Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 135. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 11. November 2015 Inhalt: Zusätzliche Ausschussüberweisung 13169 A Tagesordnungspunkt 1: Befragung der Bundesregierung: Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie 2014/26/EU über die kollektive Wahrnehmung von Urheber- und verwandten Schutzrechten und die Vergabe von Mehrgebietslizenzen für Rechte an Musikwerken für die Onlinenutzung im Binnenmarkt sowie zur Änderung des Verfahrens betreffend die Geräte- und Speichermedienvergütung; weitere Fragen Heiko Maas, Bundesminister BMJV 13169 B Dirk Wiese (SPD) 13170 B Heiko Maas, Bundesminister BMJV 13170 B Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13170 C Heiko Maas, Bundesminister BMJV 13170 D Dr. Johannes Fechner (SPD) 13171 A Heiko Maas, Bundesminister BMJV 13171 A Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) 13171 B Heiko Maas, Bundesminister BMJV 13171 C Dr. Stefan Heck (CDU/CSU) 13171 D Heiko Maas, Bundesminister BMJV 13172 A Dr. Matthias Bartke (SPD) 13172 B Heiko Maas, Bundesminister BMJV 13172 C Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13172 D Heiko Maas, Bundesminister BMJV 13173 A Siegmund Ehrmann (SPD) 13173 B Heiko Maas, Bundesminister BMJV 13173 C Christian Flisek (SPD) 13173 D Heiko Maas, Bundesminister BMJV 13173 D Petra Pau (DIE LINKE) 13174 A Heiko Maas, Bundesminister BMJV 13174 B Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) 13174 B Heiko Maas, Bundesminister BMJV 13174 C Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13174 D Heiko Maas, Bundesminister BMJV 13175 A Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) 13175 A Heiko Maas, Bundesminister BMJV 13175 B Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13175 C Heiko Maas, Bundesminister BMJV 13175 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13176 A Heiko Maas, Bundesminister BMJV 13176 B Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13176 C Dr. Helge Braun, Staatsminister BK 13176 D Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13176 D Heiko Maas, Bundesminister BMJV 13177 A Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13177 B Dr. Helge Braun, Staatsminister BK 13177 B Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13177 C Dr. Helge Braun, Staatsminister BK 13177 D Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13178 B Dr. Helge Braun, Staatsminister BK 13178 C Tagesordnungspunkt 2: Fragestunde Drucksache 18/6602 13178 D Mündliche Fragen 1 und 2 Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mängel bei den bisherigen behördlichen Kontrollmechanismen zur Einhaltung der Schadstoffgrenze für Pkw und Verbesserung der behördlichen Kontrollen Antwort Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär BMVI 13178 D Zusatzfragen Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13179 A Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13180 C Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13181 A Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13181 D Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13182 C Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13183 A Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 13183 B Mündliche Fragen 3 und 4 Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Bekanntwerden falscher Energieverbrauchsangaben beim Verkauf von Neuwagen und Maßnahmen zur Sicherstellung der notwendigen Energieeinsparung im Verkehrssektor Antwort Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär BMVI 13183 D Zusatzfragen Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13184 B Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13186 A Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13186 B Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13187 A Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13187 D Mündliche Frage 5 Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Neuberechnung der CO2-Emissionen durch Softwareänderungen bzw. Anpassungen des Motors bei Fahrzeugen des VW-Konzerns Antwort Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär BMVI 13188 B Zusatzfragen Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 13188 B Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13189 A Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13189 C Mündliche Frage 6 Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Treffen zwischen Vertretern der US-Regierung bzw. nachgeordneter Behörden und des BMVI im Rahmen der USA-Reise des Bundesministers Dobrindt im Oktober 2015 Antwort Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär BMVI 13189 D Zusatzfragen Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13190 A Mündliche Frage 7 Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Nachprüfungen des Kraftfahrt-Bundesamtes an Fahrzeugen bzw. Fahrzeugtypen hinsichtlich der Abgaswerte Antwort Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär BMVI 13190 D Zusatzfragen Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13190 D Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13191 C Mündliche Frage 8 Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Bedeutung des Flughafens BER als internationales Drehkreuz Antwort Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär BMVI 13192 A Zusatzfragen Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13192 B Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13192 D Mündliche Frage 13 Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mögliche Verringerung der Einträge von Mikroplastik in die Umwelt durch die Einführung des Wertstoffgesetzes Antwort Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin BMUB 13193 A Zusatzfragen Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13193 B Mündliche Frage 16 Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Kopplung der Gelder der Entwicklungszusammenarbeit an die Bereitschaft der Partnerländer zur Rückübernahme von Flüchtlingen Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMZ 13194 A Zusatzfragen Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13194 B Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) 13195 A Mündliche Frage 18 Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Klärung der Verhältnismäßigkeit im Rahmen der Ratsarbeitsgruppe „Handelsfragen“ in Bezug auf verbindliche Regelungen in den Lieferketten sogenannter Konfliktmineralien Antwort Uwe Beckmeyer, Parl. Staatssekretär BMWi 13195 D Zusatzfragen Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13196 A Tagesordnungspunkt 3: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu dem Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einsetzung des 3. Untersuchungsausschusses Drucksachen 18/6330, 18/6601 13197 A Clemens Binninger (CDU/CSU) 13197 A Petra Pau (DIE LINKE) 13198 C Dr. Eva Högl (SPD) 13199 B Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13200 B Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU) 13201 B Uli Grötsch (SPD) 13202 B Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 13203 B Zusatztagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zur Statusfrage syrischer Flüchtlinge und zur Einschränkung des Familiennachzuges Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13204 B Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI 13205 B Ulla Jelpke (DIE LINKE) 13207 C Dr. Lars Castellucci (SPD) 13208 C Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU) 13210 A Sevim Dağdelen (DIE LINKE) 13211 B Sönke Rix (SPD) 13212 B Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13213 B Andrea Lindholz (CDU/CSU) 13214 C Frank Schwabe (SPD) 13215 C Nina Warken (CDU/CSU) 13216 D Michael Frieser (CDU/CSU) 13218 B Barbara Woltmann (CDU/CSU) 13219 C Nächste Sitzung 13221 B Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 13223 A Anlage 2 Mündliche Frage 9 Veronika Bellmann (CDU/CSU) Kriterien für die Mitfinanzierung von nicht mehr als bundesstraßenbegleitend eingestuften Radwegen durch den Bund Antwort Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär BMVI 13223 B Anlage 3 Mündliche Frage 10 Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Veränderungen in der Klimapolitik Kanadas durch die neue kanadische Regierung Antwort Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin BMUB 13223 D Anlage 4 Mündliche Frage 11 Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Weiteres Arbeitsprogramm der gemeinsamen Arbeitsgruppe des BMUB und der Energieversorgungsunternehmen zum Konzept der Rückführung verglaster radioaktiver Abfälle aus der Wiederaufarbeitung Antwort Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin BMUB 13224 A Anlage 5 Mündliche Frage 12 Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Precursor-Ereignisse in deutschen Atomkraftwerken im Jahr 2010 Antwort Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin BMUB 13224 C Anlage 6 Mündliche Frage 14 Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Fragestellungen sowie Höhe der jeweiligen Fördersummen von Forschungsaufträgen im Rahmen der Förderbekanntmachung „Mikroplastik in marinen Systemen“ Antwort Stefan Müller, Parl. Staatssekretär BMBF 13225 B Anlage 7 Mündliche Frage 15 Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zeitpunkt der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen der jeweiligen Mikroplastik-Forschungsprojekte Antwort Stefan Müller, Parl. Staatssekretär BMBF 13226 A Anlage 8 Mündliche Frage 17 Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auswirkungen des Kabinettsentwurfs für ein Kulturschutzgesetz auf naturwissenschaftliche Probenarchive Antwort Monika Grütters, Staatsministerin BK 13226 A Anlage 9 Mündliche Frage 19 Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Etwaige Zustimmung der Bundesregierung zum migrationspolitischen Papier der CDU/CSU von November 2015 Antwort Michael Roth, Staatsminister AA 13226 C Anlage 10 Mündliche Frage 20 Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Genehmigungsfähigkeit in Bezug auf den Export von Panzern und Panzerhaubitzen nach Katar vor dem Hintergrund der Entwicklungen in der arabischen Welt Antwort Michael Roth, Staatsminister AA 13227 A Anlage 11 Mündliche Frage 21 Sevim Dağdelen (DIE LINKE) Widersprüchliche Einschätzungen des Regierungssprechers Seibert, der OSZE und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates zum Verlauf des Wahlkampfes in der Türkei Antwort Michael Roth, Staatsminister AA 13227 B Anlage 12 Mündliche Frage 22 Andrej Hunko (DIE LINKE) Eintragung einer Einreiseverweigerung für Mitglieder der Musikgruppe „Grup Yorum“ in das Schengener Informationssystem SIS II Antwort Michael Roth, Staatsminister AA 13227 C Anlage 13 Mündliche Frage 23 Andrej Hunko (DIE LINKE) Speicherung und Verarbeitung von bearbeiteten Inhalten zu Schleuserkriminalität und gewaltbereitem Extremismus durch den Analyse- und Auswerteschwerpunkt „Check the Web“ der neuen Meldestelle für Internetinhalte bei Europol Antwort Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär BMI 13228 A Anlage 14 Mündliche Frage 24 Sevim Dağdelen (DIE LINKE) Abschiebung von Afghanen trotz der aktuellen Sicherheitslage in Afghanistan Antwort Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär BMI 13228 B Anlage 15 Mündliche Frage 25 Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Maßnahmen zum Schutz von Flüchtlingen, Flüchtlingsunterkünften und sich für Flüchtlinge einsetzende Menschen Antwort Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär BMI 13228 C Anlage 16 Mündliche Frage 26 Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vom BAMF derzeit eingesetzte Entscheider und Schaffung neuer Stellen in den Jahren 2014 bis 2016 Antwort Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär BMI 13229 A Anlage 17 Mündliche Frage 27 Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nachforschungen der Bundesregierung zu den Vorwürfen von schwarzen Kassen und anderen Unregelmäßigkeiten im Organisationskomitee der Fußballweltmeisterschaft 2006 Antwort Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär BMI 13229 B Anlage 18 Mündliche Frage 28 Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Rechtsextrem motivierte Übergriffe auf Journalisten im Jahr 2015 Antwort Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär BMI 13229 C Anlage 19 Mündliche Frage 29 Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Evaluierung des Leistungsschutzrechts Antwort Ulrich Kelber, Parl. Staatssekretär BMJV 13229 D Anlage 20 Mündliche Frage 30 Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Stand der Evaluierung des Leistungsschutzrechts für Presseverlage Antwort Ulrich Kelber, Parl. Staatssekretär BMJV 13230 A Anlage 21 Mündliche Frage 31 Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Einnahmeausfälle bei der Kfz-Steuer durch zu niedrig angegebene CO2-Werte bei Fahrzeugen des Volkswagen-Konzerns Antwort Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär BMF 13230 B Anlage 22 Mündliche Frage 32 Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) Kenntnisse über Glyphosat-Rückstände in Hygieneartikeln aus Baumwolle Antwort Peter Bleser, Parl. Staatssekretär BMEL 13230 B Anlage 23 Mündliche Frage 33 Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) Glyphosat-Rückstände in Hygieneartikeln aus Baumwolle und Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit Antwort Peter Bleser, Parl. Staatssekretär BMEL 13230 C Anlage 24 Mündliche Frage 34 Ulla Jelpke (DIE LINKE) Bislang festgelegte Regelungen zur Erstattung der zur Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen erbrachten Amtshilfeleistungen der Bundeswehr und Kostenübernahme für den Betrieb von Erstaufnahmeeinrichtungen in Kasernen Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMVg 13230 D Anlage 25 Mündliche Frage 35 Katrin Kunert (DIE LINKE) Auswertung der Ergebnisse des Fachsymposiums im Februar 2015 hinsichtlich ihrer Relevanz für Wehrdienstbeschädigungsverfahren Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMVg 13231 B Anlage 26 Mündliche Frage 36 Katrin Kunert (DIE LINKE) Verkürzung der Bearbeitungszeiten von Anträgen in Wehrdienstbeschädigungsverfahren seit Übernahme der Zuständigkeiten durch das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr Antwort 13231 C Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMVg 135. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 11. November 2015 Beginn: 13.00 Uhr Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich grüße Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, hier im Plenum, ich grüße die Kolleginnen und Kollegen der Bundesregierung, und ich begrüße recht herzlich unsere Gäste auf der Tribüne. Die Sitzung ist damit eröffnet. Ich habe vor Eintritt in die Tagesordnung eine amtliche Mitteilung: Interfraktionell ist vereinbart worden, den Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaftsgesetzes auf Drucksache 18/6487 zur Mitberatung an den Haushaltsausschuss zu überweisen. Ich gehe davon aus, dass Sie damit einverstanden sind. – Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie 2014/26/EU über die kollektive Wahrnehmung von Urheber- und verwandten Schutzrechten und die Vergabe von Mehrgebietslizenzen für Rechte an Musikwerken für die Onlinenutzung im Binnenmarkt sowie zur Änderung des Verfahrens betreffend die Geräte- und Speichermedienvergütung. – Das war die Überschrift. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, Heiko Maas. – Sie haben das Wort, Herr Minister. Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Autoren, Künstler, Urheber leben zum einen davon, dass das, was sie schaffen, also ihre Werke, verbreitet wird und ein möglichst breites Publikum findet. Zum anderen leben sie vor allen Dingen aber auch davon, dass das, was sie schaffen, entsprechend vergütet wird. Dafür brauchen wir Verwertungsgesellschaften, und diese sind Gegenstand des Gesetzentwurfes, den das Kabinett heute beschlossen hat. Diese Verwertungsgesellschaften, die es im Übrigen seit 150 Jahren gibt – da wurden sie in Frankreich erfunden –, ermöglichen den Rechtenutzern den einfachen, gebündelten Zugang zu den Rechten. Sie sorgen so für die Verbreitung und die Vermarktung von kreativen Leistungen. Sie kassieren die Vergütung für die Nutzung der Werke und verteilen dann diese Einnahmen. Sie sind damit in vielen Bereichen der Kulturwirtschaft eine wichtige Grundlage für das individuelle Schaffen von Künstlerinnen und Künstlern. Die EU-Richtlinie, die wir mit dem Gesetzentwurf umsetzen wollen, schafft erstmals die Grundlage dafür, einen unionsweiten Rechtsrahmen für die Tätigkeit von Verwertungsgesellschaften zu setzen. Wir haben in Deutschland 13 Verwertungsgesellschaften, die von diesem Gesetz betroffen sind, mit einem Jahresumsatz von etwa 1 Milliarde Euro. Die größte ist die sicherlich bekannte GEMA, die allein 850 Millionen Euro erlöst. Mit dem Gesetzentwurf werden die Grundlagen neu geordnet. Dabei haben wir es ermöglicht, dass die bewährten nationalen Mechanismen beibehalten werden können. Zum Beispiel gibt es auch weiterhin eine Staatsaufsicht über die Verwertungsgesellschaften. Das ist etwas, was in anderen Mitgliedstaaten aufgrund der Richtlinie erst jetzt eingeführt wird. Wir halten auch daran fest, dass Verwertungsgesellschaften in Deutschland eine behördliche Erlaubnis benötigen und dass sie verpflichtet sind, jedermann zu angemessenen Bedingungen eine Lizenz für Rechte zu geben, die sie wahrnehmen. Meine Damen und Herren, im Detail bedurfte es umfangreicher Anpassungen, größtenteils aber technischer Natur, zum Beispiel um die umfangreichen Informations- und Transparenzpflichten von Verwertungsgesellschaften zu definieren. Wegen der Vorgaben in der Richtlinie wird nun vieles, was bisher in den Satzungen dieser Gesellschaften festgeschrieben wurde, Gegenstand des Gesetzes. Mit dem Gesetz machen wir auch das Verfahren zur Aufstellung der Tarife für die Vergütung von Privatkopien schneller und auch effizienter. Seit Einführung unseres Urheberrechtsgesetzes vor 50 Jahren haben wir in Deutschland eine sinnvolle Regelung, an der wir festhalten wollen, nämlich die erlaubte, fair vergütete Privatkopie. Verbraucherinnen und Verbraucher sind danach berechtigt, auch ohne Erlaubnis der Rechteinhaber private Kopien anzufertigen, aus Büchern, von DVDs und vielem anderen. Dafür erhalten die Kreativen einen Ausgleich, der über die sogenannte Geräte- und Speichermedienvergütung erhoben wird, also im Preis von PCs, Druckern, USB-Sticks usw. enthalten ist. Damit dieses Geld zeitnah bei den Kreativen ankommt – das war in der Vergangenheit oftmals problematisch –, brauchen wir ein effizientes und vor allen Dingen schnelleres Verfahren, als wir es bisher hatten, insbesondere zur Ermittlung und auch zur Durchsetzung der entsprechenden Tarife. Auch diese Vorschriften sind geändert worden. Wir finden, das hilft auch der Geräteindustrie, die bisher oft über viele Jahre Rückstellungen bilden musste, weil völlig unklar war, wie hoch die Tarife waren und was dann später bezahlt werden musste. Damit die Kreativen und andere Rechteinhaber auch dann an ihr Geld kommen – das war in der Vergangenheit nicht immer so –, wenn zum Beispiel die Festsetzung der Tarife länger dauert, sind künftig Sicherheitsleistungen zur Gewährleistung der urheberrechtlichen Vergütungsansprüche möglich. Diese Sicherheitsleistung kann auf Antrag von der Schiedsstelle beim Deutschen Patent- und Markenamt in München angeordnet werden und stellt sicher, dass am Zahltag tatsächlich noch das Geld vorhanden ist, das den Kreativen zusteht. In der Vergangenheit kam es durchaus vor, dass diejenigen, die zahlen mussten, wirtschaftlich gar nicht mehr existent waren. Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf sieht, wie wir finden, insgesamt eine sinnvolle Modernisierung des Rechtes vor, die vor allen Dingen allen zugutekommt: der Geräteindustrie, der Kulturwirtschaft, aber auch den Lesern, Hörern und Zuschauern kreativer Leistungen. Schönen Dank. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Heiko Maas. – Jetzt kommen wir zu den Fragen zum Themenbereich des Berichts. Da hat sich zuerst Dirk Wiese für die SPD gemeldet. Bitte. Dirk Wiese (SPD): Sehr geehrter Herr Minister, vielen Dank für die Ausführungen zum Gesetz zur Umsetzung der Verwertungsgesellschaften-Richtlinie. Ich hätte zwei Fragen, die darüber hinausgehen, zum weiteren Vorgehen im Bereich des Urheberrechts: Erste Frage: Welche weiteren Gesetzentwürfe plant das BMJV im Bereich des Urheberrechts? Zweite Frage: Was sind nach Ihrer Kenntnis die Pläne der EU-Kommission für eine Reform des Urheberrechts? Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Die Pläne der Bundesregierung im Bereich des Urheberrechts belaufen sich auf drei Gesetzgebungsvorhaben, die wir in dieser Legislaturperiode auf den Weg bringen wollen; zwei davon haben wir auf den Weg gebracht. Der erste Gesetzentwurf ist derjenige, der jetzt Gegenstand der Befragung der Bundesregierung ist, also die Reform des Rechtes der Verwertungsgesellschaften mit dem dargestellten Inhalt. Eine zweite Reform werden wir im Urhebervertragsrecht vornehmen. Auch dieses Gesetz liegt bereits in Form eines Referentenentwurfes vor, befindet sich zurzeit in der Länder- und Verbändeanhörung. Dort geht es im Wesentlichen darum, die Rechte von Urhebern bei der Durchsetzung ihres Anspruchs auf eine angemessene Vergütung zu verbessern. Es soll eine Verbandsklage zur Durchsetzung dieser Ansprüche eingeführt werden. Es sollen auch Rückrufrechte eingeführt werden: Nach fünf Jahren hat ein Urheber die Möglichkeit, sein Werk mit einem neuen Verwerter weiter zu verwerten, der bisherige Vertreter kann diesen Vertrag aber übernehmen. Das dritte Gesetzgebungsvorhaben betrifft die Bildungs- und Wissenschaftsschranke, die wir neu und transparenter definieren wollen. Das haben wir für die erste Hälfte des nächsten Jahres vorgesehen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Maas. – Nächste Fragestellerin ist Tabea Rößner für Bündnis 90/Die Grünen. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank. – Wir hätten uns natürlich gefreut, wenn uns jetzt der Gesetzentwurf vorläge. Weil das nicht der Fall ist, können wir uns nur auf den Referentenentwurf beziehen. Wenn der Gesetzentwurf vorläge, wäre vielleicht auch die eine oder andere Frage hinfällig. Ich habe eine grundlegende Frage: Welche Regeln gelten eigentlich für europäische Verwertungsgesellschaften, die in Deutschland tätig werden? Wie haben sie zum Beispiel die Tarife festzusetzen? Gelten dann die deutschen Regeln oder die Regeln des Sitzlandes, in dem die EU-Richtlinie womöglich ganz anders umgesetzt wird? Und wie will die Bundesregierung mit den Wettbewerbsnachteilen, die daraus womöglich entstehen, umgehen? Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Grundsätzlich gilt für die Verwertungsgesellschaften das Recht des Landes, in dem sie ihren Sitz haben. Es wird eine Aufsicht über alle europäischen Verwertungsgesellschaften im jeweiligen Sitzland geschaffen, die dafür sorgen soll, dass das Recht, soweit jetzt harmonisiert, möglichst einheitlich umgesetzt wird. Die Überwachung der ausländischen Verwertungsgesellschaften, die nicht im europäischen Wirtschaftsraum ansässig sind – die gibt es ja auch –, wird vom Deutschen Patent- und Markenamt vorgenommen werden. Wenn es nach Auffassung der Aufsichtsbehörde Verstöße gegen die Richtlinie oder gegen das, was gesetzlich daraus folgt, gibt, soll das so ablaufen: Die nationale Aufsichtsbehörde informiert die Aufsichtsbehörde des Sitzlandes darüber, dass es entsprechende Verstöße gegeben hat, und fordert sie auf, gegen die Verwertungsgesellschaft vorzugehen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank. – Nächster Fragesteller: Dr. Fechner für die SPD. Dr. Johannes Fechner (SPD): Herr Minister, ich hätte zwei Fragen zum Thema Privatkopievergütungen. Zum einen: Könnten Sie erläutern, welche Neuerungen das Gesetz für die Privatkopievergütungen bringt? Die zweite Frage: Sie sprachen davon, dass der Entwurf des Gesetzes eine Sicherheitsleistung für Ansprüche auf Privatkopievergütungen vorsieht. Wie sieht das in der Praxis aus? Wie wird das in der Praxis funktionieren? Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: In der Praxis soll die Sicherheitsleistung, die entrichtet werden muss, durch die Schiedsstelle beim Deutschen Patent- und Markenamt in München angeordnet werden können, und zwar in einem laufenden Hauptsacheverfahren zwischen den Verwertungsgesellschaften und dem zahlungspflichtigen Unternehmen der Geräteindustrie. Wir haben uns entschieden, dass eine solche Sicherungsleistung auch in Form von Bankbürgschaften erbracht werden kann, sodass nicht Geldbeträge hinterlegt werden müssen. Für die Herstellerindustrie ist das sinnvoll, weil die Sicherheitsleistung dann nicht aus liquiden Mitteln heraus zur Verfügung gestellt werden muss. Ich glaube, damit ist eine angemessene Regelung gefunden worden. So wird auch verhindert, dass das entsprechende Unternehmen, wenn die Vergütungen fällig werden, womöglich nicht mehr greifbar ist, zum Beispiel wegen einer Insolvenz, was in der Vergangenheit zum Teil der Fall war. In einem solchen Fall wird auf die Sicherheitsleistung zurückgegriffen. Das Ganze kann durch das zuständige Oberlandesgericht, wenn es von der Schiedsstelle angeordnet worden ist, für vollziehbar erklärt werden. Somit ist auch eine Kontrolle durch die staatliche Gerichtsbarkeit gegeben. Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Minister. – Nächster: Harald Petzold für die Linke. Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, meine zwei Fragen lauten: Erstens. Warum wird die Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb einer Verwertungsgesellschaft nicht an die Mitgliedschaft und die Gewährung allgemeiner und gleicher Wahlen geknüpft? Damit im Verbund steht meine zweite Frage: Sie reproduzieren mit der Regelung, die Sie jetzt vorsehen, die aus meiner Sicht vordemokratischen Zustände von 1965. In dem ursprünglichen Richtlinienentwurf war keine Zweiklassenmitgliedschaft – einmal stimmberechtigte Mitglieder und einmal nichtstimmberechtigte Nichtmitglieder – vorgesehen, wie das jetzt vorgesehen ist. Wie hat die Bundesregierung sich im Verlauf der Entstehung dieser Richtlinie verhalten? Haben Sie möglicherweise sogar dazu beigetragen, dass es dieses Zwei- oder Dreiklassenwahlrecht à la GEMA oder Verwertungsgesellschaft WORT, wie es in Deutschland üblich ist, auch auf der europäischen Ebene geben kann? Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Nein. Vielmehr haben wir in den Verhandlungen, die es auf der europäischen Ebene dazu gegeben hat, insbesondere darauf hingewirkt, dass die von Ihnen beschriebenen Demokratiedefizite, die es hinsichtlich der Mitbestimmung innerhalb von Verwertungsgesellschaften gegeben hat, behoben werden können. Das wird nach unserer Auffassung mit dem Gesetzentwurf gewährleistet; denn er enthält eine differenzierte und abgestufte Kompetenzregelung, die dazu führt, dass in Zukunft alle Berechtigten gehört werden sollen und auch mitbestimmen können. Die Verwertungsgesellschaften müssen zum Beispiel grundsätzlich alle Berechtigten als reguläre Mitglieder aufnehmen, natürlich nur, soweit sie die weiteren angemessenen Mitgliedschaftsbedingungen erfüllen. Die Verwertungsgesellschaft hat darüber hinaus angemessenere und wirksamere Verfahren vorzusehen, durch die auch Nichtmitglieder an allen Entscheidungen mitwirken können. Und: Werden Ansprüche verschiedener Gruppen von Berechtigten, also Urheber, ausübende Künstler, Produzenten oder Verleger, innerhalb einer einzigen Verwertungsgesellschaft wahrgenommen – das war nicht nur in der Vergangenheit der Fall, sondern wird auch in Zukunft der Fall sein –, so müssen zukünftig alle Gruppen fair und ausgewogen vertreten sein. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, aber in der Vergangenheit war das nicht immer gewährleistet. Wir haben also entsprechende Vorschriften im Gesetzentwurf vorgesehen, die nach unserer Auffassung ausreichend sein werden, um dafür zu sorgen, dass die Demokratiedefizite, die es unbestrittenermaßen in der Vergangenheit gegeben hat, in Zukunft nicht mehr weiterbestehen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank. – Nächster Fragesteller: Dr. Heck für die CDU/CSU. Dr. Stefan Heck (CDU/CSU): Herzlichen Dank. – Ich habe zwei Fragen. Die erste Frage betrifft die Regelungstechnik. Vielleicht könnten Sie uns kurz darlegen – es handelt sich ja um einen Gesetzentwurf zur Umsetzung einer europäischen Richtlinie –, in welchem Bereich es möglicherweise Abweichungen gibt von dem, was die Richtlinie vorsieht. Geht das nationale Gesetz an einigen Stellen eventuell auch darüber hinaus? Meine zweite Frage: In der beginnenden rechtspolitischen Debatte über das Thema ist ja vernehmbar, dass es insbesondere zum Thema Sicherheitsleistung sehr unterschiedliche Auffassungen gibt und dass diesbezüglich verfassungsrechtliche Zweifel bestehen. Wie bewerten Sie diese? Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Zum ersten Teil der Frage: Wir haben uns zunächst eins zu eins an das gehalten, was die Richtlinie uns vorgegeben hat. Wir haben in den Diskussionen über den Richtlinienentwurf besonderen Wert darauf gelegt, dass die Tatbestände, die ich eingangs geschildert habe, also etwa, dass es eine staatliche Aufsicht gibt – die gab es bei uns schon immer, die gab es in einigen anderen Mitgliedstaaten bislang nicht –, auf den gesamten Bereich der Europäischen Union ausgeweitet werden. Weiterhin wird es, was die Wahrnehmung und den Abschlusszwang angeht, weiterhin Regelungen geben, wie wir sie auch schon in der Vergangenheit hatten. Was die Sicherheitsleistung und möglicherweise vorgetragene verfassungsrechtliche Bedenken angeht: Wir sind nicht der Auffassung, dass das verfassungsrechtlich problematisch ist; denn den verfassungsmäßigen Rechten der zahlungspflichtigen Unternehmen stehen auf der anderen Seite die genauso verfassungsrechtlich geschützten Interessen der Urheber und Kreativen entgegen, die natürlich ein Recht darauf haben, dass die Werke, die sie geschaffen haben, angemessen vergütet werden. Das ist in der Praxis in der Vergangenheit bei der Privatkopievergütung aufgrund systematischer Defizite im Verfahren nicht immer möglich gewesen. Deshalb glauben wir, dass die Sicherheitsleistung, die über eine Bankbürgschaft abgegeben wird, ein angemessener und damit auch verfassungsmäßiger Ausgleich ist zwischen den Interessen der Gerätehersteller und der Urheber hinsichtlich des Rechts auf angemessene Vergütung. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Minister. – Nächster Redner: Dr. Bartke für die SPD. Dr. Matthias Bartke (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, ich habe zwei Fragen zu praktischen Auswirkungen des Gesetzentwurfs. Die erste ist: Was ändert sich für die Verwertungsgesellschaften in ihrer alltäglichen Praxis? Die zweite Frage ist: Was ändert sich für die Kunden von Verwertungsgesellschaften, also beispielsweise für Diskotheken, Gaststätten, Hotels, Sendeunternehmen oder Onlinedienste? Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Was sich für die Verwertungsgesellschaften in der alltäglichen Praxis ändert, ist, wie ich glaube, minimal. Grundsätzlich würde ich sogar sagen, dass sie ihre Tätigkeit in ähnlicher Form weiterführen können, wie das bisher der Fall gewesen ist. Verfahrensregelnde Bestimmungen standen früher in der Satzung von Verwertungsgesellschaften, sie sind jetzt Bestandteil des Gesetzes geworden. Deshalb glaube ich, dass die deutschen Verwertungsgesellschaften nach Inkrafttreten des Gesetzentwurfes und der Anpassungsphase ihre Tätigkeit in ähnlicher Form fortführen können, ohne dass es zu grundsätzlichen oder größeren Veränderungen im Vergleich zu früher kommt. Bei Verwertungsgesellschaften in anderen europäischen Mitgliedstaaten werden die Veränderungen deutlich größer sein. Zur Frage nach den Kunden von Verwertungsgesellschaften, also Hotels, Diskotheken, Sendeunternehmen oder Onlinedienste: Auch hier wird es, wie ich glaube, grundsätzlich bei den bewährten Mechanismen bleiben. Daneben schaffen allerdings die umfänglichen Informations- und Berichtspflichten, die in diesem Gesetzentwurf verankert sind, künftig mehr Transparenz, auch zugunsten der Nutzer. Wir greifen zudem eine Forderung aus der Veranstaltungs- und Gastronomiebranche auf; denn Verwertungsgesellschaften sind hiernach zukünftig verpflichtet, gemeinsam einen Gesamtvertrag abzuschließen, wenn eine Nutzung die Rechte von mehr als einer Verwertungsgesellschaft erfordert. Das ist in der Vergangenheit ein Problem gewesen und hat teilweise zu unerfreulichen Entwicklungen geführt. Das wird beispielsweise die Lizenzierung bei der Wiedergabe von Fernsehprogrammen in Gaststätten deutliche vereinfachen. Auch das ist ein Thema gewesen, das ungelöst im Raum stand. Vizepräsidentin Claudia Roth: Darf ich alle Beteiligten bitte an die Eine-Minute-Regelung erinnern? – Renate Künast ist die Nächste. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke sehr. – Ich will an den Teil Ihrer Antwort gerade eben anschließen, Herr Minister, in dem Sie gesagt haben, dass die Verwertungsgesellschaften ihre Arbeit eigentlich grundsätzlich ohne große Veränderungen im Vergleich zu früher fortführen können. Wenn das so ist, verstehe ich aber nicht, warum zumindest im Referentenentwurf – den anderen kennen wir ja nicht; wir befragen Sie ja zu etwas, das wir nicht kennen – noch stand, dass den Verwertungsgesellschaften ein einmaliger Umstellungsaufwand in Höhe von 1,4 Millionen Euro und laufende Kosten in Höhe von jährlich 183 600 Euro entstehen. Das passt meines Erachtens nicht dazu, dass Sie sagen: Es gibt im Vergleich zu früher eigentlich keine großartige Veränderung. – Das sind ja die Kosten, die durch Umstellung auf elektronische Kommunikation, aufgrund des Kontrahierungszwangs usw. entstehen und die meines Erachtens schon ziemlich niedrig angesetzt sind. Zweitens eine Frage zum Punkt „alternative Verwertungsgesellschaften“. Es ist ja wie im wirklichen Leben: Es gründen sich auch einmal neue. Ich frage Sie: Haben Sie eigentlich an der Stelle zum Beispiel mit der GEMA-Alternative Gespräche geführt? Haben Sie geregelt, dass in Zukunft auch Genossenschaften möglich sein können und dass die zum Beispiel auch an empirische Untersuchungen zur Aufstellung von Tarifen herankommen? Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Zu Letzterem: Diese Gespräche mit der GEMA oder anderen Verwertungsgesellschaften haben wir in der Form nicht geführt, weil letztlich die Entwicklung und auch das Marktgeschehen zeigen müssen, welche neuen Formen von Verwertungsgesellschaften entstehen. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müssen sie aber auch zugelassen werden! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann ja nicht sein, wenn eine Genossenschaft nicht darf!) Das ist letztlich nicht unsere Aufgabe. Wir setzen lediglich den rechtlichen Rahmen, in dem Verwertungsgesellschaften gegründet werden können, und wir sind der Auffassung, dass mit dem Rahmen, den wir gesetzt haben, durchaus auch alternative Verwertungsgesellschaften möglich sind. Wir können allerdings nicht noch die Gründung solcher Gesellschaften in irgendeiner Weise unterstützen. Das muss das Marktgeschehen selber ergeben. Kosten entstehen natürlich durch mehr Transparenz- und Informationspflichten, die in diesem Gesetzentwurf vorgesehen sind, oder etwa auch dort, wo man neue Wege einschlagen will, etwa bei der Onlinelizenzierung von Musik. Das wird im Übrigen auch zu mehr Wettbewerb führen. Nach der Richtlinie sollen zum Beispiel Lizenz- und Verarbeitungszentren entstehen, die die erforderlichen Urheberrechte für Streamingdienste, also beispielsweise für Spotify oder Apple Music, europaweit lizenzieren. Das ist sicherlich neu und wird mehr Aufwand bedeuten. Das wird auch zu Kosten führen, aber zu vertretbaren, wie wir finden. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank. – Nächster ist Siggi Ehrmann für die SPD. Siegmund Ehrmann (SPD): Herr Minister, die Verwertungsgesellschaften-Richtlinie fordert mehr Transparenz. Der Gesetzentwurf geht darauf ein und sorgt für mehr Transparenz. Das Äquivalent zu der Transparenz in den mitgliedschaftlich organisierten Verwertungsgesellschaften ist die Staatsaufsicht. Gibt es durch den Gesetzentwurf dort auch ein qualitatives Mehr? Denn die Wirksamkeit der Staatsaufsicht, insbesondere des Deutschen Patent- und Markenamtes, ist in der Vergangenheit gelegentlich nicht ohne Kritik geblieben. Ein zweiter Punkt. Uns ist natürlich wichtig, dass die Verwertung geistigen Eigentums auch zu entsprechenden Erträgen führt. Könnten Sie vielleicht noch einmal kurz zusammenfassen, wo das qualitative Mehr insbesondere für die Künstlerinnen und Künstler in den unterschiedlichen Genres durch den Gesetzentwurf initiiert wird? Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Was die Verbesserung der Aufsicht angeht, ist zu sagen: Wir haben die Staatsaufsicht, die in Deutschland beim Deutschen Patent- und Markenamt liegt, in den vergangenen Jahren ohnehin schon personell und organisatorisch deutlich gestärkt. Das wird nach unserer Auffassung Schritt für Schritt dazu führen, dass die Behörde der Aufsicht und den Aufsichtspflichten sowie den Verfahren, die es immer wieder geben wird, besser Rechnung tragen kann. Der Gesetzentwurf passt nun im Wesentlichen das Recht der Staatsaufsicht über die Verwertungsgesellschaften an die von der Verwertungsgesellschaften-Richtlinie vorgesehene unionsweite Zusammenarbeit aller europäischen Aufsichtsbehörden in den Mitgliedstaaten an. Deshalb ist das zwar nicht der letzte Schritt, um die Aufsicht zu verbessern, aber es wird eine größere Harmonisierung in Europa erreicht. Und national haben wir durch personelle und organisatorische Verstärkungen beim DPMA in München bereits Vorkehrungen getroffen, damit wir dem auch gerecht werden können. Vizepräsidentin Claudia Roth: Christian Flisek, bitte. Christian Flisek (SPD): Danke, Frau Präsidentin. – Herr Bundesminister Maas, die Verwertungsgesellschaften fördern bislang auch kulturell bedeutsame Leistungen; sie können sich auch sozial engagieren. Zu erwähnen ist zum Beispiel die GEMA-Sozialkasse. Meine erste Frage ist: Wird das nach der Umsetzung der Richtlinie durch den vorliegenden Gesetzentwurf auch in Zukunft möglich sein? Dann haben Sie ja bereits den wichtigen Bereich der Online-Musiklizenzen angesprochen und darauf hingewiesen, dass man laut Richtlinie europaweit einen Wettbewerb zwischen Verwertungsgesellschaften wünscht. Wie ist denn sichergestellt, dass die starken deutschen Verwertungsgesellschaften in diesem Bereich, namentlich die GEMA, auch auf vergleichbare Wettbewerbsverhältnisse – Stichwort „level playing field“ – stoßen? Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Die Frage, ob Verwertungsgesellschaften auch künftig kulturell bedeutsame Leistungen erbringen können – Sie haben die Sozialkassen angesprochen; es gibt aber auch darüber hinausgehende soziale Zwecke –, ist bei der Diskussion über die Verwertungsgesellschaft auf europäischer Ebene sehr umstritten gewesen, weil man ein solches System in anderen Staaten nicht kennt. Uns ist das allerdings außerordentlich wichtig gewesen. Deshalb ist es auch gelungen, diesen Aspekt in der Richtlinie zu verankern. Wie bisher sollen Verwertungsgesellschaften also auch künftig kulturelle und soziale Zwecke verfolgen können. Bei der Förderung kulturell bedeutender Werke verschaffen wir den Verwertungsgesellschaften sogar noch zusätzliche Freiräume. Das heißt, im Ergebnis unterstreicht der Gesetzentwurf damit die besondere Bedeutung des Umstands – dies ist uns wirklich außerordentlich wichtig –, dass die Verwertungsgesellschaften über ihren wirtschaftlichen Zweck hinaus auch einen besonderen kulturellen Auftrag haben. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank. – Petra Pau ist die Nächste. Petra Pau (DIE LINKE): Danke schön. – Herr Minister, ich möchte noch einmal an die Frage des Kollegen Ehrmann anschließen; es kann sein, dass ich einen Teil der Antwort eben überhört habe. Es geht um den Stellenaufwuchs von voraussichtlich fünf Mitarbeitern, der in der Abteilung „Staatsaufsicht über die Verwertungsgesellschaften“ vorgesehen ist. Im Gesetzentwurf wird ja als Zweck ausgewiesen, dass es darum geht, die neu hinzukommenden Aufgabengebiete damit abzudecken. Für mich stellt sich noch die Frage, welche Maßnahmen – wenn nicht Personal – vorgesehen sind, um auch die langen Bearbeitungs- und Verfahrenszeiten, die ja bekannte Probleme sind, an dieser Stelle zu beseitigen? Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Nach den Erfahrungen, die wir gemacht haben, sind wir schon der Auffassung, dass es ohne ein Mehr an Personal nicht gehen wird; das ist im Ergebnis das A und O. Deshalb sehen wir in dem, was wir dort vorgesehen haben – ich habe eben darauf hingewiesen –, einen ersten Schritt, um die Staatsaufsicht zu verbessern und die Erfüllung der Aufgaben, die es gibt, besser zu ermöglichen. Aber auch die Aufgaben, die neu dazukommen, wird man besser erledigen können. Wir werden das natürlich weiterhin beobachten. Sollte sich aufgrund der Umsetzung des Gesetzentwurfes oder der Anwendung des Gesetzes später weiterer personeller oder auch organisatorischer Anpassungsbedarf ergeben, haben wir uns vorbehalten, darauf dann erneut zu reagieren. Wir glauben aber, dass wir mit dem, was wir bisher vorgesehen haben, auch personell, zunächst einmal in der Lage sind, den abschätzbaren Aufwand und Mehraufwand, der entsteht, zu bewältigen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Nächste Fragestellerin: Elisabeth Winkelmeier-Becker für die CDU/CSU. Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Minister, ich hätte noch eine Frage zu dem Schiedsverfahren, in dessen Rahmen über die Gerätevergütung entschieden werden soll. Welche Voraussetzungen werden an das Verfahren angelegt, einerseits im Hinblick auf den Ablauf, andererseits in Bezug auf die Kriterien, nach denen die Schiedsstelle dann entscheiden soll? Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: An den Kriterien wird sich wesentlich nicht so viel verändern. Es wird letztlich um die Frage gehen, dass auf der Basis empirisch erstellter Gutachten, die man braucht, um abschätzen zu können, wie sich die wirtschaftliche Situation entwickelt, die urheberrechtlichen Vergütungen festgesetzt werden. Wichtig für uns ist, dass wir mit der Sicherheitsleistung dafür Sorge getragen haben, dass die Beträge auch zur Verfügung stehen, wenn die Vergütung ansteht. In der Vergangenheit sind die Verhandlungen nämlich schon daran gescheitert, dass Bereitschaft bestand, in ernsthafte Verhandlungen zu treten. Häufig haben über viele Jahre überhaupt keine Verhandlungen stattgefunden. Ich glaube, das ist jetzt durch den Verzicht auf obligatorische Verhandlungen besser geregelt. Mit der Sicherheitsleistung in Form einer Bankbürgschaft stehen ergänzend Beträge zur Verfügung, die später auch abgerufen werden können. An den Kriterien als solchen wird sich im Vergleich zum Referentenentwurf nicht viel ändern. Das Verfahren wird beschleunigt werden, und mit der Sicherheitsleistung in Form einer Bankbürgschaft werden die entsprechenden Beträge zur Verfügung stehen, wodurch verhindert wird, dass durch das Abhandenkommen eines Geräteherstellers plötzlich kein Schuldner mehr vorhanden ist. Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Heiko Maas. – Zu diesem Bericht aus dem Kabinett haben sich noch drei Fragestellerinnen und -steller zu Wort gemeldet. Tabea Rößner fängt an. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank. – Herr Maas, Sie haben eben gesagt, dass der Bundesregierung die Förderung von Kultur besonders wichtig ist. Deshalb verstehe ich eines nicht: In der EU-Richtlinie steht, dass es eine Abgabe für kulturelle und soziale Zwecke geben soll. Das ist also eine Sollvorschrift. Im Referentenentwurf war dies nur eine Kannvorschrift. Das heißt, Sie haben das nicht eins zu eins umgesetzt. Meine Frage: Wie ist das jetzt im Gesetzentwurf geregelt, und warum haben Sie keine Sollvorschrift daraus gemacht? Zudem fordern die Verwaltungsgesellschaften einen One-Stop-Shop, weil das hinsichtlich der Lizenzierungen einfacher ist. Sie sind dann schneller europaweit möglich. Auch dies findet sich nicht im Referentenentwurf. Haben Sie das in den Gesetzentwurf aufgenommen und, wenn nicht, warum nicht? Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Weil wir bei all den Veränderungen, die wir in Umsetzung der Richtlinie in dem Gesetzentwurf vorgesehen haben, insbesondere nicht auf das Bekannte, das wir als bewährt empfinden, verzichten wollen. Das ist, glaube ich, ein wesentlicher Teil des Verfahrens. Es geht darum, wie Verwertungsgesellschaften bei uns arbeiten, welche Rechte sie wahrnehmen müssen und welche Abschlüsse sie tätigen müssen. Deshalb wollen wir kein komplett neues System schaffen, sondern uns auf der Basis des Bisherigen bewegen. Uns war es bei den Verhandlungen in der EU wichtig, dass die Förderung kulturell bedeutsamer Leistungen weiterhin möglich ist. Bei den Diskussionen, die es auf europäischer Ebene darüber gegeben hat, hörte sich das ganz anders an. Deshalb haben wir uns für die Formulierung entschieden, die jetzt auch im Gesetzentwurf steht. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Heiko Maas. – Harald Petzold. Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, wenn ich es richtig verstanden habe, bleibt bei Ihnen die Staatsaufsicht auf das Patent- und Markenamt beschränkt, das hier eine passive Rolle spielen soll. Warum folgen Sie in Ihrem Entwurf nicht den Empfehlungen der Enquete-Kommissionen „Kultur in Deutschland“ und „Internet und digitale Gesellschaft“, die ja etwas ganz anderes empfohlen haben, nämlich, die Kontrolltätigkeit nicht auf eine passive Evidenzkontrolle zu beschränken? Zum Zweiten würde ich von Ihnen gerne wissen, warum Sie davon ausgehen, dass es aufgrund der Neuregelung der Geräte- und Speichermedienvergütung zu einem Rückgang der Anzahl der Streitverfahren kommen wird. Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Wir haben uns dafür entschieden, die Aufsicht so zu belassen, wie sie ist, weil wir der Auffassung sind, dass sie funktioniert. (Harald Petzold (Havelland) [DIE LINKE]: Sie ist kritisiert worden!) Eine komplette Umstellung auf andere Aufsichtsmechanismen ist nach unserer Auffassung weder geboten noch notwendig. Die Probleme, die es in der Vergangenheit gegeben hat, hatten in erster Linie damit zu tun, dass man an der aufsichtführenden Stelle, beim Deutschen Patent- und Markenamt in München, mit dem Personal und der Organisation, die dafür zur Verfügung standen, nur sehr bedingt in der Lage gewesen ist, die Verfahren, die es dort gibt, zu bearbeiten und zu entscheiden. Wir wollten das System allerdings nicht grundsätzlich umstellen, weil wir der Auffassung sind, dass die vorhandenen Mechanismen – wie die Verwertungsgesellschaften arbeiten, was sie tun müssen, was sie wahrnehmen, was sie abschließen müssen – durchaus geeignet sind, auch für die Zukunft, wenn es darum geht, die Vergütung für Werke an die Urheber auszuzahlen. Deshalb haben wir uns bei der Form der Aufsicht, die Sie als passive Aufsicht bezeichnen, dafür entschieden, dies grundsätzlich beizubehalten. Ob und in welcher Form es weniger Verfahren gibt, wird sich sicherlich noch zeigen. Uns ist wichtig gewesen, die Verfahren überhaupt einmal zu vereinfachen, zu verkürzen, effizienter zu gestalten und mit der Sicherheitsleistung eine im wahrsten Sinne des Wortes vorhandene Sicherung belastbar zu schaffen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Heiko Maas. – Letzte Fragestellerin zum Bericht ist Renate Künast. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke, Frau Präsidentin. – Ich bin, ehrlich gesagt, ziemlich verwirrt über die Art und Weise dieser Regierungsbefragung und über die Antworten. Ehrlich gesagt, verstehe ich kein Wort, Herr Minister. Sie haben gesagt, die Kultur sei Ihnen außerordentlich wichtig. Auf die Frage von Frau Rößner sagten Sie jedoch, dass dort ein „Kann“ steht. Entschuldigen Sie, wenn es Ihnen doch außerordentlich wichtig ist, dann frage ich Sie, warum aus einem „Soll“ ein „Kann“ wird (Beifall des Abg. Harald Petzold (Havelland) [DIE LINKE]) und das zu einem Fördertatbestand für ausländische Verwertungsgesellschaften wird, die das vielleicht nicht machen, weil sie kein Interesse an Kulturförderung haben. Auf meine Frage, ob Genossenschaften weiterhin zulässig seien, haben Sie gesagt, Sie wollten kein Förderprogramm für Genossenschaften machen. Danach hatte ich nicht gefragt. (Beifall des Abg. Harald Petzold (Havelland) [DIE LINKE]) Ich habe gefragt, ob die Genossenschaften, die in Gründung sind, danach zulässig sind. Vielleicht versuchen wir es mit einer neuen Frage. Bezüglich § 19 des Gesetzentwurfs – Durchführung der Mitgliederhauptversammlung; Vertretung – sagen Sie, dieser müsste am Ende so geregelt sein, dass man ohne Anwesenheit der Mitglieder vor Ort eine Mitgliederhauptversammlung durchführen kann. Ich möchte wissen, ob diese Regeln genau den Regeln im Aktienrecht entsprechen, ob Sie Risiken des Missbrauchs und Ähnliches gesehen haben und wie Sie die ausgeschlossen haben. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Minister, bitte. Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Ob diese Regeln exakt denen im Aktienrecht entsprechen, kann ich Ihnen jetzt nicht abschließend sagen. Ich bin gerne bereit, die Antwort nachzuliefern. Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich frage Sie, ob es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung gibt. – Ich höre, dass sich Herr Beck zur dritten Fragerunde, nämlich zu Fragen von sonstigem Interesse an die Bundesregierung, zu Wort gemeldet hat. – Volker Beck, bitte. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich möchte eine Frage stellen – vielleicht war es auch Gegenstand der Kabinettssitzung; ich weiß es nicht – zum Tohuwabohu in der Flüchtlingspolitik in der letzten Woche, wo der Troublemaker de Maizière nach der Einigung der Parteivorsitzenden für einige Unruhe gesorgt hat. Wir haben dies auch im Innenausschuss gerade kurz erörtert. Der zuständige Staatssekretär, Herr Schröder, sagte uns, dass in der 43. Kalenderwoche, also zwischen 19. Oktober und 25. Oktober, ein Gespräch des zuständigen Abteilungsleiters des Bundesinnenministeriums mit dem Vizepräsidenten des BAMF – das ja keinen Präsidenten mehr hat – stattgefunden hat mit der Zielrichtung, Asylverfahren von syrischen Flüchtlingen in Zukunft anders zu behandeln als bisher. Nun möchte ich wissen: Wann wurden welche Stellen in der Bundesregierung über die Tatsache dieses Gesprächs und das Ziel dieses Gesprächs informiert, namentlich Stellen im Bundesjustizministerium und Stellen im Bundeskanzleramt? Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Beck. – Herr Maas, bitte. Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Diese Frage kann ich nur bedingt beantworten, weil ich nicht für alle Ministerien sprechen kann. Ich kann lediglich darauf hinweisen, dass wir zusammen mit dem Bundesinnenministerium sehr früh der Auffassung gewesen sind, dass die Aussetzung von rechtlichen Grundlagen auf europäischer Ebene stückweise wieder zurückgeführt werden muss, das heißt, dass europäisches Recht wieder angewandt werden muss. Das gilt auch für die Dublin-III-Verordnung. Insofern sind wir immer gleicher Auffassung gewesen, dass der Zeitpunkt kommen wird, zu dem die Verfahren anders behandelt werden müssen. Sie sprechen die Anwendung von Dublin III für die syrischen Flüchtlinge an. (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich spreche den subsidiären Schutz an! Der wurde am Freitag kolportiert!) – Das kann ich nicht beurteilen, weil ich weder in der Sitzung des Innenausschusses gewesen bin noch diese Gespräche geführt habe. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir fragen auch nicht nach dem Innenausschuss, wir fragen nach der Bundesregierung!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Jetzt hat Volker Beck eine Nachfrage. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ging ja darum, dass der Bundesinnenminister erklärt hat, er strebe an, dass für syrische Flüchtlinge in Zukunft nur noch subsidiärer Schutz mit den Folgen beim Familiennachzug, die in dem Papier der Parteivorsitzenden beschrieben sind, erteilt wird und damit die schriftlichen Verfahren für die Zukunft entfallen. Der Bundeskanzleramtschef hat gegenüber der Presse erklärt, ihm sei dieser Vorstoß nicht bekannt. Deshalb frage ich Sie noch einmal: Wann wurde welche Stelle im Bundeskanzleramt von diesem beabsichtigten Vorstoß des Bundesinnenministers in Form des Gespräches zwischen Abteilungsleiter und Vizepräsident des BAMF unterrichtet? Da das letzte Woche öffentlich umfangreich erörtert wurde, erwarte ich, dass ein Mitglied der Bundesregierung, vielleicht auch jemand vom Kanzleramt, sagen kann, wann das Kanzleramt damit befasst war. Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Dann würde ich Herrn Braun bitten, die Frage zu beantworten. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Braun, vielleicht können Sie die Frage beantworten. Dr. Helge Braun, Staatsminister bei der Bundeskanzlerin: Lieber Herr Kollege Beck, wie Sie wissen, sind die Gespräche zwischen den drei Parteivorsitzenden, mit der Bundeskanzlerin und auch mit dem Chef des Bundeskanzleramts, am Donnerstag in dem Geiste geführt worden, dass sehr wohl über die Frage diskutiert wurde, wie man zukünftig verfährt – ganz in dem Sinne, wie es der Justizminister eben gesagt hat –, dass aber natürlich Grundlage dieser Vereinbarung war, dass sich zunächst nichts ändert. Deshalb war es wichtig, dass der Bundesinnenminister am Freitag nach den Irritationen deutlich gemacht hat, dass sich an der Verfahrensweise im Augenblick noch nichts ändert, sondern dass jetzt in einer Diskussion der Innenminister untereinander geklärt wird, wann und in welchem Umfang anders verfahren wird als bisher. (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war eigentlich nicht die Frage!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke schön. – Nächste Fragestellerin: Katja Keul. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank. – Ich habe eine Frage zu einem anderen Bereich. Ich möchte gerne wissen, wie die Bundesregierung damit umzugehen gedenkt, dass nach neuesten Erkenntnissen der Bundesnachrichtendienst deutsche Staatsbürger, namentlich auch deutsche Diplomaten, jenseits dessen, was das Kontrollgremium erlaubt, abgehört hat. Vor allen Dingen auch an Sie als Justizminister: Was wird es für rechtliche oder strafrechtliche Konsequenzen geben? Selbst wenn diese Praxis inzwischen eingestellt sein sollte, bleibt immer noch die Frage: Soll das konsequenzlos bleiben, oder wie ist das einzuordnen? Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Maas, bitte. Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Das kann ich Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen, weil auch ich davon in der Form erst heute Morgen aus der Presse erfahren habe. Es ist auch nicht meine Aufgabe, zu klären, inwieweit das strafrechtlich verfolgt wird. Das werden die zuständigen Behörden zu klären haben. Sie wissen, dass es innerhalb der Bundesregierung und innerhalb der Regierungsfraktionen seit längerem eine Diskussion darüber gibt, die rechtlichen Grundlagen für die Arbeit des BND zu reformieren. Ich gehe davon aus, dass dabei auch solche Vorfälle eine nicht unerhebliche Rolle spielen werden. Vizepräsidentin Claudia Roth: Nächste Fragestellerin: Frau Haßelmann, bitte. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich möchte noch einmal zum Fragekomplex „Schutzstatus für syrische Flüchtlinge“ zurückkommen. Mir ist egal, ob Herr Maas oder das Kanzleramt antwortet; aber da sich meine Frage an das Kanzleramt richtet, wahrscheinlich am besten das Kanzleramt. Ich möchte Bezug auf die Frage von Herrn Beck nehmen. Ich frage Sie, Herr Braun: Wann hat das Kanzleramt von der vorhin genannten Regelung, die in dem Gespräch zwischen Vertretern des Innenministeriums und des BAMF getroffen wurde, erfahren? Diese Frage ist ganz einfach und überschaubar. Ich will nur das Datum wissen. Dr. Helge Braun, Staatsminister bei der Bundeskanzlerin: Das Ergebnis unserer Gespräche am Freitag war, dass es zum jetzigen Zeitpunkt keine Veränderung der Regelung gibt, sondern dass wir den bisherigen Verfahrensstatus beibehalten (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war nicht meine Frage!) und über mögliche zukünftige tatsächliche Änderungen im Kreise der Innenminister gesprochen wird. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war nicht meine Frage!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Die Kollegin, wenn ich das erwähnen darf, hat aber nach einem Datum gefragt, Herr Braun. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann Sie das erfahren haben!) Können Sie das mitteilen? Dr. Helge Braun, Staatsminister bei der Bundeskanzlerin: Ich habe ja gerade deutlich gemacht, dass sozusagen die Grundlage für das Datum nicht gegeben ist, weil wir zum jetzigen Zeitpunkt keine Veränderung des Verfahrens haben. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Moment, wieso das denn? Aber das Innenministerium hat das doch dargestellt! – Harald Petzold (Havelland) [DIE LINKE]: Unglaublich!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Dann hat Herr Beck noch eine Frage. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Geschätzter Herr Kollege Braun, ein Mitglied der Bundesregierung, das auch Mitglied des Hohen Hauses ist, sagt dann die Unwahrheit. Das Innenministerium hat gerade im Innenausschuss erklärt, das Bundeskanzleramt sei über das Gespräch in der 43. Kalenderwoche zwischen dem Abteilungsleiter des Innenministeriums und dem Vizepräsidenten des BAMF informiert gewesen, in dem das Ziel verfolgt wurde, die Regeln für syrische Flüchtlinge wieder auf den Status quo ante und zusätzlich die entsprechenden Beschränkungen beim Familiennachzug zurückzuführen. Dieses Gespräch ging dem 4. November und der Einigung der drei Parteivorsitzenden voraus. Das Innenministerium behauptet, in verschiedenen Gremiensitzungen sei das Bundeskanzleramt über das Gespräch und das Gesprächsziel informiert gewesen. Jetzt sagen Sie mir: Waren Sie als Bundeskanzleramt über das Gespräch und das Gesprächsziel informiert? Dann sagen Sie bitte, wann. Oder sagen Sie, das Innenministerium lügt? Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Braun. Dr. Helge Braun, Staatsminister bei der Bundeskanzlerin: Lieber Herr Beck, ich will es noch einmal sehr deutlich machen: Wir haben am Donnerstag die Gespräche der Parteivorsitzenden auf der klaren Grundlage geführt, dass sich am derzeitigen Verfahren nichts ändert, und am Freitag ist genau das mit dem Innenministerium klargestellt worden. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Waren Sie über dieses Gespräch, das ja eine Realität ist, informiert oder nicht? Unabhängig davon, was Sie später vereinbart haben: Waren Sie als Bundeskanzleramt über das Gespräch in der 43. Kalenderwoche mit diesem Gesprächsziel informiert? (Manfred Grund [CDU/CSU]: Haben wir jetzt hier ein Verhör oder eine Fragestunde? Sind wir jetzt in einem Verhör oder in einer Fragestunde, Frau Präsidentin? Erteilen Sie das Wort, oder erteilen Sie nicht das Wort?) Dr. Helge Braun, Staatsminister bei der Bundeskanzlerin: Wir haben hier auch gerade, im Kontext der Bundesregierung jedenfalls, festgestellt, dass die Darstellung, die Sie hier wie auch im nichtöffentlichen Ausschuss liefern, dass möglicherweise die Bundesregierung sich eingelassen hätte, nicht zutreffend ist. Vizepräsidentin Claudia Roth: Seien Sie sich sicher: Ich kenne die Regeln der Regierungsbefragung. Das ist kein Verhör, sondern eine Regierungsbefragung, und Herr Beck hatte das Wort. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Dann bitte in die Geschäftsordnung hineinschauen, Frau Präsidentin!) – Sie müssen mich nicht dazu auffordern, dass ich in die Geschäftsordnung hineinschaue, Herr Grund. Sie ist mir bekannt. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Sehr schön! Das ist wichtig! – Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Außerdem kritisiert man die amtierende Präsidentin nicht! Das sollten Sie als Konservativer wissen! Das ist voll daneben!) Ich erteile das Wort, und Herr Beck hatte das Wort, sehr verehrter, liebenswerter Herr Grund. – Und jetzt hat Frau Haßelmann das Wort. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir können gerne noch einmal über die Abläufe der Regierungsbefragung reden. Für mich zeigt das nur, dass bei der Union die Nerven blank liegen. Denn es ist doch vollkommen klar, Herr Geschäftsführer: Wenn wir Kritik am Präsidium haben, dann äußern wir das im Ältestenrat. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Die CDU hat kein Benehmen!) Wenn Sie irgendetwas zu beanstanden haben, dann melden Sie sich im Ältestenrat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Aber es ist nicht Aufgabe des Parlamentes, Belehrungen an das Präsidium zu richten. Darüber besteht großes Einvernehmen, egal wer präsidiert. – Punkt eins. Punkt zwei. Meine Frage richtet sich wiederum an Herrn Braun, weil die Frage bisher nicht beantwortet ist. Deshalb geht es hier nicht um ein Verhör, sondern um das Recht von Parlamentarierinnen und Parlamentariern, Fragen zu stellen. Das müssen Sie schon aushalten können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Die Frage war ganz präzise; es wurde nicht nach der Innenministerkonferenz und auch nicht nach dem Koalitionsgipfel gefragt. Das interessiert weder Herrn Beck noch mich. Uns interessiert vielmehr, wann die Verabredungen, die zwischen Innenministerium und BAMF getroffen wurden und im Innenausschuss dargestellt wurden, dem Bundeskanzleramt mitgeteilt worden sind. Ob Sie in diese Gespräche einbezogen waren, wäre noch eine Ergänzungsfrage. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Braun, bitte. Dr. Helge Braun, Staatsminister bei der Bundeskanzlerin: Ich will noch einmal deutlich machen, dass wir als Bundeskanzleramt natürlich zu jedem Zeitpunkt im engen Austausch mit dem Bundesinnenministerium gestanden haben, dass wir in all unseren Gesprächen auch immer darüber gesprochen haben, ob mögliche Veränderungen beim Vorgehen im BAMF sinnvoll sind, dass ich Ihnen aber nichts, auch kein Datum, zu der Frage einer konkret stattgefundenen Veränderung nennen kann, weil der Bundesinnenminister am Freitag auch klargestellt hat, dass sich am Status nichts verändert hat. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank. – Dann beenden wir an dieser Stelle die Regierungsbefragung. Vielen Dank, Herr Minister Maas und auch Herr Braun. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde Drucksache 18/6602 Die Fragestunde soll bis spätestens 15 Uhr dauern, weil die Fraktionen vereinbart haben, dass wir um 15.05 Uhr mit dem nächsten Tagesordnungspunkt beginnen. Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Herr Barthle ist als Vertreter des Ministeriums anwesend. Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Stephan Kühn auf: Welche Mängel sieht die Bundesregierung bei den bisherigen behördlichen Kontrollmechanismen zur Einhaltung der Schadstoffgrenzwerte für Pkw? Herr Barthle, bitte. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Lieber Herr Kollege Kühn, ich möchte Ihre Fragen 1 und 2 wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantworten. Vizepräsidentin Claudia Roth: Dann rufe ich auch die Frage 2 des Abgeordneten Stephan Kühn auf: Wie will die Bundesregierung als Konsequenz aus dem VW-Skandal die behördlichen Kontrollen der Einhaltung von Schadstoffgrenzwerten verbessern? Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Nach Abschluss der Sachverhaltsaufklärung im VW-Fall und nach Vorliegen aller Erkenntnisse wird entschieden, ob und welcher Handlungsbedarf bei der Anpassung der internationalen, der europäischen und der nationalen Vorschriften besteht. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kühn, bitte. Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist interessant, was Sie da sagen, Herr Staatssekretär. Die EU-Kommission scheint hier weiter zu sein; denn sie hat festgestellt, dass das bisherige Kontroll- und Prüfregime offensichtlich mangelhaft war, und will deshalb die nationalen Behörden kontrollieren bzw. überprüfen. Ist das nicht Anlass für die Bundesregierung, nun entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen? Es ist doch für die Frage, ob die Prüfungen wirksam oder unwirksam sind, nicht mehr erheblich, ob weitere Manipulationen an den Abgas- bzw. CO2-Werten festgestellt werden. Das Problem besteht doch darin, dass das bisherige Prüfsystem, also die Arbeit des Kraftfahrt-Bundesamtes, nicht dazu geführt hat, dass diese Manipulationen bekannt wurden. Also waren die bisherigen Überprüfungen und das bestehende Genehmigungsverfahren offensichtlich nicht wirksam. Wie viele manipulierte Fahrzeuge soll es denn noch geben, bevor Sie endlich anfangen, zu hinterfragen, ob das bisherige System auch in Zukunft so bleiben kann? Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Barthle, bitte. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Herr Kollege Kühn, die Europäische Kommission hat bereits 2011, also weit vor dem VW-Skandal, eine Arbeitsgruppe eingerichtet, in der ein zusätzliches Messverfahren mit portabler Messtechnik entwickelt wird, das zukünftig im Rahmen der Typengenehmigung die Wirksamkeit von Euro 6 im Realbetrieb kontrollieren und sicherstellen soll. Mit den zukünftigen RDE-Anforderungen wird zudem eine Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen deutlich erschwert werden. Die Einführung wirksamer Prüfverfahren zur Kontrolle der Realemissionen von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen, also RDE, wird seitens der Bundesregierung mit Nachdruck unterstützt. Wir tun alles, um das RDE-Verfahren weltweit einzuführen und so eine wirksamere Kontrolle der Realemissionen zu bewirken. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kühn. Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin, ich gehe davon aus, dass ich insgesamt vier Nachfragen habe, weil es ja zwei Fragen waren. Vizepräsidentin Claudia Roth: Das ist jetzt Ihre zweite Nachfrage. Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Genau. – Herr Barthle, ich möchte nachfragen. Bisher hatte das Kraftfahrt-Bundesamt noch nicht einmal die technischen Voraussetzungen – es gab keinen Rollenprüfstand –, um zu überprüfen, ob das, was im Rahmen der Typengenehmigung zugelassen wurde, der Realität entspricht. Die Nachprüfung seitens des KBA beruhte bislang auf Vollständigkeit und Plausibilität der Herstellerangaben; das KBA hat diesen vertraut. Dieses System hat offensichtlich nicht funktioniert. Soll das so bleiben, oder wollen Sie das ändern? Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Wir sind auch auf europäischer Ebene bemüht, ein wirksameres Nachprüfverfahren zu installieren. Wir haben hier ein anderes Verfahren als in den Vereinigten Staaten. Das Verfahren in Europa sieht so aus, dass zunächst einmal die Typengenehmigungsvorschriften eingehalten werden müssen. Diese werden dann in Form von Nachprüfungen nochmals überprüft. Es gab schon bisher Nachprüfungen, die die Konformität der Produkte bzw. der Fahrzeuge, die vom Band kommen, zum Gegenstand hatten. Es gibt ein zweites Nachprüfverfahren betreffend die Konformität der Fahrzeuge, die bereits beim Kunden sind. Wir haben ein Interesse daran, dass das, was bisher in nur vier Mitgliedsländern stattfindet, nämlich die sogenannten Feldüberwachungen – Deutschland gehört dazu –, in das regelgerechte Typgenehmigungsverfahren überführt wird. Aber das Ganze muss auf europäischer Ebene geregelt werden; denn Typgenehmigungsverfahren sind europaweit gültig. Jeder Hersteller kann sich selbst aussuchen, wo er seine Fahrzeuge genehmigen lässt. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kühn. Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nun haben Sie deutlich gemacht, dass die Hersteller europaweit zulassen können und es einen Wettbewerb unter den technischen Dienstleistern gibt, wer die Zulassung übernimmt. Sehen Sie nicht, dass es da einen Interessenkonflikt bei den technischen Dienstleistern gibt? Einerseits werden sie vom KBA mit der Typgenehmigung beauftragt, andererseits werden sie von den Herstellern bezahlt, wenn es um die Zulassung im Rahmen des europäischen Wettbewerbs geht, den Sie zutreffend geschildert haben. Müsste man nicht genauer nachfragen angesichts der Tatsache, dass VW selber eingestanden hat, bei circa 800 000 Fahrzeugen die CO2-Werte manipuliert zu haben, wobei aber vorher diese Manipulationen bei dem technischen Dienstleister – in dem Fall war das der TÜV – überhaupt nicht aufgefallen sind? Wie kann das sein? Wollen Sie etwas unternehmen, damit dieser wirtschaftliche Interessenkonflikt, der offenkundig ist, künftig ausgeschlossen ist? Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Barthle. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Zunächst zu der Zahl, die Sie genannt haben, Kollege Kühn: Nach unserer aktuellen Information von VW handelt es sich nicht mehr um 800 000 Fahrzeuge, sondern es handelt sich um 662 000 Fahrzeuge des Konzerns in Europa, davon knapp 189 000 Fahrzeuge in Deutschland, die von diesen CO2-Manipulationen betroffen sind. Zu den Interessenkonflikten: Die Typenzulassung ist, wie gesagt, europäisch geregelt. Es gibt einen europäischen Markt. Das Kraftfahrt-Bundesamt bedient sich der dafür bestehenden unabhängigen Einrichtungen. Einen Interessenkonflikt kann ich da nicht erkennen. Auch die Automobilkonzerne sind weltweit oder europaweit aufgestellt. Deshalb ist es nachvollziehbar, dass die Typenzulassung eines Konzerns nicht nur in Deutschland stattfinden kann, sondern in ganz Europa. Deshalb ist es schwierig, da einen Interessenkonflikt zwischen dem KBA, das unabhängig agiert, und irgendwelchen Automobilkonzernen herzustellen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kühn, Sie haben jetzt die vierte Nachfrage. Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Barthle, es ist doch schon auffällig, wenn die Institutionen, die prüfen sollen, die Manipulationen selber nicht feststellen, obwohl sie angeblich unabhängig sind und intensiv geprüft haben, sondern am Ende der VW-Konzern die konkreten Zahlen der Manipulationen feststellt. Mich würde in der Konsequenz Folgendes interessieren: Das Kraftfahrt-Bundesamt – das hat uns der Präsident in der Anhörung gesagt – hat derzeit gar nicht das Mandat für Feldüberwachungen. Sie haben RDE angesprochen. Welche Rolle sollen welche Behörden künftig im Kontrollregime spielen? Wer ist künftig für die Feldüberwachungen zuständig? Bleibt das bei der Bundesanstalt für Straßenwesen? Und wer macht künftig das RDE-Verfahren, wenn es denn jetzt zügig eingeführt wird? Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Die Feldbeobachtungen, die bei uns durchgeführt wurden, wurden unter Federführung des KBA in Zusammenarbeit mit dem Umweltbundesamt durchgeführt. Ausgeführt wurden sie von der BASt, Bundesanstalt für Straßenwesen. Das war bisher ein Verfahren, das ganz gut funktioniert hat. Aber es gibt kein verpflichtendes Felduntersuchungsverfahren. Das ist das, was wir auf europäischer Ebene erreichen wollen. Deshalb erfüllt bisher das Kraftfahrt-Bundesamt alle Auflagen, alle Faktoren und alle Notwendigkeiten, die für Typgenehmigungen erforderlich sind. Wenn Sie nun wiederholt vortragen, dass die Manipulationen nicht bemerkt worden sind, dann wiederhole ich: Wenn es dem VW-Konzern im Rahmen der Typgenehmigungsverfahren und der dabei anstehenden Prüfungen gelungen ist, Manipulationen zu verbergen, dann ist es kein Wunder, wenn diese Manipulationen auch bei den Nachprüfungen nicht entdeckt werden. Vizepräsidentin Claudia Roth: Der nächste Fragesteller: Herr Gastel, bitte. Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin, vielen Dank. – Herr Staatssekretär, besonders verwundert war ich über Ihren ersten Versuch, eine Antwort zu geben, als Sie nämlich auf die Frage von Kollege Kühn gesagt haben, es werde noch entschieden, ob und, wenn ja, welcher Handlungsbedarf überhaupt bestehe. Vor allem dieses „ob“ irritiert mich doch gewaltig. Irritiert es Sie nicht, dass ausgerechnet der ADAC sehr klare Konsequenzen aus dem Abgasskandal ziehen möchte und auch konkret formuliert, welche Konsequenzen gezogen werden sollen? Er sagt: strenge Grenzwerte, strenge Kontrollen, auf der Straße müsse geprüft werden, niedriger Korrekturfaktor. Der ADAC macht das natürlich nicht selbstlos, sondern er macht es aus der Angst heraus, dass dann, wenn Sie nicht handeln, Fahrverbote in den Städten drohen, in denen die Grenzwerte seit langer Zeit deutlich und gesundheitsgefährdend überschritten werden. Sehen Sie nicht ebenfalls wie der ADAC die Gefahr, dass Fahrverbote kommen werden, wenn Sie mit dem Handeln zu lange warten? Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Barthle. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Herr Kollege Gastel, ich kommentiere nicht die Dinge, die der ADAC betreibt. Ich spreche für die Bundesregierung. Die Bundesregierung muss, bevor sie Entscheidungen trifft, ob und, wenn ja, welche rechtlichen Maßnahmen notwendig sind, zunächst einmal den Sachverhalt aufgeklärt haben. Wir sind immer noch inmitten der Sachverhaltsaufklärung. Wir haben noch keine abschließenden Erkenntnisse, wie viele Fahrzeuge betroffen sind, welche betroffen sind, wie groß die Abweichungen sind etc. pp. Man braucht genaues Faktenwissen, Datenwissen, valide, verwertbare Erkenntnisse, um dann sagen zu können, welche Handlungen daraus erfolgen können oder müssen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Oliver Krischer. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär, ich habe in der vergangenen Woche mit Mitgliedern des Wirtschaftsausschusses an einem Gespräch mit der EU-Industriekommissarin teilgenommen. Die Industriekommissarin hat dort formuliert – ich gebe das mit meinen Worten wieder; es hat aber so ähnlich in der Presse gestanden –, dass offensichtlich die nationalen Prüfbehörden, insbesondere die in Deutschland, versagt hätten, sonst hätte dieser VW-Skandal nicht entstehen können. Bei ihren Ausführungen ging es nicht um das Testverfahren, sondern um die Art und Weise, um die Intensität, wie die Behörden kontrollieren. Wenn ich Ihre Äußerungen richtig verstehe, gibt es überhaupt kein Problem, sondern es geht nur um die Frage, dass man irgendwann einmal das RDE einführt. Sie haben es lange Zeit ausgebremst. 2017 wird es eingeführt. Meine Frage an Sie: Ist das, was die Industriekommissarin gesagt hat, was sie auch der Presse gesagt hat, falsch? Weisen Sie es zurück, weil Ihrer Meinung nach in Deutschland bisher alles super funktioniert hat? Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Herr Kollege Krischer, es ist unbestritten, dass die bestehenden Verfahren zur Überprüfung bei der Typenzulassung Lücken aufweisen. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) Anderenfalls wäre es nicht möglich gewesen, dass dieser Betrug über Jahre hinweg bei verschiedenen Modellen unentdeckt bleibt. Insofern ist es sicherlich richtig, dass wir überprüfen müssen, an welchen Stellen Korrekturen notwendig sind. Das können wir aber erst dann, wenn wir genau wissen, wie was wo manipuliert und wie wo was verdeckt wurde. Erst dann kann man genau sagen, welche Schlüsse daraus zu ziehen sind. Pauschal irgendwelche Dinge zu beschließen, ohne die Fakten genau zu kennen, würde sich sicherlich als sträflich falsch erweisen. Deshalb ist es gut und richtig, zunächst genau zu erheben, worum es überhaupt geht. Wir haben den Eindruck, dass auch der betroffene VW-Konzern selbst noch gar nicht in der Lage ist, dies genau zu sagen. Die Kommissarin hat VW um einen Bericht gebeten und dafür eine Frist gesetzt; das entnehme ich zumindest der Presse. Wir sind sehr gespannt, ob der VW-Konzern in der Lage sein wird, diese Frist einzuhalten. Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Barthle. – Da wir zwei Fragen aufgerufen haben, darf Oliver Krischer seine zweite Frage stellen. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke, Frau Präsidentin. – Ich habe noch eine weitere Frage an Sie, Herr Barthle. In der Anhörung des Verkehrsausschusses hat der Präsident des KBA ausgeführt, dass das KBA diese Manipulationen niemals hätte entdecken können. Ich bin froh, dass Sie selber eingestehen – ich höre das jetzt nach sieben Wochen zum ersten Mal –, dass es hier offensichtlich Defizite gibt. Teilen Sie die Einschätzung des Präsidenten des KBA, dass die Manipulationen von VW im Rahmen der Verfahren, wie sie in Deutschland gelaufen sind, nie hätten entdeckt werden können? Was müssen wir Ihrer Einschätzung nach beispielsweise von der US-Umweltbehörde EPA lernen, die bisher als Einzige Manipulationen nachgewiesen hat? Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Herr Kollege Krischer, da täuschen Sie sich. Es ist nicht so, dass die EPA diese Manipulationen entdeckt hat, sondern die EPA hat Abweichungen von bestimmten Werten entdeckt. Erst dann hat VW selbst eingestanden, worauf dies zurückzuführen ist. Also nicht die EPA hat die Manipulationssoftware entdeckt, sondern VW hat es selbst offengelegt. Das amerikanische Nachprüfungsverfahren funktioniert anders. In Amerika müssen die Fahrzeughersteller selbst zertifizieren und diese Zertifizierung dokumentieren. Das wird dann nachgeprüft. Wir haben ein Typengenehmigungsverfahren, bei dem sofort geprüft wird, und erst dann finden irgendwann stichprobenartige Nachprüfungen statt. Bei uns wird also zuerst geprüft und dann zugelassen, und zwar nicht von den Herstellern selbst, sondern von unabhängigen Einrichtungen wie dem Kraftfahrt-Bundesamt. Deshalb nochmals: Auch in Amerika sind die Mängel nicht von der EPA entdeckt worden, sondern sie sind von VW selbst offengelegt worden. Insofern müsste sich die Kritik, die Sie äußern, nicht nur auf europäische oder gar deutsche Einrichtungen ausdehnen, sondern eben auch auf die EPA. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unglaublich, Herr Barthle! – Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt auch nicht!) – Bitte? (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen wir gleich weiter!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Staatssekretär. – Bärbel Höhn hat das Wort zu einer Nachfrage. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, Sie haben eben gesagt, dieser ganze Skandal sei von VW selbst in den USA offengelegt worden – so habe ich Sie jetzt verstanden –; VW in den USA habe der EPA gesagt: Da sind Abweichungen, und wir legen diesen Skandal offen. – Alles, was wir wissen, entspricht dieser Tatsache nicht. Vielmehr hat VW in den USA erst auf diverse Nachfragen und als es nicht mehr anders ging – VW hatte immer wieder versucht, das Ganze zu verschleiern –, diesen Betrug zugegeben. Können Sie das bestätigen, ja oder nein? Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Genauso habe ich es gerade eben dargestellt, Frau Kollegin. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben eben gesagt, VW hat das offengelegt!) Frau Kollegin, Sie haben doch gerade meine Aussagen bestätigt. Sie haben mir bestätigt, dass auf intensive Nachfrage der amerikanischen Behörde EPA VW diese Verstöße zugegeben hat. Nichts anderes habe ich behauptet. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zugeben ist etwas anderes!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Gut. – Frau Höhn, zweite Nachfrage. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die EPA hat ja deshalb recherchiert, weil ihr zugetragen worden ist, dass bei den Werten Realität und Theorie auseinanderliegen. Nun wissen aber Sie und wir und alle in Deutschland, dass zum Beispiel theoretischer und tatsächlicher CO2-Ausstoß der Autos in Deutschland sowie der Kraftstoffverbrauch immer weiter auseinandergehen. Die Differenz zwischen Theorie und Praxis, was den Kraftstoffverbrauch angeht, liegt mittlerweile bei 40 Prozent; 2001 waren es nur 8 Prozent. Diese Werte sind seit langem bekannt. Warum haben nicht genau wie in den USA hier die entsprechenden Behörden auf dieses immer größere Auseinanderklaffen reagiert und selber nachgeprüft? Vizepräsidentin Claudia Roth: Bitte, Herr Barthle. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Frau Kollegin Höhn, Sie betreiben dasselbe Spiel, das die Grünen-Bundestagsfraktion betreibt, indem verschiedene Dinge miteinander vermengt werden, die man voneinander trennen muss. Dass die Verbrauchsangaben der Fahrzeughersteller mit denen im realen Betrieb nur wenig übereinstimmen, das wissen alle schon lange. Aber das hat damit zu tun, dass die Verbrauchsangaben der Hersteller in Laboren ermittelt werden, die mit legalen Möglichkeiten so ausgestattet sind, dass relativ niedrige Verbrauchswerte entstehen. Dass im realen Betrieb weitere Verbrauchserzeuger hinzukommen, die in der Laborsituation nicht berücksichtigt werden, das wissen auch wir. Ich denke zum Beispiel an Klimaanlagen und sonstige elektrische Einrichtungen am Auto, also an alles Mögliche, was unabhängig vom Fahrbetrieb ist. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die kann man doch anmachen!) Deshalb sind wir dabei, auf europäischer Ebene Verfahren voranzubringen, die eine realitätsnähere Verbrauchsangabepraxis ermöglichen und bei der man gesondert ausweisen kann, wie sich der Verbrauch darstellt, wenn man zum Beispiel zusätzlich eine Klimaanlage oder Ähnliches betreibt. Das alles gibt es bisher noch nicht. Wir sind auf europäischer Ebene diejenigen, die Druck machen, damit dies möglichst schnell vorankommt. Das aber nun mit den NOX-Werten, um die es in Amerika zunächst einmal ging, in Verbindung zu bringen, das ist nicht richtig, Frau Kollegin Höhn. Das muss ich mit aller Deutlichkeit so sagen; denn um einen solchen Zusammenhang ging es zunächst einmal bei den betroffenen Dieselmotoren von VW. Doch das war etwas ganz anderes. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege Meiwald. Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Barthle, obwohl Sie gerade gesagt haben, es gehe nur um die NOX-Werte in Amerika, habe ich eine Nachfrage. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: „Es ging“, habe ich gesagt. Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In der Antwort auf unsere Kleine Anfrage auf Drucksache 18/6398 haben Sie uns mitgeteilt, dass in Deutschland mindestens 382 213 Menschen von erhöhten Stickoxidbelastungen in unseren Städten betroffen sind. Wir wissen gleichzeitig, dass Stickoxidüberhöhungen deutlich gesundheitsgefährdend sind. Insofern stellt sich jetzt – so wie Sie es darstellen – die Frage, wen die Staatsanwaltschaft wegen Körperverletzung anklagen könnte, wer verantwortlich ist. Das KBA, weil es einen gefährlichen Typ zugelassen hat? Oder ist der VW-Konzern verantwortlich? Also, die Frage ist ja: Wer kann denn jetzt für diese Körperverletzung, die nicht nur fahrlässig begangen wurde, zur Verantwortung gezogen werden? Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Barthle, bitte. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Herr Kollege, damit müssen Sie das Bundesumweltministerium oder das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz konfrontieren. Wir sehen uns da nicht als zuständige Einrichtung. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die vertagen das im Rechtsausschuss immer!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Dann hat das Wort der Kollege Gastel. Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Können wir etwas Neues und Konkretes von Ihnen erfahren, Herr Staatssekretär? Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Habe ich doch schon. Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn Sie gefragt werden, wie denn die Bundesregierung diese Vorgänge um die Manipulationen aufklären möchte, dann verweisen Sie immer wieder auf eine Kommission, die vom BMVI eingerichtet worden ist. Jetzt verraten Sie uns doch bitte einmal, wie sich diese Kommission zusammensetzt, welchen Auftrag und welche Kompetenzen sie hat und wie oft sie bisher schon getagt hat. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Barthle. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Diese Kommission wurde sofort nach Bekanntwerden des Skandals von Bundesminister Alexander Dobrindt eingesetzt. Sie wird von Staatssekretär Odenwald geleitet. Die Kommission besteht aus Experten des Bundesverkehrsministeriums und des Kraftfahrt-Bundesamts sowie aus Wissenschaftlern, die über entsprechende Expertise verfügen. Sie tagt sehr häufig. Wenn ich es richtig weiß, hat sie diese Woche auch schon wieder getagt. Oder sie tagt noch. Diese Kommission steht in engem Kontakt auch mit VW, um die Vorgänge aufzuklären und den Aufklärungsprozess zu begleiten. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer gehört ihr konkret an?) Vizepräsidentin Claudia Roth: Sie haben jetzt keine Frage mehr, Herr Gastel. Sie haben Ihre zwei Fragen gestellt. – Jetzt ist Frau Kollegin Paus an der Reihe. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, ich möchte an die Frage von Frau Höhn anknüpfen. Sie hatten ja bestätigt, dass VW auf intensives Nachfragen und Insistieren der EPA den Missbrauch in den USA zugegeben hat. Können Sie mir auch bestätigen, dass Ausgangspunkt für die intensiven Nachfragen der EPA überhaupt die Differenz zwischen den Testwerten auf der einen Seite und den Realwerten bzw. den auf der Straße gemessenen Werten auf der anderen Seite war? Und war genau das, was Frau Höhn angesprochen hat, dass nämlich die Differenz zwischen diesen Werten drastisch – auf inzwischen 40 Prozent – gestiegen ist, der Grund, dann vertieft in die Untersuchung einzusteigen? Und können Sie begründen, warum das in Deutschland nicht auch ein Grund für das Kraftfahrt-Bundesamt hätte sein können und müssen, genauer zu untersuchen und eigene Untersuchungen anzustellen? Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege Barthle. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Frau Kollegin Paus, ich habe schon mehrmals auf ähnliche Fragen geantwortet. Sinngemäß wiederhole ich es noch einmal. Die genauen Prüfverfahren der amerikanischen Behörde kommentiere ich jetzt nicht. Bei uns war es so, dass stichprobenartige Nachmessungen immer unter denselben Bedingungen wie die Typengenehmigungsverfahren stattgefunden haben. Und das waren genau die Bedingungen, unter denen dieser Abschaltmechanismus funktioniert hat. Dass in Amerika andere Verfahren der Typzulassung benutzt werden, habe ich eben auch schon erläutert. Durch die intensiven Nachprüfungen, die in Amerika Bestandteil der Typengenehmigungen sind, wurden offensichtlich große Differenzen festgestellt, die dann einer Erklärung bedurften. Damit hängt das zusammen. So ist unser Kenntnisstand. Daraufhin wurde dieser Skandal offengelegt. Er entwickelte sich entsprechend und wurde eingestanden. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Barthle. Dann kommen wir jetzt – das knüpft ein wenig an das an, was schon angesprochen worden ist – zur Frage 3 der Kollegin Dr. Verlinden: Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem Bekanntwerden falscher Energieverbrauchsangaben beim Verkauf von Neuwagen, und mit welchen Maßnahmen will die Bundesregierung die notwendige Energieeinsparung im Verkehrssektor angesichts dieser Fälle sicherstellen (vergleiche Energiekonzept von 2010 und Ziel der Bundesregierung, bis zum Jahr 2020 10 Prozent Endenergieverbrauch im Verkehr im Vergleich zum Jahr 2005 einzusparen)? Herr Barthle, bitte. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Frau Präsidentin, ich würde dann gern auch gleich die Frage 4 beantworten; denn beides steht in einem Sachzusammenhang. Vizepräsidentin Claudia Roth: Dann rufe ich auch die Frage 4 der Kollegin Dr. Verlinden auf: Mit welchen konkreten Maßnahmen wird die Bundesregierung dafür sorgen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher beim Autokauf künftig verlässliche Angaben über den Treibstoffverbrauch des jeweiligen Fahrzeugs und damit auch über den tatsächlichen CO2-Ausstoß erhalten? Herr Barthle, bitte. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Frau Kollegin Verlinden, gesetzliche Grundlage für die Verbrauchskennzeichnung beim Verkauf von Neuwagen ist die Pkw-Energieverbrauchskennzeichnungsverordnung, Pkw-EnVKV, die Angaben zum Kraftstoffverbrauch, zu CO2-Emissionen und zum Stromverbrauch macht. Die Informationen entstammen der Dokumentation zur Typgenehmigung der Fahrzeuge. Staatliche Reaktionen auf festgestellte Verstöße gegen die Typgenehmigungsvorschriften ergeben sich aus der EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung, EG-FGV. Des Weiteren wird auf die Antwort der Bundesregierung zu den Fragen 19 und 23 der Kleinen Anfrage in Drucksache 18/5656 verwiesen. Die Zielerreichung im Hinblick auf die Energiewendeziele wird durch den Monitoring-Prozess „Energie der Zukunft“ überprüft. In dem Monitoring-Bericht werden auch die wesentlichen Maßnahmen aufgeführt, die zu einer Reduzierung des Energieverbrauchs im Verkehr führen sollen, um das Einsparziel zu erreichen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Verlinden. Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Barthle, Ihre Antwort finde ich jetzt nicht sehr zufriedenstellend, zumal die Fragen 3 und 4 wirklich in ganz unterschiedliche Richtungen gehen. Aber gut, ich habe ja vier Fragen, um das zu klären. Ist Ihnen bewusst, dass Sie sich von Ihrem Ziel, nämlich bis zum Jahr 2020 im Verkehrssektor 10 Prozent Energie einzusparen, gerade komplett entfernen, weil der Energieverbrauch im Verkehrsbereich zunimmt? Das heißt, die Entwicklung läuft Ihrem eigenen Ziel diametral entgegen, vielleicht auch mit verursacht durch die falschen Angaben und durch die falschen Messergebnisse. Es wird ja mehr verbraucht als ursprünglich gedacht. Vielleicht können Sie schon ein bisschen darüber erzählen, was in dem Monitoring-Bericht stehen wird, den Sie in der nächsten Woche im Kabinett verabschieden werden, was Sie jetzt konkret an Maßnahmen ergreifen wollen, um Ihr Ziel, nämlich 10 Prozent Energieeinsparung im Verkehrssektor, doch noch zu erreichen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Norbert Barthle, bitte. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Danke. – Frau Kollegin, zu dem MonitoringBericht kann ich im Voraus nichts sagen. Ich will zunächst einmal feststellen, dass die Situation, wie Sie sie beschreiben, nicht ganz mit der Realität übereinstimmt. Wenn wir uns die Situation bei den Stickoxiden angucken – - (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war nicht meine Frage! Es geht hier um Energieverbrauch! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Moment! Jetzt hat der Herr Staatssekretär das Wort. Sie haben die Möglichkeit, noch dreimal nachzufragen. Er beantwortet, wie er will. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Es geht um die Energieverbrauchswerte unserer Fahrzeuge. Sie werden mir sicherlich darin zustimmen, dass die Energieverbrauchswerte unserer Fahrzeuge kontinuierlich zurückgegangen sind. Die Autoindustrie hat über die vergangenen Jahre hinweg erreicht, dass die Verbrauchswerte deutlich niedriger wurden. Damit hängt auch zusammen, dass der Ausstoß von Schadstoffen deutlich zurückging, obwohl die Anzahl der Fahrzeuge sich erheblich erhöht hat. Wir hatten 1990 noch etwa 35 Millionen Fahrzeuge in Deutschland. Wir haben heute über 51 Millionen Fahrzeuge. Trotz dieser höheren Anzahl von Fahrzeugen ist die Schadstoffemission deutlich zurückgegangen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Verlinden. Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das finde ich jetzt wirklich ein starkes Stück. Sie sagen uns: „Die Energieverbrauchswerte gehen seit Jahren zurück“, und meinen damit das, was die Verbraucher, die Kunden im Autohaus an Informationen bekommen, das, was auf den Plaketten steht. Wir wissen aber seit mehreren Tagen, seit der Debatte in den letzten Wochen, dass das nicht stimmt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Insofern verstehe ich überhaupt nicht, wieso Sie sagen: Wieso? Es ist doch alles super. Der Energieverbrauch geht zurück. – Das Gegenteil ist der Fall. Die Verbraucher werden hier veralbert, und Sie sagen noch: Es ist doch alles in Ordnung. – Das müssen Sie mir wirklich erklären. Sie sagen, dass der Energieverbrauch pro Fahrzeug kontinuierlich zurückgeht. Ich habe gerade gesagt, dass das de facto nicht stimmt, wenn die Verbrauchsangaben nicht korrekt sind. Angesichts dessen erklären Sie mir doch bitte zusätzlich, was das für Ihr eigenes Ziel bedeutet. Sie wollen im Verkehrssektor absolut – nicht pro Pkw – 10 Prozent Energie einsparen. Das ist Ihr Ziel. Wie wollen Sie das erreichen? Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Barthle. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Frau Kollegin, mit einem Bündel von Maßnahmen, indem wir es schaffen, die Dekarbonisierung des Autoverkehrs sukzessive weiter voranzutreiben, indem wir alternative Antriebstechniken voranbringen. Das reicht vom Einsatz von Gas oder Biogas über die Elektrifizierung des Verkehrs bis dahin, dass wir versuchen, den Anteil an Dieselfahrzeugen auf dem Markt noch weiter zu erhöhen, weil Diesel verbrauchsgünstiger ist, usw. usf. Es sind also eine Vielzahl von Maßnahmen, die begleitet werden von den Anstrengungen der Automobilindustrie, der es gelungen ist, die gesetzten Grenzwerte für ihren Flottenverbrauch einzuhalten, also deutlich abzusenken, was die Verbrauchswerte und die Schadstoffemissionswerte anbelangt. Das alles zusammen – da sind wir zuversichtlich – wird dazu beitragen, dass wir dieses Einsparziel erreichen können. Der Verkehr hat einen Anteil am Energieverbrauch von etwa 20 Prozent. Wir sehen erhebliche Einsparpotenziale im Verkehrsbereich, die es ermöglichen, die Energieeinsparziele, die sich die Bundesregierung gesetzt hat, auch erreichen zu können. Aber dazu gehört, wie gesagt, ein ganzes Bündel an Maßnahmen, das wir mit unserer nationalen Strategie auf den Weg gebracht haben. Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Verlinden. Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Instrumentenmix, also dass man verschiedene Maßnahmen plant, ist ja immer super. Es ist auch unbestritten, dass wir darüber seit Jahren diskutieren, auch als Grüne. Ich verstehe aber nicht, wieso Sie sich hierhinstellen und sagen: Wir haben ein breites Bündel beschlossen. Wir machen doch ganz viel. – Die Zahlen und harten Fakten beweisen nämlich das Gegenteil. Ihre Maßnahmen scheinen also nicht zu wirken. Dann müsste man sich doch einmal im Kabinett oder im Ministerium hinsetzen und sagen: Okay, wir sind nicht auf dem richtigen Pfad. Der Trend geht in die falsche Richtung. Die Maßnahmen, die Instrumente, die wir auf den Weg gebracht haben, scheinen nicht auszureichen und nicht zu funktionieren. Wir müssen umsteuern. – Da sehe ich bei Ihnen überhaupt nichts, was Sie uns als Antwort auf die Frage, wie Sie Ihr eigenes Ziel bis 2020 doch noch erreichen wollen, anbieten können. Es sind schließlich nur noch fünf Jahre. Insofern müssen Sie da jetzt einmal in die Puschen kommen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Barthle, in die Puschen kommen. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Wir haben bisher bewiesen, dass wir auf einem guten Weg sind. (Lachen des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir haben die Einsparziele schon gut zur Hälfte erreicht. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Verkehrsbereich?) – Das ist so. Das können Sie anders sehen, aber es ist so. Wir werden die gesteckten Ziele mit den weiteren noch anstehenden Maßnahmen auch erreichen. (Lachen der Abg. Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wenn Sie andere Zahlen haben, können Sie mir diese gern zur Verfügung stellen, und dann werden wir sehen, welche Zahlen stimmen. – Danke. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Frau Verlinden, jetzt kommt aber die letzte Frage, weil in der vorherigen Frage zwei zusammengefasst waren. – Bitte schön. Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Barthle, es ist sehr überraschend, dass Sie eben auf den Monitoring-Bericht der Bundesregierung hingewiesen haben, in dem Sie Maßnahmen nennen und die Ziele evaluieren. Sie sagen uns, Sie sind auf dem richtigen Weg. Ich vermute, Sie haben den Monitoring-Bericht aus dem Jahr 2014 nicht gelesen. Dieser liegt mir hier gerade vor. Im Monitoring-Bericht von 2014 steht wortwörtlich, dass Sie beim Endenergieverbrauch im Bereich Verkehr im Vergleich zu 2005 bisher 1 Prozent mehr Energie verbraucht haben und nicht weniger. Das heißt, Sie sind nicht auf dem richtigen Weg. Sie sind nicht auf dem Weg in Richtung Energieverbrauchssenkung, wie Sie das gerade behauptet haben. Sie sind weit entfernt von Ihrem Ziel, 10 Prozent einzusparen. Im Gegenteil: Der Verbrauch hat sich seit 2005 noch erhöht. Insofern finde ich es sehr interessant, was Sie hier formulieren. Welche Zahlen Sie verwenden, weiß ich nicht, aber Sie selbst haben gesagt, dass das Nachweisdokument der Monitoring-Bericht der Bundesregierung zur Energiewende ist, und genau den haben Sie gerade falsch zitiert. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Barthle, bitte. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Ich bitte Sie, Frau Kollegin Verlinden, einfach den nächsten Monitoring-Bericht abzuwarten. (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Was die Erreichung der Ziele anbelangt, sprechen wir uns dann 2020 wieder. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Barthle. – Dann hatte sich der Kollege Kühn gemeldet. Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ist es die richtige Strategie, in Sachen Klimaschutz immer weiter zu warten? Was ich aber eigentlich fragen wollte: Herr Barthle, Sie haben angesprochen, dass der Verbrauch bei den Fahrzeugen kontinuierlich zurückgeht. Bevor es die CO2-Grenzwerte gab, betrug die jährliche Reduktion 1 Prozent, und seitdem es die CO2-Grenzwerte für Pkw gibt, waren es 4 Prozent. Nun müssen wir aber leider feststellen, dass diese Reduktion offensichtlich in Teilen nur auf dem Papier stattgefunden hat. Sie sagten ja selber, dass mindestens 662 000 Fahrzeuge hinsichtlich ihrer CO2-Emission manipuliert worden sind. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Europaweit. Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Europaweit. – Das heißt, der Ausstoß ist definitiv höher gewesen. Genaueres wissen wir aber noch nicht. Sie haben selber gesagt, die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen. Bisher sprechen wir nur vom Hersteller VW. Es kann aber noch weitere Enthüllungen geben. Müsste man jetzt aus Ihrer Sicht nicht einmal überprüfen und evaluieren, ob das, was die Hersteller angegeben haben, also was sie an CO2-Reduktion erreicht haben und was wir mit Grenzwerten untersetzt haben, auch tatsächlich stimmt? Müsste man diesen Skandal nicht zum Anlass nehmen, die reale CO2-Reduktion neu zu ermitteln? Denn das hat natürlich Auswirkungen auf die Frage, ob wir unsere Klimaschutzziele erreichen oder nicht. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Barthle, bitte. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Herr Kollege Kühn, heute früh im Ausschuss habe ich Ihnen bereits dargelegt, dass es sich in Deutschland nach aktuellen Mitteilungen des VW-Konzerns um 189 000 Fahrzeuge handelt. Wir von der Bundesregierung haben allerdings den Eindruck, dass der VW-Konzern selbst nicht genau sagen kann, um wie viele Fahrzeuge es sich handelt und wie groß die Abweichungen sind. Das alles muss man zunächst einmal eruieren. Wenn wir die Faktenlage kennen, dann können wir über Weiteres nachdenken; aber wir kennen sie noch nicht. Sie stellen Abweichungen in den Raum, Sie unterstellen Abweichungen, die Sie nicht kennen und die wir nicht kennen. Ich weiß nicht, wie groß die Abweichungen sind. Vizepräsidentin Claudia Roth: Kollege Krischer. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke, Frau Präsidentin. – Ich möchte noch mal zum Thema Stickoxide, NOX, zurückkommen. Sie haben eben die Kollegin Höhn belehrt. Ich hatte aber bei den Antworten zeitweise den Eindruck, dass Sie es selber nicht auseinanderhalten können. Deshalb sage ich, dass wir jetzt über Stickoxide reden. Sie haben uns eben erläutert, VW habe von sich aus die Manipulationen öffentlich gemacht. In der Antwort auf die nächste Frage haben Sie dann gesagt, auf Druck der EPA, die Nachprüfungen durchgeführt und Fragen gestellt habe, sei dann VW irgendwann damit rausgekommen. Sie haben sich also komplett widersprochen. Das ist ganz anders gelaufen. Wir alle haben von der EPA selbst gehört, dass ein Bericht des ICCT, der erhebliche Diskrepanzen im Bereich der Stickoxide nachweist, Anlass für die Ermittlungen, Nachfragen und Nachprüfungen der EPA war. Dieser Bericht ist seit 2014 öffentlich. Er ist auch Ihrem Haus bekannt, er ist dem Kraftfahrt-Bundesamt bekannt, er ist jedem bekannt, der sich dafür interessiert. Insofern frage ich Sie: Warum hat die EPA in den USA nachgefragt, nicht aber das Bundesministerium für Verkehr oder das Kraftfahrt-Bundesamt? Warum wurden nicht entsprechende Nachprüfungen veranlasst? Hier bitte ich Sie um eine klare Erläuterung. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Barthle. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Herr Kollege Krischer, ich kann Ihnen nochmals versichern: Informationen über Manipulationen der NOX-Werte haben wir erst an diesem ominösen Datum im September – ich müsste nachgucken, wann das war – erhalten. Davor haben all unsere Erkenntnisse keine Hinweise ergeben, dass irgendwelche Werte manipuliert worden wären. Deshalb bestand keine Veranlassung, zu handeln. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Bericht des ICCT war Ihnen aber bekannt?) – Ich gehe davon aus, dass dieser Bericht dem Ministerium bekannt war. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, dann wussten Sie es ja!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Jetzt ist Herr Barthle dran. – Herr Barthle, bitte. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Das war es schon. Vizepräsidentin Claudia Roth: Gut. – Dann die Kollegin Höhn. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Barthle, es gibt ja nicht nur die Berichte aus den USA, wegen derer die EPA tätig geworden ist. Die DUH hat hier in Deutschland schon in den vergangenen Jahren immer wieder veröffentlicht, dass zum Beispiel die Werte, die in der Realität auftreten, erheblich höher sind als die in der Theorie. Ich betrachte jetzt die CO2-Emissionen – nicht dass Sie wieder sagen, ich redete über Stickstoffemissionen. Bei der Höhe der CO2-Emissionen tritt eine Spreizung, ein Unterschied zwischen Theorie und Praxis, von 40 Prozent auf. Da ist VW noch nicht mal der schlimmste Konzern; die Spreizung bei VW liegt unter dem Durchschnitt. Was wollen Sie eigentlich hinsichtlich der Autos der anderen Automobilkonzerne tun, bei denen der Unterschied zwischen den Werten aus Theorie und Praxis weit über 40 Prozent liegt? Wollen Sie da jetzt auch entsprechende Überprüfungen durchführen? Wir müssen ja davon ausgehen, dass da vielleicht auch nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Frau Kollegin Höhn, ich wiederhole nochmals, dass wir auf europäischer Ebene mit Nachdruck daran arbeiten, dass wir bei Überprüfungen und in den Genehmigungsverfahren Verbrauchswerte erhalten, die näher am realen Verbrauch sind. Wir wollen das nicht nur auf europäischer Ebene erreichen, sondern auch mit der sogenannten WLTD – oder wie heißt sie? (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: WLTP!) – Richtig, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja unglaublich!) mit diesem weltweiten System einer – (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können nicht mal die Begriffe sagen!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Barthle, bitte. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Mit diesem weltweit einheitlichen System, das dann auch auf europäischer Ebene installiert werden soll. – Daran arbeiten wir intensiv; da sind wir diejenigen, die auf europäischer Ebene das Tempo vorgeben und beschleunigen. Insofern bin ich zuversichtlich, dass wir es schaffen können, dieses System im Jahr 2017, spätestens im Jahr 2018 auf europäischer Ebene einzuführen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Höhn, Sie dürfen eine weitere Frage stellen, weil zwei Fragestellungen zugrunde liegen. Danach darf noch Herr Gastel fragen, aber dann kommen wir zu den nächsten Fragen. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär Barthle, ich war zehn Jahre Umweltministerin in Nordrhein-Westfalen. Es gibt dort eine Fernüberwachung der Schornsteine von Industrieanlagen. Die Ergebnisse gehen in der Realität sofort zur Überwachungsbehörde, sodass man genau weiß, was in dem Moment aus dem Schornstein herauskommt. Das betrifft große Industrieanlagen, an denen Tausende von Arbeitsplätzen hängen. Was soll ich eigentlich den Betreibern dieser Industrieanlagen sagen, wenn sie jetzt erfahren, dass in der Automobilindustrie, bei den Autos, vollkommen anders reagiert wird, dass da Theorie und Praxis weit auseinanderklaffen und die Behörden in Deutschland da offensichtlich jahrelang die Augen verschlossen haben? Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Barthle. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Frau Kollegin Höhn, das Typzulassungsverfahren ist ein europarechtliches Verfahren. Wir bewegen uns im europarechtlichen Zulassungsverfahren. Wenn wir Änderungen vornehmen wollen, müssen sie auf europäischer Ebene vorgenommen werden, weil die Hersteller andernfalls auf andere europäische Zulassungsbehörden zurückgreifen; deshalb machen nationale Alleingänge keinen Sinn. Es braucht etwas Zeit, um dies auf europäischer Ebene hinzubekommen; aber wir arbeiten intensiv daran. Das eine hat mit dem anderen relativ wenig zu tun. Bezüglich der Schornsteine müssen Sie sich an das Umweltministerium wenden. Vizepräsidentin Claudia Roth: Die letzte Frage zu den Fragen von Frau Verlinden: Kollege Gastel. Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Barthle, ich habe an Sie folgende Frage: Auf eine Nachfrage meiner Kollegin Verlinden nach dem Einsparziel der Bundesregierung in Sachen CO2 haben Sie geantwortet, die Bundesregierung schnüre ein ganzes Bündel an Maßnahmen, um dieses Ziel zu erreichen. Ein Bündel an Maßnahmen kann erst dann entstehen, wenn es mehrere Maßnahmen gibt. Ich kann aber keine Maßnahmen erkennen, aus denen ein Bündel geschnürt werden könnte. Sie haben ferner gesagt, dass Sie die Dekarbonisierung voranbringen wollen. Tatsächlich sind Sie in Sachen Elektromobilität aber krachend gescheitert; denn Ihr Ziel, 1 Million Elektroautos auf die Straße zu bringen, haben Sie ganz offensichtlich eindeutig verfehlt. Sie sind weit hinter Ihrem Ziel zurück. Ich glaube, Sie verfolgen es gar nicht mehr. Wie wollen Sie dieses Ziel der Dekarbonisierung erreichen, und wie soll dieses Bündel an Maßnahmen, von dem Sie gesprochen haben, aussehen? Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Barthle. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Herr Kollege Gastel, das alles in extenso darzustellen, ist sicherlich nicht Aufgabe der Fragestunde; aber ich verweise auf die Nationale Plattform Elektromobilität, auf der verschiedene Maßnahmen abgesprochen und initiiert werden, und auf die intensiven Anstrengungen, die wir unternehmen, um alternative Antriebstechnologien voranzubringen. Wir sind überzeugt, dass es uns gelingen wird, dieses Ziel zu erreichen. Wir sind noch nicht in der Markthochlaufphase angekommen, aber die Markterprobung ist abgeschlossen. Warten Sie das Jahr 2020 einmal ab; wir werden sehen, wo wir dann stehen werden. Es gibt Bereiche, in denen wir sehr gut vorankommen. Denken Sie zum Beispiel an die Elektrifizierung des Radverkehrs: Hier haben wir die Erwartungen weit übertroffen; bereits eine halbe Million Elektrofahrräder sind auf dem Markt. Das hat man so nicht erwarten können. Warten Sie ab, was in den übrigen Verkehrsbereichen noch geschieht. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank. – Ich rufe die Frage 5 der Kollegin Lisa Paus auf: Inwieweit und bei wie vielen Fahrzeugen erwartet die Bundesregierung, dass Softwareänderungen bzw. Anpassungen des Motors in der vom Kraftfahrt-Bundesamt angeordneten Rückrufaktion aufgrund zu niedrig ausgewiesener Stickoxidwerte in Fahrzeugen des Volkswagen-Konzerns eine Neuberechnung der CO2-Emissionen erforderlich machen? Herr Barthle, bitte. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Frau Kollegin Paus, Aussagen zu möglichen Änderungen der CO2-Emissionswerte bei den betroffenen Fahrzeugen können erst getroffen werden, wenn Volkswagen dem Kraftfahrt-Bundesamt vorschriftenkonforme Fahrzeuge für die Nachträge zur Typengenehmigung vorgestellt hat. Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Paus. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich hatte mich mit meiner Frage ausdrücklich auf die ersten bekanntgewordenen Fälle bezogen, also auf das Thema Diesel. Sie sind jetzt nicht nur in intensiven Prüfungen, sondern auch in intensiven Gesprächen mit VW. Deswegen würde ich gerne Folgendes wissen: Die Rückrufaktion ist anberaumt. Sie soll im Januar nächsten Jahres starten. Wissen Sie etwas darüber, welche veränderten Eigenschaften die Autos danach haben werden? Es sind ja zwei Varianten denkbar. Die eine Variante ist: Die Autos werden zwar richtig getestet, aber der Stickoxidausstoß ist sehr hoch. Die andere Variante ist: Die Autos haben geringere Stickstoffausstöße. Die Testverfahren haben ja gezeigt, dass das grundsätzlich möglich ist. Inwieweit sind Sie mit VW in Gesprächen darüber? Können Sie mir sagen, welche Eigenschaften die Autos haben werden? Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Barthle. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Was wir wissen, ist, dass sich die Rückrufaktion zunächst einmal auf die betroffenen Dieselaggregate bezieht. Es ist wohl so: Bei den 2-Liter-Aggregaten kann und muss die Software verändert werden, und damit ist das Problem behoben. Für die Fahrzeuge mit 1,6-Liter- und 1,2-Liter-Aggregaten sind andere Verfahren zur Mängelbehebung notwendig. Was im Detail zu machen ist und wie das im Detail zu machen ist – da müssen wohl auch mechanische Teile ausgetauscht werden –, das wissen wir noch nicht. Daran arbeitet VW noch. Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Paus. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich stelle fest: Sie wissen nichts darüber, und Sie setzen sich auch nicht dafür ein, dass am Ende der Stickstoffausstoß im Realbetrieb tatsächlich niedriger liegen wird. Meine zweite Frage ist aber eine andere. Nach allem, was ich gelesen habe, stelle ich fest: Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Stickstoffausstoß und den CO2-Emissionen; auch damit wird ein Teil der Manipulation erklärt. Die Aussage der Techniker, mit denen ich gesprochen habe, ist, dass die leistungsfähigen Abgasfilter zulasten des Verbrauchs gehen. Ich gehe also davon aus: Wenn Änderungen beim Filtern von Stickoxiden vorgenommen werden, dann müssten sich auch die CO2-Werte ändern, gegebenenfalls steigen diese. Teilt die Bundesregierung die technische Auskunft, die ich gerade vorgetragen habe? Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Barthle, bitte. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Ihre Bewertungen teile ich überhaupt nicht. Ich stelle fest: Wir sind intensiv dabei, die Vorfälle mit dem VW-Konzern aufzuklären und transparent zu machen. Der VW-Konzern hat uns gesagt: Der 21. Oktober ist der Stichtag für die 2,0-Liter-Aggregate. Darauf bezieht sich auch die Nachrufaktion, die vom KBA begleitet wird. Wir haben VW zudem aufgefordert, für die kleineren Motoren ebenfalls einen Zeitplan vorzulegen. Daran wird aber noch gearbeitet. Wir haben ein hohes Interesse daran, dass die Vorfälle möglichst schnell aufgeklärt und die Mängel behoben werden. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Meine Frage war keine wertende, sondern technischer Natur. Sie lautete: Sieht die Bundesregierung einen Zusammenhang zwischen dem Stickoxidausstoß und dem CO2-Ausstoß? Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Die Manipulation des Stickoxidausstoßes bei den betroffenen Motoren wurde durch einen Abschaltmechanismus erreicht, der in einem bestimmten Messzustand den entsprechenden Faktor korrigiert, sodass die Grenzwerte für Stickoxide eingehalten werden. Das hat aber nichts mit der Messung des CO2-Ausstoßes zu tun. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch genauso wie die Klimaanlage!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Krischer, bitte. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Beantwortung der letzten Frage hat deutlich gemacht, dass Sie kein Verständnis für das Problem haben. Sie haben das Problem auch nicht richtig erkannt. Ich möchte an die Frage des Kollegen Gastel anschließen, der nach den Mitgliedern der Kommission gefragt hat. Ich frage Sie noch einmal ganz konkret: Wie heißen die Mitglieder der Kommission, die seit Bekanntwerden des VW-Skandals die Vorgänge untersuchen? Wenn Sie uns die Namen hier nicht nennen können oder wollen, dann bitte ich, zu erklären, warum. Ich bitte um eine Erläuterung. Nach sieben Wochen wäre es an der Zeit, der Öffentlichkeit zu sagen, wer genau untersucht. Ich rede gar nicht vom Untersuchungsauftrag oder vom Ziel; das verraten Sie uns sowieso nicht. Nennen Sie uns wenigstens die Namen der Mitglieder der Kommission und ihre Funktionsbezeichnung. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Barthle, bitte. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Diese Information liegt mir nicht vor, Herr Krischer, deshalb kann ich Ihnen die Namen der Mitglieder auch nicht nennen. Wenn Sie die Regierung vorführen wollen, dann fragen Sie am besten auch nach der Haarfarbe, dem Geburtstag und Ähnlichem. (Karin Binder [DIE LINKE]: Peinlich! – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie oft haben wir die Frage schon gestellt?) Vizepräsidentin Claudia Roth: Kollege Krischer hat nicht nach der Haarfarbe gefragt, sondern nach den Namen. Dass Sie die Frage nicht beantworten können, weil Ihnen die Namen nicht vorliegen, haben Sie gesagt. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: So ist das. Vizepräsidentin Claudia Roth: Dann stellt Frau Höhn jetzt noch eine Frage. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, dass Sie die Frage nach den Mitgliedern nicht beantworten können, spricht möglicherweise gegen Ihre Kenntnis des Hauses. Bundestagspräsident Lammert hat eingefordert, dass Abgeordnete Transparenz bekommen, zum Beispiel in Bezug auf das Freihandelsabkommen. Daher frage ich Sie: Wieso verweigert das Ministerium, uns die Frage nach den Mitgliedern der Kommission zu beantworten? Wenn Sie diese Frage heute nicht beantworten können, dann erwarte ich, dass Sie sie schriftlich beantworten. Ansonsten widersprechen Sie dem, was der Bundestagspräsident von der amerikanischen Regierung und von der Europäischen Kommission gefordert hat. Das ist eine absolute Frechheit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Barthle, bitte. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Frau Kollegin Höhn, das ist keine Frage, sondern eine Meinungsäußerung, die ich mit Abscheu und Empörung zurückweise. Vizepräsidentin Claudia Roth: Die Bitte war, dass Sie, wenn Sie die Namen kennen, diese dem Parlament zur Verfügung stellen. Ich rufe Frage 6 des Kollegen Oliver Krischer auf: Mit welchen Vertretern der US-Regierung bzw. nachgeordneter Behörden hat sich das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur im Rahmen der USA-Reise von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt in der 44. Kalenderwoche 2015 getroffen (bitte unter Angabe der Teilnehmer und des Gesprächsinhalts), und wann hat die Bundesregierung erstmalig von den weiteren Ermittlungen der US-Umweltbehörde EPA gegen weitere Dieselmotoren bei Volkswagen erfahren? Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Herr Kollege Krischer, im Rahmen der USA-Reise von Herrn Bundesminister Dobrindt fanden folgende Gesprächstermine statt: beim Department of Transportation mit Secretary Anthony Foxx und weiteren Gesprächsteilnehmern, Gesprächsinhalt waren NOX, Thematik VW und weitere verkehrsrelevante Themen; dann ein Gespräch mit EPA-Administratorin Gina McCarthy und weiteren Teilnehmern, Gesprächsinhalt NOX und Thematik VW; dann mit dem Department of State, mit Under Secretary Catherine Novelli, Gesprächsinhalt NOX, Thematik VW und weitere verkehrsrelevante Themen. Die Bundesregierung wurde über die Botschaft in Washington erstmals am 2. November 2015 von den US-Behörden informiert, dass weitere Vorwürfe gegen Volkswagen erhoben werden. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Barthle. – Herr Krischer, bitte. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Eine Bemerkung noch zum Thema „Namen der Mitglieder der Kommission“. Dass Sie die Namen hier jetzt nicht nennen können, halte ich für eine Impertinenz. Ich sage das sehr deutlich. Wir haben dreimal schriftlich bei Ihnen nachgefragt. Daraufhin haben Sie die Namen schriftlich nicht genannt. Wenn Sie das jetzt hier mündlich wieder nicht können, kann ich nur daraus schließen: Sie wollen es nicht. Sie liefern keine Begründung dafür, warum Sie sie nicht nennen. Das ist das Gegenteil von Transparenz gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit. Das möchte ich hier einfach nur einmal klarstellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Nachfrage zum Besuch von Herrn Dobrindt in den USA. In der Tat hat es unmittelbar nach dem Besuch von Herrn Dobrindt weitere Vorwürfe der EPA gegenüber weiteren Automobilunternehmen gegeben. Also, da ist nicht nur VW betroffen, sondern auch Porsche und andere. Es sind auch andere Motorentypen betroffen. Mich würde interessieren: Welche konkreten Schlussfolgerungen haben Sie aus diesen Vorwürfen gezogen? Was konkret haben Sie veranlasst, um selber zu diesen Vorwürfen Stellung nehmen zu können? Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Barthle, bitte. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Herr Kollege Krischer, Sie haben zunächst einmal recht. Da ging es um Motoren, die eingebaut sind in den VW Touareg, Modelljahr 2014, in den Porsche Cayenne, Modelljahr 2015, in die Audi-Modelle A6 quattro, A7 quattro, A8, A8 L und Q5. Die Untersuchungen wurden in Amerika auf diese Fahrzeuge ausgeweitet, weil eine falsche Dokumentation vorgelegt wurde. Dabei handelt es sich um eine mangelnde Dokumentation innerhalb des Zertifizierungsverfahrens. Wir haben das Kraftfahrt-Bundesamt angewiesen, die Überprüfungen auch auf diese Fahrzeuge auszuweiten. Das geschieht derzeit. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Krischer. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herzlichen Dank für die Antwort. – Mich würde jetzt an dieser Stelle interessieren: Haben Sie bei Ihrem Besuch in den USA die EPA konkret nach weiteren Vorwürfen, nach weiteren Motoren gefragt? Ist das zur Sprache gekommen? Hat die EPA einfach nicht darauf geantwortet? Oder war das gar kein Gegenstand der Gespräche, sodass die Information Sie – so haben Sie es ja eben erläutert – erst zwei Tage später über die Botschaft erreicht hat? Es ist ja ein bisschen verwunderlich, wenn der deutsche Verkehrsminister mit Vertretern der Behörde spricht und das gar nicht erwähnt wird und die Informationen nicht weitergegeben werden, dann aber zwei Tage später die Botschaft informiert wird. Deshalb meine Frage: Haben Sie konkret nach weiteren Vorwürfen, nach weiteren Ermittlungen der EPA gefragt? Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Da ich bei dieser Reise nicht dabei war, kann ich auch nicht persönlich gefragt haben. Ich wiederhole, dass uns diese Informationen erstmals am 2. November erreicht haben. Vizepräsidentin Claudia Roth: Wir kommen jetzt zur Frage 7 des Abgeordneten Oliver Krischer: Woraus bestanden die Nachprüfungen des Kraftfahrt-Bundesamts an „über tausend“ Fahrzeugen bzw. Fahrzeugtypen (siehe Plenarprotokoll vom 4. November 2015 und die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Norbert Barthle auf meine Frage), und welche konkreten Messungen von Abgaswerten (CO2, NOX und andere) fanden dabei statt? Ich habe schon gesehen, dass es einige Rückfragen gibt. Aber es sind auch noch einige Fragen zu beantworten. Deswegen Oliver Krischer, und ich sehe schon, wer sich noch gemeldet hat. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Herr Kollege Krischer, zur Frage 7: Im Zeitraum 2010 bis 2015 wurden fast 1 100 Nachprüfungen zu den vom Kraftfahrt-Bundesamt erteilten Typengenehmigungen vorgenommen. Die Unternehmungen des Kraftfahrt-Bundesamtes finden im Rahmen der entsprechenden Rechtsvorschriften statt. Im Übrigen wird auf die Antwort der Bundesregierung zu den Fragen 20 und 21 der Kleinen Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drucksache 18/5656, verwiesen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Krischer. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, für diese Antwort danke ich Ihnen leider nicht. Denn es ist genau dieselbe Antwort, die Sie uns schriftlich gegeben haben. Ich habe konkret gefragt. Aber Sie verweisen wieder auf eine Nichtantwort auf eine schriftliche Frage. Das ist Ihre Form von Transparenz. Ich hätte gerne gewusst, was bei den einzelnen Nachprüfungen überprüft worden ist. Hat man da Stickoxide nachgemessen? Hat man da CO2 gemessen? Hat man da überhaupt gemessen? Oder haben diese Nachprüfungen darin bestanden, dass man sich irgendwelche Unterlagen angeguckt hat? Oder hat die Nachprüfung nur darin bestanden, dass da irgendein Stempel draufgemacht worden ist? Ich bitte Sie um eine konkrete Erläuterung: Hat es im Rahmen dieser Nachprüfungen Messungen zu Stickoxiden und CO2 gegeben? Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Barthle. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Einen kleinen Augenblick; ich will korrekt antworten. – Das Kraftfahrt-Bundesamt, Herr Kollege Krischer, wurde ja von uns angewiesen, alle auf dem deutschen Markt befindlichen Dieselkraftfahrzeuge zu überprüfen. Das geschieht derzeit. Es sind, wenn ich es richtig im Kopf habe, mehr als 50 unterschiedliche Fahrzeugmodelle. (Lachen des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Da werden selbstverständlich die Abgaswerte nachgemessen. Ergebnisse liegen uns noch nicht vor. Es gibt lediglich Rohdaten. Das habe ich auch heute früh im Ausschuss schon dargelegt; das können Sie gerne im Ausschussprotokoll nachlesen. Uns liegen, wie gesagt, bislang nur Rohdaten vor. Diese Rohdaten müssen überprüft und mit denen der Hersteller abgeglichen werden. Die Ergebnisse werden dann in den Abschlussbericht der Kommission, der sicherlich auch veröffentlicht wird, einfließen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Krischer, zweite Zusatzfrage. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Barthle, langsam fasse ich es nicht mehr. Ich habe nicht gefragt, welche Nachprüfungen Sie nach Bekanntwerden des VW-Skandals durchgeführt haben; das ist ein anderer Themenkomplex. Hier geht es um die Frage, was im Zeitraum vorher geschehen ist. Dazu haben Sie selber eben gesagt, es habe 1 500 Nachprüfungen gegeben. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Nicht 1 500, sondern 1 100. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich stelle Ihnen noch einmal die Frage – dazu gibt es eine mündliche Frage, die schriftlich gestellt worden ist, und mehrere schriftliche Fragen –: Was genau ist da untersucht worden? Das ist eigentlich eine ganz einfache Frage. Nun erläutern Sie uns das doch einmal! Sind da Stickoxide und CO2 gemessen worden? Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Barthle. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Bei diesen Nachprüfungen – insgesamt fast 1 100, nicht 1 500 – werden die Dinge nachgeprüft, die Teil der Typengenehmigungsverordnung sind. Sie richten sich immer nach der Typengenehmigungsverordnung. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie gemessen? Ja oder nein?) – Wenn es sich um Verbrauchswerte oder um Abgaswerte handelt, dann geht das nur, indem man misst. Also wurde mit Sicherheit auch gemessen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank. – Herr Kühn. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Diese Frage habe ich übrigens in der letzten Fragestunde schon einmal genauso beantwortet. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kühn. Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Meine Nachfrage bezieht sich auf die Frage 6. Ich hoffe, dass ich sie noch stellen darf. Vizepräsidentin Claudia Roth: Dann fallen andere weg. – Aber bitte, machen Sie! Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie haben mir, Herr Staatssekretär, in der letzten Woche auf meine Frage nach den Gesprächen und der bilateralen behördlichen Zusammenarbeit geantwortet – Zitat –: Der gute Informationsaustausch zwischen den deutschen und amerikanischen Behörden wird fortgesetzt. Wenn dieser Informationsaustausch so gut ist, wundere ich mich über Folgendes: Das ICCT ist ja im Herbst 2014 auf die Abweichung zwischen Labor- und Straßenwerten gekommen, die es sich nicht erklären konnte. Daraufhin hat die EPA angefangen, dem nachzugehen. Die Untersuchung, die die EPA daraufhin durchgeführt hat, und die Gespräche mit VW, die dann stattgefunden haben, sind aber nicht in guter behördlicher Zusammenarbeit und gutem Informationsaustausch an die deutschen Behörden gegangen. Können Sie mir erklären, wie man von einem guten Informationsaustausch zwischen deutschen und amerikanischen Behörden sprechen kann, wenn die Information, dass die EPA den Ergebnissen der ICCT-Studie nachgeht, in Deutschland angeblich nicht bekannt geworden ist? Das verstehe ich nicht. Das ist für mich ein Widerspruch. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Barthle. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Herr Kollege Kühn, ich kann gern wiederholen: Wir haben Erkenntnisse über Manipulationen zu den Zeitpunkten bekommen, die ich hier schon mehrfach dargelegt habe, und nicht zuvor. Vizepräsidentin Claudia Roth: Dann kommen wir zur Frage 8 des Kollegen Gastel: Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Auffassung der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH (FBB), dass der Flughafen Berlin Brandenburg (BER) kein internationales Drehkreuz sein wird (vergleiche Statement von Geschäftsführer Karsten Mühlenfeld vom 4. November 2015), und mit welchen finanziellen Folgen für die Wirtschaftlichkeit des BER rechnet die Bundesregierung? Herr Barthle, bitte. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Herr Kollege Gastel, die Bundesregierung erwartet, dass die operativ zuständige Geschäftsführung der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH den gesellschaftsrechtlich zuständigen Gremien der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH den Sachverhalt einschließlich der wirtschaftlichen Folgen erläutern wird. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Gastel. Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist natürlich eine super Antwort. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Danke. Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich habe mehrere Nachfragen. Deswegen muss ich mir jetzt gut überlegen, welche zwei Nachfragen ich stelle. Vizepräsidentin Claudia Roth: Eine Minute! Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Genau. – Meine erste Frage ist: Steht nach Erkenntnis der Bundesregierung der Inbetriebnahmetermin Herbst 2017? Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Nach Erkenntnis der Bundesregierung und nach Aussage von Herrn Mühlenfeld steht dieser Termin. Vizepräsidentin Claudia Roth: Zweite Nachfrage. Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Meine zweite Nachfrage: Die Deutsche Bahn hat ihre Strecke zum BER und ihren Bahnhof unter dem BER schon vor einiger Zeit fertiggestellt. Logischerweise kann sie dort aber noch keinen Betrieb durchführen. Trotzdem muss sie dort regelmäßig Züge fahren lassen, damit die Metalle, die dort verbaut wurden, nicht rosten, wodurch Kosten entstehen. Die DB hat jetzt eine Klage gegen die Betreibergesellschaft des Flughafens eingereicht, weil der Bahnhof nicht in Betrieb gehen kann. Was ist dazu die Meinung der Bundesregierung? Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Die Meinung der Bundesregierung dazu ist, dass wir abwarten, wie dieses Gerichtsverfahren endet. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Bundesregierung verklagt sich selber!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Ströbele. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär, ich komme da auch manchmal vorbei und sehe dann – vor allen Dingen abends – die Beleuchtung. Das sieht wie ein riesiges Schloss aus und ist faszinierend. Ich kann mir vorstellen, dass das viele Reisende, die dort ankommen, auch sehen. Kann man dieses Gebäude, das seit Jahren leer steht und wahrscheinlich noch ein paar weitere Jahre leer stehen wird, nicht für etwas Nützliches verwenden? Wir wissen, dass jeden Monat über 30 Millionen Euro dafür ausgegeben werden. Das ist unter anderem auch Bundesgeld. Würden Sie befürworten, dass beispielsweise Flüchtlinge jedenfalls in den Bereichen untergebracht werden, wo sie vor einem Einsturz des Daches und einem Herunterfallen der Heizung sicher sind? Vizepräsidentin Claudia Roth: Interessante Frage. – Herr Barthle. Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Herr Ströbele, dazu kann ich Ihnen keine Auskünfte geben; denn es liegt nicht im Ermessen der Bundesregierung, wie da verfahren wird. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank. – Die Frage 9 der Kollegin Veronika Bellmann wird schriftlich beantwortet. Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. – Herr Barthle, ich danke Ihnen für die Antworten. Sie sind nach diesen wenigen Fragen jetzt fertig. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter zur Verfügung. – Herzlich willkommen. Die Frage 10 der Abgeordneten Bärbel Höhn und die Fragen 11 und 12 der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl werden schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 13 des Kollegen Peter Meiwald auf: Werden die Einträge von Mikroplastik in die Umwelt nach Einschätzung der Bundesregierung durch die Einführung des Wertstoffgesetzes verringert, wie von den Regierungsfraktionen in der Beratung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Freisetzung von Mikroplastik beenden“ behauptet (vergleiche Bundestagsdrucksachen 18/3734 und 18/4151), und, wenn ja, durch welche konkreten Regelungen des vorliegenden Arbeitsentwurfes für ein Wertstoffgesetz wird ein signifikanter Rückgang der Mikroplastikeinträge in die Umwelt aus Sicht der Regierung erwartet? Frau Staatssekretärin, bitte. Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Sehr geehrter Herr Kollege Meiwald, ich antworte Ihnen wie folgt: Wesentliche Voraussetzung für eine Verminderung des Eintrags von sogenanntem sekundären Mikroplastik aus zerkleinerten bzw. fragmentierten Kunststoffprodukten in die Umwelt – und insbesondere in Gewässer – ist eine geordnete Abfallentsorgung. In Deutschland haben wir das bereits erreicht. Durch die flächendeckende Erfassung von Abfällen, hohe Verwertungsquoten und Anreize zur Abfallvermeidung ist ein Eintrag von Kunststoffabfällen in die Gewässer weitgehend ausgeschlossen. Der bestehende abfallrechtliche Rahmen wird auch in dieser Legislaturperiode weiterentwickelt, unter anderem mit dem geplanten Wertstoffgesetz. Er soll dazu führen, dass in Produktverantwortung der Hersteller und Vertreiber im Bereich der sogenannten Post-Consumer-Siedlungsabfälle noch mehr Kunststoffabfälle gesammelt und aufgrund deutlich gesteigerter Recyclinganforderungen einer hochwertigen wertstofflichen Verwertung zugeführt werden. Weiter gehende spezielle Regelungen, die zu einem in der Frage angesprochenen signifikanten „Rückgang der Mikroplastikeinträge in die Umwelt“ führen würden, sind im Arbeitsentwurf für ein Wertstoffgesetz nicht vorgesehen und in diesem Kontext auch nicht erforderlich. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Meiwald, bitte. Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. – Sie sagen, dass Sie es nicht über das Wertstoffgesetz regeln wollen – das habe ich mir ja schon fast gedacht, aber der Kollege aus der Koalition sprach in der ersten Debatte über unseren Antrag davon, es dort zu regeln –, daher frage ich Sie: Welche Ziele zur Verringerung der Einträge von Mikroplastik in die Umwelt hat die Regierung denn sonst wo formuliert, und mit welchen Programmen soll eine Reduzierung in Kürze erreicht werden, insbesondere nachdem die UBA-Untersuchung dargestellt hat, dass zum Beispiel aus Reifenabrieb ein signifikanter Teil von Mikroplastik in die Umwelt kommt? Über welche gesetzlichen Vorhaben soll das geregelt werden? Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Staatssekretärin. Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: In der Plenardebatte ging es vor allem um Plastiktüten. In der Zwischenzeit sind wir durch die Diskussionen im politischen Umfeld und in der Gesellschaft erheblich weitergekommen, und zwar dahin gehend, dass ein freiwilliges Entgelt verlangt werden soll. Ich denke, das war das Hauptproblem. Damals hieß es ja: Wenn das Ziel auf freiwilligem Wege nicht erreicht werden kann, dann könnte man es im Wertstoffgesetz entsprechend verankern. Aber es deutet ja alles darauf hin, dass eine freiwillige Lösung möglich ist, mit der ein Entgelt für Plastiktüten vom Verbraucher verlangt wird. Zum Reifenabrieb und damit Eintrag von sekundärem Mikroplastik: Es ist natürlich schwierig, das im Wertstoffgesetz zu verankern, weil der Abrieb während des Betriebs passiert. Insofern erübrigt sich das. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Meiwald zu einer weiteren Rückfrage. Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dass sich das nicht über das Wertstoffgesetz regeln lässt, ist relativ offensichtlich. Aber meine Frage lautete: Welche weiter gehenden gesetzlichen Vorstellungen haben Sie, dieses Problem in den Griff zu bekommen? Daneben stellt sich natürlich die Frage des primären Mikroplastiks aus Kosmetika. Dazu gibt es ja bis jetzt noch keine freiwillig verbindliche Regelung. Das BMUB hat am 26. Juli getwittert: „Unsichtbar und gefährlich für Tier & Umwelt: Mikroplastik in Kosmetik.“ Deshalb meine Frage: Welche Maßnahmen sind da jetzt geplant? Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Lieber Herr Kollege Meiwald, wir hatten einen sogenannten Kosmetikdialog. Die Industrievertreter haben uns glaubhaft versichert, einen Komplettausstieg aus der Verwendung von Mikroplastikteilchen anzustreben. Zu Ihrer Frage, welche Maßnahmen wir bezüglich des Reifenabriebs vorhaben: Da sind mir bisher keine bekannt. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Die Fragen 14 und 15 des Abgeordneten Kai Gehring werden schriftlich beantwortet. Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Uwe Kekeritz auf: Mit welcher Begründung unterstützt die Bundesregierung den derzeit diskutierten Vorschlag im Rahmen des Valletta-Gipfels, dass Gelder der Entwicklungszusammenarbeit an die Bereitschaft der Partnerländer zur Rückübernahme und Rückführung von Flüchtlingen gekoppelt werden („More for more“-Ansatz; www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2015/11/2015-11-03-gipfel-valetta.html), und wie rechtfertigt sie in diesem Zusammenhang die Kooperation unter anderem mit autoritären Regimen wie etwa Eritrea? Herzlich willkommen, Hans-Joachim Fuchtel, zur Beantwortung der Frage. Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Diese Frage gibt Anlass zu einer wichtigen Klarstellung, Herr Kollege. Der „More for more“-Ansatz ist im Zusammenhang mit dem Valetta-Gipfel auf gar keinen Fall als Konditionierung von Entwicklungszusammenarbeit zu verstehen. Zu Eritrea: Eine Zusammenarbeit mit Eritrea besteht derzeit nicht. Gleichwohl ist Eritrea ein Land, aus dem zurzeit der größte Teil afrikanischer Flüchtlinge stammt. Daher müssen Dialogstrukturen aufgebaut werden. Das wird bei dieser Konferenz auch geschehen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Kollege Kekeritz. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke schön für die Antwort.- Der „More for more“-Ansatz ist also Ihrer Angabe nach nicht im Zusammenhang mit Entwicklungspolitik zu verstehen. Dann verstehe ich aber den Begriff „More for more“ nicht. Die Aussage von Thomas de Maizière – er scheint ja jetzt die Politik dieser Regierung zu bestimmen; er wurde darin ja auch von Herrn Schäuble unterstützt – ist ganz klar: Wenn Länder zum Beispiel aus Afrika bereit sind, mehr Flüchtlinge zurückzunehmen, die von uns zurückgeführt werden, dann wird diese Regierung auch mehr Entwicklungsgelder bereitstellen. Das verstehe ich jetzt also nicht. Zur Aussage zu Eritrea, es gehe um den Treuhandfonds: Es gibt ein Papier der EU-Kommission, wonach Eritrea und Sudan in Zukunft die Partner sein werden. Insofern verstehe ich nicht Ihre Aussage, dass Sie mit diesen Ländern nicht verhandeln. Ich muss Ihnen ja wohl nicht erklären, dass sowohl im Sudan als auch in Eritrea Diktatoren an der Regierung sind, die Ursache für die Fluchtbewegungen sind. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Fuchtel, bitte. Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Der Prozess von Valletta ist sehr breit angelegt. Er hat natürlich auch alles, was die Fluchtbewegungen betrifft, zum Inhalt. Natürlich ist es das Ziel, diese Bewegungen einzudämmen. Man möchte vor allem, dass Afrika künftig einen aktiven Part übernimmt und vor allem die Problematiken, die sich in diesem Zusammenhang auftun, als gemeinsame Anliegen sieht und damit künftig konzeptionell eine bessere Zusammenarbeit möglich ist. Wir werden das nicht nur durch den gerade genannten Fonds unter Beweis stellen, sondern wir werden auch viele weitere Maßnahmen treffen, die sich dort einfügen und die die Aussage, die ich gerade gemacht habe, unterstreichen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Kekeritz. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke schön. – Eine zweite Frage. Die Bundesregierung äußert sich immer öffentlich, dass sie jetzt Fluchtursachen ganz massiv bekämpfen will. Eine Fluchtursache ist natürlich der Krieg. Ich weiß nicht, ob Sie da aktiv werden können, vermutlich nicht. Aber es wäre für uns hochinteressant, von Ihnen die Fluchtursachen ganz klar definiert zu bekommen. Bisher wird immer nur von Fluchtursachen gesprochen, ohne diese zu benennen. Eine Antwort, die Sie darauf geben, ist: Sie wollen die Mittel für Ausbildungsprogramme verstetigen und erhöhen. Dafür bin ich voll und ganz. Aber wir müssen auch der Tatsache ins Auge schauen, dass Ausbildungsprogramme im Rahmen der Entwicklungshilfe seit 50 Jahren durchgeführt werden und diese offensichtlich doch nicht dazu geführt haben, Fluchtursachen zu bekämpfen. Was macht Sie so optimistisch, zu glauben, dass jetzt ein bisschen mehr Ausbildungsprogramme tatsächlich ein wesentlicher Beitrag zur Bekämpfung von Fluchtursachen sind? Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Staatssekretär. Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Herr Kollege, Sie sind mit diesen Fragen sehr vertraut. Aus diesem Grund brauche ich Ihnen nicht zu erläutern, dass Fluchtursachen sehr vielfältige Gründe haben. Das fängt bei Hunger an und geht über ein verändertes Klima bis hin zu vielen anderen Bereichen. Wenn es bis jetzt noch nicht gelungen ist, dagegen genügend Maßnahmen zu ergreifen, dann ist es höchste Zeit – das sollte auch in Ihrem Interesse sein –, dass das geschieht. Genau dazu wird jetzt in Valletta ein ernsthafter Anlauf genommen. Geben Sie bitte diesem Bemühen parteiübergreifend eine Chance. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Ich sehe keine weiteren Wünsche nach Zusatzfragen. Dann kommen wir zum Ende dieses Geschäftsbereichs. – Entschuldigung, es war keine böse Absicht, Sie zu übersehen. – Bitte schön, Frau Kollegin Pfeiffer. Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Präsidentin. Es tut weh, wenn man übersehen wird. Aber ich habe es ja noch gerade geschafft. Herr Staatssekretär, natürlich geht es immer darum: Wie werden Gelder zur Verfügung gestellt? Werden mehr Mittel zur Verfügung gestellt? Natürlich ist die Sonderinitiative „Fluchtursachen bekämpfen – Flüchtlinge reintegrieren“ eine der haushalterisch und monetär wichtigsten Maßnahmen, die wir haben. Deshalb stellt sich für mich die Frage: Ist es nicht richtig und wichtig, genau in diesem Zusammenhang auch das Thema Bildung und Ausbildung zu fördern? (Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] im Gespräch mit Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Christian Kühn (Tübingen) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Herr Kekeritz sollte zuhören. Das war eine ganz wichtige Frage, aber das interessiert ihn dann doch nicht. – Wenn wir Fluchtursachen bekämpfen wollen, geht es auch darum, wie wir die Länder weiter wirtschaftlich unterstützen und zum Erfolg führen können. Genau das ist der richtige Ansatzpunkt. Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Ich möchte das noch einmal unterstreichen. Beispielsweise gibt es heute von VENRO eine Pressemitteilung, in der darauf hingewiesen wird, dass es eine langfristige Aufgabe ist. Deswegen habe ich hier so deutlich aufgeführt, dass es neben diesen Fragestellungen, die die Fluchtbewegungen ganz konkret betreffen, bei denen es auch darum geht: „Was kann man tun, um die Schleuserprobleme besser in den Griff zu bekommen?“, genauso um langfristige Fragestellungen geht. Bislang gab es in 18 Ländern Afrikas Maßnahmen der beruflichen Bildung. Hieraus muss man jetzt die Lehren ziehen, nach dem Motto „lesson learnt“, darauf aufbauen und mit neuen Impulsen und Akzenten Hoffnung geben. Denn eines der wichtigsten Dinge ist, dass die Menschen die Hoffnung haben, dass sie vor Ort eine Chance bekommen. Dazu gehört im Übrigen auch, dass wir uns, was bisher wenig getan wurde, viel stärker mit Ausbildungsmöglichkeiten und entsprechenden Angeboten für Rückkehrer befassen. Genau das gehört auch zur gesamten Strategie, die die Bundesregierung verfolgt. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Es gibt jetzt keine weiteren Fragen mehr. Noch einmal zur Erklärung, Frau Kollegin Pfeiffer: Nach unserer Geschäftsordnung darf der Fragesteller oder die Fragestellerin zwei Zusatzfragen stellen, jeder andere Abgeordnete eine Frage. Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich bedanke mich beim Parlamentarischen Staatssekretär Fuchtel für die geduldige Beantwortung der Fragen. Ich rufe den Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes auf. Die Frage 17 der Abgeordneten Bärbel Höhn wird schriftlich beantwortet. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Uwe Beckmeyer zur Verfügung. Ich rufe die Frage 18 des Abgeordneten Uwe Kekeritz auf: Was versteht die Bundesregierung unter Verhältnismäßigkeit, wenn sie im Rahmen der Ratsarbeitsgruppe „Handelsfragen“ in Bezug auf verbindliche Regelungen in den Lieferketten sogenannter Konfliktmineralien angibt, diese für geeignet zu halten, „wenn sie verhältnismäßig“ sind, und wie setzt sich die Bundesregierung für verbindliche soziale, ökologische und menschenrechtliche Standards im sogenannten Downstream-Bereich der Lieferkette – also von der Schmelze zum Produkt – ein ? Bitte schön, Herr Staatssekretär. Uwe Beckmeyer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Frau Präsidentin! Ich beantworte die Frage von Herrn Kekeritz wie folgt: Die Bundesregierung hat noch keine Entscheidung für ein konkretes Modell getroffen, insbesondere dazu, wie weit die Verbindlichkeit reichen sollte. Sie hat auch noch keine Festlegung in Bezug auf die Frage der Verhältnismäßigkeit getroffen, um flexibel auf Vorschläge im Rahmen des Trilogs mit dem Europäischen Parlament und der Kommission zu reagieren. Die Achtung der Menschenrechte sowie hoher ökologischer und sozialer Standards durch deutsche Unternehmen ist aus Sicht der Bundesregierung ein wichtiges Anliegen. Gemäß dem Auftrag aus dem Koalitionsvertrag entwickelt die Bundesregierung daher derzeit einen nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Die überwiegende Mehrheit der deutschen Unternehmen erweist sich nach einer BDI-Studie bereits jetzt in ihren Auslandsinvestments bei der Einhaltung von sozialen Standards als vorbildlich und setzt international Maßstäbe. Es gibt eine Reihe von Empfehlungen für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln in einem globalen Kontext wie die „OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen“ und den „UN Global Compact“. Die Bundesregierung unterstützt die Unternehmen bei der Umsetzung ihrer Sorgfaltspflichten. Im Bereich der sogenannten Konfliktmineralien informiert die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe bereits heute Unternehmen auf Anfrage sowie auf Veranstaltungen von Unternehmensverbänden zu den internationalen Anforderungen und Initiativen zur Sorgfaltspflicht in Lieferketten mineralischer Rohstoffe. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön, Herr Kollege Kekeritz. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Beckmeyer, die Antwort verwirrt mich jetzt etwas. Uwe Beckmeyer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Das liegt an Ihnen. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das kann schon sein, aber es liegt vielleicht auch an Ihrer Antwort. – Mir liegt ein Drahtbericht der EU-Kommission vor, in dem klar steht, dass das Wirtschaftsministerium für verbindliche Standards im Bereich von Konfliktmineralien eintritt – nun kommt das Wort „verhältnismäßig“ –, wenn diese verbindlichen Standards verhältnismäßig sind. Sie sagen jetzt: Es gibt keinerlei Festlegungen der Bundesregierung. – Das ist für mich sehr verwirrend. Wie soll ich Ihnen Fragen stellen, wenn Sie einerseits sagen, Sie hätten sich gar nicht festgelegt, aber andererseits ein Drahtbericht der EU-Kommission vorliegt, in dem es heißt, dass sich das Wirtschaftsministerium für Standards ausgesprochen hat? Wie mache ich jetzt weiter? Ich stelle Ihnen erst einmal die Frage: Was würden Sie, sofern es zutrifft, dass die Verbindlichkeit der Regeln festgelegt wird, unter „Verhältnismäßigkeit“ verstehen? Ist damit die Verhältnismäßigkeit gegenüber den europäischen Industriellen gemeint, oder ist es die Verhältnismäßigkeit gegenüber jenen Menschen zum Beispiel im Kongo-Becken, die unter lebensgefährlichen, sozial und ökologisch nicht akzeptablen Bedingungen in Bergwerken arbeiten? Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Staatssekretär. Uwe Beckmeyer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Herr Kekeritz, wenn Sie aufmerksam zugehört hätten, hätten Sie festgestellt, dass ich bei meiner Antwort gesagt habe, dass es uns um Flexibilität geht, vor allen Dingen wenn wir im Rahmen des Trilogs auf Vorschläge antworten und uns einbringen. Wie Sie wissen, gibt es einen Beschluss des Europäischen Parlaments. Sie kennen sicherlich auch das Verhalten der einzelnen Mitgliedstaaten. Wenn Ihnen ein Drahtbericht vorliegt, dann kennen Sie wahrscheinlich auch andere Drahtberichte, aus denen hervorgeht, wie sich die einzelnen Mitgliedstaaten in Europa zurzeit aufgestellt haben. Die Bundesregierung und die schwedische Regierung könnten sich für Verbindlichkeiten aussprechen. Aber ein Großteil der anderen Mitgliedstaaten kann das eben nicht. Aus diesen verschiedenen Positionen muss letztendlich etwas Verbindliches gebildet werden; daran arbeiten wir zurzeit. Der Prozess ist noch nicht zu Ende. Sie haben mich gefragt, was in diesem Fall verbindlich und verhältnismäßig ist. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Die Redezeit ist jetzt verbindlich. Uwe Beckmeyer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Der eine oder andere Jurist sagt dazu: geeignet, erforderlich, angemessen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kekeritz, Sie dürfen nur noch ganz schnell eine weitere Zusatzfrage stellen; denn wir haben die Zeit für die Fragestunde bereits überschritten. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ganz schnell eine letzte Frage. – Es gibt eine Initiative auf EU-Ebene. Plant die Bundesregierung, die nationalen Transparenzrichtlinien zu verschärfen, um mehr Informationen über die Aktivitäten unserer Industrie in Bezug auf die Lieferketten zu erhalten? Uwe Beckmeyer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Herr Kekeritz, wir sind sogar einen Schritt weiter. Wir haben gerade den Prozess der Bewerbung bei EITI abgeschlossen. Wir haben unseren Antrag in Vorbereitung und wollen ihn zum Jahresende in Oslo abgeben, sodass wir dann Vollmitglied in der Extractive Industries Transparency Initiative sind. Wir sind aktuell dabei, uns einzubringen, und wollen auf diesem Weg Korruption im Rohstoffsektor verhindern; das ist unsere Position und Politik. Daran arbeiten wir ganz gezielt und entschlossen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit sind wir am Ende der Fragestunde angelangt. Alle weiteren Fragen, die heute nicht beantwortet werden können, werden gemäß unserer Geschäftsordnung schriftlich beantwortet. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 3 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Einsetzung des 3. Untersuchungsausschusses Drucksachen 18/6330, 18/6601 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich darf an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass wir im Laufe des späteren Nachmittags die Feierlichkeiten anlässlich des 60. Jahrestages der Bundeswehr haben. Deshalb darf ich alle Kolleginnen und Kollegen eindringlich bitten, sich an die vereinbarte Redezeit zu halten. Ansonsten kommen wir noch mehr ins Hintertreffen. Wir sind schon jetzt im Hintertreffen beim Zeitplan. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Clemens Binninger, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Clemens Binninger (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Möglicherweise haben wir gedacht, als wir vor etwa drei Jahren den 1. Untersuchungsausschuss eingesetzt haben, dass es nicht noch einmal notwendig sein wird, dieses Thema im Rahmen eines weiteren parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu beleuchten. Nun sind wir heute zusammengekommen, um genau das zu beschließen. Bevor ich begründen will, warum ich der festen Überzeugung bin, dass das notwendig und richtig ist, will ich noch einmal an die Arbeit des 1. Untersuchungsausschusses erinnern. Es war eine Verbrechensserie, die alle in diesem Land erschüttert hat. Wir haben uns gefragt: Wie konnte es sein, dass ein Terrortrio und sein rechtsextremes Umfeld hier so lange agiert haben, ohne dass man es bemerkt und als solches erkannt hat? Ein Präsident einer Sicherheitsbehörde hat damals gesagt: Das war eine Niederlage für die Sicherheitsbehörden. – Ich gehe ein Stück weiter – ich bin in den Debatten immer ein Stück weiter gegangen –: Dass hier die Morde geschehen konnten, dass man sie nicht als solche erkannt hat, dass Opfer durch die Art der Ermittlungen noch einmal zu Opfern gemacht wurden, dass man die Gefahr des rechten gewaltbereiten Extremismus unterschätzt hat, sie auch nicht sehen wollte, war eine Niederlage für unsere gesamte Gesellschaft und darf sich nicht wiederholen. (Beifall im ganzen Hause) Mit diesem Befund war uns auch sehr schnell klar, dass dieses Thema keine Parteipolitik verträgt. Das ist nicht ganz einfach, weil wir wissen – so seriös muss man miteinander umgehen –, dass wir zu der Arbeit der Sicherheitsbehörden, zu manchen Instrumenten – Stichwort: V-Leute – oder zum Umgang mit und zu der Bewertung von Nachrichtendiensten natürlich unterschiedliche politische Meinungen haben. Die gehen auch nicht dadurch weg, dass man in einem Untersuchungsausschuss zusammenarbeitet. Aber die Leistung des ersten Ausschusses war – so viel Selbstlob sei gestattet –, dass wir diese politischen Unterschiede beiseitegelassen und gesagt haben: Wir konzentrieren uns auf die Aufklärung. Wir konzentrieren uns darauf: Warum ist es nicht gelungen, das Trio nach dem Untertauchen zu finden? Warum ist es nicht gelungen, dass der Verfassungsschutz besser mit der Polizei zusammengearbeitet hat? Warum hat man das V-Leute-Instrument so eingesetzt, wie man es eingesetzt hat? Ich habe damals gesagt: Aufwand und Risiko, das man mit diesen Leuten eingeht – sie bleiben ja Neonazis, auch wenn sie dem Staat Informationen liefern –, standen in keinem Verhältnis zum Erkenntnisgewinn. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Das waren unsere Schwerpunkte. Daran haben wir uns orientiert. Es waren viele Bundesländer betroffen. Es waren alle Parteien irgendwann einmal in einer Regierung vertreten. Deshalb konnte auch keiner sagen: Jemand ist schuld. – Wir haben am Ende 47 Empfehlungen ausgesprochen, von denen wir einen Teil bereits umgesetzt haben, wobei die anderen immer wieder von uns allen gemeinsam überprüft werden. Jetzt stellt sich die Frage: Ihr habt untersucht, ihr habt 47 Empfehlungen ausgesprochen, warum noch einmal ein Ausschuss? Dazu will ich die Geschichte dieser Legislatur erzählen, nämlich dass wir eine Berichterstatterrunde gebildet haben, die dieses Thema weiterhin verfolgt hat: Frau Mihalic, Frau Högl, Frau Pau und ich. Wir haben natürlich auch während der letzten Jahre Fragen gehabt. Eine der Kernfragen war: Kann es wirklich sein, dass der NSU nur ein Trio war, oder sind nicht Zweifel angebracht? Wir haben Fragen, die aufgetreten sind, immer wieder im Innenausschuss gestellt. Es ist uns aber auch von der einen oder anderen öffentlichen Stelle bedeutet worden: Jede Frage, die euch interessiert, werden wir nicht beantworten, da ihr kein Untersuchungsausschuss seid. Also, es war klar, dass wir mit den bisherigen Instrumenten an eine natürliche Grenze kommen. Auch deshalb haben wir gesagt: Wenn wir dem tiefer auf den Grund gehen wollen, dann brauchen wir einen Untersuchungsausschuss. Wir sind es, glaube ich, auch unverändert – das war unser Versprechen an die Familien der Opfer – den Familien der Opfer, den ausländischen Mitbürgern, die betroffen waren, aber auch allen anderen schuldig, dass wir alles tun, um mehr Licht ins Dunkel zu bringen. Das ist auch unsere Aufgabe, Aufgabe der Sicherheitsbehörden natürlich auch. Wir sind keine Ersatzermittler, aber natürlich werden wir uns mit der Arbeit von Ermittlungsbehörden noch einmal auseinandersetzen müssen, auch mit der Arbeit der Dienste. Auch die Frage, ob es wirklich sein kann, dass es keinen einzigen V-Mann gab, der nicht einmal den Aufenthaltsort des Trios kannte, ist etwas, was einen zu Recht zweifeln lässt. Auch die Frage, ob die Polizistin in Heilbronn wirklich ein Zufallsopfer war, und natürlich die Dinge, die wir beim ersten Mal nicht aufarbeiten konnten, weil uns die Zeit gefehlt hat, die Ereignisse am 4. November 2011 in Eisenach und in Zwickau, spielen eine Rolle. Anders als beim ersten Mal können wir auf fundiertes Wissen von uns selber zurückgreifen. Beim ersten Mal hatten wir 12 000 Leitz-Ordner durchzuarbeiten, wir hatten, glaube ich, etwa 100 Zeugen in kurzer Zeit zu befragen, es gab nur wenige oder gar keine Ausschüsse in den Ländern, die Ermittlungen liefen noch. Heute greifen wir auf mehr zurück und können sehr gezielt und sehr konkret an den wichtigen Fragen arbeiten und dann hoffentlich auch Schlüsse ziehen. Ich bin – das war ich beim letzten Mal auch, aber dieses Mal bin ich es noch mehr – fest davon überzeugt, dass die Kolleginnen und Kollegen, die in diesem Ausschuss mitarbeiten, so sehr von dem Willen getragen sind, es überparteilich zu tun, dass wir auch bei diesem Ausschuss die Parteipolitik auf der Seite lassen, im Interesse der Sache überfraktionell arbeiten, niemanden schonen, aber auch niemanden vorführen, in der Kritik klar und präzise sind, aber nicht unfair und dass wir das, was wir vielleicht einmal im Streit zu besprechen haben – den wird es auch geben –, unter uns regeln. Wir haben erfahrene Kollegen, die schon beim ersten Mal dabei waren, die jetzt wieder mitarbeiten. Wir haben Kollegen, die neu dabei sind und mit großem Interesse am Thema mitarbeiten. Wir haben auch Kollegen mit Erfahrung aus praktischer Arbeit in Sicherheitsbehörden. Das wird sicherlich eine Hilfe sein. Deshalb lassen Sie uns, ohne dass ich zu viele Erwartungen wecken will, etwas tun, was Aufgabe des Parlaments ist, die Kontrolle der Exekutive, die Aufarbeitung von einem wirklich schwierigen Sachverhalt, und versuchen, so viel Klärung zu erreichen, wie es einem Parlament mit seinen Instrumenten möglich ist, und das alles gemeinsam und überparteilich. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Binninger, kommen Sie bitte langsam zum Schluss. Clemens Binninger (CDU/CSU): Es passiert mir ganz selten, dass ich die Zeit überziehe. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Aber jetzt schon ganz massiv. Clemens Binninger (CDU/CSU): Es waren ein paar Sekunden, aber okay. – Schlusssatz von mir: Ich glaube, dass wir gerade in diesen Tagen, in denen wir fremdenfeindliche Gewalt erleben müssen, in denen Rechtsextremismus Zulauf bekommt, mit einer seriösen Arbeit ein klares politisches Signal setzen, dass in unserem Land niemand Angst haben soll vor Gewalt, vor Verfolgung und wir an der Seite derer stehen, die diese Unterstützung brauchen. Fremdenfeindlichkeit hat in unserem Land keinen Platz. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Es ist so: 60 Sekunden sind eine Minute. Es sind zwar nur einige Sekunden jeweils, aber es summiert sich. Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Pau, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Petra Pau (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich kann hier nahtlos anschließen. Das Kürzel NSU umfasst die bis dato größte rechtsterroristische Mord-, Raub- und Überfallserie in Deutschland und beschreibt zugleich ein absolutes Staatsversagen. Das war die gemeinsame Einschätzung nach dem Untersuchungsausschuss des Bundestages in der 17. Legislaturperiode. Auch in der laufenden 18. Legislatur geriet der NSU-Komplex nie aus dem Blick. Die Linke stellte allein über 40 parlamentarische Anfragen. Monatelang befassten wir uns im Innenausschuss ausgiebig mit diesem Thema, mit mäßigem Erfolg. Abwehr überwog an vielen Stellen. Ich möchte daran erinnern: Die Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte den Hinterbliebenen, den Überlebenden, der Öffentlichkeit bedingungslose Aufklärung der NSU-Anschläge versprochen. Aber es gab viel zu viele Behinderungen aus Ämtern, aus Behörden, auch aus Ministerien. Ich denke, wir sollten alle gemeinsam dafür sorgen, dass sie auf gar keinen Fall meineidig wird. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Clemens Binninger [CDU/CSU]) Clemens Binninger hat den Prozess, der zum Zustandekommen des Untersuchungsauftrages führte, den wir heute beschließen – ich denke, dass wir das heute fraktionsübergreifend tun –, schon beschrieben. Aus den genannten Gründen brauchen wir diesen Untersuchungsausschuss mit all seinen besonderen Befugnissen. Nehmen wir allein die zehn Morde, die dem NSU zur Last gelegt werden. Es gibt keinen einzigen, bei dem ich sagen könnte: Ja, so wie es jetzt beschrieben ist, war es auch. Das trifft auch auf das tödliche Finale für Böhnhardt und Mundlos am 4. November 2011 in Eisenach zu. Damit zusammen hängen die ebenso fragwürdigen Geschehnisse unmittelbar danach in Zwickau im Wohnhaus des NSU-Trios. Über all dem schwebt weiter die Frage: War das Nazitrio wirklich unerkannt durch die Lande gezogen, und, wenn nein, wer wusste wann was? Wir sind uns weitgehend einig: Der NSU ist nicht auf ein Trio zu beschränken. Seine Mitglieder waren vernetzt, regional, national, international. Spuren weisen nach Skandinavien, in die USA, nach Südafrika. Was von alledem wusste eigentlich der Bundesnachrichtendienst? Überhaupt bleiben viele Fragen an die Geheimdienste, allen voran an die Ämter für Verfassungsschutz, zumal wir ja inzwischen auch wissen, nicht zuletzt durch den Prozess in München: Im Umfeld des Nazitrios, des Kerntrios des NSU, agierten mehr als 40 V-Leute dieser Ämter. Übrigens, genau heute vor vier Jahren, am 11. November 2011, wurde im Bundesamt für Verfassungsschutz die „Operation Konfetti“, wie unser früherer Kollege Wolfgang Wieland sie nannte, gestartet: Meterweise wurden Akten geschreddert und somit Belege vernichtet, die bei der Aufklärung des NSU-Komplexes wichtig sein könnten. Auch dafür müssen die Verantwortlichen schwerwiegende Gründe gesehen haben, die nichts Gutes verheißen. Wir haben sie im ersten Untersuchungsausschuss nicht zu Ende erhellen können. Aber wir wissen aus den Antworten, auch auf unsere parlamentarischen Anfragen, dass einige dieser Akten inzwischen wieder rekonstruiert oder in ihren Bestandteilen anderswo aufgefunden worden sein sollen. Auch diesen wird sich der neue Untersuchungsausschuss zuwenden. Wir wollen im zweiten Untersuchungsausschuss daher nicht nur erhellen, was vor dem 4. November 2011 geschah, sondern auch, was seither geschehen ist. Schließlich gibt es einen aktuellen Bezug: Anfang der 1990er-Jahre gab es regelrechte Pogrome gegen Migranten und Flüchtlinge, in Ost und West, in Nord und Süd. Die wenigsten Täter wurden dafür belangt. Die meisten fühlten sich sogar ermutigt, zum Beispiel dadurch, dass das von ihnen verhasste Asylrecht damals politisch gekappt wurde. In dieser Zeit wurde das NSU-Kerntrio rechtsextrem sozialisiert und gewalttätig radikalisiert. Ich finde, aktuelle Vergleiche lassen einen erschrecken. Längst könnten erneut Rechtsterroristen unterwegs sein. Umso mehr müssen wir den NSU-Komplex vollständig aufklären. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kollegin Dr. Eva Högl das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Dr. Eva Högl (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gibt Verbrechen, es gibt Anschläge, es gibt Terrorakte, die bleiben uns allen für immer in Erinnerung und die prägen unsere Gesellschaft. Das waren der Terror der RAF – Bilder davon sehen wir jetzt anlässlich des traurigen Todes von Helmut Schmidt wieder im Fernsehen –, der Anschlag auf das Münchner Oktoberfest, der 11. September 2001, und die Morde und Sprengstoffanschläge des NSU gehören ebenfalls in diese Aufzählung. Das sind Verbrechen, das sind Terrorakte, die wir nicht vergessen werden und die uns weiter beschäftigen werden. Ich sage hier noch einmal deutlich: Diese Morde und diese Sprengstoffanschläge waren Anschläge auf uns alle, auf unsere Demokratie, auf unser friedliches Zusammenleben, auf unsere tolerante Gesellschaft. Wir alle miteinander, wir waren gemeint mit diesen Anschlägen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das Zweite ist: Diese Sprengstoffanschläge, diese viele Jahre nicht aufgeklärte Mordserie des NSU waren eine Zäsur für die Sicherheitsbehörden, eine ganz grausame Zäsur; denn sie legten offen, dass wir es mit einem systematischen, flächendeckenden Versagen der Sicherheitsbehörden zu tun hatten, und zwar im Bund und in den Bundesländern, bei Polizei, bei Verfassungsschutz, bei der Justiz. Das war keine leichte Erkenntnis und ist es bis heute nicht. Aber das war die Erkenntnis des ersten Untersuchungsausschusses: dass es eben keine Ansammlung von Pleiten, Pech und Pannen, von Dusseligkeiten und Schusseligkeiten war, sondern dass es tatsächlich ein flächendeckendes Versagen war, dass die Mordserie elf Jahre lang nicht in Zusammenhang gebracht wurde mit dem untergetauchten rechtsextremen Terrortrio NSU. Ich will noch einmal daran erinnern, was unsere zwei wesentlichen Erkenntnisse im NSU-Untersuchungsausschuss waren: Der Rechtsextremismus wurde jahrelang – man kann sogar sagen, jahrzehntelang – systematisch verharmlost, verniedlicht, vernachlässigt und nicht als Gefahr für unsere Gesellschaft gesehen. Bei den Ermittlungen der Morde und Sprengstoffanschläge wurden an keiner Stelle, an keinem einzigen Tatort die möglichen Motive Rassismus und Rechtsextremismus auch nur ansatzweise so gründlich in den Blick genommen, wie es notwendig gewesen wäre. – Das sind die beiden wesentlichen Erkenntnisse. Deswegen ist es für uns anlässlich des NSU so wichtig, auf der einen Seite weiter aufzuklären und auf der anderen Seite auch Reformen anzugehen. Wir, die ehemaligen Obleute und andere interessierte Kolleginnen und Kollegen, haben uns jetzt – das ist schon gesagt worden – zwei Jahre ganz intensiv weiter mit dem Thema beschäftigt und uns die Entscheidung bezüglich der Frage, ob wir noch einmal einen NSU-Untersuchungsausschuss einsetzen, wahrlich nicht leicht gemacht. Wir haben sehr sorgfältig überlegt und erst einmal die anderen Möglichkeiten genutzt, die wir hier im Parlament so haben – das ist schon gesagt worden –: als Berichterstatterin und Berichterstatter, mit Kleinen und Großen Anfragen sowie mit Einzelfragen und intensiven Debatten im Innenausschuss. Aber wir haben festgestellt, dass wir die Fragen, die wir alle noch haben, eben nicht beantwortet bekommen, dass wir in dem Rahmen, den wir hier zur Verfügung haben, nicht weiter aufklären können und deshalb einen NSU-Untersuchungsausschuss Teil 2 brauchen. Ich will ganz ausdrücklich sagen: Wir rollen nicht auf, was wir bereits untersucht haben. Darüber haben wir uns bereits ausgetauscht; darauf haben wir uns verständigt. Wir knüpfen an den ersten Untersuchungsausschuss an und setzen ihn fort. Ich will drei Punkte nennen, die uns dabei besonders wichtig sind. Es ist schon gesagt worden – gut ist, dass das von allen gesagt wird –, dass es jetzt um die Netzwerke, die Unterstützer und die Zusammenhänge geht. Dafür hatten wir damals nicht genügend Zeit. Jetzt haben wir auch viel mehr Erkenntnisse. Zudem werden wir auf die aktuelle Situation Bezug nehmen – darauf haben Sie hingewiesen; das ist auch mir besonders wichtig –, die uns alarmieren muss. Wir müssen wissen, wer über das Trio hinaus den NSU unterstützt hat und wie die Zusammenhänge sind. Wir haben Fragen rund um die einzelnen Tatorte, nicht zuletzt auch, was den Tatort beim Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn angeht. Aber auch, was die anderen Tatorte anbelangt, haben wir weiterhin Fragen. Außerdem wollen wir in diesem zweiten Untersuchungsausschuss noch genauer beleuchten, welche Rolle die VLeute gespielt haben, welche Verantwortung auch der Verfassungsschutz hatte, wer wo was gewusst hat. Wir sind der Auffassung, dass wir da noch längst nicht am Ende unserer Erkenntnisse bzw. der Aufklärung sind. Ich will noch einen vierten Punkt benennen, der mir auch sehr wichtig ist. Die Selbstenttarnung des NSU ist jetzt vier Jahre her. Ich habe über notwendige Reformen gesprochen, die in Teilen – mehr oder weniger zur Zufriedenheit der einen oder der anderen – auch angegangen worden sind. Aber ich glaube nicht, dass bei der Arbeit von Polizei, Verfassungsschutz und Justiz schon so viel verändert wurde, dass wir zufrieden sein können. Vielleicht werden wir nie zufrieden sein; aber ich bin es im Moment überhaupt nicht, weil ich glaube, dass der Ruck, den der NSU in den Sicherheitsbehörden ausgelöst hat, noch nicht die ausreichenden Konsequenzen hatte dergestalt, dass schon an allen Ecken und Enden anders gearbeitet wird. Ich glaube deshalb, dass wir auch weiterhin an den Reformen arbeiten müssen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir haben wenig Zeit. Wir sputen uns. Wir schauen uns an, woran in den Bundesländern gearbeitet wird, und wir werden uns anschauen, was beim Oberlandesgericht München herauskommen wird. Wir werden die Zeit – die anderthalb Jahre – nutzen. Ich bedanke mich für die Unterstützung. Wir gehen engagiert an die Arbeit. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Irene Mihalic. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Pau hat vorhin darauf hingewiesen: Heute vor genau vier Jahren fand im Bundesamt für Verfassungsschutz die sogenannte Aktion Konfetti statt, also die massenhafte Vernichtung von Akten über VLeute aus dem näheren Umfeld des NSU-Trios. Diese Schredderaktion steht seitdem als Sinnbild für die – ich will es einmal so sagen – zweifelhafte Rolle des Verfassungsschutzes im Zusammenhang mit der gesamten Entwicklung des Rechtsterrorismus in den letzten Jahrzehnten. In der Aufarbeitung dieser Rolle liegt für uns Grüne auch ein wesentlicher Schlüssel zur Aufklärung im NSU-Komplex. Leider aber haben wir in den letzten Jahren feststellen müssen, dass das Bundesamt bei der Aufarbeitung keine große Hilfe war. Der Kollege Binninger hat in seiner Rede darauf hingewiesen, was wir im Innenausschuss alles aufzuklären versucht haben, wo wir regelmäßig vor eine Wand gelaufen sind. Es wurde viel unter dem Deckel gehalten. Es wurde verschleiert. Da ist es meiner Ansicht nach blanker Hohn, wenn Herr Maaßen immer wieder erklärt, sein Amt habe keine Fehler gemacht und sogar verlorengegangenes Vertrauen wiederhergestellt. Da fragen wir uns doch: Wodurch denn bitte? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Weil alle, die gesamte Gesellschaft – für den Hinweis bin ich dankbar –, Verantwortung für das Nichterkennen des NSU tragen, gerade deshalb darf sich niemand aus dieser Verantwortung stehlen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD und der Abg. Petra Pau [DIE LINKE]) Natürlich ist der Verfassungsschutz eine Behörde, die im Geheimen operieren muss. Aber es kann ja nicht sein, dass sich die Arbeit des Verfassungsschutzes jeglicher Nachvollziehbarkeit entzieht; denn die Gesellschaft hat ein Recht darauf, die Arbeit des Verfassungsschutzes auf Faktengrundlage zu bewerten, und darum wird es auch in diesem Untersuchungsausschuss gehen. Wir bestehen darauf, zu wissen, welchen Nutzen die Gesellschaft durch den massiven V-Leute-Einsatz in der rechtsextremen Szene hatte. Wir bestehen darauf, zu erfahren, welchen Erkenntnisgewinn der Einsatz staatlich geförderter Neonazis tatsächlich gebracht hat. Wir bestehen darauf, zu erfahren, ob wir der rechtsextremen Szene durch den V-Leute-Einsatz nicht am Ende sogar noch Strukturhilfe gegeben haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Beantwortung dieser Fragen ist kein reiner Akt der Vergangenheitsbewältigung, sondern hochaktuell; Frau Högl, Frau Pau, auch Sie haben darauf hingewiesen. Wir erleben heute, wie Flüchtlinge und Unterkünfte sowie engagierte Bürgerinnen und Bürger brutal angegriffen werden. Wenn es immer heißt, dass es nie wieder so schlimm werden darf wie Anfang der 1990er-Jahre, dann sage ich: Wir sind mit über 600 Angriffen in diesem Jahr schon weit darüber hinaus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Damals, in den 90er-Jahren, begann sich der NSU zu formieren. Heute sind wir schon wieder schlecht vorbereitet auf rechtsextreme Anschläge. Heute sind wir schon wieder nicht in der Lage, die Hintergründe genügend auszuleuchten. Schon wieder laufen wir Gefahr, zu übersehen, dass sich hier rechtsterroristische Netzwerke etablieren. Wenn es heißt, dass nur 34 Prozent der Tatverdächtigen bekannte Rechtsextremisten sind, und den anderen 66 Prozent wenig Bedeutung beigemessen wird, dann mache ich persönlich mir sehr große Sorgen mit Blick auf die Analysefähigkeit unserer Sicherheitsbehörden. Wenn in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern ganze Banden von Nazis losziehen und Flüchtlinge zusammenschlagen, dann muss es doch Planungen im Vorfeld gegeben haben. Die haben sich doch nicht zufällig auf der Straße getroffen. Das Problem ist: Wir wissen davon nichts, und das zeigt, dass der Verfassungsschutz nicht darauf eingestellt ist, die heute viel fluideren Organisationsmuster in der rechtsextremen Szene ausreichend zu erkennen. Diese Dinge müssen wir im Untersuchungsausschuss gründlich aufarbeiten, um sie nachhaltig abstellen zu können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Clemens Binninger [CDU/CSU]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Januar dieses Jahres waren wir alle tief betroffen von den schrecklichen Terroranschlägen in Paris. Wir waren uns sofort einig, dass diese Anschläge auch ein Angriff auf unsere freiheitlichen und demokratischen Grundwerte waren. Das haben in spontanen Kundgebungen Millionen von Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft mit dem berühmt gewordenen Spruch „Je suis Charlie“ zum Ausdruck gebracht. Dies sollte klarmachen: Wenn ihr im Sinne eurer todbringenden Ideologie auch nur Einzelne von uns angreift, dann greift ihr uns alle als Gesellschaft an. Genau diese Grundhaltung bewegt uns heute, wenn wir in fraktionsübergreifender Einigkeit erneut einen Untersuchungsausschuss zum NSU-Terror einsetzen. Wir sagen damit als Parlament ganz klar: Auch wenn überwiegend Menschen mit Migrationshintergrund unter den Opfern waren – die Taten der Rechtsterroristen sind im Kern auch ein Angriff auf uns als gesamte Gesellschaft, und wir werden parlamentarisch alle Möglichkeiten der Aufklärung nutzen, um dem Terror von rechts entschlossen entgegenzutreten. Herzlichen Dank. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächstes hat der Kollege Armin Schuster, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich war Mitglied des Untersuchungsausschusses in seiner ersten Auflage. Ich bin zurzeit noch Mitglied im zweiten Untersuchungsausschuss dieser Periode, zu Edathy. Wenn ich das vergleiche, muss ich sagen: Der Untersuchungsausschuss, der gerade läuft, ist für mich reine Pflichterfüllung. Der, der vor uns steht, ist mir – das sage ich mit der Erfahrung aus der ersten Auflage – eine Herzensangelegenheit. Ich bin Innenpolitiker mit Leib und Seele. Aufzuklären, was den NSU-Terror ausmacht, das muss uns sehr wichtig sein – warum? –, weil Rechtsterror heute vielleicht wieder das Thema sein könnte. Ich habe schon im ersten Untersuchungsausschuss dazu immer wieder die Strukturen hinterfragt und damit manchen Kollegen, vor allem aber die Medien gelangweilt: Stimmt die Sicherheitsarchitektur in Deutschland? Sind wir da fit genug? – Jetzt kommt ein dritter Aspekt hinzu: Ich finde es unglaublich interessant, in diesem Untersuchungsausschuss auch evaluieren zu können, wie die Maßnahmen zur Umsetzung unserer Empfehlungen wirken. Das ist zwar nicht der Untersuchungsauftrag, aber wir werden nicht umhinkommen, das immer wieder zu beleuchten. Für mich ist das insgesamt ein ganz wichtiger Ausschuss, und ich musste nicht lange überlegen, mitzumachen. An die Kollegin Mihalic adressiert, möchte ich sagen: Die Dramaturgie zwischen Opposition und Regierung war leider schon am Anfang weg. Was wir zu meinem Leidwesen nicht geschafft haben, war, dem Antrag von Herrn Ströbele und Herrn Wieland nachzukommen – der Kollege Ströbele ist zum Glück noch da, Herr Wieland nicht mehr –, die Sitzungen deutlich vor Mitternacht zu beenden. (Heiterkeit bei der LINKEN) Wenn Sie den Ströbele-Antrag wieder formulieren, bin ich diesmal auf Ihrer Seite. Auch das werden wir hinbekommen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) An die neuen Mitglieder: Bitte nicht erschrecken! Aber so war es. Warum brauchen wir eigentlich eine zweite Auflage? Weil es nicht nur ein Trio war, sondern mehr Täter, weil wir den Kopf des Trios gar nicht kennen – die perfide Genialität dieser Verbrechensserien passt nicht zu den Psychogrammen der drei Täter, die wir kennen; immerhin haben sie den Föderalismus an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit und darüber hinaus gebracht –, weil der Selbstmord in Eisenach kein verabredeter Mord war, weil die Wohnung in der Frühlingsstraße gar nicht so in die Luft geflogen ist, wie wir es bisher glaubten, weil das Unterstützernetzwerk größer war, weil die V-Leute-Szene das doch wusste und weil Kiesewetter von mehr als zwei Tätern umgebracht wurde. – Sie wundern sich jetzt. Ich kann das auch nicht beweisen, aber wir alle auch nicht das Gegenteil. (Dr. Eva Högl [SPD]: Genau!) Solange diese Fragezeichen bestehen, dürfen wir nicht der gleichen Gefahr unterliegen wie damals die Sicherheitsbehörden, die lange an einer Hypothese festgehalten haben; Sie erinnern sich: die Organisationstheorie. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht denselben Fehler machen. Deswegen: Solange diese Fragen gestellt werden können, ohne dass irgendeiner der Fachleute mir jetzt widerspricht, ist dieser Ausschuss erforderlich. (Beifall im ganzen Hause) Wir sind nicht die besseren Ermittler; das will ich ausdrücklich sagen, vor allem, weil viele Polizisten dabei sein werden. Aber ich glaube, dass die Bundesrepublik Deutschland in allen Ländern und im Bund die Lessons Learnt dieser Terrorserie für ihre Sicherheitsarchitektur noch lange nicht abgeschlossen hat. Da steckt noch eine Menge drin. Worum geht es mir nicht, Frau Mihalic? Es geht mir nicht darum, das x-te Behördenversagen ohne einen weiteren Erkenntniswert zu zelebrieren. (Beifall der Abg. Dr. Eva Högl [SPD] und Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es geht mir nicht darum, speziell eine Behörde unter Dauerbeschuss zu nehmen. Es geht mir um Balance. Jetzt zitiere ich mich selber aus dem September 2013 (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Immer gut!) – immer gut –: Es war nicht ein Versagen der Sicherheitsbehörden, es war ein kompletter Systemausfall. (Beifall im ganzen Hause) Wer mich dazu zwingt, den werde ich auch nötigen, dass wir dann über das Versagen der deutschen Parlamente genauso hart urteilen. Wir sprechen über Wasserhähne des BND, aber haben nie über diese Mordserie gesprochen. Wer mich dazu zwingt, den nötige ich auch, über alle Regierungschefs zu sprechen – es waren alle beteiligt –, die es nicht geschafft haben, das zur Chefsache zu machen. – Lassen Sie es uns so machen wie beim letzten Mal. Balance bedeutet: Es war ein kompletter Systemausfall. Schießen Sie also bitte nicht einen einzigen Bereich sturmreif, weil es vielleicht medial gut ankommt. Das ist mein Wunsch. Der Bund hat mit dem ersten Untersuchungsausschuss sehr schnell reagiert. Er war Trendsetter für viele Länder. Manche mussten nahezu genötigt werden; denken wir zum Beispiel an Baden-Württemberg. Es gab viele Informationen aus den Landtagsausschüssen und viele Informationen aus den Medien. Ich finde die Terminfindung – Bernhard Kaster, du warst dabei –, dass wir den Untersuchungsausschuss heute einsetzen, fast genial. Dieser Untersuchungsausschuss wird wieder einen Trend setzen, weil wir die Chance haben, all diese Informationen jetzt im Netzwerk zu verbinden und vielleicht zu einem Abschluss zu kommen. Dann wäre der Bund stark gestartet und wird auch stark enden. Das ist ein starkes Zeichen in der richtigen Zeit. Danke schön. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächstes hat der Kollege Uli Grötsch, SPD-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Uli Grötsch (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Waren es wirklich nur Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt, die jahrelang vermeintlich unbemerkt von den Behörden mordend durch Deutschland gezogen sind, oder hatten sie überall Helfer? Wurden die Opfer doch nicht zufällig ausgewählt? Gibt es vielleicht ein größeres Neonazi-Netzwerk, das das Trio unterstützt hat und vielleicht immer noch dessen Ideologie verbreitet? Gibt es Verbindungen zur organisierten Kriminalität? Haben die Behörden – so, wie es scheint – Hinweise übersehen? – Ich für mich persönlich würde diese und andere Fragen wohl mit „Ja, so scheint es; aber wir müssen es beweisen“ beantworten. Diese und viele weitere Umstände sind auch vier Jahre nach der Selbstenttarnung des Nationalsozialistischen Untergrundes ungeklärt. Das ist ein Zustand, den wir so nicht hinnehmen werden. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir, wie auch schon meine Kolleginnen und Kollegen im ersten NSU-Untersuchungsausschuss, alle an einem Strang ziehen werden. Das Thema ist zu wichtig für Parteibefindlichkeiten, und es eignet sich schon gar nicht für Grabenkämpfe oder persönliche Profilierung. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der erste NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages und die Untersuchungsausschüsse der Landtage haben schon vieles aufgeklärt und wichtige Arbeit geleistet. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle ausdrücklich bei allen Beteiligten bedanken. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen nun das leisten, was der erste NSU-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages schlichtweg nicht leisten konnte, zum Teil aus Zeitgründen, zum Teil auch deshalb, weil wir heute Erkenntnisse haben, die damals noch völlig unbekannt waren. Jetzt können wir auf die bisherigen Ergebnisse zurückgreifen und da ansetzen, wo noch Fragen offen sind. Diese offenen Fragen – möglichst alle – wollen wir abräumen. Anders als meine Vorgängerinnen und Vorgänger können wir heute in unserer Arbeit auch auf die Rechercheergebnisse von Journalisten, Vereinen, Organisationen und Stiftungen wie etwa der Amadeu-Antonio-Stiftung zurückgreifen, die sich in den letzten vier Jahren intensiv mit dem NSU beschäftigt haben. Wir müssen nicht bei null anfangen. Ich glaube, das wird ein großer Vorteil sein. Mir ist auch wichtig, dass wir im Untersuchungsausschuss nicht nur die Fragen aufarbeiten, die sich uns Abgeordneten stellen. Ich möchte auch den Fragen nachgehen, die sich etwa den Opferanwälten oder den Medienvertretern stellen. Ohnehin spielen die Medien in diesem Komplex eine besondere Rolle. Vieles ist erst durch ihre Recherche überhaupt ans Tageslicht gekommen. Von einer medialen „Hexenjagd“, wie ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes in Baden-Württemberg die Arbeit der Presse vor dem dortigen Untersuchungsausschuss bezeichnet hat, kann meiner Meinung nach überhaupt keine Rede sein. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Aber da zeigt sich wieder: Von einer Fehlerkultur sind wir in manchen Behörden noch weit entfernt. Wir werden uns nicht schon frühzeitig auf die eine oder andere Theorie festlegen; das hat schon mein Vorredner unterstrichen. Für die Behörden stand damals von Anfang an fest: Die Täter müssen aus dem familiären Umkreis kommen. Von „Döner-Morden“ und der „Mordserie Bosporus“ war die Rede. Mit diesen Beschuldigungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wurden die Angehörigen zum zweiten Mal Opfer. Dass die Täter aus der rechten Szene kommen und Rassismus das Tatmotiv sein könnte, wurde damals bei den Ermittlungen nicht in Erwägung gezogen. Es konnte nicht sein, was nicht sein durfte. Heute wissen wir es besser. Dass das Trio mit rechtsextremen Gruppierungen wie etwa Blood & Honour, Combat 18 oder der Oidoxie Streetfighting Crew vernetzt war, scheint uns heute ziemlich eindeutig zu sein. Schon im ersten NSU-Untersuchungsausschuss wurde klar, dass das Netzwerk größer war, als die Ermittlungsbehörden zunächst glaubten und zum Teil wohl heute noch glauben. Ich frage mich, ob der NSU vielleicht sogar ein noch größeres, straffer organisiertes und umfassenderes Monstrum war, als wir es uns zum heutigen Zeitpunkt vorstellen können. Das alles, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen wir klären – mit allen Mitgliedern, auf Augenhöhe und fraktionsübergreifend –, weil wir es den Opfern schuldig sind. Abdulkerim Simsek, der Sohn des ersten NSU-Opfers Enver Simsek, brachte es auf den Punkt, als er sagte: Ich möchte meinen Kindern erzählen können, was mit ihrem Opa passiert ist. Ich würde dafür sorgen, dass sie trotz allem ohne Hass aufwachsen. Aber ich möchte ihnen die Wahrheit erzählen können – die ganze. Vielen Dank. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor gut vier Jahren ist die Terrorzelle des NSU enttarnt worden. Diese Enttarnung hat zu einem Schock und zu Sprachlosigkeit geführt, weil sie uns aufgezeigt hat, wie verwundbar unsere Werte und unsere Freiheit sein können. Zahlreiche offene Fragen haben sich uns gestellt. Der 17. Deutsche Bundestag hat einen Untersuchungsausschuss eingesetzt, um Fragen einer Beantwortung zuzuführen und Erkenntnisse umzusetzen. Die ersten Erkenntnisse sind bereits umgesetzt worden. Wir haben beispielsweise die Befugnisse des Generalbundesanwalts gestärkt, um rechtsterroristische und rechtsextreme Straftaten besser verfolgen zu können. Diese Arbeit trägt erste Früchte. Man sieht das beispielsweise bei dem uns alle sprachlos machenden Attentat auf Henriette Reker: Der Generalbundesanwalt konnte die Ermittlungen übernehmen. Nach der bis Juni dieses Jahres geltenden Rechtslage hätte er das nicht gekonnt. – Das zeigt, dass wir schon einiges umgesetzt haben. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Wir setzen heute einen weiteren Untersuchungsausschuss ein, nicht, weil eine parlamentarische Minderheit etwas untersuchen möchte, was die parlamentarische Mehrheit möglicherweise zu verantworten hat, auch nicht zum Zwecke der Untersuchung von Regierungshandeln, sondern wir setzen den Untersuchungsausschuss gemeinsam ein, getragen von einem gemeinsamen Interesse an der Aufklärung. Wir wollen aufklären, nicht um einer historisch richtigen Geschichtsschreibung willen, sondern weil wir das den Opfern und ihren Angehörigen schuldig sind. Aber wir müssen auch unseretwegen aufklären, weil wir verhindern müssen, dass ähnliche Straftaten in Zukunft wieder passieren können. Es sind viele Fragen offen – ich meine, zu viele Fragen –: Was ist im Umfeld des 25. April 2007 in Heilbronn passiert? Was ist am 4. November 2011 in Eisenach geschehen? Wie konnte dieses Trio – und war es denn überhaupt ein Trio – fast ein Jahrzehnt lang unentdeckt bleiben? Wir müssen uns auch fragen: Welche strukturellen und kriminellen Netzwerke liegen dieser Bande zugrunde? Gab es Verbindungen zur organisierten Kriminalität, zu Rockern, zu internationalen Netzwerken? Meine Damen und Herren, durch diese Aufklärungsarbeit können die Taten nicht ungeschehen gemacht werden; aber die Erkenntnisse sind wichtig, damit der wehrhafte Rechtsstaat daraus Lehren ziehen kann, damit er es besser machen kann. Damit können wir aktiv für unsere Werte, die uns wichtig sind, eintreten. Wir werden diese Erkenntnisse auch umsetzen müssen. Wir müssen uns fragen, ob wir die Erkenntnisse von V-Leuten und die Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden nicht weiter optimieren können. Wir müssen uns fragen, ob wir im Bereich der Bekämpfung des Extremismus und des Terrorismus die Verbindungen zwischen Bund und Ländern noch besser machen müssen. Und wir müssen uns auch fragen, welche Normen wir im Bereich der Gerichtsverfassung und der Strafprozessordnung optimieren müssen, um ein klares Signal dieses Rechtsstaats zu setzen. Ich will davor warnen, an diesen Ausschuss zu hohe Erwartungen zu knüpfen. Wir können nicht alle Fragen, die es in unserem Land gibt, abschließend beantworten. Aber wir können einen wichtigen, einen sehr wertvollen Beitrag dazu leisten, dass unser Rechtsstaat klar und deutlich kommuniziert: Die Würde des Menschen, die Freiheit der Person und die demokratisch legitimierte Auseinandersetzung ohne Gewalt und ohne Hass sind konstitutiv für unser Land. Wir werden daran arbeiten, dass das klare Signal ausgeht: Diese Werte stehen nicht zur Disposition. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Wir werden aufklären, weil wir uns den Werten des Grundgesetzes verpflichtet sehen. In diesem Sinne: Lassen Sie uns gemeinsam und von gemeinsamer Verantwortung getragen an die Arbeit gehen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Wir sind damit am Ende der Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Einsetzung des 3. Untersuchungsausschusses“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6601, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6330 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung einstimmig angenommen. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haltung der Bundesregierung zur Statusfrage syrischer Flüchtlinge und zur Einschränkung des Familiennachzuges Ich bitte Sie, Ihre Plätze einzunehmen. – Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Luise Amtsberg, Bündnis 90/Die Grünen Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Aktuelle Stunde heute ist notwendig, nicht nur, weil es hier um einen unerträglichen Vorstoß des Innenministers gegen syrische Schutzsuchende geht, sondern weil die Konzeptlosigkeit und die Kopflosigkeit dieser Bundesregierung in den vergangenen Tagen uns förmlich dazu zwingen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Seit Wochen werden wir Zeuge eines internen Machtkampfes innerhalb der Unionsfraktionen, aber auch innerhalb des Kabinetts. Ich sage ganz deutlich: Das Bild, das Sie hier bei einer der größten innen- und europapolitischen Herausforderung, der unser Land jemals gegenüberstand, abgeben, ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die mit Hass im Herzen und dem Galgen in der Hand auf unseren Straßen demonstrieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Mit einer Änderung des Status syrischer Flüchtlinge will der Innenminister die Möglichkeit beschränken, dass syrische Flüchtlinge ihre Familien auf sicherem Wege nach Deutschland bringen können. Was zunächst vermutlich ein sonderbarer Alleingang des Ministers war – er hat weder den Koalitionspartner noch die zuständige Behörde noch das zuständige Kanzleramt eingebunden –, erfährt mittlerweile eine breite Unterstützung aus den Reihen der CDU/CSU-Fraktion. Die CSU und auch Finanzminister Schäuble sprachen sich für diesen Vorschlag aus und fallen damit erneut der Kanzlerin in den Rücken. Aber ganz ehrlich, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Hat eigentlich einer von Ihnen diesen Vorschlag einmal zu Ende gedacht? Das Bundesamt hat die Marke von einer Viertelmillion Asylanträge im Stau längst überschritten. Mittlerweile sind es 330 000 Anträge in der Warteschleife; hinzu kommt eine nicht unerhebliche Zahl noch nicht erfasster Anträge. Und Sie fordern, nun das Schnellverfahren für syrische Flüchtlinge auszusetzen? Mit welchem Personal denn? Mit welchen Kapazitäten? Und vor allen Dingen: mit welchem Zeithorizont? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Chaos!) Ihnen muss doch klar sein, dass Sie die Lage damit weiter verschärfen. Dass das Innenministerium, wie wir heute im Ausschuss erneut erleben durften, keinen Plan hat, wie es auf europäischer Ebene Solidarität und Gemeinsamkeit herstellen kann, dass keine der europapolitischen Forderungen auch nur ansatzweise mit Konzepten unterlegt ist, ist schon traurig genug. Dass Sie aber mit der Einschränkung beim Familiennachzug die einzige legale Möglichkeit kappen wollen, die syrische Angehörige haben, ist bitter. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich darf daran erinnern, dass Sie, Herr Innenminister, auch Verfassungsminister sind. Schauen Sie sich bitte Artikel 6 des Grundgesetzes zum Schutz der Familie noch einmal an. Die Folge dieser Politik dürfte erfahrungsgemäß klar sein: Noch mehr Menschen werden auf unsichere Boote steigen und einen anderen, viel gefährlicheren Weg suchen, um zu ihren Angehörigen zu kommen. Für die Menschen, die bereits hier sind, wird das Leben zu einer unerträglichen Zitterpartie. Ich kann nur sagen: Ich kann das mit meinem Gewissen nicht vereinbaren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Noch einmal zum Technischen: Als wenn das nicht schon genug ist, gibt es einen weiteren Vorschlag des Ministers. Das Aussetzen der Dublin-Regelung für syrische Flüchtlinge, das Monate der Kapazitäten eines BAMF-Mitarbeiters frisst und am Ende meist nicht in eine Rückführung mündet, hat noch nicht einmal drei Monate überlebt, da ändert der Minister wieder seine Meinung. Wieder läuft er in die entgegengesetzte Richtung. Die Folge: ein noch größerer Antragstau. Das ist ein Trauerspiel, bei dem der Minister scheinbar vergisst, dass er als Dienstherr auch eine Verantwortung gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesamtes hat. Gerade die letzte Woche hat gezeigt: Sie haben keinen Plan, und – noch viel schlimmer – Sie haben keinen Kompass. Dieses und die Maßnahmen gegen syrische Bürgerkriegsflüchtlinge, Herr Innenminister, sind mit nichts anderem zu erklären als mit Panik, Getriebenheit, mit Angst und Überforderung. All das hat mit verantwortungsbewusstem Handeln nichts, aber auch wirklich gar nichts mehr zu tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Deshalb ist es auch verständlich, dass die Kanzlerin Ihnen den Hut für dieses Thema weggenommen hat; denn das Letzte, was Deutschland jetzt braucht, ist ein Innenminister, der kopflos, ängstlich und panisch ist. Frau Bundeskanzlerin – sie ist nicht hier, aber ich sage dies an ihre Adresse –, weil Sie es verpasst haben, diejenigen, die auf dem Tisch tanzen, zur Räson zu rufen, ist die Meinungshoheit jetzt bei den Hardlinern der Innenpolitik. Nicht Sie und Ihr Kanzleramtschef, sondern die Hardliner der Innenpolitik bestimmen jetzt die Flüchtlingspolitik. Das ist bitter, vor allen Dingen vor dem Hintergrund, dass Sie diese Frage als eine der wichtigsten nationalen Herausforderungen begriffen haben und dort jetzt nicht mehr den Zepter in der Hand haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es ist höchste Zeit, dass Sie an dieser Stelle für Klarheit sorgen. Ja, es ist richtig: Momentan gibt es etwas zu erkämpfen, nämlich die gesellschaftliche Mehrheit für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, für den Schutz von Flüchtlingen und für eine tolerante Gesellschaft. Das ist nicht leicht. Wir alle brauchen eine klare Haltung dazu. Die aber bleiben Sie schuldig – leider. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Bundesregierung erhält jetzt das Wort Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir alle in Deutschland sehen uns seit Monaten mit einer Zuwanderung konfrontiert und ihr ausgesetzt in einem Umfang wie nie zuvor. Jeden Tag kommen 6 000 bis 10 000 Menschen zu uns, manchmal auch mehr. Sie kommen aus unterschiedlichen Ländern, mit unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Bleibeperspektiven. Das Hauptherkunftsland ist mit Abstand Syrien mit knapp der Hälfte der Antragsteller. Allein im Oktober haben wir etwa 88 000 Schutzsuchende aus Syrien registriert. Die Zahl ist auch deshalb so massiv angestiegen, weil viele, die ursprünglich aus Syrien kommen, jetzt aus Gegenden wie etwa der Türkei, Jordanien oder dem Libanon kommen. Das ist eine Entwicklung, die uns in besonderer Weise besorgt. Darunter sind viele, die schon seit Monaten in der Türkei leben. Alle diese Menschen müssen aufgenommen, verteilt, untergebracht und versorgt werden. Ich bin mit vielem nicht einig, was Sie, Frau Amtsberg, gesagt haben, aber in einem sind wir uns einig und waren wir uns immer einig: Jeder, der zu uns kommt, unabhängig davon, ob er bleibt oder nicht, wie er sich benimmt oder was irgendwie los ist, hat einen Anspruch darauf, hier nicht beleidigt, beschimpft, bespuckt, von Gewalt bedroht oder sonst irgendwas zu werden. Das muss ein Konsens zwischen uns allen sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Integrationsleistung für die, die hierbleiben werden, wird hoch sein. Die Rückführung derer, die nicht bleiben dürfen, ist hart. Die Entscheidung darüber wollen wir beschleunigen. Zu all diesen Themen haben wir in einer Reihe wegweisender Entscheidungen in den letzten Wochen gute Maßnahmen beschlossen. Die Beschlüsse von Ende September mit den Ministerpräsidenten, das erste große Asylpaket, die finanziellen Hilfen für die Länder und Kommunen und die Beschlüsse der Koalition vom letzten Donnerstag, all das waren wichtige Schritte. Hinzu kommen die vielen europäischen und internationalen Aktivitäten, die ich jetzt hier heute aus Zeitgründen nicht erläutern kann und will. Das ist uns gelungen, weil alle, Bundesregierung, Bundestag, Bundesrat, die Länder und die Kommunen, zusammengearbeitet haben und kompromissbereit waren. Das muss auch in Zukunft so bleiben. Am vergangenen Donnerstag wurde mit dem Papier der Parteivorsitzenden eine Beschränkung des Familiennachzugs bei subsidiär Schutzberechtigten vereinbart. Das bedeutet, dass ein Familienangehöriger zunächst für zwei Jahre nicht zu der Person mit subsidiärem Schutzstatus in Deutschland nachreisen kann. Nach diesen zwei Jahren ist der Familiennachzug möglich, wenn zum Beispiel der Lebensunterhalt gesichert ist. Für primär Schutzbedürftige bleibt der Anspruch auf privilegierten Familiennachzug unverändert erhalten; das sind die Menschen, die Schutz nach Artikel 16 a des Grundgesetzes oder nach der Genfer Flüchtlingskonvention erhalten. Eine andere Frage ist, wie wir den Schutzstatus eines Antragstellers feststellen; darum geht es ja in dieser Debatte. Als vor gut einem Jahr die Asylbewerberzahlen deutlichen anstiegen, war uns natürlich wichtig, die Asylverfahren zu beschleunigen. Für Antragsteller aus Syrien wurde das erreicht, indem wir als Innenministerium Anfang November 2014 auf die Anhörung im Asylverfahren verzichtet und damit auf ein schriftliches Verfahren umgestellt haben. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig so!) Vorher hatten wir dies in der Innenministerkonferenz zwischen Bund und Ländern besprochen. Im beschleunigten Verfahren mussten syrische Antragsteller keine persönlichen Anhörungen mehr durchlaufen, sofern kein Sicherheitsrisiko bestand. Sie konnten ihre Fluchtgründe schriftlich erklären. Im Ergebnis erhielten sie dann regelmäßig den Flüchtlingsstatus im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Das geschah unabhängig davon, ob der konkrete syrische Antragsteller tatsächlich einer individuellen Verfolgung ausgesetzt oder aber vor dem Bürgerkrieg geflohen war, der jeden gleichermaßen bedroht. Der Anspruch auf Familiennachzug war privilegiert. Auf die Sicherung des Lebensunterhaltes kam es beim Familiennachzug nicht an. Diese Verfahrensentscheidung vom November 2014 war damals richtig. Sie war richtig, weil in 77 Prozent der 2014 getroffenen Entscheidungen ohnehin ein Asyl oder Flüchtlingsschutz gewährt worden war. Nur 12 Prozent der syrischen Asylbewerber hatten diesen subsidiären Schutz erhalten. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Lage hat sich seitdem verändert. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Zahl insbesondere der Syrer ist in einem Maße gestiegen, das im Oktober/November 2014 keiner hat vorhersehen können. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Zustände sind deutlich schlimmer geworden in Syrien!) Das schriftliche Verfahren für Antragsteller aus Syrien hat sich als zu grobmaschig und auch unter dem Gesichtspunkt der Identifizierung und der öffentlichen Sicherheit in Deutschland als lückenhaft erwiesen. Oft beruht die Erfassung der Staatsangehörigkeiten nur auf Angaben der Asylsuchenden selbst, insbesondere dann, wenn keine Identitätsdokumente vorgelegt worden sind. Wir wissen aber, dass viele behaupten, Syrer zu sein, obwohl sie keine Syrer sind. Manche kommen auch mit gefälschten Papieren. Ohne persönliche Anhörungen lassen sich die Angaben über die tatsächliche Herkunft aber nur schwer beurteilen. (Beifall bei der CDU/CSU) All das besorgt uns. Deshalb müssen wir jetzt reagieren. Die Lage zwingt uns zu Anpassungen. Deshalb haben wir im Innenministerium – wie damals in die eine Richtung, jetzt in die andere Richtung – eine Entscheidung getroffen, nämlich für eine Rückkehr zur Einzelfallprüfung, für eine Rückkehr zum regulären Verfahren, das eine mündliche Anhörung wie im Asylgesetz vorsieht. Diejenigen, die individuell verfolgt sind, die etwa aus politischer Überzeugung das Assad-Regime ablehnen, werden weiterhin Flüchtlingsschutz erhalten. Auch ohne Nachweis der Lebensunterhaltssicherung können diese Flüchtlinge ihre Kernfamilien nachholen, obwohl wir ihnen sagen müssen, dass diese Verfahren sehr, sehr lange dauern werden. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja, eben! – Heute schon! – Ist das Humanität?) Dass aber für alle, die sagen, sie kommen aus Syrien, der Familiennachzug möglich ist, ohne dass für eine ausreichende Sicherung des Lebensunterhalts gesorgt wäre, halte ich angesichts der großen Zahl der Syrer, die zu uns kommen, nicht mehr für tragbar. (Beifall bei der CDU/CSU) Einen Nachzug in die Arbeitslosigkeit und damit in die Perspektivlosigkeit sollte es nicht geben. Das ist wichtig, um unsere Kommunen zu entlasten. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Wen vertreten Sie da eigentlich?) Das ist wichtig, um unsere Gesellschaft nicht zu überfordern. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Ist das Ihre Haltung oder wessen?) – Die Gestaltung von Verwaltungsverfahren ist eine Ressortentscheidung des zuständigen Ministers. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Machen Sie hier auf Kanzler?) Nun habe ich zur Kenntnis genommen, dass die Koalition, die SPD dazu Gesprächsbedarf hat. (Lachen bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört! Ihr habt ja ein tolles Klima in der Koalition!) – Das ist okay; das ist so. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind hier der Minister für Chaos! Am Donnerstag haben Sie sich mit den Parteichefs geeinigt, und was ist am nächsten Tag?) Deswegen habe ich die Entscheidung sozusagen nicht vollzogen, (Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer regiert eigentlich gerade Deutschland?) und deswegen werden wir auch darüber reden – zunächst im Kreise der Innenministerkonferenz. Niemand weiß, wie viele Menschen in Syrien und seinen Anrainerstaaten darauf warten, ihre Ansprüche auf Familiennachzug geltend zu machen. Klar ist: Wir können unsere hohen Flüchtlingszahlen nicht durch Familiennachzug verdoppeln oder gar verdreifachen. Das ist der Kern des Themas. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Haben Sie mal geschaut, was im Grundgesetz steht bei Familien? Ich denke, ihr seid die Familienpartei!) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Wort zu Dublin sagen; Frau Kollegin Amtsberg ist auch darauf eingegangen. Hier besteht überhaupt kein Grund zur Aufregung. Deutschland wendet das Dublin-Verfahren für alle Herkunftsländer und alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union außer Griechenland an. Das galt und gilt auch für syrische Staatsangehörige. Deutschland hat das Dublin-Verfahren zu keinem Zeitpunkt rechtlich ausgesetzt. Das sehen die Regelungen der Dublin-Verordnung übrigens auch gar nicht vor. Aufgrund des starken Zustroms hat das Bundesamt für Migration seit Ende August lediglich von seinem Selbsteintrittsrecht nach Artikel 17 der Verordnung gegenüber syrischen Staatsangehörigen umfangreich Gebrauch gemacht. Das haben wir seit dem 21. Oktober 2015 – das war wieder eine Ressortentscheidung – geändert. Dass die Sache gestern mitgeteilt wurde, liegt schlicht und einfach nur daran, dass es eine Medienanfrage gab, wie übrigens eine Woche vorher auch, und sie ist auch schon beantwortet worden. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So informieren Sie!) Wir verfolgen damit das Ziel, wieder zu geordneten Verfahren bei der Einreise und bei Asylverfahren zurückzukehren. Zu einem geordneten Verfahren gehört auch das Dublin-Verfahren, und zwar mit der Feststellung des zuständigen Mitgliedstaates, der Prüfung aller Aspekte für einen möglichen Selbsteintritt Deutschlands in das Asylverfahren und, wenn die Voraussetzungen vorliegen, der Rücküberstellung in den zuständigen Mitgliedstaat. Das kann auch in der Koalition nicht besonders umstritten sein – Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Minister, denken Sie bitte an die Redezeit. Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern: – letzter Satz –, denn in einem Papier des Koalitionsausschusses vom 6. September 2015, das wir formuliert haben – ich war selber dabei –, heißt es nämlich: Deutschland steht zu seinen humanitären und europäischen Verpflichtungen und erwartet dies ebenso von seinen Partnern. Dazu gehören die Einhaltung der Dublin-III-Verordnung und die Bereitschaft zu gesamteuropäischer Solidarität bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Die am Wochenende getroffene Aufnahmeentscheidung von Deutschland und Österreich soll eine Ausnahme bleiben. Wer von anderen die Einhaltung des europäischen Rechts verlangt, muss es auch selbst einhalten. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, machen wir ja auch!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulla Jelpke, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ulla Jelpke (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister, Sie haben mit Ihrer Rede gerade erneut Ihre Kürzungspolitik betont und wieder insgesamt asylfeindliche Vorschläge gemacht. Man kann sich das Asylrecht nicht einfach hinbiegen, nur weil mehr Menschen zu uns kommen. Sie stellen sich damit auch in einen totalen Widerspruch zur Kanzlerin, die zu Recht gesagt hat: „Das Grundrecht auf Asyl ... kennt keine Obergrenze ...“ Dabei müssen wir auch bleiben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nachdem ich Sie hier so höre, muss ich wirklich sagen: Ihre Feindseligkeit gegenüber Flüchtlingen, die Sie hier zum Ausdruck gebracht haben, (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) ist Öl aufs Feuer von Pegida, AfD und anderen Rassisten. Wir müssen hier das Grundrecht auf Asyl verteidigen und uns für die Menschen einsetzen, die wirklich in Not sind (Barbara Woltmann [CDU/CSU]: Die wirklich in Not sind, genau!) und die vor allen Dingen Schutz suchen, und dafür müssen wir auch die Gesetze einhalten. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das Recht auf Familienzusammenführung ist ein elementares, international geschütztes Rechtsgut, und auch im Grundgesetz – das ist hier schon erwähnt worden – ist der Schutz von Ehe und Familie verankert. Es ist wirklich eigenartig, dass vor allem die C-Parteien, die die Ehe, die Familie, die Menschenrechte, die Kinderrechte usw. immer ganz oben anhängen, jetzt, da es darauf ankommt, der Meinung sind, dass dies offenbar nur noch für Deutsche und nicht für Migranten gilt. Wo kommen wir denn da hin? Das geht jedenfalls gar nicht. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, was bedeuten diese Pläne, die der Minister hier vorgeschlagen hat, eigentlich ganz konkret? Der einzige legale Weg für viele Flüchtlinge, den es überhaupt aus Syrien gibt, ist der des Familiennachzuges. Schon in der Vergangenheit sind diese Rechte unterhöhlt worden; denn schon heute warten die Familien, ob in der Türkei, im Libanon oder in Jordanien, weit über ein Jahr darauf, bei den Botschaften einen Visumstermin zu bekommen. Wenn das so weitergeht und wenn Sie das, was Sie hier angekündigt haben, umsetzen, dann werden sich vor allem Frauen und Kinder auf den Weg in die wackligen Boote, in die Schlauchboote, Richtung Europa machen. Damit nimmt man im Grunde genommen in Kauf, dass das fortgesetzt wird, was wir auch heute Morgen wieder gehört haben, nämlich 14 Tote vor Lesbos, davon vier Kinder. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sieben!) Das darf so nicht weitergehen. Es muss endlich etwas passieren. Hier muss eine vernünftige Flüchtlingspolitik stattfinden. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Man muss aber auch die Frage stellen, ob Sie eigentlich darauf spekulieren, dass die Väter „freiwillig“ ins Kriegsgebiet zurückkehren. Dann wäre nämlich die ganze Familie der Willkür der verschiedenen Kriegsparteien in Syrien ausgeliefert. Das sind wirklich albtraumhafte Visionen, mit denen eine verantwortungsvolle Flüchtlingspolitik überhaupt nicht mehr vereinbar ist. (Beifall bei der LINKEN) Wir haben gestern erfahren – das ist bereits angesprochen worden –, dass das Dublin-Verfahren für syrische Flüchtlinge wieder angewendet werden soll. Das bedeutet in Hunderttausenden von Fällen, dass vorrangig der Fluchtweg und nicht mehr die Fluchtgründe geprüft werden. Das führt zum genauen Gegenteil von schnell durchgeführten Asylverfahren. Was hat sich denn eigentlich in den letzten Monaten geändert? Sie argumentieren hier nur noch mit Zahlen und nicht mehr mit den Rechten, die wir hier einmal festgeschrieben haben und die diese Flüchtlinge haben. Das ist wirklich ein Skandal! (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Ihre Familienministerin hat gestern zu Recht gefordert, dass wir in der Asyldebatte nicht jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf treiben sollen. (Dr. Eva Högl [SPD]: Recht hat sie!) Das Problem ist aber, dass auch Sie in den vergangenen Monaten eine Verschlechterung nach der anderen für die Flüchtlinge mitbeschlossen haben. Darüber hinaus haben auch Sie – darauf hat der Minister zu Recht hingewiesen – den Regelungen zu den subsidiär Schutzberechtigten im Koalitionsbeschluss ausdrücklich zugestimmt. Zwar ging es hier noch um eine kleine Zahl, aber wir finden es schon sehr beunruhigend, wenn zum Beispiel Ihre Generalsekretärin Fahimi sagt: Zum jetzigen Zeitpunkt würde sie nicht zustimmen wollen, aber sie will es prüfen. – Ich kann nur an Sie appellieren: Machen Sie diese restriktive Politik gegen Flüchtlinge nicht weiter mit, die von der Regierung immer wieder angetrieben wird! (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Jelpke. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Ja. – Zum Schluss appelliere ich an alle in diesem Hause, endlich damit aufzuhören, die Stammtische zu bedienen und AfD und Pegida immer weiter hinterherzulaufen. Wir brauchen eine gute Integrationspolitik, eine Politik, die die Flüchtlinge aufnimmt, die für ein gutes Gesundheitswesen und dafür sorgt, dass Kinder in die Schule gehen können, und nicht die ständige Ankündigung und Durchsetzung neuer Repressionen. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Lars Castellucci, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Lars Castellucci (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern hat uns Helmut Schmidt für immer verlassen. Ich will ein Zitat von ihm nennen, das, glaube ich, hilft, ihn uns noch einmal vor das innere Auge zu führen. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Steinbach hat doch schon daran erinnert!) Helmut Schmidt hat gesagt: „In der Krise beweist sich der Charakter“. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist einer der Sätze, die man Helmut Schmidt abgenommen hat, weil er sie nicht als Hinweis an andere verwendet hat, sondern weil man bei ihm gespürt hat, es ist sein eigener Maßstab, den er da formuliert. Er war ein Charaktertyp, einer mit Haltung, einer, der nicht wackelt. Ja, er fehlt uns. Helmut Schmidt war wirklich krisenerfahren. Ich will erst einmal fragen: Würde Helmut Schmidt heute überhaupt von einer Krise sprechen? Ich sage, er würde von Schwierigkeiten sprechen, die wir in Deutschland haben, von Problemen, vor denen wir stehen. Aber er würde uns in Erinnerung rufen: In Wahrheit ist Deutschland heute so stark, wie es vielleicht kaum jemals zuvor in der Geschichte war. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir von einer Krise sprechen wollen, dann müssen wir schon die ganze Frage in den Blick nehmen. Ja, in den Herkunftsländern gibt es eine Krise. Auch Europa befindet sich in einer Krise, aber Deutschland nicht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was aber auch stimmt: Es gibt Fragen: Wie viele kommen noch? 1 Million; das ist schon ein Wort. Nächstes Jahr kommt wieder 1 Million? Wie geht es weiter? Und: Was bedeutet das für unser Land und für unser Zusammenleben? Das produziert natürlich Unsicherheit. Die Menschen sehen zwar auch die Chancen, aber sie wollen, dass wir die Chancen heben; denn sie wissen: Von selber werden sich die Chancen nicht verwirklichen. Worauf kommt es also an? Erstens: auf Besonnenheit. Es gibt nicht die Lösung, und es gibt auch nicht immer eine neue Lösung für das Problem, vor dem wir stehen. Wenn uns der Lehrer in der Schule an einem Tag erklärt: „2 plus 2 ist 4“, und am nächsten Tag sagt: „2 plus 3 ist auch 4“, und am nächsten Tag das Spiel so weiter treibt, dann glauben wir ihm irgendwann nicht mehr. – Wir müssen bei den Botschaften, die wir miteinander für die Bevölkerung gefunden haben, bleiben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Unsere Agenda ist nicht einfach. Unsere Antworten reichen von der Diplomatie, von dem, was in den Krisengebieten passieren muss, über die Transitländer, die wir unterstützen müssen, über Europa bis hin zu dem, was wir in Deutschland auf die Reihe bekommen müssen. Es ist schwierig. Es gibt keine einfachen Antworten. Das kann man den Leuten nicht nur sagen; das muss man ihnen sogar sagen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Worauf kommt es noch an? Zweitens: Konsequenz. Wir müssen bei den Vereinbarungen bleiben. Wir haben im Koalitionsvertrag – zwei Jahre ist er alt – festgehalten, dass das Asylverfahren drei Monate dauern soll. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dann hat es geheißen: Jetzt steigen die Flüchtlingszahlen. Jetzt ist dies nicht mehr zu halten. – Ich sage: Umgekehrt wird daraus ein Schuh. Mehr Flüchtlinge bedeuten umso mehr, dass wir die Verfahrensdauer von drei Monaten einhalten müssen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Weise hat uns gestern zugesagt, dass er diese Dauer von drei Monaten für das Jahr 2016 anstrebt. Aber da entdecke ich plötzlich ein Problem – das kann man im Anhang des Gutachtens der Sachverständigen auch nachlesen –; denn plötzlich wird zwischen der Dauer des Verfahrens durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – das soll drei Monate nicht übersteigen – und der Dauer bis zur Eröffnung des Verfahrens unterschieden, und diese Zeit wird nicht mehr eingerechnet. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das war mit uns nicht vereinbart. Ich fordere, dass wir zu einer Gesamtdauer der Verfahren von drei Monaten kommen müssen und keine Aufteilung vornehmen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Kollegen werden das noch ausführen. Ich bitte gleichzeitig darum, dass wir Dinge unterlassen, die in Wahrheit zu einer Verlängerung von Verfahren führen werden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir können natürlich jetzt beschließen, dass das Dublin-Verfahren wieder gilt, alle nach Hause gehen und denken, wir haben das damit alles erledigt ist. Aber ob das draußen wirklich nutzt, ist die große Frage. Das ist eigentlich keine Frage. Eine Prüfung nach dem Dublin-Verfahren heißt eine Verlängerung der Verfahren. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Dublin ist gescheitert!) Wir haben im Oktober vier Personen zurückgeführt. Wenn ich diese Zahl nach der zweiten Kommastelle abrunde, bin ich immer noch bei 0 Prozent Rückführung für den Oktober. (Barbara Woltmann [CDU/CSU]: 1 015!) Auf der anderen Seite wird beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Riesenaufwand betrieben. Erklären Sie mir bitte die Verhältnismäßigkeit. Wir sind bereit, darüber zu reden. Aber die Vorschläge zu den Verfahren müssen Sinn machen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Gleiches gilt für den Schutzstatus. Den Schutzstatus für die Flüchtlinge zu überprüfen, wird zu einer Verlängerung der Verfahren führen; das hat gestern auch Herr Kauder bestätigt. Ich muss zum Schluss kommen. Meine Damen und Herren, wir alle wollen weniger Flucht; das ist doch völlig klar. Niemand will das den Menschen zumuten. Wir alle wollen diese Herausforderung gut bewältigen. Vor allem: Wir wollen und wir müssen die Brandstifter aus den Parlamenten heraushalten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Darum lassen Sie uns konsequent umsetzen, was wir uns vorgenommen haben. Jagen wir nicht jede Woche eine neue Sau durchs Dorf. Beweisen wir den Charakter, der sich in der Krise zeigt; denn damit hat Helmut Schmidt recht: „In der Krise beweist sich der Charakter.“ So oder so. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – An die zukünftigen Redner und Rednerinnen: Es wäre schön, wenn man nach dem Satz: „Ich muss zum Schluss kommen“, auch zum Schluss käme, damit wir die Redezeiten einhalten. – Nächster Redner ist der Kollege Thomas Strobl, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Menschlich ist es total nachvollziehbar, wenn ein Flüchtling seine Familie nachholen will. Ich würde es genauso tun, (Beifall der Abg. Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) und wir alle würden es uns genauso wünschen und es genauso machen. (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Sie hätten sogar die Verfassung auf Ihrer Seite!) Wer aber in und für Deutschland Verantwortung trägt, muss auch abwägen, was das für unser Land bedeutet. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um die Menschen!) Wenn ein Innenminister das bedenkt, dann ist das möglicherweise nicht populär und wird von der Opposition kritisiert, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aufs Schärfste! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vom Bundeskanzleramt ist das kritisiert worden! Kennen Sie Herrn Altmaier?) aber dann macht er nichts anderes als seine Arbeit, und er verdient die Unterstützung meiner Fraktion und unsere Anerkennung. (Beifall bei der CDU/CSU) Bereits heute halten sich mehr als 300 000 syrische Flüchtlinge in Deutschland auf, von denen ein sehr großer Teil den GFK-Flüchtlingsstatus erhalten hat. Diesen Status will ihnen derzeit auch niemand nehmen. Das heißt in der Konsequenz aber auch: Bereits heute müssen wir mit einem Familiennachzug in einer nie dagewesenen Dimension rechnen. Wenn wir die bisherige Anerkennungspraxis fortsetzen, geht es möglicherweise um einen Familiennachzug von vielen Hunderttausend Menschen, (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Reine Spekulation!) ohne – ich betone: ohne – dass ein anerkannter Flüchtling nachweisen müsste, dass er den Lebensunterhalt für seine nachziehende Familie sichern kann oder über ausreichenden Wohnraum verfügt. Das würde in der Sache nichts anderes bedeuten, als dass zwar mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung, dafür aber umso sicherer eine zweite Flüchtlingswelle auf unser Land zurollt, während wir bereits mit äußerster Anstrengung noch an der ersten Flüchtlingswelle arbeiten und diese kaum bewältigen können. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kinder und Frauen nennen Sie die „Flüchtlingswelle, die auf uns zurollt“! Schämen Sie sich für Ihre Wortwahl!) Deswegen bin ich überzeugt: Wir müssen den Familiennachzug begrenzen, um das zu tun, was wir tun wollen, nämlich denen, die an Leib und Leben bedroht sind, auch in Zukunft Aufnahme zu gewähren. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie nennen sich christlich! Schämen Sie sich!) – Wer so laut schreit, Herr Hofreiter, hat in der Regel schon wegen der Lautstärke des Zwischenrufs nicht recht. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ausnahmen bestätigen die Regel!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Aber jetzt hat der Kollege Strobl das Wort. – Bitte schön. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist eine Schade, was er sagt!) Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Ich will in diesem Zusammenhang drei Punkte zurechtrücken: Erstens. Es wird behauptet, subsidiärer Schutz sei gar kein Schutz oder eine Art Schutz light. Richtig ist: Subsidiär Schutzberechtigte sind Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention weitgehend gleichgestellt. Sie erhalten die gleichen sozialen Leistungen, dieselben Arbeits- und Integrationsmöglichkeiten. Vor allem gilt aber eines: Subsidiärer Schutz besteht, solange ein Konflikt anhält und eine Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht möglich ist. Nur der Aufenthaltstitel wird zunächst nur für ein Jahr gewährt, in der Folge aber immer für zwei weitere Jahre verlängert. Es ist ganz klar, und alle anderen Behauptungen sind grober Unfug: Wir schicken niemanden in ein Bürgerkriegsland zurück. Das ist grober Unfug, was Sie hier erzählen. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Was ist mit Afghanistan?) Zweitens wird behauptet: Wer den Familiennachzug einschränkt, lässt Familien im Bürgerkrieg zurück. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, wo denn sonst?) Richtig ist: Für den Familiennachzug muss ein Visum an einer unserer Botschaften beantragt werden. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das dauert auch schon anderthalb Jahre!) Der allergrößte Teil der syrischen Flüchtlinge kommt nicht unmittelbar aus den Bürgerkriegsgebieten, sondern aus den Flüchtlingslagern in der Türkei, in Jordanien und im Libanon. Dort ist die Situation sicherlich sehr, sehr schwierig. Aber lebensbedrohlich ist das nicht unmittelbar. Wir setzen vor allem in Deutschland alles, wirklich alles daran, dass in diesen Einrichtungen in der Türkei, in Jordanien und im Libanon die Lebensverhältnisse besser werden. Wir, diese Bundesregierung – allen voran Angela Merkel, die Bundeskanzlerin –, arbeiten daran, dass es in der Türkei für die Menschen bessere Lebensverhältnisse gibt und dass sie Arbeitsmöglichkeiten bekommen. Wir unterstützen die Bundeskanzlerin in dieser Arbeit, damit weniger Menschen zu uns fliehen müssen und wir im Übrigen auch unsere griechische Außengrenze zur Türkei besser schützen können. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist so heuchlerisch! Das ist unglaublich!) Das ist der Weg, den wir gehen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich komme sofort zum Ende. Drittens wäre die Anerkennung von Syrern als subsidiär Schutzberechtigte kein deutscher Sonderweg. Hier kann ich nur sagen: Eine ganze Reihe europäischer Länder – darunter diejenigen, die außergewöhnlich viele Flüchtlinge aufnehmen – gewährt diesen Flüchtlingen subsidiären Schutz. Dazu gehören die Niederlande und Schweden, das der Hälfte der syrischen Flüchtlinge subsidiären Schutz gibt. Diese Länder sind doch nicht inhuman, sondern geben gemeinsam mit Deutschland in dieser Krise eine humanitäre Visitenkarte für ganz Europa ab. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Diese Leistungsfähigkeit wollen wir uns auch in Zukunft erhalten. Deswegen müssen wir den Familiennachzug begrenzen. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin Sevim Dağdelen. (Beifall bei der LINKEN) Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrter Herr Minister, diese Aktuelle Stunde findet heute statt auf Antrag der Grünen und der Linksfraktion, weil Sie als Innenminister dieser Bundesregierung oder auch nicht – offenbar gibt es hierzu Meinungsverschiedenheiten mit Ihrem Koalitionspartner – die Fluchtmöglichkeiten für Frauen und Kinder aus Syrien beschneiden wollen. Um nichts anderes geht es hier, wenn Sie den Familiennachzug für syrische Flüchtlinge verhindern wollen. Syrische Flüchtlinge sollen nach dem Willen des Innenministers nicht mehr als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt und behandelt werden, sondern als Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz. Das ist im Kern nichts weiter als eine Duldung: ein Jahr hier sein, warten, in dieser Zeit meistens nicht Deutsch lernen können, (Zurufe von der CDU/CSU: Stimmt doch gar nicht! Quatsch!) keine Familien nachholen und nicht wissen, wie lange man hierbleiben darf. Das ist Gift für die Integration. Es ist das Gegenteil von Integration, was Sie hier mit Ihren Maßnahmen schaffen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie mit Ihrem Plan durchkommen, werden sich noch mehr Frauen und Kinder auf die gefährliche Reise über das Mittelmeer machen müssen, um Schutz zu bekommen. Da frage ich Sie, Herr Minister, die anderen aus dem Kabinett und ganz besonders die Koalitionsfraktionen: Wollen Sie verantwortlich sein für mehr Tote im Mittelmeer? Wollen Sie das tatsächlich verantworten? Sie verhindern, dass Kinder mit ihren Eltern zusammenleben können. Sie haben doch selbst Familie. Stellen Sie sich einmal vor, dass Sie von Ihrer Familie getrennt bleiben müssen, während der Rest der Familie unter dem Bombenhagel und bei Kämpfen zwischen terroristischen Islamisten und der Armee sein Leben verliert. Das ist dann das Ergebnis Ihrer Politik und insbesondere dieser Maßnahme. Das ist nicht nur unchristlich. Das ist vielmehr eine moralische Bankrotterklärung. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Deshalb haben die zwei großen Kirchen Ihre Politik verurteilt und sagen: Hören Sie mit der menschenverachtenden Politik auf, die Sie mit der Verhinderung des Familiennachzugs betreiben! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich finde es gut, Herr Castellucci, dass die SPD – so tapfer und standhaft, wie sie hier im Bundestag immer ist – sagt, dass dies mit ihr nicht zu machen ist. Wenn ich mich aber an die Vorratsdatenspeicherung, die Asylrechtsverschärfung und die Transitzonen, die nun Registrierzonen genannt werden, erinnere, (Dr. Eva Högl [SPD]: Können wir nicht über das Thema sprechen?) dann stelle ich fest, dass die SPD zuerst nicht dafür war, es dann aber gemacht hat. (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Feind steht rechts!) Wenn Sie bei der Beschränkung des Familiennachzugs sagen, das sei mit Ihnen nicht zu machen (Zuruf von der SPD: Sprechen Sie doch zur Sache!) – das ist die Sache –, stellt sich die Frage, ob Sie Ihre Position, die Sie heute vertreten, weiterhin glaubwürdig vertreten werden, ob sich die Flüchtlinge darauf verlassen können, dass die SPD nicht nur heute sagt, sie sei gegen die Begrenzung des Familiennachzugs, sondern auch morgen und übermorgen. Das ist doch die Politik, mit der wir es in der letzten Woche zu tun hatten. (Beifall bei der LINKEN) Es sollen ja noch Wunder geschehen. Ich hoffe darauf – ich würde mich freuen –, dass Sie bei dieser Position bleiben, dass Sie hier Rückgrat zeigen und als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten diese Maßnahme von Herrn de Maizière und Co. verhindern. Sie sollten aber auch verhindern, dass statt Fluchtursachen weiterhin Fluchtmöglichkeiten bekämpft werden; denn nichts anderes ist es, wenn Sie dabei helfen, dass den Menschen die Fluchtwege abgeschnitten werden oder auch sichere, legale Wege über den Familiennachzug abgeschnitten werden. Gestern hat meine Fraktion Gäste von der syrischen zivilen Opposition empfangen. Eine ihrer Forderungen war die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen, die 2011 verhängt worden sind und die eben nicht Assad und seine Entourage, sondern die Bevölkerung in Syrien treffen. Schon im Herbst 2013 tauchten erste Berichte über verhungernde Kinder in Vororten von Damaskus oder auch im Flüchtlingslager Jarmuk auf. Die Sanktionen haben das ganze Gesundheitssystem kollabieren lassen. Medikamente gegen Krebs, Herzkrankheiten oder auch Diabetes können nicht mehr importiert werden. Aufgrund der Sanktionen in der Pharma- und auch der Chemieindustrie können sie auch nicht mehr produziert werden. Die Lebenserwartung ist um 20 Jahre gesunken. Ich finde, es ist eine humanitäre Pflicht, wenn man davon spricht, Fluchtursachen zu bekämpfen, diese Sanktionen aufzuheben und das Elend der Menschen dort zu verringern. Dann werden auch weniger Menschen nach Europa kommen müssen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Sönke Rix, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Sönke Rix (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich auf den Vorwurf eingehen, dass die SPD nicht zu dem steht, was sie sagt. Ich wäre bei der Debatte über den Familiennachzug sehr vorsichtig mit Behauptungen, insbesondere wenn man die Pressemitteilung des Fraktionsvorsitzenden im saarländischen Landtag Oskar Lafontaine liest. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der LINKEN) Die war überschrieben: Familiennachzug eindämmen, um weiteren Flüchtlingszuzug zu ermöglichen. – Ein Ausspielen der Flüchtlingsgruppen gegeneinander ist genauso wenig hilfreich, wie das infrage zu stellen, wofür die SPD steht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zunächst einmal will ich grundsätzlich etwas fragen, und zwar: Wie ist eigentlich unsere Haltung in der aktuellen Debatte zur Flüchtlingssituation? (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Umfaller!) Ich vermeide bewusst das Wort „Flüchtlingskrise“. (Beifall der Abg. Rüdiger Veit [SPD] und Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Wir haben die Situation, dass wir zwei Grundsätze zu berücksichtigen haben. Der erste Grundsatz ist: Wer um Sicherheit und Leben fürchten muss, der soll hier in Deutschland Sicherheit und Hilfe auch erhalten. Diesem Grundsatz fühlen wir uns verpflichtet. Der zweite Grundsatz muss sein: Vor dem Hintergrund der besonderen Herausforderungen, die damit einhergehen, brauchen wir bei diesem sehr schnellen Zuzug von Flüchtlingen, den wir im Moment erleben, vor allen Dingen eine Gesellschaft, die zusammenhält. Das ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Arbeit. Umso wichtiger ist es, dass wir mit unserer Wortwahl vorsichtig sind und nicht von „Flüchtlingswellen“ und von „Dramatik“ reden, wenn es keine Dramatik gibt. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Da hat er recht!) Ich hatte gerade eben eine Besuchergruppe und habe die Frage gestellt bekommen: Wie gehen Sie eigentlich damit um, dass viele Menschen so viel Angst haben? Was antworten Sie den Menschen eigentlich? – Die Besucherin sprach auch von diffusen Ängsten. Darauf sagte ich: Ich mache das so ähnlich wie mit meinen Kindern. Ich frage nach der konkreten Angst, ich frage, wo die konkrete Befürchtung ist. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht Ängste schüren, obwohl die Menschen keine Ängste haben müssen. Die Situation ist beherrschbar, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben bewiesen, dass wir als Koalition handlungsfähig sind. Wir stellen den Kommunen und den Ländern erheblich mehr Mittel zur Verfügung. Wir arbeiten außenpolitisch an der Situation, insbesondere an der Situation in den umliegenden Ländern in der Krisenregion. Wir unterstützen bei der Bereitstellung von Unterkünften, und wir ermöglichen bürgerschaftliches Engagement, weil bürgerschaftliches Engagement besonders wichtig ist, auch für die Akzeptanz in der Gesellschaft. Erst dann, wenn viele Teile der Gesellschaft den Flüchtlingen helfen, haben wir die Gewähr, dass dann in der Gesellschaft eine große Anerkennung folgt. Wir sollten alles daransetzen, dass wir das, was wir gemeinsam beschlossen haben, umsetzen, bevor wir die schon vielzitierte neue Sau durchs Dorf jagen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Für uns heißt es, klare Haltung in der Familienpolitik zu zeigen. Wir haben eine sehr deutliche Verpflichtung gegenüber Frauen und Kindern, die um ihre Sicherheit und um ihr Leben fürchten müssen. Wir haben in unserem Grundgesetz einen Grundwert bezüglich der Familienpolitik, dort steht: Wir wollen Familie, Ehe und Kinder schützen. – Das gilt auch für Flüchtlingskinder, für Flüchtlingsfamilien. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Diese Haltung sollten wir wahren und nicht durch neue Vorschläge so tun, als ob wir mit einem Auseinanderreißen von Familien – nichts anderes wäre das – eine Situation bekommen, wonach wir eine Entlastung an den Grenzen und bei den Verfahren hätten. Das Gegenteil wäre doch der Fall. Diejenigen, die nicht nachziehen können, würden ihren Asylantrag individuell stellen. Sie werden individuell an der Grenze stehen und sich auf den unsicheren Weg machen. Das dürfen wir hier nicht verantworten, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es wäre auch integrationspolitisch falsch, die Männer hier alleine zu lassen und ihnen Möglichkeiten zu geben, die Sprache zu lernen, sich zu integrieren und vielleicht auch in Ausbildung und Arbeit zu kommen, aber ihre Familien nicht hierherziehen zu lassen. Ich glaube, es ist wesentlich und wichtig, dass Familien hier gemeinsam sein können. Hier müsste das Familienbild der Union eine große Rolle spielen. Ich will noch einen letzten Satz sagen. Wir haben noch eine EU-Richtlinie auf den Weg zu bringen, mit ihr haben wir insbesondere den Schutz von Kindern, Familien und Frauen umzusetzen. Ich warne davor, die Umsetzung dieser EU-Richtlinie zu verzögern. Wir brauchen den Schutz der Flüchtlingskinder und der Flüchtlingsfrauen, die bereits in unseren Einrichtungen sind. Deshalb bitte ich ganz dringend darum, diese Richtlinie sofort und sehr schnell umzusetzen; nicht nur der Weg hierher soll ermöglicht werden, sondern auch der Schutz hier. Sie brauchen Schutz und Hilfe. Das sollte unser Ziel sein. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Volker Beck das Wort. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit einem Wort der Anerkennung für Ihre Rede, Herr Castellucci, beginnen. Ich fand sie sehr präzise und sehr mutig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Mutig fand ich, dass Sie sich hinter Ihre Bundeskanzlerin gestellt haben. Das ist in diesen Zeiten in der Koalition schon etwas Besonderes, das Würdigung verdient. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Sönke Rix [SPD]: Ich weise darauf hin, dass ich mich nicht gegen sie gestellt habe!) Ich gehöre dem Hohen Hause seit 21 Jahren an. Ich muss sagen: Was heute hier stattgefunden hat, habe ich in meiner Zeit als Abgeordneter bislang nicht erlebt: offener Kampf des Bundesinnenministers gegen die Richtlinienkompetenz der Bundeskanzlerin. Das haben wir so noch nicht gesehen. Am Donnerstag einigen sich die Parteivorsitzenden. Am Freitag hält der Innenminister ein Statement. Er hatte eine Presseanfrage – oh Wunder. Der Kanzleramtsminister und Flüchtlingskoordinator sammelt das Statement wieder ein, und am Mittwoch erzählt der Bundesinnenminister hier am Rednerpult kackfrech genau dasselbe, was er am Freitag schon erzählt hat. So viel Ignoranz gegenüber der Bundeskanzlerin, gegenüber der Koordination einer gemeinsamen Politik durch das Bundeskanzleramt, habe ich noch nicht erlebt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Offensichtlich haben Sie nicht verdaut, dass man Ihnen mit Herrn Altmaier einen Flüchtlingskoordinator vor die Nase gesetzt hat. Nun wehren Sie sich offensichtlich mit den Instrumenten des zivilen Ungehorsams. Ich finde es angesichts der humanitären Frage, um die es hier geht, vollkommen unangemessen, auf dem Rücken der Flüchtlinge und dem Rücken des demokratischen Klimas in diesem Land einen solchen Machtkampf aufzuführen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Herr Innenminister, in der Sache richten Sie maximalen Schaden an. Sie verkünden, anders als es der Beschluss der drei Parteivorsitzenden vorsieht, dass bei subsidiär Geschützten der Familiennachzug zwei Jahre ausgesetzt werden soll – das finde ich in der Sache verkehrt –, in der Presse aber etwas ganz anderes: Ihr bekommt Schutz, aber den sogenannten subsidiären Schutz – das heißt zeitlich begrenzten Schutz ohne Familiennachzug. Das sagte der Bundesinnenminister am 6. November 2015. „Ohne Familiennachzug“, das heißt für viele Menschen, die in Flüchtlingscamps in Syrien oder am Rande von Syrien, in Nachbarstaaten, sind: Für euch gibt es keine legale Chance, zu euren Söhnen, zu euren Männern nach Deutschland oder nach Europa zu kommen. Euch bleiben nur der Schleuser und der Weg über das Mittelmeer. – Das ist zynisch, und das ist nichts anderes als ein Schleuserwesenankurbelungsprogramm. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Angeblich wollen Sie doch genau das bekämpfen. Das macht mich in der Sache wirklich sprachlos. Ich finde, so etwas darf man als Innenminister in einer solchen Situation nicht machen. Das Innenministerium braucht gegenwärtig einen Troubleshooter, aber es hat einen Troublemaker, und da ist der Fehler. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, der zweite Punkt, über den gerade geredet wird, ist ja die Frage, ob wir zum Dublin-Verfahren zurückkehren. Da liegt natürlich ein Problem: Ja, wir brauchen eine neue europäische Begründung einer solidarischen Flüchtlingsaufnahme. Aber durch die Wiederherstellung des gescheiterten Dublin-Systems wird das nicht gelingen. Das Reden über eine neue europäische Aufnahme fängt damit an, dass Deutschland gegenüber seinen europäischen Partnern eingesteht, dass das Dublin-System auf Egoismus angelegt war und dass Deutschland von diesem Egoismus über annähernd zwei Jahrzehnte profitiert hat. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Wir waren umzingelt von sicheren Drittstaaten; Flüchtlingsaufnahme war ein Problem der anderen. Sie ging uns nichts an – bis es schiefging. Man hätte es schon länger wissen müssen. Als auf dem Oranienplatz hier in Berlin die ersten Flüchtlinge aus Italien ankamen, hätte ein Innenminister reagieren und sagen müssen: Wir müssen diese solidarische Flüchtlingsaufnahme mit neuen Instrumenten europäisch absichern. – Dazu gehört für mich: einheitliche Mindeststandards bei der Versorgung. Es kann nicht sein, dass in manchen Ländern Flüchtlinge noch nicht einmal eine Unterkunft bekommen. (Beifall der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Außerdem muss es endlich einen europäischen Mechanismus der Finanzierung geben, ähnlich wie wir ihn jetzt im Verhältnis zwischen Bund und Ländern haben. Es darf sich nicht für diejenigen rechnen, die sich am Ende aus der Solidarität und aus der humanitären Aufgabe davonstehlen. Das muss solidarisch finanziert sein. Wir können doch nicht hinsichtlich der Einhaltung der Maastricht-Kriterien Schäuble losschicken, damit der sagt: „Achtet auf euren Haushalt“, und im Hinblick auf die Flüchtlingsaufnahme sagen: Seid aber bitte schön humanitär. – Das ist angewandtes Spaltungsirrsein. Das darf es nicht geben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Aber die Wiederherstellung des Dublin-Abkommens über repressive Maßnahmen führt doch nur zu einem: zu völligem Chaos. Deutschland hat zwei Monate Zeit, um einen Antrag auf Rücknahme zu stellen. Das Aufnahmeland hat drei Monate Zeit, um darauf zu antworten. Dann hat Deutschland sechs Monate Zeit, um es umzusetzen. Zwischen 2 und 5 Prozent liegen in der Regel die realen Rückführungsquoten. Ein Flüchtling ist also ein Jahr hier, und nichts ist passiert, und dann stellen wir fest: Jetzt bleibt er doch da. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dann fangen wir mit der Integration an. Das ist wirklich eine Politik, durch die Sie dem Land nicht signalisieren, dass wir das schaffen können und dass wir das schaffen wollen. Wenn wir wollen, dann können wir; aber bei Ihnen bin ich mir nicht sicher, ob Sie wirklich noch wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank, Herr Kollege Beck. – Nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion ist die Kollegin Andrea Lindholz. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Deutschland hilft in dieser historischen Flüchtlingskrise wie kaum ein anderes Industrieland. Das ist gut und richtig; aber auch unsere Kräfte sind begrenzt. Ich darf Erhart Körting, den ehemaligen Innensenator des Landes Berlin, zitieren, der heute in der FAZ sagt: „Die Aufnahmemöglichkeiten sind endlich.“ Genau das wird uns auch tagtäglich von Bürgerinnen und Bürgern, von verantwortlichen Bürgermeistern, Landräten, Kommunalpolitikern aller Parteien, Hilfsorganisationen und vielen Helferinnen und Helfern in diesem Land bestätigt: Ja, wir wollen helfen; aber unsere Kapazitäten sind begrenzt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) All diese Menschen erwarten von uns Antworten. Diese Antworten sollten mehr als nur polemische Reden sein. Es sollten konkrete Vorschläge sein. Die können sich nicht nur mit der Integration beschäftigen, sondern sie müssen sich auch mit den Fragen der Begrenzung beschäftigen. Bis Ende Oktober waren in Deutschland 758 000 Asylbewerber im System zur Erstverteilung registriert. Monatlich kommen bis zu 180 000 Migranten dazu. Hunderttausende Migranten wurden bisher überhaupt nicht erfasst. Sie verteilen sich selbstbestimmt in Deutschland und Europa. In Schweden ist die Aufnahmekapazität bereits erschöpft, und in Österreich ist die Lage ähnlich prekär. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat in diesem Jahr über 205 000 Anträge entschieden und 83 000 Menschen Flüchtlingsstatus oder Asyl gewährt. Natürlich dürfen diese Menschen ihre Kernfamilie nachholen. Sie müssen bei uns auch ordnungsgemäß versorgt und integriert werden. 330 000 Asylanträge sind noch offen. Das alles stellt unser Land vor große Herausforderungen. Diese werden durch den extremen Anstieg der Zuwanderung, den wir seit September dieses Jahres erleben, immer mehr potenziert. Auch die deutschen Kommunen sind überfordert. Der Städte- und Gemeindebund hat schon Anfang Oktober die Einschränkung des Familiennachzuges gefordert. Ja, Deutschland muss angesichts dieser dramatischen Entwicklung Entscheidungen treffen, die sicherlich nicht immer einfach sind. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten aber von uns, dass wir geltendes europäisches und nationales Recht anwenden. Dazu gehört auch die Dublin-Verordnung, solange sie nicht durch ein anderes System abgelöst ist. (Rüdiger Veit [SPD]: Sie sagen doch selbst, dass es gescheitert ist!) Eine Vervielfachung der hohen Zugangszahlen innerhalb kurzer Zeit würden wir in diesem Land nicht verkraften. Das würde auch unsere Integrationskraft überfordern. Auch diese Erkenntnis gehört zu einer verantwortungsvollen Flüchtlingspolitik. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Sagen Sie mal, was Sie machen wollen!) Die Koalition hat sich daher in den letzten Wochen auf weitere Maßnahmen geeinigt – auch darauf, den Familiennachzug für subsidiär Geschützte für zwei Jahre auszusetzen. Bis Juli dieses Jahres konnten subsidiär Geschützte nur unter engen Voraussetzungen ihre Familien nachholen. Wir haben dies verbessert, obwohl weder das EU-Recht noch unsere Verfassung diesen Anspruch vorsehen. Wer geglaubt hat, dass dieser Punkt in der Einigung überhaupt keine Relevanz haben soll, dem ist offensichtlich der Ernst der Lage nicht bewusst. Die Union hat gefordert, den Familiennachzug für subsidiär Geschützte für zwei Jahre auszusetzen und nicht abzuschaffen. Er soll für zwei Jahre ausgesetzt werden, um in diesem Land auch wieder Kapazitäten zu schaffen, die notwendigen Integrationsleistungen in ausreichendem Maße zu erbringen und die Zuwanderung in unser Land auch ein Stück weit mit steuern zu können. (Beifall bei der CDU/CSU) Natürlich muss auch bei allen Asylbewerbern das Asylrecht konsequent angewendet werden. Es müssen auch wieder Anhörungen – auch bei den Syrern – durchgeführt werden. Das muss einerseits deshalb geschehen, weil wir alle Flüchtlinge gleich behandeln sollten, andererseits aber – das ist viel wichtiger –, weil wir einfach klären müssen, wer wirklich aus Syrien stammt. Und das geht eben nun einmal nur mit einer ordnungsgemäßen Anhörung. Es ist kein Geheimnis, dass man in Istanbul einen syrischen Pass für einige 100 Euro bekommt. De facto stammt bereits eine gewisse Anzahl der syrischen Asylbewerber gar nicht aus Syrien. Auch das ist Teil der Wahrheit, über die man sprechen muss. (Beifall bei der CDU/CSU – Rüdiger Veit [SPD]: Das kann man ja prüfen!) Die Beschleunigung von Asylverfahren ist und war wichtig. Sie wird von uns auch nicht in Abrede gestellt. Schnelligkeit allein aber darf kein Selbstzweck sein. Die Frage, ob Asyl, Flüchtlingsstatus oder subsidiärer Schutz gewährt wird, muss im Einzelfall anhand der geltenden Rechtslage geklärt werden. Und hierfür ist nicht die Politik zuständig, sondern hierfür sind die Entscheidungsträger im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zuständig. Deshalb unterstützt auch die Unionsfraktion – das gilt auch für mich selbst – den Vorschlag unseres Bundesinnenministers, jeden einzelnen Antrag – auch wieder die Anträge von Syrern – nach geltendem Asylrecht und im Einzelfall zu prüfen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Frank Schwabe für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Frank Schwabe (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich mache das sonst nicht, will an dieser Stelle aber sagen: Liebe Engagierte, liebe Haupt- und Ehrenamtliche – die jetzt vielleicht zuschauen oder später zuschauen werden –, ich will Sie zu dieser Debatte besonders begrüßen. Denn Sie machen in dieser Zeit eine tolle Arbeit. Ich glaube, dass dieses Land – ich denke, das muss man so sagen – wirklich stolz auf das sein kann, was Sie zurzeit für Flüchtlinge leisten. (Beifall im ganzen Hause) Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn sich das heute kaum jemand vorstellen kann: Es wird eine Zeit nach der Flüchtlingslage geben, die wir zurzeit haben; vielleicht wird diese Zeit auch schneller kommen als gedacht. Wir werden in dem Lichte dann auf das zurückblicken müssen, was wir heute diskutieren und was wir heute entscheiden. Ich hoffe, dass wir dann nicht voller Scham darauf zurückblicken müssen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Eigentlich müsste man es nicht extra sagen: Wir reden über Menschen und darüber, wie Menschen mit Menschen umgehen. – Das ist jetzt ein bisschen pathetisch, aber ich will das in dieser Zeit doch einmal sagen: Wir haben bald Weihnachten. Ich frage mich wirklich, wie man Heiligabend mit seiner Familie besinnlich vor dem Weihnachtsbaum sitzen und gleichzeitig auf die Idee kommen kann, Väter, Mütter, kleine Mädchen und Jungen voneinander zu trennen. Wie will man das eigentlich verantworten? (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Es ist leider die Konsequenz einer Politik, wie sie hier gelegentlich skizziert wurde, dass am Ende Kinder mit ihren Müttern auf eine todbringende Reise über das Meer gezwungen werden. Wir reden im Übrigen – das will ich nur noch einmal betonen – über die Kernfamilie. Wir reden an dieser Stelle über Mutter, Vater, Kind; über nichts anderes. (Rüdiger Veit [SPD]: Nicht über alle Verwandten, wie Herr Scheuer sagt!) Ich finde, ein solches Verhalten ist mit dem Grundsatz der christlichen Nächstenliebe nur schlecht zu vereinbaren, eigentlich gar nicht zu vereinbaren. Ich bin wirklich stolz darauf und froh darüber, dass meine Partei sich da klar positioniert hat. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Man muss noch einmal zurückdenken: Wie war es eigentlich Anfang des Jahres, als wir die Ereignisse um Lampedusa und all die Diskussionen darum hatten? Da haben wir doch eine Korrektur vorgenommen, haben gesagt: Wir müssen alles tun, um Menschen vor dem Ertrinken zu retten. – Zurzeit findet das EU-Afrika-Treffen in Valletta statt. Dort wird eine Abschlusserklärung – sie ist schon verabredet – verabschiedet. Darin steht als erste Priorität: Lebensrettung und Achtung der Menschenrechte. – Das ist die erste Priorität. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich glaube, dem müssen wir uns auch in unserer Politik stellen. Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Flüchtlingslage ist herausfordernd – das ist mehrfach betont worden –, aber Hysterie ist fehl am Platze. (Beifall der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) Die Regierung ist gehalten, nicht Scheinlösungen vorzulegen, getrieben von irgendeiner Hysterie; wir müssen ganz kontinuierlich und vernünftig das abarbeiten, was wir uns vorgenommen haben. Wir hatten gestern – es ist schon gesagt worden – Frank-Jürgen Weise in der SPD-Fraktion. Es war sehr wohltuend, was er da gesagt hat. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir haben das Vertrauen, dass er jemand ist, der wirklich die Dinge abarbeiten kann, die wir miteinander beschlossen haben. Ich will auch das noch einmal sagen: „Subsidiärer Schutz“ und „Dublin“ sind zwei Stichworte, sind am Ende zwei Synonyme für mehr Bürokratie und nicht für weniger Bürokratie. (Beifall bei der SPD) Wie wir damit die Aufgabe besser bewältigen können, ist mir jedenfalls nicht klar. Wir brauchen die volle Unterstützung für Kommunen, Hilfsorganisationen und Ehrenamtliche. Die Bürgermeister sind genannt worden, Frau Lindholz, parteiübergreifend. Es gibt in der Tat verantwortungsbewusste Bürgermeister und Oberbürgermeister. Da ist etwa der OB Dupper in Passau. Was man von ihm lesen kann, ist wirklich beeindruckend. Ich habe gerade auch gelesen, dass Stephan Neher – in Klammern: CDU – klar gesagt hat: Wir schaffen das bei uns in Rottenburg. Wenn Deutschland das nicht schafft, wer soll das eigentlich sonst schaffen? (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Verantwortungslos ist – das will ich an dieser Stelle auch sagen –, wenn Herr Landsberg vom Städte- und Gemeindebund – es gibt da noch andere Verbandsfunktionäre – sich nicht nur zur kommunalen Situation äußert – das zu tun ist seine Aufgabe –, sondern sich auch als Hobbyaußenpolitiker geriert. Ich sage, nicht zu kritisch auch in Richtung meiner eigenen Kolleginnen und Kollegen in der Fraktion: Ich finde es problematisch, wenn Kommunalpolitiker oder auch Innenpolitiker anfangen, außenpolitische Fragen in einer bestimmten Art und Weise zu bewerten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dafür haben wir wirklich eine vernünftige, verlässliche Außenpolitik, und die kann bewerten, wo auf der Welt es sichere Zonen gibt und wo nicht. In der aktuellen Debatte wird immer wieder etwas gesagt, was nicht stimmt, und das ärgert mich am meisten. Tatsache ist: Deutschland tut eine ganze Menge in der Frage der humanitären Hilfe. Frank-Walter Steinmeier läuft sich die Hacken ab, um da voranzukommen. Wir haben in Deutschland die Mittel massiv erhöht; das ist wahr. Aber wir haben weiterhin folgende Situation – das können alle nachlesen –: Im Jahr 2015 haben die Vereinten Nationen um 2,9 Milliarden US-Dollar Hilfe für Syrien gebeten. Davon sind 1,059 Milliarden US-Dollar gedeckt. Das sind 37 Prozent. An Hilfe für die Regionen rund um Syrien halten die Vereinten Nationen 4,5 Milliarden US-Dollar für nötig. Davon wurden 2,278 Milliarden US-Dollar zur Verfügung gestellt. Das sind 50 Prozent. Nicht mal die Hälfte des Geldes, das notwendig ist, um Kindern eine Schulbildung zu ermöglichen oder ihnen genug zu essen zu geben, wird von der internationalen Gemeinschaft aufgebracht. Ich finde, es ist die Aufgabe von uns allen, das endlich zu ändern und dafür zu sorgen, dass Fluchtursachen wirklich bekämpft werden. Das schaffen wir nicht durch Abschreckungsmaßnahmen, sondern nur durch Hilfe für die Menschen vor Ort. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Die nächste Rednerin ist Nina Warken, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Nina Warken (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Menschen im Land schauen heute in ihrer ganz überwiegenden Zahl mit dem Wunsch nach Berlin, dass wir den Zustrom an Asylsuchenden ordnen und begrenzen. Das ist verständlich. Die Kommunen leisten Großartiges bei der Unterbringung von Flüchtlingen. Sie sind, ebenso wie die vielen Ehrenamtlichen von DRK, Feuerwehr, THW, Helferkreisen etc., am Rande ihrer Leistungsfähigkeit. Dem Anliegen, den Flüchtlingsandrang zu ordnen und zu begrenzen, müssen wir Rechnung tragen. Es ist Zeit, zu handeln. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ja, dann machen Sie es doch!) Die Koalition ist sich dieser Situation sehr bewusst. Sie handelt. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Sie jammern nur!) Mit dem in kürzester Zeit beschlossenen Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz und der Vereinbarung der Parteivorsitzenden von vergangener Woche haben wir zwei Schritte in die richtige Richtung gemacht. Weitere Schritte müssen und werden folgen. Dabei sollte man keinen Weg von vornherein ausschließen, schon gar nicht, wenn man wie Sie, liebe Kollegen von der Opposition, keine eigenen Vorschläge hat. Ich möchte die Gelegenheit heute auch nutzen, einige Dinge klarzustellen. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Sie jammern nur!) Es geht hier nicht um eine pauschale Beschränkung der Rechte der Flüchtlinge aus Syrien. Es geht auch nicht darum, den Entscheidern politische Vorgaben zu machen. Nein, es geht darum, geltendes Recht anzuwenden. Es geht darum, wieder zur Einzelfallprüfung, zu individuellen Entscheidungen, zur Anwendung objektiver Kriterien (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht darum, die Kanzlerin zu demontieren!) und zu den Regelungen der Genfer Flüchtlingskonvention zurückzukommen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir sollten keine Gruppe privilegieren und bei keiner Gruppe pauschal auf die Durchführung von Anhörungen verzichten und im schriftlichen Verfahren entscheiden. Für diesen Weg hatte man sich vor rund einem Jahr entschieden. Das wird in der aktuellen Debatte oft vergessen – unter dem Druck der steigenden Zugangszahlen und unbearbeiteten Anträge. (Rüdiger Veit [SPD]: Ist ja bis heute nicht besser geworden!) Das mag damals richtig gewesen sein; aber eine geänderte Lage erfordert ein Umdenken. (Beifall bei der CDU/CSU – Rüdiger Veit [SPD]: Die Lage ist ja eher schlimmer!) Der aktuelle Zustrom von Menschen aus Syrien ist ein komplett anderer, er ist um ein Vielfaches größer und unkontrollierter. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das spricht dafür, das alte Verfahren beizubehalten!) Eine nicht unbeachtliche Zahl kommt dabei bereits aus sicheren Drittstaaten zu uns. Es ist davon auszugehen, dass etwa 30 Prozent derer, die behaupten, sie kämen aus Syrien, tatsächlich keine Syrer sind. (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Woher haben Sie denn die Zahl? – Sönke Rix [SPD]: Was ist das denn für eine Zahl?) Wenn jetzt also über eine Änderung gesprochen wird, ist dies schon aus Sicherheitsinteressen geboten. (Widerspruch bei der LINKEN) Wir sollten daher wieder zu einem Verfahren mit einer Anhörung und einer Prüfung jedes Einzelnen, seiner Identität und der ihm zustehenden Rechte zurückkommen. (Beifall bei der CDU/CSU – Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Identität wird auch heute schon festgestellt! – Zurufe von der LINKEN) Ein Verfahren, das alle Antragsteller gleich behandelt und niemanden privilegiert. Ein offenes Verfahren, an dessen Ende die Entscheidung steht, ob Asyl, Flüchtlingsstatus oder subsidiärer Schutz gewährt wird. Der Schutzstatus darf sich nicht ausschließlich an einer oft auch nur behaupteten Staatsangehörigkeit orientieren. (Rüdiger Veit [SPD]: Aber das muss ich doch sowieso prüfen!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, um einem weiteren Vorwurf klar entgegenzutreten: Keiner möchte hier den Familiennachzug für alle Syrer grundsätzlich abschaffen. (Richard Pitterle [DIE LINKE]: Nein, keiner hat die Absicht …! – Weitere Zurufe von der LINKEN!) Wir – damit meine ich die Koalition – wollen eine Gesetzesänderung dahin gehend, dass man bei einer gewissen Personengruppe, nämlich den subsidiär Schutzbedürftigen, das Recht auf Familiennachzug für zwei Jahre aussetzt, ein Recht übrigens, das kein althergebrachtes ist, sondern das man dieser Gruppe in der jetzigen Form überhaupt erst vor wenigen Monaten im Rahmen einer Gesetzesänderung zugesprochen hat. Eine veränderte Lage erfordert auch eine veränderte Politik. Gerade unserer Fraktion ist der Schutz von Ehe und Familie sehr wichtig. (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Rüdiger Veit [SPD]: Heute ist der 11.11.! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Passt zum 11.11.!) Wir sehen aber auch, dass wir jetzt schon kaum in der Lage sind, diejenigen, die zu uns kommen, gut unterzubringen und zu versorgen. Es ist auch ein Gebot der Menschlichkeit, die Angekommenen angemessen aufzunehmen. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Ihr seid Antichristen!) Es ist daher richtig, heute über die Aussetzung des Familiennachzugs für die subsidiär Schutzbedürftigen zu sprechen. Das mag hart klingen, ist aber ehrlich gegenüber denjenigen, die bei uns um Aufnahme ersuchen. Wir wären mit diesem Weg auch nicht alleine oder blieben hinter europäischen Standards zurück. Unsere derzeitige Praxis gibt es in keinem anderen Land der EU. Auch das ist für die Menschen ein Anreiz, gerade zu uns zu kommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen dringend Mittel und Wege finden, unsere massiv unter Druck geratenen Kommunen zu entlasten, (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ja, wir beschließen gleich den Haushalt!) den Flüchtlingszustrom zu steuern und für unsere Asylpolitik die notwendige breite Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhalten. Ein Wort noch, liebe Kolleginnen und Kollegen, zu den Diskussionen der letzten Tage: Ich wehre mich entschieden dagegen, dass man angesichts der Situation in unserem Land pauschal und a priori eine Welle der Empörung über pragmatische Vorschläge zur Bewältigung der Lage losbricht. (Zuruf der Abg. Sevim Dağdelen [DIE LINKE]) Es ist jetzt nicht die Zeit für Empörung und ideologische Debatten. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein! Was Sie machen, ist keine Ideologie? Jetzt ist wirklich die Büttenrede am Ende!) Es ist Zeit, zu handeln. Wir brauchen eine Politik, die sich am Machbaren und an den tatsächlichen Verhältnissen in unserem Land orientiert. Dafür plädiere ich. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Mann, Mann, was wir alles aushalten müssen!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt Michael Frieser. (Beifall bei der CDU/CSU) Michael Frieser (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Manchmal bin ich über die Aufgeregtheit in diesem Haus wirklich etwas überrascht. (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht hier um Menschenleben!) Es ist zwar seit jeher das Privileg der Opposition, Kritik zu üben, gerne auch lauthals, und die Last der die Regierung tragenden Fraktionen, Lösungen darbieten zu müssen, von dieser Seite des Hauses habe ich heute aber keinen einzigen Lösungsvorschlag gehört, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Gebt euch Mühe mit dem normalen Verfahren!) zu dem ich sagen könnte: Damit kommen wir einer Begrenzung, einer Lösung des entscheidenden Problems einen Schritt weiter. (Beifall bei der CDU/CSU) Das bedeutet – lassen Sie es mich ganz deutlich sagen –: Jene Art der Realitätsverdrängung, die im Augenblick hier betrieben wird, treibt die Menschen auf der Straße direkt in die Arme von AfD und Pegida. Das ist unser Problem. (Beifall bei der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die wählen aber das Original! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist nur die halbe Wahrheit! – Zuruf des Abg. Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich will es deutlich sagen, versuche aber zugleich, mich kurzzufassen: Mit der wirklich warmherzigen Aufnahme durch Ehrenamtliche – mit unendlichem Geschick und Emotionen –, aber auch mit der Hilfe bei der Aufnahme durch Vertreter der staatlichen Seite und der Wohlfahrtsverbände ist die Arbeit doch nicht getan. Die wirkliche Arbeit fängt doch erst an, wenn es um diese Fragen geht: Wie kommen diese Menschen in Arbeit? Wo finden diese Menschen Wohnungen? Wie sorgen wir für einen Integrationsprozess, an dessen Ende sie ein Bestandteil unserer Gesellschaft sind? Darüber hinwegzusehen und zu glauben, man könne an einer Art Rechtsbruch festhalten, zeugt in der Tat von Realitätsverdrängung. (Rüdiger Veit [SPD]: Welcher Rechtsbruch?) Es ist also vielmehr notwendig, zu einem rechtsstaatlichen Verfahren zurückzukehren. (Beifall der Abg. Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]) Ich bin schon überrascht über diese Art des Umgangs; denn die Tatsache, dass wir in einer Notsituation ein Verfahren, mit dem die Institutionen, die bei uns gesetzlich normiert sind, über die Aufnahme von Flüchtlingen zu entscheiden, wegen der Vielzahl der Fälle nicht mehr zurechtkommen, außer Kraft setzen, bedeutet doch nicht, dass diese Ausnahme zu einer permanenten Rechtssituation werden kann. Das heißt, wir müssen zu einem rechtsstaatlichen Verfahren zurückkehren, zum Beispiel bei den Anerkennungsverfahren. Alles andere wäre eine dauerhafte Außerkraftsetzung unseres Rechtssystems. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wie? – Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist jetzt aber nicht rechtsstaatswidrig, das gegenwärtige Verfahren! – Rüdiger Veit [SPD]: Das ist aber ein heftiger Vorwurf gegenüber dem Minister!) Das, was ich hier höre, bedeutet letztlich, wenn ich es zu Ende denke: Abschaffung eines individuellen Rechts auf Asyl. Das würde bedeuten, dass wir auf einen institutionellen, auf einen automatischen Anspruch zusteuern. Dann müssten Sie aber auch die Frage beantworten, welche Höchstgrenze es bei dieser Kontingentierung gäbe; denn es gäbe ja keine Einzelfallprüfungen mehr. Dann ginge es nicht mehr darum, tatsächlich die Verfolgung des einzelnen Flüchtlings festzustellen und die individuellen Asylgründe zu ergründen; denn das geht wirklich nur durch eine persönliche Befragung. Übrigens muss man auch fragen: Wie wollen Sie eigentlich denjenigen begegnen, die „über Nacht“ Syrer wurden, deren Muttersprache aber Serbokroatisch ist? (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist ja peinlich!) Das können Sie nur in einem persönlichen Verfahren hinterfragen. Deshalb ist klar: Sobald es irgendwie geht, müssen wir zu diesem Verfahren zurückkehren. (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kriegen wir gegenwärtig doch gar nicht bewältigt!) Sonst halten wir diesen Ausnahmezustand immer weiter aufrecht. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Hauptsache, Sie bedienen jetzt Pegida und AfD!) Das kann nicht die richtige Botschaft an diejenigen sein, die ihre Fluchtgründe tatsächlich persönlich vorbringen wollen. Weiter geht es mit der entscheidenden Frage des Familiennachzugs. Da drängen sich herzzerreißende Beispiele auf, von denen wir hier hören. Sie wissen aber genauso wie wir – auch das muss ich einmal sagen –, dass sich Tausende und Abertausende von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen auf dem Weg befinden, die letztlich nur ein Ziel haben, nämlich die Familie auf rechtsstaatlichem Wege nachzuholen. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Na und?) Wenn Sie den Familiennachzug nicht in der vorgesehenen Form begrenzen, evozieren Sie genau dieses Verhalten. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Kommen Sie mir nie wieder mit demografischem Wandel! Nie wieder!) Genau das sollten wir nicht tun. Deshalb haben wir am Ende gar keine Alternative, als den Familiennachzug zu begrenzen. In Bezug auf die Dublin-Verordnung sollte über Folgendes nachgedacht werden: Was meinen Sie, wie lange das unsere europäischen Nachbarn noch mitmachen? Wie lange werden sich Frankreich und die Beneluxstaaten das noch mit ansehen, (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schweden!) dass Tausende von Menschen durch Deutschland hindurchdiffundieren, weil wir selbst nicht mehr in der Lage sind, der Dublin-Verordnung zu einem rechtsstaatlichen Durchbruch zu verhelfen? Die bisher vereinbarten Ausnahmen können deshalb nicht auf Dauer zum Normalfall werden. Ich kann abschließend nur sagen: Herr Innenminister, vielen herzlichen Dank für die deutlichen Worte, vielen herzlichen Dank auch für den Durchhaltewillen und den Mut, die Dinge, die notwendig sind, umzusetzen. Sie wissen, dass die Fraktion hinter Ihnen steht; (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat die Kanzlerin offensichtlich jetzt das Misstrauen von Ihnen ausgesprochen bekommen!) denn Realitätsverdrängung bringt uns gerade im Augenblick mit Sicherheit nicht weiter. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als letzte Rednerin erhält jetzt Barbara Woltmann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Oh, jetzt kommt das Gleiche noch einmal mit anderen Worten!) Barbara Woltmann (CDU/CSU): Ja, Sie können sich schon darauf freuen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir sind hart im Nehmen!) Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Menschen in Not helfen, Zuwanderung ordnen und steuern, Integration sichern“ – das ist der Titel des Positionspapiers von CDU/CSU vom 1. November 2015, in dem wir unsere zentralen Ziele benannt haben. Sie lauten erstens: Zuwanderung ordnen und steuern sowie Fluchtursachen bekämpfen, um so die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren, (Zurufe von der LINKEN) – und zweitens – Menschen in Not zu helfen und die Integration Schutzbedürftiger zu sichern. Hinsichtlich der Erreichung dieser dort formulierten Ziele sind wir uns mit der Bundeskanzlerin völlig einig. (Rüdiger Veit [SPD]: Da hört es dann aber auch auf!) Insofern kann ich die Angriffe der Opposition nur zurückweisen. Es ist eine Mär, dass wir gegen die Bundeskanzlerin arbeiten. Das ist ganz und gar nicht so. (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie boykottieren ohne Ende ihr Ansehen!) Wir verfolgen gemeinsame Ziele, und diese haben wir in der Form formuliert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Im Grunde bin ich der Opposition dankbar, dass sie dieses Thema heute auf die Tagesordnung gesetzt hat. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Bitte, gern geschehen!) So können wir darüber sprechen. Das ist gut. Dabei kann man auch versuchen, auszutarieren, wo es Gemeinsamkeiten gibt. Und es gibt auch Gemeinsamkeiten über alle Fraktionen hinweg – ich habe genau zugehört –: Wir alle verfolgen einen humanitären Ansatz. Wir wollen den Menschen helfen, die wirklich in Not sind, die einen Asylgrund haben oder die Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention sind und unsere Hilfe benötigen. Dagegen ist hier keiner. Ich bin froh, dass wir in diesem wesentlichen Punkt Einigkeit erzielt haben. Wir dürfen aber andererseits nicht aus dem Blick verlieren, wie die Situation in unserem Lande mittlerweile ist. Laut Prognose haben wir 800 000 Flüchtlinge in diesem Jahr, (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: 20 Milliarden Euro Haushaltsüberschuss!) möglicherweise werden es mehr werden. Wir wissen auch nicht, wie sich die Situation im nächsten Jahr entwickeln wird. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wie viele Menschen leben in Deutschland?) Alle kommunalen Spitzenverbände haben sich dahin gehend geäußert – Sie haben doch auch alle Wahlkreise; Sie wissen doch, was zu Hause bei Ihnen los ist –: (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, das kann ich Ihnen gerne einmal erzählen!) Wenn wir den Menschen, die kommen, Schutz gewähren wollen, dann sollte er angemessen sein. Wir wollen sie gut unterbringen, aber es kommen zu schnell zu viele. – Das muss man einfach deutlich sagen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das habe ich in meinem Wahlkreis nicht gehört!) Der Winter steht vor der Tür. (Zuruf von der LINKEN: Und dann schicken Sie sie zurück?) Die Bürgermeister wissen oft nicht mehr, wo sie die Menschen unterbringen sollen; den Ländern, in denen die Erstaufnahme erfolgt, geht es genauso. Ich komme aus Niedersachsen. Dort hat das Land die Erstaufnahme mittels Amtshilfeverfahren auf die Kommunen abgeschoben. Vonseiten des Landes heißt es: Wir können nicht mehr, wir wissen nicht mehr, wo wir die Menschen unterbringen sollen, ihr Kommunen müsst es richten. Gott sei Dank haben es, zumindest bei uns in Niedersachsen, die Kommunen bislang noch richten können. Sie haben dafür sorgen können, dass die Menschen ein Dach über dem Kopf haben. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Aber nicht dank Ihrer Politik, sondern trotz Ihrer Politik!) Bei uns gibt es – das ist von anderen auch schon erwähnt worden – sehr viel ehrenamtliches Engagement. Es ist wahnsinnig toll, wie viele ehrenamtliche Helfer sich dieser Aufgabe widmen. Das ist nicht hoch genug anzuerkennen. Als ich in den Notaufnahmeeinrichtungen gewesen bin, bin ich aber auch mit den Mitarbeitern des Roten Kreuzes oder der Malteser – oder wer auch immer da hilft – ins Gespräch gekommen. Die sagen auch: Unsere Leute, die das hier ehrenamtlich machen, sind allmählich am Limit. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Dann waren wir auf zwei verschiedenen Veranstaltungen!) Denn die machen das neben ihrem Beruf. Wir haben Leute bei uns, die Nachtdienst in der Einrichtung machen und tagsüber ihrem Beruf nachgehen. Das ist eine ganz erhebliche Belastung. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die waren ganz cool drauf! Die haben nichts davon erzählt!) Insofern müssen wir uns darüber unterhalten, wie wir die Dinge auch in Zukunft gut bewältigen können. Wir sind ein reiches Land. Wir sind ein wohlhabendes Land. Keiner von uns sagt ja, dass wir das in diesem Jahr nicht schaffen können. Wir haben es ja auch geschafft. Aber wie ist es in Zukunft? Wie ist es in den nächsten Jahren, wenn sich die Zahlen so weiterentwickeln? Darüber müssen wir uns unterhalten. Da müssen wir Lösungen finden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich bin froh, dass wir mit unserem ersten Gesetzespaket, das am 24. Oktober in Kraft getreten ist, eine gute Grundlage geschaffen haben. Ich bin auch der SPD dankbar, dass wir mit dem am 5. November gefundenen Kompromiss ein weiteres Paket werden auf den Weg bringen können. Es gibt – auch das ist schon gesagt worden – nicht die eine Lösung, es gibt nur ein ganzes Paket an Lösungen. Die Probleme können auch nicht nur die Innenpolitiker lösen, sondern diese müssen auch die Außenpolitiker lösen. Insofern ist es gut, wie Minister de Maizière sagt – da ist er voll auf der Seite der Kanzlerin; ich darf das vielleicht so zitieren, Herr Minister, weil Sie es uns gegenüber gesagt haben –, dass Altmaier die Dinge jetzt im Kanzleramt koordiniert, weil verschiedene Ministerien betroffen sind. Das ist eine gute Entscheidung. Wir wissen auch, dass wir es nicht alleine werden lösen können. Da ist Europa gefragt, da ist die internationale Gemeinschaft gefragt. Der UNHCR muss endlich mit den entsprechenden Mitteln ausgestattet werden. Es kann einfach nicht angehen, dass der UNHCR nur noch 14 Euro im Monat pro Flüchtling hat. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Welches Land zahlt denn seine Mitgliedsbeiträge nicht?) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin Woltmann. Barbara Woltmann (CDU/CSU): Einen Satz noch. – Wir haben mit Herrn Weise, dem neuen Präsidenten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, gesprochen. Wir haben ihn gefragt: Was wird denn als Fluchtursache genannt? Uns wurde gesagt, dass drei Gründe in den Asylverfahren von den Flüchtlingen genannt werden. Die Flüchtlinge nennen als einen Grund die sichere Situation in Deutschland. Außerdem geben sie an: Weil die wirtschaftliche Lage in Deutschland gut und stabil ist, glauben wir, dass wir dann auch einen Arbeitsplatz finden. Und zum Dritten sagen sie: Weil wir in den Lagern, in den Camps in den Anrainerstaaten nicht mehr genug zu essen haben. – Auch das war einer der Gründe. Deswegen müssen wir da helfen. Ich muss zum Schluss kommen. Man könnte jedoch noch sehr viel mehr sagen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 12. November 2015, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich freue mich, wenn ich Sie alle nachher beim Großen Zapfenstreich wiedersehe. – Vielen Dank. (Schluss: 17.17 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bülow, Marco SPD 11.11.2015 Esken, Saskia SPD 11.11.2015 Göring-Eckardt, Katrin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11.11.2015 Griese, Kerstin SPD 11.11.2015 Hendricks, Dr. Barbara SPD 11.11.2015 Höger, Inge DIE LINKE 11.11.2015 Jung, Andreas CDU/CSU 11.11.2015 Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11.11.2015 Lanzinger, Barbara CDU/CSU 11.11.2015 Ludwig, Daniela CDU/CSU 11.11.2015 Malecha-Nissen, Dr. Birgit SPD 11.11.2015 Rachel, Thomas CDU/CSU 11.11.2015 Rüthrich, Susann SPD Scho-Antwerpes, Elfi SPD 11.11.2015 Ulrich, Alexander DIE LINKE 11.11.2015 Werner, Katrin DIE LINKE 11.11.2015 Wicklein, Andrea SPD 11.11.2015 Wunderlich, Jörn DIE LINKE 11.11.2015 Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Norbert Barthle auf die Frage der Abgeordneten Veronika Bellmann (CDU/CSU) (Drucksache 18/6602, Frage 9): Welche Kriterien müssen erfüllt sein, damit ein Radweg, der nicht mehr als bundesstraßenbegleitend eingestuft ist, dennoch vom Bund mitfinanziert werden kann? Die Zuständigkeit des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur bezieht sich gemäß Artikel 90 und Artikel 85 des Grundgesetzes auf die Bundesstraßen, die die Länder im Rahmen der Auftragsverwaltung des Bundes planen, bauen und unterhalten. Für die Bundesstraßen, die in seiner Baulast liegen, kann der Bund den Bau von Radwegen nur unter bestimmten Voraussetzungen finanzieren. Diese sind in den „Grundsätzen für Bau und Finanzierung von Radwegen im Zuge von Bundesstraßen in der Baulast des Bundes“ vom 17. Oktober 2008 festgelegt. Danach dient die Anlage von Radwegen an Bundesstraßen in der Baulast des Bundes vornehmlich der Erhöhung der Verkehrssicherheit durch Entflechtung des Kraftfahrzeug- und des Fahrradverkehrs dort, wo – Radverkehr in nicht nur geringem Umfang regelmäßig zu berücksichtigen ist, – mit einem erheblichen Aufkommen an Radfahrern im Freizeit-, Wochenend- und Erholungsverkehr zu rechnen ist und keine oder nur unzureichende Alternativwege vorhanden sind oder – besonders schutzbedürftige Verkehrsteilnehmer auftreten. Die Entflechtung ist insbesondere dort wichtig, wo hohe Differenzgeschwindigkeiten zwischen Kraftfahrzeug- und Fahrradverkehr auftreten sowie auf Straßen mit hohen Verkehrsstärken und geringen Fahrbahnbreiten. Regelungen in Maß und Zahl zur maximal zulässigen Entfernung zwischen Radweg und Bundesstraße oder zur Lage an einer parallel verlaufenden Straße sind in den vorgenannten Grundsätzen nicht enthalten; dies kann nur unter Berücksichtigung der jeweiligen örtlichen Randbedingungen beurteilt werden. Anlage 3 Antwort der Parl. Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter auf die Frage der Abgeordneten Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 18/6602, Frage 10): Mit welchen Veränderungen in der Klimapolitik des Landes rechnet die Bundesregierung in Bezug auf die neue kanadische Regierung, auch im Hinblick auf eine Positionierung Kanadas für den Abschluss eines ambitionierten und rechtlich verbindlichen Klimaabkommens in Paris, und welche Einschränkungen wären gegebenenfalls für die klimaschädliche Ölgewinnung aus Teersanden zu erwarten? In Kanada hat im Oktober 2015 ein Regierungswechsel hin zur Liberalen Partei unter ihrem Vorsitzenden Justin Trudeau stattgefunden. Der neue Premierminister und sein Kabinett wurden am 4. November 2015 vereidigt. Die Verkündung des Regierungsprogramms wird mit der traditionellen „Speech from the Throne“ durch den Generalgouverneur vor dem Parlament frühestens Anfang Dezember erwartet. Mit Premierminister Trudeau deutet sich – laut seinen Äußerungen in der kanadischen Presse sowie Wahlprogramm der Liberalen – in der Tat eine Änderung der bisherigen Klimapolitik an. Er hat zum Beispiel angekündigt, an der Klimakonferenz in Paris teilzunehmen. Kanada soll als ein starker und positiver Verhandlungspartner wahrgenommen werden. Es ist allerdings nicht bekannt, ob Kanada seinen Minderungsbeitrag für das Klimaabkommen nochmals abändern würde. Auf nationaler Ebene will Premierminister Trudeau nach einer ersten Ankündigung gemeinsam mit den Provinzregierungen Klimaziele entwickeln. Dazu gehört auch die Kohlenstoffbepreisung, die es bisher schon in einigen der Provinzen gibt. Wie sich dies konkret auswirken wird, ist derzeit jedoch noch nicht absehbar. Die Provinzen betreiben im föderalen kanadischen System autonome Klimaschutz- und Energiepolitiken. Welche energiepolitischen Schwerpunkte die kanadische Regierung unter Minister James Gordon Carr setzt, kann derzeit noch nicht abgeschätzt werden. Anlage 4 Antwort der Parl. Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter auf die Frage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 18/6602, Frage 11): Wie lautet nach derzeitigem Stand das weitere Arbeitsprogramm der in der Antwort der Bundesregierung auf meine mündliche Frage 14 in der Fragestunde vom 4. November 2015 (vergleiche Plenarprotokoll 18/132, Anlage 9) genannten gemeinsamen Arbeitsgruppe des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit und der Energieversorgungsunternehmen (bitte mit Datumsangabe der bislang ins Auge gefassten kommenden Termine), und wer genau nahm an der in der oben genannten Antwort genannten „ersten im Oktober 2015 erfolgten Sitzung“ teil (bitte mit Angabe von deren Kalenderdatum)? An der Sitzung am 15. Oktober 2015 haben je ein Vertreter der Energieversorgungsunternehmen Eon, RWE, EnBW und Vattenfall sowie aus dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit der zuständige Unterabteilungsleiter sowie der zuständige Referatsleiter teilgenommen. Ein weiterer Termin soll noch im November 2015 stattfinden. Thema dieses Termins sind (genehmigungs-) rechtliche und technische Fragen im Zusammenhang mit der im Gesamtkonzept zur Rückführung von verglasten radioaktiven Abfällen aus der Wiederaufarbeitung unter Nummer II.4 genannten Primärdeckelwechselstation. Weitere Sitzungstermine der gemeinsamen Arbeitsgruppe wurden bislang nicht vereinbart. Anlage 5 Antwort der Parl. Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter auf die Frage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 18/6602, Frage 12): Welche Precursor-Ereignisse gab es im Jahr 2010 in deutschen Atomkraftwerken (bitte jeweils mit Angabe der wesentlichen Eckpunkte), und welche Ereignisse wurden im Rahmen der Precursor-Analyse als nicht bewertbar eingestuft (bitte ebenfalls mit Eckpunkteangabe; vergleiche hierzu Antwort der Bundesregierung auf meine schriftliche Frage 115 auf Bundestagsdrucksache 18/5596)? Die Ereignisse und die von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) ermittelten bedingten Wahrscheinlichkeiten für Gefährdungszustände sind in der nachfolgenden Tabelle aufgeführt. Es wird darauf hingewiesen, dass die Aussagekraft der von der GRS durchgeführten Precursor-Analysen teilweise eingeschränkt ist, weil der GRS nicht immer ausreichende Daten über die einzelnen Anlagen vorlagen. Die eingeschränkte Aussagekraft ist bei der Interpretation der numerischen Ergebnisse der Precursor-Analysen zu berücksichtigen. Im Jahr 2010 traten keine nicht bewertbaren Ereignisse auf. Tabelle: Meldepflichtige Ereignisse, die im Rahmen der Precuror-Analysen der GRS für das Jahr 2010 als Precursor-Ereignisse eingestuft wurden. Datum Anlage Kurzbeschreibung des Ereignisses Kategorie Auslösendes Ereignis 1) Bedingte Wahrscheinlichkeit für Gefährdungszustände 24.01.2010 KKU Reaktorschnellabschaltung infolge Fehlschließen des Hauptspeisewasser-Volllastregelventils eines Dampferzeugers Potentielles AE (AHSpW) 1 ·105 27.01.2010 KKI-1 Ausfall eines 6,3/0,4 kV-Notstromtransformators über Buchholz-Auslösung Betriebsstörung, Potentielles AE (Transienten) 2,0 ·106 15.02.2010 KRB-II-B Kurzzeitiges Öffnen eines diversitären Druckbegrenzungsventils Potentielles AE (AHWS) 3,5 ·106 11.03.2010 KKI-1 Nichtstarten eines Notstromdiesels bei einer wiederkehrenden Prüfung Funktionsstörung im Sicherheitssystem (Notstromfall) 4,4 ·106 10.09.2010 KKI-1 Nichtschließen eines Sicherheits- und Entlastungsventils im Rahmen einer wiederkehrenden Reaktorschutzprüfung AE AHWS 3,4 ·106 28.09.2010 GKN-2 Kleinstleckage an einer Entleerungsleitung aus einem Dampferzeuger Potentielles AE (KMV) 2,5 ·105 30.12.2010 KKU Reaktorschnellabschaltung infolge Fehlschließen des Hauptspeisewasser-Volllastregelventils eines Dampferzeugers Potentielles AE (AHSpW) 1 ·105 1) Bei den in Klammern ( ) gesetzten Ereignissen handelt es sich jeweils um das maßgebliche, im Rahmen der Precursor-Analyse als auslösend postulierte Ereignis, das jedoch nicht eingetreten ist. In der Tabelle verwendete Abkürzungen: AE Auslösendes Ereignis mit Anforderung von Sicherheitssystemen AHWS Ausfall der Hauptwärmesenke AHSpW Ausfall der Hauptspeisewasserversorgung KMV Kühlmittelverluststörfall Anlage 6 Antwort des Parl. Staatssekretärs Stefan Müller auf die Frage des Abgeordneten Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 18/6602, Frage 14): Zu welchen Fragestellungen wurden in diesem Jahr Forschungsaufträge im Rahmen der Förderbekanntmachung „Mikroplastik in marinen Systemen“ vergeben, und wie hoch sind die jeweiligen Fördersummen (bitte nach Fragestellung und Auftragnehmern aufschlüsseln)? Die Förderbekanntmachung „Mikroplastik in marinen Systemen“ erfolgte im Rahmen einer europäischen Kooperation unter dem Dach der Joint Programming Initiative „Healthy and Productive Seas and Oceans“ (JPI OCEANS). Basierend auf einem gemeinsamen Begutachtungsprozess wurden vier Verbünde mit einem Fördervolumen von circa 7,5 Millionen Euro zur Förderung vorgeschlagen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung beteiligt sich mit circa 2,07 Millionen Euro. Bei den ausgewählten Forschungsvorhaben handelt es sich um folgende vier wissenschaftliche Verbundprojekte: BASEMAN – Leitlinien und Standards für die einheitliche Analyse von Mikroplastik in europäischen Gewässern EPHEMARE – Ökotoxikologische Effekte von Mikroplastik in marinen Ökosystemen PLASTOX – Direkte und indirekte ökotoxikologische Effekte von Mikroplastik auf marine Organismen WEATHER-MIC – Einfluss von Verwitterung auf den Transport, den Verbleib und die Toxizität von Mikroplastik in der marinen Umwelt Beteiligte deutsche Einrichtungen mit voraussichtlicher Fördersumme: Projekt Einrichtung Gesamtbudget BMBF- Zuwendung WEATHER-MIC Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ 583.000,00 € 297.447,00 €   Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e.V. – FhG 375.000,00 € 299.973,00 € BASEMAN Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung – AWI 654.000,00 € 299.744,00 €   GEOMAR – Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel -GEOMAR 370.000,00 € 89.143,00 €   Universität Bayreuth 348.000,00 € 300.000,00 €   Carl von Ossietzky Universität Oldenburg 240.000,00 € 180.592,80 € EPHEMARE Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg 339.000,00 € 300.000,00 € PLASTOX TU Darmstadt 336.000,00 € 299.832,00 € Anlage 7 Antwort des Parl. Staatssekretärs Stefan Müller auf die Frage des Abgeordneten Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 18/6602, Frage 15): Wann ist nach Kenntnis der Bundesregierung mit der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen der jeweiligen Mikroplastik-Forschungsprojekte zu rechnen? Die Forschungsprojekte haben eine dreijährige Laufzeit und sollen am 1. Januar 2016 starten. Ein gemeinsames Auftaktmeeting wird im Februar 2016 in Madrid stattfinden. Erste Ergebnisse sind ab 2017 zu erwarten. Für 2017 und 2018 wurden durch die Wissenschaftler die Teilnahme an wissenschaftlichen Konferenzen und Präsentation der Forschungsergebnisse geplant. Anlage 8 Antwort der Staatsministerin Monika Grütters auf die Frage der Abgeordneten Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 18/6602, Frage 17): Inwiefern sind von dem Kabinettsentwurf für ein Kulturschutzgesetz auch naturwissenschaftliche Probenarchive (Herbarien, Insektensammlungen, Fossiliensammlungen und andere) betroffen, und welche Folgen hat dies voraussichtlich für die naturwissenschaftliche Forschung, das Umweltmonitoring durch Institute und ehrenamtliche Vereine sowie die Umweltbildung? Aus Sicht der Bundesregierung hat der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung des Kulturgutschutzrechts keine Auswirkungen auf die naturwissenschaftliche Forschung, das Umweltmonitoring durch Institute und ehrenamtliche Vereine sowie die Umweltbildung. Um vom Anwendungsbereich des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Neuregelung des Kulturgutschutzrechts überhaupt betroffen zu sein, müsste es sich bei den genannten Probenarchiven zunächst um Kulturgut handeln. Dies ist zwar grundsätzlich auch bei naturwissenschaftlichen Sammlungen denkbar, wird jedoch die absolute Ausnahme sein; denn zusätzlich zu der in erster Linie naturwissenschaftlichen Bedeutung der Gesamtheit der Einzelstücke wäre ein außerordentliches kulturhistorisches Interesse an der Sammlungsleistung erforderlich. Anlage 9 Antwort des Staatsministers Michael Roth auf die Frage des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 18/6602, Frage 19): Teilt die Bundesregierung die Ankündigung im migrationspolitischen Papier von CDU und CSU vom 1. November 2015 „Menschen in Not helfen, Zuwanderung ordnen und steuern, Integration sichern“: „Deutschland wird ebenso wie die USA und andere Partner sein militärisches Engagement in Afghanistan verlängern … Außerdem halten wir den Abschluss eines Rückübernahmeabkommens durch die EU sowie den Schutz und die Schaffung innerstaatlicher Fluchtalternativen (Schutzzonen) und die Konzentration der Entwicklungszusammenarbeit für dringlich. Vor diesem Hintergrund werden wir die Entscheidungsgrundlagen des BAMF für Afghanistan überarbeiten und anpassen“ (BAMF: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge), also die Bundeswehr länger in Afghanistan belassen, und wie lauten die Details dieses verlängerten Bundeswehreinsatzes (Zahl der Soldaten, Einsatzdauer, Ort) sowie der neuen Entscheidungsgrundlagen für das BAMF? Der deutsche Einsatz bei der NATO-Mission Resolute Support in Afghanistan erfolgt gemeinsam mit den Alliierten und weiteren operationellen Partnern. Die Entwicklung der Mission werden wir daher gemeinsam in der NATO beschließen. Präsident Obama hat bereits angekündigt, bis mindestens Ende 2016 mit 9 800 Soldaten in Afghanistan bleiben zu wollen. Das ermöglicht uns, ebenso lange in Masar-i-Scharif zu bleiben. Die Koalition hat beschlossen, dass Deutschland sich weiterhin an der Stabilisierung von Afghanistan beteiligen, sein finanzielles Engagement zur Entwicklung des Landes aufrechterhalten und, vorbehaltlich der konstitutiven Zustimmung des Deutschen Bundestags, gemeinsam mit den USA und weiteren Partnern auch sein militärisches Engagement in Afghanistan verlängern wird. Deutschland beteiligt sich zurzeit als Führungsnation im Norden mit 850 Soldatinnen und Soldaten an der Resolute Support Mission in Afghanistan. Das Bundestagsmandat läuft bis zum 31. Dezember 2015. Die Bundesregierung wird zu gegebener Zeit mit einem neuen Mandatsantrag in den Bundestag gehen. Einzelheiten des Antrags werden derzeit zwischen den Ressorts abgestimmt. Was mögliche Rückführungen nach Afghanistan betrifft: Hier wird auch weiterhin gelten, dass eine sorgfältige Einzelfallprüfung vorgenommen wird. Die Koalition hat zudem beschlossen, zur Schaffung und Verbesserung innerstaatlicher Fluchtalternativen beizutragen und vor diesem Hintergrund die Entscheidungsgrundlagen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu überarbeiten und anzupassen. Dies ermöglicht auch eine Intensivierung der Rückführungen. Anlage 10 Antwort des Staatsministers Michael Roth auf die Frage des Abgeordneten Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 18/6602, Frage 20): Teilt das Auswärtige Amt vor dem Hintergrund der Entwicklungen in der arabischen Welt die ernsthaften Bedenken des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, was die Genehmigungsfähigkeit von 62 Panzern, 24 Panzerhaubitzen und anderem Kriegsgerät nach Katar angeht (vergleiche Schreiben des Staatssekretärs Matthias Machnig an den Vorsitzenden des Ausschusses für Wirtschaft und Energie des Deutschen Bundestags vom 22. Oktober 2015)? Die gültige Genehmigung nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz für die Lieferung von 62 Panzern, 24 Panzerhaubitzen und anderen Rüstungsgütern nach Katar ist bereits 2013 erteilt worden. In einem gemeinschaftlichen Abwägungs- und Entscheidungsprozess hat die Bundesregierung alle Bedenken, Argumente und Optionen umfassend bewertet und gemeinsam entschieden, die Ausfuhren letztlich nicht aufzuhalten. Das Auswärtige Amt hat an diesem Abwägungs- und Entscheidungsprozess substanziell mitgewirkt und dabei außen- und sicherheitspolitische Erwägungen eingebracht − unter Würdigung der Lage in der Region. Die Bundesregierung ist in diesem Zusammenhang zu der Auffassung gelangt, dass die erwähnten, bereits genehmigten Rüstungsgüter nicht im Jemen zum Einsatz kommen dürfen. Die katarische Regierung hat dies zugesichert. Anlage 11 Antwort des Staatsministers Michael Roth auf die Frage der Abgeordneten Sevim Dağdelen (DIE LINKE) (Drucksache 18/6602, Frage 21): Inwieweit sieht die Bundesregierung in der Einschätzung des Sprechers der Bundesregierung Steffen Seibert, der den friedlichen Verlauf der Abstimmung in der Türkei lobte, einen Widerspruch zur Kritik der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) und der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, wonach der Wahlkampf in der Türkei „von Gewalt beeinträchtigt“ war (AFP vom 2. November 2015), und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem Urteil der OSZE-Beobachter, dass der türkische Wahlkampf infolge von Anschlägen, Drohungen sowie Razzien im Vorfeld, von denen insbesondere die Kurden und die Demokratische Partei der Völker (HDP) betroffen waren, weder fair noch friedvoll gewesen ist (www.zeit.de/politik/ausland/2015-11/tuerkei-wahl-wahlkampf-osze-kritik)? Die Bundesregierung teilt die vorläufige Bewertung der Wahlbeobachter von ODHIR, OSZE-PV und EuR-PV. Darin wurde positiv gewürdigt, dass die Wahlen am Wahltag gut organisiert und weitgehend störungsfrei verliefen. Ebenso wurden die hohe Wahlbeteiligung und die Tatsache, dass bei der Wahl echte Alternativen bestanden, positiv bewertet. Es ist richtig, dass die Wahlbeobachter zugleich den vorangegangenen Wahlkampf mit Blick auf die schlechte Sicherheitslage in einigen Gebieten der Türkei, Angriffe gegen einzelne Parteien und Medien sowie Einschränkungen in der Meinungsfreiheit kritisiert haben. Die Äußerung des Sprechers der Bundesregierung bezog sich auf den Verlauf der Abstimmung am Wahltag selbst. Anlage 12 Antwort des Staatsministers Michael Roth auf die Frage des Abgeordneten Andrej Hunko (DIE LINKE) (Drucksache 18/6602, Frage 22): Welche Details kann die Bundesregierung zum Zustandekommen einer Eintragung zur Einreiseverweigerung von elf Mitgliedern der türkischen Musikgruppe „Grup Yorum“, der eine Nähe zur verbotenen Revolutionären Volksbefreiungsfront (DHKP-C) unterstellt wird, in das Schengener Informationssystem SIS II mitteilen, womit nach Medienberichten (junge Welt vom 3. November 2015) das deutsche Konsulat die Verweigerung von Visaerteilungen für einen Auftritt auf dem Konzert „Eine Stimme, ein Herz gegen Rassismus“ in Oberhausen begründete, obgleich die Musiker erst im Sommer ohne Probleme bei der Einreise in Europa touren konnten (bitte die für die Eintragung im SIS II verantwortliche Regierung und die angegebenen Gründe mitteilen), und im Rahmen welcher bilateralen oder internationalen Zusammenarbeitsformen haben sich deutsche und türkische Sicherheitsbehörden im Jahr 2015 über konkrete operative Maßnahmen gegenüber der DHKP-C und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ausgetauscht? Im Rahmen der Auftragserfüllung und mit der Zielsetzung des Schutzes von Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland findet ein bilateraler Austausch zwischen deutschen und den türkischen Sicherheitsbehörden statt. Der Austausch findet in der Regel zweimal jährlich mit den jeweiligen türkischen Partnerbehörden statt. Gegenstand sind alle von den Sicherheitsbehörden zu bearbeitenden Themen, insbesondere der internationale Terrorismus. Dazu gehören neben den Reisebewegungen von Dschihadisten über die Türkei nach Syrien auch terroristische Aktivitäten der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und der Revolutionären Volksbefreiungsfront (DHKP-C). Gegenstand der Gespräche ist regelmäßig ein Austausch zur Lage in den jeweiligen Ländern. Das Recht auf Auskunft über die im Schengener Informationssystem gespeicherten Daten steht aus datenschutzrechtlichen Gründen nur dem Betroffenen nach Artikel 41 der Verordnung (EG) Nr. 1987/2006 sowie Artikel 58 des Beschlusses des Rates 2007/533/J zu. Insofern kann hierzu keine Auskunft erfolgen. Anlage 13 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Günter Krings auf die Frage des Abgeordneten Andrej Hunko (DIE LINKE) (Drucksache 18/6602, Frage 23): Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, inwiefern in dem vom Bundeskriminalamt bei Europol aufgebauten Analyse- und Auswerteschwerpunkt „Check the Web“ durch die neue Meldestelle für Internetinhalte (EU IRU) nicht nur „bearbeitete Inhalte“ zum Phänomen „islamistischer Terrorismus“ gespeichert und verarbeitet werden (oder werden sollen), sondern auch zu „Schleuserkriminalität“ und „gewaltbereitem Extremismus“ (vergleiche Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke „Rechtsgrundlage der Meldestelle für Internetinhalte bei Europol“, auf Bundestagsdrucksache 18/6442, Antwort noch ohne Drucksachennummer), und mit welchen Maßnahmen sollen oder wollen die Firmen Twitter und Western Union, wie auf der Konferenz „INTERPOL and Europol Operational Forum on Countering Migrant Smuggling Networks“ besprochen, dazu bewogen werden, die Nutzung des Internets „als Mittel der Kommunikation zwischen Fluchthelfern und Flüchtlingen“ zu verhindern und mutmaßliche Fluchthelfer durch Ermittlungen von Finanzströmen und Kommunikationsnetzwerken aufzuspüren bzw. eine hierzu bereits vorhandene Kooperation zu verstetigen? Der Auswerteschwerpunkt „Check the Web“ bei Europol ist derzeit auf den Phänomenbereich des islamistischen Terrorismus beschränkt. Der Bundesregierung ist nicht bekannt, dass darüber hinaus eine Ausweitung auf die Bereiche Schleusungskriminalität oder gewaltbereiten Extremismus geplant ist. Die Bundesregierung hat keine Kenntnis von Maßnahmen der Unternehmen Twitter und Western Union zur Verhinderung der Nutzung des Internets als Mittel der Kommunikation zwischen sogenannten Fluchthelfern und Flüchtlingen bzw. zum Aufspüren von Finanzströmen und Kommunikationsnetzwerken. Der Bundesregierung sind auch keine Maßnahmen bekannt, welche die Unternehmen Twitter und Western Union hierzu bewegen sollen. Anlage 14 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Günter Krings auf die Frage der Abgeordneten Sevim Dağdelen (DIE LINKE) (Drucksache 18/6602, Frage 24): Inwieweit trifft es zu, dass die Ankündigung der Bundesregierung, abgelehnte Asylbewerber aus Afghanistan künftig deutlich häufiger als bisher in ihre Heimat abzuschieben, von der Regierung in Kabul mit Erstaunen und Ablehnung kommentiert worden ist, wobei der afghanische Minister für Flüchtlingsangelegenheiten, Sayed Hussain Alimi Balkhi, sagte, dass seine Regierung von einer entsprechenden Entscheidung nichts wüsste, sondern im Gegenteil einer deutschen Regierungsdelegation in Genf gesagt habe, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtert habe und „deshalb ausdrücklich darum gebeten (hat), keine afghanischen Asylbewerber abzuschieben“ (www.faz.net/aktuell/politik/fluechtlingskrise/afghanistan-will-abgelehnte-asylbewerber-nicht-zuruecknehmen-13883072.html), und teilt die Bundesregierung nach ihrer Kenntnis die Auffassung, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtert hat vor dem Hintergrund, dass der deutsche NATO-General Hans-Lothar Domröse die Möglichkeit von Luftangriffen gegen die radikal-islamischen Taliban und die Weitergabe von Aufklärungsbildern an die afghanischen Sicherheitskräfte in Betracht zieht (www.nzz.ch/international/deutscher-nato-general-fordert-ausweitung-des-afghanischen-einsatzes-1.18640756)? In Gesprächen der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und Außenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier hat der afghanische Präsident Ghani erklärt, dass sich Afghanistan bei der Aufnahme von abgelehnten Asylbewerbern aus Deutschland an seine internationalen Verpflichtungen halte. Anderslautende Äußerungen seien „nicht die Haltung seiner Regierung“. Der stellvertretende Sprecher des Präsidenten bekannte sich öffentlich eindeutig zur Rückübernahmepflicht abgelehnter Asylbewerber durch Afghanistan. Die Bundesregierung wird mit den für die Rückführung zuständigen Ländern das weitere Vorgehen im Rahmen der Herbst-IMK erörtern. Anlage 15 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Günter Krings auf die Frage des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 18/6602, Frage 25): Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung angesichts der steigenden Anzahl von gewalttätigen Angriffen und Terroranschlägen auf Flüchtlinge, Flüchtlingsunterkünfte und Menschen, die sich für Flüchtlinge einsetzen, und inwiefern hält sie diese Maßnahmen für ausreichend, um die gefährdeten Personen und Personengruppen effektiv zu schützen? Die Sicherheitsbehörden tun alles in ihrer Macht Stehende, um solche Straftaten zu verhindern. Es ist aber auch klar, dass es keinen absoluten Schutz geben kann. Die primären Schutz- und Strafverfolgungsmaßnahmen werden, wie Sie ja wissen, von den Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden der Länder eigenverantwortlich wahrgenommen. Das Bundeskriminalamt (BKA) unterstützt die Länder aber im Rahmen seiner Zentralstellenfunktion intensiv, insbesondere durch die Erstellung von Lagebildern und Gefährdungsbewertungen. Um einen bundesweiten Lageüberblick über alle Übergriffe auf Asylunterkünfte zu erhalten, haben wir zusammen mit den Ländern bei der Erfassung von politisch motivierter Kriminalität zum 1. Januar 2014 die Kategorie „gegen Asylunterkünfte“ eingeführt und die Clearingstelle im BKA eingerichtet, um einen zentralen Ansprechpartner für die Länder zu schaffen. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) beobachtet im Rahmen seiner Aufgaben und Befugnisse fortlaufend rechtsextremistische Aktivitäten und politisch motivierte Gewalt. Gerade die rechtsextremistische Anti-Asyl-Agitation wird hierbei prioritär bearbeitet. Darüber hinaus findet ein kontinuierlicher Informationsaustausch im Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum-Rechts (GETZ-R) sowie im Rahmen von Sachbearbeitertagungen mit dem Ziel statt, frühzeitig die Bildung vernetzter rechtsextremer Strukturen zu erkennen und entsprechende Maßnahmen ergreifen zu können. Am Beispiel „Old School Society“ („OSS“) wurde deutlich, dass diese Zusammenarbeit funktioniert. Gegenwärtig arbeiten wir auch daran, die statistische Erfassung von Straftaten noch zu verfeinern, die sich in diesem Zusammenhang gegen Personen außerhalb der Unterkünfte richten. Im zuständigen Fachgremium AG Qualitätskontrolle werden gegenwärtig aber auch im Hinblick auf Flüchtlinge und deren Unterstützer Erweiterungen des Themenfeldkatalogs PMK erörtert. Auch hier befinden wir uns aber noch in der fachlichen Diskussion und Abstimmung mit den Ländern. Anlage 16 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Günter Krings auf die Frage des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 18/6602, Frage 26): Wie viele Entscheider werden derzeit vom BAMF eingesetzt, und wie viele Stellen wurden bzw. werden für Entscheider in den Jahren 2014 bis 2016 neu geschaffen und besetzt (bitte nach Quartalen aufschlüsseln)? Von den mit dem Nachtragshaushalt 2015 bewilligten 750 Planstellen/Stellen sind 450 Entscheiderstellen vorgesehen, die zum Ende dieses Jahres vollständig besetzt sein werden. Damit erhöht sich die Anzahl der besetzten Entscheiderstellen bis Ende 2015 auf 805. Bis zum Ende des Jahres 2014 waren im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) 355 Entscheiderstellen besetzt. Im Rahmen der für 2016 vorgesehenen Stellenzuwächse beim BAMF sind nach aktuellen Planungen weitere 1 200 Entscheiderstellen vorgesehen, sodass sich − nach Maßgabe des laufenden parlamentarischen Haushaltsaufstellungsverfahrens − im Laufe des Jahres 2016 die Zahl der besetzten Entscheiderstellen auf rund 2 000 erhöhen wird. Anlage 17 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Günter Krings auf die Frage des Abgeordneten Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 18/6602, Frage 27): Welche Nachforschungen hat die Bundesregierung in den eigenen Aktenbeständen vorgenommen, um den aktuellen wie auch schon früher geäußerten Vorwürfen von schwarzen Kassen und anderen Unregelmäßigkeiten im Organisationskomitee der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland nachzugehen, und welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um solche Unregelmäßigkeiten im Umfeld der Bewerbung für die Olympischen Spiele 2024 auszuschließen? Das Bundesministerium des Innern (BMI) hat seinerzeit die Aktivitäten der Bundesregierung im Zusammenhang mit der FIFA-Fußballweltmeisterschaft 2006 koordiniert. Insofern sichtet das BMI derzeit den gesamten Aktenbestand von mehreren zehntausend Seiten im Umfeld der Bewerbung bis zum Abschluss der Fußballweltmeisterschaft 2006. Zum jetzigen Zeitpunkt der Aktenrecherche konnten noch keine Unregelmäßigkeiten oder relevante Hinweise im Sinne der Fragestellung festgestellt werden. Hinsichtlich der Bewerbung für die Olympischen Spiele 2024 wurden verschiedene organisatorische Maßnahmen eingeleitet, um eine ordnungsgemäße Verwendung öffentlicher Mittel sicherzustellen. Die Bundesrepublik Deutschland ist mit einem Anteil von 18 Prozent an der Bewerbungsgesellschaft Hamburg 2024 GmbH beteiligt. Die Bundesregierung nimmt zusammen mit Mitgliedern des Deutschen Bundestags im Wege der Mitgliedschaft in den Organen der Bewerbungsgesellschaft Kontroll- und Aufsichtsfunktionen wahr. Im Aufsichtsrat ist der Deutsche Bundestag durch die Abgeordneten MdB Dr. Schröder (CDU), MdB Kruse (CDU), MdB Kahrs (SPD), MdB Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und MdB Kunert (DIE LINKE) vertreten. Die Bundesregierung ist in der Gesellschafterversammlung vertreten, die unter anderem über den Wirtschaftsplan der Bewerbungsgesellschaft entscheidet. Der Wirtschaftsplan bildet die Geschäftsgrundlage für das Handeln der Bewerbungsgesellschaft. Des Weiteren verfügt die Bewerbungsgesellschaft Hamburg 2024 GmbH über ein mehrstufiges Risikomanagement und ein Controlling. Anlage 18 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Günter Krings auf die Frage der Abgeordneten Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 18/6602, Frage 28): Wie oft kam es nach Kenntnis der Bundesregierung im Jahr 2015 zu Übergriffen auf Journalistinnen und Journalisten mit rechtsextremem bzw. rechtspopulistischem Bezug, und was gedenkt die Bundesregierung dagegen zu unternehmen? Der Bundesregierung sind einzelne politisch motivierte Straftaten zum Nachteil von Journalistinnen und Journalisten bekannt. Für Schutz- und Strafverfolgungsmaßnahmen sind jedoch primär die Länder zuständig. Das Bundeskriminalamt unterstützt die Länder aber im Rahmen seiner Zentralstellenfunktion intensiv, insbesondere durch die Erstellung von Lagebildern und Gefährdungsbewertungen. Anlage 19 Antwort des Parl. Staatssekretärs Ulrich Kelber auf die Frage der Abgeordneten Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 18/6602, Frage 29): Wen wird die Bundesregierung mit der von ihr angekündigten Evaluierung des Leistungsschutzrechtes beauftragen, und welche Aspekte werden dabei Berücksichtigung finden? Das innerhalb der Bundesregierung federführend zuständige Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wird zu gegebener Zeit entscheiden, ob und gegebenenfalls an wen ein Auftrag für eine Evaluation vergeben wird. Anlage 20 Antwort des Parl. Staatssekretärs Ulrich Kelber auf die Frage des Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 18/6602, Frage 30): Wie ist, auch vor dem Hintergrund einer entsprechenden Ankündigung im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, der derzeitige Stand der Evaluierung des Leistungsschutzrechts für Presseverlage, und wann wird die Bundesregierung diese wiederholt angekündigte (vergleiche Antworten der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Bundestagsdrucksache 18/2172), bislang jedoch noch nicht erfolgte ergebnisoffene Evaluierung, auch vor dem Hintergrund einer ganz offensichtlichen Nichterreichung der formulierten Ziele des Gesetzentwurfs (vergleiche http://derstandard.at/2000024553954/Oettinger-Deutsches-Leistungsschutzrecht-greift-nicht-richtig), konkret vorlegen? Die Bundesregierung wird entsprechend der Vorgabe im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD das Leistungsschutzrecht des Presseverlegers hinsichtlich der Erreichung seiner Ziele evaluieren. Wie bereits mehrfach mitgeteilt, unter anderem in den Antworten der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen auf Bundestagsdrucksache 18/2172, müssen dazu nach Auffassung der Bundesregierung zunächst hinreichende Erfahrungen mit der Anwendung des Schutzrechts vorliegen. Daran fehlt es bislang. Anlage 21 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Michael Meister auf die Frage der Abgeordneten Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 18/6602, Frage 31): Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Einnahmeausfälle bei der Kfz-Steuer, die durch zu niedrig angegebene CO2-Werte bei Fahrzeugen des Volkswagen-Konzerns entstanden sind (vergleiche Rede von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt am 4. November 2015 im Deutschen Bundestag, Plenarprotokoll 18/132; wenn möglich, bitte nach Jahren aufteilen)? Eine Abschätzung von Einnahmeausfällen bei der Kraftfahrzeugsteuer infolge zu niedrig angegebener CO2-Werte bei Fahrzeugen des Volkswagen-Konzerns ist erst nach Ermittlung der konkreten Abweichungen und der weiteren erforderlichen Parameter durch das Kraftfahrtbundesamt möglich. Anlage 22 Antwort des Parl. Staatssekretärs Peter Bleser auf die Frage der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) (Drucksache 18/6602, Frage 32): Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Glyphosatrückstände in Hygieneartikeln aus Baumwolle (wie beispielsweise Tampons, Binden, Verbandsmaterial oder Taschentücher)? Der Bundesregierung liegen keine verlässlichen Daten zu Glyphosat-Rückstanden in Hygieneartikeln vor. Anlage 23 Antwort des Parl. Staatssekretärs Peter Bleser auf die Frage der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) (Drucksache 18/6602, Frage 33): Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung darüber, wie Glyphosat durch diese Produkte in den menschlichen Körper aufgenommen werden und sich auf die menschliche Gesundheit auswirken kann (vergleiche Ergebnisse aus dem Gespräch des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestages mit dem Arzt Medardo Ávila Vázquez am 4. November 2015)? Der Bundesregierung ist nach Auskunft des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) bekannt, dass im Rahmen der EU-Wirkstoffprüfung eine Aufnahme von Glyphosat über die intakte Haut von bis zu einem Prozent der applizierten Dosis ermittelt wurde. Die Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit hängen von der applizierten Dosis ab. Anlage 24 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Frage der Abgeordneten Ulla Jelpke (DIE LINKE) (Drucksache 18/6602, Frage 34): Welche Regelungen zur Erstattung der zur Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen erbrachten Amtshilfeleistungen der Bundeswehr durch die antragstellenden Behörden des Bundes, der Länder und der Kommunen sind bislang festgelegt, und wie ist der mögliche Widerspruch zwischen der Darstellung, die Kosten für den Betrieb von Erstaufnahmeeinrichtungen in Kasernen übernehme der Bund (aktuell vom 21. September 2015), und den Angaben in der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke „Stattgefundene und geplante Amtshilfe und Unterstützungsleistungen der Bundeswehr im Inland (Stand: drittes Quartal 2015)“ auf Bundestagsdrucksache 18/6518, in denen es durchweg heißt, die Kosten müssten durch die „Antragsteller“, bei denen es sich ganz überwiegend um Länder und Kommunen handelt, übernommen werden, zu erklären? Bei den bislang festgelegten Regelungen zur Erstattung der zur Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen erbrachten Amtshilfeleistungen durch die antragstellenden Behörden sind Artikel 35 Abs. 1 GG, §§ 4 ff. Verwaltungsverfahrensgesetz und die bundeswehrinterne Dienstvorschrift zur Technischen Amtshilfe zu nennen. Danach sind im Rahmen von Amtshilfe grundsätzlich die Auslagen der ersuchten Behörde zu erstatten. Dies gilt allerdings nicht, wenn Behörden des gleichen Rechtsträgers, also zum Beispiel Bundeswehr gegenüber BAMF, einander Amtshilfe leisten. Darüber hinaus hat sich die Bundesregierung in der Übereinkunft mit den Ländern vom 9. Oktober 2015 verpflichtet, zusätzliche 40 000 Unterbringungsplätze in Erstaufnahmeeinrichtungen und Wartezentren zur Verfügung zu stellen. In dieser Übereinkunft hat sich der Bund für die in Amtshilfe für die Länder betriebenen Wartezentren zur Tragung der Kosten verpflichtet. Für die in der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage aufgeführten Amtshilfe- und Unterstützungsleistungen sind die eingangs angesprochenen Regelungen zur Kostenerstattung bei Amtshilfe einschlägig. Da die in der Antwort auf die Kleine Anfrage aufgeführten Amtshilfeleistungen überwiegend für Länder und Kommunen erbracht wurden, sind die Auslagen zu erstatten. Dagegen betrifft der Artikel in der Zeitschrift „Bundeswehr aktuell“ vom 21. September 2015 einen anderen Sachverhalt. Dort war unter anderem ausgeführt: „Geplant ist in Liegenschaften des Bundes wie leerstehenden Kasernen, Erstaufnahmeeinrichtungen mit 40 000 Plätzen zu schaffen. Die Kosten für den Betrieb übernimmt der Bund.“ Diese Aussage gibt die Überlegungen innerhalb der Bundesregierung im Vorgriff auf die bereits dargestellte, am 9. Oktober 2015 getroffene Übereinkunft mit den Ländern wieder. Insofern besteht kein Widerspruch zwischen der Antwort auf die Kleine Anfrage und der Aussage im Artikel der „Bundeswehr Aktuell“, da es sich um zwei verschiedene Sachverhalte handelt. Anlage 25 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Frage der Abgeordneten Katrin Kunert (DIE LINKE) (Drucksache 18/6602, Frage 35): Inwieweit erfolgte inzwischen eine Auswertung der Ergebnisse des Fachsymposiums vom 9. bis 11. Februar 2015 hinsichtlich ihrer Relevanz für Wehrdienstbeschädigungsverfahren, und wenn nicht, wann ist mit Ergebnissen und deren Auswertung zu rechnen? Eine Auswertung der Ergebnisse des Fachsymposiums ist noch nicht erfolgt, da der Abschlussbericht zum Fachsymposium noch nicht vorliegt. Ein genauer Termin für die Übergabe des Abschlussberichts steht noch nicht fest, jedoch wird dieser voraussichtlich nicht vor Anfang Januar 2016 liegen. Sobald der Bericht vorliegt, wird das Bundesministerium der Verteidigung eine Auswertung dieses Berichts vornehmen und prüfen, ob und gegebenenfalls inwieweit sich daraus Konsequenzen für die Versorgungsverfahren ergeben. Anlage 26 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Frage der Abgeordneten Katrin Kunert (DIE LINKE) (Drucksache 18/6602, Frage 36): Inwieweit haben sich seit der Übernahme der Zuständigkeiten durch das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr die Bearbeitungszeiten von Anträgen in Wehrdienstbeschädigungsverfahren verkürzt, bzw. wurde das Verfahren erleichtert? Eine Verkürzung der Bearbeitungszeiten wird sich trotz bereits ergriffener Maßnahmen nur allmählich einstellen, da das für die Bearbeitung der Wehrdienstbeschädigungsverfahren zuständige Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr seit der erfolgten Übernahme der Aufgaben von den Ländern sehr stark ausgelastet ist. Das Bundesministerium der Verteidigung hat eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die geeignete aufbau- und ablauforganisatorische Maßnahmen zur Beschleunigung der Verfahren erarbeitet. Ein erster Zwischenbericht an den Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages wird zeitnah erfolgen. II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 135. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 11. November 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 135. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 11. November 2015 III Plenarprotokoll 18/135