedoch durch den EuGH mit dem Urteil vom 8. April 2014 wegen Verstoßes gegen die in Artikel 7 und 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerten Grundrechte für ungültig erklärt. Damit ist die im Koalitionsvertrag festgehaltene Verpflichtung einer nationalen Regelung zur Vorratsdatenspeicherung für mich obsolet. In dem nun vorliegenden Gesetzesentwurf kann ich im Vergleich zur EURichtlinie zur Vorratsdatenspeicherung zudem keine grundsätzlichen Verbesserungen in Bezug auf die Wahrung grundsätzlicher Rechte erkennen. Ohne Zweifel wurde es geschafft, den Gesetzesentwurf im Vergleich zur Europäischen Datenschutzrichtlinie zu verbessern – das ist ein Verdienst der Sozialdemokratie, allen voran des Justizministers Heiko Maas –; dennoch sehe ich dieses Gesetz als grundlegenden Eingriff in die Freiheitsrechte und die informationelle Selbstbestimmung jedes einzelnen Bürgers. Wie leicht solche Zugriffsrechte missbraucht werden können, erlebten wir in den letzten Jahren mehrfach. Zudem fehlt für mich der Nachweis, dass durch eine Verschärfung eine tatsächlich effektivere Strafverfolgung – geschweige denn Strafvereitelung – erfolgen kann. Gerade die Fälle von Utøya, Paris und London zeigen, nach meiner Auffassung, dass Gefahren von Einzeltätern auch auf diese Weise nicht ausgeschlossen werden können. Die technische Umsetzbarkeit und die Nutzbarkeit von neuen Technologien stellt für mich kein Argument dar, grundlegende Freiheitsrechte einzuschränken und damit die Möglichkeit zu schaffen die gesamte Bevölkerung unter Generalverdacht zu stellen. Grundlegende Rechte dürfen meines Erachtens nach nicht aufgrund von unbestimmten Ängsten opfern – hier verbietet sich eine Abwägung von Freiheit und vermeintlicher Sicherheit. Aus diesem Grund lehne ich den Gesetzesentwurf ab. Sebastian Hartmann (SPD): An dem Gesetzentwurf zur Verkehrsdatenspeicherung ist im Vorfeld der heutigen Beschlussfassung deutliche Kritik geübt worden. Diese Kritik nehme ich ernst. Gleichwohl versichert die Bundesregierung, die Kritikpunkte des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts aufgenommen und rechtsförmlich im vorliegenden Gesetz so umgesetzt zu haben, dass es auch zukünftigen juristischen Überprüfungen standhält. Ich kann das bezweifeln, aber nicht widerlegen. Dem Gesetzentwurf stimme ich als Mitglied der Regierungskoalition deshalb zu. Meine Skepsis bezüglich dieses Gesetzgebungsvorhaben habe ich seit Vorlage des ersten Referentenentwurfs immer wieder geäußert. Auch vor dem Hintergrund der letzten Fassung, über die heute abgestimmt wird, bleibe ich skeptisch. Eine anlasslose, verdachtsunabhängige, massenhafte Speicherung von Verkehrsdaten ist ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Sie begegnet vor dem Hintergrund der Verhältnismäßigkeit erheblichen Bedenken. Diesen Bedenken versucht der Entwurf zu begegnen, indem er Kommunikationsmedien von der Speicherpflicht ausschließt, eine Höchstspeicherfrist vorsieht sowie den Zugriff auf die Daten durch die Ermittlungsbehörden an einen konkreten Verdacht und einen Richtervorbehalt koppelt. Zudem statuiert er eine Informationspflicht über die Abrufe. Diese Maßnahmen sowie die Aussicht auf eine gerichtliche Überprüfung geben für mich letztlich den Ausschlag, dem Votum der Fraktionsmehrheit zu folgen und dem Gesetzesentwurf trotz erheblicher Bedenken zustimmen zu können. Es wird vorgetragen, dass die Verkehrsdatenspeicherung ein ungeeignetes Instrument sei, um Schaden von der Gesellschaft abzuwenden. Sie ist demnach weder zur Prävention noch zur Strafverfolgung, weder bei der Beweissicherung noch ermittlungstaktisch brauchbar, nützlich oder gar unverzichtbar. Für behauptete Ermittlungserfolge aus Vorratsdatenspeicherungen ist jeder stichhaltige Praxisnachweis unterblieben. Um genau diese Frage adäquat und klar nachvollziehbar aufklären zu können, haben wir eine umfangreiche Evaluierung des Gesetzes durchgesetzt. Ich werde auf diese Bewertung und Evaluierung streng achten und dringen, um die aufgeworfenen Zweifel auszuräumen. Ich erwarte, dass auf dieser gesetzlichen Grundlage zwischen den Telekommunikationsunternehmen und den Strafverfolgungsbehörden eine Praxis etabliert wird, die auf Basis der verfügbaren Daten und erweiterten Befugnisse für den konkreten Ermittlungsfall effektiv vorgeht. Die verantwortlichen Stellen müssen die Sicherheit von solchen Daten vor Missbrauch und unbefugtem Zugriff im Sinne der Datenschutzanforderungen gewährleisten, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 2. März 2010 gestellt hat. Aktuell verfügbare, asymmetrische Verschlüsselungsverfahren, wie sie die Bundesrichter für den gesamten Datenbestand aus Vorratsdatenspeicherung explizit forderten, sind für den Umgang mit den zu erwartenden Datenmengen sowohl bezüglich der Verarbeitungsgeschwindigkeit als auch Handhabbarkeit vermutlich untauglich. Dieses Problem muss im Vollzug des Gesetzes zwingend gelöst werden. Der Bundesnetzagentur fällt die Rolle zu, die technischen Richtlinien zur Umsetzung des Gesetzes zu erstellen. Die Aufgabe ist vor dem Hintergrund der Erwartungen der Strafverfolgungsbehörden, den tatsächlich umsetzbaren Maßnahmen und den technischen Rahmenbedingungen bei den Providern eine hohe Hürde, auch in dem großzügig gesteckten Zeitraum eines ganzen Jahres nach Inkrafttreten des Gesetzes. Den Telekommunikationsunternehmen erwächst aus der Datensammlung und -speicherung eine Bürde, die sich immerhin beziffern lässt. Ob die Schätzungen mit 200 oder 600 Millionen Euro näher an der Wahrheit sind, kann ich nicht beurteilen. Klar ist, dass Aufwand und Nutzen stets im Verhältnis stehen müssen, das heißt, dass dieser Aufwand sich wenigstens lohnt. Dem Bundesjustizminister ist zu verdanken, dass eine Höchstspeicherfrist von zehn beziehungsweise vier Wochen als absolute Obergrenze festgelegt wird. Dies ist gegen die sehr viel weiter reichenden Forderungen der Strafverfolgungsbehörden und des Bundesinnenministeriums durchgesetzt worden. Die Pflicht zur Löschung der Daten nach diesem kurzen Zeitraum, der Richtervorbehalt für Zugriffe und die Informationspflicht über jeden Abruf sind wichtige Verschärfungen der bisherigen Regelungen, auch im internationalen Vergleich. Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Ich lehne das Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten ab. In der SPD spielen die Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität eine außerordentlich wichtige Rolle. Sie sind Maßstab für die Kultur einer Gesellschaft. In der Vergangenheit sind vielen Kolleginnen und Kollegen die Abstimmungen über die Vorratsdatenspeicherung schwergefallen. Denn trotz verschiedener rechtlicher Restriktionen, insbesondere der EURichtlinien, und dem Druck vieler Bürgerinnen und Bürger, wenigstens „Waffengleichheit“ zwischen Kriminellen (Terroristen) und den Strafverfolgungsbehörden herzustellen, sind unsere Grundwerte davon unbenommen. Die Mitgliedstaaten in Europa wollten mehrheitlich Speicherfristen von zwei Jahren. Der ehemaligen Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) war es dabei zumindest gelungen, gegen harten Widerstand eine Speicherfrist von maximal sechs Monaten in die Richtlinie zu verhandeln. Inzwischen haben sich diese Randbedingungen glücklicherweise deutlich verändert – zum Vorteil der Freiheit. Im Koalitionsvertrag steht zwar zur Vorratsdatenspeicherung noch: „Wir werden die EURichtlinie über den Abruf und die Nutzung von Telekommunikationsverbindungsdaten umsetzen. Dadurch vermeiden wir die Verhängung von Zwangsgeldern durch den EuGH. Dabei soll ein Zugriff auf die gespeicherten Daten nur bei schweren Straftaten und nach Genehmigung durch einen Richter sowie zur Abwehr akuter Gefahren für Leib und Leben erfolgen. Die Speicherung der deutschen Telekommunikationsverbindungsdaten, die abgerufen und genutzt werden sollen, haben die Telekommunikationsunternehmen auf Servern in Deutschland vorzunehmen. Auf EUEbene werden wir auf eine Verkürzung der Speicherfrist auf drei Monate hinwirken.“ Und zu digitaler Sicherheit und Datenschutz: „Ziel der Koalition ist es, die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit auch in der digitalen Welt zu schaffen und zu bewahren.“ Aber inzwischen hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 8. April 2014 die bestehende EURichtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für rechtswidrig erklärt. Sie ist mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht vereinbar. Die Speicherung von Kommunikationsdaten ohne Verdacht auf Straftaten ist danach nicht zulässig. Die Richter begründen ihre Entscheidung damit, dass die Regelung „einen Eingriff von großem Ausmaß und besonderer Schwere in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf den Schutz personenbezogener Daten, der sich nicht auf das absolut Notwendige beschränkt“, enthalte. Damit ist dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD hinsichtlich der Vorratsdatenspeicherung die Geschäftsgrundlage genommen und Deutschland nicht mehr zu einer Umsetzung der EURichtlinie verpflichtet. Bisher war dies ein großes Handicap, denn die Ablehnung der Vorratsdatenspeicherung war eine Verletzung einer EURichtlinie, außerdem drohte die Zahlung von Zwangsgeldern. Das hat im Bundestag zu schwierigsten Abwägungen und teilweise in sich widersprüchlichen Positionen geführt, führen müssen, denn entweder verstieß man gegen eine EURichtlinie oder gegen seine Überzeugung, dass Vorratsdatenspeicherung weder mit EURecht noch mit der Verfassung vereinbar ist. Deshalb bin ich sehr froh über die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Vorratsdatenspeicherung, ein Urteil, das sich in die Grundbewertung des Bundesverfassungsgerichts und dessen Urteil sehr gut einfügt. Während die Richtlinie zur Vorratsspeicherung von Daten Telekommunikationsbetreibern und Internetanbietern zwingend vorschrieb, Verbindungs- und Standortdaten für die Strafverfolgung zu speichern, und Deutschland die Richtlinie mit Wirkung ab 2008 umsetzte, hob das Bundesverfassungsgericht die deutschen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung schon im Jahr 2010 auf, weil sie unverhältnismäßig tief in die Grundrechte eingriffen. Das Bundesverfassungsgericht führt aus: „[Es] handelt … sich bei einer solchen Speicherung um einen besonders schweren Eingriff mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt: Erfasst werden über den gesamten Zeitraum von sechs Monaten praktisch sämtliche Telekommunikationsverkehrsdaten aller Bürger ohne Anknüpfung an ein zurechenbar vorwerfbares Verhalten, eine – auch nur abstrakte – Gefährlichkeit oder sonst eine qualifizierte Situation. Die Speicherung bezieht sich dabei auf Alltagshandeln, das im täglichen Miteinander elementar und für die Teilnahme am sozialen Leben in der modernen Welt nicht mehr verzichtbar ist.“ „[Es] lassen sich schon aus den Daten selbst – und erst recht, wenn diese als Anknüpfungspunkte für weitere Ermittlungen dienen – tiefe Einblicke in das soziale Umfeld und die individuellen Aktivitäten eines jeden Bürgers gewinnen. … aus diesen Daten lassen sich … bei umfassender und automatisierter Auswertung bis in die Intimsphäre hineinreichende inhaltliche Rückschlüsse ziehen. [Sie lassen] in ihrer Kombination detaillierte Aussagen zu gesellschaftlichen oder politischen Zugehörigkeiten sowie persönlichen Vorlieben, Neigungen und Schwächen derjenigen [zu], deren Verbindungsdaten ausgewertet werden.“ „… die anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten [ist] geeignet, ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen, das eine unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Bereichen beeinträchtigen kann.“ (BVerfG, Urt. v. 2. März 2010–1 BvR 256/08, Rn. 210, 211, 212) Im politischen Raum fällt es offensichtlich schwer, die Urteile und deren Begründungen mit der gebotenen Vorsicht zu lesen. So sieht Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) in Mindestspeicherfristen alias Vorratsdatenspeicherung noch immer ein wichtiges Mittel für die Aufklärung schwerer Straftaten: „Auch wenn die Richtlinie selbst nun aufgehoben wurde, hat die Entscheidung aber Gewissheit gebracht, dass das Instrument der Vorratsdatenspeicherung sowohl verfassungsrechtlich als auch europarechtlich zulässig ist.“ Und weiter: „Da wir dieses Instrument dringend zur Aufklärung schwerer Straftaten sowie zur Abwehr akuter Gefahren für Leib und Leben benötigen, dränge ich rasch auf eine kluge, verfassungsgemäße und mehrheitsfähige Neuregelung.“ Das sehe ich anders. Mit Blick auf die Arbeitsergebnisse im Zusammenhang mit den NSUMorden, aber auch mit Blick auf die Arbeit des BND, der allem Anschein nach fremden Geheimdiensten geholfen hat, Bürgerinnen und Bürger sowie deutsche und europäische Unternehmen – wer wollte wissen, wen außerdem noch – auszuspionieren, scheint der Bundesinnenminister hier eine gewagte Idee zu verfolgen. Außerdem hat das Bundesverfassungsgericht ja gerade auch zu diesem Sachverhalt erklärt, warum „Die bloße Möglichkeit, dass Daten zu Zwecken der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr benötigt werden könnten …“, den Eingriff nicht rechtfertigt. Neben de Maizière wird der fachliche Bedarf der Vorratsdatenspeicherung auch von der Innenministerkonferenz der Länder und sogar vom Deutschen Richterbund als „unerlässliches Instrument gegen die Verbrechensbekämpfung“ gefordert. Das wurde bisher nicht bewiesen, ist aber verständlich, denn es ist viel leichter, sich ein neues Werkzeug zu kaufen, als die vorhandenen zu schärfen. In der Großen Koalition ist es Bundesjustizminister Heiko Maas gelungen, geringere Speicherfristen von zehn bzw. vier Wochen in das Gesetz zu verhandeln. Bundesinnenminister, Polizei und Diensten ist das zu wenig, obwohl Ermittler auch heute schon auf gespeicherte Daten der Telekommunikationsbetreiber zugreifen können – Funkzellenabfrage. Berücksichtigen wir diese Gemengelage, wird deutlich, wie groß der Verhandlungserfolg von Heiko Maas ist. Der Verhandlungserfolg ist maximal. Leider ist aber das mit der CDU/CSU maximal Mögliche nicht das Optimale für unsere Gesellschaft. Exkurs: Aber es wäre ja auch merkwürdig, wenn sich Wahlergebnisse nicht in der konkreten Politik, also der Gesetzgebung, wiederfinden würden, und bei der letzten Bundestagswahl wurden CDU und CSU mehrheitlich gewählt. Solche Wahlen entscheiden auch über die gesellschaftliche Lage auf einer Skala zwischen Polizeistaat und freiheitlicher Demokratie. Mehr Thomas de Maizière oder mehr Heiko Maas? Am 15. April 2015 hat Heiko Maas Leitlinien vorgelegt, die eine eng begrenzte Pflicht für alle Telekommunikationsanbieter zur Speicherung von wenigen, genau bezeichneten Verkehrsdaten unter Ausnahme von Diensten der elektronischen Post – also EMail – enthalten. Oberste Richtschnur aller Regelungen sind dabei die strengen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes und des Europäischen Gerichtshofes. Die genannten Leitlinien sind viel restriktiver als das vom Bundesverfassungsgericht aufgehobene, ehemalige Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung, viel restriktiver als die aufgehobene europäische Richtlinie und auch viel restriktiver, als es CDU und CSU wollen. Es müssen nur genau bezeichnete Telekommunikationsdaten gespeichert werden. Dazu zählen Rufnummer, Beginn und Ende des Telefonats sowie im Fall von Internet-Telefondiensten auch die IPAdressen. Diese Daten sollen zehn Wochen gespeichert werden. Eine Speicherfrist von vier Wochen gilt für die Bezeichnung der Funkzellen, die durch den anrufenden und den angerufenen Anschluss bei Beginn der Verbindung genutzt werden. Diese kurze vierwöchige Speicherfrist ist vorgesehen, weil verhindert werden soll, dass mittels dieser Daten Bewegungs- und Persönlichkeitsprofile erstellt werden können. Zusätzlich muss im richterlichen Anordnungsbeschluss einzelfallbezogen begründet werden, warum der Abruf von Funkzellendaten erforderlich und angemessen ist. Anders als etwa in Frankreich dürfen Kommunikationsinhalte und aufgerufene Internetseiten nicht gespeichert werden. Um die Grundrechte der Betroffenen auf Datenschutz und Schutz ihrer Privatsphäre zu wahren, ist der Datenabruf nur zur Verfolgung von schwersten Straftaten möglich. Daten von Berufsgeheimnisträgern wie Journalisten, Anwälten oder Ärzten unterliegen einem Verwertungsverbot. Dies gilt auch bei Zufallsfunden. Wichtig ist, dass der Zugriff auf die gespeicherten Daten transparent und restriktiv geregelt ist: Es gibt einen strengen Richtervorbehalt, das heißt, nur auf richterlichen Beschluss hin dürfen Ermittlungsbehörden die Daten abrufen, und es gibt keine Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft oder der Polizei. Darüber hinaus müssen die Betroffenen grundsätzlich über jeden Abruf informiert werden. Nach Ablauf der Speicherfrist von zehn bzw. vier Wochen müssen die gespeicherten Daten gelöscht werden. Verstöße gegen die Löschpflichten oder die Weitergabe von Daten haben strenge Sanktionen für die Dienstanbieter zur Folge. Um die Sicherheit der gespeicherten Daten zu gewährleisten, werden die Dienstanbieter zudem verpflichtet, die Daten zu schützen. Auch müssen die Server, auf denen die Daten gespeichert werden, innerhalb Deutschlands stehen. Wenn ein Dienstanbieter mit den gespeicherten Daten Handel treibt und diese unbefugt an Dritte weitergibt, ist dies zukünftig eine Straftat nach dem neu zu schaffenden Tatbestand der Datenhehlerei. Die Leitlinien sind also eine gute Grundlage für die weitere Debatte und das anstehende parlamentarische Verfahren, und am Ende kann ein ausgewogener politischer Kompromiss stehen. Und: Deutschland hätte damit die strikteste Regelung zur Speicherung von Verkehrsdaten in ganz Europa. Gleichwohl werde ich einem Gesetz, das anlasslose Vorratsdatenspeicherung – auch Mindestdatenspeicherung oder Mindest- bzw. Höchstspeicherfrist – von Kommunikationsdaten erlaubt, nicht zustimmen. Mein Hauptargument findet sich in der Begründung der Beschwerdeführer, die gegen die Vorratsdatenspeicherung vor das Bundesverfassungsgericht gezogen sind: „Die Vorratsdatenspeicherung beeinträchtige die … Unbefangenheit der Kommunikation. Der Schutz der Menschenwürde verlange ein gewisses Maß an unbeobachteter Kommunikation …“. In den USA sehen viele Menschen das Sammeln und Speichern von Daten als unproblematisch an, dort ist allein wichtig, was mit den Daten geschieht. Demgegenüber gibt es in Deutschland die Tendenz, die missbräuchliche Verwendung von Daten dadurch zu verhindern, dass Daten schon gar nicht gesammelt oder gespeichert werden. Insofern bereitet die Erlaubnis der Vorratsdatenspeicherung auch einen Kulturwandel vor, dem ich nicht Vorschub leisten möchte. Die Ablehnung der Vorratsdatenspeicherung birgt natürlich Risiken. Falls es zu terroristischen Anschlägen kommen sollte oder andere Gefahren nicht rechtzeitig erkannt würden, könnte stets der Vorwurf gemacht werden, mit der Vorratsdatenspeicherung hätte diese oder jene Gefahr abgewendet werden können. Aber erstens ist keinesfalls gesichert, dass Vorratsdatenspeicherung überhaupt der Gefahrenabwehr dienen kann, was der grausame Anschlag im Januar dieses Jahres in Frankreich zeigt. Zweitens würde das für unsere Gesellschaft bedeuten, dass das Wohlbefinden durch permanente Überwachung stärker bedroht wäre als durch terroristische Gefahren. Diese Terroristen hätten ihr Ziel erreicht: Die Einschränkung unserer Freiheit durch Angst und permanente Überwachung. Hilde Mattheis (SPD): Im Koalitionsvertrag haben sich CDU/CSU und SPD darauf verständig, die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland nach Vorgabe durch europäisches Recht umzusetzen. Aber inzwischen hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 8. April 2014 die bestehende EURichtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für rechtswidrig erklärt. Sie ist mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht vereinbar. Die Speicherung von Kommunikationsdaten ohne Verdacht auf Straftaten ist danach nicht zulässig. Die Richter begründen ihre Entscheidung damit, dass die Regelung „einen Eingriff von großem Ausmaß und besonderer Schwere in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf den Schutz personenbezogener Daten, der sich nicht auf das absolut Notwendige beschränkt“, enthalte. Damit ist dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD hinsichtlich der Vorratsdatenspeicherung die Geschäftsgrundlage genommen und Deutschland nicht mehr zu einer Umsetzung der EURichtlinie verpflichtet. Es besteht also keine rechtliche Notwendigkeit aufseiten der EU, dieses Instrument einzuführen. Im Gegenteil: Auch das höchste europäische Gericht hat festgestellt, dass die VDS nicht mit den Grundrechten vereinbar ist. Ähnliches hat bereits das Bundesverfassungsgericht 2010 zur damaligen nationalen Regelung zur Vorratsdatenspeicherung geurteilt. Das Gericht hob die deutschen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung auf, weil sie unverhältnismäßig tief in die Grundrechte eingriffen. Trotz dieses Urteils hält Bundesinnenminister de Maizière an der Vorratsdatenspeicherung fest. Er meint, dass dieses Instrument „zur Aufklärung schwerer Straftaten sowie zur Abwehr akuter Gefahren für Leib und Leben“ benötigt wird. Diese These konnte fachlich nie bestätigt werden. Infolge des Verfassungsgerichtsentscheides 2010 kamen sowohl der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages als auch andere namhafte Einrichtungen zu dem Schluss, dass das Instrument nicht dazu beiträgt, die Aufklärungsquote von Straftaten signifikant zu erhöhen. Es ist somit unverständlich, warum nun wieder ein Instrument eingeführt soll, um erneut wissenschaftlich festzustellen, dass es überflüssig ist. Die von der SPD herausgehandelten Verbesserungen – wie die Reduzierung der Speicherfrist – sind nur ein schwacher Trost und ändern nichts am grundsätzlichen Problem: Die Vorratsdatenspeicherung verkehrt die Unschuldsvermutung ins Gegenteil: Alle Bürgerinnen und Bürger werden ohne Anlass überwacht, da ihre Kommunikationsdaten gespeichert und, bei Bedarf, abgerufen werden. Dieses Prinzip birgt das massive Risiko eines Missbrauchs der in großem Umfang gespeicherten Daten. Es ist daher nicht nachzuvollziehen, warum wir die Vorratsdatenspeicherung brauchen. Sie kann nicht gesichert helfen, schweren Straftaten vorzubeugen oder bei deren Aufklärung zu helfen. Das belegt der grausame Anschlag in Frankreich im Januar 2015. Die Vorratsdatenspeicherung bringt kaum mehr Sicherheit, aber definitiv weniger Freiheit für den Einzelnen, der in seiner Menschenwürde eingeschränkt wird. Zu dieser gehört nämlich auch ein gewisses Maß an unbeobachteter Kommunikation, wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat. Aus diesem Grund lehne ich die Vorratsdatenspeicherung und damit auch den vorliegenden Gesetzesentwurf ab. Bettina Müller (SPD): In der SPD spielen die Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität eine außerordentlich wichtige Rolle. Sie sind Maßstab für die Kultur einer Gesellschaft. In der Vergangenheit sind vielen Kolleginnen und Kollegen die Abstimmungen über die VDS schwergefallen. Denn trotz verschiedener rechtlicher Restriktionen, insbesondere der EURichtlinien, und dem Druck vieler Bürgerinnen und Bürger, wenigstens „Waffengleichheit“ zwischen Kriminellen (Terroristen) und den Strafverfolgungsbehörden herzustellen, sind unsere Grundwerte davon unbenommen. Die Mitgliedstaaten in Europa wollten mehrheitlich Speicherfristen von zwei Jahren. Die ehemalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) hatte – gegen harten Widerstand – eine Speicherfrist von maximal sechs Monaten in die Richtlinie verhandelt. Das war unser Stolz – aber ärgerlich gleichwohl. Ein prima Verhandlungsergebnis – aber unbefriedigend. Inzwischen haben sich diese Randbedingungen glücklicherweise deutlich verändert – zum Vorteil der Freiheit. Im Koalitionsvertrag steht zwar zur Vorratsdatenspeicherung noch: „Wir werden die EURichtlinie über den Abruf und die Nutzung von Telekommunikationsverbindungsdaten umsetzen. Dadurch vermeiden wir die Verhängung von Zwangsgeldern durch den EuGH. Dabei soll ein Zugriff auf die gespeicherten Daten nur bei schweren Straftaten und nach Genehmigung durch einen Richter sowie zur Abwehr akuter Gefahren für Leib und Leben erfolgen. Die Speicherung der deutschen Telekommunikationsverbindungsdaten, die abgerufen und genutzt werden sollen, haben die Telekommunikationsunternehmen auf Servern in Deutschland vorzunehmen. Auf EUEbene werden wir auf eine Verkürzung der Speicherfrist auf drei Monate hinwirken.“ Und zu digitaler Sicherheit und Datenschutz: „Ziel der Koalition ist es, die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit auch in der digitalen Welt zu schaffen und zu bewahren.“ Aber inzwischen hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 8. April 2014 die bestehende EURichtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für rechtswidrig erklärt. Sie ist mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht vereinbar. Die Speicherung von Kommunikationsdaten ohne Verdacht auf Straftaten ist danach nicht zulässig. Die Richter begründen ihre Entscheidung damit, dass die Regelung „einen Eingriff von großem Ausmaß und besonderer Schwere in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf den Schutz personenbezogener Daten, der sich nicht auf das absolut Notwendige beschränkt“, enthalte. Damit ist dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD hinsichtlich der Vorratsdatenspeicherung die Geschäftsgrundlage genommen und Deutschland nicht mehr zu einer Umsetzung der EURichtlinie verpflichtet. Bisher war dies ein großes Handicap, denn die Ablehnung der Vorratsdatenspeicherung war eine Verletzung einer EURichtlinie, außerdem drohte die Zahlung von Zwangsgeldern. Das hat im Bundestag zu schwierigsten Abwägungen und teilweise in sich widersprüchlichen Positionen geführt, führen müssen, denn entweder verstieß man gegen eine EURichtlinie oder gegen seine Überzeugung, dass Vorratsdatenspeicherung weder mit EURecht noch mit der Verfassung vereinbar ist. Deshalb bin ich sehr froh über die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Vorratsdatenspeicherung, ein Urteil, das sich in die Grundbewertung des Bundesverfassungsgerichts und dessen Urteil sehr gut einfügt. Während die Richtlinie zur Vorratsspeicherung von Daten Telekommunikationsbetreibern und Internetanbietern zwingend vorschrieb, Verbindungs- und Standortdaten für die Strafverfolgung zu speichern und Deutschland die Richtlinie mit Wirkung ab 2008 umsetzte, hob das Bundesverfassungsgericht die deutschen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung schon im Jahr 2010 auf, weil sie unverhältnismäßig tief in die Grundrechte eingriffen. Das Bundesverfassungsgericht führt aus: „[Es] handelt … sich bei einer solchen Speicherung um einen besonders schweren Eingriff mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt: Erfasst werden über den gesamten Zeitraum von sechs Monaten praktisch sämtliche Telekommunikationsverkehrsdaten aller Bürger ohne Anknüpfung an ein zurechenbar vorwerfbares Verhalten, eine – auch nur abstrakte – Gefährlichkeit oder sonst eine qualifizierte Situation. Die Speicherung bezieht sich dabei auf Alltagshandeln, das im täglichen Miteinander elementar und für die Teilnahme am sozialen Leben in der modernen Welt nicht mehr verzichtbar ist.“ „[Es] lassen sich schon aus den Daten selbst – und erst recht, wenn diese als Anknüpfungspunkte für weitere Ermittlungen dienen – tiefe Einblicke in das soziale Umfeld und die individuellen Aktivitäten eines jeden Bürgers gewinnen. … aus diesen Daten lassen sich … bei umfassender und automatisierter Auswertung bis in die Intimsphäre hineinreichende inhaltliche Rückschlüsse ziehen. [Sie lassen] in ihrer Kombination detaillierte Aussagen zu gesellschaftlichen oder politischen Zugehörigkeiten sowie persönlichen Vorlieben, Neigungen und Schwächen derjenigen [zu], deren Verbindungsdaten ausgewertet werden.“ „… die anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten [ist] geeignet, ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen, das eine unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Bereichen beeinträchtigen kann.“ (BVerfG, Urt. v. 2. März 2010–1 BvR 256/08, Rn. 210, 211, 212) So weit das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Im politischen Raum fällt es offensichtlich schwer, die Urteile und deren Begründungen mit der gebotenen Vorsicht zu lesen. So sieht Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) in Mindestspeicherfristen alias Vorratsdatenspeicherung noch immer ein wichtiges Mittel für die Aufklärung schwerer Straftaten: „Auch wenn die Richtlinie selbst nun aufgehoben wurde, hat die Entscheidung aber Gewissheit gebracht, dass das Instrument der Vorratsdatenspeicherung sowohl verfassungsrechtlich als auch europarechtlich zulässig ist.“ Und weiter: „Da wir dieses Instrument dringend zur Aufklärung schwerer Straftaten sowie zur Abwehr akuter Gefahren für Leib und Leben benötigen, dränge ich rasch auf eine kluge, verfassungsgemäße und mehrheitsfähige Neuregelung.“ Das sehe ich anders. Mit Blick auf die Arbeitsergebnisse im Zusammenhang mit den NSUMorden, aber auch mit Blick auf die Arbeit des BND, der allem Anschein nach fremden Geheimdiensten geholfen hat, Bürgerinnen und Bürger sowie deutsche und europäische Unternehmen – wer wollte wissen, wen außerdem noch – auszuspionieren, scheint der Bundesinnenminister hier eine gewagte Idee zu verfolgen. Außerdem hat das Bundesverfassungsgericht ja gerade auch zu diesem Sachverhalt erklärt, warum „Die bloße Möglichkeit, dass Daten zu Zwecken der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr benötigt werden könnten“, den Eingriff nicht rechtfertigt. Neben de Maizière wird der fachliche Bedarf der Vorratsdatenspeicherung auch von der Innenministerkonferenz der Länder und sogar vom Deutschen Richterbund als „unerlässliches Instrument gegen die Verbrechensbekämpfung“ gefordert. Das wurde bisher nicht bewiesen, ist aber verständlich, denn es ist viel leichter, sich ein neues Werkzeug zu kaufen, als die vorhandenen zu schärfen. In der Großen Koalition ist es ein Meisterstück von Bundesjustizminister Heiko Maas, nun zehn bzw. vier Wochen Speicherfrist rausverhandelt zu haben. Bundesinnenminister, Polizei und Diensten ist das zu wenig, obwohl Ermittler auch heute schon auf gespeicherte Daten der Telekommunikationsbetreiber zugreifen können – Funkzellenabfrage. Berücksichtigen wir diese Gemengelage, wird deutlich, wie groß der Verhandlungserfolg von Heiko Maas ist. Der Verhandlungserfolg ist maximal. Leider ist aber das mit der CDU/CSU maximal Mögliche nicht das Optimale für unsere Gesellschaft. Ich werde daher einem Gesetz, das anlasslose Vorratsdatenspeicherung – auch Mindestdatenspeicherung oder Mindest- bzw. Höchstspeicherfrist – von Kommunikationsdaten erlaubt, nicht zustimmen. Mein Hauptargument findet sich in der Begründung der Beschwerdeführer, die gegen die Vorratsdatenspeicherung vor das BVerfG gezogen sind: „Die Vorratsdatenspeicherung beeinträchtige die … Unbefangenheit der Kommunikation. Der Schutz der Menschenwürde verlange ein gewisses Maß an unbeobachteter Kommunikation …“. In den USA sehen viele Menschen das Sammeln und Speichern von Daten als unproblematisch an, dort ist allein wichtig, was mit den Daten geschieht. Demgegenüber gibt es in Deutschland die Tendenz, die missbräuchliche Verwendung von Daten dadurch zu verhindern, dass Daten schon gar nicht gesammelt oder gespeichert werden. Insofern bereitet die Erlaubnis der Vorratsdatenspeicherung auch einen Kulturwandel vor, dem ich nicht Vorschub leisten möchte. Die Ablehnung der Vorratsdatenspeicherung birgt natürlich Risiken. Falls es zu terroristischen Anschlägen kommen sollte oder andere Gefahren nicht rechtzeitig erkannt würden, könnte stets der Vorwurf gemacht werden, mit der Vorratsdatenspeicherung hätte diese oder jene Gefahr abgewendet werden können. Aber erstens ist keinesfalls gesichert, dass Vorratsdatenspeicherung überhaupt der Gefahrenabwehr dienen kann, was der grausame Anschlag im Januar dieses Jahres in Frankreich zeigt. Zweitens würde das für unsere Gesellschaft bedeuten, dass das Wohlbefinden durch permanente Überwachung stärker bedroht wäre als durch terroristische Gefahren. Diese Terroristen hätten ihr Ziel erreicht: Die Einschränkung unserer Freiheit durch Angst und permanente Überwachung. Markus Paschke (SPD): In der SPD spielen die Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität eine außerordentlich wichtige Rolle. Sie sind Maßstab für die Kultur einer Gesellschaft. Im Koalitionsvertrag steht zur Vorratsdatenspeicherung: „Wir werden die EURichtlinie über den Abruf und die Nutzung von Telekommunikationsverbindungsdaten umsetzen. Dadurch vermeiden wir die Verhängung von Zwangsgeldern durch den EuGH. Dabei soll ein Zugriff auf die gespeicherten Daten nur bei schweren Straftaten und nach Genehmigung durch einen Richter sowie zur Abwehr akuter Gefahren für Leib und Leben erfolgen. Die Speicherung der deutschen Telekommunikationsverbindungsdaten, die abgerufen und genutzt werden sollen, haben die Telekommunikationsunternehmen auf Servern in Deutschland vorzunehmen. Auf EUEbene werden wir auf eine Verkürzung der Speicherfrist auf drei Monate hinwirken.“ Und zu digitaler Sicherheit und Datenschutz: „Ziel der Koalition ist es, die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit auch in der digitalen Welt zu schaffen und zu bewahren.“ Aber inzwischen hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 8. April 2014 die bestehende EURichtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für rechtswidrig erklärt. Sie ist mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht vereinbar. Die Speicherung von Kommunikationsdaten ohne Verdacht auf Straftaten ist danach nicht zulässig. Die Richter begründen ihre Entscheidung damit, dass die Regelung „einen Eingriff von großem Ausmaß und besonderer Schwere in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf den Schutz personenbezogener Daten. der sich nicht auf das absolut Notwendige beschränkt“, enthalte. Während die Europäische Richtlinie zur Vorratsspeicherung von Daten Telekommunikationsbetreibern und Internetanbietern zwingend vorschrieb. Verbindungs- und Standortdaten für die Strafverfolgung zu speichern, und Deutschland die Richtlinie mit Wirkung ab 2008 umsetzte, hob das Bundesverfassungsgericht die deutschen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung schon im Jahr 2010 auf, weil sie unverhältnismäßig tief in die Grundrechte eingriffen. Das Bundesverfassungsgericht führt aus: „[Es] handelt ... sich bei einer solchen Speicherung um einen besonders schweren Eingriff mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt: Erfasst werden über den gesamten Zeitraum von sechs Monaten praktisch sämtliche Telekommunikationsverkehrsdaten aller Bürger ohne Anknüpfung an ein zurechenbar vorwerfbares Verhalten, eine – auch nur abstrakte – Gefährlichkeit oder sonst eine qualifizierte Situation. Die Speicherung bezieht sich dabei auf Alltagshandeln, das im täglichen Miteinander elementar und für die Teilnahme am sozialen Leben in der modernen Welt nicht mehr verzichtbar ist.“ „[Es] lassen sich schon aus den Daten selbst – und erst recht, wenn diese als Anknüpfungspunkte für weitere Ermittlungen dienen – tiefe Einblicke in das soziale Umfeld und die individuellen Aktivitäten eines jeden Bürgers gewinnen. ... aus diesen Daten lassen sich ... bei umfassender und automatisierter Auswertung bis in die Intimsphäre hineinreichende inhaltliche Rückschlüsse ziehen. [Sie lassen] in ihrer Kombination detaillierte Aussagen zu gesellschaftlichen oder politischen Zugehörigkeiten sowie persönlichen Vorlieben, Neigungen und Schwächen derjenigen [zu], deren Verbindungsdaten ausgewertet werden.“ „... die anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten [ist] geeignet, ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen, das eine unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Bereichen beeinträchtigen kann.“ (BVerfG, Urt. v. 2. März 2010–1 BvR 256/08, Rn. 210, 211, 212) So weit das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). In der Großen Koalition ist es ein Meisterstück von Bundesjustizminister Heiko Maas, nun zehn bzw. vier Wochen Speicherfrist rausverhandelt zu haben. Bundesinnenminister, Polizei und Diensten ist das zu wenig, obwohl Ermittler auch heute schon auf gespeicherte Daten der Telekommunikationsbetreiber, u. a. Funkzellenabfragen, zugreifen können. Berücksichtigen wir diese Gemengelage, wird deutlich, wie groß der Verhandlungserfolg von Heiko Maas ist. Der Verhandlungserfolg ist maximal. Am 15. April 2015 hat Heiko Maas Leitlinien vorgelegt, die eine eng begrenzte Pflicht für alle Telekommunikationsanbieter zur Speicherung von wenigen, genau bezeichneten Verkehrsdaten unter Ausnahme von Diensten der elektronischen Post – also EMail – enthalten. Oberste Richtschnur aller Regelungen sind dabei die strengen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes und des Europäischen Gerichtshofes. Die genannten Leitlinien sind viel restriktiver als das vom Bundesverfassungsgericht aufgehobene, ehemalige Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung, viel restriktiver als die aufgehobene europäische Richtlinie und auch viel restriktiver, als es CDU und CSU wollen. Es müssen nur genau bezeichnete Telekommunikationsdaten gespeichert werden. Dazu zählen Rufnummer, Beginn und Ende des Telefonats sowie im Fall von Internet-Telefondiensten auch die IPAdressen. Diese Daten sollen zehn Wochen gespeichert werden. Eine Speicherfrist von vier Wochen gilt für die Bezeichnung der Funkzellen, die durch den anrufenden und den angerufenen Anschluss bei Beginn der Verbindung genutzt werden. Diese kurze vierwöchige Speicherfrist ist vorgesehen. weil verhindert werden soll, dass mittels dieser Daten Bewegungs- und Persönlichkeitsprofile erstellt werden können. Zusätzlich muss im richterlichen Anordnungsbeschluss einzelfallbezogen begründet werden, warum der Abruf von Funkzellendaten erforderlich und angemessen ist. Anders als etwa in Frankreich dürfen Kommunikationsinhalte und aufgerufene Internetseiten nicht gespeichert werden. Um die Grundrechte der Betroffenen auf Datenschutz und Schutz ihrer Privatsphäre zu wahren, ist der Datenabruf nur zur Verfolgung von schwersten Straftaten möglich. Daten von Berufsgeheimnisträgern wie Journalisten, Anwälten oder Ärzten unterliegen einem Verwertungsverbot. Dies gilt auch bei Zufallsfunden. Wichtig ist, dass der Zugriff auf die gespeicherten Daten transparent und restriktiv geregelt ist: Es gibt einen strengen Richtervorbehalt, das heißt, nur auf richterlichen Beschluss hin dürfen Ermittlungsbehörden die Daten abrufen, und es gibt keine Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft oder der Polizei. Darüber hinaus müssen die Betroffenen grundsätzlich über jeden Abruf informiert werden. Nach Ablauf der Speicherfrist von zehn bzw. vier Wochen müssen die gespeicherten Daten gelöscht werden. Verstöße gegen die Löschpflichten oder die Weitergabe von Daten haben strenge Sanktionen für die Dienstanbieter zur Folge. Um die Sicherheit der gespeicherten Daten zu gewährleisten, werden die Dienstanbieter zudem verpflichtet, die Daten zu schützen. Auch müssen die Server, auf denen die Daten gespeichert werden, innerhalb Deutschlands stehen, Wenn ein Dienstanbieter mit den gespeicherten Daten Handel treibt und diese unbefugt an Dritte weitergibt, ist dies zukünftig eine Straftat nach dem neu zu schaffenden Tatbestand der Datenhehlerei. Die Leitlinien sind also eine gute Grundlage für die weitere Debatte und das anstehende parlamentarische Verfahren, und am Ende kann ein ausgewogener politischer Kompromiss stehen. Und: Deutschland hätte damit die strikteste Regelung zur Speicherung von Verkehrsdaten in ganz Europa. Deshalb werde ich dem Gesetz in Abwägung der Vor- und Nachteile zustimmen. Wenn ich die Häme in so manchem Blog von Leuten lese, die sich einem sensiblen Abwägungsprozess hinsichtlich der Vorratsdatenspeicherung verschließen, habe ich ähnliche Bedenken, wie bei denen, die einen Überwachungsstaat fordern, Noch verwunderter bin ich über Aktivisten im Web, die zwar Vorratsdatenspeicherung  – und sei sie staatlich noch so gut reguliert – vehement ablehnen, aber kein Problem damit haben, jede Menge persönlicher Daten bzw. Verhaltensprofile in die Hände von privaten aus den USA gesteuerten Konzernen zu geben. Mechthild Rawert (SPD): Mit dem Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten wird die Grundlage geschaffen, dass anlasslos und flächendeckend Telekommunikations- und hochsensible Ortungsdaten über Wochen bzw. Monate gespeichert werden. Diese anlasslose und flächendeckende Vorratsdatenspeicherung ist ein undifferenziertes und rechtlich unverhältnismäßiges Überwachungsinstrument, das die Grundrechte in unzumutbarer Art einschränkt und alle BürgerInnen unter einen Generalverdacht stellt. Die Speicherung von Telekommunikationsdaten birgt durch die dabei entstehenden Datenmengen ein unverhältnismäßiges Risiko, das keineswegs mit vermeintlichen, aber objektiv nicht zu belegenden Vorteilen bei der Strafverfolgung aufgewogen werden kann. Zur Aufklärung von Straftaten müssen alle vorhandenen rechtlichen Mittel ausgeschöpft werden und Ermittlungsbehörden ausreichend personell und technisch ausgestattet sein. Ein Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht im Auftrag des Bundesjustizministeriums kam 2011 zu dem Ergebnis, dass keine Schutzlücke durch das Fehlen der Vorratsdatenspeicherung existiert. Ich sehe mit Sorge, dass mit diesem Gesetzentwurf der Staat einen Paradigmenwechsel hin zu einer anlasslosen und flächendeckenden Speicherung von Daten der Bürgerinnen und Bürger anordnet. Hier wird Freiheit gegen eine vermeintliche Sicherheit, von der ich noch nicht einmal überzeugt bin, dass wir sie damit erreichen, in überzogener Weise eingeengt. Ungeklärt ist für mich auch, welche Beweiskraft die gespeicherten und gegebenenfalls ausgelesenen Daten haben werden. Da Gesprächsinhalte – und das ist gut so – nicht gespeichert werden dürfen, kann eine Person ins Visier der Ermittlungsbehörden gelangen, die zwar Kontakt mit einem Tatverdächtigen hat, aber mit den mutmaßlichen Taten nichts zu tun hat. Mich treibt auch die Sorge um die Sicherheit der gespeicherten Daten um. Nicht zuletzt der Hackerangriff auf das Datennetz des Deutschen Bundestages zeigt, dass nichts und niemand davor geschützt ist, dass seine oder ihre Daten von fremden, unbefugten Menschen „abgegriffen“ werden können und ein Missbrauch der gespeicherten Daten niemals ausgeschlossen werden kann. Die BefürworterInnen der Vorratsdatenspeicherung begründen ihr Votum mit besserer Erkenntnisgewinnung für die Strafverfolgungsbehörden. Diese könnten bislang nicht auf alle Verbindungsdaten zugreifen und so entscheidende Verknüpfungen nicht nachvollziehen, um schwere Straftaten zu verhindern. Dieser Argumentation kann ich nicht folgen. Sicherlich ist es für alle Strafverfolgungsbehörden – und auch für mich – von Interesse, schwere Straftaten aufzuklären und das Begehen schwerer Straftaten zu verhindern. Mir ist aber nach wie vor nicht klar, wie aus dem entstehenden Datenwust die entsprechenden Verbindungsdaten herausgefiltert werden können, ohne Unbescholtene in die Ermittlungen zu verwickeln. Ich glaube außerdem nicht, dass mutmaßliche TäterInnen so unbedarft agieren und auf Telekommunikationsanbieter zurückgreifen, die zur Speicherung der Daten verpflichtet sind. Der Gesetzentwurf sieht eine Evaluation nach 36 Monaten vor. Das begrüße ich. Ich bezweifele jedoch, ob wir mit einer Evaluation den realen Nutzen der Vorratsdatenspeicherung bewerten können. Denn – wo soll der Erfolgsmaßstab ansetzen? Wie schwer wiegt die erfolgreiche Ermittlung oder Verhinderung einer schweren Straftat gegenüber der Überwachung aller BürgerInnen? Ich habe darüber hinaus Sorge, dass auch dieser Gesetzentwurf gegen europäisches Recht verstößt. Denn der Europäische Gerichtshof fordert, dass Daten weder komplett noch anlasslos gesammelt werden dürfen. Wenn Verbindungs- und Standortdaten jedoch von jeder/m BürgerIn für einen gewissen Zeitraum von den Telekommunikationsanbietern gespeichert werden müssen, sind sie meiner Überzeugung nach komplett und anlasslos gespeichert. Der Europäische Gerichtshof urteilte, dass die damalige EURichtlinie 2006/24/EG zur Einführung einer Vorratsdatenspeicherung nicht mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vereinbar ist. Auch das Bundesverfassungsgericht entschied, dass die damalige Vorratsdatenspeicherung gegen Artikel 10 Absatz 1 des Grundgesetzes (Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis) verstieß. Aus diesen Gründen werde ich mit Nein abstimmen. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten (Zusatztagesordnungspunkt 5 a) In der Ergebnisliste zu der namentlichen Abstimmung ist mein Name nicht aufgeführt. Mein Votum lautet: Ja. Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Karamba Diaby (SPD) zu den namentlichen Abstimmungen über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes (130. Sitzung, Tagesordnungspunkt 5 a) In den Ergebnislisten zu den fünf namentlichen Abstimmungen Top 5 a „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“ am 15.10.2015, zu den Drucksachen: 18/6185, 18/6386, 18/6387, 18/3839, 18/6190, 18/4694, 18/6386, 18/6172, 18/6381, 18/5921, 18/6289 und 18/6392 – ist mein Votum nicht aufgeführt. Mein Votum lautet jeweils „Enthaltung“. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Christoph Strässer (SPD) zu den namentlichen Abstimmungen über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes (130. Sitzung, Tagesordnungspunkt 5 a) Zu den namentlichen Abstimmungen über den von den Fraktionen CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eins Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes Drucksachen 18/6185, 18/6386 und 18/6387 – in der Plenarsitzung am 15. Oktober 2015 sind meine Voten für die für die ersten drei namentlichen Abstimmungen, über – Artikel 1 Nr. 15, 16 und 19 des Gesetzentwurfs; Änderung des Asylverfahrensgesetzes (u. a. Verlängerung der Aufenthaltshöchstdauer in Erstaufnahmeeinrichtungen von drei auf sechs Monate) – Artikel 1 Nr. 35 des Gesetzentwurfs; Neufassung der Anlage II zu § 29 a des Asylverfahrensgesetzes (Erweiterung der Liste der Sicheren Herkunftsstaaten um Albanien, Kosovo und Montenegro) – Artikel 2 des Gesetzentwurfs; Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes (u. a. Sachleistungen) nicht aufgeführt. Mein Votum lautet: – 1. Abstimmung zu Art. 1 Nr. 15, 16 und 19: Enthaltung. – 2. Abstimmung zu Art. 1, Nr. 35: Nein. – 3. Abstimmung zu Art. 2: Enthaltung. Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Kerstin Tack (SPD) zu den namentlichen Abstimmungen über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes (130. Sitzung, Tagesordnungspunkt 5 a) Hiermit erkläre ich, dass ich an der zweiten namentlichen Abstimmung nicht teilgenommen habe. Anlage 9 Amtliche Mitteilung Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Finanzausschuss Drucksache 18/419 Nr. A.60 Ratsdokument 12044/13 Drucksache 18/419 Nr. A.69 Ratsdokument 16918/13 Drucksache 18/419 Nr. C.32 Ratsdokument 9270/11 Drucksache 18/419 Nr. C.33 Ratsdokument 15938/11 Drucksache 18/419 Nr. C.34 Ratsdokument 15939/11 Drucksache 18/5982 Nr. A.18 Ratsdokument 11283/15 Haushaltsausschuss Drucksache 18/5286 Nr. A.7 Ratsdokument 9000/15 Drucksache 18/5459 Nr. A.10 Ratsdokument 9403/15 Drucksache 18/5982 Nr. A.20 KOM(2015)326 endg. Drucksache 18/5982 Nr. A.23 Ratsdokument 10405/15 Drucksache 18/5982 Nr. A.24 Ratsdokument 10882/15 Drucksache 18/5982 Nr. A.26 Ratsdokument 11113/15 Drucksache 18/6146 Nr. A.8 Ratsdokument 11496/15 Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksache 18/5982 Nr. A.30 Ratsdokument 11012/15 Drucksache 18/5982 Nr. A.31 Ratsdokument 11016/15 Drucksache 18/5982 Nr. A.32 Ratsdokument 11017/15 Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 18/6240 Nr. A.2 Ratsdokument 11675/15 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 18/5286 Nr. A.15 EP P8_TA-PROV(2015)0107 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 18/3898 Nr. A.16 Ratsdokument 17001/14 1)  Anlagen 2 bis 5 2)  Ergebnis Seite 12780 B --------------- ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 131. Sitzung, Berlin, Freitag, den 16. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 131. Sitzung, Berlin, Freitag, den 16. Oktober 2015 III Plenarprotokoll 18/131