Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 133. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 5. November 2015 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Helmut Brandt, Inge Höger und Marlene Mortler 12887 A Begrüßung der neuen Abgeordneten, Frau Petra Rode-Bosse 12887 B Wahl der Abgeordneten Klaus-Peter Flosbach und Hubertus Heil als Mitglieder des Verwaltungsrates der Kreditanstalt für Wiederaufbau 12887 B Erweiterung der Tagesordnung 12887 B Begrüßung der Präsidentin der Saeima der Republik Lettland, Frau Inara Murniece 12898 B Glückwünsche zur Verleihung des Leo-Baeck-Preises an den Abgeordneten Volker Beck (Köln) 12902 B Tagesordnungspunkt 3: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland (Hospiz- und Palliativgesetz – HPG) Drucksachen 18/5170, 18/5868, 18/6585 12887 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Wöllert, Pia Zimmermann, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Hochwertige Palliativ- und Hospizversorgung als soziales Menschenrecht sichern – zu dem Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gute Versorgung am Lebensende sichern – Palliativ- und Hospizversorgung stärken Drucksachen 18/5202, 18/4563, 18/6585 12887 D Hermann Gröhe, Bundesminister BMG 12888 A Birgit Wöllert (DIE LINKE) 12889 B Dr. Karl Lauterbach (SPD) 12890 B Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12891 C Emmi Zeulner (CDU/CSU) 12892 C Pia Zimmermann (DIE LINKE) 12894 B Hilde Mattheis (SPD) 12895 A Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12896 A Hubert Hüppe (CDU/CSU) 12896 D Helga Kühn-Mengel (SPD) 12898 C Heiko Schmelzle (CDU/CSU) 12899 C Bettina Müller (SPD) 12900 D Tagesordnungspunkt 4: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes Drucksache 18/6489 12902 C Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin BMBF 12902 D Nicole Gohlke (DIE LINKE) 12905 C Hubertus Heil (Peine) (SPD) 12906 D Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12908 D Alexandra Dinges-Dierig (CDU/CSU) 12911 A Ralph Lenkert (DIE LINKE) 12913 A Dr. Simone Raatz (SPD) 12913 D Patricia Lips (CDU/CSU) 12916 A Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) 12917 B Katrin Albsteiger (CDU/CSU) 12918 D Tagesordnungspunkt 5: a) Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Jutta Krellmann, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Junge Beschäftigte vor prekärer Arbeit schützen Drucksache 18/6362 12920 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Leiharbeit und Werkverträge eingrenzen und umfassend regulieren Drucksachen 18/4839, 18/5449 12920 A Klaus Ernst (DIE LINKE) 12920 B Albert Stegemann (CDU/CSU) 12921 B Klaus Ernst (DIE LINKE) 12923 A Albert Stegemann (CDU/CSU) 12923 C Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12923 D Markus Paschke (SPD) 12924 D Wilfried Oellers (CDU/CSU) 12925 D Jutta Krellmann (DIE LINKE) 12927 C Michael Gerdes (SPD) 12928 D Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12929 D Michael Gerdes (SPD) 12930 A Stephan Stracke (CDU/CSU) 12931 B Jutta Krellmann (DIE LINKE) 12932 C Bernd Rützel (SPD) 12933 A Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) 12934 B Tagesordnungspunkt 31: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 28. März 2014 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksache 18/6449 12935 D b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 1007/2011 und zur Ablösung des Textilkennzeichnungsgesetzes Drucksache 18/6488 12936 A c) Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Änderung der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung zur Erhöhung der Sicherheit im Eisenbahnverkehr Drucksache 18/5406 12936 A Tagesordnungspunkt 32: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung vom 10. Dezember 2014 des Übereinkommens vom 27. Juni 1980 zur Gründung des Gemeinsamen Fonds für Rohstoffe Drucksachen 18/6294, 18/6576 12936 B b) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz: Übersicht 6 – über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht Drucksache 18/6572 12936 C c)–i) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 236, 237, 238, 239, 240, 241 und 242 zu Petitionen Drucksachen 18/6354, 18/6355, 18/6356, 18/6357, 18/6358, 18/6359, 18/6360 12936 C Tagesordnungspunkt 6: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2015 (Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2015) Drucksachen 18/6090, 18/6447, 18/6580, 18/6581 12937 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Ingbert Liebing, Artur Auernhammer, Norbert Barthle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Bernhard Daldrup, Johannes Kahrs, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Für gleichwertige Lebensverhältnisse – Kommunalfreundliche Politik des Bundes konsequent fortsetzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Britta Haßelmann, Christian Kühn (Tübingen), Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Dauerhafte und strukturelle Entlastungen für Kommunen in Not Drucksachen 18/6062, 18/6069, 18/6582 12937 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Kassner, Susanna Karawanskij, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kommunen von den Kosten für bauliche Maßnahmen an Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen befreien Drucksachen 18/3051, 18/6570 12937 C Norbert Brackmann (CDU/CSU) 12937 C Roland Claus (DIE LINKE) 12939 A Johannes Kahrs (SPD) 12940 A Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12941 B Alois Rainer (CDU/CSU) 12942 C Bettina Hagedorn (SPD) 12943 B Christian Haase (CDU/CSU) 12944 A Bernhard Daldrup (SPD) 12945 B Tagesordnungspunkt 7: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Befristung von Vorschriften nach den Terrorismusbekämpfungsgesetzen Drucksachen 18/5924, 18/6177, 18/6579 12946 C Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) 12946 C Ulla Jelpke (DIE LINKE) 12948 B Uli Grötsch (SPD) 12949 B Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12951 B Clemens Binninger (CDU/CSU) 12952 B Tagesordnungspunkt 8: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Nicole Maisch, Renate Künast, Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Einführung von Gruppenverfahren Drucksachen 18/1464, 18/6422 12954 B Dirk Wiese (SPD) 12954 B Caren Lay (DIE LINKE) 12955 B Sebastian Steineke (CDU/CSU) 12956 C Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12958 B Dr. Silke Launert (CDU/CSU) 12959 C Metin Hakverdi (SPD) 12961 A Tagesordnungspunkt 9: a)   – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Strukturen der Krankenhausversorgung (Krankenhausstrukturgesetz – KHSG) Drucksache 18/5372 12962 B – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Strukturen der Krankenhausversorgung (Krankenhausstrukturgesetz – KHSG) Drucksachen 18/5867, 18/6586 12962 C – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6587 12962 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Versorgungsqualität und Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern verbessern – Bedarfsgerechte Personalbemessung gesetzlich regeln – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Elisabeth Scharfenberg, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gute Versorgung, gute Arbeit – Krankenhäuser zukunftsfest machen Drucksachen 18/5369, 18/5381, 18/6586 12962 D Hermann Gröhe, Bundesminister BMG 12962 D Harald Weinberg (DIE LINKE) 12964 A Hilde Mattheis (SPD) 12965 A Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12966 A Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) 12967 A Marina Kermer (SPD) 12968 A Lothar Riebsamen (CDU/CSU) 12969 C Tagesordnungspunkt 10: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Diana Golze, Agnes Alpers, Nicole Gohlke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Betreuungsgeldgesetzes Drucksachen 18/5, 18/6200 12971 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – zu dem Antrag der Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam), Sigrid Hupach, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Betreuungsgeld für den Kitaausbau nutzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Katja Dörner, Beate Walter-Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Betreuungsgeld in Kitas investieren Drucksachen 18/6041, 18/6063, 18/6200 12971 B Dr. Fritz Felgentreu (SPD) 12971 C Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) 12972 D Josef Rief (CDU/CSU) 12974 A Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12975 D Gudrun Zollner (CDU/CSU) 12976 D Dr. Dorothee Schlegel (SPD) 12978 B Namentliche Abstimmung 12981 A Ergebnis 12981 A Tagesordnungspunkt 11: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung agrarmarktrechtlicher Bestimmungen Drucksachen 18/6160, 18/6438 12979 D Hermann Färber (CDU/CSU) 12979 D Karin Binder (DIE LINKE) 12983 B Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) 12984 C Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12986 A Marlene Mortler (CDU/CSU) 12986 D Namentliche Abstimmung 12990 B Ergebnis 12990 B Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Omid Nouripour, Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kein Frieden und keine Stabilität ohne Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit – Für eine weitsichtige europäische Nachbarschaftspolitik gegenüber den Staaten Nordafrikas Drucksache 18/6551 12988 B Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12988 B Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) 12989 B Inge Höger (DIE LINKE) 12993 B Gabriela Heinrich (SPD) 12994 B Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten Friedensmission in Südsudan (UNMISS) auf Grundlage der Resolution 1996 (2011) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 8. Juli 2011 und Folgeresolutionen, zuletzt 2241 (2015) vom 9. Oktober 2015 Drucksache 18/6504 12995 C Michael Roth, Staatsminister AA 12995 D Christine Buchholz (DIE LINKE) 12997 A Jürgen Hardt (CDU/CSU) 12997 D Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12998 C Thorsten Frei (CDU/CSU) 12999 C Michael Roth, Staatsminister AA (Erklärung nach § 30 GO) 13000 C Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 13000 D Tagesordnungspunkt 14: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bestandsobergrenzen für Tierhaltungen einführen – zu dem Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Nicole Maisch, Christian Kühn (Tübingen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Zukunft der Tierhaltung – Artgerecht und der Fläche angepasst Drucksachen 18/1872, 18/3732, 18/6437 13001 B Dieter Stier (CDU/CSU) 13001 B Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) 13002 B Christina Jantz (SPD) 13003 B Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13004 C Johannes Röring (CDU/CSU) 13005 C Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur (UNAMID) auf Grundlage der Resolution 1769 (2007) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007 und folgender Resolutionen, zuletzt 2228 (2015) vom 29. Juni 2015 Drucksache 18/6503 13007 A Dirk Vöpel (SPD) 13007 B Christine Buchholz (DIE LINKE) 13008 C Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMVg 13009 B Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13010 C Florian Hahn (CDU/CSU) 13011 B Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Luise Amtsberg, Özcan Mutlu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Vielfalt stärkt Wissenschaft – Studienchancen für Flüchtlinge schaffen Drucksache 18/6345 13012 C Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13012 C Cemile Giousouf (CDU/CSU) 13013 C Ralph Lenkert (DIE LINKE) 13014 D Dr. Karamba Diaby (SPD) 13015 C Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU) 13016 D Tagesordnungspunkt 17: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Zu den Überlegungen der Europäischen Kommission zur Schaffung einer Europäischen Einlagensicherung Drucksache 18/6548 13017 D Antje Tillmann (CDU/CSU) 13018 A Dr. Axel Troost (DIE LINKE) 13018 D Manfred Zöllmer (SPD) 13019 C Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13020 B Alexander Radwan (CDU/CSU) 13021 A Christian Petry (SPD) 13022 A Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Bevölkerungsstatistiken verbessern – Zivile Registrierungssysteme stärken Drucksache 18/6549 13023 A Tagesordnungspunkt 19: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. Juni 2015 zur Gründung der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank Drucksachen 18/6163, 18/6448, 18/6568 13023 A – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6577 13023 B Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU) 13023 B Dr. Axel Troost (DIE LINKE) 13025 A Manfred Zöllmer (SPD) 13025 D Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13026 D Tagesordnungspunkt 20: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2016 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 2016) Drucksachen 18/6159, 18/6574 13028 A Tagesordnungspunkt 21: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Auswahl und zum Anschluss von Telekommunikationsendgeräten Drucksachen 18/6280, 18/6575 13028 B Tagesordnungspunkt 22: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb Drucksachen 18/4535, 18/6571 13028 C Tagesordnungspunkt 23: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Zollverwaltung Drucksachen 18/5294, 18/5770, 18/6569 13028 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6578 13028 D Tagesordnungspunkt 24: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Besoldungsänderungsgesetzes (7. BesÄndG) Drucksachen 18/6156, 18/6583 13029 A – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6584 13029 B Tagesordnungspunkt 25: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaftsgesetzes Drucksache 18/6487 13029 C b) Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Planungen für die Gründung einer Bundesfernstraßengesellschaft sofort einstellen Drucksache 18/6547 13029 C Nächste Sitzung 13029 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 13031 A Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland (Hospiz- und Palliativgesetz – HPG) (Tagesordnungspunkt 3 a) Heike Baehrens (SPD) 13031 C Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13031 D Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sabine Dittmar (SPD) zu der Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Strukturen der Krankenhausversorgung (Krankenhausstrukturgesetz – KHSG) (Tagesordnungspunkt 9 a) 13032 A Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. Juni 2015 zur Gründung der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank (Tagesordnungspunkt 19) 13033 C Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Bevölkerungsstatistiken verbessern – Zivile Registrierungssysteme stärken (Tagesordnungspunkt 18) Dr. Georg Kippels (CDU/CSU) 13033 C Michaela Engelmeier (SPD) 13034 D Niema Movassat (DIE LINKE) 13036 A Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13036 C Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2016 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 2016) (Tagesordnungspunkt 20) Astrid Grotelüschen (CDU/CSU) 13037 A Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU) 13038 A Bernd Westphal (SPD) 13039 A Thomas Nord (DIE LINKE) 13039 B Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13040 A Iris Gleicke, Parl. Staatssekretärin BMWi 13040 D Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Auswahl und zum Anschluss von Telekommunikationsendgeräten (Tagesordnungspunkt 21) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) 13041 B Klaus Barthel (SPD) 13042 B Lars Klingbeil (SPD) 13043 A Halina Wawzyniak (DIE LINKE) 13043 D Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13044 C Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (Tagesordnungspunkt 22) Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) 13046 C Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 13048 A Christian Flisek (SPD) 13048 D Caren Lay (DIE LINKE) 13049 C Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13050 A Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Zollverwaltung (Tagesordnungspunkt 23) Margaret Horb (CDU/CSU) 13050 D Ingrid Arndt-Brauer (SPD) 13052 B Richard Pitterle (DIE LINKE) 13053 B Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 13053 D Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Besoldungsänderungsgesetzes (7. BesÄndG) (Tagesordnungspunkt 24) Oswin Veith (CDU/CSU) 13054 D Matthias Schmidt (Berlin) (SPD) 13056 A Katrin Kunert (DIE LINKE) 13057 A Doris Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13058 A Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaftsgesetzes – des Antrags der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Planungen für die Gründung einer Bundesfernstraßengesellschaft sofort einstellen (Tagesordnungspunkt 25 a und b) Florian Oßner (CDU/CSU) 13059 A Reinhold Sendker (CDU/CSU) 13059 D Sebastian Hartmann (SPD) 13060 C Sabine Leidig (DIE LINKE) 13061 B Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13062 A 133. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 5. November 2015 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich zu unserer 133. Plenarsitzung. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich gerne dem Kollegen Helmut Brandt und der Kollegin Inge Höger zum 65. Geburtstag sowie der Kollegin Marlene Mortler zu ihrem 60. Geburtstag nachträglich gratulieren. Auch auf diesem Wege noch einmal alle guten Wünsche für das neue Lebensjahr. (Beifall) Der Kollege Dirk Becker hat sein Bundestagsmandat niedergelegt. Für ihn ist die Kollegin Petra Rode-Bosse nachgerückt. Ich möchte Sie im Namen des ganzen Hauses herzlich begrüßen. (Beifall) Ich wünsche uns eine gute Zusammenarbeit. Wir müssen noch die Wahl von zwei Mitgliedern des Verwaltungsrates der Kreditanstalt für Wiederaufbau durchführen. Auf Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion sollen der Kollege Klaus-Peter Flosbach und auf Vorschlag der SPD-Fraktion der Kollege Hubertus Heil für eine weitere Amtszeit berufen werden. Gibt es dagegen Einwände? – Das ist nicht erkennbar. Dann sind damit die beiden gerade genannten Kollegen als Mitglieder des Verwaltungsrates für eine weitere Amtszeit gewählt. Ich möchte schließlich darauf aufmerksam machen, dass es eine Vereinbarung gibt, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zu neuen Erkenntnissen zur VW-Abgasaffäre (siehe 132. Sitzung) ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Keul, Dr. Sabine Sütterlin-Waack, Brigitte Zypries, Matthias W. Birkwald und weiterer Abgeordneter Keine neuen Straftatbestände bei Sterbehilfe Drucksache 18/6546 Darunter befindet sich auch der neue Gruppenantrag zum Thema Sterbehilfe bzw. Sterbebegleitung, der dann in der morgigen Debatte aufgerufen wird. Sind Sie mit diesen gerade vorgetragenen Vereinbarungen einverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland (Hospiz- und Palliativgesetz – HPG) Drucksachen 18/5170, 18/5868 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) Drucksache 18/6585 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Wöllert, Pia Zimmermann, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE – Hochwertige Palliativ- und Hospizversorgung als soziales Menschenrecht sichern – zu dem Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gute Versorgung am Lebensende sichern – Palliativ- und Hospizversorgung stärken Drucksachen 18/5202, 18/4563, 18/6585 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 77 Minuten vorgesehen. – Auch das ist offensichtlich einvernehmlich. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Bundesminister Hermann Gröhe. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Hermann Gröhe, Bundesminister für Gesundheit: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Das Hospiz- und Palliativgesetz, über das wir heute beraten, ist auch für mich persönlich ein ganz besonderes Gesetz. Am 29. April, als das Bundeskabinett über den Gesetzentwurf, der der heutigen Beschlussfassung zugrunde liegt, beraten und abgestimmt hat, saß ich nicht am Kabinettstisch, sondern in einer Palliativstation meiner Heimatstadt Neuss am Bett meiner sterbenden Mutter. Die Palliativschwester riet mir, meiner Mutter den Mund zu befeuchten. Half es ihr oder half es uns, meinen Geschwistern, meinem Vater und mir, unsere Ohnmacht angesichts des Unausweichlichen auszuhalten? Wir haben in den letzten Jahren in unserem Land im Bereich der Palliativmedizin viele Fortschritte erlebt, viel gelernt über Schmerzlinderung, über die Hilfe bei drohender Atemnot. Wir müssen weiter forschen und mehr lernen. Ich danke Kollegin Johanna Wanka, dass es ein weiteres Förderprogramm im Bereich der Palliativmedizin geben wird. Aber der vielleicht wichtigste Fortschritt in der Palliativmedizin – oder sollte ich sagen: durch die Palliativmedizin? – war doch der, dass die Medizin gelernt hat, dass sie in dieser Situation Menschen dann am besten dienen kann, wenn sie ihre eigenen Grenzen anerkennt, (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) wenn an die Stelle des Wunsches, Krankheit zu heilen und Leben zu verlängern – ja, wir verdanken diesem Wunsch unendlich viel Gutes –, die Bereitschaft tritt, das Unausweichliche geschehen zu lassen und gut zu begleiten. Wir können Menschen durch Palliativmedizin und Hospizversorgung nicht die Angst vor dem Sterben nehmen. Aber unerträglicher Schmerz muss nicht sein. Einsamkeit in der letzten Lebensphase muss dank des unermüdlichen Einsatzes von über 100 000 Menschen in der Hospizbewegung nicht sein, für den wir sehr dankbar sind. (Beifall im ganzen Hause) Was mich umtreibt, ist, dass viele Menschen nicht wissen, welche Möglichkeiten heute die Palliativmedizin, die Hospizversorgung bieten. Was mich und uns alle noch mehr umtreiben muss, ist, dass das, was wir können, noch längst nicht überall angeboten wird, dass wir Menschen noch viel zu oft schuldig bleiben, was heute möglich ist. Das sind die Leitgedanken dieses Gesetzes: erstens bessere Information und Beratung und zweitens ein umfassender Ausbau des heute Möglichen an Hilfe und Begleitung. Deswegen wird es zukünftig einen umfassenden Beratungsanspruch der Patientinnen und Patienten geben. Deswegen führen wir in der stationären Altenpflege eine umfassende Versorgungsplanung für die Begleitung in der letzten Lebensphase ein. Wir wollen Menschen überall dort gut begleiten, wo sie sterben: zu Hause, in Pflegeeinrichtungen, in Hospizen und in Krankenhäusern. Erst jüngst hat eine Studie der Bertelsmann-Stiftung darauf hingewiesen, dass sich die allermeisten Menschen dies wünschen, nämlich in den eigenen vier Wänden auch die letzten Lebenstage verbringen zu können, und dass dies häufig nicht gelingt. Die Studie zeigt aber auch, dass dies viel häufiger dann gelingt, wenn vor Ort ein gutes Netz an aufeinander abgestimmter Hilfe und Unterstützung existiert. Unser Wille ist, dass es ein solches Netz überall in diesem Land gibt, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deswegen werden wir mit einer Reihe von Maßnahmen die Sterbebegleitung zu Hause verstärken und unterstützen. Dabei geht es um den Ausbau der allgemeinen oder spezialisierten palliativmedizinischen Versorgung. Dabei geht es um eine Stärkung der Palliativpflege in der häuslichen Krankenpflege. Schließlich geht es darum, die häuslichen Hospizdienste besser auszustatten, indem es auch für die ehrenamtlich Tätigen eine Erstattung von Sachkosten gibt. Denn es kann doch nicht wahr sein, dass gerade in der Fläche ehrenamtlich Tätige, die diese herausforderungsvolle Arbeit leisten, gleichsam noch selbst für ihre Kosten aufkommen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir werden die stationären Hospize bezüglich der finanziellen Unterstützung besser ausstatten, auch mit einer Mindestunterstützung. Das ist wichtig, um gerade auch in Regionen, in denen bisher ein unzureichendes Angebot existiert, dies auszubauen. Wir werden spezielle Regelungen für die Arbeit in Kinderhospizen vorsehen. In der Altenpflege habe ich schon die umfassende Versorgungsplanung genannt, die wir als Leistung der Krankenkassen einführen werden: zu einer umfassenden Beratung, der Begleitung und der Unterstützung, der es in der Altenpflege bedarf. Wir werden die Altenpflegeeinrichtungen verpflichten, mit Palliativnetzwerken und Palliativmedizinern zusammenzuarbeiten. Es darf nicht sein, dass Schwerstkranke und Sterbende in den letzten Tagen aus Altenpflegeeinrichtungen in Krankenhäuser verlegt werden, weil nur dort eine angemessene palliativmedizinische Versorgung möglich ist. Auch das werden wir beenden. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir werden die Arbeit in den Krankenhäusern, in der Palliativmedizin verstärken, indem in Zukunft die Palliativstationen finanziell besser abgesichert werden. Aber – das ist ein Ergebnis der intensiven parlamentarischen Beratung, für das ich dankbar bin –: Wir werden auch in den Krankenhäusern, in denen keine Palliativstationen existieren, zu einer Verbesserung in der palliativmedizinischen Arbeit kommen. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, dieses Gesetz – so will ich es bewusst sagen – ist eine Gemeinschaftsleistung. Wir haben denen, die diese Arbeit in der Palliativmedizin und in der Hospizbewegung leisten, zum Beispiel im Forum „Palliativ- und Hospizversorgung in Deutschland“, das seit einigen Jahren im Bundesgesundheitsministerium existiert und von meiner Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz geleitet wird, sehr genau zugehört. Herzlichen Dank für diese Arbeit! (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich danke für die Art der Beratungen und der Anhörung, die wir durchgeführt haben, wie wir denen zugehört haben, die uns aus ihrer Arbeit aus der Hospizbewegung, in den häuslichen Hospizdiensten, in den stationären Hospizen und in der Palliativmedizin berichtet haben. In diesem Zuhören ist ein Geist der Gemeinsamkeit und des Aufeinanderhörens entstanden, der auch dazu geführt hat, dass wir – Union, SPD und Grüne – in der gestrigen Sitzung des Gesundheitsausschusses gemeinsam Änderungsanträge eingebracht und damit auch deutlich gemacht haben, dass uns dies ein wichtiges, ein gemeinsames Anliegen ist. Wir wollen, dass schwerstkranke Menschen überall in diesem Land in ihrer Situation als Sterbende die pflegerische, medizinische, psychosoziale und seelsorgerische Hilfe erfahren, die sie brauchen. Wir sind es ihnen schuldig. Dass wir dies in dieser großen Gemeinsamkeit tun, ist ein ganz starkes Zeichen. Dafür bin ich dankbar. Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Birgit Wöllert für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Birgit Wöllert (DIE LINKE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zuhörerinnen und Zuhörer! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, uns eint, dass mit dem Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der letzten Lebensphase gegangen wird. Ich möchte aber etwas klarstellen. Morgen werden wir über die Sterbehilfe diskutieren, und viele bringen den heute zu beratenden Gesetzentwurf und diese Diskussion zusammen. Für meine Fraktion leitet sich der vorliegende Gesetzentwurf eher aus Artikel 1 des Grundgesetzes ab: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Mit dem Gesetzentwurf wird ein Schritt auf dem Weg zur weiteren Ausgestaltung dieses Grundrechts gegangen. Professor Christoph Student, der Leiter des Deutschen Instituts für Palliative Care, hat die Kennzeichen der Hospizarbeit beschrieben. Sie können das im Internet nachlesen. Ich finde das sehr interessant, um zu verstehen, was Hospiz- und Palliativarbeit eigentlich ist. Er benennt fünf Merkmale: Erstens. Der sterbende Mensch und seine Angehörigen stehen im Zentrum. Zweitens. Der Gruppe der Betroffenen steht ein interdisziplinäres Team zur Verfügung, das heißt professionelle Kräfte. Drittens die Einbeziehung Freiwilliger, viertens gute Kenntnisse in der Symptomkontrolle und fünftens Kontinuität der Fürsorge, das heißt Fürsorge rund um die Uhr. Er definiert Sterben so: … Sterben ist keine Krankheit, sondern eine kritische Lebensphase, die oftmals mit Krankheit verbunden ist. Hieraus entstehen vielfältige Lebensbedürfnisse, denen nur durch ein Team begegnet werden kann, das hierfür ausgerüstet – das heißt ausgebildet – ist. Daraus leiten sich auch die Forderungen in unserem Antrag, der Fraktion Die Linke, ab. Eine Hauptforderung darin ist erstens ein Rechtsanspruch auf allgemeine Palliativversorgung für alle unabhängig von der Art der Erkrankung – Voraussetzung für die spezialisierte ambulante Palliativversorgung sind bestimmte Erkrankungen –, von der Behinderung, vom individuellen Lebensort – gemeint ist, wo man sein Leben verbringt – und der Wohnform sowie der Versicherungsform. Das ist übrigens auch eine Forderung des Bundesrates. In seiner Stellungnahme heißt es: Leistungserbringung und Versorgungsplanung müssen auf Krankenhäuser und Einrichtungen der Behindertenhilfe ausgedehnt werden. Die Einrichtungen der Behindertenhilfe sind aber leider nicht dabei. Tatsächlich sind aber alle Wohnformen gemeint. Zweitens: flächendeckender, barrierefreier Ausbau von Hospizangeboten. Dazu zählt auch eine vollständige Finanzierung. Rechtsanspruch bedeutet, man ist nicht auf Spendenmittel angewiesen. Die Sachkosten sollten in Höhe von 25 Prozent berücksichtigt werden. Wir haben zwar zugestimmt, dass der Zuschuss je Leistungseinheit von 11 auf 13 Prozent erhöht wird. Aber das ist längst nicht ausreichend. Eine eigenständige Rahmenvereinbarung für Kinderhospize ist als Maßnahme aufgenommen worden; dafür sind wir sehr dankbar. Auch deswegen haben wir dem Änderungskatalog zugestimmt. Drittens: Palliativversorgung und Sterbebegleitung in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen qualitativ verbessern. Dazu gehören Qualitäts- und Personalbemessung. Bei der Koordination aller Leistungsträger gibt es gute Ansätze im Gesetzentwurf. Aber sie reichen nicht aus. Sie müssen verpflichtend kontrollierbar sein. Viertens: Entwicklung einer nationalen Palliativstrategie mit allen Akteuren. Wenn man die Bertelsmann-Studie gelesen hat, weiß man, wie dringend notwendig das ist und wie viele weiße Flecken es in unserem Land gibt, in denen überhaupt keine Palliativbetreuung vorhanden ist. Ein weiterer Punkt ist die Regelung in einem Berufsgesetz. Es gibt nur neun Lehrstühle für Palliativmedizin an den medizinischen Fakultäten. Für Palliativpflege gibt es überhaupt keinen Lehrstuhl. Auch hier besteht also Handlungsbedarf. Bei der angestrebten regelmäßigen Berichterstattung gibt es Verbesserungen. So sieht der geänderte Gesetzentwurf vor, dass der GKVSpitzenverband evaluiert und alle drei Jahre einen Bericht vorlegt. Auch das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Fünftens: Es wird Zeit – davon ist hier leider nicht die Rede –, dass das Fakultativprotokoll zum UN-Sozialpakt unterschrieben und dem Bundestag zur Ratifizierung vorgelegt wird, um ein Individualbeschwerdeverfahren zu ermöglichen, damit sich also jeder selbst bei Verletzung sozialer Menschenrechte beschweren und alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen kann. Weil das alles noch nicht in ausreichendem Umfang enthalten ist und weil wir denken, die Opposition hat die Aufgabe, mit dem Finger darauf hinzuweisen, was noch unbedingt zu leisten ist, nämlich der Ausbau einer flächendeckenden Versorgung, werden wir uns bei diesem Gesetzentwurf enthalten. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Lauterbach ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Karl Lauterbach (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zuerst dem Dank von Minister Gröhe anschließen. Ich bin schon eine gewisse Zeit Mitglied des Bundestages, und wir haben über viele Gesetze gemeinsam beraten. Aber ich habe noch nie erlebt, dass ein Gesetzentwurf von allen – hier schließe ich die Opposition ausdrücklich ein – so konstruktiv, sachorientiert und mit gemeinsamem Willen vorbereitet wurde und heute hoffentlich auch verabschiedet wird. Das ist vorbildlich und zeigt, dass wir alle am gleichen Strang ziehen. Wir sind dabei, eine wichtige Verbesserung vorzunehmen. Ich möchte mich für die Zusammenarbeit, die vielen Anregungen und Diskussionen, in denen wir alle viel gelernt haben, ganz herzlich bedanken. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es gibt in der Palliativmedizin – vereinfacht gesagt – vier Leistungsbereiche. Der erste Bereich sind die palliativmedizinischen Leistungen in der Regelversorgung, also bei Ärzten in der Klinik. Hier handelt es sich in der Regel um schmerzstillende Leistungen und Leistungen, die Symptome beseitigen. Der zweite Bereich ist die palliativmedizinische Versorgung in Krankenhäusern, die aber nicht eine eigentliche Palliativleistung, sondern palliativmedizinische Pflege darstellt. Der dritte Bereich sind die gleichen Leistungen in Pflegeeinrichtungen. Der vierte Bereich ist die palliativmedizinische Versorgung durch und in Hospizen oder ambulant durch spezialisierte Palliativteams. Das sind die vier Leistungsbereiche. Dafür geben wir insgesamt etwa 200 Millionen Euro pro Jahr aus. Das ist weniger als ein Promille, also weniger als ein Tausendstel der Mittel, die in der gesetzlichen Krankenversicherung für alle Leistungen ausgegeben werden. Ungefähr 2 Prozent aller sterbenden Menschen werden im Rahmen einer dieser Leistungen begleitet. Das steht im Verhältnis zu 10 Prozent der Menschen, die zum Schluss mit Schmerzen sterben und die Symptome haben, die durch diese Leistungen verhindert werden könnten. Nur jeder Fünfte bekommt die Palliativmedizin, die er benötigt. Es sterben 50 Prozent der Menschen unter dem Einsatz der Gerätemedizin im Krankenhaus. Jeder Dritte stirbt im Pflegeheim. Das ist eine völlige Fehlverteilung unserer medizinischen Aufwendungen und Bemühungen am Lebensende des Patienten. Dem wirken wir mit diesem sehr wichtigen Gesetz entgegen. Das kann aus meiner Sicht nur ein wichtiger, weiterer Schritt im Aufbau der Palliativmedizin sein. Damit wird der Bedarf bei weitem nicht gedeckt. Das gebe ich an dieser Stelle offen zu. Aber wir müssen dieses System langsam aufbauen, eine bessere Qualität erreichen und mehr Geld in die Hand nehmen. Wenn man schaut, wie viel wir mehr ausgeben, dann stellt man fest, dass die Mehrausgaben durch dieses Gesetz in den vier Bereichen, die ich eben beschrieben habe, insgesamt um schätzungsweise 50 Prozent steigen. Das ist eine konservative Schätzung. Das ist aber auf jeden Fall der größte relative Leistungsanstieg in irgendeiner Versorgungsform, den wir in dieser Legislaturperiode beschlossen haben und wahrscheinlich beschließen werden. Auch dafür möchte ich mich ganz herzlich bedanken. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Gesetz ist umfänglich, und es ist noch einmal verbessert worden. Ich will auf ein paar Punkte hinweisen, die mir besonders wichtig sind. Das ist eine subjektive Wahl, aber ich bitte um Verständnis, dass ich das betone, weil es Punkte sind, die verdeutlichen, worum es uns hier geht. Wir haben bei der Palliativmedizin zum Teil das Problem, dass viele Krankenhäuser im ländlichen Raum und in schwach strukturierten Regionen gerne Palliativmedizin anbieten würden, aber keine Palliativstationen aufbauen können. Das heißt, diese Krankenhäuser praktizieren dann Gerätemedizin, die eigentliche Palliativmedizin fällt weg. Deshalb bauen wir eine neue Struktur auf. Wir erleichtern es diesen Flächenkrankenhäusern, palliativmedizinische Leistungen direkt anzubieten, ohne dass sie dafür Palliativstationen aufbauen müssen. Das ist ein wichtiger Schritt nach vorne. Ein zweiter wichtiger Schritt nach vorne ist: Wir haben bisher eine gewisse Zurückhaltung in Pflegeeinrichtungen, in Pflegeheimen, aber auch in der ambulanten Pflege, palliativmedizinische Leistungen zu kooptieren, hinzuzunehmen. Dafür haben wir jetzt eine Pflicht vorgesehen. Die Einrichtungen sind verpflichtet, entsprechende Verträge zu machen, sie sind verpflichtet, auch mit Ärzten zusammenzuarbeiten, die spezielle palliativmedizinische Leistungen gerade bei der Schmerzstillung anbieten können. Somit wird gerade die Schmerz- und Symptomversorgung in den Pflegeeinrichtungen, in denen jeder dritte Mensch heutzutage stirbt, deutlich verbessert. Auch das ist für mich etwas, was eine ganz besonders große Bedeutung hat. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich komme zu einem weiteren Punkt. Die meisten Menschen kennen sich mit der Palliativmedizin nicht aus. Das gilt für Patienten, das gilt für Angehörige, und das gilt auch für viele Ärzte. Hier schließe ich meine eigenen Kolleginnen und Kollegen ein. Wir wissen es oft nicht. So ist zum Beispiel sehr wenig bekannt, dass die Palliativmedizin auch lebensverlängernd wirkt. Im Vergleich zum Beispiel zu einer Chemotherapie bei einer fortgeschrittenen Krebserkrankung, die bereits metastasiert hat, bewirkt die Palliativmedizin oder auch die Hospizversorgung eine Lebensverlängerung bei Verbesserung der Lebensqualität zu einem Bruchteil der Kosten. Die meisten würden glauben, dass es plausibel ist, dass vielleicht die Symptome durch die Palliativmedizin besser in den Griff zu bekommen sind, aber dass die Lebensverlängerung durch die Behandlung mit der Chemotherapie erreicht werden kann. Das ist nicht der Fall. Die Lebensverlängerung wird durch die Palliativmedizin und die Hospizversorgung erreicht. Ich sage es einmal einfach: Diese Menschen haben mehr Nebenwirkungen von der teuren Therapie, als sie Nutzen von der Therapie selbst erwarten können. Die Palliativmedizin verbessert die Symptome und verlängert das Leben. Das ist vielen Angehörigen, vielen Patienten, die die Entscheidung selbst treffen, und auch vielen Ärztinnen und Ärzten nicht bekannt. Darüber klären wir auf. Auch das ist aus meiner Sicht ein sehr wichtiger Schritt in dieser Gesetzgebung. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich könnte das fortführen. Heute ist ein wichtiger Tag. Ich darf mich erneut ganz herzlich für die konstruktive Zusammenarbeit bedanken und bitte um Zustimmung. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt die Kollegin Elisabeth Scharfenberg das Wort. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Minister Gröhe! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland, das ist eines der reichsten Länder der Welt mit einem der teuersten Gesundheitssysteme. Trotzdem haben wir einen riesigen Nachholbedarf, was die Versorgung von Sterbenden angeht. Zu dieser Erkenntnis muss man kommen, wenn man auf die aktuellen Ergebnisse des „Faktenchecks Gesundheit“ der Bertelsmann-Stiftung schaut. Dort wird nämlich festgestellt, dass noch immer viel zu viele weiße Flecken auf der Deutschlandkarte existieren. Dort gibt es tatsächlich nichts – keinen ambulanten palliativen Dienst, keinen ehrenamtlichen Hospizverein, keine Palliativmediziner, kein Hospiz, kein Krankenhaus mit einer Palliativstation –, worauf man in der Not zurückgreifen könnte. Dieses Nichts macht den Menschen Angst, auch wenn man im Moment selbst davon gar nicht betroffen ist – und Angst frisst bekanntlich Seelen auf. Auch mich persönlich beunruhigt es, nicht zu wissen, was es da draußen so alles gibt an Begleitung und an Schmerzlinderung, nicht zu wissen, wen man ansprechen kann. Obendrein hört man natürlich auch Geschichten über leidvolles Sterben und meint, das müsse immer so sein. Das macht ebenso Angst, und diese Angst ist ansteckend. Selbst dort, wo das Sterben auf berufliche Expertinnen und Experten – auf Ärzte, Pfleger, Therapeuten – trifft, also in Krankenhäusern und Pflegeheimen, ist man nicht ausreichend gewappnet. Selbst dort, wo jeden Tag gestorben wird, herrscht Überforderung. Deshalb ist dies heute eine gute und eine sehr wichtige Debatte. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU) Das Hospiz- und Palliativgesetz ist ein Schritt auf dem Weg zu einer guten Hospiz- und Palliativversorgung. Es ist ein Schritt, den wir gehen müssen, und es ist wichtig, diesen Schritt weiterzugehen. Wir legen jetzt erst einige Meter zurück; aber einige Kilometer Wegstrecke liegen noch vor uns. Wir müssen aufmerksamer für die schwerkranken und sterbenden Menschen in Pflegeheimen sein, noch aufmerksamer, als es das Gesetz jetzt nahelegt. Wir können es uns nicht so leicht machen und festlegen: Die Sterbebegleitung, die palliative Pflege müssen ganz selbstverständlich geleistet werden, während wir bei den Ärzten und bei den Krankenhäusern zur palliativen Pflege immer noch ein Zusatzentgelt draufpacken. So ändern wir nichts, und so wird sich in den Pflegeheimen keine palliative Kultur entwickeln. So wird es am Lebensende nicht zu weniger Krankenhauseinweisungen kommen. Ich bin davon überzeugt: Wenn wir mehr in die Pflegeeinrichtungen, mehr in Personal und dessen Weiterbildung, mehr in Unterstützung investieren würden, dann würden viel weniger Menschen in Krankenhäusern sterben. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Denn aus Überforderung wird in Heimen sehr oft gleich der Notarzt gerufen, und der nimmt den Patienten dann natürlich mit ins Krankenhaus. Dort findet der Sterbende dann sein Ende, auch wenn er es sich ganz anders gewünscht und vorgestellt hat. Das ist eine traurige Realität. Deshalb fordern wir – auch uns selbst – auf, an dem Thema dranzubleiben, auch wenn die Diskussion um das Lebensende nächstes Jahr nicht mehr die große mediale Aufmerksamkeit wie jetzt gerade genießen wird. Über alle politischen Vorbehalte hinweg sollten wir uns bei diesem Thema verständigen können. Eine konstruktive Zusammenarbeit habe ich ja bereits bei der Einbringung des Gesetzes angeboten. Diese Einladung hat die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Widmann-Mauz angenommen. Dafür möchte ich mich nochmals ganz herzlich bedanken. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD) Dadurch hatten wir die Möglichkeit, gemeinsam Verbesserungen zu erzielen. Keine Frage: Wir Grüne hätten uns mehr gewünscht. Aber wir sind auch der Auffassung, es ist besser, zu sagen: „Wir haben etwas verbessern können“, als zu sagen: Wir hätten etwas verbessern können. Auf den letzten Metern bis zur Verabschiedung des Hospiz- und Palliativgesetzes konnten wir so die Position von Heimbewohnern beim Wechsel in ein Hospiz stärken. Zukünftig ist der berechtigte Wunsch eines Pflegeheimbewohners zu berücksichtigen. Eigentlich sollte das eine Selbstverständlichkeit sein. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Zudem haben wir uns dafür eingesetzt, dass ambulante Hospizdienste mehr Geld erhalten. Damit können sie die so wichtige Trauerbegleitung von Angehörigen leisten und den Einsatz von Ehrenamtlichen stärken. Für Krankenhäuser, die noch keine Palliativstation haben, wird es künftig finanzielle Anreize geben, mit multiprofessionellen ambulanten Palliativdiensten zusammenzuarbeiten und diese mit der Sterbebegleitung zu beauftragen. Das sind Schritte in die richtige Richtung. Sie genügen aber bei weitem noch nicht, und sie dürfen uns nicht genügen angesichts der Verletzlichkeit des Einzelnen, die sich gerade in den letzten Stunden des Lebens zeigt. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Emmi Zeulner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Emmi Zeulner (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung das Hospiz- und Palliativgesetz. Woher kommt das? Es ist ein Auftrag aus dem Koalitionsvertrag. Darin haben wir zu Anfang der Legislatur ganz klar fest verankert: Wir möchten Hospize unterstützen, und wir möchten die Palliativmedizin ausbauen. Aber es ist mehr als das; es ist nicht nur ein Auftrag aus dem Koalitionsvertrag. Es geht auch darum, den Menschen in unserem Land ein Stück weit die Angst zu nehmen: die Angst davor, dass sie in die Fänge der Apparatemedizin geraten, aber auch die Angst davor, dass sie am Lebensende leiden müssen, Schmerzen ertragen müssen und unzureichend versorgt werden. Wir geben somit mit diesem Gesetz eine Antwort auf das Bedürfnis der Menschen, am Lebensende selbstbestimmt zu entscheiden, wo sie sterben möchten und wie sie sterben möchten. Deswegen gibt es für mich schon eine Verbindung zur Debatte über die Suizidbeihilfe, die wir morgen führen; denn nur dann, wenn wir flächendeckend Angebote für die Menschen in unserem Land zur Verfügung stellen, können sie auch selbstbestimmt entscheiden, wie sie das Lebensende verbringen möchten, und haben die Möglichkeit, die Hospiz- und Palliativversorgung zu nutzen. Es gibt des Weiteren das Bedürfnis der Menschen, zu Hause zu versterben. Fakt ist aber, dass jeder Zweite im Krankenhaus verstirbt. Wir haben erkannt, dass es, wenn eine funktionierende Palliativversorgung vorhanden ist, weniger Einweisungen in Krankenhäuser gibt – das ist durch Zahlen belegt – und dadurch dem Bedürfnis der Menschen, zu Hause behandelt und versorgt zu werden, entsprochen werden kann. Wie sieht das Hospiz- und Palliativgesetz aus, das wir jetzt verabschieden? Man kann sich das so vorstellen, dass es drei Säulen gibt. In der ersten Säule geht es um die Stärkung der bestehenden Strukturen, in der zweiten Säule um die Ausweitung der Strukturen und in der dritten Säule – das darf man nicht vergessen – um die Kontrolle. Wir haben zukünftig die Möglichkeit, wenn sich die Beteiligten mehr vernetzen und mehr Qualität anbieten, über die AAPV, die allgemeine ambulante Palliativversorgung – das sind unsere Hausärzte, aber auch die häusliche Krankenpflege –, ein Mehr an Vergütung zur Verfügung zu stellen. Wir stellen klar, dass bei der häuslichen Krankenpflege die Pflege am Lebensende mit dazugehört. Weiterhin stärken wir die SAPV, die spezialisierte ambulante Palliativversorgung. Hierbei handelt es sich um multiprofessionelle Teams, die nach Hause oder ins Pflegeheim kommen – das ist natürlich jetzt schon möglich – und dort die Menschen in Notsituationen versorgen und den Angehörigen helfen. Wir führen zukünftig Schiedsstellen ein. Wenn sich die Krankenkassen und die Pflegeteams nicht einigen können, können diese dafür sorgen, dass es zu einer Einigung kommt. Wir möchten so auch die Flächenabdeckung sicherstellen. Wir ermöglichen auch, dass Selektivverträge abgeschlossen werden können. Die Befürchtung ist, dass dadurch ein Verlust an Qualität eintritt. Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben ganz klar gesagt, dass wir keinen Qualitätsverlust wollen, und in dem Änderungsantrag geregelt, dass bei Selektivverträgen die gleichen Vorrichtungen vorgehalten werden müssen wie bei ganz normalen SAPV-Teams. Weiterhin wollen wir die ambulanten Hospizdienste stärken. Es sind vor allem Ehrenamtliche, die da aktiv sind. Wir drehen an verschiedenen Schrauben, um eine bessere finanzielle Ausstattung zu ermöglichen. Das ist natürlich vor allem für den ländlichen Raum sehr wichtig, weil es, wie schon angesprochen wurde, im ländlichen Raum für die Ehrenamtlichen längere Wege gibt. Es war uns ein Anliegen, auch diesen Bereich zu stärken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Natürlich möchten wir auch, dass durch diese finanzielle Besserstellung die Trauerbegleitung weiter ausgebaut wird. Auch bei den Erwachsenenhospizen nehmen wir eine finanzielle Besserstellung vor. Wir wollen aber keine Vollfinanzierung dieser Struktur. Weil diese Struktur aus bürgerlichem, aus ehrenamtlichem Engagement gewachsen ist, nehmen wir davon Abstand. Bei den Kinderhospizen war es uns ein Anliegen, dass eigene Rahmenvereinbarungen abgeschlossen werden müssen; denn Kinderhospize bringen gegenüber Erwachsenenhospizen andere Voraussetzungen und Herausforderungen mit sich. Kinder gehen dort häufig nicht nur einmal hin, sondern kommen mehrere Male, und auch die Eltern sind mit dabei und werden dort aufgenommen und betreut. Uns war es ein Anliegen, dass auch Palliativstationen weiterhin als Besondere Einrichtungen gelten können, wenn sie das wollen. Was heißt das? Wir möchten, dass es anders als auf den ganz normalen Akutstationen auf den Palliativstationen nicht darum geht, ein Mehr an Angebot für den Patienten bieten zu müssen, um gewisse Gelder abrechnen zu können. Der Gedanke, der hinter der Hospiz- und Palliativversorgung steht, ist ja ein ganz anderer, nämlich dass es auch in Ordnung ist, wenn ein Mensch in dieser Situation Therapien wie zum Beispiel eine Musiktherapie ablehnt. Auch das war uns ein großes Anliegen, dass das den Palliativstationen nicht zum Nachteil gereicht. Das alles gehörte zum Bereich „Stärkung der bestehenden Strukturen“. Außerdem wollen wir das Ganze natürlich auch auf die Bereiche ausweiten, die vorher vielleicht etwas zu wenig berücksichtigt wurden. Es geht da ganz speziell um die palliativmedizinischen Dienste. Das ist in dem Gesetzentwurf ganz vorbildlich geregelt. Wie kann man sich das vorstellen? Man kann sich das vorstellen wie Konsiliardienste: Für den Fall, dass ein Patient auf einer Station in einem Krankenhaus ist, das, weil es relativ klein ist, keine Palliativstation vorhält, haben wir jetzt die Möglichkeit geschaffen, dass auch kleinere Krankenhäuser multiprofessionelle Dienste anbieten können, indem dort ein Team aus Ärzten, ausgebildeten Krankenschwestern und Pflegern zu den Menschen auf die Stationen gehen kann. Somit wird überall dort, wo schwerstkranke oder sterbende Patienten liegen, eine Versorgung gewährleistet. Wir haben auch ein Advance Care Planning eingeführt, also ein vorausschauendes Planen: Wie möchte ich, wenn ich im Pflegeheim bin, das Ende meines Lebens verbringen? Da sollen eben alle Akteure mit einbezogen werden. Es soll für den Patienten oder für den Bewohner eines Pflegeheims keine Pflicht sein, sondern es ist eben ein weiteres Angebot, das wir schaffen. Es ist eine neue Struktur und etwas sehr Wertvolles. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir wollen zukünftig auch regeln – das wurde schon angesprochen –, ab welchem Zeitpunkt ein Patient aus dem Pflegeheim in ein Hospiz gehen darf. Das ist wichtig, weil es Situationen gab, in denen der Patient nach dem Krankenhausbesuch zwangsweise wieder ins Pflegeheim musste, aber vielleicht ein Hospiz besser gewesen wäre. Auch das ist etwas ganz Wertvolles. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Schön ist auch – unser Minister hat es angesprochen –, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung ein eigenes Forschungsprogramm für den ganzen Bereich auflegt, weil wir da in gewisser Weise noch Defizite haben, vor allem bei der Frage: Wie wirkt sich die Begleitung Sterbender auf die Gesundheit der Angehörigen aus? Ich erhoffe mir durch diese zusätzlich zur Verfügung gestellten Mittel auch in diesem Bereich ein besseres Vorankommen. Es hat mich ganz besonders gefreut, dass unser Staatssekretär Stefan Müller auf der Palliativstation der Universitätsklinik Erlangen im vergangenen Monat die Erklärung zur Unterstützung der „Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland“ unterschrieben hat. Dadurch bekennt sich auch das Ministerium dazu, gerade in diesem Bereich immer auf dem neuesten Stand der Forschung sein zu wollen. Das wissen wir sehr zu schätzen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Neben die Stärkung und die Ausweitung tritt natürlich zum Schluss die Kontrolle. Auch wir werden uns weiter mit diesem Thema befassen und werden überprüfen, ob die Maßnahmen, die wir jetzt ergriffen haben, ausreichend sind, und zwar durch Prüfaufträge, die wir an die Krankenkassen gegeben haben. Diese sollen die entsprechenden Daten liefern und auswerten. Uns ist es ein Anliegen, dadurch eine einheitliche Datengrundlage zu bekommen. Insgesamt deckt dieses Gesetz wirklich alle Bereiche ab, die man sich nur vorstellen kann. Deswegen gilt mein Dank natürlich dem Gesundheitsminister und unserer Staatssekretärin Frau Annette Widmann-Mauz, die ganz vorbildlich auch die Berichterstatter mit eingebunden haben. Es war ein sehr gutes Miteinander. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich komme zum Schluss: Ich möchte den Ehrenamtlichen, den Pflegekräften, den Ärzten, den Seelsorgern, den Psychologen, den Hospizkoordinatoren, den Vertretern in der Hospizakademie und den Experten ganz herzlich für ihre Arbeit danken und ganz klar sagen: Sie müssen wissen, dass die Politik den Wert Ihrer Arbeit erkennt und sehr schätzt. Wir wissen auch, dass alle Menschen, die in diesem Bereich tätig sind, diesen Beruf nicht einfach so ausüben, sondern es für sie Berufung ist. Deswegen ein herzliches „Vergelts Gott!“ für diese Arbeit, die Sie tun. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Pia Zimmermann ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Pia Zimmermann (DIE LINKE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren auf den Tribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist bekannt, dass wir etwa 60 Hospizplätze pro 1 Million Einwohner haben. Wir wissen auch, dass für gut 90 Prozent derer, die aus dem Leben scheiden, palliativmedizinische und hospizliche Maßnahmen infrage kommen. Ebenso ist auch bekannt, dass Krankenhäuser und Pflegeheime zu über 70 Prozent den institutionellen Rahmen bilden, in welchem das Sterben stattfindet. Herr Gröhe, ich gehe einmal davon aus, dass wir uns darüber einig sind, dass die Bedürfnisse und Betreuungsansprüche von schwerstkranken und sterbenden Menschen unabhängig vom Ort und von der Art der Unterbringung zu betrachten sind. Wenn Bedürfnisse und Betreuungsansprüche identisch sind, bedeutet das natürlich auch, dass auch eine gleich gute Versorgung stattfinden muss, unabhängig vom Aufenthaltsort. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie, Herr Gröhe, wie es sein kann, dass die Sozialkassen für einen Hospizplatz circa 6 500 Euro und für einen Pflegeheimplatz mit den gleichen Versorgungsleistungen nur ungefähr 2 000 Euro zur Verfügung stellen. Das ist doch eine Ungleichbehandlung. Ich würde gerne wissen, wie Sie das den Menschen außerhalb des Parlamentes erklären wollen. Für uns ist nämlich klar: Sie ändern mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Verbesserung der Hospiz und Palliativversorgung an dieser Situation nichts. Die Leistungen müssen identisch sein, meine Damen und Herren, für alle Menschen in diesem Lande! (Beifall bei der LINKEN) Das wurde im Übrigen auch bei der Anhörung im Ausschuss von den Sachverständigen und den Verbänden sehr deutlich formuliert. Sie aber nehmen das nicht ernst. Das ist für uns sehr bedauerlich; denn die Fraktion Die Linke bleibt bei der Auffassung: Es muss Schluss sein mit der Zweiklassenbetreuung! Sterbende Bewohnerinnen und Bewohner in stationären Pflegeeinrichtungen müssen in den gesetzlichen Leistungen Hospizbewohnerinnen und Hospizbewohnern gleichgestellt werden. Alles andere ist und bleibt ungerecht. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, kein Mensch sollte Schmerzen haben, die verhindert werden können. Ich glaube, diesen Satz würden wir alle in diesem Hause unterschreiben. Da gibt es keinen Widerspruch. Umso mehr verwundert es mich, dass Sie einen Gesetzentwurf vorlegen, der eine strukturelle Ungleichbehandlung bei der palliativmedizinischen Versorgungssituation von Schmerzpatienten in Pflegeeinrichtungen gegenüber hospizlich Betreuten nicht aufhebt. Alle Bewohnerinnen und Bewohner einer stationären Pflegeeinrichtung zahlen gemeinsam die Pflegeentgelte, und sie alle werden durch die als Bestandteil der Pflegeleistungen finanzierte Behandlungspflege höher belastet. Daran ändert auch Ihr Hospiz- und Palliativgesetz nichts, obgleich dies nicht nur vom Bundesrat in seiner Stellungnahme angemahnt worden ist, sondern auch seit langem von vielen Sozialverbänden gefordert wird. Werte Kolleginnen und Kollegen, nicht einmal für stationäre Hospize befürworten Sie eine gesetzliche Verpflichtung, Anhaltswerte für eine notwendige Personalausstattung festzusetzen. Noch dringlicher ist dies für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen wie auch für den ambulanten Bereich. Wir alle wissen – das haben wir heute schon mehrfach gehört –: Die meisten Menschen wollen zu Hause sterben. Wenn wir eine regelhafte Sterbebegleitung haben wollen, dann bedeutet das für die Pflegedienste sehr viel mehr Arbeit und sehr viel mehr Dienstleistungen. Dafür benötigen wir endlich einen anderen Personal- und Sachkostenschlüssel und endlich eine grundlegende Reform der Pflegeversicherung, (Beifall bei der LINKEN) die nicht nur das Teilleistungsprinzip aufhebt, sondern auch eine Angleichung der Finanzierung der Sterbebegleitung in Pflegeheimen an das Niveau der Hospize gewährleistet. Letztlich, meine Damen und Herren, versäumt Ihr Gesetzentwurf leider auch, einen präzisen, in allen Gesetzbüchern gleich lautenden Rechtsanspruch auf eine hochwertige Hospiz- und Palliativversorgung zu formulieren. Dies müsste unabhängig von der Art der Erkrankung, von der Art der Behinderung, vom individuellen Lebensort und von der Versicherungsform gewährleistet werden. Ja, daran ändert auch nichts, dass Sie über die Rahmenvereinbarung etwas mehr präzisieren wollen, wann Wechsel aus stationären Pflegeeinrichtungen in ein Hospiz möglich werden. Meine Damen und Herren von der Großen Koalition, es finden sich durchaus zahlreiche Verbesserungen in Ihrem Gesetz, aber grundlegende Ungerechtigkeiten und Leerstellen bleiben bestehen. Ich sage Ihnen hier eines: Auch nach der Verabschiedung dieses Gesetzes besteht dringender Reformbedarf. Wir brauchen eine Hospiz- und Palliativpflege, die die Würde des Menschen, unter Beachtung seiner Selbstbestimmung am Lebensende, in den Mittelpunkt stellt. Dafür werden wir weiter kämpfen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Hilde Mattheis für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hilde Mattheis (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir heute über die Verabschiedung eines Gesetzes debattieren, das von einer so breiten Mehrheit im Parlament getragen wird. Denn eines ist uns allen, wie ich glaube, in der Debatte klar geworden: Dieses Thema taugt nicht zum politischen Schlagabtausch. Denn es geht bei diesem Thema darum, dass wir diejenigen, die am Lebensende unsere Hilfe brauchen, nicht alleinlassen. Das ist ein politischer Ansatz, der, von einer breiten Mehrheit getragen, unser politisches Handeln bestimmt und sich jetzt in diesem Gesetzentwurf widerspiegelt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Ja, wir alle haben eine Vorstellung davon, wie unser Leben enden soll. Wir alle haben die Hoffnung, dass das möglichst schmerzfrei und im Kreise unserer Lieben geschieht. Nicht immer ist das möglich, ja; aber auch im Krankenhaus werden ein würdevolles Lebensende und ein gutes Sterben gewährleistet. Ich möchte an dieser Stelle nun nicht darüber lamentieren, dass es womöglich im Krankenhaus nicht die bestmögliche Versorgung gibt, sondern unseren Ansatz hervorheben: Mit diesem Gesetz ist es jetzt möglich, multiprofessionelle Teams in kleinen Krankenhäusern, aber auch Palliativstationen in größeren Krankenhäusern zu unterstützen. Das ist wichtig. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Denn egal wo man ist, man braucht am Lebensende nicht nur medizinischen Beistand, sondern womöglich auch seelsorgerischen Beistand, pflegerischen Beistand, der über eine medizinische Versorgung hinausgeht, oder sozialen Beistand. Und das gilt nicht nur für diejenigen, die am Lebensende stehen, sondern womöglich auch für die Angehörigen. Deshalb ist auch dieser Aspekt wichtig: Multiprofessionelle Teams bedeuten, dass auch Angehörige die Begleitung ohne Angst miterleben können, weil sie Unterstützung erhalten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich will an dieser Stelle einige Aspekte hervorheben: Ja, wir haben in Deutschland eine breite Hospizbewegung. Wir wollen sie unterstützen. Die vielen Frauen und Männer, die sich in der Hospizbewegung engagieren – die Zahl 80 000 steht da im Raum –, sind diejenigen, die ihre Freizeit, ihren Lebensmut und ihre Lebenserfahrung in die Begleitung einbringen. Sie zu unterstützen, die Übernahme der Sachkosten auszuweiten und ihnen weitere Mittel zum Beispiel für eine Trauerbegleitung zuzusagen, ist ein wichtiges Anliegen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist auch wichtig, eine bessere Vernetzung all dieses ehrenamtlichen Engagements mit der professionellen pflegerischen Unterstützung und medizinischen Versorgung hinzubekommen. Es geht uns also auch um die Vernetzung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) All die Modellvorhaben, die es da schon gibt, weisen uns den Weg; diese wollen wir finanziell unterstützen. Schließlich geht es auch darum, die finanzielle Unterstützung der stationären Hospize zu erhöhen – aber nicht auf 100 Prozent der Kosten. Wer sich darüber wundert, sollte mit Vertretern der Hospizbewegung sprechen. Dann stellt man nämlich fest, wie wichtig es ist, dass sich gesellschaftliches Engagement auch ein Stück weit über Spenden zeigt, und dass wir, wie es mit einer hundertprozentigen Finanzierung der Fall wäre, die Tür nicht öffnen dürfen für eine geschäftsmäßige Hospizbewegung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Bereich der Kinderhospize stellt eine besondere Herausforderung dar. Wir alle wollen uns eine solche Situation im eigenen Leben gar nicht vorstellen; das ist so schlimm, das ist nicht zu überbieten. Deswegen wollen wir durch entsprechende Rahmenverträge dafür sorgen, dass auch der besonderen Situation der Geschwisterkinder und der Eltern Rechnung getragen wird. Das ist wichtig. Klar ist nämlich: Wir als Politik müssen den Herausforderungen in diesem Bereich der Hospizbewegung und der palliativen Versorgung begegnen und zeigen, welches Menschenbild uns trägt. Uns sind folgende Aspekte dabei besonders wichtig: die Wahrung der Menschenwürde bis zuletzt, die Begleitung bis zuletzt und auch die Unterstützung der Angehörigen. All dem wollen wir Rechnung tragen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich darf mich an dieser Stelle herzlich bei Ihnen dafür bedanken, dass die Debatte sehr getragen war von dem einheitlichen Willen und Bestreben, in diesem Bereich durch politische Rahmenbedingungen da Hilfestellungen zu geben, wo Menschen der Hilfe bedürfen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort jetzt dem Kollegen Harald Terpe für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir leisten mit der Verabschiedung des Hospiz- und Palliativgesetzes einen würdigen Beitrag zur Beantwortung der uns alle in der Bevölkerung bewegenden Frage: Wie können und wollen wir unser Leben am Lebensende erleben? Unser Leben am Ende erleben, ohne erdrückende Angst, frei von Schmerzen und ohne Einsamkeit, möglichst inmitten einer tragenden Familie, inmitten von helfenden Freunden – das bestimmt die Wünsche der Menschen. Auf die lebendige tragende Hilfe kommt es an. Es berührt mich immer wieder, wenn ich erlebe, mit welcher Empathie und welcher Kraft Ehrenamtliche in den Hospizdiensten sehr erfahren helfen und zunehmend dort einspringen, wo durch die sich wandelnde Gesellschaft die Familie zu klein geworden ist oder Freunde fehlen. Ich denke, wir alle sind den Ehrenamtlichen zu größtem Dank verpflichtet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) In der Diskussion über den vorliegenden Gesetzentwurf konnte es deshalb nur heißen: Ehrenamt und Hauptamt fördern. Ehrenamt – das ist für mich das Familiäre, das ist ein Grundwert der Gesellschaft an sich. Als Abgeordneter erlebe ich die zweite tiefgreifende gesetzliche Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung. Ich bin mir sicher, dass die Entwicklung weitergeht und auch weitergehen muss, zum Beispiel, was die Überwindung der uns allen bekannten regionalen Unterschiede in der Hospizversorgung angeht. Aber – das muss auch gesagt werden – wir werden die Probleme, die beispielsweise die Pflege betreffen, nicht im Rahmen der Palliativ- und Hospizgesetzgebung lösen. Diese müssen wir vielmehr im Rahmen der Pflegegesetzgebung lösen. Das muss ganz deutlich gesagt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Durch die neuen gesetzlichen Regelungen zu den Kinderhospizen ist ein wichtiger Baustein gesetzt worden, um die regionalen Unterschiede zu beseitigen. Das ist mir ganz besonders wichtig. Aber auch die Fördermöglichkeit von professionellen Palliativteams in Regelkrankenhäusern – das ist schon mehrfach gesagt worden – ist ein wichtiger Schritt zur flächendeckenden Versorgung. Ich erhoffe mir davon einen Motivationsschub für die in einigen Regionen notwendigen Investitionen in stationäre Hospize. Es war mir ein besonderes Anliegen, dass auch Investitionen in stationäre Hospize irgendwie organisiert werden. Ich glaube, das ist im Gesetzentwurf angelegt; denn durch ihn könnte die regionale Gesundheitswirtschaft zu regionalen Förderprogrammen motiviert werden. Ich jedenfalls wünsche mir das und fordere dazu auch ausdrücklich auf, weil wir damit eine flächendeckende Versorgung erreichen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die fraktionsübergreifende Arbeit am Hospiz- und Palliativgesetz ist ein gutes Beispiel für eine ergebnisoffene Zusammenarbeit, für einen diskursiven Politikstil. Ich wünsche mir, ohne einer Einheitspartei das Wort zu reden, dass wir auch bei anderen Inhalten die Kraft dazu finden können. (Hilde Mattheis [SPD]: Ja, wir auch!) Dies ist jedenfalls der Zeitpunkt, um sich für die vielen Diskussionen zu bedanken. Insbesondere bedanke ich mich bei Annette Widmann-Mauz, und natürlich ihren Mitarbeitern, mit denen wir sehr konstruktiv zusammenarbeiten konnten. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt kommt die Heiligsprechung!) Ich glaube, wir sind uns einig, dass wir ein gutes Gesetz geschaffen haben und dass dies ein guter Zwischenschritt auf dem Weg der Weiterentwicklung des Hospiz- und Palliativsystems in unserem Land ist. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Hubert Hüppe ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Hubert Hüppe (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir werden morgen eine Debatte über die Zulässigkeit oder das Verbot der Beihilfe zur Selbsttötung führen. (Mechthild Rawert [SPD]: Was ein anderes Thema ist!) Die Debatte darüber führen wir seit vielen Monaten. Egal wie das morgen ausgeht, eines hat diese Debatte auf jeden Fall bewirkt, nämlich dass wir uns vermehrt über Palliativmedizin und Hospize Gedanken machen. Das ist, denke ich, ganz wichtig. Es ist zwar schon ein paarmal gesagt worden, trotzdem möchte auch ich es sagen: Hermann Gröhe hat, als er das Amt übernommen hat, das tatsächlich sofort zur Chefsache gemacht. Das fand ich richtig. (Beifall des Abg. Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich fand es auch sehr gut – Harald Terpe hat es gerade gesagt –, dass alle Parteien mitgewirkt haben und alle Parteien die Chance hatten, sich einzubringen, und man nicht, wie es manchmal reflexartig geschieht, gesagt hat: Jetzt kommt es von den anderen, jetzt lehnen wir das ab. – Vielmehr hat man gefragt: Was ist gut? Was können wir übernehmen? Was ist wichtig für die Menschen? Ich finde, das ist sehr gut für dieses Parlament. So kann man auch hier durchaus von einer Sternstunde sprechen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir verabschieden heute den Entwurf eines Hospiz- und Palliativgesetzes. Ich glaube, dies ist auch ein wichtiger Beitrag zur Suizidprävention; über einen Antrag dazu werden wir noch sprechen. Wir wollen, dass die Menschen würdig sterben können. Wir wollen, dass Sterbende menschliche Zuwendung bekommen. Wir wollen, dass jedem die beste pflegerische, medizinische und seelsorgerische Hilfe angeboten wird. Und wir wollen, dass jeder Mensch die letzte Phase seines Lebens in der Umgebung verbringen kann, in der er wirklich sterben will. Da viele zum Schluss mit ihren Angehörigen zusammen sein wollen, wollen wir auch, dass den Angehörigen geholfen wird, die sich um ihre Verwandten oder Partner kümmern, sie pflegen und ihnen helfen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist auch richtig, dass wir gestern im Gesundheitsausschuss noch einige Änderungen angenommen haben, vor allen Dingen einige Änderungen, mit denen die ambulante Hilfe gestärkt wird. Da ging es nämlich um wichtige Punkte, die wir bis dahin noch nicht berücksichtigt hatten. Wir haben zwar seit 20 Jahren eine Hospizbewegung und eine verbesserte Palliativmedizin, aber es ist offensichtlich noch längst nicht alles erreicht. Ich verstehe auch, wenn man sagt, dass der Gesetzentwurf noch nicht alles enthält. Aber, ich denke, ganz wichtig ist auch: Wir haben gestern im Zuge der Veränderungen an diesem Gesetz noch einmal zahlreiche Berichtspflichten eingeführt. Ich bin kein Freund von vielen Berichtspflichten; das gebe ich zu. Aber gerade im Bereich der Palliativversorgung haben wir ja erlebt, dass wir manches beschlossen haben, das dann von den Beteiligten nicht so umgesetzt worden ist. Deswegen sagen wir: Ihr müsst uns noch einmal darlegen, ob ihr es wirklich so umgesetzt habt, ob die Qualität besser geworden ist und – vor allen Dingen – ob es für die Menschen besser geworden ist, die in ihren letzten Stunden die Hilfe brauchen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In der eben schon einmal zitierten Studie der Bertelsmann-Stiftung wurde gezeigt, dass drei Viertel der Menschen zu Hause sterben möchten, aber nur 20 Prozent der Menschen tatsächlich zu Hause sterben. Knapp die Hälfte der Menschen verbringt ihre letzten Tage im Krankenhaus, ein Drittel in Pflegeheimen. Tatsache ist aber auch, dass das kein Zufall ist. Vielmehr hängt es von der entsprechenden Unterstützung in der Region ab. Das kann man auch an den unterschiedlichen Zahlen sehen: Wo viele niedergelassene Ärzte eine Zusatzqualifikation in der Palliativmedizin haben, da, wo wir Netze haben, wo wir viele Ehrenamtliche haben, wo die Versorgung ambulant unterstützt wird, verbringen mehr Menschen ihre letzten Tage zu Hause. In Nordrhein-Westfalen sterben 49 Prozent in einem Krankenhaus, in Baden-Württemberg nur 41 Prozent. Das hat damit zu tun, dass dort die Versorgung besser ist. Ich habe jetzt zwei Länder genannt, die eine ähnliche politische Führung haben. Bei diesen Zahlen geht es aber nicht um einen politischen Streit, sondern sie verdeutlichen die Tatsache: Da, wo ambulant geholfen wird, können die Menschen zu Hause sterben, also da, wo die meisten von uns – übrigens auch ich – sterben möchten. Dies setzen wir mit diesem Gesetz um. Wir geben den ambulanten Hospizen mehr Geld. Wie viele von Ihnen habe auch ich in meinem Wahlkreis in den letzten Monaten mit Ehrenamtlichen gesprochen. Viele Hospizdienste haben das Problem, dass sie die Finanzierung erst spät bekommen und daher nicht wissen, ob sie am Ende des Jahres noch Geld haben, um im nächsten Jahr weiterzuarbeiten. Jetzt haben wir gesagt: Sie bekommen das Geld von der ersten Sterbebegleitung an. – Das ist ganz wichtig. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich will es noch einmal sagen: Es sind die 80 000 Ehrenamtlichen in diesem Bereich in Deutschland, die den Hospizgedanken tragen. Aber es sind nicht nur die Ehrenamtlichen – ihnen wurden eben schon zu Recht gedankt –, sondern auch ganz viele Angehörige, die sich selber zum Teil aufgeben und helfen. Wenn es Helden im Alltag gibt, dann sind es die Angehörigen, die bis zuletzt dabei sind und helfen, wenn ihr Partner, wenn ihr Sohn, wenn ihr Vater, wenn ihre Mutter stirbt. Wir müssen sie so unterstützen, dass sie dazu in der Lage sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Birgit Wöllert [DIE LINKE]) Wichtig ist auch, dass die Menschen wissen, welche Hilfen es gibt. Ich habe in den vielen Diskussionen gemerkt, dass das nicht der Fall ist. Wenn Sie in Ihrem Wahlkreis bei einer Veranstaltung darüber sprechen, dann weiß dort niemand – wenn nicht gerade Fachleute dabei sind –, welche Möglichkeiten der Unterstützung es gibt. Es ist nicht bekannt, was der Unterschied zwischen einer Palliativstation im Krankenhaus und einem Hospiz ist. Deswegen ist es wichtig, dass wir in diesem Gesetz geschrieben haben, dass die Menschen wissen sollen, welche Möglichkeiten es gibt. Wenn dann der Ernstfall eintritt, muss sichergestellt werden, dass sie entsprechend beraten werden und dass sie die Hilfe auch so in Anspruch nehmen können, dass sie ihren Bedürfnissen gerecht wird. Das, denke ich, ist ein ganz wichtiger Punkt bei diesem Gesetz. Manchmal wird gefragt – es gibt ja ein paar Stellungnahmen dazu –: Warum zahlt ihr für die stationären Hospize nicht alles? Warum zahlt ihr nur 95 Prozent? Vorher waren es 90 Prozent; bei den Kinderhospizen waren es schon länger 95 Prozent. Obwohl ich ein großer Freund der Kinderhospize bin, finde ich es richtig, dass die Höhe der Mittel für die Erwachsenenhospize angeglichen worden ist. Kinderhospize sind ganz wichtig. Aber jeder weiß, dass es für ein Erwachsenenhospiz schwieriger ist als für ein Kinderhospiz, Spenden zu bekommen. Deswegen ist es wichtig, dass wir die Erwachsenenhospize gleichgestellt haben. Es war ein Wunsch, zumindest der meisten Ehrenamtlichen, das nicht voll zu finanzieren, weil es eben kein Geschäft ist. Vielmehr wollen sie diesen Gedanken in die Bevölkerung tragen, dafür werben und dafür auch Spenden einsammeln; auch das gehört zum Engagement. Ich komme zum Schluss. Ich hoffe, meine Damen und Herren – ich hoffe das nicht nur, sondern ich weiß und wünsche es auch –, dass dieses Gesetz dazu beiträgt, dass die Menschen in der schwächsten Phase ihres Lebens die Hilfe bekommen, die sie brauchen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Ehrentribüne hat die Präsidentin der Saeima der Republik Lettland, Frau Murniece, mit ihrer Delegation Platz genommen, die ich ganz herzlich hier im Deutschen Bundestag begrüßen möchte. (Beifall) Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir begrüßen Sie sehr herzlich, und wir freuen uns über die gute Zusammenarbeit, die es zwischen unseren Parlamenten gibt und in deren Fortsetzung wir große Erwartungen setzen. Herzlich willkommen! (Beifall) Nun hat die Kollegin Helga Kühn-Mengel für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Helga Kühn-Mengel (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuhörer und Zuhörerinnen! Ich entschuldige mich für den etwas eiligen Schritt, freue mich aber, zu diesem Thema reden zu dürfen. Dieses Gesetz stabilisiert die Strukturen, die wir in Deutschland im hospizlichen und palliativen Bereich haben, entwickelt sie weiter und schafft wichtige neue Weichenstellungen. Es baut auf Strukturen auf, die wir bereits seit Anfang 2000 geschaffen haben, beginnend mit der verpflichtenden Finanzierung durch die Krankenkassen in diesem Bereich bis hin zur Einführung der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung im Jahre 2007. Vieles hat sich seitdem entwickelt. Wir haben ein breites Angebot, nicht überall und nicht flächendeckend, aber es ist ganz viel in der Entwicklung. Es gibt 1 500 ambulante Dienste, 195 stationäre Hospize, 9 Kinderhospize, 250 Palliativstationen und vor allem – immer wieder ist das heute gesagt worden – um die 100 000 Ehrenamtliche, die in diesem Bereich arbeiten, die nicht nur Zeit, Erfahrung und Kompetenz einbringen, sondern auch qualitätsgestützt weitergebildet werden; das ist ein ganz wichtiger Punkt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Um es vorwegzusagen: Nicht jeder bedarf einer hospizlichen oder einer Palliativversorgung. Aber diejenigen, die dieser Versorgung bedürfen, müssen einen Zugang dazu haben. Deswegen ist es gut, dass dieses Gesetz mehr Möglichkeiten schafft. Die Betroffenen und die Familien müssen die Angebote kennen. Wir wissen aus verschiedenen Befragungen, dass dies bei weitem nicht der Fall ist. Karl Lauterbach hat beschrieben, wie sehr durch eine Palliativversorgung die Lebensqualität gesteigert werden kann. Es wird auch Zeit gewonnen für Begegnungen und dafür, um Dinge zu regeln. Hinzu kommt die Tatsache – ich habe das hier schon einmal gesagt –, dass sich der Wunsch, zu sterben, unter dieser Behandlung hochsignifikant verringert. Es gibt eine Befragung des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbandes zum Begriff „Hospiz“. Der Begriff war 89 Prozent der Befragten bekannt, die richtige Bedeutung aber nur 66 Prozent. 49 Prozent der Befragten hatten schon einmal von Palliativbehandlung gehört, aber nur ein Drittel von ihnen kannte die Inhalte dieser Versorgung. 78 Prozent wussten nicht, dass die hospizliche Betreuung zu Hause kostenlos ist; auch das ist ein wichtiger Punkt. Es gibt noch mehr interessante Ergebnisse dieser Befragung. Die Bertelsmann-Studie wurde bereits erwähnt. Das Interessante an ihr ist, dass sie das große Gefälle zwischen den Regionen aufzeigt. Man kann sehen: Dort, wo es gute Palliativangebote gibt, verringert sich die Zahl derjenigen, die für das Sterben in ein Krankenhaus gehen, deutlich. Wir haben uns mit all diesen Dingen beschäftigt. Es wurde schon gesagt: Die Krankenkassen tragen zukünftig 95 Prozent – eine Erhöhung von 90 auf 100 Prozent wurde also nicht erreicht – der zuschussfähigen Kosten der Hospizeinrichtungen. Wir wollen den ehrenamtlichen Ansatz, den es seit Cicely Saunders gibt, die diese Bewegung in Gang gesetzt hat, unbedingt aufrechterhalten. Diese Bewegung lebt davon. Ganz wichtig ist, dass auch im ambulanten Bereich die Zuschüsse für die unterschiedlichen Ansätze, die es dort gibt, erhöht werden. Es gibt daneben regionale Besonderheiten, zum Beispiel in den ländlichen Regionen, wo mehr Fahrtkosten anfallen. Und auch die Trauerbegleitung, die jetzt endlich besser finanziert werden kann, ist erwähnt worden. Dies alles macht deutlich, dass wir die Ehrenamtlichen im Blick haben, denen man gar nicht oft genug danken kann. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es gibt einen kleinen Punkt, an dem ich dem Kollegen Hüppe widerspreche: Der Gesetzentwurf enthält in der Tat viele Berichtspflichten. Ich halte sie aber für sinnvoll, weil sie uns – sie sind an verschiedenen Stellen installiert – ein Gesamtbild von der Versorgung geben können, und das ist gerade auch mit Blick auf weiße Flecken sehr wichtig. (Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD] – Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: Genau! Das hat er auch gesagt!) Ein weiteres Element – es ist nicht so spektakulär, aber hochwichtig – ist die gesundheitliche Versorgungsplanung. Die Heime und die Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen müssen hier mit den Ärzten zusammenkommen und sich Gedanken über die Versorgung in der nächsten Zeit machen. Das ist aufgrund der notwendigen Kooperation, aber auch deswegen, weil diese Leistungen aus dem SGB V bezahlt werden, ein ganz wichtiger Punkt. Wir sind froh – das war im ursprünglichen Gesetzentwurf nicht enthalten –, dass wir nun die multiprofessionellen Teams in die Krankenhäuser bringen können. Ich darf sagen: Das ist für die SPD ein ganz zentraler Punkt. Daneben gibt es mehr Bewegung bei Verträgen mit niedergelassenen Ärzten und Palliativmedizinern. Außerdem gibt es die Möglichkeit, Netzwerke zu schaffen. Das alles sind Elemente, die Bewegung und Entwicklung in diesen Bereich bringen werden. Von daher kann man zusammenfassend sagen: Wir sind nicht am Ende, aber wir haben mit diesem Gesetzentwurf ganz wichtige Bausteine zum Wohle derjenigen definiert, die sich auf der letzten Wegstrecke des Lebens befinden. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Heiko Schmelzle ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Heiko Schmelzle (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Der heute zur Abstimmung stehende Gesetzentwurf zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland ist das Ergebnis eines mehrjährigen Prozesses, also die gesetzgeberische Zusammenfassung einer gesamtgesellschaftlichen Diskussion über die Frage, wie wir in Deutschland mit der letzten Phase des Lebens umgehen. Der Gesetzentwurf basiert auf Erfahrungen vieler Menschen. Er nimmt die Anregungen von Betroffenen, von Angehörigen, aber eben auch von den am Versorgungsgeschehen Beteiligten und von Experten auf. Mein Dank richtet sich an alle, die so konstruktiv an diesem Prozess mitgewirkt haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Mein besonderer Dank gilt aber denjenigen, die tagtäglich im Ehrenamt oder im Beruf ambulant oder stationär Menschen in der letzten Phase ihres Lebens begleiten. Sie machen die verbleibenden Tage für die Betroffenen und ihre Angehörigen wieder lebenswert. Dafür ein ganz herzlicher Dank! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Praktiker haben über Jahre Strukturen aufgebaut. Diese Strukturen wollen wir mit unserem Gesetz erhalten und stärken. Kooperation und Koordination zwischen Ärzten, Pflegediensten, Pflegeheimen, Krankenhäusern und Hospizen gilt es zu verbessern. Die Hospiz- und Palliativversorgung ist von unten gewachsen. Hier geht es darum, dieses aus ehrenamtlichem und beruflichem Engagement Gewachsene nicht zu gefährden. Heute geben wir der Palliativ- und Hospizversorgung einen gesetzlichen Rahmen und machen sie zu einem Teil der Regelversorgung der gesetzlichen Krankenversicherung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Volker Kauder [CDU/CSU]: Super!) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Bertelsmann-Stiftung hat dieser Tage Ergebnisse einer Studie zur Betreuung sterbender Menschen vorgestellt. Das Ergebnis ist eindeutig: 6 Prozent können sich ein Sterben im Krankenhaus vorstellen. Tatsächlich stirbt jedoch von den Älteren in unserer Gesellschaft fast jeder Zweite im Krankenhaus. Die Studie zieht daraus den Schluss, dass die ambulante palliative Versorgung ausgebaut werden muss, um dem Wunsch der Menschen entsprechen zu können. Das zweite wichtige Ergebnis lautet: Dort, wo viele niedergelassene Ärzte erreichbar sind, die auch über die Zusatzqualifikation im Bereich der Palliativmedizin verfügen, und wo ein gutes und breites Netz ambulanter Palliativversorgung besteht, können wir den Menschen ihren Wunsch nach einem Lebensende zu Hause ermöglichen. Die Bertelsmann-Stiftung folgert daraus, dass der Grundsatz „ambulant vor stationär“ Voraussetzung dafür ist, dass Menschen die letzte Phase ihres Lebens so weit wie möglich im vertrauten Umfeld verbringen können. Allerdings darf uns die Studie nicht dazu verleiten, Hospize und Krankenhäuser geringzuschätzen. Im Gegenteil: Es geht vielmehr darum, alle Strukturen – egal, ob ambulant oder stationär – zu stärken und besser miteinander zu vernetzen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Genau diesen Ansatz verfolgen wir mit dem Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung. Wir wollen durch das Gesetz erreichen, dass wir in den Krankenhäusern, den Pflegeheimen und den Hospizen, aber auch im Bereich der häuslichen Krankenpflege ein flächendeckendes Angebot bekommen. Es darf auf Dauer keinen Unterschied bei der Palliativ- und Hospizversorgung machen, in welcher Region ein Betroffener bzw. ob er in der Stadt oder auf dem Land wohnt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist wichtig, das Sterben an den bisherigen Lebensmittelpunkt der Betroffenen zurückzuholen, wenn dies ihr Wunsch ist. Denn nur, wenn Ängste genommen und Schmerzen gelindert werden, sind ein Abschiednehmen und ein Gehen in Würde möglich. Deshalb ist die ambulante Begleitung so wichtig. Bei ambulanten Hospizdiensten werden künftig neben den Personalkosten auch die Sachkosten – zum Beispiel Fahrtkosten der ehrenamtlichen Mitarbeiter – bezuschusst. Ziel ist es aber insbesondere, dass das Angebot der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung flächendeckend zur Verfügung steht. Wir dürfen aber nicht übersehen, dass es vielen Betroffenen aufgrund ihrer Krankheitsumstände nicht möglich ist, bis zum Lebensende zu Hause zu bleiben. Darum sieht das Gesetz auch eine bessere finanzielle Ausstattung von stationären Hospizen vor. Der Mittelzuschuss der Krankenkassen für die Einrichtungen wird von 90 auf 95 Prozent der zuschussfähigen Kosten erhöht. Den Hospizen war es wichtig, die restlichen 5 Prozent weiter selbst – auch durch Spenden – zu erwirtschaften. Bei einer Vollfinanzierung hätten sonst ehrenamtliche Strukturen und das bürgerschaftliche Engagement Schaden genommen. Daneben regeln wir auch die notwendige Besserstellung von Krankenhäusern, die Palliativmedizin anbieten. Künftig sollen diese Krankenhäuser zur Verbesserung ihrer Palliativversorgung krankenhausindividuelle Entgelte vereinbaren können, weil der normale Entgeltmechanismus Krankenhäuser eigentlich dafür belohnt, eine Leistung häufig zu erbringen. Aber Mengensteuerung passt gerade nicht zum Anliegen dieses Gesetzes. Schließlich machen wir die Sterbebegleitung zum ordentlichen Bestandteil des Versorgungsauftrages der gesetzlichen Pflegeversicherung. Daneben sollen Pflegeheime künftig Kooperationsverträge mit Haus- und Fachärzten schließen können, um eine qualitativ hochwertige palliativmedizinische Versorgung ihrer Bewohner sicherzustellen, die durch eine zusätzliche Vergütung auch abgesichert wird. Insgesamt soll die Sterbebegleitung in Pflegeheimen und Krankenhäusern durch die Einbeziehung ambulanter Hospizdienste bzw. durch die Möglichkeit, für ihre Einrichtung Palliativdienste zu beauftragen, gestärkt werden. Damit stärken wir den Qualitätsansatz und sorgen für eine Professionalisierung der Sterbebegleitung durch die Einbindung und Vernetzung besonders qualifizierter Versorgungsangebote. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, das Hospizwesen ebenso wie die Palliativdienste haben den zuvor vorrangig medizinischen Ansatz der Sterbebegleitung durch menschliche und seelsorgerische Aspekte ergänzt. Die Anerkennung unserer Endlichkeit und das Bemühen, den Betroffenen und den Angehörigen für das Abschiednehmen Raum zu geben, ist ein wichtiger Schritt, um in der letzten Phase des Lebens die Würde zu erhalten. Die Begleitung durch speziell hierfür ausgebildete Menschen ist ein Segen für die Betroffenen. Sie ermöglicht es den Menschen, sich für das Leben zu entscheiden, auch wenn diese letzte Phase für alle Beteiligten eine sehr schwere ist. Wenn meine Zeit gekommen ist, wünsche ich mich an der Hand eines Menschen, der mich begleitet. Möge das Gesetz so wirken, dass es mittelfristig flächendeckend in ganz Deutschland eine gute Palliativ- und Hospizversorgung gibt. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Bettina Müller für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bettina Müller (SPD): Herr Präsident! Herr Minister Gröhe! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute ist ein guter Tag für einen Versorgungsbereich, der in unserer Gesellschaft und in unserem Gesundheitswesen lange ein Schattendasein geführt hat. Ich selbst habe als ehemalige Krankenschwester noch Zeiten erlebt, in denen Menschen zum Sterben auf die Flure oder ins Badezimmer abgeschoben wurden. Gott sei Dank hat sich hier vieles zum Besseren verändert. Trotzdem haben wir Nachholbedarf im ambulanten und stationären Bereich, in strukturschwachen ländlichen Regionen und bei der Versorgung von schwerkranken Kindern und Jugendlichen. Es kann nicht sein, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die Versorgungsqualität im palliativen Bereich davon abhängt, wo man lebt. Deshalb müssen die Strukturen vor allem in bisher unterversorgten Gebieten ausgebaut werden. Deshalb brauchen wir gute Beratungsangebote. Deshalb muss Hospiz- und Palliativversorgung sowohl in der Medizin als auch in der Pflege zum festen Bestandteil der Ausbildung werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Daher ist es gut, dass wir am Tage vor der Debatte über die Sterbehilfe ein Gesetz verabschieden, das Verbesserungen in vielen der angesprochenen Bereiche auf den Weg bringt. Wir stärken zum einen die Versorgung im stationären Bereich. Die meisten Menschen wünschen sich zwar, zu Hause im Kreise der Familie sterben zu dürfen. Die Realität sieht leider anders aus. Nahezu die Hälfte aller Menschen stirbt in Kliniken. Davon haben aber nur 15 Prozent eine Palliativstation. Gerade für die kleineren kommunalen Einrichtungen ist das Vorhalten einer Palliativstation oftmals unrentabel und kaum zu stemmen. Im HPG ist hier die Möglichkeit zur Kooperation dieser Häuser mit multiprofessionellen Teams vorgesehen. Dadurch kann auch in kleinen Krankenhäusern auf dem Land eine angemessene und qualitativ hochwertige palliative Versorgung sichergestellt werden. Wir stärken zum anderen die ambulante Palliativversorgung sowie die Vernetzung der unterschiedlichen Angebote. Dabei darf die Sicherstellung einer breiten und flächendeckenden Versorgung nicht zulasten der Qualität gehen. Alle Bausteine des Versorgungsmixes, den wir planen, stehen daher unter einem klaren Qualitätsvorbehalt. Dazu gehören auch die umstrittenen Selektivverträge. Sie stellen die palliative Versorgung auch da sicher, wo dies über die SAPV-Verträge nicht oder noch nicht möglich ist. Ein gut funktionierendes Beispiel – das ist schon angesprochen worden – ist hier das Modell in Westfalen-Lippe. Hierzu gab es eine heftige und in manchen Aspekten aus meiner Sicht auch nicht ganz nachvollziehbare Fachdebatte, die sich um Fragen der Qualität, aber auch um die Abgrenzung einzelner Akteure drehte. Ich meine, der jetzt vorliegende Gesetzentwurf macht deutlich, dass die Qualitätsanforderungen der SAPV auch dann gelten, wenn diese mit einer AAPV gemeinsam vertraglich vereinbart wird. Damit verhindern wir eine Palliativversorgung light. Qualität, Zusatzqualifikationen und eine enge Anbindung an ein SAPV-Team sind unabdingbare Voraussetzungen für einen Einsatz in diesem Bereich. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die stärkere Einbindung der Hausärzte in die Palliativversorgung bleibt für mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, unverzichtbar; denn sie haben oft über Jahre hinweg einen intensiven, einen vertrauensvollen Kontakt zu ihren Patienten. Durch die durchgängige Betreuung kann dieser auch aufrechterhalten werden. Das ist sehr wichtig; denn wir wollen mehr Menschen zu Hause versorgen, damit sie in ihrer vertrauten Umgebung sterben können. Wir brauchen daher nicht nur ein Mehr an palliativer Versorgung. Wir brauchen auch die Vielfalt von Versorgungsformen und die Vernetzung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, gute gesetzliche Rahmen sind eine Sache. Diese Rahmen auch vertraglich mit Leben zu erfüllen, ist eine andere Sache. Die Berichte zur Umsetzung der SAPV haben gezeigt, dass das Vertragsgeschehen zeitlich immer etwas hinterherhinkt. Deshalb fordere ich alle Akteure der Selbstverwaltung auf, die Vorgaben des HPG zügig, entschlossen und auch mit der entsprechenden Kooperationsbereitschaft umzusetzen, damit wir endlich die weißen Flecken in diesem Bereich in unserer Republik wegbekommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Als Berichterstatterin für die Gesundheitsberufe möchte ich an dieser Stelle auch darauf verweisen – der Kollege Terpe hat dies schon gesagt –, dass die Vorgaben des HPG natürlich nur mit genügend Fachpersonal zu stemmen sind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir reden hier nicht von Berufseinsteigern, sondern von langjährig erfahrenen Kräften, die über Weiterbildung an diese schwere, an diese belastende Aufgabe herangeführt werden. Hier müssen wir über das HPG hinaus in Bezug auf die Fort- und Weiterentwicklung noch dringend nacharbeiten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Fachkräftesicherung in der Palliativversorgung muss zudem Teil einer Gesamtstrategie für den zukünftigen Personalbedarf in der Pflege sein; denn nur wenn wir ausreichend qualifiziertes Pflegepersonal haben, können wir daraus auch zukünftig Spezialisten für die Palliativpflege rekrutieren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Insofern gilt der bekannte Grundsatz: Nach dem Gesetz ist auch immer vor dem Gesetz. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland. Dazu liegen mir zwei Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor, die wir wie immer dem Protokoll beifügen.1 Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6585, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/5170 und 18/5868 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in dieser Fassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – (Ulli Nissen [SPD]: Peinlich! Enthaltung ist peinlich! – Gegenruf der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das ist peinlich!) Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit breiter Mehrheit bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den gleichen Mehrheiten angenommen. Unter dem Tagesordnungspunkt 3 b setzen wir die Abstimmung zu den Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Gesundheit auf Drucksache 18/6585 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/5202 mit dem Titel „Hochwertige Palliativ- und Hospizversorgung als soziales Menschenrecht sichern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion der Grünen angenommen. Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4563 mit dem Titel „Gute Versorgung am Lebensende sichern – Palliativ- und Hospizversorgung stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich den Tagesordnungspunkt 4 aufrufe, möchte ich noch eine besondere Gratulation adressieren. Der Kollege Volker Beck ist vom Zentralrat der Juden mit dem renommierten Leo-Baeck-Preis ausgezeichnet worden, in Würdigung seines langjährigen Einsatzes für die Anliegen der jüdischen Gemeinde in Deutschland und für seinen Kampf gegen Antisemitismus. Ich möchte ihm dazu im Namen des Hauses ganz herzlich gratulieren. (Beifall) Er wird hoffentlich damit einverstanden sein, wenn ich darin auch eine Anerkennung seines und unseres parlamentarischen Wirkens in diesem Anliegen sehe, dem er als Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe in einer besonderen Weise verpflichtet ist. Herzlichen Glückwunsch, lieber Herr Beck! (Beifall) Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 4: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes Drucksache 18/6489 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Auch diese Debatte soll nach einer interfraktionellen Vereinbarung 77 Minuten dauern. – Das ist offenkundig einvernehmlich. Dann können wir so verfahren, sobald sich der Schichtwechsel einigermaßen vollzogen hat. Es wäre schön, wenn diejenigen, die bleiben wollen, sich auch setzten, und diejenigen, die gehen müssen, nun auch tatsächlich gingen. (Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Bundesministerin Frau Johanna Wanka. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir hatten in den letzten zehn Jahren im Wissenschaftssystem grundlegende Veränderungen, die dazu geführt haben, dass die Karrierechancen und Entwicklungsmöglichkeiten für eine Vielzahl von jungen Forscherinnen und Forschern gestärkt wurden. Die Milliarden, die neu in das System geflossen sind, haben über die unterschiedlichsten Pakte und Initiativen auch sehr viele Beschäftigungsverhältnisse erzeugt. Wenn man sich fragt, wie der wissenschaftliche Nachwuchs in Deutschland jetzt aufgestellt ist, dann muss man feststellen: Er ist exzellent ausgebildet, und er hat auch beste berufliche Perspektiven. Denn nach der Promotion tritt die Mehrheit in der Regel sofort in der Wirtschaft oder in der Wissenschaft in den Beruf ein, und sie verdient im Vergleich mit anderen Kategorien überdurchschnittlich gut. Aber man muss ehrlicherweise auch sagen, dass für das Wissenschaftssystem selbst nicht gilt, dass sich die Karrierechancen verbessert haben. Dort haben sich die Chancen für junge Spitzenforscher nicht verbessert; sie haben sich vielmehr verschlechtert, weil die Zahl der unbefristeten Stellen nicht in dem Maße gewachsen ist wie die Zahl der befristeten. Dort driftet die Schere also auseinander. Deswegen ist es ganz entschieden notwendig, dass in diesem Bereich etwas geändert wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das heißt, wir benötigen eindeutig mehr unbefristete Stellen im Hochschulbereich bzw. im Wissenschaftsbereich. Um diese unbefristeten Stellen zu schaffen, sind verschiedene Maßnahmen notwendig. Eine Voraussetzung haben wir vonseiten der Bundesregierung geschaffen: Weil die BAföG-Mittel zu 100 Prozent vom Bund übernommen werden, fließen 1,2 Milliarden Euro jährlich vom Bund in die Länder. Das bietet denen die Möglichkeit – die Möglichkeit! –, dass man damit unbefristete Stellen schafft, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) zum Beispiel für IT-Techniker oder Laboringenieure. Denn das ist kein projektgebundenes Geld, sondern es wird dauerhaft gezahlt. Damit kann man sofort, wenn man es denn will, Dauerstellen einrichten. Ob das gemacht wird, liegt in der Hoheit und der Entscheidungsfreiheit der Länder. Aber an dieser Stelle ist vonseiten des Bundes gehandelt worden. Nun kann man hochrechnen, wie viele Stellen möglich wären. Es könnten Tausende sein. Aber es kommt darauf an, ob man es will und die Mittel in diesem Bereich auch dafür einsetzt. (Beifall bei der CDU/CSU) Ein weiterer Punkt, bei dem es in die gleiche Richtung geht, ist: Ich verhandele momentan mit den Landesministern darüber, wie sich die Karrierechancen verbessern, verlässlicher und planbarer machen lassen. Wenn man sich die internationale Entwicklung anschaut, dann stellt man fest, dass es unter wettbewerblichen Aspekten außerordentlich wichtig ist, dass junge Leute wissen, wie es um die Karrierechancen in Deutschland bestellt ist. Viele wollen aus den USA gerne zurückkommen. Deswegen ist dieser Bereich von zentraler Bedeutung. Bei meiner Zielstellung, verlässliche und planbare Karrierechancen zu schaffen, möchte ich zwei Sachen erreichen: zum einen durch das Mittel Tenure Track, dass die Entscheidung früher fällt – natürlich nach Wettbewerbskriterien und mit hohen Anforderungen –, ob jemand dauerhaft eine Spitzenstellung im Wissenschaftssystem erhält, und zum anderen, dass mehr Dauerstellen bzw. Professorenstellen vorhanden sind. Wenn uns das gelingt, sind wir in der Lage, die besten jungen Leute in diesem Land zu halten oder aus dem Ausland zu holen. Wir signalisieren damit klar: Es gibt neben dem bestehenden System eine weitere attraktive Karrieremöglichkeit in Deutschland. Selbst wenn das entsprechend gelingt, ist Fakt, dass der Anteil der befristeten Arbeitsverhältnisse im Wissenschaftssystem naturgemäß – wegen Qualifizierung und Fluktuation – hoch sein muss. Das heißt, es muss viele befristete Arbeitsverhältnisse im Wissenschaftssystem geben, egal ob sie nun in Sonderforschungsbereichen, durch Exzellenzcluster oder durch Hochschulpakte realisiert werden. Weil es immer so war und weiterhin so sein wird, dass wir befristete Stellen in einer nennenswerten Größenordnung brauchen, ist das Arbeitsrecht im Wissenschaftssystem anders als das normale Arbeitsrecht. Zwar sieht auch das normale Arbeitsrecht Befristungen vor. Aber das Wissenschaftssystem braucht Sonderregelungen, weil dort befristete Stellen originärer Bestandteil sind. Wie mir meine Kollegen gesagt haben, gibt es seit 1987 Sonderregelungen für Befristungen im Wissenschaftsbereich. Trotzdem finde ich, dass die Wissenschaftszeitvertragsregelungen, die Anfang des Jahrtausends verabschiedet wurden, sehr gut sind, weil sie die sachgrundlose Befristung eingeführt haben. Das bedeutete eine deutliche Veränderung und unterstrich die Sonderstellung des Wissenschaftsbereichs. Dieser Bereich bekommt für Befristungen ganz andere Regeln als die im normalen Arbeitsrecht. Das ist sehr gut. Nun stellt sich die Frage, warum wir das novellieren wollen. Wir wollen das Gesetz novellieren, weil es Fehlentwicklungen gibt. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das finde ich sehr gut!) – Die Fehlentwicklungen? (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Wir finden es sehr gut, dass Sie das novellieren wollen!) – Okay, Herr Rossmann, ich dachte zuerst, dass Sie die Fehlentwicklungen meinen. Ich hatte es auch nicht ernst gemeint. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Nein, überhaupt nicht! Wir unterstützen Sie!) – Angekommen. Momentan läuft es in die falsche Richtung. Es ist eine eindeutige Fehlentwicklung, dass über 50 Prozent aller jungen Wissenschaftler, die einen befristeten Vertrag haben, ihren ersten befristeten Vertrag mit einer Laufzeit von unter einem Jahr abschließen. Dafür gibt es überhaupt keine plausible Begründung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es läuft auch falsch, wenn die guten Leute, die wir zum Beispiel in den technischen Fakultäten als Laboringenieure für Forschungsprojekte und dauerhaft für die Lehre und die Laborgestaltung brauchen, unbefristete Daueraufgaben übernehmen, aber Verträge bekommen, die über das Wissenschaftszeitvertragsgesetz realisiert werden. Dadurch entsteht für die Betreffenden große Unsicherheit. Diese müssen sich von Vertrag zu Vertrag hangeln, obwohl sie eine wichtige Daueraufgabe erfüllen. Das sind zwei der Punkte, die uns dazu veranlasst haben, das Gesetz zu novellieren. Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz hat also das Ziel, die Arbeitsbedingungen für die befristet beschäftigten Mitarbeiter gut zu gestalten. Es ist ein Arbeitsrechtsinstrument und eine gesetzliche Grundlage. Das heißt, dieses Gesetz kann in juristischer Hinsicht Grundlage sein, um zu regeln und anzuregen. Es kann aber nicht alle Probleme lösen, die ich gerade beschrieben habe. Da ich später Redebeiträge erwarte, in denen erst einmal aufgelistet wird, was im Hochschulsystem geändert werden müsste, und der großen Enttäuschung Ausdruck verliehen wird, dass das nun durch das novellierte Wissenschaftszeitvertragsgesetz nicht abschließend geregelt wird, sage ich: Das kann es gar nicht leisten. Vielmehr handelt es sich hier um einen wichtigen Baustein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann muss dieser Baustein aber gut sein!) Wir haben zwei Interessenlagen. Da ist zum einen die Interessenlage der jungen Leute, die natürlich vernünftige Arbeitsbedingungen haben wollen, die keine Kurzzeitverträge haben wollen und die in der Familienplanungsphase Sicherheit über einen längeren Zeitraum brauchen. Das ist völlig klar. Wir haben auf der anderen Seite – das ist dem nicht entgegengesetzt, aber auch das ist berechtigt – die Interessenlage der Hochschulleitung. Die Hochschulen müssen sich im Wettbewerb behaupten; das verlangen wir. Wir verlangen internationale Sichtbarkeit. Dafür müssen sie flexibel und innovativ sein, und sie müssen auf neue Entwicklungen reagieren können. Das sind die zwei Interessenlagen. Es galt bei der Gesetzesfindung, der Novelle, diese beiden Interessenlagen auszutarieren und eine gute Lösung zu finden, die beiden Seiten gerecht wird, also die Hochschulen nicht unnötig stark einschränkt, zum anderen aber die Arbeitsbedingungen für die befristet eingestellten Mitarbeiter wirklich verbessert. Wir haben mit dem Gesetz, das Ihnen jetzt vorliegt und über das heute in der ersten Lesung befunden wird, geregelt, dass diesen unnötigen und unerklärbaren Kurzzeitbefristungen ein klarer Riegel vorgeschoben wird. Jetzt ist es nur noch möglich, eine Befristungsdauer anzugeben, die sich an der Qualifizierungsphase orientiert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Manche Hochschulpräsidenten empören sich jetzt darüber, dass diese Befristungen an Qualifizierungen gebunden sind. Das war aber schon immer so; das war die Intention. Das muss jetzt nur konsequent begründet werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nun gab es die Vorschläge in der Diskussion – auch wir haben darüber gestritten bzw. diskutiert – zu Mindestvertragslaufzeiten. Eine Mindestvertragslaufzeit von 24 Monaten war einer der Vorschläge, die auch im Bundesrat gemacht wurden. Das bedeutet eine Mindestlaufzeit für den ersten Vertrag. Es besteht aber überhaupt keine Sicherheit, ob es danach nicht genau wieder diese Kurzzeitverträge gibt, die wir mit unserem Vorschlag unterbinden. Zum anderen gibt es eine Einschränkung, sodass vielfältige Dinge überhaupt nicht mehr möglich sind. Wenn jemand seinen Bachelor erworben und einen ordentlichen Professor hat, der ein gutes Drittmittelprojekt mit einer Firma hat, und sich dieser Student in diesem Projekt qualifiziert und vielleicht sogar die Chance hat, dort eingestellt zu werden, dann ist das eine Riesenchance, die man ihm nicht verbauen kann, indem man von vornherein solche Fristen setzt. Deswegen haben wir in unserem Gesetzentwurf die gute Bindung an die Qualifizierungszeit, also die Dauer der Projekte, Drittmittelprojekte, Promotion etc., aber nicht diese starre Vorgabe von 24 Monaten. Das wäre für die Hochschulen eine Katastrophe. (Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für den wissenschaftlichen Nachwuchs nicht!) Es gab auch den Vorschlag, dass man bei der Erstqualifizierung die Befristung stufenmäßig realisiert und dann erst die Befristung bei Drittmittelfinanzierung erlaubt. Das Beispiel, das ich eben erwähnte, ist ein gängiges Beispiel und zeigt, dass die Befristung bei Drittmittelfinanzierung zu jedem Zeitpunkt möglich sein muss. Qualifizierung heißt nicht immer Promotion. Der Erwerb von Kompetenzen in einer bestimmten Industrierichtung mündet nicht immer formal in die Promotion, sondern es gibt vielfältige Dinge, die für den Einzelnen eine Qualifizierung bedeuten. (Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/CSU]) Die zeitliche Befristung von Stellen für Daueraufgaben ist jetzt nicht mehr möglich. Für diese Daueraufgaben müssen von den Hochschulen entsprechende Dauerstellen finanziert werden. Trotzdem ist es möglich, dass man, wenn man ein Forschungsprojekt hat, dort temporär, befristet Spezialisten des nichtwissenschaftlichen Personals einstellt. Diese Möglichkeit ist überhaupt nicht eingeschränkt, dann aber mit einem ordentlichen Befristungsgrund. Wir unterhalten uns hier manchmal über die Nachteile des Föderalismus, wobei ich eine vehemente Vertreterin des Föderalismus bin. An der Stelle kommt die Mobilität ins Spiel. Im Schulbereich macht der Wechsel von einem Bundesland in ein anderes häufig Ärger. Im Wissenschaftsbereich ist Mobilität zwingend notwendig. Sie müssen im akademischen Bereich irgendwo studieren, an einem anderen Ort Assistent sein, promovieren oder was auch immer. Deswegen muss die Mobilität gewährleistet werden. Wir haben die Gewährleistung dieser Mobilität als Kernbestandteil im Gesetz stehen, die für die gesamte Bundesrepublik Deutschland gilt. Deswegen darf es keine Aufhebung der Tarifsperre geben. Es darf nicht sein, dass die einzelnen Tarifpartner Sonderregelungen treffen und wir wieder einen Flickenteppich bekommen. (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Aber im Schulbereich geht das? – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das führt zu Sonderregelungen! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es sind doch lauter Kannregelungen!) – Nein, in unserem Gesetz nicht. Sie müssen sich die Novelle richtig anschauen. Zu Ihren Vorschlägen komme ich noch. – Die Familienkomponente ist im Gesetz gestärkt worden, es erfolgt eine Ausdehnung auf Stiefkinder und Pflegekinder, auch für Menschen mit Behinderung wird mehr getan. (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Aber mit strukturellem Defizit!) Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen befürwortet Verträge, wobei die Befristung an eine Betreuungsvereinbarung gebunden ist. Ich bin überhaupt nicht gegen Betreuungsvereinbarungen in einer Promotionsphase. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich fürchte, Sie sagen jetzt „Aber“!) Es gibt eine Reihe von Promoventen, die sich freuen würden, wenn sie so etwas hätten. Aber es kann nicht richtig sein, alles zu reglementieren und immer mehr zwingende Voraussetzungen zu schaffen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!) Es muss in Deutschland weiter möglich sein, dass ein kluger Student promoviert, ohne dass er krampfhaft eine Betreuungsvereinbarung oder etwas Ähnliches vorweist. (Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war aber eine krampfhafte Argumentation!) Daran darf eine Promotion nicht geknüpft sein. Völlig unabhängig davon fällt es nicht in die Kompetenz des Bundes, eine solche Vereinbarung vorzuschreiben. Wenn überhaupt, dann unterliegt eine solche Vorschrift sozusagen der wissenschaftlichen Ausprägung durch die Hochschulen. Vonseiten der Linken gibt es die Überlegung, Tenure Track zwingend an die Befristung von Qualifizierung zu binden. Das bedeutet de facto die Schaffung einer Art Übernahmegarantie. Das kann natürlich nicht funktionieren. Denn wir sind nicht nur für die verantwortlich, die jetzt im System sind, für die, die jetzt einen Bachelor- oder einen Masterabschluss machen oder promovieren, sondern wir müssen auch der Generation danach Chancen offenhalten. Deswegen kann dieses System nicht einfach aufgefüllt werden. Außerdem ist es völlig widersinnig, zu glauben, dass die Tausenden junger Leute, die sich in den letzten Jahren qualifiziert haben, das Ziel einer Professur haben. Diese jungen Menschen qualifizieren sich für die unterschiedlichsten Tätigkeiten. Insofern, glaube ich, ist es in diesem Gesetzentwurf sehr gut gelungen, die unterschiedlichen Interessenlagen auszutarieren. Ich würde mich freuen, wenn dieses Gesetz großen Anklang fände. Es verbessert die Situation, und es erhöht die Attraktivität einer Karriere im Wissenschaftssystem. Das gilt gerade für die, von denen wir uns das wünschen. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Nicole Gohlke für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Nicole Gohlke (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Besuchertribüne! Zu Beginn meiner Rede möchte ich mich gerne bei den Gewerkschaften und den Beschäftigten in der Wissenschaft bedanken. Die Aktiven an den Hochschulen und an den Wissenschaftseinrichtungen sowie bei GEW und Verdi haben lange dafür Druck gemacht, dass das Problem der schlechten Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft überhaupt sichtbar gemacht wird und dass wir heute endlich einen Gesetzentwurf zur Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes diskutieren. Vielen Dank dafür! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Fast 800 000 Menschen arbeiten in Deutschland in der Wissenschaft, und es ist schon krass, dass so schlechte Arbeitsbedingungen in so einer großen Branche so lange möglich sind. Noch einmal kurz die Zahlen: 90 Prozent der Beschäftigten an Hochschulen sind befristet beschäftigt. 50 Prozent der Verträge laufen bestenfalls ein Jahr, viele deutlich kürzer. Junge Menschen, die auf einer drittmittelfinanzierten Stelle arbeiten, laufen Gefahr, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, wenn sie ein Kind bekommen. Da fragt man sich: Hat das die Große Koalition nicht mitbekommen, oder warum hat es so lange gedauert, bis Sie zu diesem Thema einmal aktiv geworden sind? (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 2011 – noch einmal zum Mitschreiben: 2011 – ist der Evaluationsbericht der Bundesregierung zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz erschienen, mit eindeutigen Ergebnissen, wie viel Handlungsbedarf besteht, und dann haben Sie vier Jahre gewartet, bis Sie auf die Ergebnisse Ihrer eigenen Studie reagiert haben. Das ist wirklich unglaublich! (Beifall bei der LINKEN – Hubertus Heil (Peine) [SPD]: Wir nicht! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zehn Jahre CDU/CSU-Regierung!) Jetzt haben Sie einen so unverbindlich formulierten Vorschlag vorgelegt, dass der wohl kaum dazu führen wird, wirkliche Mindeststandards für „gute Arbeit“ zu setzen. Unverbindliche Formulierungen – das ist ja wohl auch klar – kommen natürlich vor allem den Arbeitgebern zugute. Die Arbeitgeber haben ordentlich Druck gemacht, damit sich an den Zuständen im Wissenschaftsbereich möglichst wenig ändert. Regelrechte Horrorszenarien wurden an die Wand gemalt, als sich die Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes abzeichnete. Wissenschaftliches Spitzenpersonal könne gar nicht mehr angeworben werden, hieß es da, und der ganze Wissenschaftsstandort Deutschland sei in Gefahr. Dabei ist das Gegenteil der Fall: Gute Arbeitsbedingungen, ein sicherer Arbeitsplatz und verlässliche Karrierewege sind Voraussetzungen für gutes wissenschaftliches Arbeiten. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich sage Ihnen: Wenn Spitzenforschung nur möglich sein soll, wenn die Mehrheit der Beschäftigten zu schlechten Bedingungen arbeitet, dann pfeife ich auf die Spitze, weil das ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft wäre. (Beifall bei der LINKEN) Unsichere Lebensverhältnisse und regelrecht ausbeuterische Arbeitsverhältnisse müssen beendet werden, und da darf die Wissenschaft sicherlich keine Ausnahme bilden. Ziel muss doch sein, dass die sozialversicherungspflichtige Dauerstelle wieder zum Normalfall wird in der Wissenschaft, (Beifall bei der LINKEN) und zwar für alle und rechtssicher. Gemessen an diesem Ziel hat die Bundesregierung wirklich noch einiges nachzuarbeiten. Gut ist, dass jetzt endlich der überfällige Schritt gegangen wurde und das nichtwissenschaftliche Personal aus dem Geltungsbereich des Gesetzes herausgenommen wurde. Der Missbrauch, der damit über Jahre hinweg betrieben wurde, war wirklich unfassbar. Der Personalrat an der Technischen Uni in München hat eine Erhebung über die Einstellungspraxis beim wissenschaftsunterstützenden Personal gemacht, also bei den Menschen, die in Verwaltung, Technik und Bibliothek arbeiten. Sie hat ergeben, dass sage und schreibe 92 Prozent der Neueinstellungen nur einen befristeten Vertrag bekommen haben. 92 Prozent! Das ist eine unfassbare Zahl und zeigt vor allem eines: dass die letzte Große Koalition mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz von 2007 ein Instrument zur Sonderbefristung geschaffen hat, um einfach alle, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler genauso wie die Hausmeisterei oder die IT-Abteilung, nur noch prekär zu beschäftigen. (Lachen des Abg. Tankred Schipanski [CDU/CSU] – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Da kommen einem die Tränen!) Das ist die Verantwortung von Union und SPD. Sie könnten einfach einmal eingestehen, dass das wirklich ein großer Fehler war. (Beifall bei der LINKEN) Deswegen ist es fahrlässig, wie viele Dinge die Große Koalition jetzt weiterhin ungelöst lässt bzw. zum Nachteil der Beschäftigten belässt. Sie sagen zwar, dass Sie die sachgrundlose Befristung zukünftig an die wissenschaftliche Qualifizierung, also zum Beispiel an eine Doktorarbeit, binden wollen. Aber es liegt doch auf der Hand, dass es dafür vor allem einen Anspruch der Beschäftigten auf Qualifizierung während der Arbeitszeit geben muss. Warum regeln Sie das nicht eindeutig? (Beifall bei der LINKEN) Nach wie vor sollen Eltern, die auf einer Drittmittelstelle arbeiten, keinen Rechtsanspruch auf Vertragsverlängerung nach der Elternzeit haben. Aber bei der Gewährung von Familienzeiten muss doch Gleichbehandlung gelten; das muss doch jeder und jedem gleichermaßen möglich sein. Wie können Sie so eine Ungleichbehandlung und eine Regelung stehen lassen, die am Ende wirklich jede Lebensplanung von jungen Menschen zunichtemacht? Weiterhin halten Sie an der Tarifsperre fest, daran, dass es in der Wissenschaft den Gewerkschaften untersagt ist, eigene tarifvertragliche Regelungen mit den Arbeitgebern auszuhandeln. Kolleginnen und Kollegen, zwei Dinge sind doch eigentlich klar: Erstens. Der vorliegende Gesetzentwurf muss dringend überarbeitet werden. Das fordert die Linke, das fordern die Gewerkschaften, und das fordert auch der Bundesrat. Zweitens. Es bleibt zu fragen, warum es für den Wissenschaftsbereich überhaupt ein Sonderarbeitsrecht braucht. (Beifall bei der LINKEN) Spezifika im Wissenschaftsbetrieb wie die Qualifizierung oder die projektbezogene Arbeit dürfen doch bitte sehr nicht zur Umgehung von arbeitsrechtlichen Mindeststandards führen. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke ist gegen jede sachgrundlose Befristung und gegen Kettenbefristung – in der Wissenschaft ganz genauso wie in jeder anderen Branche, und ein Wissenschaftszeitvertragsgesetz macht nur dann Sinn, wenn es Mindeststandards für gute Arbeit definiert. Das muss dieses Gesetz leisten. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält der Kollege Hubertus Heil für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hubertus Heil (Peine) (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Art und Weise, wie wir mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs in unserem Land heute umgehen, entscheidet maßgeblich über die Frage, ob Deutschland auch zukünftig ein modernes und innovatives Land ist. An dieser Stelle gilt bezogen auf den Gesetzentwurf und das, was wir für den wissenschaftlichen Nachwuchs jetzt tatsächlich auf den Weg bringen, der Satz: Wer morgen gut und sicher leben will, der muss heute für Reformen sorgen. – Es ist eine gute Investition in die Zukunft, dass wir uns heute tatsächlich um bessere Karriere- und Lebensperspektiven von jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern kümmern. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Auch für uns als Sozialdemokraten gilt: Wissenschaft, das heißt auch immer Konkurrenz und Wettbewerb von Ideen, von Ansätzen, auch von Personen. Auch darauf basiert wissenschaftlicher Fortschritt. Das heißt ganz klar: Nicht jeder und nicht jede wird im Wissenschaftssystem erfolgreich sein, und es ist auch gar nicht das Ziel, dass jede junge Forscherin, jeder junge Forscher im Wissenschaftssystem selbst verbleibt. Es werden auch viele in der Wirtschaft gebraucht, in der Gesellschaft, in der öffentlichen Verwaltung, an anderen Stellen. Aber ganz klar ist auch: Die Bedingungen sind heute so, dass uns viele gute junge Leute, die wir zukünftig im Wissenschaftssystem, in der außeruniversitären Forschung und an den Hochschulen brauchen, zu früh verloren gehen, und das ist ein Grund für dieses Gesetz, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wie ist die Ausgangslage? Ich glaube, über die Befunde gibt es große Übereinstimmung im Haus. Wenn ich an die Rede der Ministerin und meiner Vorrednerin denke, die politisch von unterschiedlichen Ecken der Erde kommen, muss ich sagen: Es gibt zumindest in der Betrachtung der Wirklichkeit Gemeinsamkeiten. Die Ausgangslage ist ganz klar: Wir haben zum einen ein Riesenwachstum im Bereich der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit der Folge – Frau Ministerin Wanka hat es gesagt –, dass der Aufwuchs an unbefristeten Stellen in diesem Bereich damit nicht Schritt gehalten hat. Eine Zahl ist in diesem Zusammenhang übereinstimmend festzustellen: 90 Prozent aller Verträge sind befristet. Zweitens – auch das ist eine Ursache für die jetzige Situation – sind die Personalstrukturen an unseren Hochschulen so, dass in vielerlei Hinsicht das Prinzip „Professur oder nichts“ gilt. Das gilt in vielen anderen Ländern auf der Welt nicht. Auch das ist eine Ursache für diese Entwicklung. Drittens gilt immer noch, dass wir in diesem Land nicht nur eine Befristungsquote von 90 Prozent unter den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern haben, sondern dass auch die Berufung auf eine Professur viel zu spät erfolgt. Übrigens sind Promovenden im Alter von 35 bis 45 Jahren doppelt so häufig von Befristung betroffen wie ihre nicht promovierten Altersgenossinnen und -genossen. Das ist kein guter Befund. Diese Entwicklung ist merkwürdigerweise auch der Fluch der guten Taten. Wir haben in den letzten Jahren viel Gutes zur Expansion unseres Wissenschaftssystems getan: durch die Pakte, durch die Exzellenzinitiative, durch den Qualitätspakt Lehre, durch den Hochschulpakt 2020, durch den Pakt für Forschung und Innovation. Das heißt, wir haben viel getan, aber es ist – das ist im Bericht zu lesen – ein Flaschenhals im Bereich des wissenschaftlichen Nachwuchses entstanden. Das ist in zweierlei Hinsicht ein Problem: Es ist ein Problem der Gerechtigkeit gegenüber den Menschen, die im Wissenschaftssystem leben, lernen, arbeiten und forschen, und ihren sozialen Lebensperspektiven, und es ist ein ökonomisches und qualitatives Problem, wenn wir die Potenziale derer, die wir in diesem Land gut ausgebildet haben, im Wissenschaftssystem und vor allen Dingen im Herzstück unseres Wissenschaftssystems, an den Hochschulen in Deutschland, nicht vernünftig zur Entfaltung bringen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Aber die von Frau Gohlke und von Frau Wanka angesprochene Tatsache, dass von den 90 Prozent der befristeten Arbeitsverträge mehr als die Hälfte, also jeder zweite Arbeitsvertrag, eine Laufzeit unterhalb eines Jahres hat, hat nicht nur mit Fehlentwicklungen zu tun, sondern auch mit dem Missbrauch des Befristungsrechts. Mit dieser Novelle steuern wir gegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir also die gleichen Befunde haben, geht es jetzt um die Frage: Mit welchen Maßnahmen steuern wir gegen? Meine Kollegin Raatz wird noch im Detail auf den Gesetzentwurf eingehen. Ich finde, dieser Kompromiss ist mit Augenmaß gefunden worden. Es war keine einfache Diskussion, auch in der Koalition. Die SPD war ja die Kraft, die dafür gesorgt hat, dass dieses Projekt der Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes in den Koalitionsvertrag aufgenommen wurde. Wir haben intensive Gespräche geführt. Wir haben, Frau Ministerin, glaube ich, gemeinsam einen guten Gesetzentwurf auf den Weg gebracht. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Da gibt es immer zwei Partner zu einem Koalitionsvertrag!) – Vorsicht. Nicht so nervös werden, Herr Rupprecht. Es ist noch früh am Morgen. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Ich war bei den Verhandlungen dabei und weiß, wie es gelaufen ist!) – Ich sage ja: Wir haben gemeinsam einen guten Gesetzentwurf auf den Weg gebracht. Aber Sie sehen an der Freude der Sozialdemokratie, dass wir gar nicht so unglücklich sind über das, was wir aufgrund unserer Initiativen gemeinsam erreicht haben. Was den wissenschaftlichen Nachwuchs betrifft, machen wir damit einen notwendigen, aber keinen hinreichenden Schritt. Denn Tatsache ist: Wir können dem Missbrauch durch diese Novelle des Arbeitsrechts entgegenwirken, aber wir schaffen damit noch keine neuen Stellen. Deshalb ist es richtig gewesen, dass die Koalitionsspitzen auf ihrer Klausurtagung in Göttingen, Herr Kollege Kretschmer, vereinbart haben, dass auch wir als Bund neben dem, was wir an BAföG-Entlastungen für die Länder, die damit eigenständig etwas tun können und sollen, auf den Weg gebracht haben, mehr für den wissenschaftlichen Nachwuchs tun wollen. Auch wir als Bund wollen in den nächsten Jahren Geld in die Hand nehmen, um die Situation in diesem Bereich zu verbessern. Wir haben diesen Flaschenhals aufzubohren. (Beifall bei der SPD) Das geht nur, wenn wir zu einem Pakt für wissenschaftlichen Nachwuchs zwischen Bund und Ländern kommen. Mit dieser fraktionsübergreifenden Initiative zwischen CDU/CSU- und SPD-Bundestagsfraktion haben wir die vorhin beschriebenen Gespräche, die jetzt zwischen Ländern und Bund stattfinden, initiiert. Ich möchte sagen, was unser Wunsch und unser Ziel für die Gespräche ist: Es ist notwendig, dass wir in diesem Bereich ein Bund-Länder-Programm auf den Weg bringen, das tatsächlich neue Karrierewege mit neuen Personalkategorien neben, aber auch unterhalb der Professur ermöglicht, und sich so ein moderner Mittelbau entwickelt. (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Was sehr wichtig ist!) Zwölf Länder, die SPD-Bundestagsfraktion und auch die Allianz der Wissenschaftsorganisationen sagen eindeutig: Ja, wir brauchen diesen Anreiz für einen modernen Mittelbau, auch für Daueraufgaben. Wenn wir keine Veränderung bei den Personalstrukturen erreichen und keine neuen Karrierewege eröffnen, bleiben wir auf halbem Wege stehen. Es ist ohne Zweifel so – das ist die Position von zwölf Bundesländern, es ist unsere Position als SPD-Bundestagsfraktion, und es ist auch die Position der Wissenschaftsallianz –, dass dieser Pakt drei Dimensionen ansprechen muss. Erstens – hier gibt es einen großen Konsens – stehen wir dazu, ein Tenure-Track-Programm für Hochschullehrer auf den Weg zu bringen und zusätzliche Tenure-Track-Optionen zu schaffen, um die Planbarkeit zu erhöhen. Zweitens – auch das gehört dazu – brauchen wir ein Anreizprogramm für neue strukturelle Karrierewege neben und unterhalb der Professur, um neue Personalstrukturen zu entwickeln. Last, but not least brauchen wir die Förderung von Karrierekonzepten zur verlässlichen und modernen Personalentwicklung an den Hochschulen. Das, meine Damen und Herren, sind drei gleichrangige Elemente, die wir brauchen, wenn, Frau Ministerin, ein Pakt für wissenschaftlichen Nachwuchs diesen Namen verdienen soll. (Beifall bei der SPD) Uns ist dabei vollkommen klar, dass auch unsere finanziellen Mittel endlich sind. In der Koalition haben wir beschlossen, dass wir in den nächsten zehn Jahren dafür 1 Milliarde Euro zur Verfügung stellen wollen. Ich sage in Richtung Länder, dass wir erstens erwarten, dass es auch einen eigenständigen Finanzierungsbeitrag der Länder für ein solches Bund-Länder-Programm geben wird. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Zweitens – auch das sage ich an die Adresse der Länder – erwarten wir, dass es zusätzliche Stellen werden und dass dafür nichts anderes wegfallen wird. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Drittens müssen wir dafür sorgen, dass die Mittel für den Pakt möglichst breit verteilt in die Hochschulen gehen, über Länderkontingente, beispielsweise nach erfolgreichem Modell des „Qualitätspakts Lehre“. Diese Ansprüche stellen wir an die Länder. Aber – da beißt die Maus keinen Faden ab –: Wenn wir ein reines kleines Tenure-Track-Programm machen, dann löst das die Probleme nicht. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Das ist kein kleines, das ist ein großes!) Wir müssen zusätzlich zum Tenure-Track-Programm für Personalentwicklungskonzepte sorgen. Wir müssen Anreize schaffen, dass es neben der Professur – sie ist Fixierungspunkt – andere strukturelle Karrierewege im Wissenschaftsbetrieb gibt. Dann schaffen wir einen guten Pakt. (Beifall bei der SPD) Zum Schluss, meine Damen und Herren: Beide Bausteine – die Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, die wir heute in erster Lesung mit einem guten Gesetzentwurf beraten und zu einem guten Gesetz machen wollen, und ein Pakt für wissenschaftlichen Nachwuchs – haben das Ziel, die Attraktivität im Wissenschaftsbereich als Berufsfeld zu steigern, dafür zu sorgen, dass Menschen, die einen steinigen und fordernden Weg vor sich haben, ihn persönlich gut gehen können. Wir sichern damit die Innovationsfähigkeit in Wissenschaft und Forschung. Wir sorgen für Fachkräftesicherung im Wissenschaftssystem. Wir sorgen für ein Mindestmaß an Beschäftigungssicherheit. Das, meine Damen und Herren, wollen wir umsetzen. Die Hauptkritik der Linken lautete: Spät. Sie hätten aber auch sagen können: Besser spät als nie. Das wäre fair. – Wie auch immer: Wir gehen voran. Ich glaube, das ist ein guter Tag für den wissenschaftlichen Nachwuchs in diesem Land. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Kai Gehring von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat als nächster Redner das Wort. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der wissenschaftliche Nachwuchs ist Fundament und Zukunft für ein kreatives und leistungsfähiges Forschungssystem. Er braucht frühe Eigenständigkeit, klare Perspektiven, verlässliche Verträge und mehr feste Stellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Die Arbeitsbedingungen und Karrierewege an Hochschulen und Forschungseinrichtungen müssen besser werden. Befristungsunwesen ist eine Fehlentwicklung. Dem Missbrauch von Befristungsrecht muss endlich ein Riegel vorgeschoben werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU) Darüber sind wir uns im Bundestag nach jahrelangen Debatten jetzt endlich einig. Was hilft aber all die Einigkeit, wenn die Bundesregierung das nicht umsetzt? (Beifall bei der LINKEN) Zwei lange Jahre in dieser Koalition und vier Jahre Regierungszeit davor hat sich nichts für den wissenschaftlichen Nachwuchs bewegt. Es gab nur das Versprechen: Bald tun wir etwas für euch. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Halblang!) Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellen nun fest: Das Warten hat sich nicht gelohnt. Ministerin Wanka hat eine Schmalspurnovelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes vorgelegt. Ihre Novelle ist an vielen Stellen wachsweich und wird wenig bewirken, es sei denn, ihr Entwurf wird noch deutlich nachgebessert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Noch schwieriger sieht es beim Nachwuchsprogramm für zusätzliche Stellen aus. Das hängt in der Warteschleife. Wenn es so weitergeht, verhagelt die Bundesregierung die Perspektiven für einen Traumjob in der Wissenschaft. Der Bundestag darf das nicht zulassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hubertus Heil (Peine) [SPD]: Das ist ein bisschen unterkomplex, Herr Kollege!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Wissenschaft ist die Grundlage für Innovationen in unserer Gesellschaft. Damit aber überhaupt Neues entstehen kann, brauchen wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die neugiergetrieben quer- und weiterdenken. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind mit Idealismus und mit Leidenschaft bei der Sache; aber auf Dauer können Idealismus und Leidenschaft schlechte Arbeitsbedingungen und unsichere Karriereperspektiven nicht kompensieren. Neugier braucht Sicherheit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Bund trägt Verantwortung für die Beschäftigten in der Wissenschaft; denn Arbeitsrecht ist Bundesrecht. Also nehmen Sie Ihre Bundeskompetenz anständig wahr, anstatt sie an Länder, Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu delegieren! Zahlreiche Studien zeigen, wie schlecht es um den wissenschaftlichen Nachwuchs bestellt ist. Das wichtigste Werk ist der Bundesbericht zur Förderung des Wissenschaftlichen Nachwuchses. 2008 wurde er zum ersten Mal veröffentlicht. Die Kernaussagen waren damals: Es fehlt an der Planbarkeit von Karrierewegen. Es fehlen sichere Beschäftigungsmöglichkeiten in der Wissenschaft. Gerade im Hinblick auf Frauen ist die Durchlässigkeit des Wissenschaftssystems mangelhaft. Und: Die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ist insgesamt nicht nachhaltig. – Das galt 2008, und es gilt auch heute. Die Probleme sind geblieben. Allerdings bewegt sich Positives in den Ländern und in den Hochschulen: Beispiel Baden-Württemberg. Das Land erhöht die Grundfinanzierung der Hochschulen bis 2020 um 3 Prozent pro Jahr. Bis zu 3 800 neue Stellen können und werden die Hochschulen dadurch einrichten. (Zuruf von der CDU/CSU: Dank des Bundesgeldes!) Beispiel Nordrhein-Westfalen. Hier haben SPD und Grüne mit Vertretern von Hochschulen und Personalräten den Rahmenkodex „Gute Arbeit“ vereinbart. (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Das ist unterwegs!) Dieser Kodex geht über Ihre Novelle hinaus. Er soll und wird nach und nach von den einzelnen Hochschulen in NRW unterzeichnet. Beispiel Niedersachsen. Über Zielvereinbarungen mit den Hochschulen sollen Arbeitsverträge künftig an die Mindestdauer einer Promotion oder an die Laufzeit von Forschungsprojekten angeglichen werden. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Genau das, was wir mit dem Gesetz beschließen! Das machen wir ja! Dann ist unser Gesetz doch gut, oder?) Beispiel Hochschulen. Es gibt immer mehr Selbstverpflichtungen, Codes of Conduct, Karriereweg- und Personalentwicklungskonzepte. Diese gute Praxis vieler Länder und vieler Hochschulen muss der Bundestag anerkennen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Tut er doch! – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Genau das machen wir ja!) – Ja, aber viele Länder und viele Hochschulen sind weiter als diese Bundesregierung. Dass der Bund hier hinterherkleckert, haben wir vor allem der CDU/CSU zu verdanken. (Uwe Schummer [CDU/CSU]: Würden Sie das gegebenenfalls zurücknehmen?) Die grüne Bundestagsfraktion hat schon vor eineinhalb Jahren eine Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes vorgelegt. Unsere Vorschläge und die des Bundesrates müssen in Ihren Schmalspurentwurf einfließen: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Erstens. Hire and Fire muss ein Ende haben. Es braucht daher klare Mindestvertragslaufzeiten. In der Qualifizierungsphase soll sie mindestens zwei Jahre betragen. Auch bei Drittmittelbefristungen brauchen wir klare Regelungen. Ein Vertrag darf generell nicht kürzer sein als der Zeitraum der Bewilligung der Drittmittel. Ohne konkrete Mindestlaufzeiten für Zeitverträge könnten Hochschulen und Forschungseinrichtungen weiter unzumutbar kurze Verträge abschließen. Da springt Ihr Entwurf deutlich zu kurz; denn genau diese Missstände muss die Novelle doch im Kern beheben. Also bessern Sie hier nach! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Zweitens. Die Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie muss besser werden. Immerhin hat die Bundesregierung gegenüber dem Bundesrat die Schwäche ihres Entwurfs an diesem Punkt eingeräumt. Insofern werden wir jetzt ganz genau hinsehen, ob und wie die familienpolitische Komponente endlich verbindlicher gestaltet wird. Drittens. Es kann sich als problematisch entpuppen, dass Sie das nichtwissenschaftliche Personal aus dem Geltungsbereich des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes herausnehmen. Vom Techniker bis zum Wissenschaftsmanager gilt dann das Teilzeit- und Befristungsgesetz. Die gutgemeinte Option der Dauerbeschäftigung ist bei diesem hochspezialisierten Personal aber nur eine scheinbare. Wenn die Hochschule nicht unbegrenzt ins Risiko gehen kann, droht Kündigung statt Dauerstelle. (Hubertus Heil (Peine) [SPD]: Was ist denn Ihre Lösung?) Sie kennen doch auch die einschlägige Regelung aus § 14 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes zu vorübergehenden Bedarfen, die sogenannte Projektbefristung. Sie könnte dazu einladen, dass dann neue Verträge mit Ultrakurzzeitbefristungen abgeschlossen werden. Ich glaube, dass Zeitverträge über das Wissenschaftszeitvertragsgesetz für das nichtwissenschaftliche Personal hier mehr Sicherheit bringen können. Das klingt wie eine Wissenschaft für sich. Wenn man genau hinguckt, kann man nur sagen: Vorsicht an der Bahnsteigkante! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Viertens. Die Tarifsperre muss weg; denn dann könnten die Tarifpartner sach- und zeitgerechte Vereinbarungen treffen, die über den gesetzlichen Mindeststandard hinausgehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) All die von mir beschriebenen Änderungen bringen mehr Verlässlichkeit. Mit wachsweichen Soll- und Kannbestimmungen, mit denen Sie in Ihrer Novelle reihenweise arbeiten, kommen wir nicht weiter. Wir wollen eine wirksame Novelle und keinen zahnlosen Tiger. Das ist unser Ziel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen also einen verlässlichen rechtlichen Rahmen. Und wir brauchen mehr feste und dauerhafte Stellen in der Wissenschaft. Wir Grünen haben schon vor Monaten ein Bund-Länder-Programm für mindestens 10 000 zusätzliche Nachwuchsstellen an den Hochschulen vorgeschlagen, vom Mittelbau bis zur Tenure-Track-Professur. Das brächte mehr feste Stufen auf der Karriereleiter und Impulse für eine moderne Personalstruktur. Wir sehen, dass in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz ähnlich gedacht wird; allerdings sind sich Frau Wanka und die Länder noch nicht handelseinig. Wir wollen eine Einigung. Erlauben Sie mir, dazu noch ein paar Hinweise zu geben: Mir erschließt sich nicht, warum das Bundesministerium ausschließlich Tenure-Track-Professuren fördern will. Wenn einige Länder monieren: „Das hilft uns nicht, wir sind überdurchschnittlich gut mit Professuren versorgt“, dann können Sie das doch nicht einfach so beiseitewischen. Wenn Sie eine Einigung wollen, dann müssen Sie dafür sorgen, dass jedes Land einen Gewinn für seine Hochschulen aus dem Bund-Länder-Programm ziehen kann. Gleichzeitig ist es richtig, wenn wir auf Bundesebene einfordern, dass das Programm dauerhaft zusätzliche Stellen – zusätzliche! – bringen muss. Damit das gelingt, müssen wir stärker in die Grundfinanzierung der Hochschulen investieren. Dazu sind nicht alle Länder gleichermaßen in der Lage, zumal die Wissenschaftshäuser eine Vielzahl von Bundesprogrammen kofinanzieren und die Finanzlage der Länder höchst unterschiedlich ist. Aber das Dilemma lässt sich auflösen. Der Bund kann zum Beispiel zusagen, die gemeinschaftliche Studienplatzfinanzierung auf Dauer zu stellen, indem der Bund die Mittel für den Hochschulpakt über 2020 hinaus verstetigt. Die Grundgesetzänderung zur Abschaffung des Kooperationsverbots im Wissenschaftsbereich muss doch einen Sinn haben. Hier hätte sie einen klaren Sinn, nämlich die Grundfinanzierung der Hochschulen durch die Verstetigung der Mittel für den Hochschulpakt über 2020 hinaus zu stärken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Uwe Schummer [CDU/CSU]: 2,1 Milliarden Euro!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Programm für zusätzliche Nachwuchsstellen muss zügig kommen. Hier sind Kompromissbereitschaft und Kreativität gefragt. Frau Wankas Schmalspurnovelle zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz muss überarbeitet werden. Die Änderungsanträge aus dem Bundesrat dürfen Sie nicht einfach so in die Schublade legen. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und SPD, tragen da eine besondere Verantwortung. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Wir haben sie gelesen!) Wir als Grüne werden Änderungsanträge stellen, damit die Reform auch Früchte tragen kann: für faire statt prekäre Wissenschaft! Damit mit Sicherheit geforscht werden kann! Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Alexandra Dinges-Dierig von der CDU/CSU-Fraktion hat als nächste Rednerin das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Alexandra Dinges-Dierig (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben ein Feuerwerk gehört (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke schön!) an Vorschlägen in den letzten 60 Minuten. Ich glaube, wir werden aufregende und sehr lange Ausschussberatungen haben, wenn wir all diese Vorschläge aufgreifen und diskutieren wollen. Aber vielleicht wird es an der einen oder anderen Stelle doch schneller gehen, als das viele glauben. Der Bund hat im letzten Jahrzehnt – man kann es gar nicht oft genug sagen – einen beispiellosen Kraftakt hingelegt: die schwarze Null und gleichzeitig unglaubliche Zuwachsraten beim Etat im Bereich Bildung und Forschung; das hätte vor 15 Jahren niemand geahnt. (Beifall bei der CDU/CSU) Das gab uns die Möglichkeit, die Wissenschaftslandschaft und vor allem unsere internationale Sichtbarkeit mehr als nur zu verbessern. Vielmehr ging es darum, dass wir ganz nach vorne gerückt sind. Lassen Sie mich die drei Schwerpunkte nennen: Wir haben die exzellente Forschung an Hochschulen gestärkt, die Hochschulen für steigende Studierendenzahlen fit gemacht und die außeruniversitäre Forschung zukunftsfest ausgestattet. Heute ist ein guter Zeitpunkt, an die gesamte Bundesregierung, insbesondere an Sie, Frau Professor Wanka, ein herzliches Dankeschön zu richten für das, was Sie für unseren Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Deutschland getan haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Man darf sich jetzt aber nicht einfach zurücklehnen; denn jetzt kommen die nächsten Aufgaben. Die Zukunft unseres Wissenschaftsstandorts ist in hohem Maße davon abhängig, dass es gelingt, die besten Köpfe zu behalten und international die Besten zu gewinnen; denn es geht darum, nicht nur das Niveau zu halten, sondern noch weiter nach vorne zu gehen. Deshalb hat die Koalition in dieser Legislaturperiode einen Schwerpunkt auf die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses gelegt. Es ist unser gemeinsames Anliegen – ich glaube, das gilt für alle Fraktionen –, dass wir uns kluge Konzepte überlegen, mit denen wir zusätzliche Stellen im Wissenschaftssystem schaffen können und für den wissenschaftlichen Nachwuchs attraktivere und zuverlässigere Karrierewege aufzeigen können. Mit „gemeinsam“ meine ich nicht nur den Bund, sondern ich meine auch die Länder und die außeruniversitären Wissenschaftseinrichtungen. Hier möchte ich auch die Kultusministerkonferenz nicht aus der Pflicht entlassen; denn wenn wir über andere Wege im Wissenschaftssystem sprechen, dann sind zunächst einmal die Kultusministerkonferenz und die Länder gefordert. Zunächst einmal müssen sie sich fragen: Was wollen wir eigentlich? Ich hätte gerne, dass wir uns von Begriffen wie „Mittelbau“ endlich einmal verabschieden und sagen: Wir brauchen mehrere Wege im Wissenschaftssystem, die gleichwertig nebeneinanderstehen; die Professorenlaufbahn ist eine ganz wichtige, aber eben nicht die alleinige. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes liefern wir heute einen kleinen Baustein, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau, klein!) um etwas zu ändern. Das wird uns aber nicht gar so viel bringen – das wurde schon gesagt –, wenn wir nicht größer denken, wenn wir nicht weiterdenken. Wir wollen mit dieser Novelle Fehlentwicklungen abstellen und Fehlinterpretationen begegnen. Dazu wurde schon viel gesagt. Ich habe darüber mit vielen Beteiligten in Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen gesprochen. Alle haben gesagt, egal mit wem ich gesprochen habe: Extrem kurze Vertragslaufzeiten bedeuten eine ständige Unsicherheit, und Unsicherheit ist keine gute Voraussetzung für einen Qualifizierungsweg in der Wissenschaft. – Das stört alle, egal ob es sich um gestandene Professoren handelt oder um die jungen Nachwuchswissenschaftler. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Befristete Arbeitsverträge gehören aber zur Wissenschaft – das hat die Bundesministerin deutlich gesagt –, sie sind ein Systembestandteil. Nur so können wir Stillstand in der Wissenschaft vermeiden und eine gute Forschung haben. Mit dieser Gesetzesnovelle wollen wir dafür sorgen, dass diese unredlich kurzen Verträge nicht mehr möglich sind. Die Vertragslaufzeit sollte auf jeden Fall der Zeit der Qualifizierung entsprechen. Aber wir brauchen auch kurzfristige Verträge, zum Beispiel, wenn jemand mit der Promotion nicht rechtzeitig fertig wird oder wenn er eine Überbrückung braucht. Deshalb brauchen wir die Flexibilität. Die wollen wir erhalten; aber wir wollen verhindern, dass es zu einer Ausnutzung kommt. Analog gilt das auch für die Drittmittelbefristung beim wissenschaftlichen Personal; das wurde schon ausreichend ausgeführt. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die Quadratur des Kreises!) Das nichtwissenschaftliche Personal wollen wir mit diesem Gesetz ausnehmen; denn das nichtwissenschaftliche Personal stand ursprünglich gar nicht im Fokus. Hier geht es insbesondere darum, der Situation von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Rechnung zu tragen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sehr richtig!) Für das nichtwissenschaftliche Personal gibt es das Teilzeit- und Befristungsgesetz, das genügend Möglichkeiten lässt, um befristet einzustellen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was bringt es denn dann, das rauszunehmen?) Darüber hinaus wollen wir dort, wo das Gesetz für Unsicherheiten hinsichtlich der Umsetzung gesorgt hat, für Klarheit sorgen. Das gilt sowohl für studentische Beschäftigte, die heute eigenartigerweise noch gar nicht angesprochen wurden, genauso wie für die Vereinbarkeit von Familie und dem Beruf des Wissenschaftlers bzw. der Wissenschaftlerin. Zusätzlich ist es jetzt endlich gelungen – darüber freue ich mich ganz besonders –, eine Öffnungsklausel für Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen mit Behinderungen oder schwerwiegenden chronischen Erkrankungen hinzubekommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich bin der Meinung, die Novelle kann sich wirklich sehen lassen. Ich möchte mich an dieser Stelle herzlich bei dir, liebe Simone Raatz, als meine Mitberichterstatterin bedanken. Ich glaube, wir haben super und vertrauensvoll zusammengearbeitet. Vielen Dank dafür. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Diese Änderungen sind – viele haben es schon gesagt – richtig und auch wichtig. Aber wir werden damit nicht wirklich den großen Wurf zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen des wissenschaftlichen Nachwuchses hinbekommen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das enttäuscht!) Dabei geht es um weit mehr als nur um Vertragslaufzeiten. Es geht um Perspektiven, es geht um Zuverlässigkeit, und es geht um Karrierewege. Das sind die drei Punkte. Hier stehen wir wirklich vor großen Herausforderungen, die wir meistern müssen. Wir haben in Deutschland nach wie vor viel zu wenige exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Das liegt natürlich auch an der unzureichenden Anzahl von Stellen. Wir wissen, dass das Betreuungsverhältnis zwischen Studierenden und Professoren schlecht ist. Der wissenschaftliche Nachwuchs, Postdocs und auch Promovierende, wird in einem Umfang herangezogen, um das Betreuungsverhältnis zu verbessern, wie man es eigentlich nicht verantworten kann. Learning by Doing kann vorübergehend in Notsituationen helfen, aber es darf nicht zum Systembestandteil werden. Deshalb lassen Sie mich ganz deutlich sagen: Dauerhaft mehr Stellen bereitzustellen, ist und bleibt Ländersache. (Beifall bei der CDU/CSU) Daran werden wir vonseiten der CDU/CSU nicht rütteln. Einige Länder haben nach Übernahme der BAföG-Kosten durch den Bund die Chance ergriffen, das freigewordene Geld in ihre Hochschulen zu stecken, so auch Frau Bauer, lieber Herr Gehring, in Baden-Württemberg. Das Geld hat der Bund freigemacht, Frau Bauer hat es genutzt. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hat ordentlich etwas draufgelegt!) Das ist Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. Viele Länder haben die große Chance vertan. Das finde ich schade. (Beifall bei der CDU/CSU) Nach wie vor problematisch sind die heutigen Karrierewege zu den Professuren. Sie sind intransparent. Es gilt das Prinzip Hoffnung, ob es vielleicht nach dem fünften, sechsten, siebten befristeten Vertrag klappt, Professor zu werden. So sieht wirklich kein Karriereweg aus. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass die Entscheidung, ob der Nachwuchswissenschaftler wirklich geeignet ist, um in der Wissenschaft zu bleiben, früher fällt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die jungen Menschen brauchen Klarheit für ihre Lebensplanung. Deshalb wollen wir die Karrierewege neu aufstellen. Das ist ein riesiger Kraftakt. Deshalb begrüße ich es sehr, dass die Koalition aus CDU, CSU und SPD in Göttingen 1 Milliarde Euro lockergemacht hat. Aufgrund dieser Entscheidung hat die Bundesregierung den Ländern sofort ein Angebot gemacht. Wir wollen mit einem Anschubfinanzierungsprogramm helfen, Tenure-Track-Stellen zu etablieren, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) und damit transparente und zuverlässige Karrierewege für die Professur schaffen. Im Gegenzug erwarten wir von den Ländern, dass auch sie ihren Beitrag leisten. Dazu gehören neben einer ausreichenden Anzahl an Stellen eine flächendeckende Personalentwicklungsplanung, eine Beratung für die jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und vieles mehr. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Nur – ich glaube, das ist deutlich geworden – wenn alle gemeinsam an diesem Baustein „wissenschaftlicher Nachwuchs“ arbeiten, wird der kleine Baustein „Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes“ am Ende nicht verpuffen; denn Karrierewege sind mehr als Vertragslaufzeiten. Lassen Sie uns das im Blick behalten, wenn wir jetzt gemeinsam in die Ausschussberatungen einsteigen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner spricht Ralph Lenkert von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ralph Lenkert (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Damen und Herren! Ich kannte als Betriebsrat die Tücken des Teilzeit- und Befristungsgesetzes, wusste, wie dieses Gesetz missbraucht wird und wie schwer es Gewerkschaften und Betriebsräte haben, gute Beschäftigungsverhältnisse durchzusetzen. Dann befasste ich mich mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Ehrlich, im Vergleich zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz ist das Teilzeit- und Befristungsgesetz Gold wert. Ein Beispiel: Eine junge Frau will Mathematikerin werden und beginnt mit 20 ihr Studium. Nach fünf Jahren hat sie den Master und promoviert. Sie fällt unter das Wissenschaftszeitvertragsgesetz. In den sechs Jahren der Promotion muss sie halbjährlich um eine Vertragsverlängerung zittern. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Deswegen ändern wir das Gesetz!) 25 Stunden die Woche bekommt sie bezahlt. Qualifikation während er Arbeitszeit? Fehlanzeige. Für Lehraufträge und an Drittmittelprojekten schuftet sie mehr als 40 Stunden pro Woche, damit sie die nächste Vertragsverlängerung auch erhält. Ihre Doktorarbeit entsteht nachts und am Wochenende. Mit 32 ist sie Doktorin und darf in Projekten forschen. Sie laufen zwei Jahre und länger. Trotzdem hangelt sie sich weiter mit Sechsmonatsverträgen durchs Leben. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Deswegen ändern wir das Gesetz!) Sie hält durch – in der Hoffnung auf eine Professur –, wird 38 und steht vor einer ungewissen Zukunft. Wie sähe Ihre Familienplanung aus, wenn Sie mit 40 den ersten unbefristeten Arbeitsvertrag bekämen? (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Deswegen ändern wir das Gesetz!) Wie sollen unsere Hochschulinstitute bei diesen Rahmenbedingungen im Wettbewerb mit der Industrie und dem Ausland um die besten Nachwuchskräfte bestehen? (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sie können ja mehr Stellen schaffen, Herr Lenkert!) Wie kreativ könnten Sie sein, wenn Sie ständig neue Bewerbungen schreiben und um Bestätigung Ihrer Projektanträge bangen müssten? (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Deshalb ändern wir das Gesetz! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt reden Sie doch mal über die Zukunft und nicht nur über die Vergangenheit!) Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, ich hatte und habe kein Verständnis für Ihre Bummelei bei der Verbesserung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Unser wissenschaftlicher Nachwuchs braucht in der Promotionsphase Mindestvertragslaufzeiten von drei Jahren – mit einer Option auf sechs Jahre –, zwei Drittel der vertraglichen Arbeitszeit müssen der Qualifikation dienen, und Mindestanforderungen müssen in das Gesetz. Windelweich formulierte Wünsche – wie Ihre – nach angemessenen Vertragslängen und danach, dass die Tätigkeit die Qualifikation fördern soll, helfen nicht. Damit sind die Betroffenen weiterhin der Willkür ihrer Chefs ausgeliefert oder auf deren Einsicht angewiesen. Es gilt: schlucken oder aufgeben. Solche Regelungen lehnen wir ab. (Beifall bei der LINKEN – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Deswegen ändern wir das Gesetz!) Im Interesse der Betroffenen müssten die Verträge den Projektlaufzeiten entsprechen oder mindestens zwei Jahre laufen. Was bietet die Koalition? Sie wollen eine Befristungsdauer nach Länge der Mittelbewilligung; damit knüpfen Sie Vertragslaufzeiten an Haushaltsplanungen. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Nein!) Das ist maximale Sicherheit für die Einrichtungen und größtes Risiko für unseren Nachwuchs. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sie müssen das Gesetz auch lesen, Herr Kollege!) Diese Scheinlösung lehnen wir ab. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, es gibt auch Lichtblicke: Für Verwaltungs- und technisches Personal bei Forschungsprojekten gilt dieses Gesetz nicht mehr. Wir fragen uns nur, warum Sie diese Regelung nicht gleich auch auf das Personal mit überwiegenden Lehraufträgen ausgedehnt haben. Dass zukünftig für Familien-, Betreuungs- und Pflegezeiten und für Menschen mit Benachteiligung bessere Standards gelten, ist begrüßenswert. Wieso nicht auch bei Drittmittelprojekten? (Dr. Simone Raatz [SPD]: Das wissen Sie doch besser!) Insgesamt bleibt Ihr Gesetzentwurf mangelhaft. Die Linke hat ihren Vorschlag schon vor langer Zeit eingebracht. Anders als in der Wissenschaft ist Abschreiben bei den Beratungen ausdrücklich erwünscht. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Dr. Simone Raatz von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Simone Raatz (SPD): Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich will noch einmal auf das Thema hinweisen: Es geht um die erste Lesung der Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. Wenn ich manche Redebeiträge, insbesondere vonseiten der Opposition, hier vernehme, gewinne ich den Eindruck, es soll mit diesem Gesetz alles verbessert werden, was in der Wissenschaft derzeit – ich sage es einmal so – im Argen liegt. Ich glaube, da mutet man diesem Gesetz ein bisschen viel zu. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie muten uns auch manchmal viel zu!) Es ist ein Baustein – das wurde von den Vorrednern gesagt –, aber man kann damit nicht jedes Problem in der Wissenschaft lösen. Sie beschreiben selber, wie schwer eine Änderung in der Vergangenheit war. Jeder von Ihnen hat angeführt, was er schon für Vorschläge gemacht hat. Jetzt liegt etwas auf dem Tisch, und ich muss sagen: Ich bin sehr enttäuscht. Man kann ja Kritik äußern. Aber man kann an dieser Stelle auch einmal sagen: Toll, dass wir einen Schritt gegangen sind, und zwar in die richtige Richtung! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Seit klar ist, dass wir das Wissenschaftszeitvertragsgesetz novellieren werden, erreichen sicherlich nicht nur mich viele E-Mails mit Hinweisen zur aktuellen Beschäftigungssituation, natürlich auch verbunden mit der Bitte, hier dringend etwas zu ändern; das eine oder andere Beispiel haben wir gehört. Was ich besonders bemerkenswert finde, ist dabei, dass sich nicht nur direkt Betroffene an uns wenden, sondern genauso auch Ehepartner, Eltern und sogar Großeltern. Ein Beispiel soll an dieser Stelle genügen – ich zitiere aus einer E-Mail –: Ich bin zwar „nur“ die Ehefrau eines Wissenschaftlers, aber unsere ganze Familie einschließlich Kind leidet enorm unter dem Befristungsdruck, dem mein Mann seit Beginn seines wissenschaftlichen Berufslebens ausgesetzt ist – das sind seit der Beendigung der Promotion mittlerweile 12 Jahre. Er hangelt sich von einem befristeten Drittmittelvertrag zum nächsten – mit Glück erwischt er mal einen Vertrag, der länger geht als ein Jahr. Drei Monate vor Ablauf des jeweiligen Vertrages ist der Gang zum Arbeitsamt fällig – ein entwürdigender Vorgang: jedes einzelne Mal. Ich denke, auch das macht schon deutlich, dass wir hier etwas tun müssen. Es wurden häufig Zahlen genannt. Fast 90 Prozent des wissenschaftlichen Personals sind befristet beschäftigt. Das ist nicht gut, aber man muss ehrlich sagen: Mit der Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes werden wir das so schnell nicht ändern. Das ist ein Sonderbefristungsrecht für die Wissenschaft gemäß dem Teilzeit- und Befristungsgesetz. Feste Stellen schaffen wir mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz nicht; das ist klar. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Das ist wohl wahr!) Deswegen muss man das hier jetzt auch nicht ständig immer wieder herbeirufen. Hier muss uns etwas anderes einfallen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das Dramatische ist – das wurde hier auch schon häufiger gesagt; man kann das aber noch einmal wiederholen, weil es richtig ist und den Nagel auf den Kopf trifft –, dass nahezu jeder zweite Vertrag eine Laufzeit von unter einem Jahr hat. Ich denke, das kann so nicht bleiben. Hier müssen wir einiges vom Kopf auf die Füße stellen. Mit unzähligen Kettenbefristungen und einem Erstberufungsalter von durchschnittlich 42 Jahren nehmen wir jedem jungen Wissenschaftler und jeder jungen Wissenschaftlerin die Chance auf eine halbwegs planbare Karriere. Darüber hinaus erschweren wir ihre Bemühungen, Familie und Beruf in Einklang zu bringen. Frau Ministerin Wanka sagte es schon: Diese Lage schreckt bereits heute viele ab. – Sie suchen ihr Glück mittlerweile in Frankreich, in der Schweiz oder in den USA, wo die Arbeitsbedingungen für sie eben viel passender sind. Mittlerweile sind die jungen Leute weltweit unterwegs, und ich denke, hier müssen wir etwas tun. Es liegt auch in unserer Verantwortung in der Politik, dass die Leute, die wir gut ausbilden, auch bei uns bleiben und ihre wissenschaftlichen Ergebnisse in Deutschland erzielen. Wir stellen auch fest, dass von denjenigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die im Moment bei uns bleiben, zahlreiche – insbesondere motivierte und talentierte Frauen – wegen der prekären Beschäftigungsverhältnisse für einen Wechsel in die Wirtschaft sind oder sich ganz aus dem Wissenschaftssystem verabschieden. Das finde ich sehr schade, und das können wir uns zukünftig einfach nicht mehr leisten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gleichzeitig wissen wir natürlich, dass Konkurrenz und Wettbewerb der Ideen und Ansätze konstitutive Bestandteile des Wissenschaftssystems sind. Dass wir dafür das erforderliche Maß an Flexibilität und Dynamik sicherstellen müssen, weshalb weiterhin ein Sonderbefristungsrecht für die Wissenschaft nötig ist, ist die eine Seite der Medaille. Dazu kann man stehen, wie man will. Die andere Seite ist eine gesunde Balance zwischen Sicherheit und Flexibilität. Genau diese Balance ist derzeit nicht gegeben. Hier müssen wir dringend etwas tun. (Beifall bei der SPD) Damit wir weiterhin junge Menschen für unser Wissenschaftssystem begeistern können, müssen wir wesentliche Rahmenbedingungen ändern. Eine dieser Rahmenbedingungen ist nun einmal das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, dessen Novellierung wir jetzt gerade angehen. Zur Historie gerne noch einmal ein paar Worte an Frau Gohlke und Herrn Gehring – Sie sind bereits in der zweiten oder dritten Legislaturperiode hier im Bundestag; ich denke also, Sie müssten das eine oder andere, was in der Vergangenheit gelaufen ist, mitbekommen haben –: (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe ja eben kritisiert, dass nichts gelaufen ist!) Im Februar 2013 ist zum Beispiel etwas passiert, was ich an dieser Stelle nur noch einmal nennen möchte: Die SPD hat damals bereits – sie war in der Opposition – einen Gesetzentwurf zur Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes vorgelegt. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Waren Sie schon dabei?) Die damalige Koalition, die bei weitem nicht so fortschrittlich war wie die jetzige, (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Ui! Ui! Ui!) hat ihn damals aber abgelehnt. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Zu Recht! Es gab entscheidende Schwächen im Gesetzentwurf! Die habt ihr jetzt korrigiert! Das ist doch gut!) – Nicht zu Recht. Ich denke, das war ein Fehler, aber diesen Fehler kann man ja korrigieren, und das tun wir im Moment. (Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD]) Ende 2013 haben Union und SPD im Koalitionsvertrag vereinbart, das Gesetz zu novellieren. Im Juni 2014 hat die SPD ein Eckpunktepapier vorgestellt, und im April 2015 haben wir dann endlich auch gemeinsame Eckpunkte zwischen der SPD und der CDU/CSU verabschiedet. Auf dieser Basis hat das BMBF nun einen Gesetzentwurf vorgelegt, den wir gerade diskutieren. Die Änderungen, die dieser Gesetzentwurf vorsieht, will ich an drei wesentlichen Punkten festmachen: Erstens. In Zukunft werden die Verträge, die in der Promotions- und Post-Doc-Phase abgeschlossen werden, an den Zeitbedarf gekoppelt, den eine Qualifizierung benötigt. Das heißt, beim Erstvertrag in der Promotionsphase soll ein Dreijahresvertrag die Regel sein. Ich weiß nicht, was daran so negativ sein soll. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich sehe das als sehr positiv an. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da steht immer „kann“ und „soll“ davor!) Zweitens. Drittmittelbefristungen müssen künftig an die Dauer der Projektlaufzeit gebunden werden. Bei einer Projektlaufzeit von drei Jahren bedeutet das dann eben auch eine Vertragslaufzeit von drei Jahren. Ja, das ist doch toll; das ist doch gut. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wenn wir Gleichbehandlung erreichen wollen – ich denke, das ist auch noch ein Problem –, dann müssen wir an die Fördermittelgeber herantreten und dafür sorgen, dass bei der Fördermittelvergabe solche Dinge Berücksichtigung finden. Drittens. Die sozialen Ausfallzeiten, also etwa Elternzeiten oder Zeiten für die Pflege naher Angehöriger, sollen künftig nicht auf die gesetzliche Höchstbefristungsdauer von zwölf Jahren angerechnet werden. Auch das ist ein Erfolg. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Meine Kollegin Alexandra Dinges-Dierig hat schon erwähnt, dass wir jetzt eine behindertenpolitische Komponente eingefügt haben. Ich denke, da hat sich auch unsere Behindertenbeauftragte Verena Bentele verdient gemacht, die uns dabei unterstützt hat. Vielen Dank an dieser Stelle auch an sie. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wichtig ist uns, der SPD-Fraktion, dass uns gemeinsam mit unserem Koalitionspartner auch die Herausnahme des nichtwissenschaftlichen Personals aus dem Geltungsbereich des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes gelungen ist, weil – das wurde schon gesagt – hier überwiegend Daueraufgaben – und die sind dann auch mit Dauerstellen zu besetzen – erfüllt werden müssen. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Ich habe gedacht: Einmal sehen, wie Herr Gehring jetzt auch auf die Bemerkungen von Theresia Bauer reagiert. Sie haben da eben hier vorn ganz tolle Pirouetten gedreht, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie das nicht verstanden?) sodass ich dachte: Wie er das doch immer macht und hin- und herwendet! Ich denke, hier wäre es sinnvoll, wenn Sie diesbezüglich noch einmal das Gespräch mit Ihrer Ministerin suchen. (Beifall bei der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe genau dasselbe gesagt! Wenn Sie da überfordert sind, kann ich Ihnen nicht helfen!) Dieser Gesetzentwurf wird die Situation der in der Wissenschaft Beschäftigten deutlich verbessern. Er führt zu mehr Kalkulierbarkeit und Verlässlichkeit in der Arbeitsplanung und Lebensführung insbesondere unseres wissenschaftlichen Nachwuchses. Ich denke, das Ergebnis kann sich absolut sehen lassen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das Problem noch nicht mal erkannt!) Was mich freut – das möchte ich zum Schluss noch anführen –, ist, dass die Debatte um das Wissenschaftszeitvertragsgesetz tatsächlich schon zu einer Änderung der Einstellung hinsichtlich der Befristungspraxis geführt hat. Sehr positive Beispiele sind für diesen Trend die Karriereleitlinien der Leibniz-Gemeinschaft, die Neuaufstellung der Nachwuchsförderung bei der Max-Planck-Gesellschaft, aber eben auch der Rahmenkodex – Herr Gehring ist darauf eingegangen – von Nordrhein-Westfalen. Das sind schöne Beispiele, und dafür möchte ich den Wissenschaftsorganisationen und allen – sowohl den Akteuren als auch den Betroffenen –, die sich so aktiv in die Debatte eingebracht haben, danken; denn ohne diese Beteiligung wäre es uns nicht gelungen. (Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD]) Natürlich gebe ich den Dank auch gern an Alexandra zurück, mit der ich hier sehr vertrauensvoll zusammenarbeiten konnte. Ich denke, wir sind hier wirklich ein wesentliches Stück vorangekommen; denn das Ergebnis wird dazu führen, dass unsere jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ermutigt werden, unserem Wissenschaftssystem erhalten zu bleiben und ihren Beitrag auch hier, in Deutschland, zu leisten. Danke. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Patricia Lips von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Patricia Lips (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich möchte zu Beginn noch einmal kurz das Spannungsfeld aufzeigen, in dem wir uns zurzeit bewegen: Bildungswege, Qualifikationen und in der Folge auch Karrieren in der Wissenschaft sind vielfältig – inhaltlich, in der Dauer, in den Möglichkeiten und Angeboten vor Ort und natürlich vor allem in den jeweiligen persönlichen Lebensumständen. Wir stellen fest – das wurde mehrfach betont –: Trotz dieser Vielfalt gibt es beim wissenschaftlichen Personal zunehmend ein verbindendes Element: den verständlichen Wunsch nach einer größeren persönlichen Planungssicherheit. Dies gilt für den weiteren Karriereweg wie natürlich auch – gerade in diesem Alter – in der Phase der Familiengründung, um nur ein Beispiel zu nennen. Auf der anderen Seite ist die Tätigkeit in Wissenschaft und Forschung mehr als in vielen anderen beruflichen Bereichen – und zwar gewollt, von uns auch gewollt – von Dynamik geprägt, von immer wieder neuen Ideen, von jungen Menschen, die in jeder Generation nachdrängen und ebenfalls an den Projekten teilhaben wollen. Kolleginnen und Kollegen, diese Dynamik ist gut, und diese Dynamik brauchen wir weiterhin. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Die Kunst ist es, dies in der Balance zu halten: für die Mitarbeiter, die Hochschulen und natürlich auch – im Sinne von Fairness – für nachkommende Generationen. Die Verantwortlichkeit, planbare und verlässliche Karrierewege aufzuzeigen, liegt dabei zuvörderst bei den Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen. Das ist gut, das ist richtig. Sie sind dabei unterschiedlich aufgestellt. Deshalb möchte ich mich dem Dank der Kollegin Raatz an dieser Stelle anschließen. Wir begrüßen zunächst einmal die Positionierung und die daraus abgeleiteten Initiativen der Allianz der Wissenschaftsorganisationen, in welchen sie sich zu dieser Verantwortung bekennt. Es geht um Planbarkeit und um Transparenz wissenschaftlicher Karrierewege, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das will das nichtwissenschaftliche Personal auch!) und es geht um den verantwortungsvollen Umgang mit Befristungsregelungen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Da ist schon einiges passiert. Wir sollten nicht so tun, als fingen wir bei null an. Der Gesetzgeber setzt den Rahmen und flankiert. Er deckt einen Aspekt mit ab und unterstützt damit die eigenen Anstrengungen und Ziele der Betroffenen. Handlungsbedarf besteht. Die Anzahl der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist in den letzten Jahren aus guten Gründen deutlich gestiegen. Das ist ja nicht schlecht. Aber parallel dazu ist auch die Anzahl der befristeten Verträge, eine große Zahl davon mit sehr kurzen Zeiträumen – das haben wir an verschiedenen Stellen gehört –, gestiegen. Diese hohe Zahl macht eine Novellierung des Gesetzes erforderlich. Wo die beschriebene Balance gestört ist, wo zu viele junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit kurz befristeten Verträgen im System sind, schadet es am Ende zunehmend dem System selbst wie auch den persönlichen Lebensumständen einer Vielzahl von Betroffenen. Hier wollen wir eine Klarstellung und eine Novellierung. An dieser Stelle wollen wir einen Baustein legen. Im Mittelpunkt steht: Die Dauer von sachgrundlosen Befristungen soll im Gleichklang mit dem Qualifizierungsziel stehen. Unsachgemäße Kurzbefristungen sollen künftig unterbunden werden. Das nichtwissenschaftliche Personal wird aus dem Geltungsbereich herausgenommen. Mithin wird aus dem Gesetzestext klarer als bisher hervorgehen, dass eine sachgrundlose Befristung nur dann zulässig ist, wenn die betreffende Beschäftigung zur Förderung der eigenen Qualifizierungsziele erfolgt. Kolleginnen und Kollegen, damit justieren wir die erforderliche Verlässlichkeit für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir sorgen im Gesetz für Klarheit, aber auch für die notwendige Flexibilität für unsere Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Hinzu kommen – wir hörten es – wichtige Änderungen – man darf sie nicht einfach unter den Tisch fallen lassen – und Anpassungen in den Bereichen Mobilität, Kinderbetreuung, Behindertenkomponente und studentische Hilfskrafttätigkeit. Ich möchte an dieser Stelle auch noch einmal auf den zweiten Aspekt eingehen; denn nur aus beiden wird ein Gesamtpaket. Im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe wollen wir auf dem weiteren Weg zur Professur in der sogenannten Post-Doc-Phase, in der Nachdoktorphase, ansetzen. Auch hier wollen wir im Sinne verlässlicher Karrierewege in der Wissenschaft einen Baustein legen und Impulse gezielt setzen. Deshalb streben wir – die Ministerin hat es ausgeführt – ein Bund-Länder-Programm – es wird zurzeit erarbeitet – zur verstärkten Förderung der sogenannten Tenure-Track-Professuren an Universitäten an; das ist eine Art Professur in spe. Dieses Element ist nicht grundsätzlich neu. Es braucht aber einen Schub, um flächendeckend wirksam, sichtbar und erfolgreich zu werden. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang aber auch sagen: Die Verantwortung für die Schaffung von dauerhaften Stellen an Hochschulen ist und bleibt in der Länderhoheit. (Beifall bei der CDU/CSU) Der Bund kooperiert – auch ich darf dieses Wort einmal benutzen – einmal mehr und fördert dieses Programm in der Anschubphase mit 1 Milliarde Euro, um die Länder zu unterstützen. Es muss aber einen Mehrwert geben. Auf die genannten Stellen kommt es am Ende des Tages an. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit den aufgezeigten Änderungen und Neuausrichtungen – dieser Überzeugung sind wir – können wir zu einer substanziellen und nachhaltigen Verbesserung für den wissenschaftlichen Nachwuchs gelangen. Diese trägt dazu bei, die Erfolge im Bereich Forschung und Lehre fortzusetzen, die Qualität der wissenschaftlichen Ausbildung hier in Deutschland auf einem Topniveau zu halten und die beruflichen Perspektiven zu verbessern. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Dr. Ernst Dieter Rossmann von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Gohlke hat am Anfang eingefordert, dass hier doch einmal jemand sagen sollte, man habe sich geirrt. Ja, Frau Gohlke, viele in diesem Parlament sagen: Wir sind lernfähig. (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Das ist gut!) Ausgangspunkt der ganzen Entwicklung ist ja die Novellierung des Hochschulrahmengesetzes 2002, das die SPD zusammen mit den Grünen gemacht hat, bis hin zur Großen Koalition von CDU/CSU und SPD im Jahr 2007. Und wir haben dabei dazugelernt. Eine Frage an die Linken: Wann sagen die Linken eigentlich mal, dass sie lernfähig sind? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Nicole Gohlke [DIE LINKE]: In dieser Frage haben wir uns gar nichts vorzuwerfen!) Das wäre ein Moment, den wir in diesem Parlament gerne erleben würden. Das könnte man auch auf ihre grundsätzliche Haltung beziehen: Als Frau Gohlke sprach, wusste ich gar nicht, ob sie noch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz im Auge hat; gleichzeitig will Herr Lenkert dieses Gesetz novellieren und verbessern. Man muss bei Ihnen fragen, ob Sie den besonderen Sachverhalt von Wissenschaft als Berufsperspektive, aber auch das Arbeiten in der Wissenschaft als Kompetenzperspektive auch für Tätigkeiten außerhalb von Wissenschaft so verinnerlicht haben, um zu wissen, dass dies eine besondere Situation im Arbeitsrecht bedeutet. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Ich ziehe vielleicht andere Schlüsse daraus als Sie!) Diese Lernfähigkeit möchten wir Ihnen gerne wünschen, so wie wir sie insgesamt im Parlament haben. Das Zweite. Ja, wir sind auch kompromissfähig. Man muss gar keinen Hehl daraus machen, dass der Weg, den der Koalitionspartner seit 2013 gegangen ist, ein längerer Weg ist als der, den die SPD gehen musste; denn wir haben bereits in der letzten Legislaturperiode hierzu einen Gesetzentwurf zur Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes eingebracht. Aber will man denn jemanden schelten, wenn er in kürzerer Zeit einen weiteren Weg zurücklegt? Nein, das tun wir nicht. Wir erkennen dies ausdrücklich an. (Beifall bei der SPD) Wir möchten auch den Grünen eines gerne sagen, wenn Sie von dieser Koalition jetzt unbillige Kompromisse erwarten. Hierzu gab es neulich im Spiegel zwei schöne Sätze zu lesen: „Natürlich stehen wir alle für unsere Position ein. Aber jeder klar denkende Mensch weiß, dass eine Koalition auch Kompromisse erfordert.“ Das sagte Frau Göring-Eckardt in der Auseinandersetzung mit Frau Wagenknecht. Wahre Worte! (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb ist es ja super, dass sich die Union bewegt hat!) Das, was wir hier vorlegen, ist ein guter Kompromiss, ein richtig guter politischer Kompromiss. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Keine Seite macht Abstriche von ihren Haltungen, aber man findet in verschiedenen Haltungen zu einem guten Ergebnis. Das Dritte. Dies ist nicht nur ein Ergebnis des Gesetzgebers; dies ist ein Ergebnis eines Prozesses. Ich möchte ausdrücklich sagen: Wir haben zusammen erkannt, dass Gesetze nicht alles sind. Aber ein Gesetz gehört im Zweifelsfall mit dazu. Wenn es schon heißt: „Gesetze sind nicht alles“, dann lassen Sie uns doch zumindest anerkennen, was sich in den Hochschulen und bei den Forschungsorganisationen alles bereits aufgebaut hat. An dieser Stelle noch einmal den ausdrücklichen Dank, wie es auch Frau Gohlke am Anfang schon gemacht hat, an die GEW, an Verdi, an die Betriebsräte und andere, die nicht nachgelassen haben in ihrer Aufklärung und Kritik (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und die jetzt immer wieder die besten Lösungen zusammen mit den Arbeitgebern und den Institutionen einfordern und auch umzusetzen haben. Uns ist das mit dem Umsetzen sehr wichtig; denn das Gesetz, das wir jetzt machen, braucht auch eine konstruktive Begleitung und Umsetzung in den Hochschulen, in den einzelnen Forschungsorganisationen. Dazu macht dieses Gesetz auch Mut, weil es nämlich einen anderen Rahmen setzt, in dem man besser umsetzen kann. Vierter Punkt. Manchmal, wenn man an der Basis erklären soll: „Was macht ihr da eigentlich?“, nun auch noch bezogen auf das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, wünschte ich mir die einfachen, klaren Sätze, mit denen auch andere Menschen nachvollziehen können, dass wir hier zu Verbesserungen kommen wollen. Ein solcher einfacher Satz ist, dass Qualifikation Zeit braucht. Die muss man dann auch zugesichert bekommen, und das geschieht durch dieses Gesetz. Ein weiterer einfacher Satz ist, dass Drittmittel eine gewisse Zeitdauer haben. Aber die muss dann nicht noch zerstückelt werden, wenn es bei Drittmitteln diese Zeit gibt. Herr Lenkert, man darf Gesetzentwürfe auch lesen. Sie haben hier unterstellt, dass sich die Bindung an die Drittmittel, an die Projekte nach Haushaltsjahren immer wieder begrenzen würde. Das ist aber im Gesetzesverfahren ausdrücklich abgelehnt worden. Es ist ausdrücklich erklärt worden, dass das nicht so laufen soll. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Rossmann, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lenkert zu? Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Ich habe ohnehin so wenig Redezeit. – Das Nächste, was ich als sinnfällig ansprechen möchte, ist: Da, wo etwas verschieden ist, muss es auch unterschiedlich behandelt werden. Eine wissenschaftliche Tätigkeit ist etwas anderes als eine nichtwissenschaftliche Tätigkeit, die auf Dauer angelegt sein kann. Deshalb ist es gut, wenn nichtwissenschaftliche Tätigkeiten herausgenommen wurden. Die Grünen müssten die Frage beantworten, ob sie die Rechtssicherheit für das nichtwissenschaftliche Personal verstärken wollen, auch in Richtung von mehr Dauerstellen, oder ob sie diese Beschäftigten in dieser Unsicherheit und prekären Situation lassen wollen. Wir glauben, da ist die grüne Kollegin aus Baden-Württemberg nach den Erfahrungen, die wir damit haben, leider auf dem Holzweg. (Beifall bei der SPD) Und schließlich: Es ist auch sehr gut – Frau Dinges-Dierig, Sie haben darauf hingewiesen –, wenn man die Verschiedenheiten, unter denen Menschen wissenschaftliche Arbeit machen, mitberücksichtigen kann, etwa Erziehung, Pflege, aber auch persönliche Betroffenheit von Behinderung. Insofern: Das sind vier einfache Sachverhalte in einem komplizierten Gesetz. Aber wenn wir Mut machen wollen, dann müssen wir versuchen, das Ganze von den einfachen Sachverhalten her zu begründen und zu entwickeln. Meine Schlussbemerkung. Frau Dinges-Dierig, ich habe nicht ganz verstanden, weshalb Sie gesagt haben, dies sei nur ein ganz kleiner Beitrag. Ich glaube, das ist schon mehr als ein kleiner Beitrag. (Beifall bei der SPD) Das ist ein wichtiges, ein großes Signal an die 800 000 beschäftigten Menschen in Wissenschaft oder im Umfeld der Wissenschaft, weil dies zeigt, dass ihre Erfahrung, ihre Sorgen im Parlament ernst genommen werden. Das Parlament setzt einen Rahmen, in dem sie selbst das Ganze dann handlungsmächtig ausgestalten können. (Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD]) Machen wir uns nicht selber klein bei dem, was in dieser Großen Koalition jetzt verbessert wird als Signal in gute Wissenschaft, in gute Arbeit hinein. Das sollten wir uns auch selber zugestehen. Wir bewegen hier wirklich etwas Gutes. Es ist etwas Gutes und damit auch etwas Großes. Danke schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat Katrin Albsteiger von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. Katrin Albsteiger (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Zum Ende der heutigen Debatte lautet mein Fazit: Einerseits hat das Thema wissenschaftlicher Nachwuchs bei uns im Parlament und insbesondere in der Großen Koalition einen enorm wichtigen Stellenwert. Das ist gut. Wir stehen zu unserem wissenschaftlichen Nachwuchs, und das sieht man nicht nur an der prominenten Debattenzeit, sondern das zeigen auch die geleisteten Redebeiträge. Andererseits stelle ich aber auch fest, dass gerade das Thema Vergangenheitsbewältigung – ich darf hinzufügen: einseitige Vergangenheitsbewältigung – einen sehr großen Stellenwert in dieser Debatte hatte. Ich persönlich wäre eher dafür, dass wir über die Zukunft sprechen, nämlich darüber, was durch diese Gesetzesnovellierung alles möglich wird. Es gibt nämlich viel Positives, und mein Teil der Vergangenheitsbewältigung wird sich in dieser Rede ausschließlich auf die vergangenen anderthalb Stunden beziehen. Denn da wurde ja schon vieles gesagt. Tatsächlich ist es beim Wissenschaftszeitvertragsgesetz so – wen wundert es –: Durch die Befristungstatbestände ist Fluktuation im Wissenschaftsbereich selbstverständlich möglich. Das mag vielleicht für den einen oder anderen, der sich mit Wissenschaftspolitik beschäftigt hat, erst einmal komisch wirken oder vielleicht auch auf Ablehnung stoßen. Aber gerade in diesem Bereich ist die Fluktuation enorm wichtig. Warum ist das so? Nehmen wir nur einmal den Bereich der Promotion: Es ist logisch, dass die Promotionsstellen irgendwann – ich formuliere es einmal so – frei werden müssen: für die nächste Generation. Es kann ja nicht sein, dass ewig promoviert wird. Es ist doch völlig logisch, dass ein Rahmen vorgegeben wird, in dem auch wissenschaftlich gearbeitet werden und eine Promotion sinnvollerweise abgeschlossen werden kann. Im Übrigen gilt – Patricia Lips hat es schon erwähnt –: Neue Ideen, neue Ansätze, neue Methoden kommen nur durch eine solche Fluktuation zustande. Dynamik, Innovation, Wettbewerbsfähigkeit, Leistungsfähigkeit: Das alles brauchen wir in der globalisierten Welt. Wir stehen in Konkurrenz mit Wissenschaftlern in anderen Ländern und deren wissenschaftlichem Nachwuchs. Natürlich ist Mobilität wichtig. Das ist gar keine Frage. So soll es auch weitergehen. Auch da haben wir in den letzten Jahren einiges getan. Aber selbstverständlich müssen wir auch in unserem Wissenschaftsbereich Möglichkeiten schaffen, damit sich die neuen Ideen und die Dynamik entfalten können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Leider – auch das ist heute klar geworden – fällt die Bilanz, was sich durch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz in den letzten Jahren alles getan hat, nicht nur positiv aus. Die extrem kurzen Befristungen – ich glaube, darin sind wir uns einig – sind uns allen ein Dorn im Auge. Aber auch sie – das wurde ebenfalls schon angesprochen – machen an der einen oder anderen Stelle Sinn. Es macht keinen Sinn, eine Befristung auf 24 Monate zu fixieren, wenn zum Beispiel eine Situation entsteht, dass jemand nur eine Verlängerung von drei Wochen braucht, um seine Promotion abzuschließen, oder wenn jemand nur eine Überbrückung haben möchte, bis er ins Ausland geht. Dann ist die Befristung von beiden Seiten gewollt. Alles zu verteufeln, was mit kurzen Befristungen zu tun hat, wäre an der Stelle falsch. Aber wir haben auf jeden Fall die Problematik erkannt. Deswegen konzentrieren wir uns jetzt bei der Novellierung auf den Grundgedanken des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, nämlich die Ermöglichung der wissenschaftlichen Qualifikation. Trotzdem müssen wir uns darüber klar sein: Alles wird das Gesetz nicht regeln können. Wir können einfach nicht alles in dieses Gesetz packen. Es muss auch noch andere Instrumente geben, Instrumente, an denen wir arbeiten und schon gearbeitet haben. Es ist schon einiges passiert. Es ist nicht nur Aufgabe des Bundes. Auch das ist bereits gesagt worden. Wir alle haben eine Verantwortung gegenüber unserem wissenschaftlichen Nachwuchs, und wir sind es ihm auch schuldig. Was die Hochschulen oder auch die außeruniversitären Einrichtungen angeht, ist schon einiges passiert. Wenn man sieht, welches Bewusstsein inzwischen geschaffen worden ist – nicht durch starre Gesetze, sondern allein durch Debattieren, durch Bewusstseinsschaffung und -erweiterung und auch durch die Erfahrungen in diesem Bereich –, dann kann man durchaus sagen, dass bereits einiges passiert ist, und es kann auch noch einiges passieren. Personalmanagement, Laufbahnberatung, Talentpflege und das Aufzeigen von Karriereperspektiven – um nur einige Stichworte zu nennen –: All das ist in den Hochschulen und den Wissenschaftseinrichtungen möglich. Die wissenschaftliche Qualität und die Qualifikation in hoher Qualität können nur gelingen – auch das ist wichtig –, wenn Betreuung stattfindet und auf die Bedürfnisse der Nachwuchswissenschaftler eingegangen wird, und zwar nicht nur in der Promotionsphase, der Phase der Weiterqualifizierung und bei den Post-Docs, sondern auch deutlich früher. Auch in den Bereichen des Bachelor- und des Masterabschlusses sind Qualität und Beratung auf jeden Fall notwendig. Ich komme nun auf die Länder zu sprechen. Auch diese haben ihren Beitrag zu leisten; das ist richtig. Keiner kann etwas dagegen haben – auch nicht in Baden-Württemberg –, wenn die Grundfinanzierung erhöht wird. Die zusätzlichen Mittel können beispielsweise dem Mittelbau im wissenschaftlichen Nachwuchsbereich zur Verfügung gestellt werden; das ist wunderbar. Wir wären die Letzten, die das kritisieren würden. Aber mir geht echt der Hut hoch, wenn ich daran denke, dass die Opposition oft gar nicht anerkennt, was wir alles in den vergangenen zehn Jahren für den wissenschaftlichen Nachwuchs getan haben; es ist so viel passiert. Ich erinnere an den Hochschulpakt, die Exzellenzinitiative, den Pakt für Forschung und Innovation sowie die bereitgestellten BAföG-Mittel. Angesichts dessen ist es, ehrlich gesagt, schon eine Frechheit, zu behaupten, der Bund würde sich hier komplett heraushalten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat dummerweise niemand getan! Bauen Sie doch keinen Popanz auf!) Wie ich sehe, bin ich leider, leider am Ende meiner Redezeit und muss daher Schluss machen. Wir sind auf einem enorm wichtigen und richtigen Weg. In den nächsten Jahren wird sich zeigen, dass dies der richtige Weg gewesen ist. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/6489 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Ernst, Jutta Krellmann, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Junge Beschäftigte vor prekärer Arbeit schützen Drucksache 18/6362 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Leiharbeit und Werkverträge eingrenzen und umfassend regulieren Drucksachen 18/4839, 18/5449 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in der Debatte hat Klaus Ernst von der Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Klaus Ernst (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Warum dulden wir eigentlich in den Betrieben Zustände, die dadurch gekennzeichnet sind, dass Menschen sehr unterschiedlichen Regelungen bezüglich ihrer Arbeit unterliegen, obwohl sie dieselbe Arbeit machen? Warum schauen wir nur zu? Nun bin ich seit zehn Jahren Mitglied des Bundestags, und genauso lange diskutieren wir über dieses Thema. Aber ich kann hier keinen Fortschritt erkennen. (Peter Weiß (Emmendingen) [CDU/CSU]: Das stimmt aber nicht! Dann warst du nicht immer dabei!) Gott sei Dank unterliegt die Mehrheit noch vernünftigen Arbeitsbedingungen. Was sind vernünftige Arbeitsbedingungen? Die betreffenden Menschen sind in unbefristeten Arbeitsverhältnissen angestellt und haben einen Arbeitsvertrag mit dem Arbeitgeber, bei dem sie auch arbeiten, und nicht mit einem anderen Arbeitgeber. Es handelt sich um Arbeitsverhältnisse, die in der Regel noch einigermaßen anständig bezahlt werden, obwohl nicht mehr alle der Tarifbindung unterliegen. Wir wissen aber auch: Immer mehr insbesondere junge Beschäftigte haben nur noch einen befristeten Arbeitsvertrag – und das oft mehrfach hintereinander –, ohne dass es dafür auch nur den geringsten sachlichen Grund gibt. Wie wir alle wissen, haben insbesondere junge Menschen Werkverträge und müssen unter schlechteren Bedingungen arbeiten als andere Beschäftigte, die im Betrieb dieselbe Tätigkeit verrichten. Des Weiteren ist eine Vielzahl junger Menschen bei Leiharbeitsfirmen beschäftigt. Von Leiharbeit sind gerade junge Menschen betroffen. Es gibt für diesen Umstand keine logische Begründung. Den Unternehmen in der Bundesrepublik geht es ausgezeichnet. Geradezu verzückt teilt uns die Bundesregierung immer wieder mit, wie gut es unserem Land diesbezüglich geht. Um satte 60,2 Prozent haben die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes von 2000 bis 2014 zugenommen. Warum akzeptieren wir dann eigentlich eine Gesetzgebung, die die Arbeitgeber geradezu auffordert, ihre Belegschaften zu spalten, und zwar in die normal Arbeitenden und die prekär Arbeitenden? Warum akzeptieren wir das? Warum akzeptieren wir, dass Randbelegschaften existieren, die unsichere Arbeitsverhältnisse haben, die schlechter bezahlt werden und die in der Krise als erste ihren Job verlieren? Wir werden bei VW erleben, dass die ersten Leidtragenden in diesem Unternehmen die befristet Beschäftigten oder auch die Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer sein werden. Warum akzeptieren wir solche Verhältnisse? Wir sind der Gesetzgeber. Wir könnten das ändern. Warum tun wir das eigentlich nicht, meine Damen und Herren? (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Albert Stegemann [CDU/CSU]: Das werde ich Ihnen sagen!) Insbesondere junge Menschen sind betroffen; ich habe es gesagt. Ein Viertel der Beschäftigten unter 25 Jahren hat nur noch einen befristeten Job. Bei jungen Frauen ist es so, dass bei neuen Arbeitsverhältnissen von drei zwei nur noch befristet eingestellt werden. Das sind zwei Drittel. Wir brauchen gravierende Änderungen in unserer Gesetzgebung, um diesen Zustand zu beenden. Sie sind die Regierung. Deshalb bitte ich Sie: Machen Sie in dieser Frage endlich einmal Ihren Job, und warten Sie nicht einfach ab, dass die Zeit vergeht! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ähnliche Verhältnisse haben wir in der Leiharbeit. Seien Sie doch einmal ehrlich. Sie wissen ganz genau, dass das eigentliche Ziel von Leiharbeit Lohndumping ist. Nein, ich unterstelle Ihnen nicht, dass Sie so dumm sind, dies nicht zu erkennen. Das wissen Sie. Sie machen trotzdem nichts dagegen. Sie wissen, dass das eigentliche Ziel von Leiharbeit ist, Arbeitnehmer leichter aus dem Betrieb zu entfernen, wenn das Unternehmen es möglicherweise will, leichter als andere. Das ist das Ziel von Leiharbeit. Sie, meine Damen und Herren, machen nichts dagegen. Was Sie jetzt bei der Leiharbeit planen – ich möchte Ihnen das mit aller Deutlichkeit sagen –, ist nichts anderes als Etikettenschwindel. (Katja Mast [SPD]: Deshalb regen sich die Arbeitgeber ja jetzt schon auf! Weil das Etikettenschwindel ist!) Dass erst nach neun Monaten gleicher Lohn für gleiche Arbeit gelten soll, ist Etikettenschwindel, wenn man weiß, dass 54 Prozent der Leiharbeitsverhältnisse weniger als drei Monate dauern. Ich brauche nicht nach neun Monaten gleichen Lohn für gleiche Arbeit zu fordern; denn dann sind die Arbeitnehmer ja nicht mehr da. Für wie dumm halten Sie eigentlich die Bevölkerung dieser Republik? (Beifall bei der LINKEN) Wenn Sie die Überlassungsdauer bei der Leiharbeit auf 18 Monate beschränken wollen, dann ändert das überhaupt nichts an dem Problem, wenn man weiß, dass nur 13,8 Prozent der Leiharbeitsverhältnisse länger als 18 Monate dauern. Mein Gott, was machen Sie da eigentlich für einen Unfug? Deswegen: Hören Sie auf mit diesem Quatsch! Was wir brauchen, ist eine klare und deutliche Einschränkung der Möglichkeit, Arbeitsverhältnisse zu befristen. Was wir brauchen, ist gleicher Lohn für gleiche Arbeit und ein 10-prozentiger Flexibilitätszuschlag bei Leiharbeit wie in Frankreich. (Beifall bei der LINKEN) Darüber hinaus brauchen wir die Regelung, dass bei Scheinwerkverträgen die Beweislast umgekehrt wird. Das Unternehmen muss beweisen, dass es sich nicht um einen Scheinwerkvertrag handelt, nicht der einzelne Beschäftigte, der immer in einer schlechteren Situation ist. Meine Damen und Herren, wenn Sie die Verhältnisse wirklich ändern wollen, dann stimmen Sie unserem Antrag zu. Was Sie in der Pipeline haben, ist nichts anderes als heiße Luft. Hören Sie mit diesem Quatsch auf! (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Albert Stegemann von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Albert Stegemann (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bereits vor der Sommerpause haben wir ausführlich, sowohl im Plenum als auch im Ausschuss, über Teile der vorliegenden Anträge gesprochen. Nun debattieren wir Ihre Forderungen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, zum x-ten Mal, diesmal vorweihnachtlich geschmückt mit vermeintlich neuen Zahlen und altbekannten Feststellungen. Sehen Sie es uns bitte nach, dass dies in unserer Fraktion mittlerweile schon zu Ermüdungserscheinungen führt. (Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sonst auch!) Trotz der ständigen Wiederholung Ihrer Forderungen kommen wir, aber auch Sie, an einer simplen Wahrheit nicht vorbei: Als Gesetzgeber können wir nicht per Dekret einen funktionierenden, einen florierenden Arbeitsmarkt verordnen. Was meine ich damit? Wie der Name schon nahelegt, ist der Arbeitsmarkt ein Ort, an dem Angebot und Nachfrage von Arbeitskräften zusammentreffen. Arbeitsplätze als solche können nicht staatlich verordnet werden. In der deutschen Geschichte hat dies bereits einmal nicht funktioniert, und es würde erneut scheitern. Vielmehr geht es um ein ständiges Austarieren von oft gegenläufigen Interessen, dem Wunsch nach einer notwendigen Flexibilität der Arbeitgeber auf der einen Seite und der gewünschten Sicherheit für Arbeitnehmer auf der anderen Seite. Das ist aber Aufgabe der Tarifparteien und nicht Aufgabe des Gesetzgebers. Der Gesetzgeber greift immer nur dann ein, wenn es den Tarifparteien nicht gelingt, geordnete Verhältnisse zu schaffen. Alles darüber Hinausgehende ist blanker Populismus. Hier unterscheiden wir uns maßgeblich in unserer Einschätzung. Ein tragfähiger Arbeitsmarkt in einer globalen Welt muss mehr bieten als ein unbefristeter und möglichst einheitlich tarifierter Arbeitsvertrag mit möglichst vielen Sozialleistungen nach dem Motto „Alles im Gleichschritt“, und das alles völlig unabhängig von Qualifikation, Branche und Arbeitserfahrung des Beschäftigten. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das stimmt nicht!) Gerne empfehle ich Ihnen, sich noch einmal eingehend mit den Mechanismen einer funktionierenden Wirtschaft auseinanderzusetzen. Nur durch das bloße Umverteilen werden wir den Wohlstand nicht mehren können. (Beifall bei der CDU/CSU) Und mehr noch: Nicht nur, dass Ihre Forderungen in der Sache destruktiv sind; nein, Sie täuschen bewusst die Menschen in unserem Land, indem Sie atypische, flexible Beschäftigung automatisch auf eine Stufe mit prekärer Beschäftigung stellen. Sie haben das gerade wieder gemacht. In Ihrer Wahrnehmung qualifizieren sich alle Arbeitnehmer, die unter 20 Stunden in Teilzeit arbeiten, einen befristeten Vertrag besitzen, geringfügig beschäftigt sind oder im Rahmen der Zeitarbeit tätig sind, als Menschen, die aufgrund ihrer Lebensumstände sozial abgestiegen sind. Erklären Sie doch bitte einmal der jungen Mutter, die aktuell mit 19,5 Stunden halbtags wieder ihren Beruf ausübt, dass sie dem Prekariat angehört. Sagen Sie doch bitte einmal den Zeitarbeitnehmern, die über ein solches Beschäftigungsverhältnis den Sprung in reguläre Beschäftigung schaffen wollen, dass sie sich erst gar nicht bemühen sollen, und sagen Sie auch einmal Ihren eigenen Mitarbeitern im Bundestag, deren Arbeitsverträge immer befristet sind, dass sie nun zu den Abgehängten zählen. Ich halte diese bewusste Vermischung für verantwortungslos und außerordentlich schädlich. (Beifall bei der CDU/CSU) Sie streuen damit gerade jungen Menschen Sand in die Augen, was die eigenen Perspektiven anbelangt. Entscheidend ist doch vielmehr, dass jeder eine faire Chance bekommt. Entscheidend ist, dass sich Arbeitnehmer entwickeln können, und entscheidend ist, dass es vernünftige Rahmenbedingungen gibt, die eben dieses beides zulassen. Nur normierte Arbeitsverhältnisse, so wie Sie sie mit Ihrem vorliegenden Antrag erzwingen wollen, werden weder unsere Gesellschaft noch die einzelnen Arbeitnehmer zum Erfolg führen. Im Gegenteil: Sie werden mittelfristig genau diejenigen treffen, die wir alle zusammen schützen wollen. Ich möchte nicht verantworten, dass wir gerade jungen Menschen eine gute Perspektive rauben. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, ein Blick über die Grenze zeigt uns täglich, dass dies keine theoretische Diskussion ist. Wenn Wissenschaftler von einer verlorenen Generation sprechen, dann meinen sie damit unter anderem nahezu jeden zweiten jungen Menschen in Spanien oder in Griechenland, der ohne Arbeit ist. Wie schwer muss es für diejenigen sein, die wissen, dass sie trotz ihrer Talente und Fähigkeiten kaum Chancen haben, diese auch einzubringen? Dazu sagen Sie in Ihren Anträgen nichts. Ist Ihnen bekannt, dass die Jugendarbeitslosigkeit in diesen Ländern stärker angestiegen ist als die allgemeine Arbeitslosigkeit? Hierfür sind zum großen Teil die starren Regelungen auf den Arbeitsmärkten und hohe Barrieren mit verantwortlich, für die Sie sich gerade hier in Deutschland einsetzen wollen. (Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE] und Jutta Krellmann [DIE LINKE] melden sich zu einer Zwischenfrage) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Kollege Stegemann? Albert Stegemann (CDU/CSU): Nein, ich möchte gerne im Zusammenhang vortragen. – Diese sind häufig Grund dafür, dass sich Unternehmen scheuen, junge Beschäftigte einzustellen. Das ist doch die Realität. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Lassen Sie jetzt eine Zwischenfrage zu, Herr Kollege Stegemann? Albert Stegemann (CDU/CSU): Ich möchte gerne weiter vortragen. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Okay. Albert Stegemann (CDU/CSU): Die Folgen eines verkrusteten Arbeitsmarktes konnten auch wir in Deutschland Anfang des Jahrtausends sehen. Was bedeutet eine schrumpfende Wirtschaft für die Menschen? Stagnierende Löhne und 5 Millionen Arbeitslose, das war die Realität. Wir sind davon überzeugt, dass ein Arbeitsmarkt dynamische Elemente benötigt, um Erfolg zu haben. Die Öffnung des Arbeitsmarktes war daher ein konsequenter und richtiger Schritt. Und: Ja, es gab auch Fehlentwicklungen. Aber hier haben die letzten Bundesregierungen zu Recht gehandelt, beispielhaft im Bereich der Zeitarbeit: Per Gesetz ist Equal Pay ab dem ersten Tag vorgeschrieben, wenn keine anderen tariflichen Lösungen vereinbart werden. Im Ergebnis sehen wir die höchste Tarifbindung, die es in unserem Land gibt. Bei den Überlassungsdauern sehen wir seit mehreren Jahren einen positiven Trend. Mit welcher Begründung möchten Sie jemanden nun Ihrem Antrag entsprechend nach drei Monaten auf die Straße setzen? Ihr Ziel ist die Abschaffung der Arbeitnehmerüberlassung. Mit uns ist das nicht zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU) Das geht nämlich an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes, aber auch an den Bedürfnissen der berufstätigen Menschen vorbei. Zusammenfassend: Ein erfolgreicher Arbeitsmarkt ist die Grundlage dafür, dass möglichst viele Menschen profitieren können; an dieser Wahrheit kommen – trotz aller ideologischen Verrenkungen – wir, aber auch Sie nicht vorbei. Das ist gute Sozialpolitik und Grundlage des Handelns der CDU. Deshalb haben sich die Regierungsparteien im Koalitionsvertrag die Schaffung von guter Arbeit zum Ziel gesetzt. Hier haben wir zusammen mit den Sozialdemokraten bereits große Schritte getan mit der Stärkung der Tarifpartner, die am besten für die Interessen ihrer Mitglieder Partei ergreifen können, mit einem einheitlichen Mindestlohn, der garantiert, dass niemand unter einer gewissen Lohngrenze arbeiten muss, und mit verbindlichen Spielregeln auf dem Arbeitsmarkt, um Missbräuchen jeder Art einen Riegel vorzuschieben. Bei den kommenden Reformen im Bereich der Werkverträge und der Zeitarbeit gehen wir diesen Weg weiter. Wir passen die etablierten Elemente des Arbeitsmarktes an und stärken zugleich die tariflichen Vereinbarungen, die über Jahre verlässlich getragen haben. Aus diesem Grund lehnen wir Ihre Anträge ab. Vielen Dank fürs Zuhören. (Beifall bei der CDU/CSU – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das war an jeder Realität vorbei!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Der Kollege Klaus Ernst erhält das Wort für eine Kurzintervention. Klaus Ernst (DIE LINKE): Lieber Kollege Stegemann, als Erstes zur Rolle der Gesetzgebung. Wir sind der Gesetzgeber. Deswegen sitzen wir hier. Ich stimme Ihnen zu: Es gibt Dinge, die der Tarifvertrag regelt, und es gibt Dinge, die wir als Gesetzgeber regeln müssen. Darum haben wir ein Tarifvertragsgesetz. Darum haben wir ein Arbeitszeitgesetz. Darum haben wir Regelungen zur Befristung. Die Regelungen haben sich in der letzten Zeit verändert. Jetzt stellen wir fest: Sie haben sich in eine Richtung verändert, die aus unserer Sicht – ich hoffe eigentlich: auch aus Ihrer Sicht – für die Betroffenen nicht sehr schön ist. Weil sich der Gesetzgeber in der letzten Zeit in eine Richtung bewegt hat, die falsch war, müssen wir jetzt die Gelegenheit ergreifen, das zu korrigieren. Wenn Sie Regelungen des Gesetzgebers im Arbeitszeitbereich oder im Arbeitsbereich insgesamt ablehnen, dann weiß ich nicht, warum wir hier sitzen. Das ist unser Job. Machen wir doch einfach unseren Job in der Frage! Dann kriegen wir etwas hin. (Beifall bei der LINKEN) Zweitens. Ich habe die Gnade der frühen Geburt erfahren. Ich habe zu einer Zeit gelernt, in der es geradezu selbstverständlich war, jedenfalls wenn man nicht Jugendvertreter war, dass man nach der Ausbildung einen Job gekriegt hat. Heute müssen Betriebsräte darum kämpfen und mit dem Arbeitgeber spezielle Vereinbarungen treffen, dass die jungen Menschen, die im Betrieb ausgelernt haben, wenigstens einen befristeten Job kriegen. Ja, ist das denn ein normales Verhältnis? Bringt uns das weiter? War es früher besser, oder war es schlechter? Wie war damals der Zustand unseres Landes? War er schlechter, oder war er besser? Ich sage Ihnen: Das, was wir damals an Gesetzgebung hatten, (Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Das ist nur eine Redeverlängerung!) hat dazu geführt, dass eine Vielzahl von Jungen ihr Leben planen konnten, Familien gründen konnten, freudig und nicht mit Angst in den Job gegangen sind. Sie hatten keine Angst davor, dass ihr Vertrag nicht verlängert wird oder dass sie als Leiharbeiter sehr schnell wieder rausfliegen. (Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Schauen Sie sich die Zahlen richtig an! Dann wissen Sie, dass das falsch ist, was Sie da sagen!) – Sie können sich zu Wort melden, wenn Sie da hinten herumbrüllen. – Das hat sich verändert. Das ist der Punkt. (Beifall bei der LINKEN) Wenn Sie das nicht erkennen, Kollege Stegemann, dann leben Sie wirklich auf einem anderen Stern. Gehen Sie einmal in die Betriebe! Reden Sie mit den Jungen! Die Jungen sind nicht froh, dass sie befristet beschäftigt sind. Sie sind nicht froh, dass sie in Leiharbeitsverhältnissen sind. Sie sind auch nicht froh, dass sie nur bei einem Werkvertragsunternehmen sind und dieselbe Tätigkeit machen wie der Kollege nebenan, aber schlechter bezahlt werden, schlechtere Bedingungen haben. Was ist denn das für ein Verhältnis, das Sie hier verteidigen wollen? (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Stegemann, Sie haben die Möglichkeit zur Erwiderung. (Albert Stegemann [CDU/CSU]: Ganz offensichtlich ist er meiner Rede nicht gefolgt!) – Okay. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ach, das war es jetzt?) Albert Stegemann (CDU/CSU): Ganz offensichtlich haben Sie nur die erste Hälfte meiner Rede verfolgt. Ich habe eigentlich alles gesagt, was dazu zu sagen ist. Wir haben die niedrigste Arbeitslosigkeit, und das hat auch etwas mit einem erfolgreichen Arbeitsmarkt zu tun. Dort, wo wir eine hohe Jugendarbeitslosigkeit haben, ist das Ausdruck eines verkrusteten Arbeitsmarkts. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das ist ein anderes Thema! Mein Gott, Thema verfehlt!) Ich habe das alles gerade geschildert. Ich würde Sie bitten, wenn Sie bei der nächsten Rede wieder intervenieren, der Rede komplett zu folgen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Und nicht alte Manuskripte rausholen! – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das war eine schwache Nummer!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat Beate Müller-Gemmeke von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es kann nur besser werden!) Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Jungen Menschen steht die ganze Welt offen, so heißt es. Doch dieser optimistische Blick in die Zukunft gilt in der Arbeitswelt schon lange nicht mehr; denn der Weg in den Beruf verläuft immer häufiger über prekäre Beschäftigung. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Herr Stegemann, hören Sie genau zu!) Angesichts der Diskussion muss ich sagen: Die Wahrheit liegt zwischen diesen beiden Positionen. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also bei uns!) – Genau, bei uns. – Nach Ausbildung und Studium sind immer mehr junge Menschen mit Leiharbeit, Befristung, Werkverträgen und Phasen der Arbeitslosigkeit konfrontiert. So ein Start ist wenig motivierend, und ermutigend schon gar nicht. Das sollten Sie, die Regierungsfraktionen, endlich zur Kenntnis nehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn junge Menschen in erster Linie damit beschäftigt sind, immer wieder neue Jobs zu finden, und Unsicherheit für sie zum Normalzustand wird, dann fehlen nicht nur die Chancen für Lebens- und Familienplanung, dann fehlt auch die Kraft für gesellschaftliches, politisches und gewerkschaftliches Engagement. Ein Drittel aller jungen Menschen macht sich heute Sorgen um die eigene Zukunft. Das sind eindeutig zu viele. Auch sie brauchen Wertschätzung. Sie brauchen vor allem Sicherheit, das heißt Arbeitsplätze mit Perspektive. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber es geht natürlich insgesamt um die Fehlentwicklungen in der Arbeitswelt, die von der Bundesregierung entweder gar nicht oder nur unzureichend angepackt werden. Im Antrag der Linken wird vieles angesprochen, auch wenn wir nicht mit allem einverstanden sind. Die Themen Befristung und Mindestlohn haben wir hier schon häufig diskutiert. Auch wir kritisieren beim Mindestlohn die Ausnahmen für junge Menschen, und auch wir wollen die sachgrundlose Befristung abschaffen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vor allem über die Leiharbeit werden wir in nächster Zeit heftig diskutieren; denn Sie, die Regierungsfraktionen, planen ja Equal Pay nach neun Monaten. Das macht für uns keinen Sinn. Nur wenige Leiharbeitskräfte werden davon profitieren, da die Mehrzahl bekanntlich nach drei Monaten schon wieder arbeitslos ist. Wir wollen auch keine Höchstüberlassungsdauer, weder 18 Monate noch 3 Monate; denn die Auftragsspitzen sind je nach Branche unterschiedlich. Vor allem würden so neue Drehtüreffekte entstehen, und zwar wieder zulasten der Leiharbeitskräfte. Das ist nicht akzeptabel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir Grünen setzen ganz auf den Preis. Deshalb fordern wir Equal Pay ab dem ersten Tag und einen Flexibilitätsbonus von 10 Prozent. Für die Betriebe lohnt sich Leiharbeit dann nur vorübergehend, und die Beschäftigten erhalten endlich einen fairen Lohn und damit Wertschätzung und Anerkennung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Unterschiedliche Einschätzungen gibt es auch bei den Werkverträgen. Häufig leisten die Beschäftigten mit Werkvertrag die gleiche Arbeit auf dem gleichen Betriebsgelände wie die Stammbelegschaft. Bei dieser Form von Werkverträgen geht es vor allem darum, Lohnkosten einzusparen. Es geht um Tarifflucht, von einem guten in einen schlechteren Tarifvertrag. Häufig besteht überhaupt keine Tarifbindung. Wenn so der Anstand in Teilen der Wirtschaft verloren geht, dann müssen wir die Rahmenbedingungen verändern – zum Schutz der Beschäftigten und vor allem auch zum Schutz der verantwortungsvollen Betriebe. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Notwendig sind deshalb eindeutige Kriterien. Vor allem aber wollen wir den Rettungsschirm im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz schließen; denn viele Betriebe nutzen das aus. Sie vergeben ihre dubiosen Werkverträge nur an Fremdfirmen mit einer Erlaubnis für Leiharbeit. So können sie sich ganz einfach vor Rechtsfolgen schützen. Wer auf Scheinwerkverträge setzt, der muss zukünftig auch die rechtlichen Konsequenzen tragen. Das hat abschreckende Wirkung, und das ist auch gerecht. Sehr geehrte Regierungsfraktionen, die Beschäftigten brauchen faire Löhne und Sicherheit und die jungen Menschen vor allem Chancen und Perspektiven. Wir warten jetzt auf Ihren Gesetzentwurf. Ich hoffe sehr, Sie haben Mut und schaffen damit endlich soziale Leitplanken auf dem Arbeitsmarkt. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Markus Paschke von der SPD-Fraktion spricht als nächster Redner. (Beifall bei der SPD) Markus Paschke (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was macht Deutschland stark? Es ist ein Zusammenspiel zwischen sozialer Marktwirtschaft und gleichberechtigter Teilhabe aller am wirtschaftlichen Erfolg. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das wäre schön!) Damit meine ich eine Beteiligung von Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gleichermaßen. Keine Frage, im Durchschnitt geht es uns gut. Gerade die jüngsten Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt sowie bei den Einkommen und Renten zeigen dies deutlich. Das heißt aber nicht, dass es allen gut geht. Zur Ehrlichkeit gehört auch die Feststellung, dass die neoliberale Wirtschaftspolitik der letzten Jahrzehnte und der Glaube, dass der Markt alles regelt, zu erheblichen Diskrepanzen geführt hat; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) denn der Markt funktioniert auf diese Weise nur, wenn die Teilnehmer die gleichen Voraussetzungen und Kräfte haben. Das ist im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der Regel nicht der Fall. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: So ist es!) Eine Annäherung dieses Kräfteverhältnisses gibt es nur durch starke Gewerkschaften und eine funktionierende Mitbestimmung. Beim Gesetzgebungsverfahren stellen sich die Fragen: Was ist gut für unsere Gesellschaft? Was ist nachhaltig? Welche Grundlagen müssen wir schaffen, um zukunftsfähig zu sein? – Sie haben recht, dass gerade junge Menschen häufig nur befristete Arbeitsverträge erhalten. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Erzählen Sie das mal Herrn Stegemann! Der sitzt dort!) Ich sage ganz klar: Das ist weder gut für die Gesellschaft noch ist es nachhaltig, und es ist schon gar nicht zukunftsfähig. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir reden immer wieder über Fachkräftemangel, demografischen Wandel und darüber, was wir für junge Familien tun müssen. Klar ist doch: Wenn die Grundlage nicht stimmt, dann hilft die Bekämpfung der Symptome wenig. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: So ist es!) Junge Menschen brauchen und wollen Sicherheit und Anerkennung. Das ist in prekären Beschäftigungsverhältnissen in der Regel aber nicht der Fall. Lassen Sie uns einen Blick auf die Realität werfen. Eine junge Frau – nennen wir sie Hanna – ist als Leiharbeiterin bei VW beschäftigt. Gerade hat sie sich mit ihrem Mann ein älteres Haus gekauft und mit der Familienplanung begonnen. Die ist jetzt erst einmal auf Eis gelegt, weil sie nicht mehr einschätzen kann, wie es weitergeht. Sie hat keine Sicherheit, kann Auftragseinbrüche nicht mit Kurzarbeit überbrücken und muss befürchten, entlassen zu werden, falls das Fehlverhalten anderer Auswirkungen auf die Nachfrage hat. Völlig unverschuldet sind ihre Träume von einer kleinen Familie geplatzt. Hanna und ihr Mann haben sich darauf verständigt, erst einmal wieder zu verhüten. Wenn ich nicht weiß, ob ich mich selbst, geschweige denn einen Partner und Kinder morgen noch ausreichend versorgen kann, dann überlege ich mir sehr genau, ob ich eine Familie gründe. Das heißt also: Die Familienplanung muss warten, und unsere Gesellschaft bekommt ein Problem mit fehlendem Nachwuchs. Das ist volkswirtschaftlich und gesellschaftlich kontraproduktiv. Das ist nicht nachhaltig. Wir brauchen also Rahmenbedingungen, die einen Ausgleich zwischen der notwendigen Flexibilität für Unternehmen und der ebenso notwendigen Sicherheit für die Menschen schaffen. In Bezug auf Ihren Antrag muss man die gleichen Kriterien anlegen – Nutzen für die Gesellschaft, Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit – und die Wirkung berücksichtigen. So fordern Sie in Ihrem Antrag eine Höchstüberlassungsdauer bei Leiharbeit von drei Monaten. Ich befürchte bei einer so geringen Höchstüberlassungsdauer eher eine Verschlechterung für die betroffenen Arbeitnehmer und einen Drehtüreffekt bei Stellen mit einer eher niedrigen Qualifikationsanforderung. Hanna hätte in diesem Fall weder ein Haus gekauft noch mit der Familienplanung begonnen. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das macht sie jetzt auch nicht!) Zudem berücksichtigt Ihr Vorschlag nicht die Unterschiede in der Wirtschaft. Bei einer Firma, die Weihnachtsmänner aus Schokolade produziert, dauern die Auftragsspitzen vielleicht zwei bis drei Monate. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann kommt Ostern! – Heiterkeit) Im Spezial- und Anlagenbau oder in der Produktentwicklung kann dies erheblich länger sein, weil die Projekte viel anspruchsvoller sind. Auch beim Thema Werkverträge sehe ich einige Unschärfen und eine falsche Ausgangslage. Dort, wo Werkverträge als Instrument zum Lohndumping benutzt werden, liegt ein Missbrauchsverdacht nahe. Diesen Missbrauch werden wir bekämpfen. Aber dies betrifft längst nicht alle Werkverträge. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da bin ich aber mal gespannt!) Wir müssen also aufpassen, das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten. Es geht uns klar darum, Missbrauch sowohl bei Leiharbeit als auch bei Werkverträgen zu bekämpfen. Es geht uns darum, einen gesellschaftlichen Konsens zu finden, der nachhaltig und zukunftsfähig ist, kurz gesagt: der unserer Gesellschaft guttut. Gut gemeint ist also nicht gleich gut gemacht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deshalb werden wir Ihre Anträge ablehnen und demnächst einen gut gemachten Gesetzentwurf der Koalition vorlegen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das wäre ja mal was Neues!) Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Wilfried Oellers von der CDU/CSU-Fraktion spricht als nächster Redner. (Beifall bei der CDU/CSU) Wilfried Oellers (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In dieser Legislaturperiode, die gerade einmal zwei Jahre alt ist, debattieren wir in diesem Haus zum fünften Mal über die Thematik „Zeitarbeit, Werkverträge und Befristungen“. Wurden in den vorherigen Debatten die Themen immer noch einzeln diskutiert, so sind nun alle Themen in einem Antrag verankert. Bereits an dieser Stelle darf ich auf all meine vorher gehaltenen Reden verweisen. Meine Meinung hat sich dahin gehend nicht verändert. Schaut man sich den Antrag genau an, so kann man ihn, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Linken, nur als Frontalangriff auf die Flexibilisierungsinstrumente des deutschen Arbeitsmarktes bezeichnen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie möchten alle Flexibilisierungsinstrumente beseitigen oder, so weit es geht, einschränken, die in der heutigen Arbeits- und Wirtschaftswelt jedoch dringend erforderlich sind und eine starke Wirtschaft ausmachen. Dabei scheinen Sie immer noch nicht verstanden zu haben, dass sich die Arbeitswelt verändert hat und auch stetig verändern wird. Es sind Veränderungen festzustellen, die in Richtung Spezialisierung, Selbstständigkeit und Flexibilität gehen. Sie wollen mit Ihrem Antrag und der gesamten Diskussion nur Panik verursachen. (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) Dabei lassen Sie sehenden Auges außer Betracht, dass die Arbeitsmarktsituation in Deutschland positive Rekorde erreicht. (Beifall bei der CDU/CSU) Mit derzeit über 31 Millionen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen und einer Erwerbstätigenzahl von fast 43 Millionen (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Keine Vollzeitarbeitsverhältnisse!) erreichen wir nie dagewesene Zahlen. Mit 2,65 Millionen Arbeitslosen erreichen wir die niedrigste Arbeitslosenzahl seit der Wiedervereinigung. Der Arbeitsmarkt gewinnt an Robustheit stetig dazu, und die Einkommen steigen. Hiervon profitieren alle Menschen in Deutschland. Offensichtlich kommen Sie mit den guten Zahlen nicht zurecht und suchen daher Themen, bei denen Sie Panik verbreiten können. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ach, das ist doch Quatsch! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Bei den Niedriglöhnen gibt es keine Lohnsteigerung seit zehn Jahren!) In Ihrem Antrag sprechen Sie davon, dass in der heutigen Arbeitswelt nur schwer Gegenwehr gegen das Profitstreben der Unternehmen organisiert werden könne. Mit diesen Worten verkennen Sie das Grundprinzip des Wirtschaftslebens, nach dem ein Unternehmen nun einmal so geführt werden muss, dass es profitabel ist, damit es überhaupt auf dem Markt bestehen kann. Offensichtlich ist Ihnen gleichgültig, wie Unternehmen auf dem Markt zurechtkommen. Sie schüren eine Neiddebatte, und für diese Wirtschaftsdenke fehlt mir absolut jedes Verständnis. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch keine Neiddebatte! – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Unglaublich!) Die Unternehmer in Deutschland sind es, die die Menschen in Arbeit bringen und gemeinsam mit ihnen, ihren Mitarbeitern, Produkte entwickeln, die uns hier in Deutschland zu Wohlstand verhelfen. Hierfür gebührt allen ein großer Dank. Die genannten positiven Zahlen werden aufgrund der derzeitigen Rechtslage erreicht. Daher gilt es, sehr behutsam vorzugehen, wenn man diese Rechtslage ändern möchte. Einen Missbrauch von Flexibilisierungsinstrumenten möchte keiner. Er kann jedoch schon auf der jetzigen Rechtsgrundlage unterbunden werden. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das passiert aber nicht!) Die Reaktion auf Missbrauch kann nicht sein, dass man stets die Rechtslage verschärft. Damit trifft man nämlich nicht diejenigen, die Missbrauch betreiben, sondern in erster Linie die redlich handelnden Unternehmer, da sie sich an Recht und Ordnung halten und durch schärfere Gesetze unnötigerweise in ihrem Handeln beeinträchtigt werden. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt überhaupt nicht! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Rahmenbedingungen werden für alle verändert!) Zeitarbeit, Werkverträge und Befristungen sind wichtige Flexibilisierungsinstrumente, die in der heutigen Wirtschaftswelt unverzichtbar sind. Es gilt, mit ihnen auf wirtschaftliche Schwankungen zu reagieren, aber auch auf die persönliche Situation der Mitarbeiter, die zum Beispiel Elternzeit, Pflegezeit oder Familienpflegezeit – all das ist besonders zu begrüßen – in Anspruch nehmen. Wenn den Mitarbeitern flexible Instrumente gewährt werden, muss der Arbeitgeber entsprechend flexible Gestaltungsmöglichkeiten haben. Sonst ist eine Ausgewogenheit der Interessen nicht hergestellt. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Zeitarbeit hat eine wichtige Brückenfunktion für die Menschen und hilft, schneller in Arbeit zu kommen. Sie hilft insbesondere den Menschen, die längere Zeit nicht mehr in Arbeit waren, aber auch denen, die noch nie in Arbeit waren, und vor allem denjenigen ohne Berufsausbildung. Letztere machen immerhin einen Anteil von 22 Prozent bei der Zeitarbeit aus. Die 850 000 Menschen in Zeitarbeit (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Leiharbeit! Nicht Zeitarbeit!) machen einen Anteil von lediglich 2 Prozent aus. Seit 2010 ist die Zahl stetig rückläufig. – Wir reden hier von Zeitarbeit, ich zumindest. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Die nennt man Leiharbeiter!) Interessant ist auch, zu sehen, dass in wirtschaftlich schwierigen Situationen stets ein Rückgang der Zeitarbeit zu verzeichnen ist. Dies sichert vor allen Dingen die Stammbelegschaft der Unternehmen, und das sollte doch auch in Ihrem Interesse sein. Zu erwähnen ist auch, dass die Zeitarbeit zu fast 100 Prozent tarifvertraglich geregelt ist. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch logisch! Sonst müssen sie Equal Pay machen! Das ist doch gar kein Argument!) Bereits jetzt besteht nach dem AÜG Equal Pay. Beide Tarifvertragsparteien haben hier im Einvernehmen von ihren Gestaltungsmöglichkeiten Gebrauch gemacht. Das sollte an dieser Stelle erwähnt werden. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Die Billiggewerkschaften haben es getan!) Ich verstehe daher nicht, dass Sie den Menschen diese von beiden Tarifvertragsparteien gestaltete Brücke in den Arbeitsmarkt nehmen wollen. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das stimmt doch nicht!) – Das ist wohl richtig. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wie hoch ist denn der Klebeeffekt? – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sagen Sie einmal, wie viele es sind! Sagen Sie doch mal eine Zahl!) Hinsichtlich der von Ihnen geforderten Regulierung der Werkverträge sei erwähnt, dass es eine umfangreiche Rechtsprechung gibt und die Gerichte selbst sagen, dass sie alle Missbrauchsfälle lösen können. Die ebenfalls geforderte Mitbestimmung in diesem Bereich würde die unternehmerische Freiheit in unzulässiger Art und Weise beeinträchtigen. An dieser Stelle würde mich interessieren, was Sie unter unternehmerischer Freiheit verstehen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gesellschaftliche Verantwortung!) Zur Befristung habe ich bereits vor sechs Wochen gesprochen. In Kürze: Die derzeitige Befristungsquote liegt bei 6,9 Prozent und ist damit die niedrigste seit der Wiedervereinigung. Die Tendenz seit 2010 ist stetig fallend. Die Übernahmequote liegt bei fast 60 Prozent. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das stimmt doch nicht!) Betrachtet man darüber hinaus die jeweiligen Altersgruppen, so stellt man fest, dass mit steigendem Alter der Anteil der befristeten Arbeitsverhältnisse deutlich sinkt. Ich darf mit der jüngsten Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen beginnen. Hier haben wir einen Anteil von 23 Prozent, und er fällt stetig. Schon bei der nächsten Altersgruppe haben wir einen Anteil von 13,7, (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir reden heute über junge Menschen! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wir müssen uns um die jungen Menschen kümmern! Zwei Drittel der jungen Frauen werden befristet eingestellt! Das nehmen Sie nicht zur Kenntnis!) bei der ältesten Altersgruppe beträgt der Anteil 3,7 Prozent. Bei einer solchen Entwicklung sehe ich keine Fehlstellung. (Beifall bei der CDU/CSU – Jutta Krellmann [DIE LINKE], an die CDU/CSU gewandt: Da dürfen Sie als Frauen nicht klatschen, auch wenn Sie von der CDU sind!) Im Rahmen des Berufseinstiegs kann es nicht als unüblich angesehen werden, dass zunächst befristete Arbeitsverhältnisse eingegangen werden. Die aufgezeigte Entwicklung verdeutlicht, dass der Fortgang in die richtige Richtung geht. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Die derzeitige Situation auf dem Arbeitsmarkt ist gut. Man sollte daher mit Änderungen sehr vorsichtig umgehen. Panikmache, wie Sie sie betreiben, ist hier nicht angebracht. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Jutta Krellmann von der Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Jutta Krellmann (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Stegemann, lieber Herr Oellers, wir haben das Thema schon oft diskutiert, und wir werden das Thema noch zehnmal diskutieren – so lange, bis die Regelungen geändert sind. Denn Tatsache ist: Der Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen ist in vielen Bereichen betriebliche Realität, und das insbesondere für die junge Generation. Ob Sie das wahrnehmen wollen oder nicht: Das ist ganz einfach so, und das können wir auch beweisen. (Albert Stegemann [CDU/CSU]: Durch die Wiederholung nimmt der Wahrheitsgehalt nicht zu!) Deswegen finde ich es in Ordnung, dass wir darüber reden. Aber Sie jammern schon wieder darüber, dass Sie mit uns über dieses Thema reden müssen. (Klaus Ernst [DIE LINKE], an die CDU/CSU gewandt: Weil Sie Ihren Job nicht machen!) Das ist Ihre Aufgabe. Deswegen sind Sie hier, und dafür bekommen Sie und andere auch Ihr Geld. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Schwer verdientes Geld, wenn man Ihnen zuhören muss!) Frau Nahles hat schon 2014 darüber gesprochen, dass sie den Missbrauch eindämmen möchte, aber seitdem ist nichts passiert, tote Hose. Nur das Streikrecht wurde eingeschränkt. Wir bleiben dabei: Der Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen muss endlich eingedämmt werden, und zwar sofort, (Beifall bei der LINKEN) zumal letzte Woche auf Anfrage der Linken herauskam, dass die Bundesagentur für Arbeit Leiharbeitsfirmen rechtswidrig mit Versicherungsgeldern bezuschusst. Was für ein Skandal! Das sagt auch der Bundesrechnungshof, der die Vergabepraxis der Bundesagentur für Arbeit in Bezug auf Leiharbeitsunternehmen überprüft und eine ungerechtfertigte Subventionierung festgestellt hat. Was sagen Sie dazu? Ist das in Ordnung, dass Leiharbeitsfirmen auch noch zusätzlich unterstützt werden? Das ist doch ein Skandal! Übrigens steht in der Koalitionsvereinbarung, dass man den Einsatz von Leiharbeitnehmern als Streikbrecher verhindern will. Das war das ursprüngliche Ziel von Frau Nahles. Erinnern wir uns, was in der letzten Tarifrunde bei der Post passiert ist – ich sage ausdrücklich: die Post gehört zu 21 Prozent der Bundesregierung –: (Peter Weiß (Emmendingen) [CDU/CSU]: Nicht der Bundesregierung!) Damals wurden Leiharbeitnehmer ungeniert zum Streikbruch eingesetzt. Gerade diesen Missbrauch von Leiharbeit wollte Frau Nahles doch eindämmen. Und jetzt hört man, dass genau dieses Verbot des Einsatzes von Leiharbeitnehmern als Streikbrecher nicht kommen soll. Das ist eine ganz schreckliche Geschichte. (Beifall bei der LINKEN) Das kann doch wohl nicht wahr sein! Wir reden hier über Missbrauch! (Albert Stegemann [CDU/CSU]: Das steht doch in den Tarifverträgen!) Völlig unnütz erscheint eine Regelung, mit der die Ministerin die Höchstüberlassungsdauer – das ist eben schon angesprochen worden – von 24 Monaten auf 18 Monate beschränken will; denn die Hälfte der Leiharbeitsverhältnisse dauert weniger als drei Monate – weniger als drei Monate! Man höre und staune: Dort, wo Tarifverträge gelten, da will die Ministerin es mit den 18 Monaten nicht so genau nehmen. Mit anderen Worten: Es soll wieder Spielräume für andere Möglichkeiten geben. Scheinbar haben die Ministerin und die Koalitionsfraktionen keine Sorge, dass uns die sogenannten christlichen Gewerkschaften erneut mit Gefälligkeitstarifverträgen überschwemmen, die dann nicht mehr einzudämmen sind. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Manche sind besser als DGB-Tarifverträge!) Nun zu den Werkverträgen: Werkverträge sind zur Umgehung von Arbeitnehmerstandards für Arbeitgeber zunehmend attraktiv geworden. Unternehmen können völlig legal (Dr. Martin Pätzold [CDU/CSU]: Dann fragen Sie einmal Ihren Klempner!)2 – Sie dürfen gleich, wenn Sie möchten, oder stellen Sie mir einfach eine Frage; ich beantworte sie gerne – unternehmerische Risiken ausgliedern und die Verantwortung an nichttarifgebundene Lohndumpingfirmen übertragen. Das ist Missbrauch von Werkverträgen auf breiter Ebene. Jeder weiß, dass der einzige Schutz gegen Missbrauch die Stärkung der Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte ist. Aber ausgerechnet das will Frau Nahles scheinbar nicht. Der Ministerin geht es nur um die Verbesserung von Informationsrechten. Die gibt es aber schon heute. Das ist wieder nur heiße Luft. Die Linke hat als erste Fraktion im Bundestag das Problem des Missbrauchs von Werkverträgen angesprochen. Wir fordern, dass es an dieser Stelle endlich klare gesetzliche Regelungen gibt: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ab dem ersten Tag, Betriebsräte benötigen ein zwingendes Mitbestimmungsrecht, und es bedarf wirksamer Kontrollen und empfindlicher Strafen bei Scheinwerkverträgen. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen. Jutta Krellmann (DIE LINKE): Danke. – Wer den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen ernsthaft im Interesse von Arbeitnehmern regeln will, muss unserem Antrag zustimmen. Vielen Dank. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Michael Gerdes von der SPD-Fraktion hat als nächster Redner das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Michael Gerdes (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! In der Rede meines Kollegen Markus Paschke ist schon sehr deutlich geworden, dass die SPD dem Missbrauch der Leiharbeit eine Absage erteilt. Wir finden es nicht richtig, wenn für Stammbelegschaft und Leiharbeitsbeschäftigte unterschiedliche Arbeitsbedingungen gelten. Aber wir stehen dazu, Leiharbeit auf ihren Kern zu begrenzen. Leiharbeit ist durchaus ein Instrument zur Abdeckung von Auftragsspitzen oder Urlaubszeiten. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Befristung! Sachgrund!) Es geht um schnelles Reagieren und mehr Flexibilität bei der Erfüllung von Aufträgen. Das ist so weit nachvollziehbar. Auch als früherer Betriebsrat und überzeugter Gewerkschafter scheue ich mich nicht, zu sagen, dass es Firmen gibt, die sehr verantwortungsvoll mit dem Thema Leiharbeit umgehen. Leiharbeit kann durchaus in ein festes Beschäftigungsverhältnis münden. Das durfte ich vor einigen Tagen im Rahmen eines Praktikums in meinem Wahlkreis persönlich erfahren. Wogegen wir uns wehren, ist: dauerhafte Überlassung, Scheinwerkverträge mit hohen sozialen Risiken und Ungleichbehandlungen. (Beifall bei der SPD) Nun aber zum Antrag mit dem Titel „Junge Beschäftigte vor prekärer Arbeit schützen“. Meine Damen und Herren der Linken, die Überschrift Ihres Antrags kann ich voll und ganz mittragen und unterstützen. (Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE] – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Überschriften sind noch keine Politik!) Auch ich wünsche mir, dass junge Menschen einen sicheren Start ins Arbeitsleben haben und dass ihnen von Beginn an gute Rahmenbedingungen geboten werden. Schaut man allerdings in die Details Ihres Antrages, wird klar, dass es Ihnen vornehmlich um ein komplettes Verbot von Leiharbeit und weniger um die tatsächliche Situation junger Menschen auf dem Arbeitsmarkt geht. (Peter Weiß (Emmendingen) [CDU/CSU]: So ist es!) Dem können wir logischerweise nicht zustimmen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn es anders wäre, hätte die Linke besser analysiert, warum und für wen der Einstieg ins Arbeitsleben schwieriger bzw. unbeständiger geworden ist. Betroffen sind vor allem Ungelernte und Geringqualifizierte, also Jugendliche ohne Schulabschluss und/oder ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Weil wir von der SPD dieses Problem schon seit längerem kennen, haben wir mit der Koalition verschiedene Maßnahmen in die Wege geleitet, damit junge Menschen Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Sie haben bisher immer nur gesagt, was Frau Nahles nicht getan hat. Ich will einmal sagen, was Frau Nahles getan hat. Ich nenne einige Maßnahmen: Mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes haben wir genau definiert, dass ein Praktikum ein Lernverhältnis ist, bei dem bestimmte Standards einzuhalten sind. Wir haben somit verhindert, dass junge Menschen mit abgeschlossener Ausbildung oder abgeschlossenem Studium mit halb- oder ganzjährigen Praktikumsverträgen abgespeist werden, obwohl sie reguläre Arbeit leisten. Damit ist die Generation Praktikum vorbei. (Beifall bei der SPD) Die Allianz für Aus- und Weiterbildung ist eine beschlossene Sache. Im Mittelpunkt steht für uns das Versprechen auf eine Ausbildungsgarantie. Das heißt, wir wollen erreichen, dass am Ende kein junger Mensch, der das Potenzial hat und diesen Weg gehen will, ohne eine qualifizierte Ausbildung bleibt. In der Allianz enthalten sind unter anderem die assistierte Ausbildung sowie die ausbildungsbegleitenden Hilfen. Beide Instrumente haben das Ziel, jungen Menschen beim Lernen unter die Arme zu greifen, etwa beim Erfassen von fachlichen Inhalten, beim Abbau sprachlicher Defizite oder in Form von sozialpädagogischer Hilfe. Sie können den Einstieg in eine Ausbildung und auch deren Abschluss schaffen. Teil der Allianz für Aus- und Fortbildung ist auch die Verbesserung der Berufseinstiegsqualifizierung und Berufsorientierung. Wir wissen, dass der Übergang von der Schule in den Beruf nicht immer so reibungslos läuft, wie wir es uns gerne wünschen. Hier müssen wir besser aufklären. Wir müssen Pfade aufzeigen, wie man in die Berufswelt kommt. In diesem Zusammenhang halte ich Jugendberufsagenturen für sehr sinnvoll. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Langfristiges Ziel ist ein vergleichbares, gleich gutes Angebot für alle am Übergang von der Schule zur Ausbildung, egal woher die jungen Menschen stammen, wo sie wohnen oder welche Schulform sie besucht haben. Was wir gemeinsam mit den Sozialpartnern vermeiden bzw. verringern müssen, sind abgebrochene Ausbildungen. Es gilt, die Vorteile der dualen Ausbildung noch besser zu nutzen. Das Zusammenspiel von Schule und Betrieb macht uns stark. Die Praxisorientierung in der Ausbildung hilft den Unternehmern, aber sie hilft auch den jungen Arbeitnehmern. Genauso wenig dürfen wir diejenigen außer Acht lassen, die die Schule ohne Abschluss verlassen. Wir müssen junge Menschen befähigen. Jeder soll zeigen können, was in ihr oder was in ihm steckt. Im Bereich der Weiterbildung setzt die bereits genannte Allianz zwei Ausrufungszeichen. Der Bund verbessert erstens das sogenannte Meister-BAföG. Im Übrigen ist das Meister-BAföG ein Erfolg. Es hat neben der Förderung von Meistern, Technikern und Fachwirten zu einer verstärkten beruflichen Bildung in Richtung der zunehmend relevanter werdenden Gesundheitsberufe geführt. Zweitens verpflichten sich die Allianzpartner, ihre Anstrengungen zur Nachqualifizierung insbesondere erwerbstätiger junger Menschen ohne Berufsabschluss zu verstärken. All diese Maßnahmen sollen vor prekären Jobs schützen. Qualifizierung ist ein Schlüssel zum Erfolg, egal in welchem Alter. Gerade im Hinblick auf Arbeiten 4.0 wird Weiterbildung einen viel höheren Stellenwert benötigen als bisher. Heute nehmen gerade einmal 50 Prozent aller Arbeitnehmer im Laufe ihres gesamten Berufslebens an einer Weiterbildung teil, auch hier leider mit der typischen Schieflage: Frauen, Migranten und Ältere haben deutlich weniger Zugang zu qualifizierter Weiterbildung. Oftmals hat das auch finanzielle Gründe. Besonders junge Menschen können sich weiterbildende Maßnahmen schlichtweg nicht leisten, weil sie sich, wie wir gerade schon gehört haben, neben dem Einstieg ins Berufsleben eine Zukunft für ihre Familie aufbauen wollen. Dabei ist vor allem eine gute Ausbildung der wesentliche Faktor, der vor prekärer Arbeit schützt. Hier werden wir künftig noch mehr Möglichkeiten schaffen. Herzlichen Dank und Glück auf! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Markus Kurth von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem wir jetzt eine – Herr Gerdes, ich muss es so sagen – doch etwas ermüdende Spiegelstrichliste mit Details, die mit dem Thema wenig bis gar nichts zu tun haben, gehört haben, (Widerspruch bei der SPD) will ich ein bisschen auf die gesamte Debatte blicken, die, wie ich finde, gerade wenn man die ersten Wortbeiträge von der Linken und auch von der Union gehört hat, bisher ein bisschen grobschlächtig verlaufen ist. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Kurth, lassen Sie eine Zwischenfrage vom Kollegen Gerdes zu? Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, bitte schön. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das war jetzt aber Rekord! Er hat ja noch gar nichts gesagt!) – Er hat ja Druck. (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU) Michael Gerdes (SPD): Ich höre gerade, Sie hätten noch nichts gesagt; dem kann ich so nicht zustimmen. – Sind Sie wie ich der Meinung, dass im Antrag sehr wohl steht, wie wir für junge Menschen berufliche Qualifizierung durchführen wollen? Oder haben die Maßnahmen, die ich gerade vorgeschlagen habe, damit nichts zu tun? Schützen sie also nicht vor prekärer Beschäftigung? Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Hier geht es im Wesentlichen um Regelungen tarifvertraglicher Natur und um solche, die das Arbeitsvertragsverhältnis betreffen. Ich würde doch niemals in Abrede stellen, dass – das ist selbstverständlich – Dinge wie spezialisierte Jugendberufsagenturen, Qualifizierung und dergleichen mehr eine gute Voraussetzung und überhaupt erst die Bedingung der Möglichkeit sind, prekärer Beschäftigung zu entfliehen und in ein sicheres Arbeitsverhältnis zu kommen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Aber der entscheidende Punkt, Herr Gerdes, über den wir hier diskutieren, ist, dass sehr viele junge Leute trotz guter Schulbildung, trotz einer Ausbildung und sogar trotz eines Studiums nichts anderes bekommen als ein befristetes Beschäftigungsverhältnis. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Abg. Michael Gerdes [SPD] nimmt wieder Platz) – Bleiben Sie bitte stehen! Ich bin noch nicht fertig. Jetzt kommen Sie in Nöte; dann setzen Sie sich hin. – Sie haben keine Chance. Das ist der Punkt, über den wir hier diskutieren und den wir hier besprechen müssen. Das ist der Kern der Debatte, weswegen ich eben die Eingangsbemerkung zu Ihnen gemacht habe. (Beifall der Abg. Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich will jetzt zum Thema zurückkommen. Die Debatte wurde bisher, wie gesagt, etwas grobschlächtig geführt. Beide Eingangsredner tauchten in die 70er-Jahre ein. Der eine beschwor die DDR, der andere die Metallwelt in Schweinfurt von 1971. So kann man diese Debatte nicht führen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Gerdes [SPD]: Das stimmt!) Ich finde, dass das Argument, es handele sich nur um verordnete Arbeitsverhältnisse, und eine Neiddebatte dem tatsächlichen Problem nicht gerecht werden. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Albert Stegemann [CDU/CSU]: Kommen Sie doch mal zum Punkt!) Aber was dem Problem auch nicht gerecht wird – das will ich wiederum zur Linken sagen –: Wenn Sie in Ihrem Antrag „Junge Beschäftigte vor prekärer Beschäftigung schützen“ schreiben, 25 Prozent aller unter 25-Jährigen hätten nur einen Minijob, dann finde ich das nicht seriös; (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Nein, nein, nein!) denn da sind sehr viele Studenten und Schüler dabei. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das steht so nicht in unserem Antrag!) – Das steht in Ihrem Antrag drin. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Da steht „Minijob“!) Ich finde – da war Frau Müller-Gemmeke von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wirklich eine Erholung –, (Lachen bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Was für eine Überraschung!) wir könnten da differenzierter herangehen, und wir müssen da differenzierter herangehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will das, weil ich mich eigentlich auf einen anderen Aspekt konzentrieren möchte, nur am Beispiel der Leiharbeit deutlich machen. Wir sind nicht für ein Verbot der Leiharbeit, weil Leih- und Zeitarbeit bei Auftragsspitzen, in speziellen Situationen in einem Unternehmen natürlich sehr wohl eine gute und vernünftige Ergänzung sein können; davor kann doch keiner die Augen verschließen. Aber auf der anderen Seite, liebe Vertreterinnen und Vertreter der Union: Equal Pay erst nach neun Monaten, das greift doch nicht! An dieser Stelle wird dann eben doch eine Tür für Lohndumping geöffnet. Zwischen diesen beiden Polen müsste man nach einer differenzierten und sachgerechten Lösung suchen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und zwar auch deswegen, weil diejenigen, die jetzt jung und prekär beschäftigt sind, irgendwann nicht mehr jung sind, sondern alt. Dann kommt das doppelt und dreifach zurück. Die Rente ist der Spiegel des Arbeitslebens. Wer schon als junger Mensch möglicherweise mehrere Jahre prekär, niedrig entlohnt beschäftigt war, wird kaum die Chance haben, ein existenzsicherndes Renteneinkommen zu erzielen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist es!) Dann fällt die ganze Sache wieder auf die öffentliche Hand und auf den Staat zurück. Er muss dann als Ausfallbürge im Alter, etwa über Grundsicherungszahlungen, Leistungen erbringen. Das geht definitiv nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will das einmal am Beispiel der Zeitarbeit illustrieren. Ein Zeitarbeiter mit abgeschlossener Berufsausbildung verdient laut Statistischem Bundesamt im Durchschnitt 1 528 Euro brutto. Das ist ein guter halber Rentenpunkt. Wissen Sie, wie lange er braucht, bis er damit auf 30 Entgeltpunkte kommt? 57 Jahre! Wir hoffen natürlich, dass das keine durchgehende Vollerwerbsbiografie ist. Aber das mag doch zumindest ein Indikator dafür sein, dass prekäre Beschäftigung zurückgedrängt gehört. Da, wo wir Rahmenbedingungen setzen können, sollten wir sie an dieser Stelle auch setzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gerade in den betrieblichen Bereichen, in denen prekäre Beschäftigung verbreitet ist, sehen wir, dass auch das Drei-Säulen-Modell nicht richtig funktioniert. Gerade unter niedrig entlohnten Beschäftigten ist die Verbreitung etwa der Betriebsrente minimal. Sie greift zwar in großen Industriebetrieben, aber gerade im Bereich der Leiharbeit ist die zweite Säule praktisch nicht existent. Und natürlich haben Personen, die sich über ihre weitere ökonomische Perspektive im Unklaren sind, auch nicht viele Anreize, die geförderte private Altersvorsorge, die Riester-Rente, in Anspruch zu nehmen. Die Kombination dieser Punkte birgt das Risiko, dass es zu einer verschärften Altersarmut kommt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich plädiere dafür, die Debatte jetzt nicht nur mit dem Holzhammer weiterzuführen, und bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Stephan Stracke von der CDU/CSU das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Stephan Stracke (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Warum führen wir heute eigentlich diese Debatte? Ich habe den Eindruck, der eigentliche Grund liegt vor allem darin, dass die Plenarplaner der Linken darauf gesetzt haben, dass die Ministerin nach dem Gewerkschaftstag der IG Metall hier ihre Vorschläge zur Zeitarbeit und zu den Werkverträgen auf den Tisch legen würde. Das hat sie nicht getan. Schade. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Dann reden wir noch einmal drüber!) Aber selbst wenn sie es getan hätte, lieber Herr Ernst: Ihre Vorschläge taugen einfach nicht als Gegenkonzept. Die komplette Regulierung des Arbeitsmarktes ist mit uns als Union nicht zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wir wollen nicht komplett, wir haben ganz konkrete Vorstellungen!) Sie wollen die Zeitarbeit, befristete Arbeitsverhältnisse und die Minijobs so weit wie möglich abschaffen und die Werkverträge umfassend regulieren und damit die Arbeitswelt in Deutschland vollkommen auf den Kopf stellen. Am Ende vernichten Sie nichts anderes als Arbeitsplätze in unserem Land. Schauen Sie zu unseren Nachbarstaaten in Europa und darauf, zu welchen Folgen dort beispielsweise die Überregulierung im Arbeitsrecht und die höchsten Mindestlöhne geführt haben. All diese Länder schauen voller Anerkennung nach Deutschland. Sie reden vom deutschen Jobwunder. Europa orientiert sich an Deutschland, die Linken orientieren sich an diesen Ländern, die in der Vergangenheit sehr viel falsch gemacht haben. Das ist doch absurd. Europa will Best Practice, die Linken Worst Practice. Das ist mit uns nicht zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU) Der deutsche Arbeitsmarkt ist bestens aufgestellt. Es gibt keine großen Baustellen. Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland beträgt 2,65 Millionen. Sie ist so niedrig wie seit 24 Jahren nicht mehr. Der BA-Chef Frank-Jürgen Weise blickt zuversichtlich auf das, was kommen mag. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wir reden über ganz was anderes!) Das zeigt: Die deutsche Erfolgsstory auf dem Arbeitsmarkt geht unvermindert weiter. Das Statistische Bundesamt hat vorgestern eine Studie zur Qualität der Arbeit in Deutschland vorgelegt. Fazit: Die Dauer der Beschäftigung beim aktuellen Arbeitgeber kann als wichtiger Indikator für die Stabilität der Beschäftigung angesehen werden, die sich auch auf die Zufriedenheit der Beschäftigten auswirken kann. Die Zahlen: Gut 45 Prozent der befragten Erwerbstätigen waren 2014 seit mindestens zehn Jahren bei ihrem Arbeitgeber beschäftigt, fast 20 Prozent arbeiten seit fünf bis zehn Jahren am gleichen Arbeitsplatz, und ein Drittel gab an, eine Beschäftigungsdauer von weniger als fünf Jahren zu haben. Das zeigt: Die Zufriedenheit der Beschäftigten in Deutschland ist sehr hoch. Seit 2012 sinkt die Befristungsquote. Sie erreichte im Jahr 2014 mit einem Wert von 8,1 Prozent wieder das Niveau von 2005. Damit liegen wir in Deutschland nicht weit weg von der Spitze und unter dem EU-Durchschnitt, der bei 11 Prozent liegt. Damit ist die Befristungsquote hier in diesem Land eine gute. Deutschland zählt im Übrigen auch zu den Ländern, in denen Frauen nicht deutlich mehr befristet beschäftigt sind als Männer. Auch dieses Verhältnis ist ein gutes und vorbildlich für Europa. Das ließe sich – bei allem Missbrauch, der sich im Einzelfall natürlich zeigen mag – weiter fortsetzen. Auf dem deutschen Arbeitsmarkt gibt es keine großen Baustellen, und wenn einer weiß, wie man gute Arbeit sicherstellt, dann sind es Arbeitgeber und Gewerkschaften. Wie hat es die Kanzlerin auf dem Tag der Deutschen Industrie gesagt? Die besseren Bauarbeiter sind die Sozialpartner, nicht die Politiker. Ich ergänze: Die Linken sind dies erst recht nicht. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Was sind unsere arbeitsmarktpolitischen Themen? Wir wollen den Schwachen eine Brücke in den Arbeitsmarkt bauen. Jeder soll seine Chance erhalten. Dazu brauchen wir die Zeitarbeit und auch die Befristung von Arbeitsverhältnissen. Die Kollegin Müller-Gemmeke hat die Überlassungsdauer bei Zeitarbeit bereits zu Recht angesprochen. Der Vorschlag der Linken, der darauf zielt, die Überlassungsdauer auf drei Monate zu begrenzen, reißt gerade die Brücken – Sie haben es dankenswerterweise sehr pointiert herausgestellt – in den Arbeitsmarkt ein. Das bedeutet vor allem für die andere Hälfte derer mehr Unsicherheit, weniger Einkommen, mehr Arbeitslosigkeit. Der Vorschlag der Linken schadet den in der Zeitarbeit Beschäftigten, und deswegen machen wir so etwas auch nicht. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Fragen Sie mal die Beschäftigten! Die sehen das anders!) – Ich glaube nicht, dass die das anders sehen. Die Vollzeitarbeitsquote in der Zeitarbeit ist ja deutlich höher als beim Durchschnitt der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze. Das zeigt, dass hier durchaus Zufriedenheit da ist. Ich weiß nicht, ob die Wahl, keinen Job zu haben oder einen Job zu haben, der auch gut bezahlt und häufiger in Vollzeit ausgeübt wird als im Durchschnitt der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze, tatsächlich so schlecht ist. Sie sollten eher daran denken, dass den Menschen hier ein sicherer Arbeitsplatz durchaus etwas wert ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir schaffen hier gerade auch für Geringqualifizierte Chancen, auch dafür steht die Zeitarbeit. Wir wollen die unternehmerische Grundentscheidung darüber, ob die Wertschöpfung in den Unternehmen selbst durchgeführt oder auf Werk- und Dienstleistungsverträge zurückgegriffen wird – dies ist Teil der freien Unternehmensentscheidung –, im Grunde nicht verändern. Deswegen gibt es auch keinen Grund, die klassischen Werkverträge einzuschränken. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Stracke, lassen Sie eine Zwischenfrage zu? Stephan Stracke (CDU/CSU): Aber selbstverständlich, ja. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Frau Krellmann. Jutta Krellmann (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Stracke, das ist absolut souverän. Meine Frage ist: Ist Ihnen bekannt, dass nur 7 Prozent der Leiharbeitsbeschäftigten aus der Leiharbeit heraus ein Dauerarbeitsverhältnis erhalten? Stephan Stracke (CDU/CSU): Ja, liebe Frau Kollegin Krellmann, das ist mir sehr wohl bekannt. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Nur 7 Prozent!) Wir wissen allerdings auch, dass zwei Drittel derer, die in der Zeitarbeit beschäftigt sind, vorher arbeitslos waren, und jeder Zweite übt eine Helfertätigkeit aus. Das heißt, es ist sehr wohl eine Chance gerade für Geringqualifizierte oder Nichtqualifizierte, in den Arbeitsmarkt zu kommen. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: 7 Prozent!) Dass die Klebeeffekte im sogenannten Arbeitsmarkt, den Sie mit dem Normalarbeitsverhältnis beschreiben – was ich in Abrede stelle –, nicht so groß sind, Frau Krellmann, ist richtig. Aber es ist ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis, in dem ich als Zeitarbeiter stehe. Ich werde in keiner Weise diskriminiert, sondern habe hier die gleichen Rechte wie jeder andere in einem Arbeitsverhältnis auch. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das sind maximal 7 Prozent!) – Da brauchen Sie nicht den Kopf zu schütteln. Sie können gern eine Nachfrage stellen, dann können wir gern noch darüber diskutieren. Aber das zeigt: Die Zeitarbeit ist etwas, was eine Brücke in den Arbeitsmarkt darstellt und insbesondere Geringqualifizierten nutzt und nicht schadet. (Zuruf von der CDU/CSU: Ja, und da hat er recht!) – Ja, und das freut mich. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: 93 Prozent nicht!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stehen sicherlich vor Herausforderungen, zum einen, was den digitalen Wandel in der Arbeitswelt angeht, zum anderen aber auch, was die Integration von Hunderttausenden von Flüchtlingen, die in unser Land kommen, angeht. Wir wissen, dass diese Herausforderungen gewaltig sein werden. 90 Prozent derer, die zu uns kommen und erwerbsfähig sind, sind nicht unmittelbar in den Arbeitsmarkt integrierbar. Eine Berufsqualifikation ist bei über 80 Prozent nicht vorhanden. Die Analphabetenquote liegt bei über 20 Prozent, und Sprache und Schrift müssen auch neu erlernt werden. Das zeigt beispielhaft, vor welchen Herausforderungen wir hier stehen, was den Arbeitsmarkt angeht. Diesen Herausforderungen begegnen wir mit entsprechenden Maßnahmen. Das zeigt aber auch: Wenn Integration gelingen will, und zwar langfristig, brauchen wir auch eine Reduzierung bzw. Begrenzung der Flüchtlingszahlen, sonst wird dies in diesem Land nicht nachhaltig funktionieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren, unser Land steht derzeit gut da. Die Regierung und die Koalition sind ins Gelingen verliebt. Sie denken in Lösungen. Die Linken denken in Defiziten. Ich habe den Eindruck: Was wirklich prekär ist, ist nicht unsere Arbeitswelt, sondern sind die Vorschläge und Anträge der Linken. Herzliches Dankeschön. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Bernd Rützel von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Bernd Rützel (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen! Sehr geehrte Herren! Es kann doch niemand bestreiten, dass die Kernfunktion von Leiharbeit ist, Auftragsspitzen abzufedern, und Werkverträge nur dort sinnvoll sind, wo es um Spezialisierung über das Fachgebiet eines Betriebes hinaus geht. Für Befristungen von Arbeitsverhältnissen gibt es eine Reihe guter Sachgründe. Aber wenn das so wäre, dann würden wir uns heute über dieses Thema, und zwar zu Recht, nicht zum x-ten Mal unterhalten. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Manche Arbeitgeber – ich sage: nur manche; es gibt sehr vorbildliche Arbeitgeber – haben den Bogen überspannt. Man hat ihnen den Finger gegeben, und sie haben den Arm herausgerissen. Zu weit getrieben, verfehlt die Strenge ihres weisen Zwecks, und allzu straff gespannt, zerspringt der Bogen. Das ist nicht von mir, sondern von Friedrich Schiller. Er hat aber recht. (Beifall bei der SPD – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Es könnte aber auch von dir sein!) – Nein, das glaube ich nicht. – Wir haben heute schon viel über diesen enormen Anstieg der atypischen Beschäftigung gesprochen. Die Leiharbeit ist in den letzten zehn Jahren um das Zweieinhalbfache gestiegen. Leiharbeit, Werkverträge und Befristungen dürfen nicht zu Lohndumping und Tarifflucht führen. Leider ist das so. Deshalb reichen die geltenden Regelungen zum Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht mehr aus. Diese Wirtschaft tötet … Der Mensch an sich wird wie ein Konsumgut betrachtet, das man gebrauchen und dann wegwerfen kann. Auch diese Sätze stammen nicht von mir. Sie stammen von Papst Franziskus, der diese Sätze in seiner Enzyklika Evangelii Gaudium 2013 – das ist noch gar nicht lange her – ausgeführt hat. Weil der Papst recht hat und auch wir das wollen, werden wir die Leiharbeit und die Werkverträge wieder auf ihre Kernfunktion begrenzen. (Beifall bei der SPD – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Schön wär’s!) Zu dieser Kernfunktion gehört es nicht, dass man das Unternehmerrisiko auf die Beschäftigten abwälzt, so wie es heute gemacht wird: Wenn sich die wirtschaftliche Lage verschlechtert, dann müssen sie als Erste gehen. Ich will an dieser Stelle aber auch nicht verschweigen, dass sich manche Betriebsräte und manche Gewerkschafter mit Leiharbeit und mit Werkverträgen arrangiert haben. Manche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer lassen sich auf einen Leiharbeitsvertrag ein. Wir haben gehört, dass manche das sehr gerne machen. Ich sage: Die wenigsten tun das freiwillig. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: So ist es!) Die meisten tun es aus der Not heraus. Betriebe erkaufen sich damit Flexibilität – das ist nichts Schlimmes, das ist in Ordnung –, trotz deutlich höherer Monatskosten. Die Belegschaft weiß zwar, dass Leiharbeiter Konkurrenz für sie sind, aber sie sieht auch den großen Vorteil dieses Polsters von Leiharbeitern, die zuerst in den sauren Apfel beißen müssen, wenn sich im Betrieb etwas verändert. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das sehen sie nicht als Vorteil!) Die hohe Anzahl an Werkverträgen ist nichts anderes als verschleierte Leiharbeit. Es darf keine Leiharbeit unter dem Deckmantel der Werkarbeit geben. Deswegen werden wir ganz genau der Frage nachgehen, was ein Werkvertrag und was ein Scheinwerkvertrag ist. (Beifall bei der SPD – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann gehen Sie mal! – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bin gespannt, was das jetzt hergibt!) Lassen Sie mich noch einen Punkt anführen, weshalb diese Regulierung auch für die Unternehmen sehr wichtig ist, dass wir also Leiharbeit und Werkverträge wieder auf die Beine stellen. Betrachten wir die Deutsche Post und DHL. Durch den enormen Druck durch Dumpingkonkurrenz werden Betriebe wie die Deutsche Post und die DHL, die eigentlich gute Tarifbindung und ordentliche Arbeitsbedingungen haben oder hatten, zu „Strukturen“ gezwungen, die von Leiharbeit und Werkverträgen bestimmt sind. Dieser Entwicklung müssen wir entgegentreten. Eines möchte ich deutlich sagen: Nicht die Leiharbeit und die Werkverträge sind die Garanten für gute Betriebsergebnisse bei großen Playern – heute könnten wir auch sagen: bei großen Autobauern –, (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, engagierte Beschäftigte brauchen wir!) sondern Ehrlichkeit und Geradlinigkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dass die von uns geplanten Regelungen eingehalten werden, dafür brauchen wir starke Betriebsräte. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Die Betriebsräte brauchen eine bessere Rechtsstellung!) Ich freue mich, dass wir sehr bald einen Entwurf vorlegen werden, wodurch die Leiharbeit und die Werkverträge auf ihre ursprünglich gedachte Funktion zurückgeführt werden sollen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Peter Weiß für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Internationale Arbeitsorganisation hat unlängst einen Bericht vorgelegt, der in der Tat besorgniserregend ist. Danach haben weltweit immer weniger Menschen einen festen Job. Von den Menschen, die nach unserem Verständnis einer abhängigen Beschäftigung nachgehen, die also Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer sind, haben weltweit nur noch 42 Prozent einen unbefristeten Vertrag. Ich nenne das deswegen, weil man einfach einmal einen Vergleich zum deutschen Arbeitsmarkt wagen muss. Das Statistische Bundesamt hat bekannt gegeben, dass im Jahr 2014 die Zahl der sogenannten Normalarbeitsverhältnisse, also das, was wir uns als Ideal wünschen, auf 24,5 Millionen zugenommen hat und dass sich damit der Anteil der Beschäftigten im sogenannten Normalarbeitsverhältnis im Vergleich zu allen anderen Erwerbstätigen auf 68,3 Prozent entwickelt hat, gegenüber 67,5 Prozent im Vorjahr. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, weltweit geht es mit prekärer Beschäftigung nach oben. Bei uns in Deutschland geht es mit prekärer Beschäftigung nach unten. Das ist die gute Nachricht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Im Vergleich dazu die anderen Zahlen: Das, was unter prekärer Beschäftigung zusammengefasst wird, was nicht immer unbedingt prekär sein muss, also Personen in Minijobs, in befristeter Beschäftigung, Teilzeitarbeit bis 20 Stunden und Zeitarbeit oder Leiharbeit, wie immer Sie wollen, hat von 21,4 Prozent auf 20,9 Prozent abgenommen. Das Statistische Bundesamt stellt fest: Damit setzte sich der bereits 2012 beobachtete Rückgang der atypischen Beschäftigung fort. Die Bundesagentur für Arbeit hat erst kürzlich den bereits zitierten Rekordstand von 31,3 Millionen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen bekannt gegeben – Höchststand der Beschäftigung in Deutschland. Dabei ist auch wichtig: Die BA teilt uns mit, dass die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen proportional stärker gestiegen ist als die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse insgesamt. Die Behauptung der Opposition, prekäre Beschäftigung in Deutschland nehme zu, stimmt also nicht. Das Gegenteil ist der Fall. Das sollten wir heute einmal erfreut feststellen. (Beifall bei der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben nicht gesagt, dass sie zunimmt!) Damit jetzt hier nicht ein falscher Gegensatz aufgebaut wird: Selbstverständlich wollen auch die Koalitionsfraktionen, CDU/CSU und SPD, dass die Zahl der Normalarbeitsverhältnisse weiter ansteigt, dass möglichst viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Gelegenheit haben, in ein festes Arbeitsverhältnis mit ordentlicher Entlohnung zu kommen. Das ist unser Ziel, nicht das Gegenteil. Ich behaupte: Mit einer wachstumsorientierten und vernünftigen Politik wird die Große Koalition es schaffen, auf diesem erfolgreichen Weg zu mehr Normalarbeitsverhältnissen in Deutschland weiter voranzuschreiten – im Gegensatz zu dem, was leider in der Welt sonst los ist. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dann müssen aber die Löhne steigen! Mehr Wachstum alleine bringt nichts!) Bei der Zeit- oder Leiharbeit ist der Prozentsatz nach dem Höchststand 2011, als 2,9 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland Leih- oder Zeitarbeitsverhältnisse waren, wieder nach unten gegangen. Auch da sollte man keinen falschen Gegensatz aufbauen. Leih- bzw. Zeitarbeit ist ein Flexibilisierungsinstrument. Genauso sind Werkverträge in Deutschland traditionell üblich und auch notwendig. Auch die Gewerkschaften sehen das so. Aber der Punkt ist: Selbstverständlich wollen wir nicht, dass die Instrumente Leiharbeit, Zeitarbeit und Werkverträge für Dinge missbraucht werden, für die sie nicht vorgesehen sind. Das ist unser Ziel. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Da haben wir in den vergangenen Jahren nicht einfach nichts getan. Ich will einmal daran erinnern: Wir haben den Drehtüreffekt bei der Zeitarbeit gesetzlich unterbunden. Wir haben – mühsam genug – die Arbeitgeberverbände dazu gebracht, dass sie mitgemacht haben, für die Zeitarbeit eine gesetzlich verankerte eigene Mindestlohnregelung zu schaffen – im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz –, damit nicht möglicherweise irgendwelche Dumpinglöhne, wie sie im Ausland üblich sind, bei uns angewandt werden können. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann die Politik alleine! Da brauchen wir keine Branche!) Das ist ein großer Erfolg. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Mit 8,60 Euro! Klasse!) – Verehrte Frau Kollegin Krellmann, in der Tat: Dieser Mindestlohn in der Zeitarbeit liegt über dem gesetzlichen Mindestlohn. Auch das muss man hervorheben. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 10 Cent! – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist jetzt aber zynisch!) Er steigt nächstes Jahr noch einmal entsprechend an. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Auf 20 Cent!) Genauso haben wir uns – das war auch ein mühsamer Prozess – dafür eingesetzt, dass bei Zeitarbeit branchenbezogene Zuschläge möglich werden. Das, was in der Chemie- oder Metallindustrie vereinbart worden ist – das Gehalt des Zeitarbeiters wird nicht erst nach neun Monaten, sondern bereits vorher schrittweise angehoben –, ist ein wirklich gutes Modell, für das wir den Arbeitgebern und den Gewerkschaften Anerkennung zollen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Und was ist mit den anderen Branchen?) Wenn wir uns jetzt an eine Neuregelung machen, wie wir es im Koalitionsvertrag vereinbart haben, dann wollen wir dafür sorgen, dass solche tarifvertraglichen Möglichkeiten, durch branchenbezogene Zuschläge den Lohn eines Zeitarbeiters schon vor Ablauf von neun Monaten zu erhöhen, nicht kaputtgemacht werden, sondern wir wollen für solche Tarifverträge einen starken gesetzlichen Rahmen schaffen, damit auch in Zukunft Arbeitgeber und Gewerkschaften gemeinsam ihre Verantwortung für die Lohnfindung wahrnehmen können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Bei gleichem Geld für gleiche Arbeit wäre das gar nicht nötig! Mensch!) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, man kann auch über das Thema Befristung trefflich streiten und diskutieren. Ich erinnere nur an unsere Debatte vorhin über das Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Nirgendwo sind Befristungen schlimmer ausgestaltet als bei unserem wissenschaftlichen Nachwuchs. Wir, die Große Koalition, machen ein Gesetz, mit dem wir mit dieser ständigen Befristerei Schluss machen und endlich auch für den wissenschaftlichen Nachwuchs verlässliche Rahmenbedingungen schaffen. Wir handeln, und zwar konkret. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, na, na! Nicht so große Töne spucken!) Deswegen will ich zusammenfassen. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Weiß, dafür ist jetzt nicht mehr die Zeit. Sie müssen einen Punkt setzen. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Frau Präsidentin, ein letzter Satz. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die gute Entwicklung des deutschen Arbeitsmarkts schafft uns die Möglichkeit, das Normalarbeitsverhältnis zu stärken. Das ist und bleibt im Gegensatz zu dem, was die Opposition heute an grauen und schrecklichen Bildern gemalt hat, Ziel dieser Koalition. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/6362 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Leiharbeit und Werkverträge eingrenzen und umfassend regulieren“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5449, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4839 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a bis 31 c auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 28. März 2014 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksache 18/6449 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 1007/2011 und zur Ablösung des Textilkennzeichnungsgesetzes Drucksache 18/6488 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Änderung der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung zur Erhöhung der Sicherheit im Eisenbahnverkehr Drucksache 18/5406 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 32 a bis 32 i auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 32 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung vom 10. Dezember 2014 des Übereinkommens vom 27. Juni 1980 zur Gründung des Gemeinsamen Fonds für Rohstoffe Drucksache 18/6294 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Drucksache 18/6576 Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6576, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/6294 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 32 b: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Übersicht 6 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht Drucksache 18/6572 Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 32 c bis 32 i und damit zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 32 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 236 zu Petitionen Drucksache 18/6354 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 236 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 32 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 237 zu Petitionen Drucksache 18/6355 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 237 ist ebenfalls einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 32 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 238 zu Petitionen Drucksache 18/6356 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 238 ist mit den Stimmen der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 32 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 239 zu Petitionen Drucksache 18/6357 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 239 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 32 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 240 zu Petitionen Drucksache 18/6358 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 240 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke gegen die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 32 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 241 zu Petitionen Drucksache 18/6359 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 241 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 32 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 242 zu Petitionen Drucksache 18/6360 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 242 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 c auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2015 (Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2015) Drucksachen 18/6090, 18/6447 Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) Drucksachen 18/6580, 18/6581 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Ingbert Liebing, Artur Auernhammer, Norbert Barthle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Bernhard Daldrup, Johannes Kahrs, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Für gleichwertige Lebensverhältnisse – Kommunalfreundliche Politik des Bundes konsequent fortsetzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Britta Haßelmann, Christian Kühn (Tübingen), Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dauerhafte und strukturelle Entlastungen für Kommunen in Not Drucksachen 18/6062, 18/6069, 18/6582 c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Kassner, Susanna Karawanskij, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Kommunen von den Kosten für bauliche Maßnahmen an Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen befreien Drucksachen 18/3051, 18/6570 Zu dem Entwurf eines Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Sobald in der Unionsfraktion die notwendige Aufmerksamkeit hergestellt ist, kann ich auch die Debatte eröffnen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Norbert Brackmann für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Norbert Brackmann (CDU/CSU): Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der zweite Nachtragshaushalt 2015 ermöglicht den Ländern und Kommunen größere finanzielle Spielräume bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise. Damit kommen wir unserer Pflicht und auch unserer Verantwortung nach, die der Bund hier trägt, und zwar nicht aus juristischen, sondern aus moralischen Gründen. Wir entlasten zum einen die Länder in diesem Jahr mit einer Summe in Höhe von 2 Milliarden Euro. Diese Mittel gehen unmittelbar in die Landeshaushalte und stärken dort die Finanzkraft. Das Zweite ist, dass wir in diesem Jahr so gut gewirtschaftet haben, dass wir 5 Milliarden Euro bereits in eine Rücklage überführen können, damit wir auch im Jahr 2016 handlungsfähig sind und unseren Verpflichtungen gegenüber Ländern und Kommunen nachkommen können. Wir stellen sicher, dass damit die Haushaltsüberschüsse aus diesem Jahr auch im nächsten Jahr noch zur Verfügung stehen. Wir unterstützen darüber hinaus die Länder und Kommunen bei der Schaffung von Wohnraum und Unterkünften für Flüchtlinge. Mit dem Bundeshaushalt 2016 werden wir die Mittel für die Wohnraumförderung auf über 1 Milliarde Euro verdoppeln und die nächsten vier Jahre verstetigen. Das ist, glaube ich, ein deutliches Signal für mehr günstigen Wohnraum für unsere Bevölkerung. Diese Zusagen halten wir ein, ohne das Ziel der schwarzen Null aufgeben zu müssen. Jedenfalls für 2015 werden wir die schwarze Null noch einmal schaffen. Wir streben sie auch für 2016 an; denn wir wissen: Ohne den Willen und ohne die Pflicht zum Haushaltsausgleich werden wir auf die Dauer keine anderen Pflichten mehr erfüllen können. Das ist aber nur der eine Teil. Die Bewältigung der Flüchtlingskrise ist eine gesamtstaatliche Aufgabe, und deshalb müssen wir die Länder gleichermaßen in die Verantwortung nehmen. Dass die Länder ihrer Verantwortung nachkommen, stelle ich aber bisher nur sehr bedingt fest. So zeigen Länder und Kommunen zum Beispiel bei der Frage, wer die Kosten trägt, immer zuallererst auf den Bund. Gerade heute hören wir wieder eine solche Forderung von dem schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten, der mit dem Finger gezielt auf den Bund zeigt. Bei solchen Einlassungen weise ich gerne darauf hin, dass wir Länder und Kommunen bei der Unterbringung der Flüchtlinge in vielfältiger Form bereits heute unterstützen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Johannes Kahrs [SPD]) Bis zum heutigen Tag hat alleine der Bund in seinen Liegenschaften über die BImA 115 000 Unterbringungsplätze zur Verfügung gestellt. Er wird sie in großen Teilen in der nächsten Zeit auch betreiben. Da ist der Bund selbst aktiv, und dafür muss er einmal deutlich gelobt werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Gleichzeitig unterstützt der Bund die Länder mit einer Pauschale von 670 Euro pro Flüchtling im Monat. Diese Pauschale ist auf der Grundlage der Vollkostenrechnung im Jahr 2014 errechnet worden. Dadurch, dass wir von diesen Vollkosten einen großen Teil jetzt selbst übernehmen, indem wir eigene Liegenschaften zur Verfügung stellen und mit Bundesmitteln herrichten, ist das ein gutes Geschäft für die Länder; auch darauf will ich einmal hinweisen. Ich erwarte allerdings gleichzeitig, dass die Länder ihrerseits den Kommunen von diesem Geld etwas abgeben; denn es kann nicht sein, dass die Länder sich, zum Teil jedenfalls, bereichern und die Kommunen, die die Arbeit und den Ärger vor Ort haben und die das ehrenamtliche Engagement zur Verfügung stellen, von diesen Mitteln des Bundes unter dem Strich nichts bekommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich will aber noch auf einen anderen Aspekt hinweisen; denn insgesamt haben wir schon eine größere Krise zu bewältigen. Diese werden wir nur dann erfolgreich hinter uns bringen können, wenn Bund, Länder und Kommunen ihre Kräfte bündeln und gemeinsam vertrauensvoll zusammenarbeiten. Da hat man doch manchmal Zweifel. Wir befinden uns hier in Berlin. Die Situation hier ist so, dass uns der Berliner Senat gerade in diesen Tagen den Verkauf eines Grundstückes besonders erschwert: Ich meine das Dragoner-Areal, um das sehr gekämpft wurde. Wir haben wüste Beschimpfungen des Berliner Finanzsenators hinnehmen müssen. Der Berliner Senat war nur bereit, 15 Millionen Euro zu bezahlen. Der Bund hätte beim Verkauf an einen privaten Investor einen Preis von 37 Millionen Euro erzielen können. Im Finanzausschuss des Bundesrates ist das Ganze hintertrieben worden. Der Bundesrat ist gefolgt, weil es doch nicht sein könne, dass der Bund zulasten eines Landes meistbietend verkaufe. Der Bundesregierung ist vorgeworfen worden, Hedgefonds begünstigen zu wollen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, man muss sich auch mit dem eigenen Tun in Verhältnis zu dem setzen lassen, was man nach außen vertritt. Gerade vor wenigen Tagen sind verschiedene Exposés der BIM, einem 100-prozentigen Tochterunternehmen des Landes Berlin, bekannt geworden, in denen der Berliner Senat zum Teil nur 200 Meter vom Dragoner-Areal entfernt Grundstücke zum Verkauf anbietet. Zum Beispiel in Bezug auf „Dorfstraße 35, 36, Hausvaterweg 19“ heißt es – ich darf vorlesen –: Die BIM Berliner Immobilienmanagement GmbH weist vorsorglich darauf hin, dass bis zum Vertragsabschluss eingehende höhere Angebote berücksichtigt werden müssen. Wir sind gehalten, stets an den Höchstbietenden zu veräußern. So kann man nicht miteinander umgehen. Das ist schon doppelzüngig. (Beifall bei der CDU/CSU – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer regiert denn in Berlin? Sagen Sie es mal Ihren Parteifreunden in Berlin! – Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Parteien regieren denn in Berlin? – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Sagen Sie das mal Ihren Parteifreunden!) – Na, der Finanzsenator gehört nun nicht zu unserer Partei. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) Mit ihm habe ich auch bei Podiumsdiskussionen zusammengesessen. Er hat uns vorgeworfen, Mieter zu vergraulen. Aber was macht der Berliner Senat? Er bietet in diesem Exposé auch noch an: Ein Teil der Verträge kann jährlich, ein anderer Teil kann mit einer Zwei- bzw. Drei-Monats-Frist gekündigt werden. Damit macht sich der Senat auch noch selbst zum Handlanger von Hedgefonds, indem er noch ein deutliches Stück weiter geht, als wir es machen. So kann man nicht miteinander umgehen, und das werden wir auch berücksichtigen, wenn wir aus sozialen Gründen darüber entscheiden, wie wir das große Grundstückspaket, das der Berliner Senat mit der Bundesregierung gerade verhandelt, im Ausschuss zu bewerten haben. In diesem Sinne, glaube ich, ist der Nachtragshaushalt eine gute Grundlage für die Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen. Alle, die sich nicht daran halten, werden wir an ihr eigenes Tun erinnern. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an die SPD gewandt: Jetzt klatscht ihr auch noch!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Roland Claus für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Roland Claus (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! So viel Selbstkritik wie eben habe ich von der Christlich Demokratischen Union lange nicht gehört. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Swen Schulz (Spandau) [SPD]) Bekanntlich gehört die CDU ja dem hier vielkritisierten Senat Berlins an. Der Nachtragshaushalt ist in der Regel eher eine Angelegenheit für wenige im Parlament damit befasste Abgeordnete. In der Regel geht es um ein paar Ausgabenerhöhungen auf der einen Seite, um ein paar Deckungsvorschläge bei den Einnahmen auf der anderen Seite. Aber hier, stellen wir fest, sind wir natürlich nicht in normalen Zeiten. Dieser Nachtragshaushalt steht vor einer enormen Herausforderung von gesellschaftspolitischer Dimension. Leider – das müssen wir Ihnen sagen – ist dieser Nachtragshaushalt an diesen Herausforderungen komplett gescheitert. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Nachtragshaushalt wird vor allem mit enorm gestiegenen Flüchtlingszahlen begründet, und das Wort von der Flüchtlingskrise geht um. Ich meine, dieses Wort ist falsch. (Beifall bei der LINKEN) Vor der Kritik an der Bundesregierung will ich jedoch etwas anderes tun, weil in diesem Nachtragshaushalt etliche Mittel als Zuweisungen an Kommunen zur Flüchtlingsunterstützung stehen. Da finde ich es mehr als angebracht, Dank an ungezählte ehrenamtliche und hauptamtliche Helferinnen und Helfer auszusprechen, die in diesen Situationen Tag für Tag wirklich Hervorragendes leisten. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das Wort „Flüchtlingskrise“ ist meines Erachtens deshalb falsch, weil die Schutzsuchenden, die zu uns kommen, uns nur die Krise unseres hiesigen gesellschaftlichen Systems, ja, auch die Krise der herrschenden europäischen Politik vor Augen führen, meine Damen und Herren. Den Unterschied machen wir. (Beifall bei der LINKEN) Hatten wir denn vor der Ankunft der Geflüchteten ein gutes Bildungssystem mit genügend Lehrerinnen und Lehrern? Nein. Hatten wir genügend bezahlbare Wohnungen in den großen Städten? Nein. Waren wir auf dem Weg zu mehr sozialer Gerechtigkeit? Nein. Erst in diesen Tagen veröffentlichte das Statistische Bundesamt die Bilanz für 2014 und stellt darin fest: Mehr als jeder fünfte Mensch in Deutschland ist von Armut bedroht; Tendenz leider steigend. – Eine offenbar gut unterrichtete Zeitung titelte vor einigen Tagen mit Blick auf die Haushaltssituation des Bundes „Das letzte goldene Jahr“, weil ab 2016 mit einem Einnahmerückgang zu rechnen ist. Heute wird der Bundesfinanzminister noch die Ergebnisse der Steuerschätzung kundtun, wozu das Bundesfinanzministerium gestern im Haushaltsausschuss noch nicht bereit oder in der Lage war. Ich gestatte mir, an dieser Stelle festzustellen: Nur die Linke thematisiert die Einnahmeseite des Bundes. Nur die Linke macht hier Vorschläge, wie wir wirklich zu mehr Einnahmen für den Bund für eine sozial gerechte Politik kommen können. Das werden wir fortsetzen. (Beifall bei der LINKEN) Gemeint sind damit natürlich nicht Mehrwert- oder Lohnsteuererhöhungen, sondern eine gerechte Besteuerung von Superreichen und eine Besteuerung von internationalen Spekulationsgeschäften. (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]) Meine Fraktion hält vor diesem Hintergrund diesen Nachtragshaushalt für kleingeistig, halbherzig und – ja, das muss man Ihnen auch sagen – zum Teil auch starrsinnig. Vor aller humanitären Hilfe soll die sogenannte schwarze Null bestehen bleiben. Aus meiner Fraktion wurden Ihnen Alternativen vorgeschlagen. Wir haben vorgeschlagen, ein staatliches Konjunkturprogramm zur gesellschaftlichen Integration der Hiesigen und der Ankommenden aufzulegen. Wir werden das für 2016 wieder vorschlagen; aber wir hätten ja jetzt schon einmal anfangen können: mit mehr sozialem Wohnungsbau – man muss natürlich jetzt auch mit dem staatlich geförderten Abriss aufhören –, mit der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern, von Erzieherinnen und Erziehern, mit einem Breitbandausbau auf einer völlig neuen Stufe. Kollege Brackmann hat ja angesprochen, dass der Bund eine Rücklage bilde, weil er gut gewirtschaftet habe. Dabei hat der Bund Mobilfunkfrequenzen für 4,5 Milliarden Euro versteigert, verkauft und entgegen dem Versprechen, den Großteil dieser Erlöse in den Breitbandausbau zu stecken, genau daraus diese Rücklage gebildet. Das ist nicht hinzunehmen. (Beifall bei der LINKEN) Wir wollen natürlich auch, dass Menschen, die zu uns kommen, möglichst zügig in Arbeit und Ausbildung integriert werden können und dass deren Qualifizierungen auch anerkannt werden. Wir haben deshalb gestern im Haushaltsausschuss auch höhere Zuweisungen an Landkreise und Kommunen beantragt. Das wurde bekanntlich abgelehnt. Ganz neu im Nachtragshaushalt ist: mehr Geld für die UNHCR-Organisation, also die internationale Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen – bei Zustimmung aller Fraktionen im Haushaltsausschuss. Obwohl wir alle dem zugestimmt haben, kam es uns doch ein bisschen so vor wie ein Ablasshandel: ein zugegeben beträchtlicher Batzen Geld gegen sehr viel schlechtes Gewissen. Wir haben ja bei der ersten Lesung dieses Etats darauf hingewiesen, dass es uns darum gehen muss, auch Fluchtursachen zu bekämpfen. Es ist doch nun Fakt, dass genau in diesen Tagen, wo wir hier über diesen Etat sprechen, mit deutschen Waffen im Jemen Krieg geführt wird und damit die nächsten Flüchtlingsbewegungen in Gang gesetzt werden. Damit muss Schluss sein, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Claus, achten Sie bitte auf die Zeit. Roland Claus (DIE LINKE): Meine Damen und Herren, im Nachtragshaushalt stehen einige Vorhaben, die wir durchaus unterstützen. Aber insgesamt ist dieser Nachtragshaushalt eine Fortsetzung von Staatsversagen; und dafür stehen wir nicht zur Verfügung. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Johannes Kahrs für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Johannes Kahrs (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe dem Kollegen Claus aufmerksam zugehört: Vom Staatsversagen hatte er relativ viel Ahnung, von der Sache in diesem Fall allerdings nicht. Wenn man sich den Nachtragshaushalt, den wir hier vorlegen, anschaut, dann kann man feststellen, dass es diese Große Koalition auf eine anständige Art und Weise schafft, den Haushalt vernünftig zu gestalten. Das liegt zum einen daran, dass wir in den letzten Jahren gut gewirtschaftet haben. Ich betone es an dieser Stelle immer wieder – das ist der SPD-Werbeblock –: Es war die rot-grüne Koalition unter Gerhard Schröder, die damals mit der Agenda 2010 die Grundlagen dafür gelegt hat, dass es bei uns in diesem Staat vernünftig und wirtschaftlich gut läuft. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Grundlage für Armut! Nix gut! – Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gute Regierung!) Gleichzeitig haben wir – das haben wir in den letzten Jahren gezeigt – unsere Hausaufgaben gemacht, weswegen wir besser dastehen als viele unserer Nachbarländer. Auf der anderen Seite tun wir aber auch viel, um die jetzige Krise zu bewältigen. Wir helfen also konkret, im Großen wie im Kleinen. Wir stocken die Soforthilfe für Länder und Kommunen in 2015 auf 2 Milliarden Euro auf. Es werden Rücklagen gebildet, und zwar mindestens 5 Milliarden Euro, mit denen wir im nächsten Jahr helfen können, die anstehenden Belastungen zu bewältigen. Wir werden aber auch dem THW – das muss man erwähnen – 20 Millionen Euro für seinen Einsatz im Bereich der Flüchtlingshilfe zukommen lassen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Außerdem werden wir beim Bundeskriminalamt und beim BAMF helfen. Das heißt, sowohl im Großen wie im Kleinen werden wir zielgerichtet helfen. An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal ganz herzlich beim Kollegen Rehberg und der CDU/CSU-Fraktion bedanken. Die Zusammenarbeit auf der Arbeitsebene im Haushaltsausschuss ist wunderbar. Da der Kollege Spahn auch da ist und aufmerksam zuhört: Vielen Dank für die gute Zusammenarbeit mit dem Finanzministerium! Dieser Nachtragshaushalt zeigt, dass wir kurzfristig reagieren können, dass wir keine neuen Schulden machen müssen, dass wir denjenigen helfen, die helfen, dass wir da unterstützen, wo es notwendig ist. Wenn man den Kollegen Claus hört, könnte man glauben, die Republik gehe unter. Im Kern haben wir große Probleme; das ist richtig. Und wir hätten diese Flüchtlingsproblematik nicht bewältigt, wenn wir nicht so viele Ehrenamtliche gehabt hätten, die eingesprungen sind, als die staatlichen Stellen, um es freundlich zu sagen, noch nicht ganz so weit waren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn es das nicht gegeben hätte, wenn in den Kommunen nicht ganz viele über sich selbst hinausgewachsen wären und wenn nicht die Mitarbeiter der Kommunal- und Landesverwaltungen, die mit diesem Thema beschäftigt sind, rund um die Uhr gearbeitet hätten – (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Sehr richtig!) sie haben vieles rausgerissen, was aufgrund mangelnder Planung in Grundsatzfragen schiefgegangen ist –, dann hätten wir das auch nicht hinbekommen. (Martin Gerster [SPD]: Sehr richtig!) Deswegen sagen wir: Wir wollen helfen, aber eben nicht nur im Großen, sondern auch im Kleinen. Deswegen muss man immer wieder darauf hinweisen: Es ist ganz wichtig, dass wir dem THW – große Leistung – und der Bundespolizei – das sind diejenigen, die ganz vorne stehen, immer wieder gerufen werden und helfen – helfen und für die etwas tun. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das, was wir tun, finanzieren wir aber auch anständig. Deswegen ist das gegenfinanziert und ohne neue Schulden zu machen. Ich finde, auch das kann man einmal betonen. Es gibt ja viele in diesem Land, die durch die Gegend rennen und Unsinn erzählen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, einer steht gerade am Redepult!) Da wird zum Beispiel erzählt, wir müssten in Deutschland einen Flüchtlingssoli einführen. Das halte ich ernsthafterweise für groben Unfug. Es gibt andere, die fordern, wir bräuchten einen niedrigeren Mindestlohn für Flüchtlinge. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist Quatsch!) Das heißt, die kriegen für die gleiche Arbeit nur die Hälfte. Das heißt aber im Umkehrschluss: Kaum ein Deutscher wird noch einen Mindestlohnjob kriegen, weil man ja Flüchtlinge dafür hat. Gleichzeitig wollen einige die Steuern erhöhen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Gute Idee! Für die oberen Einkommen!) All das kann man diskutieren, aber das bringt natürlich auch eine Art Brandfackel in die Diskussion. Das führt am Ende dazu, dass die AfD und andere Profiteure dieser Krise richtig nach oben befördert werden. Nur wer ein Konjunkturprogramm für die AfD möchte – bei der Linken soll man erst einmal nachdenken, bevor man rumplappert –, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Unverschämtheit!) kann das fordern. Wir wollen das nicht. Wir sind bekannt dafür, dass wir das Notwendige tun, aber eben auch keine neuen Schulden machen, solange es irgend geht. Im Moment geht es, weil wir vorher selber gut gearbeitet haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ihr fallt doch auf die Füße vor der schwarzen Null!) Jetzt ist es wichtig, dafür zu sorgen, dass die Hilfen ankommen. Wir sind der Meinung, dass wir den Ländern stark helfen. Wichtig ist aber auch, dass das Geld, das wir ausgeben, von den Ländern für die Zwecke ausgegeben wird, für die wir es vorgesehen haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das gucken wir uns genau an; da muss man auch genau schauen, dass es läuft. Ich möchte mich am Schluss bei all denjenigen bedanken, die so viel gute Arbeit gemacht haben, die vor Ort helfen: die Freiwilligen, die Bundespolizei, das THW, die Feuerwehren, alle, die dabei sind, auch die Bundeswehr, die jetzt entsprechend stark dabei ist. Ganz herzlichen Dank! Unsere Unterstützung haben Sie. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Anja Hajduk für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Claus, wir sollten bei Geld, das für die UN bestimmt ist, nicht von Ablasshandel reden. Ich halte das für unangemessen. Es ist kein guter Hinweis für die Zukunft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Ich muss auch noch einen weiteren Aspekt erwähnen: Diesen Nachtragshaushalt vor dem Hintergrund dessen, was im Moment von den staatlichen Institutionen und den vielen Ehrenamtlichen, die zu Recht genannt wurden, geleistet wird, mit Staatsversagen zu etikettieren, nützt niemandem. Das ist falsch, und auch keine treffende Kritik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Und „Flüchtlingskrise“, das ist genauso falsch!) Aber jetzt zum Nachtragshaushalt, den wir beschließen sollen. Wir Grüne gestehen zu: Es ist wichtig, dass die Einigungen aus dem Asylkompromiss umgesetzt werden. Beispielhaft greife ich die Entlastung der kommunalen Ebene heraus. Das ist richtig und wichtig. Sieht man sich aber einmal die Agenturmeldungen von heute an, dann findet man, dass dort bestätigt wird, dass die im September geschätzte Zahl von 800 000 Flüchtlingen faktisch heute erreicht ist. Wir wissen also heute, dass durch die Beschlüsse von Ende September die kommunale Ebene, die am meisten mit der Umsetzung zu tun hat, finanziell nicht ausreichend ausgestattet ist. Deswegen muss man diesen Nachtragshaushalt kritisieren. Deswegen haben wir Verbesserungsvorschläge vorgelegt. Wenn man jetzt von mindestens 1 Million Flüchtlingen spricht, dann wäre es folgerichtig, den Kommunen eine halbe Milliarde Euro mehr zur Verfügung zu stellen. Ich verstehe nicht, warum Sie so stur an den Zahlen festhalten, statt jetzt nachzubessern. Das macht doch keinen Sinn. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir werden das Haushaltsjahr 2015 mit einem Plus abschließen. Heute Nachmittag bekommen wir die Steuerschätzungen für 2015 und 2016. Im Ergebnis wird das für 2015 zu erwartende Polster wahrscheinlich eher noch etwas größer. Es wird eher über als unter 5 Milliarden Euro liegen. Setzen wir doch dieses Geld ein und geben den Kommunen Sicherheit und Klarheit, dass sie die Mittel für Unterkünfte und die Bereitstellung der notwendigen Arbeit bekommen. Dies hätten Sie jetzt wirklich korrigieren müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte noch etwas zu dem Thema „Zusammenarbeit und Vertrauen der staatlichen Ebenen“ sagen. Ich finde es richtig, dass Sie mit Ihrem Antrag die Länder verpflichten wollen, genau zu berichten, wo die Gelder ankommen, die der Bund in der Tat, Herr Brackmann, zusätzlich zur Verfügung stellt. In diesem Zusammenhang haben wir allerdings auch die Verpflichtung, das Vertrauen der staatlichen Ebenen ineinander und miteinander zu stärken. Hier muss ich Ihnen sagen: Es ist mehr als überfällig, dass es perspektivisch eine Lösung für Bund-Länder-Finanzbeziehungen gibt. Es holt uns schon jetzt spürbar ein, dass die Länder nervös werden – auch vor dem Hintergrund der großen Integrationsaufgabe –, ob sie auf mittlere Frist die Schuldenbremse überhaupt einhalten können. Es wird uns bei der Lösung einer langfristigen Aufgabe nicht helfen – das ist die Bewältigung der Integration –, darüber nachzudenken, ob unsere Finanzverfassung gelockert werden müsse. Wenn man sich eine solche Diskussion nicht ins Haus holen möchte, dann muss man Vertrauen geben, indem der Bund und die Länder gemeinsam zu einer verlässlichen Vereinbarung hinsichtlich der Bund-Länder-Finanzbeziehungen kommen. Diese Lösung hat die Große Koalition bisher nicht zustande gebracht. Sie scheitern daran, der Bundesfinanzminister vorneweg mit den Bundesländern. Das können wir uns heute eigentlich gar nicht leisten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich komme ganz konkret zum Nachtragshaushalt zurück. Integration müssen wir jetzt zügig und entschlossen angehen. Wir sind uns, glaube ich, darüber einig, dass der Erwerb der deutschen Sprache einer der zentralen Faktoren für gute Integration ist. Deswegen können wir eines nicht verstehen: Warum packen Sie eigentlich nicht auch die Integrationsmittel in den Nachtragshaushalt und steigern sie in dem Maße, wie wir es jetzt brauchen? Es macht doch keinen Sinn, Integrationsmittel für die Bereiche Spracherwerb und Migrationsberatung erst wirksam zum 1. Januar 2016 zu erhöhen. Es ist doch jetzt nicht die Zeit, zwei Monate einfach so verstreichen zu lassen, ohne entsprechende Änderungen vorzunehmen. Ich sage Ihnen das aus einer ganz bestimmten Sorge. Ich habe nämlich die Sorge, dass wir jetzt im Bereich der Integration schon wieder notwendige Maßnahmen zeitlich verschleppen. Wir haben doch in diesem Jahr zur Kenntnis nehmen müssen, dass die mangelnde Vorbereitung auf die Flüchtlingsbewegung dazu geführt hat, dass zum Beispiel auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge heute nicht die Personalstärke hat, die es gebraucht hätte. Ich befürchte, dass wir im Bereich der Integration, bei der Besetzung der Stellen für Sprachlehrer, dasselbe Problem kriegen. Herr Minister de Maizière sollte Ende des Jahres 2015 nicht noch einmal denselben Fehler machen. Wir müssen die Integrationsmittel und auch die Mittel für die Migrationsberatung ab jetzt steigern. Bessern Sie nach! Einen qualitativ guten, angemessenen Nachtragshaushalt haben insbesondere die Ehrenamtlichen verdient, die hier auch von den Vertretern der Opposition zu Recht gelobt werden. Wir sind noch nicht da, wo wir hinmüssen. Deswegen: Gehen Sie bitte in sich, und lassen Sie uns spätestens nächste Woche im Haushaltsausschuss dafür sorgen, dass mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden. Schönen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Alois Rainer hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Alois Rainer (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Zweiten Nachtragshaushaltsgesetz schaffen wir die haushaltsmäßigen Voraussetzungen für die Umsetzung der Beschlüsse der Bundesregierung und der Länder zur Asyl- und Flüchtlingspolitik. Die damit verbundenen finanziellen Auswirkungen auf die Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen – das wissen wir – sind in den letzten Monaten zu einer enormen Belastung geworden. Der vorliegende Entwurf eines Nachtragshaushaltes sieht vor, dass die Länder im Jahr 2015 um weitere 1 Milliarde Euro, also nunmehr um 2 Milliarden Euro entlastet werden; im Jahr 2016 ist eine Entlastung um rund 5 Milliarden Euro vorgesehen. Damit nutzen wir die finanziellen Möglichkeiten in diesem Jahr, um die Länder und Kommunen, wie vereinbart, bei der Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen umfassend zu unterstützen. Auch bleibt es mit dem zweiten Nachtragshaushalt – das ist sehr wichtig – bei einem ausgeglichenen Bundeshaushalt ohne neue Schulden. Für die Herausforderungen in den kommenden Jahren wird eine Rücklage in Höhe von 5 Milliarden Euro gebildet. Ferner wird sichergestellt, dass mögliche Überschüsse zum Abschluss des jeweiligen Haushaltsjahres ebenfalls in diese Rücklage fließen. Darüber hinaus schaffen wir mit diesem Nachtragshaushalt auch die Voraussetzungen dafür, dass die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben den Ländern und Kommunen die nötigen Kosten zur Renovierung von Flüchtlingsunterkünften auf mietzinsfrei überlassenen Liegenschaften erstatten kann. Zudem verdoppelt der Bund mit dem Bundeshaushalt 2016 die Mittel für die Wohnraumförderung. Das heißt, dass in den kommenden vier Jahren jährlich rund 1 Milliarde Euro für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung stehen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch wenn das Programm vor dem Hintergrund der aktuellen Flüchtlingssituation auf den Weg gebracht wird, ist es unser Ziel, dass mehr bezahlbarer Wohnraum für alle sozial schwachen Menschen und Familien in unserem Land entsteht. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Mit den vorgenannten Maßnahmen setzt der Bund seinen eingeschlagenen Weg der Entlastung der Länder und Kommunen stetig fort. Ab 2016 wird sich der Bund strukturell, dauerhaft und dynamisch an der Finanzierung der gesamtstaatlichen Aufgaben der Asyl- und Flüchtlingspolitik beteiligen. Meine Damen und Herren, der Präsident des Bundesrechnungshofes hat im Januar dieses Jahres in seinem Bericht zu den Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern kritisch angemerkt, dass Prüfungs- und Kontrollrechte des Bundes gegenüber den Ländern fehlen. Deshalb kann der Bund bei der Gewährung von Finanzhilfen im Ergebnis nicht prüfen, ob die Mittel zweckgerichtet oder zweckentfremdet verwendet wurden. Ich appelliere daher eindringlich an die Länder, die Mittel vereinbarungsgemäß einzusetzen. Es wäre ein falsches Signal und zugleich ein Affront gegenüber den vielen helfenden Bürgerinnen und Bürgern, die in dieser schwierigen Situation mit anpacken. Die Mittel müssen schlichtweg dort ankommen, wo sie am dringendsten benötigt werden. Eine Zweckentfremdung in Form von Schuldentilgung oder Haushaltskonsolidierung darf es mit diesen zusätzlichen Mitteln nicht geben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich halte es daher auch für erforderlich, dass die Länder verpflichtet werden, nach dem Ende eines Haushaltsjahres über die vom Bund erhaltenen Mittel einen Bericht abzugeben. Ich bin mir sicher, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass wir die vor uns liegende Aufgabe, die eine der größten in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist, bewältigen werden. Wir haben in Deutschland und gerade in Bayern in den vergangenen Monaten eine enorme Hilfsbereitschaft erlebt. Ich möchte mich heute stellvertretend bei den Verantwortlichen und den Menschen – ich bitte um Verständnis – in meiner Heimat in Bayern, besonders in Niederbayern, ganz herzlich bedanken, die in diesen Tagen und Wochen herausragende Leistungen erbringen. Aber, meine Damen und Herren, auch unsere Kapazitäten sind begrenzt. Wir müssen daher dringend für eine Begrenzung des Zustroms sorgen. Die von uns zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel sind ein wichtiger Schritt. Viel wichtiger wird jedoch die Integration der Flüchtlinge in unsere Gesellschaft sein. Deshalb ist es nach meiner Auffassung besonders wichtig, dass wir die bestehenden Gesetze adäquat und mit aller Entschlossenheit anwenden und umsetzen. Wir müssen vorrangig den Menschen helfen, die bei uns einen Asylanspruch haben. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Bettina Hagedorn für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bettina Hagedorn (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir beraten heute den zweiten Nachtragshaushalt; ich betone: den zweiten. Ich betone das deshalb, weil schon vielfach die Rede von all den Ehrenamtlichen und Hilfskräften war, denen wir dankbar sind und sehr viel Respekt entgegenbringen dafür, wie sie auf die große Herausforderung durch die Flüchtlinge in unserem Land reagieren, und weil wir als Abgeordnete natürlich auch wissen, dass diese Menschen zu Recht von uns fordern, dass wir sie in dieser Situation nicht im Regen stehen lassen und als Staat ihnen das Maß an Sicherheit und Unterstützung gewähren, das sie in dieser Situation dringend brauchen. Das tun wir mit diesem zweiten Nachtragshaushalt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich betone das auch deshalb, weil es eben schon einen ersten Nachtragshaushalt gegeben hat; dieser wurde im Mai dieses Jahres beschlossen. All den Menschen, für die Haushaltspolitik nicht so wie für uns Haushälter, die hier überwiegend sitzen, das tägliche Brot ist, sage ich: Durch einen Nachtragshaushalt erhöht man die Einnahmen und die Ausgaben. Das sind, wenn ich beide Nachtragshaushalte zusammenzähle, in diesem Jahr bisher schon – man höre und staune – über 20 Milliarden Euro. Das ist wirklich eine gewaltige Summe. Ich betone das deshalb, weil viele Menschen, auch bei mir im Wahlkreis, fragen: Wo kommt denn bloß das ganze Geld her für das, was ihr auf den Gipfeln ständig beschließt? Wie soll das eigentlich gehen? Müssen wir uns jetzt verschulden, oder müssen wir möglicherweise die Steuern anheben? Mit den beiden Nachtragshaushalten können wir öffentlich belegen: Nein, Letzteres wird, jedenfalls in absehbarer Zeit, nicht nötig sein, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: In absehbarer Zeit!) nicht, solange die konjunkturelle Lage so ist, wie sie ist. Die Konjunktur brummt nämlich, und unsere Einnahmeseite ist sehr gut. Wir haben hier Mehreinnahmen in genau dem Umfang, den ich gerade beschrieben habe. Ich schlüssele das einmal auf: In beiden Nachtragshaushalten zusammen sind Steuermehreinnahmen für den Bund in Höhe von 4,64 Milliarden Euro und geringere Ausgaben für Zinsen von 2,6 Milliarden Euro enthalten. Wenn ich dann noch berücksichtige, dass wir in diesem Jahr aus Frequenzversteigerungen Erlöse in Höhe von fast 5 Milliarden Euro erzielt haben, von denen knapp 4 Milliarden Euro in diesem Haushalt enthalten sind, komme ich auf deutlich über 10 Milliarden Euro Mehreinnahmen. Das ist schon eine gewaltige Summe. Damit will ich zum Ausdruck bringen, dass wir, ohne überheblich zu sein, sagen können: Ja, wir können uns das leisten. Wir haben aktuell eine große Herausforderung zu bewältigen, aber – und darauf sollten wir gemeinsam stolz sein – wir können uns das leisten. Wir sind ein großes, starkes Land, das für diese Situation gewappnet ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Weil viele sagen: „Ach, guck mal, jetzt kommt das ganze Geld, und das gebt ihr alles für die Flüchtlinge aus“, ist es mir ganz wichtig, zu unterstreichen, dass in den beiden Nachtragshaushalten neben all dem, was hier schon genannt worden ist, dass neben all den Mitteln, die wir für das, was auf den Flüchtlingsgipfeln vereinbart worden ist, bereitstellen – auch für die Länder und Kommunen –, auch enorme Beträge enthalten sind, die allen Menschen in diesem Land zugutekommen. Erst im Mai haben wir beschlossen, fast 5 Milliarden Euro für Investitionen in Infrastruktur zusätzlich auszugeben, für Straßen, für Schienen, für Brücken, für Wasserwege, für den Breitbandausbau, also für Bereiche, in denen die Menschen von uns Politikern etwas erwarten. Ja, auch dafür stellen wir zusätzliche Mittel bereit. In diesem Nachtragshaushalt geht es auch um eine Erhöhung des Kindergeldes und um Mittel, die über die Jobcenter den Menschen zugutekommen. Es geht auch darum – das ist ja zumeist in Sonntagsreden zu hören –, die Fluchtursachen zu bekämpfen. In der Summe werden wir dafür allein im Haushalt des Auswärtigen Amtes 475 Millionen Euro bereitstellen. Damit werden wir UNHCR, UNICEF und andere Welthilfsorganisationen bei ihrem Einsatz in den Flüchtlingslagern in Libyen, Syrien und Jordanien unterstützen. Es ist gut und richtig, dass wir das gemeinsam hinkriegen. Allen, die daran mitwirken, vielen Dank für die Unterstützung. Danke. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Christian Haase hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Christian Haase (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute ja auch über Anträge, in denen es um die Kommunen geht. Städte, Gemeinden und Kreise sind für Bürgerinnen und Bürger unseres Landes die Orte, die ihre Lebensqualität bestimmen. Kommunen sorgen für gute Schulen, intakte Straßen, Kindertagesstätten, Mobilität und Nahversorgung. Sie tragen zur sozialen Sicherheit und zu sozialem Frieden bei. Sie sorgen durch Initiativen beim Umbau der Energiewelt, der Abfall- und Abwasserversorgung oder dem Ausbau der digitalen Infrastruktur für die Zukunftsfähigkeit unserer Regionen. Meine Damen und Herren, Kommunen werden zu Recht als Keimzelle der Demokratie bezeichnet. Ehrenamtliches Engagement findet auf der lokalen Ebene statt. Und Tausende Haupt- und Ehrenamtliche engagieren sich in den Gremien für ihre Stadt. Doch wir spüren, dass die Motivation, sich für ein kommunales Amt zur Verfügung zu stellen, schwindet. Mangelnde finanzielle Spielräume und immer stärker einengende rechtliche Rahmenbedingungen fördern nicht das Bewusstsein, Verantwortung zu übernehmen. Hier sind besonders die Länder gefordert, die Attraktivität der kommunalen Ebene nicht zu gefährden. Spiegelbildlich zeigt sich das bei der Wahlbeteiligung. Beispiel Köln: ein von allen Seiten engagiert geführter Wahlkampf um das Oberbürgermeisteramt. Eine Richtungsentscheidung stand an. Politische Paukenschläge im Vorfeld fanden ihren traurigen Höhepunkt in dem Anschlag auf Henriette Reker, der ich von hier aus gratuliere. Ihr wünsche ich, sicherlich auch in Ihrem Namen, gute Besserung. (Beifall im ganzen Hause) Aber trotz des Anschlags auf die Demokratie und des Aufrufs zum Aufstand der Anständigen gingen nur 40 Prozent der Berechtigten zur Wahl. Bei vielen Bürgermeister- und Landratswahlen sah es noch viel schlechter aus. Ich fordere daher alle Landesparlamente auf, sich hierüber Gedanken zu machen. Den überfraktionellen Antrag, der in NRW zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für das kommunale Ehrenamt gestellt wurde, begrüße ich daher ausdrücklich. Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz der originären Zuständigkeit der Länder für die finanzielle Leistungsfähigkeit der Kommunen ist sich der Bund seiner Verantwortung für die Kommunen bewusst, um gleichwertige Lebensverhältnisse in unserem Land zu fördern. Wir helfen daher, die Investitionskraft der Kommunen zu stärken, um den enormen Investitionsstau zu mildern, und setzen bei der finanziellen Unterstützung bewusst bei den Sozialkosten an. Dabei setzen wir nicht auf Gleichmacherei, sondern auf Chancengleichheit. Bei allen finanziellen Unterschieden in der kommunalen Familie gibt es aber ein Thema, das alle gleich stark belastet: die Betreuung, Versorgung und Integration von Flüchtlingen. Die Zahl der Armutsflüchtlinge, Kriegsflüchtlinge und Asylbewerber hat sich in diesem Jahr explosionsartig entwickelt – in einem Umfang, den niemand vorhersehen konnte. Selbst wenn alle beschlossenen und eingeleiteten nationalen, europäischen und internationalen Initiativen erfolgreich wirken, müssen wir, wenn sich nicht noch mehr ändert, in der nächsten Zukunft mit anhaltend hohen Flüchtlingszahlen rechnen. Das ist ein Fakt. Klar ist auch: Je mehr Flüchtlinge kommen, umso schwieriger und langsamer wird sich der Integrationsprozess gestalten. Denn eine schnelle Integration der bereits in Deutschland lebenden und der neu ankommenden Flüchtlinge setzt voraus, dass der Zustrom rasch und spürbar begrenzt wird. Man kann die Ressourcen, wenn sie denn überhaupt im Augenblick noch vorhanden sind, nur einmal einsetzen. Mein Dank gilt daher zunächst einmal den Bürgermeistern, den Mitarbeitern in den Stadtverwaltungen, den Hilfskräften und den unzähligen ehrenamtlichen Helfern für ihre Arbeit. Wir packen gemeinsam an. Wir leisten humanitäre Hilfe in Not. Das ist Deutschland. Wir sind ein weltoffenes und attraktives Land, auf das wir stolz sein können. Wir sind uns sicherlich einig: Der Hauptdruck liegt augenblicklich bei den Kommunen und ehrenamtlichen Helfern. Weil zurzeit zu viele Menschen auf einmal kommen, Asylverfahren deshalb noch zu lange dauern und Abschiebungen schwierig sind und dazu oft auch der politische Wille fehlt, steigt dieser Druck auf die Kommunen trotz großer Bereitschaft unaufhörlich. Ich will trotz aller organisatorischen Probleme allen Bürgermeistern Mut machen, sich an die Spitze der Integrationsbewegung für die Schutzbedürftigen zu stellen. Wir müssen – da will ich den Bürgermeister von Schwäbisch Gmünd, Richard Arnold, zitieren – die Menschen mit ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten sehen. Wir müssen zur Lösung dieser Herausforderung aber die Schlagzahl innen- und außenpolitisch erhöhen. Wir müssen Umsetzungsdefizite beseitigen. Das Familien-, das Arbeits- und das Bauministerium bitte ich, mit den Ländern die Integrationsaufgabe intensiver in den Blick zu nehmen. Wir brauchen nicht nur Ideen, Beschlüsse und Absichtserklärungen, sondern vor allen Dingen spürbare Erfolge. Die Flüchtlingszahlen müssen kurzfristig sinken, und Abschiebungen müssen umgesetzt werden. Ich sage auch: Wir brauchen etwas mehr Ordnung im System. Gemeinsam müssen Bund und Länder daran arbeiten, dass Kommunen und ehrenamtliche Helfer Zuversicht und Mut behalten. Unser Land war immer dann am stärksten, wenn die Herausforderung am größten war. Ich erwarte vom Gipfel ein starkes Signal für die Kommunen. Schönen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Bernhard Daldrup für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bernhard Daldrup (SPD): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ähnlich wie Herr Haase will auch ich darauf hinweisen, dass wir heute nicht nur den zweiten Nachtragshaushalt 2015, sondern auch den Antrag „Für gleichwertige Lebensverhältnisse“, der der Entlastung der Kommunen dient, verabschieden. Ich glaube, dass wir in der Großen Koalition damit zeigen, dass die Kommunen eine Stimme haben, die gehört und ernst genommen wird. Die schnelle Verdoppelung der Soforthilfe auf 2 Milliarden Euro – auch wenn man möglicherweise noch schneller reagieren könnte –, das kommunale Investitionsprogramm und überhaupt die strukturelle Beteiligung des Bundes an den Kosten für die Unterbringung und Integration sowie an den Mitteln für den Wohnungsbau und die Kinderbetreuung – das alles zeigt: Wir wollen die Kommunen dauerhaft und strukturell unterstützen. Wir nehmen ihre Forderungen sehr ernst. Diese Große Koalition ist kommunalfreundlich. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Im Kern stehen die Kommunen mit uns vor zwei zentralen Herausforderungen: Auf der einen Seite – darauf ist mehrfach eingegangen worden – geht es um die Unterbringung und Integration von Flüchtlingen, auf der anderen Seite um die Sicherung gleichwertiger Lebensbedingungen in den Kommunen, oder wie es gerade der Städtetag formuliert: „Die Zukunftschancen eines Kindes dürfen nicht davon abhängen, wo es aufwächst.“ Unser heutiger Antrag greift, glaube ich, diese beiden Herausforderungen auf und gibt drei zentrale Antworten: eine Begrenzung des Anstieges der Sozialausgaben, eine Stärkung von Investitionskraft und eine Begrenzung von Verschuldung, insbesondere auch von Kassenkrediten. Denn neben der bisherigen Unterstützung werden wir die Kommunen 2017 um 2,5 Milliarden Euro und ab 2018 jährlich um 5 Milliarden Euro entlasten. Wir wollen weiterhin, dass das Bundesteilhabegesetz zum 1. Januar 2017 in Kraft tritt. Aber wir wollen die Kommunen auch für Zukunftsaufgaben stärken, angefangen beim Breitbandausbau bis hin zur Energiewende; Kollegin Hagedorn hat darauf hingewiesen. Überlagert werden diese Probleme durch den größten Flüchtlingsstrom seit dem Zweiten Weltkrieg. Denkt man an das gesellschaftliche Engagement, von dem mehrere Kolleginnen und Kollegen gesprochen haben, macht diese Aufgabe auch deutlich, welche Systemrelevanz unsere Kommunen eigentlich haben. Sind die Kommunen nicht handlungsfähig, ist es der Staat bei diesen Aufgaben auch nicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dabei steht den Kommunen die eigentliche Herausforderung noch bevor. Das heißt mit anderen Worten: Ich würde mir wünschen, dass die gleiche Verwaltungskraft, die gleiche Flexibilität, die gleiche Umsetzungsorientierung und -geschwindigkeit auch bei der Bereitstellung von Liegenschaften, bei der Besetzung offener Stellen, bei der Beschleunigung von Verfahren durch den Bund vorhanden wären. Das alles wäre besser, als täglich neue Vorschläge zur Verschärfung der Regelungen zur Flüchtlingsaufnahme zu machen. Es geht den Kommunen nämlich nicht um eine Verschärfung der Asylpolitik. Der Gemeindefinanzbericht sagte Folgendes – ich zitiere –: Es stellt sich nicht die Frage, ob die Ausgaben für die Flüchtlinge richtig sind oder nicht, sie sind derzeit schlicht notwendig. Humanität ist nicht zum Nulltarif zu haben. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Roland Claus [DIE LINKE]) Der Bund bleibt in der Pflicht, die Länder ebenso. Wir erwarten, dass das Bundesgeld auch bei den Kommunen landet, und verpflichten die Bundesregierung, dem Parlament darüber zu berichten. Das ist eine dauerhafte, eine strukturelle und eine notwendige Aufgabe. Unsere Gesellschaft braucht in dieser Frage Ermutigung, nicht Entmutigung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2015. Der Haushaltsauschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf den Drucksachen 18/6580 und 18/6581, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/6090 und 18/6447 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/6588. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 18/6582. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/6062 mit dem Titel „Für gleichwertige Lebensverhältnisse – Kommunalfreundliche Politik des Bundes konsequent fortsetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6069 mit dem Titel „Dauerhafte und strukturelle Entlastungen für Kommunen in Not“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Kommunen von den Kosten für bauliche Maßnahmen an Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen befreien“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6570, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3051 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Befristung von Vorschriften nach den Terrorismusbekämpfungsgesetzen Drucksachen 18/5924, 18/6177 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/6579 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich bitte, die notwendigen Umgruppierungen zügig vorzunehmen, sodass die notwendige Aufmerksamkeit hergestellt werden kann. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU – Michaela Noll [CDU/CSU]: Ein guter Mann! Ein sehr guter Mann!) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn die aktuelle epochale Herausforderung der Flüchtlingskrise viele andere wichtige innenpolitische Themen verdrängt, dürfen wir eines nicht außer Acht lassen: Die Gefahr des islamistischen Terrorismus ist nach wie vor nicht gebannt. Ganz im Gegenteil: Der islamistische Terrorismus hat Europa und auch Deutschland erreicht. Die Zeit ist sehr schnelllebig, sodass man viele Ereignisse wieder verdrängt. Es ist aber noch gar nicht viele Monate her, als Anfang Januar ein schrecklicher Anschlag einer Terrorzelle zu mehreren Toten geführt hat. Bei den Angriffen auf Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt haben 17 Menschen ihr Leben verloren. Danach gab es Anschläge in Kopenhagen und einen geplanten Anschlag auf ein Radrennen in Eschborn bei Frankfurt am Main am 1. Mai dieses Jahres. Daneben dürfen wir auch nicht außer Acht lassen, dass es nur einer glücklichen Fügung zu verdanken ist, dass in den Sommermonaten ein geplanter Anschlag in einem Thalys-Zug noch rechtzeitig verhindert werden konnte. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, erst vor wenigen Tagen stürzte eine Passagiermaschine kurz nach dem Abheben vom Flughafen in Scharm al-Scheich ab. Die ersten Erkenntnisse deuten darauf, dass ein terroristischer Anschlag zumindest nicht ausgeschlossen werden kann. Das zeigt: Wir sind nach wie vor im Fokus des islamistischen und dschihadistischen Terrorismus. Bislang sind aus Deutschland bekanntermaßen 750 Dschihadisten nach Syrien und in den Irak ausgereist. Etwa 200 davon sind mittlerweile wieder zurückgekehrt. Ich glaube, bei aller derzeitigen Konzentration auf die wichtigen Themen, um die Flüchtlingskrise in den Griff zu bekommen, müssen wir uns auch verstärkt darauf fokussieren, was wir noch tun müssen, um die anhaltende Gefahr durch den islamistischen Terrorismus effektiv bekämpfen zu können. Dafür – davon bin ich fest überzeugt – brauchen wir ein Bündel von Maßnahmen, sowohl im präventiven als auch im repressiven Bereich. Im präventiven Bereich geht es vor allem darum, auf dem Gebiet der Deradikalisierung dafür zu sorgen, dass es erst gar nicht dazu kommt, dass Menschen, die leicht verführbar sind und die vielleicht gewisse Brüche in ihrer Vita haben, willfährige Opfer von Islamisten werden. Da sind die Länder, da ist der Bund gefordert. Da ist die Gesellschaft insgesamt gefordert. Wir müssen daneben aber auch mit Vereinsverboten agieren. Ich bin unserem Bundesinnenminister sehr dankbar, dass er am 12. September letzten Jahres den sogenannten „Islamischen Staat“ und die Sympathiewerbung für den „Islamischen Staat“ in Deutschland verboten hat. Wir werden mit Sicherheit auch in Zukunft noch weiter gehende Vereinsverbote in diesem Bereich prüfen und erlassen müssen. Wir haben – das ist durchaus erfreulich – mit wichtigen gesetzgeberischen Maßnahmen sehr schnell auf die gestiegene Gefahr durch den islamistischen Terrorismus reagiert. Wir haben in der Großen Koalition ein Gesetz verabschiedet, das es ermöglicht, nach den gleichen Regularien, nach denen in der Vergangenheit der Reisepass entzogen werden konnte, nun auch den Personalausweis zu entziehen, wenn klar ist, dass jemand die Ausreise nach Syrien oder in den Irak plant, um sich dort dem sogenannten „Islamischen Staat“ anzuschließen. Wir haben in § 89 a und § 89 c des Strafgesetzbuches gesetzliche Verschärfungen in Bezug auf die Terrorfinanzierung und auf die Ausreise aus Deutschland vorgenommen. All das waren wichtige Maßnahmen. Ich möchte aber, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, nicht verhehlen: Es wird weiterer Maßnahmen bedürfen. Ich bin sehr froh, dass es gelungen ist, sich in der Regierungskoalition einvernehmlich darauf zu verständigen, dass das Terrorismusbekämpfungsgesetz, das kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001 geschaffen wurde, um weitere fünf Jahre verlängert wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Befristung läuft noch bis zum 10. Januar des nächsten Jahres. Es beinhaltet vor allem nachrichtendienstliche Auskunftsbefugnisse gegenüber Reiseunternehmen, Fluggesellschaften, Kreditinstituten und Telekommunikationsdienstleistern. Es wird dann sehr schnell vonseiten der Opposition wieder behauptet werden: Wir leben in einem Überwachungsstaat; dies ist eine übermäßige Totalüberwachung der Gesellschaft; es gibt hier einen massenhaften Missbrauch dieser Maßnahmen. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warten Sie mal meine Rede ab, Herr Mayer! – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was Sie für ein Bild von uns haben!) Wir haben dieses Gesetz richtigerweise von dem Institut für Gesetzesfolgenabschätzung und Evaluation in Speyer evaluieren lassen. Es kam – nachdem der Zeitraum von November 2013 bis November 2014 untersucht worden war – zu dem Ergebnis, dass in sehr maßvoller und verantwortungsvoller Weise von diesen Auskunftsmöglichkeiten durch die Nachrichtendienste Gebrauch gemacht wurde. In dem genannten Zeitraum von genau einem Jahr gab es insgesamt 72 Auskunftsersuchen. Ich glaube, das ist eine Größenordnung, die klar macht, dass hier keine massenhafte Überwachung des deutschen Volkes stattfindet, sondern die in wenigen Ausnahmefällen veranlassten selektiven Auskunftsersuchen durchaus zielführend sind. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Größenordnung macht deutlich, dass man das nicht braucht!) Zum Beispiel wurde aufgrund einer solchen Auskunft ein Täter der Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation überführt. Man sieht anhand des Evaluationsberichts des Instituts für Gesetzesfolgenabschätzung und Evaluation in Speyer also ganz klar: Dieses Gesetz hat sich bewährt, es ist richtig und ist von unseren Sicherheitsbehörden, von den Nachrichtendiensten in sehr verantwortungsvoller Weise angewandt worden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Sehr wichtig ist für mich auch, zu erwähnen, dass dieses Gesetz die Möglichkeit umfasst, Ausschreibungen zur Beobachtung im Schengener Informationssystem vorzunehmen. Im genannten Evaluierungszeitraum sind insgesamt 329 Ausschreibungen für die verdeckte Beobachtung vor allem vom Bundesamt für Verfassungsschutz vorgenommen worden. Es ist eine wichtige Maßnahme, dass die Nachrichtendienste jemanden zur verdeckten Beobachtung ausschreiben können. Das war auch im Fall des Herrn Nemmouche so, der dann leider den schrecklichen Anschlag auf das Jüdische Museum in Brüssel verübte. Er war von den französischen Sicherheitsbehörden zur verdeckten Beobachtung ausgeschrieben worden. Wir werden in dem laufenden Gesetzgebungsverfahren noch zwei kleine materielle Änderungen vornehmen. Die erste Änderung schafft auf Betreiben und auf Begehr des Bundesverteidigungsministeriums eine Ausnahmemöglichkeit. Drittpersonen, die dem Bundesverteidigungsministerium nicht angehören und dort nur temporär tätig sind, müssen zum Zwecke des Sabotageschutzes nicht sicherheitsüberprüft werden, wenn die Anstellung nicht länger als einen Monat umfasst. Die zweite Änderung, die wir an diesem Gesetz materiell vornehmen, betrifft die Auskunftsersuchen gegenüber Grundbuchämtern. Es wird dann so sein, dass in Zukunft der Betroffene nicht mehr informiert werden muss, wenn ein Auskunftsersuchen beim Grundbuchamt erfolgt. Bisher war es so, dass nur bei einem Auskunftsersuchen von Strafverfolgungsbehörden der Betroffene aus nachvollziehbaren Gründen darüber zunächst nicht informiert wurde. Ich glaube, auch dies zeigt, dass wir als Gesetzgeber sehr moderat und sehr reduziert an dieses – wohlgemerkt – bewährte Gesetz materiell-rechtlich Hand anlegen. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Fristverlängerung der Gültigkeit dieses Gesetzes um weitere fünf Jahre mit dazu beitragen wird, dass unsere Nachrichtendienste weiterhin effektiv und, wie ich hoffe, auch im Sinne von uns allen erfolgreich arbeiten können. Ich möchte zum Schluss noch eine Anmerkung machen, die ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofes bezüglich der Verschärfungen in § 89 a StGB betrifft, die wir vorgenommen haben. Dieses Urteil vom 27. Oktober zeigt mir ganz klar, dass wir weiterhin gut daran täten, intensiv zu überlegen, ob man die Sympathiewerbung für ausländische terroristische Organisationen nicht wieder unter Strafe stellen sollte. (Beifall bei der CDU/CSU) Dieser Straftatbestand galt bis 2002. Er ist dann bedauerlicherweise von Rot-Grün abgeschafft worden. Das war damals ein Kompromiss. Aber aus meiner Sicht ist es jetzt Zeit, dass wir diese Sympathiewerbung wieder unter Strafe stellen. Ich kann nur an uns alle appellieren, dass wir im Lichte dieses aktuellen Urteils des Bundesgerichtshofes diese Maßnahme schnellstmöglich umsetzen und ein entsprechendes Gesetzeswerk auf den Weg bringen. Ich danke Ihnen ganz herzlich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ulla Jelpke (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Tat wird heute von der Regierung die Verlängerung der Befristung einer Reihe von Antiterrorgesetzen verlangt, mit denen es vor allen Dingen Geheimdiensten erlaubt wird, Konten zu überwachen, Kommunikationsdaten einzusehen, Reisebewegungen zu beobachten und zu erfassen und vieles mehr. Diese Maßnahmen, meine Damen und Herren, sind tiefe Einschnitte in die Grundrechte. Die Linke ist der Meinung, dass man diese Grundrechte nicht so einfach beschränken darf, wie das eben der Kollege Mayer gefordert hat, sondern man muss wirklich sehr genau prüfen, ob die Gefahr noch besteht und ob wir diese Gesetze wirklich noch brauchen. So, wie diese Gesetze heute verabschiedet werden sollen, wird die Linke nicht mitmachen. (Beifall bei der LINKEN) Bei der damaligen Einführung dieser Gesetze im Jahr 2002 aufgrund der Anschläge von 9/11 hat man uns noch erzählt, dass alles nur vorübergehend sei und dass die Gesetze befristet seien. Wir sehen heute, dass die Befristung regelmäßig verlängert wird, ohne dass der praktische Nutzen dieser Gesetze für die Terrorbekämpfung tatsächlich nachgewiesen wurde. Hier ist eben schon gesagt worden, dass die Geheimdienste diese Sonderbefugnisse, die sie bekommen haben, nur in einigen Dutzend Fällen pro Jahr nutzen. Aber das allein sagt nicht viel darüber aus, ob die Grundrechtseingriffe verhältnismäßig und notwendig sind. Im Evaluationsbericht, der als Grundlage für die Verlängerung der Befristung der Gesetze dienen soll, heißt es – ich möchte das gerne zitieren –: Die Kumulation von Grundrechtseingriffen erhöht die Intensität des Grundrechtseingriffs. Mehrere für sich betrachtet möglicherweise angemessene oder zumutbare Eingriffe in grundrechtlich geschützte Bereiche können in ihrer Gesamtwirkung zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung führen, die das Maß der rechtsstaatlich hinnehmbaren Eingriffsintensität überschreitet. Im Klartext heißt das: Notwendig ist eine Gesamtschau, eine Art Überwachungsgesamtrechnung. Dies hat übrigens auch das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit dem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung angemahnt. Denn nur wenn man auch die anderen Überwachungsgesetze und die technischen Möglichkeiten der Datenvernetzung berücksichtigt, wird klar, in welchem Maß die Grundrechte insgesamt betroffen sind. Das Problem im Zusammenhang mit dem Evaluierungsbericht wird hier ganz klar genannt – ich zitiere –: Eine solch umfassende Analyse ist jedoch vom Evaluationsauftrag nicht abgedeckt gewesen ... Mit anderen Worten: Das BMI hat hier einen sehr eng gefassten Auftrag zur Evaluierung erteilt. Wir haben am Montag dieser Woche ein Berichterstattergespräch über zwei Stunden mit den Wissenschaftlern gehabt, die die Evaluation durchgeführt haben, und mit ihnen diskutiert. Sie haben bestätigt, dass die eben angesprochenen Fragen bei einer grundrechtlichen Auswertung eigentlich hätten geprüft werden müssen. Doch dafür hatten sie weder die Zeit noch den Auftrag. Den inhaltlichen und zeitlichen Rahmen für die Evaluierung hat das Bundesinnenministerium so eng angesetzt, dass eine wirklich sorgfältige Prüfung des Themas verhindert wurde. Auf diese Weise lässt sich natürlich leicht sicherstellen, dass das Ergebnis dem eigenen Interesse, also dem des BMI, entspricht. Entschuldigen Sie, meine Damen und Herren, aber das ist alles andere als ein sorgfältiger Umgang mit den Grundrechten, so wie wir ihn uns vorstellen. Das ist eine Irreführung der Öffentlichkeit. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In Bezug auf den angeblichen Nutzen der Antiterrorgesetze haben wir ebenfalls erhebliche Zweifel. Zwar sagen die Geheimdienste, die gewonnenen Informationen seien wertvoll für ihre Arbeit. Aber das sind Behauptungen beispielsweise des BND, aber auch des Verfassungsschutzes, an denen wir in der letzten Zeit wirklich große Zweifel haben. Ich nenne nur die Stichworte „NSA“ und „NSU“. Es verbietet sich von selbst, dass man diesen Geheimdiensten so einfach glaubt, wenn man keine Fakten vorgelegt bekommt. Die Aussagen der Schnüffelbehörden können wir einfach nicht hinnehmen. Wir brauchen bei einer Evaluierung Fakten und Daten, um zu gucken: Was brauchen wir an Gesetzen, und was brauchen wir nicht? (Beifall bei der LINKEN) Da muss man sich wirklich fragen: Für wie naiv halten uns eigentlich die Ministerien wie beispielsweise das Bundesinnenministerium? Was wir tatsächlich brauchen, sind unabhängige Einschätzungen, die auf aussagekräftigen und vollständigen Daten basieren. Bis heute hat noch niemand nachgewiesen bzw. nachweisen können, dass wegen der neuen Gesetze auch nur ein einziger Anschlag verhindert werden konnte. Es fehlt an jeder Rechtfertigung für die erheblichen Grundrechtseingriffe durch diese Gesetze. Von daher fordert die Linke nicht eine Verlängerung der Gültigkeit dieser Gesetze, sondern ihre Abschaffung. Die Abrüstung der Geheimdienste ist der beste Grundrechteschutz. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Uli Grötsch für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD und des Abg. Clemens Binninger [CDU/CSU]) Uli Grötsch (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass es bei dem heute zur Abstimmung stehenden Gesetzentwurf eigentlich gar nicht um die Frage gehen kann, ob wir die Verlängerung der Gültigkeit dieses Gesetzes brauchen, also ob wir unseren Sicherheitsbehörden weiterhin Befugnisse zur Terrorismusbekämpfung geben oder nicht. Ich war bis jetzt der Meinung, dass es im ganzen Haus oder zumindest in weiten Teilen eigentlich unstrittig sein müsste, (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sollte man meinen!) dass die Sicherheitsbehörden in Deutschland auch in Zukunft die Befugnisse brauchen, die sie in den letzten Jahren hatten. Denn niemand wird doch behaupten wollen, dass sich die Gefährdungslage hinsichtlich terroristischer Bedrohungen in Deutschland etwa entspannt hat oder dass sie sich gar erledigt hat und wir somit auf diese Gesetze verzichten könnten. Osama bin Laden ist zwar längst tot. Aber al-Qaida steht bei weitem nicht mehr allein im Fokus der Öffentlichkeit. Auch das Thema Terrorismus entwickelt sich weiter. Uns zeigt in diesen Tagen – man kann schon fast sagen: in diesen Jahren – das selbsternannte Kalifat des „Islamischen Staates“ eine Form des Terrors, die uns bislang unbekannt war. Diese Form des Terrors des „Islamischen Staates“ bedroht uns ganz konkret hier in Deutschland: durch radikalisierte Islamisten, ausreisende Dschihadisten und vor allem durch Syrien-Rückkehrer, von denen die allermeisten über Kampferfahrung verfügen. Es geht heute nicht um die Frage, was die Ursachen des Terrorismus in all seinen Erscheinungsformen sind, und es geht auch nicht um die Frage der Bekämpfung der Ursachen. Mit dem zur Abstimmung stehenden Gesetzentwurf geht es nur um die Befugnisse, also sozusagen um den Rahmen, den wir den Nachrichtendiensten und den Sicherheitsbehörden in Deutschland geben, um in angemessener Weise auf diese Bedrohungen reagieren zu können. Ich glaube, ohne Auskunftseinholung etwa bei Luftfahrtunternehmen, Kreditinstituten und Telekommunikationsdienstleistern geht es heutzutage nicht. Deshalb gibt es zu diesem Gesetzentwurf keine Alternative. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die SPD-Bundestagsfraktion weiß sehr wohl, dass mit diesen Befugnissen auch immer ein teilweise nicht unerheblicher Grundrechtseingriff einhergeht und wir die Freiheitsrechte mancher Bürger damit einschränken müssen. Wir sind aber auch dafür verantwortlich, dass sich die Menschen in unserem Land auch in Zukunft vor Terrorismus sicher fühlen können. Deshalb haben wir den Spagat zwischen Bürgerrechten und erforderlichen Grundrechtseingriffen jederzeit bei jedem Gesetzentwurf im Blick und somit auch bei diesem. Deshalb haben wir den Gesetzentwurf fast so belassen, wie er war. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fast!) Es gibt keine wesentliche Ausweitung der nachrichtendienstlichen Befugnisse. Eine kleine Änderung betrifft das Grundbuchrecht. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Definitionssache!) Künftig können nicht nur Strafverfolgungsbehörden, sondern auch Nachrichtendienste verdeckt in Grundbücher und Grundakten Einblick nehmen, (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also, das ist unwesentlich?) um beispielsweise herauszufinden, wem ein Grundstück gehört, auf dem sich regelmäßig rechte Vereinigungen oder islamistische Vereinigungen treffen. Dem Eigentümer darf die Grundbucheinsicht für eine bestimmte Dauer nicht mitgeteilt werden, um Ermittlungen nicht zu gefährden. Das halte ich für richtig, und das ist in diesem Zusammenhang auch wichtig. (Beifall des Abg. Rüdiger Veit [SPD]) Für die SPD war es von entscheidender Bedeutung, dass wir das Terrorismusbekämpfungsgesetz erneut befristen, und zwar bis 2021, und dass wir es dann erneut auf seine Notwendigkeit und Wirksamkeit überprüfen, weil sich dieses Phänomen bis zum Jahr 2021 wieder verändert haben wird. Wir hoffen und glauben, dass wir mit unserer Gesetzgebung dazu beitragen, dass es sich zurückentwickelt, statt sich weiter auszubreiten. Die Evaluierung der Durchführungspraxis des Gesetzes hat einerseits gezeigt, dass die nachrichtendienstlichen Befugnisse maßvoll angewandt wurden, und andererseits, dass sie sich sehr bewährt haben. Nicht immer sind die Erfolge der Sicherheitsbehörden öffentlich wahrnehmbar, wie etwa bei der Verhaftung von Terrorverdächtigen in Oberursel im April dieses Jahres. Als wir damals das Gesetz gemacht haben, haben wir es sehr bewusst von vornherein befristet, weil wir um die eben schon angesprochene Sensibilität der Befugnisse wussten. Nun geht es um die dritte Verlängerung, weil die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus nach wie vor besteht, der heutzutage – wir alle kennen die Videos des „Islamischen Staates“ – viel brutaler und hemmungsloser ist als jemals zuvor. Wir wissen, dass schreckliche Terroranschläge wie im Mai 2014 im Jüdischen Museum in Brüssel oder wie im Januar dieses Jahres auf das Satireblatt Charlie Hebdo in Paris auch bei uns in Deutschland passieren können. Der „Islamische Staat“ ruft ganz konkret zu individuellen Terrortaten in Deutschland auf. Wir können und wir dürfen uns nicht darauf verlassen, dass zivile Helden wie im Thalys-Schnellzug weiterhin für ihre Mitbürger ihr Leben riskieren, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das muss Aufgabe des Staates sein. Wir müssen den Rahmen schaffen und den Sicherheitsbehörden die Möglichkeit geben, diese Taten zu verhindern. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Deshalb stellt die Große Koalition unsere Sicherheitsbehörden weiterhin gut auf. Das Bundeskriminalamt und das Bundesamt für Verfassungsschutz bekommen neue Planstellen in erheblichem Umfang (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Och!) und eine angemessene Sachmittelausstattung auch und gerade im Cyberabwehrbereich, der auch in diesem Zusammenhang ein wichtiges Thema darstellt. Auch die Bundespolizei wird über die bereits in diesem Jahr erfolgte und für 2016 vorgesehene Aufstockung hinaus weitere 3 000 Stellen erhalten. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist überfällig!) Wir wissen dabei sehr wohl, dass Paragrafen und repressive Maßnahmen allein noch keine effektive Terrorismusbekämpfung gewährleisten. Die SPD-Bundestagsfraktion und die CDU/CSU-Fraktion, also die gesamte Große Koalition, setzen deshalb genauso sehr – der Kollege Mayer hat das eben in seiner Rede angedeutet – auf Prävention wie auf Repression. Ich habe mich in den letzten Wochen und Monaten mit sehr vielen im Bereich der Extremismusprävention engagierten Vereinen und Trägern getroffen und mir ein Bild von ihrer Arbeit gemacht. Ihre Arbeit ist gefragter denn je. Etwa Informationsveranstaltungen der Bundeszentrale für politische Bildung sind völlig überlaufen. Ich denke etwa an Ufuq e. V., an die Beratungsstelle Hayat, die Aussteigern und Angehörigen radikalisierter Personen konkrete und wirksame Hilfe anbietet, oder an das Projekt „Wegweiser“ in Nordrhein-Westfalen sowie an das Violence Prevention Network; Sie alle kennen diese Organisationen. Es gibt in den für die Prävention originär zuständigen Bundesländern viele solcher niedrigschwelligen Projekte, die sich gegen den gewaltorientierten Islamismus wenden und dabei sehr erfolgreich sind. Deshalb war es richtig, dass wir im letzten Jahr den Mittelansatz für das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ um 10 Millionen Euro auf nun 40,5 Millionen Euro aufgestockt haben. Ich meine, dass wir diesen Weg weitergehen müssen. Das ist der richtige Weg. (Beifall bei der SPD) Ich danke in diesem Zusammenhang unserer Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Manuela Schwesig, die früher als andere erkannt hat, dass es auf Prävention genauso ankommt wie auf die Arbeit der Sicherheitsbehörden. Wer sich mit den verschiedenen Beratungsstellen unterhält und sieht, dass das Telefon nicht eine Minute stillsteht, der merkt schnell, dass in das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ in den aktuellen Haushaltsberatungen mehr Geld fließen muss, weil Prävention genauso wichtig ist wie Repression. Ich meine, dass es in diesem Bereich eine zentrale Koordinierungsstelle braucht, unter deren Dach sich die Träger und Vereine organisieren, austauschen und vernetzen können. Als Vorbild könnte etwa die Bundesarbeitsgemeinschaft „Ausstieg zum Einstieg“ dienen, die sich seit Jahren erfolgreich um ausstiegswillige Rechte kümmert. Extremismus in jeder Form ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und auch eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Vor fast genau vier Jahren hat die Selbstenttarnung der NSU-Terroristen Deutschland erschüttert, und sie tut das immer noch. Seitdem versuchen wir, die Umstände aufzuklären. In der nächsten Woche wird der Deutsche Bundestag zum NSU-Terror einen zweiten Untersuchungsausschuss einsetzen. Dabei ist das Ziel klar: lückenlose Aufklärung, damit so etwas nie wieder passieren kann. Auch vor diesem Hintergrund bin ich sehr besorgt über das erneute Aufkeimen einer rechtsterroristischen Szene in Teilen unseres Landes. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nichts anderes ist es nämlich, wenn sich organisierte, rechte Schlägertrupps aufmachen und vor Krieg und Terror zu uns geflüchtete Menschen und ihre Unterkünfte angreifen. Die Beobachtung dieser Rechtsterroristen ist ein Fall für unsere Sicherheitsbehörden, insbesondere für den Verfassungsschutz. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Manchmal kann man Zweifel bekommen!) Wenn sich das zuständige Landesamt für Verfassungsschutz in Sachsen und sein Präsident dieser Aufgabe nicht annehmen wollen, dann muss das Bundesamt für Verfassungsschutz die Zügel in die Hand nehmen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die gesetzlichen Grundlagen für diese Zuständigkeit haben wir noch vor der Sommerpause geschaffen. Ich gehe davon aus, dass der Bundespräsident das Gesetz bald unterschreiben wird. Sowohl Rechtsterror als auch islamistischer Terror sind verabscheuungswürdig und müssen von unseren Sicherheitsbehörden bekämpft werden. Dafür geben wir ihnen unter bestimmten und gesetzlich geregelten Voraussetzungen das Werkzeug mit diesem Gesetz an die Hand. Ohne dieses Gesetz katapultieren wir uns in die Steinzeit der Terrorabwehr; das wäre fatal und verantwortungslos. Deshalb fordere ich insbesondere die Grünen auf, der Verlängerung der Geltungsdauer eines Gesetzes aus gemeinsamen Zeiten zuzustimmen. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Lang ist’s her!) Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Irene Mihalic für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Mayer, ich finde es schon bemerkenswert, dass Sie beim Thema Terrorismus immer sofort auf den islamistischen Terrorismus kommen. Der fällt Ihnen sehr schnell ein, aber Sie beziehen nie die allgegenwärtige Gefahr des Rechtsterrorismus in Ihre Rede ein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Deswegen bin ich dem Kollegen Grötsch für den Schluss seiner Rede sehr dankbar, in dem er diese Bezüge hergestellt hat. Das finde ich wichtig, wenn es in einer Debatte um Terrorismus geht. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Dann müssen Sie auch zustimmen!) Der 11. September 2001 hat uns mit einer neuen Dimension des Terrors konfrontiert. Unter diesem Eindruck hat gerade die westliche Staatenwelt viele nach innen wie auch nach außen wirkende Maßnahmen entwickelt, um auf die terroristische Bedrohung zu reagieren. Aber diese Maßnahmen hatten, gelinde gesagt, doch einen ziemlich unterschiedlichen Erfolg. Wenn ich mir die letzten 14 Jahre und die aktuellen Krisenherde dieser Welt anschaue, dann frage ich mich heute schon, wie eigentlich die sicherheitspolitische Gesamtbilanz bei der Bekämpfung des Terrorismus ist und ob die Antworten der zivilisierten Welt am Ende nicht vielleicht doch mehr Schaden in Afghanistan, im Irak und in Syrien angerichtet haben, als sie Nutzen gebracht haben. Ich finde, diese Frage sollte man einmal eingehend untersuchen, gerade im Hinblick auf zukünftige Debatten zum Thema Terrorbekämpfung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ebenfalls untersucht oder – besser gesagt – evaluiert wurden die Terrorismusbekämpfungsgesetze, deren Geltung Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, heute hier verlängern wollen. Zwar wurde dieses Mal – endlich, muss man sagen – auf wissenschaftlicher Basis evaluiert, aber trotzdem hart am Thema vorbei; denn wenn der Nutzen eines Gesetzes unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit ermittelt werden soll, dann muss man auch den Erfolg der Maßnahmen nach klaren Kriterien überprüfen. Genau das ist aber nicht geschehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es wurde überhaupt nicht ermittelt, ob die zusätzlichen Befugnisse der Geheimdienste in auch nur einem einzigen Fall dazu beigetragen haben, Terroranschläge zu verhindern. In Ihrem Gesetzentwurf kommen Sie zu einer ziemlich spannenden Schlussfolgerung, wenn Sie sagen, die neuen Befugnisse seien alle nur ganz sparsam angewendet worden und deshalb sollte die Geltungsdauer der Gesetze verlängert werden. Das kann doch kein Grund für eine Verlängerung sein, sondern das kann nur, wenn überhaupt, der Nachweis der Wirksamkeit der Maßnahmen zur Terrorbekämpfung sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Genau diesen Nachweis bleiben Sie aber schuldig. Kollege Grötsch, gestatten Sie mir eine Anmerkung zu den Vorgängen in Oberursel. Da war es die Kassiererin im Baumarkt, die Schlimmeres verhindert hat, und es waren eben nicht die Nachrichtendienste. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Umso gravierender sind dann die mit den Maßnahmen verbundenen Grundrechtseingriffe. Ohne einen klaren Beweis für den Erfolg der Terrorismusbekämpfungsgesetze sind wir hier im Parlament doch überhaupt nicht in der Lage, die Verhältnismäßigkeit dieser Befugnisse festzustellen. Aber genau das wäre die Grundlage für die Entscheidung, die wir heute zu treffen haben, nämlich ob wir die Geltungsdauer der Gesetze wirklich guten Gewissens für weitere fünf Jahre verlängern können. Es geht auch nicht nur um eine Verlängerung, nein, so ganz nebenbei sollen die Befugnisse der Dienste auch noch ausgeweitet werden; denn bis jetzt ist es nur den Strafverfolgungsbehörden gestattet, und zwar nur in begründeten Einzelfällen, wenn der Erfolg strafrechtlicher Ermittlungen gefährdet ist, die Grundbücher einzusehen, ohne der betreffenden Person darüber Auskunft zu erteilen. Jetzt sollen das nach Ihrem Willen auch die Nachrichtendienste dürfen. Ich finde, die aktuellen Geheimdienstskandale haben uns eine Sache deutlich gezeigt, nämlich wie schwer das Vorgehen der Dienste und ihre Methoden kontrollierbar sind. Deswegen finde ich nicht, dass man die Befugnisse dieser Behörden jetzt quasi im Vorbeigehen auch noch erweitern sollte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich will daran erinnern, dass vier von sechs Untersuchungsausschüssen dieser und der letzten beiden Wahlperioden das zweifelhafte Vorgehen von Sicherheitsbehörden, allen voran der Geheimdienste, zum Thema hatten. Uli Grötsch hat vorhin darauf hingewiesen: Wir setzen jetzt einen weiteren Untersuchungsausschuss zum NSU-Skandal ein, der auch die Arbeit des Verfassungsschutzes auf den Prüfstand stellt. Der NSA-Untersuchungsausschuss befasst sich mit der Arbeit des BND. Vielleicht wäre es klug, abzuwarten, was alles dabei herauskommt, bevor man die Dienste mit neuen Kompetenzen ausstattet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben weder den tatsächlichen Nutzen der bestehenden Gesetze nachgewiesen, noch haben Sie eine schlüssige Begründung dafür geliefert, dass die Befugnisse jetzt auch noch ausgeweitet werden sollen. Daher bleibt für uns in der Bilanz ein ganz klares Minus und uns als Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nichts anderes übrig, als Ihren Gesetzentwurf abzulehnen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Uli Grötsch [SPD]: Schönes Gesetz!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Clemens Binninger für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Clemens Binninger (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich will damit beginnen, auf die Redebeiträge der Opposition einzugehen. Frau Jelpke, ich würde mich gern mit Ihnen einmal in der Sache streiten. Nur, dann müssten Sie wenigstens ein Mal sagen, was Sie gegen die Gefahr des internationalen Terrorismus tun würden. Sie sagen kein Wort dazu, wie Sie es machen würden, (Michaela Noll [CDU/CSU]: Nichts!) und deshalb ist eine Debatte mit Ihnen gar nicht möglich. (Beifall bei der CDU/CSU) Wer keine eigenen Lösungsvorschläge präsentiert, der, finde ich, vergibt sich ein bisschen das Recht, immer über das zu nörgeln, was die anderen angeblich falsch machen. Ich komme zum Beitrag der Grünen. Man muss noch einmal daran erinnern: Wir stimmen hier über die Verlängerung der Gültigkeitsdauer eines von Rot-Grün auf den Weg gebrachten Gesetzes ab. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was aus gutem Grund befristet war!) Ich habe immer gesagt: Als Otto Schily Koalitionspartner der Grünen war, sind Sie in erster Linie strammgestanden und haben gemacht, was er wollte. Aber in der Sache hatte er recht. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sieht Herr Schily aber anders! – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätten Sie heute auch gerne, Herr Binninger!) Wie Sie sich heute vom Acker machen, ist nicht sehr heldenhaft. Sie haben hier zu vielem geredet; aber Sie haben nichts dazu gesagt, warum die Befugnisse nötig sind. Ich erinnere mich an die Debatten, als wir dieses Gesetz beschlossen bzw. seine Geltungsdauer verlängert haben. Einer der Hauptvorwürfe dagegen hieß immer: Jetzt wird massenhaft in Kommunikation eingegriffen. Jetzt wird massenhaft überwacht. Jetzt werden massenhaft Daten gewonnen. – Das waren die Hauptkritikpunkte, mit denen man diese Maßnahmen irgendwie ins Unrecht zu drängen versucht hat. Schauen wir uns die Zahlen an – ich habe mir noch einmal den Berichtsstand 2013 angesehen –: Von Anfang 2002 bis Ende 2013, also in zwölf Jahren, wurden diese Befugnisse von drei Nachrichtendiensten – MAD, BND und BfV – gerade einmal rund 770-mal angewandt. Ich wiederhole: Sie wurden in zwölf Jahren 770-mal durch drei Nachrichtendienste angewandt. Das ist mehr als maßvoll. Von der üblichen Kritik, es werde massenhaft und ziellos überwacht, ist nichts, aber auch gar nichts übrig geblieben. Das ist das heutige Fazit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Nach meiner nächsten Anmerkung verlasse ich Ihren Beitrag; denn er hat nicht so sehr zur Sache beigetragen. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Binninger!) – Ja, es stimmt leider. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich warte ganz gespannt auf Ihren Sachbeitrag!) Frau Mihalic, Sie haben ja einen guten Einstieg vollzogen. Sie haben darauf hingewiesen, dass wir – (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich dachte Sie schätzen die Kollegin Mihalic!) – Frau Lazar, wenn Sie mir nicht zuhören, können Sie es nicht verstehen. Frau Mihalic, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass es nicht nur um den internationalen Terrorismus geht, dass Rechtsterrorismus eine ernste Bedrohung für unsere Demokratie und unsere Gesellschaft ist und dass wir alle aufgefordert sind, alles dafür zu tun, diese Gefahr gar nicht erst aufkommen zu lassen. Ich glaube, darüber besteht im ganzen Haus Konsens. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu spät!) Vor diesem Hintergrund können Sie doch nicht ernsthaft sagen: Durch die Neuregelung der Grundbuchauskunft würden nebenbei und maßlos Befugnisse ausgeweitet. Worum geht es da? Da geht es um den Kampf gegen Rechtsterrorismus. Im Hinblick auf Vereinsverbote – da muss man beispielsweise wissen, wem die Hütte gehört, wo sich die Neonazis immer treffen, damit man angemessen gegen sie vorgehen kann; die Betroffenen sollen ja nicht erfahren, dass man entsprechende Vorbereitungen trifft – zu kritisieren, dass die Grundbuchämter einem amtsbekannten Neonazi nicht mitteilen müssen, dass sich der Verfassungsschutz nach seinen Eigentumsverhältnissen erkundigt – das ist doch sinnvoll –, macht doch keinen Sinn. Wenn Sie das kritisieren, widersprechen Sie Ihrer eigenen Position, die Sie zu Beginn Ihrer Rede dargelegt haben. Das ist mein Fazit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf der Abg. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Noch ein paar Sätze dazu, warum wir diese Befugnisse brauchen. Es ist doch entscheidend, dass wir beim Kampf gegen Terror wissen, wohin Terrorverdächtige reisen, mit wem sie kommunizieren und wohin Geld fließt. Das sind die entscheidenden Informationen schlechthin. Es geht doch darum, den Diensten zu erlauben, genau diese Daten der Terrorverdächtigen abzufragen – in zwölf Jahren gerade einmal 770-mal –: bei der Bank, beim Telefonunternehmen oder bei der Airline. Wir wissen, dass wir zurzeit eine Bedrohungslage durch den IS haben, die zahlenmäßig alles übersteigt, was wir bisher an Terrorbedrohung hatten: mehrere Hundert IS-Kämpfer allein aus Deutschland, mehrere Tausend aus Europa, die entweder dort sind oder zurückkommen und hier eine latente Gefahr darstellen. Will ich da ernsthaft sagen: „Es interessiert mich nicht, mit wem die Kontakt haben; es interessiert mich nicht, wohin die reisen; ich will nicht wissen, wohin die Geldbewegungen gehen“? – Das muss ich wissen. Wenn Nachrichtendienste im Terrorkampf erfolgreich sein sollen, brauchen sie dieses Wissen, und genau das ermöglichen wir ihnen mit diesen Befugnissen. Sie sind mehr als notwendig, sie sind maßvoll angewandt worden, und sie sind evaluiert worden. Deshalb, glaube ich, kann man diesem Gesetz wirklich nur zustimmen. In einem Punkt will ich noch einmal deutlich machen, dass wir die Dinge nicht so nebenbei machen. Diese Gesetze sind nicht nur von dem Institut in Speyer evaluiert worden; auch das Parlamentarische Kontrollgremium befasst sich in kurzen Abständen und jährlich in einem öffentlichen Bericht mit diesen Maßnahmen. Auch dort wird ein positives Fazit gezogen, nämlich dass man diese Maßnahmen braucht, dass sie maßvoll sind. Deshalb, glaube ich, kann es an der Stelle gar keine Frage sein, die Frist erneut um fünf Jahre zu verlängern. Ich will ganz offen sagen: Die Idee kommt nicht von uns. Wir hätten es auch gern ohne Befristung gehabt. Es ist ein Wunsch und eine Idee des Koalitionspartners. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, eben! Sollen wir jetzt froh sein, dass es nur befristet ist?) Ich habe aber nichts dagegen. Wir stimmen ja zu. Aber: Dienste sagen uns immer wieder: Die Terrorgefahr hat sich nicht verändert. Wir wissen, dass sie sich auch in fünf Jahren nicht verändert haben wird. Warum befristet ihr überhaupt? Ist das praktikabel? – Das wird uns immer entgegengehalten. Ich sage: Eine Befristung macht durchaus Sinn. Dadurch sind wir in der Pflicht, wenigstens alle fünf Jahre transparent und öffentlich diese Debatte zu führen, und wir können darlegen, dass wir diese Maßnahmen brauchen, (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann tun Sie es doch, und legen Sie es dar!) dass sie maßvoll angewandt werden, dass sie sinnvoll sind. Insofern muss ich sagen: Ich war zwar nie ein Freund der Befristung, aber ich habe mich nicht nur daran gewöhnt, sondern sage mittlerweile: Sie hat schon auch ihren politischen Effekt, selbst wenn die Praktiker sagen: Uns wäre es ohne Befristung lieber. – Dass wir es verlängern, glaube ich, ist sinnvoll, und die Debatte ist allemal sinnvoll. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie heben immer darauf ab – das muss man zum Schluss noch einmal sagen –: War das überhaupt erfolgreich? (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht im Gesetz!) – Ja. – Man muss aber doch einmal zur Kenntnis nehmen: Gott sei Dank – das hat sicher immer auch etwas mit Glück zu tun, aber nicht nur – sind wir in Deutschland mit Ausnahme dieses fanatischen Einzeltäters am Frankfurter Flughafen bislang all die Jahre – denken Sie einmal daran, wo überall Anschläge waren! – von erfolgreichen Terroranschlägen verschont geblieben. Das hat mit Glück und Fügung zu tun, aber es hat auch damit zu tun, dass wir unseren Sicherheitsbehörden die richtigen Instrumente an die Hand gegeben haben: die Maßnahmen nach diesem Gesetz, die Antiterrordatei, das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum, die Möglichkeit des Passentzuges, andere Dinge im Bereich des Strafgesetzbuches. Das ist doch ein Erfolg. Wenn Anschläge nicht passieren, ist das ein Erfolg. Wie kann man das in Zweifel ziehen und fragen: „War das alles überhaupt erfolgreich?“? (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wurde gar nicht untersucht!) Die Gesetze sind richtig. Sie waren erfolgreich. Eigentlich kann man einer Verlängerung nur zustimmen. Sie haben beim ersten Mal mitgemacht. Ich bitte Sie: Überprüfen Sie Ihre Position noch einmal! Es wäre in der Sache mehr als richtig und notwendig. Wir werden zustimmen – im Interesse der Sicherheit unseres Landes und der Bürger. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Verlängerung der Befristung von Vorschriften nach den Terrorismusbekämpfungsgesetzen. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6579, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/5924 und 18/6177 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Nicole Maisch, Renate Künast, Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Einführung von Gruppenverfahren Drucksache 18/1464 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/6422 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dirk Wiese für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dirk Wiese (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bereits anlässlich der ersten Lesung vor der Sommerpause hatte ich darauf hingewiesen, dass ich dem Gesetzentwurf der Grünen interessiert, offen, aber skeptisch gegenüberstehe. Insbesondere die enorme Belastung der Justiz, die Ihr Vorhaben mit sich brächte, und das zusätzliche Streitpotenzial, das durch die äußerst komplexe Verfahrensstruktur aus meiner Sicht entstehen würde, hielt ich für nicht zielführend. Die Beratungen im Fachausschuss und die Anhörung konnten meine Skepsis nicht ausräumen, ja haben sie sogar noch einmal verstärkt. Was aber das Grundziel Ihres Anliegens betrifft, besteht jedoch, glaube ich, Einigkeit zwischen uns, nur der Weg dorthin ist ein anderer. Denn dass Verbraucher, die in großer Zahl zum Beispiel unlauteren Geschäftspraktiken, unzulässigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder kartellbedingt überhöhten Preisen zum Opfer gefallen sind, in der Lage sein müssen, ihre Rechte vor Gericht möglichst wirksam durchzusetzen, steht auch für uns Sozialdemokraten völlig außer Frage. Klar ist aber auch, dass die Möglichkeit, eine angemessene Kompensation für erlittene Schäden zu erstreiten, verfahrensmäßig so ausgestaltet sein muss, dass keine abschreckenden wirtschaftlichen oder bürokratischen Hürden bestehen, die jeweils mit dem Ziel der Verzögerung oder Zermürbung – möglicherweise als prozessualer Nebenkriegsschauplatz – genutzt werden können. Andererseits müssen wir aber auch verhindern, dass die Möglichkeit von Sammelklagen missbraucht wird und spezialisierte Großkanzleien die Gruppenklage zukünftig zu ihrem Hauptgeschäftsfeld machen, weil dort der Profit höchstmöglich ist. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Dies könnte etwa dann der Fall sein, wenn der Klagegegner in teure Vergleiche gezwungen wird, die von vielen betroffenen Unternehmen unabhängig von der Rechtslage und der Aussicht auf Erfolg im Prozess nur deshalb angenommen werden, um einem öffentlichen, negativen und geschäftsschädigenden Fokus in einem etwaigen langwierigen Prozess zu entgehen. Betrachtet man also diese beiden Seiten, so stellt sich die Frage, wie eine solche Klageform aussehen könnte. Ich persönlich finde, dass die Musterfeststellungsklage aus dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz hier das Grundgerüst für eine entsprechende Klageform liefern könnte, die dann natürlich einen sachlich unbeschränkten Anwendungsbereich hätte. Der Vorteil an solch einem Musterfeststellungsverfahren liegt aus meiner Sicht auf der Hand: Qualifizierte Verbände könnten auch bei einem sehr hohen Aufkommen an verbraucherrechtlichen Streitigkeiten zu einer Sache mit nur einer Klage, die auf das Ziel der Klärung zentraler Voraussetzungen und Rechtsfragen in diesem speziellen Fall gerichtet ist, den gesamten Sachverhalt zum Abschluss bringen. Gerichte und auch die streitenden Parteien könnten sich in diesem Prozess auf die Klärung immer wiederkehrender Kernfragen konzentrieren. Damit würden die Ressourcen der Justiz, anders als im heute hier vorliegenden Entwurf, eine massive Entlastung erfahren, und die Verbraucher würden von der Vereinheitlichung der Rechtsprechung profitieren. Zusätzlich wäre es dann natürlich sinnvoll, ein Klageregister zu schaffen, in dem Verbraucherinnen und Verbraucher nach Bekanntmachung ihrer Klage bei bereits bestehendem Musterfeststellungsurteil ihre Ansprüche niedrigschwellig, kostenfrei und mit verjährungshemmender Wirkung anmelden können. Klar ist, dass das Musterfeststellungsurteil für diese Ansprüche natürlich dann aber auch Bindungswirkung entfalten müsste. Dadurch würde aus meiner Sicht die Wahrscheinlichkeit auf eine außergerichtliche Abwicklung der einzelnen Ansprüche signifikant erhöht. Denkbar ist hier etwa eine einvernehmliche oder im Rahmen der kostenfreien Streitschlichtung erzielte Einigung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie ahnen bzw. viele von Ihnen wissen es: Was ich hier vortrage, entspricht den Ankündigungen aus dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Dort wird bereits an entsprechenden Eckpunkten gearbeitet. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Donnerschlag! Bereits?) Auch mit der Praxis wird dieser Entwurf rückgekoppelt werden, was natürlich seine Zeit braucht. Das ist aber aus meiner Sicht genau der richtige Weg; denn bei solch komplizierten und schwierigen rechtlichen Themenbereichen wie der Gruppenklage gilt nun einmal der alte Grundsatz: Schneller ist manchmal eben nicht besser. Deswegen lehnt die SPD-Bundestagsfraktion heute Ihren Gesetzentwurf ab, obwohl wir uns im Ziel durchaus einig sind. Wir halten den Weg über ein Musterfeststellungsverfahren für wesentlich zielführender und ressourcenschonender. Sie ist für den Verbraucher auch ein wesentlich einfacheres Verfahren, das mit weniger Risiken verbunden ist. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]) Ich freue mich, mit Ihnen über entsprechende Vorhaben zeitnah an dieser Stelle zu diskutieren. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Caren Lay für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Caren Lay (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Allein machen sie dich ein.“ Das sang die Band „Ton Steine Scherben“ schon in den 70er-Jahren. Sie hatte wahrscheinlich nicht die Einführung von Gruppenverfahren vor Augen, aber das bringt es ganz gut auf den Punkt. Ich finde, allein kann der einzelne Verbraucher wenig gegen ein Unternehmen ausrichten, das ihn abgezockt hat. Gemeinsam können sich die Verbraucher viel besser wehren. (Beifall bei der LINKEN) Gemeinsam können wir uns viel besser wehren. Das heißt übersetzt ins Beamtendeutsch: Einführung von Gruppenverfahren oder Einführung von kollektiver statt individueller Rechtsdurchsetzung. In zehn EU-Staaten gibt es bereits diese Möglichkeit. Zuletzt wurde sie in Frankreich eingeführt. Auch die Europäische Kommission hat schon vor einigen Jahren die Einführung von Gruppenverfahren empfohlen. Nur Deutschland ist leider hinter dieser Entwicklung zurückgeblieben und hat es versäumt, seine Rechtsschutzinstrumente zu modernisieren. Wir sagen: Es wird höchste Zeit, dass auch in Deutschland Verbraucherinnen und Verbraucher in ihren Rechten gestärkt werden. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ein gutes Beispiel ist der aktuelle VW-Skandal. Es ist nicht nur ein riesengroßer Umweltskandal, sondern es ist auch Verbrauchertäuschung in großem, in riesigem Ausmaß. Es ist also höchste Zeit, gerade in diesem Zusammenhang über Gruppenverfahren nachzudenken. Sie könnten nämlich dafür sorgen, dass nicht der einzelne geschädigte und getäuschte Autokäufer auf den Goodwill, den guten Willen, des VWKonzerns angewiesen ist. Es wäre eine Möglichkeit, die geschädigten Verbraucher in ihrem Recht zu stärken, das sie auch gemeinsam gegenüber einem Gericht und gegenüber dem Konzern einklagen können. Die Koalition, vor allem die SPD, hat das Musterfeststellungsverfahren ins Spiel gebracht. Wir sagen: Das wäre besser als gar nichts. Es wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Aber aus unserer Sicht hat es einen entscheidenden Nachteil: Das Gericht würde zwar entscheiden, dass ein bestimmtes Unternehmen rechtswidrig gehandelt hat, aber es folgte automatisch noch nichts daraus. Jeder einzelne Geschädigte müsste vor Gericht ziehen und die Entschädigung individuell einklagen. – Diesen Gang scheuen erfahrungsgemäß viele Verbraucherinnen und Verbraucher, vielleicht weil nicht alle ein abgeschlossenes Jurastudium haben. Insofern sind wir der Auffassung, dass ein Gruppenverfahren dem Musterfeststellungsverfahren eindeutig überlegen ist. In der Praxis heißt es, dass das Unternehmen den unrechtmäßig erworbenen Gewinn weiter einstreichen kann, weil viele Verbraucherinnen und Verbraucher nicht wissen, dass sie deshalb extra vor Gericht ziehen müssen. Dass die Unternehmen diesen unrechtmäßig erworbenen Gewinn einbehalten können, ist völlig absurd. Das müssen wir endlich ändern. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir wissen das nicht erst seit gestern. Bereits 2010, also vor fünf Jahren, hat die Fraktion Die Linke im Rahmen des Gesetzes zur Bekämpfung unlauterer Telefonwerbung erstmalig auch für die Einführung von Gruppenverfahren plädiert. Auch die Verbraucherzentralen haben sich in der Zwischenzeit dafür ausgesprochen. Ich finde, dass ein Gruppenverfahren besser wäre als ein Musterfeststellungsverfahren. Aber das geht der Union offensichtlich noch zu weit. Anders kann ich es mir nicht erklären, dass wir im Verbraucherausschuss dreimal die Situation hatten, dass sie mit ihrer Mehrheit dagegen gestimmt hat, dass wir uns dort über die Frage der Auswirkungen des VW-Skandals auf die Verbraucherinnen und Verbraucher unterhalten können. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Was hat der VW-Skandal mit dem Gruppenverfahren zu tun?) Ich finde, das ist ein Skandal. Das können wir Ihnen so nicht durchgehen lassen. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir unterstützen den Vorschlag der Grünen, der hier auf dem Tisch liegt. Vage Ankündigungen, dass irgendwann einmal von der Regierung etwas kommt, stehen heute nicht zur Abstimmung. Wir werden den Gesetzentwurf der Grünen unterstützen, auch wenn wir im Detail andere Vorschläge sowie Ergänzungen und Änderungswünsche hätten, die vielleicht in eine andere Richtung gehen. Wir finden beispielsweise, dass die Erfahrungen in Großbritannien gezeigt haben, dass bei Bagatell- und Streuschäden kaum jemand mitklagt. Deswegen hätten wir bei den kleinen Bagatell- und Streuschäden für ein Opt-out-Verfahren plädiert. Aber das sind jetzt die Details. Die Annahme dieses Gesetzentwurfes würde die Situation für viele Verbraucherinnen und Verbraucher in der Realität verbessern. Deswegen plädiere ich für die Annahme dieses Gesetzentwurfes. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vielleicht zum Schluss noch einige Sätze. Bei diesem Thema wird gerne gesagt: Wir wollen ja keine amerikanischen Verhältnisse haben. – Amerikanische Verhältnisse will hier niemand haben. Sie zu schaffen, wird im Gesetzentwurf auch überhaupt nicht vorgeschlagen. Insofern kann man jetzt aufhören, hier Panik zu machen und einen Pappkameraden aufzubauen. „Allein machen sie dich ein.“ Das heißt umgekehrt: Gemeinsam sind wir stärker. – Ich kann es nicht hundertprozentig sagen; aber ich bin mir, ehrlich gesagt, ziemlich sicher: Auch die „Scherben“ wären für die Einführung von Gruppenverfahren. Stimmen auch Sie für diesen Gesetzentwurf! Die Verbraucherinnen und Verbraucher würden es Ihnen danken. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Was sind die „Scherben“? Das habe ich gar nicht verstanden!) Vizepräsident Peter Hintze: Nächster Redner ist der Abgeordnete Sebastian Steineke, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Sebastian Steineke (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben bereits vor einem Jahr – Kollege Wiese hat darauf hingewiesen – in diesem Haus über den Gesetzentwurf debattiert. Auch wenn dies lange her ist, hat sich in der Zwischenzeit an unserer Auffassung zu dem Gesetzentwurf nichts geändert. So hat auch die öffentliche Anhörung keinerlei neue Erkenntnisse gebracht, die uns zu einer Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf bringen könnten. Die Unionsfraktion wird diesen Gesetzentwurf wiederum ablehnen. Wir sperren uns nicht gegen Verbesserungen bei den Rechten der Verbraucherinnen und Verbraucher. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Ganz im Gegenteil!) Im Gegenteil: Wir haben gerade vor zwei Wochen im Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz Veränderungen herbeigeführt, denen die Grünen übrigens nicht zugestimmt haben. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Hört! Hört! – Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen bessere Gesetze machen, Herr Ullrich!) Dass der nun vorliegende Entwurf aber gerade nicht verbraucherfreundlich ist, werde ich später bei den Einzelheiten darlegen. Da geht es um handwerkliche Fehler, über die wir auch noch diskutieren werden. Es geht aber auch und vor allen Dingen um die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit. Es hakt schon bei der Erforderlichkeit. Wir haben in unserem Rechtssystem – bereits in erster Lesung haben wir viel darüber nachgedacht und gesprochen – schon jetzt viele effiziente, kostengünstige Instrumente und Möglichkeiten des kollektiven und individuellen Rechtsschutzes. Darauf sind auch viele Sachverständige in der Anhörung eingegangen. Neben den üblichen Individualklagewegen gibt es mehrere ähnlich gelagerte Möglichkeiten des kollektiven Rechtsschutzes. In den vergangenen Jahren wurden die schon jetzt bestehenden Möglichkeiten des kollektiven Rechtsschutzes erfolgreich bei diversen Sammelklagen gegen Energieversorger, Banken und Versicherungen genutzt. Verbände können nach dem Unterlassungsklagengesetz oder nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb bereits heute Sammelklagen erheben. Schon heute sieht die ZPO eine Streitgenossenschaft vor und regelt in § 147 die Prozessverbindung. Hinzu kommt das bereits erwähnte Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz. Damit haben wir beim kollektiven Rechtsschutz bereits einen relativ weiten Spielraum. Die zweite Frage ist die nach der Verhältnismäßigkeit des Entwurfs. Die Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland sollen den bestmöglichen Rechtsschutz erhalten. Unabhängig davon muss man sich trotzdem fragen, ob dieses Auf-den-Kopf-Stellen der 130 Jahre alten ZPO notwendig und verhältnismäßig ist. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das machen Sie beim StGB doch auch!) Ich will hier zwei Dinge nennen. Auch wenn immer wieder betont wird – wir haben gerade darüber gesprochen –, dass hier keiner amerikanische Verhältnisse will, sollte man den Vergleich immer mal wieder anstellen. Weit mehr als 90 Prozent der Sammelklagen in den USA enden mit einem Vergleich. Wieso ist das so? Weil es meistens um für die Bürgerinnen und Bürger existenzielle Rechtsfragen geht und durch die Medien ein enormer Druck aufgebaut wird, der die Firmen dazu zwingt, einen Vergleich einzugehen, selbst wenn die Beklagtenseite den Prozess im Falle eines Urteils nicht verlieren würde. Öffentlicher Druck darf doch in Deutschland nicht dazu führen, dass auf die rechtsstaatlichen Grundsätze eines Gerichtsverfahrens Einfluss genommen wird. Gerade für mittlere und große Unternehmen, die in vielen Fällen Beklagte sein dürften, würde ein Auswuchs an Sammelklagen eine erhebliche und unangemessene Belastung darstellen. Dieser Überzeugung sind wir weiterhin. Für die Wahrung des öffentlichen Interesses im Einzelfall haben sowohl Aufsichtsbehörden als auch Verbraucherverbände schon jetzt die Möglichkeit, vorbeugenden Rechtsschutz für die Betroffenen in Anspruch zu nehmen. Der zweite Punkt ist die hohe Missbrauchsanfälligkeit von Sammelklagen. Es ist durchaus zuzugestehen – das haben wir schon in der ersten Lesung gesagt –, dass Sie sich bemüht haben, diesen Risiken Rechnung zu tragen, gelungen ist Ihnen dies aber nicht. Wir sind nach wie vor der festen Überzeugung, dass gerade dem Instrument der Sammelklage die Gefahr des Missbrauchs immanent ist. Gehen wir ruhig weg aus den USA, und schauen wir nach Europa, zum Beispiel nach Schweden. In Schweden ist bei der Gruppenklage zum Beispiel explizit eine erfolgsabhängige Erhöhung des Honorars vorgesehen. Wir haben bereits im letzten Jahr vor dem Entstehen einer „Sammelklageindustrie“ gewarnt; Kollege Wiese hat darauf hingewiesen. Der Grundsatz des „loser pays“-Prinzip darf nicht dadurch unterlaufen werden, dass durch die Vereinbarung von Erfolgshonoraren ein Kläger vollkommen risikolos klagen kann. Gerade bei Kollektivklagen bieten diese Erfolgshonorare Anreize für Rechtsanwälte. Vergessen wir dabei nicht, dass wir in Deutschland seit 2008 in § 4 a RVG Erfolgshonorare impliziert haben. Viele Rechtsanwälte verfolgen mit ihrer Arbeit ein eigenes wirtschaftliches Interesse; das ist vollkommen in Ordnung, davon leben sie. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich denke, Sie sind die Wirtschaftspartei!) Ein redlich arbeitender Anwalt hat natürlich die feste Absicht, das Beste für seinen Mandanten herauszuholen; auch das ist vollkommen in Ordnung. Bei einer Sammelklage mit möglichst vielen Teilnehmern kann, nach dem Entwurf der Grünen, ein Anwalt deutlich mehr verdienen, als wenn er einen Einzelnen vertritt. In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es wörtlich: Damit erweist sich das Gruppenverfahren aus Sicht der Klägeranwältin oder des Klägeranwalts vor allem für solche Fälle als attraktiv, in denen eine große Anzahl von Betroffenen als Mandanten entweder bereits vorhanden sind oder zumindest in Betracht kommen. Das ist geradezu eine Aufforderung zum Rechtsstreit. Es geht darum, möglichst viele hinter die eigene Position zu bringen. Das kann nicht im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes liegen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU) Was für uns vor allem sehr wichtig ist und auch in der Anhörung von fast allen Sachverständigen deutlich gemacht wurde, das sind die massiven verfassungsrechtlichen Bedenken, die dem vorliegenden Gesetzentwurf innewohnen. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Die kommen noch obendrauf! Genau!) In Artikel 103 unserer Verfassung ist das Grundrecht auf rechtliches Gehör verankert. Dies wäre durch den Kern der allumfassenden Sammelklage explizit betroffen. Jedes einzelne Individuum, das seine Rechte gerichtlich geltend machen will, hat Anspruch auf rechtliches Gehör. Diesem Grundsatz würde die Einführung einer Sammelklage in keiner Weise gerecht; darauf haben mehrere Sachverständige hingewiesen. Der Teilnehmer würde sich einer Gruppe anschließen, die durch einen Gruppenführer vor Gericht vertreten wird. Zwar kann dieser Ihrem Entwurf zufolge bei Schlechtleistung ausgewechselt werden – das ist allerdings enorm schwierig –, das verhindert jedoch nicht, dass der Betroffene vor Gericht nicht mehr gehört wird. Es ist weiterhin nicht auszuschließen, dass der Einzelne trotz gleich gelagerter Ansprüche etwas zur Beurteilung der Sachlage beizutragen hat. Je größer die Gruppe, umso geringer ist die Möglichkeit der Einflussnahme für den Einzelnen. Dies ist ein klarer Verstoß gegen Artikel 103 des Grundgesetzes und mit uns nicht zu machen. Abgesehen von den generellen Zweifeln am Gesetzentwurf: Lassen Sie mich einige Beispiele nennen, weshalb die Regelungen auch handwerklich ungeeignet sind. Los geht es schon mit der im Entwurf festgelegten Zulässigkeit in § 606 ZPO. Dort ist weder geregelt, wie groß eine Gruppe sein muss noch welches Verfahren infrage kommt und um welche tatsächlichen Ansprüche es sich handelt. In Anbetracht der Tatsache, dass wir die ZPO vom Kopf auf die Füße stellen wollen, ist das ein völlig unbrauchbarer Ansatz. Ich zitiere aus § 619 Absatz 2 Ihres vorgelegten Gesetzentwurfes: Die Stellung als Gruppenkläger begründet kein Schuldverhältnis gegenüber den Teilnehmern des Gruppenverfahrens. Die Konsequenz daraus ist, dass derjenige, der die Klage führt, machen kann, was er will; um es salopp zu sagen. Er kann bei Schlechtleistung ausgewechselt werden, aber dann ist das Kind im Regelfall schon in den Brunnen gefallen. Verhandelt er schlecht, sind alle weiteren Teilnehmer daran gebunden. Das persönliche Schicksal des eigenen Anspruchs liegt einzig und allein in den Händen des einen Klägers. Das kann am Ende des Tages nicht der Wahrheit letzter Schluss sein. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch vollkommener Unsinn! – Gegenruf des Abg. Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das ist vollkommen richtig, was der Kollege sagt!) – Das ist vollkommen richtig. Lesen Sie Ihren eigenen Entwurf! (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das System nicht verstanden!) Nicht zuletzt führt § 615 zu einer deutlichen Kostenbelastung für die Verbraucherinnen und Verbraucher, weil Sie den Anwaltszwang bei der Anmeldung für Streu- und Bagatellschäden einführen wollen; es ist unglaublich, dass das in Ihrem Entwurf enthalten ist. Das Ziel des Gesetzes, Hemmungen vor Klagen abzubauen und kostengünstiger zu werden, ist somit klar verfehlt. Wir haben die angekündigte Prüfung der Bundesregierung zur Kenntnis genommen. Wir warten ab, was an Eckpunktepapieren und Entwürfen vorgelegt wird. Wir von der Union werden sehr genau prüfen, ob über das Instrumentarium hinaus, das uns zurzeit zur Verfügung steht, Verbesserungsmöglichkeiten überhaupt notwendig sind, und werden dann mit dem Koalitionspartner in gemessener Form darüber sprechen. Das, was die Grünen heute vorschlagen, geht auf jeden Fall deutlich zu weit und am Ziel vorbei. Deswegen werden wir den Gesetzentwurf ablehnen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Steineke, im Ergebnis habe ich nichts anderes erwartet, weil die CDU schon immer dagegen war. Die wirklich spannende Frage war ja nur: Mit welcher Pirouette argumentieren Sie heute? (Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Verfassungsrecht!) – Na ja, wie das mit dem Verfassungsrecht ist, sehen wir, wenn es so weit ist, wenn es so ein Gesetz als Vorlage gibt. (Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Wir haben doch eine Vorlage!) Das können Sie gerne behaupten. Ich behaupte das Gegenteil. Wissen Sie was? Ich meine, dass wir aktuell sagen können, dass es Gruppenverfahren braucht. Warum aktuell? Weil wir sehen, dass sich die Verfahren in dieser Gesellschaft immer mehr verändern. Wie viele Verträge gibt es, bei denen es um ganz kleine Summen geht? Die Zahl dieser Verträge nimmt durch das Internet stark zu, und wir stellen fest – dazu gibt es Zahlen; das haben wir vor ein paar Tagen mit hochrangigen Richtern in der niedersächsischen Landesvertretung erörtert –, dass die Zahl der Klagen vor den Zivilgerichten abnimmt, insbesondere die der Klagen, bei denen es um kleine Summen geht. Das hat meines Erachtens nicht nur damit zu tun, dass die Gerichte für die Bearbeitung viel zu lange brauchen, sondern auch damit – das sagt man mittlerweile so –, dass die Leute klein beigeben. Zwar sind 50 oder 20 Euro für sie persönlich extrem viel Geld, aber sie haben nicht den Mut, das Risiko einzugehen, zum Anwalt und womöglich durch mehrere Instanzen zu gehen. (Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Sie zwingen doch die Leute zum Anwalt!) Das ist doch keine Frage der Beutelschneiderei von Anwälten, sondern die Frage ist, ob sich das kleine Individuum angesichts eines größeren, mächtigeren Gegners, der mehrere Juristinnen und Juristen beschäftigt, überhaupt traut, sein Recht wahrzunehmen. – Dazu haben Sie kein Wort gesagt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Anlässlich des Themas Muster- und Gruppenklagen hätten Sie ja auch einmal ein Wort zum pikanten Thema VW sagen können. Hunderttausende Kunden von VW, dieses großen Unternehmens, fragen sich heute: Was gilt eigentlich? Es gibt skandalöse Mängel bei der Aufsicht und der Aufklärung, und Sie sagen hier kein Wort zur Situation der Verbraucherinnen und Verbraucher. (Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Weil das gar nicht passt!) Die Frage, ob es sich um einen Motormangel oder einen Softwaremangel handelt, legt doch nahe, zu überlegen, ob sich Kunden zusammentun können, um gemeinsam auf Schadensersatz zu klagen. (Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Gegen wen denn?) Meine These lautet: Das wäre am Ende für VW sogar besser als 100 000  einzelne Klagen. Von Ihnen kam kein Wort dazu. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Gegen wen sollen die denn klagen? Die können VW gar nicht verklagen! – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Und wegen was sollen die klagen?) – Wenn Sie das Thema im Rechtsausschuss nicht immer vertagen würden, wenn Sie den Punkt VW nicht immer wieder von der Tagesordnung nehmen würden – mittlerweile zum dritten Mal –, dann wäre Ihnen vielleicht klar, gegen wen und auf was sie klagen sollen. Der Probleme gibt es genug: Wie setze ich Rücktritts- oder Minderungsrechte durch? Was ist mit Schadensersatzansprüchen? – Ich glaube, dass die Politik die Verantwortung hat, eine Handreichung zu erstellen, wie man klagen kann, und zu sagen, wie die Regelungen für die Zukunft verändert werden. Für die von uns vorgeschlagene Änderung wäre VW ein klassischer Anwendungsfall. Wir haben gesagt: Es müssen mindestens zehn Gruppenmitglieder sein, die Ansprüche müssen den gleichen zugrundeliegenden Lebenssachverhalt betreffen und das Gruppenverfahren muss vorzugswürdig sein gegenüber Individualklagen. Das wäre der Fall. Das wäre sinnvoll, und zwar nicht, weil die Anwälte besonders viel Geld verdienen, nein, solche Gruppenverfahren wären auch effizienter für die Amtsgerichte als Hunderte oder Tausende Einzelverfahren. Herr Steineke, Sie haben gesagt, dass es viel besser sei, wenn die Anwälte die Fälle individuell bearbeiten. Vielleicht können Sie nachher einmal sagen, wie viele einzelne Klagen mit einem Streitwert von 10 oder 50 Euro Sie in Ihrem Büro bearbeiten, obwohl das für Sie als Anwalt ein Zuschussgeschäft ist. Ich bin der festen Überzeugung, dass das, was Sie hier erzählt haben, wirklich gaga war. Das war Kokolores. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Unsere Frage muss im Interesse der Verbraucher lauten – das hat die Anhörung für meine Begriffe ergeben –, wie die Barrieren, die angesichts des Risikos und der langen Wege bestehen, aufgelöst werden können. Ich muss Ihnen sagen: Ein Musterfeststellungsverfahren könnte eine gute Ergänzung eines Gruppenfeststellungsverfahrens sein, aber auch nicht mehr als das. Wen und was wollen Sie eigentlich schützen? Die Reinheit der Lehre? Die Unantastbarkeit der ZPO? An anderen Stellen ändern Sie die Gesetze doch auch. Das, was 1879 beim Verfassen der ZPO galt, muss heute nicht mehr unbedingt gelten. Damals wussten Sie direkt, wer Ihr vertragliches Gegenüber ist. In der heutigen Zeit ist dies anonymer. Heute gehen Sie nicht mehr in Tante-Emma-Läden, sondern bestellen online. Sie haben mit großen Unternehmen zu tun. Unsere Verpflichtung ist, die Checks und Balances, die aus den Anfangszeiten der ZPO und des BGB stammen, heute und in Zukunft sicherzustellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich meine, man sollte den Kunden eine Möglichkeit geben, zu ihrem Recht zu kommen. Ich muss ehrlich sagen, Herr Steineke: Das, was Sie mit Blick auf die USA gesagt haben – Sie haben erzählt, was in den USA gilt –, interessiert mich gar nicht. (Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Ich habe da gar nicht drüber gesprochen!) Denn es gibt keinen Automatismus, dass US-Recht bei uns gilt. Hier in unserer Vorlage heißt es „opt-in“. Nur wenn man Ja sagt, nimmt man am Verfahren teil und muss ausdrücklich eine Teilnahmeerklärung abgeben. Die Kostengrundentscheidung des § 91 ZPO bleibt. Wenn Sie mitleidig darauf hinweisen, welche Schwierigkeiten man hat, wenn man vielleicht Kritik am Anwalt hat, sage ich Ihnen: Niemand muss mitmachen. Sie haben keine Antwort auf die Frage gegeben, wie kleine Schäden von kleinen Bürgern gegenüber größeren Vertragspartnern eingeklagt werden können. Da kann ich nur sagen: Wer ein C im Namen hat, sollte sich eigentlich damit beschäftigen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Dr. Silke Launert, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Silke Launert (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf soll der kollektive Rechtsschutz gestärkt und insbesondere der Verbraucherschutz ausgebaut werden. Ohne Frage ist das ein ehrenwertes Ziel. Das Verbraucherschutzrecht ist eine ebenso notwendige wie legitime Staatsaufgabe. Schließlich geht es hier um Rechte für Menschen, die als Konsumenten gegenüber Herstellern und Vertreibern von Waren und gegenüber Anbietern von Dienstleistungen oft – das haben Sie zu Recht gesagt – tendenziell unterlegen sind. Die Rede ist von den schwarzen Schafen unter den Banken, den Energieversorgern oder den Versicherungen, die mit ihrem Verhalten den Ruf nach einer Regulierung durch den Vater Staat immer lauter werden lassen. Ja, der Staat hat gegenüber seinen Bürgern eine Pflicht. Er hat die Pflicht, einen verlässlichen Rahmen zu schaffen, der ein etwaiges Kompetenzgefälle auszugleichen vermag. Dabei hat er gleichermaßen zielgenaue Schutzvorkehrungen zu treffen und für eine effektive Rechtsdurchsetzung zu sorgen. Doch der Zweck heiligt nicht alle Mittel, und vor allem befreit er nicht davon, bei der Rechtsetzung Präzision und Genauigkeit walten zu lassen. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Eben!) Verliert man das aus den Augen, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie doch bessere Anträge!) droht ein gefährlicher Gesetzesaktionismus (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gesetzesaktionismus macht die CDU!) – ja, doch, das ist so –, dessen Ergebnis in der Praxis nicht besteht und der in der Folge einen Rattenschwanz aus Desorientierung und Nachbesserungen nach sich zieht. Deutlich wird dies jetzt an Ihrem Entwurf, bei dem man den Eindruck hat, dass der Grundsatz „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“ ins Gegenteil verkehrt wird. Im Gesetzentwurf wird angeführt, dass die Bürgerinnen und Bürger ihre privatrechtlichen Ansprüche nicht durchsetzen können oder wollen und dadurch das Recht seine gesellschaftliche Steuerungsfunktion nicht mehr ausreichend erfüllen könne. Die Bürger würden aus Bequemlichkeit oder rationaler Abwägung mehr oder weniger bewusst auf die Durchsetzung der eigenen Rechte verzichten. Begründet wird dies mit zu hohen Hürden beim Rechtszugang. Wenn Sie, liebe Fraktion der Grünen, dies wirklich annehmen, warum schaffen Sie dann in Ihrem Entwurf eine ausschließliche Zuständigkeit am allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten, also Wohnsitz oder Sitz des Beklagten? So nehmen Sie dem Kläger die im Moment noch bestehende Möglichkeit, eventuell über einen besonderen Gerichtsstand an seinem Wohnsitz zu klagen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie das möchten, ändere ich das sofort, wenn Sie dann zustimmen! Aber Sie wollen ja gar nicht zustimmen!) – Das ist schön. Das wäre der erste Punkt. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das ist vollkommen gaga! Sie wollen gar nicht zustimmen!) Warum müssen sich die Teilnehmer anwaltlich vertreten lassen, wenn doch der Gang zum Anwalt – das wurde von meinem Kollegen Steineke schon verdeutlicht – eine weitere psychologische Hürde darstellt? Warum es einen Anwaltszwang für die Teilnehmer gibt, frage ich mich überhaupt, wenn doch die Prozesshandlungen erheblich beschränkt sind, und zwar auf Fälle, die auch ohne Rechtsbeistand wahrgenommen werden können. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Und teurer wird es auch!) Meinen Sie nicht, dass diese Umstände die Hürden für jeden potenziellen Teilnehmer noch höher werden lassen? (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! 110 Leute sitzen also zusammen in einem Raum und machen eine Klage ohne Anwalt, ja?) Frau Künast, Sie haben die kleinen Beträge angesprochen. Aber meinen Sie, gerade dann, wenn es darum geht, kleine Beträge einzuklagen, sind die Leute auch noch bereit, Anwaltsgebühren dafür zu bezahlen? (Sebastian Steineke [CDU/CSU]: So ist es!) In kleinen Verfahren ist das beim Amtsgericht auch ohne Anwalt möglich. Das ist doch eine ganz einfache Kosten-Nutzen-Rechnung. Für die Teilnehmer führt der Anwaltszwang gerade zum Gegenteil. Gerade bei kleinen Fällen lohnt es sich nicht, durch Ihr Gruppenverfahren einen Haufen Anwaltskosten auf sich zu nehmen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ganz ehrlich: Wenn höhere Summen im Spiel sind, dann wird der Teilnehmer auch ein gesteigertes Interesse daran haben, mitzuwirken und Einfluss auf das gerichtliche Verfahren zu nehmen. Dann geht es wirklich um etwas. Bei größeren Verfahren mit Tausenden von Klägern, wie in Kapitalanlagefällen zum Teil der Fall, mag es gerechtfertigt sein, zu sagen: Es kann nicht jeder von den Tausenden mitreden. – Aber bei kleinen Gruppenverfahren sieht das anders aus. Ich finde, da sollte das anders geregelt sein. Nicht nur das. In Ihrem Gesetzentwurf haben Sie vorgesehen – das wurde von meinem Kollegen Steineke schon angesprochen –, dass keine vertragliche Beziehung zwischen dem Teilnehmer und dem Gruppenkläger begründet werden soll. Das heißt, der Teilnehmer hat keinerlei Kontrollmöglichkeit, und der Gruppenkläger und dessen Anwälte sind nicht verpflichtet, die Teilnehmerinteressen zu schützen und auf sie Rücksicht zu nehmen. Es bedarf doch wahrlich keiner Glaskugel, um vorherzusehen, dass unter diesen Umständen einer Individualklage der Vorrang vor einem Gruppenverfahren einzuräumen ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Unklar bleibt schließlich auch die Frage, wer sich als Gruppenkläger zur Verfügung stellen soll bzw. welchen Anreiz es gibt, dies zu tun. Die Kostenbeteiligung der Teilnehmer ist auf einen Höchstbetrag beschränkt. Für die darüber hinausgehenden Kosten haftet dann allein der Gruppenkläger. (Sebastian Steineke [CDU/CSU]: So ist es!) Für ihn kann ein solches Verfahren somit zu einem unkalkulierbaren Risiko werden. Auf die zahlreichen weiteren Kritikpunkte im Hinblick auf diesen Gesetzentwurf möchte ich nicht weiter eingehen, weil wir in der ersten Lesung und in der öffentlichen Anhörung schon ausführlich davon gehört haben. Insgesamt hat sich gezeigt, dass der vorgelegte Gesetzentwurf wenig geeignet ist, die von Ihnen beschriebenen Zugangshürden zu reduzieren. Ihr Gesetzentwurf kann diesem durchaus wichtigen rechtspolitischen Anliegen daher leider nicht genügen. (Sebastian Steineke [CDU/CSU]: So ist es!) Fest steht, dass die Welt und damit die Herausforderungen für die Politik und die Verbraucher komplexer geworden sind. Auch der Trend zur globalisierten Welt, in der sich der Zugang zu Waren nicht mehr nur auf das eigene Land beschränkt, erfordert ein Umdenken. Nicht ganz ohne Grund widmet sich die EU zunehmend dem Verbraucherschutz. Es ist für mich nicht überraschend, dass die Europäische Kommission in ihrer Empfehlung aus dem Jahr 2013 verlangt, den kollektiven Rechtsschutz weiter voranzutreiben. Es ist daher unsere Aufgabe, uns immer wieder die Frage zu stellen: Genügen unsere bewährten nationalen Instrumente diesen aktuellen Gegebenheiten, oder besteht Handlungsbedarf? Ich denke, wir sind uns hier im Plenum einig: Handlungsbedarf bejahen wird grundsätzlich. Mit Blick auf den kollektiven Rechtsschutz und die Empfehlung der Kommission arbeitet das Bundesjustizministerium gerade an einem Konzept für ein Musterfeststellungsverfahren. Darüber hinaus wird geprüft, ob der Gewinnabschöpfungsanspruch im Bereich des Rechts gegen den unlauteren Wettbewerb verändert ausgestaltet werden sollte. Es wird auch darum gehen, ob die Ansprüche im Unterlassungsklagengesetz um Ansprüche ergänzt werden sollten, mit denen Verbraucherverbände und andere klagebefugte Einrichtungen bei den Unternehmen das durch rechtswidriges Verhalten Erlangte abschöpfen können. Auch dieser Frage wird sich das Ministerium stellen. Ich meine, manchmal ist es besser, das bereits Bestehende zu pflegen und es gegebenenfalls weiterzuentwickeln, anstatt sich einem stimmungsgeleiteten politischen Aktionismus hinzugeben; denn mehr Gesetze bedeuten nicht automatisch mehr Recht. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als letztem Redner in dieser Aussprache erteile ich dem Abgeordneten Metin Hakverdi, SPD-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Metin Hakverdi (SPD): Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum effektiven Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern gehört erstens, dass der erforderliche materiell-rechtliche Rahmen geschaffen wird. Zweitens gehört aber eben auch dazu, dass eine effektive Rechtsdurchsetzung möglich ist. Recht, das nicht oder nur unzureichend durchsetzungsfähig ist, ist ein bloßer Papiertiger. Der von den Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen vorgelegte Gesetzentwurf zur Einführung von Gruppenverfahren gibt uns Anlass, darüber nachzudenken, ob der Verbraucherschutz im Bereich der Rechtsdurchsetzung weiter ausgebaut werden muss. Unsere Prozessordnung beruht auf dem Grundgedanken, dass der Einzelne sein Recht selber durchsetzt. Daran ist erst einmal nichts auszusetzen. Seit der Etablierung dieses Grundgedankens im 19. Jahrhundert hat sich allerdings vieles geändert. Der Anwendungsbereich des Zivilrechts ist deutlich größer geworden. Heute sind viel mehr Rechtsverhältnisse zivilrechtlich organisiert: Die Versorgung mit Strom, Gas und Wasser erfolgt heute auf der Grundlage zivilrechtlicher Verträge. Der öffentliche Transport erfolgt heute auf der Grundlage zivilrechtlicher Verträge. Das Versicherungswesen beruht auf der Grundlage zivilrechtlicher Verträge. Die Altersversorgung durch Kapitalanlagen erfolgt heute auf der Grundlage zivilrechtlicher Verträge. Die Rechtsverhältnisse sind gleichzeitig komplexer geworden. Wenn man heute einen Vertrag zur Altersvorsorge abschließt, bekommt man neben dem Vertrag eine CD, auf der die geleistete Beratung dokumentiert ist. Es ist so viel, dass niemand mehr das Ganze auf Papier ausdrucken mag. Der Kauf einer App über das Internet setzt die Erteilung einer Zustimmung zu einem seitenlangen Konvolut mit vielen Vertragsklauseln voraus. Selbst der Kauf einer Zahnbürste im Supermarkt oder eines Pullovers in einem Kaufhaus ist heutzutage wegen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die irgendwo in den jeweiligen Läden aushängen, eine höchstkomplizierte rechtliche Angelegenheit geworden. Diese Komplexität der Rechtsverhältnisse führt dazu, dass der Einzelne schnell an den Punkt gelangt, auf die Durchsetzung seines Rechts zu verzichten. Das sogenannte rationale Desinteresse an der Rechtsdurchsetzung, insbesondere bei kleineren Schäden, ist deshalb besonders groß. Nicht durchgesetztes Recht führt dazu, dass das objektive Recht insgesamt verzerrt wird. Eine rechtswidrige Praxis etabliert sich. Mit einer effektiven Rechtsdurchsetzung helfen wir also nicht nur dem einzelnen Verbraucher und der einzelnen Verbraucherin, sondern verschaffen wir dem Recht insgesamt Geltung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) – Kollegin, ich danke Ihnen. Für die effektive Rechtsdurchsetzung haben wir in dieser Legislaturperiode bereits einiges auf den Weg gebracht. Dazu gehören zum Beispiel die Marktwächter. Wir haben die Marktwächter installiert, die den Bereich „Digitales und Finanzen“ beobachten. Die Verbraucherschutzverbände können jetzt auf der Grundlage der Marktbeobachtung die Verbraucherinnen und Verbraucher informieren. Sie können aber auch Verbandsklagen anstrengen. Wir werden weiterhin eine Reform des Unterlassungsklagengesetzes auf den Weg bringen. Im Kern geht es bei dieser Reform darum, den Anwendungsbereich von Verbandsklagen auszuweiten. Die wesentlichen Punkte dieser Reform sind mit dem Koalitionspartner ausgehandelt. Mein Appell heute an die Kolleginnen und Kollegen der Union lautet: Geben Sie sich einen Ruck, damit wir den Gesetzentwurf bald zügig zu Ende bringen und auch in diesem Bereich den Verbraucherschutz weiter voranbringen können. (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, wir stimmen mit Ihnen überein: Die Verbraucher müssen ihre Rechte wirksam vor Gericht durchsetzen können. Wir sind der Auffassung, dass ein solches Verfahren keine großen Hürden in wirtschaftlicher und bürokratischer Hinsicht haben darf. Das von Ihnen vorgeschlagene Gruppenverfahren ist ein Denkanstoß in die richtige Richtung. Wir haben jedoch wegen der konkreten Ausgestaltung Bedenken. In der Zivilprozessordnung sind bereits heute Instrumente vorhanden, mit denen gleichgerichtete Ansprüche gebündelt werden können. Ich verweise auf die objektive und subjektive Klagehäufung. Auch andere Instrumente sind hier schon genannt worden. Auf dieser Grundlage sind bereits erfolgreich Sammelklagen angestrengt worden. In der öffentlichen Anhörung sind auch weitere Bedenken vorgetragen worden. Dazu gehört die Kritik, die hier schon genannt wurde, dass das Grundrecht auf rechtliches Gehör aus Artikel 103 Absatz 1 Grundgesetz nicht hinreichend bedacht wurde. Ferner wurde kritisiert, dass der von Ihnen vorgeschlagene Anwendungsbereich im Hinblick auf die Problemlage zu eingeschränkt sei. Insgesamt stelle ich fest, dass wir Ihre Problembeschreibung und den aufgezeigten Handlungsbedarf teilen. Wir wollen im Ergebnis jedoch eine andere Lösung, nämlich die Musterfeststellungsklage. Wir glauben, dass die Musterfeststellungklage gegenüber der Gruppenklage vorzugswürdig ist. Die Musterfeststellungsklage bietet nämlich ebenfalls die Möglichkeit, eine Vielzahl von gleichgelagerten Sachverhalten in einem Verfahren zu bündeln. Ein Kläger, zum Beispiel ein Verbraucherschutzverband, kann in einem Musterverfahren feststellen lassen, ob die Voraussetzungen für eine Vielzahl von Ansprüchen gegeben sind. Im Justizministerium wird an einem Eckpunktepapier zu einem solchen Gesetzentwurf gearbeitet; wir haben es heute schon gehört. Wir freuen uns darauf, mit Ihnen auf der Grundlage des Eckpunktepapiers die Debatte über den kollektiven Rechtsschutz fortzuführen. Heute werden wir Ihrem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen über die Einführung von Gruppenverfahren. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6422, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1464 abzulehnen. Abstimmen werden wir über den Gesetzentwurf. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf: a)   – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Strukturen der Krankenhausversorgung (Krankenhausstrukturgesetz – KHSG) Drucksache 18/5372 – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Strukturen der Krankenhausversorgung (Krankenhausstrukturgesetz – KHSG) Drucksache 18/5867 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) Drucksache 18/6586 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6587 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Versorgungsqualität und Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern verbessern – Bedarfsgerechte Personalbemessung gesetzlich regeln – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Elisabeth Scharfenberg, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gute Versorgung, gute Arbeit – Krankenhäuser zukunftsfest machen Drucksachen 18/5369, 18/5381, 18/6586 Interfraktionell wurden 38 Minuten für die Aussprache vereinbart. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich bitte diejenigen, die der Debatte nicht folgen wollen, den Plenarsaal zu verlassen. Als erstem Redner erteile ich Bundesminister Hermann Gröhe für die Bundesregierung das Wort. (Beifall bei Abgeordneten CDU/CSU) Hermann Gröhe, Bundesminister für Gesundheit: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Mit dem Krankenhausstrukturgesetz legen wir die Grundlagen für eine gute Weiterentwicklung der qualitativ hochwertigen Krankenhausversorgung in unserem Land. Die Gewinner sind die Patientinnen und Patienten. Es geht um eine Stärkung der Pflege auf der Station. Es geht um eine gut erreichbare Grund- und Regelversorgung. Es geht um eine qualitätsorientierte Arbeitsteilung, eine Arbeitsteilung also, die die Qualität der Behandlung in den Mittelpunkt rückt. Es geht schließlich um die Unterstützung der Länder bei der Weiterentwicklung der Krankenhauslandschaft in unserem Land. Zum ersten Punkt. Ohne Zweifel verlangt eine gute Krankenhausversorgung nicht allein medizinisches Können von Ärztinnen und Ärzten, sondern auch den Einsatz der Pflegerinnen und Pfleger. Wir brauchen – und bekennen uns dazu – eine Stärkung der Pflege auf der Station. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dazu ergreifen wir drei konkrete Maßnahmen: Erstens ist ein Pflegestellen-Förderprogramm zu nennen, mit dem wir in den nächsten drei Jahren 660 Millionen Euro für zusätzliche Pflegestellen in die Hand nehmen. Zweitens wird der Versorgungszuschlag in einen Pflegezuschlag umgewandelt – dabei wird eine Idee des parlamentarischen Verfahrens aufgegriffen; sicherlich wird Georg Nüßlein Weiteres dazu ausführen –, und werden diese Mittel an die Mittel, die ein Krankenhaus für die Pflege zur Verfügung stellt, gebunden. Wir schaffen einen Anreiz zur dauerhaften Beschäftigung von Pflegepersonal. Wir führen zum dritten eine Regelung ein, die die Tarifkostensteigerung im Bereich der Pflege refinanziert; denn gutes Pflegepersonal hat Anspruch auf eine angemessene Vergütung. Der zweite Bereich ist die wichtige gut erreichbare Grund- und Regelversorgung. Wir werden mit speziellen Zuschlägen dafür sorgen, dass Krankenhäuser, die in einer Region einen unverzichtbaren Beitrag zur dortigen Versorgung leisten, auch erhalten bleiben. Des Weiteren sind, wenn es schnell gehen muss, gut erreichbare Angebote der Notfallversorgung ganz wichtig. Wir werden daher die Notfallversorgung durch die niedergelassene Ärzteschaft und das, was die Krankenhäuser in diesem Bereich leisten, besser miteinander verzahnen und zugleich den Anteil der Krankenhäuser an dieser Versorgung fairer vergüten. Es ist wichtig, dass die Menschen wissen: Wenn es schnell gehen muss – nach einem Unfall oder einem Herzinfarkt, wann auch immer –, dann gehört gute Erreichbarkeit zur Qualität der Versorgung. Drittens ist eine Weiterentwicklung der Krankenhauslandschaft durch Spezialisierung und damit Qualitätssicherung etwa in Form von Zentren für seltene Erkrankungen wichtig, die in Krankenhausnetzwerken vorgehalten werden. Diese Tätigkeiten, nicht zuletzt vieler unserer Universitätskliniken, aber auch anderer Maximalversorger oder auch Häuser, die sich besonders spezialisiert haben, werden wir durch bestimmte Zentrenzuschläge besonders fördern. Mit einer Reihe von wichtigen Schritten fördern wir die Qualität. Mit Qualitätszuschlägen – es gibt aber auch Abschläge, wenn eine entsprechende Qualität nicht erreicht wird – belohnen wir besondere Anstrengungen. Wir werden mit Qualitätsverträgen erproben, wie auch hier ein zusätzlicher Anreiz zu besonders hoher Qualitätsleistung gesetzt werden kann. Etwas anderes ist mir ganz wichtig, wenn wir über Qualität reden: die Sicherstellung, die Förderung von Krankenhaushygiene. Es ist besorgniserregend, wenn Menschen zuallererst die Frage stellen: „Hole ich mir eine neue Krankheit?“, und nicht die Frage haben: Werde ich dort optimal versorgt? Wir haben bereits vor einigen Jahren ein HygieneFörderprogramm auf den Weg gebracht. Aber wir werden dieses Programm ausbauen, über die nächsten Jahre noch einmal 280 Millionen Euro in die Hand nehmen und das Programm inhaltlich ausweiten, um die Hygiene in unseren Krankenhäusern voranzutreiben, ein wichtiger Schritt zu mehr Qualität in der Krankenhausversorgung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Nicht alles kann in gleicher Weise überall in gleicher Qualität geleistet werden. Deswegen ist es richtig, zu einer vernünftigen Arbeitsteilung zwischen ortsnah und gut erreichbarer Grund- und Regelversorgung und Spezialisierung zu kommen. Das wird auch zu einem Umbau in der Krankenhauslandschaft führen. Hier braucht es auch Mut, den Maßstab der Qualität, den wir in der Krankenhausplanung neu verankern, tatsächlich umzusetzen. Deswegen stärken wir die Fähigkeit der Länder, mit krankenhausplanerischen Entscheidungen die Krankenhauslandschaft weiterzuentwickeln, indem wir über einen Strukturfonds Mittel zur Verfügung stellen, die einerseits den Abbau von Überkapazitäten ermöglichen, aber andererseits deren Umbau in erforderliche Versorgungsangebote. Meine Damen, meine Herren, die Länder, denen ich für eine gute Zusammenarbeit auf dem Weg zu dieser Krankenhausreform danke, haben sich ausdrücklich dazu bekannt, nicht nur eine gute Krankenhausplanung zu verantworten, sondern auch angemessene Investitionsmittel zur Verfügung zu stellen. Da werden wir sie beim Wort nehmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) In der Tat brauchen wir eine angemessene Ausstattung unserer Krankenhäuser mit Investitionen. Wir begleiten dies durch den schon genannten Strukturfonds, aber auch über die Mittel, die im Rahmen des kommunalen Finanzierungsprogramms auch für die Krankenhäuser zur Verfügung gestellt werden. Gemeinsam tragen wir Verantwortung: der Bund für die Behandlungs- und Betriebskostenfinanzierung, die Länder für die Investitionskostenfinanzierung. Wir nehmen mit dieser Reform zusätzliches Geld in die Hand. Das ist auch kritisiert worden, nachdem es dem einen oder anderen zunächst nicht ausreichend erschien. Ich sage: Wir tun dies einerseits zum Wohle der Patientinnen und Patienten; aber durch die Weiterentwicklung der Krankenhauslandschaft leisten wir andererseits einen Beitrag, diese Krankenhauslandschaft nachhaltig zu finanzieren. Insofern investieren wir auch in die wirtschaftliche und qualitätsorientierte Weiterentwicklung der Krankenhauslandschaft zum Wohle der Patientinnen und Patienten. Ich bitte Sie: Stimmen Sie diesem Gesetz zu! Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Harald Weinberg, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Harald Weinberg (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte zunächst einmal um Verständnis, dass ich mich bei meiner geringen Redezeit nur auf einen Aspekt beschränken werde und beschränken muss. Irgendwo in einem beliebigen Krankenhaus in Deutschland, Nachtschicht auf einer Station der Inneren Medizin: 49 Patientinnen und Patienten, davon 22 absolut pflegebedürftig, 7 bedingt pflegebedürftig, davon 2 verwirrt und mit Weglauftendenz, 3 ungeplante Notaufnahmen in der Nacht und 1 – in Worten: eine – examinierte Krankenschwester plus 1 Pflegekraft als Springer, zuständig für insgesamt vier solcher Stationen. Wichtige Tätigkeiten wie Mobilisation, Verbandwechsel, Vitalzeichenkontrolle, Lagerung, Hygiene, Medikamentengabe und Dokumentation können nicht, verspätet oder nur durch Ableistung von noch mehr Überstunden erbracht werden. Diese traurige Zustandsbeschreibung stammt aus einer Gefährdungs- bzw. Überlastungsanzeige, die mir vorliegt. Das ist kein Einzelfall, sondern das kommt zigtausendfach in unseren Krankenhäusern vor. Der Pflegenotstand ist schon länger da. Er ist eine Gefährdung für die Pflegenden und für die Gepflegten. Das ist unerträglich und muss dringend behoben werden. (Beifall bei der LINKEN) Die zentrale Frage lautet daher: Bietet das vorliegende Gesetz hierfür eine zureichende Lösung? Die Antwort lautet leider: Nein. Sie wissen das ganz genau. Sie wissen auch genau, dass es an der Basis brodelt. Deswegen können Sie das Problem auch nicht länger ignorieren und machen ein Pflegestellen-Förderprogramm, einen Pflegezuschlag und eine Expertenkommission zur Krankenhauspflege. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Was ist schlecht daran?) Das alles hört sich gut an. Wenn man sich die Maßnahmen aber genau anschaut, muss man zu dem Schluss kommen, dass sie nicht zureichend sind, dass sie womöglich nur einen Placeboeffekt haben. Das Pflegestellen-Förderprogramm ist vom Volumen viel zu gering – das wissen Sie auch – und führt bei einer optimistischen Schätzung zu 6 500 zusätzlichen Stellen. Es fehlen aber 70 000 bis 100 000 Stellen, nur wenn wir in das Mittelfeld der europäischen Länder aufschließen wollen. Bisher sind wir Schlusslicht in Europa. Mit zweieinhalb Stellen pro Krankenhaus wird das durch die zu erwartende Steigerung der Krankenhausfälle überkompensiert und ist nicht mehr als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Die Expertenkommission, die eingerichtet wurde und bereits einmal getagt hat, hat von Ihnen, Herr Minister, einen Auftrag erhalten, bei dem eine gesetzliche Personalbemessung ausgeschlossen ist. Auch von hier ist keine zureichende Lösung zu erwarten. Dann haben Sie den bisherigen Versorgungszuschlag in Höhe von 500 Millionen Euro doch nicht gestrichen wie zunächst beabsichtigt, sondern in einen Pflegezuschlag umgewandelt. (Zuruf von der SPD: Gut so!) Durch ihn wird wohl keine einzige zusätzliche Pflegestelle geschaffen, weil ein Krankenhaus nach dieser Regelung lediglich rund 3 Prozent Personalkosten spart, wenn es eine neue Stelle schafft. Warum sollte es das unter den gegebenen ökonomischen Bedingungen, die wir in den Krankenhäusern haben, tun? Das frage ich Sie. Der Protest, den es gegeben hat, hat sich dennoch insofern gelohnt, als dass die Krankenhäuser erst einmal keine Kürzungen erwarten müssen. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft und andere Verbände feiern dies. Und nun, liebe SPD, schaue ich mir einmal Ihre eigenen Ansprüche an, die man auf der Website von Herrn Lauterbach nachlesen kann. Sie fordern dort – Zitat – „die Entwicklung verbindlicher bundeseinheitlicher Mindestpersonalstandards“. Wo steht davon etwas in dem Gesetz? Nirgendwo. Das gibt das Mandat der Expertenkommission nicht her. Sie fordern weiter, „Krankenhäuser mit Vergütungsabschlägen zu sanktionieren, wenn sie ohne eine regionale Besonderheit die vereinbarten bundeseinheitlichen Mindestpersonalstandards unterschreiten“. Wo steht das in dem Gesetz? Darin gibt es gar keine vereinbarten bundeseinheitlichen Mindestpersonalstandards, die unterschritten werden könnten, geschweige denn Sanktionen. Sie fordern, „Krankenhäuser mit Vergütungsabschlägen zu sanktionieren, wenn sie Pflegepersonal unter Tarif vergüten“. Auch davon steht kein Wort in dem Gesetz. Ferner wollen Sie eine verbindliche Fachkraftquote in der stationären Kinderkrankenpflege prüfen und einen Frauenförderplan samt einer 40-prozentigen Frauenquote bei Führungspositionen. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das wäre schon mal was!) Sie wissen genau: Auch das finden wir in dem Gesetz nicht. Gemessen an Ihren eigenen Ansprüchen sind Sie, was dieses Gesetz betrifft, relativ stark und gnadenlos an Ihren Vorgaben gescheitert, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber ganz knapp nur!) die die personelle Situation im Pflegedienst der Krankenhäuser spürbar hätten verbessern können. Hinweisen möchte ich in diesem Zusammenhang noch auf eine Petition von Verdi, die eine Mindestpersonalbesetzung fordert. Über 160 000 Menschen haben diese Petition unterschrieben. Nach diesem Gesetz ist sie leider genauso nötig und aktuell wie vor diesem Gesetz. Erledigt ist sie durch dieses Gesetz schon gar nicht. (Beifall bei der LINKEN) Zum Schluss bleibt mir daher nur, denjenigen, denen diese 160 000 Unterschriften etwas wert sind, eine Empfehlung zu geben: Stimmen Sie mit uns gegen den Gesetzentwurf und für unseren Antrag, der eine bundesweite gesetzliche Personalbemessung vorsieht! Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Hilde Mattheis, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hilde Mattheis (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese 38 Minuten Debatte spiegeln in der Tat nicht das wider, was wir mit diesem Gesetz auf den Weg bringen. Nach monatelangen Verhandlungen und sehr intensiven Beratungen können wir heute feststellen, dass wir das, was über die Sommerpause überall in den Wahlkreisen bei uns angekommen ist, nämlich dass Kommunalpolitiker, Landrätinnen und Landräte bei uns vorstellig geworden sind und gesagt haben: „Wir brauchen eine gute Finanzierung der Krankenhäuser, gekoppelt mit einer Verbesserung der Versorgungsqualität“, in den Fraktionen umgesetzt und gut auf den Weg gebracht haben. Ich glaube, man kann durchaus sagen: 10 Milliarden Euro mehr für die Finanzierung für die Krankenhäuser sind nicht banal, und sie verpflichten uns gegenüber denjenigen, die die Beiträge zahlen, dafür zu sorgen, dass sie gut angelegt sind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Und die 10 Milliarden Euro sind gut angelegt. Ich beginne beim Pflegepersonal. Wenn Sie sagen, dass das Pflegestellen-Förderprogramm nicht unbedingt der große Wurf ist, dann sollten Sie den Gesetzentwurf wenigstens bis zum Ende lesen. Darin steht nämlich, dass sich das Programm über drei Jahre erstreckt. Das eigentliche Ziel ist dann zu verwirklichen, wenn die Expertenkommission, die Sie ein bisschen herabwürdigen – ich finde das nicht in Ordnung –, uns ihre Vorschläge zur Verbesserung der Abbildung des Pflegepersonals entweder innerhalb oder außerhalb der DRGs vorlegt. Stellen Sie sich vor, wir hätten gesagt: „Das geht auch so“ und hätten Verdi nicht einbezogen. Verdi ist nämlich in der Expertenkommission dabei. Wir werden sehr intensiv beraten müssen. Darin gebe ich Ihnen sehr gerne recht, Herr Weinberg. Die Ausgestaltung muss richtig gut sein, damit dem, was auch unsere Debatten geprägt hat, Rechnung getragen wird, nämlich der Frage, wie die Situation der Fachpflege zu verbessern ist, damit in Zukunft die Pflegeberufe und somit diejenigen entlastet werden, die in den Krankenhäusern unglaublich gute Arbeit leisten. Denn das wollen wir. Das Pflegestellen-Förderprogramm, das Sie kleinreden, wenn Sie von zweieinhalb Stellen sprechen – je nachdem, wie man es rechnet, ist es eine Stelle mehr oder weniger –, ist ein Übergangsförderprogramm, und so steht es auch im Gesetzentwurf. Zum Pflegezuschuss: Wir haben alle darüber debattiert. Verschiedene Player des Gesundheitswesens waren ständig in unseren Büros. Es ging darum, die Finanzierung der Krankenhäuser zu verbessern. Wenn wir uns in den Wahlkreisen in den kommunalen Krankenhäusern darüber informiert haben, wie es mit der Finanzierungssicherheit bei denjenigen aussieht, die Versorgungssicherheit bieten sollen, dann haben wir alle feststellen müssen, dass die Finanzierungssituation in der Tat bei fast 50 Prozent der Krankenhäuser sehr schwierig ist. Was machen wir jetzt mit dem Pflegezuschuss? Dabei geht es um 500 Millionen Euro. Wir geben Anreize, dass die Krankenhäuser etwas aus diesem Topf bekommen, wenn sie dafür wirklich sicher in Pflegestellen investiert haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist doch ein Anreiz. Da können Sie nicht sagen: Das hat mit Versorgungssicherheit nichts zu tun. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: 3 Prozent!) Natürlich werden wir im Blick behalten, wie die Wirkungsweise tatsächlich ist. Das ist ein lernendes System. Es wird auch zu Verschiebungen kommen. Das ist eine einfache Rechnung. Von daher werden wir, glaube ich, unsere Vorstellung in der SPD davon, wie ein Gesundheitssystem aufgebaut werden muss und wie wir sektorenübergreifend Ansätze unterstützen müssen, mit diesem Gesetzentwurf und übrigens auch mit dem Versorgungsstärkungsgesetz weiter umsetzen. Ich finde, man darf durchaus darauf hinweisen, dass wir uns in dieser Legislaturperiode in der Tat mit vielen gesundheitspolitischen Aspekten beschäftigen, die zusammengenommen einen unglaublichen Schritt zu mehr Qualität und Versorgungssicherheit bedeuten. Dabei beziehe ich auch gleich die Pflege mit ein. Was wir da auf den Weg bringen, ist ein solcher Meilenstein, dass man das auch einmal zusammenhängend darstellen muss. Wir sollten das in dieser Weise einmal im Parlament behandeln; das ist für uns Gesundheitspolitiker ein bisschen schwierig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Frau Kollegin, das war doch ein wunderschöner Schlusssatz. Er war zwar schon außerhalb der Redezeit. Aber mit dem Hinweis auf den Meilenstein hätte man schön abschließen können. (Zurufe von der CDU/CSU: Punkt! Punkt!) Hilde Mattheis (SPD): Ich mache einen Punkt und bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt können wir klatschen! Sehr gut!) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Gleich vorab: Wir werden den Entwurf eines Krankenhausstrukturgesetzes ablehnen, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Welche Überraschung! – Tino Sorge [CDU/CSU]: Wieso das denn? – Hilde Mattheis [SPD]: Surprise, Surprise!) nicht weil das Gesetz gar keine vernünftigen Detailregelungen enthält – zum Beispiel haben wir bei der Palliativmedizin ausdrücklich zugestimmt –, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Aha!) auch nicht, weil wir etwa meinen, dass die bis 2020 bereitgestellten Milliardenbeträge den Krankenhäusern nicht helfen würden. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Warum dann nicht? – Tino Sorge [CDU/CSU]: Dann stimmen Sie doch zu!) Nicht einmal das Argument, das alles sei nicht ausreichend, werden wir bemühen. Vielmehr stimmen wir aufgrund des Versäumnisses nicht zu, dass mit dem Gesetz kein Schritt hin zur Lösung der völlig unzureichenden Investitionsfinanzierung gegangen wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: Länder! Länder!) Dies sowie die verschleppte Reform der bedarfsorientierten, regionalen und sektorenübergreifenden Versorgungsplanung stellen die grundsätzlichen Bedenken dar, die wir gegen dieses Gesetz haben und weshalb wir es ablehnen; denn sie führen zur Ausdünnung der Mittel für den Krankenhausbetrieb mit gravierenden Folgen. Das möchte ich Ihnen an zwei Beispielen klarmachen. Das erste Beispiel ist der Pflegenotstand. Die Mittel für den Krankenhausbetrieb werden für dringend notwendige Investitionen geplündert, und zwar zulasten des Personals. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Na, na!) – Das ist so; das trifft auf viele Krankenhäuser zu. Schon seit vielen Jahren fordern wir, dass für die Pflege ausreichend zu kalkulierende Mittel auch dort ankommen, sich also beim Personal widerspiegeln müssen. Auch wenn nunmehr die Fördermittel für die Pflege bereitgestellt werden, decken diese nicht annähernd den Bedarf und sind in dieser Größenordnung auch keine ausreichende Kompensation für die fehlenden Investitionsmittel. Ihr Stopfpilz wird immer zu klein bleiben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ähnliches gilt auch bei der Hygiene. Wer sollte schelten, dass Mittel für Hygiene – modifiziert – weiterhin bereitgestellt werden? Aber mangelnde sachliche Investitionen und Investitionen zulasten des Personals stellen eine latente Gefahr für die Hygiene dar. Auch hier wurde das Pferd politisch von hinten aufgezäumt. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das Pferd?) – Man könnte auch sagen: Man legt zuerst Feuer und holt dann die Feuerwehr. Nun höre ich das schon bekannte Argument: Die Länder sind doch für die Investitionen zuständig. (Tino Sorge [CDU/CSU]: So ist es! Fakt! – Heike Baehrens [SPD]: Ist ja auch so!) Aber was hindert den Bund daran, den Ländern gesetzlich ein Angebot zu machen – ruhig mit der Option, dass die Länder entscheiden, ob sie mitmachen oder nicht - (Tino Sorge [CDU/CSU]: Den Strukturfonds haben Sie schon mitbekommen, oder? – Gegenruf des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE]: Das ist ein Abwrackfonds!) und Investitionsbeteiligungen an Planungsbeteiligungen zu koppeln? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dabei kommt es dann zu stringenten Planungsentscheidungen. So lässt sich der Knoten lösen, den es eigentlich seit über einem Jahrzehnt gibt. Beim Strukturfonds scheinen Sie auch ein Zusammenspiel von Kassen und Ländern geplant zu haben. Noch ein Gedanke zur Notfallmedizin. Im Rahmen des Gesetzentwurfs bringen Sie dazu etwas auf den Weg. Ein Teil läuft längst – Stichworte: Praxen und Krankenhäuser –, wenn auch bundesweit in unterschiedlichem Tempo. Aber es gibt ein erhebliches Defizit, das man schon jetzt, am Anfang, beseitigen kann. Damit meine ich die vorstationären Notfallleistungen, die weder personell noch sächlich vom Notfalldienst der KBV erbracht werden können, wie wir alle wissen. Hier gibt es ein Gap, das man schon jetzt schließen könnte. Das hat nichts mit Investitionsfinanzierung oder anderen Finanzierungsarten zu tun. Das ist ein echter Finanzierungsbedarf, dem entsprochen werden muss. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich sage: Mit einer couragierten Entscheidung zur gemeinsamen Investitionsfinanzierung und Versorgungsplanung lassen sich der Pflegenotstand beenden, die Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern unter dem Gesichtspunkt der Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern und die Fehlallokation beenden, und das zum Wohle der Patienten. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Dr. Georg Nüßlein, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Sehr geehrter Herr Terpe, wenn Sie auf die Rolle der Länder in diesem Zusammenhang eingehen, dann wäre es doch richtiger gewesen, wenn Sie gesagt hätten, dass wir alle miteinander erwartet hätten, dass sich die Länder endlich einmal zu ihrer Aufgabe bekennen, nämlich die Investitionen zu bezahlen. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen es ja auch können!) Kern des Problems, das die Krankenhäuser momentan haben, ist doch, dass sie verdienen müssen, um das auszugleichen, was die Länder nicht zahlen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie vermissen angeblich ein Angebot an die Länder. Der Strukturfonds ist dieses Angebot an die Länder. Es ist ganz spannend, was da von den Ländern kommt. Die einen sagen: Wir sind nicht in der Lage, die Hälfte zu finanzieren. – Es gibt aber noch schlimmere. Hamburg zum Beispiel sagt: Wenn man nur Geld bekommt, wenn man seine eigenen Budgets nicht senkt, dann ist das ganz schwierig. – Man hat nämlich im Wahlkampf die Budgets künstlich erhöht und müsste jetzt wieder auf das normale Maß zurück. Das beschreibt die Situation der Länder an dieser Stelle. Der Bund kann nicht bei jeder Gelegenheit in die Bresche springen. Ich bin es langsam leid, dass wir immer die Aufgaben der Länder machen und sie auch noch finanzieren sollen. Das wird nicht gehen. (Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe nicht behauptet, dass wir sie finanzieren sollen!) Wir waren nach der ersten Einigung mit den Ländern in der Tat in einer schwierigen Ausgangslage, weil heftige Kritik geübt wurde. Es gab Demonstrationen und teilweise eine Diffamierung dessen, was beschlossen worden ist. Ich denke da an den Strukturfonds, der als Abwrackprämie herabgewürdigt wurde, was gar nicht zutrifft. In dieser schwierigen Ausgangslage war es wichtig, jetzt wieder zusammenzufinden. Ich nehme in Anspruch, dass wir dieses Zusammenfinden durch den Pflegepersonalzuschlag geschafft haben. Es geht um 500 Millionen Euro extra. Das sage ich explizit; denn es gab einige, die eine falsche Rechnung aufgemacht haben. Lassen Sie mich zur Genese Folgendes sagen: Wir hatten die doppelte Degression. Die haben wir gestrichen. Wir hatten als Ausgleich schon in der letzten Legislaturperiode den Versorgungszuschlag, die 500 Millionen Euro, beschlossen. Das war das Gegengeschäft damals. Auch den haben wir gestrichen. So ist das Thema Personalzuschlag ein neues Thema. Es handelt sich um neues Geld, 500 Millionen Euro. Um zu diesem Ergebnis zu kommen, ist mir eingefallen, dass man doch die 500 Millionen Euro – eine Kernforderung der Deutschen Krankenhausgesellschaft – auf das Personal beziehen könnte, und ich habe an das nichtärztliche Personal gedacht. Aus der SPD kam in Person des Kollegen Lauterbach der Hinweis, es sei politisch sinnvoller, sich nur auf das Pflegepersonal zu beziehen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Idee, das so zu machen, ist richtig, um klarzustellen, dass es um die Pflegequalität geht, darum, Pflegestellen zu schaffen, und insbesondere darum, Pflegestellen dauerhaft zu erhalten. Das Spannende im Zusammenhang mit den 500 Millionen Euro ist, dass es den Zuschlag pro Krankenhaus nur gibt, wenn man den Pflegebereich nicht als Steinbruch nutzt und in Zukunft nicht an der Stelle spart. Das ist ein klares Signal. Das muss man sich leisten; denn wenn Sie heute mit Pflegekräften, aber auch mit Ärzten reden, dann hören Sie, dass sie in einer kritischen Situation sind. Deshalb reagieren wir richtig, zum Beispiel mit dem Hygiene-Förderprogramm in Höhe von 100 Millionen Euro und mit dem Pflegestellen-Förderprogramm in Höhe von 660 Millionen Euro für neue Stellen. Dank der Initiative unseres Berichterstatters Lothar Riebsamen sehen wir einen hälftigen Ausgleich für Tarifanpassungen vor. Auch das ist ein ganz wichtiges Signal dafür, dass wir Tarifsteigerungen in Zukunft finanzieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das ist allemal besser als ein fester Pflegeschlüssel. Ein solcher Schlüssel wäre wie Planwirtschaft und wäre auch deshalb nicht zielführend, weil das von der individuellen Situation abhängt. Es hängt doch von den Krankenhausstrukturen, von den Patienten, von der Erfahrung der Pflege vor Ort ab, wie viel Pflege man an welcher Stelle braucht. Deshalb glaube ich, dass es schwierig ist, zentrale Regelungen von hier aus vorzunehmen. Lassen Sie mich noch etwas zum Thema Notfallversorgung sagen. Ja, das ist ein Problem. Zum einen begeben sich Patienten im Notfall gern direkt in ein Krankenhaus. Zum anderen gibt es aber auch hie und da Ärzte, die sagen: Am Wochenende und nachts sehen wir eine Notfallversorgung nicht so gern. Wenden Sie sich bitte direkt an ein Krankenhaus! – Deshalb baut unser Lösungsversuch zum einen darauf, dass wir den Investitionskostenabschlag streichen – das sind 75 Millionen Euro –; zum anderen setzen wir auf die Selbstverwaltung. Bei drei Parteien ist eine Einigung nicht ganz einfach. Ich gebe zu, ich persönlich hätte mir auch nur zwei Parteien vorstellen können. Aber eines lasse ich mir nicht gefallen, nämlich dass die Kassenärztliche Bundesvereinigung durch die Lande zieht und unseren Lösungsversuch in einer bemerkenswerten Art und Weise abqualifiziert. Vielleicht haben die Herrschaften Grund, von sich selber abzulenken. Sie sollen über die Patientenversorgung nachdenken und nicht über die Eigenversorgung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) In diesem Sinne: Schönen Tag, gute Beratungen! (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Marina Kermer, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Marina Kermer (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach einer intensiven und gestaltungsreichen Verhandlungszeit liegt heute der Entwurf eines Krankenhausstrukturgesetzes auf dem Tisch. Das ist ein Grund, Danke zu sagen. Ich sage Danke für die sachliche, zielorientierte und erfolgreiche Zusammenarbeit mit Ihnen, Herr Bundesminister Gröhe, mit Ihnen, Frau Staatssekretärin Widmann-Mauz, und mit Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition. Unser Gesundheitssystem steht auf einem bewährten und guten Fundament. Um bildlich zu sprechen: Das Fundament hält. Das Haus, das darauf steht, wackelt; es entspricht nicht mehr den Standards. Die Betriebskosten sind hoch. – Wir sind an einem Punkt angekommen, wo die Entscheidung zu treffen ist, Jahr für Jahr immer höhere Kosten zu tragen oder einmal so zu investieren, dass unser Haus modernisiert und damit zukunftssicher wird. Mit dem Krankenhausstrukturgesetz werden wir in eine zukunftsfeste Krankenhausversorgung investieren, ebenso in zukunftssichere Strukturen, auch in den ländlichen Regionen. Wir werden den Pflegenotstand beheben, und zwar – ich wiederhole es gern – mit dem Pflegestellen-Förderprogramm in Höhe von insgesamt 660 Millionen Euro, einem Pflegezuschlag in Höhe von 500 Millionen Euro jährlich ab 2017 und einem Infrastrukturfonds. Mit dem Mehr an Pflegepersonal in den Krankenhäusern wird die Versorgungsqualität am Bett steigen und den Patientinnen und Patienten zugutekommen. Das sind die großen Stellschrauben. Hinzu kommen zur Feinjustierung noch viele kleinere Stellschrauben wie die Verbesserungen beim Sicherstellungszuschlag oder bei der Notfallversorgung. Wir stimulieren Qualitätsverbesserung durch Qualitätszu- und -abschläge. Außerdem dämmen wir Wildwuchs bei Mengenentwicklungen ein. Im Zentrum unserer Planungen stehen dabei immer die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten. Ihre Interessen zu stärken und zu verbessern, ist zentrales Anliegen unseres Gesetzes; denn die Menschen vertrauen darauf, dass sie heute und in Zukunft erreichbare und bestmögliche medizinische Versorgung in unseren Krankenhäusern bekommen. Deshalb erfährt die Qualität als gleichberechtigtes Kriterium für die Krankenhausplanung eine Aufwertung und spielt zukünftig eine bedeutende Rolle. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Werden die Leistungen durch ein Krankenhaus qualitativ nicht oder nicht ausreichend erbracht, hat das Konsequenzen: Das betroffene Krankenhaus bleibt nicht im Krankenhausplan. Wir haben uns auf die zu erwartenden Rahmenbedingungen vorausschauend eingestellt. Insgesamt steigt der Anspruch an die behandelnden Ärztinnen und Ärzte. Die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten werden vielfältiger und komplizierter. Die Patientinnen und Patienten werden älter und damit anfälliger für eine Häufung von zeitgleichen Erkrankungen. Deshalb sagen wir Ja zu einer flächendeckenden Grundversorgung und Nein zum Beispiel zu Hirnchirurgie in jedem Kreiskrankenhaus. Dafür ist weder Fachpersonal ausreichend verfügbar, noch gibt es in der Fläche genügend Fälle, um ausreichend Erfahrungen zu sammeln und damit Qualität zu sichern. Genau darum zögern wir nicht, das Instrument der Mindestmengen im Interesse der Qualitätssicherung für unsere Patientinnen und Patienten strenger als bisher anzuwenden. Wenn ein Krankenhaus zukünftig dagegen verstößt, werden die Behandlungskosten nicht mehr erstattet. Allerdings bedeuten viele Operationen nicht automatisch bessere Qualität. Es darf nicht sein, dass den Patientinnen und Patienten neue Gelenke nur der Gelenke wegen eingesetzt werden. Eine Operation darf nur dann erfolgen, wenn sie medizinisch notwendig ist, und nicht, weil eine Krankenhausbilanz ausgeglichen werden muss. Wir alle wollen nicht, dass Ärztinnen und Ärzte derartigen Fehlsteuerungen und einem Fallzahlenleistungsdruck ausgesetzt sind. Wir alle wollen nicht, dass Patientinnen und Patienten zu Geldautomaten werden. Apropos Geld. Ja, Herr Dr. Terpe, ein Problem können wir mit dem Krankenhausstrukturgesetz nicht lösen; denn das liegt nicht in der Hand des Bundes. (Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!) Die Länder kommen ihren Zahlungsverpflichtungen an die Krankenhäuser nicht ausreichend nach; das haben wir gehört. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können sie nicht!) Wir wissen, dass in fast allen Bundesländern die Finanzdecke dünn ist. Trotzdem darf man die Zukunft der stationären Versorgung nicht aus dem Blick verlieren. Der Bund stellt dafür mit dem Infrastrukturfonds – er wurde heute schon mehrfach erwähnt – 500 Millionen Euro zur Verfügung. Wenn also strukturelle Veränderungen nötig sind und die Länder Akutpflegeabteilungen umwandeln wollen, müssen sie nicht die gesamten Kosten tragen, sondern die Mittel nur zur Hälfte gegenfinanzieren. Die Länder werden unter Beweis stellen müssen, dass sie ihrem Gestaltungsauftrag auch nachkommen. Wir beraten in dieser Woche nicht nur das Krankenhausstrukturgesetz. Heute haben wir bereits das Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung beschlossen, und morgen stehen die Regelungen zur Sterbebegleitung auf der Tagesordnung. Wie auch immer die Patientinnen und Patienten ihre persönliche Entscheidung für die letzten Lebenstage fällen: Wir wollen dafür sorgen, dass das Leben dort zu Ende gehen kann, wo die Menschen es wollen – auf der Palliativstation im Krankenhaus, im Hospiz oder zu Hause. Nicht alle Regionen in Deutschland werden umstrukturieren müssen, aber die, die Bedarf haben, bekommen die Infrastrukturförderung. Und niemand braucht Sorge zu haben, dass nötige Krankenhausbetten abgebaut werden. Zusätzlich zu den drei bereits genannten wichtigen Unterstützungsmaßnahmen wird eine Expertenkommission eingesetzt; darauf wurde schon Bezug genommen. Gute Pflege meint nicht nur gut ausgebildete Fachkräfte, sondern Pflegerinnen und Pfleger, die ihren Beruf aus Überzeugung für die Arbeit am Menschen ausüben. An der fachlichen Qualifikation besteht auch jetzt kein Zweifel, aber es fehlt an der notwendigen Zeit für Zuwendung in der Krankenpflege. Genau deshalb kommt der Pflegezuschlag vor allem den Krankenhäusern anteilig zugute, die bereits heute nicht am Pflegepersonal sparen, sowie den pflegeintensiven Bereichen wie Kinderstationen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir wollen zukünftig Engpässe bei der pflegerischen Versorgung verhindern. Das ist zentrale Aufgabe der Expertenkommission. Ich komme zum Schluss. Mehr Geld für Pflegepersonal, Hilfe für die notwendigen Strukturanpassungen in den Ländern, Stärkung der Qualität und mehr Transparenz für die Patientinnen und Patienten und die Weiterführung des Hygiene-Förderprogramms sind die zentralen Punkte unseres Gesetzes. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Super!) Unser Gesetzentwurf beruht auf einem breiten Konsens der Ländervertreterinnen und vertreter, der Gewerkschaften und der Krankenhausvertretungen. All jenen, die an unserem Kompromiss mitgearbeitet haben, danke ich für die Unterstützung. Ebenso danke ich für die Kritik der Kolleginnen und Kollegen aus den Reihen der Opposition. Beides zusammen macht dieses gute Gesetz erst möglich. Ich lade Sie daher ein: Stimmen Sie dem Gesetz allumfassend zu! Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als letztem Redner in der Aussprache erteile ich das Wort dem Abgeordneten Lothar Riebsamen, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Lothar Riebsamen (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts einer demografischen Entwicklung, bei der wir in Gesundheit älter werden – darüber freuen wir uns in der Regel –, und angesichts der Tatsache, dass wir einen innovativen medizinisch-technischen Fortschritt haben, stehen wir, was unser Gesundheitswesen im Allgemeinen und die Krankenhäuser im Besonderen anbelangt, vor ziemlich großen Herausforderungen; denn das alles kostet Geld. Es ist nicht zum Nulltarif zu haben. Gerade deswegen ist es notwendig, dass wir die Strukturen anpassen und die gute Qualität, die wir in unseren Krankenhäusern haben, auch in der Zukunft weiterentwickeln. Diesen Anspruch haben wir an das Krankenhausstrukturgesetz, und genau das werden wir damit auch erreichen. Es gibt zunächst einmal Bereiche, für die wir als Bundesgesetzgeber originär Verantwortung tragen, und es gibt Bereiche, bei denen die Länder und natürlich auch die Träger angesprochen sind. Wo sind wir selber als Bundesgesetzgeber angesprochen? Erstens hatten wir, was die Refinanzierung der Betriebsmittel angeht, in der Vergangenheit die Situation, dass sich immer dann, wenn die Tarifsteigerungen höher waren als die Erlöse durch die Veränderungsrate, eine Tarifschere geöffnet hat. Das war ein strukturelles Problem. Genau dieses Problem gehen wir mit diesem Gesetz strukturell an. Das werden wir abstellen. Wir werden nicht mehr, wie dies in der Vergangenheit nötig war, durch Versorgungszuschläge oder Ähnliches Löcher stopfen, sondern mit diesem Gesetz dafür sorgen, dass diese Löcher zukünftig gar nicht mehr entstehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Zweitens geht es natürlich auch darum, dass wir die Entwicklung der Mengen immer mit einem kritischen Blick zu verfolgen haben. Aber eines war in der Vergangenheit schlicht und ergreifend nicht nachvollziehbar und ungerecht, nämlich die Kollektivhaftung aller, auch derer, die gar keine Mehrmengen verursacht haben. Das werden wir mit diesem Gesetz ebenfalls abstellen. Mehrmengen, die manchmal notwendig sind, manchmal vielleicht nicht, werden dort zu Abschlägen führen, wo diese Mehrmengen entstehen. Ich freue mich darüber und bedanke mich herzlich bei allen, die mitgewirkt haben, dass wir an dieser Stelle mit den Änderungsanträgen eine Entschärfung erreicht haben, indem wir zielgenau für die Krankenhäuser, die diese Mehrmengen – oft auch notwendigerweise – verursachen, einen umfangreichen Ausnahmekatalog vereinbaren konnten. Drittens ist es so, dass aufgrund der Lücken, die in der Vergangenheit entstanden sind – das haben die Kolleginnen und Kollegen Vorredner durchaus zu Recht angesprochen –, immer wieder im Bereich des Pflegepersonals gespart wurde. Wir haben mit dem Pflegestellen-Förderprogramm und der Tatsache, dass wir den Versorgungszuschlag von 500 Millionen Euro in einen Pflegezuschlag umwandeln, dafür gesorgt, dass wir auch an dieser ganz wichtigen Stelle nachjustieren. Wir setzen also mit diesem Gesetz klare Schwerpunkte bei der Verbesserung der Situation des Pflegepersonals und beim Abbau der durch die Tarifschere verursachten strukturellen Probleme. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich komme nun zu den Bereichen, für die nicht wir originär verantwortlich sind, sondern die Länder mit der Krankenhausbedarfsplanung und natürlich auch die Träger vor Ort. Wenn Defizite entstehen, ist zukünftig deutlich zu identifizieren, wo diese entstehen. Sie werden nicht mehr bei den Betriebsmitteln entstehen, sondern dadurch, dass die Länder ihrer Verpflichtung, die Krankenhausinvestitionsförderung zu 100 Prozent zu erbringen, nicht nachkommen. Das wird zukünftig der entscheidende Punkt sein, und es ist dann auch klar zu identifizieren, wo die Defizite entstehen. Aber natürlich darf man auch die Träger nicht ganz aus der Verantwortung entlassen. Es gibt nach wie vor eine unternehmerische Verantwortung. Die Krankenhausträger vor Ort stehen im Qualitätswettbewerb. Sie müssen sich diesem stellen, müssen sich absprechen und können nicht gleiche Angebote auf engstem Raum anbieten. Es ist im System der DRGs schlicht und ergreifend nicht möglich, in einem 100- oder 150-Betten-Krankenhaus die Grund- und Regelversorgung rund um die Uhr zu gewährleisten. Das geht einfach nicht. Genau diese Punkte werden dann ganz deutlich werden, wenn die strukturell bedingten Probleme aus der Welt geschafft sind. Mit dem Strukturfonds in Höhe von 500 Millionen Euro und den 500 Millionen Euro der Länder versetzen wir die Länder und die Kommunen in die Lage, diese wichtigen Strukturanpassungen vor Ort tatsächlich durchzuführen. Aber es bleibt dabei, dass es bei den Investitionskostenförderungen eine offene Flanke gibt. Deswegen zum Abschluss der Appell an die Länder, ihrer Verpflichtung nachzukommen. Wir werden in den kommenden Jahren im Auge haben müssen, Kollege Terpe, wie es vorangeht. Wenn wir unsere Hausaufgaben gemacht haben, (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie das mal gemacht hätten!) dann wird ganz deutlich, wo diese strukturellen Probleme entstehen. Vizepräsident Peter Hintze: Herr Kollege! (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein!) Lothar Riebsamen (CDU/CSU): Das werden wir im Auge behalten. Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem wir unsere Hausaufgaben erledigt haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Länder haben das noch nicht im notwendigen Umfang getan. Deswegen ist es ein gutes Gesetz und ein guter Tag für die Krankenhäuser in Deutschland. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Herr Kollege, Sie haben hartnäckig ignoriert, dass die rote Lampe leuchtet. Der Schlussappell war interessant, lag aber weit außerhalb der Redezeit. Wir nehmen ihn trotzdem in das Protokoll auf. Aber ich bitte alle Kollegen im Sinne der Fairness, ab und zu einen Blick auf die Uhr zu werfen (Volker Kauder [CDU/CSU]: Die Nachfolgenden, ja!) und sich danach zu verhalten, zumal die Regierungskoalition insgesamt über viel Redezeit verfügt. Das muss man schon sagen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Strukturen der Krankenhausversorgung. Dazu liegt eine Erklärung zur Abstimmung gemäß § 31 unserer Geschäftsordnung vor.3 Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6586, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/5372 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wir stimmen jetzt über den Gesetzentwurf ab. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir setzen die Abstimmungen über die Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Gesundheit auf Drucksache 18/6586 fort. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Reform der Strukturen der Krankenhausversorgung auf Drucksache 18/5867 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Beschlussempfehlung einstimmig angenommen worden. Tagesordnungspunkt 9 b. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/5369 mit dem Titel „Versorgungsqualität und Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern verbessern – Bedarfsgerechte Personalbemessung gesetzlich regeln“. Wir stimmen über die Beschlussempfehlung ab. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Unter Buchstabe d empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5381 mit dem Titel „Gute Versorgung, gute Arbeit – Krankenhäuser zukunftsfest machen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen worden mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Diana Golze, Agnes Alpers, Nicole Gohlke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Betreuungsgeldgesetzes Drucksache 18/5 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) Drucksache 18/6200 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam), Sigrid Hupach, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Betreuungsgeld für den Kitaausbau nutzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Katja Dörner, Beate Walter-Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Betreuungsgeld in Kitas investieren Drucksachen 18/6041, 18/6063, 18/6200 Über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Fraktion Die Linke werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Fritz Felgentreu, SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe gehört, dass auch eine Gruppe aus Neukölln da ist. Ich begrüße Sie als Abgeordneter Ihres Wahlkreises natürlich besonders herzlich. Wir stimmen heute über einen, wie ich finde, inhaltlich ganz hervorragenden Gesetzentwurf der Linken ab. (Beifall des Abg. Alexander Ulrich [DIE LINKE]) Allerdings wird die SPD-Fraktion ihn trotzdem ablehnen. Ganz hervorragend ist der Inhalt des Gesetzentwurfs schon deswegen, weil die SPD ihn geschrieben hat – in der vergangenen Wahlperiode. (Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: Deswegen lehnen Sie ihn ab? Sie können ja auch zustimmen!) Ablehnen werden wir ihn, weil inzwischen etwas passiert ist, wovor auch der beste Inhalt nicht schützt: Die Erde hat sich weitergedreht und die Gesetzgebung dadurch überflüssig gemacht. (Beifall bei der SPD) Das, worum es in dem Entwurf und im begleitenden Antrag geht, nämlich die Abschaffung des Betreuungsgeldes und die Umwidmung der dafür vorgesehenen Mittel, ist bereits erfolgt. (Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: Ja, aber falsch erfolgt!) Über das Betreuungsgeld brauchen wir hier zum Glück gar nicht mehr zu diskutieren. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass wir dafür keine Gesetzgebungskompetenz haben und sie auch niemals hatten. Damit ist das Betreuungsgeld nur noch eine Fußnote der Geschichte bundesdeutscher Familienpolitik, und – um einen legendären Bürgermeister dieser Stadt zu zitieren – das ist auch gut so. (Beifall bei der SPD) Das zweite Ziel bleibt jedoch unverändert aktuell. Der Ausbau und die Verbesserung der Kinderbetreuung sind Grundpfeiler der Familienpolitik dieser Koalition; denn eines ist doch vollkommen klar: Kinder und Familien fördern wir am besten mit erstklassigen Kitas und Schulen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Das ist ja wahre Liebe bei euch!) Deshalb stockt die Koalition das Sondervermögen „Kinderbetreuungsfinanzierung“, das Kindern unter drei Jahren zugutekommt, um 550 Millionen Euro auf 1 Milliarde Euro auf. Deshalb stellen wir für Kinderkrippen und Tagespflegestellen ab sofort jährlich 845 Millionen Euro zur Verfügung. Deshalb erhöht der Bund seine Beteiligung an den Betriebskosten von Kitas 2017 und 2018 nochmals um 100 Millionen Euro. Und deshalb stärken wir gerade mit weiteren 400 Millionen Euro die Sprachförderung in den Kindertagesstätten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wem das alles noch nicht reicht – mir reicht es übrigens auch nicht –, der wird mit Freude feststellen, dass die Koalition gerade die Flüchtlingskrise zum Anlass genommen hat, bei der Kinderbetreuung noch einmal nachzulegen. Mit dem sogenannten Asylpaket, das wir hier vor drei Wochen beschlossen haben, werden die für das Betreuungsgeld vorgesehenen Mittel nach und nach auf die Länder übertragen, damit sie dieses Geld ihrerseits so, wie sie es vor Ort brauchen, in den Ausbau der Betreuung und in Kitaqualität investieren. Diese Politik, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, nützt allen: den Kindern, die hier geboren sind, und den Kindern, die jetzt neu dazukommen. Gerade die Flüchtlingskinder gehören doch in die Kitas. Dort lernen sie Deutsch. Dort erleben viele von ihnen zum ersten Mal das gleichberechtigte Miteinander der Geschlechter. Dort erfahren sie, wie man sich streitet und wieder verträgt oder – um es einmal etwas hochtrabender auszudrücken – wie Kompromissfähigkeit und gewaltfreier Interessenausgleich unser Sozialverhalten und unsere Gesellschaft prägen. Deshalb war es richtig, dass wir die Verwendung der Betreuungsgeldmittel im Rahmen des Asylpakets geregelt haben, obwohl mit dem Geld nicht nur Flüchtlingsfamilien, sondern alle Kinder gefördert werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, Sie sehen, dass die Koalition bei der Kinderbetreuung die richtigen Schwerpunkte setzt. Trotzdem bleibt es auch in Zukunft unsere Aufgabe, die Kinderbetreuung weiter auszubauen und ihre Qualität zu verbessern. An dieser Stelle sei mir der Hinweis erlaubt, dass die SPD-Fraktion ein kontinuierliches Engagement des Bundes für Bildung und Betreuung für notwendig hält. Solange wir die Länder damit alleinlassen, wird es immer wieder dazu kommen, dass zu wenig Geld für strukturelle Verbesserungen zur Verfügung steht. (Beifall bei der SPD) Die Gefahr der Unterfinanzierung von Bildung und Betreuung ist eine der wenigen problematischen Folgen unserer föderalen Ordnung. Deshalb ist es auch richtig, über Lösungen nachzudenken, wie das Engagement des Bundes verstetigt werden kann, aber selbstverständlich ohne in die Kompetenzen der Länder einzugreifen. Eine Möglichkeit ist zweifellos die Lockerung des Kooperationsverbotes im Grundgesetz. Das Kooperationsverbot erlegt dem Bund jedes Mal ziemliche Verrenkungen auf, wenn er Geld für Bildung und Betreuung bereitstellen will. Eleganter als eine Änderung des Grundgesetzes finde ich allerdings eine Idee, die von der Kollegin Carola Reimann entwickelt worden ist, nämlich einen familienpolitischen Werkzeugkasten des Bundes und der Länder, wie Sie es genannt haben, Frau Kollegin Reimann. Ein solcher Werkzeugkasten kann durch einen Vertrag des Bundes mit den Ländern entstehen. Der Bund würde sich dabei verpflichten, den Kasten mit dem für familienpolitische Instrumente notwendigen Geld zu befüllen. Die Länder würden als Vertragspartner die Mittel, die der Werkzeugkasten enthält, ausschließlich für Familien- und Bildungspolitik ausgeben, und zwar für die Maßnahmen, die vor Ort gerade am dringendsten nötig sind. Ich würde mich freuen, wenn wir die zweite Hälfte der Legislaturperiode nutzen könnten, um diese Idee weiterzuentwickeln. Ich komme zum Schluss. Den vorliegenden Gesetzentwurf sowie den Begleitantrag lehnen wir ab, weil sie sich durch tätiges Handeln erledigt haben. Die Anregung, gemeinsam weiter darüber nachzudenken, wie Bund und Länder in der Familienpolitik besser zusammenarbeiten können, greifen wir gerne auf. Wir freuen uns auf die weitere Debatte. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Norbert Müller, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucher auf den Tribünen! Die Qualität der Kindertagesbetreuung soll aktiv weiterentwickelt, finanziell sichergestellt sowie durch eigene Maßnahmen befördert werden. Zudem soll der bedarfsgerechte Ausbau von Betreuungsplätzen, auch für Kinder aus Flüchtlingsfamilien, weiter vorangetrieben werden. Eine gute Kindertagesbetreuung stärkt als erste Bildungsinstitution außerhalb der Familie die Bildungschancen aller Kinder. Deswegen ist Bildung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. (Beifall bei der LINKEN) Eigentlich habe ich langanhaltenden Applaus vor allem bei der SPD-Fraktion erwartet. (Beifall des Abg. Sönke Rix [SPD]) Herr Präsident, vielleicht können wir die Redezeit anhalten, damit die SPD noch darüber nachdenken kann. Vizepräsident Peter Hintze: Diesem Vorschlag können wir leider nicht folgen, Herr Kollege. Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): Schade. – Denn dieser Text, Herr Präsident, ist gar nicht von mir, sondern er stammt aus einer Erklärung vom heutigen Tage aus dem Bundesfamilienministerium, und das Bundesfamilienministerium hat in diesem Punkt auch recht. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Sönke Rix [SPD]: Das hat immer recht! Seit zwei Jahren!) Frühkindliche Bildung verringert soziale Ungleichheit, weil sie hilft, soziale Benachteiligung zu kompensieren; das Betreuungsgeld war übrigens auch deswegen falsch. Wir wollen frühkindliche Bildung für alle nicht nur, weil sie inklusiv ist, sondern weil das Recht von Kindern auf Bildung eine völkerrechtliche Maßgabe ist, und das muss auch für Kleinkinder gelten. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Deswegen wollen wir, dass frühkindliche Bildung auch Kleinkindern zugutekommt. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wir sind mit dem Ausbau der Kindertagesbetreuung und der Kindertagespflege in Deutschland weit gekommen. Aber wir sind noch lange nicht am Ziel. Es gibt hohe Investitionsbedarfe; Herr Kollege Felgentreu hat das beschrieben. Es gibt einen Mehrbedarf zur Deckung der Kosten in Ländern und Kommunen, die diese nicht alleine schultern können. Es geht auch darum, Qualität auszubauen. Wir wollen bundesweit die Fachkraft-Kind-Relation auf einen guten Standard absenken; in vielen Ländern müssen wir sie absenken. Wir wollen nach Möglichkeit die Elternbeitragsfreiheit, damit nicht am Ende die Beiträge entscheiden, ob ein Kind in die Kita geht oder zu Hause bleibt. Wir wollen gutes, hochwertiges Mittagessen. Wir wollen die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten, die dieses Jahr zu Recht für bessere Arbeitsbedingungen gestreikt haben, durch weniger Stress und bessere Bezahlung deutlich verbessern. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wir wollen ein sogenanntes Kitaqualitätsgesetz. Die im Haushalt ursprünglich für das Betreuungsgeld eingestellte Milliarde hätten wir gerne für ein solches Kitaqualitätsgesetz gesichert. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Jetzt werden Sie sagen – das wird vor allen Dingen von den Kollegen der Union kommen –, dass frühkindliche Bildung eine Aufgabe der Länder und Kommunen ist und der Bund im Übrigen schon sehr viel tut; das hat der Kollege Felgentreu ausgeführt. Aber frühkindliche Bildung ist eben nicht nur eine Aufgabe von Ländern und Kommunen, sondern sie ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deswegen muss der Bund seiner Verantwortung mehr nachkommen. Er kann nicht nur den Rechtsanspruch schaffen, sondern er muss deutlich stärker in die Grundfinanzierung der Kindertagesbetreuung einsteigen. (Beifall bei der LINKEN) Frau Schwesig hat völlig recht gehabt, als sie nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Juli dieses Jahres gesagt hat, dass wir die Milliarde, die im Haushalt für das Betreuungsgeld vorgesehen war, für frühkindliche Bildung sichern wollen. Genau an dieser Stelle hat sie sich und hat sich die Sozialdemokratie aber nicht durchgesetzt. Das will ich anhand von drei Punkten belegen. Erstens. Die Milliarde in dem Haushalt ist keine Milliarde. Etwa zwei Drittel dieser Milliarde gehen effektiv an die Länder. Zweitens. Das Geld geht völlig kontrolllos an die Länder. Ob Bayern damit das Landesbetreuungsgeld finanziert, was ich grundlegend falsch finde, ob anderswo der Betreuungsschlüssel verbessert wird oder ob irgendwo ein Haushaltsloch gestopft wird, unterliegt überhaupt keiner Kontrolle. Deswegen haben Frau Schwesig, die Grünen und wir gefordert: Lasst das Geld im Bundeshaushalt; nur so können wir garantieren, dass es tatsächlich für frühkindliche Bildung ausgegeben wird, nicht für ein Landesbetreuungsgeld und auch nicht zur Stopfung von Haushaltslöchern. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Drittens. 2018 ist Schluss damit. 2018 fließt das letzte Geld an die Länder. Ab 2019, wenn die Schuldenbremse greift, wenn es in den Landeshaushalten interessant wird, gibt es nichts mehr von diesem ehemaligen Betreuungsgeld. Das ist der falsche Weg. Deswegen lautet unser Antrag – darüber lassen wir namentlich abstimmen –: Lasst das Geld im Bundeshaushalt, und setzt es als Basisfinanzierung im Rahmen eines Kitaqualitätsgesetzes ein! (Beifall bei der LINKEN) Alles andere ist nicht nachhaltig. Alles andere ist kurzsichtig. Wenn 2019 die Schuldenbremse greift und die Zuwendungen an die Länder wegfallen – die letzte Zuwendung in Höhe von 870 Millionen Euro fließt 2018 an die Länder –, werden wir wissen, welche Folgen das in einem föderalen System für die frühkindliche Bildung hat – wir können die Folgen jetzt schon erahnen; der Kollege Felgentreu hat sie gut beschrieben –: Am Ende werden die Länder am Betreuungsschlüssel und an den Gehältern der Erzieherinnen und Erzieher sparen, Zuwendungen werden gekürzt werden usw. All das wird eintreten, und das trifft am Ende die sozial Benachteiligten in dieser Gesellschaft. Das Schlimme ist, dass diese Politik am Ende die sozial Benachteiligten in dieser Gesellschaft trifft. Ich komme zum Schluss. Die Bertelsmann-Stiftung hat Anfang des Jahres eine Studie zur Kinderarmut vorgelegt, über die wir bereits diskutiert haben. Zu den gravierenden Folgen von Kinderarmut will ich jetzt nichts weiter sagen, auch nicht dazu, dass diese Bundesregierung die Aufgabe, Kinderarmut zurückzudrängen, nicht ernsthaft anpackt. (Beifall bei der LINKEN) Wenn Sie das alles nicht wollen, dann seien Sie wenigstens konsequent. Nehmen Sie die Vorschläge der Bertelsmann-Stiftung, die keine besonders linkslastige Stiftung ist, an, die sagt: Wenn Sie Kinderarmut nicht bekämpfen, dann investieren Sie wenigstens kräftig in die frühkindliche Bildung, um die grassierenden Folgen von Kinderarmut abzumildern. Dazu ist eine gute Kindertagesbetreuung sinnvoll. Deswegen: Machen Sie den Weg frei für ein Kitaqualitätsgesetz. Stimmen Sie unserem Antrag und unserem Gesetzentwurf zur Aufhebung des Betreuungsgeldgesetzes heute zu. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Josef Rief, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Josef Rief (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Besucher auf der Plenartribüne und liebe Zuschauer vor dem Parlamentsfernsehen! Bereits im September haben wir uns im Plenum mit den Vorschlägen von Bündnis 90/Die Grünen und Linken beschäftigt. Damals wie heute unterstützt der Bund den Ausbau der Kindertagesbetreuung. Es ist unstrittig: Im ganzen Land werden Kitaplätze benötigt und zur Verfügung gestellt. Wir waren es schließlich, die vor vielen Jahren den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz eingeführt haben. Die Mütter und Väter, die ihren Beruf wieder aufnehmen möchten, sollen ausreichend Kitaplätze zur Verfügung haben. Darin sind wir uns, glaube ich, alle einig. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Der Kitaausbau wurde und wird stark gefördert. Dies wird auch so bleiben. Den Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen geht es hier aber um etwas ganz anderes. Bei Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, liegt der Fokus ganz klar auf der Kinderbetreuung durch den Staat. Das ist sehr einseitig. Häusliche Betreuung dagegen wird von der Opposition weder anerkannt noch geschätzt. (Beifall bei der CDU/CSU – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Ungeheuerlich!) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wie sollen sich die Familien fühlen, die erstmals, nach harten politischen Kämpfen, für die häusliche Betreuung ihrer Kinder monatlich einen Betrag als kleine Anerkennung erhalten haben, wenn sie diese Gelder jetzt nicht nur nicht mehr bekommen, sondern diese hart erkämpften Mittel nach Meinung der Opposition besser in Kitas investiert werden, wenn mit dem Geld also genau das Gegenteil dessen passiert, wofür es eigentlich gedacht war? An dieser Stelle betone ich es noch einmal: Kinder brauchen in den ersten Lebensjahren eine verlässliche Bindung. Bindung ist in den ersten Lebensjahren wichtiger, als es Bildung je sein kann. Deshalb ist die häusliche Betreuung gut und sinnvoll. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt das jetzt konkret?) Wie uns das Bundesverfassungsgericht mitteilte, war der Bund nicht der zuständige Gesetzgeber für das Betreuungsgeld. Ich fürchte, auch für andere Leistungen ist der Bund nicht zuständig. Wir können nur hoffen, dass da nie jemand klagt. Das Betreuungsgeld bleibt trotzdem richtig und wichtig. Inhaltlich wurde das Betreuungsgeld nicht geprüft. Die Länder können es sehr wohl einführen. Ich lobe hier ausdrücklich die Bayern, die es weiterführen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben dies bei den Änderungen des Finanzausgleichsgesetzes berücksichtigt. Durch den Wegfall des Betreuungsgeldes sind finanzielle Spielräume entstanden; das haben meine Vorredner schon gesagt. Der Bund wird die Länder und Kommunen in den kommenden drei Jahren bei Maßnahmen zur Verbesserung der Kinderbetreuung unterstützen. Ich wiederhole ausdrücklich: Verbesserung der Kinderbetreuung. Damit ist gerade nicht vorgegeben, dass die Gelder in staatlich geförderte Kinderbetreuungseinrichtungen fließen müssen. Die Länder können mit diesem Geld sehr wohl – dafür plädiere ich – die häusliche Betreuung der Familien finanziell anerkennen. Wir stellen den Ländern 339 Millionen Euro im Jahr 2016, 774 Millionen Euro im Jahr 2017 und für 2018 noch einmal 870 Millionen Euro zur Verfügung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) In meinem Heimatland Baden-Württemberg hat ein weitaus größerer Teil der Eltern für ihre Kinder Betreuungsgeld bezogen, als dass sie ihre Kinder in staatlich geförderte Kindertagesbetreuungseinrichtungen gegeben hätten. Das muss hier einmal gesagt werden, und das sollte Ihnen allen, auch Ihnen von der Opposition, zu denken geben. Auch ist interessant – das gibt die Statistik her –, dass in den Gebieten in Baden-Württemberg, in denen die Anzahl der Bezieher von Betreuungsgeld besonders hoch ist, auch die höchsten Geburtenraten zu verzeichnen sind. Genauere Untersuchungen sollten diesen Zusammenhang klären und vertiefen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sönke Rix [SPD]: Die meisten Geburten gibt es aber in Dresden! Da gibt es kein Betreuungsgeld!) Die große Mehrheit der Eltern in Baden-Württemberg hat sich im ersten Halbjahr für das Betreuungsgeld entschieden. Ich bin gespannt, wie die grün-rote Landesregierung, die diese Zahlen kennt, darauf reagiert. Natürlich weiß ich, dass sich der Beifall der SPD bei diesem Thema in Grenzen hält. Aber als große Volkspartei muss sie schon zur Kenntnis nehmen, dass der Mehrheit der Eltern mit kleinen Kindern etwas weggenommen wird, für das sie sich entschieden haben. Zumindest in Baden-Württemberg, ja, ich denke, in ganz Deutschland ist die Möglichkeit, sich für einen Kitaplatz zu entscheiden, gegeben. Trotzdem hat sich die große Mehrheit bis zum Sommer für die 150 Euro Betreuungsgeld monatlich entschieden, also für einen Betrag, der vergleichsweise sehr niedrig ist. Warum hat das die übergroße Mehrheit getan? Ganz einfach: weil sich die Mütter und Väter eben nicht im Hamsterrad von Beruf, Familie und Freizeit Duelle liefern möchten, sondern mehr Zeit für die Kinder haben wollen. Entschleunigung in der Gesellschaft bei der Kindererziehung müsste doch in erster Linie ein Ziel gerade von Grünen und Linken sein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie verraten mit Ihren Anträgen Ihre eigenen angeblichen Ideale. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das ist ja Quatsch, was Sie sagen!) Deshalb streben wir bei einem Wahlerfolg genau diese Ideale der Wahlfreiheit, mehr Zeit für Kinder, vor allem für kleine Kinder, eine finanzielle Anerkennung aller Lebensentwürfe, ja ein klares Bekenntnis zu Familien mit einem Kind, zwei, drei oder mehr Kindern an. Gerade Mehrkindfamilien verdienen mehr Wertschätzung und Unterstützung. Hier muss noch viel getan werden, zum Beispiel im Hinblick auf ausreichenden und bezahlbaren Wohnraum. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Was empfehlen Sie zum Beispiel Eltern mit mehreren kleinen Kindern, die beide voll berufstätig sind, ihre Kinder in die Kita bringen und merken, dass sie Berufstätigkeit und Kindererziehung nicht unter einen Hut bringen oder einfach nur überlastet sind? Nichts. Sie haben nichts anzubieten, weil es nicht in Ihre Ideologie passt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN: Oh! – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Was bieten Sie denn an?) Ich bin allen Familien dankbar, die Berufstätigkeit und Kinder schaffen. Ich schätze aber auch in gleichem Maße alle Familien, die merken, dass es zu viel ist, und dann teilweise auf Arbeitsstunden zugunsten von Kindern verzichten. Auch dafür bräuchten wir das Betreuungsgeld. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sönke Rix [SPD]: Nein, die Familienarbeitszeit! – Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil die Frau verzichtet!) Die Mehrheit der jungen Menschen im Süden und Westen – wahrscheinlich nicht nur dort – will mehr Kinder und auch mehr Zeit für ihre Familien. Ich bin überzeugt, dass die Attraktivität von Politik und Parteien größer wird, wenn eine Politik gemacht wird, in der das Betreuungsgeld gewährt und auch Mehrkindfamilien gefördert werden. (Sönke Rix [SPD]: Die Schlacht ist doch geschlagen!) Es gibt nicht das eine Modell Familie. Eltern kennen ihre Kinder am besten. Nur sie können entscheiden, welche Betreuung zu ihren Kindern und zu ihrer aktuellen und individuellen Lebenssituation passt. (Beifall bei der CDU/CSU – Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: Ja, ja! Das können sie vor allen Dingen dann entscheiden, wenn es keinen Kitaplatz gibt!) Alle Familien sollten bei ihren Entscheidungen – sei es für eine staatliche oder eine häusliche Betreuung und Förderung ihrer Kinder – durch die Politik auch finanziell unterstützt werden, und zwar möglichst in allen Bundesländern. (Sönke Rix [SPD]: Ja, genau! Mit dem Kindergeld zum Beispiel! Und mit dem Elterngeld!) Statt den vorliegenden Anträgen der Opposition zuzustimmen, fordere ich die Landesregierungen – vor allem in Stuttgart, aber auch in allen anderen Bundesländern – auf, das von der Bevölkerung gewollte und akzeptierte Betreuungsgeld auf Landesebene den Familien zur Verfügung zu stellen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU – Sönke Rix [SPD]: Schade, wir klatschen für den Koalitionspartner sonst gerne!) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Wir sind froh, dass das Thema Betreuungsgeld durch ist, und es ist gut, dass es durch ist. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sönke Rix [SPD]: Das hörte sich gerade eben noch anders an!) – Ich glaube, es ist gut, dass es durch ist, und es ist durch. Wir werden das Thema bestimmt in Wahlkämpfen haben. In Baden-Württemberg tut uns die CDU den Gefallen, das Betreuungsgeld zu fordern. Das ist ein gutes Rezept für die Großstädte in Baden-Württemberg. Es wird im baden-württembergischen Wahlkampf natürlich eine Auseinandersetzung darüber geben, was man mit den Geldern aus dem Betreuungsgeld macht. Ich kann Ihnen jetzt schon sagen, lieber Kollege aus Biberach: Das Geld wird, zumindest wenn die jetzige Koalition fortgesetzt wird, in die Kitas fließen. Denn ich habe, ehrlich gesagt, das Gefühl, dass die Debatte, die wir über das Betreuungsgeld geführt haben – wir führen sie auch jetzt wieder –, von den Bedürfnissen der Familien total ablenkt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Schauen wir uns die aktuelle Lage an. Von Frau Schwesig wurde heute schon gefordert, dass jedes Flüchtlingskind einen Platz in einer Kita braucht. Das ist die Herausforderung, die es aktuell zu stemmen gilt, um sicherzustellen, dass dort von Anfang an Chancengleichheit garantiert wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn man sich die Zahlen anschaut, dann stellt man fest: Von den derzeit zu erwartenden 800 000 Asylsuchenden – vielleicht sind es auch mehr – sind ungefähr 110 000 Kinder im Alter von unter sechs. Wenn man das umrechnet und annimmt, dass nur 90 Prozent der Dreijährigen und über Dreijährigen und nur 30 Prozent der unter Dreijährigen in eine Kita gehen, weiß man, dass man auf jeden Fall bzw. mindestens 68 000 Plätze extra braucht. Wenn man also von 800 000 Asylsuchenden ausgeht, dann braucht man schon allein für diese Kinder zusätzliche 68 000 Plätze. Das sind ziemlich viele Plätze. Sie kommen bei den 185 000 Plätzen, die wir sowieso brauchen, weil sie schon vorher fehlten, on top. So viel zum Ausbau. Das heißt, hier brauchen wir zusätzliche Gelder. Ich bin mir nicht sicher, ob das Geld, das jetzt an die Länder fließt, dafür reichen wird, und da sprechen wir noch gar nicht von der Qualität, die wir vor Ort brauchen, zum Beispiel im Hinblick auf die Sprachförderung. Herr Felgentreu, Sie haben jetzt von 400 Millionen Euro extra gesprochen, die es on top geben soll. Vor zwei Wochen haben wir vom Ministerium die Antwort bekommen, dass es keine Aufstockung gibt. Wenn Sie jetzt sagen, es kommen 400 Millionen Euro extra, dann sehen wir das natürlich mit Freude. (Sönke Rix [SPD]: Genau, dann freuen wir uns doch mal!) Ich glaube, dass das genau die Gelder sind, die jetzt in die Sprachförderung und in die Qualität der Kitas vor Ort zu investieren sind. Das hilft nämlich allen. Dann braucht man auch nicht zwischen Flüchtlingskindern und Kindern, die schon länger hier leben, zu differenzieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen Ganztagsangebote – auch das ist ein Punkt, der unserer Meinung nach noch zu kurz kommt – und eine Debatte über das Kitaqualitätsgesetz. Wenn wir bei der Diskussion den Blick nach vorne richten, sehe ich immer noch eine große Herausforderung vor uns, auf die wir noch keine Antworten haben. Die Arbeitsgruppen sollen erst Ende 2016 einen Zwischenbericht liefern. Das heißt, in dieser Legislaturperiode passiert bei diesem Thema nichts. Ich finde es eigentlich sehr schade, dass man mit dem Signal „Das Betreuungsgeld ist weg“ jetzt nicht stärker das nächste Thema angeht. Das ist nämlich die Erhöhung der Kitaqualität durch ein Kitaqualitätsgesetz. Ich hoffe, dass wir von Frau Schwesig noch etwas mehr dazu bekommen werden als nur die Einrichtung von Arbeitsgruppen und irgendwelche Zwischenberichte kurz vor der nächsten Wahl. Wir brauchen hier echte Ergebnisse, durch die vor Ort etwas verändert wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Erlauben Sie mir, noch einmal auf Bayern zurückzukommen. Ich kann wirklich nur hoffen, dass das Betreuungsgeld in Bayern nicht dazu führen wird, dass es in den Kitas weniger Geld für die Flüchtlinge geben wird, die zu uns kommen werden. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Nein, nein, Bayern macht seine Hausaufgaben!) Wie der Kollege gerade gesagt hat, ist Prinzip der CSU eigentlich immer „Sachleistungen vor Geldleistungen“. Es ist interessant, dass das gerade hier jetzt nicht gilt. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Die CSU vertraut den Familien!) Auch hier muss gesagt werden: Die Kitas, die die Integration ermöglichen, brauchen diese Hilfe. Ich hätte es gerne, wenn sich die CDU und die CSU an ihre eigenen Vorschläge halten würden. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Da haben Sie hier etwas verwechselt!) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten Gudrun Zollner, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gudrun Zollner (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Im heute vorliegenden Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke lese ich von wandelnden „Bedingungen für die Gründung von Familien“, wandelnden Bedingungen für das „Leben mit Kindern“ und wandelnden Bedingungen für eine „moderne Familienpolitik“. Natürlich wandeln sich die Lebensbedingungen, aber die Bindung zwischen Mutter und Kind wandelt sich nicht. (Beifall bei der CDU/CSU – Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: Oder Vater und Kind, soll es auch geben!) Ich freue mich immer wieder, wenn ich Kolleginnen begegne, die ihren Babybauch ganz stolz zeigen, und ich bin mir sicher, dass jede junge Mutter ihr Kind gleich nach der Geburt und in der frühen Lebensphase nur ungern in fremde Obhut gibt. Die Mutter-Kind-Bindung in dieser Zeit ist mit nichts zu vergleichen und durch nichts zu ersetzen. Bitte hören Sie auf, den jungen Müttern mit Schlagwörtern wie „Heimchen am Herd“ und „Herdprämie“ ein schlechtes Gewissen oder Schuldgefühle einzureden, wenn sie sich dazu entschließen, mit den Kindern zu Hause zu bleiben und die Erziehung selbst zu übernehmen. (Beifall bei der CDU/CSU) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen ein klares Bekenntnis pro Familie, wir brauchen Wertschätzung, und wir brauchen Anerkennung für die großartige Leistung, die Familien durch Erziehungsarbeit erbringen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: Dann können Sie auch Orden verteilen!) Der wichtigen frühkindlichen Bildung steht doch nichts im Wege, wenn ich mein Kind im Alter von drei Jahren in einen Kindergarten gebe. (Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: Sie haben es nicht verstanden!) Es ist dann immer noch genug Zeit zum Erlernen von sozialen Kompetenzen und für die Sprachförderung, bevor das Kind in die Schule kommt. Unsere Erzieherinnen in den Kitas leisten hervorragende, qualifizierte Arbeit, die man mit der Betreuung in früheren Zeiten überhaupt nicht mehr vergleichen kann. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Natürlich gibt es gute Gründe, die Angebote an Kindertageseinrichtungen in Anspruch zu nehmen. Besonders Alleinerziehende sind darauf angewiesen. Wenn sich eine Frau für Kind und Karriere entscheidet, dann freut mich das umso mehr. Es macht doch keinen Sinn – ich persönlich finde es unfair –, Mütter, die zu Hause bleiben, und Mütter, die frühzeitig wieder zur Arbeit gehen, gegeneinander auszuspielen. (Beifall bei der CDU/CSU – Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: Warum geht es eigentlich nur um Mütter?) Genauso wenig macht es Sinn, das Betreuungsgeld und den Kitaausbau gegeneinander auszuspielen. Wir brauchen beides. Das ist moderne Familienpolitik. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hören wir endlich auf, in Schwarz und Weiß zu denken und nur über Richtig oder Falsch zu debattieren. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir in der Union waren immer für eine echte Wahlfreiheit der Familien. Wir setzen für beide Modelle Anreize und haben beide Seiten im Blick. Wir sind uns der Erziehungsleistungen der Eltern bewusst. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Unsere Intention war es daher immer, mit dem Betreuungsgeld denjenigen Eltern eine Anerkennung für die heimische Erziehungsleistung zukommen zu lassen, die nicht auf staatliche Einrichtungen zurückgreifen. An dieser Zielsetzung hat sich bei uns auch durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nichts geändert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das Betreuungsgeld ist mit der Begründung für nichtig erklärt worden, dass dem Bund die Gesetzgebungskompetenz hierfür nicht zusteht. Zur materiellen Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz hat das Gericht dagegen nichts geäußert. Nur die Zuständigkeit wurde geändert, nicht mehr und nicht weniger. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist daher nur richtig, dass die freiwerdenden Mittel aus dem Betreuungsgeld nun den Ländern zur Verfügung gestellt werden, um bedarfsgerechte Maßnahmen zur Verbesserung der Kinderbetreuung umzusetzen. Wir werden genau darauf achten, wie die Länder diese Gelder verwenden. Deshalb fordern wir die Bundesregierung in unserem Entschließungsantrag auf, darzustellen, wofür die Länder diese Mittel einsetzen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: Wir auch! – Sönke Rix [SPD]: Sollen sie mal sagen, was sie mit unserem Geld machen!) Der Freistaat Bayern geht mit gutem Beispiel voran. (Widerspruch bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung ist in Bayern erfüllt; denn Bayern investiert in eine gute und ausgewogene Familienpolitik. Hier nur einige Zahlen aus den letzten Jahren: Rund 1,5 Milliarden Euro sind für den Ausbau der Kinderbetreuung für unter Dreijährige ausgegeben worden. Seit 2013 wurden jährlich 30 Millionen zusätzlich für Bildung und Erziehung für Kinder unter drei Jahren, einen personellen Zuwachs von 53 Prozent für den quantitativen und qualitativen Ausbau und rund 7 Millionen Euro staatliche Förderung zur Qualifizierung „Fachkraft in Kindertageseinrichtungen“ zur Verfügung gestellt. Auch die Sprachförderung ist Bayern wichtig. Der Einsatz von Sprachberatern in Kitas wurde mit 11,8 Millionen Euro gefördert. Insgesamt übernimmt der Freistaat Bayern 53 Prozent der für die Kinderbetreuung notwendigen Mittel. In anderen Bundesländern sind es durchschnittlich 39 Prozent. Das zeigt, es geht beides: Betreuungsgeld und Kitaausbau. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Weder die Parteien noch der Staat sollen Familien bevormunden. Familien entscheiden selbst über ihre Lebensplanung. Deswegen soll die reale Wahlmöglichkeit zwischen Betreuungsplatz und Betreuungsgeld (Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: Geht real nicht!) gegeben sein. Deswegen macht es Sinn, die freiwerdenden Mittel den Ländern zur Verfügung zu stellen. Wir sind davon überzeugt: Das Geld gehört den Familien, und zwar allen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) egal für welches Familienmodell sie sich entscheiden. Bei uns in Bayern wird es ein Landesbetreuungsgeld geben. Die Vorbereitungen laufen. Es wird sich zeigen, wie andere Bundesländer ihre dort lebenden Familien unterstützen. Es wird sich zeigen, ob diejenigen, die jetzt am lautesten davon sprechen, die Kinderbetreuung unterstützen, die Mittel auch tatsächlich für Verbesserungen für alle Familien einsetzen. Wir lehnen eine Bevormundung der Väter und Mütter ab. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb lehnen wir auch den vorliegenden Gesetzentwurf sowie die Anträge ab. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Dr. Dorothee Schlegel für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Vielleicht darf ich alle bitten, den Geräuschpegel etwas zu senken. Dr. Dorothee Schlegel (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal freue ich mich – gemeinsam mit Kollegen Felgentreu – darüber, dass wir heute nicht mehr über das Betreuungsgeld debattieren müssen, sondern endlich über die Frage diskutieren können: Wohin mit dem freiwerdenden Geld? Wir können nun noch präziser darüber diskutieren, an welchen Stellen wir Kinder am besten unterstützen können. Danke übrigens an unsere Familienministerin Manuela Schwesig, die beharrlich und letztendlich erfolgreich dafür gekämpft hat, dass die Mittel bei den Familien bleiben und nicht in den allgemeinen Bundeshaushalt gehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Gelder stehen nun den Ländern für Ausbau und Verbesserung der Kinderbetreuung zur Verfügung. Dieses absolut nicht kinderleichte Milliardenpaket – ich mache jetzt keine mathematischen Spielchen – motiviert dazu, in der Kinderbetreuung weitere qualitative Schritte zu gehen. Wohin genau, wissen bei genauer Bestandsaufnahme und Betrachtung das Bundesland, die Kommune, die jeweiligen Träger und vor allem Erzieherinnen, Eltern und Kinder. Braucht also eine Kommune einen Ausbau oder eine Renovierung der Kita? Geht es um neues Spielzeug, bessere Stühle, einen Herd oder gar eine ganz neue Küche? Brauchen die Kinder Sprachförderung oder Bewegungsangebote? Oder brauchen Eltern mehr Beratung oder die Fachkräfte mehr Zeit für die Kinder? Nicht alles muss zentral geregelt werden. Aber der vom Bund angestoßene Kitaqualitätsprozess hat bereits Kreise gezogen. Er begann übrigens vor der Einführung und auch unabhängig vom Betreuungsgeld. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Gleiche Lebensverhältnisse für alle zu schaffen, liebe Kolleginnen und Kollegen zu meiner Linken, ist ein hehres Ziel. Unsere Regionen, die Kinder, deren Förder- und Lernbedürfnisse und deren Eltern sind zu verschieden, ob Stadt oder Land, ob Nord, Süd, Ost oder West. Auch in vielen anderen Bereichen wird eine Angleichung schwer. Gerade deshalb ist es wichtig, dass wir bundesweite Mindestqualitätsstandards formulieren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Unabhängig vom Betreuungsgeld haben wir zwischenzeitlich einiges erreicht, zum Beispiel die Einführung des Elterngeldes Plus oder die des Kita-Plus-Programms, das jetzt angelaufen ist. Die teilnehmenden Kitas können ihre Öffnungs- und damit Betreuungszeiten flexibler gestalten. Zielgruppen sind unter anderem Schichtarbeiterinnen und Schichtarbeiter, Berufsrückkehrerinnen, Selbstständige sowie Berufsgruppen, deren Arbeitszeiten außerhalb der üblichen Kitaöffnungszeiten liegen. Zielgruppe sind auch Alleinerziehende. Gerade für Alleinerziehende – sie machen selbst in meinem ländlichen Wahlkreis in Baden-Württemberg annähernd 20 Prozent aus, darunter sind übrigens ein Fünftel Väter – sind diese Öffnungszeiten eine große Entlastung. (Beifall bei der SPD) Sehr geehrte Damen und Herren, festzuhalten bleibt: Der flächendeckende Ausbau der Kinderbetreuungsangebote ist ein Erfolg der SPD. Mein Bundesland, sehr geehrter Herr Kollege Rief, hat nach dem Regierungswechsel hin zu Grün-Rot im Jahre 2011 enorm aufgeholt. (Beifall der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das war nicht schon 2008, sondern erst 2011. Von einem der letzten Plätze gestartet, haben wir mittlerweile bundesweit den besten Betreuungsschlüssel. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auf diesen Erfolgen wollen wir uns aber nicht ausruhen, weder auf Landes- noch auf Bundesebene. Die Weichen sind nun gestellt. Die Verhandlungen waren nicht leicht. Und es gibt in Sachen Qualität noch viel zu tun, aber bitte ein Schritt nach dem anderen. Zum Schluss möchte ich ein aktuelles Papier der Konrad-Adenauer-Stiftung mit dem Titel erwähnen: „Wie viel Mutter braucht das Kind?“ Es unterstützt unseren Weg. Darin heißt es: Gute Kitas ermöglichen neue Lernerfahrungen, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) fördern kognitive, sprachliche und soziale Fähigkeiten. Auch für jüngere Kinder wird eine hochwertige Betreuung bis zu 30 Stunden pro Woche für förderlich erachtet. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Sönke Rix [SPD]: Hört, hört: Adenauer-Stiftung!) Nebeneffekt ist übrigens – auch das steht in dieser Studie –, dass die Betreuung positive Folgen für die Berufstätigkeit von Frauen und die Entwicklung der Kinder habe. Schön, dass all diese Entwicklungen durch die zusätzlichen Mittel einen weiteren Schub bekommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Damit können wir möglichst allen Kindern die Schritte in ihre Zukunft wesentlich leichter machen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Aufhebung des Betreuungsgeldes. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6200, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/5 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gute Geschäftsordnung!) Wir setzen die Abstimmung fort. (Unruhe) – Ich bitte um etwas Ruhe. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6200 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/6041 mit dem Titel „Betreuungsgeld für den Kitaausbau nutzen“. Die Fraktion Die Linke hat namentliche Abstimmung verlangt. Bevor wir zur Abstimmung kommen, möchte ich darauf hinweisen, dass wir auch zu dem anschließend folgenden Tagesordnungspunkt 11 eine namentliche Abstimmung durchführen werden. Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Plätze einzunehmen. – Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? – Ich sehe, das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung über Buchstabe b der Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Fraktion Die Linke. Gibt es ein Mitglied des Hauses, das seine Stimmkarte noch nicht abgeben konnte? – Haben alle ihre Stimmkarten abgegeben? – Ich sehe jetzt niemanden mehr. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung der Stimmen zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.4 Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen jetzt noch eine weitere Abstimmung durchführen. Ich darf Sie bitten, Platz zu nehmen. Wer unbedingt noch etwas bereden muss, macht das bitte außerhalb des Saales. Das gilt auch für die Regierungsmitglieder. Ich darf noch einmal um Ihre Aufmerksamkeit bitten; denn wir setzen jetzt die Abstimmungen zur Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6200 fort. Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6063 mit dem Titel „Betreuungsgeld in Kitas investieren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung agrarmarktrechtlicher Bestimmungen Drucksache 18/6160 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) Drucksache 18/6438 Über den Gesetzentwurf wird später namentlich abgestimmt. Ich weise Sie darauf hin, dass zur Annahme des Gesetzentwurfs nach Artikel 87 Absatz 3 des Grundgesetzes die absolute Mehrheit – das sind 316 Stimmen – erforderlich ist. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Hermann Färber, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hermann Färber (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Warten Sie noch ganz kurz, Herr Kollege. – Ich bitte Sie, jetzt ein bisschen Rücksicht zu nehmen. Diejenigen, die sich noch unterhalten möchten, tun das bitte außerhalb des Saales. Denn der Kollege Färber hat es verdient, dass wir ihm zuhören. – Danke schön. Hermann Färber (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten heute einen Gesetzentwurf zur Umsetzung des neuen Agrarmarktrechts der Europäischen Union. Die von der EU beschlossene Verordnung zur gemeinsamen Organisation der Agrarmärkte umfasst insgesamt 183 Seiten des EU-Amtsblattes. Sie besteht aus 207 Erwägungsgründen, 232 Artikeln und 14 Anhängen. Dazu kommen noch zahlreiche Durchführungsverordnungen und delegierte Rechtsakte. Meine Damen und Herren, Sie sehen: Entbürokratisierung bei der europäischen Agrarpolitik ist und bleibt dringend notwendig. Aber nun zum Inhalt: Die Reform der gemeinsamen Marktordnung geht grundsätzlich in die richtige Richtung. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass in einem globalisierten Markt, wie wir ihn haben, direkte Interventionsmechanismen wie staatliche Mengenregulierung nicht zufriedenstellend funktionieren. Sie mussten auch in der Vergangenheit immer wieder geändert und nachjustiert werden, und letztlich waren diese staatlichen Regelungen immer zu langsam oder nicht spezifisch genug, oder es wurde das eigentliche Ziel durch politische Kompromisse am Ende verfehlt. Die Milchmengenregelung ist nur ein Beispiel dafür: Trotz mehr als 40 Änderungsverordnungen in 30 Jahren wurde nie das erreicht, was man sich zuvor davon erhofft hatte. Deshalb gilt grundsätzlich auch für Lebensmittel: In normalen Zeiten ist der Markt der beste Mechanismus zum Ausgleich von Angebot und Nachfrage. Diese Orientierung am Markt ist richtig und wichtig. Trotzdem muss die Politik im Fall von Marktstörungen noch Möglichkeiten zum Eingreifen haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das setzen wir heute um. Es gibt Marktstörungen, die nicht auf Überproduktion oder normalem Nachfragerückgang beruhen. Im Gesetzentwurf sind solche Fälle ausdrücklich genannt. Es handelt sich zum Beispiel um Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung von Tierseuchen oder Marktstörungen, die auf einem akuten Vertrauensverlust bei den Verbrauchern infolge von Risiken für die menschliche, tierische oder pflanzliche Gesundheit zurückzuführen sind. Wir alle kennen solche Fälle der Berichterstattung über Risiken, zum Beispiel über EHEC-Bakterien bei Biosprossen oder vermeintliche Risiken wie Dioxinfunde in Eiern. In den Medien wird von einem Einzelfall berichtet. Der Verbraucher verallgemeinert dies, und die gesamte Branche kann ihre Produkte über einen gewissen Zeitraum hinweg nahezu gar nicht mehr verkaufen, und das, obwohl die weit überwiegende Zahl der Erzeuger überhaupt nicht von dem konkreten Problem betroffen ist. Ein anderer Fall, bei dem die EU-Kommission schon tätig geworden ist, sind die russischen Sanktionen im Agrarsektor. Auch hier liegt eine Marktstörung vor. Dass Politik in solchen Fällen reagieren kann, ist aus zwei Gründen wichtig. Zum einen ist jedem klar: Die Versorgung mit Lebensmitteln muss auf jeden Fall gesichert werden. Zwar ist es für unsere Wirtschaft auch schädlich, wenn etwa Zulieferteile für Autos nicht rechtzeitig geliefert werden können. Aber die Ernährung unserer Bevölkerung hat noch immer einen wesentlich höheren Stellenwert. (Beifall bei der CDU/CSU) Aus diesem Grund sind hier Sicherheitsnetze für den Ausnahmefall unverzichtbar. Die Landwirtschaft in Deutschland genügt den weltweit höchsten Standards, was Umweltschutz und Qualität der Lebensmittel angeht. Darum halten wir an unserem Leitbild der bäuerlichen Landwirtschaft fest, das getragen ist von den Landwirten und ihren Familien vor Ort. Das wollen wir dauerhaft sichern. Dazu benötigen wir politische Handlungsmöglichkeiten in Krisenfällen, auch zur Sicherung dieser von der Mehrheit der deutschen Bevölkerung gewünschten bäuerlichen Struktur. Wir können diese Strukturen und das damit zusammenhängende Landschaftsbild nur dann erhalten, wenn die Produktion in unserem Land bleibt und nicht ins Ausland verlagert wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ein wichtiger Ansatz im Gesetz ist die Möglichkeit, dass in Krisenfällen nicht nur der Staat handeln darf, sondern auch Agrarerzeugerorganisationen Absprachen treffen dürfen. So können sie sich zum Beispiel auf Marktrücknahmen oder die kostenlose Verteilung der Produkte einigen und gemeinsame Absatzfördermaßnahmen oder Qualitätsanforderungen beschließen. Das Wichtigste ist: Dazu können sie zeitlich befristet vom Kartellverbot freigestellt werden. Diese Einbindung der direkt Betroffenen in die Problembewältigung ist nur zu begrüßen. Die Unionsfraktion stimmt deshalb dem vorliegenden Gesetzentwurf zu, und wir bitten auch Sie um Ihre Zustimmung. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile, möchte ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt geben: abgegebene Stimmen 577. Mit Ja haben gestimmt 461, mit Nein 60, Enthaltungen 56. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 577; davon ja: 461 nein: 60 enthalten: 56 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. Andre Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Dr. Thomas Feist Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Peter Hintze Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Thorsten Hoffmann (Dortmund) Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Gerd Müller Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Ronja Schmitt Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr. h.c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Birgit Kömpel Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Detlef Müller (Chemnitz) Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Ulli Nissen Mahmut Özdemir (Duisburg) Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Achim Post (Minden) Florian Post Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Carsten Träger Rüdiger Veit Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Dirk Wiese Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Nein DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. Andre Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Richard Pitterle Martina Renner Michael Schlecht Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Sabine Zimmermann (Zwickau) Pia Zimmermann Enthalten BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Nächste Rednerin ist die Kollegin Karin Binder, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Karin Binder (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es ist höchste Zeit, die Existenzgrundlagen derjenigen besser zu schützen, die uns mit Lebensmitteln versorgen. Wenn dies mithilfe der seit dem 1. Januar 2014 geltenden Gemeinsamen Marktorganisation der EU ermöglicht wird, muss dies endlich auch in deutsches Recht umgesetzt werden. (Beifall bei der LINKEN) Herr Färber, der Markt wird es schon richten. – Genau das ist der falsche Ansatz. Dann brauchten wir diese gemeinsame Ordnung nicht. Die Bäuerinnen und Bauern sind heute mehr denn je den Fliehkräften eines globalen Marktes ausgeliefert. Die Profitgier großer lebensmittelverarbeitender Konzerne und Handelsunternehmen macht auch vor den Ställen und Äckern nicht halt. Der Druck auf die Erzeugerpreise ist enorm. Da kann die kleinste Schwankung die Existenz eines landwirtschaftlichen Betriebes gefährden. (Beifall bei der LINKEN) Künftig können die EU und die deutsche Regierung die Betriebe unterstützen, wenn außergewöhnliche Umstände eintreffen. Dazu gehören Auswirkungen von Tierseuchen oder die Beeinträchtigung durch Lebensmittelskandale, Ernteausfälle oder auch die großen Preisschwankungen, wie sie durch die Russland-Sanktionen verursacht wurden. Abgesehen vom Wetter sind jedoch die allermeisten außergewöhnlichen Ereignisse hausgemacht. Preisschwankungen fallen meist nicht vom Himmel, sondern sind das Ergebnis einer neoliberalen Politik, die in erster Linie die kurzfristige Profitmaximierung großer Konzerne bedient und auch nicht vor Spekulationen mit Lebensmitteln haltmacht. Die Milchpreise sind im Keller, weil dieser Bundesregierung die Globalisierung heiliger ist als die Kuh. Die Erzeugerpreise sind im Keller, weil ein marktmächtiges Oligopol den Lebensmitteleinzelhandel beherrscht und den Betrieben Dumpingpreise für ihre Erzeugnisse abnötigt. Das Aldi-Prinzip ist zynisch und unmoralisch. (Beifall bei der LINKEN) So geht man nicht mit hart arbeitenden Bäuerinnen und Bauern und auch nicht mit unser aller Lebensgrundlage, den Lebensmitteln, um. Das Kartellrecht muss endlich so gestaltet werden, dass die Marktmacht der großen Supermarktketten gebrochen wird. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke sagt: Die Regierung und das Parlament müssen für Fairness zwischen Erzeugern und Handel sorgen. Selbst der Boden, die Grundlage jedes landwirtschaftlichen Betriebs, ist Preisspekulationen und Immobilienspekulanten ausgeliefert. Wenn der Boden, seine Bewirtschaftung und die Lebensmittelerzeugung globalen Profitinteressen zu folgen haben, hat das nichts mehr mit den Menschen vor Ort zu tun. Dann stirbt der ländliche Raum, und dann ist das nicht mehr unser Land. Die Linke will deshalb mehr regionale Wertschöpfung, (Beifall bei der LINKEN) von der Erzeugung über die Verarbeitung bis hin zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Die Bundesregierung preist stattdessen den Agrarexport als das Allheilmittel. Fleisch und Milch sollen auf der Suche nach höchstem Profit rund um den Globus geschickt werden. Wir haben es hier aber nicht mit Fernsehern oder Handys zu tun. Die allermeisten Lebensmittel könnten dort erzeugt und verarbeitet werden, wo sie benötigt werden und wo wir sie essen wollen. Lebensmittel müssten nicht Zigtausende Transportkilometer hinter sich bringen, um den Bedarf einer Bevölkerung zu decken. (Beifall bei der LINKEN) Doch die Marktgläubigkeit der Bundesregierung kennt keine Grenzen. Mit den sogenannten Freihandelsabkommen zwischen Europa und Nordamerika – CETA, TTIP und Co. – sollen weitgehende Sonderrechte für internationale Konzerne geschaffen werden. Ich sage Ihnen voraus: Weder kleine oder mittelständische Betriebe noch die Verbraucherinnen und Verbraucher werden davon profitieren, dass der Schwarzwälder Schinken künftig aus Texas kommt. Ich sage Ihnen auch voraus: Die außergewöhnlichen Maßnahmen, die wir heute beschließen, werden durch diese Abkommen für die landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland zur Regel und zur Notwendigkeit. Die Notwendigkeit zur Änderung der Agrarmarktbestimmungen in der EU weist uns auf drei Dinge hin: Erstens. Wenn es um unser Essen geht, müssen wir die Kirche und den Markt im Dorf lassen. (Beifall bei der LINKEN) Zweitens. Globalisierungsgläubige Agrarpolitik rechnet sich nicht. Drittens. Finger weg von CETA, TTIP und Co. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege Dr. Wilhelm Priesmeier. (Beifall bei der SPD) Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ach, Frau Binder, hätten Sie doch die Kirche im Dorf gelassen. Dann hätten Sie heute etwas Gutes getan. (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Lauter!) Ich frage mich allen Ernstes, was die Umsetzung der gemeinsamen Marktordnung in deutsches Recht – mit dem ermöglichen wir erst die Anwendung in Krisensituationen – (Katja Kipping [DIE LINKE]: Ich verstehe kein Wort!) mit TTIP und globalisierten Märkten zu tun hat. Ich glaube, nicht so besonders viel. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Wir sind gehalten, für das geltende EU-Recht, das seit dem 1. Januar 2014 in Kraft getreten ist und das an sich sowieso schon gilt, die Voraussetzungen zu treffen, damit im Krisen- und im Notfall dieses Recht in Deutschland anwendbar gemacht werden kann. Dazu bedarf es letztendlich auch der Umsetzung des Artikels 220 der EU-Verordnung Nr. 1308/2013. Darauf bezieht sich im Wesentlichen der Gesetzentwurf, den wir heute hier beraten. Die Anwendung ist auf nationaler Ebene zu regeln. Im Wesentlichen geht es darum, dass wir Verordnungsermächtigungen des Marktorganisationsgesetzes, des Agrarmarktstrukturgesetzes und des Weingesetzes entsprechend anpassen – um nicht mehr, aber auch um nicht weniger. Ich glaube, dass wir gut daran tun, diesen Gesetzentwurf in diesem Hause mit breiter Mehrheit zu verabschieden. Ich glaube, es hat selten einen Gesetzentwurf gegeben, der in namentlicher Abstimmung mit so großer Mehrheit angenommen wird. Die Bundesländer haben sich im Bundesrat dazu nach meinem Kenntnisstand positiv geäußert. Es hat keinen Widerspruch gegeben, auch nicht aus dem Land Thüringen, wo die Linke die Landwirtschaftsministerin stellt. Insofern kann ich die Aufgeregtheiten hier heute überhaupt nicht verstehen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Diese gesetzliche Regelung hat an sich nichts mit mächtigen Monopolen und auch nichts mit Dumping zu tun. Es geht darum, dass wir im Weiteren natürlich auch bestimmte Vorgaben, sei es die Bezeichnung der Bundesministerien, seien es entsprechende Vorschriften zum Datenschutz, anpassen. Es geht also um ganz banale Dinge, die nicht zu Aufgeregtheiten taugen. Das Marktorganisationsgesetz bedarf der Zustimmung der Mehrheit des Deutschen Bundestages, weil wir mit diesem Gesetz die Möglichkeit schaffen, im Krisenfall, der in absehbarer Zeit hoffentlich nicht eintritt, zum Beispiel die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, BLE, oder auch die Bundesfinanzverwaltung mit der Durchführung entsprechender Maßnahmen zu betrauen, und das in einem vereinfachten Verfahren, ohne die Bundesländer dabei anzuhören. Auf der Grundlage von Artikel 87 Absatz 3 unseres Grundgesetzes ist dafür die Kanzlermehrheit erforderlich. Dieses Thema bietet wenig Raum, um sich hier partei- oder sonst wie politisch zu positionieren. Es hat im Regelfall einen überwiegend technischen Charakter. Die Marktordnungsmaßnahmen sind zu gegebener Zeit notwendig. Wir haben das gesehen. Der Kollege Färber hat das eben schon einmal erwähnt. Im Hinblick auf das russische Embargo hat es in bestimmten Bereichen, vor allen Dingen in den baltischen Ländern, Störungen des Milchmarktes vor Ort gegeben. Da ist das zur Anwendung gekommen, aber auch nur bezogen auf diese einzelnen Mitgliedstaaten. Voraussetzung ist immer, dass ein Mitgliedstaat die Möglichkeiten des EU-Rechts in einer solchen Situation nutzt. Ich erinnere noch einmal daran, wie es bei uns war, als wir es mit der Vogelgrippe zu tun hatten. Damals haben 14 EU-Mitgliedstaaten diese Möglichkeit in Anspruch genommen. Damals war der Markt kurz vor dem Zusammenbruch. Das schützt die Produzenten davor, dass sie kurzfristig in Schwierigkeiten und in existenzielle Probleme geraten. Damals ging es darum, dass wir vorzeitig Zuchttiere oder auch legereife Hennen geschlachtet haben, um das Angebot zu verringern. Das alles sind Maßnahmen, die zulässig sind. Zu gegebener Zeit sollte man sie auch ergreifen. Der EU-Haushalt trägt dazu bei, dass diese Möglichkeiten genutzt werden können; denn die Maßnahmen, die auf nationaler Ebene in Kraft gesetzt werden können, werden im Regelfall zu 60 Prozent aus dem EU-Haushalt über den normalen Rahmen hinaus mitgetragen. Ein weiteres Beispiel ist die BSE-Krise; der ein oder andere mag sich noch daran erinnern. Damals war es unerlässlich, diese Regelungen anzuwenden, weil sonst Ähnliches wie bei der Vogelgrippe in den Märkten passiert wäre und viele Betriebe in akute wirtschaftliche Gefahr geraten wären. Im Grundsatz kann man sich über Marktordnungen natürlich streiten. Wir haben die Marktordnungen einmal eingeführt, um die Europäer mit qualitativ hochwertigen Lebensmitteln dauerhaft versorgen zu können. Das war in den 50er-Jahren. Zwischenzeitlich ist die agrarische Produktion gewachsen, und zwar auf ein Maß, das wir uns damals nicht vorstellen konnten. Wir haben diese Politik begonnen, weil die marktregulierenden Eingriffe letztendlich bis 1992 zu teuer geworden sind: Fast 70 Prozent des europäischen Haushaltes wurden für entsprechende Subventionen und Marktordnungsmittel ausgegeben. Dem mussten wir entgegensteuern. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es relativ wenige Ansätze für Marktordnungseingriffe. Diese Eingriffe entsprechen im Regelfall nicht mehr dem, was wir kennen: Beispielsweise ist das Dumping 2007 mit der Abschaffung der Exporterstattung weggefallen. Auch das stellt also keine Gefahr mehr dar, Frau Binder – sie ist nicht mehr da. Jetzt müssen Sie einmal schauen, wie das denn in der Vergangenheit war. Ich glaube, Markt, auch der Agrarmarkt, braucht klare Vorgaben. Wir bewegen uns in einem Umfeld, in dem die europäische Landwirtschaft, gerade auch unsere Landwirtschaft, zunehmend durch Wettbewerb geprägt ist. Da brauchen wir keine Angst zu haben. Wir brauchen entsprechende Eingriffe nicht mehr unmittelbar. Mir ist auch nicht bange um die Entwicklung der deutschen Landwirtschaft und der deutschen Agrarwirtschaft. Hier ist als Möglichkeit erwähnt worden, lokale Produktion, lokale Vermarktung zu fördern. Dazu sage ich letztendlich: D’accord! Dagegen gibt es nichts zu sagen. – Aber ich hoffe einmal, dass Marktordnungen in Zukunft – zu der Einschätzung kommt man, wenn man sich die Situation insgesamt anschaut – eine noch geringere Rolle spielen als heute. Im Prinzip wollen wir uns nicht vom Weltmarkt abschotten. Wir tun das aber in Teilen noch; das ist auch Bestandteil dieser Marktordnung. Man könnte vielleicht einmal darüber nachdenken, ob wir uns bestimmten Ländern verstärkt öffnen. Aber es gibt natürlich auch andere Bedingungen, die man zu berücksichtigen hat: Es gibt das Tierseuchenrecht, es gibt SPS-Abkommen. Beide schützen uns davor, dass Krankheiten eingeschleppt werden. All das muss man im Hinterkopf haben. Aber eine pauschale Verurteilung von Marktordnungen kann ich nicht nachvollziehen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Friedrich Ostendorff, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt kommt der Hahn auf die Henne! Jetzt ist was los!) Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Januar 2014 gilt die neue EU-Verordnung zur Gemeinsamen Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse. Diese Verordnung regelt unter anderem die Umsetzung möglicher Maßnahmen, um auf Marktkrisen, zum Beispiel durch erhebliche Preisrückgänge, zu reagieren. Wir Grüne stimmen dem vorliegenden Gesetzentwurf zu, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Da kann man mal sehen, wer was kann!) auch deshalb, damit das Gesetz endlich in Kraft tritt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetz stehen Sie, Herr Minister Schmidt – er muss allerdings gerade Haushaltsgespräche mit Eckhardt Rehberg führen –, (Heiterkeit) aber auch in der Verantwortung, die Ihnen gegebenen Möglichkeiten jetzt endlich einmal zu nutzen. Viele von uns wissen doch, wovon ich spreche. Die augenblickliche Situation auf den Agrarmärkten ist katastrophal, besonders auf dem Milchmarkt mit den ständigen Preisrückgängen. Wir Grüne haben immer wieder darauf hingewiesen, dass die Preise auf dem Milchmarkt die Kosten der Erzeugung bei weitem nicht decken, dass wir dringend durchgreifende Maßnahmen brauchen, um unseren Milchbäuerinnen und bauern eine Zukunftsperspektive zu bieten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Für diese unsere Sorge werden wir angefeindet. Uns wird vorgeworfen, wir würden die schlechten Preise herbeireden. An dieser Stelle möchte ich einmal das Ministerium zitieren, das vor wenigen Tagen erklärte: Zusätzlich zum andauernden weltweiten Rückgang der Nachfrage nach Milch und Milcherzeugnissen insbesondere infolge des Rückgangs der Ausfuhren nach Russland und China und nach Ende der Milchquote ist es zu einer weiteren Belastung des Milchmarktes gekommen. – Welche Einsicht! Sehr spät! Warum haben wir nicht darüber geredet? Warum haben Sie immer erklärt, dass die Grünen im Unrecht sind und keine Ahnung vom Markt haben? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen endlich weiter gehende Schritte als den, 70 Millionen Euro an Liquiditätshilfen auszuschütten. Wir stehen vor einem Strukturbruch, Herr Minister Schmidt – er hört immer noch nicht zu; das ist auch egal; Sie können es ihm erzählen –, (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das weiß der schon alles!) wenn Sie nicht endlich handeln. Denn was kommt nach den 70 Millionen Euro? Mit planlosem Geldverteilen mit der Gießkanne, wie Sie es machen, bekämpfen wir nicht die Ursachen der Preismisere; denn die Krise ist eine strukturelle, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wenn inzwischen selbst hoch geförderte Wachstumsbetriebe aufgeben müssen. Neuseeland und Irland produzieren zu niedrigeren Kosten als Deutschland, weil sie auf konsequente Grünlandnutzung setzen, darauf ihre Produktion gründen. Das deutsche Patentrezept dagegen ist: Investitionen in immer größere Ställe, Konzentration der Tierhaltung in wenigen Regionen mit immer stärker auf Mais und Soja gestützter, oft flächenunabhängiger Produktion, aber eben auch massive Exportbeihilfen mit deutschem Steuerzahlergeld. Dem Problem der Exportbeihilfen wird man sich noch an anderer Stelle zu widmen haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Rechnung geht nicht auf. Wir brauchen ein Umdenken. Wir müssen uns von dem Wahn lösen, die Welt mit deutscher Billigmilch und deutschem Billigfleisch zu überfluten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Stattdessen müssen wir die Milcherzeugung für unseren heimischen Markt auf Grünland und die Verarbeitung in den Regionen zu guten, leckeren und regionalen Produkten fördern. Wir als Grüne wollen nicht die weitere Konzentration entlang der Überseehäfen, damit sich Sojaschrot aus Brasilien zu Milchpulver für China verwandelt, wo die Wiese zum Maisacker wird, und die Gülle in endlosen Lkw-Karawanen in die entlegensten Regionen verklappt wird. Nein, wir wollen die konsequente Grünlandnutzung, die Kuh auf der Weide und den Erhalt der Milcherzeugung in der Fläche. Wir Grünen wollen den Erhalt der Kulturlandschaft, den Erhalt der bäuerlichen Landwirtschaft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Gitta Connemann [CDU/CSU]) Dafür, Frau Connemann, müssen wir eine Landwirtschaft fördern, die Vielfalt und gute Lebensmittel schafft. Herr Minister, nutzen Sie die Möglichkeiten, die dieses Parlament Ihnen heute gibt. Handeln Sie endlich einmal. Wir befürchten: Leider wird auch dieser Appell nutzlos bleiben und verhallen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nee! Nein!) Wertvolle Zeit für viele vom Untergang bedrohte bäuerliche Betriebe wird weiter verstreichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächste spricht jetzt die Kollegin Marlene Mortler, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Marlene Mortler (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Grünen, lieber Kollege Ostendorff, werden nicht angefeindet, weil sie anders über den Markt denken als wir, sondern weil ihr es euch zur Aufgabe gemacht habt, Landwirtschaft, Bäuerinnen und Bauern pauschal schlechtzureden. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir leben in einer Zeit, in der wir alle brauchen – auch unsere Bäuerinnen und Bauern. Wir haben Herausforderungen zu bewältigen – Stichworte „Flüchtlingskrise“, „weltweite Hungerkrisen“ – bei der jeder Bauer, jede Bäuerin gefragt ist. Das war der emotionale Aspekt. Heute reden wir eigentlich über ein Artikelgesetz, das wirklich wenig spannend ist, etwa wenn man daran denkt, dass es um die Angleichung der Benennungen der Bundesministerien an den Status quo oder andere unspektakuläre Dinge geht. Andererseits hat das Gesetz auch eine weiter gehende Bedeutung. Es schafft nämlich die Voraussetzung für die Durchführung der in der Gemeinsamen Marktorganisation vorgesehenen außergewöhnlichen Maßnahmen zur Marktstützung. Die Kommission kann zum Beispiel dann zu Stützungsmaßnahmen auf den Märkten für tierische Produkte greifen, wenn Tierseuchen zu einem Absturz der Erzeugerpreise führen oder die Verbraucher aus solchen Gründen restlos verunsichert sind – Ehec war zum Beispiel so ein Fall –, und sie kann die Regeln der Marktordnung an die Bedürfnisse in Krisenzeiten anpassen. Diese Bestimmungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind richtig. Dass wir in Deutschland die Voraussetzungen für ihre Anwendung schaffen müssen, steht deshalb außer Frage. Ich möchte deshalb Sie alle an dieser Stelle um Ihre Zustimmung zum vorliegenden Gesetzentwurf bitten. (Beifall bei der CDU/CSU) Richtig spannend ist der Entwurf, weil er deutlich macht, wie sehr im Agrarsektor Markt und Marktverantwortung zusammengehören. Das ist in diesem Jahr ein hochaktuelles Thema. Kaum ein Jahr hat weite Teile der deutschen Landwirtschaft so gefordert wie dieses. Erst gab es einen Einbruch der Erzeugerpreise für Milch, Schweinefleisch und Zucker, dann eine Hitze- und Dürreperiode, wie sie viele von uns noch nicht erlebt haben. In Unterfranken mussten zum Beispiel viele Betriebe nicht nur schmerzhafte Ernteeinbußen verkraften, nein, die Ernteausfälle lagen teilweise sogar bei 70 bis 100 Prozent. Was macht ein Familienbetrieb, von dem zwei, drei Generationen leben, in einem solchen Jahr? Er lebt von der Substanz, wenn er welche hat. Er macht Schulden, wenn das noch geht. Er schnürt den Gürtel so eng wie möglich und versucht, mit geringen Einnahmen und Direktzahlungen zu überleben, oder er schließt, wenn die Politik nicht handelt, seine Tore. Ich will eine Landwirtschaft, meine Damen und Herren, in der nicht nur Große den Ton angeben, sondern in der auch bäuerliche Familienbetriebe in Zukunft eine Chance haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Gitta Connemann [CDU/CSU]: Richtig! Guter Anspruch!) Das hat nichts mit Romantik zu tun. Vielmehr macht es, wie ich meine, die Vielfalt, die gute Mischung. Es ist deshalb wichtiger denn je, unseren Dörfern ihre landwirtschaftlichen Betriebe zu belassen. Bauernhöfe sind die Lebenslichter. Für manche sind sie die Seele ländlicher Regionen. Deshalb können wir aus diesem langsam dem Ende zugehenden Jahr einige klare Botschaften mitnehmen. Erstens. Direktzahlungen für die Landwirtschaft sind wichtiger denn je. Nur so sind kleine und mittlere Betriebe in der Lage, immer neue Anforderungen zu erfüllen. Nur so können sie den besonderen Schwankungen der Agrarmärkte gerecht werden. Zweitens. Wie gut, dass wir in Deutschland eine Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur haben. Wir können diese um eine Förderung der ländlichen Räume erweitern, doch ihren landwirtschaftlichen Kern dürfen wir nicht infrage stellen. Drittens. Es ist richtig, die Zuschüsse zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung sukzessive zurückzuführen, aber noch nicht in diesem Jahr. Lassen Sie uns den Bundeszuschuss zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung noch einmal anheben. Viertens. Wir brauchen eine aktive EU-Kommission, die im Fall von Marktkrisen handelt, die unsere Interessen gegenüber Russland vertritt, die – unser Agrarminister Christian Schmidt hat das nach erfolgreichen Verhandlungen erreicht – Mittel aus der Superabgabe für Krisenmaßnahmen bereitstellt und die – hier schließt sich der Kreis – im Ernstfall das Instrumentarium der Gemeinsamen Marktordnung nutzt. Das ist gut, aber das kann sie nur, wenn der zur Abstimmung stehende Gesetzentwurf angenommen wird. Deshalb bitte ich noch einmal um Ihre Zustimmung. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Wir kommen dann zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung agrarmarktrechtlicher Bestimmungen. Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6438, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/6160 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer enthält sich? – Niemand. Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Nach Artikel 87 Absatz 3 des Grundgesetzes ist zur Annahme des Gesetzentwurfes die absolute Mehrheit – das sind 316 Stimmen – erforderlich. Wir stimmen nun über diesen Gesetzentwurf namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Alle besetzt. Dann eröffne ich die Abstimmung. Gibt es Kolleginnen und Kollegen, die ihre Stimmkarte noch nicht abgeben konnten? – Ich sehe, alle haben jetzt ihre Stimmkarte abgegeben. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, auszuzählen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.5 Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, Ihre Plätze einzunehmen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Omid Nouripour, Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kein Frieden und keine Stabilität ohne Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit – Für eine weitsichtige europäische Nachbarschaftspolitik gegenüber den Staaten Nordafrikas Drucksache 18/6551 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Dr. Franziska Brantner, Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Damen und Herren! Liebe Besucherinnen und Besucher! Heute ist eigentlich ein guter Tag, um uns mit Nordafrika zu befassen. Der tunesische Ministerpräsident Habib Essid hat vor wenigen Stunden Bundeskanzlerin Merkel getroffen. Und Tunesien ist das Land, das uns beim Blick auf den Raum Nordafrika noch Hoffnung gibt. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin, einen Moment. – Ich bitte jetzt alle, die sich dort hinten unterhalten, den Saal zu verlassen. (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ah, der Verkehrsminister Dobrindt! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ruhe oder raus!) So, Frau Kollegin Brantner, jetzt können Sie weiterreden. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke schön. Das war sehr nett. Dann fange ich jetzt noch mal an. – Tunesien ist also der Hoffnungsstrahl, den wir noch sehen. Diese Hoffnung kulminierte gleichsam in der Verleihung des Friedensnobelpreises an das tunesische Dialog-Quartett. Ich glaube, da müssen und können wir noch wesentlich mehr tun. (Beifall des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Bis jetzt haben wir viel beim Polizeiaufbau und bei der Kooperation im Bereich der Terrorismusbekämpfung geleistet. Bei dem, was Tunesien jetzt braucht, nachdem der Tourismus aufgrund der Anschläge eingebrochen ist, nämlich Hilfe für seine Wirtschaft und Vereinfachungen beim Export in unseren gemeinsamen europäischen Markt, können wir aber noch wesentlich mehr tun. Wir wissen, dass es schwierig ist, innerhalb der Europäischen Union Mehrheiten dafür zu bekommen, weil die Spanier, die Italiener und die Portugiesen natürlich darunter leiden würden, wenn die Orangen billiger aus Tunesien importiert würden, als sie bei ihnen zu haben sind. Das ist aber klassisch für die Europäische Union: Wenn es uns wichtig ist, dass Tunesien stabilisiert wird und stabil bleibt, und wenn es dafür wirtschaftliche Hilfe braucht, dann müssen wir bei Ländern in der EU, die von den Maßnahmen betroffen sind, für einen Ausgleich sorgen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Egon Jüttner [CDU/CSU]) Das ist nichts Neues. Wir haben Milliarden für die Agrarpolitik. Vielleicht könnten wir sie gezielt einsetzen, um Tunesien auf seinem schwierigen Weg zu begleiten. Wir müssen auch über die Zustimmung zu den Hermesbürgschaften für den Siemens-Deal mit Ägypten gestern im Haushaltsausschuss sprechen. Es geht um Milliarden für Kraftwerke. Leider entsprechen diese nicht wirklich den ökologischen und sozialen Kriterien; diese wurden sehr gedehnt. Man muss auch erwähnen, in welchem Kontext sie geschlossen wurden. Es ging ja um mehr als nur um Kraftwerke. Damit komme ich zum Kern unseres vorliegenden Antrages, nämlich zu der Frage, wie man momentan mit den Ländern in Nordafrika, deren Regierungen nicht auf dem Weg der Demokratisierung sind oder sich auch nicht mehr dahin bewegen wollen, umgeht. Was wir momentan beobachten und was uns Sorge bereitet, ist, dass man bereit ist, auf dem Altar der Flüchtlingsbekämpfung alles preiszugeben. Um den Preis, dass die Flüchtlinge dort zurückgehalten, aufgefangen oder zurückgewiesen werden, ist man bei uns bereit, jegliche Menschenrechtsansätze aufzugeben. An den Beispielen Türkei, el-Sisi in Ägypten und Libyen sieht man, dass man schnell vorankommen möchte und die Augen vor dem verschließt, was vor Ort passiert. Wir glauben, dass dies schon unter Mubarak, Ben Ali und Gaddafi die falsche Politik war. Wir halten es auch jetzt für falsche Politik, nur noch zu sagen: Wir setzen auf die Stabilität dieser Länder. Denn das ist eine Scheinstabilität, das ist eine Friedhofsruhe, aber keine echte Stabilität. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dieser Kurs ist gescheitert; aber für ihn haben wir jetzt aufgrund der Flüchtlingskrise anscheinend wieder Begeisterte. Wir sehen das auf europäischer Ebene. Erst besucht Frau Mogherini Ägypten, dann wird el-Sisi in London willkommen geheißen, ohne dass man darüber spricht, dass die Zivilgesellschaft in seinem Land keinerlei Chancen mehr hat. Trotzdem hat Ägypten mittlerweile wieder unsere komplette Unterstützung. Ich finde, das Minimum für europäische Unterstützung muss sein, dass eine Zivilgesellschaft, auch eine kritische Zivilgesellschaft, vor Ort existieren darf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das muss gewährleistet sein, bevor die Länder Gelder von uns bekommen. Das ist das Minimum, das wir erwarten. Ich wünsche mir wirklich, dass wir nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen, sondern bei unserer Haltung zu Menschenrechten bleiben, intern wie extern. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Egon Jüttner, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist von jeher Praxis der Europäischen Union gewesen, mit ihren unmittelbaren Nachbarn im Osten und im Süden einen intensiven Dialog zu führen. Ziel des Dialogs und der Zusammenarbeit auf politischer, wirtschaftlicher, sozialer und humanitärer Ebene ist die Förderung des demokratischen Gedankens in diesen Ländern. Unbestritten ist, dass Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit grundlegende Bestandteile demokratischer Strukturen sind. Für den Dialog mit den Staaten Nordafrikas waren Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit schon bisher grundlegende Faktoren der in den Jahren 2003/2004 entwickelten Europäischen Nachbarschaftspolitik, ENP. Als CDU/CSU-Fraktion treten wir dafür ein, im Rahmen unserer werteorientierten Außenpolitik diese Gewichtung bei der strategischen Nachbarschaftspolitik weiterhin beizubehalten. Sehr geehrte Damen und Herren, die Europäische Nachbarschaftspolitik zielt darauf ab, eine möglichst enge bilaterale politische und wirtschaftliche Bindung zwischen der EU und den einzelnen Partnerstaaten aufzubauen. Diese Bindung soll auf gemeinsamen Werten und Interessen basieren, nämlich auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit sowie Respektierung und Einhaltung der Menschenrechte. Im Rahmen von Aktionsplänen zwischen unseren Partnerländern und der Europäischen Union kann Europa die spezifische Situation in den einzelnen Ländern beurteilen, auf Veränderungen schnell reagieren und individuelle Strategien zur Erreichung des angestrebten Ziels entwickeln. (Beifall des Abg. Michael Kretschmer [CDU/CSU]) Die finanzielle Ausstattung der Europäischen Nachbarschaftspolitik durch das Europäische Nachbarschaftsinstrument, ENI, ist umfangreich. Sie wurde von 13 Milliarden Euro für die Jahre 2007 bis 2013 auf nunmehr 15 Milliarden Euro für den Zeitraum 2014 bis 2020 angehoben. Diese Hilfeleistungen und der Zugang zu den Märkten der Europäischen Union, der den 16 Partnerstaaten ein jährliches Handelsvolumen von über 200 Milliarden Euro ermöglicht, erlauben es uns Europäern, unsere Vorstellungen von Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie gegenüber unseren Partnern einzufordern. 2011 wurde die Europäische Nachbarschaftspolitik als erste Reaktion auf den Arabischen Frühling einer Revision unterzogen. Ergebnis dieser Revision war eine stärkere Fokussierung auf die sogenannte nachhaltige demokratische Entwicklung, was sich in freien und fairen Wahlen, in dem Recht auf freie Meinungsäußerung, in Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, in der Unabhängigkeit der Gerichte und im Kampf gegen Korruption widerspiegeln sollte. Man verständigte sich auf das „More for more“-Prinzip, durch das die Unterstützung für die Partnerstaaten stärker an Bedingungen geknüpft wurde. In der Praxis bedeutet das, dass diejenigen Länder in eine engere Bindung zur Europäischen Union treten können, in denen der Reformprozess weiter fortgeschritten ist. Das „More for more“-Prinzip, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist Konsequenz der flexiblen Grundlagen der Europäischen Nachbarschaftspolitik. Diese ist bilateral organisiert; denn nicht alle Partnerstaaten befinden sich auf einer einheitlichen politischen oder wirtschaftlichen Entwicklungsstufe. Wir halten das „More for more“-Prinzip vom Ansatz her nach wie vor für richtig. Leider hat sich die mittelfristige Entwicklung in einigen Staaten Nordafrikas seit 2011 so gestaltet, dass an diesem Grundsatz nicht uneingeschränkt festgehalten werden kann. Dies ist jedenfalls dann nicht möglich, wenn Europäische Nachbarschaftspolitik ihre Flexibilität bewahren möchte. Wir müssen den Tatsachen ins Auge schauen. Die Länder, in denen der Reformprozess gut vorankommt, verdienen unsere Anerkennung und unsere weitere Unterstützung. Wir dürfen aber gleichzeitig diejenigen Länder und Gesellschaften, die sich von den Werten Europas derzeit eher wegbewegen, nicht abstrafen, sondern wir müssen unsere Anstrengungen intensivieren, damit auch dort Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Achtung der Menschenrechte gewährleistet werden. Die Ereignisse in Syrien, die Flüchtlingskrise, der sich Europa derzeit ausgesetzt sieht, sowie die innenpolitischen Entwicklungen etwa in Ägypten und in Libyen erfordern eine erneute Anpassung der Europäischen Nachbarschaftspolitik. Dabei steht außer Zweifel, dass Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit ihren Stellenwert auch nach der Anpassung behalten müssen. Als CDU/CSU sind wir der Auffassung, dass nur die Einhaltung der Menschenrechte und die Anwendung rechtsstaatlicher Prinzipien einen dauerhaften Frieden und dauerhafte Stabilität garantieren können. In Libyen beispielsweise sollte unser Fokus in erster Linie auf der Befriedung des Landes, auf dem Aufbau staatlicher Strukturen und auf der Sicherung der Grenzen liegen. Nur wenn dies gewährleistet ist, können wir dem Land dabei helfen, den Nährboden für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit bereitzustellen. Für vertragliche Beziehungen in Form eines eigenen Aktionsplans ist die Lage im Land noch zu instabil. Die Finanzierung einzelner zivilgesellschaftlicher Projekte kann jedoch durchaus in Angriff genommen werden. In den Königreichen Jordanien und Marokko ist nicht die fehlende Staatlichkeit das Problem. Europa kann diese Länder aber bei der Ausweitung des menschenrechtlichen Dialogs und der Diversifizierung ihrer Wirtschaft unterstützen. Wir können nicht erkennen, dass Europa nicht weiter nachdrücklich Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit von seinen Partnern im nördlichen Afrika einfordert. Im Falle von Ägypten haben wir durchaus deutlich auf Mängel im Vorfeld der Präsidentenwahlen hingewiesen. Dies schloss berechtigte Kritik an der Pressefreiheit mit ein. Wir haben Bedenken hinsichtlich verschiedener neuer Gesetze geäußert, etwa hinsichtlich des Gesetzes zu Nichtregierungsorganisationen oder der Vereinfachung der strafrechtlichen Verfolgung von Organisationen der Zivilgesellschaft. Ich sage an dieser Stelle auch, dass es der falsche Weg für Ägypten ist, die Handlungsfähigkeit wichtiger Akteure der Zivilgesellschaft einzuschränken. Wenn von ägyptischer Seite Interesse an der Intensivierung der Zusammenarbeit besteht, müssen die Unabhängigkeit der Justiz ausgebaut und die Zuständigkeit der Militärgerichtsbarkeit eingeschränkt werden. In allen Ländern sollten gerade wegen der Instabilität staatlicher Institutionen auch zivilgesellschaftliche Akteure verstärkt unsere Partner werden. Dies ist eine wichtige neue Fokussierung der Europäischen Nachbarschaftspolitik. Die Schwäche staatlicher Institutionen sollte Europa nicht zwingend zum Anlass nehmen, sein Engagement in den betroffenen Ländern zurückzufahren. Ganz im Gegenteil: Wir sollten diejenigen Kräfte stärken, die für die Bürgerinnen und Bürger der jeweiligen Länder oft die einzigen Bezugspunkte darstellen. So kann Europa klarmachen, dass es – unabhängig von negativen politischen Entwicklungen – konstant an der Seite der Menschen steht und die Zivilgesellschaften stärkt. Den politischen Eliten unserer Partnerländer geben wir damit zu verstehen, dass sie für uns nicht die einzigen Ansprechpartner sind. Wir sind der Auffassung, dass die Bundesregierung gemeinsam mit ihren europäischen Partnern auch in Zukunft mit Nachdruck auf die Bedeutung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit hinweisen muss, damit Frieden und Sicherheit gewährleistet werden können. In der Neuausrichtung der Europäischen Nachbarschaftspolitik auf zivile Akteure in unseren Partnerländern in Nordafrika sehen wir einen wichtigen Ansatz, der nicht im Widerspruch zum Bekenntnis für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit steht. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Ich darf Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung agrarmarktrechtlicher Bestimmungen bekannt geben: abgegebene Stimmen 577. Mit Ja haben gestimmt 577. Damit hat der Gesetzentwurf die erforderliche Mehrheit. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 579; davon ja: 579 nein: 0 enthalten: 0 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. Andre Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Dr. Thomas Feist Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Peter Hintze Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Thorsten Hoffmann (Dortmund) Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Gerd Müller Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Ronja Schmitt Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr. h.c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Birgit Kömpel Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Detlef Müller (Chemnitz) Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Ulli Nissen Mahmut Özdemir (Duisburg) Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Achim Post (Minden) Florian Post Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Dirk Wiese Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. Andre Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Richard Pitterle Martina Renner Michael Schlecht Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Sabine Zimmermann (Zwickau) Pia Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Knapp!) Nächste Rednerin ist die Kollegin Inge Höger, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Inge Höger (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seien wir ehrlich: Die Europäische Nachbarschaftspolitik mit Nordafrika beschränkt sich aktuell weitgehend auf die Abwehr von Flüchtlingen, oft unter dem Vorwand von Terrorbekämpfung. Dabei haben die Europäische Union und die Bundesregierung schon immer mit autoritären Regimen in der Region kooperiert. Weder Menschenrechte noch Demokratie oder soziale Verbesserungen für die Armen haben dabei eine Rolle gespielt. Nach den arabischen Aufständen im Jahr 2011 auch gegen Bündnispartner der EU und der Bundesregierung, Mubarak und Ben Ali, sollte die Nachbarschaftspolitik Süd neu ausgerichtet werden. Unterstützung sollte es nur noch geben, wenn auch Reformschritte umgesetzt würden. Nun sollte man denken, es gehe der EU um eine Demokratisierung der Staaten des Südens, um Würde und soziale Gerechtigkeit, wie von den Menschen gefordert. Aber bei genauem Hinsehen stellt sich das leider als Farce heraus. Die EU verlangt neoliberale Reformen zur Öffnung der Märkte der Region. Diese werden dann mit billigen europäischen Produkten überschwemmt. Auch Kürzungen von Subventionen und Sozialleistungen werden verlangt. Das alles verstärkt Fluchtursachen. Millionen von Menschen versuchen, der bitteren Armut und den Diktatoren zu entfliehen. Der Umgang der EU und der BRD damit ist zynisch. (Beifall bei der LINKEN) Statt den Fliehenden zu helfen, wird die europäische Migrationskontrolle, die für Tausende Tote pro Jahr verantwortlich ist, immer weiter nach Süden ausgeweitet. Es werden Sicherheitsexperten nach Ägypten, Algerien und Tunesien geschickt. Es werden Einzelabkommen mit Staaten der Region geschlossen, die unter dem Vorwand der Terrorabwehr in der Bekämpfung von Flüchtlingen münden. Bis vor kurzem sollten noch sogenannte Willkommenslager in der afrikanischen Wüste eingerichtet werden. Die Bundeswehr wird ins Mittelmeer geschickt, um Schiffe zu beschlagnahmen und zu zerstören, wie Herr de Maizière sagte, und höchstens nebenbei Menschen aus Seenot zu retten. In der Türkei, einem weiteren Land der Europäischen Nachbarschaftspolitik, führt die Regierung Erdogan einen Bürgerkrieg gegen die Kurdinnen und Kurden. Aber die Bundesregierung und die Kanzlerin verlieren kein Wort darüber, sondern erklären die Türkei zum zuverlässigen Partner bei der Abschreckung von Flüchtlingen. Die Türkei ist kein sicheres Herkunftsland! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das grundlegende Ziel der Europäischen Nachbarschaftspolitik ist es, den Zugang zu lokalen Märkten für europäische Produkte zu erleichtern und bei der Kontrolle der Rohstoffe im Spiel zu bleiben. Von der in diesem Spiel sehr erfolgreichen deutschen Firma Wintershall gibt es einen Werbeslogan, den die Bundesregierung übernehmen könnte: Wenn unsere Angestellten reisen, bringen sie immer etwas nach Hause mit. Meistens ist das Öl oder Gas. – „Und Waffengeschäfte“ möchte die Koalition sicher ergänzen. Für die Waffenhersteller Heckler & Koch, Rheinmetall, ThyssenKrupp und Krauss-Maffei Wegmann hat die Region eine besondere Bedeutung, und die Bundesregierung hilft ihnen bei ihren Geschäften. Das autokratische Regime in Algerien bekommt eine komplette Panzerfabrik. Die Militärdiktatur in Ägypten erhält modernste U-Boote, ebenso Israel. Saudi-Arabien und Katar werden weiterhin, wenn auch mit Bedenken, mit schweren Waffen beliefert, obwohl sie im Krieg im Jemen deutsche Panzer einsetzen und zum Beispiel ein Krankenhaus der „Ärzte ohne Grenzen“ bombardiert wurde. Jeden Tag sterben Menschen. Jeden Tag flüchten Tausende weitere vor den Kriegen und dem Hunger, für die auch Europa Verantwortung trägt, sei es durch die Kolonialpolitik der vergangenen 100 Jahre oder durch die Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahrzehnte. Wie viel Zukunft hat eine solche Politik? Notwendig wäre eine Politik auf Augenhöhe, eine Kooperation im Interesse der wirtschaftlichen und sozialen Teilhabe und der Gerechtigkeit vieler – und nicht Ausbeutung und Waffengeschäfte im Interesse einzelner Unternehmer. Wir brauchen Partnerschaften mit den Menschen der Region, nicht mit den Regimen. Ob die EU dabei eine Hilfe sein kann, bleibt offen. Als Nachbar würde ich mir aber angesichts der Zerstörung ziviler Infrastruktur und der Verelendung großer Teile der Bevölkerung Griechenlands durch die EU keine großen Hoffnungen auf die EU machen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Gabriela Heinrich, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gabriela Heinrich (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in Nordafrika sind nicht nur für die 200 Millionen Menschen, die in dieser Region leben, äußerst wünschenswert. Auch für uns in Europa haben demokratische, friedliche und wirtschaftlich gesunde Länder nur Vorteile. Kultureller Austausch, wissenschaftliche Zusammenarbeit und wirtschaftliche Chancen sind drei Beispiele, die mir einfallen – jenseits von Flüchtlingen, die zu uns kommen könnten. Aber wie können Rechtsstaatlichkeit, Demokratisierung, Menschenrechte und alles, was noch dazugehört, in Nordafrika gestärkt werden? Ihr Antrag enthält viel Richtiges. Auch ich sehe die Gefahr, dass das neue Antiterrorgesetz in Tunesien zivilgesellschaftliches Engagement hemmen könnte. Auch ich teile die Einschätzung, dass sich Algerien mehr öffnen könnte. Auch ich bin dafür, dass die erfolgreichen Transformationspartnerschaften des Auswärtigen Amtes fortgeführt werden. Aber kann man wirklich sagen – Sie haben das in Ihrer Rede ja wiederholt –, dass die Europäische Nachbarschaftspolitik – kurz: ENP – auf dem Weg ist, eine trügerische Friedhofsruhe diktatorischer Systeme gutzuheißen? Ich sehe eine Vielzahl an EU-Programmen und -Projekten, die auf den Rechtsstaat, auf Demokratisierung und auf die Stärkung der Zivilgesellschaft abzielen. Wenn ich mir die EU-Programme anschaue, die zur ENP gehören, dann sehe ich, dass vieles den Forderungen Ihres Antrages entspricht. Zu den Schwerpunkten bis 2017 gehören zum Beispiel auch eine demokratische Regierungsführung in Marokko und eine Justizreform und Stärkung der Partizipation in Algerien. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Neuausrichtung soll ja jetzt geändert werden!) Das Gemeinsame Konsultationspapier vom März 2015 „Auf dem Weg zu einer neuen Europäischen Nachbarschaftspolitik“ benennt, dass sich die EU künftig unter anderem auf die Gewährleistung von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Achtung der Menschenrechte fokussieren soll. Das ist doch der richtige Ansatz! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das „More for more“ geht weg!) Nun ist Papier aber geduldig. Entscheidend ist nur, was wirklich durchgesetzt werden kann. Auch die frischgebackenen Nobelpreisträgerinnen und -träger der Tunesischen Liga für Menschenrechte haben kürzlich darauf aufmerksam gemacht, dass es weniger auf Vertragstexte als vielmehr auf die Implementierung ankommt. Daran sollten wir uns messen lassen. Ich sehe vor allem drei Säulen, um Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit aufzubauen: Erste Säule ist die Stärkung der Zivilgesellschaft. Warum ist denn Tunesien der Leuchtturm der Region? Tunesien ist deshalb erfolgreich, weil kein starker Mann und keine Armee das Heft in die Hand genommen haben. Es war die Zivilgesellschaft, die die Errungenschaften des Arabischen Frühlings gesichert und weiter ausgebaut hat. Deshalb ging der Friedensnobelpreis an das tunesische „Nationale Dialogquartett“, zu dem die erwähnte Menschenrechtsliga gehört. Ganz besonders wichtig ist die Rolle der Frauen beim Aufbau der Zivilgesellschaft, und das nicht nur in Tunesien, wo sie eine besondere Rolle gespielt haben und noch immer spielen. Sie müssen weiter gestärkt werden. Aus der Vielzahl der entsprechenden Initiativen möchte ich eine herausgreifen, weil ich einige der Frauen jüngst getroffen habe. Die GIZ fördert das Projekt „Demokratie braucht Frauen“. Ziel ist, die politische Partizipation von Frauen zu stärken – über Vernetzung, politische Partizipation und Dialog. Nur am Rande: Die UN-Resolution 1325 wurde in der letzten Woche 15 Jahre alt. Die Ziele dieser Resolution sind noch immer wichtig. Nur dann, wenn Frauen in die Friedensprozesse und in die Versöhnung eingebunden werden und wenn ihre Rechte gesichert sind, hat dauerhafter Frieden wirklich eine Chance. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die zweite Säule ist die Rechtsstaatlichkeit. Das Auswärtige Amt und das BMZ sind hier, wie ich meine, gut aufgestellt. Es reicht von Menschenrechtsbildung in Mauretanien über Regionalisierung und Dezentralisierung in Marokko und Unterstützung der tunesischen „Instanz für Wahrheit und Würde“ bis hin zur Verwaltungsberatung in Ägypten. All das kann aber nur funktionieren, wenn es ein funktionierendes Gemeinwesen gibt. In Libyen, diesem zerfallenden Staat, hat sich die Hoffnung bisher nicht erfüllt, dass sich die gegnerischen Parteien zu einer Einheitsregierung zusammenraufen. Sie werden, sicher mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, einen neuen Anlauf nehmen müssen, um das Leiden und die Perspektivlosigkeit der Libyer zu beenden. Nachbarschaftspolitik braucht Sicherheit und Vertrauen – Vertrauen auch beim interkulturellen Austausch. Wenn der DAAD, das Goethe-Institut oder auch politische Stiftungen in einigen Ländern nicht arbeiten können, ist das ein Hemmnis beim Aufbau einer guten Nachbarschaftspolitik. Die Nachbarschaftspolitik funktioniert auch von der anderen Seite her. Die dritte der eingangs erwähnten Säulen ist die Kooperation der Länder Nordafrikas untereinander. Wir sprechen immer von Nordafrika und meinen höchst heterogene Länder. Sehen sich denn wenigstens die engeren Maghreb-Staaten als eine Region? Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit können nur dann die ganze Region erfassen, wenn sie sich auch selbst als solche begreift. Das hört sich banal an, ist es aber nicht. Das setzt eine engere Zusammenarbeit der Politik mit der Zivilgesellschaft, aber auch mit der Wirtschaft voraus. Zumindest mit einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit und dem Aufbau der nötigen Infrastruktur könnte man beginnen, wenn es gelänge, alte politische Grabenkämpfe zu überwinden. Auch beim Aufbau dieser Säule können Deutschland und die EU unterstützen, wenn dies gewünscht ist. Wenn Sie mit einzelnen Vertretern über die Vision einer Region sprechen, werden Sie immer Bestätigung und Bereitschaft dazu finden – übrigens besonders bei den Frauen, die sich an der Zukunftsgestaltung ihrer Länder beteiligen wollen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, wir sind uns im Prinzip völlig einig: Wir müssen Demokratisierung, Rechtsstaatlichkeit und die Zivilgesellschaft in Nordafrika weiter und noch stärker unterstützen – auch vonseiten der EU. Dazu können wir beitragen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit beenden wir die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/6551 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten Friedensmission in Südsudan (UNMISS) auf Grundlage der Resolution 1996 (2011) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 8. Juli 2011 und Folgeresolutionen, zuletzt 2241 (2015) vom 9. Oktober 2015 Drucksache 18/6504 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre hierzu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Staatsminister Michael Roth. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere ganze Aufmerksamkeit richtet sich derzeit auf Krisen – Krisen allerorten. Wir diskutieren über die Krise, einen furchtbaren Bürgerkrieg, in Syrien. Wir diskutieren, streiten auch über die Flüchtlingsbewegungen auf der Balkanroute. Wir sollten aber nicht vergessen, dass es über den engeren Bereich von Europa, über unsere unmittelbare Nachbarschaft hinaus Krisen gibt, die unsere volle Aufmerksamkeit verdienen. Der Konflikt im Südsudan führt uns eindrücklich vor Augen: Die Ursachen von Flucht und Vertreibung liegen nicht zuletzt auch in Afrika: Bürgerkriege, Vertreibung, Diktatur, zerfallene Staatlichkeit, Hunger, furchtbarer Terror. Menschen fliehen. Sie fliehen nach Europa, sie kommen auch zu uns nach Deutschland, vor allem Flüchtlinge aus Somalia und Eritrea. Afrikanische Staaten sind aber nicht nur Herkunftsländer von Flüchtlingen, sondern sind vor allem auch Transit- und Aufnahmeländer. Von den derzeit 60 Millionen Menschen, die weltweit auf der Flucht sind, beherbergt Afrika mit weitem Abstand die meisten Menschen, und dies unter denkbar schlechten Bedingungen. Davor dürfen wir nicht länger die Augen verschließen. Durch einen verheerenden Bürgerkrieg ist auch der Südsudan in den vergangenen Jahren zu einem Ausgangspunkt von Flucht und Vertreibung geworden. Es sind erschreckende Zahlen, mit denen wir uns auseinanderzusetzen haben. Mehr als 2 Millionen Menschen wurden innerhalb ihres Landes vertrieben oder sind in die umliegenden Nachbarstaaten – Uganda, Kenia, Äthiopien – geflüchtet, sodass angesichts einer Gesamtbevölkerung von 11 Millionen Menschen jeder fünfte Südsudanese unmittelbar von Flucht und Vertreibung betroffen ist. Die Zahl derer, die aus dem Südsudan nach Europa flüchten, ist zwar vergleichsweise gering. Umso schlimmer und beschämender ist für uns jedoch, dass die Hilfsprogramme des Flüchtlingshilfswerks UNHCR auch in dieser Region dramatisch unterfinanziert sind. Angesichts der angespannten humanitären Lage droht in den Flüchtlingslagern ein ähnlicher Dominoeffekt, wie wir ihn derzeit in den syrischen Nachbarländern Jordanien, Libanon und Türkei erleben. Der Bürgerkrieg im Südsudan spielt sich daher nur auf den ersten Blick in weiter Ferne ab. Tatsächlich geht uns alle an, was in dem kleinen afrikanischen Land geschieht, weil es uns eben früher oder später auch hier in Europa betreffen könnte – nicht nur virtuell, sondern ganz konkret. Es ist eine Illusion, zu glauben, dass wir uns durch Mauern und durch Zäune von den Problemen in anderen Teilen der Welt abschotten könnten. Flüchtlingsbewegungen machen nicht an nationalen Grenzen halt. Sie bahnen sich ihren Weg bis vor unsere Haustür, bis wir sie nicht länger ignorieren können. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, dürfen wir nicht wegschauen, wenn der jüngste Staat der Welt in Chaos und Bürgerkrieg versinkt. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vier Jahre nach seiner Unabhängigkeit und nach 20 langen Monaten des Bürgerkriegs braucht der Südsudan weiterhin die Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich kurz zurückblicken und aufzeigen, wie sich die Lage im Südsudan seit 2011 entwickelt hat. Ich weiß, dass viele Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses vor und nach der Unabhängigkeit den Südsudan besucht haben. Wir haben den Südsudan sozusagen in die Unabhängigkeit begleitet. Dass dies kein einfaches Unterfangen werden würde, war vielen von uns von vornherein klar. Schwache staatliche Strukturen, ungeklärte Machtverhältnisse, Korruption, streitige Grenzfragen mit dem Sudan, das waren von Anfang an schwierige Ausgangsbedingungen. Trotz aller Bemühungen der internationalen Gemeinschaft brach im Dezember 2013, nur zwei Jahre nach der Unabhängigkeit, ein furchtbarer Bürgerkrieg aus. Die Folgen sind seitdem schwerste Menschenrechtsverletzungen auf beiden Seiten. Zehntausende Südsudanesen sind umgekommen, darunter auch sehr viele Zivilisten. Im August dieses Jahres – endlich! –, zwei Jahre nach dem Bürgerkrieg, haben die Konfliktparteien ein Friedensabkommen unterzeichnet. Doch es mangelt an der konkreten Umsetzung. Es mangelt an gegenseitigem Vertrauen. Deshalb brauchen die Konfliktparteien unsere Unterstützung und eben manchmal auch den Druck der internationalen Gemeinschaft. Lassen wir die Menschen im Südsudan an diesem Wendepunkt in der Geschichte ihres noch jungen Staates bitte nicht alleine. Lassen Sie uns die Zivilbevölkerung vor weiteren Gewaltausbrüchen schützen. Lassen Sie uns den ungehinderten Zugang zu humanitärer Hilfe sicherstellen. Lassen Sie uns die Menschenrechtslage im Land aufmerksam beobachten. Lassen Sie uns die Umsetzung des Friedensabkommens überwachen. Genau darum geht es bei der Friedensmission UNMISS im Südsudan, über deren Verlängerung wir heute debattieren. Ja, ich weiß, der eine oder andere Kollege wird einwenden, dass UNMISS doch bereits seit 2011 im Einsatz ist und der Bürgerkrieg trotzdem nicht verhindert werden konnte. Ich will aber doch darauf hinweisen: Die Mission hat für Hunderttausende von Vertriebenen die Tore ihrer Lager geöffnet und ihnen humanitären und militärischen Schutz geboten. Heute leben rund 200 000 Binnenvertriebene in den UNMISS-Einrichtungen. Damit hat diese Mission vielen, vielen Menschen das Leben gerettet. Dafür bin ich dankbar. Ich danke auch unseren Polizisten, unseren Soldatinnen und Soldaten, die sich an diesem Einsatz beteiligt haben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Sevim Dağdelen [DIE LINKE]) Wir wollen ebendiesen Weg bis 2016 fortsetzen. Daher bitte ich Sie um Ihre Zustimmung. Sie wissen: Wenn ich heute über den Einsatz von Soldatinnen und Soldaten spreche, dann ist das nur ein Teil unserer außen- und sicherheitspolitischen Maßnahmen und Angebote. Es geht selbstverständlich auch um Entwicklungspolitik. Es geht um Außenpolitik. Es geht um Versöhnung. Ich will nur darauf hinweisen, dass die Bundesregierung in vielfältiger Weise aktiv ist. Mein Haus hat in den letzten zwei Jahren humanitäre Hilfe in Höhe von 34 Millionen Euro geleistet. Das Entwicklungsministerium hat 84 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Das zeigt doch, dass unser vielfältiges Engagement im Südsudan zwar nur ein kleiner, aber doch ein wichtiger Baustein ist, um die Ursachen von Flucht und Vertreibung in den afrikanischen Krisengebieten zu bekämpfen und damit auch den Migrationsdruck auf Europa zu verringern. Ich würde mich darüber freuen, wenn nach einer offensichtlich auch kontroversen und kritischen Debatte möglichst viele von Ihnen dem Antrag der Bundesregierung folgen würden und diese Mission abermals verlängerten. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin Christine Buchholz. (Beifall bei der LINKEN) Christine Buchholz (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer über den Südsudan spricht, der muss über Flüchtlinge sprechen. Ich meine nicht die wenigen, die es aus diesem verarmten Land über die Sahara und das Mittelmeer nach Europa geschafft haben. Ich meine die Flüchtlinge, die in den letzten zwei Jahren vor dem Krieg innerhalb des Südsudans in dessen Nachbarstaaten geflohen sind. Es handelt sich um 2,2 Millionen Menschen, rund 20 Prozent der Gesamtbevölkerung. 2,2 Millionen Flüchtlinge im bettelarmen Südsudan – daran sollte man all diejenigen erinnern, die jetzt in diesem reichen Deutschland den Eindruck erwecken, wir wären überfordert mit denen, die auf der Flucht vor Krieg und Armut zu uns kommen. (Beifall bei der LINKEN) Genauso wie diejenigen, die zu uns flüchten und unsere Unterstützung brauchen, brauchen die Flüchtlinge im Südsudan unsere volle Unterstützung. Was sie nicht brauchen, sind Soldaten. (Beifall bei der LINKEN) Wer trägt die Verantwortung für dieses Desaster? Zunächst einmal die Führer der verfeindeten Bürgerkriegsparteien. Es handelt sich ja nicht um irgendwelche Aufständische; es handelt sich um die Truppen des Präsidenten Kiir gegen die seines vormaligen Vizepräsidenten Riek Machar. Es war das Ziel der Bundesregierung, mit der militärischen Beteiligung an UNMISS die gemeinsame Regierung von Kiir und Machar zu stützen. Die Begründung war damals – ich zitiere Kerstin Müller von den Grünen im Jahr 2012 –, dass allein die Präsenz der Soldatinnen und Soldaten in der Fläche zur Beruhigung der Gewaltkonflikte beiträgt. Der seit Dezember 2013 tobende Bürgerkrieg zeigt: Das war eine Illusion. (Beifall bei der LINKEN) Ausländische Soldaten sind nicht in der Lage – ob mit oder ohne UN-Mandat –, einen Frieden von außen zu schaffen. Der Bundesregierung ging es damals auch um andere Motive. Der Einsatz im Südsudan – einem Land, in dem viel Erdöl zu finden ist – reiht sich ein in das Bemühen, an möglichst vielen Krisenherden der Welt mit eigenen Soldaten präsent zu sein. Es ging auch darum, über die Stabilisierung der Herrschaft Kiirs Einfluss zu gewinnen. Deshalb, meine Damen und Herren, haben wir von der Linken die Entsendung der Bundeswehrsoldaten auch schon damals abgelehnt. (Beifall bei der LINKEN) Aber auch andere vertreten in diesem Bürgerkrieg ihre Interessen. Neben UNMISS hat Uganda als Verbündeter der USA und auch Deutschlands in der Region mit Hubschraubern und Bodentruppen aufseiten Kiirs in den Konflikt eingegriffen. Im Südsudan ist inzwischen ein Staat entstanden, in dem es keine Rechenschaft darüber gibt, wohin die Öleinnahmen fließen. Der Kampf zwischen Machar und Kiir ist auch ein Kampf um die Ölmilliarden. In diesem Kampf wird die Herrschaft Kiirs zunehmend unberechenbar. Ein UN-Bericht warf Regierungssoldaten im Sommer vor, Frauen und Mädchen vergewaltigt und bei lebendigem Leib verbrannt zu haben. Auch Machars Truppen haben sich schwerer Verbrechen schuldig gemacht. Vier Jahre Blauhelmeinsatz nach Kapitel 7 der UN-Charta haben die Eskalation der Grausamkeiten nicht unterbinden können. Die Kämpfe gehen weiter und ziehen UNMISS mit hinein. Im Oktober nahmen die Truppen Machars 13 UNMISS-Mitarbeiter und 18 bengalische Blauhelmsoldaten als Geisel, eroberten Waffen, Gerät und 55 000 Liter Treibstoff. Die Aufständischen mutmaßten, es handele sich um eine verkappte Waffenlieferung für Regierungstruppen. Mit demselben Argument haben im letzten Jahr Regierungstruppen UN-Laster angehalten und beschlagnahmt. Das Problem ist, dass unter dem Dach von UNMISS zivile und militärische Komponenten nebeneinander bestehen, und das gefährdet letztendlich die zivile Hilfe. (Beifall bei der LINKEN) Die zivile Hilfe – darüber sind wir uns absolut einig – wird angesichts der katastrophalen Situation in den Flüchtlingslagern und angesichts der Hungerkatastrophen dringend benötigt. Deswegen sagt die Linke: UNMISS muss vollkommen entmilitarisiert werden. Wir werden diesem Militärmandat nicht zustimmen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Nächster Redner ist Jürgen Hardt, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Jürgen Hardt (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Staatsminister Roth hat in seiner Einbringungsrede die konkreten Fakten und Eckdaten des Mandatsantrags der Bundesregierung genannt, und wir werden kommende Woche in den Ausschüssen darüber abschließend beraten. Ich bin sicher, dass wir eine Mehrheit haben werden. Wenn wir auf die Situation im Südsudan blicken und uns die Erwartungen in Erinnerung rufen, die wir vor vier Jahren hatten, als wir im Bundestag diesen jüngsten Staat auf der Erde in der Völkergemeinschaft begrüßt haben, müssen wir leider feststellen, dass sich von unseren Erwartungen nahezu nichts erfüllt hat. Wir haben einen aktuellen Bericht der Afrikanischen Union über die Menschenrechtslage im Süden Sudans. Man kann gar nicht vorlesen, was dort an Gräueltaten beschrieben wird: Mord, Vergewaltigung und Folter. Das sind ganz extrem schlimme Dinge, und es ist kaum vorstellbar, dass Menschen zu solchen Gräueltaten fähig sind. Deswegen kann, glaube ich, kein Zweifel daran bestehen, dass die 15 000 Soldaten, die im Rahmen dieses UN-Mandats dort Dienst tun, einen wichtigen Beitrag leisten, um wenigstens das Allerschlimmste zu verhindern. Das Mandat der Vereinten Nationen ist aktuell um den Auftrag zur Unterstützung des Friedensprozesses erweitert worden. Es gibt einen Friedensvertrag, der zwar nicht eingehalten wird, aber wir haben immerhin eine Gesprächsbasis zwischen den beiden verfeindeten Führern, und wir haben die Situation, dass die Zivilbevölkerung von diesen 15 000 Soldaten geschützt wird. An die Adresse der Linken sage ich: Wenn es diese Soldaten und die Polizisten dort nicht gäbe, dann würden nicht nur Treibstofftransporte der Vereinten Nationen, sondern im Zweifel auch Lebensmittellieferungen, Medikamente und Sanitätsmaterial nicht die Betroffenen erreichen, sondern in irgendwelchen schwarzen Kanälen der Warlords verschwinden. Von daher kann ich diese Logik nicht nachvollziehen. Wir haben seitens der Bundeswehr 16 Soldaten im Einsatz. Die beantragte Obergrenze sind 50 Soldaten. Ich hoffe, dass das ausreicht. Angesichts der Gräueltaten sind die derzeit 16 Soldaten und 10 Polizisten sicherlich ein kleiner, aber wichtiger deutscher Beitrag. Denn sie haben in den Stäben Funktionen inne, die auch dafür sorgen, dass die Soldaten der UNMISS entsprechend gut eingesetzt werden können. Ich möchte auch kurz auf das Flüchtlingsthema eingehen. 2,2 Millionen Menschen sind im Süden des Sudan auf der Flucht. Das zeigt schlaglichtartig, in welcher Situation wir in der Welt sind. Wir müssen unbedingt dafür sorgen, dass die Flüchtlingslager vernünftig ausgestattet sind. Ich bin dem Außenminister dafür dankbar, dass er am Rande der Vollversammlung der Vereinten Nationen unter den Außenministern der G-7-Staaten eine Art Sammelaktion veranstaltet hat, bei der mit 1,8 Milliarden Euro eine erhebliche Summe zur finanziellen Unterstützung der Flüchtlingswerke und des World Food Programmes zugesagt worden ist, sodass wir sagen können: Die Gefahr, dass die Programme von der Hand in den Mund leben müssen, wie es dieses Jahr der Fall war, ist Gott sei Dank für die nächsten Monate gebannt. Aber es muss weiter konsequent daran gearbeitet werden, dass diese Hilfswerke nicht von der Hand in den Mund leben, sondern dass sie überall dort, wo sie gefordert sind, ihre Hilfsleistungen auf einer vernünftigen finanziellen Basis erbringen können. Ich möchte abseits vom Thema Südsudan einen weiteren Aspekt ansprechen. Es gibt alarmierende Meldungen aus einem anderen afrikanischen Land, aus Burundi. In Burundi droht nach Aussagen einiger Experten ein Völkermord, wie wir ihn vor 21 Jahren in Ruanda erlebt haben. Ich möchte die Bundesregierung und auch uns im Deutschen Bundestag auffordern, dass wir uns in den nächsten Stunden und Tagen diesem Thema intensiv widmen, (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dass wir die Bundesregierung ermutigen, gegebenenfalls mit anderen europäischen Staaten bei den Vereinten Nationen aktiv zu werden und dass wir unser Versprechen, das wir nach dem Völkermord in Ruanda abgegeben haben, dass wir so etwas nie wieder geschehen lassen wollen, auch halten. Die Meldungen aus Burundi, wo es wieder gegen die Tutsi geht, sind sehr alarmierend. Es gibt ein Ultimatum, das am Samstag ausläuft. Ich glaube, dass wir uns gegebenenfalls nächste Woche im Deutschen Bundestag dieser Frage widmen müssen. Wir werden das im Auswärtigen Ausschuss besprechen. Ich glaube, dass wir eine gute Vorlage der Bundesregierung für dieses Mandat haben. Ich glaube, dass die Koalition diesem Mandat guten Gewissens zustimmen kann, und ich würde mir wünschen, dass dies auch andere Fraktionen tun. Denn UNMISS ist in der Tat auch eine große Aktion der Menschlichkeit. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Frithjof Schmidt, Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, alle Versuche der internationalen Gemeinschaft, im Südsudan einen Waffenstillstand zu vermitteln und Frieden zu stiften, sind bisher leider gescheitert; da haben Sie völlig recht, Frau Buchholz. Aber die entscheidende Frage lautet, warum das so ist und welche Konsequenzen man daraus zieht. Den Anschein zu erwecken, die Ursache dafür, dass das gescheitert ist, seien die Bemühungen der Vereinten Nationen, dort Peacekeeping zu betreiben – das haben Sie im Grunde hier in den Raum gestellt –, ist absurd und abwegig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Zuhören!) Man muss sich in der Tat die konkreten Konfliktursachen anschauen; Sie haben auch einige angesprochen. Aber die letzte Vereinbarung aus dem Sommer wurde von beiden Parteien wieder gebrochen. Die Untersuchungskommission der Afrikanischen Union unter Leitung von Herrn Obasanjo, dem ehemaligen nigerianischen Präsidenten, hat in ihrem Bericht klargemacht: Präsident Kiir und sein Gegner, Exvizepräsident Machar, haben sich schwerer Kriegsverbrechen schuldig gemacht. Beide gehören vor ein internationales Strafgericht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dafür sollten wir uns alle einsetzen, insbesondere die Bundesregierung. Hier wünsche ich mir ein klares Wort von der Bundesregierung. Es wurde schon beschrieben: Die humanitäre Lage im ganzen Land ist katastrophal. Zweieinhalb Millionen Menschen sind auf der Flucht. Viereinhalb Millionen Menschen könnten ohne die Nahrungsmittelhilfe der UN nicht überleben. Diese Hilfe wäre ohne die Präsenz der UN-Truppen so auch nicht durchsetzbar. Ganze Landstriche sind verlassen. Die Menschen müssen immer wieder vor Massakern fliehen. Auch die Hilfsorganisationen werden zunehmend mehr zur Zielscheibe der Gewalt. Was die Vereinten Nationen unter diesen schwierigen Umständen leisten, ist enorm und verdient Anerkennung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Die 11 000 Soldaten von UNMISS versuchen alles, um die Zivilbevölkerung zu schützen. Das gelingt nicht überall und nicht immer. Aber über 200 000 Flüchtlinge haben Schutz in den UNMISS-Camps gefunden. Das allein ist jedenfalls für mich Grund genug, für die Fortsetzung dieses Einsatzes zu stimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Auch für die Verteilung der humanitären Hilfe spielt UNMISS eine Schlüsselrolle. Ohne die Präsenz der Blauhelme wäre die Versorgung großer Landesteile nicht möglich. Den Eindruck zu erwecken, dass die Versorgung besser liefe, wenn die Blauhelme nicht mehr da wären, ist völlig abwegig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD – Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Absurd!) Es gibt aber einen internationalen Skandal; Staatsminister Roth hat ihn bereits angesprochen. Obwohl schon November ist, ist erst rund die Hälfte der für 2015 zugesagten Gelder zur Versorgung der Flüchtlinge bei der UNO eingegangen. Hier wiederholt sich das Versorgungsdrama, das wir in diesem Jahr schon in Syrien erleben mussten; Sie haben darauf hingewiesen. Bald werden Rationen gekürzt werden müssen. Das darf doch nicht wahr sein! Herr Staatsminister, ich wünsche mir eine diplomatische Initiative der Bundesregierung, um die Finanzierung der humanitären Nothilfe zu sichern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir dürfen das alles nicht nur beschreiben. Vielmehr muss gehandelt werden. Sie hätten die entsprechenden Möglichkeiten. In diesem Punkt erhoffe ich mir mehr von der Bundesregierung. Auch in einem weiteren Bereich ist politische Initiative notwendig. Die Bundesregierung muss sich energisch dafür einsetzen, dass der UN-Sicherheitsrat endlich ein Waffenembargo für den Südsudan beschließt. Die Europäische Union ist vor einem Jahr vorangegangen, und die UNO sollte endlich folgen. Wir dürfen nicht nachlassen, das einzufordern. UNMISS hat große Probleme. UNMISS schafft es nicht, alle Menschen im Südsudan zu schützen und zu versorgen. Aber für Hundertausende ist UNMISS Zuflucht und Rettung. Ich will den Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion deutlich sagen: Eine Schwächung von UNMISS oder gar ein Abzug wären für all diese Menschen eine Katastrophe. Deswegen sollten wir alles tun, um UNMISS zu stärken. Deutschland beteiligt sich derzeit mit 16 Soldaten und 10 Polizisten an der Mission. Dieses Mandat zu verlängern, ist das Mindeste, was wir tun sollten. Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Thorsten Frei, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Thorsten Frei (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Schmidt, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie in Ihrem Beitrag noch einmal explizit darauf eingegangen sind, dass das, was wir im Südsudan machen, eine Friedensmission ist und dass Gott sei Dank in diesem Haus eine sehr breite Übereinstimmung darüber besteht, dass dieser Einsatz fortgesetzt werden muss. Die Rahmenbedingungen sind eindrücklich und vielfach beschrieben worden. Obwohl der Südsudan an sich ein Land mit besten Voraussetzungen und umfangreichen Ölvorkommen ist, ist er auch ein Land, in dem 50 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben, es 4,7 Millionen Menschen an Lebensmitteln mangelt und 30 000 Menschen unmittelbar vor dem Hungertod stehen. Auch die Situation der Flüchtlinge, die ein Fünftel der Bevölkerung im Südsudan ausmachen, ist eindrücklich beschrieben worden. Es ist eigentlich nicht hinzunehmen, dass der Südsudan nicht nur das jüngste Land der Erde ist, sondern darüber hinaus auch eines der ärmsten. An dieser Stelle muss man ansetzen, zumal völlig klar ist, dass die humanitäre Nothilfe aus Sicherheitsgründen kaum möglich ist. Zum Beispiel beschreiben das World Food Programme der UN oder auch UNICEF, dass viele Hilfsmaßnahmen letztlich aufgrund der mangelnden Sicherheit im Land nicht möglich sind. Hier muss Abhilfe geschaffen werden. Die beiden Kontrahenten, die sich hier gegeneinander positionieren, Präsident Kiir und der Oppositions- und Rebellenführer Machar, kämpfen einen ganz persönlichen Kampf. Es ist ein Kampf entlang ethnischer Linien – auch darüber haben wir in diesem Haus bereits gesprochen –, zwischen Dinka und Nuer. Es ist im Südsudan ganz offensichtlich, dass Fluchtursachen auch durch Klimaveränderungen entstehen, die unmittelbar Auswirkungen auf Gewaltkonflikte haben. Man kann im Südsudan sehen, dass die Dürreperiode im Sommer dazu geführt hat, dass die ohnehin schon spärlichen Ernten noch weiter gemindert worden sind. All das ist ein Kompott, das letztendlich dazu führt, dass Fluchtursachen entstehen. Wenn man sich den Südsudan anschaut, kann man eine Bevölkerung sehen, die zu 65 Prozent jünger als 25 Jahre ist, man sieht ein Land, in dem eine Geburtenrate von 4 Prozent zu der am schnellsten wachsenden Bevölkerung in der Welt führt, ein Land, wo die Situation der mangelnden Sicherheit und der mangelnden ökonomischen Entwicklung dazu führt, dass die Menschen keine Chance und keine Perspektive für sich und ihre Familien sehen. Das sind genau die Gründe, die zu Flucht und Vertreibung führen. Ich glaube, dass es richtig ist, an dieser Stelle anzusetzen und dafür zu sorgen, dass wir den Menschen Perspektiven in ihren Herkunftsländern eröffnen. Herr Staatsminister Roth, Sie sind darauf eingegangen: Das, was die Bundesregierung, die Bundesrepublik Deutschland auch im europäischen Konzert tut, ist sehr vielfältig. Denken Sie beispielsweise an die Sonderinitiative „Fluchtursachen bekämpfen – Flüchtlinge reintegrieren“. Dabei geht es darum, mit 47 Millionen Euro in der Region etwas zu tun. Mit diesen 47 Millionen Euro hat man etwa 2 Millionen Flüchtlinge des Südsudans in der Region erreicht. Denken Sie an die 5,3 Millionen Euro aus dem Topf des Energie- und Klimafonds oder an die unmittelbare humanitäre Hilfe, die allein in diesem und im vergangenen Jahr 46 Millionen Euro betragen hat. Oder denken Sie an die Entwicklungszusammenarbeit, die auf eine langfristige Verbesserung der Situation vor Ort hinausläuft. Wenn man damit die 1,5 Millionen Euro vergleicht, die uns UNMISS im kommenden Jahr kosten wird, dann wird doch ganz klar und deutlich, dass wir versuchen, in einem vernetzten Ansatz auf die unterschiedlichen Bedürfnisse einzugehen. Ich will auch darauf hinweisen, dass die Verlängerung des UNMISS-Mandats nicht nur den Einsatz von Soldaten umfasst, sondern ausdrücklich auch von Polizisten der Bundes- und der Länderpolizeien. Diese werden insbesondere dazu eingesetzt, zu verhindern, dass weiterhin massiv Gewalt gegen die Zivilbevölkerung, insbesondere gegen Frauen und Kinder, verübt wird. Ich glaube, das ist der richtige Ansatz, bei dem wir nicht über ein Weniger, sondern über ein Mehr an deutscher Verantwortung unmittelbar vor Ort sprechen sollten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich will zuletzt auf einen Punkt hinweisen, der mir wichtig ist und den der Kollege Jüttner in der vorausgegangenen Aussprache angesprochen hat: „More for more“. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir Hilfe letztlich auch an nachprüfbare Forderungen knüpfen. Es kann nicht sein, dass Kredite in China aufgenommen werden, um Waffen zu beziehen, und dass die Versorgung der gesamten Bevölkerung der internationalen Staatengemeinschaft überlassen bleibt. Ich glaube, wir müssen sehr viel stärker die politische Elite vor Ort in Haftung nehmen. Da geht es um ein Waffenembargo; Sie haben es angesprochen. Da geht es um das Einfrieren von Konten. Da geht es um Reisebeschränkungen. Da geht es darum, zu sagen: So geht es nicht. Es geht nicht, dass man zwei Drittel des Staatshaushaltes für Sicherheit und Verteidigung einsetzt, nur 11 Prozent für Gesundheit, Bildung und Erziehung und nur 4 Prozent für Infrastruktur. Das darf man auch den Machthabern dort nicht durchgehen lassen. Herr Dr. Schmidt, Sie haben etwas zu den Konsequenzen gesagt. Dem kann man eigentlich nicht widersprechen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Da der Kollege Frithjof Schmidt den Staatsminister Roth direkt angesprochen hat, erteile ich dem Staatsminister jetzt nach § 30 der Geschäftsordnung kurz das Wort zu einer Erwiderung. Der Kollege Schmidt darf dann darauf ebenfalls erwidern. Bitte, Herr Kollege Roth. Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Schmidt, Sie haben mich direkt angesprochen, verbunden mit dem Appell, dass die Bundesregierung eigeninitativ handeln solle, um der dramatischen Unterfinanzierung des UNHCR und auch des Welternährungsprogramms zu begegnen. Ich weiß Sie als einen engen Verbündeten an unserer Seite wie im Übrigen ganz viele Bundestagsabgeordnete; schließlich hat nicht zuletzt der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages im Rahmen des Nachtragshaushaltes 2015 die Mittel für diese Programme um 75 Millionen Euro erhöht. Das versetzt mein Haus in die Lage, den Worten auch Taten folgen zu lassen, genau wie Sie es wollten. Es ist mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass gerade gestern bei uns im Auswärtigen Amt eine Konferenz stattfand, zu der der UN-Flüchtlingskommissar eingeladen war, der UN-Sonderbeauftragte für Migration, der Generalsekretär der Internationalen Flüchtlingsorganisation und der Generalsekretär der Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften, um gemeinsam zu besprechen, was jetzt zu tun ist, um der dramatischen Situation vor Ausbruch des Winters zu begegnen. Insofern tun wir viel. Danke für Ihre Unterstützung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Schmidt, möchten Sie darauf erwidern? – Bitte schön. Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatsminister, ich freue mich natürlich, dass die Bundesregierung da initiativ geworden ist. Ich will nur die Gelegenheit nutzen, daran zu erinnern, dass wir uns alle angesichts dieser internationalen Situation an den Kopf fassen müssen. Wir werden nachher noch über Darfur sprechen. Dort besteht die gleiche Situation. Wir erleben, was in Syrien geschieht. Wir alle haben gesagt: Es darf nicht wieder vorkommen, dass die Kassen der Hilfsorganisationen so leer sind. Wir erleben jetzt, was im Sudan, im Südsudan und insbesondere in Darfur geschieht. Es ist einfach dringend notwendig, dass da diplomatische Initiative ergriffen wird. Ich weiß, dass die Bundesregierung ihre Beiträge dazu leistet. Ich finde gut, wenn sie diese Beiträge auch verstärkt. Aber mehr ist nötig. Wir dürfen einfach nicht durchgehen lassen, dass die internationale Gemeinschaft wieder so versagt. Sie haben recht: Ich unterstütze Sie in Ihren Bemühungen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Egon Jüttner [CDU/CSU]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Sie alle haben noch genügend Gelegenheit, das weiter zu diskutieren; denn die Vorlage auf Drucksache 18/6504 soll an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Das ist interfraktionell so vereinbart. – Ich sehe, Sie sind alle damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Bestandsobergrenzen für Tierhaltungen einführen – zu dem Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Nicole Maisch, Christian Kühn (Tübingen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Zukunft der Tierhaltung – Artgerecht und der Fläche angepasst Drucksachen 18/1872, 18/3732, 18/6437 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Auch hier höre ich keinen Widerspruch. Dann sind Sie alle damit einverstanden, und dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dieter Stier, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dieter Stier (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute wiederholt zwei Oppositionsanträge, nämlich erstens den Antrag der Linksfraktion vom 24. Juni 2014 und zweitens den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 14. Januar dieses Jahres, beide zur Zukunft der Tierhaltung in Deutschland. Meine Damen und Herren, bevor ich näher auf diese beiden Anträge eingehe, will ich zu Beginn meines Redebeitrags abermals die Leistungen der Beschäftigten in der deutschen Landwirtschaft würdigen, insbesondere derer, die in der Tierhaltung 365 Tage im Jahr und ungeachtet der Frage, ob Werktag, Sonntag oder Feiertag ist, tätig sind und ihre Tiere versorgen, damit unsere Ernährungsgrundlage gesichert ist. Dafür will ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich will das insbesondere auch mit Blick auf die aktuelle Situation in Deutschland, in Europa und in der Welt tun, in der wir gegenwärtig vermehrt wahrnehmen, dass ein Leben in Frieden mit einem sicheren Dach über dem Kopf und ohne Hunger beileibe nicht überall selbstverständlich ist. Ich wünsche mir, dass wir uns das gelegentlich in Erinnerung rufen, wenn wir über Maß und Schnelligkeit der weiteren Verbesserung von Standards in unserem Land diskutieren, wie das heute wieder der Fall ist. Ich möchte ebenfalls betonen, dass wir in unserem demokratischen Gemeinwesen selbstverständlich vieles fordern können, dabei aber immer auch die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der jeweiligen Branche, über die wir reden, im Auge haben sollten. In meinem Heimatland Sachsen-Anhalt lag die Bruttowertschöpfung im Jahr 2014 im Wirtschaftsbereich Land- und Forstwirtschaft inklusive Fischerei je Erwerbstätigen bei 47 100 Euro – in Deutschland lag sie bei rund 30 600 Euro –; das entspricht 154 Prozent des Bundeswerts. Bei den Lohnkosten des primären Sektors ist dies ähnlich: Die Arbeitnehmerentgelte je Arbeitnehmer lagen mit 26 114 Euro in meinem Heimatland über dem Bundeswert von 21 560 Euro, damit bei 121 Prozent des Bundeswerts. Ich nenne Ihnen diese Zahlen, damit Sie sehen, warum es mir nicht leichtfällt, Anträgen zur Veränderung von Betriebsstrukturen schnell und ohne kritische Reflexion zu folgen. Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Linken, fordern die Einführung von regionalen Bestandsobergrenzen. Festzustellen ist hier zunächst, dass die Konzentration der Tierhaltung und damit auch die Erhöhung der Tierdichte pro Hektar, insbesondere in der Veredlung, in Deutschland kein flächendeckendes, sondern ein eher regionales Phänomen ist. Deshalb kann eine bundeseinheitliche Regelung nach meinem Dafürhalten nicht Ziel sein, sondern die Dinge sind nach meiner Meinung durch verantwortungsvolle Wahrnehmung des Planungsrechts vor Ort zu entscheiden. Nicht die Größe der Bestände ist entscheidend, sondern die fachliche Qualifikation der Mitarbeiter, das Management der Anlage und die Situation vor Ort. Auch große Tierbestände sind für professionelle Betriebsinhaber tierschutzgerecht handhabbar und von ihnen zu meistern. Kontrollergebnisse belegen immer wieder, dass aufgefundene Mängel in keinem Zusammenhang mit der Bestandsgröße stehen. Der Antrag ist auch deshalb entbehrlich, weil die Bundesregierung mit der Novelle zum Baugesetzbuch bereits einen wirkungsvollen Beitrag zur Stärkung der flächengebundenen Tierhaltung geleistet hat. Sie, meine Damen und Herren von den Grünen, fordern eine Abschaffung der Privilegierung im Außenbereich für Tierhaltungsanlagen sowie eine strikte Flächenbindung: zwei Großvieheinheiten pro Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche. Ich stelle Ihnen die Frage: Wenn Sie Tierhaltung im Außenbereich einer kommunalen Bebauung nicht mehr zulassen wollen, wo soll sie denn in unserem Land überhaupt noch hinpassen? Dann müssen Sie hier auch deutlich sagen, dass Sie die landwirtschaftliche Tierhaltung immer weiter einschränken wollen. Das unterscheidet uns; denn das wollen wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nicht. Ich spreche mich ebenfalls zum wiederholten Mal und deutlich gegen eine Ausweitung des im Antrag der Linken geforderten Verbandsklagerechts aus. Es ist nicht zielführend. Vielmehr glaube ich, dass die Behörden in unserem Land aufgrund der geltenden Gesetze durchaus in der Lage sind, verantwortungsvoll zu entscheiden. (Beifall bei der CDU/CSU) Gleichwohl sind wir uns alle einig, dass wir für die gesellschaftliche Akzeptanz der Tierhaltung weitere Verbesserungen erreichen wollen und das auch können. Die Große Koalition arbeitet engagiert an der Erreichung dieses Ziels. Ich erinnere daran, dass wir in den Agrarhaushalt beträchtliche Summen für die Tierschutzforschung eingestellt haben. Ich erinnere an die Tierwohl-Initiative von Bundesminister Christian Schmidt. Ich bedanke mich, Herr Staatssekretär, auch bei der Bundesregierung für die engagierte Zusammenarbeit. Davon, dass verbindliche Freiwilligkeit, die ja manchmal auch kritisiert wird, durchaus funktioniert, konnten wir uns erst heute Morgen beim Parlamentarischen Frühstück – viele von Ihnen waren dabei – beim Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft überzeugen. Die Geflügel-Charta 2015 ist in Kraft – freiwillig und durch Selbstverpflichtung. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. Dieter Stier (CDU/CSU): Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, leider erlaubt mir die vorgegebene Redezeit hier keine längeren Ausführungen. Ihre Anträge sind im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ausführlich beraten worden. Dieser Ausschuss hat dem Hohen Haus die Ablehnung dieser beiden Anträge empfohlen. Ich darf Sie herzlich bitten, der Ausschussempfehlung Folge zu leisten. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt Dr. Kirsten Tackmann. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Vor über einem Jahr hat die Linke ihren Antrag dem Bundestag vorgelegt. Ja, wir wollen die Größe von Nutztierbeständen am Standort und die Anzahl der Nutztiere in den Regionen deckeln. (Beifall bei der LINKEN) Das richtet sich ausdrücklich nicht gegen die Tierhaltung in landwirtschaftlichen Betrieben. Im Gegenteil: Hier kämpfen viele tagtäglich um bestmögliche Bedingungen für Tiere, Menschen und Umwelt. Sie brauchen uns, und wir brauchen sie – für die Lebensmittelproduktion, aber auch zum Erhalt des Grünlandes, der Bodenfruchtbarkeit und zur Pflege der Kulturlandschaft. Der Widerstand in den Regionen richtet sich gegen die Megaställe, und das völlig zu Recht. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Seien wir doch einmal ehrlich: Die Skepsis gegenüber Anlagen mit 400 000 Hähnchen oder 40 000 Schweinen gibt es doch in allen Fraktionen. Wenn in einem einzigen Landkreis 100 000 Hektar zur Gülleausbringung fehlen, dann ist das doch ein real existierendes Problem. Ich sage ganz klar – auch wenn das in Niedersachsen vielleicht mancher denkt –: Ostdeutschland ist kein Gülleerwartungsland. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zu viele Nutztiere an einem Standort oder in einer Region gehen aber auch auf Kosten der Lebensqualität in den Dörfern. Ich sage ganz klar: Wer lebendige Dörfer will, muss auch das im Auge behalten. Für mich als Tierärztin gibt es aber noch einen weiteren schwerwiegenden Grund für unseren Antrag. Stellen wir uns doch einmal Folgendes vor: In einem solchen Megabestand oder in einer so extrem viehdichten Region gibt es den Verdacht einer gefährlichen Tierseuche, sagen wir mal: Vogelgrippe oder Schweinepest. Dann müssen alle Tiere getötet werden. Im August 2007 mussten zum Beispiel auf einem einzigen Hof in Bayern 160 000 Enten wegen Vogelgrippe gekeult werden. Das war die bisher größte Keulungsaktion, die es in Deutschland gab. Zwischen 2004 und 2014 mussten wegen Vogelgrippe deutschlandweit 1,2 Millionen Stück Geflügel getötet werden. Fast die Hälfte stammte aus dem sogenannten Geflügelgürtel Niedersachsens. Ich finde, das ist ein Drama. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wer solche Folgen minimieren will, muss die Bestandsgrößen deckeln und die Bestandsdichte in den Regionen reduzieren, erst recht, weil das Risiko der Einschleppung von Tierseuchen in der globalisierten Welt noch steigt. Natürlich brauchen wir für solche Obergrenzen wissenschaftliche Grundlagen. Aber genau das fordert ja die Linke. Hören Sie also heute auf die Stimme der Vernunft, und stimmen Sie unserem Antrag zu. (Beifall bei der LINKEN) Damit können wir zum Beispiel auch den Frieden wieder in die Dörfer tragen. Ich sage ganz klar: Damit stärken wir der regional angepassten landwirtschaftlichen Tierhaltung den Rücken. Diese Betriebe müssen gerade einiges aushalten: viel körperlich schwere Arbeit, oft zu wenig familienfreundlichen Zeiten. Statt faire Erzeugerpreise bekommen sie nur Almosen, während sich Supermarktketten, Schlachthöfe oder Molkereien ihre Gewinne sichern. Deshalb kämpfen viele Betriebe tagtäglich ums Überleben. Trotzdem sollen sie für mehr Tierwohl sorgen, die Umwelt schützen und Mindestlohn zahlen. Ich kann gut verstehen, wenn sie sich zu Unrecht an den Pranger gestellt fühlen und die Welt nicht mehr verstehen; denn sie sind die Verlierer einer falschen EU-Agrarpolitik. Sie hat die Landwirtschaft zum billigen Rohstofflieferanten für den Weltagrarmarkt degradiert. Aus Sicht der Linken ist das ein fataler Fehler, (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) der übrigens auch die Akzeptanz der Bevölkerung kostet. In der Tierhaltungsdebatte geht es doch nicht nur um ethische Bedenken, sondern auch darum, dass die Kuh in der Nachbarschaft eher akzeptiert wird, wenn ihre Milch die Region versorgt, statt zu Milchpulver verarbeitet nach China geschickt zu werden. Es gibt also gute Gründe, dem Antrag der Linken heute zuzustimmen. Ich bitte Sie darum. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Christina Jantz. (Beifall bei der SPD) Christina Jantz (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Bleser, aufgrund der Bewertung der WHO zum Verzehr von verarbeitetem Fleisch lag der Fokus in den letzten Tagen insbesondere auf der Frage: Was kann Wurst mit den Menschen machen? Ich bin dankbar dafür, dass uns die Diskussion der beiden Anträge der Opposition die Chance gibt, auch die Frage wieder in unser Blickfeld zu nehmen: Was macht der Mensch mit Tieren, die zu unserer Wurst, zu unserem Essen werden? (Beifall bei der SPD) Klar ist: Wie der Mensch seine Nutztiere hält, ist allzu oft nicht artgerecht. Klar ist auch: Hier müssen wir etwas tun. Nur: Die Hauptpunkte der Anträge der Opposition gehen am Problem vorbei. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Anträge der Linken und von Bündnis 90/Die Grünen sehen die Einführung von Bestandsobergrenzen bzw. die rechtliche Verankerung der flächengebundenen Tierhaltung als Schlüssel zur artgerechten Nutztierhaltung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit machen Sie es sich leider ein bisschen zu einfach. Gute Tierhaltung lässt sich nicht nur auf die Größe des Betriebes reduzieren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das behauptet auch niemand!) Es ist Symbolpolitik, die wir nicht mittragen können. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Nach derzeitigem Kenntnisstand hat die Betriebsgröße gegenüber anderen Einflussfaktoren, wie beispielsweise die Managementqualität, einen vergleichsweise geringeren Einfluss auf das Tierwohl. Das zeigt auch das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Entscheidend ist also immer das Wie der Tierhaltung. Noch einen weiteren Punkt möchte ich nennen, der mich in Ihren Anträgen irritiert hat: Ihre Anträge lassen die Landwirtinnen und Landwirte fast komplett außen vor. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Veränderungen in der Nutztierhaltung lassen sich nur im Dialog mit denjenigen erreichen, die tagtäglich im Stall arbeiten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Die verstehen uns schon!) Wir wollen spürbare Verbesserungen für die Tiere. Die SPD steht daher zum Leitbild einer dem Standort angepassten, regional verankerten und flächendeckenden Landwirtschaft unterschiedlicher Strukturen und Produktionsausrichtungen. Sehr wohl streben wir dementsprechend einen an die Fläche angepassten Tierbestand an. So haben wir es auch gemeinsam im Koalitionsvertrag festgehalten. Einen Beitrag hierzu hat die Bundesregierung zum Beispiel durch die Novelle zum Baugesetzbuch geleistet. Gewerbliche Tierhaltungen werden danach beim Bauen im Außenbereich nicht mehr privilegiert, wenn sie bestimmte Größen überschreiten. Meine Damen und Herren, Sie wissen, das sind zum Beispiel 15 000 Hennen, 1 500 Mastschweine. Die negativen Auswirkungen der zunehmenden regionalen Konzentration von Tierhaltung im großen Maßstab liegen jedoch weniger im Bereich des Tierwohls als vielmehr im Bereich der Umwelt – das Stichwort „Gülleentsorgung“ ist schon angeklungen – und im Bereich der Tiergesundheit – Stichworte „Seuchenrisiko“ und „Antibiotikaeinsatz“. Hier sind schon eine Reihe von Vorhaben abgeschlossen worden, wie zum Beispiel in Bezug auf die Gülleproblematik die Verbringungsverordnung. Andere Vorhaben sind gerade in der Mache. Hier spreche ich vom Düngegesetz oder auch von der Düngeverordnung. Eine wirksame Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes – ich glaube, da sind wir uns alle einig – ist unerlässlich. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Weitere Maßnahmen müssen hier selbstverständlich folgen. Als Tierschutzbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion möchte ich mich an dieser Stelle nun wieder dem Kernthema der artgerechten Nutztierhaltung widmen. Wichtige Impulse für die Diskussion um artgerechte Tierhaltung in Deutschland kann uns das bereits erwähnte Gutachten „Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung“ geben, und zwar nicht nur in Bezug auf das von Ihnen angesprochene Thema Bestandsobergrenzen. Der WBA hat konkrete Empfehlungen vorgelegt, wie man den Tierschutz in der Landwirtschaft auch schon kurzfristig verbessern kann. Das Gutachten unterstützt in zentralen Punkten die Position der SPD-Bundestagsfraktion zur Nutztierhaltung. Es zeigt deutlich: Eine von der Mehrheit der Bevölkerung akzeptierte Tierhaltung kann nur funktionieren, wenn beispielsweise folgende Maßnahmen zeitnah umgesetzt werden: die Einführung eines verbindlichen staatlichen Tierschutzlabels neben freiwilligen Initiativen, die Koordination aller Tierschutzaktivitäten durch den Bund in einem Bundesprogramm Tierwohl sowie die Bereitstellung von mehr Finanzmitteln für die zweite Säule der Agrarpolitik, um Tierschutzmaßnahmen tatsächlich entsprechend fördern zu können. (Beifall bei der SPD) Nun geht es darum, die konkreten Maßnahmen auch umzusetzen. Hier appelliere ich insbesondere an das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft und an Bundesminister Christian Schmidt. Was das Ministerium bisher in Sachen Umsetzung, gerade auch der Empfehlungen des Wissenschaftlichen Beirats, hat verlauten lassen, reicht absolut nicht aus. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das stimmt!) Beispielsweise ist in der Antwort auf die Kleine Anfrage, die die Grünen kürzlich zur Umsetzung der Empfehlungen gestellt haben, fast nur von „beobachten“ und „prüfen“ die Rede. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Meine Damen und Herren, so lassen sich keine Veränderungen herbeiführen. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) Mit dem Koalitionsvertrag haben wir eine gute Grundlage für Veränderungen hin zu mehr artgerechter Tierhaltung, und das WBA-Gutachten gibt da, wie gesagt, einen wichtigen neuen Input. Herr Bleser, meine Damen und Herren, nun kommt es darauf an, dass die Umsetzung tatsächlich erfolgt. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Friedrich Ostendorff für Bündnis 90/Die Grünen. Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Frühjahr dieses Jahres wurde das Gutachten „Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung“ des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesagrarminister veröffentlicht, das der heute überwiegend praktizierten Nutztierhaltung nach über 400 Seiten attestiert, nicht zukunftsfähig zu sein – so, wie wir es vor zwei Tagen bei Herrn Pelzig bewundern durften. Es gibt zahlreiche Veranstaltungen dazu, überall volle Säle, viele Diskussionen über das Ziel, einen Fahrplan zur artgerechten Tierhaltung aufzustellen. Diese Diskussionen werden im Übrigen immer mit der Landwirtschaft geführt. Die einzigen, die offenbar kein Interesse an der Debatte haben, sind das Bundeslandwirtschaftsministerium, der Deutsche Bauernverband und Sie von der CDU/CSU. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Man scheut sich scheinbar, sich dazu zu äußern, geschweige denn mit der Umsetzung der zahlreichen Empfehlungen des Gutachtens zu beginnen. Sie sagen: zu aufwendig, zu teuer, nicht machbar. – Stattdessen beschimpft man sämtliche Unterstützer als „Empörungsindustrievertreter“. Herr Röring wird es sich gleich nicht nehmen lassen, das noch mal auszubreiten. Ich glaube, dass wir gleich von ihm etwas zum Thema Massentierhaltung hören. Ich sage schon mal vorweg, dass weder im Antrag der Linken noch in unserem Antrag das Wort „Massentierhaltung“ vorkommt. Trotzdem werden wir gleich etwas dazu hören. Bei Herrn Stier war es genauso. Er sprach von der Abschaffung der Privilegierung und vom Verbandsklagerecht, aber davon steht nichts in unserem Antrag. Ich weiß nicht, wo er es gelesen hat. Aber es mag ja sein, dass Sie einen anderen Antrag vorliegen haben als den, den wir heute behandeln. Minister Schmidt ist sich aber nicht zu schade, sich mit hübschen Worten wie „Deutschland … Trendsetter in Sachen Tierwohl“ oder gar „Tierwohlminister“ zu schmücken. Das im Koalitionsvertrag von Ihnen vereinbarte Ziel, den wissenschaftlichen Diskurs zur tiergerechten Haltung auf den Weg zu bringen, wird mit dem in der Schublade versenkten Beiratsgutachten als erledigt angesehen. Ja, Frau Jantz, Sie haben im Koalitionsvertrag das Ziel der flächengebundenen Tierhaltung vereinbart. Ja, und? Sie werden sie heute wieder ablehnen. – Da gibt es einen gewissen Widerspruch. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir Grüne sind für eine Begrenzung der maximalen Tierzahlen, sowohl betrieblich als auch regional. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]) Ähnlich haben sich auch schon Kolleginnen und Kollegen der Union geäußert, sogar Frau Mortler. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Herr Holzenkamp!) Wer hätte das gedacht? Der Vorschlag vom Kollegen Holzenkamp einer Bestandsbegrenzung von 50 000 Schweinen pro Betrieb, ist unserer Meinung nach allerdings mindestens eine Nullstelle zu hoch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Eines ist klar: Mit steigender Herdengröße nimmt die Betreuungsintensität für das Einzeltier deutlich ab. Den Ansprüchen einer artgerechten, tierbezogenen Haltung kann der Tierhalter nur gerecht werden, wenn er die Masse der Tiere noch überblicken kann. Wir haben das damals, als Bärbel Höhn in Nordrhein-Westfalen Ministerin war, mit dem damaligen Betreuungserlass durchdekliniert und uns gefragt, was notwendig ist. Leider haben Sie ihn sofort abgeschafft, als Sie an die Regierung kamen. Es geht vor allen Dingen um die Tierhaltung zwischen Nordsee und Ruhrgebiet, wo der Gülletourismus mittlerweile stärker wird als der Urlaubstourismus, wo das Seuchenrisiko durch die hohe Konzentration unbeherrschbar wird, wo die Nitratwerte im Grundwasser als äußerst bedenklich eingestuft werden müssen, wo der Import von Sojafutter aus Südamerika weitaus höher ist als der Import von Bananen und wo Tiere unter Bedingungen gehalten werden, die alles andere sind, als an die Tiere angepasst. Hoffnung macht wieder, mir insbesondere, dass sich so viele Bauern und Bäuerinnen auch ohne Sie auf den Weg zu einer besseren Haltung gemacht haben und das auch weiterhin tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, die Zeit ist reif für einen nachhaltigen Umbau der Tierhaltung, der das Wohl und die Gesunderhaltung der Tiere, der Umwelt und nicht zuletzt des Verbrauchers in den Mittelpunkt stellt. Das Ganze wird Geld kosten: 3,5 Milliarden Euro pro Jahr; das hat der Wissenschaftliche Beirat in seinem Gutachten festgestellt. Es muss fließen aus Staatsgeldern, durch eine Umschichtung der EU-Agrarhilfen, aus dem Handel, den Schlachtunternehmen und nicht zuletzt aus dem Verbraucherbereich. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir Grüne finden, wir brauchen eine bäuerliche Landwirtschaft und Tierhaltung, die auf regionale Kreisläufe setzt. Klasse statt Masse – das muss der Leitsatz unserer Landwirtschaft werden. Zeigen Sie endlich den Mut zu einer wirklichen Umgestaltung der Landwirtschaft! Das geht nicht einfach mit freiwilliger Verbindlichkeit oder verbindlicher Freiwilligkeit – das ging auch bei Pelzig völlig durcheinander; man weiß gar nicht mehr, was der richtige Begriff ist – oder mit irgendeinem anderen inhaltsleeren Geschwafel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Johannes Röring für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Johannes Röring (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die beiden Anträge der Opposition setzen im Grunde die Dauerkritik an deutschen Bauernfamilien fort. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alte Leier! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: So ein Unsinn! Das glauben Sie doch selber nicht! – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geh doch mal in die Diskussion, dann kriegst du auch mal mit, was die Stimmung ist! Das sollte der Bauernpräsident auch einmal tun!) Sie haben wieder die gleiche Platte mit Verbotsankündigungen aufgelegt. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Du weißt gar nicht, was läuft! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das ist deine Platte!) Wenn man heute mit Bauernfamilien spricht, dann wird man damit konfrontiert, dass die Dauerkritik die Bauernfamilien wesentlich stärker schmerzt als die desolate Marktsituation, die wir ohne Zweifel im Moment haben. (Beifall bei der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie mauern sich ja ein! Was ist das denn?) Menschen, die sich tagtäglich um ihre Tiere kümmern, darf man nicht unter Dauerkritik stellen. Das muss aufhören. (Beifall bei der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch das Letzte!) Frau Tackmann, ich war ein bisschen amüsiert, als Sie das Thema „Deckelung der Großmastanlagen“ angesprochen haben. Es ist, glaube ich, 26 Jahre her, da habe ich mir in den neuen Bundesländern die Tierhaltung angeschaut. Ich habe dort gelernt, dass Pflanze und Tier getrennt wurden, dass es sogenannte Kombinate Industrielle Mast gab. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das ist ein Fehler gewesen! Das ist doch klar! Das ist jetzt albern!) Frau Tackmann, in einem Versammlungsraum stand an der Wand der Slogan „Ohne Gott und Sonnenschein fahren wir die Ernte ein“. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das sind Märchen, die Sie erzählen! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bitte mal an die Zukunft denken und nicht an die Vergangenheit! – Zuruf von der CDU/CSU: So war das!) Das ist nicht unsere Vorstellung von Landwirtschaft der Zukunft. Das ist auch nicht die Realität in den neuen Bundesländern; denn dort hat sich viel getan, es gab viele Verbesserungen. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Ich weiß! Da kenne ich mich besser aus als Sie!) Deswegen bekennt sich die Union ganz klar zur Nutztierhaltung in Deutschland; denn wir wollen weiterhin Tiere in Deutschland halten und auch deren Verarbeitung zu wertvollen Lebensmitteln, zu Wurst, zu Fleisch und zu Convenience-Produkten. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das sind doch alles Pappkameraden, die Sie hier aufstellen!) Tierhalter produzieren gemeinsam mit der verarbeitenden Industrie Lebensmittel von höchsten Standards und bester Qualität. Aber wir wollen Gutes noch besser machen. Selbstverständlich ist die Landwirtschaft zu Verbesserungen bereit. Mehr Tierwohl gibt es aber nicht zum Nulltarif. Ich muss ganz deutlich sagen: Die deutsche Landwirtschaft hat wirklich verstanden. Sie liefert. Sie will mitmachen und die Tierhaltung in ihren Ställen verbessern. Zum Beispiel zeugt die große Zahl der Schweinehalter, aber auch der Geflügelhalter, die sagen: „Wir machen mit und wollen das verbessern“ – sie stehen quasi in der Warteposition; aber der deutsche Handel ist nicht in der Lage, (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Weil der seinen eigenen Gewinn nicht antastet!) das Geld dafür beim Verbraucher wiederzuholen –, (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn der Verbraucher das erst gar nicht erkennen kann, wieso soll er dann mehr zahlen?) davon, dass die Tierhalter in Deutschland in diese Richtung weitergehen wollen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich kann alle nur wirklich bitten, unterstützend zu wirken, damit wir den ersten Schritt hinkriegen: Tierhalter, Verbraucher und diejenigen, die in Vermarktung und Lebensmittelhandel tätig sind, müssen daran denken, dass Tierwohl Geld kostet. Das müssen wir bedenken, wenn wir die Tierhaltung in Deutschland halten wollen. Die Bundesregierung und wir als Gesetzgeber waren nicht untätig. Ich will ganz deutlich darauf hinweisen, dass die Veränderung des Baugesetzbuches in der letzten Legislaturperiode eine deutliche Wirkung zeigt: Die Kommunen haben mehr Mitspracherecht, und die Tierhaltung ist stärker an die Fläche gebunden als vorher. Ich will auch deutlich machen, dass die Verbringungsverordnung dafür gesorgt hat, dass die Nährstoffsituation mittlerweile lückenlos erfasst wird. Dabei geht es um die Frage: Wo fällt was an, und wo geht es hin? Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen haben diese Verbringungsverordnung nämlich umgesetzt. Ich glaube, wir müssen auf diesem Weg sehr schnell weiter vorankommen. Ich sage auch ganz deutlich: „Immer schneller, immer größer“ ist nicht unsere Devise. Wir wollen die Akzeptanz der Bevölkerung. Deswegen finde ich es gut, dass Bundesminister Schmidt einen Kompetenzkreis einberufen hat, um die Frage der Haltung ganz deutlich anzusprechen. Dabei geht es nicht nur um die Haltung der Tiere, sondern auch um die Haltung der Tierhalter, um die Haltung im Kopf. Das ist ein guter Hinweis. Auch der Lebensmittelgipfel und die Dialogplattform sind wichtig – sie kommen –, um diese Themen anzusprechen: Sind die Kräfte des Marktes noch richtig verteilt, damit sichergestellt ist, dass die Bauernfamilien am Ende nicht zu kurz kommen, damit sie ihren Anteil von dem erhalten, was die Verbraucher bezahlen? Wir haben Erfolge. Die Evaluierung des Arzneimittelgesetzes zeigt, dass die Menge der eingesetzten Arzneimittel deutlich zurückgeht. Wir bekommen Beratungshinweise für ein Benchmarking guter Betriebe, in Richtung Tierwohl. Wir werden von der Wirtschaft einen Tierwohlindex einfordern. Ich habe Signale erhalten, dass er eingeführt wird. Deswegen bin ich sehr guten Mutes, dass wir hierbei vorankommen. Tierhaltungsregionen – das will ich noch einmal betonen – sind lebendige Regionen in Deutschland. Dort brummt es, dort boomt es. Dort geht die Anzahl der Landwirte nicht zurück, sondern dort gibt es nach wie vor eine große Anzahl von Landwirten. Zum Schluss ein Appell: Wir haben gerade gehört, dass die Menschen in Darfur und im Südsudan sich nach einer Landwirtschaft, wie wir in Deutschland sie haben, sehnen. Bitte überdenken Sie, ob es wirklich Sinn macht, die Landwirtschaft, die Tierhalter, die Bauernfamilien in Wahlkämpfe hineinzuziehen, sie zum Thema von Wahlkämpfen zu machen. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Machen wir doch eine Enquete-Kommission! Haben wir vorgeschlagen!) Ich glaube, das haben unsere Bauern in Deutschland nicht verdient. Zeigen Sie, dass die ersten Ansätze gut sind. Ich weiß, dass Minister Meyer in Niedersachsen und Minister Remmel in Nordrhein-Westfalen sehr offen sind für die Anliegen der Bauern und nach vorne gehen. Ich glaube, das ist auch hier möglich. Dieses Thema eignet sich wirklich nicht als Wahlkampfthema. Ich glaube, gemeinsam schaffen wir es, die Tierhaltung nach vorne zu bringen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft auf Drucksache 18/6437. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1872 mit dem Titel „Bestandsobergrenzen für Tierhaltungen einführen“ Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Beschlussempfehlung angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3732 mit dem Titel „Die Zukunft der Tierhaltung – Artgerecht und der Fläche angepasst“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Ausschusses? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Beschlussempfehlung angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke. – Damit verlassen wir diesen Tagesordnungspunkt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur (UNAMID) auf Grundlage der Resolution 1769 (2007) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007 und folgender Resolutionen, zuletzt 2228 (2015) vom 29. Juni 2015 Drucksache 18/6503 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Weil ich keinen Widerspruch höre oder sehe, ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner in dieser Aussprache ist der Kollege Dirk Vöpel von der SPD, dem ich hiermit das Wort erteile. (Beifall bei der SPD) Dirk Vöpel (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines ist sicher: Afrika rückt näher an Europa heran. Langsam, aber unaufhaltsam wandert die afrikanische Kontinentalplatte jedes Jahr Zentimeter für Zentimeter Richtung Norden. Aufgrund dieser geologischen Entwicklung wird das Mittelmeer irgendwann verschwunden und Afrika mit Europa und Asien zu einem neuen Superkontinent verschmolzen sein. (Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit hat sich die Seenotrettung dann erledigt! – Zuruf von der SPD: Darauf warten wir aber nicht!) Natürlich wird Afrika die Zukunft Europas schon in weit kürzerer Frist beeinflussen. Auch dies hat mit einer drückenden wie bedrückenden Wanderungsbewegung zu tun. Millionen und Abermillionen Menschen in Afrika haben jede Hoffnung auf eine Besserung ihrer verzweifelten Lage verloren. Ihr gelobtes Land heißt Europa, dem sie mit aller Macht zustreben, koste es auch das eigene Leben oder gar das der Familie. Viele haben sich auf den Weg gemacht. Mehr werden kommen. Der Druck im afrikanischen Kessel wird nicht nachlassen. Dafür sorgt schon die weltweit einzigartige demografische Entwicklung, die Afrika im 21. Jahrhundert nehmen wird. Von aktuell knapp 1,2 Milliarden Einwohnern soll sich die Bevölkerung laut jüngster UNO-Prognose bis 2050 auf 2,4 Milliarden verdoppeln, bis zum Ende des Jahrhunderts auf 4,5 Milliarden fast vervierfachen. Bereits jetzt sind in den Ländern südlich der Sahara 540 Millionen Afrikanerinnen und Afrikaner unter 18 Jahre alt; zur Mitte des Jahrhunderts wird es 1 Milliarde sein. Was wir derzeit als Flüchtlings- und Migrationsbewegung aus Afrika wahrnehmen, ist ein Rinnsal verglichen mit dem Tsunami an Not und Elend, auf den wir in Europa gefasst sein müssen, wenn es nicht gelingt, in Afrika endlich eine fundamentale und tiefgreifende Wende zum Besseren einzuleiten. Dabei geht es gar nicht darum, größte Fortschritte in kürzester Zeit zu erreichen. Entscheidend ist aber: Der erwartete Trend, die gefühlte Richtung muss stimmen. Wenn Menschen darauf vertrauen können, dass sich ihre Lebensverhältnisse langsam, aber stetig verbessern, dass der absolute Nullpunkt des Elends endlich durchschritten ist, wenn es mit ihnen und ihren Ländern allmählich, aber erkennbar bergauf geht und sie sich selbst als handelnde Akteure einer Aufstiegsgeschichte begreifen können, dann wird die absolute Wohlstandsdifferenz zwischen Europa und Afrika als Wanderungsmotiv rasch an Bedeutung verlieren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Damit es besser werden kann, darf es aber zunächst nicht schlechter werden. Damit komme ich zu Darfur und UNAMID. Der kriegerische Konflikt, der seit 2003 in der westsudanesischen Region Darfur tobt und der bisher weit über 300 000 Menschenleben gekostet und zu millionenfachem Flüchtlingselend geführt hat, gehört zu den bekannteren Schauplätzen der afrikanischen Tragödien. Trotz regelmäßiger schwerer Dürreperioden hat sich die Bevölkerung in Darfur seit 1950 fast verachtfacht. Dass ein solch rapides Bevölkerungswachstum im Rahmen einer tradierten Subsistenzwirtschaft bei knapper werdenden landwirtschaftlichen Nutzflächen das friedliche Zusammenleben von Menschen nicht begünstigt, liegt auf der Hand. Hinzu kommen in Darfur etliche zusätzliche Konfliktherde und Konfliktlinien, Konfliktanlässe und Konfliktparteien, die sich nahezu unauflösbar miteinander verknotet haben. Wir haben es unter anderem zu tun mit dem Kampf der sudanesischen Zentralregierung gegen die Autonomie- oder Separationsbestrebungen verschiedener Rebellengruppen, Konflikten entlang ethnischer Spaltung zwischen arabischen und afrikanischen Bevölkerungsgruppen, lokalen Auseinandersetzungen über konkurrierende Formen der Landnutzung zwischen sesshaften Ackerbauern und viehweidenden Nomadenstämmen, Konflikten über die Kontrolle von Bodenschätzen, Kleinkriegen zwischen kriminellen Banden und vor allem immer wieder neu aufbrechenden Konflikten zwischen den Rebellengruppen, aber auch zwischen verschiedenen Fraktionen und Abspaltungen von Abspaltungen innerhalb der Rebellengruppen. Wir haben es hier mit einem extrem zersplitterten Konflikt zu tun, mehr Schwelbrand als flammendes Inferno. Kaum noch jemand hat auch nur annähernd einen Überblick über die widerstreitenden Interessen und die beteiligten Akteure. Unter solchen Umständen an einer politischen Lösung zu arbeiten, der alle Parteien und Gruppierungen zustimmen könnten, dürfte im Moment zu den frustrierendsten Aufgaben der internationalen Diplomatie gehören. Vor diesem Hintergrund relativiert sich aus meiner Sicht das überwiegend schlechte Zeugnis, das der UNAMID-Mission oft ausgestellt wird. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat jedenfalls als Reaktion auf die geringen Fortschritte bei der Umsetzung des Doha-Friedensabkommens und angesichts der nach wie vor katastrophalen humanitären Lage in Darfur im letzten Jahr eine Neuausrichtung der UNAMID-Friedenstruppe beschlossen. Absolute Priorität haben der Schutz von Zivilpersonen und humanitärem Personal sowie die Sicherung der Nahrungsmittellieferungen, von denen das Leben von Millionen Menschen abhängt. Die Patrouillenfahrten wurden verstärkt, Schutzzonen für die Zivilbevölkerung geschaffen, und es wird mehr Präsenz in den Flüchtlingslagern gezeigt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ohne Einsätze wie diesen, ohne das Engagement der internationalen Gemeinschaft würden sich die Verhältnisse drastisch verschlechtern. Die harte Wahrheit ist: Zwischen einem erneuten Abdriften Darfurs in das totale Chaos, dem jederzeit denkbaren Rückfall in die Schreckensjahre des systematischen Massenmordes, stehen nur diese knapp 21 000 Frauen und Männer der UNAMID-Mission. Sie haben unseren größten Respekt und unseren Dank verdient. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber vor allem haben sie und die Menschen in Darfur verdient, dass wir alles in unserer Macht Stehende unternehmen, um einer politischen Lösung des Darfur-Konflikts endlich näherzukommen. Ich bedanke mich für ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine Buchholz, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Christine Buchholz (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Vöpel, ich finde eine Sache wichtig: Wenn wir über die Fluchtbewegungen nach Europa sprechen, sollten wir auf Drohszenarien verzichten und nicht von „Tsunamis“ sprechen. Denn die Fluchtbewegungen sind keine Naturkatastrophen, die über uns hinwegbrechen, sondern sie sind menschengemacht. Das gilt auch für die Flüchtlinge – aus Darfur kommt ja kaum jemand nach Europa – vom afrikanischen Kontinent. (Beifall bei der LINKEN) Zu Darfur selbst. Über den Konflikt in Darfur wird heutzutage sehr wenig berichtet. Das war nicht immer so. Vor zehn Jahren verfolgte die Bevölkerung hier fassungslos über die Medien den Bürgerkrieg in der westsudanesischen Provinz. Manche sprachen von Völkermord. Zehn Jahre später muss man nun feststellen: Es wird kaum mehr über Darfur berichtet, aber die Gewalt geht weiter. 2,8 Millionen Menschen sind auf der Flucht, 200 000 Menschen wurden umgebracht. Es darf nicht sein, dass das Mitgefühl und die Aufmerksamkeit für die Menschen in Darfur und anderswo von der jeweiligen geopolitischen Großwetterlage abhängen. (Beifall bei der LINKEN) Vor zehn Jahren wurde die Entsendung deutscher Soldaten mit den Verbrechen des Regimes von Umar al-Baschir gerechtfertigt. Deutschland hat sich schließlich an UNAMID, der größten und teuersten aller UN-Militärmissionen, beteiligt. 1,3 Milliarden US-Dollar kostet sie im Jahr. Heute sind sieben Bundeswehrsoldaten und ein Polizist vor Ort. Die Bundesregierung nennt das „unverzichtbar“. Das ist offenkundig falsch. Weder Zehntausende afrikanische Soldaten noch eine Handvoll Bundeswehrsoldaten haben Darfur dem Frieden nähergebracht. Eine Fortsetzung dieses Mandats wird an dieser Situation nichts ändern. (Beifall bei der LINKEN) Im vorliegenden Antrag der Bundesregierung lesen wir nun, dass es gemeinsame Überlegungen mit der sudanesischen Regierung über einen – ich zitiere – „Abzug der Mission“ gibt. Verhandlungen mit dem Regime al-Baschir zum Abzug der Mission? Wie geht das zusammen? Die Verhandlungen mit al-Baschir über die Mission bringen zum Ausdruck, dass die Entsendung deutscher Soldaten von Beginn an nur einer Logik folgte: einen Beitrag zum, wie es im Antrag der Bundesregierung selbst heißt, „beabsichtigten Ausbau des deutschen Engagements in Afrika“ zu leisten. (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch!) Es ging darum, militärische Präsenz um der militärischen Präsenz willen zu zeigen. An diesem Motiv hat sich nichts geändert. (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fragen Sie sich einmal, wem ein Abzug helfen würde!) Auch darum lehnt die Linke das Mandat ab. (Beifall bei der LINKEN) Hat sich das Regime geändert? Nein. Im Juni berichtete Human Rights Watch von der Gründung einer militärischen Sondereinheit unter dem Kommando des sudanesischen Geheimdienstes. Im Rahmen zweier Militäroperationen unter dem Namen „Entscheidender Sommer“ hat diese Einheit ganze Dörfer niedergebrannt und entvölkert, Brunnen und Nahrungsspeicher zerstört, Menschen gefoltert und umgebracht. Das Mandat von UNAMID beruht auf der Fiktion, dass mit dem Regime al-Baschir zusammen ein Frieden gesichert werden soll. Dieser Frieden existiert aber nicht. Blauhelmsoldaten sind weder in der Lage, einen Frieden zu sichern, noch sind sie in der Lage, einen Frieden zu erzwingen. Ein nachhaltiger Frieden kann erst entstehen, wenn die zugrundeliegenden sozialen und politischen Probleme gelöst werden. Ganz vorne steht hier natürlich auch die aktuelle Situation der Flüchtlinge in Darfur und in der Region. Dazu gehört beispielsweise aber auch der Wassermangel, der Verteilungskämpfe um Weideplätze zwischen den Ethnien anheizt. Der Klimawandel führt zu mehr Dürren in der Sahelzone und verschärft so den Konflikt in Darfur. Ernsthafte Maßnahmen gegen diesen Klimawandel wären deshalb beispielsweise ein wirklicher Beitrag zur Entschärfung der Konfliktursachen. Soldaten sind es nicht. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Ich darf mich an dieser Stelle für die Präzision der Kolleginnen und Kollegen, die bisher geredet haben, bei der Zeiteinhaltung bedanken. Als Nächstes erteile ich dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe für die Bundesregierung das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für den Sudan gilt das, was auch für den Südsudan gilt: Er ist derzeit nicht im Zentrum der weltpolitischen Aufmerksamkeit. Die humanitäre Lage ist aber leider unverändert prekär; denn inzwischen sind allein in der Region Darfur mehr als 4 Millionen Menschen, besonders Kinder, auf humanitäre Hilfe angewiesen. Es kommt nach wie vor zu Kampfhandlungen zwischen der regulären Armee und der Sudan Revolutionary Front, einem Zusammenschluss von Rebellen. Aber auch in den Regionen Darfur, Südkordofan und Blauer Nil kam es in der Vergangenheit immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Milizgruppierungen, die auch in Zukunft jederzeit wieder aufflammen können. Vor diesem Hintergrund und da wir uns die Lage nicht so malen können, wie wir sie gerne hätten, bleibt UNAMID und damit der gemeinsame Einsatz der Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union in Darfur bis auf Weiteres unverzichtbar. Ich bin Ihnen, lieber Kollege Vöpel, sehr dankbar für die große Sachlichkeit, mit der Sie genau diese Situation dargestellt haben. Es ist eine schwierige, eine prekäre Situation. Aber die Soldaten von UNAMID, die dort im Auftrag der Völkergemeinschaft sind, verhindern ein totales Chaos, und deswegen sind wir ihnen, denke ich, zu Dank verpflichtet. Meine Damen und Herren, die Mission steht bei ihrer Auftragserfüllung weiter vor großen Herausforderungen; denn sie ist auch selbst Ziel von Angriffen. Seit ihrer Einrichtung sind über 70 Peacekeeper bei Kampfhandlungen ums Leben gekommen. Das zeigt, wie gefährlich der Einsatz ist. UNAMID fehlen weiterhin vornehmlich Hubschrauber- und Aufklärungseinheiten. Die afrikanischen Truppen- und Polizeisteller verfügen in Teilen leider nur über eine unzureichende materielle Ausstattung. Beispielsweise fehlen gepanzerte Truppentransportfahrzeuge fast vollständig. Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz all dieser Schwierigkeiten bleibt UNAMID angesichts der bedrückenden Gesamtsituation ein wichtiger stabilisierender Faktor. Diese Mission wird gebraucht. Das vom Kollegen Vöpel schon angesprochene 2011 geschlossene Friedensabkommen von Doha wird – wenn auch langsam, aber immerhin – mit Begleitung der internationalen Gemeinschaft weiter umgesetzt. Und es ist die Mission UNAMID, die es den zivilgesellschaftlichen Gruppen ermöglicht hat, im Rahmen des Darfur-internen Dialogs überhaupt Gehör zu erhalten. Für die Zivilbevölkerung hat UNAMID erst Schutzzonen geschaffen. Nicht zu vergessen ist auch die logistisch koordinierende Funktion bei Hilfslieferungen für die Bevölkerung, unter anderem vom Welternährungsprogramm. Das ist eine Aufgabe, für deren Erledigung sonst niemand bereitstünde. Es ist zynisch, über das Handeln unserer Soldaten dort zu reden und Kritik zu üben und dabei zu verdrängen, dass diese Aufgaben, die das Welternährungsprogramm erfüllen muss, sonst niemand flankieren würde, niemand dafür bereitstünde. Dafür stehen die Soldatinnen und Soldaten bereit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine effektive und gute Zusammenarbeit mit der jeweiligen Gastregierung – das ist wahr – stellt für jede Peacekeeping-Mission eine wichtige Bedingung für die erfolgreiche Auftragserfüllung dar. Gerade hier gilt es, von der sudanesischen Seite immer wieder die notwendige Kooperationsbereitschaft einzufordern. Aber auch wenn diese Kooperationsbereitschaft nicht in dem Maße vorhanden ist, wie es die Völkergemeinschaft erwarten kann, dürfen wir doch die bedrängten und bedrohten Menschen nicht im Stich lassen. Im Gegenteil: Wir müssen unsere Anstrengungen erhöhen, wenn schon die sudanesische Regierung ihrer Verpflichtung nicht in der Weise gerecht wird, wie wir das erwarten. Umso mehr sind wir im Interesse der bedrohten und bedrückten Menschen gefordert. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Deswegen bleibt es dabei, dass wir uns von der sudanesischen Seite mehr Entgegenkommen wünschen würden. Es kommt hinzu, dass friedensunwillige Rebellengruppen nach wie vor mit ihren Kampfhandlungen Wiederaufbaubemühungen sabotieren und damit für die nach wie vor schlechte Sicherheitslage Mitverantwortung tragen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit einer Verbesserung der Lage in Darfur ist nur dann zu rechnen, wenn eine umfassende politische Lösung für den Darfur-Konflikt gefunden wird. Etwas anderes haben wir im Übrigen nie gesagt. An keiner Stelle sind wir mit Soldatinnen und Soldaten in der Illusion engagiert, damit allein die Probleme lösen zu können. Wir brauchen in Darfur genauso wie anderswo, wo wir engagiert sind, eine politische Lösung. Die Initiative der sudanesischen Regierung, mit einem umfassenden nationalen Dialog das Land zu befrieden, hat eben leider auch nach den Wahlen vom April dieses Jahres noch keine zufriedenstellenden Ergebnisse gezeigt. Dieser Prozess braucht offenkundig noch Zeit. Umso wichtiger ist es deshalb, dass die internationale Gemeinschaft die VN-Mission UNAMID weiter unterstützt. Die Bundesregierung ist dazu bereit, sich auf gleichbleibendem Niveau mit Soldatinnen und Soldaten dort zu engagieren. Deutschland ist das einzige europäische Land, das sich an einer zu Recht afrikanisch dominierten Mission personell beteiligt. Aber wir stehen mit vielen anderen zusammen, um diesen Auftrag zu erfüllen. Die deutschen Soldatinnen und Soldaten besetzen Stabsfunktionen in den Bereichen Einsatzsteuerung, Logistik, Aus- und Weiterbildung, Personalplanung, Flugsicherheit sowie Geoinformationswesen. Ich möchte ihnen an dieser Stelle ausdrücklich für ihren Einsatz danken, ihnen meine Hochachtung für ihr bemerkenswertes und forderndes Engagement unter sehr schwierigen Bedingungen aussprechen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, sie haben es verdient, dafür auch weiterhin die Unterstützung dieses Hohen Hauses zu haben, um die ich Sie hiermit bitte. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Agnieszka Brugger für Bündnis 90/Die Grünen. Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für viele Menschen im Sudan ist die Situation schrecklich: Leid, Gewalt, Willkür, aber vor allem auch Hunger gehören seit Jahren zu ihrem Alltag. So verwehrt die Rebellengruppe SPLA-N Helfern, die dringend benötigte Nahrung und Medikamente zu den Menschen bringen wollen, mit Gewalt den Zugang zu bestimmten Gebieten im Norden. Seit Jahren geht aber auch die sudanesische Regierung barbarisch gegen die eigene Bevölkerung vor; darüber geben die regelmäßigen Berichte von Human Rights Watch ein schreckliches Zeugnis. So setzt die sudanesische Luftwaffe international geächtete Streumunition ein. In einem Land, in dem extremer Hunger herrscht, werden Felder und Ernten zerstört. Regelmäßig werden bei diesen barbarischen Attacken Schulen, Märkte und Krankenstationen getroffen, und insbesondere Kinder sind oft die Opfer dieser Attacken. Aber auch die Frauen im Sudan leiden extrem. Immer wieder kommt es zu Massenvergewaltigungen, wie neulich in Tabit. Meine Damen und Herren, wir dürfen nicht wegschauen, auch wenn es im politischen Prozess im Sudan leider immer wieder große Rückschläge gibt. 2014 ist es beispielsweise gelungen, einen nationalen Dialog zwischen einigen Gruppen der Opposition und der Regierung auf den Weg zu bringen. Dieser wichtige Prozess hat im April 2015 aber einen großen Rückschlag erlitten, als sich der Präsident al-Baschir in einer Wahlinszenierung mit 94 Prozent hat wiederwählen lassen und sich dafür gefeiert hat. Diese Wahlen waren aber weder fair noch frei. Sie wurden zu Recht von der Zivilgesellschaft kritisiert und von der Opposition boykottiert. Trotzdem führt kein Weg am nationalen Dialog vorbei. Die internationale Gemeinschaft muss ihn immer wieder einfordern. Sie muss auch auf Glaubwürdigkeit und Inklusion bestehen. Das kann aber nur gelingen, wenn die internationale Gemeinschaft auch zusammensteht. Da war es wenig hilfreich, dass die Arabische Liga diese Wahlen als einen Schritt hin zu mehr Demokratie im Sudan begrüßt hat. Noch schlimmer aber war im letzten Jahr das Verhalten der südafrikanischen Regierung. Der Internationale Strafgerichtshof hat 2009 einen Haftbefehl gegen den Präsidenten al-Baschir erlassen, weil er für Völkermord, für Menschenrechtsverletzungen und für Folter verantwortlich ist, die in Darfur passiert sind. Als der Präsident al-Baschir dieses Jahr in Südafrika war, hätte der Haftbefehl vollstreckt werden können und müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Das hat die dortige Zivilgesellschaft gefordert. Die Justiz hatte schon alles vorbereitet. Aber was ist geschehen? Die Regierung verhalf diesem Verbrecher – ich finde das ungeheuerlich – auch noch zur Flucht. Damit wurde nach so vielen Jahren nicht nur die Hoffnung vieler Menschen auf Gerechtigkeit enttäuscht, sondern es wurde natürlich auch der Internationale Strafgerichtshof geschwächt. Ich finde es unerträglich, dass einem solchen Verbrecher in einigen Staaten dieser Welt der rote Teppich ausgerollt wird, statt ihn endlich festzunehmen. Meine Damen und Herren, trotz aller Rückschläge und Enttäuschungen versucht die Friedensmission der Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union, wenigstens in der Region Darfur einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Zivilbevölkerung geschützt wird, dass die Menschen mit dem Lebensnotwendigsten versorgt werden, dass die Helfer besser geschützt werden und dass der Dialogprozess nicht ganz zum Erliegen kommt. Eine der Ursachen, warum diese Mission jenseits der schwierigen Verhältnisse im Land ihre Ziele immer wieder nicht erreichen kann, ist aber auch die mangelnde Unterstützung der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen. Es ist richtig, dass sich Deutschland an dieser Mission beteiligt. Aber meine Damen und Herren, acht Soldaten und ein Polizist – das ist angesichts der drastischen Lage wirklich wenig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Brauksiepe, da reicht es eben nicht aus, hier zu beschreiben, dass der UN-Mission zu ihrem Schutz gepanzerte Fahrzeuge fehlen, sondern da muss man auch handeln. Ich finde es fast schon zynisch, wenn man das Mandat liest und in der Begründung etwas vom deutschen Engagement in Afrika mit dem Schwerpunkt Sudan steht. Dieses Engagement besteht darin, diesen bescheidenen Beitrag beizubehalten. Meine Damen und Herren, insbesondere auch liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, vielleicht sollten Sie sich einmal Gedanken darüber machen, warum die sudanesische Regierung fordert, dass die UN-Friedensmission aus dem Land abziehen soll, und wem es im Sudan eigentlich helfen würde, wenn UNAMID nicht mehr da wäre. Das wären die bewaffneten Rebellengruppen, und das wären eben die verbrecherischen Teile der Regierung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Die sehen wohl nämlich gerne, dass niemand mehr hinschaut, niemand mehr versucht, etwas gegen die Gewalt und gegen die Willkür zu tun. Ich finde, diesen Gefallen sollten wir diesen Menschen nicht tun. Deshalb und weil wir die Hoffnung haben, dass es doch vielleicht einmal nach vorne geht und besser wird, werden wir Grüne diesem Mandat zustimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Zum Abschluss dieser Aussprache spricht der Kollege Florian Hahn für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Florian Hahn (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Themen, die uns aktuell beschäftigen, sind vielfach miteinander verbunden. So ist es auch mit dem Bundeswehreinsatz in Darfur. Aktuell sind allein mit 4 000 helfenden Händen mehr Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise im Inland gebunden, als derzeit bei Auslandsmissionen eingesetzt sind. Beiden Gruppen – denen, die einen gefährlichen Dienst im Ausland tun, und denen, die, wie vor allem bei uns in Bayern, alles in ihrer Macht Stehende tun, um den nicht enden wollenden Flüchtlingsansturm meistern zu helfen – gilt an dieser Stelle mein ganz herzlicher Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, mit den Auslandseinsätzen der Bundeswehr sorgen wir an vielen Orten weltweit für Stabilität und die Schaffung von Perspektiven, und sei es, indem wir Entwicklungszusammenarbeit überhaupt erst möglich machen. Die Bundeswehr hilft so an vielen Stellen konkret dabei, neue Fluchtbewegungen zu vermeiden. Man muss hier nur an Afghanistan denken. Die letzten Wochen haben gezeigt: Ein zu früher Abzug unserer Soldaten und der unserer Verbündeten würde zum Chaos führen und zuerst die ausländischen Helfer und dann Hunderttausende Afghanen aus dem Land nach Europa treiben. Wir müssen deshalb auch dort engagiert bleiben. Ähnliches würde bei der Einstellung unserer Bemühungen in Mali, im Nordirak oder im Kosovo passieren. Es ist aber auch richtig, dass wir heute eine nicht im Fokus der Medienöffentlichkeit stehende Region wie den Sudan und insbesondere Darfur in den Blick nehmen; denn Darfur steht beispielhaft für die vielen ungelösten Konflikte in Afrika und weltweit, die nur noch sporadisch auf unseren Bildschirmen auftauchen und die drohen, komplett in Vergessenheit zu geraten. Trotzdem haben sie für die Menschen vor Ort dramatische Konsequenzen. Wir haben das in den vielen Beiträgen heute in dieser Debatte schon gehört. Solche Konflikte sind oft der Grund, sich auf den Weg zu machen, um Leben und Gesundheit der Familie zu retten, um sein Glück schlicht anderswo zu suchen. Darfur ist auch ein Beispiel für das Unglück des afrikanischen Kontinents, der vielerorts ein Kontinent der Herausforderungen bleibt. Darfur steht für einen Kampf um magere Ressourcen, um Wasser, um Weideland und Lebensgrundlagen, der tendenziell in Zukunft eher noch zunehmen wird. Diese Region liegt inmitten eines großen Kriegsgebiets, in dem die Probleme von Rebellionen und Bürgerkriegen, organisierter Kriminalität mit Waffen, Drogen und Menschenschmuggel sowie islamistischem Terror ineinander übergehen. Das können wir nicht ignorieren. Deshalb müssen wir uns in vielfältiger Weise engagieren. Militärisch sind aktuell sieben deutsche Soldatinnen und Soldaten als Stabspersonal im Hauptquartier eingesetzt. Frau Buchholz, Sie haben in Ihrem Beitrag die Vermutung geäußert, dass die Bundesregierung nur der militärischen Präsenz wegen in Darfur engagiert ist. Darauf kann ich nur sagen: Angesichts von sieben deutschen Soldatinnen und Soldaten ist das eher ein lächerliches Argument. Lassen Sie sich das nächste Mal etwas anderes einfallen. (Beifall bei der CDU/CSU – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Sie begründen das doch selber so in Ihrem Antrag! Lesen Sie mal die Begründung Ihres Antrags!) Deutschland engagiert sich über diese sieben Soldaten hinaus an UNAMID in vielfältiger Art und Weise – sei es Mediation und friedliche Konfliktlösung, sei es Hilfe zur Verfassungsberatung, zum Wiederaufbau sowie zur Stärkung der Zivilgesellschaft oder zur Verbesserung der humanitären Lage. Deutschland hat insgesamt Mittel in Höhe von 16 Millionen Euro zugesagt. Daraus soll zum Beispiel ab Ende 2015 ein Vorhaben im Bereich der beruflichen Bildung finanziert werden. Über einen Regionalfonds werden zusätzliche Maßnahmen von Nichtregierungsorganisationen in den Bereichen Wasser- und Gesundheitsversorgung im Sudan mit Mitteln der deutschen Entwicklungszusammenarbeit gefördert. In 2015 hat Deutschland humanitäre Hilfsmaßnahmen mit 7,1 Millionen Euro unterstützt. Hier setzen wir Schwerpunkte bei der Verbesserung der Lage von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen. Kolleginnen und Kollegen, es ist wichtig, noch in Darfur zu bleiben, auch wenn die sudanesische Regierung die Mission am liebsten so schnell wie möglich beenden will und durch kleinliche Aktionen versucht, die Mission zu behindern. Die dauernden Verzögerungen von Einreisebewilligungen für UNAMID-Soldaten sind ärgerlich. Gleiches gilt für diverse Einschränkungen der Bewegungsfreiheit bis hin zur Blockade der Versorgung der UNAMID-Mission. Wir sollten diesem Druck nicht nachgeben. Erst wenn die Friedensbemühungen echte Fortschritte bringen, könnte man an einen schrittweisen Abzug der Mission denken. UNAMID ist ein kleiner Beitrag, der zeigt, dass die Welt den Konflikt nicht vergessen hat, dass wir weiterhin hinsehen und die Menschen dort nicht alleine lassen. Deswegen stimmen wir diesem Mandat weiterhin zu. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/6503 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, dass sich kein Widerspruch erhebt. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Damit kommen wir zum Tagesordnungspunkt 16: Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai Gehring, Luise Amtsberg, Özcan Mutlu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vielfalt stärkt Wissenschaft – Studienchancen für Flüchtlinge schaffen Drucksache 18/6345 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache ebenfalls 25 Minuten vorgesehen. – Weil keinerlei Widerspruch erkennbar ist, ist das dann auch so beschlossen. Jetzt bitte ich alle Kolleginnen und Kollegen, die in herausgehobener Funktion an dieser Debatte teilnehmen wollen, ihre Plätze einzunehmen. Ich eröffne die Aussprache. Als Erstes erteile ich dem Kollegen Kai Gehring für Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Guten Abend, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Rund 1 Million Flüchtlinge wird Deutschland im Laufe dieses Jahres aufgenommen haben, die Hälfte davon unter 25 Jahren jung. Gerade für diese jungen Menschen müssen wir alle miteinander Chancengeber werden. Denn: Wir wollen das schaffen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Bildung und Qualifizierung sind zentralste Schlüssel, Integration wirklich zu schaffen. Das Bundesbildungsministerium müsste sich endlich als Integrationsministerium begreifen und weitsichtig handeln. Es braucht eine breite Bildungsoffensive: frühkindlich, schulisch, beruflich und hochschulisch. Frau Wanka fordert ein bisschen Anerkennungsgesetz hier, ein bisschen Fernsehen für Flüchtlinge da und überlässt lieber Arbeitsministerin Nahles das Feld, die schon Milliarden für langzeitarbeitslose Flüchtlinge fordert. Dazu darf es gar nicht erst kommen. Eine breite, wirksame Strategie zur Integration durch Bildung ist dringend notwendig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir haben Anfang Oktober Vorschläge für den Zugang zu Bildung und Ausbildung für junge Flüchtlinge eingebracht. Heute nun unser nächstes Vorschlagspaket; denn wir müssen Flüchtlingen auch Studienchancen eröffnen. Schon lange sind die Hochschulen vorne mit dabei, wenn es darum geht, Flüchtlinge zu unterstützen: Angehende Juristen geben Rechtsberatung, Germanistikstudierende organisieren Deutschkurse, Wissenschaftler stehen als Mentoren zur Seite – eine Fülle großartiger Beispiele. Wir sagen Danke für dieses wunderbare und wichtige zivilgesellschaftliche Engagement zum Wohle der neuen internationalen Studierenden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir sagen auch Danke an all die Organisationen, die ohnehin schon Internationalisierungsexperten sind: DAAD, AfH, DSW, DFG, HRK und AUFs haben zügig auf die neuen Chancen reagiert. Auch dafür Danke! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) All dieses Engagement ist wichtig. Bund und Länder müssen es aber noch stärker unterstützen. Gleich bei der Ankunft muss es darum gehen, was jemand kann und was er mitbringt. Qualifikationen müssen schnell und unbürokratisch ermittelt werden, gerade auch dann, wenn Zeugnisse fehlen. Für die Flüchtlinge ist es wichtig, Informationen über das Studium in Deutschland und das Hochschulsystem zu erhalten. Wir wollen dafür eine bundesweite kostenlose Hotline einrichten und Welcome Center an den Hochschulen ausbauen. (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Die gibt es bereits!) – Genau, ein paar gibt es schon. Es können gerne noch ein paar hinzukommen; denn wir wollen die Willkommenskultur an den Hochschulen weiter pushen, stärken und fördern. Ein weiteres Feld ist die Finanzierung. Die Bundesregierung muss Farbe bekennen: Wann kommen mehr Stipendien für Flüchtlinge? Unsere Zustimmung hätte sie. Auch der DAAD steht bereit. Darum: Machen wir es doch gemeinsam! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]) Nachlegen müssen wir auch bei der Studienfinanzierung. Es ist ein erster Schritt, dass ab dem 1. Januar 2016 noch nicht anerkannte Asylbewerber oder Geduldete nach 15 Monaten BAföG bekommen können. Aber wir sollten weiterdenken und im Ausschuss intensiv darüber diskutieren. Unser Vorschlag ist: Wer im Asylverfahren steckt oder geduldet ist, soll nach drei Monaten Aufenthalt BAföG bekommen können. Das ist wichtig, damit keine Finanzierungslücken bei den jungen Leuten entstehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Niemand weiß genau, wie viele Flüchtlinge ein Studium aufnehmen können und aufnehmen wollen. Fakt ist aber: Es werden einige Zehntausend sein. Der Hochschulpakt muss geöffnet werden, damit für die zusätzlichen Studieninteressierten eine ausreichende Zahl an Studienplätzen bereitsteht. Hinzu kommt: Viele Hochschulen arbeiten ohnehin an der Kapazitätsgrenze, und ihre Infrastruktur muss vielerorts ausgebaut werden. Deshalb braucht es mehr Hörsäle und Seminarräume, mehr Wohnmöglichkeiten für Studierende und mehr Beratungsstellen auf dem Campus. Das muss jetzt erst recht angepackt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Flüchtlinge bringen Lust auf Bildung mit. Dafür müssen wir ihnen die Türen der Hochschulen weit öffnen. Die Zahl der Erfolgsgeschichten wird umso höher sein, desto entschlossener wir jetzt in die Chancen für alle investieren. Umgekehrt bin ich fest davon überzeugt: Wenn wir es noch nicht einmal schaffen würden, Hochqualifizierte zügig zu integrieren, dann riskieren wir, dass Angstmacher und Hetzer Oberwasser bekommen. Darum: Lassen Sie uns gemeinsam Chancen eröffnen! So werden Flüchtlinge zu neuen Bürgern, zu studierenden Akademikern und Fachkräften. Das ist gut für uns alle und unser Land. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Cemile Giousouf für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Cemile Giousouf (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Anfang meiner Rede möchte auch ich ausdrücklich den Hochschulen danken, die bereits Flüchtlingen konkrete Hilfe zukommen lassen. Dazu gehören der Erlass von Semesterbeiträgen, die Übernahme von Gasthörergebühren, kostenlose Semestertickets sowie die Nutzung von Härte- und Stipendienfonds. Ich möchte auch den ehrenamtlichen Initiativen meinen Dank aussprechen, die bereits helfen, studierende Flüchtlinge zu integrieren. Konkret geht es dabei um Initiativen wie Buddy-Projekte, Sprachkurse, Refugee Law Clinics oder gemeinsame soziale Aktivitäten. Sie alle leben mit ihrem Engagement die Universität als Ort der Integration vor. Beispielsweise hat ein Team Berliner Studenten eine Onlineuniversität ins Leben gerufen. Es ist großartig, zu sehen, wie viel Engagement und innovative Ideen entstehen. Die Überschrift des Grünenantrags lautet „Vielfalt stärkt Wissenschaft“. Dem ist ohne Wenn und Aber zuzustimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da können Sie doch zustimmen!) – Auch Sie können einmal einen guten Satz formulieren. – Doch der Satz stimmt auch, wenn man ihn umstellt. Momentan ist zu beobachten, dass die Wissenschaftscommunity die Willkommenskultur in unserem Land stärkt. Nirgendwo haben es die Hetzer von Pegida und Konsorten so schwer, einen Fuß in die Tür zu bekommen, wie an deutschen Universitäten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Das Ziel Ihres Antrages ist, Studienwege für Flüchtlinge zu eröffnen. Leider fehlen uns derzeit valide Zahlen über die Bildungshintergründe der Flüchtlinge. Es wäre zu wünschen, dass die Bundesagentur für Arbeit und das BAMF eine systematische Erfassung der Qualifikationen – am besten bereits in den Erstaufnahmeeinrichtungen – etablieren. So aber sind wir auf Schätzungen angewiesen. Wir gehen davon aus, dass allein im Jahr 2015 circa 30 000 bis 50 000 Personen dieser Gruppe für die Aufnahme eines Studiums qualifiziert sind oder erste Studienabschlüsse erzielt haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns über das Ziel ganz einig. Bildung ist der Schlüssel für gelungene Integration. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann stimmen Sie zu!) Es ist auch das Ziel der Bundesregierung, die Potenziale von Flüchtlingen früh zu erkennen. Auch sollten Hochschulen vermehrt digitale Medien nutzen, um Flüchtlingen mit Bleibeperspektive frühzeitig einen Zugang zu akademischer Bildung zu eröffnen. Die Tore der Hochschulen sollten für Flüchtlinge ganz im Sinne des Wortes aber auch im virtuellen Raum geöffnet werden. Wenn Bildung der Schlüssel zur Integration ist, dann ist das BMBF das entscheidende integrationspolitische Schlüsselministerium, und dieser Herausforderung wird das Haus auch gerecht. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch nicht! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was zu beweisen wäre!) Das Bundesministerium hat ein Maßnahmenpaket beschlossen, das Flüchtlingen den Hochschulzugang erleichtern soll. Um Sprachkenntnisse und die Studierfähigkeit früh festzustellen und zu fördern, werden zukünftig die Sprachtests mit Mitteln des Bundes in die Sprachen übersetzt, welche die Flüchtlinge vermehrt sprechen, wie etwa Arabisch und Dari. Erst im August hat das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf beschlossen, mit dem für Geduldete und Inhaber bestimmter humanitärer Aufenthaltstitel der Zeitraum, nach dem sie BAföG-berechtigt sind, von 4 Jahren auf 15 Monate verkürzt wird. Zur Beschleunigung des Studiums und Sicherung des Studienerfolgs plant das BMBF, Mittel für circa 2 400 zusätzliche Studienkollegplätze pro Jahr für Flüchtlinge bereitzustellen. Es ist deshalb sehr schade, lieber Herr Kollege, dass über diese Maßnahmen in Ihrem Text kein einziges Wort zu finden ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können Sie ja mit einem Änderungsantrag ergänzen! – Weiterer Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das nehmen wir gern mit auf!) Nicht zustimmungsfähig wird der Antrag aber durch ganz grundsätzliche Erwägungen. Die Verantwortung für Hochschulen liegt eben auch bei den Ländern. Im Antrag wird aber einseitig der Bund in die Pflicht genommen. Dabei wird unter anderem missachtet, dass der Bund im Bereich Hochschulbau – Hörsäle, Bibliotheken – keine Kompetenzen hat. Die Änderung des Artikel 91 b des Grundgesetzes bedeutet eben nicht, dass der Bund für jede defekte Regenrinne einspringen muss. Kollege Rossmann hat dies gestern im Ausschuss nochmals betont; vielleicht kann er auch Herrn Kollegen Heil dazu einen Vermerk schreiben. Auch die Anerkennung von Studienleistungen, die Frage von Studiengebühren sowie die Sicherung und Öffnung des Lehrangebots ist zunächst Aufgabe der Länder. Gleiches gilt für ein auskömmliches Studienplatzangebot. Hier unterstützt der Bund die Länder bereits jetzt im Hochschulpakt mit 20,2 Milliarden Euro. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommen ein paar Zehntausend mehr! Was machen Sie denn jetzt?) Auch beim BAföG sind die weiter gehenden Forderungen nicht zustimmungsfähig. Die notorische Forderung, das erfolgreiche Deutschlandstipendium abzuschaffen, ist und bleibt ein Ladenhüter. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Deutschlandstipendium bleibt ein Ladenhüter!) Diese grundsätzlichen Erwägungen sollen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es eben auch grundsätzliche Übereinstimmungen gibt. Es steht uns gut zu Gesicht, wenn wir alle die Willkommensagenda mitgestalten – auch und gerade in der Bildungspolitik. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das mal der CSU!) Es freut mich, zu sehen, dass auf allen Ebenen unseres Staatswesens getan wird, was möglich ist. Heute Abend haben sich die Spitzen der Großen Koalition auf weitere Maßnahmen geeinigt. Zwischen Kommunen, Ländern und Bund wird zunehmend Hand in Hand gearbeitet. Regierung und Opposition machen dies im produktiven politischen Wettbewerb. In nur wenigen Wochen ist einiges auf den Weg gebracht worden. Das sollte uns optimistisch stimmen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Ralph Lenkert, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ralph Lenkert (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, liebe Grüne, dass Sie mit Ihrem Antrag „Vielfalt stärkt Wissenschaft – Studienchancen für Flüchtlinge schaffen“ auf die aktuelle zugespitzte Situation hinweisen. Aber seien wir alle ehrlich: Seit Jahren gibt es Probleme in der Bildung und an Hochschulen und nicht erst, seit von Krieg und Hunger ausgelöste Flüchtlingsströme Europa erreichen. Bildungseinrichtungen sind seit Jahren unterfinanziert. Von Sassnitz bis Passau erleben Eltern sowie Schülerinnen und Schüler marode Schulgebäude, den Mangel an Lehrkräften und Schulsozialarbeitern. Gerade die Kinder sozial benachteiligter Familien leiden nach der Schule unter unfairen Zugangsbedingungen zu den Hochschulen. Viele können sich ein Studium schlicht nicht leisten, ganz zu schweigen von überfüllten Hochschulen, den schlechten Bedingungen im Wissenschaftssystem mit Kettenbefristungen, viel Arbeit und oft schlechter Bezahlung. All diese Probleme existieren seit Jahren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen gemeinsam verhindern, dass Benachteiligte und Flüchtlinge gegeneinander ausgespielt werden. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Wir müssen zusammenstehen gegen die Hetze der Scharfmacher bei AfD und Pegida, die nur Hass und Misstrauen säen, (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) neue Probleme schaffen und echte Lösungen verhindern. Gelingt es uns, die Probleme im Bildungswesen zu lösen und dabei die Flüchtlinge mitzudenken, dann graben wir den Hasspredigern das Wasser ab. In Thüringen fehlen nach 24 Jahren CDU-geführter Landesregierungen Hunderte Lehrerinnen und Lehrer. Über 500 Lehrer wird die rot-rot-grüne Landesregierung 2016 neu einstellen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Wir brauchten mehr Lehrkräfte; aber die eingeführte Schuldenbremse verhindert mehr Investitionen in Bildung. Die neue Landesregierung stockt den Haushalt der Hochschulen in Thüringen für die nächsten drei Jahre um 232 Millionen Euro gegenüber den letzten drei Jahren der CDU-geführten Regierung auf. Es könnte mehr sein; aber es geht nicht mehr auf Landesebene – wegen der Schuldenbremse. Die Linke im Bundestag hat daher bereits vor Wochen in einem Antrag Vorschläge zur Verbesserung im Bildungswesen gemacht: Erstens. Ein Bund-Länder-Programm für mehr Bildung, mehr Erzieherinnen, Lehrer und Hochschullehrerinnen und mehr Geld für Forschung und Hochschulen muss aufgelegt werden. (Beifall bei der LINKEN) Zweitens. Jeder, der die fachlichen Voraussetzungen hat und eine Ausbildung oder ein Studium will, muss dies beginnen können und das Recht haben, diese Ausbildung zu beenden. Drittens. Egal ob man aus Jena, Düsseldorf, Kobane oder Kabul stammt: Wer BAföG braucht, muss es erhalten, (Beifall der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) damit sich jeder Mensch unabhängig von Herkunft und Einkommen entwickeln kann. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bildung ist ein Menschenrecht und nicht verhandelbar. Bei Bildung kann und darf man nicht warten. Das Menschenrecht auf Bildung gilt für alle Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen – ohne Ausnahmen und ungeachtet ihres Aufenthaltsstatus. Wir alle stehen in der Verantwortung, Schulabgängern faire Zugangschancen und Finanzierungsmöglichkeiten für ein Studium zu sichern und später für alle Absolventen und Wissenschaftler gute Arbeitsbedingungen zu schaffen. Mit einer Millionärssteuer und einer Vermögensabgabe wäre das finanzierbar. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Jetzt kommen wir zu des Pudels Kern!) Dann könnten wir mehr für Bildung tun, für Einheimische und Zugezogene. Wir könnten den drohenden Fachkräftemangel beheben und die Probleme der Demografie lösen. Wenn wir die heutige Situation als Chance nutzen, dann profitieren wir in der Zukunft alle davon. Deshalb gilt: Wir brauchen keine Ausgrenzung. Wir brauchen mehr Bildung für alle Kinder und für alle jungen Erwachsenen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die SPD spricht jetzt der Kollege Dr. Karamba Diaby. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Karamba Diaby (SPD): Herr Präsident! Liebe Gäste! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Grünen greift ein hochaktuelles Thema auf, das uns dauerhaft beschäftigen wird. Es geht um die Bildungschancen der nach Deutschland geflüchteten jungen Menschen. Wir stimmen völlig darin überein, dass ein Ruck durch unsere Bildungslandschaft gehen muss. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir sind fest davon überzeugt, dass die Integration der Asylsuchenden eine historische Aufgabe ist. Jeder zehnte ist im Kitaalter. Jeder dritte ist im schulpflichtigen Alter. Hinzu kommen Tausende junger Menschen, die eine Ausbildung brauchen oder studieren könnten. Für diese Aufgabe muss unser Bildungssystem fitgemacht werden. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]) Gleichzeitig aber haben wir einen Flickenteppich in der Bildungslandschaft. Wir stellen fest: Jedes Bundesland, jede Hochschule geht anders mit der Integration von Asylsuchenden in das Bildungs- und Wissenschaftssystem um. Die SPD-Bundestagsfraktion setzt sich deshalb für eine nationale Bildungsallianz ein. (Beifall bei der SPD) Angesichts der großen Herausforderungen wird deutlich: Wir müssen über neue Formen der Zusammenarbeit auch im schulischen und frühkindlichen Bereich nachdenken. (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Sehr richtig!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, für den Bildungsbereich gilt: Wir brauchen einen umfassenden und ganzheitlichen Ansatz, von der Kita über die Hochschule bis hin zur Weiterbildung. Die einzelnen Bausteine müssen gut miteinander verknüpft werden. Diese Herausforderungen im Bildungs- und Wissenschaftsbereich können nur gemeinsam bewältigt werden. (Beifall bei der SPD) Um es mit den Worten unserer Kanzlerin zu sagen: Wir brauchen hier pragmatische Lösungen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heiterkeit bei der SPD) Dafür muss der Bund aber die Länder und Kommunen tatkräftig unterstützen dürfen, und zwar dauerhaft; denn die Integration Eingewanderter ist eine Daueraufgabe. Die Frage ist nun: Wo muss der Bund tätig werden? Erstens. Der Bund muss bei den Hochschulen tätig werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, hier sind wir durchaus bei Ihnen. Wir sind uns einig: Vielfalt ist eine Chance, besonders auch für unser Bildungssystem; denn Bildung und Wissenschaft brauchen den Austausch über Landesgrenzen hinweg. Nur ein internationales Bildungssystem ist modern, innovativ und dynamisch. Unsere Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind bereits heute Zentren der Internationalität und stehen seit langem für eine gelebte Willkommenskultur. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Viele Hochschulen nehmen angesichts der aktuellen Flüchtlingskrise eine Vorbildfunktion ein. Mein Bundesland Sachsen-Anhalt plant zum Beispiel, in Sprach- und Vorbereitungskursen bis zu 600 studieninteressierte Flüchtlinge zu qualifizieren. Dafür werden knapp 5 Millionen Euro für drei Jahre zur Verfügung gestellt. – Ich nenne auch das Engagement von Studierenden. Viele engagieren sich ehrenamtlich, zum Beispiel in der Rechtsberatung. Ganz konkret: In einem Projekt in meinem Wahlkreis, an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, engagieren sich Studierende im Praxisprojekt Migrationsrecht. Die Studierenden bearbeiten reale Fälle von Asylsuchenden in Zusammenarbeit mit Migrantenorganisationen, Beratungsstellen und Wohlfahrtsverbänden. Das ist nur eines von unzähligen Beispielen für das Engagement an Hochschulen für Geflüchtete. Wichtig ist auch: Der Bund wird die Hochschulen bei der Sprachförderung, der Studienberatung und der Feststellung der Zugangsberechtigung unterstützen. (Beifall bei der SPD) Hier bauen wir auf das Know-how des DAAD, der Alexander-von-Humboldt-Stiftung und anderer. Ich freue mich, dass die Verhandlungen mit diesen Organisationen bereits laufen. So stelle ich mir als Bildungspolitiker die Unterstützung durch den Bund vor. Ein zweiter Punkt betrifft das pädagogische Personal an den Einrichtungen. Wir brauchen mehr Erzieherinnen und Erzieher und mehr Lehrende. Allein in diesem Schuljahr wurden laut KMK 3 000 zusätzliche Lehrkräfte eingestellt. Der Gesamtbedarf beläuft sich nach Schätzungen aber auf 10 000 bis 20 000 Lehrkräfte. Hier ist eine Unterstützung der Länder durch den Bund nötig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Drittens, Stichwort „Ganztagsschulen“. Eine ganzheitliche Bildung ist die Voraussetzung, um später einen Beruf erlernen oder auch studieren zu können. Ganztagsschulen bieten dafür gute Rahmenbedingungen. Dort können Kinder und Jugendliche besser sprachlich gefördert werden, und sie haben gute Möglichkeiten, Interessen zu entwickeln und Talente auszubauen. Sie können sich ausprobieren. Beim ersten Ganztagsschulprogramm haben wir gesehen: Es geht. Zusammenarbeit kann funktionieren. Deshalb sagen wir: Ein zweites Programm zum Ausbau der Ganztagsschulen ist bitter nötig. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]) Viertens. In die Bildungseinrichtungen kommen viele durch Krieg und Flucht traumatisierte Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Der Bedarf an sozialpädagogischer und psychologischer Unterstützung ist stark gestiegen. Auch hier muss der Bund tätig werden dürfen. Wir brauchen zusätzliche Schulsozialarbeiter und Psychologen für Kitas, Schulen und Hochschulen. (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Integration durch Bildung kann gelingen. Deshalb begrüßt die SPD-Fraktion die Richtung des vorliegenden Antrags. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmen Sie zu, wenn es so weit ist!) Wir brauchen aber einen ganzheitlichen Bildungsansatz, der den gesamten Bildungsbereich umfasst. Für die SPD-Fraktion steht fest: Bund, Länder und Kommunen müssen dafür stärker zusammenarbeiten dürfen – und dauerhaft. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann lasst uns gemeinsam das Kooperationsverbot abschaffen! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmen Sie zu? Wunderbar!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Abschließende Rednerin in dieser Aussprache ist die Kollegin Dr. Claudia Lücking-Michel von der CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind uns heute Abend einig: Viele Flüchtlinge, die zu uns kommen, bringen große Potenziale mit und die Hoffnung, mit der sie vielleicht in ein Hochschulstudium starten möchten. Unsere Aufgabe ist es, für die nötigen Rahmenbedingungen zu sorgen sowie dafür, dass Integration durch Bildung möglich wird. Ministerin Wanka war eines der ersten Mitglieder der Bundesregierung, das mit konkreten Bildungsmaßnahmen und nicht nur mit leeren Worten darauf reagiert hat; darüber habe ich mich sehr gefreut. 130 Millionen Euro zusätzlich will das BMBF für Flüchtlinge investieren. Von diesem Geld soll durchaus ein Gutteil in den Hochschulbereich fließen. Einige der Vorschläge aus Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, finden sich schon lange in dem Maßnahmenpaket von Frau Wanka: die zügige Bestandsaufnahme der Studierfähigkeit, die unbürokratische Anerkennung von Hochschulzugangsberechtigungen und erst recht der Ausbau fachsprachlicher und propädeutischer Studienvorbereitung. Auch ich hatte mir vorgenommen, heute Abend besonders ausdrücklich und dankend das Engagement zu erwähnen, das bereits an ganz vielen Hochschulen erfolgt. Viele Beispiele haben wir gehört. Ich brauche sie nicht zu wiederholen, obwohl sie es wert wären. Ich will einmal ergänzend die Initiative der Universität Leipzig nennen, die geflüchtete Wissenschaftler in Kontakt mit deutschen Kollegen bringen will. Ein Beispiel aus meinem Wahlkreis, über das wir noch nichts gehört haben, ist die Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, die schon mittel- und langfristige Kooperationen mit örtlichen Unternehmen und Verbänden plant, um eine Art internationale Talentakademie aufzubauen. (Beifall bei der SPD) Wie gut, zu sehen, dass unsere Studierenden sich auch dann engagieren, wenn es dafür noch lange keine Credit Points gibt. Dennoch ist es natürlich sinnvoll, das ehrenamtliche Potenzial, das sich hier zeigt, zu unterstützen, zum Beispiel – auch ein Vorschlag aus dem BMBF – indem studentische Hilfskräfte für die Koordination des ehrenamtlichen Engagements bezahlt werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Bisher haben wir in dieser Debatte über den Wissenschaftsbetrieb bei uns im Land geredet. Das liegt auch nahe. Aber erlauben Sie mir, dass ich als Entwicklungspolitikerin zum Schluss auch noch einmal den Blick auf das lenke, was wir an Hilfe vor Ort leisten sollten. Jordanien, der Libanon, die Türkei und Marokko haben große Flüchtlingsgruppen aufgenommen. Sicher, satt und medizinisch versorgt, das sind die Basics. Aber dann kommt sehr schnell die Frage nach der Zukunft, und das heißt bei jungen Leuten: nach Bildung, gerade auch nach Hochschulbildung. Die jungen Menschen dort sollen doch auch Chancen auf ein qualitätsvolles Studium haben. (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Wie richtig!) Es gibt dafür beispielhafte Ansätze. Ich will einmal das Stipendienprogramm des BMZ für junge Syrer und Jordanier nennen. Noch mit kleinen Fallzahlen, aber immerhin: Studierende sollen ein Masterstipendium für ein Studium an einer der vier jordanischen Partnerhochschulen bekommen können. Das ist aus meiner Sicht noch ein Tropfen auf den heißen Stein; aber es ist ein guter Ansatz und ein Programm, das unbedingt ausbauwürdig ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dann müsste es weitergehen. Wir sollten Studienvorbereitungskurse auch vor Ort fördern, Stipendien für das Studium an Hochschulen in der Region vergeben. Ich denke auch an die Förderung von Ausgründungen deutscher Hochschulen durch das BMBF. Was ist mit der Türkisch-Deutschen Universität oder der Deutsch-Jordanischen Hochschule? Das sollten doch Partnerinstitutionen sein, an denen wir Flüchtlingen die Möglichkeit zur Aufnahme eines Studiums in ihrer Herkunftsregion geben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Insgesamt sehe ich die große Herausforderung, dass wir die Studierenden hier und dort nicht nur für die Aufgaben von heute und morgen, sondern auch für die Aufgaben von übermorgen befähigen müssen. Wo werden die Verantwortungsträger der Zukunft ausgebildet, wenn irgendwann – hoffentlich – der Krieg in Syrien zu Ende ist? Wer kann und will dann die Verantwortung für das Gemeinwesen dort übernehmen? Im Sinne eines Leadership-Programms braucht es heute Qualifikation und Ermutigung, damit die Menschen – wahrscheinlich erst übermorgen – verantwortlich die Zukunft in ihren Heimatländern gestalten können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir beide Perspektiven, die nationale und die internationale, in unserer Bildungspolitik berücksichtigen, dann, so glaube ich, werden wir einen ganz wesentlichen Teil zur Bewältigung der Integrationsaufgabe und der Flüchtlingsfrage leisten können. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/6345 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Damit verlassen wir den Tagesordnungspunkt 16 und kommen zum Tagesordnungspunkt 17, den ich hiermit aufrufe: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Zu den Überlegungen der Europäischen Kommission zur Schaffung einer Europäischen Einlagensicherung Drucksache 18/6548 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch für diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Da ich keinen Widerspruch höre, gehe ich davon aus, dass Sie alle damit einverstanden sind. Nachdem mittlerweile alle, die an dieser Aussprache teilnehmen wollen, ihre Sitzplätze eingenommen haben, eröffne ich die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Antje Tillmann für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Antje Tillmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die europäische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Finanzmarktregulierung war in den letzten Jahren äußerst erfolgreich. So konnten wir uns im Juni 2012 darauf einigen, eine Bankenunion mit gemeinsamer Aufsicht und gemeinsamen Krisenmechanismen zu gründen. Begonnen hat dieser Prozess mit dem Stresstest. Die EZB hat die 130 größten Banken in der Euro-Zone einem Stresstest unterzogen, der Kapitallücken bei 25 Banken aufgedeckt hat. Dieses Kapital haben die Banken inzwischen aufgebracht. Seit November 2014 stehen diese Großbanken unter der Aufsicht der EZB. Bankenschieflagen sollen so in Zukunft durch frühzeitiges Eingreifen verhindert werden. Sollte trotzdem eine Bank in Bedrängnis geraten, haben wir sichergestellt, dass der europäische Steuerzahler in Zukunft weitestgehend als Retter außen vor bleibt. Banken und Aufsicht erstellen außerdem Sanierungs- und Abwicklungspläne für den Ernstfall. Wir haben auch dem Prinzip „Wer die Chancen hat, hat auch die Risiken zu tragen“ wieder zur Geltung verholfen. Statt auf den Steuerzahler zurückzugreifen, haften in Zukunft die Eigentümer und Gläubiger selbst vorrangig für Sanierung und Abwicklung. Für den Fall, dass die Mittel der Eigentümer und Gläubiger für eine Sanierung oder Abwicklung nicht reichen, gibt es den Abwicklungsfonds, der von den Banken selbst mit 55 Milliarden Euro gefüllt werden muss. Erst als letzter müsste der jeweilige Staat einspringen, in dem die Bank ihren Sitz hat. Danach haben wir im letzten Jahr beschlossen, die nationalen Einlagensicherungssysteme in Europa zu harmonisieren. Alle Banken müssen einem nationalen Einlagensicherungssystem angehören, das mit einem Mindestvermögen von 0,8 Prozent der gedeckten Einlagen ausgestattet sein muss. Hierdurch werden auf nationaler Ebene Sicherheiten für europäische Sparer geschaffen. Im Fall des Zusammenbruchs einer Bank kann die Auszahlung des Guthabens auch über Landesgrenzen hinweg bis 100 000 Euro sicher und zügig erfolgen. Wir haben die Auszahlungsfristen verringert und haben für Sondersituationen, zum Beispiel bei einer Abfindung oder einer Veräußerung des privaten Hauses, die gesicherte Summe sogar auf 500 000 Euro erhöht. Also: Bei den rechtlichen Grundlagen sind wir auf dem Weg zu mehr Sicherheit auf den Finanzmärkten einen guten Schritt weitergekommen. Wir haben gute gesetzliche Regelungen geschaffen. Aber bei der Umsetzung konnten nicht alle in Europa Schritt halten. In Deutschland sind wir auf einem guten Weg. Wir waren Vorreiter bei der Umsetzung der Abwicklungsrichtlinie; auch bei der Umsetzung der Einlagensicherungsrichtlinie waren wir ganz vorne dabei. Viele andere EU-Staaten haben diese Richtlinien bisher aber noch nicht umgesetzt. Nach den letzten Informationen haben bisher 17 Staaten die Abwicklungsrichtlinie umgesetzt, obwohl die Frist eigentlich schon Ende 2014 auslief. Auch die Einlagensicherungsrichtlinie wurde trotz Fristendes im Juli 2015 erst von rund der Hälfte der betroffenen Länder umgesetzt. Mit der Umsetzung und Implementierung in nationales Recht an sich ist es aber noch nicht getan. Tatsächlich müssen die damit einhergehenden Pflichten erfüllt werden. Erst 2016 sind die ersten Einzahlungen in den Abwicklungsfonds vorgesehen. Für die vollständige Umsetzung der Einlagensicherungsrichtlinie haben die Banken sogar bis zum Jahr 2024 Zeit. Erst dann müssen die geforderten Mittel in Höhe von 0,8 Prozent der gedeckten Einlagen im System hinterlegt sein. Nötig ist daneben auch noch, die Risiken zu verringern, die von Staaten auf Banken ausgehen und umgekehrt. Deshalb wollen wir als Nächstes die regulatorische Behandlung von Staatsanleihen überprüfen. Vor dem Hintergrund, dass viele der Maßnahmen noch gar nicht mit Leben erfüllt sind, kommt der Vorschlag der fünf Präsidenten, eine europäische Einlagensicherung in Form einer Rückversicherung zu installieren, zur Unzeit. Wir sollten erst einmal abarbeiten, was wir beschlossen haben. Wir sollten erst einmal das mit Leben erfüllen und wirken lassen, was wir bisher gemeinsam verabredet haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) In der Reihenfolge der noch abzuarbeitenden Aufgaben müssen Sorgfalt und Vorsicht vor Geschwindigkeit gehen. Lassen Sie uns gemeinsam mit aller Kraft das System der Einlagensicherung, das wir schon geschaffen haben, mit Leben erfüllen und erst dann, wenn die nationalen Systeme funktionieren, über weitere Schritte diskutieren. Wir fordern Sie heute mit diesem Antrag auf, nichts Neues zu implementieren, bevor die Instrumente in den anderen Bereichen funktionieren. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Dr. Axel Troost, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir begrüßen sehr, dass sich die Regierungskoalition mit dem Thema europäische Einlagensicherung beschäftigt. Die Stoßrichtung des Antrags sehen wir aber kritisch. Uns verbindet in jedem Fall das gemeinsame Interesse, die Sparkassen und Genossenschaftsbanken nicht in ein europäisches Einlagensicherungssystem zu zwingen, das im Zweifelsfall mit Spareinlagen riskant operierende Großbanken im europäischen Ausland retten würde; denn das zentrale Kriterium eines jeden Einlagensicherungssystems muss sein, dass Banken mit seriösem Geschäftsmodell nicht für die Einlagen bei Zockerbanken geradestehen müssen, egal ob im Inland oder im Ausland. (Beifall bei der LINKEN) Aber wenn Sparkassen und Genossenschaftsbanken tatsächlich aus einer europäischen Einlagensicherung ausgenommen würden, dann spräche doch nichts grundsätzlich dagegen, dass Banken mit ähnlichen Geschäftsmodellen und Risikoprofilen in eine einheitliche europäische Einlagensicherung einbezogen würden, und zwar sinnigerweise, wie eben auch vorgesehen, in ein System von Rückversicherungen zwischen nationalen Einlagensystemen. Mit Ihrem Antrag stellen Sie sich aber nicht nur schützend vor die Sparkassen und Genossenschaftsbanken, sondern vor alle deutschen Kreditinstitute, nach dem Motto „Kein deutsches Geld zur Sicherung von Einlagen irgendwo anders“. (Manfred Zöllmer [SPD]: Wir diskriminieren eben nicht!) Aber was spricht denn prinzipiell dagegen, dass auch mit Einzahlungen einer deutschen Commerzbank oder HypoVereinsbank ein Einlagensicherungssystem gespeist wird, das notfalls auch Sparer und Sparerinnen einer französischen BNP Paribas oder der UniCredit, also der italienischen Mutter der HypoVereinsbank, entschädigt? Sie sollten diesbezüglich auch folgende Überlegung anstellen: Auch den deutschen Privatbanken geht es keineswegs so blendend, dass sie sich erlauben könnten, abschätzig auf Großbanken in anderen Ländern zu schauen. Gerade die Deutsche Bank – wir alle wissen das sehr genau – kommt kaum hinterher, ihre Bußgelder zu begleichen und ihre Schadensersatzverpflichtungen zu erfüllen. Wer sagt also, dass automatisch Gelder aus Deutschland ins europäische Ausland abfließen würden? Vielleicht kommt es ja auch andersherum. Sie als Koalitionäre und die Bundesregierung werden nicht müde, immer wieder zu betonen, dass Sie die notwendigen Schlussfolgerungen aus der Finanzkrise gezogen haben, dass Sie auf europäischer Ebene die Bankenregulierung ausreichend verschärft und die Risiken entschlossen bekämpft haben. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Ja!) Wenn man Ihnen glaubt, so werden europäische Steuerzahlerinnen und Steuerzahler nie wieder für die Verluste gieriger oder verantwortungsloser Banker haften müssen. Wir als Linke sind bekanntlich sehr viel skeptischer, wie weit die Finanzmarktreformen der vergangenen Jahre der Gefahr einer neuen großen Finanzkrise wirksam vorgebeugt haben. Die aktuelle Krise ist keineswegs vorbei, und die nächste Krise kommt bestimmt, und die wird sicher anders aussehen als die derzeitige. Es wäre aus unserer Sicht deswegen durchaus sinnvoll, schon jetzt wirksame Maßnahmen zu diskutieren und Einrichtungen zur Einlagensicherung möglichst breit aufzustellen und nicht selbstgefällig zu glauben, die nächsten Bankenzusammenbrüche und Entschädigungsfälle in Europa würden immer nur weit entfernt von Frankfurt passieren. Bei allen Bedenken, dass andere Länder noch nicht so weit sind: Ich glaube, dass man die Gespräche schon jetzt aufnehmen muss. Wenn andere Sicherungssysteme stehen, dann muss selbstverständlich sehr schnell eine europäische Lösung angestrebt und auch umgesetzt werden. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Das Wort hat als Nächster der Kollege Manfred Zöllmer für die SPD. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Manfred Zöllmer (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die europäische Bankenunion hat konkrete Gestalt angenommen. Die Politik hat die richtigen Schlussfolgerungen aus der Krise gezogen, wir haben verstanden und geliefert. Noch ist nicht alles rosig; so müsste die Zusammenarbeit der nationalen Behörden mit der EZB nach wie vor verbessert werden. Aber insgesamt funktioniert es. Wir sind einen guten Schritt nach vorne gekommen. Mit dem Abwicklungsmechanismusgesetz haben wir in Deutschland die Umsetzung der Bankenabwicklungsrichtlinie vorgenommen. Damit wollen wir verhindern, dass in Zukunft Steuerzahlerinnen und Steuerzahler noch einmal für die Zockereien der Banken zahlen müssen. Mit dem Einlagensicherungsgesetz haben wir in Deutschland die europäische Einlagensicherungsrichtlinie in Kraft gesetzt. Damit werden in Europa einheitliche Regeln für Anforderungen und finanzielle Ausstattung von Einlagensicherungssystemen geschaffen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Vertrauen ist die Grundlage für die Funktionsfähigkeit und die Stabilität des Bankensystems. Wir haben vor kurzem in Griechenland erlebt, was passiert, wenn es kein Vertrauen in die Stabilität des Bankensystems gibt. In Deutschland gibt es neben dem gesetzlichen Einlagensicherungssystem der privaten und öffentlichen Banken die Institutssicherungssysteme der Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Deutschland hat seine Hausaufgaben erfolgreich gemacht. Ich glaube, darauf können wir auch ein bisschen stolz sein. Wir sind in dieser Frage gut aufgestellt. Wir waren sehr überrascht, als im Bericht der fünf Präsidenten das Stichwort „Errichtung einer europäischen Einlagensicherung“ auftauchte. Ja, es gibt in Europa Probleme mit der Einlagensicherung; denn eine Reihe europäischer Staaten hat die europäischen Vorgaben bisher noch nicht in nationales Recht umgesetzt. Im Bereich der Abwicklungs- und Einlagensicherungsrichtlinien gibt es teilweise noch erhebliche Umsetzungsdefizite. Diese Defizite sind ein Stabilitätsrisiko. Deshalb wundern wir uns darüber, dass die Kommission nicht die Umsetzung nationaler Gesetzgebung kontrolliert und einfordert – dies wäre eigentlich ihre Aufgabe –, sondern ein neues, vergemeinschaftetes System schaffen will. Wir sagen deshalb: Erst müssen die nationalen Hausaufgaben gemacht werden. Das, was beschlossen ist, muss wirksam umgesetzt werden, bevor man über weiter gehende Schritte entscheidet. Zuerst müssen die nationalen Einlagensicherungssysteme funktionsfähig sein; dann kann man über weiter gehende Schritte verhandeln. Nun gibt es in der öffentlichen Diskussion ja einige Vorschläge – Herr Juncker hat sich da hervorgetan –: Man wolle ja nur ein Rückversicherungssystem schaffen. Doch was ist ein solches System anderes als eine Vergemeinschaftung der Einlagensicherung? Dann gab es in der Diskussion den Hinweis, Sparkassen und Genossenschaftsbanken sollen aber außen vor bleiben. Wir fragen uns: Wie soll das eigentlich rechtlich sauber aussehen, wo will man die Trennlinie ziehen, und was bedeutet das für die privaten Banken? Es gibt viele Fragen und bisher kaum Antworten. Deshalb wollen wir mit unserem Antrag deutlich machen: Wir wehren uns nicht gegen eine sinnvolle Weiterentwicklung der Bankenunion. Sie kann aber nur Schritt für Schritt erfolgen. Erst muss das, was in Europa zur Einlagensicherung beschlossen wurde, auch überall national umgesetzt werden. Wir wollen Europa stärken. Das geht aber nicht mit unausgegorenen Vorschlägen, nach denen der deutsche Sparer für Fehlentwicklungen in anderen Ländern in Haftung genommen werden soll. Die Bankenunion ist nach wie vor eine Baustelle. Es ist dringend notwendig, ein vernünftiges Trennbankengesetz in Europa zu etablieren und Maßnahmen zu ergreifen, um die staatlichen Risiken von den Bankenrisiken zu trennen. Es gibt noch viel zu tun, aber man muss die richtige Reihenfolge beachten. Wir bitten deshalb um Zustimmung zu unserem Antrag. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Dr. Gerhard Schick, Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht heute um die Frage: Was passiert eigentlich, wenn das Einlagensystem eines Mitgliedstaates nicht ausreicht, weil die Bankenpleite zu groß ist, als dass das Einlagensicherungssystem das tragen könnte? Dann gibt es die Möglichkeit, dass der Nationalstaat einspringt, der Steuerzahler. Wir haben in Deutschland erlebt, dass eine Einlagensicherung im Bereich der Privatbanken nicht ausgereicht hat und der Steuerzahler einspringen musste. Oder gibt es eine Alternative dazu, die von den Banken selber finanziert ist? Wenn man es ernst meint – was häufig gesagt wird –, dass man die Risiken von Bankenpleiten trennen will, sodass eine Bankenpleite nicht auf den Steuerzahler durchschlägt und umgekehrt das Risiko einer drohenden Staatspleite nicht Unsicherheiten im Bankensektor schafft, dann muss man dafür sorgen, dass bei Problemen bei einer Einlagensicherung eben gerade nicht das Budget des Nationalstaates herangezogen wird, sondern es ein anderes Absicherungssystem gibt. Deswegen finden wir es im Grunde richtig, dass man an einer europäischen Einlagensicherung arbeitet, um das System insgesamt stabiler zu machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Da sind wir auch überhaupt nicht allein. Das ist die zentrale Forderung von sehr vielen Institutionen und kundigen Menschen. Der Internationale Währungsfonds fordert uns dazu auf, die Bankenunion zu vervollständigen, die dritte Säule, die Einlagensicherung, zu schaffen. Die fünf Präsidenten, darunter der Christdemokrat Juncker und der Sozialdemokrat Schulz, sagen: Wir brauchen jetzt ein europäisches Einlagensicherungssystem. – Sie haben recht. Es ist interessant, dass Sie Ihren Parteifreunden da nicht folgen wollen, sondern jetzt erst einmal ein Nein in die Debatte werfen. Es gibt einen Punkt, den wir uns in Deutschland wirklich anschauen müssen. Wir haben nämlich ein anderes System als manche anderen Mitgliedstaaten: Mit der Institutssicherung der Sparkassen und Volksbanken haben wir jeweils eigene Systeme. Wir wollen auch nicht, dass sie zu einem Nachteil für die Institute werden; denn gerade die kleineren Banken wollen wir nicht über Gebühr belasten. Merkwürdig ist aber, dass Herr Zöllmer jetzt sagt: Unausgegorene Vorschläge, wir sind dagegen. – Entschuldigung, die Kommission hat ihren Vorschlag noch gar nicht gemacht, und Sie sagen schon Nein dazu? Nicht der Vorschlag ist unausgegoren, sondern Ihre Kritik richtet sich gegen etwas, was Sie noch gar nicht kennen. Das ist nicht überzeugend. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das Zweite ist, dass Sie damit argumentieren, dass die Sparer in Deutschland bei Bankenpleiten in anderen Ländern nicht in Anspruch genommen werden sollten. Jetzt einmal Vorsicht: Wir haben bei der Abwicklung von Banken festgelegt, dass die Einlagen geschützt sind; im Fachterminus Depositor Preference. Das heißt, das Einlagensicherungssystem ist gerade nicht dafür da, Bankengläubiger insgesamt zu schonen, sondern Eigentümer und Anleihegläubiger müssen als Erstes herangezogen werden. Die Einlagensicherung wird im Wesentlichen dazu dienen, dass die Sparer nicht lange warten müssen und nur eine Liquiditätsrolle einnehmen. Deswegen ist der Vorwurf, den Sie gemacht haben, auch da nicht richtig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir meinen, dass das, über das jetzt in Europa diskutiert wird, auf jeden Fall eine ernste Betrachtung verdient. Denn jetzt soll ja gerade nicht als Erstes ein großer gemeinsamer europäischer Topf geschaffen werden, sondern das System der Rückversicherung besagt: Wir haben nationale Systeme, und nur wenn diese nicht ausreichen, greift ein Rückversicherungssystem. Das kennen wir aus der Privatwirtschaft. Das kann zusätzliche Stabilität schaffen. Es lohnt deswegen, diesen Vorschlag der Kommission konstruktiv aufzugreifen, unsere deutschen Besonderheiten einzubringen und jetzt nicht sofort Nein in Richtung Brüssel und Straßburg zu sagen. Mit der Subsidiaritätsrüge sind Sie bei dem Thema Einlagensicherung schon einmal gescheitert; damit waren Sie nicht erfolgreich. Wir meinen, daraus sollte man lernen und sich konstruktiv in die Debatte einbringen, um die Euro-Zone insgesamt stabiler zu machen. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Alexander Radwan. (Beifall bei der CDU/CSU) Alexander Radwan (CDU/CSU): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Uns liegt heute ein Antrag zu einem zu erwartenden Entwurf zum Thema Einlagensicherung vor; das wurde bereits richtig dargestellt. Das Thema Bankenunion wurde schon beschrieben. Wir sind dort mit den Abwicklungsmechanismen auf dem Weg und haben mit den Einlagensicherungssystemen gute Fortschritte gemacht. Aber wir haben eine ganze Reihe von Gründen, warum wir diesen Vorschlag in der Form jetzt ablehnen. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welchen Vorschlag noch einmal genau?) – Hören Sie zu, Herr Schick, dann werden Sie es möglicherweise verstehen. Die Europäische Kommission geht sehr oft in Vorlage, um ein Thema zu setzen und etwas Bestimmtes zu erreichen. – Herr Schick, Sie haben doch gerade dazwischengerufen. Nun lassen Sie mich Ihnen doch antworten. – Die Kommission geht also in Vorlage. Sie sagen schon jetzt: Wir wollen den entsprechenden Vorschlag prüfen. – Wir sagen mit unserem Antrag: Es ist zu früh dafür. Jetzt ist nicht die Zeit, über dieses Thema zu diskutieren. – Ich habe bis jetzt keinen Vorschlag der Europäischen Kommission erlebt, der einfach in einer Schublade verschwunden ist. Das, was Jean-Claude Juncker jetzt gemacht hat, indem er die Sparkassen und Genossenschaftsbanken herausgenommen hat, Herr Dr. Troost, ist süßes Gift; denn er möchte das System der Einlagensicherung jetzt europäisieren. Er will einen Fonds. Ihre Argumentation – ich habe dafür sehr viel Sympathie – greift aus europäischer Sicht aber nicht. Wir waren gerade heute mit einigen Kollegen bei den privaten Banken. Relativ schnell wird in der Diskussion gefragt werden: Was haben wir denn für ein Geschäftsmodell? Der BdB hat als Mitglieder mehr kleine Banken als große Banken. Relativ schnell wird die Diskussion kommen: Wieso nehmen wir die einen heraus und die anderen nicht? – Das ist europäische Politik. Diese Tür wollen Sie, Herr Schick, jetzt aufstoßen, ohne dass die Risiken in Europa vergleichbar sind, ohne dass die anderen Staaten entsprechende Systeme implementiert haben und eine entsprechende Risikovergleichbarkeit haben. Die Kommission geht hier den dritten Schritt vor dem ersten Schritt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wenn Sie jetzt sagen: „Wir machen eine Rückversicherung in diesem Bereich“, wenn sie jetzt sagen: „Der Anreiz ist, dass die, die es umgesetzt haben, zukünftig auch daran teilnehmen können“, dann sage ich: Die Aufgabe der Kommission ist es, europäisches Recht durchzusetzen – ohne irgendeine Bonuszahlung. Ansonsten machen wir zukünftig irgendwelche Fonds auf und belohnen die Staaten, die umsetzen. Das ist nicht das europäische Rechtssystem, wie wir es uns vorstellen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir machen heute – das halte ich für ausgesprochen gut – im Vorfeld eines europäischen Vorschlages, über den noch auf europäischer Ebene zwischen den Institutionen diskutiert wird, eine Meinungsbildung des Deutschen Bundestages. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: So ist es!) Für mich ist entscheidend: Wenn wir es ernst meinen, in diesem Bereich nationale Politik mitzugestalten, sollten wir nicht warten, wie es einige Redner gefordert haben, bis die Vorschläge vorliegen, bis möglicherweise die parlamentarische Beratung war. Wenn wir dann in der Umsetzung der Richtlinien sind, dann kommt das große Aufheulen, und dann sagen wir: Jetzt war es zu spät. – Wir müssen unsere Interessen rechtzeitig einbringen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Manfred Zöllmer [SPD]) Darum bleiben wir dabei: Hier wird der dritte Schritt vor dem ersten gemacht. Wir erwarten von der Kommission, jetzt dafür zu sorgen, dass diese Richtlinie in den Mitgliedstaaten umgesetzt wird, dass wir eine Risikovergleichbarkeit bekommen. Hier gibt es wichtige Punkte, zum Beispiel bei den Staatsanleihen, wo wir sagen: Wir müssen das entsprechend handhaben. Meine Damen und Herren, wenn ich vonseiten der Kommission höre – das ist nur ein Beispiel für die Vergleichbarkeit in Europa –, dass es bei der Umsetzung des Bail-in – auf nationaler Ebene war uns ja sehr wichtig, dass der Bail-in aufgenommen wird; das war in unserem Interesse – in anderen Staaten durchaus Interpretationsverschiedenheiten gibt und andere Länder nicht so strikte Regelungen treffen wie wir, dann muss ich sagen: Dieser Schritt ist eindeutig zu früh. Wir müssen eine Vergleichbarkeit der Regelungen, der Regulierung, der Aufsicht und des Verständnisses von europäischen Normen herstellen, bevor wir darangehen, all dies zu europäisieren. Abschließend noch – auch da hatten wir eine triftige Diskussion –: Wenn wir so weit kämen, uns darauf zu einigen, was die Rechtsgrundlage eines solchen Fonds ist, kann ich nur sagen: Da bin ich bei Wolfgang Schäuble, der beim Abwicklungsmechanismus das intergouvernementale Element betont hat und ihn nicht als Sache des europäischen Rechts angesehen hat. Wir sollten, gerade wenn es um diese Gelder geht, alles daransetzen, dass wir als Deutscher Bundestag auf europäischer Ebene unsere Rechte wahren. Das machen wir mit dem heutigen Beschluss. Wir werden dem Antrag zustimmen. Besten Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Zum Abschluss dieser Aussprache hat der Kollege Christian Petry für die SPD das Wort. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Christian Petry (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eines freut mich an der heutigen Debatte: dass letztlich von keiner Seite infrage gestellt wird, dass wir zur Verwirklichung der Bankenunion und im Hinblick auf die dritte Säule am Ende auch ein europäisches Einlagensicherungssystem brauchen. Ich glaube, das Signal, das dieses Parlament an Europa senden muss, ist, dass dies für die Einleger ein ganz wichtiger Punkt ist. Im Zentrum unserer Überlegungen stehen auch nicht die Banken. Im Zentrum steht der Schutz der Einleger, also der Sparer, die ihre Vermögen gesichert haben wollen, die, wie Manfred Zöllmer eben gesagt hat, nicht unter der Zockerei der Banken leiden sollen. Eines, Herr Troost, muss ich allerdings sagen: Die Banken sind nicht per se das Reich des Bösen. Es gibt Missstände. Aber insgesamt gesehen erfüllen sie volkswirtschaftlich eine wichtige Funktion in unserem Land. Wirtschaftliche Tätigkeit wäre ohne Banken so natürlich nicht möglich. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Vor allen Dingen die Sparkassen und Genossenschaftsbanken!) Wir haben hier ein Einlagensicherungssystem geschaffen. Dieses schützt unsere Einleger – die Beträge sind genannt worden –; das ist ein ganz wichtiger Punkt. Im Bericht der fünf Präsidenten wird nun das Ansinnen formuliert, dass wir ein europäisches System brauchen. Dem Grunde nach dürfen sich die Präsidenten darüber auslassen und sagen: Wir brauchen dies. – Die Vorschläge werden noch kommen, und wir werden sie uns natürlich genau ansehen. Die Rückversicherungen sind genannt worden. Es stellt sich die Frage: Ist das ein geeignetes System? Wir haben allerdings auch die Situation – das wurde genannt –, dass die Abwicklungsrichtlinie in 12 Mitgliedstaaten und die Einlagensicherungsrichtlinie in 14 Staaten noch nicht umgesetzt ist. Da, Herr Radwan, gebe ich Ihnen vollkommen recht: Natürlich müssen diese Staaten die Richtlinien zunächst einmal umsetzen, damit in Europa insgesamt gesehen Vergleichbarkeit und Sicherheit gewährleistet sind. Dann – oder auch parallel dazu – müssen wir, denke ich, darüber diskutieren, wie wir die dritte Säule verwirklichen; denn das wollten wir ja. Wir wollen, dass wir einen stabilen europäischen Finanzsektor haben, der Sicherheit für die Einleger, die Sparer und alle Bürgerinnen und Bürger gewährleistet. Ich glaube, das wirklich wichtige Signal am heutigen Abend ist, dass die Menschen Vertrauen in Europa haben. Wie wichtig Vertrauen in Europa ist – auch auf ganz anderen Feldern, über die wir tagtäglich in sehr dramatischer Weise diskutieren –, brauche ich hier, glaube ich, nicht näher zu erläutern. Im Finanzsektor ist dies möglich, indem wir sagen: Im Moment ist noch nicht die Zeit dafür, ernsthaft und mit Blick auf die Umsetzung darüber zu diskutieren. – Wenn entsprechende Vorschläge kommen – wir erwarten sie mit Spannung –, werden wir sie natürlich diskutieren. Und: Niemand wird uns daran hindern, auch eigene Vorschläge zu machen, Alternativvorschläge, die unsere Interessen, etwa die der Volksbanken und der Sparkassen, zum Ausdruck bringen. Wir sind aufgefordert, dies auch zu tun. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Und das frühzeitig!) Ich glaube, das ist ein wichtiges Signal. Die finale Säule der Bankenunion wird Gestalt annehmen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist in Europa allerdings noch einiges an Hausaufgaben zu machen. Danach werden wir gründlich diskutieren und eventuell Vorschläge aufnehmen und eigene Vorschläge machen, die unseren spezifischen Interessen Rechnung tragen. Die Stärkung des Vertrauens in den Bankensektor ist ein wichtiges Signal für die Bürger. Der Anleger und nicht die Bank steht im Mittelpunkt. Das muss unser Ziel sein. In diesem Sinne: Glück auf! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/6548 mit dem Titel „Zu den Überlegungen der Europäischen Kommission zur Schaffung einer Europäischen Einlagensicherung“. Wer für diesen Antrag stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dieser Antrag ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Bevölkerungsstatistiken verbessern – Zivile Registrierungssysteme stärken Drucksache 18/6549 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss Die Reden dazu sollen zu Protokoll gegeben werden. Erhebt sich dagegen Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Sie sind also damit einverstanden.6 Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/6549 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Auch dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Ich sehe Ihr Einverständnis, und die Überweisung ist damit so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. Juni 2015 zur Gründung der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank Drucksachen 18/6163, 18/6448 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Drucksache 18/6568 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6577 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache ebenfalls 25 Minuten vorgesehen. – Da sich kein Widerspruch erhebt, gehe ich davon aus, dass Sie damit einverstanden sind und dass das so beschlossen ist. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Dr. Philipp Murmann für die CDU/CSU das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wollen heute den Gesetzentwurf zu dem Übereinkommen zur Gründung der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank – kurz: AIIB – verabschieden. – Über den Namen werde ich noch das eine oder andere Mal stolpern, wofür ich schon jetzt um Entschuldigung bitte. Meine Fraktion unterstützt jedenfalls ausdrücklich, dass die Bundesregierung die Gespräche dazu schon frühzeitig aufgenommen und am 29. Juni dieses Jahres das Übereinkommen unterschrieben hat, um als Gründungsmitglied von Anfang an bei dieser Bank dabei zu sein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Mit der Gründung der AIIB entsteht neben der traditionellen Weltbank und der Asian Development Bank nun eine weitere multinationale Entwicklungsbank, bei der Deutschland ein Mitglied ist. Es ist aber eine ganz besondere Bank; denn auch die Veränderungen in der Weltwirtschaft spiegeln sich in dieser Bank wider. China drängt als besonders starke Wirtschaftsmacht in Asien natürlich darauf, auch eine prägende Kraft im Bereich der Entwicklungsbanken zu sein. Nachdem es bei der Neuordnung der Weltbank nicht zu einer Einigung gekommen ist, haben sich die Chinesen entschieden, diesen Weg der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank zu gehen, und ich denke, es ist wichtig, dass wir mit dabei sind. Das ist auch eine Chance, die Chinesen auf diese Weise in die internationale Finanzarchitektur einzubinden. Ich denke, die AIIB ist eine gute Chance. Deswegen unterstützen wir die Gründung dieser Bank ausdrücklich. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Auch geostrategisch ist das für uns Deutsche sicherlich interessant; denn neben China sind auch Russland und Indien prägende Mitglieder dieser Bank, die gemeinsam mit den regionalen Partnern, die ja immerhin 20 Prozent an dieser Bank halten, die Projekte abstimmen und natürlich auch Standards erheben und durchsetzen, auf die ich nachher noch kurz zu sprechen kommen möchte. Auch diesen Ansatz unterstützen wir ausdrücklich. Deutschland hat immerhin knapp 4,5 Prozent an dieser Bank. Wir müssen dafür 900 Millionen Dollar Eigenkapital einlegen. Wir danken dem Haushaltsausschuss ganz besonders, dass er diese Mittel bereitstellt, davon die ersten 360 Millionen schon im Haushaltsjahr 2016 und weitere je 180 Millionen 2017, 2018 und 2019. Was ich nicht ganz verstehe: Die Linke will sich enthalten, wenn ich es richtig gelesen habe. Im Haushaltsausschuss haben die Linken allerdings dagegengestimmt und wollten das Geld nicht bereitstellen. Das ist natürlich äußerst enttäuschend, muss ich sagen. (Christian Petry [SPD]: Es gibt noch Unterschiede!) Es wird auf Dauer spannend sein, ob sich in einer späteren Phase auch die Amerikaner an dieser Bank beteiligen werden; denn ein Element dieser neuen Bank ist, dass zusätzlicher Wettbewerb entsteht. Wettbewerb, glaube ich, belebt auch hier das Geschäft, und es ist für die internationale Finanzstruktur sicherlich gut, hier einen weiteren Spieler zu haben. Im Gouverneursrat der Bank, der auch das operative Direktorium bestimmt, werden wir mit einem direkten und einem stellvertretenden Sitz vertreten sein. Natürlich wäre es erstrebenswert – und wir können die Bundesregierung nur dazu ermuntern –, auch einen Sitz im Direktorium selbst zu halten, das mit zwölf Plätzen sehr knapp bemessen ist. Da wir nur zu den kleineren 20 Prozent gehören, ist natürlich noch nicht ausgemacht, wer am Ende diese Rolle spielt. Aber dort Einfluss zu nehmen, wäre sicherlich auch für uns wichtig. Ziel der AIIB ist es, die in Asien dringend benötigte Finanzierung von Infrastruktur voranzutreiben und damit auch eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung in die Region zu bringen. Die Art dieser Investitionstätigkeit hat den großen Vorteil, dass dadurch auch zusätzliches privates Kapital mobilisiert werden kann. Das wiederum ist auch eine gute Chance für unsere KfW oder auch andere Banken, sich an diesen Projekten zu beteiligen und dann auch deutsche Anbieter in diese Projekte einzubinden. Auch das finden wir gut und unterstützen es außerordentlich. Die AIIB soll sich insbesondere auf große Infrastrukturprojekte konzentrieren. Das können Kraftwerke sein, Flughäfen, Bildungsinfrastruktur, Krankenhäuser, und ganz besonders – das ist in Asien wichtig – in ländlichen Räumen, weil diese in Asien häufig unter einer besonderen Strukturschwäche leiden. Ich kann da aus eigener Erfahrung berichten, da ich drei Jahre in Malaysia gelebt habe. Malaysia ist schon seit Mitte der 90er-Jahre ein sehr aufstrebendes Land und hat auch davon profitiert, dass frühzeitig in die Infrastruktur investiert wurde. Es war nicht nur ein erfolgreicher Rohstofflieferant und ist es noch heute, sondern ist inzwischen auch eine wichtige Handelsnation geworden. Viele deutsche Unternehmen haben Malaysia als Produktionsstandort entdeckt. Insofern haben sich diese Investitionen auch ausgezahlt. Nun leidet Malaysia wie viele andere Länder in der Region unter den niedrigen Rohstoffpreisen, auch unter der Wachstumsschwäche Chinas. Insofern ist es jetzt besonders wichtig, die staatlichen Möglichkeiten zur Infrastrukturfinanzierung auch durch eine Asian Infrastructure Investment Bank zu unterstützen. Auch das, glaube ich, ist eine wichtige Rolle der AIIB. Ich möchte ein weiteres Beispiel nennen: Indonesien, das drittgrößte Land dieser Welt, wird in den kommenden fünf Jahren ungefähr 450 Milliarden Dollar Kapital zur Finanzierung von Infrastrukturprojekten benötigen. Einen solchen Bedarf kann keine Entwicklungsbank alleine stemmen. Dafür brauchen wir eine Symbiose der Banken. Die Asian Infrastructure Investment Bank, die Weltbank und auch die Asian Development Bank müssen solche Projekte gemeinsam stemmen. Deswegen finde ich es auch gut, dass der designierte Präsident der AIIB, Herr Jin Liqun, gesagt hat, dass die ersten Projekte bereits zwischen der Asian Development Bank, der Weltbank und der AIIB in der Diskussion sind, um sie gemeinsam zu finanzieren. Dieses Vorgehen ist doch eine gute Absicht. Ich finde, das muss uns auch motivieren, dafür zu kämpfen, dass die Standards nicht nur verbessert, sondern eben auch eingehalten werden; denn wenn wir solche Projekte gemeinsam finanzieren, ist natürlich die Wahrscheinlichkeit hoch, dass dabei gemeinsame Standards gesetzt und die dann auch eingehalten werden. Drei Punkte möchte ich noch kurz nennen. Erstens. Die Statuten sind natürlich noch nicht final beschlossen. Wir haben das auch im Finanzausschuss diskutiert und uns deswegen entschieden, einen besonderen Passus aufzunehmen und der Regierung mit auf den Weg zu geben. Darin fordern wir sie auf, möglichst hohe Standards einzufordern, mindestens Weltbankniveau. Das gilt für die Umwelt-, Sozial-, Arbeits-, Menschenrechts- und auch Governance-Standards. Das gilt aber auch für die Etablierung eines effizienten Monitoringsystems. Das gilt für die Standards in Bezug auf die Rechenschaftspflicht und Transparenz der AIIB. Und das gilt auch für einen unabhängigen Beschwerdemechanismus. Natürlich erwarten wir auch, dass wir als Deutscher Bundestag nach Beitritt zur Asian Infrastructure Investment Bank den jeweiligen Jahresbericht umgehend zur Kenntnis übermittelt bekommen, lieber Herr Staatssekretär. Zweitens. Diese Bank – auch das ist mir wichtig – ist natürlich für die deutsche Wirtschaft eine große Chance. Ich möchte da ein kurzes Beispiel nennen. In Asien haben wir das überragende Phänomen der Landflucht. Viele Menschen streben in die großen Städte. Dafür ist es eben besonders wichtig, öffentliche Infrastruktur bereitzustellen, auch im ländlichen Raum. Für die deutschen Unternehmen sehe ich da großes Potenzial. Sie sind häufig schon vor Ort präsent. Sie können Projekte planen. Sie können Projekte auch umsetzen. Überhaupt haben unsere Unternehmen den großen Vorteil, dass sie nicht nur in der Lage sind, Produkte zu entwickeln, sondern dass sie diese Produkte auch weltweit vermarkten können. Insofern bietet auch hier die AIIB ein großes Potenzial. Drittens: die allgemeine Rolle von Entwicklungsbanken. Gerade wir in Deutschland wissen: Wir würden ohne die Unterstützung der Weltbank und der Alliierten damals nach dem Zweiten Weltkrieg heute nicht dastehen, wo wir stehen. Schon der Name der KfW spricht eine deutliche Sprache: Kreditanstalt für Wiederaufbau. Genau diese Rolle der Entwicklungsbanken ist eben auch für Asien besonders wichtig. Lassen Sie mich zum Schluss noch eine etwas kühne These wagen. Wir erleben im Moment eine Völkerbewegung, die vielleicht noch größer ist als die nach dem Zweiten Weltkrieg. Viele Menschen verlassen ihre Länder, nachdem die demokratischen Bewegungen in vielen Ländern Afrikas gescheitert sind. Sie machen sich nun auf den Weg zu Frieden und Wohlstand und kommen nicht nur nach Europa. Auch in Asien gibt es solche Bewegungen. Deswegen die These: Die Finanzierung von Infrastruktur vor Ort kann auch in solchen Ländern helfen, diese Völkerbewegungen einzudämmen und die Flucht zu begrenzen. Deswegen hoffe ich – das vielleicht als kleine Hypothese –, dass wir in einem Jahr oder zwei Jahren über eine MEIIB sprechen, einer Middle East Infrastructure Investment Bank, die dazu beiträgt, Infrastruktur in diesen Ländern wieder aufzubauen und den Menschen dort eine Bleibeperspektive zu geben. Jetzt komme ich aber wieder zu unserer Bank. Ich möchte Sie herzlich bitten, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen, und danke Ihnen für die intensiven und guten Beratungen der letzten Tage. Mein Dank geht auch an die Bundesregierung. Wir wünschen ihr viel Erfolg bei den weiteren Verhandlungen über diese Bank. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Dr. Axel Troost für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Beitritt zur Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank, auf Deutsch ganz einfach AIIB, bedeutet weit mehr, als künftig Projekte in Asien finanziell abzusichern. Es geht auch um einen Paradigmenwechsel. Die AIIB ist eine klare Konkurrenzeinrichtung zur Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds und der Asiatischen Entwicklungsbank. Diese Organisationen haben sich in weiten Teilen der Welt einen verheerenden Ruf verschafft. Vielfach kamen ihre Finanzhilfen nicht der lokalen Bevölkerung zugute, sondern Konzernen und Eliten. Die Existenz der AIIB ist dem Versagen geschuldet, dass diese Institutionen, insbesondere die Weltbank, nicht reformierbar waren, nicht in Bezug auf die Stimmrechte von Entwicklungs- und Schwellenländern, aber auch nicht wegen der leitenden wirtschaftlichen Prinzipien. Anders als die westlich geprägten Institutionen wird die AIIB nicht den freien Markt ins Zentrum von Kreditauflagen stellen. Sie wird nicht, wie bisher üblich, vorschreiben, Märkte zu deregulieren, Schutzzölle abzubauen und öffentliche Unternehmen oder Infrastruktur zu privatisieren. Damit verabschiedet sich die internationale Finanzarchitektur ein weiteres Stück vom Neoliberalismus. Die Bundesregierung ist bereit, das notgedrungen mitzumachen, und das ist eine gute Botschaft. Dadurch wird aber die AIIB nicht automatisch rundum ein positives Projekt. Wir dürfen deswegen nicht zulassen, dass Projekte der AIIB zu Ausbeutung, Vertreibung oder Umweltzerstörung führen. Das muss in der Kreditvergabepraxis festgehalten werden. Wie wir aus leidvollen Erfahrungen mit der Weltbank wissen, müssen die entsprechenden Standards dann natürlich auch laufend überwacht und durchgesetzt werden. Das lässt sich nicht durch Heraushalten erreichen, sondern nur durch Einmischen. Nur durch eine eigene, aktive Teilnahme können die Praktiken der neuen Bank beeinflusst werden. Wir wissen, dass es aus den Reihen der Zivilgesellschaft noch massive Vorbehalte gegen die im Augenblick verhandelten Kreditvergabeprinzipien der AIIB gibt. Vor diesem Hintergrund finden wir es ausgesprochen positiv, dass der Finanzausschuss gestern mit einer von allen Fraktionen getragenen Resolution bekräftigt hat, dass die Kriterien der AIIB mindestens denen der Weltbank entsprechen müssen. Über diese Prinzipien hinaus steht in der Resolution, dass die Finanzierung von fossilen Kraftwerken und auch von Atomkraftwerken nicht durchgeführt werden soll. Vor diesem Hintergrund stehen wir dem Beitritt Deutschlands wesentlich positiver gegenüber, als dies noch vorher der Fall war. Wir geben aber trotzdem keinen Freibrief; denn das ganze Verfahren – anders als in anderen europäischen Ländern, wo ein solcher Beitritt durch öffentliche Anhörungen und auch parlamentarische Zielvorgaben begleitet worden wäre – hat es hier nicht gegeben. Uns stimmt auch misstrauisch, dass nur auf Drängen der Opposition überhaupt eine nennenswerte Befassung mit diesem Gesetzentwurf stattgefunden hat. Uns stimmt weiterhin misstrauisch, dass das Entwicklungsministerium mit seinen Expertisen zu sozial und ökologisch nachhaltigen Projekten vom Finanzministerium in diesem Projekt weitestgehend marginalisiert wird. Insofern: Es kann noch vieles besser werden. Wir werden uns insgesamt enthalten, weil wir glauben, dass nach wie vor nicht gesichert ist, dass das, was in der Resolution festgehalten ist, dann auch wirklich umgesetzt wird. Aber zumindest ist die Bundesregierung jetzt aufgefordert, in den Verhandlungen vernünftige Prinzipien durchzusetzen. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als Nächster spricht der Kollege Manfred Zöllmer für die SPD. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Manfred Zöllmer (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum soll es eigentlich eine weitere multilaterale Finanzinstitution geben? Die Initiative zur Gründung dieser Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank – Sie sehen, Herr Kollege, es geht auf Deutsch relativ unfallfrei – geht von China aus. Die Chinesen haben beim Internationalen Währungsfonds, also beim IWF, und bei der Weltbank keine angemessene Vertretung in den Gremien dieser Institutionen, jedenfalls keine angemessene Vertretung bezogen auf ihre Wirtschaftskraft. Der Westen dominiert diese Institutionen. Den IWF leitet stets ein Europäer, die Weltbank ein US-Amerikaner. Es hat nun viele Vorschläge gegeben, diese Institutionen zu verändern und auf die Kritik der aufstrebenden Schwellenländer einzugehen, die mehr Vertretung haben wollen. Eine Stimmrechtsreform der Institutionen ist bereits vor einiger Zeit beschlossen worden. Sie wird aber nach wie vor vom US-Kongress blockiert. Dann gab es die Reaktion der Chinesen, die im Aufbau alternativer Systeme besteht. Der wichtigste Teil dieses alternativen Systems ist der Aufbau der AIIB mit einem Kapital von 100 Milliarden Dollar. Damit – und das begrüßen wir – wird China ein wichtiger Partner in der globalen Finanzarchitektur. Nächste Frage: Warum sollte sich Deutschland an der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank beteiligen? Es steht außer Zweifel, dass es in Asien den Bedarf an Investitionen in die Infrastruktur gibt. Der Kollege Murmann hat eben ein paar gute Beispiele genannt. Dieser wird durch die vorhandenen internationalen Organisationen wie die Weltbank aber nur teilweise gedeckt. Der Förderschwerpunkt der neuen Bank liegt auf öffentlichen und privaten Investitionen in den Bereichen Energie, Verkehr, Telekommunikation, ländliche Infrastruktur, Stadtentwicklung und Logistik. Der asiatische Raum ist der am schnellsten wachsende Wirtschaftsraum der Welt. Für die deutsche Wirtschaft ergeben sich daraus interessante und lukrative Beteiligungsmöglichkeiten. Wir unterstützen deshalb den Vorschlag der Bundesregierung einer deutschen Beteiligung an der AIIB von 4,5 Prozent. Neben Deutschland wollen sich vier weitere europäische Länder beteiligen. Größter Anteilseigner wird China mit knapp 30 Prozent. Insgesamt haben bisher über 30 Staaten ihre Bereitschaft signalisiert, sich an dieser multinationalen Finanzinstitution zu beteiligen. Sie soll ihre Arbeit mit Beginn des neuen Jahres aufnehmen. Die Verhandlungen über ein entsprechendes Statut sollen bis dahin abgeschlossen sein. Derzeit verhandeln die Beitrittskandidaten in mehreren Verhandlungsrunden unter anderem über Umwelt-, Sozial-, Menschenrechts- und Governance-Standards. Wir fordern deshalb, dass sich Deutschland in den Verhandlungen für höchstmögliche Standards einsetzt. Bei den Beratungen im Finanzausschuss haben sich die Fraktionen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen – und die Linken haben sich dem angeschlossen – auf eine gemeinsame Protokollerklärung verständigt. Darin fordern wir die Bundesregierung unter anderem auf, bei den weiteren Verhandlungen über die Standards hohe Umwelt-, Sozial-, Menschenrechts- und Governance-Standards wie mindestens die der Weltbank einzufordern. Dazu zählt auch der Ausschluss von Investitionen in Atom- und Kohlekraftwerke. Wir fordern auch entsprechende Rechenschafts- und Transparenzpflichten. Der Kampf gegen Korruption ist dabei besonders wichtig. Wir werden allerdings nur dann eine Chance haben, diese Forderungen in den Verhandlungen durchzusetzen, wenn Deutschland vollumfängliches Mitglied wird. Nur dann können wir in den Verhandlungen entsprechend auftreten. Wir lehnen deshalb die Forderungen einzelner NGOs ab, den Gesetzgebungsprozess aufzuschieben, bis die Verhandlungen abgeschlossen sind. Die Realisierung einer solchen Forderung würde den Einfluss Deutschlands auf den Verhandlungsprozess minimieren. Das wäre insgesamt kontraproduktiv. Sehr schön, dass auch die Fraktion Die Linke im Finanzausschuss dem Gesetzentwurf zugestimmt hat. Im Haushaltsausschuss habt ihr euch enthalten. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben dagegengestimmt! – Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dagegen waren wir!) Hier wollt ihr euch auch enthalten. Wie nennt man das, wenn man gleichzeitig nach links und nach rechts abbiegen und dabei auf der mittleren Spur bleiben will? Das ist ein bisschen chaotisch. Der Eindruck, den die Opposition hinterlässt, ist im Moment etwas schwierig. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Jetzt haben wir die mittlere Spur!) Das gilt für die Opposition insgesamt, also auch für das Verhalten der Bündnisgrünen. Denn schließlich ist die Erklärung mit den Bündnisgrünen abgestimmt worden. Wenn man zuerst eine solche Erklärung mitträgt, ist es ein bisschen schwierig, wenn man sich dann enthält. Ich denke, auch als Opposition muss man in der Lage sein, Verantwortung zu übernehmen. Wer sich erst beteiligt und dann doch dagegenstimmt, macht sich letztendlich politisch überflüssig. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir erwarten nun, dass die Verhandlungen zeitgemäße Umwelt- und Sozialstandards sowie Transparenz und Rechenschaftslegung sicherstellen. Diese Bank soll letztendlich Projekte durchführen, die Armut bekämpfen, und damit besonders den Ländern dienen, die weniger entwickelt sind. Herr Kollege Murmann, dann halte ich Ihre Hypothese, dass wir die Menschen vor Ort halten können, für gar nicht so falsch. Deswegen bitten wir, dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zuzustimmen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Zum Ende dieser Debatte spricht der Kollege Dr. Thomas Gambke für Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ohne große Medienöffentlichkeit hat die Bundesregierung im Sommer entschieden, der AIIB beizutreten. Es ist eines der wichtigsten Projekte in dieser Region. Immerhin bis zu 8 Billion Dollars sollen in die Infrastruktur fließen. Im Interesse der Bekämpfung der Armut, im Interesse einer guten Entwicklung dieser Region und im Interesse der Entschärfung regionaler Konflikte – Stichwort „Südchinesisches Meer“ – ist ein stärkeres Engagement Deutschlands in dieser Region unbedingt notwendig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Manfred Zöllmer [SPD] – Dr. Philipp Murmann [CDU/CSU]: Dann könnt ihr ja zustimmen!) Ich füge hinzu: Das liegt auch im Interesse von uns Bürgern. Denn unser Wohlstand beruht eben auf einer starken Exportindustrie. Diese wird gerade im Bereich der umwelt- und ressourcenschonenden Produktionen und insbesondere auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien eine wichtige Rolle übernehmen. Bei jedem Gespräch, das ich als Vorsitzender der ASEANParlamentariergruppe führe, treffe ich auf Vertreter nicht nur der Regierungen, sondern auch gesellschaftlicher Gruppen, der Opposition und der Zivilgesellschaft vor Ort. In jedem dieser Gespräche werde ich zu einem stärkeren Engagement Deutschlands in dieser Region aufgefordert. Ich nenne nur ein paar Stichworte: Die ASEAN-Staaten umfassen 600 Millionen Menschen und ein Bruttosozialprodukt von 2,1 Billionen Dollar. Das ist deutlich größer als das von Indien, das bei 1,8 Billionen Dollar liegt und wo 1,2 Milliarden Menschen leben. Nachdem China die AIIB-Gründung vorangetrieben hat, sind gerade auf Betreiben der ASEAN-Länder, also der Länder von Myanmar bis Indonesien, nichtasiatische Länder aufgefordert worden, sich zu beteiligen. Die Rolle, die uns zukommt, ist relativ einfach. Man will erstens, dass China nicht eine zu dominierende Rolle bekommt, und man will zweitens die Standards berücksichtigen, die wir unter anderem in der Weltbank haben. In den erwähnten Gesprächen, die ich mit Vertretern nicht nur der Regierung, sondern auch der Opposition und der Zivilgesellschaft vor Ort geführt habe, wird eine stärkere Rolle Deutschlands eingefordert. Dabei wird leider – das muss ich feststellen – die Rolle Europas als weniger bedeutend bewertet. Ich persönlich sehe das anders. Aus meiner Sicht sollte Europa gerade bei den Governance-Strukturen – das bedeutet schlicht Korruptionsbekämpfung, eine wichtige Aufgabe – mit einer Stimme sprechen. Ich bedauere sehr, dass es keine abgestimmte Vorgehensweise Europas gibt. Einzelne Länder, insbesondere England, aber auch die schwache europäische Präsenz vor Ort lassen uns Europäer nicht als starke Verhandlungspartner erscheinen. Umso wichtiger ist es, dass Deutschland Verantwortung übernimmt und sich viel stärker einbringt, als das bisher geschehen ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gemessen an der Geschwindigkeit, mit der die Gründung der AIIB vorangetrieben wurde, ist die Setzung ökologischer, sozialer und menschenrechtlicher Standards bisher nur unzureichend erfolgt. Umso erfreulicher ist – mein ausdrücklicher Dank geht an alle Fraktionen, die sich der Resolution im Finanzausschuss angeschlossen haben –, dass wir einstimmig den Beschluss gefasst haben, darauf zu achten, dass die Weltbankstandards nicht unterlaufen, sondern zumindest erreicht und bei der Kreditvergabe zugrunde gelegt werden. Und ich darf als Grüner sagen: Ganz besonders hat mich gefreut, dass wir einstimmig gesagt haben, dass keine Finanzierung von Atomkraftwerken und Kohlekraftwerken stattfinden soll. Es darf kein Race to the Bottom, kein Unterbieten der Standards, geben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Meine Fraktion und ich wollen ausdrücklich die Beteiligung Deutschlands; die ist richtig. Wenn wir uns der Stimme enthalten, dann wollen wir ein Zeichen setzen, dass Deutschland zu wenig präsent ist, dass man sich zu wenig einsetzt. Nur dann, wenn wir unser Engagement verstärken, wird das gelingen, was wir wollen und was wir gestern im Finanzausschuss entschieden haben, nämlich dass ökologische, soziale und menschenrechtliche Standards eingehalten werden. Nur wer sich mit der Kapazität und Kompetenz, die er hat, einbringt, kann das tun. Präsident Obama war zweimal in Myanmar, die Kanzlerin noch kein einziges Mal. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein wichtiger und entscheidender Schritt. Ich glaube, er wird viel zu wenig beachtet, auch in unserem Parlament. (Manfred Zöllmer [SPD]: Nein! – Carsten Schneider (Erfurt) [SPD]: Nein!) Ich hoffe, dass sich das ändert. In diesem Sinne hoffe ich, dass wir eine positive Entwicklung dieser Bank feststellen können. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. Juni 2015 zur Gründung der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank. Dazu liegt mir eine Erklärung zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.7 Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6568, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/6163 und 18/6448 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Enthaltungen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit angenommen mit den Stimmen der CDU/CSU und der SPD bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit einer Ausnahme, weil der Kollege Nouripour zugestimmt hat. Wir kommen nun zu einer Reihe von Abstimmungen über Gesetzentwürfe. Ich darf deshalb um entsprechende Aufmerksamkeit bitten. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2016 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 2016) Drucksache 18/6159 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Drucksache 18/6574 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Da ich keinen Widerspruch sehe, gehe ich davon aus, dass Sie alle einverstanden sind.8 Deshalb kommen wir sofort zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6574, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/6159 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gibt es jemanden, der dagegenstimmen will? – Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Der Gesetzentwurf ist damit einstimmig angenommen. Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 21: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Auswahl und zum Anschluss von Telekommunikationsendgeräten Drucksache 18/6280 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Drucksache 18/6575 Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben werden. – Widerspruch sehe ich keinen. Dann gehe ich davon aus, dass Sie alle damit einverstanden sind.9 Deshalb kommen wir zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6575, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/6280 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ein Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Wir kommen jetzt zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? – Gibt es jemanden, der sich enthalten möchte? – Das ist nicht der Fall. Der Gesetzentwurf ist damit einstimmig angenommen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 22 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb Drucksache 18/4535 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/6571 Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben werden. – Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.10 Deshalb kommen wir sofort zur Abstimmung. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6571, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/4535 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Damit kommen wir zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Zollverwaltung Drucksachen 18/5294, 18/5770 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Drucksache 18/6569 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6578 Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.11 Wir kommen unmittelbar zur Abstimmung. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6569, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/5294 und 18/5770 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen jetzt zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 24 auf: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Besoldungsänderungsgesetzes (7. BesÄndG) Drucksache 18/6156 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/6583 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6584 Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe nur Einverständnis. Dann verfahren wir so.12 Wir kommen unmittelbar zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6583, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/6156 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Damit kommen wir zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer möchte sich enthalten? – Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 25 a und 25 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaftsgesetzes Drucksache 18/6487 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Tourismus b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Planungen für die Gründung einer Bundesfernstraßengesellschaft sofort einstellen Drucksache 18/6547 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Haushaltsausschuss Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden. – Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann verfahren wir so.13 Interfraktionell wird, weil es eine erste Lesung ist, die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/6487 und 18/6547 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung angekommen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 6. November 2015, 9 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend. Kommen Sie morgen gesund und ausgeruht wieder! Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 21.32 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Beck (Bremen), Marieluise BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 05.11.2015 Bluhm, Heidrun DIE LINKE 05.11.2015 Bülow, Marco SPD 05.11.2015 Feiler, Uwe CDU/CSU 05.11.2015 Ferlemann, Enak CDU/CSU 05.11.2015 Glöckner, Angelika SPD 05.11.2015 Jung, Andreas CDU/CSU 05.11.2015 Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 05.11.2015 Kolbe, Daniela SPD 05.11.2015 Linnemann, Dr. Carsten CDU/CSU 05.11.2015 Murmann, Dr. Philipp CDU/CSU 05.11.2015 Petzold (Havelland), Harald DIE LINKE 05.11.2015 Rosemann, Dr. Martin SPD 05.11.2015 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 05.11.2015 Wagenknecht, Dr. Sahra DIE LINKE 05.11.2015 Wagner, Doris BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 05.11.2015 Wicklein, Andrea SPD 05.11.2015 Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO der Abgeordneten Heike Baehrens (SPD) und Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland (Hospiz- und Palliativgesetz – HPG) (Tagesordnungspunkt 3 a) Heike Baehrens (SPD) Mit dem heute verabschiedeten HPG wird die Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland entscheidend weiterentwickelt. Ich begrüße, dass die Palliativversorgung ein ausdrücklicher Bestandteil der Regelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung wird und die Krankenkassen verpflichtet werden, die Patienten bei der Auswahl von Angeboten der Palliativ- und Hospizversorgung individuell zu beraten. Sowohl die Verbesserungen in der ambulanten Versorgung als auch die Stärkung der stationären Hospize sowie der Hospiz- und Palliativversorgung in den Krankenhäusern ist ein wichtiger Schritt, und daher stimme ich dem Hospiz- und Palliativgesetz zu. Während der Gesetzentwurf die Rahmenbedingungen für Hospiz- und Palliativversorgung in stationären Hospizen und Krankenhäusern verbessert, werden stationäre Pflegeeinrichtungen nur unzureichend berücksichtigt. Zwar wird Sterbebegleitung, die dem hospiz-palliativen Versorgungsbedarf Rechnung trägt – Gesetzesbegründung –, Bestandteil des Versorgungsauftrages der gesetzlichen Pflegeversicherung. Eine verbindliche Regelung zur Finanzierung dieser Leistungsverpflichtung wird jedoch nicht verankert. Die Anforderungen an eine würdevolle pflegerische Versorgung und Begleitung sind aufgrund der sich ändernden Bewohnerstruktur und der immer kürzeren Verweildauern in den Pflegeheimen seit Einführung der Pflegeversicherung sehr gestiegen. Die Menschen in den Heimen wurden älter, multimorbider und ihre Pflege- und Behandlungsbedarfe immer komplexer. Obwohl der Bedarf an medizinischer Behandlungspflege und Sterbebegleitung enorm zugenommen hat, blieben die Personalschlüssel in der stationären Pflege auf dem Niveau von Anfang der 90er-Jahre und die Fachkraftquote noch immer bei lediglich 50 Prozent Mit meiner persönlichen Erklärung möchte ich darauf aufmerksam machen, dass es nach deutlichen Verbesserungen in der ambulanten Versorgung und für stationäre Hospize nun überfällig ist, auch den Bereich der stationären Pflege strukturell zu stärken und die Krankenkassen zu verpflichten, die hospizliche und palliative Versorgung auch in der stationären Pflege auskömmlich zu finanzieren. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich stimme zu, dass der Gesetzentwurf ein Fortschritt ist. Dies reicht aber immer noch nicht aus, soll ambulante Palliativversorgung für Patienten und ihre oftmals ja auch betagten Angehörigen praktikabel sein. Deshalb wäre es richtig, in § 37 b SGB V mindestens klar zu regeln, dass alle notwendigen (fach-)ärztlichen, pflegerischen und sonstigen (Apotheke, Pflegehilfsmittel) Leistungen aus einer Hand erbracht werden müssen. § 37 b SGB V Absatz 1 Satz 3 sollte lauten: „Die spezialisierte ambulante Palliativversorgung umfasst ärztliche und pflegerische Leistungen sowie die Versorgung durch Apotheken und mit Pflegehilfsmitteln einschließlich ihrer Koordination insbesondere zur Schmerztherapie, Symptomkontrolle und notwendigen fachärztlichen Interventionen und zielt darauf ab, die Betreuung der Versicherten nach Satz 1 in der vertrauten Umgebung des häuslichen oder familiären Bereichs zu ermöglichen. Hierzu zählen beispielweise Einrichtungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen und der Kinder- und Jugendhilfe.“ Die jetzige Reform geht in die richtige Richtung. Eine weitergehende Regelung im § 37 b SGB V brächte aber mehr Rechtssicherheit für die Versorgung von Patienten. Hierzu muss aber das Gesundheitsministerium auch noch Mut haben, den Leistungserbringern verbindliche Vorgaben zu machen, von denen sie eben nicht nach unten abweichen dürfen. Dies muss im Rahmen der Evaluierung erneut diskutiert werden. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sabine Dittmar (SPD) zu der Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Strukturen der Krankenhausversorgung (Krankenhausstrukturgesetz – KHSG) (Tagesordnungspunkt 9 a) Das Krankenhausstrukturgesetz enthält viele wichtige Regelungen, um die Betriebs- und Behandlungskosten zu stabilisieren, die hohe Qualität im stationären Sektor weiter zu verbessern und echte strukturelle Veränderungen einzuleiten. Insgesamt ist das Gesetz sehr zu begrüßen. Als zuständige Berichterstatterin für die ambulante Versorgung habe ich mit Blick auf den Änderungsantrag 22 zu Artikel 6 Nummer 4 a neu (§ 87 b SGB V) „Notdienst- und Notfallvergütung im Honorarverteilungsmaßstab“ allerdings große Sorge, dass es zu einem unkontrollierbaren Mittelabfluss aus der MGV kommen kann mit negativen Auswirkungen für das Honorar der grundversorgenden Haus- und Fachärzte in der Regelversorgung. Ich möchte dies näher begründen: Es ist richtig, dass die Krankenhausambulanzen zunehmend sowohl in sprechstundenfreier als auch innerhalb der Sprechstundenzeit Fälle behandeln, die eindeutig dem ambulanten Sektor zuzuordnen sind. Die Gründe hierfür sind sicher vielfältig: vergrößerte Bereitschaftsdienstbereiche der KVen, Selbsteinweiser, die aus forensischen oder Marketinggründen von den Krankenhausambulanzen nicht abgewiesen werden, generell mangelnde Möglichkeiten der Patientensteuerung, aber auch der allzu schnelle Verweis einiger KV-Ärzte auf die Krankenhausambulanz. Das KHSG nimmt sich dieser Problematik in Änderungsanträgen an. So ist es richtig, dass wir die Forderung aus dem VSG zu mehr Kooperation zwischen KV-Ärzten und Krankenhäusern im Notdienst in Form von Portalpraxen im KHSG konkretisieren. Denn selbstverständlich muss in manchen Fällen im Notdienst auch die diagnostische und therapeutische Kompetenz der Krankenhausambulanz genutzt werden. Dieses Leistungsspektrum muss zweifelsohne entsprechend und rentierlich honoriert werden. Dies soll künftig durch eine nach Schweregrad differenzierte Notfall-EBM für den ambulanten und stationären Bereich geschehen. Das ist durchaus eine Lösung, um die unterschiedliche Kostenstruktur der krankenhausspezifischen, fachspezifischen und allgemeinen Notfälle besser abzubilden. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die Mehrzahl der höher bewerteten Leistungen in der KH-Ambulanz anfallen und so deutlich mehr Honorar aus der vertragsärztlichen Vergütung in den stationären Bereich fließt. Dieses Honorarplus wird komplett aus der Morbiditätsorientierten Gesamtvergütung der Vertragsärzte gezahlt und nicht extrabudgetär geregelt. Ich betone nochmals, dass Leistungen auch entsprechend ihrem Umfang vergütet werden müssen. Durch die vorgesehene Neuregelung der Notfall- und Notdienstvergütung sind die Auswirkungen auf das Regelhonorar der Haus- und Fachärzte und hier vor allem der Grundversorger allerdings nicht kalkulierbar. Die ganzen Maßnahmen, die wir zur Stärkung der grundversorgenden Medizin im Versorgungsstärkungsgesetz getroffen haben, werden damit ein Stück weit ad absurdum geführt. Zudem kritisiere ich die Regelungen zur Aufhebung der Mengenbegrenzung, die eine Vielzahl von Interpretationen zulassen. In der Vergangenheit wurden ambulante Notfallbehandlungen zur sprechstundenfreien Zeit immer ohne Mengenbegrenzung und Abzug sowohl den Vertragsärzten als auch dem KH honoriert. Die Notfallleistungen, die innerhalb der Sprechstundenzeiten anfielen, wurden bei den Vertragsärzten in der Regel über das Regelleistungsvolumen (RLV) vergütet, im Krankenhaus wurden sie quotiert. Die offene Formulierung im ÄA 22 „Für Leistungen im Notfall und Notdienst dürfen im Verteilungsmaßstab keine Maßnahmen zur Begrenzung oder Minderung des Honorars angewandt werden“ lässt verschiedene Interpretationen zu. Nachdem der Notfall sowohl in der sprechstundenfreien Zeit als auch innerhalb der Sprechstundenzeit auftreten kann, ist für mich völlig unklar, wie zukünftig die Vergütung im Bereich der KV-Praxen und der KH-Ambulanzen geregelt wird. Sollte der Notfall innerhalb der Sprechstundenzeit sowohl in der KH-Ambulanz als auch in der KV-Praxis unbegrenzt vergütet werden, ist zu befürchten, dass dies nicht absehbare negative Auswirkungen auf die Mengenentwicklung und den verbleibenden Honorartopf haben wird. Sollte es so sein, dass die Behandlung des Notfalls innerhalb der Sprechstundenzeit durch die KV-Praxis weiterhin im Rahmen des RLV bzw. EBM zu vergüten ist und gleichzeitig die Behandlung innerhalb der Sprechstundenzeit in der KH-Ambulanz mit den höheren Notfall-EBM ohne Abzüge bezahlt wird, führt dies zu einer eklatanten Ungleichbehandlung der Sektoren. Das würde die Prämisse „ambulant vor stationär“ vollkommen konterkarieren. Auch wenn in zwei Jahren eine Evaluation stattfindet und ich dem Gesetz zur Reform der Strukturen der Krankenhausversorgung zustimme, möchte ich in dieser persönlichen Erklärung meine Bedenken bezüglich der geplanten Änderungen bei der Notdienst- und Notfallvergütung zum Ausdruck bringen. Trotz Ablehnung des ÄA 22 werde ich dem KHSG zustimmen, da es insgesamt zu sehr deutlichen Verbesserungen führt. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. Juni 2015 zur Gründung der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank (Tagesordnungspunkt 19) Die Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB) wird voraussichtlich eine prägende Rolle in der internationalen Zusammenarbeit des 21. Jahrhunderts spielen. Ob sie eine sinnvolle Ergänzung zur Weltbank oder eine geostrategische Konkurrenzstruktur Chinas zu den USA darstellen wird, hängt maßgeblich davon ab, ob sich europäische Staaten an ihr beteiligen. Nur ein engagierter Beitrag der Mitgliedstaaten der AIIB wird dazu führen, dass die von ihr finanzierten Projekte ökologische und soziale und vor allem menschenrechtliche Standards einhalten sowie die Zivilgesellschaft an Projekten beteiligt. Meine Fraktion und ich bemängeln, dass zum Zeitpunkt der angestrebten Abstimmung im Deutschen Bundestag über die Beteiligung der Bundesrepublik an der AIIB die genauen Standards der AIIB den Mitgliedern des Deutschen Bundestages noch nicht vorliegen. Wir fordern die Bundesregierung auf, erstens bei den weiteren Verhandlungen über die Standards der AIIB mindestens auf die Einhaltung der bestehenden umwelt-, sozial- und menschenrechtlichen Schutzklauseln und Investitionsstandards der Weltbank zu bestehen, darunter beispielsweise auch den Ausschluss von Investitionen in Atom- und Kohlekraftwerke, zweitens darauf zu bestehen, dass ein permanentes, unabhängiges und effizientes Monitoring-Instrument etabliert wird, das die Grundlage für die zukünftige Verbesserung der Standards verbindlich liefert, drittens sich bei den weiteren Verhandlungen über die Standards der AIIB für die bei anderen internationalen Finanzinstitutionen, insbesondere der Weltbank, geltenden Standards in Bezug auf die Rechenschaftspflicht und Transparenz der AIIB auszusprechen, viertens sich bei den weiteren Verhandlungen für öffentliche Konsultationen zur Ausgestaltung eines unabhängigen Beschwerdemechanismus auszusprechen, fünftens nach Beitritt zur AIIB dem Deutschen Bundestag den jeweiligen Jahresbericht und zusätzlich die vierteljährlichen Zwischenberichte umgehend zur Kenntnis zu übermitteln. Diese Forderungen können nur dann ernsthaft in Angriff genommen werden, wenn Deutschland Mitglied der AIIB ist. Deshalb stimme ich dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Ratifizierung des Beitritts Deutschlands der AIIB zu. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Bevölkerungsstatistiken verbessern – Zivile Registrierungssysteme stärken (Tagesordnungspunkt 18) Dr. Georg Kippels (CDU/CSU): In der Entwicklungszusammenarbeit stellt sich für uns immer die grundlegende Frage, inwieweit es sinnvoll, nützlich oder sogar unerlässlich ist, deutsche oder sogar europäische Werte einfließen zu lassen. Dies ist sicher für Fragen der Menschenwürde, der Gleichberechtigung oder der körperlichen Unversehrtheit keine Frage, sondern eine zwingende Voraussetzung. Allerdings sind auch diese elementaren Grundwerte nicht in jedem Entwicklungsland sofort eine willkommene Botschaft. Auch begegnet uns immer wieder die Forderung nach Good Governance – guter Regierungsführung – und damit implizit nach funktionierenden Verwaltungsstrukturen eines Staates. Verwaltung ist aber ebenso häufig ein Begriffspaar von Bürokratie, die gerne als Synonym von Schwerfälligkeit oder Bevormundung der Bürger verstanden wird. So ist Bürokratieabbau in einem modernen Industriestaat eine Aufgabe der positiven Entwicklung, der Verbesserung und für manchen fast schon so etwas wie ein modernes Menschrecht. Hierzulande beschweren wir uns allzu oft über die Bürokratie: die Bürokratie eines Bürgeramtes, deutsche Bürokratie im Allgemeinen oder den „berühmten“ Brüsseler Beamten, der mit seinen Gesetzen unser Leben überreguliert. Kann es dann sein, dass Ausprägungen der Bürokratie in bestimmten Stadien der staatlichen Entwicklung geradezu einen Baustein für eine erfolgreiche Entwicklung und vor allem ein hohes Schutzgut des Menschen verkörpern könnten? Genau das kann es, wenn es dazu angelegt ist, dem Menschen seine staatliche Identität zu geben und ihn in das Gefüge staatlicher Existenz zu implementieren. Ich möchte heute aber kein kritikloses Loblied auf die Bürokratie singen. Dies umso mehr, als das Thema des heutigen Antrags seinen Ursprung eigentlich im kirchlichen Bereich hatte und es die Kirchen waren, die begannen, die sogenannten Personenstandsfälle aufzuzeichnen. Geburten, Eheschließungen und Sterbefälle fanden Eingang in die Kirchenregister der Pfarrämter. Erst 1792 wurden diese Aufgaben von der zivilen Verwaltung übernommen und letztlich Standesämter durch den Code Civil errichtet. Es dürfte kein Zufall sein, dass gerade im Zusammenhang mit der französischen Revolution der Wert des Individuums durch eine staatliche Registrierung seine Anerkennung der Menschrechte erhielt. Menschenrechte sind keine abstrakte Größe, sondern sie leiten sich aus der Beziehung zum Staat ab. Mit der Registrierung des Geburtsdatums und dem erwählten Namen wird der Mensch zum Individuum und ist damit in der Lage, seine Rechte konkret einzufordern. Auch wenn Bürokratie in der freien Übersetzung die Herrschaft der Beamten verkörpert, so ist es aber auch die Erklärung dafür, dass sich der Staat gegenüber seinen Bürgern respektvoll und dem Gesetz unterworfen verhält. Besinnen wir uns auf die Grundwerte, so ist schnell klar, dass es für die Entwicklungsländer dringend dieser Regularien bedarf, um den Bewohnern ihre Individualität zu verleihen, damit sie Träger und nicht nur Objekte des Staates sind. Und dies gilt gerade zu dem Zeitpunkt, an dem der Mensch seine Individualität schutzlos verteidigen muss – als Neugeborenes, als Kind. Für Staatlichkeit braucht es deshalb eine Bürokratie, die gewissenhaft die Kinder ihres Landes zählt. Denn: keine Geburtsurkunde und kein Name – keine Bürgerrechte. Keine Geburtsurkunde – kein Schutz vor früher Heirat. Keine Geburtsurkunde – kein Schutz vor Kinderarbeit. Keine Geburtsurkunde – kein Schutz im Falle einer Entführung. Keine Geburtsurkunde – keine kontrollierte Einschulung. Keine Geburtsurkunde – kein kontrolliertes Impfen. Keine Geburtsurkunde – keine Kontrolle der Volljährigkeit. Laut einem Bericht vom UNHCR kommt jedoch alle zehn Minuten ein Baby ohne Pass auf die Welt. Damit sind 230 Millionen Kinder unter fünf Jahren weltweit nicht erfasst. Das ist jedes dritte Kind unter fünf Jahren. In Entwicklungsländern sind 50 Prozent aller unter Fünfjährigen nicht offiziell gemeldet. Alle zehn Minuten fällt damit ein Kind durch das Sicherheitsnetz, das eine Registrierung bieten würde. Wir sprechen von „unsichtbaren“ Kindern. In Somalia und Äthiopien werden weniger als 10 Prozent der Kinder bei ihrer Geburt registriert. Und blicken wir auch einmal nach Südasien: Auch hier sind nur 37 Prozent aller Kinder registriert. Was können wir nun tun, um diese Kinder sichtbar zu machen? Wir müssen sie zuallererst ins Blickfeld der lokalen Behörden bringen. Diese müssen ihre Verantwortung wahrnehmen. Sie dürfen nicht diskriminieren auf Basis des Geschlechts und der Ethnie. Die Registrierung muss für Eltern praktisch machbar sein, ohne Hürden, finanzieller oder anderer Natur. Dies muss nicht zuletzt auch aus Eigeninteresse der Staaten erfolgen, denn nur registrierte Bürger können auch steuerlich erfasst werden. Wie will ein Staat seine Fürsorgepflicht gegenüber seinen Bürgern erfüllen, wenn er gar nicht weiß, wie viele Menschen und an welchen Orten des Landes er mit Infrastruktur wie Wasser, Sanitärleistungen, Energie, Gesundheitsleistungen oder Nahrung versorgen bzw. hierzu die Voraussetzungen schaffen muss? Die unkontrollierte Urbanisierung in den Entwicklungsländern ist eine unmittelbare Folge davon, dass die Regierungen keine reale Vorstellung davon haben, wie viele Menschen sich auf ihrem Staatsgebiet aufhalten und welche Bedürfnisse dringend befriedigt werden müssen. Bevölkerungsentwicklung und Familienplanung sind ein untrennbares Duo und führen bei Kontrollverlust zu abstrusen politischen Entscheidungen wie der verkündeten Ein-Kind-Politik von China. Fehlende Geburtenregistrierung löst bei der bereits vorhandenen Bevölkerungsdichte auf dieser Erde zwangsläufig eine Spirale des Chaos und der Rechtlosigkeit aus, der die Menschen in ihrer Verzweiflung und ihrem Kampf ums Überleben zu entfliehen suchen. Auch dies ist eine rudimentäre Ursache der jetzigen Flüchtlingsbewegung. Doch können wir die Versäumnisse auf diesem Gebiet heute noch korrigieren? Als Erstes muss bei den Eltern Aufklärung über die Notwendigkeit und Vorteile der Registrierung ihrer Kinder geleistet werden. Fatalerweise setzt sich die fehlende Registrierung schon in mehreren Generationen fort. Ein Bezug zu den Eltern ist deshalb mit den historischen Mitteln der Registrierung durch Eintragung in zentrale Verzeichnisse oft nicht möglich. Hier bieten jedoch die digitalen Medien interessante Möglichkeiten. Afrika zeigt uns schon heute, was alles mit Handys und Digitalisierung machbar ist. Geburtenregistrierung via Mobiltelefon ist da nur eine denkbare Möglichkeit. Fingerabdrücke und der Scan der Iris im Auge erlaubt die Festlegung unverwechselbarer Merkmale, die dem Namen zugeordnet werden können. Vor allem erlaubt diese Methode die schnelle und überregionale Zusammenführung der Daten sowie die Abrufbarkeit an jeder Stelle des Landes. Mit den entwicklungspolitischen Maßnahmen des Gesundheitsschutzes durch vorbeugende Impfungen lassen sich diese Erfassungen nicht nur sinnvoll verbinden, sondern sind gerade zur Gesundheitsvorsorge eine planvolle Ergänzung. Ein Staat ist kein Staat, wenn er seine Kinder nicht kennt. Ein Bürger ist kein Bürger, wenn er seine Rechte gegenüber seinem Heimatland nicht einfordern kann, weil seine Existenz nicht gegenüber Dritten dokumentiert werden kann. Wir sind daher aufgefordert, in der Entwicklungszusammenarbeit intensiv daran mitzuwirken, dass die Geburtenregistrierung als wesentlicher Bestandteil des Aufbaus funktionierender Regierungssysteme mit den uns zur Verfügung stehenden modernen Medien massiv vorangetrieben wird. Michaela Engelmeier (SPD): Der Antrag von CDU/CSU und SPD: „Bevölkerungsstatistiken verbessern – Zivile Registrierungssysteme stärken“ hat einen durchaus sehr sperrigen Titel. Wer Böses denkt, könnte meinen, dass die Deutschen auch in der Entwicklungspolitik das tun, was sie angeblich am besten können: verwalten und bürokratisieren. Das ist aber in diesem Antrag wirklich nicht der Fall. Es geht um Zukunftsfragen. Und damit Kinder eine Zukunft haben, müssen wir uns mit vielen Dingen befassen, damit unsere jüngst in diesem Jahr verabschiedeten nachhaltigen Entwicklungsziele auch bei der zukünftigen Generation Chancen eröffnen. Wir wollen mit unserem Antrag eine Initiative ergreifen, um ein für uns in den Industrienationen alltägliches Kinderrecht umzusetzen. Und zwar: Jedes Kind hat ein verbrieftes Recht auf die Registrierung seiner Geburt und die Ausstellung einer Geburtsurkunde! Für uns alle eine Selbstverständlichkeit: nach der Geburt unseres Kindes zum Standesamt zu gehen und eine Geburtsurkunde zu bekommen, mit welcher der Name des Kindes, seine Herkunft und seine Eltern niedergeschrieben werden. Mit dieser Urkunde ist das Kind Träger von Grundrechten, die es einklagen kann, und es kann einen Ausweis erhalten – es existiert. Es ist nicht unsichtbar, und es kann auch nicht einfach spurlos verschwinden. In vielen Entwicklungsländern ist das nicht der Fall. Oft fehlt einem Staat die Möglichkeit zur Registrierung, oft sind es Bürgerkrieg und Armut und die Häufung von Naturkatastrophen, die es verhindern. UNICEF beziffert die Zahl der Kinder unter fünf Jahren, deren Geburt nie registriert wurde, mit 230 Millionen. Und an dieser Stelle wollen wir ansetzen, damit sich an dieser Sachlage etwas ändert. Wir werden am 20. November an die Verabschiedung der UN-Kinderrechtskonvention erinnern. Sie wurde am 20. November 1989 von der UN-Generalversammlung angenommen. Beim Weltkindergipfel vom 29. bis 30. September 1990 in New York verpflichteten sich Regierungsvertreter aus der ganzen Welt zur Anerkennung der Konvention. Der Kinderrechtskonvention sind mehr Staaten beigetreten als allen anderen UN-Konventionen. Und nicht nur mir sind sie wichtig. Mit einer großen Übereinstimmung haben 195 Staaten die Kinderrechtskonvention unterzeichnet und damit ein Zeichen gesetzt. Leider bis heute nicht die USA. Ich stelle diesen Zusammenhang dar, weil mir die Wahrung der Kinderrechte besonders wichtig ist. Die völkerrechtliche Grundlage für Geburtsregistrierung findet gemäß Artikel 7 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes seine Verankerung. Demnach erfolgt das Recht für das Kind durch die offizielle Registrierung seiner Geburt, das heißt das Recht auf eine Geburtsurkunde, einen Namen und die Erfassung in offiziellen Registern. Diese Schutzbestimmung geht in ihrer Wirkung aber darüber hinaus, denn erst durch eine Registrierung wird im modernen Staat mit seinem Erfordernis einer funktionierenden Verwaltung ein Mensch zum Staatsbürger und kann in den vollen Genuss der ihm zustehenden Rechte gelangen. Dies betrifft die passive und die aktive Teilnahme an Wahlen, die Möglichkeit, Personalausweise, Reisepässe und andere Dokumente zu erhalten, Sozialleistungen zu beziehen oder die Schule zu besuchen. Es bietet Kindern auch den Schutz vor Verbrechen, vor Kinderarbeit, vor dem Kriegsdienst und vor sexueller Ausbeutung und Frühverheiratung. Nichtregistrierte Geburten sind ein Symptom für Ungerechtigkeit und Ungleichheit. Häufig betroffen sind Kinder aus religiösen oder ethnischen Minderheiten, Kinder aus abgelegenen Regionen, Kinder aus armen Familien, Kinder mit Müttern ohne oder mit geringer Schuldbildung, Straßenkinder sowie Waisenkinder und Kinder mit Behinderung. Ohne Eintrag in ein Geburtenregister wird ein Kind häufiger Opfer von Menschenhandel und illegaler internationaler Adoption, es kann kein Grundeigentum erwerben, ein Konto eröffnen oder erben. Mit der Ausbreitung von HIV und Krankheiten wie Ebola wächst die Zahl der Waisen, und die Eigentumsfrage ist für die betroffenen Kinder eine wichtige Überlebensfrage. Für nichtregistrierte Kinder ist zudem der Zugang zu staatlicher Bildung schwierig bis unmöglich, was den Ausweg aus der Armut besonders erschwert. Ebenso sieht es im Gesundheitsbereich aus: Eine Registrierung ist oft Bedingung, um kostenlose Impfungen und andere Gratisgesundheitsdienstleistungen zu erhalten. Weiterhin können nichtregistrierte Kinder in legalen Arbeitsverhältnissen beispielsweise keinen Mindestlohn beanspruchen und keine Sozialversicherungs- und Steuernummer beantragen. Bei Kindern, die von Flucht in einen anderen Staat betroffen sind, kann eine fehlende Registrierung zur Staatenlosigkeit führen. Mit der Verbesserung dieser Problemlagen befasst sich unser Antrag mit dem Thema „Geburtenregistrierung in Entwicklungsländern“. Er befasst sich mit den dabei auftretenden Problemen und zeigt Lösungsmöglichkeiten auf. Er enthält einen Maßnahmenkatalog, wie die Verfahren zur Registrierung seitens der Bundesregierung und des Parlamentes unterstützt und weiterentwickelt werden können. Unser Engagement muss darauf abzielen, sich mit den Problemen zu befassen, warum eine Registrierung nicht erfolgt. Das liegt nicht allein an einem reinen Mangel an administrativer Infrastruktur, sondern an unterschiedlichen Gründen: Die Registrierung kann Geld kosten, das viele nicht haben. Sie kann nicht erreichbar sein, weil es nur in Städten oder im Land nur eine Meldestelle gibt. Es gibt ein mangelndes Problembewusstsein, was auch am Bildungsgrad liegt. In manchen Fällen ist es legal nicht möglich, zum Beispiel wenn die Mutter und das Kind einer ethnischen Minderheit angehören. Das Kind ist unehelich, und dadurch können soziale Stigmatisierung oder Unterhaltsverpflichtungen entstehen. Für diese Vielzahl von Gründen für die Nichtregistrierung von Geburten muss sich eine entsprechende Vielzahl von Lösungsansätzen finden. Daher müssen wir, wie es in unserem Antrag formuliert ist, unsere Initiativen erweitern: mit Aufklärung und Bildung, denn ohne das Bewusstsein für die Wichtigkeit der Geburtenregistrierung kann keine technische Verbesserung das Problem lösen; mit flächendeckenden Registrierungsstellen und kostenloser Registrierungsmöglichkeit; mit Unterstützung von Reformen von nationalen Gesetzen; mit nationalen Partnerschaften und Zusammenarbeit mit dem Gesundheitssektor beispielsweise in Kliniken oder in Schulen und sozialen Projekten; mit mehr Engagement auf höherer politischer Ebene und der Diplomatie; und auch mit niedrigschwelligen Angeboten wie der Registrierung per SMS. In den Entwicklungsländern gibt es eine rasante Entwicklung des Mobilfunknetzes. Es gibt auch schon gute Erfahrungen mit diesem von einigen Verbänden geförderten und praktizierten Verfahren. Ich bitte Sie, unser Anliegen zu unterstützen. Niema Movassat (DIE LINKE): „Jedes Kind hat ein verbrieftes Recht auf die Registrierung seiner Geburt.“ Diesem ersten Satz des vorliegenden Koalitionsantrags kann ich nur zustimmen. Und ich möchte hinzufügen: Und jedes Kind hat das Menschenrecht auf Nahrung, auf Gesundheit, auf ein Leben in Würde. Noch immer ist nahezu jedes dritte Kind unter fünf Jahren nicht registriert. Jährlich werden rund 230 Millionen neugeborene Kinder weltweit nicht registriert. Daraus ergeben sich dramatische Nachteile und Gefahren. Wer keine Geburtsurkunde bekommt, startet bereits benachteiligt ins Leben. Meist sind es Kinder aus armen Verhältnissen, die so keinen Identitätsnachweis besitzen und ihre Rechte nicht einmal theoretisch einklagen können – unter Umständen ein Leben lang. Die Gefahr, Opfer von Menschenhandel zu werden, steigt extrem. Häufig ist es Familien in abgelegenen Regionen nicht möglich, die weite und beschwerliche Reise zur nächsten amtlichen Meldestelle anzutreten. Häufig wissen sie gar nicht um die Bedeutung einer Geburtsurkunde. In anderen Fällen entscheiden sie sich ganz bewusst dafür, ein „Phantomkind“ zu behalten, weil sie aufgrund ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit staatlichen Repressalien ausgesetzt sind oder der Staat sowieso keinerlei Angebote der Daseinsvorsorge zur Verfügung stellt. Meist scheitert die Registrierung jedoch schlicht und einfach an den Kosten. Deshalb brauchen wir unbedingt kostenlose und niedrigschwellige Registrierungsangebote. Moderne Lösungen, beispielsweise ein SMS-basiertes System, klingen vielversprechend angesichts der weiten Handyverbreitung auch in abgelegenen Regionen. Am wichtigsten sind aber vor allem Aufklärungskampagnen, um für das Thema zu sensibilisieren. Umgekehrt erschwert die Nichtregistrierung von Neugeborenen auch maßgeblich politische Maßnahmen aller Art. Wie sollen Bildungs- und Gesundheitsangebote den Bedarf decken, wenn nicht einmal klar ist, für wie viele Menschen sie reichen müssen? Es ist aus diesen Gründen zu begrüßen, dass die Vereinten Nationen die universelle Geburtenregistrierung bis 2030 als Unterziel der SDG-Entwicklungsziele aufgenommen hat. Die Koalitionsfraktionen beschreiben die Geburtenregistrierung als ein zentrales Thema der Entwicklungspolitik, und das sieht auch die Linksfraktion so. Die Forderung nach einem Forschungsauftrag über die Wirksamkeit von Registrierungssystemen und die Möglichkeiten der Entwicklungszusammenarbeit, hier voranzukommen, unterstützen wir. Dennoch muss ich abschließend darauf hinweisen, dass die Bundesregierung selbst jederzeit ganz unmittelbare und wirksame Schritte unternehmen könnte, um benachteiligten Kindern im globalen Süden zu helfen. Ändern Sie endlich Ihre Wirtschaftspolitik, liefern Sie keine Waffen mehr ins Ausland – das alleine würde auch das Leben von unregistrierten Kindern überall auf der Welt verbessern helfen. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die weltweit krisenhafte Situation gezeichnet durch Krieg, Verfolgung, Klimawandel und Hungersnöte zwingt über 60 Millionen Menschen zur Flucht. Diese humanitäre Katastrophe hat auch zur Folge, dass mittlerweile alle zehn Minuten ein staatenloses Kind geboren wird; so die jüngsten Zahlen des Flüchtlingshilfswerkes der Vereinten Nationen. Sie sind staatenlos aufgrund fehlender oder diskriminierender Gesetzgebung oder etwa, weil sie in einem Land geboren werden, das nicht ihr Heimatland ist. Die Registrierung der Geburt ist dabei der zentrale und erste Schritt für die rechtliche Anerkennung. Weltweit leben aber 230 Millionen Kinder ohne Geburtsnachweis. Dies hat gravierenden Folgen für ihre Entwicklungschancen und die Wahrung ihrer Rechte. In 230 Millionen Fällen wird damit auch ganz besonders die UN-Kinderrechtskonvention missachtet. Diesen Kindern bleibt oftmals der Zugang zu elementaren Bereichen der Grundversorgung, etwa zu Bildung und Gesundheit, verwehrt. Sie sind auch in besonderem Maße Ausbeutung und Missbrauch ausgesetzt, zum Beispiel im Bereich der Kinderarbeit. Ich stimme daher in weiten Teilen der Analyse des uns vorliegenden Antrages zu. Sie sprechen in Ihrem Antrag auch ganz konkret davon, dass ein registriertes Kind etwa davor bewahrt werden kann, „durch gefährliche Arbeit … ausgebeutet zu werden“. Das kann stimmen. Es hilft aber dem Kind nichts, wenn das derzeit zu verabschiedende deutsche Vergaberecht nicht gleichzeitig etwas dazu leistet, Kinderarbeit zu bekämpfen. Es ist skandalös, dass diese Bundesregierung Kinderarbeit nicht als zwingenden Ausschlussgrund bei der öffentlichen Auftragsvergabe formuliert hat. Während wir uns also hier in dieser Debatte für die Rechte von Kindern einsetzen, wird in der kommenden Woche – nach jetzigem Stand – ein Vergaberechtsmodernisierungsgesetz verabschiedet, welches die politischen Spielräume etwa im Kampf gegen die Kinderarbeit bewusst ignoriert. Wir können hier noch so viele gutgemeinte Anträge debattieren und verabschieden; das nützt nichts, wenn an anderer Stelle die Bundesregierung eine weltweit nachhaltige Entwicklung mit ihrem Handeln konterkariert. Es zeigt sich leider einmal mehr, dass Politikkohärenz für diese Bundesregierung ein Fremdwort ist. Und daran ändert leider Ihr Antrag nichts. Fremd ist Ihnen scheinbar auch die Finanzierungsfrage. Ohne zusätzliche Mittel bleiben Ihre Forderungen ein reines Lippenbekenntnis. Es kostet schlichtweg Geld, behördliche Registrierungssysteme zusammen mit den Partnerländern aufzubauen. Deutschland muss an dieser Stelle diese Länder auch mit finanziellen Mitteln unterstützen; alles andere ist zwar schöne Prosa, aber mehr auch nicht. Wir alle wissen: Kinder haben ein Recht auf eine positive Entwicklung, auf eine Perspektive. Sie bilden den Grundstein für eine bessere Zukunft. Kindern einen gesunden und geschützten Start ins Leben zu ermöglichen, stellt eine der bedeutendsten Investitionen in die Zukunft dar – in allen Ländern dieser Welt. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2016 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 2016) (Tagesordnungspunkt 20) Astrid Grotelüschen (CDU/CSU): Das ERP-Sondervermögen bezeichnet ein vom Bund verwaltetes Sondervermögen aus dem European Recovery Program (ERP). Auf der Grundlage des Marshallplans diente es ursprünglich der Förderung der deutschen Wirtschaft. Seit nahezu 70 Jahren ist dieses Förderinstrumentarium weiterentwickelt worden und wird im Wesentlichen von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und den Hausbanken durchgeführt. In jedem Jahr und so auch heute wird das Wirtschaftsplangesetz auf den Weg gebracht und somit die rechtliche Grundlage zur Verwendung der Mittel geschaffen. Für 2016 sollen 760,5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Hier sprechen wir insbesondere über Förderungen von Existenzgründungen, Wachstumsfinanzierungen, Innovationsförderung sowie Exportfinanzierungen. Unternehmen der gewerblichen mittelständischen Wirtschaft und die Freien Berufe können so zinsgünstige Finanzierungen mit einem Gesamtvolumen von rund 6,03 Milliarden Euro erhalten. Die ERP-Programme liefern damit einen wichtigen Beitrag zur Finanzierung mittelständischer Unternehmen. Denn gerade in Bereichen, wo Banken bei der Kreditvergabe zurückhaltender sind oder ein geeignetes Angebot fehlt, setzen die Instrumente ein und ermöglichen den Start in die Selbstständigkeit oder die Beteiligung an einem Unternehmen. Genau das macht die ERP-Programme wertvoll, weil sie auf die Bedürfnisse der kleineren und mittleren Unternehmen fokussiert sind. Hervorzuheben ist, dass zwei Drittel der zur Verfügung stehenden 6,03 Milliarden Euro in den Bereichen Existenzgründung und Innovation bereitgestellt werden. Diese Zahlen verdeutlichen, wo die Schwerpunkte der Förderung liegen sollen. Dabei ist davon auszugehen, dass die für 2016 geplanten ERP-Mittel die voraussichtliche Nachfrage nach Darlehen und Beteiligungskapital decken. Wenn man die einzelnen Haushaltspositionen vergleicht, fällt ins Auge, dass der Mittelansatz im Gründerbereich um 300 Millionen Euro niedriger liegt als im Vorjahr. Und man fragt sich: Warum? Die technokratische Antwort lautet: Nach dem Haushaltsrecht haben sich die angesetzten Planvolumina, sprich: Summen, an der zu erwartenden Nachfrage zu orientieren, und diese wird sehr wahrscheinlich 2016 geringer ausfallen. Die Gründe sind nachvollziehbar: Zum einen haben wir seit längerem ein historisch niedriges Zinsniveau, sodass auch Bankenkredite vergleichsweise günstig angeboten werden. Zum anderen investieren die Unternehmen zurzeit eher zurückhaltend, und die Stimmung bezüglich Gründungen ist momentan verhalten. Deshalb müssen wir mit einem Bündel von Maßnahmen das Klima für ein innovatives Deutschland und eine Kultur der Selbstständigkeit weiter fördern. Dazu gehört auch die KfW, die ihre guten Angebote bedürfnisorientiert weiterentwickeln und attraktiv gestalten muss. Damit reden wir zum Beispiel über längere Laufzeiten für Kredite oder auch unbürokratische Verfahren bei der Antragstellung. Ein für mich wichtiger Impuls ist die Entscheidung der KfW, wieder im Wagniskapitalmarkt mitzumischen. Mit dem neuen Instrument „ERP-Venture-Capital-Fondsinvestments“ wird eine Förderung von technologieorientierten Start-ups und innovativen Unternehmen verbessert. So sollen in den nächsten fünf Jahren Investitionen von bis zu 400 Millionen Euro generiert werden. Damit stellt die KfW ein Fondsvolumen von rund 2 Milliarden Euro für den Venture-Capital-Markt zur Verfügung. Aus meiner Sicht ein starkes Signal für interessierte kleine und mittlere Unternehmen. Ein starkes Signal deshalb, weil der deutsche Wagniskapitalmarkt gemessen an der deutschen Wirtschaftskraft eher gering ist. So nehmen wir in Deutschland lediglich 0,02 Prozent des BIP für Investitionen in die Hände. Demgegenüber steht zum Beispiel in den USA fast das Zehnfache (0,17 Prozent des BIP) des deutschen Wertes zur Verfügung. Und das müssen wir ändern! Unser Gesetzentwurf zeigt deutlich, dass wir verantwortlich und mit großer Wertschätzung unsere mittelständischen Unternehmen unterstützen wollen, weil genau diese Unternehmen einen unschätzbaren Beitrag zu unserer insgesamt erfolgreichen Wirtschaft leisten. Und weil der Mittelstand so erfolgreich ist, junge Menschen ausbildet, Arbeitsplätze schafft und sich gleichzeitig den Herausforderungen der Globalisierung stellt, wollen und müssen wir die richtigen politischen Rahmenbedingungen setzen. Angefangen beim Unterausschuss „Regionale Wirtschaftspolitik und ERP-Wirtschaftspläne“ über den Ausschuss für Wirtschaft und Energie gab es bisher ein einstimmiges Votum, und ich wünsche mir in Richtung unserer mittelständischen Wirtschaft auch heute ein ebenso starkes Signal aus diesem Plenum. Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Über 150 Milliarden Euro – dieser Betrag wurde der deutschen Wirtschaft für Investitionen aus dem ERP-Sondervermögen bis 2015 bereitgestellt. Etwa 15 000 Einzelkredite gingen alleine 2014 an mittelständische Unternehmen. Das ist die Bilanz aus über 60 Jahren Wirtschaftsförderung durch das Wirtschaftsplangesetz, um das es heute geht. Und diese Bilanz ist gut. Aber nur, weil etwas gut ist, heißt das ja nicht, dass es nicht noch besser werden kann. Das gilt auch für das Wirtschaftsplangesetz 2016. Gut ist, dass für das Jahr 2016 Mittel in Höhe von rund 760 Millionen Euro bereitgestellt werden. Gut ist, dass diese Mittel Ausleihungen an die verschiedenen Kreditprogramme in Höhe von etwa 6 Milliarden Euro ermöglichen. Damit wird zahlreichen Existenzgründern und innovativen kleinen und mittelständischen Unternehmen in Deutschland geholfen. Denn diese sind in ihrer Finanzierungsstruktur gegenüber Großunternehmen oftmals benachteiligt. Die Programme sind somit ein wichtiger Baustein zur Sicherung und Schaffung zahlreicher Arbeitsplätze. Es ist ein Glücksfall, dass dieses Kapital in Deutschland seit über 60 Jahren zur Verfügung steht. Es stammt ursprünglich aus Mitteln des Marshallplans zum Wiederaufbau Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg. Zu dieser Zeit lag der Fokus noch auf dem Wiederaufbau der Wirtschaft. Heute liegt der Schwerpunkt im Wesentlichen auf der regionalen Wirtschaftsförderung, der Finanzierung von Existenzgründungen, der Förderung von Innovationen und dem Gebiet der Exportfinanzierungen. Diese Schwerpunkte spiegeln sich in vielzähligen ERP-Programmen wider. Es ist gut, dass mit dem Startfonds-Programm junge Technologieunternehmen in 2016 mit 80 Millionen Euro gefördert werden. Es ist auch gut, dass mit dem Regionalfonds-Programm regionale Wirtschaftsstrukturen mit bis zu 350 Millionen Euro verbessert werden sollen. Und es ist gut, dass für die Gründungsfinanzierung Mittel in Höhe von 3,3 Milliarden Euro eingeplant werden. Und damit sind nur einige der Programme genannt. Angesichts der anhaltenden Niedrigzinsphase ist es jedoch wichtig, zu fragen, ob Zinsverbilligungen der richtige Anreiz für die Kapitalnehmer sind. Hier liegt auch ein wichtiger Grund, warum die Mittel in den letzten Jahren nicht vollständig abgeschöpft wurden. In den ERP-Programmen müssen daher die richtigen Anreize gesetzt werden. Eine Möglichkeit der Anreizförderung ist das Instrument der Teilerlasse. Bei diesem müssen gewährte Darlehen nur anteilig zurückgezahlt werden. Das wäre ein zielgerichteter Anreiz für potenzielle Unternehmensgründer in einem Niedrigzinsumfeld. Ein weiterer Schwerpunkt für die Zukunft sollte die Förderung von Wagniskapital sein. Mit Wagniskapital können Kapitalnehmer bei Ideen unterstützt werden, die Banken nicht finanzieren. Das betrifft insbesondere den finanziell riskanten Innovationsbereich. Ich begrüße es daher sehr, dass der Bereich des Wagniskapitals im Wirtschaftsplangesetz 2016 einen höheren Stellenwert genießt. Ich begrüße den ERP-Gründerkredit Startgeld, mit dem Startups und junge Unternehmen in Deutschland durch zinsgünstige Darlehen gefördert werden. Bis zum Jahr 2018 sollen Darlehen in Höhe von insgesamt 1 Milliarde Euro unterstützt werden. Das Ziel ist die Förderung von bis zu 15 000 Startups und jungen Unternehmern. Ich begrüße die Einrichtung des Venture Capital Fonds. Dieses neue Programm im Wirtschaftsplangesetz 2016 ermöglicht der KfW als ausführender Institution, als Ankerinvestor in den Wagniskapitalmarkt zurückzukehren. Ich begrüße außerdem die Aufstockung der Mittel für den European Angels Fund von 130 Millionen auf über das Doppelte. Business Angels sind private Investoren, die Kapital und Know-how in die Unternehmen mit einbringen. Sie sind wichtige Enabler, also Ermöglicher, für junge Unternehmer. Wir müssen aber noch bessere Rahmenbedingungen schaffen, um die Innovationskraft zu fördern. Wir müssen die Besteuerung von Wagniskapital im Sinne der Unternehmer verbessern. Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD steht hierzu, dass wir „Deutschland als Investitionsstandort für Wagniskapital international attraktiv machen“ wollen. Außerdem soll das Investieren „in junge Unternehmen und junge Wachstumsunternehmen“ attraktiver werden. Daran müssen wir uns messen lassen! Wir brauchen außerdem eine positivere Innovationskultur. Gründen ist ein Wagnis. Solche Vorhaben können auch scheitern – das gehört dazu! Außergewöhnliche Produkte und Innovationen werden nur im Grenzbereich entwickelt. Scheitern muss erlaubt sein, um eine Kultur des Gelingens – des Zutrauens in die eigenen Stärken – zu etablieren. Die Bundesregierung greift das in ihrem Eckpunktepapier zu Wagniskapital vom September 2015 auf. Ein Teil des Wirtschaftsplangesetzes umfasst die Förderung transatlantischer Begegnungen. In den letzten Jahren konnte hier der Planansatz nicht ausgenutzt werden. Ich begreife das als Chance für innovative, zukunftsweisende Programme für den transatlantischen Austausch. Eine möglicher Ansatz wären Kooperationszentren für Firmengründungen und Startups – diesseits und jenseits des Atlantiks. Die unterschiedlichen Kulturen innerhalb der Gründerszenen könnten sich so gegenseitig bereichern. Auch in Zukunft kann das ERP-Sondervermögen einen wichtigen Beitrag für die deutsche Wirtschaft leisten. Dazu müssen wir neue Trends, neue Wohlstandstreiber in die Programme des ERP einbauen. Ich habe den Themenbereich des Wagniskapitals angesprochen; ein weiterer ist beispielsweise der Bereich der Digitalisierung. Letztlich müssen wir weiter Innovationen und Unternehmensgründer fördern. Denn Innovationen von heute sind der Wohlstand von morgen. Firmengründer von heute sind die Unternehmerpersönlichkeiten von morgen. Startups von heute sind der Mittelstand von morgen. In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung für das Wirtschaftsplangesetz 2016. Bernd Westphal (SPD): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird das diesjährige ERP-Wirtschaftsplangesetz umgesetzt. Kleine und mittlere Unternehmen stehen für den Erfolg unserer Wirtschaft. Ihr Erfolg ist letztlich der Erfolg Deutschlands. Deshalb müssen wir sie gezielt fördern und entsprechende Rahmenbedingungen schaffen. Umso wichtiger sind Förderprogramme, die die typische Kreditfinanzierung im Rahmen des Hausbankensystems sinnvoll ergänzen. Der vorliegende Gesetzentwurf tut genau das. Mit dem Fördervolumen von insgesamt 760 500 000 Euro wird ein maximales Neukreditvolumen von rund 6,3 Milliarden Euro ermöglicht. Das etwas geringere Fördervolumen im Vergleich zum Vorjahr trägt dabei den spezifischen Finanzierungserfordernissen am Markt Rechnung, indem die Nachfrage, der Konjunkturverlauf und die Zinserwartung einbezogen worden sind. Mit diesen Geldern wird die Wettbewerbsfähigkeit der kleinen und mittleren Unternehmen gestärkt. Besonders in den Bereichen Unternehmensgründungen, Innovationen, Exportförderung und Energieeffizienz werden entsprechende Maßnahmen gefördert. Auch der Aufbau und die Modernisierung bestehender Unternehmen in den neuen Bundesländern sowie in regionalen Fördergebieten in den alten Bundesländern ist ein wichtiges Ziel des ERP-Wirtschaftsplangesetzes. Das sichert nicht nur bestehende Arbeitsplätze, sondern schafft auch neue. Zudem wird im Rahmen des Fördervolumens Beteiligungskapital in Form von Venture Capital, Private Equity und Mezzaninkapital bereitgestellt. Damit wird die deutsche Startup-Szene unterstützt. Der hohe Innovationsgrad und das große Wachstumspotenzial der Startup-Szene wirken dabei wie ein Beschleuniger für die deutsche Wirtschaft. Die dritte Säule des ERP-Sondervermögens stellt die Unterstützung von Stipendienprogrammen dar, wodurch für mehr kulturellen Austausch mit den USA, aber auch mit ost- und mitteleuropäischen Ländern gesorgt wird. Das ERP-Wirtschaftsplangesetz 2016 steht damit noch heute in der Tradition des einstigen Marshallplans: Es unterstützt den wirtschaftlichen Aufbau und den kulturellen Austausch. Es fördert und überwindet Grenzen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf stimmen wir für eine Förderung des Mittelstandes, für mehr Wettbewerbsfähigkeit und für einen Beitrag zu einer neuen deutschen Gründerzeit. Thomas Nord (DIE LINKE): Das ERP-Sondervermögen entstand nach 1948 im Zusammenhang mit dem Marshallplan und wird heute durch das Wirtschaftsministerium verwaltet. Im Dezember 1949 wurde ein Abkommen über wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA geschlossen. 1953 wurde festgelegt, dass die Mittel ausschließlich dem Wiederaufbau und der Förderung der deutschen Wirtschaft dienen sollten. Nach Beendigung der eigentlichen Phase des Wiederaufbaus wurden ERP-Kredite zur Unterstützung der Exportwirtschaft und insbesondere zur Förderung kleinerer und mittlerer Unternehmen verwendet. Seit den 1990er-Jahren wird es schwerpunktmäßig zur Förderung im ostdeutschen Mittelstand eingesetzt. Darin erkennen wir einen sinnvollen Beitrag zur Wirtschaftsförderung in den ostdeutschen Bundesländern. Die Linke wird dem eingebrachten Entwurf des Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens 2016 wie in den vorhergehenden Jahren zustimmen. Denn es ist aus unserer Sicht eine sinnvolle Einrichtung und eine vernünftige Wirtschaftsförderung damit möglich. Allerdings möchte ich kritisch dazu anmerken, dass der letzte Evaluierungsbericht über die praktische Umsetzung bzw. Nutzung des Sondervermögens aus dem Jahr 2011 stammt. Lediglich für das ERP- und McCloy-Stipendienprogramm, das seit 1994 durch das BMWi aus dem ERP-Topf finanziert wird, ist ein Bericht für das Jahr 2014 auffindbar. Es ist aus unserer Sicht notwendig und sinnvoll, die Evaluierung zu erneuern und in einem regelmäßigen Zeitraum zu überprüfen. Beginnen sollten wir im kommenden Jahr mit einem Bericht für die Jahre 2011 bis 2015, da der letzte für die Jahre 2005 bis 2010 erfolgte. Wir schlagen vor, danach eine solche Überprüfung jeweils in der Mitte der Legislaturperiode vorzulegen. Das würde auch die Transparenz weiter erhöhen, die mit der Änderung des Gesetzes von 2012 formuliert wurde. Der Bericht von 2011 weist auf eine hohe Anzahl von Mitnahmeeffekten bei den regionalen Förderprogrammen hin; sie lag damals bei 38 Prozent. In dem neuen Bericht sollte überprüft werden, ob und, wenn ja, in welchem Umfang die angegebene Prozentzahl sich verringert hat. Wenn sie sich nicht verändert hat, ist das Ministerium aufgefordert, Vorschläge zu präsentieren, wie diese Quote verringert werden kann. Auch wird 2011 eine Verschiebung der Einsetzung der Mittel hin zu größeren Unternehmen erwähnt. Die Verwendung des ERP-Sondervermögens ist aber mit besonderem Blick für kleine und mittelständische Unternehmen gedacht. Das entspricht durchaus dem konzeptionellen Denken linker Politik, denn gerade kleine Unternehmen sind auch in den Zeiten der Globalisierung die Basis für erfolgreiches lokales Handeln. Dies wird gerade in den Flächenländern vor dem Hintergrund der gleichwertigen Lebensverhältnisse von zunehmender Bedeutung sein. In einer aktuellen Evaluierung sollte deshalb auch ein detaillierter Blick auf die Förderungen der größeren Unternehmen durch das Sondervermögen gelegt werden. Dabei halten wir es für sinnvoll, die unterschiedlichen Größen der geförderten Unternehmen genauer voneinander abzugrenzen und die Erfolge bzw. Misserfolge der wirtschaftlichen Förderungen detailliert zu betrachten. Da die Verwendung des ERP-Sondervermögens bisher immer einvernehmlich war und dies so bleiben soll, habe ich die Hoffnung, dass Sie die kritischen Bemerkungen wohlwollend prüfen und aufnehmen werden. Legen Sie dem Parlament vor dem neuen Gesetzentwurf für die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens 2017 einen aktuellen Evaluierungsbericht der Jahre 2011 bis 2015 vor. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ERP-Förderprogramm hat eine richtige Zielsetzung: die Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen sowie die Förderung strukturschwacher Regionen. In Hinblick auf diese Zielsetzung stimmen wir dem Gesetzentwurf zu. Ich stelle fest: Die genannten Ziele sind Konsens im Deutschen Bundestag. Im Großen und Ganzen werden die ERP-Mittel auch für die genannten Ziele eingesetzt, und die Programme funktionieren. Aber immer dann, wenn man sich für ein neues Jahr festlegt, ist es geraten, den Status kritisch zu analysieren und sich zu fragen, ob und gegebenenfalls an welcher Stelle Änderungen notwendig sind, um die Ziele wirklich zu erreichen bzw. die Effizienz zu erhöhen. Aber genau diese kritische Analyse kann ich nicht feststellen; zumindest wurden dazu im Ausschuss keine belastbaren und in die Tiefe gehenden Analysen vorgelegt. Vielmehr wurde nur gesagt: Wir machen weiter, business as usual. Dabei stellen wir insgesamt eine weiterhin geringe Investitionsneigung fest. Und dies eben nicht nur im öffentlichen Bereich – da fehlt schlicht die Fokussierung auf die richtigen Schwerpunkte –, sondern vor allem auch im privaten Bereich. Und: Das Umfeld hat sich verändert. Wir befinden uns unzweifelhaft in einer länger anhaltenden Niedrigzinsphase. Dies schmälert die Wirksamkeit der ERP-Programme, weil sie weitgehend auf Zinsvergünstigungen basieren. Es werden zum Beispiel weniger Gelder für Unternehmensgründungen abgerufen, obwohl die Bundesrepublik hier durchaus Nachholbedarf hat. Schon seit seiner Umstrukturierung im Jahr 2007 wird die mögliche und vor allem auch die angepeilte Höchstförderung durch das ERP-Sondervermögen nicht erreicht. Dies und die mangelnde Transparenz dieser Tatsache haben den Bundesrechnungshof zu einem sehr kritischen Bericht veranlasst. Das Bundeswirtschaftsministerium versäumt es, dem Parlament die Gründe für das Unterschreiten der Fördergrenzen zu nennen, und auch die genauen Zahlen zur tatsächlichen Abrufung der bewilligten Fördergelder werden verschwiegen. Dies ist kein angemessenes Verhalten gegenüber dem Parlament, insbesondere angesichts der Tatsache, dass der Bundesrechnungshof diese Versäumnisse bereits vor einigen Jahren bemängelte. Außerdem schmälert die Intransparenz womöglich die Akzeptanz der ERP-Programme. Ich will das an einem Punkt verdeutlichen: Systematisch ist eine geringere Nachfrage nach Fördermitteln in den ostdeutschen Ländern festzustellen. Das wird dann immer wieder auf die geringere Risikobereitschaft der Menschen dort geschoben. Aber es könnte einen weiteren Grund geben: Die Kreditzusagen gerade an Gründer werden ja nur gegeben, wenn die Darlehen auch ausreichend besichert sind. Vor dem Hintergrund der bekannten auch regionalen Vermögensungleichgewichte – in Osten gibt es ein signifikant geringeres Vermögen – könnte die fehlende Nachfrage vor allem nach Gründungskapital schlicht damit zusammenhängen, dass im Osten eben geringere Vermögenswerte zur Besicherung der Darlehen vorhanden sind. Diese These muss nicht richtig sein. Ich kritisiere, dass zu wenig Analyse betrieben wird, denn diese ist eine Voraussetzung dafür, dass Förderprogramme effektiv sind. Ein weiteres Problem besteht beim Thema Wagniskapital in Bezug auf Transparenz. Es werden und sollen weiter in verstärktem Umfang Beteiligungen an Wagniskapitalfonds durch Mittel des ERP-Sondervermögens eingegangen werden. Dabei unterstreichen wir die Richtigkeit des Zieles, Wagniskapital zu fördern. Allerdings bekommen wir als Parlamentarierinnen und Parlamentarier Informationen zu diesen Fondsbeteiligungen nur unter Einhaltung von Geheimhaltungsvorschriften. Der Öffentlichkeit bleiben die Informationen gänzlich verborgen. Da es sich aber um den Einsatz von öffentlichen Mitteln handelt, muss das Bundeswirtschaftsministerium hier eine Lösung finden, die Transparenz ohne jegliche Einschränkungen sicherstellt. Hier könnte zum Beispiel der Mittelstandsbeirat beim Bundeswirtschaftsminister eine Verantwortung übernehmen. Meine Ausführungen zeigen, dass es durchaus Handlungsbedarf bei den ERP-Wirtschaftsplänen gibt. Die Bundesregierung muss sich aktiv mit weiteren Optionen der Förderpolitik auseinandersetzen, die nicht allein auf Zinsverbilligungen abzielen. Diese verpuffen aktuell, und ein Ende der Niedrigzinsphase ist nicht in Sicht. Ein dauerhaftes Unterschreiten der Förderhöchstmittel untermauert den Handlungsbedarf. Auch müssen die Transparenzstandards erhöht werden. Schon 2007 bei der Umstrukturierung der ERP-Mittel haben wir auf die Gefahr hingewiesen, dass die Neustrukturierung des ERP-Sondervermögens zulasten von Transparenz geht. Das ist zu korrigieren, damit das Programm weiter erfolgreich sein kann. Iris Gleicke, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Deutschland befindet sich in einer wirtschaftlich guten Verfassung. Dies ist nicht zuletzt den vielen kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland zu verdanken. Wir müssen dafür sorgen, dass der deutsche Mittelstand seine Leistung auch weiterhin erbringen kann. Wir müssen dazu beitragen, dass er die Investitionen tätigen kann, die wir mittel- und langfristig brauchen. Hierfür ist ein gut funktionierendes Finanzierungsangebot unabdingbar. Auch hier gibt es eine gute Nachricht: Die Finanzierungsbedingungen sind derzeit auch für kleine und mittlere Unternehmen so gut wie selten zuvor. Aber es gibt Bereiche, in denen das bestehende Marktangebot nicht ausreicht. Zu nennen sind da insbesondere Stichworte wie Gründungen, Innovationsfinanzierung und Wagniskapital. Hier setzen wir als Bundeswirtschaftsministerium mit dem breiten Förderangebot aus dem ERP-Sondervermögen an. Der heute vorliegende Wirtschaftsplan für das Jahr 2016 schafft hierfür die Grundlage. Für das Jahr 2016 bieten wir zinsgünstige und lang laufende Finanzierungen und Beteiligungskapital für kleine und mittlere Unternehmen mit einem Volumen von bis zu rund 6,3 Milliarden Euro. Unternehmen in den neuen Bundesländern erhalten besondere Fördervorteile. Mit dem ERP-Regionalförderprogramm gibt es ein eigenes Finanzierungsangebot für die regionalen Fördergebiete. Allein in den ersten drei Quartalen des Jahres 2015 konnten in den neuen Bundesländern rund 500 Vorhaben mit einem Volumen von rund 150 Millionen Euro allein aus diesem speziellen Programm gefördert werden. In den alten Bundesländern wurden mit diesem Programm Zusagen mit einem Volumen von rund 100 Millionen Euro getätigt. Damit ermöglichen wir in volkswirtschaftlich wichtigen Bereichen Investitionen, die ohne die ERP-Förderung nicht oder nur schwer realisiert werden könnten. Auch im Bereich der Förderung von jungen Wachstumsunternehmen bilden die vorhandenen ERP-Programme das Rückgrat der Wachstumsförderung in Deutschland. Der vorgelegte Wirtschaftsplan für das Jahr 2016 setzt auf Kontinuität und Verlässlichkeit. Das ist für die Unternehmen ein wichtiges Signal. Denn die Kontinuität der bewährten Programme bietet kleinen und mittleren Unternehmen die erforderliche Verlässlichkeit, die sie für ihre Planung benötigen. Der ERP-Wirtschaftsplan 2016 wird nach meiner Überzeugung seinem Ziel gerecht, Investitionen zu unterstützen und die Wettbewerbsfähigkeit von KMU zu stärken. Er dient damit vor allem der Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen. Ich bitte daher um Ihre Zustimmung. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Auswahl und zum Anschluss von Telekommunikationsendgeräten (Tagesordnungspunkt 21) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Im Juni 2008, also vor über sieben Jahren, haben wir in der Europäischen Union vereinbart, den Endgerätemarkt im Sinne der Richtlinie 2008/63/EG über den Wettbewerb auf dem Markt für Telekommunikationsendeinrichtungen vollständig zu liberalisieren. Der nun vorliegende Gesetzentwurf zum Anschluss und zur Auswahl von Endgeräten setzt diesen Auftrag eins zu eins um. Dies wird auch langsam Zeit. Im Koalitionsvertrag haben wir seinerzeit festgelegt, dass wir eine gesetzliche Klarstellung für den Netzzugang von Telekommunikationsanbietern wollen. „Nutzerinnen und Nutzer müssen die freie Auswahl an Routern behalten. Daher lehnen wir den Routerzwang ab. Die zur Anmeldung der Router ... am Netz erforderlichen Zugangsdaten sind den Kundinnen und Kunden unaufgefordert mitzuteilen“, heißt es wörtlich. Warum reden wir heute immer noch darüber? Immerhin ist es uns doch auch erfolgreich gelungen, seinerzeit den Markt für Telefonanschlüsse zu liberalisieren, ohne dass es zu solchen Diskussionen gekommen ist. Wir benötigen dieses Gesetz also, da viele Kunden bei einigen – ich betone ausdrücklich: nicht allen – Telekommunikationsanbietern bis zum heutigen Tage keine Möglichkeit haben, den von ihnen verwendeten Router frei zu wählen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass einige Netzbetreiber am Breitbandanschluss ausschließlich den Betrieb des von ihnen vorgegebenen Gerätes zulassen. Dieser Praxis liegt die Auffassung zugrunde, dass das öffentliche Telekommunikationsnetz erst an einem Punkt endet, der hinter einer Schnittstelle zum Anschluss von Geräten liegt. Das anbietereigene Gerät sei also aus funktionalen Gründen zum Netz dazuzuzählen. Diesen sogenannten Netzabschlusspunkt legen wir im vorliegenden Gesetz nun endgültig fest – im Sinne der Verbraucher vor dem Router. Dazu passen wir das Gesetz über Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen (FTEG) an. Es erfolgt eine Konkretisierung der Netzzugangsschnittstelle. Netzbetreiber müssen ihren Kunden alle Einrichtungsdaten für den Router zur Verfügung stellen, damit der Zugang zum Telekommunikationsnetz eigenständig möglich ist. Um die Wahlfreiheit der Endkunden auch in der Praxis abzusichern, werden außerdem bußgeldbewehrte Informationspflichten für die Netzbetreiber aufgenommen. Im abgelaufenen parlamentarischen Verfahren wurden viele Argumente zur Umsetzung des Gesetzentwurfs ausgetauscht. Es wurde des Öfteren behauptet, dass eine Abschaffung des Routerzwangs aus technischer und juristischer Sicht nicht möglich sei. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass ich im gesamten Verfahren zu keiner Zeit schlüssige Argumente gehört habe, warum dem so sei. Die Bedenken, dass es zu keiner hinreichenden Kompatibilität von „freien“ Endgeräten in bestimmten Netzen, zum Beispiel Glasfaser- oder Kabelnetzen, kommen kann, sind aus meiner Sicht gegenstandslos. Grundsätzlich dürfen bereits nach geltendem Recht nur Geräte angeschlossen werden, die dem „bestimmungsgemäßen Zweck“ entsprechen und die heutigen Sicherheits-, Integritäts- und Funktionalitätsstandards erfüllen, unabhängig von der technischen Ausgestaltung. Der Anschluss inkompatibler, ungeeigneter Endgeräte kann unabhängig von der technischen Ausgestaltung des Netzabschlusspunktes gleichermaßen – auch aktuell schon – problematisch sein. So kann der Anschluss eines nicht DSL-kompatiblen Endgerätes an einem DSL-Anschluss auch zu Störungen und Leistungsmängeln führen. Der Betreiber der TK-Endeinrichtung hat deshalb für eine fachgerechte Anschaltung Sorge zu tragen. Die zivilrechtlichen Haftungsregelungen gelten im Übrigen unverändert, wonach grundsätzlich der Verursacher eines Schadens haftet. Bei Geräten, die Störungen verursachen, kann der Anschluss darüber hinaus unter bestimmten Voraussetzungen verweigert bzw. das Gerät abgeschaltet werden. Aus Sicherheits- und Transparenzaspekten bin ich ebenfalls der festen Überzeugung, dass die Einrichtungsdaten und damit die sicherheitsrelevanten Dokumente in die Hände der Nutzer gehören, denn heterogene Netze sind von ihrer Architektur immer schwerer angreifbar. Was passieren kann, wenn man sich ausschließlich auf Zwangsrouter verlässt, lässt sich momentan an einem Vorfall festmachen: Mehrere Hunderttausend Zwangsrouter im deutschen Kabelnetz erfüllen offensichtlich nicht hinreichende Sicherheitsstandards, sodass weitgehende Firmware-Updates nötig sind, um Schaden abzuwenden. Ein vielfältiges Angebot von Routern wird auf dem Markt zu einem Wettbewerb führen, bei dem sich die besten Produkte durchsetzen werden. Die Gefahr flächendeckender Sicherheitslücken kann damit durch dieses Gesetz deutlich reduziert werden. Außerdem wird der Verbraucherschutz gestärkt, da die Verpflichtung, Zugangsdaten an die Nutzer herauszugeben, dem Kunden eine eigene Auswahl und Konfiguration ermöglicht. Aber nicht nur die Sicherheitsinfrastruktur wird gestärkt. Zwangsrouter stammen größtenteils aus Südostasien und werden dort sehr billig produziert, was nicht immer für eine gute Qualität spricht. Die Abschaffung des Routerzwangs kann den Wirtschaftsstandort Deutschland beleben, da Privatkunden bei der Auswahl ihres Routers verstärkt auf die Qualität achten, wovon auch deutsche Unternehmen profitieren können. Mit der Verpflichtung der Netzbetreiber, die technischen Spezifikationen der Schnittstellen zu veröffentlichen, sollen die Gerätehersteller in die Lage versetzt werden, entsprechende Endgeräte zu entwickeln und zu produzieren, insbesondere auch für künftige neue Netztypen. Gleichzeitig wird mit dem Kriterium des „passiven“ Netzabschlusspunktes verhindert, dass die Netzbetreiber die Schnittstellen als zum öffentlichen Netz gehörend in Endgeräte integrieren, damit den Zugangspunkt zum öffentlichen Netz beliebig bestimmen können und dem Endnutzer folglich keine Geräteauswahl ermöglichen. Ich denke, dass ich Ihnen hier eine Menge guter Gründe darlegen konnte, warum wir mit dem Gesetz auf dem richtigen Weg sind. Mit dem Kriterium des „passiven Netzabschlusspunktes“ sowie einem technologieneutralen Ansatz wird die europäisch vorgegebene Endgerätefreiheit zugunsten der Endnutzer unter Berücksichtigung der harmonisierten Vorgaben über den gemeinschaftsweiten Handel und die Inbetriebnahme von Endgeräten gewährleistet. Aus meiner Sicht ist dies heute ein guter Tag zur Stärkung der Rechte der Endgerätenutzer. Klaus Barthel (SPD): Mit dem heute zur abschließenden Beratung vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir die sogenannte freie Routerwahl sicherstellen. Damit wird die Praxis einiger Netzbetreiber beendet, ihren Kunden vorzuschreiben, welchen Router oder welches Modem sie für ihren Breitbandanschluss verwenden müssen. Der Gesetzentwurf orientiert sich eng an den europäischen Vorgaben, die zum Ziel haben, einen offenen, wettbewerbsorientierten Warenverkehr von Telekommunikationsendeinrichtungen zu gewährleisten und den Endnutzern eine freie Routerwahl zu ermöglichen. Das Artikelgesetz umfasst zwei Gesetzesanpassungen: Mit den Änderungen im Gesetz über Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen (FTEG) wird klargestellt, dass alle Arten von Endgeräten (Router, Kabelmodem) von dieser Liberalisierung erfasst sind. Ergänzend wird im Telekommunikationsgesetz (TKG) der Zugang zum öffentlichen Telekommunikationsnetz als „passiver Netzabschlusspunkt“ definiert. Damit wird die aktuelle Praxis einiger Anbieter beendet, den Zugangspunkt zum öffentlichen Netz in ihren eigenen Router oder ihr eigenes Modem zu verlegen. Wir haben uns sorgfältig mit dem von einigen Kabel- und Glasfasernetzbetreibern erhobenen Einwänden befasst. Im Ergebnis halten wir sie weder in technischer noch in rechtlicher Hinsicht für überzeugend. So wurde vorgetragen, die Übertragungsdienstleistung sei nur mit von ihnen vorgegebenen Modems störungsfrei und sicher zu erbringen. Das sehen wir nicht so: Erstens gab es gerade in diesen Tagen Meldungen, wonach auch vom Netzbetreiber gestellte Endgeräte erhebliche Sicherheitsprobleme aufwiesen. Zweitens müssen alle Geräte, die auf dem EU-Binnenmarkt in Betrieb genommen werden dürfen, den gleichen gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Dies ist nun allein Aufgabe der Endgerätehersteller, die zum Teil schon heute solche Geräte im Auftrag der Netzbetreiber produzieren. Deshalb besteht kein Anlass, bei einzelnen Netztechnologien Ausnahmen vorzusehen. Es gilt der Grundsatz der „Technologieneutralität“. Es genügt also in Zukunft, dass der TK-Anbieter dem Kunden die Schnittstelleninformationen zur Verfügung stellt. Der Gesetzentwurf kommt den Anliegen der Beteiligten im Übrigen entgegen, da sie für gegebenenfalls notwendige Umstellungen im Geschäftsbetrieb noch sechs Monate Zeit erhalten. Zudem gilt die Regelung nicht für Altverträge. Auch kann jeder Endkunde sein bisheriges, vom Netzbetreiber gestelltes Gerät behalten. Mit einer freien Endgerätewahl werden also die Rechte der Verbraucher gestärkt, die Abhängigkeit von Endgeräteherstellern von wenigen Abnehmern reduziert sowie innovative Entwicklungen gefördert. Der in der Anlage beigefügte Änderungsantrag wurde den Fraktionen und Ausschüssen im Zuge der Beratungen zugeleitet. Es handelt sich lediglich um eine rechtsförmliche Anpassung: Bei der Erstellung des Zuleitungsexemplars an Bundestag und Bundesrat gab es ein technisches Problem. Die rechtsförmlich erforderliche Fußnote, auf die im Titel des Gesetzentwurfs hingewiesen wird (EU-Umsetzung, noch Teil des Kabinettentwurfs), ist in den Bundestags- und Bundesratsdrucksachen nicht mehr enthalten. Der Parlamentsdienst hatte uns darauf aufmerksam gemacht und den Hinweis gegeben, dass man das nicht im Wege eines Berichtigungsverfahrens, sondern nur über einen Änderungsantrag heilen kann. Es handelt sich also nicht um eine Veränderung im Gesetzentwurf selbst, sondern dieses Gesetz ist eines der wenigen, die den Bundestag aus guten Gründen so verlassen, wie sie hereingekommen sind. Zum Schluss noch eine Bemerkung, weil ich manche Aufregung in den letzten Tagen nicht verstehe: Was wir heute beschließen, ist eigentlich nichts anderes als längst geltendes deutsches und europäisches Recht (seit 1989 bzw. 2008). Wir machen nichts anderes als eine Klarstellung, die spätestens bei Verabschiedung des Koalitionsvertrages als absehbar hätte gelten müssen. Die Gesetzesänderung kommt also alles andere als überraschend. Offensichtlich – und das sollte uns allen zu denken geben – wird unsere Gesetzgebungsarbeit inzwischen so wenig ernst genommen oder für so beeinflussbar gehalten, dass „schwerste Bedenken“ erst in der Schlussphase unserer Beratungen geltend gemacht werden und dann als letztes Mittel längere Übergangsfristen vorgeschlagen werden. Umso erfreulicher ist heute der breite Konsens hier im Hause, der Innovation und Wettbewerb im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher fördert. Wir verhindern damit auch Geschäftsmodelle, die beim Kunden Routersalat oder Zusatzzahlungen für einzelne Dienste aufgrund von Endgerätekonstellationen verursachen. Auf diesem Weg ließe sich das sicher teilweise vorhandene Problem der Refinanzierung von Netzinvestitionen aber auch nicht lösen. Lars Klingbeil (SPD): Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Auswahl und zum Anschluss von Telekommunikationsendgeräten. Bereits gestern haben die Ausschüsse dem Entwurf mit großer Mehrheit oder sogar einstimmig zugestimmt – und dies ist ein wichtiges Zeichen. Mit der Abschaffung des Routerzwangs soll die Praxis einiger Netzbetreiber beendet werden, ausschließlich von ihnen vertriebene Geräte zuzulassen. Damit wird das Recht der Nutzerinnen und Nutzer gestärkt, Endgeräte ihrer Wahl an den sogenannten Netzabschlusspunkt anzuschließen. Viele von Ihnen kennen sicher das Problem, dass man eben bei einigen Anbietern nicht selbst den Router aussuchen und damit die Funktionalitäten wählen kann, die man möchte, sondern einen bestimmten Router des Anbieters nutzen muss. Begründet wird dies oft mit technischen Gründen und der Behauptung, dass ein unsicherer Router eines einzelnen Nutzers Störungen im Netz verursachen und viele andere Kunden beeinträchtigen könnte. Auch der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf zur Abschaffung des Routerzwangs um eine Prüfung gebeten, ob es für den Anschluss von Telekommunikationsendeinrichtungen an das Netz nicht doch weitergehender Anforderungen bedarf und ob die Definition des Endpunkts des öffentlichen Telefonnetzes bei Fibre-to-the-Home-Netzen sowie bei Kabelnetzzugang nicht neu gefasst werden müsse. Begründet wurde dieser Prüfauftrag insbesondere mit den technischen Aspekten der Sicherheit, der Netzintegrität, der Übertragungsqualität und der Funktionalität. In der Praxis sah es aber oft sogar so aus – und erst vor wenigen Tagen gingen wieder entsprechende Meldungen durch die Medien –, dass die vorgegebenen Zwangsrouter sogar anfälliger waren für Störungen als die Router manch namhafter Routerhersteller, insbesondere aus Deutschland. All diese Fragen wurden bereits im Rahmen der Erarbeitung des Gesetzentwurfes und in der Ressortabstimmung und nun auch nochmals hier im parlamentarischen Verfahren überprüft. Ergebnis dieser Prüfungen ist, dass es keine juristischen oder technischen Gründe gibt, die gegen die Wiederherstellung der ursprünglich ja auch vom Gesetzgeber beabsichtigten Wahlfreiheit und des Anschlussrechts für Telekommunikationsendgeräte sprechen. Das Gesetz soll mit einer Klarstellung den Nutzern die Freiheit bei der Wahl ihrer Router zurückbringen. Zugleich wird das auch den Wettbewerb unter den Herstellern wieder ankurbeln und so auch ermöglichen, dass sich bessere und auch sicherere Produkte am Markt etablieren. Mit dem Gesetz setzen wir eine wichtige Vereinbarung des Koalitionsvertrags um. Die Abschaffung des Routerzwangs ist von Verbraucherinnen und Verbrauchern, aber auch großen Teilen der Wirtschaft immer wieder gefordert worden. Der nun bevorstehende Beschluss ist zugleich ein weiterer wichtiger Schritt in der Umsetzung der Digitalen Agenda. Es ist ein wichtiger Baustein der Digitalen Agenda, dass der Routerzwang damit nun endlich der Vergangenheit angehört, und es ist ein wichtiges Signal, dass der Bundestag dieses Gesetzgebungsverfahren mit dieser großen Mehrheit beschließt. Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Es ist selten, daher umso erfreulicher: Die Bundesregierung hat einen vernünftigen Gesetzentwurf vorgelegt. Es geht um die Abschaffung des sogenannten Routerzwangs bzw. um die Wahlfreiheit bei Telekommunikationsendgeräten. Bisher war es so, dass Netzbetreiber ihren Kundinnen und Kunden vorschreiben konnten, welche Router sie zu verwenden haben, um das Internet nutzen zu können. Das ging zum Teil sogar so weit, dass den Kundinnen und Kunden nicht einmal ihr Nutzername und ihr persönliches Kennwort für den Zugang des Internetanschlusses übermittelt wurden, um zu verhindern, dass ein anderer Router verwendet werden kann. Doch viel zu oft entsprechen die Geräte, die vom Netzbetreiber zur Verfügung gestellt wurden, nicht den Qualitätsansprüchen von Verbraucherinnen und Verbrauchern, oder es fehlten wichtige Funktionen. Diese äußerst verbraucherunfreundliche Praxis wurde von der Bundesnetzagentur auf Basis der geltenden gesetzlichen Regelungen erlaubt. Die Krux ist die Festlegung, wo der sogenannte Netzabschlusspunkt liegt. Also: Wo liegt der Punkt, an dem das öffentliche Netz und damit das Netz des Netzbetreibers enden und ab dem die Verbraucherin und der Verbraucher frei verfügen können? Bisher definierten viele Netzbetreiber den Netzabschlusspunkt an dem Endgerät, meist ein Modem mit eingebautem WLAN-Router. So wurde legitimiert, dass die Endgeräte genutzt werden mussten, die der Netzbetreiber zur Verfügung stellt. Mit dem Gesetzentwurf soll der Netzabschlusspunkt nun schon an der Telefonbuchse liegen, nicht erst beim Endgerät. Das heißt, dass der Router nun nicht mehr im Besitz des Internetanbieters wäre, sondern im Besitz der Kundinnen und Kunden. Diese könnten somit frei wählen, ob sie den Router des Anbieters nutzen oder einen anderen. Daher begrüßen wir diese Festlegung ausdrücklich. Um eine solche Wahlfreiheit zu ermöglichen, ist es wichtig, dass die Internetanbieter die Zugangsdaten an die Nutzerinnen und Nutzer herausgeben. Dass die Netzbetreiber das müssen, legt der Gesetzentwurf explizit fest. Auch das ist begrüßenswert. Nicht nur aus Verbrauchersicht, auch aus Sicherheitsaspekten sind Zwangsrouter suboptimal. Weitverbeitete einheitliche Geräte bedeuten immer ein größeres Risiko. Wenn erst einmal in einem dieser Zwangsrouter eine Sicherheitslücke entdeckt wurde, sind viel mehr Geräte angreifbar, als wenn Geräte verschiedener Hersteller verwendet würden. Erst vor ein paar Tagen wurde bekannt, dass in den Routern von Kabel Deutschland zwei kritische Sicherheitslücken klaffen. Damit sind nun auf einen Schlag 1,3 Millionen Geräte über das WLAN angreifbar. Natürlich sind einige Netzbetreiber alles andere als begeistert von diesem Gesetzentwurf. Man muss schon fast dankbar sein, dass Sie – anders als der Bundesrat – diesen Argumenten nicht gefolgt sind. Technische Schwierigkeiten, insbesondere mit Kabel- und Glasfasertechnologie, werden unter anderem angeführt. Bei genauerem Hinschauen fällt allerdings auf, dass diese Argumente wenig stichhaltig sind. So wird gerne angeführt, dass durch die Verwendung nichtkompatibler Endgeräte Störungen verursacht werden könnten. Da fragt man sich, wie das die ganzen ISDN- und DSL-Betreiber hinbekommen, die es ihren Kundinnen und Kunden seit Jahrzehnten ermöglichen, ihre Endgeräte frei zu wählen. Von Störungen, die durch Router verursacht wurden, ist zumindest nichts bekannt. Auch im Ausland, zum Beispiel in den USA, wo auch in Kabel- und Glasfasernetzen kein Routerzwang besteht, ist nichts davon zu hören, dass die freie Endgerätewahl zu Störungen im großen Stil geführt habe. Letztlich geht es für die Provider, die sich gegen diesen Gesetzentwurf gewehrt haben, hauptsächlich darum, Kosten zu sparen und zusätzliche Einnahmen zu generieren. Durch den zwanghaften Verkauf von Endgeräten lässt sich eben gutes Geld machen, und noch mehr Geld lässt sich machen, wenn man für die Freischaltung einer WLAN-Funktion, die in den meisten Routern eine Standardfunktion ist, in Zwangsroutern aber vom Netzbetreiber beliebig an- und abgeschaltet werden kann, einen Aufschlag verlangen kann. Es ist also gut, dass Sie sich in diesem Fall einmal nicht haben reinreden lassen und die Wahlfreiheit der Router konsequent durchziehen. Es hat allerdings sehr lange gedauert. Viel zu lange. Schon vor über zwei Jahren machte die Linke in einer Kleinen Anfrage die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung auf dieses Problem aufmerksam. Damals bekamen wir die lapidare Antwort, dass man keinen Handlungsbedarf sehe. Dabei war schon damals der Handlungsbedarf mehr als offensichtlich. Es ist schade, dass der Handlungsbedarf erst so spät erkannt wurde. Aber besser spät als nie. Noch besser wäre aber, Sie hören das nächste Mal gleich auf uns und nicht erst Jahre später. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Diskussion um die sogenannten Zwangsrouter, also von den Anbietern vertraglich vorgeschriebene Geräte für den Zugang zum Internet, führen wir seit mehreren Jahren. Seit langem ist klar: Zwangsrouter schränken die Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher stark ein. Zudem ist die Verpflichtung der Nutzerinnen und Nutzer, bestimmte, vertraglich vorgegebene Router zu verwenden, sowohl aus datenschutzrechtlichen wie auch IT-sicherheitspolitischen Überlegungen heraus kontraproduktiv. So wurden wiederholt Sicherheitslücken in Routern bekannt, die aufgrund einer Verpflichtung zur Nutzung eines bestimmten Endgerätes häufig eine sehr hohe Anzahl von Kunden betroffen haben. Die bisherige Praxis hat verhindert, dass Kunden Geräte nutzen konnten, die entweder noch vorhanden waren, günstig gebraucht erstanden oder kostenlos überlassen wurden oder deren Einsatz bewusst dem anderer Geräte vorgezogen wurde, da sie eventuell höheren sicherheits- und datenschutzpolitischen Anforderungen genügten als die bereitgestellten Komponenten, die zudem oftmals von den Kunden käuflich erworben werden müssen. Als grüne Bundestagsfraktion haben wir die Bunderegierung, gemeinsam mit vielen Verbündeten, immer wieder aufgefordert, der bisherigen Praxis, den Kundinnen und Kunden bestimmte Router vorzuschreiben, einen Riegel vorzuschieben. Denn diese Praxis stand unserem Verständnis nach im offenen Widerspruch sowohl zu EU-rechtlichen Vorgaben als auch zum deutschen Telekommunikationsgesetz (TKG). Die bisherige Möglichkeit, Zwangsrouter vorschreiben zu können, hat man auf europäischer Ebene bereits vor langer Zeit als kritisch erkannt und den Verbrauchern das explizite Recht eingeräumt, die benötigte Hardware ungeachtet ihrer Herkunft, frei nach Preis und Qualitätskriterien wählen zu können. Auch das maßgebliche deutsche Telekommunikationsgesetz (TKG) fordert von der Bundesnetzagentur, den Teilnehmern einen „größtmöglichen Nutzen in Bezug auf Auswahl, Preise und Qualität“ zu sichern. Dennoch kam es jahrelang, auch aufgrund eines starken Lobbying, nicht zu einer Klarstellung. Auch der Versuch, den Routerzwang per Netzneutralitätsverordnung nach § 41 a Absatz 1 TKG zu regeln, scheiterte an einem mehr als halbherzigen Agieren, durch das es verpasst wurde, eine Klarstellung im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher vorzunehmen. So konnte der Anbieter Router nach eigenem Ermessen zum Bestandteil seines Netzes erklären, da die Definition von „Netzabschlussgerät“ bisher zu seinen Gunsten ausgelegt wurde. Sowohl Bundesregierung als auch Bundesnetzagentur spielten hier lange Zeit keine rühmliche Rolle. Anfang Januar 2013 kam die BNetzA zu dem Schluss, dass sie keine rechtliche Handhabe gegen die Kopplung eines Vertrags mit einem bestimmten Router habe. Sie verwies darauf, dass Netzbetreiber nach den Vorgaben des Gesetzes über Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen (FTEG) zwar den Anschluss und Betrieb jedes zulässigen Endgerätes an der entsprechenden Schnittstelle gestatten müssen, gleichzeitig jedoch der Gesetzgeber nicht festgelegt habe, welche konkreten Schnittstellen das Netz des Netzbetreibers mit dem Heimnetz des Endkunden verbinden. Vielmehr sei es dem jeweiligen Netzbetreiber überlassen, dies zu definieren. Man selbst könne das nicht. Wir teilten diese Rechtsauffassung nicht und haben wiederholt auf entsprechende EU-Vorgaben verwiesen, in denen festgelegt wird, dass die nationale Regulierungsbehörde durchaus für die Festlegung des Standortes des Netzabschlusspunkts zuständig ist und im Vorfeld lediglich Vorschläge einholen muss. Mit ihrer frühzeitigen Festlegung hat die Agentur die Verbraucherinnen und Verbraucher lange im Regen stehen lassen und es verpasst, die eigentliche Intention des Gesetzgebers umzusetzen und Vorschläge zu unterbreiten, wie die bestehende Rechtslage im Sinne der Entscheidungsfreiheit zu konkretisieren wäre. Daher war eine Vorgabe durch den Gesetzgeber unausweichlich. Auf die Notwendigkeit haben die Verbraucherverbände, genauso aber digitale Bürgerrechtsorganisationen immer wieder hingewiesen. Für diese Beharrlichkeit im Sinne der Nutzerrechte gebührt ihnen unser Dank. Viel zu lang hatten die Nutzerinnen und Nutzer diese Wahlfreiheit eben nicht. Die vorgebrachten Argumente für die Verpflichtung, zum Beispiel ein geringerer Serviceaufwand für die Anbieter, haben uns als Gesetzgeber, gerade in Abwägung mit den bereits erwähnten Vorteilen für die Endnutzer, nicht überzeugen können. So verwunderte es nicht, dass sich bei entsprechenden Anhörungen, die wir hierzu im Bundestag durchgeführt haben, auch kein Anbieter fand, der die bisherige Praxis der Zwangsrouter verteidigen wollte. In zahlreichen Stellungnahmen und Hintergrundgesprächen, die hierzu in den letzten Jahren geführt wurden, sah dies freilich anders aus. Umso erfreulicher ist die erreichte interfraktionelle Einigkeit. Wir begrüßen, dass die Bundesregierung nach jahrelanger Diskussion nun endlich eine Regelung vorgelegt hat, die die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher erfreulich deutlich stärkt und daher unsere Unterstützung findet. Gerade in Anbetracht anderer, sehr viel weitreichenderer Entscheidungen, die ebenfalls in die Verantwortlichkeit des Wirtschaftsministeriums fallen, ist dies ein Lichtblick, wenn auch angesichts der Dimension der Entscheidung, die Netzneutralität nun final über den Umweg Europa zu opfern, ein kleiner. Der vorliegende Gesetzentwurf ist das Resultat einer jahrelangen Diskussion. Die nun gefundene Definition des passiven Netzabschlusspunktes und die Möglichkeit der Nutzerinnen und Nutzer, das Gerät hinter diesem Netzabschlusspunkt grundsätzlich frei wählen zu können, begrüßen wir ausdrücklich. Als grüne Fraktion freuen wir uns, dass es hier, auch aufbauend auf der guten Zusammenarbeit in der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“, gelungen ist, sich interfraktionell im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher zu einigen und die Diskussion heute zu einem guten Schluss zu bringen. Diese Einigung würden wir uns auch in anderen netzpolitischen Debatten wünschen. Die Netzneutralität, über die wir hier in exakt einer Woche diskutieren, hatte ich bereits erwähnt. Auch hier könnte die Bundesregierung durchaus noch im Rat dem von der Kommission vorgelegten „Kompromiss“, der einem „Zwei-Klassen-Netz“ Tür und Tor öffnet und aus gutem Grund von beinahe allen deutschen SPD-Abgeordneten abgelehnt wurde, die Zustimmung verweigern. Auch bezüglich der genauso seit Jahren in der Diskussion befindlichen Störerhaftung, die ebenfalls im BMWi angesiedelt ist, wäre es ein Leichtes, die Rechte der Nutzerinnen und Nutzer zu stärken und es zugleich Privatpersonen und Freifunkinitiativen zu ermöglichen, ihre Netze Dritten gegenüber rechtssicher zu öffnen, wie dies in beinahe allen unseren Nachbarländern möglich ist. Entsprechende Gesetzentwürfe liegen seit langem vor, genauso wie deutliche Aufforderungen des Bundesrats, die morgen noch einmal erneuert werden. Gerade aus verbraucherschutzpolitischer Sicht ist das bisherige Agieren der Bundesregierung eine echte Enttäuschung. Statt digitale Verbraucherrechte auszubauen, wie Sie es am Anfang der Legislaturperiode vollmundig versprachen, als Sie ankündigten, die digitalen Verbraucherrechte zu einem – ich zitiere – „Schwerpunkt in dieser Legislatur“ machen zu wollen, haben Sie diese in den vergangenen zwei Jahren geschwächt. Dringend notwendige Reformen, zum Beispiel im Bereich des Datenschutzes, verweigern Sie bis heute. Angesichts der Herausforderungen, vor die uns Internet und Digitalisierung heute stellen, beispielsweise hinsichtlich einer effektiven Durchsetzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, versagt diese Regierung völlig. Dabei ist Ihr bisheriger Laisser-faire-Ansatz längst gescheitert. Konsequenzen aus den Enthüllungen Edward Snowdens ziehen Sie noch immer nicht. Das von Ihnen vor kurzem erst, pünktlich zur Cebit, vorgelegte IT-Sicherheitsgesetz greift viel zu kurz und geht an den tatsächlichen Problemen meilenweit vorbei. Die Bundesregierung muss endlich die Dimension der Kompromittierung unserer digitalen Infrastrukturen verstehen und entsprechend tatsächliche Konsequenzen ziehen. Sie muss ihre Anstrengungen, die Integrität digitaler Kommunikationsinfrastrukturen schnellstmöglich wiederherzustellen, dringend intensivieren. Eine grundlegende Überprüfung von Leitungen, Hard- und Software und eine IT-Sicherheitsstrategie, die ihren Namen verdient, sind überfällig. Konkrete Vorschläge haben wir Ihnen vor langer Zeit unterbreitet. Statt sie aufzugreifen, führen Sie die Vorratsdatenspeicherung wieder ein und setzen den Inlandsgeheimdienst auf die private Kommunikation der Bürgerinnen und Bürger in den sozialen Netzwerken an. Ihre IT-Sicherheitspolitik ist auch weiterhin höchst widersprüchlich. Heute wollen Sie Deutschland zum „Verschlüsselungsland Nummer eins“ machen, morgen stellen Sie Verschlüsselungen und die rechtlich klar verankerte Anonymität grundsätzlich infrage. Statt Vertrauen wiederherzustellen, schüren Sie so weitere Verunsicherung. Statt sich des digitalen Wandels anpackend anzunehmen und gesellschaftliche Debatten über die Zukunft unserer digitalen Gesellschaft anzustoßen und das Know-how der Zivilgesellschaft aufzugreifen, verschanzen sich Union und SPD hinter verschlossenen IT-Gipfel-Türen. All das geht in die völlig falsche Richtung. Insgesamt müssen wir die Selbstbestimmung in der digitalen Welt als Gesetzgeber stärken und den Nutzerinnen und Nutzern mehr statt weniger Autonomie über die eigenen Daten, aber eben auch die verwendeten IT-Komponenten einräumen. Dies gilt umso mehr nach den Enthüllungen Edward Snowdens. Ein zentraler Baustein, hierauf zu reagieren, ist, auch die Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher zu stärken und ihnen so die Möglichkeit zu eröffnen, IT-Komponenten einzusetzen, die sich beispielsweise durch hohe Datenschutzstandards auszeichnen. Wir brauchen insgesamt mehr vertrauenswürdige Hard- und Software, die von den Nutzerinnen und Nutzern und einer vitalen zivilgesellschaftlichen Bewegung überprüft und weiterentwickelt werden kann. Hier ist auch der Staat in der Verantwortung, entsprechende proaktive Anreize zu setzen, beispielsweise durch Auditierungen oder die Vergabe von Gütesiegeln. Zudem kann er selbst mit gutem Beispiel vorangehen, zum Beispiel indem er Ausschreibungsregularien überprüft und freie Software, die zahlreiche Vorteile bietet, gegenüber geschlossenen, proprietären Formaten bevorzugt. Vielleicht erinnert sich ja jemand in Bundesregierung oder Regierungsfraktionen noch daran, dass die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ mehrere Hundert Handlungsempfehlungen für den jetzigen, den 18. Bundestag, erarbeitet hat – welche übrigens mit den Stimmen aller Fraktionen einstimmig verabschiedet wurden. Sie endlich aufzugreifen, wäre auch angesichts Ihrer dünnen Digitalen Agenda überfällig. In dem heute diskutierten Kontext empfehle ich die nochmalige Lektüre der Zwischenberichte der Projektgruppen „Interoperabilität, Standards, Freie Software“ und „Verbraucherschutz“. Insgesamt gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass wir, auf die gute interfraktionelle Zusammenarbeit in der Enquete aufbauend, endlich die überfälligen netzpolitischen Weichenstellungen angehen und uns den Herausforderungen des digitalen Wandels als Gesetzgeber in der verbleibenden Zeit der Wahlperiode gemeinsam stellen. Die heutige Verabschiedung der Initiative, die den Zwangsroutern endlich einen gesetzlichen Riegel vorschiebt, ist nur ein kleiner Schritt auf einem weiten Weg, aber es könnte ein erster sein. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (Tagesordnungspunkt 22) Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Wir beraten heute abschließend den Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb. Dazu haben die Koalitionsfraktionen einen umfangreichen Änderungsantrag vorgelegt. Hintergrund des Gesetzgebungsverfahrens ist, dass die Europäische Kommission die deutsche Umsetzung der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken zwischen Unternehmen und Verbrauchern im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) von 2008 beanstandet hat. Anfang 2014 hatte sie ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Die im Vertragsverletzungsverfahren benannten Kritikpunkte wollen wir nun aufgreifen. Dazu nehmen wir Klarstellungen bei der Gesetzessystematik des UWG vor und passen das Gesetz stärker an den Wortlaut der Richtlinie an. Über Änderungen der Systematik und des Wortlauts des Gesetzes wollen wir – lassen Sie mich das klar formulieren – ausdrücklich keine inhaltlichen Änderungen im materiellen Lauterkeitsrecht mit der Novellierung bewirken. Auch bislang war es schon so, dass die Gerichte das UWG richtlinienkonform ausgelegt haben. Wir knüpfen daran an und wollen die bestehende Judikatur im Einklang mit der Richtlinie kodifizieren. Nicht mehr und nicht weniger. Die Vorschriften, die das Verhältnis von Unternehmern und Verbrauchern (B2C) regeln, sollten laut der Kommission stärker von den Vorschriften, die das Verhältnis von Unternehmen untereinander (B2B) regeln, abgegrenzt werden. Dazu sah der Gesetzentwurf der Bundesregierung als Gegenstück zu der neu gefassten Verbrauchergeneralklausel die Einführung einer auf Mitbewerber und sonstige Marktteilnehmer bezogene Unternehmergeneralklausel vor. Im gleichen Zug wurde der Begriff der fachlichen Sorgfalt spiegelbildlich als Lauterkeitsmaßstab auch im Verhältnis von Unternehmern zu Mitbewerbern und sonstigen Marktteilnehmern in § 3 Absatz 3 UWG-E neu eingeführt. Im Laufe des parlamentarischen Verfahrens hat sich herausgestellt, dass der Entwurf der Bundesregierung mit Blick auf das selbstgesetzte Ziel, keine materiellrechtlichen Änderungen vorzunehmen, die Kritikpunkte der Kommission zum Teil nicht ausreichend, zum Teil überschießend aufgegriffen hat. Der Entwurf beschränkte sich nicht allein auf die Umsetzung der Richtlinie, sondern ging teilweise über die Vorgaben der Richtlinie hinaus. Gerade die Neuerungen im B2B-Bereich stellen einen unnötigen und nicht erforderlichen Eingriff in die bestehende Rechtslage dar und hätten erhebliche Folgen für die Rechtsanwendungspraxis gehabt. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hätte insoweit das selbstgesetzte Ziel verfehlt, das deutsche UWG an die Richtlinie anzupassen und keine inhaltlichen Änderungen an der Rechtslage vorzunehmen. Diesbezüglich gilt mein Dank besonders Herrn Professor Helmut Köhler und Herrn Professor Ansgar Ohly von der Ludwig-Maximilians-Universität München und Herrn Richter am Bundesgerichtshof Dr. Wolfgang Kirchhoff, die uns hier wertvolle Hinweise gegeben haben. Danach war klar: Für eine richtlinienkonforme Umsetzung sind deutliche Änderungen am Regierungsentwurf notwendig. Diese haben wir mit dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen vorgenommen. Wir stellen sicher, dass die materielle Rechtsanwendung im Lauterkeitsrecht grundsätzlich nicht verändert und von nicht gebotenen Änderungen der Rechtslage durch die Richtlinie abgesehen wird. In der Folge haben wir eine Reihe von Anpassungen der Gesetzessystematik sowie sprachlicher und redaktioneller Art in Anlehnung an den Richtlinienwortlaut vorgenommen. Hervorzuheben ist etwa, dass wir von einer eigenständigen Generalklausel in § 3 Absatz 3 UWG-E für den unternehmerischen Bereich absehen. Das hatte der Regierungsentwurf so vorgesehen. Eine solche Unternehmergeneralklausel für den B2B-Bereich war aber durch die Richtlinienumsetzung gar nicht geboten, weil diese nur Vorgaben für den B2C-Bereich enthält. Bei der im Kabinettsentwurf vorgeschlagenen Generalklausel wäre zudem der Mitbewerberschutz im Vergleich zur geltenden Rechtslage deutlich geschwächt worden. Denn alle geschäftlichen Handlungen, die sich zugleich an Verbraucher richten oder diese erreichen – was die Mehrheit aller Handlungen betroffen hätte –, wären letztlich der Verbrauchergeneralklausel unterworfen worden. Die Anwendung der mitbewerberschützenden Vorschriften wäre dabei regelmäßig ausgeschlossen gewesen. Eine Doppelkontrolle hätte nicht mehr stattgefunden. Eine Streichung von § 3 Absatz 3 UWG-E war somit auch zur Verhinderung von Schutzlücken durch einen zu engen Anwendungsbereich notwendig. Nicht zuletzt hatte sich auch gegen den Begriff der fachlichen Sorgfalt in § 3 Absatz 3 UWGE zum Teil erhebliche Kritik geregt, der Maßstab sowohl für den B2C- wie auch für den B2B-Bereich sein sollte. Mit dem Änderungsantrag sehen wir davon ab, den Begriff der fachlichen Sorgfalt zur Definition der Unlauterkeit auch im B2B-Verhältnis zu verwenden. Das verhindert Rechtsunsicherheiten, wie der neue Begriff auszulegen ist. Damit wird nicht zuletzt auch ein Anliegen des Bundesrates aufgegriffen. Mit der Streichung von § 3 Absatz 3 als Generalklausel für den unternehmerischen Bereich bleibt § 3 Absatz 1 UWG-E als Auffangtatbestand für sonstige unlautere Handlungen erhalten, die künftig nicht nach den spezielleren Tatbeständen der §§ 4 ff. UWG-E zu beurteilen sind. Der Entwurf der Bundesregierung sah noch vor, dass § 3 Absatz 1 UWG-E von einer Generalklausel auf eine bloße Rechtsfolgenregelung reduziert werden sollte. Dies hätte zur Folge gehabt, dass bestimmte Fallgruppen, wie zum Beispiel hoheitliches Handeln der öffentlichen Hand oder Verstöße gegen die Menschenwürde, sich nicht mit der Verbrauchergeneralklausel und der Unternehmergeneralklausel hätten sachgerecht erfassen lassen. Insoweit wäre der Anwendungsbereich des UWG in nicht gebotener Weise beschränkt worden. Im Hinblick auf das in diesem Zusammenhang diskutierte Fehlen des Spürbarkeitserfordernisses in § 3 Absatz 1 UWG-E möchte ich in aller Deutlichkeit darauf hinweisen, dass dieses ausdrücklich in den Spezialtatbeständen der §§ 4 ff. UWG-E geregelt ist. In der Ausschussbegründung haben wir dazu klargestellt, dass es beim Auffangtatbestand des § 3 Absatz 1 UWG-E der Rechtsprechung überlassen bleibt, nach wie vor angemessene Spürbarkeitserfordernisse aufzustellen. Die Befürchtungen insbesondere des Handels, dass es zukünftig schon bei bloßen Bagatellverstößen zu Abmahnungen wegen unlauteren Handels kommen würde, sind damit unbegründet. Am Spürbarkeitserfordernis ändern wir nichts. Des Weiteren wird der Wortlaut von § 2 Absatz 1 Nummer 7 UWG-E der Richtlinie angenähert und der Begriff der fachlichen Sorgfalt durch den Begriff der unternehmerischen Sorgfalt ersetzt. Dies entspricht dem Sinn nach dem Begriff der beruflichen Sorgfalt in der deutschen Sprachfassung. Der Regierungsentwurf sah weiterhin vor, dass die in § 4 UWG genannten Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen künftig als Beispiele von Verstößen gegen die fachliche Sorgfalt eingestuft werden sollten. Dies ist von der Richtlinie ebenfalls nicht gefordert, weswegen der Normcharakter vom bisherigen § 4 UWG beibehalten wird. In der Folge wird § 4 UWG-E auf Grundlage des bisherigen § 4 UWG umgestaltet und gesetzessystematisch auf zwei Paragrafen aufgeteilt: Dabei entfallen § 4 Nummer 1 bis 5. Der Regelungsgehalt zu aggressiven und irreführenden geschäftlichen Handlungen wird nunmehr durch § 4 a, § 5 sowie § 5 a UWGE abgebildet. An dieser Stelle ist besonders zu betonen, dass materielle Änderungen an der Rechtslage damit nicht vorgesehen sind, auch wenn aufgrund dessen § 4 a UWG-E auf „sonstige Marktteilnehmer“ erweitert wird. Dies beruht auf der Aufhebung von § 4 Nummer 1 UWG und entspricht inhaltlich der bisherigen Rechtslage. Insbesondere soll sich nichts an der Handhabung von harten Verhandlungen durch Ausübung von Druck durch die Rechtspraxis ändern. Bezüglich der Frage, wann künftig eine Handlung gegenüber besonders verletzlichen Verbrauchern unlauter ist, wird mit Blick auf den Regelungsgehalt des zu streichenden § 4 Nummer 2 UWG ein klarstellender Hinweis bezüglich aggressiven geschäftlichen Handlungen in § 4 a Absatz 2 Satz 2 UWG-E aufgenommen. Schließlich wird der Tatbestand des Rechtsbruchs aus § 4 Nummer 11 UWG in einen neuen § 3 a UWG-E überführt. Damit soll klarer als bisher zum Ausdruck kommen, dass es sich hier um einen Spezialtatbestand einer unlauteren Handlung außerhalb des beschränkten Anwendungsbereichs der Richtlinie handelt. Im Ergebnis enthält § 4 UWG-E nach den genannten Streichungen ausschließlich eine Regelung zum Mitbewerberschutz und entspricht damit den bisherigen Regelungen in § 4 Nummer 7 bis 10 UWG. Wir haben den Anspruch, dass der Gesetzgeber die Richtlinie in diesem Anlauf sauber und ohne materielle Rechtsänderungen umsetzt. Dies ist uns mit dem Gesetzentwurf in seiner geänderten Fassung gelungen. Zudem führt das Gesetz mit einer klaren Systematik im Sinne der Verbraucher und Unternehmen zu einer verbesserten Verständlichkeit der die Unlauterkeit begründenden Normen. Viele an mich herangetragene und noch offene Fragen des Wettbewerbsrechts konnten wir in diesem Verfahren bedauerlicherweise nicht erörtern. Wegen des laufenden Vertragsverletzungsverfahrens wollten wir ein schnelles Gesetzgebungsverfahren. Bald ergibt sich aber eine neue Gelegenheit: Im Rahmen der Evaluierung des Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken im nächsten Jahr werden wir die noch offenen Punkte im Lauterkeitsrecht aufgreifen können. Darauf freue mich. Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Mit dem Änderungsgesetz zum Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb gehen wir einen weiteren Schritt zu mehr Transparenz und Rechtssicherheit. Das ist wichtig, sowohl für Verbraucher als auch für Unternehmen, denn nur so können wir gewährleisten, dass hiesigen Unternehmen und Verbrauchern die gleichen Rechte zukommen und mit gleichen Standards konkurriert wird. „Unlauter“ als sprachliches Synonym von „unehrlich“ und „betrügerisch“ ist negativ konnotiert und bedarf allein deshalb einer gesetzgeberischen, klaren Richtlinie. Denn die Aufgabe, die dem Staate zukommt, ist es, für Gerechtigkeit auf dem Markt und in der Gesellschaft zu sorgen. Gerechtigkeit ist ein grundlegender und zentraler Begriff der Ethik. Sie ist ein Wert mit hohem Anspruch und die Berufung auf selbige von großer Bedeutung. Gerechtigkeit kann als eine Charaktertugend umschrieben werden, eine auf das Gerechte ausgerichtete innere Einstellung. Die ausgleichende Gerechtigkeit – also die des Gesetzgebers – besteht in der tatkräftigen Bereitschaft, dem Einzelnen bzw. einer anderen Gemeinschaft das Zustehende zu gewähren. Dieser Gedanke ist nicht neu, sondern findet sich bereits bei Aristoteles. Ich bin davon überzeugt, dass Vorschriften – damals wie heute – eindeutig formuliert sein müssen. Dies dient nicht nur der Rechtlichkeit, sondern schützt Verbraucher und Unternehmen gleichermaßen und ahndet Verstöße zielführend. In diesem Sinne wurde bereits vor über zehn Jahren das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, das am 8. Juli 2004 in Kraft trat, eingeführt. Dieser Grundsatz muss in Deutschland und Europa gleichermaßen gelten. Diese geschaffene rechtswirksame Harmonisierung auf den europäischen Märkten ist ein wichtiges Gut, um den Standards und Ansprüchen in allen Ländern der Europäischen Union in gleichem Maße zu genügen. In der EU sollte die Rechtssetzung im Bereich des Wirtschaftsrechts einheitlich gesetzt werden. So muss gelten, dass ein Rechtsrahmen nicht nur in der Bundesrepublik Bestand hat, sondern auch in der EU insgesamt verfolgt werden kann. Denn damit wird einmal mehr eine vollständige Harmonisierung des Rechts in der Europäischen Union gewährleistet. Es ist nicht zumutbar, sich durch eine Vielzahl von Urteilen verschiedenster Gerichte zu schlagen, wenn es einen einfacheren Weg gibt. Allein schon deshalb sind wir verpflichtet, für Einheitlichkeit zu sorgen, wo Unsicherheiten bestehen. Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, das vormals im Juli 2004 in Kraft trat und das wir heute in zweiter Lesung konkretisieren und beraten, ist ein weiterer Schritt für mehr Rechtssicherheit – für Deutschland und Europa. Für Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch für Mitbewerber und andere Marktteilnehmer wollen wir ein einheitliches Recht schaffen. Hierzu werden Begriffe konkreter formuliert und klarer definiert. So schaffen wir Transparenz und Rechtssicherheit gleichermaßen, sodass den streitenden Parteien vor Gericht ein umfassender und einheitlicher Rechtsschutz gewährt wird. Von zentraler Bedeutung ist die Neufassung des § 3 Absatz 1 UWG, der nunmehr lauten soll: „Unlautere geschäftliche Handlungen sind unzulässig.“ Dieser Satz ist schlicht, und dennoch lässt er für jeden Rechtsanwender erkennen, dass unlauterer Wettbewerb verboten ist. Diese Generalklausel findet in den nachfolgenden Vorschriften im UWG ihre konkrete Ausgestaltung. Als Beispiele seien nur verschleierte Werbung oder die Verunglimpfung von Mitbewerbern genannt. Gleichermaßen muss die Generalklausel ihre Schranken bei Bagatellfällen finden. In einer Vielzahl von Tatbeständen befinden sich sogenannte Relevanzklauseln. Die unlautere geschäftliche Handlung muss auch geeignet sein, das wirtschaftliche Handeln wesentlich zu beeinflussen. Dieses Korrektiv ist nötig, um Bagatellfälle ausschließen zu können. Die Generalklausel soll gerade nicht das Einfallstor für ungerechtfertigte Abmahnungen durch Mitbewerber sein. Gleichermaßen ist eine beeinflussende geschäftliche Handlung erst unzulässig, wenn diese die Fähigkeit des Marktteilnehmers zu einer informierten Entscheidung wesentlich einschränkt. Eine mit harten Bandagen geführte geschäftliche Verhandlung stellt daher, selbst bei einer stärkeren Verhandlungsposition einer Seite, noch keinen unlauteren Wettbewerb dar. Mit den neuen Regelungen im Gesetzentwurf schaffen wir noch mehr Transparenz. Der Rechtsanwender erkennt genauer, wann eine unlautere geschäftliche Handlung vorliegt. Mit dem Ziel von mehr Verbraucherschutz und Rechtssicherheit bitte ich daher um Ihre Unterstützung. Das Gesetz dient ebenfalls der Umsetzung europäischer Vorgaben. Daran halten wir uns. Ich werbe um Zustimmung zum Gesetzentwurf! Christian Flisek (SPD): Heute verabschieden wir das zweite Änderungsgesetz des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb (UWG). Dass wir das UWG innerhalb weniger Jahre zum zweiten Mal ändern (müssen), macht deutlich, dass wir es mit einem gleichermaßen wichtigen wie sensiblen Gesetzeswerk zu tun haben. Auch wenn die allermeisten Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande niemals vom UWG gehört haben, geschweige denn sich damit beschäftigt haben oder dies jemals tun werden, ist das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb ein wichtiges Fundament unserer Wirtschaftsordnung. Unsere Wirtschaftsordnung beruht auf dem Wert der Freiheit und der Überzeugung, dass jeder auch in wirtschaftlichen Angelegenheiten nach seinen eigenen Bedürfnissen und seinen persönlichen Zielen handeln kann und dass dieses individuelle Streben zum Wohle aller führt. Das ist die Grundidee der freien Marktwirtschaft. Voraussetzung dafür ist jedoch ein freier und fairer Wettbewerb. Der schöne aus dem Mittelhochdeutschen kommende Begriff der „Lauterkeit“ bedeutet nun nichts anderes als „Anständigkeit“ oder schlicht „ein faires und ehrliches Verhalten“. Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ist also ein Gesetz gegen unfairen und unanständigen Wettbewerb. Es dient dem Schutz der Mitbewerber, der Verbraucherinnen und Verbraucher sowie der sonstigen Marktteilnehmer vor unlauteren geschäftlichen Handlungen und schützt damit zugleich das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb. Wegen seiner zentralen Bedeutung für die Wirtschaftsordnung ist es nicht verwunderlich, dass es seit seinem Inkrafttreten im Jahr 1896 häufig novelliert wurde. Mit der Neufassung im Jahre 2004 wurde das UWG vor dem Hintergrund europarechtlicher Vorgaben grundlegend reformiert. Mit der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegen Verbraucher im Binnenmarkt (und weiteren europäischen Richtlinien) wurde das Lauterkeitsrecht im Verhältnis von Unternehmen zu den Verbrauchern auf europäischer Ebene weitgehend vollharmonisiert und mit dem Ersten Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb 2008 in deutsches Recht umgesetzt. Aus Sicht der EU-Kommission war das jedoch nur unzureichend gelungen. Mit dem jetzt vorliegenden Zweiten Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb nehmen wir die Kritikpunkte der EU-Kommission auf. Unser Bestreben war dabei von Anfang an, das Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland abzuschließen und ausschließlich für eine beanstandungsfreie Umsetzung der Richtlinie zu sorgen. Ich kann mit guten Gewissen an dieser Stelle sagen, dass wir uns zusammen mit unserem Koalitionspartner diese Aufgabe nicht leicht gemacht haben und uns im intensiven Austausch mit Sachverständigen und Rechtsgutachtern um eine möglichst wortgetreue Umsetzung der Richtlinie bemüht haben, ohne dass wir die Systematik und die Struktur des UWG grundlegend verändert haben. Diese Feinarbeit führte dazu, dass wir mit einem Änderungsantrag weitere Modifizierungen am ursprünglichen Gesetzentwurf vorgenommen haben. So haben wir zum Beispiel die Definition der „geschäftlichen Entscheidung“ aus der Richtlinie übernommen und auf eine eigenständige Generalklausel für den unternehmerischen Bereich, wie er noch im ersten Entwurf enthalten war, verzichtet. Der Mitbewerberschutz wird zudem in einem eigenen Paragrafen geregelt, ebenso wie die Regelungen zu aggressiven geschäftlichen Handlungen, die nun auf Unternehmen als Abnehmer ausgedehnt werden. Wir sind davon überzeugt, dass wir mit diesen und weiteren Änderungen eine vollständige Rechtsangleichung im Sinne der EU-Richtlinie im Wortlaut des UWG erreicht haben. Ich kann die Kritik der Opposition verstehen, die weitergehende materielle Änderungen angemahnt hat. Ich kann mit dieser Kritik aber gut leben, weil das auch nicht das Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfes war. Caren Lay (DIE LINKE): Verbraucherinnen und Verbraucher sind am Markt noch lange nicht auf Augenhöhe mit den Unternehmen. Das sagen nicht nur die Linke und die Verbraucherverbände, sondern auch die EU, die bereits 2005 eine klarstellende Anpassung des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb eingehandelt hat. Diese wurde dann 2008 aber nur mangelhaft umgesetzt, sodass die EU-Kommission sich sogar gezwungen sah, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einzuleiten. Insbesondere bemängelte sie, dass Verbraucherinnen und Verbraucher immer noch zu wenig Rechtssicherheit genießen. Und deswegen müssen wir leider noch einmal ran an den unlauteren Wettbewerb. Das hätte man sich mit etwas Sorgfalt auch sparen können. Schauen wir einmal in den Gesetzentwurf: Der § 3 wird als Generalklausel neu formuliert, und es wird deutlicher zwischen unlauteren Geschäftspraktiken gegenüber Verbrauchern und gegenüber Mitbewerbern unterschieden. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Zu begrüßen ist, dass im § 4 definiert ist, dass Beeinflussung durch Belästigung und Gewalt zukünftig als unlauterer Wettbewerb geahndet werden soll. Das sollte eigentlich ganz selbstverständlich sein: Eine erpresste oder erschlichene Geschäftsentscheidung, ob durch Gewalt oder Lockvogelangebote, muss ungültig sein. Der Referentenentwurf definiert dies auch noch näher; die Große Koalition macht nun mit ihrem Änderungsantrag eine Rolle rückwärts und will dies wieder streichen. Damit sorgt sie unnötig für Unklarheit. Ich frage mich wirklich, warum hier zurückgerudert wird. § 5 hingegen beschreibt, was unter dem Vorenthalten einer Information zu verstehen ist. Versicherungs- und Finanzvermittler bzw. Anlageberater müssen die neuen Vorschriften nicht nur in der Beratung ihrer Kundinnen und Kunden, sondern auch bei der Erstellung der gesetzlich vorgeschriebenen Beratungsdokumentation beachten. Dennoch hätten wir uns hier eine Konkretisierung gewünscht. Der § 10 hingegen, der die Abschöpfung von unrechtmäßigen Unternehmensgewinnen beinhaltet, wäre dringend zu reformieren. Wir brauchen für Firmen, die mit zwielichtigen Geschäften Geld ergaunern, Sanktionsmöglichkeiten – die dann unmittelbar der Verbraucherarbeit, und damit den Geschädigten, zufließen können. Selbst das Verbraucherministerium hat das 2010 schon angemahnt. Passiert ist seither nichts. Hier haben Sie eine Chance vertan. Ich gestehe der Koalition zu, dass sie durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes wenig Spielraum hatte. Dennoch wäre hier deutlich mehr möglich gewesen. Anstatt für Verbesserungen zu sorgen, schaffen die Unklarheiten eher Verschlechterungen oder werden die Probleme nicht aufgegriffen bzw. der Handlungsspielraum der Richtlinie nicht ausgereizt. Darüber hinaus ist es unklar strukturiert und wenig anwenderfreundlich. Schade. Eine weitere Chance zur Stärkung der Verbraucherrechte wurde vertan. Die Linke lehnt den Gesetzentwurf daher ab. Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem Entwurf zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, UWG, haben Sie auf Urteile und Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs reagiert und Klarheit geschaffen, wann Schneeball- und Pyramidensysteme unlauter sind. Doch aus Sicht der grünen Bundestagsfraktion hätte der Gesetzentwurf weiter gehen und in einem Aufwasch andere, lange bekannte Probleme im Bereich des Wettbewerbsrechts aufgreifen müssen: Erstens hätten Sie das Problem lösen müssen, dass der im UWG verankerte Gewinnabschöpfungsanspruch in der Praxis ins Leere läuft. Die Abschöpfung von Unrechtsgewinnen, die sich Unternehmen durch unseriöse Geschäftsmodelle aneignen, ist auf Grundlage der jetzigen Regelung praktisch kaum möglich. Rechtswidriges Verhalten lohnt sich immer noch viel zu oft, weil die Unternehmen das zu Unrecht erworbene Geld behalten können, wenn ihnen beispielsweise kein Vorsatz nachzuweisen ist. Dieses Problem ist der Bundesregierung seit Jahren bekannt. Eine Studie aus 2011, vom Bundesverbraucherministerium in Auftrag gegeben, kommt zu dem klaren Ergebnis, dass die Regelung in der derzeitigen Form wirkungslos ist. Leider hat Heiko Maas keine Schlüsse daraus gezogen und lässt die zahnlose Regelung, wie sie ist. Von einem Verbraucherschutzminister hätte ich mehr erwartet. Zweitens hätte bei Rechtsverletzungen im Onlinehandel endlich die Möglichkeit des fliegenden Gerichtsstandes abgeschafft werden müssen. Denn diese Regelung ermöglicht es, dass Abmahner sich aussuchen können, an welchem Gericht sie klagen. Dies hat mit Verbraucherschutz nichts zu tun und geht zudem zulasten von kleinen und mittleren Unternehmen, für die ein Gerichtsverfahren weit weg vom Geschäftssitz mit hohen Kosten verbunden ist. Die Abschaffung des fliegenden Gerichtsstandes und die damit verbundene Eindämmung der Geschäftemacherei mit Massenabmahnungen wurden zu Oppositionszeiten von der SPD geteilt. Jetzt in Regierungszeiten ist diese sinnvolle Forderung im Sinne von Verbrauchern und Kleinunternehmen leider dem Koalitionsfrieden mit der Union zum Opfer gefallen – ziemlich schwache Vorstellung, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD. Drittens vertut der Gesetzentwurf eine Chance für besseren Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Abzocke im Netz. Bei digitalen Diensten wie Smartphone-Apps und Onlinespielen lauern Kostenfallen, zum Beispiel wenn Kinder aufgefordert werden, bestimmte virtuelle Hilfen zu kaufen, damit sie ein Onlinespiel weiterspielen können, oder kostenpflichtig Futter für ein digitales Haustier zu kaufen, damit dieses nicht den virtuellen Tod stirbt. Wir fordern die Einführung eines eigenen Bußgeldtatbestandes in § 20 UWG für Verstöße gegen das Verbot direkter Kaufaufforderungen gegenüber Kindern. Vor der Sommerpause hat uns die Bundesregierung, vertreten durch Staatssekretär Kelber, in einem Berichterstattergespräch nachdrücklich darauf hingewiesen, dass wir mit der Novellierung des UWG zeitlich in Verzug sind. Um Sanktionsmaßnahmen vonseiten der EU zu vermeiden, müssten die vom EuGH angemerkten Veränderungen nun zügig durchgeführt werden, und es bleibe kein Raum und keine Zeit für weitere Regelungen. Staatssekretär Kelber hat mir bei dem Berichterstattergespräch allerdings auch beigepflichtet, dass die Bundesregierung bei den Themen „Gewinnabschöpfungsanspruch“ und „fliegender Gerichtsstand“, die man auch im UWG regeln müsste, Handlungsbedarf sehe. Wann die Bundesregierung diese Themen aber anpacken wird, hat sie bis heute offengelassen. Zugleich war es mit der Novellierung des UWG wohl dann doch nicht so eilig, denn die Bundesregierung hat weitere vier Monate verstreichen lassen. Jetzt haben wir zum Gesetzentwurf der Bundesregierung noch einen Änderungsantrag der Koalition auf dem Tisch. Mit den kleineren Veränderungen und vorgenommenen Korrekturen, insbesondere bei der Veränderung der Regelbeispiele in § 4, können wir leben. Aber wir fragen uns schon, ob man diese Zeit nicht auch hätte nutzen können, um die Verbesserung des Gewinnabschöpfungsanspruchs und die Abschaffung des fliegenden Gerichtsstands herbeizuführen. Studien und Gutachten zu diesem Thema liegen vor; das Rad muss hier also bei den bereits seit Jahren bekannten Problemen nicht neu erfunden werden. Der Gesetzentwurf bleibt unter seinen Möglichkeiten und ist so mutlos und halbherzig wie diese Große Koalition. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Zollverwaltung (Tagesordnungspunkt 23) Margaret Horb (CDU/CSU): Vor über 2 000 Jahren hatten die Zöllner keinen besonders guten Ruf. Viele kennen die Geschichte vom Zöllner Matthäus, den Jesus zu einem seiner Jünger machte und der dann zu einer tragenden Säule im „Kabinett Jesu“ wurde. Heute, 2 000 Jahre später, ist der Zoll eine tragende Säule unserer Finanzverwaltung. In den letzten beiden Jahrtausenden hat sich das Bild vom Zoll Gott sei Dank deutlich gewandelt. Ohne die Zollverwaltung würde die Finanz- und Sicherheitsarchitektur unseres Landes zusammenkrachen. Der Zoll erhebt Bundessteuern, Verbrauchsteuern und Zölle. Der Zoll bekämpft organisierte Kriminalität, Schwarzarbeit und Schmuggel. Der Zoll sichert unsere Grenzen. Er kontrolliert die Produkte, die in unser Land fließen und die es verlassen. Der Zoll sorgt für einen reibungslosen Warenfluss und ist ein wichtiger Ansprechpartner sowohl für die Bürgerinnen und Bürger als auch für die Unternehmen in unserem Land. Die Wirtschafts- und Exportnation Deutschland braucht eine effiziente, wirtschaftsfreundliche, ansprechbare Zollverwaltung. Fast 40 000 kompetente Zöllnerinnen und Zöllner leisten Tag für Tag in Deutschland ihren Beitrag für den Erfolg unseres Wirtschaftsstandortes. Für unseren Staat nehmen diese Frauen und Männer jährlich fast 130 Milliarden Euro ein. Ob bundesweit oder in meiner Heimat Baden-Württemberg, ob im Mannheimer Hafen, am Stuttgarter Flughafen oder bei der Zollfahndung in Karlsruhe – die Zöllnerinnen und Zöllner leisten hervorragende, wichtige Arbeit. Anfang Oktober hat der Zoll 370 Beamte an die Bundespolizei und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge entsandt. Freiwillig unterstützen die Zöllner uns bei der Bewältigung der Mammutaufgabe, die Flüchtlingsströme in geordnete Bahnen zu lenken. Ich habe davor großen Respekt und sage als Bürgerin und Bundestagsabgeordnete an dieser Stelle von ganzem Herzen Danke! Unsere Aufgabe als Politiker ist es, dafür zu sorgen, dass der Zoll auch in Zukunft seine Aufgaben effizient und effektiv erfüllen kann. Der Zoll hat in den letzten Jahren deutlich an Kompetenzen und vielfältigen Aufgabenbereichen hinzugewonnen. Man denke nur an die Kontrolle des Mindestlohns oder die Verwaltung der Kfz-Steuer. Diesem gewachsenen Aufgabenspektrum tragen wir nun durch eine umfassende Strukturreform Rechnung. Vielleicht beraten wir heute das am meisten unterschätzte Finanzgesetz dieser Legislaturperiode. Das Gesetz zur Neuorganisation der Zollverwaltung ging wenig kontrovers durch die parlamentarischen Beratungen. Auch die Medien berichteten kaum. Und dennoch schreibt der Bundesrat in seiner Stellungnahme: „Die mit dem Gesetzentwurf vorgeschlagene Neuorganisation der Zollverwaltung zählt zu den bedeutsamsten und nachhaltigsten Strukturveränderungen in der Verwaltung des Bundes.“ Recht hat er! Wir richten mit diesem Gesetz eine Generalzolldirektion ein. Zurzeit gibt es fünf verschiedene Bundesfinanzdirektionen, dazu das Zollkriminalamt sowie das Bildungs- und Wissenschaftszentrum der Bundesfinanzverwaltung. Diese Behörden sind über ganz Deutschland verteilt und unterstehen als Mittelbehörden direkt dem Bundesfinanzministerium. Dieses Nebeneinander macht eine Koordinierung deutlich schwerer, als es notwendig wäre. Deshalb bauen wir die Hierarchieebene der Mittelbehörden ab und schaffen stattdessen an inhaltlichen Gesichtspunkten ausgerichtete Fachdirektionen in einer einzigen Bundesoberbehörde – der Generalzolldirektion. Das Ergebnis sind effizientere Schnittstellen und schnellere Entscheidungswege. Wir bekommen mehr Fachlichkeit und eine bessere, bundesweit einheitliche Koordinierung in die Zollverwaltung. Auch die internationale Koordinierung wird einfacher werden. Der Zoll ist auf grenzüberschreitende und europäische Zusammenarbeit elementar angewiesen. Schließlich kontrolliert er die Ein- und Ausfuhren unseres Landes. Die Zöllnerinnen und Zöllner schützen uns damit übrigens auch ganz konkret als Verbraucher, indem sie beispielsweise die eingeführten Lebensmittel, Kosmetika und andere Waren kontrollieren. Das gilt für die Pekingente aus Fernost genauso wie für Nahrungsergänzungsmittel aus Amerika. Betroffen von der Umstrukturierung des Zolls sind – und das ist wichtig – nur die bisherigen Mittelbehörden. Die 43 Hauptzollämter, die acht Zollfahndungsämter und die 271 Zollämter vor Ort bleiben vollständig erhalten. Der Zoll bleibt ein lokaler Ansprechpartner für Bürgerinnen, Bürger und Wirtschaft. Künftig wird er das sogar noch besser sein können als bisher. Die Generalzolldirektion entlastet die Ortsbehörden von Verwaltungsaufgaben. Wir bauen Doppelstrukturen ab und verschlanken Entscheidungswege. Das hat Auswirkungen auch auf den Personaleinsatz. Wir werden künftig weniger Personal in der Verwaltung brauchen und mehr Personal für die operative Arbeit zur Verfügung haben. Künftig wird es vor Ort also mehr Dienstposten geben. Es ist ganz entscheidend, dass wir diese regionale Expertise der Zollverwaltung erhalten und stärken. Sehr wichtig ist auch, dass die notwendigen Personalmaßnahmen sozialverträglich und im Einklang mit den Beschäftigten umgesetzt werden. Standortwechsel, beispielsweise Umzüge von Bonn nach Berlin, erfolgen freiwillig. In der Anhörung des Finanzausschusses waren gleich drei Gewerkschaften vertreten. Es gab in dieser Hinsicht überhaupt keine Kritik – sehr ungewöhnlich bei einer Strukturreform dieser Größenordnung. Es zahlt sich aus, dass das Bundesfinanzministerium die Beschäftigten über die Neuorganisation der Zollverwaltung umfassend informiert und beteiligt hat. Gerade als Mitglied im Bundesvorstand der Deutschen Steuer-Gewerkschaft freut mich das sehr. Eine besonders wichtige Aufgabe des Zolls ist die Zollfahndung. Hier reden wir über den Kampf gegen organisierte Kriminalität, gegen Drogenschmuggel oder gegen Steuerhinterziehung, um nur einige Beispiele zu nennen. Das dafür zuständige Zollkriminalamt wird nun ebenfalls Teil der Generalzolldirektion. Es hat jedoch eine besondere Bedeutung und eine besondere Stellung. Wir wissen das und berücksichtigen das auch. Die einzige Direktion innerhalb der Generalzolldirektion, die im § 5 a Finanzverwaltungsgesetz zwingend vorgeschrieben ist, wird diejenige für den Zollfahndungsdienst sein. Auch bei der parlamentarischen Kontrolle des Zollkriminalamtes gibt es überhaupt keine Abstriche. Weiterhin muss die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag Rede und Antwort zu den Überwachungsmaßnahmen des Zolls stehen. Dafür gibt es das Gremium nach § 23 c Absatz 8 des Zollfahndungsdienstgesetzes, und daran ändern wir auch nichts. Die Zollverwaltung ist mit all ihren vielfältigen Aufgaben eine organisatorische Einheit – auch mit dem Zollfahndungsdienst. Diese Einheit wollen und werden wir mit dem vorliegenden Gesetz stärken. Kurze Kommunikationswege zwischen den verschiedenen Teilbereichen – das ist unser Ziel. Bundesweit und fachübergreifend wird der Zoll künftig schneller und stringenter arbeiten und reagieren können. Wir alle wollen ein berechenbares, partnerschaftliches, handhabbares und faires Steuersystem. Dafür brauchen wir klare, administrierbare Gesetze, aber auch einen effektiven Vollzug dieser Gesetze. Mit ein paar geänderten Paragrafen im Einkommen- oder Umsatzsteuergesetz ist es nicht getan. Wir müssen auch für effektive, bürokratiearme Verfahren in der Finanzverwaltung sorgen. Mit dem Gesetz, das wir heute beschließen, gehen wir bei der Bundeszollverwaltung genau diesen Weg. Und diesen Weg werden wir konsequent weiter gehen. In den kommenden Monaten werden wir im Bundestag das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens beraten. Wir werden unser Steuerverfahrensrecht flexibilisieren und an die technischen Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts anpassen. Auch die Steuerverwaltungen der Länder werden damit in Zukunft schneller und kundenfreundlicher arbeiten können. Wir wollen eine Finanzverwaltung, die nah beim Bürger ist, die für die Unternehmen ansprechbar ist, die schnell und wirkungsvoll arbeitet. Dieses Ziel verfolgen wir mit dem Gesetz zur Neuorganisation der Zollverwaltung, und dieses Ziel werden wir auch in Zukunft weiter verfolgen. Ingrid Arndt-Brauer (SPD): Die Zollverwaltung ist eine Großbehörde mit fast 40 000 Mitarbeitern. Diese sichern nationale und europäische Einnahmen in dreistelliger Milliardenhöhe, vor allem im Bereich der Verbrauchsteuern. Für das Jahr 2014 waren das ungefähr 130 Milliarden Euro. Zu den Kernaufgaben des Zolls gehören die Unterbindung illegalen Handels und der Schutz der Bevölkerung durch die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität. Ich nenne an dieser Stelle nur einmal exemplarisch den Schmuggel von verbrauchsteuerpflichtigen Waren wie Zigaretten und Alkohol, Drogen-, Waffenschmuggel, Markenpiraterie, Geldwäsche, Artenschutz (Handel mit geschützten Tier- und Pflanzenarten), Einfuhr verbotener Arznei- und Lebensmittel und vieles andere mehr. Mit dem Wegfall der Grenzkontrollen – Stichwort „Schengen“ – wurde der Zoll für viele Bürger weniger erfahrbar und unsichtbarer. Aufgabenspektrum und Bedeutung des Zolls aber sind seitdem nicht weniger geworden – ganz im Gegenteil, sie haben sogar zugenommen. Ich nenne hier die Finanzkontrolle Schwarzarbeit, die seit 2004 vom Zoll übernommen wurde, die jüngst hinzugekommene Übernahme der Verwaltung der Kraftfahrzeugsteuer von den Ländern und die Kontrolle des gerade von der Bundesregierung beschlossenen gesetzlichen Mindestlohnes. Um dem wachsenden Aufgaben gerecht werden zu können, hat die Regierung jetzt eine umfassendere Neuorganisation der Zollverwaltung beschlossen, die wir heute im Bundestag verabschieden. Der umfangreiche gesetzliche Auftrag erfordert eine zielgerichtete und effiziente Steuerung. Wesentliches Element der Reform ist daher die Schaffung einer Generalzolldirektion als zentrale Oberbehörde in Bonn. In diese werden die fünf Bundesfinanzdirektionen und die Bereiche aus dem Finanzministerium, die nicht der Gesetzgebung dienen, überführt. Das Zollkriminalamt bleibt innerhalb der Generaldirektion als eigenständige Abteilung bestehen. Die neue Einheit „Generalzolldirektion“ wird unmittelbar dem Bundesfinanzministerium unterstellt. In den vergangenen Wochen und Monaten wurden diese Reformüberlegungen der Bundesregierung in den Gremien intensiv beraten. In einer Anhörung hatten die betroffenen Interessenvertretungen Gelegenheit, Kritik und Verbesserungsvorschläge darzulegen. Die meisten Verbände unterstützen diesen Ansatz im Grundsatz. Die Reform wird bestehende Strukturen effizienter gestalten und verschlanken – Hierarchieebenen abbauen. Leitbild der Regierung war der Erhalt des Zolls als Einheit von Finanzverwaltung und Vollzug. Durch die Zusammenführung von Teilen der Abteilung III mit den Bundesfinanzdirektionen in der Generalzolldirektion als einheitliche Organisationseinheit wird die bisherige Strukturentwicklung in der Zollverwaltung zur Stärkung der Fachlichkeit konsequent fortgeführt. Die Strukturen werden weiter gestrafft und die Aufgabenwahrnehmung durch den unmittelbaren Geschäftsweg zwischen steuernder Ebene (GZD) und operativer Ebene (Ortsbehörden) weiter optimiert. Nur die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat eine davon abweichende Meinung vertreten. Die GdP lehnt eine Integration des Zollkriminalamtes als Teil der Generaldirektion ab. Vielmehr sollte das Zollkriminalamt als eigenständige Oberbehörde neben der Generaldirektion eingerichtet werden und die Durchführung aller Kontroll- und Ermittlungstätigkeiten leiten. Dieser Position sind die Koalitionsfraktionen und auch ich selbst nicht gefolgt. Mit Blick auf das sehr komplexe Aufgabenspektrum der Zollverwaltung teilen wir die Haltung der Bundesregierung, dass es unerlässlich ist, die gesamte Führungsebene, welche die operativen Aufgaben steuert, in der Generalzolldirektion zu zentralisieren. Nur hierdurch kann ein enges Zusammenwirken der verschiedenen fachlichen Aufgabenbereiche mit den zur Durchsetzung des Rechts ermittelnd oder präventiv tätigen Vollzugsbereichen ermöglicht werden. Die Einrichtung einer weiteren Oberbehörde nach den Vorstellungen der GdP würde eine strikte Trennung strategischer und operativer steuernder Aufgaben beinhalten. Ein zentrales Anliegen der Strukturreform, nämlich kurze Entscheidungswege zwischen den Ebenen der Zollverwaltung zu schaffen, würde so konterkariert. Die Strukturreform der Bundesregierung beinhaltet aber notwendige Umstrukturierungen im Bereich des Zollkriminalamtes, der neuen Direktion 8 in der Generaldirektion, um auch die Arbeit des Zollkriminalamtes zu erleichtern und zu optimieren. Die Aufgaben der Direktion 8 werden zukünftig von drei neu aufgestellten Abteilungen wahrgenommen. Eine davon ist die Abteilung „Unterstützung Zollfahndungsdienst“. Dort werden die ermittlungs- und einsatzbezogenen Unterstützungsaufgaben gebündelt. Zur Ermittlungsunterstützung gehören insbesondere alle Fragen der Spezialeinheiten des Zolls, die ermittlungstaktische Einsatzunterstützung, die Telekommunikationsüberwachung und der Lagebereich. Das Zollkriminalamt wird sich dadurch künftig in vollem Umfang auf die Wahrnehmung seiner fachlichen Aufgaben konzentrieren können, da die bislang im Zollkriminalamt wahrgenommenen allgemeinen Verwaltungsaufgaben, die nicht zollfahndungsspezifisch sind, in die Zentraldirektionen verlagert werden. Ausdrücklich begrüße ich, dass die Regierung mit der Reform kein Personal abbauen möchte. Stellen, die durch Neu- und Umorganisation der Verwaltungsstrukturen an der einen Stelle frei werden, entfallen nicht, sondern werden dorthin verlagert, wo sie im Zuge der Neuorganisation benötigt werden. Es steht außer Frage, dass der Zoll heute und zukünftig jede Fachkraft benötigt. Der demografische Wandel wird auch am Zoll nicht spurlos vorbeigehen. Personalgewinnung bleibt ein zentrales Thema – nicht der Abbau! Die Herausforderungen sind und bleiben groß: Ich erinnere an die 1 600 zusätzlichen Stellen für die Mindestlohnkontrolle, die gewonnen und ausgebildet müssen. Der Zoll bleibt auch in der Fläche in vollem Umfang präsent. Kein Standort wird geschlossen. Das gilt für die ehemaligen Bundesfinanzdirektionen ebenso wie für die 43 Hauptzollämter und die acht Zollfahndungsämter. Die Fachkompetenz „vor Ort“ und „in der Fläche“ kann so erhalten werden. Ich halte die heute zur Abstimmung vorliegenden Reformüberlegungen für geeignet, den Zoll fit für die Zukunft zu machen, und empfehle daher, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Richard Pitterle (DIE LINKE): Die Bundesregierung will die Zollverwaltung neu organisieren und schafft dabei mit der Generalzolldirektion eine ineffiziente und unübersichtliche Mammutbehörde. Mehr noch: Wenn man diesen Gesetzentwurf der Bundesregierung in menschliche Gestalt gießen wollen würde, dann erhielte man wohl eine Figur mit Wasserkopf, die unter dem einen Arm eine Schreibmaschine und unter dem anderen ein geladenes Maschinengewehr trägt. Klingt erst einmal albern, ist aber leider nicht ganz fern der Realität. Ich will Ihnen das einmal an ein paar Beispielen verdeutlichen. Erster Punkt. Unter dem Präsidenten der Generalzolldirektion wird eine letztlich überflüssige neue Hierarchieebene mit neun hochbesoldeten Direktionspräsidenten geschaffen, bei denen man teils wohl Bedenken haben muss, dass sie sich zu Tode langeweilen werden. Denn allein fünf dieser Direktionspräsidenten haben jeweils nur eine Abteilung unter sich, die alle bereits einen Abteilungsleiter haben. Warum diesen dann jeweils ein Direktionspräsident vorgesetzt wird, weiß der Himmel, zumal diese zusätzliche Leitungsebene nicht ganz billig ist. Wir sprechen hier immerhin von einem jeweiligen monatlichen Grundgehalt von deutlich über 9 000 Euro. Hier wird der Zollverwaltung zulasten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler ein stattlicher Wasserkopf aufgesetzt. Zweiter Punkt: die Einbindung des Zollkriminalamtes in die Generalzolldirektion. Was stellt man sich gemeinhin unter dem Stichwort Zoll vor? Wahrscheinlich denken jetzt viele zum Beispiel an die Zollbeamtinnen und Zollbeamten bei der Einreise an den Flughäfen. Kaum jemand dürfte jedoch die Kfz-Steuer im Kopf haben. Generell kann man beim Zoll zwei große Aufgabenbereiche voneinander unterscheiden: zum einen die Finanzverwaltungsaufgaben, wo es zum Beispiel um die Erhebung von Zöllen und Steuern wie eben der Kfz-Steuer geht, und zum anderen die Aufgaben der Kriminalitätsbekämpfung, Stichwort Geldwäsche oder Waffen- und Drogenschmuggel. Auf der einen Seite also der klassische Finanzbeamte, der am Schreibtisch sitzt und Akten bearbeitet, und auf der anderen Seite eine Beamtin mit schusssicherer Weste und Pistole im Anschlag. Das eine hat mit dem anderen nur wenig zu tun. Deswegen wäre es sinnvoll, diese Aufgabenbereiche zu trennen und das Zollkriminalamt zu einer eigenständigen Behörde im Bereich des Bundesfinanzministeriums zu machen. Die Linke hat das mit ihrem Antrag zur Errichtung einer Bundesfinanzpolizei schon vor Jahren gefordert. Dritter und letzter Punkt: parlamentarische Kontrolle. Das Zollkriminalamt ist befugt, Maßnahmen vorzunehmen, die weit in Grundrechte eingreifen, so zum Beispiel bei der präventiven Post- und Telekommunikationsüberwachung. Wenn aber schon Briefe geöffnet und Telefonate abgehört werden können, ist es enorm wichtig, dass hier eine ausreichende parlamentarische Kontrolle besteht. Für die Überwachung von Bürgerinnen und Bürgern muss jemand dem Bundestag auch Rede und Antwort stehen. Wer das jedoch genau sein soll, ist nach dem Gesetzentwurf nicht wirklich ersichtlich. Dem Präsidenten der Generalzolldirektion und dementsprechend eigentlichen Behördenleiter stehen die Abhörbefugnisse nach dem Zollfahndungsdienstgesetz gar nicht zu. Der für den Zollfahndungsdienst zuständige Direktionspräsident ist wiederum kein Behördenleiter, sondern untersteht dem Präsidenten der Generalzolldirektion. Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, Sie schaffen hier einen verfassungsrechtlich bedenklichen Kuddelmuddel, durch den keiner mehr durchblickt. Schlussendlich muss ich also festhalten: Diese Neuorganisation ist eine Falschorganisation, der die Linke nicht zustimmen wird. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Insbesondere vor dem Hintergrund der Problematik Steuerhinterziehung unterstützen wir grundsätzlich das Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfs, die Zollverwaltung, und dabei vor allem die operative Ortsebene, zu stärken. Die Methoden der organisierten Kriminalität werden von Jahr zu Jahr raffinierter, und damit erweitert sich auch das Aufgabenspektrum des Zolls kontinuierlich. Zu nennen sind die Überwachung des mit unserer Unterstützung eingeführten gesetzlichen Mindestlohns, die Bekämpfung des Schwarzmarktes und der illegalen Beschäftigung sowie die Erhebung und Verwaltung der Kfz-Steuer und der Verbrauchsteuern. Es ist daher richtig und wichtig, den zunehmend komplexer werdenden Aufgaben mit einer effektiven und effizienten Struktur der Zollverwaltung Rechnung zu tragen. Genauso wichtig ist es aber auch, für eine ausreichend dicke Personaldecke zu sorgen. Die ganze Strukturreform wird auf jeden Fall verpuffen, wenn die Personalausstattung des Zolls nicht aufgabenadäquat ist. Und wir wissen schon seit längerem, dass der Zoll unterbesetzt ist – ein Problem, das als Nächstes angegangen werden muss. Wir begrüßen vor diesem Hintergrund, dass die Neuorganisation der Zollverwaltung mit den Gewerkschaften abgestimmt wurde und nicht mit einem Personalabbau einhergeht. Die im Gesetzentwurf vorgesehene Übersiedlung der Abteilung III des Bundesministeriums der Finanzen nach Berlin ist längst überfällig, auch wenn das nach Auskunft des Bundesfinanzministeriums bedeutet, dass lediglich circa 70 Mitarbeiter nach Berlin wechseln. Fragwürdig ist, warum im Jahr 2015 eine derart große Behörde mit bis zu 7 000 Mitarbeitern mit Sitz in Bonn geschaffen wird. Ich bin mir nicht sicher, ob das dem Geist des Berlin-Bonn-Gesetzes entspricht. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens, insbesondere in der Anhörung und während des Berichterstattergesprächs, wurde deutlich, dass eine konkrete Evaluation der bisherigen Zollverwaltungsstruktur nicht stattgefunden hat. Inwieweit genau die neue Organisationsstruktur effektiver und effizienter sein wird, muss sich erst noch zeigen. Das Gesetz allein überzeugt da noch nicht. Auch die derzeitige Struktur mit den fünf Bundesfinanzdirektionen wurde seinerzeit mit der gleichen oder einer ähnlichen Begründung eingeführt. Wir nehmen die Kritik der Gewerkschaft der Polizei ernst, wonach mit der Generalzolldirektion eine – Zitat – „Mammutbehörde“ entsteht, an deren Effektivität und Effizienz Zweifel bestehen. Immerhin wird als Ersatz für die sechs Mittelbehörden eine Generalzolldirektion geschaffen, die in neun Direktionen unterteilt ist. Auf eine Verschlankung, wie sie in der Gesetzesbegründung angeführt ist, lässt das erst einmal nicht schließen. Insgesamt wurden uns im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens nur wenige Sachargumente für die vorgeschlagene Organisationsstruktur geliefert. Es fehlt aus unserer Sicht ganz klar eine konkrete Analyse der bisherigen Struktur, mit deren Ergebnissen die vorliegende Neuorganisation hätte begründet werden können. Ohne eine umfassende Analyse der Ist-Situation wird eine Bewertung einer neuen Verwaltungsstruktur jedoch schwierig. Es bleibt bis heute unverständlich, auf welcher Grundlage zum Beispiel die bis zu 300 Arbeitskräfte ermittelt wurden, die dank der angeblich zu erwartenden – Zitat – „Effizienzrendite“ mittelfristig für die operativ tätigen Zollämter frei werden sollen. Diese Zahlen wirken wie aus der Luft gegriffen und sind in keiner Weise nachvollziehbar. Wir fordern eine regelmäßige Überprüfung der im Zusammenhang mit der Neuorganisation vorgenommenen Änderungen hinsichtlich ihrer Effizienz und Effektivität. Wir unterstützen die Forderung des Bundesrates, dass drei Jahre nach Errichtung der Generalzolldirektion ein Evaluierungsbericht vorzulegen ist. Mit dieser Reform wurde die Chance vertan, die bisherige Organisation der Zollverwaltung einer Evaluation zu unterziehen und im Anschluss daran sinnvolle Änderungen vorzunehmen. Daher wird sich die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei der Abstimmung über den vorliegenden Gesetzentwurf enthalten. Die zu dem Gesetzentwurf vorliegenden Änderungsanträge zum Energie-, Strom- und Tabaksteuergesetz beruhen auf zwingenden Vorgaben aufgrund von EU-Recht. Im Falle der Anpassungen bei der Strom- und Energiesteuer halten wir die zusätzliche Transparenz für die als Beihilfe eingestuften Vergünstigungen auch inhaltlich für sehr begrüßenswert. Den Änderungen stimmen wir daher zu. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Besoldungsänderungsgesetzes (7. BesÄndG) (Tagesordnungspunkt 24) Oswin Veith (CDU/CSU): Mit dem heute von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Siebten Besoldungsänderungsgesetzes diskutieren wir eine Novellierung dieses Gesetzes. Ziel dieser Gesetzesänderung ist die Angleichung der Besoldungsregelungen für Bundesbeamte und Soldaten. Dieser Gesetzentwurf knüpft an das in diesem Frühjahr verabschiedete Gesetz zur Steigerung der Attraktivität der Bundeswehr an und bringt weitere Verbesserungen für unsere Soldatinnen und Soldaten, Bundespolizistinnen und Bundespolizisten und Beamtinnen und Beamten. Richten wir unseren Blick zunächst auf die Bundeswehr: Derzeit müssen Soldatinnen und Soldaten zum Teil zusätzliche Dienstzeiten absolvieren, um in die nächsthöhere Erfahrungsstufe zu gelangen. Auch werden praktische Fähigkeiten, die vor Eintritt in die Bundeswehr erworben werden, nicht individuell anerkannt. Das ist meines Erachtens eine Ungleichbehandlung, die unbegründet ist. Das haben wir erkannt und schaffen diese Sonderregelungen für die Stufenlaufzeit ab. Jungen Soldatinnen und Soldaten wird somit ein schnellerer Aufstieg in die zweite Erfahrungsstufe ermöglicht. Auch langdienende Soldatinnen und Soldaten profitieren davon, da diese nun ebenfalls schneller in höhere Stufen aufsteigen können. Ich halte diesen beschleunigten Aufstieg für eine sehr gute Idee, zumal dies auch eine verbesserte Bezahlung bedeutet. Jeder Arbeitgeber profitiert von bereits gemachten Erfahrungen des Arbeitnehmers. So auch die Bundeswehr. Warum sollte man dies nicht zumindest bei der Einstufung in den Dienstgrad honorieren? Für all jene, die mit beruflichen Vorerfahrungen zur Bundeswehr kommen, wird es künftig möglich sein, diese Erfahrungen anerkennen zu lassen und ebenfalls in eine höhere Erfahrungsstufe eingestuft zu werden. Bereits erbrachte Leistungen werden so anerkannt, auch wenn sie nicht im direkten Zusammenhang mit der Bundeswehr stehen. Das sind Anreize, die junge, dynamische Menschen von einer Karriere bei der Bundeswehr überzeugen. Weiterhin schaffen wir eine Rechtsgrundlage für die truppenärztliche Versorgung der Soldatinnen und Soldaten bei ansonsten gleichbleibendem Leistungsumfang. Mit dieser Änderung werden die tragenden Strukturprinzipien der unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung grundsätzlich gesetzlich festgelegt. Besonders freut mich, dass auch die Feuerwehrbeamten der Bundeswehr berücksichtigt werden. Gingen diese doch beim ersten Anlauf im Frühjahr dieses Jahres leer aus. Wir holen das Versäumte jetzt nach und erhöhen die Feuerwehrzulage um 40 Prozent. So beschließen wir schon ein zweites Mal in diesem Jahr Änderungen bzw. Verbesserungen für unsere Soldatinnen und Soldaten. Das ist nicht nur ein Zeichen an unsere Soldatinnen und Soldaten, sondern auch ein Zeichen dafür, dass wir als Koalition die Umgestaltung der Bundeswehr zu einem der attraktivsten Arbeitgeber ernst nehmen und anpacken. Weitere Änderungen im Zuge dieser Gesetzesnovellierung betreffen unter anderem die Regelungen zur Besoldung von Teilzeitbeschäftigten während der Inanspruchnahme eines unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaubes aus vorangegangener Vollzeitbeschäftigung. Zudem wird klargestellt, dass dauernd getrennt lebende Eltern einheitlich nur einen Familienzuschlag nach der Stufe 1 erhalten, auch wenn das gemeinsame Kind bei beiden Elternteilen zu gleichen Teilen wohnt, und wir erstrecken die Leistungsbesoldung auf Richterinnen und Richter, die kein Richteramt ausüben, sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Mit Letzterem erweitern wir den Personenkreis, der eine Leistungsprämie oder Leistungszulage erhalten kann. Künftig können nun herausragende Leistungen von Richterinnen und Richtern, die aufgrund einer Abordnung kein Richteramt ausüben, sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte honoriert werden. Somit enthält der Gesetzentwurf viele Neuerungen, die auch den Bundesbeamteninnen und beamten, Bundespolizistinnen und Bundespolizisten, Richterinnen und Richtern sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälten zugutekommen und besoldungsrechtliche Korrekturen bringen. Um noch Weiteres auf den Weg zu bringen, haben wir im parlamentarischen Verfahren noch einige Maßnahmen ergänzt, um unsere Bundesbeamten, welche aufgrund der derzeitigen Situation Mehrarbeit leisten müssen, zu entlasten. Uns ist mehr als bewusst, dass angesichts der aktuellen Entwicklung Mehrbelastungen gezielt honoriert werden müssen. Vor allem unsere Beamten beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sind über die Maßen gefordert. Aufgrund der steigenden Zahl der Asylbewerber werden die Anforderungen an die Bediensteten sowohl qualitativ als auch quantitativ steigen. Wir sind uns der Bedeutung dieser Aufgabe und der damit verbundenen hohen Belastungen bewusst. Um dies auch zu zeigen, führen wir eine Stellenzulage ein. Dies bedeutet eine Erhöhung der monatlichen Bezüge für die Beamten, die aufgrund der derzeitigen Situation Mehrarbeit leisten. Es erfolgt zudem die Hebung des Präsidenten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge von B 8 auf B 9 unter Schaffung einer zweiten Vizepräsidentenstelle. Eine weitere Hebung betrifft den Präsidenten des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben. Dieser wird künftig nach B 7 besoldet. Zugleich haben Beamte, die aufgrund der Flüchtlingssituation ihren Dienst vorübergehend nicht an ihrem Heimatort ableisten können, nunmehr den Anspruch auf die Erstattung einer wöchentlichen Heimreise. Ich muss gestehen: Diese neue Regelung freut mich persönlich ganz besonders. Auch ich war in meiner Zeit als Bundesbeamter abgeordnet, und eine Heimfahrt war bzw. ist nur alle zwei Wochen erstattet worden. Was das – gerade für junge Familien – bedeutet, will ich an dieser Stelle nicht ausführen. Eines sei gesagt: Die wöchentlichen Heimfahrten für Abordnungen aufgrund der Flüchtlingssituation sind ein Schritt in die richtige Richtung, wenn auch nur ein kleiner. Ich hätte mir an dieser Stelle mehr gewünscht. Wir führen eine Erhöhung der Zulage für den Dienst zu ungünstigen Zeiten zugunsten von Beamtinnen und Beamten, die an Feiertagen, während der Nacht und an Wochenenden Dienst leisten müssen, ein. Daneben schaffen wir eine Zulage für Beamtinnen und Beamte, die kurz vor der Pensionierung ihr Dienstverhältnis verlängern, um bei der Bewältigung einer besonderen Lage zu unterstützen. Es wird eine Umstellung der monatsweisen Anrechnung beim Hinzuverdienst auf eine Jahresbetrachtung geben. Dies wird dazu führen, dass bei Verdienstspitzen – etwa bei kurzfristigen Tätigkeiten – diese regelmäßig anrechnungsfrei bleiben können. Bei den Planoberstellen haben wir einen Kompromiss gefunden, der sich ebenfalls durchaus sehen lassen kann. Die Obergrenzen für Beförderungsämter gleichen wir so an, dass die nachteiligen Effekte der großen Gegensätze innerhalb der Bundesverwaltung gemildert werden und es eine Angleichung auf einem höheren Gesamtniveau gibt. Zukünftig wird die Obergrenze bei der Besoldungsgruppe A 8 im mittleren Dienst 40 Prozent betragen – anstatt wie bisher 30 Prozent – und die Obergrenze bei der Besoldungsgruppe A 9 – anstatt der bisher 8 Prozent – 40 Prozent. Das sind alles sehr gute Maßnahmen und Neuerungen, mit welchen wir unsere Wertschätzung für die im öffentlichen Dienst erbrachte hervorragende Arbeit zum Ausdruck bringen. Ich möchte an dieser Stelle nochmals betonen, dass unser funktionierender öffentlicher Dienst einer der wichtigsten Standortfaktoren ist, und nicht nur Unternehmen wissen das zu schätzen. Zu verdanken haben wir das dem Einsatz und der Professionalität unserer Bundesbeamteninnen und -beamten. Im Hinblick auf die überdurchschnittlichen Belastungen der Beamten aufgrund der derzeitigen Flüchtlingskrise sind diese Regelungen mehr als nötig, um unseren Beamten zu zeigen, dass wir sie nicht im Regen stehen lassen. Zum Abschluss will ich sagen, dass dieser Gesetzentwurf, der heute zur Abstimmung steht, ein Ergebnis langer Verhandlungen ist. Wir haben es uns auch im parlamentarischen Verfahren nicht einfach gemacht. Es gilt wie immer der Grundsatz: Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es eingebracht wurde. Aber wir haben – aus meiner Sicht – viele Stolpersteine beseitigt und Wesentliches und Richtiges auf den Weg gebracht. Dem Gesetzentwurf ist zuzustimmen. Matthias Schmidt (Berlin) (SPD): „Neue Herausforderungen erfordern neue Wege“, so schrieb es der Dichter und Erfinder Gottfried Niebaum im 19. Jahrhundert. Die Geschichte Europas hat für die Menschen der Zeit immer Herausforderungen bereitgehalten, die mit neuen Aufgaben und veränderten Perspektiven verbunden waren. Auf diesem Weg haben sich Gesellschaften fortentwickelt und ihren Horizont erweitert. Und das ist auch gut so! Auch jetzt stehen Deutschland und Europa vor Herausforderungen. Die Zuwanderung der vielen Menschen, die bei uns zeitweise oder dauerhaft ein neues Zuhause suchen, wird uns verändern, wird uns weiterentwickeln und voranbringen, und auch das ist gut so! Natürlich ist der Weg nicht einfach, und selbstverständlich ist er auch mit Herausforderungen verbunden. Das will niemand verschweigen. Und das erfordert auch, dass wir schnell und unbürokratisch auf die Veränderungen reagieren und durch unsere gesetzgeberische Tätigkeit dort unterstützen, wo Menschen gerade eine unglaublich wichtige Arbeit leisten. Es sind zum einen die vielen Ehrenamtlichen, die sich seit Monaten dieser Aufgabe stellen und denen wir auch von dieser Stelle aus ein großes Dankeschön senden wollen. Aber es sind zum anderen natürlich auch die, die in den Behörden jeden Tag eine ganz überragende Arbeit leisten und dabei viel weniger im Rampenlicht stehen – unsere Beamtinnen und Beamten. Sie sind es, die sich tagtäglich den inzwischen zu wahren Bergen angewachsenen Aufgaben stellen. Ihr unermüdlicher Einsatz und ihre Motivation verdienen unseren Respekt und unseren ausdrücklichen Dank. Es ist unsere Aufgabe, ihnen die Tätigkeit zu erleichtern und sie durch geeignete Rahmenbedingungen zu unterstützen. Und das tun wir heute mit den Änderungen, die wir im Siebten Besoldungsänderungsgesetz vornehmen. Der Gesetzentwurf verfolgt im Wesentlichen zwei Ziele. Zum einen möchte er Anreizsysteme schaffen, um kurzfristig Personal für die mit den Flüchtlingen befassten Behörden zu gewinnen, um die Beamtinnen und Beamte zu entlasten. Zum anderen möchte er Anpassungen vornehmen, die durch Strukturveränderungen und veränderte Aufgaben entstanden sind, und dabei auch Ungleichgewichte zwischen zivilem und militärischem Personal abbauen. Lassen Sie mich Ihnen die Absichten kurz erläutern. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge braucht insbesondere Menschen, die über Kenntnisse im Verwaltungsapparat verfügen und mit den Verfahren vertraut sind. Da liegt es nahe, zunächst nach innen zu blicken und zu fragen: Wie können die Beamtinnen und Beamte länger gehalten oder wie können sie kurzfristig für einen befristeten Zeitraum zurückgewonnen werden? Und mit welchen Mitteln kann das am besten gelingen? Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht vor, das vor allen Dingen über Anreizsysteme zu schaffen. So ist in dem Entwurf vorgesehen, die Beschäftigten über eine 5-prozentige Gehaltszulage für einen späteren Renteneintritt zu gewinnen. Darüber hinaus sollen weitere finanzielle Anreize wie Erschwerniszulagen und andere Zuschläge die Attraktivität des Dienstes steigern. Bereits pensionierte Beamtinnen und Beamte sollen auch dadurch zurückgewonnen werden, dass die Hinzuverdienstgrenzen verändert und Ausnahmeregelungen für Verwendungseinkommen geschaffen werden. Daneben sollen auch sie von den Zulagen profitieren. Es ist ein guter Weg, überdurchschnittliches Engagement finanziell zu honorieren und Anreize für einen Verbleib in der Behörde zu setzen. Die Veränderungen des Siebten Besoldungsänderungsgesetzes flankieren damit die Maßnahmen, die vom Bundestag bereits in den letzten Wochen beschlossen wurden, wie das Asylpaket, das auf eine Beschleunigung der Asylverfahren abzielt. Wir werden den weiteren Veränderungsbedarf fortlaufend zu analysieren und dann gegebenenfalls auch weitere Maßnahmen zu treffen haben. Neben dem akuten Veränderungsbedarf, dem wir mit dem Gesetzentwurf Rechnung tragen, gibt es auch Veränderungen, die sich langsamer und erst im Laufe der Zeit herauskristallisiert haben. Auch auf die wollen wir mit dem Gesetzentwurf eingehen. Dazu gehört zum einen, dass wir auf Entwicklungsprozesse reagieren, die infolge der Bundeswehrreform entstanden. Viele der Anwärterinnen und Anwärter verfügen über Masterabschlüsse und haben auch bereits berufliche Erfahrungen durchlaufen, bevor sie zur Bundeswehr gelangen. Diese Zeiten wollen wir bei den Erfahrungszeiten stärker berücksichtigen und dann auch bei der Einstufung honorieren. Zum anderen wollen wir das noch bestehende Ungleichgewicht zwischen zivilen Beamtinnen und Beamten und Soldatinnen und Soldaten abbauen. Dazu werden wir die noch verbliebenen soldatenspezifischen Regelungen streichen und Vereinheitlichungen bei den Stufenlaufzeiten herbeiführen. Das setzt über die damit verbesserten finanziellen Perspektiven auch Anreize für den Einstieg junger Menschen in den Militärdienst. Zudem greifen wir in dem Gesetzentwurf den Veränderungsbedarf auf, der aus der Rechtsprechung und der Verwaltungspraxis herrührt. Hinzu kommen Verbesserungen bei der Urlaubsregelung, bei der truppenärztlichen Versorgung sowie Klarstellungen bei der Elternzeit. Die Veränderungen durch das Siebte Besoldungsänderungsgesetz sind vielschichtig und kommen den Menschen zugute, die in diesen Zeiten mit hohem Verantwortungsbewusstsein einen ganz herausragenden Dienst leisten: unsere Beamtinnen und Beamten und Soldatinnen und Soldaten. Ich bitte Sie, dem durch Ihre Zustimmung Rechnung zu tragen. Katrin Kunert (DIE LINKE): Mit dem Siebten Besoldungsänderungsgesetz will die Bundesregierung nun einige Anpassungen nachholen, die eigentlich bereits mit dem Bundeswehrattraktivitätssteigerungsgesetz vorgenommen werden sollten. Schon damals waren Sie nicht in der Lage, einen Gesetzentwurf aus einem Guss vorzulegen, sodass die besoldungsrechtliche Behandlung von Beamtinnen und Beamten ausgeklammert blieb. Immerhin – so viel kann zumindest festgestellt werden – wurden jetzt einige der gröbsten Ungerechtigkeiten korrigiert: Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 13. Juni 2015 zur vollständigen Abgeltung von Urlaubstagen wird umgesetzt. Das war auch längst überfällig! Selbstverständlich müssen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch bei einem Wechsel von einem Vollzeitarbeitsverhältnis in ein Teilzeitbeschäftigungsverhältnis den EU-weiten Mindesturlaubsanspruch von 20 Tagen bekommen. Es ist gut, dass Urlaubstage wie auch deren Vergütung nunmehr nach dem Anspruch des Vollzeitbeschäftigungsverhältnisses geregelt werden. Die Linke begrüßt ebenfalls, dass in der Bundeswehr die Sonderregelungen für die Stufenlaufbahn aufgehoben werden, sodass langgediente Soldatinnen und Soldaten schneller in höhere Stufen aufsteigen können. Für Neueinstellungen in höheren Diensträngen sollen künftig auch andere hauptberufliche Tätigkeitszeiten anerkannt und bei Beförderungen die bisherigen Erfahrungszeiten innerhalb des Dienstes verkürzt werden. Aus beamtenrechtlicher Perspektive ist das richtig. Dass verstärkt Bewerberinnen und Bewerber mit beruflichen Vorqualifikationen angesprochen werden sollen, ist legitim. Soldatinnen und Soldaten sollen nach unserer Auffassung nicht schlechter gestellt werden als Beamtinnen und Beamte mit zivilen Aufgaben. Diese Besoldungsverbesserungen finden aber nicht im luftleeren Raum statt. Natürlich geht es auch darum, im Rahmen der Neuausrichtung der Bundeswehr die Attraktivität des Soldatenberufs zu erhöhen. Dieses Ziel können wir nicht mittragen. Deutschland braucht vor allem eine berufliche Attraktivitätssteigerung für das Bildungs- und Sozialwesen, das jahrelang vernachlässigt wurde. Es werden händeringend Lehrer, Krankenschwestern und Pflegekräfte benötigt. Darum sollten Sie sich kümmern! Das Siebte Besoldungsänderungsgesetz treibt den Umbau der Bundeswehr, weg von der Verteidigungsarmee hin zur Armee im Dauereinsatz, voran. Sie wollen zum Beispiel die Planstellenobergrenzen für die höhere Dienstlaufbahn, zum Beispiel für Feldwebel, anheben. In Verbindung mit dem Zulagensystem sollen damit vermehrt qualifizierte Führungskräfte für mehr Auslandseinsätze der Bundeswehr gewonnen werden. Das lehnt die Linke ab. Wir benötigen für die Bewältigung der Flüchtlingskrise nicht noch mehr Auslandseinsätze der Bundeswehr in Konfliktregionen, sondern eine Bekämpfung der Fluchtursachen. Dazu gehört als Erstes: Es darf keine Waffen- und Rüstungsexporte in Krisengebiete oder an autoritäre Regime geben! Jede Waffe findet ihren Krieg! Dass in der saudischen Golfdiktatur ein menschenrechtskonformer Umgang mit den gelieferten Waffen stattfindet, glauben Sie doch nicht einmal mehr selbst. Kurz vor Toresschluss haben die Koalitionsfraktionen noch einen 30-seitigen Änderungsantrag zum eigenen Gesetzentwurf eingebracht. Das ist eine echte Zumutung und zeigt, dass die Halbwertzeit Ihrer Gesetzentwürfe nicht einmal mehr bis zur Abstimmung reicht. Der Änderungsantrag enthält zudem ein ganzes Bündel von Maßnahmen, die nichts mit dem eigentlichen Gegenstand des Gesetzentwurfs zu tun haben. So sind für den Bundespolizeidienst Ausnahmen bei den gesetzlichen Obergrenzen für die Beförderung vorgesehen. Das ist zu begrüßen, weil damit endlich der Beförderungsstau, der sogenannte Obermeisterbauch, abgebaut werden kann. Dass dies in Zeiten der Flüchtlingskrise plötzlich möglich wird, zeigt aber, dass Ihre bisherige Personalpolitik einfach verfehlt war. Das hat die Linke immer schon kritisiert. Wegen des akuten Personalnotstands sollen nun sogar Ruheständlerinnen und Ruheständler zurück in den Dienst geholt werden. Das kann nur eine kurzfristige Lösung sein. Die Linke fordert, dass vor allem neue Stellen, auch im Polizeidienst, geschaffen und ausgeschrieben werden, da durchaus qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber auf dem ersten Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Eine proaktive Beschäftigungspolitik für Neueinstellungen könnte vielmehr manche Befürchtungen entkräften, dass durch die Flüchtlingskrise die Beschäftigungssicherheit und die beruflichen Erfolgschancen auf dem Arbeitsmarkt gefährdet wären. Diese Chance lassen Sie ungenutzt verstreichen. „Irgendwie durchwursteln“ lautet Ihre Devise. Dazu passt, dass Bundeswehrangehörige sogar noch eine Stellenzulage bekommen sollen, wenn sie beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eingesetzt werden. Welche fachlichen Eignungsvoraussetzungen hierfür erfüllt sein müssen, bleibt unbeantwortet. Sie wollen die Bundeswehrangehörigen als beliebige Manövriermasse einsetzen, die zwischen völlig verschiedenen beruflichen Tätigkeitsfeldern hin und her geschoben werden kann. Das ist die falsche Antwort auf die Herausforderungen der Integration von deutlich mehr Asylbewerberinnen und Asylbewerbern in Deutschland. Die ganze Asyl- und Integrationsdebatte steht bei Ihnen schon seit langem unter dem Primat der inneren Sicherheit und Terrorismusabwehr. Nun soll dafür auch noch Bundeswehrpersonal eingesetzt werden. Das ist doch nicht zu fassen! Soweit die Regelungen im Siebten Besoldungsänderungsgesetz der Gleichstellung von Soldatinnen und Soldaten an zivile Beamtinnen und Beamte dienen, tragen wir diese mit. Die materielle Besserstellung von Führungskräften schafft hingegen klare Fehlanreize, die die militärische Interventionsfähigkeit der Bundeswehr stärken. Wir brauchen das genaue Gegenteil. Deshalb stimmt die Linke insgesamt mit Enthaltung. Doris Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Manche Dinge gelingen im zweiten Anlauf ja besser als im ersten. Für den Versuch, die Bundeswehr zu einem attraktiveren Arbeitgeber zu machen, gilt dies leider nicht. Wie schon beim Attraktivitätssteigerungsgesetz zu Beginn dieses Jahres hat sich die Bundesregierung auch bei der Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes wieder einmal nur auf den allerkleinsten gemeinsamen Nenner verständigen können. Das Ziel, die Arbeitsbedingungen der Bundeswehranghörigen zu verbessern und auf diese Weise mehr Personal für die Bundeswehr zu gewinnen, liegt dieser Bundesregierung nämlich längst nicht so sehr am Herzen, wie Frau von der Leyen uns gerne glauben machen will. Wenn es um echte Verbesserungen für die Angehörigen der Bundeswehr geht, stellen sich das Innen- und das Finanzministerium regelmäßig quer. Denn das Projekt „attraktive Bundeswehr“ soll, wenn irgend möglich, nichts kosten. Doch eins ist uns doch allen klar: Mehr Attraktivität gibt es nicht zum Nulltarif. Wer möchte, dass die Bundeswehr ihre Aufgaben vernünftig wahrnehmen kann, der darf nicht nur in Ausrüstung, sondern muss auch in Personal investieren. Die zivilen Beschäftigten der Bundeswehr machen einen prima Job! Und wer dies nicht honoriert, wer immer nur darauf bedacht ist, am Personal zu sparen, der darf sich nicht wundern, wenn, wie etwa in Wunstorf oder Manching geschehen, nicht einmal mehr der Grundbetrieb reibungslos funktioniert. Die zivilen Angehörigen der Bundeswehr blicken auf eine lange Durststrecke zurück: Bis Ende 2013 galt über 20 Jahre lang ein völliger Einstellungsstopp. Die Stellenzulagen, die einen wesentlichen Teil des Gehalts ausmachen, sind in vielen Fällen seit den 90er-Jahren nicht mehr angehoben worden. Und aufgrund fehlender Planstellen besteht mittlerweile ein enormer Beförderungsstau. Der lange Einstellungsstopp, die mäßige Vergütung und die fehlenden Aufstiegschancen führen nicht nur zu großer Frustration und Unzufriedenheit bei den Betroffenen. Sie führen auch dazu, dass schon heute in vielen Bereichen der Bundeswehrverwaltung ein dramatischer Personalmangel herrscht. Viele Soldatinnen und Soldaten klagen deshalb darüber, dass ihre persönlichen Anträge in einem unzumutbaren Schneckentempo bearbeitet werden. Anfang Oktober wollte das Verteidigungsministerium dem Amt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr in Koblenz für 286 Millionen Euro sogenannte Berater ins Haus schicken – um 300 Techniker und Prüfer zu kompensieren, die dem Amt offenbar fehlen. Und auf vielen Flugplätzen der Bundeswehr lässt sich der Betrieb nur deshalb noch aufrechterhalten, weil sich viele Angehörige der Bundeswehrfeuerwehren bereit erklären, Dienst weit über das übliche Maß hinaus zu schieben. Genau wie beim Großgerät betreibt die Bundeswehr auch beim Zivilpersonal eine Art Mangelverwaltung auf dem Rücken der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dieser Zustand muss endlich ein Ende haben! Auch der Bundesregierung sind all diese Missstände natürlich seit langem bekannt. Und die Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes hätte die Chance geboten, sie entschlossen zu beheben. Leider haben vor allem das BMI und das BMF dafür gesorgt, dass diese Chance nicht optimal genutzt wurde. Hierzu nur ein paar wenige Beispiele: Im ursprünglichen Gesetzentwurf wollte die Bundesregierung am starren System der Obergrenzen für Beförderungsämter festhalten – und die Obergrenze für die besonders betroffenen Besoldungsgruppen A 8 und A 9 für Unteroffiziere nur um völlig unzureichende 10 Prozent anheben. Bessere Aufstiegsmöglichkeiten? Fehlanzeige. Dabei wäre es – dazu komme ich gleich noch – doch ein Leichtes gewesen, dem Beförderungsstau hier durch eine flexiblere Regelung zu begegnen. Ähnlich unzugänglich hat sich die Bundesregierung in ihrem ursprünglichen Gesetzentwurf in puncto Stellenzulagen gezeigt. Dabei haben Sie selbst jene Beschäftigten ignoriert, die besonders hohen Anforderungen unterliegen und die besonders unter dem allgegenwärtigen Personalmangel zu leiden haben: Eine höhere Zulage für Bergführer? Nichts da! Eine höhere Zulage für das Personal des Feuerwehreinsatzdienstes? Unnötig! Ob wir auf diese Weise Menschen für die rund 900 Stellen gewinnen, die derzeit bei der Bundeswehrfeuerwehr unbesetzt sind, daran habe ich doch arge Zweifel. Der ursprüngliche Gesetzentwurf folgte in weiten Teilen also dem Prinzip „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“. Irgendwie soll die Bundeswehr attraktiver werden – aber bitte nur in Trippelschritten und möglichst ohne allzu große Zusatzkosten. Mit dieser Halbherzigkeit, meine Damen und Herren auf der Regierungsbank, werden Sie Ihr Ziel, die Bundeswehr zu einem der attraktivsten Arbeitgeber in Deutschland zu machen, nicht erreichen. Da können Sie noch so viel Geld in aufwendige Werbekampagnen und die Entwicklung einer Arbeitgebermarke investieren – ohne attraktive Arbeitsbedingungen werden flotte Sprüche alleine niemanden für die Bundeswehr begeistern. Abschließend möchte ich sagen: Es ist den Kolleginnen und Kollegen aus den Regierungsfraktionen zu danken, dass wenigstens einige Versäumnisse des Gesetzentwurfes ausgebügelt werden konnten. Vor allem die Flexibilisierung der Obergrenzen für Beförderungsämter in § 26 Bundesbesoldungsgesetz ist hier sehr lobend zu erwähnen. Nicht nachzuvollziehen bleibt, dass Sie zukünftig keine Zulage mehr an all jene zahlen wollen, die vertretungsweise einen höherwertigen Dienstposten besetzen. Wer mehr Verantwortung übernimmt, soll dafür auch entsprechend bezahlt werden. Das gehört zu den sogenannten „hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums“, die der Artikel 33 Absatz 5 des Grundgesetzes ausdrücklich hervorhebt. Ihr Gesetzentwurf ist also nicht nur halbherzig, es ist auch verfassungsrechtlich bedenklich. Und deshalb wird sich meine Fraktion bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf enthalten. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaftsgesetzes – des Antrags der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Planungen für die Gründung einer Bundesfernstraßengesellschaft sofort einstellen (Tagesordnungspunkt 25 a und b) Florian Oßner (CDU/CSU): Wir beraten heute über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaftsgesetzes sowie einen Antrag der Linken mit dem Titel „Planungen für die Gründung einer Bundesfernstraßengesellschaft sofort einstellen“. Anders, als uns die Fraktion Die Linke mit ihrem Antrag glauben machen will, geht es in dem vorliegenden Gesetzentwurf jedoch nicht um einen ersten Schritt zur Gründung einer Bundesfernstraßenfinanzierungsgesellschaft. Dies ist eine glatte Themaverfehlung! Vielmehr geht es darum, einen Beschluss des Haushaltsausschusses des Bundestages umzusetzen. Dieser hat nämlich am 13. November 2014 – also vor knapp einem Jahr – beschlossen, die Steuermittel und die Mautmittel bei der VIFG, der bestehenden Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft, zusammenzufassen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird diesem Ziel nun entsprochen. Hierdurch soll es möglich sein, ganz konkret für jede Maßnahme zu jedem Zeitpunkt die Kosten nachzuvollziehen. Mithin handelt es sich hier um einen reinen finanztechnischen Aspekt – nicht mehr und nicht weniger. Dadurch wird es auch endlich möglich sein, völlig seriös und ohne ideologische Scheuklappen ÖPP-Projekte mit öffentlich finanzierten Projekten zu vergleichen. Diese Maßnahme wird somit wesentlich zur Kostentransparenz bei den Verkehrsinvestitionen beitragen. Das Prinzip der Auftragsverwaltung im Bereich der Bundesfernstraßen hat sich in meiner Heimat Bayern mehr als bewährt. Die bayerische Straßenbauverwaltung ist leistungsfähig und zuverlässig. Neben den regelmäßigen Aufgaben für Erhaltung, Betrieb, Neu-, Um- und Ausbau wurden stets auch alle Investitionsprogramme und Sonderfinanzierungen einschließlich ÖPP durch die Auftragsverwaltungen erfolgreich umgesetzt. Auch ist unser gut ausgebautes Netz von Bundesfernstraßen in der operativen Verantwortung des Freistaates entstanden. Voraussetzung hierfür war stets die zügige Schaffung von Baurecht. Fakt ist jedoch auch, dass die Auftragsverwaltung nicht in allen Ländern gleich gut funktioniert und die Qualität der Autobahnverwaltung in den 16 Ländern sehr unterschiedlich ist. Der Sanierungs- und Modernisierungsbedarf im deutschen Fernstraßennetz ist ungemein groß. Auch wenn wir aufseiten des Bundes historisch einzigartig hohe Investitionen in die Infrastruktur tätigen – wie es derzeit der Fall ist, wozu wir unserem Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt gratulieren und wofür wir ihm danken dürfen –, werden die Verwaltungen in einigen Bundesländern an ihre Kapazitätsgrenze stoßen. Das Problem hierbei ist deshalb momentan nicht, dass wir über zu wenig finanzielle Mittel verfügen, sondern vielmehr ist es das Fehlen von baureifen Projekten in einigen Bundesländern. Die Bündelung von Finanzierung und Aufgaben in einer Hand beim Bund im Rahmen einer Bundesfernstraßengesellschaft könnte hier eine mögliche Option sein, um zu mehr Effizienz bei Ausbau, Erhalt und Bewirtschaftung unserer Autobahnen zu gelangen. Allerdings besteht hier gerade auch aus bayerischer Sicht noch erheblicher Diskussionsbedarf. Hierfür ist der vorliegende Antrag der Linken keineswegs eine taugliche Grundlage. Denn anstatt sich sachlich und pragmatisch mit den Vor- und Nachteilen einer derartigen Gesellschaft auseinanderzusetzen, wird diese hier aus rein ideologischen Gründen abgelehnt, wobei Ihnen kein Argument aus der linken Klischeekiste zu schade ist. So werden Sie in Ihrem Antrag nicht müde, die altbekannten Vorurteile gegen öffentlich-private Partnerschaften hervorzukramen oder auf perfide Weise Ängste vor möglichen Arbeitsplatzverlusten bei den Straßenbauverwaltungen durch die Schaffung einer Bundesfernstraßengesellschaft zu schüren. Eine sachliche und zielgerichtete Diskussion sieht anders aus. Aus den genannten Gründen werden wir den Antrag der Linken ablehnen und werben für den Gesetzentwurf der Bundesregierung. Reinhold Sendker (CDU/CSU): Mit den Änderungen des Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaftsgesetzes, kurz VIFG-Gesetz, setzen wir jetzt den Maßgabebeschluss des Haushaltsauschusses vom 13. November 2014 um, den Zahlungsverkehr für alle Ausgaben zur Finanzierung, das heißt für Bau, Erhalt und Betrieb der Bundesfernstraßen, über das Finanzmanagementsystem der Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft – VIFG – abzuwickeln. Über die Hälfte unserer Investitionen in den Verkehrsträger Straße wickelt die VIFG mit ihrem Finanzmanagementsystem schon heute ab. Alle 16 Bundesländer und die Projektmanagementgesellschaft Deutsche Einheit, die sogenannte DEGES, sind an dieses System angeschlossen. Wir leisten uns also derzeit noch zwei Systeme: Ein Teil der Mittel wird über das Finanzmanagementsystem der VIFG abgewickelt, die restlichen Mittel werden über das Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen des Bundes im sogenannten HKR-Verfahren bewirtschaftet. Dieses Nebeneinander der Systeme schaffen wir jetzt ab und erhöhen damit die Transparenz im Haushalt. Die Finanzierung und Bewirtschaftung der Bundesfernstraßen wird ab 2016 vollständig innerhalb eines Bewirtschaftungssystems ausgewiesen. Mit dem Haushalt 2016 weisen wir daher im Einzelplan 12 erstmals nicht mehr die Maut- und Steuermittel getrennt in den Kapiteln 1209 und 1210 aus, sondern wir schaffen im Kapitel 1201 einen gemeinsamen Titel und damit auch ein deutliches Plus an Haushaltswahrheit und -klarheit. Das Finanzmanagementsystem der VIFG ermöglicht zudem tagesaktuelle Berichte über die Verausgabung der Mittel für unsere Verkehrsinfrastruktur. Und zwar nicht nur bundesweit oder auf die einzelnen Länder bezogen, sondern, wenn gewünscht, auch auf die einzelnen Straßenbauämter oder sogar bezogen auf jede sich im Bau befindliche Einzelmaßnahme. Das ist Transparenz, und genau diese wollen wir mit der Komplettumstellung auf das Finanzmanagementsystem der VIFG auch herstellen. Die Experten der VIFG vermelden Vollzug. Der Umbau ihres bestehenden EDV-Systems, um die neuen Mittelflüsse regeln zu können, ist weitestgehend abgeschlossen. Man befindet sich in den letzten Testläufen für das neue, erweiterte System. Rund 600 neue Nutzer aus den Länderverwaltungen wurden schon für das neue System geschult. Man rechnet bei der Durchführung des „Zahlungsverkehrs Bundesfernstraßen“ über das Finanzmanagementsystem der VIFG für das Jahr 2016 mit rund 500 000 Buchungen. Damit steigt die Gesamtanzahl an Geschäftsvorgängen voraussichtlich um den Faktor 10. Die Anzahl der im System abgebildeten Maßnahmen wird von rund 2 500 auf rund 6 000 Maßnahmen ansteigen. Ich weiß, die Länder haben sich im Bundesrat durchaus auch kritisch zum vorliegenden Gesetzentwurf geäußert. Dies ist vor dem Hintergrund, dass der Bund zukünftig seine Verantwortung als Finanzierer der Straßenbaulast und Fachaufsicht gegenüber den Auftragsverwaltungen umfassender wahrnehmen kann, nicht weiter verwunderlich. Es ist daher auch spannend, zu erfahren, dass die Arbeitsebene der Länder dem Gesetzentwurf durchaus positiv gegenübersteht. Im Zusammenhang mit Ländern und Auftragsverwaltung möchte ich auch noch auf den hier ebenfalls zur Debatte stehenden Antrag der Linken zur Bundesfernstraßengesellschaft eingehen. Es ist kein Geheimnis, und wir wissen es auch nicht erst seit gestern, dass die Bauverwaltungen der Länder zu einem großen Teil unseren Anforderungen heute nicht mehr gerecht werden. Häufig mangelt es schlicht an Personal; da kann die bereits angesprochene DEGES weiterhelfen, leider kapazitätsbedingt aber auch nur bis zu einem gewissen Grad. Oft gibt es aber auch schlicht unterschiedliche Auffassungen über verkehrliche Prioritäten zwischen Bund und Ländern. Das Land NRW hat beispielsweise eine Liste erstellt, in der es die aus seiner Sicht wichtigen Bundesfernstraßen priorisiert hat. Das geht so nicht! Da, wo der Bund finanziert, muss er auch die Kontrolle über die Ausführung haben. Es ist daher folgerichtig, die Finanz- und Aufgabenverantwortung in einer Hand zu bündeln. Eine Bundesfernstraßengesellschaft ist somit ein logischer Schritt. Das hat der Bundesfinanzminister ja auch schon in seiner Rede zum Bundeshaushalt 2016 vor einigen Wochen an dieser Stelle erklärt. Wichtig ist, dass die Bundesfernstraßen- und die neu zu schaffende privatrechtlich organisierte Gesellschaft zu 100 Prozent im Besitz des Bundes bleiben. Die Gesellschaft muss die Einnahmekompetenz haben, was die Straßennutzungsgebühren für die Bundesautobahnen angeht. Neben dieser Einnahmequelle muss die Möglichkeit, privates Kapital von Investoren für Investitionen in den Straßenbau zu akquirieren, geprüft werden. Eine Reform der Auftragsverwaltung haben wir uns in den Koalitionsvertrag geschrieben. Das ist aus meiner Sicht auch zwingend notwendig. Die Gründung einer Bundesfernstraßengesellschaft ist hier ein logischer Schritt. Sebastian Hartmann (SPD): Die erste Beratung des VIFG-Änderungsgesetzes ist eine großartige Gelegenheit, auf den enormen Nutzen hinzuweisen, der mit dieser Initiative einhergeht. Der Haushaltsausschuss hat im letzten Jahr beschlossen, dass ab dem Haushaltsjahr 2016 im Haushaltskapitel die Betrachtung der einzelnen Straßenbautitel nicht nur anders deklariert und nummeriert wird, sondern eine viel tiefere Logik greifen soll. In Zukunft werden Verwaltung und Controlling der Ausgaben für Straßenbaumaßnahmen in Durchführung der öffentlichen Hand in demselben Finanzmanagementsystem zusammengeführt, das bisher schon der Verwaltung von ÖPP-Projekten diente – dem FMS der VIFG. Wir danken den Haushältern ausdrücklich für diesen konsequenten Schritt zu mehr Transparenz, Nachvollziehbarkeit, Eingriffs- und Steuerungsmöglichkeiten für den Straßenbau des Bundes. Das liegt nicht nur im Interesse der beiden obersten Tugenden des Haushalts – Klarheit und Wahrheit –, sondern dient auch einer stark verbesserten fachpolitischen Kontrolle. Die Zusammenführung der alten Haushaltstitel 1209 und 1210 in neuer Gestalt ist für uns ein exzellentes Werkzeug, wenn es um die Betrachtung und Evaluierung der Investitionen in den Straßenbau geht. Wir verlangen mit der vorliegenden Gesetzesänderung den Auftragsverwaltungen der Länder eine gewisse Flexibilität ab, was die Umstellung vom bisherigen HKR-Einsatz zur Software der VIFG angeht. Ich weiß aber, dass die VIFG sich seit dem Beschluss des Haushaltsausschusses intensiv und in individueller Betreuung um alle Bundesländer und jeden einzelnen Sonderfall gekümmert hat. Im Ergebnis gibt es zum aktuellen Zeitpunkt keine Anzeichen, dass es an irgendeiner Stelle zu Verzögerungen oder gar Inkompatibilitäten kommen könnte. Wir gehen deshalb davon aus, dass mit dem Startdatum 1. Januar 2016 alle Straßenbauverwaltungen der Länder geschult und vorbereitet sind, das FMS entweder direkt oder über die ihrem Einzelfall angepasste Schnittstelle zu bedienen, mit tagesaktuellen Zahlen zu füttern und Auswertungen bis hin zu vollständigen Bilanzierungen ihrer eigenen Baumaßnahmen vornehmen zu können. Wir stehen am Ende mit der Möglichkeit zur Aggregation all dieser Daten sehr viel besser da als je zuvor. Zum ersten Mal werden wir in die Lage versetzt, eine unmittelbare Vergleichbarkeit von Budgetierung, Einnahmen und Ausgaben in jeder Art von Straßenbauprojekt vorzufinden. Die Auswertung dieser Daten wird es uns erlauben, evidenzbasierte Aussagen über die Wirtschaftlichkeit von Straßenbau zu treffen – ein nicht zu unterschätzender Vorteil in der jahrelangen Dauerbrennerdebatte über die Frage, ob denn nun ÖPP oder konventionell durchgeführte Straßenbaumaßnahmen der bessere Weg sind. Egal, ob man zu denen gehört, die Erfolgskontrolle bei öffentlich-privaten Partnerschaften bislang über den Daumen gepeilt haben, oder zu denen, die mit spitzem Bleistift gerechnet haben: Befürworter und Gegner haben in Zukunft eine gemeinsame Gesprächsgrundlage, die an Präzision und Solidität nichts zu wünschen übrig lässt. Es ist an dieser Stelle offensichtlich, wie mit dem Antrag der Linken verfahren werden sollte: Man kann nicht für mehr Investitionen in Verkehrsinfrastruktur sein, wie die Opposition für sich immer wieder in Anspruch nimmt, und gleichzeitig gegen diesen Gesetzentwurf Anträge stellen, die zu allem Überfluss auch noch sachfremd sind. Zitat: „Die ressortübergreifenden Planungen dienen dem Ziel, privates Kapital für den Straßenbau zu mobilisieren und institutionellen Kapitalanlegern sichere Anlagemöglichkeiten mit höheren Renditen zu verschaffen, als sie in der derzeitigen Niedrigzinsphase üblich sind. Die Planungen für eine Bundesfernstraßengesellschaft reihen sich damit in die geplante Privatisierungswelle ein, die mit der so genannten Fratzscher-Kommission im Auftrag des Bundesministers für Wirtschaft und Energie, Sigmar Gabriel, vorbereitet wurde.“ Ihnen ist vielleicht gar nicht aufgefallen, dass wir hier über die VIFG und ihr Finanzmanagementsystem reden. Die Reform des Haushaltskapitels 12, in deren Umsetzung auch die vorliegende Änderung des VIFG-Gesetzes vorgenommen wird, war längst beschlossene Sache, bevor von einer Fratzscher-Kommission überhaupt die Rede sein konnte. Unser Wunsch nach Controlling und Steuerung bei den Investitionen für den Straßenbau ist älter als jede Vorstellung von einer Bundesgesellschaft, egal welchen Zuschnitts. Wenn die Fratzscher-Kommission dem Bundeswirtschaftsminister bei der Gewinnung von Ideen zur Erhöhung der Investitionsquote behilflich ist, kann man das nur begrüßen. Wenn wir über die Nutzung eines höchst brauchbaren vorhandenen Softwareinstruments für einen weiteren Ausgabensektor im Straßenbau diskutieren, korreliert das mit der von Ihnen hineingeheimnisten Bundesfernstraßengesellschaft ungefähr so wie die Tatsache, dass die Wörter „Verkehrsinfrastruktur“ und „Fratzscher-Kommission“ beide 21 Zeichen lang sind. Welche Schlüsse Sie aus diesem Umstand ziehen, will ich mir lieber gar nicht erst ausmalen. Sabine Leidig (DIE LINKE): Die Bundesregierung beabsichtigt, mit dem Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaftsgesetzes der Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft (VIFG) weitere Aufgaben und Zuständigkeiten zu übertragen. Im Zentrum steht dabei, dass die VIFG neben den Einnahmen aus der Lkw-Maut zukünftig auch die im Bundeshaushalt veranschlagten Mittel für Neubau, Ausbau, Erhaltung, Betrieb und Unterhaltung von Bundesfernstraßen verwalten und verteilen soll. Meine Fraktion beantragt, dass die Planung und Vorbereitung dafür sofort eingestellt werden. Warum? Erstens. Die Bundesregierung macht den zweiten Schritt vor dem ersten. Der Bundesrat befürchtet zu Recht, „dass damit ein erster Schritt zur Gründung einer Bundesfernstraßengesellschaft und damit einhergehend die Abschaffung der Auftragsverwaltung durch die Länder für die Bundesfernstraßen vollzogen werden könnte“. Er hat diesen strukturellen Veränderungen eine klare Absage erteilt. Die Bundesländer dagegen haben beschlossen, eine gründliche Problemanalyse vorzunehmen und danach Schritte zur Verbesserung der Straßenbauverwaltung (Auftragsverwaltung) vorzunehmen. Dazu haben die Länder eine Kommission „Bau und Unterhaltung des Verkehrsnetzes“ (sogenannte Bodewig-II-Kommission) eingesetzt, die bis zum Frühjahr 2016 aktuelle Untersuchungen zur Optimierung der Auftragsverwaltung bewerten soll. Zweitens. Die ressortübergreifenden Planungen der Bundesregierung dienen dem Ziel, privates Kapital für den Straßenbau zu mobilisieren und institutionellen Kapitalanlegern sichere Anlagemöglichkeiten mit höheren Renditen zu verschaffen, als sie in der derzeitigen Niedrigzinsphase üblich sind. Die Bundesfernstraßengesellschaft reiht sich damit in die Privatisierungspläne ein, die mit der sogenannten Fratzscher-Kommission im Auftrag des Bundesministers für Wirtschaft und Energie Sigmar Gabriel vorbereitet wurden. Drittens scheint darüber hinaus die Umgehung der Schuldenbremse eine Motivation für die Gründung einer Bundesfernstraßengesellschaft zu sein. Effizienzvorteile für die Bereitstellung von Straßenverkehrsinfrastruktur, die nicht auch durch Reformen der Auftragsverwaltung und der Bundesverkehrswegeplanung erzielt werden könnten, sind jedoch nicht erkennbar. Viertens. Die Gründung der Bundesfernstraßengesellschaft würde voraussichtlich zur Zerschlagung der Straßenbauverwaltungen der Länder mit ihren 30 000 Beschäftigten führen. Insbesondere im Bereich des Straßenunterhaltungsdienstes sind Arbeitsplätze gefährdet. Schließlich ist nicht zu erwarten, dass die Bundesfernstraßengesellschaft wirtschaftliche Vorteile bringt, vor allem weil die vorgesehene Inanspruchnahme privaten Kapitals mit erheblichen Zinsnachteilen gegenüber der öffentlichen Finanzierung verbunden ist. Darauf hat der Bundesrechnungshof im Zusammenhang mit öffentlich-privaten Partnerschaften (ÖPP) bereits mehrfach hingewiesen. Mit ÖPP verbunden sind erfahrungsgemäß oft höhere Kosten und schlechtere Leistungen. Zu befürchten ist zudem, dass dann nicht mehr verkehrspolitische Aspekte, sondern Renditeerwartungen für Investitionsentscheidungen maßgeblich sind. Dadurch würde auch der Einfluss des Bundestages als Haushaltsgesetzgeber erheblich eingeschränkt. Wir verlangen stattdessen, dass eine ganz andere Reform der Straßenbauverwaltung stattfindet. Diese muss vor allem bei der Bundesregierung selber ansetzen, die ihrer Aufsicht bislang nicht gerecht wird. Eine effektive Steuerung des Bundes im Sinne einer prioritären Umsetzung von Straßenprojekten ließe sich dabei durch einfach- oder untergesetzlich umzusetzende Maßnahmen sicherstellen, beispielsweise durch frühzeitige Finanzierungszusagen des Bundes (wie bei Investitionen in die Bundesschienenwege), durch mehrjährige Finanzierungspläne für Einzelprojekte oder durch die Erhöhung des Bundesanteils an den Planungskosten. Darüber hinaus sollen nach Vorliegen des Endberichts der von den Bundesländern ins Leben gerufenen Kommission „Bau und Unterhaltung des Verkehrsnetzes“ noch in dieser Legislaturperiode gemeinsam mit den Ländern Vorschläge für eine Reform der Auftragsverwaltung Straße erarbeitet und umgesetzt werden. Dabei müssen die sachkundigen Beschäftigten aus den entsprechenden Bereichen unbedingt einbezogen werden, weil deren Veränderungsvorschläge in der Regel aus fundierter Erfahrung resultieren und der Sache dienen. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Schauen wir uns einmal an, wie die aktuelle Situation bei der Finanzierung der Bundesstraßen und Bundesautobahnen aussieht. Es gibt dort zwei Töpfe: zum einen den Topf der Steuergelder und zum anderen den Topf der Gelder aus der Lkw-Maut. Mit beiden Töpfen werden der Ausbau, der Neubau und die Instandhaltung der Bundesfernstraßen bezahlt, aber abgerechnet wird das Ganze über getrennte Zahlungs- und Controllingsysteme. Die Mautmittel zahlt der Staat bei Straßenbaumaßnahmen über die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft aus, kurz genannt über die VIFG. Die Steuergelder hingegen werden direkt aus der Staatskasse gezahlt. Die VIFG nutzt dafür ein in der Unternehmenssteuerung übliches Finanzmanagementsystem. Damit sind die Aufgaben Controlling und Anlagenbuchhaltung besser abwickelbar. Die Steuermittel dagegen werden mit einer Eigenbaulösung im Ministerium überwacht. Der Staat leistet sich hier also wieder einmal einen hohen bürokratischen Doppelaufwand. Schon im letzten Jahr war den Verkehrspolitikern und den Haushältern klar, dass diese Doppelstrukturen abgeschafft werden müssen. Dazu gibt es einen sinnvollen Weg: die Zusammenführung aller Buchungen im System der VIFG. Deren Finanzmanagementsystem ist modern und außerdem auch für eine betriebswirtschaftliche Betrachtung des Anlagevermögens der Fernstraßen ausgelegt. Trotzdem hat es diese großkoalitionäre Bundesregierung nicht geschafft, den notwendigen Gesetzentwurf schon Anfang des Jahres ins parlamentarische Verfahren zu bringen. Der VIFG wurde also erschwert, sich auf die neue Aufgabe einzustellen. Es muss jetzt wieder einmal hoppla hopp gehen. Mit den Gesetzesänderungen fließen künftig auch reguläre Haushaltsmittel über die VIFG in Straßenprojekte, nicht nur die Mauteinnahmen. Diese Bündelung ist sinnvoll und längst überfällig. Daher stimmen wir den notwendigen Gesetzesänderungen zu. Jetzt ist es an Ihnen, werte Großkoalitionäre, sich endlich zu bewegen und die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht länger in der Schwebe zu lassen. Setzen Sie die Änderungen schleunigst um, und trödeln Sie nicht länger herum. Nur so kann das neue System zum 1. Januar 2016 auch wirklich an den Start gehen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Straßenbauverwaltungen werden es Ihnen danken, wenn sie dann nur noch mit einer Buchungssoftware arbeiten müssen. Auch wir Abgeordnete haben etwas von der Neuregelung. Bislang machen wir einen echten Blindflug, mit dem jedes Unternehmen eigentlich zwangsläufig an die Wand fährt. Wir schauen zwar ganz gewissenhaft auf die jährlichen Zahlungsströme und passen genau auf, dass nicht mehr Geld ausgegeben als eingenommen wird. Wir verdrängen aber unsere Verantwortung für den Werterhalt der Bundesfernstraßen. Wenn wir wie ehrbare Kaufleute handeln würden, müssten wir zumindest den Wert unseres Anlagevermögens halten. Aber diesen Wert kennen wir bislang überhaupt nicht. Er steht auch nicht im Bundeshaushalt – genauso wenig wie der jährliche Wertverlust, also die Abschreibungen. Hätten wir diese Angaben, könnten wir Politiker und die Öffentlichkeit auf einen Blick sehen, ob die flotten Sprüche von „Erhalt vor Neubau“ auch tatsächlich eingehalten werden. Denn mindestens den Wertverlust in Höhe der Abschreibungen müssen wir in den Erhalt stecken – sonst fahren wir das System auf Verschleiß. Mit dem neuen Buchungs- und Controllingsystem der VIFG bekommen wir in der Politik nun endlich das notwendige Instrumentarium in die Hand für so ein transparentes System. Wir müssen aber auch bereit sein, es zu nutzen und unsere liebgewonnenen Prozesse entsprechend anzupassen. Darum fordere ich die Bundesregierung auf, sich nicht auf unserem Lob für die VIFG auszuruhen und alte Denkmuster weiterzustricken. Wir schaffen jetzt die technische Möglichkeit, das genaue Sachanlagevermögen sowie den jährlichen Werteverzehr festzustellen. Die Berichte über marode und gesperrte Autobahnbrücken würden damit weniger werden. Einfach nur irgendwann einmal einen Infrastrukturzustandsbericht zu liefern, reicht eben nicht mehr aus. Handeln wir verantwortungsbewusst für unsere nachfolgenden Generationen. Der Anfang ist gemacht. 1)  Anlage 2 2 Siehe Berichtigung, 134. Sitzung, Seite 13133 3) Anlage 3 4) Ergebnis Seite 12981 5) Ergebnis Seite 12990 6) Anlage 5 7)  Anlage 4 8)  Anlage 6 9)  Anlage 7 10)  Anlage 8 11)  Anlage 9 12)  Anlage 10 13)  Anlage 11 --------------- ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 133. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 5. November 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 133. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 5. November 2015 V Plenarprotokoll 18/133