Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 137. Sitzung Berlin, Freitag, den 13. November 2015 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Petra Ernstberger 13417 A Wahl der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Dr. Dietmar Bartsch und Dr. Sahra Wagenknecht als Mitglieder des Vermittlungsausschusses 13417 A Wahl der Abgeordneten Gabriela Heinrich und Josip Juratovic als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland zur Parlamentarischen Versammlung des Europarates 13417 B Tagesordnungspunkt 27: a)   – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Zweites Pflegestärkungsgesetz – PSG II) Drucksachen 18/5926, 18/6182, 18/6410 Nr. 2, 18/6688 13417 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6689 13417 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Pia Zimmermann, Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bürgerinnen- und Bürgerversicherung in der Pflege – Solidarische Pflegeversicherung einführen – zu dem Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Katja Dörner, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gute Pflege braucht sichere und zukunftsfeste Rahmenbedingungen Drucksachen 18/5110, 18/6066, 18/6688 13417 D Hermann Gröhe, Bundesminister BMG 13418 A Pia Zimmermann (DIE LINKE) 13419 B Dr. Karl Lauterbach (SPD) 13420 A Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13421 A Maria Michalk (CDU/CSU) 13423 A Pia Zimmermann (DIE LINKE) 13423 C Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) 13424 C Hilde Mattheis (SPD) 13425 B Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13426 C Erwin Rüddel (CDU/CSU) 13427 B Mechthild Rawert (SPD) 13428 B Erich Irlstorfer (CDU/CSU) 13429 B Tino Sorge (CDU/CSU) 13430 B Heike Baehrens (SPD) (Erklärung nach § 31 GO) 13431 C Tagesordnungspunkt 28: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung von Doping im Sport Drucksachen 18/4898, 18/6677 13433 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Sportausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. André Hahn, Katrin Kunert, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Anti-Doping-Gesetz für den Sport vorlegen Drucksachen 18/2308, 18/6678 13433 C Heiko Maas, Bundesminister BMJV 13433 C Dr. André Hahn (DIE LINKE) 13435 A Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär BMI 13436 D Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13438 A Dagmar Freitag (SPD) 13439 C Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13440 D Dagmar Freitag (SPD) 13441 D Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13442 B Eberhard Gienger (CDU/CSU) 13442 C Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13443 D Dr. André Hahn (DIE LINKE) 13444 A Eberhard Gienger (CDU/CSU) 13444 C Reinhard Grindel (CDU/CSU) 13445 B Tagesordnungspunkt 29: Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, Bärbel Höhn, Renate Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Dem CETA-Abkommen so nicht zustimmen Drucksache 18/6201 13447 D Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13447 D Mark Hauptmann (CDU/CSU) 13449 A Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) 13450 A Klaus Ernst (DIE LINKE) 13451 B Mark Hauptmann (CDU/CSU) 13451 C Dirk Wiese (SPD) 13453 A Bernd Westphal (SPD) 13454 C Klaus Ernst (DIE LINKE) 13454 D Peter Beyer (CDU/CSU) 13456 A Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13457 D Peter Beyer (CDU/CSU) 13458 B Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13458 D Rainer Spiering (SPD) 13459 D Klaus Ernst (DIE LINKE) 13460 B Dirk Wiese (SPD) 13461 B Ralph Lenkert (DIE LINKE) 13462 A Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13462 C Tagesordnungspunkt 30: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Industrie 4.0 und Smart Services – Wirtschafts-, arbeits-, bildungs- und forschungspolitische Maßnahmen für die Digitalisierung und intelligente Vernetzung von Produktions- und Wertschöpfungsketten Drucksache 18/6643 13463 C Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin BMBF 13463 C Herbert Behrens (DIE LINKE) 13465 B Hubertus Heil (Peine) (SPD) 13467 A Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13468 C Axel Knoerig (CDU/CSU) 13469 D Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13471 A Gabriele Katzmarek (SPD) 13472 B Dr. Wolfgang Stefinger (CDU/CSU) 13473 C Dr. Simone Raatz (SPD) 13474 D Jens Koeppen (CDU/CSU) 13476 A Tagesordnungspunkt 31: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen Drucksache 18/6446 13477 B b) Antrag der Abgeordneten Kathrin Vogler, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Korruption im Gesundheitswesen effektiv bekämpfen Drucksache 18/5452 13477 C Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV 13477 C Kathrin Vogler (DIE LINKE) 13478 B Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) 13479 B Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13480 D Dr. Silke Launert (CDU/CSU) 13482 A Dr. Edgar Franke (SPD) 13482 D Dietrich Monstadt (CDU/CSU) 13483 D Dirk Wiese (SPD) 13484 D Tagesordnungspunkt 32: Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Susanna Karawanskij, Kerstin Kassner, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Einstieg in die Weiterentwicklung der Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirtschaftsteuer – Freie Berufe in die Gewerbesteuerpflicht einbeziehen Drucksachen 18/3838, 18/6396 13485 D Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU) 13485 D Susanna Karawanskij (DIE LINKE) 13487 A Bernhard Daldrup (SPD) 13488 A Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13490 A Markus Koob (CDU/CSU) 13491 A Nächste Sitzung 13492 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 13493 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Halina Wawzyniak (DIE LINKE) zu den Abstimmungen über – den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Doping im Sport (Tagesordnungspunkt 28 a) 13493 C – die Beschlussempfehlung des Sportausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. André Hahn, Katrin Kunert, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Anti-Doping-Gesetz für den Sport vorlegen (Tagesordnungspunkt 28 b) 13493 C Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 13494 C 137. Sitzung Berlin, Freitag, den 13. November 2015 Beginn: 9.01 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie herzlich zu unserer Plenarsitzung. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich der Kollegin Petra Ernstberger zum 60. Geburtstag gratulieren, den sie in dieser Woche begangen hat, und dazu alle guten Wünsche des Hauses übermitteln. Wir müssen auch noch zwei Wahlen durchführen. Zunächst sind Mitglieder des Ausschusses nach Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes, also des Vermittlungsausschusses, zu wählen. Die Fraktion Die Linke schlägt vor, den Kollegen Jörn Wunderlich für den Kollegen Dietmar Bartsch als ordentliches Mitglied und den Kollegen Bartsch anstelle des Kollegen Wunderlich als neues stellvertretendes Mitglied zu berufen – ein gewaltiges Manöver, das aber nur stattfinden kann, wenn der Deutsche Bundestag dieser Rochade zustimmt. – Es sieht aber ganz so aus, als wären wir zu diesem frühen Zeitpunkt zu solch großzügigen Beschlüssen in der Lage. Darüber hinaus soll die Kollegin Sahra Wagenknecht als Nachfolgerin des Kollegen André Hahn als neues stellvertretendes Mitglied des Gremiums berufen werden. Stimmen Sie auch dem zu? – Das ist der Fall. Damit sind die Kollegen Wunderlich und Bartsch sowie die Kollegin Wagenknecht als Mitglieder des Vermittlungsausschusses in den genannten Funktionen gewählt. Die SPD-Fraktion schlägt vor, als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland zur Parlamentarischen Versammlung des Europarates die Kollegin Gabriela Heinrich für den Kollegen Josip Juratovic als ordentliches Mitglied und diesen, also den Kollegen Josip Juratovic, als Nachfolger der Kollegin Heinrich als stellvertretendes Mitglied zu benennen. Das ist ein ähnlich kühnes Manöver, das hoffentlich auf ähnlich hohe Zustimmung stößt. – Das sieht ganz so aus. Damit sind die beiden mit getauschten Ämtern für dieses Gremium benannt. Schließlich teile ich Ihnen mit, dass der Ältestenrat sich in seiner gestrigen Sitzung darauf verständigt hat, in der nächsten Sitzungswoche, die ja unsere Haushaltswoche ist, wie üblich keine Befragung der Bundesregierung, keine Fragestunde und auch keine Aktuellen Stunden durchzuführen. Als Präsenztage sind die Tage von Montag, dem 23. November, bis Freitag, dem 27. November, festgelegt worden. – Ich darf auch hier allgemeines Einvernehmen feststellen. Dann können wir so verfahren. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a und 27 b auf: a)   – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Zweites Pflegestärkungsgesetz – PSG II) Drucksachen 18/5926, 18/6182, 18/6410 Nr. 2 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) Drucksache 18/6688 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6689 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Pia Zimmermann, Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Bürgerinnen- und Bürgerversicherung in der Pflege – Solidarische Pflegeversicherung einführen – zu dem Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Katja Dörner, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gute Pflege braucht sichere und zukunftsfeste Rahmenbedingungen Drucksachen 18/5110, 18/6066, 18/6688 Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Bundesminister Hermann Gröhe. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Hermann Gröhe, Bundesminister für Gesundheit: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Heute vor genau neun Jahren, am 13. November 2006, tagte das erste Mal der erste wissenschaftliche Beirat zur Überarbeitung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Ein Jahrzehnt Diskussion, Ringen, Rechnen in Bezug auf den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff: Jetzt kommt er! (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Mit der Beschlussfassung über das Pflegestärkungsgesetz II sorgen wir dafür, dass die individuelle Pflegebedürftigkeit besser erfasst wird. Nicht nur körperliche Beeinträchtigungen werden zukünftig berücksichtigt. Nein, die gesamte Lebenssituation eines Menschen – seine geistige und seine psychische Situation – wird zukünftig berücksichtigt. Vor allen Dingen wird nicht nur auf Defizite geschaut, sondern auch darauf, welche Fähigkeiten gestärkt werden können, welcher Unterstützungsbedarf ein möglichst selbstbestimmtes Leben und Teilhabe sichern kann. Dies ist vor allen Dingen für die wachsende Zahl der demenziell erkrankten Menschen – das sind heute 1,6 Millionen – eine gute Nachricht. Sie erhalten endlich einen gleichberechtigten Zugang zu den Leistungen der Pflegeversicherung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das ist ein Meilenstein für eine bessere Versorgung. Dass es gerade um eine Besserstellung für die demenziell Erkrankten geht, sehen Sie auch an den Regelungen für die automatische Überleitung, mit der wir erstens dafür sorgen, dass viele mehr Leistungen bekommen, aber niemand schlechtergestellt wird. Menschen, die heute als demenziell Erkrankte beispielsweise in der Pflegestufe II sind, werden mit dem Pflegegrad 4 gleichsam zwei Punkte Verbesserung erfahren. Es geht um mehr Hilfe gerade für die demenziell Erkrankten. In 25 Jahren werden es 1 Million zusätzlich – also 2,6 Millionen – sein. Doch nicht allein die Erfassung der Pflegebedürftigkeit wird individueller, sondern die Pflege selbst wird konsequent auf Teilhabe und Stärkung der Selbstständigkeit ausgerichtet. Dazu gehört beispielsweise, dass die Pflegeunterstützung früher beginnt. Bereits am Anfang der Pflegebedürftigkeit wird zukünftig über den Pflegegrad 1 erste Unterstützung beispielsweise bei der Schaffung von Barrierefreiheit in der Wohnung, beim Umbau des Badezimmers oder bei anderem gewährt. Noch etwas ist mir ganz wichtig: Wir stärken – dies hat die Erprobung des neuen Begutachtungsverfahrens klar gezeigt – den Grundsatz „Reha vor Pflege“. Der ist eben noch nicht in den Köpfen. „Ambulant vor stationär“, das ist in den Köpfen, weil jeder gerne möglichst lange in den eigenen vier Wänden lebt. Aber Reha ist für viele noch die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit, bei der es darum geht, morgen wieder ins Büro gehen zu können. Dass auch im hohen Alter Rehabilitation ein Mehr an Selbstständigkeit, Selbstbestimmung und Teilhabe ermöglichen kann, müssen wir noch viel stärker nutzen. Deswegen ist dies heute ein großer Schritt zur Umsetzung des Grundsatzes „Reha vor Pflege“. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich sprach davon, dass wir den Wunsch der Menschen, möglichst lange in den eigenen vier Wänden zu leben, den wir schon seit dem 1. Januar dieses Jahres mit wesentlichen Leistungsverbesserungen unterstützen, noch stärker gewichten werden. Dazu gehört auch der Blick auf die enorme Leistung der Angehörigen der Pflegebedürftigen. Deswegen werden wir beispielsweise – natürlich nur, wenn der Pflegebedürftige zustimmt – Angehörige erstmals mit einem eigenen Beratungsanspruch ausstatten und die Arbeit von Angehörigen in der Pflege bei deren Rente in Zukunft besser absichern. Auch dies ist eine klare Anerkennung der enormen solidarischen Pflegeleistungen in unseren Familien. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) „Reha vor Pflege“ und „ambulant vor stationär“, das bedeutet ein Mehr an Lebensqualität. Es sichert aber auch die nachhaltige Finanzierbarkeit des Pflegesystems. Das sage ich angesichts so mancher Bemerkungen, wir nähmen zu viel Geld in die Hand. Schließlich stärken wir die Solidarität in der Pflege. Indem der pflegebedingte Eigenanteil zukünftig gleichbleibend sein wird, nehmen wir den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen die Angst, dass durch einen höheren Eigenanteil bei einer im Rahmen einer Neubewertung erfolgten Höherstufung die eigene materielle Situation verschlechtert wird. Das ist wichtig, weil dann auch fairer abgebildet wird, wie hoch der Pflegebedarf, zum Beispiel in einer Pflegeeinrichtung, ist. Es hat ja Einfluss auf die Personalbemessung und anderes mehr, wenn die notwendige, realistische Bewertung des Pflegebedarfs nicht angemessen abgebildet wird. Insofern ist auch dies eine entscheidende Verbesserung. Und: Ja, wir werden diese neue individuellere Pflege nur umsetzen können, wenn wir mehr Menschen dafür gewinnen, in der Pflege zu arbeiten. Deswegen brauchen wir attraktivere Arbeitsbedingungen in der Pflege. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Deswegen ist in unserem Gesetzentwurf klar festgelegt, dass die Pflegesätze – dabei geht es auch um die Personalstrukturen, den Personalschlüssel – bis zum 30. September des nächsten Jahres neu zu verhandeln sind, damit 2017, wenn der Pflegestärkungsbegriff Realität wird, auch angepasste Pflegesätze vorliegen. Deswegen brauchen wir ein wissenschaftlich erprobtes und ausgewiesenes Personalbemessungsverfahren und beauftragen die Selbstverwaltung, ein solches zu entwickeln. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das braucht fünf Jahre!) Deswegen treibt Kollege Karl-Josef Laumann die Entbürokratisierung in der Pflege voran. Deswegen haben wir übrigens im Gesetz während der parlamentarischen Beratungen klargestellt, dass Abbau von Bürokratie und mehr Zeit für die Pflege von den Kostenträgern nicht zum Personalabbau missbraucht werden dürfen. Es geht um mehr Zeit für die Pflegebedürftigen und um weniger Zeit fürs Papier. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Schließlich werden wir – Kollegin Schwesig und ich gemeinsam – mit einem Pflegeberufsgesetz die Modernisierung der Berufe in der Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege vorantreiben. Die gute Nachricht ist: Noch nie haben in unserem Land so viele Menschen eine Ausbildung in einem Pflegeberuf begonnen wie heute. (Hilde Mattheis [SPD]: Genau!) Wenn ich mit diesen Menschen spreche, dann höre ich, dass sie sagen: Ja, die Arbeit ist hart, aber sie macht Freude. – Neulich hat mir ein junger Pfleger gesagt: Eine Maschine kann nicht Danke sagen. – Sie wollen für andere Menschen da sein. Deswegen fühlen wir uns guten Arbeitsbedingungen in der Pflege verpflichtet. Heute bringen wir eine große Reform auf den Weg, beschließen eine Stärkung der Pflege, die für 2,7 Millionen Pflegebedürftige in diesem Land gut sein wird, für ihre Angehörigen und für die Pflegekräfte. Ich bitte um Zustimmung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Pia Zimmermann das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Pia Zimmermann (DIE LINKE): Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste auf den Tribünen! Wir haben uns unsere Entscheidung nicht leicht gemacht, zumal solch ein Gesetz schon lange gefordert wird – auch von uns. Das möchte ich insbesondere all denen sagen, die sich wundern, dass wir ein Gesetz zur Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffes ablehnen. Ich selber habe viele Jahre in der Pflege gearbeitet und weiß, was für eine gute, umfängliche Pflege nötig ist. Sie haben hier zwar einen Gesetzentwurf vorgelegt, der eine ganzheitliche Sichtweise auf die Menschen beinhaltet: auf ihre körperlichen, geistigen und sozialen Fähigkeiten. Es geht um ein Gesetz, durch das die ungleiche Behandlung von Menschen mit kognitiven und psychischen Beeinträchtigungen abgestellt werden soll. Aber es ist ein janusköpfiges Gesetz. Es verbessert und verschlechtert zugleich, weil Sie, Herr Minister Gröhe, nicht bereit sind, die Grunddefizite der Pflegeversicherung, nämlich die Finanzierung und das Teilleistungssystem, zu verändern. (Beifall bei der LINKEN) Die Reform geht auf Kosten von Menschen in den unteren Pflegegraden und schränkt deren Wunschfreiheit – wo, wie und von wem sie gepflegt werden wollen – weiter ein. Herr Minister Gröhe, da steigen im zukünftigen Pflegegrad 2 die Leistungen für die ambulante Pflege um 221 Euro. In der stationären Pflege sinken sie zugleich um 300 Euro. Das sind 3 600 Euro mehr, die pro Jahr aufgebracht werden müssen, und das ist ungerecht. (Beifall bei der LINKEN) Eine alleinlebende ältere Frau mit Pflegegrad 2, die ins Pflegeheim möchte, weil sie Kontakt zu anderen Menschen haben möchte, weil sie die Einsamkeit belastend findet und weil sie immer dann Hilfe haben möchte, wenn sie Hilfe braucht, muss nicht nur 2 065 Euro für einen Platz im Pflegeheim aufbringen, sondern auch noch monatliche Investitionskosten in Höhe von 400 Euro. Die Pflegeversicherung übernimmt von diesen Kosten zukünftig nur noch 770 Euro. Ich frage Sie ernsthaft: Wo bleibt die Wahlfreiheit dieser Frau, wenn sie 1 700 Euro netto Rente haben muss, um nicht in die Sozialhilfe zu rutschen? Das ist unerhört, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) Wie viele Menschen haben eine solche Rente? Menschen mit Pflegebedarf werden so in Armut getrieben. Da sagen wir Linke ganz klar Nein. (Beifall bei der LINKEN) Darüber hinaus fehlt es in dem Gesetzentwurf an Maßnahmen, die die Bedingungen für die Pflege im Alltag so gestalten, dass teilnahmeorientierte Pflege, wie sie im neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff angelegt ist, möglich wird. Konkret: Ein inkontinenter Mann schafft es mit Assistenz zur Toilette. Beim Hinsetzen und Aufstehen, beim An- und Auskleiden braucht er Hilfe von 15 Minuten. Im Rahmen des neuen Begutachtungsverfahrens wird ein Unterstützungsbedarf festgestellt; das Ziel ist Selbstständigkeit. Das ist ein weiterer Fortschritt. Aber an dieser Stelle hört der Gesetzentwurf auf; denn ob die assistierende Person überhaupt verfügbar ist, darüber entscheiden Sie erst 2020 – vielleicht! (Mechthild Rawert [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!) Meine Damen und Herren, wissen wir hier im Haus, wie es ist, eigentlich noch selbstständig zur Toilette gehen zu können und dennoch eine Windelhose tragen zu müssen, weil die Zeit fehlt? Die Zeit wird weiter fehlen, weil es keine zusätzlichen Pflegekräfte gibt; denn sie sind in Ihrem Gesetzentwurf gar nicht vorgesehen. Es ist bekannt, dass wir solche Situationen schon viel zu oft haben. Mit diesem Gesetzentwurf suggerieren Sie, dass sich daran etwas ändern wird. Sie erwecken Erwartungen, die nicht erfüllt werden können. Das ist unverantwortlich. (Beifall bei der LINKEN) Das Zweite Pflegestärkungsgesetz ist letztendlich eine Begutachtungs- und bestenfalls eine Bedürftigkeitsreform – kein großer Wurf, kein Wechsel hin zur inklusiven und teilhabenden Pflege. Wir Linke sagen: Die konkrete Lebenssituation aller an der Pflege beteiligten Menschen – der Menschen mit Pflegebedarf, der Angehörigen, die pflegen, auch der Menschen, die professionell pflegen – muss sich verbessern. Menschen mit unterschiedlichen Pflegebedarfen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Genau das machen Sie, meine Damen und Herren, und darum stimmen wir mit Nein. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Karl Lauterbach das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dr. Karl Lauterbach (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal: Hinter uns liegen zwei Wochen, die für die Menschen in Deutschland, die krank sind, pflegebedürftig sind oder es in Zukunft werden, außergewöhnlich gut waren. Wir haben ein sehr gutes Hospiz- und Palliativgesetz beschlossen – aus meiner Sicht ein Durchbruch. Wir haben eine Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes beschlossen. Damit stärken wir die Pflege, erhöhen die Qualität und schaffen eine größere Gerechtigkeit der Vergütung – die größte Krankenhausreform, die wir seit Jahren gemacht haben. Heute machen wir unstrittigerweise die größte Reform der Pflegeversicherung seit ihrem Bestehen. Das alles haben wir in zwei Wochen erreicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich möchte mich ausdrücklich bei allen im Parlament für die Zusammenarbeit bedanken. Das waren Wochen, wie ich selbst – ich bin lange im Geschäft – sie in dieser Form noch nicht erlebt habe. Das betrifft Millionen von Menschen, nicht nur jetzt, sondern auch in Zukunft. Es ist richtig, dass diese Gesetze allesamt nicht perfekt sind. Es gibt kein Gesetz, das wir hier nicht verbessern könnten. Aber man darf das Erreichte nicht kleinreden, indem man die kleinen Dinge, die verbesserungswürdig sind, in den Vordergrund stellt. Ich fange mal damit an: Wir geben unmittelbar insgesamt etwa 20 Prozent mehr für die Pflege aus. Etwa 3 bis 4 Prozent legen wir zusätzlich zurück, um die Pflege bezahlbar zu halten. Das sind großartige Leistungsausweitungen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Es ist richtig, dass wir das Geld etwas anders verteilen werden. Es ist zum Beispiel richtig, was Kollegin Zimmermann beschrieben hat: Für die weniger Pflegebedürftigen gibt es in Teilen eine leichte Mehrbelastung. Aber für die große Zahl der stärker Pflegebedürftigen gibt es starke Entlastungen. Wir haben jetzt ein System, in dem die Angehörigen oft Angst haben, dass ihre zu pflegenden Angehörigen höhergestuft werden, obwohl sie das medizinisch eigentlich benötigten, weil sie dann mehr zuzahlen müssten. Das kann doch nicht gerecht sein. Das ist aus meiner Sicht medizinisch falsch, weil die Menschen gegebenenfalls nicht die Pflege bekommen, die sie brauchen. Es ist auch unethisch, weil wir Angehörige zwingen, etwas gegen das Interesse ihrer Verwandten zu unternehmen, indem sie dafür sorgen, dass in der Pflege nicht das getan wird, was eigentlich nötig ist, weil sie Angst haben, mehr zuzahlen zu müssen. Diese Ängste haben wir ausgeräumt. Das dürfen wir doch nicht kleinreden. Darauf können wir stolz sein. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Auch die Entbürokratisierung ist bedeutsam. Die Entbürokratisierung funktioniert wie folgt: Wir messen jetzt, was der Einzelne in den einzelnen Bereichen noch kann, also nicht das, was ihm fehlt, sondern das, was er kann. Es wird zum Beispiel gefragt: Wie mobil ist er noch? Wie gut kann er denken? Wie dement ist er? Wie sehr ist er psychisch belastet? Es werden Punkte vergeben. Je mehr Punkte jemand hat, desto selbstständiger ist er noch. Die Punkte spiegeln das wider, was der Mensch noch kann. Danach richtet sich die Pflegebedürftigkeit. Die Pflegenden selbst entscheiden dann, wie man dieser Bedürftigkeit – ohne Minutenpflege – am besten begegnet. Das ist doch eine Umstellung des gesamten Systems: Weg von der Dokumentation der Defizite, hin zu der Beseitigung derselbigen, indem man sich darauf konzentriert, was der Einzelne noch kann. Das ist eine große Reform. Daran haben wir – das ist richtig – viele Jahre gearbeitet. Das war keine Leichtigkeit – das musste vorbereitet werden –; aber das ist ein Quantensprung in der Pflegeversicherung, eine Umkehr der Anreize, in meinen Augen ein Durchbruch. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Zu den Betreuungsleistungen. Die Betreuungsleistungen sind immer geringgeschätzt worden – zu Unrecht. Was nützt mir eine gute Pflege, wenn mich den ganzen Tag niemand anspricht? Ich vereinsame in der Pflege. Wenn ich keine Ansprache habe, verfallen die Kompetenzen, die ich noch habe. Das Leben ist nicht mehr schön. – Wir dürfen nicht vergessen, dass in Pflegeeinrichtungen sehr viele Menschen leben, die keine Angehörigen mehr haben oder Angehörige, die nicht mehr kommen können. Für diese Menschen brauchen wir Betreuung. Wir führen jetzt einen Rechtsanspruch auf individuelle Betreuung ein. Einen Rechtsanspruch! Es ist falsch, wenn man sagt, dass die Kräfte dafür nicht da sind. Die Kräfte sind da. Dafür haben wir schon im Rahmen der ersten Stufe der Pflegereform gesorgt. Wir haben die Zahl der Betreuungskräfte – ich bringe das in Erinnerung – um 25 000 erhöht; das ist keine Kleinigkeit. Und jetzt schaffen wir den Rechtsanspruch. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Natürlich ist alles verbesserungswürdig; aber das sind trotzdem große Schritte nach vorne. Daher muss man hier, glaube ich, in den Vordergrund stellen: Das ist eine gute Reform. Auf die Umstellung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs, die bessere Zuteilung der Mittel und die damit verbundene bessere Pflege bin ich schon eingegangen. Die Entbürokratisierung haben wir auch schon angesprochen. Darauf, dass wir die Qualität stärker in den Vordergrund stellen, kann ich nur noch kurz eingehen. Dazu möchte ich nur eines sagen: Wir machen auch vor der Personalbemessung nicht halt. Wir regeln mit diesem Gesetz klipp und klar, dass die Personalbemessung in den Pflegeheimen in den nächsten fünf Jahren angepasst werden soll. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nach fünf Jahren! Ich glaube es nicht!) Jetzt wird gesagt: Wieso machen Sie das nicht jetzt? Das können wir jetzt nicht machen. Wir führen jetzt das neue System ein. Jetzt werden die neuen Pflegegrade ja erst eingeführt. Welche Personalausstattung für welchen Pflegegrad erforderlich ist, können wir nicht prüfen, bevor die Pflegegrade eingeführt wurden. Von daher ist das aus meiner Sicht eine gute Planung. Wir werden langfristig auch zu einer gerechteren Bezahlung in der Pflege kommen; das ist dringend notwendig. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Elisabeth Scharfenberg ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister Gröhe! Herr Laumann! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über mehrere Wahlperioden – das wurde schon gesagt – hat sich das hingezogen. Wir haben, ehrlich gesagt, überhaupt nicht mehr daran geglaubt, dass er noch kommt, der neue Pflegebegriff. (Mechthild Rawert [SPD]: Super! Einfach super!) Sie bohren mit der Einführung richtig dicke Bretter. (Beifall des Abg. Dr. Karl Lauterbach [SPD]) Dass Sie das jetzt anpacken – das meine ich ehrlich –, das erkennen wir durchaus an. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Kein „Aber“! – Mechthild Rawert [SPD]: Der Rest kommt noch!) – Der kommt noch. – Sie nehmen dafür auch viel Geld in die Hand. Menschen mit Demenz werden endlich den Menschen mit körperlichen Einschränkungen gleichgestellt. Das alles begrüßen wir ausdrücklich. Aber (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ah!) es ist nicht unsere Aufgabe, Sie zu loben. (Mechthild Rawert [SPD]: Es schadet aber auch nicht!) Dafür haben Sie selbst genug Rednerinnen und Redner. Das müssen Sie schon selbst tun. Als Opposition ist es unsere Aufgabe, auf die Schwachstellen, die dieser Gesetzentwurf nun einmal hat, aufmerksam zu machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Jetzt haben Sie so gut begonnen!) Sie stellen uns mit dem PSG II die eierlegende Wollmilchsau vor. Aber der Entwurf des neuen Pflegegesetzes ist nur auf dem Papier ganz passabel. Im Gesetzentwurf sind viele Worthülsen enthalten. Damit kann man dieses Gesetz überhaupt nicht umsetzen. Das PSG II wird seine Defizite in den Lebenswelten der Betroffenen zeigen. Gerade der neue Pflegebegriff hat ganz hohe Erwartungen geweckt. Ich befürchte, dass wir nach der Umsetzung sehr direkt mit den Schwächen Ihres PSG II konfrontiert werden. Mit dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff sollen die Menschen in ihrer Selbstständigkeit gestärkt werden. 500 000 Anspruchsberechtigte mehr – das ist eine echte Herausforderung. Teilhabe ist ein ganz zentraler Punkt des neuen Pflegebegriffs. Teilhabe bedeutet, Menschen dabei zu unterstützen, dass sie selbst etwas tun können. Das kostet mehr Zeit, als sie einfach nur zu versorgen. Das bedeutet: geduldig anzuleiten und den Rhythmus der Menschen auszuhalten, anstatt es eben einmal schnell selbst zu erledigen. Gerade im Bereich Demenz geht es darum, 500 000 Menschen mehr zu unterstützen. Das kostet viel mehr Zeit, und mehr Zeit bedeutet auch mehr Personal, das aber fehlt schon heute. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wer soll denn bitte den neuen Pflegebegriff umsetzen? Sie schreiben zwar in Ihrem Gesetzentwurf, dass bis 2020 ein Verfahren zur Personalbemessung entwickelt und erprobt werden soll. (Hilde Mattheis [SPD]: Soll das alles so bleiben wie es ist? – Gegenruf der Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich nicht! Aber fünf Jahre?) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist doch viel zu spät! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es sind schon so viele Personalbemessungsverfahren entwickelt und erprobt, aber nie umgesetzt worden. Dieses Schicksal droht auch dem Personalbemessungsverfahren im PSG II. (Mechthild Rawert [SPD]: Na ja, nicht so pessimistisch!) Von einer verbindlichen Umsetzung ist bei Ihnen auch gar nicht die Rede. Wir brauchen jetzt mehr Personal. Es muss zur Einführung des neuen Pflegebegriffs 2017 auch bereit sein, eine neue Art Pflege zu leisten, eine Pflege, die dem neuen Pflegebegriff auch gerecht wird. Wir verlangen damit dem Pflegepersonal sehr viel ab. Pflegekräfte arbeiten schon heute am Limit, sie gehen oft über ihre eigenen Kräfte und Grenzen hinaus. Das frustriert die Pflegekräfte, und zwar zu Recht. Sie haben ihren eigenen Anspruch an die Qualität der Pflegearbeit, ihr eigenes Berufsethos. Darum müssen wir dafür sorgen, dass die verantwortungsvollen Pflegerinnen und Pfleger nicht an dem Vakuum des neuen Pflegebegriffs und an der Unmöglichkeit der Umsetzung dieses Begriffs scheitern und verzweifeln werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Lauterbach, Sie haben davon gesprochen, dass die Minutenpflege abgeschafft wird. Das ist doch der totale Quatsch! Ganz ehrlich: Ich finde das den Pflegekräften gegenüber wirklich unverschämt. Der Druck in der Pflege – das ist doch das, was die Minutenpflege ausmacht – wird bestehen bleiben. Es wird sich nichts daran ändern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Es herrscht eine ganz große Unsicherheit. Der neue Pflegebegriff ist definiert und genau vermessen. Wir können ausrechnen, welche Fähigkeiten in welchem Maß vorhanden bzw. nicht vorhanden sein müssen, um einen bestimmten Pflegegrad zu erreichen. Aber es ist nicht genauso klar definiert, wie die Pflege aussehen soll, eine Pflege, die dem Anspruch auf mehr Teilhabe gerecht wird. Sicher: Es gibt eine aktivierende Pflege, aber im PSG II ist nicht die Rede davon, dass sie flächendeckend eingeführt werden soll. Der Anspruch auf mehr Teilhabe ist das Kernstück des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Diesem Anspruch muss man dann aber auch gerecht werden. Nur auf dem Papier bringt er den Menschen überhaupt nichts. Es ist auch merkwürdig, dass Sie einen Teilhabeanspruch einführen, ohne die Schnittstellen zum SGB IX auch nur zu erwähnen. (Mechthild Rawert [SPD]: Haben wir!) Das Bundesteilhabegesetz steht vor der Tür. Es wäre doch absolut sinnvoll gewesen, die Konkurrenz zwischen den Sozialgesetzbüchern IX, XI und XII zumindest zu thematisieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie haben den Beitrag zur Pflegeversicherung erhöht. Es fließt viel Geld in die Pflegeversicherung; es wird von 7 Milliarden Euro jährlich gesprochen. Doch die Finanzierung der Pflegeversicherung ist nur bis 2022 gesichert. Das ist alles andere als nachhaltig. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Minister Gröhe, eine Reform, die so viele Menschen betrifft, braucht doch ein ganz starkes Fundament. (Mechthild Rawert [SPD]: Haben wir auch!) Das Einzige, was Ihnen zur Finanzierung einfällt, ist der Pflegevorsorgefonds. Er schluckt jährlich rund 1,4 Milliarden Euro an Beitragsgeldern. Das sind Gelder, die woanders besser aufgehoben wären. Durch den Fonds wird der Beitrag zur Pflegeversicherung in der Zukunft gerade einmal um 0,1 Prozentpunkte gesenkt. Das ist keine spürbare Entlastung. Wenn der Fonds in 20 Jahren leer ist, dann muss der Beitrag eben wieder steigen. Sie wollen den ambulanten Bereich aufwerten und dazu unter anderem auch etwas für pflegende Angehörige tun. Aber das tun Sie, ehrlich gesagt, ziemlich halbherzig: eine Absicherung in der Arbeitslosenversicherung, ein bisschen Rente mehr für manche. Pflegende Angehörige brauchen unterstützende Angebote für die Pflegebedürftigen, um die sie sich kümmern, und sie brauchen auch ganz dringend unterstützende Angebote für sich selbst. Vor allem aber brauchen sie, die Angehörigen und die Pflegebedürftigen gleichermaßen, eine gute Beratung und eine gute Information. Sie machen im PSG II einige Vorschläge zur Beratung, die aber teilweise sogar auf eine Verschlechterung hinauslaufen, zum Beispiel beim Beratungsanspruch. Er greift zukünftig erst beim Vorliegen eines Pflegegrades. Das ist, ehrlich gesagt, viel zu spät. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wichtig wäre jetzt ein unabhängiges, individuelles Fallmanagement. Jeder Pflegebedürftige müsste einen Anspruch darauf haben. Inzwischen gibt es so viele verschiedene Angebote und Möglichkeiten für Pflegebedürftige und Angehörige, Angebote, die auf die unterschiedlichsten Arten und Weisen kombinierbar sind. Da blickt doch kein Mensch mehr durch. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Dafür gibt es Pflegeberatung!) Der Fallmanager sollte bei der Kommune angesiedelt sein; denn nur dort ist bekannt, welche Angebote konkret und regional vor Ort vorhanden sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Mechthild Rawert [SPD]: Das PSG III kommt!) Ich wünsche dem neuen Pflegebegriff, dass er gelingt. Vor allem wünsche ich das natürlich den Pflegebedürftigen, den Angehörigen, den ihnen nahestehenden Menschen, und insbesondere wünsche ich das den Pflegekräften. Aber solange so viele Dinge noch nicht geregelt sind, wird der neue Pflegebegriff kaum Wirkung entfalten. (Mechthild Rawert [SPD]: Abwarten! Kein Pessimismus!) Ich appelliere an Sie: Kümmern Sie sich um die Personalfrage jetzt! Sorgen Sie für eine nachhaltige Finanzierung! Regeln Sie auch die Schnittstellen zur Eingliederungshilfe! Machen Sie die unterstützenden und entlastenden Angebote den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen durch ein unabhängiges, individuelles Fallmanagement zugänglich! Wenn Sie diese Aufgaben nicht erledigen, dann wird sich an der Lebensrealität der betroffenen Menschen – ich meine damit die Pflegebedürftigen, deren Angehörige und insbesondere die belasteten Pflegekräfte – nichts ändern. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Mechthild Rawert [SPD]: Wir machen das schon!) Präsident Dr. Norbert Lammert: So, ich hoffe, dass alle folgenden Redner der Koalition die dringende Anregung von Frau Scharfenberg beachten, die Abteilung „Lob und Preis der Bundesregierung“ im Manuskript hinreichend zu berücksichtigen. (Heiterkeit) Das können wir jetzt bei der Kollegin Michalk als Erstes testen, die für die CDU/CSU-Fraktion das Wort erhält. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Maria Michalk (CDU/CSU): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! In der Tat möchte ich wirklich damit beginnen. Ich war dabei, als wir vor mehr als 20 Jahren über die Pflegeversicherung als letzte notwendige Säule in unserer sozialen Absicherung diskutiert und sie nach einer intensiven Diskussion eingeführt haben. Wir haben eine Pflegeversicherung, wir haben gut ausgebildete Fachkräfte, immer mehr Menschen engagieren sich in der ambulanten Pflege für ihre Lieben. Dass wir analysieren, was gut läuft und nicht gut läuft, das zeichnet dieses Parlament aus. Dass wir heute das größte Reformpaket in dieser wichtigen Versorgungssäule vorlegen, ist sozusagen die Krönung. Deshalb will ich in der Tat Herrn Bundesminister Gröhe, seinen Staatssekretärinnen, Herrn Laumann und dem ganzen Team im Haus herzlich danken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) – Ja, mit Beifall sollte man hier nicht sparen. – Die Opposition hat es ja schon bekräftigt: Niemand hat geglaubt, dass wir es schaffen. Wir haben es geschafft. Wir Menschen können durch einen Unfall, durch Krankheit oder einfach nur durch das Alter pflegebedürftig werden, jeder von uns. Alter heißt aber nicht automatisch: pflegebedürftig. Deshalb gibt es eine Verbindung zu all den guten Gedanken, die wir beim Präventionsgesetz ausgetauscht haben. Aktives Altern hilft vielleicht, Pflegebedürftigkeit hinauszuzögern. Die gute Vorlage aus dem Haus haben wir im parlamentarischen Beratungsprozess an vielen Stellen nachgebessert. Das war ein Prozess, der im guten Einvernehmen abgelaufen ist. Liebe Kollegin Zimmermann, Sie haben uns hier vorgerechnet, was die Zuzahlung für jemanden mit dem künftigen Pflegegrad 2 bedeutet, der sich entscheidet, in ein Pflegeheim zu gehen. Dabei haben Sie aber unterlassen, darauf hinzuweisen, dass wir im Rahmen des parlamentarischen Beratungsprozesses festgelegt haben, dass der jetzt übliche Abschlag von 20 Prozent beim Zuschuss wegfällt. Man erhält den vollen Pflegesatz. Insofern gibt es eine Wahlfreiheit zwischen ambulant oder stationär. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir haben für pflegende Angehörige – das wurde schon gesagt; aber man kann es nicht oft genug sagen – weitere Verbesserungen in den Gesetzentwurf geschrieben. Wenn man jemanden, der den Pflegegrad 5 hat, zu Hause voll pflegt, dann macht die Anrechnung in der Rentenversicherung einen ganzen Punkt aus. Das ist eine Gleichstellung mit der außerhäuslichen Arbeit und eine große Stärkung der sozialen Absicherung pflegender Angehöriger. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Michalk, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Zimmermann zu? Maria Michalk (CDU/CSU): Ja, gerne. – Bitte schön. (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Aber sachlich bleiben!) Pia Zimmermann (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Michalk. – Wir haben von zwei unterschiedlichen Dingen geredet. Sie haben von dem Fall geredet, dass jemand in ein Pflegeheim gehen möchte, begutachtet wird und man bei der Begutachtung zu dem Ergebnis kommt, dass diese Person nicht in ein Pflegeheim gehen sollte, die Person es aber doch tut. Maria Michalk (CDU/CSU): Ja. Pia Zimmermann (DIE LINKE): Dann muss man 20 Prozent dieser Kosten zusätzlich tragen. Davon habe ich aber gar nicht geredet. Es ist zwar gut, dass Sie diese Regelung abgeschafft haben; das ist anzuerkennen. (Tino Sorge [CDU/CSU]: War das jetzt etwa ein Lob?) Aber das hat nichts damit zu tun, dass eine Frau, wie ich in diesem Zusammenhang erwähnt habe, eine Nettorente von 1 700 Euro beziehen müsste, um überhaupt selbstständig einen Pflegeheimplatz bezahlen zu können. Ich wollte nur deutlich machen, dass Pflege auch nach Ihrem Gesetzentwurf immer noch vom Geldbeutel abhängig ist. Mehr wollte ich gar nicht sagen. (Beifall bei der LINKEN) Maria Michalk (CDU/CSU): Liebe Kollegin Zimmermann, ich habe das schon richtig verstanden. Meine Antwort sollte Ihnen und auch der Öffentlichkeit zeigen, dass wir die Solidarität in der gesamten Gruppe sehr wohl beachten und da für Verbesserungen gesorgt haben. Was den Fakt betrifft, den Sie jetzt noch einmal skizziert haben, haben Gutachter untersucht, um welche Größenordnung es dabei geht. Sie wissen, dass wir über einen längeren Zeitraum Modellprojekte durchgeführt haben – es gab über 2 000 Begutachtungen im ambulanten und stationären Bereich –, in deren Rahmen die Veränderungen und die Frage der Vor- und Nachteile sehr genau analysiert wurden. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Sagen Sie doch einfach: Sie hat recht!) Es gibt dazu ein positives Gutachten. Das können Sie nicht unter den Tisch fallen lassen. Außerdem ist wohl noch ein Gedanke wichtig: Unser gesamtes soziales Sicherungswesen ist vom Grundgedanken der Solidarität getragen. Wenn jetzt in dem einen oder anderen Fall – das hängt immer von der persönlichen Konstellation ab – jemand, der den Pflegegrad 2 hat, vielleicht eine etwas höhere Zuzahlung zu leisten hat als nach dem bisherigen Begutachtungssystem, dann darf man nicht verkennen, dass die größere Anzahl derjenigen, die die Pflegegrade 3, 4 und 5 haben und in Zukunft im stationären Bereich versorgt werden, eine Entlastung erfährt. Durch den gleichen Zuzahlungsbetrag über alle Pflegegrade hinweg wird die Solidarität im System weiter gestärkt. Das war uns ein Herzensanliegen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich möchte darauf hinweisen, dass die Dynamisierung in diesem Gesetzentwurf eine Rolle spielt. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass jeder, der heute begutachtet ist, eine Pflegestufe bzw. einen Pflegegrad hat und Leistungen bezieht, Bestandsschutz bis an sein Lebensende genießt. Jeder hat natürlich das Recht, sich neu begutachten zu lassen. Allerdings sagen wir: In den Fällen, in denen der MDK, der die Begutachtung durchführt, eine Wiederholungsbegutachtung befürwortet, sollte diese für zwei Jahre ausgesetzt werden, damit genug Zeit ist, bei der Antragstellung kein Stau entsteht und die Neubegutachtungen in aller Ruhe erfolgen können. Wir haben jetzt noch ein Jahr und drei Monate Zeit für die Vorbereitung, um sicherzustellen, dass diese Verbesserungen zum 1. Januar 2017 – nachdem wir ohne Hektik und nach intensiver Beratung über alles diskutiert haben – sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich wirken können. Gerade in diesem Bereich können wir uns nämlich keine Oberflächlichkeiten leisten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karl Lauterbach [SPD]) Deshalb bin ich so dankbar, dass wir diesen Gesetzentwurf gemeinsam in aller Ruhe beraten konnten. Ich habe eine Gepflogenheit: Wenn ich ein Thema bearbeite, gebe ich mir immer ein Motto. Das ist so meine Arbeitsphilosophie. – Bei dieser Gesetzesberatung habe ich mir rückblickend auf das, was ich schon vor 20 Jahren gedacht habe, einen Spruch von Friedrich Schiller an meinen Schreibtisch gehängt. Er hat folgenden wunderbaren Satz gesagt: Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben. Bewahret sie! Sie sinkt mit euch, mit euch wird sie sich heben. Ich finde, wir haben mit dieser Gesetzesberatung und mit dieser großen Reform diesem Anspruch wirklich Genüge getan. Ich freue mich, danke Ihnen für die Zusammenarbeit und bitte um Zustimmung. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächste Rednerin ist die Kollegin Sabine Zimmermann, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nicht mehr selbstständig entscheiden zu können oder zum Pflegefall zu werden, das sind die größten Sorgen der Menschen, wenn sie an ihr Leben im Alter denken. Laut einer Forsa-Umfrage haben acht von zehn Menschen diese Befürchtung. Mittlerweile ist der Wunsch „Bloß nicht zum Pflegefall werden“ unter lebensälteren Menschen oft zu hören. Es ist ein Armutszeugnis, dass viele Menschen das Pflegesystem nicht oder kaum als wertvolle Hilfe ansehen, sondern auch als regelrechte Bedrohung wahrnehmen. Das muss sich ändern. Wir brauchen einen Richtungswechsel in der Pflege. (Beifall bei der LINKEN – Mechthild Rawert [SPD]: Kriegen wir!) – Hören Sie mir einfach zu. Ich hoffe, Sie haben den Entschließungsantrag von uns gelesen. Der sagt etwas ganz anderes aus als das, was Sie wollen. Immer mehr Pflegebedürftige und ihre Familien müssen notwendige Pflegeentscheidungen aus finanziellen Gründen verschieben oder sogar verwerfen, da die Pflegeversicherung von vornherein als Teilkaskoversicherung angelegt worden ist und nicht alle Kosten abdeckt. Die von den zu pflegenden Menschen zu leistenden Eigenanteile sind in den letzten Jahren gestiegen und werden in der Zukunft weiter dramatisch ansteigen. Sie zahlen jedoch nicht nur den Pflichtanteil des Pflegesatzes. Hinzu kommen auch noch Verpflegungs- und Unterkunftskosten. Diese finanziellen Belastungen treiben immer mehr Menschen in die Hilfe zur Pflege, nämlich in die Sozialhilfe, und das ist wirklich beschämend. (Beifall bei der LINKEN) Das System der Pflegeversicherung ist zudem dadurch gekennzeichnet, dass seit Jahren rund ein Viertel der Anträge auf Gewährung von Pflegestufen abgelehnt wird. Die Arbeitsbedingungen im Pflegebereich sind geprägt von niedrigen Löhnen, hohem Arbeitsdruck, Teilzeitbeschäftigung und kurzfristiger Verfügbarkeit, und immer öfter müssen Pflegekräfte gegen ihr Berufsethos handeln. Immer öfter entstehen gefährdende Pflegesituationen, und das können Sie doch wirklich nicht wollen. (Beifall bei der LINKEN) Ich will Ihnen einmal einige Zahlen nennen: Auf 100 zu Pflegende über 80 Jahre kommen in Schweden 33 Pflegekräfte, in Norwegen 22 Pflegekräfte und in Deutschland 11,2 Pflegekräfte. Daran sehen Sie doch schon, was in diesem System krank ist. Wir brauchen mehr gut ausgebildete Pflegekräfte. (Beifall bei der LINKEN) Es ist höchste Zeit, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf einen wirklichen Wandel zur guten Pflege für alle zu bewirken. Mit dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff allein, den Sie hier definieren, wird dies nicht verwirklicht. Nach dem Gesetzentwurf wollen Sie die Pflege stärken. Doch genau das wird damit nicht erreicht. Anders zu begutachten, heißt ja noch nicht, anders zu pflegen. (Beifall bei der LINKEN) Ganz im Gegenteil: Der Pflegeaufwand wird wachsen, wenn der zu pflegende Mensch mit all seinen Beeinträchtigungen und allen Ressourcen im Fokus stehen soll – nicht nur bei der Begutachtung, sondern auch im Pflegealltag. Wie das nachher abgesichert wird, sagen Sie in Ihrem Gesetzentwurf überhaupt nicht deutlich. Die Leistungen zur ambulanten Pflege müssen verbessert werden. 71 Prozent werden zu Hause gepflegt. Dazu brauche ich mehr Geld und mehr Personal. Sie geben jedoch beides nicht. Sie wollen bis 2020 beraten, wie Personalbemessung und Qualitätsstandards aussehen sollen. (Mechthild Rawert [SPD]: Das stimmt einfach nicht!) Das Prinzip der Teilkaskoversicherung wird nicht angetastet. Somit bleibt gute Pflege ein Luxusgut. Zudem ist zu befürchten, dass sich bei Neubegutachtungen ab 2017 in den unteren Pflegegraden das Leistungsniveau verschlechtern wird. Die dringend notwendige Einführung der Personalbemessung wird verschoben. Deswegen: Stimmen Sie unserem Entschließungsantrag zu! Stimmen Sie für die Pflegevollversicherung, eine jährliche Dynamisierung, eine bundesweit verbindliche Personalbemessung und für die solidarische Pflegeversicherung! Denn gute Pflege ist eine Frage der Menschenwürde, und das geht uns alle an. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Hilde Mattheis für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hilde Mattheis (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte mit einem Dank beginnen, nicht nur an das Haus, sondern auch an die, die uns in den letzten neun Jahren bei der Entwicklung dieses Reformvorhabens intensiv begleitet haben: die Wohlfahrtsverbände, die Gewerkschaften, aber auch die zwei Beiräte, die die Grundlage für diesen Gesetzentwurf gelegt haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich freue mich sehr, dass wir heute diese Reform verabschieden. Das, was ich zum Hospiz- und Palliativgesetz gesagt habe, nämlich dass sich manche Themen zu politischen Auseinandersetzungen und Kontroversen nicht eignen, wiederhole ich an dieser Stelle. Die Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs, die in der Bevölkerung breit getragen wird, die von allen gesellschaftlichen Kräften unterstützt wird, sollten wir auch im Parlament breit unterstützen. Und darum bitte ich Sie. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist wichtig, immer wieder zu kommunizieren: Diese Pflegereform nützt den Menschen. Es ist gut und richtig, dass wir diese heute auf den Weg bringen. Was machen wir heute? Wir haben mit dem PSG I die Leistungen verbessert und bringen jetzt einen großen Systemwechsel auf den Weg. Denn wir gehen weg von einer Mangelerhebung, die den Pflegebedarf in Minuten abgebildet hat, und hin zu einem teilhabeorientierten Begriff. Das ist doch ein Systemwechsel, der allen zugutekommt. Ja, der Pflegegrad 1 bedeutet einen neuen Anspruch für fast 500 000 Menschen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) 500 000 Menschen werden mehr von der Pflegeleistung profitieren können. Das ist doch eine Entwicklung, der Sie nur zustimmen können. Frau Scharfenberg, bei aller Wertschätzung für die Rolle einer Oppositionspartei, aber wenn Sie sagen, dass die Finanzierung nur bis 2022 gesichert sei: (Heiko Schmelzle [CDU/CSU]: Ist falsch!) Erklären Sie einmal, in welchem anderen Sozialversicherungssystem Sie sieben Jahre lang Sicherheit garantieren können. Wo? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich würde mir auch gut überlegen, ob ich diese Botschaft verbreite; denn damit unterstellen Sie, dass Sie 2017 überhaupt nichts ändern können. Wir wollen die Pflegeversicherung als Bürgerversicherung. (Beifall bei der SPD – Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir doch auch! Dann tut es!) Sie sagen nun, dass Sie bis 2022 nichts ändern wollen. Das ist mir echt zu lang. Wir wollen die Bürgerversicherung in der Pflege, und zwar so schnell wie möglich. (Beifall bei der SPD) Sie kritisieren, dass wir für die Pflegefachberufe nichts tun. Wir haben nachgeliefert und gesagt: In den nächsten fünf Jahren muss die Entwicklung und Erprobung der Personalbemessung abgeschlossen sein. (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schauen Sie doch erst mal, was vor Ort los ist!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Mattheis. Hilde Mattheis (SPD): Ich bin gerade so in Fahrt. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ja, das merke ich. Es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage. Hilde Mattheis (SPD): Stellen Sie sich vor, wir würden jetzt erklären: „Diese Entwicklung und Erprobung müssen in anderthalb Jahren über die Bühne gebracht sein.“ Was hätten Sie dann gesagt? Sie würden uns vorwerfen: Das ist nicht ordentlich und sorgfältig genug. Wir gehen mit unseren ganzen Bausteinen – der nächste große Baustein ist die Ausbildungsreform – die Verbesserung der Pflege an. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Mechthild Rawert [SPD]: Genau!) Ich glaube, es ist wichtig, dass wir immer einen Baustein neben den anderen setzen und dass diese auch zusammenpassen. (Mechthild Rawert [SPD]: Richtig!) Das damit gebaute Haus darf nicht zusammenfallen, sondern das muss fest stehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Von daher geht es nicht nur um die Leistungsverbesserungen im PSG I. Jetzt geht es mit dem PSG II und mit all dem, was wir als kritische Punkte aufgenommen haben, um einen Systemwechsel. Wir haben gesagt: Macht die Dokumentation schlanker und sorgt bitte für mehr Pflege. Ferner haben wir gesagt: Wir wollen die Beratung verbessern, nicht nur für die Pflegebedürftigen, sondern auch für die Angehörigen. Das muss klar sein. (Mechthild Rawert [SPD]: Richtig!) In diesen kleinen Punkten, die den Systemwechsel herbeiführen, liegt die Stärke dieses Gesetzes. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Mattheis, jetzt sind Sie nicht mehr ganz so in Fahrt. Kurz vor Ende Ihrer Redezeit könnten Sie, wenn Sie mögen, eine Zwischenfrage zulassen. Hilde Mattheis (SPD): Ich mag. Präsident Dr. Norbert Lammert: Na also. – Bitte schön, Frau Klein-Schmeink. Hilde Mattheis (SPD): Ich bin gespannt. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist schön, dass ich die Gelegenheit bekomme, eine Frage zu stellen. – Frau Mattheis, Sie haben eben auf die Zeithorizonte abgehoben. Sie haben auch darauf abgehoben, dass wir mit dem Pflegestärkungsgesetz zu Recht neue Ansprüche schaffen. Aber ist es nicht so, dass man für die Erfüllung dieses Anspruchs auch das dazugehörige Personal und die Zeit bereitstellen muss, dass also Anspruch auch auf Leistung treffen muss? Daher ist es sehr merkwürdig, dass man die dazugehörige verbindliche Personalbemessung erst bis 2020 schaffen will. Dazu habe ich die Frage, warum das im Bereich der Pflege so lange dauern soll, während Sie für den Krankenhausbereich, wo das Problem ganz ähnlich gelagert ist, zwar auch nicht sofort eine Lösung haben, aber immerhin versprechen, hierfür bis 2017 etwas vorzulegen. Es ist eindeutig so, dass die Situation im Krankenhaus deutlich komplizierter ist als in der Pflege. Da gibt es sehr viele Vorarbeiten. Ist es überhaupt zu verantworten, die Pflegekräfte fünf Jahre lang auf die Einführung der im Gesetzentwurf genannten Instrumente zu vertrösten? Das ist ein sehr langer Zeitraum. Das ist eine komplette Wahlperiode. Hilde Mattheis (SPD): Geschätzte Frau Klein-Schmeink, manchmal hilft Lesen. Im Gesetzentwurf steht: Entwicklung und Erprobung. Ich finde, diese Aussage zeigt uns: Jawohl, wir wollen die Erprobungsphase 2020 abgeschlossen haben. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dazu kann ich Ihnen sagen: Wir brauchen wirklich eine fundierte Grundlage; denn das geht nicht mit einem Schnellschuss. Ich bin froh, dass wir beim Thema Personalbemessung diesen großen Durchbruch erreicht haben. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie gerade nicht!) Sie wissen, dass bei den Verhandlungen darüber auch die Länder mit am Tisch sitzen. Ich glaube, hierzu wird es eine breite Debatte geben. Vielleicht können Sie Ihren Länderministerinnen und -ministern sagen, dass sie uns dabei unterstützen sollen. Das wäre schön. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Maria Michalk [CDU/CSU] – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tun sie schon lange!) Ich will abschließend auf Folgendes hinweisen: Das Pflegestärkungsgesetz II ist nicht das Ende der Reform. Wer glaubt, dass Sozialversicherungssysteme irgendwann nicht mehr verbesserungsbedürftig wären, der hat ein ganz falsches Verständnis dieser Systeme. Mit dem PSG III werden wir einen weiteren wichtigen Baustein setzen. Neben den Leistungsverbesserungen, neben der Entlastung der pflegenden Angehörigen, neben den guten Arbeitsbedingungen für Pflegefachkräfte muss es uns auch um Pflegeinfrastruktur gehen, also niedrigschwellige Pflegeinfrastruktur in den Kommunen. Das wird der Schwerpunkt des PSG III sein. Ich darf für meine Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion einfach zur Erinnerung sagen: Wir können immer mehr dicke Häkchen hinter unser Konzept der Pflegereform von 2012 setzen. Ich danke. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Erwin Rüddel das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Erwin Rüddel (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Bemerkung kann ich mir nicht ganz verkneifen, weil eben der Begriff „Bürgerversicherung“ gefallen ist: (Mechthild Rawert [SPD]: Der fällt ja häufiger!) Ich glaube, bevor dieses Haus eine Bürgerversicherung verabschiedet, wird eine CDU-geführte Regierung das Pflegestärkungsgesetz VII verabschieden. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Oder auch nicht!) Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass die vielen Diskussionen mit meiner Kollegin von den Grünen, Elisabeth Scharfenberg, dazu geführt haben, dass ihre vielen Zweifel, die zu Beginn bestanden, heute weitestgehend verschwunden sind. (Beifall bei der CDU/CSU – Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat meine Rede aber nicht hergegeben, dass die Zweifel verschwunden sind!) Ich denke, das Gesetz wird in der Praxis entsprechend Wirkung zeigen, sodass auch die letzten Zweifel verschwinden werden. Zehn Monate nachdem wir das erste Pflegestärkungsgesetz verabschiedet haben, kommt jetzt schon die Umsetzung des Pflegebedürftigkeitsbegriffes. Wir schließen eine Gerechtigkeitslücke, indem wir die Demenzkranken den somatisch Erkrankten in der Pflegeversicherung gleichstellen und im Ergebnis über 5 Milliarden Euro für Demenzkranke aktivieren. Ich denke, das ist ein großer Wurf. Für bereits jetzt Pflegebedürftige gibt es einen Bestandsschutz, sodass sich niemand Sorgen darüber machen muss, dass er durch diese Reform schlechtergestellt wird. (Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) Zudem verbessern wir bereits in diesem Gesetzentwurf die Situation von pflegenden Angehörigen und stärken die Pflegeberatung sowie die Qualität und Transparenz bei den Pflegeangeboten. Die Koalition hat zu Beginn der Legislaturperiode mehr Qualität, mehr Geld, mehr Betreuung und mehr Hände für gute Pflege in unserem Land versprochen, und wir haben Wort gehalten. (Beifall bei der CDU/CSU) Das zeigt sich auch am Bürokratieabbau, in der Neugestaltung des Pflege-TÜVs, in den neuen gesetzlichen Regelungen zur Verbesserung der Medikamentensicherheit sowie in dem in der letzten Woche verabschiedeten Palliativ- und Hospizgesetz. Wir müssen sicherstellen, dass zukünftige zusätzliche Leistungen auch am Bett ankommen. Hier darf es keine Tricksereien geben. Das sage ich auch gegenüber den kommunalen Spitzenverbänden, die mit Blick auf den Bürokratieabbau in der Pflege bekanntlich gewisse Begehrlichkeiten entwickelt hatten. Deshalb habe ich mich dafür eingesetzt, dass die Dividende aus dem Bürokratieabbau den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Pflege zusteht (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist erbärmlich wenig! Das ist zu wenig!) und auf diese Weise dort ankommt, wo sie hingehört, und zwar bei den pflegebedürftigen Menschen in unserem Land. Die gewonnene Zeit ist nicht zur Konsolidierung kommunaler Haushalte gedacht. (Beifall bei der CDU/CSU) Ebenso deutlich sage ich mit Blick auf die Pflege-WGs: Wir werden aufpassen, dass das System nicht von professionellen Anbietern in einer Weise ausgenutzt wird, die nicht im Sinne des Gesetzgebers ist. Wir wollen keine Geschäftemacherei, sondern gute Betreuung und Pflege. Deshalb stellen wir sicher, dass der MDK entsprechende Prüfungsvollmachten erhält. Dieses Pflegestärkungsgesetz II bringt bereits einen erweiterten Beratungsauftrag für die Kassen. 2016 werden wir mit dem Pflegestärkungsgesetz III den Kommunen zusätzliche Beratungsaufgaben übertragen, wie es in der Bund-Länder-Kommission vereinbart worden ist. Die zusätzlichen Angebote der Kommunen – ich denke hier an die Vernetzung mit Seniorenbeiräten, Mehrgenerationenhäusern oder Pflegestützpunkten – werden eine aufsuchende und umfassende Beratung für Pflegebedürftige und deren Familien bieten können, sodass in jedem einzelnen Fall ein individuelles Paket geschnürt werden kann, das optimal auf die Bedürfnisse der zu Pflegenden zugeschnitten ist. Zudem müssen wir noch bei der Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln aktiv werden. Unsere Pflegebedürftigen haben ein Anrecht auf eine anständige Versorgung. Wir werden es nicht hinnehmen, wenn an der Qualität von Windeln oder Rollstühlen gespart werden soll. Wir mobilisieren für die Altenpflege zusätzlich 7 Milliarden Euro. Da kann nicht an anderer Stelle an den Windeln gespart werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Deshalb müssen wir dafür sorgen, die erforderlichen Qualitätsstandards sicherzustellen. Damit werden wir das, was ich die Runderneuerung der Pflege nenne, feinjustieren müssen und dann abschließen. Meine Damen und Herren, diese Koalition schafft grundlegende und umfassende Verbesserungen für die Pflegebedürftigen, ihre Angehörigen und die Pflegekräfte in Deutschland. Ich danke ganz besonders dem Minister, der zuständigen Parlamentarischen Staatssekretärin Ingrid Fischbach und dem Pflegebevollmächtigten, dass sie diese Reform vorbereitet haben, und bitte sie, diesen Dank an das Haus weiterzugeben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächste Rednerin ist die Kollegin Mechthild Rawert für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Mechthild Rawert (SPD): Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Mitbürgerinnen! Liebe Mitbürger! Der heutige Freitag, der 13., ist ein guter, ein sehr guter Tag für pflegebedürftige Kinder und Jugendliche, für pflegebedürftige ältere Menschen, für die Angehörigen und für die haupt- und ehrenamtlich in der Begleitung, Betreuung und Pflege tätigen Menschen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir alle profitieren von dem Gesetz, welches wir gleich beschließen werden, nämlich dem Zweiten Pflegestärkungsgesetz. Pflege ist damit in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen. Wir machen deutlich: Im Mittelpunkt steht die Solidarität miteinander und die Sorge füreinander, gerade dann, wenn für den einzelnen Menschen ein Lebensrisiko wie die Pflegebedürftigkeit auftritt. Das ist die Aufgabe der sozialen Pflegeversicherung. Dafür, dass wir heute dazu gekommen sind, gebührt vielen Menschen in den Institutionen, Verbänden und Bündnissen für gute Pflege Dank. Es wurde schon daran erinnert, dass die erste Sitzung der Beiräte vor mehreren Jahren stattgefunden hat. In diesen waren die gesamte Zivilgesellschaft, sämtliche Akteurinnen und Akteure im Gesundheits- und Pflegewesen vertreten. Die Beiräte haben uns den Weg gewiesen. Sie haben Forderungen gestellt, und sie haben eine Roadmap vorgelegt. Wir sind dabei, die Roadmap mit diesem Gesetz abzuarbeiten. Das ist ein Gesetz nicht nur der Politik, sondern der Gesellschaft mit sämtlichen Akteuren. Auch deswegen ist heute ein guter Tag, und diesen gilt mein herzlicher Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Geschlossen wird eine Gerechtigkeitslücke zwischen somatischen, psychischen und kognitiven Beeinträchtigungen von pflegebedürftigen Menschen. Das ist gut so, das ist gerecht so. Das Geschacher um die Pflege in Minuten hört auf. Betrachtet werden nicht mehr einzelne Defizite, betrachtet wird der Mensch mit seinen Ressourcen. Künftig ändert sich also die Blickrichtung. Nicht mehr die Pflegenden und deren Zeitbedarf stehen im Mittelpunkt, sondern der Grad der Selbstständigkeit und die individuellen Fähigkeiten des pflegebedürftigen Menschen. Die konkrete Frage lautet: Inwieweit ist es den Pflegebedürftigen noch möglich, ein eigenständiges Leben zu führen, oder bis zu welchem Grad ist diese Eigenständigkeit eingeschränkt? Danach wird bewertet. Die neue Pflegebewertung wird würdevoller für alle Betroffenen, insbesondere für die Menschen mit Pflegebedürftigkeit. Es erfolgt eine Einstufung in fünf Pflegegrade, und zwar gerechter, nachvollziehbarer und transparenter. Das ist wichtig für die Pflegebedürftigen und selbstverständlich auch für deren Familienangehörige. Auf den erweiterten Zugang zu den Leistungen der sozialen Pflegeversicherung von über 500 000 Menschen ist schon vom Minister und von Frau Mattheis hingewiesen worden. Es ist von mehr Gerechtigkeit für die an Demenz und an psychischen Leiden Erkrankten gesprochen worden. Wir haben einen Ausbau von Leistungen sowohl in den ambulanten Wohngruppen als auch in der Kurzzeitpflege sowie in der Tages- und Nachtpflege sichergestellt. Ab dem 1. Januar 2017 werden die an Demenz erkrankten Menschen mit einem sogenannten doppelten Stufensprung höher bewertet. Dies passiert automatisch; es bedarf keiner weiteren zusätzlichen Arbeit seitens der pflegebedürftigen Personen oder deren Angehörigen. Allein das ist ein zentraler und allgemein anerkannter pflegepolitischer Erfolg. Schon deswegen ist dieser Gesetzentwurf ein Meilenstein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Von den Linken ist vorhin etwas zum Thema der ambulanten Pflege gesagt worden. Wegen der Kürze der Zeit kann ich leider nicht näher darauf eingehen. Weitaus zu kurz gegriffen wurde dabei wegen der vielen Verbesserungen in der Begleitung, in der Betreuung und in der Entlastung der Angehörigen. Wir fördern mit diesem Gesetz genau das, was die Mehrheit der Bevölkerung will, nämlich so lange wie möglich im eigenen häuslichen Umfeld bleiben. Das sichern wir ihnen hiermit zu, und das ist gut so. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir sichern auch den Angehörigen einen besseren Zugang zu Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung zu; denn es kann und darf nicht sein, dass die pflegenden Angehörigen, zumeist Frauen, dafür bezahlen, indem sie selbst in Altersarmut geraten. Dieser Punkt ist uns als SPD, aber auch darüber hinaus sehr wichtig. (Beifall bei der SPD) Ein weiterer großer sozialpolitischer Erfolg liegt darin, dass keine pflegebedürftige Person in stationären Einrichtungen aus Angst vor finanzieller Höherstufung nicht mehr beantragt, mehr Pflege zu bekommen. Damit machen wir Schluss. Keine Angst, liebe Einrichtungen, liebe Träger und Verbände von Einrichtungen: Die Höhe dieses Anteiles wird von den jeweiligen Pflegeeinrichtungen zusammen mit den Pflegekassen bzw. dem Sozialhilfeträger verhandelt. Auch das ist gut so; denn es gewährleistet ihnen mehr Flexibilität, und sie können somit mehr Kreativität und noch mehr Qualität in der Pflege erbringen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich muss leider zum Schluss kommen. Die individuelle bedürfnisorientierte Pflege werden wir mit diesem Gesetz stärker abbilden und sicherstellen. Selbstverständlich ist auch dieses Gesetz kein Allheilmittel. Das PSG III steht vor der Tür; davon ist schon gesprochen worden. Wir werden die Pflegeberatung unterstützen, wir werden die Pflegeinfrastruktur in den Kommunen verbessern, und wir werden vor allen Dingen die Netzwerke mit vielen zivilgesellschaftlichen Akteuren stärken. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin. Mechthild Rawert (SPD): Ich komme zum letzten Satz. Danke. – Mein Appell: Ich fordere uns alle als Verantwortliche dazu auf, diese Pflegereform mit voller Kraft mitzumachen, sie zu gestalten und mit Leben zu füllen. Zeigen wir gemeinsam Tatkraft für eine gute und würdevolle Pflege. Haben Sie Dank fürs Zuhören. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Erich Irlstorfer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Erich Irlstorfer (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Ersten Pflegestärkungsgesetz hat der Gesetzgeber die Leistungen der Pflegeversicherung ab dem 1. Januar 2015 deutlich ausgeweitet. Dieses Gesetz war ein Vorgriff auf das Zweite Pflegestärkungsgesetz, das wir heute beraten und beschließen. Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff, das Kernstück dieses Gesetzentwurfes, stellt eine neue Grundlage für die Pflege in Deutschland dar – ganz subtil in Bezug auf die Neuausrichtung der Pflege an der Selbstständigkeit der Gepflegten, aber auch ganz offenkundig beispielsweise im Rahmen der neuen Pflegebegutachtung. Meine Vorredner haben bereits darauf hingewiesen, dass es viele Neuerungen gibt, sodass ich mich auf einige wenige Punkte konzentriere. Meine Kernaussage ist, dass die Pflege in Deutschland deutliche Verbesserungen braucht, und zwar nicht nur die Einführung oder Erweiterung einzelner Leistungen. Wir brauchen vielmehr eine strukturell angelegte Pflegereform. Ich glaube, das gelingt uns mit der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs. Ich meine damit nicht nur die großen Linien mit der Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs mit all seinen Konsequenzen, sondern auch eine Reihe kleinteiliger Maßnahmen, die sich ganz konkret auf die Versorgungsangebote vor Ort auswirken werden. Das aktive Gestalten der Versorgungsstrukturen, aber auch das Schaffen von Freiräumen in der Versorgung sind Markenzeichen der Pflegepolitik der Union. Das liegt nicht nur im Interesse der Versicherten, sondern es ist auch im Sinne der Beitragszahler, meine sehr geehrten Damen und Herren. Ich möchte beispielhaft drei gesetzliche Neuerungen erläutern, die Ausdruck dieser Politik sind. Erstens: das Thema Wohngruppen; mein Kollege Erwin Rüddel hat es bereits angesprochen. Ziel des Wohngruppenzuschlags ist die Förderung neuer Wohnformen für Pflegebedürftige als Alternative zum Heim. Es liegt in der Natur der Sache, dass neue Wohnformen oft vergleichbar mit altbewährten Konzepten der vollstationären, teilstationären und ambulanten Pflege sind. Allerdings müssen sie – das ist wesentlich – einen Mehrwert für die Versicherten und somit für die Menschen aufweisen. Neue Wohnformen können sich beispielsweise durch eine stärkere Selbstbestimmung der Bewohner auszeichnen. Deshalb begrüßen wir neue Wohnformen wie Wohngruppen ausdrücklich. Liebe Kolleginnen und Kollegen, allein durch hohe Kosten für die Sozialversicherung ohne greifbare Unterschiede zu einem Pflegeheim dürfen sich Wohngruppen allerdings nicht auszeichnen. Denen, die die Förderung der Wohngruppen missbrauchen, treten wir deshalb mit diesem Gesetz entgegen. Wenn nötig, werden wir auch in weiteren Gesetzen nachjustieren. Das ist keine Drohung, sondern ein ernstgemeinter Hinweis. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) Zweitens. Die Entscheidung, welche Versorgungsangebote in Deutschland bestehen sollen, ist Aufgabe der Pflegepolitik. Pflege ist kein Geschäft wie jedes andere und darf es auch nicht sein. In der klassischen vollstationären Versorgung nehmen wir den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff zum Anlass, um die Personalausstattung zu analysieren und im erforderlichen Maß anzupassen. Ein fundiertes Personalbemessungssystem wird entwickelt und erprobt; starre Personalschlüssel werden nicht vorgegeben. Damit setzen wir an den Personalstrukturen, einem Kern der pflegerischen Versorgung, an. Mit diesem Gesetz stoßen wir ihre Anpassung an die Versorgung an. Wesentlich ist, dass wir hier nicht stehen bleiben, dass es weitergeht. Beim Pflegeberufegesetz, das gerade beraten wird, planen wir echte Verbesserungen. Wir sind ja um eine Steigerung der Attraktivität dieser Berufe bemüht. Ich denke, das sowie die digitale Dokumentation sind Kernelemente der Zukunft. (Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) Das sind Verbesserungen. (Beifall bei der CDU/CSU – Mechthild Rawert [SPD]: Jawohl!) Drittens. Auch die Beratungsangebote, die Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen helfen sollen, werden mit diesem Gesetz reformiert. Wir stellen die Weichen, damit die Pflegeberatung in Deutschland noch besser verfügbar ist und vor allem mehr genutzt werden kann. Künftig müssen die Pflegekassen allen, die einen Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung stellen, innerhalb von zwei Wochen aktiv eine Pflegeberatung anbieten. Angehörige erhalten erstmals einen eigenständigen Anspruch auf Pflegeberatung. Pflegekassen und Länder werden die verschiedenen Beratungsangebote vor Ort aufeinander abstimmen und so die Beratungsstrukturen stärken. Das ist uns wichtig. Zum Schluss möchte ich sagen: Wir werden die Umsetzung der Pflegereform und die damit verbundenen Aufgaben nur meistern können, wenn wir gemeinsam an der Umsetzung arbeiten. Ich rufe die Pflegeheime, die Pflegedienste, die Kassen, die Länder und natürlich auch uns Bundespolitiker zur konstruktiven Zusammenarbeit mit den Menschen vor Ort auf, damit wir diese Reform vollständig umsetzen. (Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) Damit werden wir die Pflege in Deutschland auf ein neues Fundament stellen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Tino Sorge für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) Tino Sorge (CDU/CSU): Hochverehrter Herr Präsident Lammert! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in dieser Debatte schon viele Zahlen gehört. In den nächsten 15 Jahren müssen wir damit rechnen, dass insbesondere die Zahl pflegebedürftiger Menschen in Deutschland stark ansteigen wird. Wir reden über einen Anstieg von 35 Prozent. Wir wissen bereits jetzt, dass im Jahr 2030 3,5 Millionen Menschen pflegebedürftig sein werden. Im Jahr 2050 werden es 4,5 Millionen sein. Was ich an der gesamten Debatte sehr bemerkenswert fand, war, dass angesichts der Tatsache, dass aufgrund der älter werdenden Gesellschaft die Gesundheitskosten steigen werden, ein politischer und gesellschaftlicher Konsens darüber besteht, dass in die Pflege investiertes Geld gut investiertes Geld ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gute Erkenntnis!) Mit diesem Pflegestärkungsgesetz stärken wir im besten Sinne des Wortes diejenigen, die sich tagtäglich in der Pflege einsetzen. Wir unterstützen diejenigen, die als Pflegebedürftige unsere Hilfe ganz dringend benötigen. Das tun wir nicht abstrakt-generell, sondern konkret-individuell. Gerade die nächsten Angehörigen, die eine intensive, herzliche und verlässliche Betreuung und Versorgung übernehmen, verdienen unser aller Anerkennung für ihre Leistung, ihr Engagement und ihren körperlich anstrengenden und nicht selbstverständlichen Einsatz. Was sie tun, geht weit über das hinaus, was wir mit den gesetzlichen Regelungen schaffen. Zugleich bedeutet dieses Gesetz auch Wertschätzung. Es gibt umfangreiche Leistungsverbesserungen und einen verbesserten Pflegebedürftigkeitsbegriff. All dies sind Mosaikteile einer Pflegepolitik aus einem Guss, die am Wohl der Menschen orientiert ist und die allen Pflegebedürftigen zugutekommen wird, heute und in der Zukunft. Ich möchte an dieser Stelle einmal denjenigen Dank sagen, die sich im Pflegebereich einsetzen und dabei oft ihr eigenes Leben hintanstellen. Ich möchte auch denjenigen danken, die in Pflegeeinrichtungen arbeiten, die in Pflegeschulen für diese Berufe werben und den Fachkräften das Rüstzeug vermitteln, um hochwertig und zugleich empathisch pflegen zu können. Ihnen allen gilt ein ganz großes Dankeschön. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte auch dem Ministerium, insbesondere Bundesminister Hermann Gröhe, dem Pflegebeauftragten Karl-Josef Laumann, der Parlamentarischen Staatssekretärin Ingrid Fischbach und ganz besonders unserem Berichterstatter Erwin Rüddel meinen Dank aussprechen. Das tue ich deshalb, weil die Zusammenarbeit äußerst angenehm, konstruktiv und zielorientiert war. Vielen Dank dafür. (Beifall bei der CDU/CSU) In dieser Woche feiern wir 26 Jahre Mauerfall. In diesen 26 Jahren hat sich vieles grundlegend verändert. Mit Blick auf Pflege und Demografie kann ich sagen: In meinem Bundesland Sachsen-Anhalt kann man geradezu live und hautnah verfolgen, wie sich der demografische Wandel im Alltagsleben auswirkt. Aufgrund der verzerrten Altersstruktur reden wir bereits jetzt über mehr Mittel für Pflegeeinrichtungen. Wir haben eine höhere Rate multimorbider Patienten, die versorgt werden müssen. Zugleich haben wir eine überdurchschnittliche Fluktuation und Mobilität gut ausgebildeter Ärzte sowie Fach- und Pflegekräfte zu verzeichnen. Wenn man sich die Zahlen anschaut und weiß, dass im Jahr 2025 fast 60 Prozent der Menschen in meinem Bundesland über 50 Jahre alt sein werden und dass wir schon jetzt 4 Prozent Pflegebedürftige und damit die höchste Pflegequote in Deutschland haben, dann können Sie erahnen, wie wichtig das Thema Pflege ist. Jetzt kann man sagen: Na gut, das ist eben ein regionales Problem. – Das ist aber kein regionales Problem, und es ist auch kein ostdeutsches Problem. Es ist ein Problem, das uns alle angeht. (Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) In den neuen Bundesländern werden Entwicklungen vorweggenommen, die in anderen Regionen Deutschlands zeitlich verzögert auftreten werden. Es ist wichtig, dass die Gesundheits- und Pflegepolitik nicht nur einzelne Gesetzesprojekte in den Blick nimmt, sondern im Sinne ineinandergreifender Zahnräder in den kommenden Jahren den Schwerpunkt auf die Reform der Medizinerausbildung und der Pflegeberufe sowie auf die Stärkung der Kommunen im Gesundheitsbereich setzt. Dieser gesamtdeutschen Herausforderung werden wir mit diesem Schritt, dem Pflegestärkungsgesetz II, ein weiteres Stück gerechter. Wenn heute mit Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe ein Nordrhein-Westfale die Debatte eröffnet hat, eine Sächsin, ein Rheinland-Pfälzer und ein Bayer dieses Reformvorhaben erläutern konnten, dann passt es doch ganz gut, dass ein Abgeordneter aus Sachsen-Anhalt, nicht nur dem Land der Reformation, sondern auch dem „Land der Frühaufsteher“, den Abschluss machen darf. (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh! – Mechthild Rawert [SPD]: Wir bieten noch die Berliner, die Baden-Württemberger!) Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Frau Rawert, ist doch gelebte Vielfalt mit dem festen Ziel, die Pflege in Deutschland noch zukunftssicherer zu machen. Dazu leisten wir heute einen ganz großen Beitrag. Darauf können wir stolz sein. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Fast noch schöner als die Beteiligung der Frühaufsteher ist der Hinweis, dass das Gesetz ganztägig gelten soll. (Heiterkeit – Mechthild Rawert [SPD]: Wer weiß!) Bevor wir zu den Abstimmungen kommen, ohne die dieses Gesetz seine Gültigkeit nicht erhält, hat die Kollegin Baehrens um das Wort für eine persönliche Erklärung zur Abstimmung gebeten. – Bitte schön. Heike Baehrens (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der neue Pflegebegriff kommt, und es gibt keinen vernünftigen Grund, diesem neuen, ganzheitlicheren Leitbild von Pflege und dem neuen Begutachtungsverfahren heute nicht zuzustimmen. Diese Pflegereform schließt wichtige Lücken, aber sie hat auch ihre Tücken. Das betrifft insbesondere den stationären Bereich, wo vorgesehen ist, die umfangreichen Veränderungen budgetneutral umzusetzen, damit die Heime nach der Umstellung das gleiche Budget zur Verfügung haben wie vorher und um die Kosten der Pflegeversicherung berechenbar zu halten. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Genau das meinen wir!) Das ist aus praktischen Gründen nachvollziehbar. Die Tücke liegt jedoch darin, dass diese Form der Überleitung keinerlei Spielraum für die dringend notwendigen Leistungsverbesserungen in den Heimen lässt. (Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir haben im PSG I die ambulante Pflege nachdrücklich gestärkt. Wir haben die palliative Versorgung im häuslichen Bereich und in den Hospizen verbessert. Demgegenüber werden an die Pflegeheime lediglich höhere Anforderungen gestellt, ohne eine verbindliche Regelung zur Finanzierung dieser Leistungen zu verankern. Herr Minister Gröhe, Sie haben am vergangenen Donnerstag gesagt: Wir werden die Altenpflegeeinrichtungen verpflichten, mit Palliativnetzwerken und Palliativmedizinern zusammenzuarbeiten. Ich höre die Pflegekräfte in den Heimen fragen: Warum eigentlich trauen Sie uns Altenpflegefachkräften nicht zu, eine hospizlich-palliative Versorgung im Heim zu gewährleisten? Ja, wir möchten die Bewohner auch auf ihrer letzten Wegstrecke begleiten und so versorgen, wie wir es gelernt haben. Aber warum geben Sie uns dafür nicht die gleiche finanzielle und personelle Ausstattung wie den stationären Hospizen? – Recht haben sie. (Beifall bei der LINKEN) Darum frage ich weiter: Warum eigentlich geht die Pflegeversicherung nach wie vor davon aus, dass in Pflegeheimen etwa 50 Prozent Fachpersonal ausreichen, während die Krankenversicherung selbstverständlich nahezu 100 Prozent des Fachpersonals in Hospizen und rund 80 Prozent der Fachkräfte in der ambulanten Pflege finanziert? Wir haben für mehr Betreuungskräfte in den Heimen gesorgt. (Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Das ist keine Erklärung zur Abstimmung!) Allerdings entlastet auch dies nicht die Fachpflegekräfte; denn die höhere Zahl an Betreuungskräften muss vom examinierten Pflegepersonal angeleitet und unterstützt werden. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist eine inhaltliche Rede! Das ist keine persönliche Erklärung! – Gegenruf des Abg. Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Ich muss nicht überzeugt werden! Ich brauche diese Rede gar nicht! – Gegenruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hören Sie mal zu!) Die Verantwortung sowohl für die Pflege wie auch für die Betreuung bleibt beim Fachpersonal. Das „zusätzliche“ Betreuungspersonal führt dazu, dass der sowieso schon niedrige Fachkraftanteil der Altenpflege de facto bereits unter 50 Prozent liegt. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist doch keine persönliche Erklärung!) Darum ist es richtig, ein fundiertes Verfahren für die Personalbemessung in den Pflegeheimen auf der Basis des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs zu entwickeln. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn das schneller ginge. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Noch eine Tücke möchte ich kurz ansprechen, nämlich den einrichtungsindividuellen einheitlichen Eigenanteil. Gemeint ist damit: Alle Bewohner zahlen künftig im Heim den gleichen Preis für die Pflege, unabhängig davon, wie viel pflegerische Unterstützung sie aufgrund ihres Pflegegrades erhalten. Damit wird das heutige System der Preisbildung verändert, obwohl das Gesetz weiterhin am Prinzip der leistungsgerechten Vergütung festhält. So wird der Problematik begegnet, dass Pflegebedürftige oder Angehörige (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Das ist keine persönliche Erklärung!) oft auf die Beantragung einer höheren Pflegestufe verzichtet haben, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das geht so nicht!) um höhere Kosten zu vermeiden. Diese Neuerung ist gut gemeint, aber, wie ich befürchte, nicht gut durchdacht. Ein einheitlicher Eigenanteil ist gut für diejenigen, die einen hohen Pflegebedarf haben und viele Leistungen in Anspruch nehmen müssen. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist gelebte Solidarität!) Die Solidarität mit den schwer Pflegebedürftigen führt jedoch zur finanziellen Mehrbelastung von Pflegebedürftigen mit niedrigem Pflegegrad. Es stellt sich daher berechtigerweise die Frage, ob das von jenen als gerecht empfunden werden wird, die zukünftig zwar gleich viel bezahlen, aber wesentlich weniger Leistungen erhalten. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Das ist eine ganz normale Rede!) Wer wird ihnen erklären, dass die Altenpflegerin kaum Zeit für sie hat, während die Nachbarin intensiv versorgt wird? Sie werden sich nicht ans Ministerium, an die Pflegekassen oder an uns Abgeordnete wenden. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Noch mal 10 Minuten Redezeit zusätzlich!) Sie werden diejenigen fragen, die ihnen am nächsten sind, und das sind die Pflegekräfte. Sie werden diejenigen fragen, die sich schon heute im Alltag aufreiben, um allen gerecht zu werden, weil die Personalschlüssel nicht ausreichend sind. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist alles, aber keine Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung!) Denn obwohl der Bedarf und die Anforderungen an medizinischer Behandlungspflege und Sterbebegleitung enorm zugenommen haben, haben wir heute die gleichen Personalschlüssel in der stationären Pflege wie Anfang der 90er-Jahre. Darum mache ich mit meiner persönlichen Erklärung heute darauf aufmerksam: Es ist Zeit, mehr für die Pflege und die Fachkräfte in stationären Einrichtungen zu tun. Dafür möchte ich werben. Deshalb war es mir wichtig, das sagen zu können. (Beifall bei der LINKEN – Mechthild Rawert [SPD]: Das war keine gute Werbung!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin Baehrens, das war eine Demonstration dafür, wofür diese Bestimmung der Geschäftsordnung nicht gedacht ist. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie wird ganz sicher die Neigung der jeweils amtierenden Präsidenten, Erklärungen zu Abstimmungen überhaupt, schon gar vor der Abstimmung zuzulassen, weiter reduzieren; denn im Ergebnis führt das zu einer Verlängerung der Redezeiten einer Fraktion, die angesichts der Proportionen, die wir hier haben, von den Oppositionsfraktionen als nicht besonders freundlich empfunden werden kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir führen jetzt aber keine Geschäftsordnungsdebatte. Das wird gegebenenfalls noch einmal im Ältestenrat aufgegriffen. Aber noch einmal: Der Zweck einer solchen Erklärung zur Abstimmung ist, gegebenenfalls deutlich zu machen, warum man, aus welchen Gründen auch immer, die Schlussfolgerung nicht teilen will, die im Übrigen die Kolleginnen und Kollegen der eigenen Fraktion zur Zustimmung oder Ablehnung eines Gesetzentwurfes veranlassen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/6688, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/5926 und 18/6182 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung (Zurufe vom Bündnis 90/Die Grünen: Wir sind für Enthaltung! – Zurufe von der Linken: Wir sind dagegen!) – bei Enthaltung der Grünen und Gegenstimmen sowie einigen Enthaltungen der Fraktion Die Linke – angenommen, was im Übrigen für die Feststellung der Mehrheitsverhältnisse nicht notwendigerweise vorgetragen werden muss. Wenn das aber den Frieden fürs Wochenende fördert, (Zurufe vom Bündnis 90/Die Grünen: Ja!) will ich dem natürlich nicht im Wege stehen. Außerdem lässt sich das in der dritten Beratung – und darauf kommt es ja an – förmlich festhalten. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und einigen Enthaltungen seitens der Linken gegen die Stimmen der übrigen Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/6692. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Entschließungsantrag mit Mehrheit abgelehnt. Wir setzen die Abstimmungen zu den Beschlussempfehlungen des Ausschusses auf der Drucksache 18/6688 unter dem Tagesordnungspunkt 27 b fort. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/5110 mit dem Titel „Bürgerinnen- und Bürgerversicherung in der Pflege – Solidarische Pflegeversicherung einführen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der Antragsteller angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/6066 mit dem Titel „Gute Pflege braucht sichere und zukunftsfeste Rahmenbedingungen“. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? – Wer stimmt dagegen? – Dann ist auch diese Beschlussempfehlung mit Mehrheit gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a und 28 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung von Doping im Sport Drucksache 18/4898 Beschlussempfehlung und Bericht des Sportausschusses (5. Ausschuss) Drucksache 18/6677 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Sportausschusses (5. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. André Hahn, Katrin Kunert, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Anti-Doping-Gesetz für den Sport vorlegen Drucksachen 18/2308, 18/6678 Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Dazu kann ich Einvernehmen feststellen. Ich eröffne mit dieser Vereinbarung die Aussprache und erteile zunächst dem Bundesminister Heiko Maas das Wort. (Beifall bei der SPD) Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute ist ein sportpolitisch historischer Tag. Mit diesem Gesetz wird der Kampf gegen das Doping zu einem Fall für den Staatsanwalt. Das ist eine Kampfansage an die Täuscher, Trickser und Betrüger im Sport. Mit dem heutigen Tag stellen wir klar: Ein Leistungssportler, der dopt, handelt kriminell. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir haben es uns mit diesem Gesetz nicht einfach gemacht. Hinter uns liegen Jahrzehnte der Diskussionen, der Appelle, des Beklagens und der gescheiterten Versuche. Die ersten Dopingkontrollen bei Olympischen Spielen gab es im Jahr 1968. Das ist jetzt 47 Jahre her. Aber in den Griff bekommen hat man das Problem bis heute nicht. Gerade auch vor dem Hintergrund der aktuellen Geschehnisse, die man aus Russland und dem Weltleichtathletikverband mitbekommt, muss man, glaube ich, attestieren: An der einen oder anderen Stelle ist das Problem nicht kleiner, sondern möglicherweise sogar größer geworden. Bei allen Unternehmungen, die der Sport bereits in die Wege geleitet hat, hat sich, wie wir finden, gezeigt: Der Sport und seine Verbände brauchen Unterstützung. Die bekommen sie jetzt, und zwar mit diesem Anti-Doping-Gesetz. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, Ben Johnson, Diego Maradona, Lance Armstrong und wie sie alle heißen: Sie alle waren Ikonen des Sports. Aber sie alle haben manipuliert und betrogen, sie haben die Ideale des Sports verraten, sie haben Titel und Medaillen verloren, und sie haben Millionen Fans – nicht nur ihre eigenen – bitter enttäuscht. Heute unterstützen viele Sportlerinnen und Sportler unser Gesetz. Wir haben viele gute Hinweise bekommen: aus dem Sport, von Verbänden und auch von Sportlerinnen und Sportlern. Das alles hat uns geholfen, den Entwurf, den wir vorgelegt haben, noch besser zu machen. Ich will dafür drei Beispiele nennen. Erstens. Wir stellen im Gesetz ausdrücklich klar, dass sich ein Sportler, der Dopingmittel besitzt, nur dann strafbar macht, wenn er auch wirklich die Absicht hat, sich dadurch einen Vorteil im sportlichen Wettbewerb zu verschaffen. Dieser subjektive Tatbestand muss bei allen Delikten immer gegeben sein. Wir schreiben das hier aber ausdrücklich ins Gesetz und greifen damit die Sorge einiger Sportlerinnen und Sportler auf, die sich davor fürchten, straffällig zu werden, weil ihnen irgendjemand unbemerkt ein Dopingmittel in die Tasche untergeschoben hat. (Dagmar Freitag [SPD]: So ist das!) Zweitens. Wir sorgen dafür, dass ein Leistungssportler seiner Strafbarkeit nicht dadurch entgeht, dass er im Ausland dopt. Strafbar macht sich also auch, wer in Deutschland gedopt an einem Wettbewerb teilnimmt, und zwar völlig egal, in welchem Land er vorher Pillen und Dopingmittel eingenommen hat. Damit verhindern wir, dass das deutsche Recht umgangen wird, und wir sorgen für Chancengleichheit gegenüber ausländischen Athleten, die in Deutschland starten. Es macht sich also auch strafbar, wer im Ausland dopt und beim Wettkampf in Deutschland davon profitiert. Das ist richtig, und das heißt: Gleiches Recht für alle. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die dritte Verbesserung: Wir bauen eine goldene Brücke für Sportlerinnen und Sportler, die sich vom Doping lossagen und zurück in die Legalität wollen. Wenn jemand aus freien Stücken den Besitz an Dopingmitteln aufgibt und sie vernichtet oder abgibt, dann geht er straffrei aus. Wer ernsthaft Reue und Umkehr zeigt, dem kommt diese Passage des neuen Gesetzes entgegen. Meine Damen und Herren, viele Sportlerinnen und Sportler unterstützen diesen Gesetzentwurf, aber ich weiß auch, dass es bei einzelnen Athleten immer noch Skepsis gibt. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viele? Die Mehrheit der Verbände ist nicht dafür!) – Nur ruhig. Frau Künast, man hat den Eindruck, Sie sind heute Morgen gedopt erschienen. Ich will das aufgreifen, was sie gesagt haben, und auch das, was es an Kritik gegeben hat. Wir haben das, was geäußert wurde, sehr ernst genommen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie jetzt die Kinderstube verloren?) Chancengleichheit erreichen wir nicht durch Nachsicht, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das ist der Grund, weshalb wir das Dopen unter Strafe stellen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie denn heute zu viel getrunken? – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was war denn in Ihrem Kaffee?) Chancengleichheit erreichen wir nur, wenn wir den Betrügern vollständig das Handwerk legen. Nur so können wir den Druck von den einzelnen Athleten nehmen, dem sie sich ausgesetzt sehen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir müssen deshalb den Teufelskreis aus Doping und Betrug stoppen. Wir haben uns entschieden, dazu auch mit den Mitteln des Strafrechts vorzugehen. Dieses Gesetz wird den Sport – da bin ich mir vollkommen sicher – sauberer, ehrlicher und fairer machen. Es wird die Sportverbände – entgegen dem, was vielleicht der eine oder andere befürchtet – bei ihrem Kampf gegen das Doping unterstützen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was zu beweisen wäre!) Meine Damen und Herren, seit dem Jahr 2000 verpflichten sich alle Athleten im olympischen Eid zu einem „Sport ohne Doping und ohne Drogen …, im wahren Geist der Sportlichkeit“. Wir wollen, dass dieser Eid im Sommer 2024 bei der Eröffnung der Olympischen Spiele in Hamburg gesprochen wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wie ernst wir unsere Bewerbung nehmen – es ist nicht nur eine der Hamburgerinnen und Hamburger, sondern mittlerweile eine unseres ganzen Landes –, zeigen wir auch mit diesem Gesetz und der Ernsthaftigkeit, mit der wir gegen Doping vorgehen. Mit dem neuen Gesetz werden wir im internationalen Vergleich deutlich vorne liegen. Ich hätte vielleicht eine Anregung an die Verbände, die große Sportveranstaltungen vergeben: das IOC, die FIFA, die UEFA und wer auch immer. Wenn sie sich darauf verständigen könnten – sie alle sind ja Unterstützer im Antidopingkampf –, (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sind doch Teil des Systems!) ihre Großereignisse zukünftig nur noch in Länder zu vergeben, die ein Anti-Doping-Gesetz haben, so wie wir es haben werden, (Dagmar Freitag [SPD]: Ein sehr gutes!) dann würden sie der Glaubwürdigkeit ihrer Verbände einen Dienst erweisen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass diese wirklich sehr, sehr lange Diskussion heute zu einem Abschluss geführt wird und wir mit diesem Anti-Doping-Gesetz nicht nur eine Kampfansage an die Doper formulieren, sondern vor allen Dingen die große Masse der ehrlichen Sportler besser schützen, als das in der Vergangenheit möglich gewesen ist. Schönen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: André Hahn erhält nun das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. André Hahn (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Drei Ereignisse erschütterten in den vergangenen Tagen und Wochen die Sportwelt: der FIFA-Skandal, in dessen Folge Sepp Blatter und UEFA-Präsident Platini suspendiert wurden, der dringende Verdacht des Stimmenkaufs bei der Vergabe der Fußballweltmeisterschaft 2006 an Deutschland mit einem katastrophalen Krisenmanagement des DFB, dessen Präsident dann zurücktreten musste, sowie die Dopingskandale bei den Leichtathleten Russlands und dem Internationalen Leichtathletik-Verband; der Minister hat es eben angesprochen. Alle drei Ereignisse haben dem Sport, insbesondere dem Spitzensport, nachhaltig schweren Schaden zugefügt. Spätestens hier wird klar: Gegen Doping, Korruption und Manipulation im Sport müssen die Sportverbände, die Politik und die Gesellschaft gemeinsam vorgehen, mit null Toleranz, national wie international. Auch deshalb hat die Linke bereits im August 2014 einen Antrag auf Vorlage eines Anti-Doping-Gesetzes für den Sport in den Bundestag eingebracht. Deshalb unterstützt sie vom Grundsatz her das Vorhaben der Koalition, ein derartiges Gesetz zu beschließen. Zugleich sind wir, die Linke, aber auch dafür, dass die ost- und westdeutsche Geschichte des Dopings und der Manipulation im Sport konsequent aufgearbeitet wird. (Beifall bei der LINKEN) Die im wahrsten Sinne des Wortes erst vor wenigen Stunden getroffene Entscheidung, einen Entschädigungsfonds für Dopingopfer mit einem Volumen von 10 Millionen Euro einzurichten, ist ohne Zweifel ein richtiger Schritt. Wir brauchen aber endlich einen redlichen Umgang mit der Geschichte, eine ehrliche Bilanz und eine akzeptable Lösung für die Dopingopfer in Ost und West. (Beifall bei der LINKEN) Nun aber zum vorliegenden Anti-Doping-Gesetz. Am 17. Juni 2015 führte der Sportausschuss eine öffentliche Anhörung zum Gesetzentwurf der Koalition sowie zum Antrag der Linken durch. In dieser Anhörung gab es zu vielen Punkten zum Teil sehr kritische Einwendungen sowohl vom Leichtathleten und Olympiasieger Robert Harting als auch von Vertretern des DOSB sowie von der Mehrzahl der anwesenden Juristen. Noch einmal: Die Anhörung fand Mitte Juni statt. An diesem Dienstag, also erst einen Tag vor der Beratung des Sportausschusses, bekamen wir dann einen mehrere Punkte umfassenden Änderungsantrag der Koalition präsentiert. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch immer so!) Bis zuletzt war völlig offen, ob es innerhalb der Koalition überhaupt zu einer Einigung kommen würde. (Matthias Schmidt (Berlin) [SPD]: Ach Quatsch! Das steht im Koalitionsvertrag!) Zwar steht das Anti-Doping-Gesetz, Herr Kollege Schmidt, im Koalitionsvertrag; (Michaela Engelmeier [SPD]: Im Koalitionsvertrag! Genau!) aber Union und SPD stritten sich bis zuletzt sprichwörtlich wie die Kesselflicker, sodass es fast ein Wunder ist, dass heute tatsächlich über einen gemeinsamen Entwurf abgestimmt werden kann. (Dagmar Freitag [SPD]: Das ist eine mutige Interpretation, Herr Kollege!) Doch das, meine Damen und Herren und Herr Kollege Gienger, ist fast schon die einzige positive Nachricht. In dem vorgelegten Änderungsantrag der Koalition sind die aus meiner Sicht berechtigten Einwendungen aus der Anhörung nur unzureichend aufgenommen worden. Wir als Linke haben zu diesem Thema seit langem eine klare Position: Doping im Sport, um sich gegenüber anderen Sportlerinnen und Sportlern einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, gefährdet nicht nur die Gesundheit, sondern ist auch eine Gefahr für den Sport als solchen und für die Werte, die durch ihn in die Gesellschaft transportiert werden. (Beifall bei der LINKEN – Dagmar Freitag [SPD]: Dann können Sie ja zustimmen! – Michaela Engelmeier [SPD]: Deswegen unser Anti-Doping-Gesetz!) Es geht hier nicht um das Recht auf Selbstschädigung. Hier geht es schlicht und einfach um Betrug; auch da gebe ich dem Minister recht. Genau deshalb haben wir vor anderthalb Jahren unseren Antrag eingereicht. Zu den Vorschlägen der Linken gehörte die Einführung eines neuen Straftatbestandes Sportbetrug in das Strafgesetzbuch, die Erweiterung bestehender Strafvorschriften für den Handel mit Dopingmitteln sowie der zwingende Entzug der Approbation für Ärztinnen und Ärzte, die nachweislich an Dopinganwendungen beteiligt waren. Pharmazeutische Unternehmen sollten verpflichtet werden, bei Produkten, welche zum Doping geeignet sind, entsprechende Warnhinweise auf den Verpackungen anzubringen. Für den Schutz von Whistleblowern wollten und wollen wir bereichsspezifische Regelungen schaffen. Mit unserem Antrag werden auch deutlich verschärfte Sanktionen für Spitzensportlerinnen und sportler vorgeschlagen, welche Eigendoping mit dem Ziel betreiben, sich einen unlauteren Vorteil im sportlichen Wettbewerb zu verschaffen. Bei Wiederholungstätern sollten auch Freiheitsstrafen verhängt werden können. Die Geldbußen sollten sich jeweils an der Höhe der direkt oder mittelbar durch den Sport erzielten Einnahmen orientieren, könnten also, wie Gehalt, Siegprämien und Einnahmen aus Werbeverträgen, von Sportart zu Sportart durchaus unterschiedlich sein. Anders als manche Skeptiker sehen wir in einem Anti-Doping-Gesetz keine Beeinträchtigung oder Aushöhlung der Sportgerichtsbarkeit. Beides kann problemlos nebeneinander funktionieren. Die Verbände können bei Dopingvergehen weiterhin die in ihren Satzungen vorgesehenen Wettkampfsperren aussprechen. Bei gravierenden Verstößen gegen Dopingbestimmungen oder bei Wiederholungstätern kann künftig aber auch die Staatsanwaltschaft tätig werden. Ich wiederhole: Das ist keine unzulässige Doppelbestrafung. Schon heute wird ein Fußballer gemäß Regelwerk nach einer Tätlichkeit vom Platz gestellt und entsprechend gesperrt; darüber hinaus kann es dennoch ein Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung geben. (Matthias Schmidt (Berlin) [SPD]: Richtig so!) Bei Sportlern, die am Ende ihrer Karriere stehen, können Wettkampfsperren aber gänzlich ins Leere laufen, wenn sie ihre Laufbahn einfach beenden. Gerade hier erhöht eine Strafbarkeit von Doping die Hürde, sich entsprechender Mittel zu bedienen. Bei der Einbringung unseres Antrags hatte ich zudem deutlich gemacht, dass wir es für ganz wichtig halten, auch auf Bundesebene Prävention zu betreiben. Aus unserer Sicht soll im Jugend- und Nachwuchssport, im Fitnessbereich sowie in der Aus- und Weiterbildung der in diesem Umfeld tätigen Personen über die Wirkung von anabolen Steroiden, Nahrungsergänzungsmitteln und sporttypischen Aufbaupräparaten aufgeklärt und eine unabhängige Ombudsstelle eingerichtet werden. (Beifall bei der LINKEN) Der von uns vorgelegte Antrag zielt hinsichtlich der strafrechtlichen Maßnahmen ganz bewusst auf die Dopinganwendung im Hochleistungssport, nicht aber auf die gesundheitliche Gefährdung durch Selbstdoping oder die Einnahme verbotener Substanzen, zum Beispiel von Anabolika in Fitnessstudios. Dies kann weder in einem Gesetz geregelt noch wirksam kontrolliert werden. Mit unserem Antrag wollten wir als Linke konstruktive Vorschläge für ein Anti-Doping-Gesetz unterbreiten. Natürlich messen wir den nun vorliegenden Gesetzentwurf an jenen Kriterien, die wir vor 16 Monaten formuliert haben. Wenn man dies als Maßstab nimmt, muss man sagen, dass der Regierungsentwurf zwar in die richtige Richtung geht, zentrale Forderungen, die auch in der Anhörung formuliert wurden, aber unberücksichtigt lässt. Ich frage: Warum gibt es keine gesetzliche Verpflichtung des Bundes zur Prävention? Warum hat man darauf verzichtet, endlich eine wirklich unabhängige Ombudsstelle einzurichten, an die sich Athleten, Trainer, Ärzte oder auch Eltern von Sportlern vertrauensvoll wenden können? Die bei der NADA geschaffene Stelle, auf die man im Ausschuss hingewiesen hat, wird von den Betroffenen offenkundig nicht angenommen. (Dagmar Freitag [SPD]: Eben!) Das wurde in der Sitzung des Sportausschusses am Mittwoch deutlich. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb brauchen wir eine unabhängige Stelle!) Mich persönlich wundert das nicht; denn ein Athlet, der irgendein Problem mit oder Hinweise auf Doping hat, wird sich nicht ausgerechnet an eine Institution wenden, die Dopingsünder verfolgt und die Daten für deren eventuelle Bestrafung liefert. Wir brauchen endlich eine wirklich unabhängige Anlaufstelle. (Beifall bei der LINKEN) Doch davon ist im Gesetzentwurf ebenso wenig die Rede wie von einem echten Schutz für Whistleblower. Aber ohne die Information von Insidern – das zeigen alle bisherigen Erfahrungen – wird es kaum möglich sein, Dopingstrukturen aufzudecken und Hintermänner zur Rechenschaft zu ziehen. Im vorliegenden Gesetzentwurf findet sich auch keine Kennzeichnungspflicht für Medikamente, die Dopingsubstanzen enthalten, keine klare Regelung zum Approbationsentzug für Ärzte, die Dopinganwendungen unterstützen, obwohl dies gerade vonseiten der Sportler auch in der Anhörung gefordert worden ist. Die Koalition hat sich lediglich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt. Das wird den Herausforderungen in diesem schwierigen Themenbereich nicht einmal ansatzweise gerecht. Wir als Linke unterstützen durchgreifende Maßnahmen zur Dopingbekämpfung. Der vorliegende Gesetzentwurf erfüllt diesen Anspruch leider nicht. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium Günter Krings. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schon die Aussprache in der ersten Beratung zum vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Doping im Sport hat gezeigt: Wir sind uns erfreulicherweise zumindest darin einig, dass Doping im Sport nicht nur den Sport unmittelbar gefährdet, sondern auch die mit ihm verbundenen Werte; denn: Sport verbindet, und Sport vermittelt Werte wie Integrität und Fairness. Wird im Sport betrogen, fühlen sich nicht nur die Konkurrenten betrogen, sondern auch wir, die wir als Zuschauer mitfiebern und sportliche Leistungen bewundern, ebenso wie junge Menschen, für die Sportler Idole sind, die in Sportlern Vorbilder sehen, die ihre Leistungen durch hartes Training und Verantwortungsbewusstsein erreichen und eben nicht durch den Gebrauch von illegalen Substanzen. Was wir alle, Leistungssportler, Freizeitsportler oder eben nur Zuschauer, im Sport nicht wollen, das ist Betrug und Unfairness. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es ist richtig: Wir können Doping im Sport nicht gänzlich ausrotten. Das zu glauben, wäre naiv; das tut vermutlich auch niemand. Aber wir können das uns Mögliche tun, um Doping im Leistungssport einzudämmen und besser zu bekämpfen. Der heute zur Abstimmung vorliegende Gesetzentwurf ist mit seinen Strafvorschriften unter anderem an den selbst dopenden Leistungssportler adressiert; Breitensportler werden gerade nicht erfasst. Zum Teil ist die Kritik geäußert worden, Strafrecht sei hier nicht das richtige Mittel, um gegen Doping vorzugehen, Sportler – so wurde gesagt – würden hierdurch kriminalisiert. Meine Damen und Herren, Leistungssportler, die Dopingmittel oder Dopingmethoden anwenden, sollen ja kriminalisiert werden. Das ist doch der Sinn des Strafrechts: als Ultima Ratio Täter eines sozial in hohem Maße als schädlich empfundenen Verhaltens mit strafrechtlichen Sanktionen zu überziehen. So sieht das im Rechtsstaat eben aus. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Das Sportrecht und seine Sanktionsmöglichkeiten haben natürlich weiterhin Geltung. Aber es hat sich in der Vergangenheit eben gezeigt, dass der Sport allein nicht in der Lage ist, wirkungsvoll gegen Doping im Leistungssport vorzugehen. Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang die Bemerkung: Ohnehin scheint mir in diesen Tagen das Vertrauen der Öffentlichkeit in die bloßen Selbstregulierungskräfte im deutschen und im internationalen Sport ein wenig abzunehmen. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Richtig!) Die Probleme mit einer sportinternen Dopingbekämpfung hängen zum einen mit dem Umstand zusammen, dass dem Sport die tauglichen Ermittlungsinstrumente fehlen. Dopingfälle können bisher im Wesentlichen nur verfolgt werden, wenn positive Dopingproben bereits vorliegen. Sachverhalte, die zum Beispiel den Besitz von Dopingmitteln betreffen, waren in der Vergangenheit faktisch bedeutungslos. Wir brauchen das Strafrecht aus generalpräventiven Zwecken. Wir brauchen es aber auch aus Repressionsgründen. Ich verbinde mit den neuen strafrechtlichen Regelungen die Erwartung, dass das Entdeckungsrisiko für den dopenden Sportler und damit für seine Helfer deutlich gesteigert wird. Es geht beim Doping im Sport eben nicht nur um den Einzeltäter, nicht nur um den einen dopenden Sportler, es geht auch nicht nur um den einen Dopingmittel verabreichenden Arzt, sondern es geht hier um kriminelle Strukturen, ja, auch um organisierte Kriminalität. Die Strafvorschriften im Entwurf des Anti-Doping-Gesetzes erlauben den staatlichen Ermittlungsbehörden die umfassende Sachverhaltsaufklärung über den Einzelfall hinaus. Hierdurch können Strukturen aufgedeckt und kann Doping nachhaltiger und besser bekämpft werden. Die Sportgerichtsbarkeit – sie ist eben angesprochen worden – hat unstreitig ihre Berechtigung für Streitigkeiten im Sport, und sie wird diese Berechtigung auch behalten. Das will ich hier sehr klar erklären. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Sie sorgt für schnelle Verfahren und auch für schnelle, sachgerechte Entscheidungen in vielen Einzelfällen. Darüber hinaus ermöglicht sie, die Besonderheiten des Sports in ganz besonderer Weise zu berücksichtigen und gleichartige Fälle auch gleichartig zu behandeln, was wiederum der Fairness dient. Aber dem Sport selbst fehlen eben die Aufklärungsmöglichkeiten. Sportorganisationen fehlen die Aufklärungsmöglichkeiten, wie sie staatlichen Ermittlungsstellen zur Verfügung stehen. Deshalb brauchen wir beide: Sportgerichtsbarkeit und für die wirklich schweren Fälle als Ultima Ratio das Strafrecht. Über die Besitzstrafbarkeit wurde bereits ausführlich gesprochen. Ich denke, allen hier, die sich ein wenig intensiver damit beschäftigt haben, ist inzwischen klar geworden, dass nur der Besitz mit der Absicht, das Dopingmittel auch anzuwenden, unter Strafe gestellt werden soll. Damit sind die immer wieder ins Feld geführten Fälle des Unterschiebens von Dopingmitteln – der Bundesjustizminister hat darauf hingewiesen – natürlich gerade nicht von der Strafbarkeit nach dem Anti-Doping-Gesetz erfasst. (Dagmar Freitag [SPD]: Genau so ist es!) Deswegen sind auch die geäußerten Befürchtungen Unsinn. Die Strafverfolgungsbehörden und letztlich das Gericht müssen den Vorsatz ersten Grades – so nennen die Juristen das – nachweisen. Andernfalls gibt es keine Verurteilung. Vor dem Hintergrund, dass mit dem Gesetzentwurf auch der mengenunabhängige Besitz unter Strafe gestellt ist, ist es auch gut, dass wir die Versuchsstrafbarkeit im Hinblick auf den Besitz hier herausgenommen haben. Bei allem darf natürlich nicht unerwähnt bleiben, dass es am allerbesten wäre, wenn es dieses Gesetzes überhaupt nicht bedurft hätte. Ich möchte deshalb ausdrücklich auch auf die Präventionsarbeit hinweisen, die schon heute geleistet wird, allen voran von den Sportverbänden und auch der NADA. Die Präventionsarbeit geht dabei gerade auf die jungen Sportlerinnen und Sportler zu. Diese jungen Menschen müssen klar und deutlich und, wo nötig, auch drastisch erfahren – möglichst nicht erst durch den Strafrichter –, was sie ihrem Körper, ja, was sie ihrer Seele durch Doping antun können. Meine Damen und Herren, wie alle anderen gesellschaftlichen Bereiche stehen sportliche Aktivitäten natürlich unter dem Schutz unserer Privatautonomie, unter dem Schutz entsprechender Grundrechte. Damit steht der Sport aber natürlich nicht außerhalb unserer Rechtsordnung. Durch ein Gesetz gegen Doping im Sport leisten wir deshalb unseren offenbar notwendigen Beitrag, den Sport dabei zu unterstützen, sauber und attraktiv zu bleiben. Ich freue mich, dass wir über dieses notwendige Gesetz heute abstimmen können. Dem integren Sportler und der integren Sportlerin, aber eben auch dem sauberen Sport insgesamt tut dieses Gesetz gut. Ich bitte Sie daher um Zustimmung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Renate Künast für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Maas, bei Ihrer Rede hatte ich ein Déjà-vu, und das lag nicht daran, dass in dem Darjeeling, den ich heute früh hier im Restaurant zum Frühstück getrunken habe, irgendetwas drin gewesen wäre. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich habe den Eindruck, Ihre Reden fangen immer so an: Heute ist ein toller Tag. (Michaela Engelmeier [SPD]: Ja! Das ist auch so! – Dagmar Freitag [SPD]: Genau so ist das!) Na ja, heute ist Freitag, der 13. Mir ist bisher nichts passiert. Insofern ist es ein toller Tag. Aber mit: „Heute ist ein toller Tag“, fing auch die Rede zur sogenannten Mietpreisbremse an. (Michaela Engelmeier [SPD]: Auch ein guter Tag!) Leider stellen wir später fest, dass sich die Realität nicht nach diesen Redebeginnen des Ministers richtet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dagmar Freitag [SPD]: Nach Ihren auch nicht!) Es ist bei der Mietpreisbremse so und auch hier. Das muss man einmal feststellen. Auch wenn Sie, Herr Maas, Kritik an diesem Gesetzentwurf zurückweisen, finde ich es putzig, dass wir in diesen Zeiten ein Gesetz verabschieden, dessen erster Paragraf mit „und damit zur Erhaltung der Integrität des Sports beizutragen“ endet. (Michaela Engelmeier [SPD]: So ist das! – Dagmar Freitag [SPD]: Bitter nötig!) Erhaltung von Integrität? (Dagmar Freitag [SPD]: Gibt es auch!) Meine Damen und Herren, da stimmt schon das Ziel nicht; denn der Leistungssport hat im Augenblick gar keine Integrität. Welche meinen Sie denn? Meinen Sie die, die sich im Schattenreich bewegen? FIFA-Funktionäre? (Dagmar Freitag [SPD]: Ein bisschen mehr Differenzierung täte gut, Frau Kollegin! – Michaela Engelmeier [SPD]: Es gibt im Sportbereich auch noch mehr als nur die FIFA!) Einige – mindestens einige – DFB-Funktionäre? Oder den Leichtathletik-Weltverband? Von welchem Erhalt, von welcher Integrität ist in diesem Gesetzentwurf eigentlich die Rede? Ich glaube, Sie doktern an einem unsauberen Sport herum (Zuruf von der SPD: Hört! Hört!) und meinen, es jetzt mithilfe des Strafgesetzbuchs, indem Sie gegen Einzelne vorgehen, richten zu können. Meine Damen und Herren, ich denke aber, dass sich so nichts massiv verändert. Geht es um die Frage, wie der Sport wirklich zu Integrität kommt, muss man doch feststellen, dass der Leistungssport heute gar keine Vorbildwirkung mehr hat, dass er von Abhängigkeiten und Seilschaften bestimmt ist und dass wir dem eigentlich entgegensetzen müssten, dass in Zukunft die Standards tatsächlich zu Standards werden sollen, dass Vergütungen offengelegt werden, dass Verträge nicht mehr mündlich geschlossen werden und dann nach Jahren 2 Millionen Euro für bestimmte Leistungen gezahlt werden, bei denen keiner mehr sieht, ob sie erbracht wurden. Da hilft kein sogenanntes Anti-Doping-Gesetz. Die Strukturen im Leistungssport sind von Grund auf falsch. Das müsste unser Ausgangspunkt sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich habe vorgestern zum ersten Mal die Situation erlebt, dass Herr Grindel und ich einer Meinung waren. (Eberhard Gienger [CDU/CSU]: Ui! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wunder geschehen!) Das war am Anfang der Legislaturperiode so nicht abzusehen, Herr Grindel. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Ich hoffe, das wird sich auch bald wieder ändern!) – Ich glaube auch; wahrscheinlich ändert es sich jetzt gleich. – Ich weiß gar nicht, ob er sich als Mitglied des Sportausschusses oder des Rechtsausschusses, als Präsidiumsmitglied des DFB oder als etwas Zukünftiges geäußert hat, (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch ist er nicht Präsident!) zumindest in diesem einen Punkt waren wir einer Meinung: Das gesamte System im Profisport ist falsch. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Nein, da sind wir uns nicht einig! – Eberhard Gienger [CDU/CSU]: So hat er das aber nicht gesagt!) Ich glaube, so müssen wir darüber diskutieren. Es hilft nicht, Regelungen zur Strafbarkeit von Sportlern zu treffen, wenn man, wie jetzt beim Thema Leichtathletik – Stichwort: Russland usw. – merkt: Wir haben zwar Institutionen, die zum Beispiel „Anti-Doping Agentur“ heißen, die es aber leider komplett verpassen, sich um genau dieses Thema zu kümmern. (Matthias Schmidt (Berlin) [SPD]: Ach, das stimmt doch so gar nicht, Frau Kollegin! – Weiterer Zuruf: Vertuschung!) – Vertuschung, ja. – Meine Damen und Herren, wenn irgendeine andere Behörde so arbeiten und mit ihrer Aufgabenstellung so umgehen würde, würden wir alle, wie beim Thema Verfassungsschutz, sagen: Auflösen und neu gründen! Hier stimmt diese Forderung meines Erachtens auch. Ich will Ihnen sagen, warum ich das kritisch sehe und warum ich auf die Strukturen eingegangen bin. Das Strafrecht soll Ultima Ratio sein. Ich glaube, Sie behandeln es hier nicht so. Winfried Hassemer hat einmal gesagt: Der Strafgesetzgeber – das sind wir - ist in der Wahl der Anlässe und der Ziele seines Handelns nicht frei; er ist beschränkt auf den Schutz elementarer Werte des Gemeinschaftslebens … Ich sage Ihnen: Fairness oder Integrität im Sport sind keine elementaren Werte des Gemeinschaftslebens. Das ist kein Fall fürs Strafrecht. Es ist Aufgabe des organisierten Sports selber, Doping und auch Korruption endlich systematisch und ordentlich zu bekämpfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Ich mache mir langsam Sorgen um unser Rechtssystem, da es mit immer mehr Aufgaben belastet wird – das betrifft den Staat, die Staatsanwaltschaften, die Gerichte und die Steuerzahler –, die ein hochpotenter Wirtschaftsbereich bitte selber erfüllen sollte. Man kann ja zum Beispiel über Betrug im Sport reden. Aber auch da muss die Ultima-Ratio-Regel gelten. Ich meine, heute ist kein besonders guter Tag. (Dagmar Freitag [SPD]: Nein, nach der Rede nicht mehr!) Sport und Integrität werden in Zukunft erst dann wieder, ohne zu einer Lachnummer zu werden, ordentlich in einen Satz passen, wenn sich der Sport und seine Funktionäre selber als Vorbilder auf den Weg machen. Die Vorbildfunktion und die Integrität beginnen bei den Funktionären und, ehrlich gesagt, nicht bei den Sportlern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das Protokoll notiert nicht enden wollenden Beifall! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Hoffentlich haben alle Sportler in Deutschland das gehört!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächste Rednerin ist die Kollegin Dagmar Freitag für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dagmar Freitag (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach der Rede der Kollegin Künast erlaube ich mir zunächst, zur Sachlichkeit zurückzukehren. (Beifall bei der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das werden wir ja gleich sehen!) Deutschland bekommt ein Anti-Doping-Gesetz, nach rund zwei Jahrzehnten – nennen wir es einmal so – anhaltender, kontroverser und teilweise auch ziemlich verletzender Diskussionen in Sport und Politik, mit und unter Juristen. Einheitliche Linien waren in keinem der drei genannten Bereiche zu erkennen. Es gab überall Befürworter und auch erbitterte Gegner. Wenn ich mich recht erinnere: Allein die bloße Erwähnung des Begriffes „Anti-Doping-Gesetz“ trieb manchen Vertreter des organisierten Sports über Jahre geradezu auf die berühmte Palme, aber – das ist, glaube ich, auch der Kollegin Künast entgangen – nicht alle, längst nicht alle. Es hatte sich nämlich mittlerweile auch bei Verbandsvertretern die Erkenntnis durchgesetzt, dass allein mit Kontrollen im Training und im Wettkampf der Kampf gegen Doping nicht zu gewinnen ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Verabschiedung des heutigen Gesetzentwurfes findet in unserem Land in der Tat ein Paradigmenwechsel statt. Liegt ein Verdacht vor oder gibt es entsprechende Hinweise, steht demnächst eben nicht nur, wie bisher, das Umfeld der Sportler im Fokus, sondern der Sportler gerät auch selbst in den Fokus staatlicher Ermittlungen, sofern er der definierten Zielgruppe angehört. Wir wollen mit diesem Gesetzentwurf erreichen, dass alles getan wird, um saubere Sportlerinnen und Sportler zu schützen. Das alleine ist die Motivation. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Eberhard Gienger [CDU/CSU]) Herr Staatssekretär Krings hat bereits darauf hingewiesen: Natürlich ist dieser Gesetzentwurf kein Allheilmittel, aber er ist aus unserer Sicht ein ganz unverzichtbarer Baustein in diesem großen Puzzle des Kampfs gegen Doping. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wollen wir denn wirklich weiterhin tatenlos zusehen, wie Betrüger im Sport – ob als Aktive oder, Frau Kollegin Künast, auch als korrupte Funktionäre, wie jetzt im Internationalen Leichtathletikverband – dem Sport mit seinen so wunderbaren Werten, wie Fairness, Respekt und Völkerverständigung, schaden und ihn vor die Hunde gehen lassen? Wir wollen das jedenfalls nicht. Ich muss sagen: Vor diesem Hintergrund wirkt es geradezu absurd, dass der erbittertste Widerstand über Jahre ausgerechnet von der Spitze des organisierten Sports in Deutschland gekommen ist. Frau Künast, ich sage Ihnen: Das, was Sie gerade gemacht haben, geht nicht. Sie haben eine Pauschalverurteilung des Sports vorgenommen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben nicht zugehört!) – Ich höre immer zu, wenn Sie reden, Herr Kollege Mutlu; das gilt immer besonders, wenn jemand von der Fraktion Die Grünen redet. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Was? Das muss jetzt auch nicht sein!) Frau Kollegin, diese Pauschalverurteilung des Sports war eine Beleidigung für alle, die im Sport für Integrität und Sauberkeit kämpfen. Die gibt es nämlich auch. Schade, dass Sie sie offensichtlich nicht kennen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir über Doping reden, dann reden wir eben nicht über eine lästige oder lässliche Begleiterscheinung im Sport. Nein, wir reden mittlerweile nämlich über eine Industrie ungeahnten Ausmaßes, unbestritten über eine Form von organisierter Kriminalität und über unzählige Menschen, die auf der einen oder anderen Seite involviert sind. Auf der einen Seite sind die Hersteller, die Dealer, die Verabreicher, die Konsumenten, die Athleten mit ihren erbeuteten Siegen, Medaillen, Prämien und im Idealfall auch fetten Sponsorenverträgen, und auf der anderen Seite sind die Forscher in den Laboren, die Dopingjäger der nationalen Antidopingagenturen – Russland im konkreten Fall einmal ausgenommen –, die Kontrolleure und eben die sauberen Athleten, die um Siege, Medaillen, Prämien, emotionalste Momente und vielleicht auch fette Sponsorenverträge betrogen wurden. (Beifall bei der SPD) Die diesem Gesetzentwurf zugrundeliegenden strafrechtlichen Regelungen werden die unbestrittenen Möglichkeiten des Sports zu schnellen Sanktionen des Sports nicht schwächen und schon gar nicht aushebeln; denn es sind nicht vergleichbare Verfahren. Daher bleibt es auch in Zukunft so: Der Sport bleibt bei seinen schnellen Sanktionen und der Staat bei seinen gegenüber dem Sport natürlich unbestritten überlegenen Ermittlungsmethoden. Kurzum: Jeder soll das machen, was er am besten kann. Auch auf staatlicher Seite sehe ich noch ein wenig Luft nach oben; denn auch hier braucht es Experten. Diese findet man ganz zweifellos in Anti-Doping-Schwerpunktstaatsanwaltschaften. (Beifall bei der SPD) Und da muss ich schon darauf hinweisen, dass leider nur 2 unserer 16 Bundesländer hier ernst machen, nämlich der Freistaat Bayern und das Bundesland Baden-Württemberg. Sie sind sozusagen einsame Vorreiter in der Riege der Bundesländer. (Zuruf von der CDU/CSU: Das war schon immer so!) Ich appelliere daher an die Bundesländer, uns im Kampf gegen Doping zu unterstützen und ihren Teil dazu beizutragen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe eingangs darauf hingewiesen: Wir haben mehr als zwei Jahrzehnte um solch einen Gesetzentwurf gerungen. Ich finde, es ist an der Zeit, Dank zu sagen, Dank an alle, die zum Zustandekommen des Gesetzentwurfs beigetragen haben. Da darf ich insbesondere Justizminister Heiko Maas erwähnen, der schon zu Beginn seiner Amtszeit klargemacht hat, dass er so ein Gesetz möchte. (Beifall bei der SPD) Ich danke auch meiner Fraktion, meiner Arbeitsgruppe und insbesondere dem Sprecher der Arbeitsgruppe Recht und Verbraucherschutz, unserem Kollegen Johannes Fechner, der uns ebenfalls nach Kräften unterstützt hat. Ein weiterer Dank geht an die Minister de Maizière und Gröhe. Es war eine Gemeinschaftsaktion. Vielen Dank an alle, die dazu beigetragen haben, auch dem Koalitionspartner, der nach Anlaufschwierigkeiten nun mit im Boot sitzt. Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen, dafür. (Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU) Ich bin fest davon überzeugt, es wird für Doper in unserem Land etwas ungemütlicher. Das ist doch wirklich eine gute Nachricht. Ich bin sicher, irgendwann finden auch Bündnis 90/Die Grünen das gut. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Özcan Mutlu für Bündnis 90/Die Grünen. Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben es schon gehört: In den vergangenen Wochen hat uns die Welt-Anti-Doping-Agentur ihren Bericht über deutliche Unregelmäßigkeiten im Kampf gegen Doping vorgelegt. Die Ergebnisse, die in den Medien breit diskutiert worden sind, sind erschreckend: In Russland – ich glaube, das ist nicht das einzige Land, das damit Probleme hat – besteht ein von der Regierung gedecktes System des organisierten Dopings. Unfassbar ist die Erkenntnis, dass die Tests erst von russischen Ärzten geprüft worden sind, bevor sie zu einem unabhängigen akkreditierten Dopinglabor gegangen sind. Wenige Tage zuvor nahmen französische Behörden Ermittlungen gegen den Alterspräsidenten des internationalen Leichtathletikverbandes auf. Der Vorwurf war gravierend: Er habe mithilfe enger Verwandter ein Schmiergeld- und Schutzgeldsystem etabliert, in dem sich gedopte und erwischte Sportler regelrecht freikaufen konnten. Diese Vorfälle sind Belege dafür, dass der organisierte Sport ein massives und ernsthaftes Problem mit Doping hat. Ich zitiere aus einer Studie aus Deutschland, des BISp, aus 2013: 6 % der deutschen Spitzensportler geben die regelmäßige Einnahme von Dopingmitteln ehrlich zu. (Volker Kauder (CDU/CSU): Was?) 10 % der deutschen Spitzensportler geben ehrlich zu, dass sie schon einmal an Absprachen über den Spiel- bzw. Wettkampfausgang beteiligt waren. Das waren anonymisierte Umfragen. Deshalb kann man davon ausgehen, dass diese Zahlen stimmen. (Dagmar Freitag [SPD]: Deswegen gibt es ein zweites Gesetz!) Meine Damen und Herren, wir lehnen wie alle Fraktionen in diesem Hause Doping im Sport in aller Deutlichkeit ab. (Dagmar Freitag [SPD]: Immerhin!) Frau Kollegin Freitag, das sollten Sie bereits mitbekommen haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen aber auch nicht verhehlen, dass der organisierte Sport immer noch zu wenige Anstrengungen unternimmt, um Doping im Sport einzudämmen. Denn die Vorfälle beim IAAF und in Russland zeigen, dass es nicht nur der Sportler oder die Sportlerin ist, Frau Kollegin Freitag, sondern es sind die Strukturen um den Sportler, um die Athletin herum: Trainer, Ärzte, Funktionäre, aber auch Medien und Sponsoren, die ein starkes eigenes Interesse an Höchstleistungen des Sportlers haben. (Dagmar Freitag [SPD]: Habe ich ja erwähnt!) Und da greift Ihr Gesetz eben nicht. (Beifall der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dagmar Freitag [SPD]: Das ist Unsinn!) Wir als Gesetzgeber sollten Abstand davon nehmen, eine einseitige und so weitgehende Kriminalisierung der Sportlerinnen und Sportler in Deutschland vorzunehmen. Herr Krings, genau das wird mit Ihrem Gesetz passieren. Deshalb haben wir damit ein Problem. Es geht beim Doping hauptsächlich um den Tatbestand Sportbetrug – das wurde hier auch vom Kollegen Hahn gesagt –, der mit der Absicht begangen wird, wirtschaftliche Gewinne zu erzielen. Vizepräsident Johannes Singhammer: Kollege Mutlu, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Freitag? Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein, ich habe nur noch 50 Sekunden Redezeit. Ich möchte jetzt weiterreden. (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Die Uhr wird angehalten!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Die Frage und die Antwort würden nicht auf Ihre Redezeit angerechnet werden. Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, ich weiß, Herr Präsident. Aber ich möchte trotzdem in meiner Rede weitermachen. (Johannes Steiniger [CDU/CSU]: Schlechte Ausrede!) Ich möchte für meine Fraktion noch einmal feststellen, dass der Griff zum Strafrecht, wenn überhaupt, nur der allerletzte Schritt sein darf und gut begründet werden muss. Ihre Begründung mit Begrifflichkeiten wie „Integrität des Sports“ oder „Fairness im Sport“ greifen zu kurz. Wir müssen uns bei der Bekämpfung des Dopings insbesondere mit der Leistungsspirale im Sport auseinandersetzen. Immer höher, immer schneller, immer weiter und eine ausufernde Kommerzialisierung des Sports sind die wahren Ursachen von Doping. Diese Ursachen müssen wir gemeinsam mit dem Sport bekämpfen, statt Begrifflichkeiten wie „Fairness im Sport“ zu bemühen. Im Sport geht es leider nicht mehr um die olympische Idee. Es geht um Milliarden, die dabei umgesetzt werden. Diese Fakten, diesen Tatbestand sollte man in einem Antidopinggesetz abbilden. Wir brauchen mehr Prävention, eine Evaluierung und den Ausbau der Dopingforschung. Wir sind auch der Meinung, dass eine rechtspolitisch fragwürdige Ausweitung von Befugnissen der NADA sehr problematisch ist. Wir brauchen eine tatsächlich unabhängige Ombudsstelle oder eine Ombudsperson. Wir brauchen vielleicht auch im Sport etwas Ähnliches wie einen Whistleblower-Schutz, damit Athletinnen oder Athleten, die der Meinung sind, dass das Dopen von Kollegen nicht mehr angeht, und dies aufgrund der Strukturen nicht offen sagen wollen, geschützt sind. Auf all diese Dinge wird in dem Gesetzentwurf nicht eingegangen. Deshalb werden wir, obwohl wir mit Ihnen an dem Ziel, Doping zu bekämpfen, festhalten, diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der Kollegin Freitag. Dagmar Freitag (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Der Kollege Mutlu hat einmal darauf verwiesen, dass das Umfeld des dopenden Sportlers nicht erfasst würde. Das ist natürlich nicht richtig. Es war im Übrigen bisher schon so, dass das Umfeld erfasst wurde. Ein Blick ins Arzneimittelgesetz würde im Zweifel weiterhelfen. Herr Kollege Mutlu, es geht mir aber um einen anderen Punkt Ihrer Rede. – Herr Kollege Mutlu, ich weiß nicht, wem Sie gerade zuhören, der Frau Kollegin Künast oder mir. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Kollege hat zwei Ohren, Frau Freitag! – Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) – Wunderbar! Multitalente beeindrucken mich immer besonders. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Außerdem muss er nicht zuhören! Das steht nicht in der Geschäftsordnung!) Herr Kollege Mutlu, Sie haben vor allen Dingen kritisiert, dass der dopende Sportler selbst in den Fokus staatlicher Ermittlungen rückt. Darf ich Sie darauf hinweisen, dass es erklärtes Ziel der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in früheren Jahren war, genau dies zu machen? Ich darf, Herr Präsident, dem Kollegen Mutlu kurz ein Zitat zur Kenntnis geben. Einer Ihrer Vorgänger, nämlich der anerkannte Sportexperte Winfried Hermann, heute Minister in Baden-Württemberg, wird im Jahr 2007 mit dem Hinweis zitiert, der damalige Gesetzentwurf der Großen Koalition mache „einen weiten Bogen um den Sportler selber“; denn selbst mit den neuen Strafregelungen mache sich ein Sportler, der dopt, nicht strafbar. – Das war damals im Jahr 2007 richtig. Ich frage Sie jetzt: Woher kommt der Sinneswandel in Ihrer Fraktion, dass Sie heute kritisieren, dass diese Regierungskoalition genau das jetzt durchsetzen will? (Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt ist aber mal Schluss mit der Kurzintervention! Ruhe jetzt!) Vielen Dank. Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege Mutlu hat die Möglichkeit, darauf einzugehen, wenn er das möchte. (Volker Kauder [CDU/CSU], an den Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] gewandt: Sie haben doch nicht zugehört!) Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich kann es kurz und schmerzlos machen. – Frau Vorsitzende des Sportausschusses, wenn Sie sich unseren Entschließungsantrag zu Ihrem Gesetzesvorhaben gründlich durchgelesen hätten, (Dagmar Freitag [SPD]: Mehrfach!) würden Sie wissen, dass es hier nicht um einen grundlegenden Sinneswandel geht, (Dagmar Freitag [SPD]: Doch!) sondern es geht darum, dass wir das Strafgesetz erst im allerletzten Fall bemühen wollen. Es steht im Entschließungsantrag ganz ausdrücklich: Wenn keine anderen Wege möglich sind, dann ist natürlich auch die Einführung eines Straftatbestands Sportbetrug zu prüfen. Das ist, denke ich, deutlich und klar, und wenn Sie sich das noch einmal durchlesen, werden Sie es auch merken. (Dagmar Freitag [SPD]: Sie haben es leider nicht verstanden! – Gegenruf des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es verstanden? – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Freitag ist die Einzige, die etwas verstehen kann! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist ein Problem von uns Männern, dass wir öfter nicht verstehen, was Frauen sagen!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist für die CDU/CSU der Kollege Eberhard Gienger. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Eberhard Gienger (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Künast, zunächst einmal muss ich meiner Kollegin Frau Freitag recht geben: Mit Pauschalverurteilungen des Sports kommen Sie nicht weiter. Und was den Beifall in diesem Hause betrifft, wurde ich an Karl Valentin erinnert, der sagte: „Der Beifall wollte keinen Anfang nehmen.“ (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht wollen wir ja auch keinen Beifall! Da machen wir ja was falsch, wenn wir Beifall kriegen!) Das vorliegende Gesetz stellt einen bedeutenden Fortschritt im Kampf gegen Doping dar. Die Vergangenheit hat uns gelehrt, dass der organisierte Sport offensichtlich doch nicht in der Lage ist, das Dopingproblem in den Griff zu bekommen. Darüber hinaus zeigt sich aktuell – das wurde heute schon mehrfach erwähnt –, dass der Weltleichtathletikverband eine erschreckende Szenerie von nie dagewesenem Ausmaß generiert hat. Darin ist wohl nicht nur der ehemalige Präsident des Verbandes involviert, sondern auch gleich noch ein von der internationalen Anti-Doping-Agentur akkreditiertes Dopinglabor in Russland, nationale Fachverbände, Trainer und nicht zuletzt auch die dopenden Sportler selbst. Eine derartige Erosion und Zerstörung der Ideale des Sports hat es meiner Meinung nach noch gar nie gegeben. Wie soll man im Kontext derartiger Abgründe für den Sport werben und junge Menschen für den Spitzensport gewinnen, um an internationalen Wettbewerben teilzunehmen? Nicht zuletzt stellt sich aber auch die Frage nach der Grundlage unserer Sportförderung. Mit dem vorliegenden Anti-Doping-Gesetz machen wir klar: Die Förderung rechtfertigt sich nur dann, wenn wir auch entschlossen gegen Doping vorgehen, und zwar national wie international. Doping, Korruption und Manipulation sind längst internationale Phänomene und eine ernsthafte Bedrohung von Sport und Gesellschaft. Dem Doping sagen wir mit dem Gesetz jetzt den Kampf an, aber bestimmt nicht den Engagierten, die zur Aufklärung beitragen. Der Fall beim internationalen Leichtathletikverband offenbart: Ohne tiefgreifende Veränderungen und Konsequenzen läuft der Sport Gefahr, die eigenen Grundwerte zu zerstören. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Die Sportorganisationen sind deswegen aufgerufen, jetzt entschlossen zu handeln. Es hilft jedoch nicht, dabei nur auf andere Länder zu zeigen, nachlässige Verbände zu verurteilen oder bei überführten Sportlern den Kopf zu schütteln. Wie können wir international Aufklärung fordern, ohne hierzulande den Antidopingkampf weiterzuentwickeln? (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die bekannten Dopingfälle verdeutlichen, dass hochprofessionell, verdeckt, vernetzt und mit enormer krimineller Energie vorgegangen wird. Dem kann der organisierte Sport nur schwer etwas entgegensetzen, (Dagmar Freitag [SPD]: Doch! Schon!) wobei der Glaube an die Selbstreinigungskräfte des Sports hier auch gar keine Rolle spielt. Deswegen brauchen wir das vorliegende Anti-Doping-Gesetz und das Strafrecht mit Ultima Ratio. Der Sport nimmt in unserem Land eine wichtige Position und Vorbildfunktion ein. Die Integrität des Sports, die Gesundheit der Athleten und auch die Fairness und die Chancengleichheit gilt es – und in letzter Instanz auch mit dem Strafrecht – zu schützen. Ich kann die Grünen hier durchaus beruhigen: Bei der Auswahl der genannten Rechtsgüter hat der Gesetzgeber Ermessensspielraum eingeräumt. Wesentlich ist, dass der Bestimmtheitsgrundsatz und die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben. Lieber Özcan Mutlu, die Evaluierung haben wir auch ins Gesetz aufgenommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Letzteres zeigt aber auch – zumindest was die Verhältnismäßigkeit bei der Abgrenzung der Zielgruppen betrifft –: Der Gesetzgeber hat sich bewusst auf die Spitzensportler konzentriert, und zwar im Testpool der Nationalen Anti Doping Agentur. Aber auch jene Personen sind vom Gesetz betroffen, die durch Spitzensport Einnahmen von erheblichem Umfang erzielen. Schließlich ist es so, dass im Spitzensport durchaus hohe Preisgelder bei den Sportwettbewerben und dadurch auch Vermögensvorteile zu erzielen sind. Wir sind also beim Adressatenkreis mit Augenmaß vorgegangen. Nicht einbezogen sind die Breitensportler, die Medikamentenmissbrauch betreiben. Sie werden von der Schiedsgerichtsbarkeit aber dennoch erfasst, aber nicht von der strafrechtlichen Seite. Damit es aber zu keinen Missverständnissen kommt: Wer, egal wo, mit anabolen Steroiden handelt, kann auch nach bisheriger Rechtsprechung belangt werden. Lassen Sie mich an dieser Stelle kurz auf die Anträge der Opposition eingehen, da hier deutliche Unterschiede sichtbar werden. Ich frage mich, welches politische Signal die Grünen eigentlich mit der Ablehnung des Anti-Doping-Gesetzes verbinden, gerade mit Blick auf die Leichtathletik. Wie wollen Sie denn Dopingbetrug festmachen? Frei nach dem Motto: Legalisierung von Cannabis, dann auch Legalisierung von Dopingmitteln? Lieber Özcan Mutlu, ich habe gestern von dir im Deutschlandfunk ein Zitat gehört. Das möchte ich hier kurz vortragen: Wir können nicht auf der einen Seite für die Legalisierung von Cannabis einstehen – das muss man ohnehin nicht – und auf der anderen Seite den Besitz von leistungssteigernden Mitteln … unter Strafe stellen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie mal den Rest vor!) Das ist einfach ein Widerspruch in sich. Und deshalb finden wir: Das Recht auf Selbstschädigung eines Menschen – egal ob er Leistungssportler ist oder nicht –, das hat er, und da kann man nicht mit Gesetz dem irgendwie das Ganze verbieten. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie mal den Rest vor!) Da stelle ich mir doch ernsthaft die Frage – das lässt mich total ratlos zurück –, wie das gemeint sein soll. Vielleicht kannst du mir nachher weitere Informationen darüber geben. Als Sportpolitiker müsste man zumindest wissen, dass privater Rausch und Manipulation im Spitzensport nicht das Gleiche sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vielmehr muss man die Gesundheit der jungen Menschen in den Fokus nehmen. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Gienger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Mutlu? Eberhard Gienger (CDU/CSU): Natürlich, gerne. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Er selber hat keine gestattet!) Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Gienger, würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass es in diesem Deutschlandfunk-Interview um den Tatbestand der uneingeschränkten Besitzstrafbarkeit ging? Das ist für uns zu weitgehend. Deshalb habe ich auf diesen Widerspruch aufmerksam gemacht. Wenn Sie nur diesen einen Satz aus dem längeren Interview herausnehmen, ist das nicht anständig. Aber egal, ich wollte das einmal zur Klarstellung sagen. Nehmen Sie das zur Kenntnis, und sagen Sie, was noch so in dem Interview steht. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie den Rest des Interviews!) Eberhard Gienger (CDU/CSU): Ich weiß nicht, ob ich das noch alles vortragen darf. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben jetzt zwei Minuten!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Das liegt bei Ihnen. Eberhard Gienger (CDU/CSU): Es ist für mich auf jeden Fall eindeutig. Wenn ich diesen Satz aus dem Interview betrachte, muss ich mir doch die Frage stellen dürfen, ob Sie demzufolge Dopingmittel legalisieren wollen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) Das liest sich hier so. Ich kann es bedauerlicherweise nicht anders interpretieren. Die Vorschläge der Linken sind hingegen konkreter, nur sind sie bedauerlicherweise längst überholt. Die Finanzierung der NADA haben wir bereits sichergestellt. Einen unabhängigen Ombudsmann haben wir in Deutschland seit 2012, lieber André Hahn. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Nein! Er ist nicht unabhängig!) Noch ein Punkt: Bereits nach geltender Rechtslage kann einem Arzt die Approbation entzogen werden, wenn dieser Doping unterstützt. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Wie oft ist das passiert?) Prävention wird durch NADA und die Verbände bereits betrieben. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Wie oft ist das passiert?) Insofern verstehe ich die Kritik der Linken nicht so recht. Eigentlich müssten sie dieses Gesetz doch unterstützen und mit wehender Fahne in der Hand dem Gesetz vorauslaufen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Mit einer roten Fahne!) Das tun sie bedauerlicherweise nicht. (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Mit einer roten Fahne, genau!) Das vorliegende Anti-Doping-Gesetz wird in der Sportgerichtsbarkeit keine Widersprüche hervorrufen, sondern sie sinnvoll ergänzen und nicht beschneiden. Das haben wir schon mehrfach gehört. Auch in anderen Lebens- und Rechtsbereichen existieren staatliche Gerichte neben Schiedsgerichten. Die Sportschiedsgerichtsbarkeit haben wir im Anti-Doping-Gesetz gestärkt. Sie ist weiterhin zentral, wenn es darum geht, das internationale Regelwerk im Sport durchzusetzen und überführte Spitzensportler umgehend für einen Wettkampf zu sperren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) An dieser Stelle möchte ich mich ebenfalls ganz herzlich bei dem Justiz-, dem Innen- und dem Gesundheitsministerium ausdrücklich für die gute Zusammenarbeit bedanken. Wie bereits angekündigt, werden wir zudem einen Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Korruption und Manipulation im Sport bald diskutieren. Dieses zweite wichtige Vorhaben befindet sich in der Verbändeanhörung. Ich denke, wir sind hier auf einem guten Weg. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Bevor der abschließende Redner, Kollege Grindel, das Wort hat, erteile ich das Wort zu einer Kurzintervention dem Kollegen André Hahn. Dr. André Hahn (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Gienger, Sie haben gesagt, die Dinge, die in unserem Antrag stehen, seien überholt, und haben zwei Punkte genannt, die so nicht korrekt sind. Zum einen haben Sie auf den Ombudsmann verwiesen, der angeblich unabhängig sei. Ich habe vorhin in meiner Rede darauf hingewiesen, dass er der Nationalen Anti Doping Agentur zugeordnet ist, der Behörde, die Doping verfolgt, die Dopingsünder bestraft, die aus Sicht der Betroffenen keine unabhängige Stelle ist. Wir brauchen einen Anlaufpunkt, der die Dopingverfolgung vornimmt, der sich aber nicht im Zusammenhang mit dieser Organisation befindet. Das ist nicht geregelt und demzufolge nicht korrekt. Zum anderen haben Sie gesagt, dass die Approbation aufgrund anderer gesetzlicher Vorschriften schon jetzt entzogen werden kann. Ich möchte Sie fragen: Wie oft ist das in Deutschland wegen Doping passiert? Können Sie einmal darstellen, wo das bislang stattgefunden hat? Es gibt andere Punkte, zu denen Sie gar nichts gesagt haben, die aber auch in unserem Antrag stehen. Die Kennzeichnung von Arzneimitteln, in denen Dopingstoffe enthalten sind, ist nicht geregelt. Die Frage des Schutzes von Whistleblowern ist in Ihrem Gesetzentwurf nicht geregelt. Das zeigt, dass unser Antrag Forderungen enthält, die deutlich über das hinausgehen, was im Gesetzentwurf steht. Deshalb ist der Antrag nicht überholt, sondern höchst aktuell. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Gienger, möchten Sie darauf antworten? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann haben Sie das Wort. Eberhard Gienger (CDU/CSU): Schönen Dank. – Herr Präsident! Lieber Kollege André Hahn, ich bleibe beim „du“, auch wenn du mich mit „Sie“ angesprochen hast. Die Prävention durch die NADA und die Verbände wird vorgenommen. Die NADA unterstützt die Sportler und die Verbände und ist nicht nur dafür da, zu kontrollieren. Sie ist eine Hilfestellung für die Sportler. Noch eines: Die NADA sperrt die Sportler nicht, sondern das machen die Verbände. Vor diesem Hintergrund kann man das nicht ohne Weiteres stehen lassen. Zur zweiten Frage, dem Entzug der Approbation. Dies ist in § 3 Absatz 1 Nummer 2 der Bundesärzteordnung geregelt. Hierfür sind die Landesbehörden zuständig. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Aber nicht bei Doping!) – Wenn ein Arzt Doping unterstützt, dann kann ihm die Approbation entzogen werden. Daran führt kein Weg vorbei. Schließlich gebe ich zu: Wir können, was das Gesetz angeht, durchaus noch einige Themen mit aufnehmen, beispielsweise die Kennzeichnungspflicht bei Arzneimitteln. Dafür haben wir aber auch einen Evaluierungsparagrafen. Nach spätestens fünf Jahren wird das durchgezogen. Wenn dann bessere Erkenntnisse vorliegen, wie beispielsweise zur Kennzeichnung von Arzneimitteln, dann kann es durchaus umgesetzt werden. (Beifall bei der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Schluss jetzt!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Jetzt hat zum Abschluss dieser Aussprache der Kollege Reinhard Grindel für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Reinhard Grindel (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei diesem Thema ist die entscheidende Frage: Reicht die sportrechtliche Sanktion aus, oder brauchen wir das Strafrecht? (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer redet denn jetzt: DFB oder MdB?) In diesem Zusammenhang, Herr Kollege Mutlu, haben Sie die anonyme Untersuchung der Deutschen Sporthochschule angesprochen und darauf verwiesen, dass über 5 Prozent der Sportler angegeben haben, sie würden dopen. Sie haben nicht angesprochen, dass über 40 Prozent der Sportler diese Frage gar nicht beantwortet haben. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) Insofern kann man sagen: Egal ob das Dunkelfeld bei einer Größenordnung von über 5 oder annähernd sogar in Richtung 40 Prozent liegt, es ist jedenfalls deutlich höher als die 0,1 Prozent der positiven Dopingtests, die die NADA auch im letzten Jahr gefunden hat. Deswegen sage ich Ihnen: Ich halte es für einen klaren Widerspruch, dass man auf der einen Seite die Diagnose eines ernsthaften Problems im Sportsystem anspricht und auf der anderen Seite sagt: Dieses Sportsystem soll sich allein auf interne Maßnahmen beschränken. Gerade diese Untersuchung, die zeigt, dass die NADA-Dopingtests bisher zu unzureichenden Ergebnissen geführt haben, macht deutlich, wie richtig in der Tat unsere Überzeugung ist: Wenn man gegen Doping durchgreifende Maßnahmen ergreifen will, dann geht das nur über das Strafrecht. Diesen Schritt vollziehen wir heute, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das hat die NADA auch bei der öffentlichen Anhörung bestätigt. Der Justiziar der NADA hat uns klipp und klar erklärt – ich zitiere –: Wir haben in jedem Jahr mindestens 25 Anzeigen, die wir an die Staatsanwaltschaften richten. Wenn diese nicht gerade in Freiburg oder München – wo es Doping-Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften gibt –  ankommen, werden sie schneller eingestellt, als wir sie tippen können. Das liegt nicht daran, weil die Kolleginnen und Kollegen Staatsanwälte nicht handeln wollen, sondern sie schlichtweg nicht handeln können, weil sie kein strafbares Verhalten oder keinen Anfangsverdacht sehen ... Wenn wir also gegen Doping durchgreifen wollen, dann brauchen wir Staatsanwaltschaften und Polizeibeamte, die auch durchgreifen können, dann brauchen wir Straftatbestände, die ihnen helfen, gegen die zu ermitteln, die Fairness im Sport mit Füßen treten, dann brauchen wir das Strafrecht im Kampf gegen Doping, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Die Experten haben uns auch deutlich gemacht, dass es zum Beispiel ohne die Antidopinggesetze in Frankreich oder Italien nicht möglich gewesen wäre, zum Beispiel gegen Doping im Radsport wirklich durchzugreifen. Aufgrund dieses Zusammenhangs habe ich in der Tat gesagt, Frau Kollegin Künast, dass Sie mit Ihrer Bemerkung recht haben, dass die ganze Konstruktion nicht integer ist. Ich habe mich auf die Situation in Russland und die unzureichende Reaktion des Weltleichtathletikverbandes bezogen. Insofern verstehe ich Ihre Position nicht, dass Sie gleichzeitig gegen strafrechtliche Maßnahmen sind und sich nur für sportrechtliche, also nur für interne Sanktionen aussprechen. Wenn man sagt: „Die ganze Konstruktion ist nicht integer“, dann kann man doch nicht glauben, dass die sportrechtlichen Sanktionen plötzlich zu dieser Integrität führen. Wenn man bei einer Konstruktion, die nicht integer ist, durchgreifen will, dann muss man vielmehr von außen Maßnahmen ergreifen, dann müssen wir das Strafrecht im Kampf gegen Doping anwenden, liebe Freunde. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das sehen wir an der FIFA!) Für strafrechtliche Maßnahmen ist es nötig, Rechtsgüter zu benennen, die wir schützen wollen. Wer dopt, der betrügt und der mindert im Spitzensport die Verdienstmöglichkeiten von anderen Sportlern, der beschädigt Vermögensinteressen von Vereinen und Sportveranstaltern. Insofern ist es konsequent – das darf nicht übersehen werden –, dass wir das Rechtsgut des Vermögens auch mit dem vorliegenden Anti-Doping-Gesetz schützen wollen. Aber wir wollen in der Tat auch das Rechtsgut der Integrität des sportlichen Wettbewerbs schützen. Angesichts der großen gesellschaftlichen Integrationskraft des Sports, angesichts von 28 Millionen Mitgliedern des DOSB und vor dem Hintergrund der großen Aufmerksamkeit einer ganzen Nation bei sportlichen Großveranstaltungen, die ansonsten im digitalen Zeitalter in viele kleine Teilöffentlichkeiten zerfällt, kann man doch nicht bestreiten, dass dem Schutz der Integrität des sportlichen Wettbewerbs eine wachsende Bedeutung zukommt. (Dagmar Freitag [SPD]: Richtig!) Zu Recht investieren wir als der Bund dreistellige Millionenbeträge in den Spitzensport. Wir wissen, wie wichtig erfolgreiche Sportidole als Motivation für Kinder und Jugendliche sind, um selbst Sport zu treiben. Aber wenn sich ein Jugendlicher in Zukunft fragt: „Lohnt es sich, die Strapazen des Trainings auf mich zu nehmen?“, dann wollen wir ihm zumindest sagen können: Wenn du dich anstrengst und wenn du Talent hast, dann hast du im Sport alle Chancen, weil nur deine Leistung zählt und nicht die Leistung deiner behandelnden Ärzte oder die Skrupellosigkeit deiner Betreuer. – Für diejenigen, die daran glauben, dass es im Sport mit rechten Dingen zugeht, brauchen wir Rahmenbedingungen, die es ermöglichen, auch durchzugreifen. Deswegen schaffen wir jetzt eine entsprechende strafrechtliche Vorschrift, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Adressaten dieses Gesetzes sind ausschließlich Spitzensportler, die dem Testpool der NADA angehören oder in erheblichem Umfang ihre Einnahmen aus dem sportlichen Wettbewerb beziehen. Dem wird nun entgegengehalten – auch das ist hier heute Morgen gesagt worden –, auch der Breitensportler dürfe sich doch wohl nicht dopen und müsse bestraft werden. Natürlich muss auch Max Mustermann, der beim Berlin-Marathon mit einem Dopingmittel erwischt wird, bestraft werden und aus dem Wettbewerb ausscheiden. Aber bei ihm reicht es aus – das ist wahr –, ihn nach Sportrecht zu sanktionieren. Weder läuft er beim Berlin-Marathon aus finanziellen Gründen mit und würde die Einkünfte seiner Konkurrenten durch Einnahmen, die er aufgrund von Doping erzielte, schmälern, noch verlieren junge Leute den Glauben an den sauberen Sport, wenn Max Mustermann gedopt ist. Das kann aber eben bei Läufern aus dem Testpool der NADA schon völlig anders aussehen. Da gucken junge Läufer schon genau hin, wie sich ihre Vorbilder aus ihrem Verein oder dem DOSB-Team schlagen. Da geht es dann auch schon um Sieg- oder Platzprämien, um Sportfördermittel oder Unterstützung durch die Sporthilfe. Deshalb ist es doch völlig klar: Je mehr ein Sportler für die Integrationskraft und den Vorbildcharakter des Sports steht und damit auch Geld verdient, umso mehr muss ihn die volle Härte des Strafrechts treffen, wenn er dopt und damit die Ideale des Sports geradezu mit Füßen tritt, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) In der Tat: Wir haben neben der Ausweitung des Tatbestands Doping auch auf ausländische Trainingsaufenthalte und dem Verzicht auf eine Versuchsstrafbarkeit beim Besitz von Dopingmitteln wegen der starken Vorverlagerung der Strafbarkeit im Rahmen der Ausschussberatungen als Drittes auch die tätige Reue eingeführt. Zu Recht ist vom Minister erwähnt worden, dass im Strafrecht die tätige Reue nichts Neues ist. Sie wird insbesondere bei solchen Delikten vorgesehen, bei denen die Strafbarkeit bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Tathandlung gegeben ist. Eine solche tätige Reue muss natürlich freiwillig und nach außen hin deutlich sichtbar erfolgen. (Dagmar Freitag [SPD]: Und rechtzeitig!) Die tätige Reue ist notwendig wegen der besonderen Konstruktion unseres Gesetzes. Wenn ein Sportler, bevor er das Dopingmittel zum ersten Mal einnimmt, sich dann doch entschließt, den fairen Weg des Sports nicht zu verlassen und auf rechtmäßige Weise um Siege und Titel zu kämpfen, dann steht er nämlich vor einem Dilemma: Auch wenn er das Dopingmittel zum Beispiel gegen Quittung bei einer Apotheke abgibt und damit das Rechtsgut der Integrität des sportlichen Wettbewerbs nicht tangiert hat, würde er ohne die tätige Reue trotzdem wegen Besitzes eines Dopingmittels bestraft werden, weil er diese Deliktsform bereits vollendet hat, indem er das Mittel zum Beispiel eine Zeit lang bei sich zu Hause aufbewahrt hat. Mit der tätigen Reue wollen wir dem sozusagen wankenden Sportler eine Brücke zurück ins gesetzmäßige Verhalten bauen. Ohne diese neue Vorschrift gäbe es ja gar keinen Anreiz für einen Sportler, über den Weg zurück zu Fairness und Integrität nachzudenken, weil er ja wüsste: Wegen Besitzes bist du sowieso dran. – Nein, wir wollen den Sportlern und Athleten in Deutschland sagen: Wer sauber bleiben will, dem bieten wir eine Möglichkeit, zu Fairness und Integrität zurückzukehren. Deswegen ist diese Ergänzung des Gesetzes von großer Bedeutung, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dagmar Freitag [SPD]: Aber ein Freibrief ist es nicht!) Die Integrität des sportlichen Wettbewerbs – Staatssekretär Krings hat darauf hingewiesen – wird nicht nur durch Doping, sondern auch durch Spielmanipulation gefährdet. Deshalb begrüße ich es ausdrücklich, dass das Bundesjustizministerium jetzt die Abstimmung mit den Ländern und Verbänden eingeleitet hat und wir unverzüglich zu einem Kabinettsbeschluss und hier im Bundestag zu einer Beratung des Gesetzes gegen Spielmanipulation kommen werden. Wir brauchen den umfassenden Schutz der Integrität des sportlichen Wettbewerbs, und darauf haben wir uns auch im Koalitionsvertrag verständigt. Eine Anmerkung zum Schluss. Wir, zumindest die Abgeordneten der Koalition, sind davon überzeugt, dass dieses Gesetz gut ist für den deutschen Sport. Und doch wissen wir, dass der Deutsche Olympische Sportbund dieses Gesetz bis heute ablehnt. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Es hört sich da ein bisschen anders an!) Ich bedauere das. Deshalb sage ich: Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es für die Integrität des Sports, seine Integrations- und Strahlkraft nicht in erster Linie darauf ankommt, unbedingt immer Gold zu gewinnen. (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Was sagt denn der DFB dazu?) Vielmehr kommt es darauf an, immer Fairness und Anstand im Sport zu verwirklichen und auf keinen Fall zu verlieren. Das ist die Botschaft dieses Gesetzes. Herzlichen Dank fürs Zuhören. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Doping im Sport. Es liegt mir dazu eine schriftliche Erklärung zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.1 Der Sportausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6677, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/4898 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Wir kommen jetzt zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6687. (Unruhe) – Bleiben Sie bitte noch auf Ihren Plätzen; wir haben noch Abstimmungen. – Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 28 b. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Sportausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Anti-Doping-Gesetz für den Sport vorlegen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6678, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2308 abzulehnen. Wer für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen gibt es keine. Die Beschlussempfehlung des Ausschusses ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 29 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Katharina Dröge, Bärbel Höhn, Renate Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dem CETA-Abkommen so nicht zustimmen Drucksache 18/6201 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Widerspruch höre ich keinen. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Katharina Dröge von Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist noch nicht lange her, dass wir hier im Bundestag über das Freihandelsabkommen TTIP mit den USA diskutiert haben. Heute geht es um das Freihandelsabkommen CETA mit Kanada. Aus unserer Sicht ist es auch dringend erforderlich, dass der Bundestag über dieses Freihandelsabkommen ausführlich und detailliert diskutiert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich möchte Ihnen auch erklären, warum das aus unserer Sicht so notwendig ist. Der CETA-Vertragstext liegt mittlerweile schon über ein Jahr vor. Im August letzten Jahres hat die Bundesregierung uns das ausverhandelte Dokument zugeschickt. Seitdem ist nur eines klar, nämlich dass nichts klar ist. Weder wann, weder wo noch was beschlossen wird, ist bislang klar. Und dazu tragen Sie als Regierung maßgeblich bei. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) So behauptet beispielsweise die Bundesregierung, in Person des Bundesministers Sigmar Gabriel, dass CETA nachverhandelt werden könne. Er hat auch auf meine schriftliche Frage eine Reihe von Punkten genannt, die die Bundesregierung gerne in diesem Abkommen noch nachverhandeln möchte. Er nennt das nicht Nachverhandlung; denn das könnte problematisch sein. Er nennt das Präzisierung von Rechtsbegriffen, nennt uns dann aber erhebliche Dinge, die im Rahmen dieser Präzisierung von Rechtsbegriffen noch nachverhandelt werden sollen. Immerhin sagt er jedoch, dass er am Vertrag noch etwas ändern möchte. Gleichzeitig sagt aber die EU-Kommissarin, die für dieses Thema zuständig ist, dass der Deal closed ist, das heißt, dass am Abkommen nichts mehr geändert werden kann. In dieser Unsicherheit befinden wir uns jetzt als Bundestag. Und ich finde, es ist relevant, darüber einmal zu diskutieren. Denn wenn Herr Gabriel recht haben sollte – wir würden ihn ja darin unterstützen, dass das Abkommen noch einmal aufgemacht werden sollte, um entscheidende Punkte zu verbessern –, dann wäre es aber auch sinnvoll, dass wir hier im Bundestag im Rahmen dieser Nachverhandlungen beteiligt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Aus meiner Sicht geht es nicht, dass sich ein Bundeswirtschaftsminister allein so ein paar Punkte ausdenkt, die er im Rahmen dieses Abkommens bis Dezember oder Januar – wir wissen ja noch nicht einmal, wie lange diese Rechtsförmlichkeitsprüfung noch dauern wird – in Brüssel noch irgendwie unterschummeln will, und wir danach das fertige Ding dann nur noch zur Abstimmung bzw. zum Abnicken vorgelegt bekommen. Da können wir als Parlament kein einziges Wort mehr am Vertragstext ändern. Wir können dann nur noch Ja oder Nein sagen. Das ist ein Problem. Deswegen zielt unser Antrag darauf ab, dass wir als Bundestag beteiligt werden, falls denn Nachverhandlungen möglich sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Die zweite Konfusion betrifft den Inhalt des Vertragstextes. Um die Schiedsgerichte haben wir hier schon hart gerungen. Sie kennen unsere Position. Wir kennen mittlerweile die Position von Frau Malmström, wissen aber auch, dass sie diese Positionen in CETA nicht mehr verhandeln wird. Ein weiteres unklares Element in diesem Abkommen ist aber die Beteiligung der Parlamente, wenn der Vertragstext einmal abgeschlossen ist. Laut CETA ist ja ein sogenannter Hauptausschuss vorgesehen, der die Kompetenz haben wird, in Rückkopplung mit dem Europäischen Rat die Anhänge und Protokolle des Vertragstexts zu ändern. Wir haben die Bundesregierung gefragt: Wie bewerten Sie das? Daraufhin bekamen wir erst die Antwort: Dieser Hauptausschuss kann auf keinen Fall eigenmächtig, ohne Beteiligung des Parlamentes, den Vertragstext verändern. – Dann haben wir noch einmal nachgefragt, haben auf Textstellen in einem Gutachten verwiesen, haben auch auf Textstellen in den europäischen Verträgen verwiesen und gesagt: Wenn man diese Textstellen zugrunde legt, dann ist doch nicht rechtssicher geklärt, dass das Europäische Parlament auch beteiligt werden muss. Es gab einen ziemlich langen Schriftwechsel zwischen uns, also zwischen Frau Haßelmann und der Bundesregierung. Und irgendwann – genau gesagt, war es gestern – hat Herr Machnig dann zugegeben: Ja, es stimmt. In den Verträgen steht tatsächlich, dass es die Möglichkeit gibt, ein sogenanntes schnelles Verfahren durchzuführen, bei dem das Europäische Parlament nicht beteiligt ist. Das ist keine Art des Umgangs mit dem Parlament. Wir haben zigmal nachfragen müssen, um eine relevante Frage zu klären, nämlich die demokratische Beteiligung von Parlamenten. Die Bundesregierung hatte es entweder nicht auf dem Schirm oder wollte uns täuschen. Beides finde ich relevant. Beides finde ich schlimm. Und zu beidem sage ich: So geht man mit einem Abkommen, das relevante Auswirkungen haben wird, nicht um. Deswegen fordere ich Sie alle auf: Stellen wir uns alle endlich vernünftig der Debatte. Wir haben einen langen Antrag mit vielen inhaltlichen Punkten geschrieben. Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Dröge, darf ich Sie an die vereinbarte Redezeit erinnern? Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Genau. – Leider kann ich (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Nicht noch schneller reden!) den ganzen Inhalt meines Antrags in drei Minuten nicht mehr darstellen. Aber meine Kollegin, Frau Höhn, ist gleich auch noch dran. Sie wird Ihnen dazu noch viele gute Dinge sagen. Deswegen belasse ich es erst einmal bei diesen Punkten (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Zum Glück!) und wünsche mir, dass Sie auch mit uns endlich in die inhaltliche Debatte einsteigen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU hat das Wort der Kollege Mark Hauptmann. (Beifall bei der CDU/CSU) Mark Hauptmann (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kollegen! Liebe Frau Dröge, Sie reden ja wirklich schnell. (Zuruf von der LINKEN: Aber gut!) Das kann Ihnen keiner absprechen. Aber richtig ist das trotzdem nicht. Wenn Sie sich anmaßen, zu sagen, wir sollten hier im Deutschen Bundestag doch einmal über CETA reden, antworte ich: Das machen wir, und das haben wir bisher auch schon gemacht. Deswegen nutzen wir diese Debatte natürlich auch gerne als Gelegenheit, das geradezustellen, was Sie im Hinblick auf die Empörungsindustrie der Anti-TTIP- und Anti-CETA-Bewegung gerade wieder gesagt haben. (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE] – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das ist eine Frechheit!) – Nein, es ist keine Frechheit, es ist die Wahrheit. (Zurufe von der LINKEN) Frau Kollegin Dröge, Sie sind der gleiche Jahrgang wie ich. In den 1980er-Jahren war die Welt, die wir heute sehen, noch eine andere. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Da haben Sie Glück! Es gibt auch gute Dinge!) Deutschland, Europa und die westliche Welt hatten wirtschaftlichen Kontakt zu ungefähr 800 Millionen Menschen. Heute beteiligen sich durch die Globalisierung fast 8 Milliarden Menschen an diesem Austausch. Nur Nordkorea glaubt, man müsse oder brauche sich nicht daran zu beteiligen. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Die sind wegen Hunger ausgeschlossen!) Mit CETA und TTIP, die ja von Ihnen gerne in einem Atemzug genannt werden, beanspruchen wir, diese Globalisierung aktiv gestalten zu wollen, und wir wollen mit CETA und TTIP die Globalisierung mit westlichen Standards gestalten. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wow! Die Erde ist eine Scheibe! – Weiterer Zuruf des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]) Das ist letztendlich der Grund, warum wir mit Kanada und warum wir mit den USA verhandeln. Ich sage Ihnen, Herr Ernst, und auch Ihren Kollegen – und das wissen Sie ganz genau, weil auch Sie sich damit befassen und auch Ihr Horizont durchaus ausreicht, um die internationalen Bedingungen zur Kenntnis zu nehmen –: Wenn wir nicht handeln, wenn wir als Europäer mit den Amerikanern und den Kanadiern keine Regelung finden, wenn wir als westliches Wertebündnis keine Regelung finden, (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Papst Franziskus erzählt mal etwas über die westlichen Standards!) dann machen es andere – China und andere Akteure –, und dann sind wir gezwungen, nach deren Standards zu handeln. Das kann nicht in unserem Interesse liegen. (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN) Sehr geehrte Damen und Herren, 40 Handelsabkommen verhandelt die EU bzw. hat sie schon verhandelt. Derzeit werden noch für 12 Handelsabkommen Verhandlungen geführt. Kollegin Dröge hat es richtig gesagt: Seit 2014 liegt ein konsolidierter Text für das Abkommen zwischen Europa und Kanada vor. Jetzt geht es eben darum, in diesem Prozess des Legal Scrubbing den Vertragstext in die einzelnen Sprachen zu übersetzen; denn nicht nur in Europa, sondern auch in Kanada werden mehrere Sprachen gesprochen. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: In Deutschland haben wir auch zwei Sprachen!) Übrigens: 70 Prozent der kanadischen Bevölkerung sind für CETA. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Haben Sie die gefragt?) Ich glaube, das ist ein deutlicher Beweis dafür, dass CETA nicht nur in den verschiedenen Mitgliedstaaten Europas von einer breiten Unterstützung getragen wird, sondern dass es eben auch in Kanada einen Willen gibt, mit Europa zusammen verschiedene Positionen in Einklang zu bringen. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Warum haben die eine Regierung gewählt, die dagegen ist? Warum haben die eine Regierung abgewählt, die dafür war? – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Warum haben sie dann die Regierung abgewählt?) – Herr Kollege, wenn Sie eine Zwischenfrage stellen möchten, dann tun Sie das ruhig. Aber sich einfach nur zu empören, bringt nichts; denn Ihr Dazwischenbrüllen macht die Debatte nicht leichter. Sie sorgen mit Ihrem Dazwischenbrüllen lediglich dafür, dass die Debatte nicht versachlicht werden kann. Das ist letztendlich der Punkt, den wir hier anmerken: Wir müssen zu mehr Sachlichkeit zurückkommen. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Hauptmann, nach dieser Aufforderung hat sich der Kollege Dehm sofort gemeldet. Gestatten Sie eine entsprechende Zwischenfrage? (Peter Beyer [CDU/CSU]: Schon im Freizeitlook!) Mark Hauptmann (CDU/CSU): Gerne. Ich habe es ihm ja angeboten. Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Wer nicht hören will, muss fühlen. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Ein bisschen hemdsärmelig!) Deswegen stelle ich die Frage, zu der Sie mich aufgefordert haben. Wenn das mit den 70 Prozent Zustimmung so zutrifft, wie erklären Sie sich denn dann, dass die Kanadier eine Regierung zum Teufel gejagt haben, die für CETA war, und jetzt eine Regierung gewählt haben, die dagegen ist? Mark Hauptmann (CDU/CSU): Herr Kollege, wir haben letzte Woche wieder Parlamentarier aus Kanada zu Gast gehabt. Wir stehen im regelmäßigen Austausch mit den Kollegen in Kanada. Sowohl unsere Kollegen im kanadischen Parlament als auch 70 Prozent der Bevölkerung, wie ich es gerade gesagt habe, befürworten CETA. Das war das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage der kanadischen Handelskammer. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ja, die Handelskammer!) Von daher zeigt das deutlich, dass innerhalb der Bevölkerung ein starkes Maß an Unterstützung da ist. Und diese Unterstützung sollten wir nutzen, auf beiden Seiten des Atlantiks. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich möchte zurückkehren zu dem Prozess, den Sie angemahnt haben, nämlich dass wir Veränderungen bei CETA bräuchten und jetzt das Paket noch einmal aufschnüren müssten. Frau Kollegin Dröge, wir haben ein ausformuliertes und ausverhandeltes Programm. Wenn wir jetzt dieses Paket aufschnüren und in einem entsprechenden Prozess neu verhandeln, dann kommen wir nie zu einem Ergebnis. (Peter Beyer [CDU/CSU]: Das will sie auch gar nicht!) Sie wissen doch hoffentlich, dass auf der anderen Seite der Welt, nämlich in Asien, mit den Verhandlungen zur Transpazifischen Partnerschaft schon Fakten geschaffen werden. (Zurufe des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE]) Das heißt, die Welt um uns herum schläft nicht; Asien handelt. Es gibt weitere Abkommen mit ASEAN+6, also mit den ASEAN-Staaten plus China, Japan, Südkorea und anderen. All diese Länder werden in den nächsten Jahren globale Standards setzen, wenn wir als Europäer uns immer wieder zerstreiten, immer wieder Pakete aufschnüren wollen, immer wieder das bereits Verhandelte infrage stellen. Das kann nicht unser Anspruch sein. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das heißt, Sie wollen nicht nachverhandeln!) Vielmehr brauchen wir in Zukunft einen Startpunkt. Dieser Startpunkt für CETA ist jetzt. (Beifall bei der CDU/CSU) Warum mit Kanada? Kanada ist der zweitgrößte Flächenstaat der Welt, die elftgrößte Volkswirtschaft und einer der wohlhabendsten Staaten, aber vor allem einer unserer wichtigsten Wertepartner. Die EU-Direktinvestitionen in Kanada betrugen 136 Milliarden Euro und machten damit ungefähr 28 Prozent der Auslandsinvestitionen in Kanada aus. Für diese Investitionen brauchen wir natürlich auch Rechtssicherheit. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Ist Kanada eine Bananenrepublik und kein Rechtsstaat, oder was? Unglaublich!) Dann komme ich zu dem Punkt, den Sie immer wieder gerne ansprechen: Investor-Staat-Schiedsverfahren. Auch hier mahne ich Sie zu einer Versachlichung der Debatte. Wir als Deutsche haben doch den Investitionsschutz geradezu erfunden. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Aber nicht mit Kanada!) 1959 haben wir mit dem ersten Abkommen zwischen Deutschland und Pakistan (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Eben!) quasi den Investitionsschutz für deutsche Unternehmen im Ausland erfunden. Insgesamt haben wir 140 Abkommen zum Investitionsschutz geschlossen. Im Rahmen dieser Abkommen haben deutsche Unternehmer in 70 Fällen im Ausland gegen andere Staaten geklagt und ungefähr 50 Prozent dieser Fälle auch gewonnen. Drei Verfahren wurden gegen Deutschland geführt; eines endete mit einem Vergleich, in zwei Verfahren gibt es bisher noch keine Entscheidung. Das heißt einerseits, Deutschland hat bis jetzt noch nie einen Prozess verloren, hat aber auf der anderen Seite mit den Verfahren vor Schiedsgerichten dafür gesorgt, dass die Interessen unserer Unternehmen, die im Ausland investieren, gewahrt werden konnten. Deswegen sind wir der festen Überzeugung, dass Schiedsgerichtsverfahren notwendig sind, um ausländische Investitionen zu ermöglichen und bei Enteignungen, zu denen es in der Vergangenheit immer wieder gekommen ist, dass also ausländische Firmen von den jeweiligen Staaten enteignet wurden – - Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Hauptmann, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Lenkert? Mark Hauptmann (CDU/CSU): Nein. Ich habe bereits eine Frage zugelassen. – Der Punkt ist somit, dass die Firmen nach einer Enteignung eine Entschädigung bekommen. Das wird letztendlich über Schiedsgerichtsverfahren geregelt. Deswegen sind sie unglaublich wertvoll. Es ist wichtig, dass wir es im Rahmen von CETA bei den vorgesehenen Schiedsgerichten belassen. Auch Sie wissen, dass CETA ein moderner Vertrag ist. CETA sieht die Möglichkeit vor, die Anforderungen der Globalisierung in den nächsten Jahren zu berücksichtigen. Der Vertragstext ist also nicht in Stein gemeißelt, sondern kann in den nächsten Jahren noch Veränderungen erfahren. Das ist aus Sicht unserer Fraktion eine sehr moderne Vertragsgestaltung. Daraus ergibt sich aber auch, dass wir einen Startpunkt brauchen, um gemeinsam auf Grundlage unseres Wertefundaments für freien Handel und auch – liebe Kollegen der Grünen – für fairen Handel zu sorgen. Fairer Handel ist ohne Freihandel nicht möglich. Von daher werben wir für CETA und werben wir für TTIP. Mit CETA schaffen wir letztendlich eine elementare Grundlage für mehr Freihandel. Wenn wir dem Antrag der Grünen folgten, dann würden wir diese Chance geradezu verpassen. Wir würden die Verhandlungserfolge, die bisher erzielt worden sind, gefährden und dafür sorgen, dass die weltweiten Standards sich nicht nach uns, sich nicht nach Europa, sich nicht nach dem transatlantischen Wertebündnis, sondern nach anderen Staaten richten. Der globale Welthandel ist doch unsere Arena. Deutschland als Exportnation – wir sind Exportweltmeister! – ist darauf angewiesen, in dieser Arena handeln zu können. Mit Ihrem Antrag würde man den Exportweltmeister Deutschland vom Platz stellen. (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Klaus Ernst [DIE LINKE]: So ein Quatsch! Ist ja unglaublich!) Das können wir nicht gutheißen. Daher werben wir für CETA und für TTIP. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege Klaus Ernst. (Beifall bei der LINKEN) Klaus Ernst (DIE LINKE): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Ich habe hier ein Argument gehört, Herr Hauptmann, das so daneben ist, dass ich darauf eingehen muss. Sie sagen, wenn man den Antrag annähme, würde man ausländische Investitionen verhindern. Fakt ist: Wir haben momentan kein Handelsabkommen mit Kanada – auch keines mit den USA –, und trotzdem haben wir eine Vielzahl von Investitionen der Kanadier bei uns und von uns bei den Kanadiern. Ich bitte Sie, doch wenigstens die Realität zur Kenntnis zu nehmen und hier nicht so einen Unsinn zu erzählen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Ernst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hauptmann? Klaus Ernst (DIE LINKE): Auf die freue ich mich ganz besonders. Mark Hauptmann (CDU/CSU): Herr Kollege Ernst, eines werden wir natürlich nicht infrage stellen: Das sind die Realitäten. Natürlich gibt es Investitionen. Das will doch gar kein Mensch bestreiten. Es geht aber um das Mehr an Investitionen, um zusätzliche Impulse, darum, Zölle abzuschaffen, (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Lesen Sie mal die Studien dazu!) weltweit gemeinsame Standards zu etablieren. Schauen Sie sich das doch bei den Automobilen an: Wir haben heute hohe Zölle, wenn Automobile deutscher Unternehmen aus den USA nach Deutschland zurückgeführt werden; und wenn deutsche Lkw nach Nordamerika exportiert werden, fällt eine Zollbelastung von 25 Prozent an. (Zurufe von der LINKEN und vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das sorgt natürlich dafür, dass wir keine Mehrinvestitionen haben. Von daher frage ich: Wie halten Sie es mit zusätzlichen Mehrinvestitionen, durch die übrigens auch mehr Arbeitsplätze entstehen würden? (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach Gott, die alte Leier! – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh, Mann!) Klaus Ernst (DIE LINKE): Herr Hauptmann, ich glaube, Sie haben den Sinn dieser Handelsabkommen noch gar nicht richtig begriffen. Es geht nicht nur um den Abbau von Zöllen. Das wären ja die tarifären Handelshemmnisse. (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Das ist ein Baustein!) Sinn der Handelsabkommen ist der Abbau von nichttarifären Handelshemmnissen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Das ist ein Baustein!) Nichttarifäre Handelshemmnisse sind nach dem allgemeinen Verständnis Regelungen, Herr Hauptmann: (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Und Standards!) Regelungen des Arbeitsschutzes, Regelungen des Umweltschutzes, Regelungen des Verbraucherschutzes. Dabei geht es zum Beispiel um die Frage, welche Chemie in dem jeweiligen Land verwendet werden darf und welche nicht, welche Substanzen in Medikamenten zugelassen werden und welche nicht. Das ist der eigentliche Sinn dieser Handelsabkommen. (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es geht also überhaupt nicht um Ihre Zölle. Die Zölle kann man von mir aus abbauen; das ist nicht das Problem. Es geht darum, dass diese Handelsabkommen dazu dienen sollen, die Standards (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Hochzuhalten!) in Europa, in Kanada und übrigens auch in den USA abzusenken. (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Quatsch! Herr Ernst, das ist eine Lüge!) Ich würde Sie bitten, das zur Kenntnis zu nehmen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU) – Ich werde Ihnen das gleich noch beweisen. Jetzt kommen wir zur Transparenz. (Zuruf des Abg. Mark Hauptmann [CDU/CSU]) – Sie können weiter brüllen, Sie können aber auch noch eine Frage stellen. Ich bin gerne bereit, sie zu beantworten. (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Totaler Blödsinn!) Meine Damen und Herren, gestern waren wir mit dem Ausschuss für Wirtschaft in Brüssel. Dort haben wir Frau Malmström getroffen. Sie hat gesagt, dass die Transparenz, also was die Einbeziehung der Bürger angeht, bei diesen Fragen vorbildlich sei. (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) Da habe ich wirklich gedacht: Sie lebt auf einem anderen Stern. (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Du lebst auf einem anderen Stern!) Das CETA-Abkommen ist – das wissen Sie alle, die Sie hier sitzen – ohne jegliche Beteiligung der europäischen Parlamente verhandelt worden. Keiner, der hier sitzt, auch Sie nicht, hat die Chance gehabt, auch nur ein Komma oder einen einzigen Buchstaben in diesen Verträgen zu beeinflussen. Jetzt gucken wir einmal, was unser Parlamentspräsident, Herr Lammert, dazu gesagt hat. Er hat gesagt – Zitat –: Ich halte es für ausgeschlossen, dass der Bundestag einen Handelsvertrag zwischen der EU und den USA – darum ging es in dem Fall –  ratifizieren wird, dessen Zustandekommen er weder begleiten noch in alternativen Optionen beeinflussen konnte. Was bei TTIP gilt, das muss doch wohl auch für CETA gelten. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bei CETA hat er nichts beeinflussen können. Wenn Sie den Bundestagspräsidenten ernst nehmen und nicht zu einer Witzfigur machen wollen, dann müssen wir als Parlament unsere Rechte ernst nehmen und dürfen uns nicht kleinmachen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dann müssen wir CETA ablehnen, weil wir nicht beteiligt waren. Es gibt übrigens einen sehr aktuellen Vorschlag – ich weiß nicht, ob Sie ihn schon gesehen haben –: Es sollen Leseräume eingerichtet werden, nicht mehr in der Botschaft der USA, sondern in Ministerien. Haben Sie das einmal gelesen? Die Regeln, die für diejenigen vorgesehen sind, die Dokumente einsehen wollen, erinnern mich an die Regeln, die gelten, wenn man einen Einsitzenden besucht: Sicherheitspersonal muss anwesend sein; Name, Besuchszeit und konsultierte Dokumente – Texte, die die Europäische Union verhandelt – werden notiert; Handys und sonstige elektronische Geräte müssen abgegeben werden; eine Verpflichtungserklärung zur Einhaltung der Regeln muss unterschrieben werden; (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Alles sinnvoll!) es ist nur erlaubt, Notizen zu machen; aber über diese Informationen darf nicht gesprochen werden. Meine Damen und Herren, da gibt es nur noch eine Steigerung: Panzerglas zwischen dem Besucher und dem Dokument. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Und das soll transparent sein? Im Übrigen empfehle ich Ihnen, auch meinen Kollegen von der SPD, die gestern dabei waren: Schauen Sie sich die heutige Stellungnahme der Europäischen Union an. Darin steht, dass das gar nicht für die Abgeordneten gilt. Es gilt für die Minister; es gilt für das Regierungspersonal. Diese sollen sich behandeln lassen, als würden sie einen Verbrecher besuchen, wenn sie Dokumente einsehen wollen. Wenn wir in diesem Parlament noch ein bisschen Selbstbewusstsein haben, dann müssen wir solche Vorgänge ablehnen; denn sonst machen wir uns zum Büttel der Europäischen Union. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Ernst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wiese? Klaus Ernst (DIE LINKE): Sehr gerne. Dirk Wiese (SPD): Sehr geehrter Herr Kollege Ernst, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Ich diskutiere immer gerne mit Ihnen. (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das ist meistens sinnlos!) Wir waren gestern zusammen in Brüssel und haben gehört, dass Kommissarin Malmström gesagt hat, dass sich im Hinblick auf den Zugang von uns Abgeordneten etwas ändern soll. Ich gebe Ihnen in diesem Punkt völlig recht: (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Hört! Hört!) Das, was jetzt auf den Weg gebracht worden ist, ist noch nicht befriedigend. Auch ich möchte die Dokumente gerne bei mir im Büro auf meinem Schreibtisch liegen haben. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Kriegen wir ja nicht!) Auch ich möchte nicht als Bittsteller momentan zur US-Botschaft gehen, klingeln und sagen, dass ich Einblick in konsolidierte Dokumente haben möchte. Darum bin ich mit der momentanen Situation nicht zufrieden. Sie haben gerade aus einem Dokument zitiert, das die Kommission veröffentlicht hat. Aber es gibt zwei Dokumente: 356/15 und 358/15. In diesem Dokument werden die Punkte angesprochen, die Sie gerade beschrieben haben. Ich habe fast den Eindruck, dass Sie noch nie in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages gewesen sind. Klaus Ernst (DIE LINKE): Doch, doch! Da war ich. Dirk Wiese (SPD): Auch dort muss man sich anmelden, auch dort sitzt jemand im Nebenraum, und man muss sein Handy abgeben, (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: So ist es!) aber man darf sich Notizen machen. (Zuruf von der LINKEN) – Das Handy muss man abgeben. Das ist wirklich so. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Nein, stimmt nicht!) – Man muss es abgeben. – Dort können Sie übrigens auch die Klageschrift der Bundesregierung gegen Vattenfall lesen. In dem von mir angesprochenen Dokument – dieser Punkt ist mir wichtig – steht nicht, dass nur Minister und Beamte Zugang zu den Dokumenten haben. Es liegt allerdings nur die englische Fassung vor; darüber kann man streiten – zwei Juristen, drei Meinungen. Aber meine erste Frage lautet: Stellen Sie fest, dass es langsam in die richtige Richtung geht und dass die langsamen Schritte sowohl der Bundesregierung als auch dem Bundestagspräsidenten zu verdanken sind, die immer wieder versuchen, zu intervenieren? Die deutsche Botschaft hat zuletzt am Donnerstagabend in Washington förmlich interveniert, um noch einmal Druck zu machen. Wann hat die Linkspartei einmal einen Brief an Frau Malmström geschrieben, um Einsicht in die Dokumente einzufordern? Meine zweite Frage, die ich Ihnen noch stellen möchte. Sollten wir in der nächsten Woche Zugang zu den Räumen bekommen, sei es im Wirtschaftsministerium, sei es im Arbeitsministerium: Versprechen Sie mir, dass wir dann zusammen hingehen und die Dokumente lesen? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Klaus Ernst (DIE LINKE): Zum letzten Teil Ihrer Frage: Ja. Aber ein Problem ist, dass ein großer Teil der Abgeordneten die Dokumente nicht lesen kann, weil sie kein Englisch können; die Dokumente sind nämlich auf Englisch verfasst. (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Mein Gott!) Das ist das erste Problem: Wenn wir hier Vereinbarungen treffen (Hubertus Heil (Peine) [SPD]: Machen Sie doch einen Sprachkurs, Mensch!) und ein Teil der Abgeordneten faktisch ausgeschlossen ist, dann ist das nicht transparent. (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Herr Ernst, es gibt Sprachkurse!) Jetzt komme ich zu den von Ihnen genannten Stellungnahmen der Europäischen Kommission. Ja, es gibt zwei Dokumente. In dem einen sind die Verfahren geregelt; von den Verfahren sind die Parlamentarier nicht betroffen. Heute liegt eine zweite Stellungnahme vor. In dieser Stellungnahme heißt es eindeutig, dass dies nur die Ministerien betrifft, dass allerdings die nationalen Parlamente entsprechend ihrer Gesetzgebung Regelungen treffen können. Das ist interessant; denn Frau Malmström hat uns gestern etwas ganz anderes erzählt. Sie hat uns erzählt: Jetzt gibt es die große Offenheit für Abgeordnete. – Aber ich kann nicht feststellen, dass es diese Offenheit gibt. Jetzt komme ich zur Geheimschutzstelle. Ja, auch ich bin der Auffassung: In einem Parlament muss es eine Geheimschutzstelle geben. Aber hier stellt sich doch eine ganz andere Frage: Warum werden Dokumente, die 500 Millionen Bürger in Europa betreffen, als Geheimsache behandelt und selbst vor den Parlamentariern geheim gehalten? (Beifall bei der LINKEN) Das ist doch die Frage, lieber Kollege, die wir uns stellen müssen. Es geht um den Umgang mit uns in diesen Verfahren. Die Verhandlungen über CETA sind lange abgeschlossen, über TTIP wird seit Jahren verhandelt, aber wir Parlamentarier werden nach wie vor von den wichtigen Dokumenten ferngehalten. Das ist ein Skandal. Ich bin der Auffassung – ich hoffe, dass ich Sie und viele in der SPD dabei als Partner habe –, dass wir uns dagegen wehren müssen. Wir dürfen jetzt nicht kuschen. Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Allerdings sind die Verträge nicht nur wegen der Geheimhaltung, sondern auch wegen ihres Inhalts abzulehnen. Nun komme ich zur Union. Sie und auch die EU behaupten permanent, es gebe keinen Abbau von Standards. Aber genau das ist doch das Ziel der Abkommen. Wenn dies nicht so wäre, lieber Kollege Hauptmann, meine Damen und Herren, warum sind dann unsere Bundesregierung und auch viele in der Öffentlichkeit der Auffassung, dass bestimmte Bereiche von diesen Vereinbarungen ausgenommen werden müssen? Warum wollen wir bestimmte Dinge ausnehmen? Wenn es überall nur aufwärtsginge, müssten wir ja alle Bereiche einbeziehen, damit es besser wird als vorher. Nein, bestimmte Bereiche sollen explizit ausgenommen werden: Daseinsvorsorge soll ausgenommen werden, Kultur soll ausgenommen werden, öffentliche Wohlfahrt soll ausgenommen werden. Warum? (Dr. Martin Rosemann [SPD]: Um Wettbewerb geht es!) Wenn diese Verfahren einen anderen Charakter hätten, müssten sie nicht ausgenommen werden. Allein die Tatsache, dass wir selber dafür kämpfen, einzelne Bereiche aus dieser Liberalisierung, aus dieser Vereinheitlichung auszunehmen, ist der Beweis dafür, dass die Verträge in Richtung Abbau von Standards gehen. Deshalb ist es richtig, sie abzulehnen. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Martin Rosemann [SPD]: Da geht es um Wettbewerb!) Ich komme zum Schluss. Ich möchte Ihnen sagen: Verantwortlich für diese Abkommen ist momentan die Europäische Union, die sie verhandelt. Aber im Hintergrund stehen die europäischen Regierungen. Deshalb müssen wir in den nationalen Parlamenten Position beziehen. Wenn wir dies nicht tun, sind auch wir als Parlamente dafür verantwortlich, dass vor privaten Schiedsgerichten geklagt wird. Sie gelten nach wie vor in CETA, und wenn sie in CETA enthalten sind, haben die Amerikaner über Kanada die Möglichkeit, uns zu verklagen. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass das abgelehnt wird. Wenn es nicht abgelehnt wird, wird es dazu führen, dass wir mitverantwortlich sind, wenn Regierungen vor diesen Schiedsgerichten verklagt werden und letztendlich die deutschen und europäischen Steuerzahler für das zahlen müssen, was andere versauen. Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Bernd Westphal für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bernd Westphal (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Klaus Ernst, wir haben heute einen Antrag der Grünen auf der Tagesordnung, der sich mit CETA beschäftigt, also mit dem schon ausgehandelten Abkommen der EU mit Kanada; darüber haben wir zu diskutieren. Sie haben hier eben eine ganze Zeit über TTIP und über Transparenz gesprochen. Da gehe ich ja mit. Aber das hat nichts mit diesem Tagesordnungspunkt zu tun. (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Am Thema vorbei!) Von daher: Thema verfehlt, setzen, sechs. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Aber die sind sinnverwandt!) Der Antrag der Grünen fasst noch einmal die Kritik zusammen, die die Fraktion an dem Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada hat. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Westphal, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst? Bernd Westphal (SPD): Selbstverständlich. (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: So kommst du heute nie zu dem Geburtstag deiner Frau! – Heiterkeit) Klaus Ernst (DIE LINKE): Bernd – wir sind ja per Du; ich darf das so sagen –, ich habe doch deutlich dargestellt – deshalb habe ich sehr wohl zum Inhalt gesprochen –, dass dieses Parlament bei CETA, also bei dem Handelsabkommen mit Kanada, in keiner Weise beteiligt war. Ich habe die Position des Präsidenten des Deutschen Bundestages angeführt, der gesagt hat: Dann müsste man so ein Abkommen eigentlich ablehnen. Er kann sich nicht vorstellen, dass so zugestimmt wird. Daher habe ich doch bitte schön zum Thema gesprochen. Ich habe auch zum Thema gesprochen, Kollege Westphal, lieber Bernd, als ich gesagt habe: Bei diesen Abkommen geht es im Kern darum, dass dereguliert werden soll. Genau das ist ja in CETA enthalten. Auch der Investorenschutz ist in CETA enthalten. Genau darüber diskutieren wir. Ich habe zum Schluss noch einmal darauf hingewiesen, (Dr. Martin Rosemann [SPD]: Das wird nicht besser, wenn es wiederholt wird!) dass, wenn wir den Investorenschutz bei CETA bekommen, wir ihn automatisch mit Amerika bekommen, weil sehr viele amerikanische Unternehmen in Kanada sind. Sie können das Abkommen nutzen, um europäische Staaten zu verklagen. Daher habe ich doch bitte schön zum Thema gesprochen. Mich würde interessieren: Wie seht ihr das? Seid ihr gegen CETA, wenn private Schiedsgerichte enthalten sind, oder seid ihr dafür? Diese Antwort seid ihr als Sozialdemokraten schuldig. Bernd Westphal (SPD): Ich bin ja erst am Anfang meiner Rede. Von daher komme ich gleich dazu. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Aber der Anfang war schon schlecht!) Aber ich will zu der Frage Stellung nehmen. (Rainer Spiering [SPD]: Er hat gar keine Frage gestellt! – Zuruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) – Jetzt musst du auch zuhören, wenn ich antworte. – Die Frage war ja, inwieweit der Bundestag beteiligt ist. Wir haben ja die Freihandelsabkommen auf europäischer Ebene delegiert. Das heißt, der Bundestag ist gar nicht Verhandlungsführer, auch nicht das Europäische Parlament, sondern die EU-Kommission. Dieser Vertrag musste erst einmal ausgehandelt werden. Er liegt jetzt vor und wird übersetzt. Wenn es ein gemischtes Abkommen ist – wir gehen davon aus, dass es so ist –, dann wird sich dieses Parlament damit beschäftigen. – So weit die Antwort auf Ihre Frage. Die Verhandlungen zum Abkommen CETA sind seit dem 26. September 2014 abgeschlossen. Das sage ich, damit auch dies klar ist. Es ist im Grunde genommen schon verhandelt und liegt vor. Derzeit läuft die Rechtsförmlichkeitsprüfung, das sogenannte Legal Scrubbing, und dementsprechend auch die Übersetzung. Wahrscheinlich wird es im ersten Halbjahr 2016 in deutscher Sprache vorliegen. Wir sind einer Meinung, dass es sicherlich ein Anspruch ist, den Parlamentarier haben können, dass solch ein kompliziertes Vertragswerk in deutscher Sprache vorliegt. Abgesehen davon bitte ich um mehr Vertrauen, was das Europäische Parlament betrifft. Auch dort gibt es klare Positionierungen. Ich bitte auch darum, den Kollegen Bernd Lange zu unterstützen, der eine hervorragende Arbeit macht, für Aufklärung sorgt und die Dinge darstellt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch in Kanada hat es Veränderungen in der Regierung gegeben. Der neue Premierminister Justin Trudeau – er ist seit dem 4. November dieses Jahres, also sehr frisch, im Amt – hat sich für dieses Freihandelsabkommen ausgesprochen. Nun muss sich auch die EU-Kommission den strittigen Fragen zuwenden. Wir haben gestern zumindest erreichen können – du hast die Verhandlungen und Gespräche mit der EU-Kommission erwähnt –, dass uns die für Handel zuständige Kommissarin Malmström versichert hat, dass sie der kanadischen Regierung die entsprechenden Punkte schriftlich mitgeteilt hat. Wir erwarten, dass wir zumindest hier Fortschritte erreichen werden. Was die kanadische Seite angeht, hatten wir heute Morgen in der Diskussion mit der Botschafterin von Kanada noch einmal die Möglichkeit, darauf hinzuweisen, dass wir, gerade was den Investitionsschutz angeht, eine Weiterentwicklung brauchen. Die Vorschläge, die die SPD im Hinblick auf einen Internationalen Handelsgerichtshof entwickelt hat, könnten hier aufgenommen werden, nicht in einem neuen Verfahren, sondern im Rahmen der Weiterentwicklung dieses Abkommens. Ich will zwei inhaltliche Punkte ansprechen, die in dem Antrag der Grünen erwähnt werden. Sie, Frau Dröge, haben eben ausgeführt, was in Kapitel 10 und 11 des CETA-Abkommens hinsichtlich der Ausnahmen für die kommunale Ebene vereinbart ist und welche Vorbehalte die Anhänge I und II bezüglich der kommunalen öffentlichen Dienstleistungen enthalten. Im Antrag werden Bedenken geäußert, der CETA-Hauptausschuss könne die Negativliste verändern. Ich muss Ihnen sagen, dass das falsch ist. Das, was Sie in dem Antrag formulieren, ist widerlegt. Der Hauptausschuss hat keine Befugnis, die in Anhang I und II genannten individuellen Vorbehalte der Mitgliedstaaten im Bereich der Dienstleistungen eigenmächtig zu verändern; er kann lediglich Empfehlungen aussprechen. Deshalb ist das, was Sie auf Seite 6 Ihres Antrags formulieren, falsch; Dirk Wiese hat gleich sicherlich noch Gelegenheit, darauf näher einzugehen. Wir haben im GATS-Abkommen übrigens seit 20 Jahren solche Regelungen und bis heute keine Probleme damit. Was die Vereinbarkeit mit dem Inhalt des Freihandelsabkommens angeht, ein zweiter inhaltlicher Punkt. Im Antrag wird einerseits Kritik daran geäußert, dass Mechanismen vorgesehen sind, die ein nachträgliches Verändern und Anpassen, also ein sogenanntes Living Agreement, verlangen. Andererseits kritisieren Sie, dass das Abkommen als gesetzgeberische Momentaufnahme einzementiert würde und dadurch präjudizierende Wirkung haben könnte, Stichwort „Urheberrecht“. (Zuruf von der CDU/CSU: Widerspruch!) Sie müssen sich schon entscheiden, für welche Variante Sie hier sprechen. Ich denke, man sollte die Möglichkeit haben, neue Erkenntnisse in ein Living Document einfließen zu lassen. Das erfüllt dieses Abkommen. Die Diskussion über Freihandelsabkommen ist wichtig. Durch die breite Diskussion, die wir auch öffentlich führen, wird deutlich, dass es eine ganze Menge Chancen gibt, den Freihandel auch global voranzubringen. Wir müssen nur die Vorteile für uns, für unseren Standort erkennen. Manche, auch auf Brüsseler Ebene, schütteln nur noch den Kopf, wenn sie hören, welche Argumente teilweise aus einem so großen Exportland wie Deutschland angeführt werden und dass man Freihandelsabkommen gegenüber hier sehr kritisch eingestellt ist. Wir haben unseren Nutzen von solchen Abkommen, was Beschäftigung, Innovation und Freihandel angeht. Gestern haben wir sogar mit Vertretern der katholischen Kirche diskutiert, die auch die Impulse für eine globale Regulierung der Märkte gesehen haben. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Westphal, denken Sie an die Redezeit? Bernd Westphal (SPD): Letzter Satz, Herr Präsident. – Der globale Handel muss nicht nur frei, sondern auch fair sein. Daran werden wir als Sozialdemokraten arbeiten. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Jetzt hat der Kollege Peter Beyer für die CDU/CSU das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Peter Beyer (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit etwas Positivem beginnen, und zwar mit dem Titel des Antrags der Grünen. Er bringt nämlich zum Ausdruck, dass es einen gewissen Lernprozess gegeben hat. Hieß es in den letzten Anträgen zum Thema CETA noch, man wolle den Gesetzentwurf komplett ablehnen, so heißt es jetzt: So ist nicht zuzustimmen. – Ich denke, wenn wir noch etwas mehr Debatten führen, kommen wir da vielleicht ein gutes Stück vorwärts, sodass auch dieser Lernprozess noch weiter fortschreitet. Ich finde, das ist eine gute Sache. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir immer so gesagt! Sie haben die anderen Anträge nur nicht gelesen!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Beyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dröge? Peter Beyer (CDU/CSU): Im Moment nicht, vielleicht hinterher. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) – Es gab schon so viele schöne Zwischenfragen. Wir können uns gleich sehr gerne noch einmal austauschen. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von mir noch keine einzige!) Vielleicht ist das Ganze ja auch ein positiver Ausfluss aus der baden-württembergischen Landesregierung. Dort tragen die Grünen ja durchaus Regierungsverantwortung. Wenn man dorthin schaut, dann erkennt man, dass der gesamte Prozess zu CETA und TTIP, den beiden Freihandelsabkommen mit den nordamerikanischen Partnern, dort durchaus konstruktiv und positiv begleitet wird. Es gibt ein Positionspapier, einen Beschluss der Landesregierung Baden-Württembergs dazu, wo die Chancen dieser Abkommen betont werden. Das ist etwas ganz anderes als das, was sich in Ihrem, wie Sie selbst gesagt haben, sehr lang ausformulierten Antrag letztlich findet. Wo stehen wir mit CETA? Das haben wir von den Vorrednern schon ein paar Mal gehört. Deswegen kann ich mich an dieser Stelle kurzfassen. Das Ganze ist ausverhandelt. Die Verhandlungen sind schon vor über einem Jahr final zu Ende geführt worden; sie sind also abgeschlossen. Man ist jetzt in der Phase der Rechtsförmlichkeitsprüfung, des Legal Scrubbing; das wurde hier schon genannt. Ich rate allerdings gemeinsam mit meiner Fraktion eindringlich davon ab, das Inkrafttreten von CETA durch weitere überzogene Forderungen nach einem kompletten erneuten Aufschnüren dieses Verhandlungspakets, wie sie auch in dem Antrag der Grünen formuliert sind, weiter zu verzögern. Das ist gerade im Hinblick auf wirtschaftliche Impulse nicht das, was wir brauchen. Daneben ist das übrigens auch völlig unrealistisch. Ich komme gleich noch einmal darauf zu sprechen. Meine Damen und Herren, CETA ist das Ergebnis intensiver Verhandlungen zwischen den Delegationen unserer Seite, der Europäischen Union, und Kanadas. Dieses Ergebnis ist ein gutes Ergebnis, mit dem wir sehr zufrieden sein können. Es ist insbesondere ein wichtiger Baustein für eine der Zukunft zugewandte Handelspolitik auf globaler Ebene. Bei TTIP sind wir – um das hier auch noch einmal zu erwähnen; da verhandelt man noch nicht so lange, deshalb liegt das in der Natur der Sache – noch nicht ganz so weit, aber auch auf einem guten Weg. Ich bin frohen Mutes, dass wir das mit großem Engagement und – ja – auch mit parlamentarischer Begleitung – nicht nur auf europäischer Ebene, sondern auch auf nationaler Ebene – nach vorne und zu einem guten Ergebnis bringen können. (Beifall bei der CDU/CSU) Denn – machen wir uns da nichts vor – unseren Wohlstand, den wir in unserer starken Volkswirtschaft, in Deutschland, im Großen und Ganzen genießen, verdanken wir nicht zuletzt der Wirtschaft und vor allen Dingen den Menschen, die in den Unternehmen und Betrieben hier in Deutschland arbeiten, und genau für diese Menschen sind diese Freihandelsabkommen – ich nenne sie bewusst beide – TTIP und CETA, das bereits zu Ende verhandelt ist. Für diese Menschen müssen diese Projekte gelingen und gut umgesetzt werden. Wir können uns jetzt nicht zurücklehnen und sagen: Unser relativer Wohlstand und unsere starke volkswirtschaftliche und politische Position in Europa sind gottgegeben, und das wird immer so bleiben. Die Realität, vor der wir uns ja nicht verschließen wollen, ist, dass es auf dem Markt der Volkswirtschaften – so ist die Entwicklung nun einmal; das ist nichts Schlechtes – nun andere, erstarkende, gestaltungsmächtige, wie wir sie einmal bezeichnet haben, Wettbewerber gibt, nämlich die Volksrepublik China, Indien und weitere Länder. Diese Länder haben Umweltschutzstandards, Sozialstandards und Arbeitsschutzstandards, die diejenigen, die die TTIP- und CETA-Freihandelsabkommen vehement bekämpfen, überhaupt nicht haben wollen – und insbesondere auch wir nicht. Deswegen kämpfen wir dafür, dass diese Verhandlungen auf einen hohen Schutzstandard ausgerichtet, entsprechend weitergeführt und letztlich zu einem guten Ende gebracht werden; denn wenn wir nicht aufpassen – der Kollege Hauptmann und andere Redner an diesem Pult haben schon darauf hingewiesen – , werden uns die Standards gesetzt, und diese wären allemal – davon können wir mit Sicherheit ausgehen – geringer als die, die wir jetzt mit den nordamerikanischen Freunden zusammen verhandeln können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dass wir in der Welt enger zusammenrücken und dass es immer globaler wirkende Herausforderungen gibt, führt uns auch zu der Erkenntnis, dass wir alleine scheitern müssen. Es ist nämlich ein Faktum, dass die Tendenz zurück zu immer mehr Nationalstaatlichkeit und weniger Supranationalismus kleingeistig, rückwärtsgewandt und letztlich insbesondere schlecht für die Menschen ist. Denn das Abschotten – und Protektionismus ist ein Abschotten – von den globalisierenden Fortschritten in der Welt führt zu keinem guten Ergebnis. Und deswegen können wir das nicht unterstützen. Meine Damen und Herren, ich sage aber auch, dass eine – so will ich es einmal bezeichnen – Selbstverzwergung vor den Verhandlungspartnern nicht angezeigt ist. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das ist doch keine Selbstverzwergung!) Die europäische Seite und die EU-Mitgliedstaaten können durchaus selbstbewusst mit den Amerikanern, mit den Kanadiern Verhandlungen führen, wie es auch geschehen ist, wenn man sich einmal vor Augen hält, dass in Europa mehr Menschen leben, nämlich über 500 Millionen Menschen, während in den USA und in Kanada zusammen ungefähr 355 Millionen leben. Wir können selbstbewusst und auf Augenhöhe miteinander reden und verhandeln und lassen uns nicht von den Amerikanern, die ja hier oftmals als die ganz Bösen dargestellt werden, insbesondere die amerikanische Industrie, über den Leisten ziehen. Wir müssen hier selbstbewusst auftreten – das machen wir auch –, dann kommt das Ganze auch zu guten Ergebnissen. Wer sich auf dem transatlantischen Terrain bewegt, weiß, dass jenseits des Atlantiks das Interesse an Europa in der letzten Zeit ein Stück weit nachlässt – so will ich es einmal ausdrücken – (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Beim Abhören aber nicht!) und dass sich alles ein wenig hin zum transpazifischen Verhältnis, zur transpazifischen Partnerschaft verrückt. Ein Scheitern dieses Abkommens wäre schlecht für Europa und insbesondere für die Menschen in Deutschland. Dabei geht es weniger um bloßes Wirtschaftswachstum – dazu existiert ja ein bunter Strauß von Studien, die sich zum Teil widersprechen –, sondern vielmehr – darin liegt die geostrategische und geopolitische Bedeutung von TTIP und CETA – um nichts Geringeres als die zukünftige Gestaltung des globalen Handels. Und das kann eben nicht mit Angst gelingen. Wenn ich den Antrag der Grünen lese, dann stelle ich fest, dass es eine Aneinanderreihung von Ängsten, Vorbehalten und Worst-Case-Szenarien ist. Ich nehme einmal die Schiedsgerichte heraus, auf die ich aus Zeitgründen nicht lange eingehen will. Wir können doch nicht von Ängsten bestimmte Politik betreiben und dabei unseren Sachverstand komplett ausschalten. Wenn die Menschen in unserem Lande bei ihren Unternehmungen, bei dem, was sie anpacken, womit sie Zukunft gestalten wollen, in den letzten Jahren so agiert hätten, dann wäre Deutschland nicht da, wo es jetzt in der Welt steht – mit einer starken Volkswirtschaft, mit einem großen Selbstbewusstsein. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das ist doch Quatsch!) Deswegen sage ich an dieser Stelle: Der Antrag ist eine Aneinanderreihung von Angstmachereien. Das führt nicht zum Erfolg. Lassen Sie uns konstruktiv an der Sache arbeiten. Dann kommen wir auch zu einem guten Verhandlungsergebnis, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist sicherlich richtig – ich komme sofort zum Schluss, Herr Präsident –, auf mögliche Probleme hinzuweisen. Das bezieht auch die Leseräume ein. Es ist ja schon angesprochen worden, dass sich der Parlamentspräsident für die Parlamentarierrechte starkmacht. Das ist sicherlich zu unterstützen. Ich glaube auch hier, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Meine Damen und Herren, wenn CETA und TTIP selbstbewusst weiterverhandelt und gut umgesetzt werden, dann ist CETA, dann ist TTIP gut für die Menschen, insbesondere für die Menschen in Europa und ganz speziell für die Menschen in unserem wunderschönen Deutschland – ein ganz wunderbares Ergebnis. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Ich darf generell daran erinnern, dass es sich bei den vereinbarten Redezeiten nicht um Richtwerte handelt, sondern um präzise vereinbarte Zeiträume. Ich erteile jetzt zu einer kurzen Kurzintervention der Kollegin Dröge das Wort. Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Kollege Beyer, Sie haben ja leider meine Zwischenfrage nicht zugelassen. Ich möchte aber doch auf etwas eingehen und Sie zu dem, was Sie gerade gesagt haben, noch etwas fragen. Als Sie über unsere Anträge sprachen, hatte ich den Eindruck, Sie haben nur die Titel unserer Anträge gelesen. Deswegen möchte ich Sie noch einmal auf den Inhalt unserer Anträge hinweisen. Wenn Sie den Inhalt zur Kenntnis genommen hätten, dann wüssten Sie, dass in den Anträgen, die wir bislang zu CETA gestellt haben, immer klar formuliert wurde – beispielsweise in dem letzten Antrag, den Sie zitiert haben –: So, wie das System der Schiedsgerichte enthalten ist, kann man CETA nicht zustimmen. Und da das System der Schiedsgerichte enthalten ist, muss man dieses Abkommen ablehnen. Das hat aber immer beinhaltet – das steht in allen Anträgen, die wir gestellt haben –, dass es die Option zur Veränderung gibt. Deswegen die zweite Frage an Sie: Haben Sie eigentlich wahrgenommen, was wir hier diskutiert haben? Unser Antrag ist nämlich anlässlich des Handelns der Bundesregierung gestellt worden, deren Vertreter gesagt haben, dass sie das CETA-Abkommen nachverhandeln werden. Sie und Herr Hauptmann begründen in Ihren Reden die ganze Zeit nur, warum das CETA-Abkommen auf keinen Fall nachverhandelt werden dürfte. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: So ist es!) Daher frage ich Sie: Wie erklären Sie denn das Handeln Ihrer eigenen Bundesregierung, die Sie mit Ihren Stimmen tragen? Wie ist denn Ihre Position zu den Punkten, die man unserer Meinung nach nachverhandeln müsste? Oder haben Sie sich einmal an Herrn Gabriel gewandt und gesagt: „Bitte unterlasse deine Handlungen in Brüssel“? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Beyer, Sie haben die Möglichkeit, darauf zu erwidern. Peter Beyer (CDU/CSU): Das mache ich sehr gerne, Herr Präsident. – Vielen Dank, Frau Kollegin Dröge, für die an mich gerichteten Fragen. Ich werde mit der letzten Frage beginnen. Selbstverständlich stehen wir mit dem Bundeswirtschaftsminister im Dialog. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Was?) Bloß: Ich habe genauso wie der Kollege Hauptmann oder auch die anderen Mitglieder meiner Fraktion eine völlig andere Wahrnehmung. Sie betonen hier, es gäbe Widersprüche. Ich habe mir Ihren Antrag sehr wohl durchgelesen. Darin steht sehr viel von Widersprüchen – das kam auch vorhin in den Reden zum Ausdruck – und davon, dass das Bundeswirtschaftsministerium erklärt habe, man müsse bestimmte Dinge neu aufschnüren. Dabei war nicht die Rede davon, das Paket komplett neu zu verhandeln. Das ist auch richtig, sehr geehrte Frau Dröge. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen es verändern?) Das Bundeswirtschaftsministerium ist sich seiner Verantwortung bewusst. Man verschließt ja nicht die Augen vor der Realität. Niemand im Bundeswirtschaftsministerium, den ich kenne, sagt: Wir müssen das Verhandlungspaket komplett neu aufschnüren. – Dort hat man schließlich die Realität akzeptiert. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber der Bundeswirtschaftsminister sagt etwas anderes!) Dass bereits vor über einem Jahr die Verhandlungen abgeschlossen worden sind, müssen Sie einmal zur Kenntnis nehmen und auch die Tatsache, dass es im Rahmen der Rechtsförmlichkeitsprüfung, die als Legal Scrubbing bezeichnet wird, ein ganz normaler Vorgang ist, Dinge in der Feinjustierung zu verändern. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sind Schiedsgerichte Feinjustierung oder nicht?) Das ist etwas, was wir natürlich unterstützen. Die Chance zu nutzen, die darin besteht, vielleicht die eine oder andere Sache in unserem Sinne zu korrigieren, ist unterstützenswert und richtig. Aber ein komplettes Aufschnüren des Verhandlungspaketes ist dummes Zeug. Deswegen lehnen wir es ab. (Beifall bei der CDU/CSU – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und meine zweite Frage? – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sind Schiedsgerichte Feinjustierung oder nicht?) Vizepräsident Johannes Singhammer: Das Wort hat jetzt die Kollegin Bärbel Höhn für Bündnis 90/Die Grünen. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sehr gut! Zeig es Ihnen, Bärbel!) Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 10. Oktober dieses Jahres gab es eine sehr große Demonstration in Berlin. 250 000 Menschen – ich war dabei – haben gegen die Freihandelsabkommen CETA und TTIP demonstriert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wenn Sie hier von „Empörungsindustrie“ und von „Angstmacherei“ reden, (Peter Beyer [CDU/CSU]: Dann ist das die Wahrheit!) dann sage ich: Nehmen Sie die Sorgen der Menschen ernst! Das sollten gerade auch Sie in der Koalition tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Sie schüren die Ängste!) Warum haben diese Menschen Sorgen? Es geht hier um Punkte, die seit Jahren und Jahrzehnten in WTO-Verhandlungen nicht geklärt worden sind, zum Beispiel die Frage der Gentechnik. Das ist zwischen Europa und Nordamerika schon immer ein Riesenproblem gewesen. Natürlich hat Nordamerika mit seinem Gentechnikeinsatz immer gesagt: Eure Argumente gegen die Gentechnik sind doch nur ein Handelshemmnis. Ihr wollt eure Märkte für unsere Produkte einfach sperren. – Wir haben gesagt: Nein, wir haben einen vorsorgenden Verbraucherschutz. Das, was jetzt mit dem CETA-Abkommen passieren soll – der Text liegt ja vor –, ist, dass dieser Konflikt zulasten der Verbraucher und zugunsten der Gentechnik gelöst werden soll. Dagegen werden wir Widerstand leisten. Das nehmen wir so nicht hin. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wie wichtig dieses Thema ist, wissen Sie selbst. Herr Seehofer hat damals als Minister als Nachfolger von Frau Künast im November 2005 den Anbau von MON 810 genehmigt. Das war die erste kommerziell angebaute Gentechnikpflanze. Gegen diesen Anbau hat es so viel Widerstand gegeben, auch von den Bauern aus Bayern und auch von der Firma Hipp aus Bayern, dass Herr Seehofer später seine Nachfolgerin Frau Aigner angewiesen hat, den Anbau von MON 810 wieder zu verbieten. Wenn Sie dem CETA-Abkommen jetzt zustimmen, wird es die Möglichkeit, zukünftig den Anbau von Gentechnikpflanzen zu verbieten, nicht mehr geben, es sei denn, Sie sind bereit, massive Schadensersatzzahlungen zu leisten. Das, meine Damen und Herren, ist nicht das, was wir wollen. Deshalb: Stimmen Sie gegen das CETA-Abkommen in der jetzigen Form! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Dass bereits die Verhandlungen Standards absenken, sehen wir doch. Ein Beispiel dafür ist Honig aus Kanada. Der Europäische Gerichtshof hat erklärt: Dieser Honig muss besonders gekennzeichnet werden, weil das gentechnisch veränderte Material in den Pollen über dem Grenzwert liegt. – Was hat die EU gemacht? Weil sie die Verhandlungen mit Kanada nicht gefährden wollte, hat sie den Pollen als Bestandteil des Honigs deklariert, und damit war der Gentechnikanteil unter dem Grenzwert. Diese Beispiele könnte ich noch fortsetzen. Schon heute werden Standards aufgrund der Verhandlungen im Rahmen des CETA-Abkommens relativiert. Deshalb ist Ihr Versprechen, dass keine Standards abgesenkt werden, nur ein hohles Versprechen, das wir nicht glauben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Besser als hohle Reden!) Sie wissen doch, was im Vertrag steht: 75 000 Tonnen Schweinefleisch zollfrei, 50 000 Tonnen Rindfleisch zollfrei. Wo sind die Schweinepreise momentan? Im Keller! Wenn Sie das, was im Vertrag geregelt ist, eingedenk der Tatsache, dass die Kosten in Kanada um 40 Prozent geringer sind, zulassen, dann übt das einen so starken Druck auf unsere einheimischen Familienbetriebe aus, dass noch mehr aufgeben müssen. Was machen Sie eigentlich für eine Politik für die Bauern in diesem Land? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Letzter Punkt. Eine kanadische NGO hat eine Initiative gestartet, die eine Passage im Paris-Abkommen zum Ziel hat, wonach Schiedsgerichte in geschlossenen wie zukünftigen Freihandelsverträgen für den Pariser Klimavertrag nicht gelten dürfen, weil man sich sonst nicht in der Lage sieht, den Paris-Vertrag für Klimaschutz zu erfüllen. Das hat übrigens das Europaparlament mit einer Resolution unterstützt. So viel zu der momentanen Haltung in Kanada. Seit der Regierungsübernahme durch Herrn Trudeau zeichnet sich eine Veränderung ab. Er sieht diesen Vertrag in einem neuen Licht. Nehmen Sie die Möglichkeit wahr, endlich neu zu verhandeln, auch über Schiedsverfahren! Sie können doch nicht die Schiedsverfahren bei TTIP verändern wollen, während sich bei CETA nichts ändern soll. Dann würden 80 Prozent der Klagen von US-Firmen mit Niederlassungen in Kanada auf der Grundlage des CETA-Vertrages trotzdem hier erhoben werden. Lassen Sie uns also die Verträge nachverhandeln! Ich bin nicht bereit, dass der Preis für einheitliche Autoblinker die Gentechnik auf unserem Teller sein soll. Das werden wir nicht hinnehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Das Wort hat jetzt der Kollege Rainer Spiering für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Rainer Spiering (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf der Tribüne! Lassen Sie mich eine Vorbemerkung machen. Es mag sein, dass ich falsch liege, aber wenn ich das Verfahren einigermaßen richtig verstanden habe, dann hat man sich in Europa geeinigt, dass das Europäische Parlament für Europa die Verhandlungen führt. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Nein! Die Kommission!) – Richtig, die Kommission. Danke schön, Herr Ernst, für die Berichtigung. (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre aber einmal eine gute Idee!) Momentan liegt die Verhandlungsführung also bei der Europäischen Kommission. Es entspricht unseren europäischen Wertvorstellungen, das gemeinsam zu tun. Wenn ich es weiterhin richtig verstanden habe – die Aussagen in meiner Fraktion sind eindeutig –, dann handelt es sich um ein gemischtes Abkommen. Wenn es sich um ein solches Abkommen handelt – davon gehe ich aus –, dann wird es letztendlich zu einer endgültigen Entscheidung über CETA und TTIP in diesem Hohen Hause kommen; das ist so auch richtig. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Mit Ja und Nein!) – Richtig, mit Ja und Nein. – Von meinem Verständnis her – ich kann sicherlich falsch liegen – verhält es sich so: Entweder wir trauen Europa und dem Europäischen Parlament einschließlich aller Abgeordneten und Fraktionen – Frau Höhn, auch der Grünen – Kompetenz zu oder nicht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das ist für mich die entscheidende Frage: Trauen wir dem Europäischen Parlament zu, seine Souveränität für Europa auszuüben? (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist an den Verhandlungen nicht beteiligt!) Wenn nicht, dann ist das Ihre Entscheidung. Aber wir trauen es dem Europäischen Parlament zu. Wir trauen dem Europäischen Parlament und der Kommission auch zu, ordnungsgemäß zu verhandeln. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Spiering, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Ernst? (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Nein! Er hat schon genug geredet!) Rainer Spiering (SPD): Das müssen Sie schon mir überlassen. Jetzt erst recht! (Heiterkeit bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege Ernst hat damit das Wort. Klaus Ernst (DIE LINKE): Das macht Sie sehr sympathisch, Herr Spiering. – Ich will auf das Vertrauen eingehen. Glauben Sie denn, Kollege Spiering, dass es dem Präsidenten des Deutschen Bundestags an Vertrauen in die europäischen Institutionen mangelt? Rainer Spiering (SPD): Darum geht es nicht. Klaus Ernst (DIE LINKE): Doch, genau darum geht es. – Er fordert, dass bei den infragestehenden Handelsabkommen die Parlamente in der Form beteiligt werden müssen, dass sie Einfluss auf die Inhalte haben. (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Das hat er doch gesagt!) Rainer Spiering (SPD): Die nationalen Parlamente. Klaus Ernst (DIE LINKE): Richtig, die nationalen Parlamente. – Er hat ausdrücklich von unserem Parlament und nicht vom italienischen oder vom Europäischen Parlament gesprochen. Er fordert, dass die Parlamente Einfluss auf die Gestaltung der Verträge haben müssen. (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Nein!) Sie sollen nicht nur abwinken oder mit Ja oder Nein stimmen. Ich glaube, dem Präsidenten des Deutschen Bundestages mangelt es nicht an Vertrauen in die europäischen Institutionen. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Er hat es nicht verstanden!) – Was hat er nicht verstanden? Meinen Sie Herrn Spiering oder mich? (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sie haben es nicht verstanden!) – Ich verstehe zwar viel nicht. Aber Sie könnten einmal zuhören. Der Punkt ist: Wenn wir uns als Parlament nur auf die Vertrauensebene begeben, Herr Kollege Spiering, dann werden wir dem nicht gerecht, was die Bürger von uns erwarten. Die Bürger erwarten schon, dass auch dann, wenn es ein gemischtes Abkommen ist – Sie sagen, es solle eines sein; es war gestern bei Frau Malmström völlig unklar, ob es ein gemischtes Abkommen ist oder nicht; es ist selbst jetzt noch unklar, ob wir selbst bei der Endabstimmung überhaupt mitreden dürfen –, (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Keine zweite Rede!) wir über das Vertrauen hinaus einen Schritt machen, um unseren Einfluss als Parlament im Sinne unseres Bundestagspräsidenten geltend zu machen. Glauben Sie das nicht auch? (Beifall bei der LINKEN) Rainer Spiering (SPD): Herr Ernst, lassen Sie mich bescheiden antworten: Es steht mir nicht zu, den Bundestagspräsidenten zu interpretieren. Dafür fühle ich mich viel zu klein. Meine zweite Bemerkung betrifft das Grundverständnis – das will ich gerne noch einmal erklären – des Aufbaus der Europäischen Union. Daran kann man viel kritisieren. Ich mache mir viele Sorgen um Europa, ganz viele, aber so, wie Europa im Moment aufgebaut ist, müssen wir dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission erst einmal zubilligen, das zu tun, was ihnen obliegt. Das ist meine Auffassung dazu. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Ich will das gerne wiederholen: Ich gehe davon aus, dass meine Fraktion recht hat und wir ein gemischtes Abkommen haben. Die Fragen, die übrigens zu Recht von der Bevölkerung angesprochen werden, müssen beantwortet werden. Frau Höhn, ich nehme die 250 000 Menschen, die demonstriert haben, sehr ernst. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glaube ich!) Frau Höhn, ich nehme aber auch viele andere ernst, die im Lande im Moment Auffassungen vertreten, die ich nicht vertrete und die den Umgang mit Flüchtlingen betreffen. Auch die nehme ich ernst; denn man muss die Strömungen aufnehmen. Man kann sich nicht davor wegducken. Weil wir die Fragen und Bedenken ernst nehmen, beschäftigen wir uns intensiv damit. Es ist nicht so, dass wir die Kritikpunkte der Grünen nicht verstehen können. Selbstverständlich kann man diese verstehen. Ich halte Transparenz für das Wichtigste im politischen Umgang. Wir müssen klarmachen, worum es uns geht. Aber noch einmal: Der entscheidende Tag wird dann kommen, wenn wir hier im Bundestag mit Ja oder Nein abstimmen. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Dann können wir nicht mehr mitreden!) Lassen Sie mich abschließend noch etwas sagen, wozu ich noch gar nicht gekommen bin. Meine Aufgabe war es hier, die AG Landwirtschaft zu vertreten. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist gründlich misslungen!) Wir haben im Bereich der Landwirtschaft einen Sektor, die Landmaschinentechnologie, der extrem erfolgreich ist. Der ist allerdings zu 75 Prozent vom Export abhängig. Ich habe mir einmal die Zahlen von Kanada kommen lassen. Wir kommen fast nicht in diesen Markt hinein. (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: So ist es! – Zurufe von der LINKEN: Oh! – Gegenruf des Abg. Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Das kann man wirklich bedauern!) – Ich als Vertreter einer Industrienation bedaure das. – Wir haben ganz große Probleme, in diesen Markt zu kommen. Ich habe mir heute Morgen die Zahlen geben lassen. Es gibt einen Wahnsinnsmarkt, es werden da allein 26 000 Schlepper pro Jahr veräußert. Wir kommen da gar nicht vor. Wir haben aber eine unglaublich effiziente, auf Hightech basierende Landmaschinenindustrie. Ich würde mich zutiefst freuen, wenn die sehr gut bezahlten Arbeitsplätze in den Betrieben, die fast durchgängig der Mitbestimmung unterliegen, in Deutschland an Zahl zunehmen könnten, weil das unserer Mentalität entspricht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Herzlichen Dank fürs Zuhören. Vizepräsident Johannes Singhammer: Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der Kollege Dirk Wiese für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dirk Wiese (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Bernd Westphal hat schon angedeutet, dass ich mich auf zwei Punkte des Antrags der Grünen beschränken will. Einer davon betrifft den Bereich der regulatorischen Kooperation. Die angestrebte regulatorische Kooperation kann … dazu beitragen, die Entwicklung neuer Regulierungen besser zu koordinieren bzw. gemeinsam zu gestalten. … Die Entwicklung gemeinsamer transatlantischer Standards kann gute Rahmenbedingungen für Innovationen insbesondere auch im Bereich der nachhaltigen Zukunftstechnologien schaffen und damit die Innovationsfähigkeit der Unternehmen insgesamt steigern. Liebe Grüne, Sie dürfen klatschen, das ist aus dem Eckpunktepapier der baden-württembergischen Landesregierung. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das bringen Sie jedes Mal! Das kennen wir schon! – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist doch langweilig!) Liebe Grüne, Sie haben in Ihrem Antrag dargestellt und viele Punkte aufgeführt, warum Sie CETA in der derzeitigen Fassung nicht zustimmen. Ich muss Ihnen ehrlicherweise eines sagen: Ich war unter der Woche hier in Berlin auf Podiumsdiskussionen zu TTIP und CETA und habe Ihre baden-württembergische Staatsministerin Silke Krebs auf den Diskussionen explizit sagen gehört – der Kollege Beyer war selbst da gewesen und auch Klaus Müller von der Verbraucherzentrale Bundesverband –, dass sie die Position, die die Bundestagsfraktion einnimmt, nicht versteht und nicht teilt. Gleichzeitig aber sagt sie, sie würde CETA in der jetzigen Form zustimmen. Sie hingegen suggerieren den Bürgern, dass Sie sich an die Spitze einer Bewegung stellen, die versucht, CETA abzulehnen und zu verändern. Das ist aber unglaubwürdig, weil die baden-württembergische Landesregierung und auch andere Landesregierungen, in denen Sie Wirtschaftsminister stellen, dem letztendlich zustimmen wollen. Es ist unglaubwürdig, was Sie den Bürgerinnen und Bürgern suggerieren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) An dieser Stelle – jetzt bitte einmal zuhören – muss ich den Kollegen Klaus Ernst einmal loben. (Peter Beyer [CDU/CSU]: Was?) Der Kollege Klaus Ernst ist in der Sache wenigstens klar. Auch wenn wir uns bei CETA und TTIP nur auf Marktzugangskriterien einigen würden, auch wenn wir uns nur auf Zölle einigen würden, auch wenn wir die Schiedsgerichte komplett herausnehmen oder etwa die Implementierung der ILO-Kernarbeitsnormen durchsetzen würden: Sie würden es trotzdem ablehnen. Sie würden Nein zu TTIP und CETA sagen, egal welche Reformbestrebungen wir auf den Weg bringen. Das sollten Sie an der einen oder anderen Stelle ebenfalls ehrlich sagen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Noch ein letzter Punkt. Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, eine kleine Differenz besteht auch zwischen uns. Das muss man einmal sagen. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine kleine nur? – Zuruf von der CDU/CSU: Muss auch sein!) Sie sind für TTIP und CETA, egal was darin steht. Wir wollen wenigstens noch verhandeln. Das ist ein ganz kleiner Unterschied. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!) Wir wollen ein gutes, ein richtiges Abkommen. Dafür muss man erst einmal verhandeln. (Beifall bei der SPD) Frau Dröge, Sie haben am Anfang das Bundeswirtschaftsministerium angesprochen. Vizepräsident Johannes Singhammer: Kollege Wiese, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lenkert? Dirk Wiese (SPD): Ja, selbstverständlich. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich wollte vorhin schon die Kollegen fragen: Ist Ihnen der Fall Hamburg-Moorburg bekannt? Ausgangspunkt waren die vom Hamburger Senat ausgesprochenen Umweltauflagen. In einem internationalen Schiedsgerichtsverfahren mit den USA wurde ein Vergleich geschlossen, und die Umweltauflagen wurden zurückgenommen. Jetzt findet daraufhin ein Vertragsverletzungsverfahren durch die Europäische Kommission statt, weil bei den Umweltauflagen europäisches Recht nicht eingehalten worden ist. Die Umweltauflagen mussten aber aufgrund des Vergleiches im Schiedsgerichtsverfahren zurückgenommen werden. Meine Frage an Sie: Ist es klug, ein Abkommen abzuschließen, wonach sich am Ende die Hansestadt Hamburg entscheiden muss, ob sie an den Investor das im Schiedsgerichtsverfahren ausgehandelte Strafgeld oder an die EU-Kommission wegen Vertragsverletzung zahlt, weil man die EU-Norm nicht eingehalten hat? (Beifall bei der LINKEN – Hubertus Heil (Peine) [SPD]: Steilvorlage!) Dirk Wiese (SPD): Sehr geehrter Kollege Lenkert, ich danke Ihnen für die Frage, weil ich noch einmal die Gelegenheit habe, dies klarzustellen. Warum, meinen Sie, war Sigmar Gabriel in Madrid mit den Handelsministern der Europäischen Union unterwegs? Warum, meinen Sie, ist Bernd Lange in vorderster Front unterwegs mit einer Resolution, um Reformen im bestehenden ISDS-System auf den Weg zu bringen? Weil das alte ISDS-System – darum ist auch die Klage betreffend Hamburg-Moorburg auf den Weg gebracht worden, die Sie angesprochen haben – reformbedürftig ist. Dafür setzen wir uns ein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) Diese Reformen in den Verfahren, lieber Herr Klaus Ernst, erreicht man nur am Verhandlungstisch. Wenn man nicht am Verhandlungstisch sitzt, wird es noch mehr Fälle wie Hamburg-Moorburg geben. Sie tragen dazu bei, weil Sie es ablehnen und nicht mitgestalten wollen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Widerspruch des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])) Vizepräsident Johannes Singhammer: Die Kollegin Höhn möchte auch eine Zwischenfrage stellen, wobei ich meine, dass am Schluss der Debatte keine weiteren Zwischenfragen mehr gestellt werden sollten. Wir haben schon eine sehr lebendige Debatte gehabt. Sie haben das Wort. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Wiese, Sie haben gerade zu Recht gesagt, dass eine Reform der Schiedsgerichtsverfahren auch von den Sozialdemokraten deshalb angestrebt wird, weil die Passagen, die bei TTIP vorgesehen sind, auch aus Ihrer Sicht nicht befriedigend sind. Gleichzeitig gibt es aber im CETA-Vertragstext Passagen zu Schiedsgerichtsverfahren. Hier wird gesagt: Nur noch im Rahmen eines Legal Scrubbing wird etwas geändert. Wird die SPD-Fraktion einem CETA-Vertragstext zustimmen, wo diese Schiedsgerichtsverfahren noch enthalten sind und damit US-Firmen über ihre Dependancen in Kanada weiterhin die Schiedsgerichtsverfahren gegen Deutschland anstrengen können? (Beifall bei der LINKEN – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das ist eine ganz entscheidende Frage!) Dirk Wiese (SPD): Ich komme gerne darauf zu sprechen. Einmal bitte ich Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass auch in den reformierten ISDS-Verfahren, sowohl das Abkommen mit Singapur als auch das CETA-Abkommen betreffend, die klassische Klagemöglichkeit von Briefkastenfirmen (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich nicht gesagt!) – lassen Sie mich aussprechen –, die in allen vorherigen Abkommen stand, herausgenommen worden ist. Das ist die erste Feststellung. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU -Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Davon habe ich nicht gesprochen!) Den zweiten Punkt, den Sie ansprechen, kann ich aus Sicht der Opposition voll und ganz verstehen. Sie möchten gerne wissen, ob am heutigen Tag feststeht, ob wir Ja oder Nein sagen. Ich kann das nachvollziehen. Das ist Ihr gutes Recht. Nur: Die neue kanadische Regierung hat vor einer Woche die Arbeit aufgenommen. Wir waren gestern zu Gesprächen in Brüssel. Auch wir haben mit den Kolleginnen und Kollegen des Europäischen Parlaments gesprochen. Ich bin guter Dinge, dass wir in dem sich noch bis Ostern 2016 hinziehenden sogenannten Legal-Scrubbing-Verfahren – Frau Dröge, ich teile Ihnen den Zeitplan gern mit; schließlich haben Sie vorhin gesagt, Sie wüssten davon nichts – noch zu punktuellen Veränderungen kommen. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Und wenn nicht? – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es verschiebt sich immer mehr!) Die EU-Kommissarin Malmström hat uns gestern in einem Gespräch gesagt – Frau Dröge, vielleicht tauschen Sie sich einmal mit dem Kollegen Janecek aus, wenn er von einer Reise zurückgekommen ist –, dass sie Kontakt mit der neuen kanadischen Handelsministerin aufnimmt, um klarzustellen, dass im Legal-Scrubbing-Verfahren noch Möglichkeiten bestehen, an der einen oder anderen Stelle Feinjustierungen, Änderungen vorzunehmen. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: An der einen oder anderen Stelle? – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Die Frage war eine andere!) Ich bitte Sie an diesem Punkt einfach einmal um etwas Geduld; denn hier wird sich zeigen, dass die SPD sowohl im Europäischen Parlament als auch über das Bundeswirtschaftsministerium an jeder Stelle versuchen wird, da noch etwas zustande zu bringen. Das ist Politikgestalten, und da machen Sie nicht mit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie lenken ab! – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Wenn’s nicht gelingt, stimmt ihr dann zu oder nicht? – Hubertus Heil (Peine) [SPD]: Ja, wenn die Welt untergeht, sehen wir weiter!) Ich will noch auf einen Punkt eingehen: Sie fordern in Ihrem Antrag die Bundesregierung auf, dass die weiteren Kooperationsvereinbarungen im Regelungsbereich so zu gestalten sind, dass daraus keine Verlagerung von Kompetenzen in den Exekutivbereich erwächst. Ich kann Ihnen eins sagen – das steht im vorläufigen CETA-Vertragsentwurf; er ist übrigens öffentlich; man kann ihn einsehen; Herr Kollege Ernst, ich lade Sie herzlich ein, in mein Büro zu kommen; da liegt dieser Entwurf auf dem Schreibtisch –: Keine Kompetenzen werden in den Exekutivbereich verschoben, da die Kompetenzverteilung im Vertragsentwurfstext gar nicht geregelt wird. CETA verweist vielmehr darauf, dass Entscheidungen erst dann wirksam werden, wenn die Vertragsparteien im Einklang mit ihrem jeweiligen internen Verfahren zugestimmt haben. Darum ist die Behauptung, die Sie in Ihrem Antrag aufstellen, schlichtweg falsch. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist falsch!) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/6201 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall; es gibt keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 30 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Industrie 4.0 und Smart Services – Wirtschafts-, arbeits-, bildungs- und forschungspolitische Maßnahmen für die Digitalisierung und intelligente Vernetzung von Produktions- und Wertschöpfungsketten Drucksache 18/6643 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist auch dieses so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Bundesministerin Professor Dr. Johanna Wanka. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Industrie 4.0 wissen Sie, wer sich diesen Begriff überlegt hat, woher dieses Wort kommt? (Hubertus Heil (Peine) [SPD]: Acatech!) – Nicht acatech. – Vielmehr kommt dieser Begriff aus dem BMBF. Der erste Versuch, diesen Begriff zu etablieren, wurde am 1. April 2011 – es war aber kein Aprilscherz; das Ganze hat ja funktioniert – von Wahlster, Lukas und Kagermann unternommen. Dieser Begriff hat sich durchgesetzt. Ich finde ihn immer noch wunderbar. „4.0“, das heißt, dieser Begriff hat etwas mit Digitalisierung zu tun und einer vierten industriellen Revolution. Das klingt sehr viel besser als „Internet der Dinge“ oder anderes. Außerdem freut sich Herr Singhammer darüber, dass es ein deutsches Wort ist, das sich international auch wirklich durchsetzt. Es wird von Chinesen und anderen verwendet. An diesen Fakt wollte ich noch einmal erinnern. Ich möchte darauf verweisen, dass unsere Hightech-Strategie „Industrie 4.0“ schon in der letzten Legislaturperiode als Zukunftsprojekt verfolgt hat. Ich freue mich, dass wir heute in der Situation sind, dass auch die anderen Ressorts an diesem Punkt ganz entscheidend mitziehen. Wir sind gemeinsam der Meinung: Das ist eine Riesenchance für Deutschland. Warum bedeutet „Industrie 4.0“ für uns so eine große Chance? Ich will zwei Fakten nennen: Zum einen geht es um Industrie und um eine industrielle Revolution. Viele Länder, zum Beispiel Großbritannien und die USA, haben seit Jahren deindustrialisiert, Deutschland nicht. Wir haben also einen viel höheren Industrialisierungsgrad. Wenn man Industrie entwickeln will, braucht man eine entsprechende industrielle Basis. Die anderen Länder versuchen jetzt, da aufzuholen. Der zweite Punkt. Wir sind in Deutschland weltspitze – ich hoffe, dass keiner nachher das Gegenteil behauptet; denn das würde nur Unkenntnis zeigen –, wenn es um Embedded Systems, um Robotik und Sensorik mit der dazugehörigen Software geht. Wir exportieren mehr Software, als wir importieren. Ich möchte zum Vergleich folgende Zahlen nennen: In China kommen auf 10 000 Industriearbeitsplätze 14 Roboter. In Deutschland kommen auf 10 000 Industriearbeitsplätze 286 Roboter. Das heißt, wir haben da einen Vorsprung. Aber auf einem Vorsprung sollte man sich nicht ausruhen, sondern man muss etwas daraus machen. Die Ausgangsposition ist jedenfalls klasse. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir haben – „wir“ heißt an der Stelle: der Wirtschaftsminister und ich – in diesem Jahr anlässlich der letzen Hannover Messe die Plattform Industrie 4.0 etabliert. So etwas schaffen wir in Deutschland, wo Wirtschaft, Wissenschaft und gesellschaftliche Kräfte zusammensitzen und über diese Dinge beraten. So wird eine Andockstelle geschaffen. Es ist also nicht so, dass gesagt wird: Die Wirtschaft soll sich von allein entwickeln, und außerdem sind wir schon gut. Es wird vielmehr überlegt, wie man die neuen Entwicklungen vonseiten der Politik, aber auch vonseiten der Wissenschaft flankieren kann. Man könnte ständig darüber reden, dass es die größte Plattform ihrer Art weltweit ist und dass dort viele Partner beteiligt sind. Das stimmt zwar alles; aber das Einzige, was uns interessiert, ist: Was liefert diese Plattform? In der nächsten Woche werden wir auf dem IT-Gipfel 200 Beispiele präsentieren, die zeigen, wo Industrie 4.0 in Deutschland schon realisiert wurde. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hubertus Heil (Peine) [SPD]) Was noch spannender ist, ist die Tatsache, dass wir auf der nächsten Hannover Messe Entwicklungsszenarien der nächsten Jahre für Industrie 4.0 präsentieren wollen. Die Umsetzung von Industrie 4.0 ist für die Großindustrie in Deutschland kein Problem. Was diese größten Player auf der Hannover Messe ausstellen, ist spitze und wird im Internet weltweit sofort angeklickt. Ganz entscheidend für Deutschland ist aber, dass der Mittelstand, die KMUs, mitziehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) In diesem Zusammenhang möchte ich drei Punkte herausgreifen: Erster Punkt. Die KMUs stehen bei uns im Fokus, wenn es um Industrie 4.0 geht. Wir haben dafür entsprechende Programme entwickelt. Im Programm „Industrie 4.0 auf dem Hallenboden“ geht es ganz konkret darum, wie die Wirtschaftlichkeit von Industrie  4.0 durch kleine Unternehmen beurteilt werden kann und welche Einführungsstrategien man anwenden kann. Dazu gehört nicht so sehr das Herstellen von Handreichungen, sondern es geht um das Erstellen von Musterbeispielen auf der Grundlage von einfachen Szenarien. Der Mittelstand wird durch diese Programme an Industrie 4.0 herangeführt und entsprechend motiviert. Ich freue mich, dass wir jetzt die Situation haben – anders als im letzten Jahr –, dass 70 Prozent der KMUs glauben, dass durch die mit Industrie 4.0 verbundene Effizienzsteigerung ein großer Vorteil für ihre Betriebe entstehen kann. Das Wirtschaftsministerium will nächstes Jahr die fünf angekündigten Demonstrationszentren einrichten. Das ist eine gute Anlaufstelle für den Mittelstand. Dazu brauchen wir aber die Ergebnisse aus diesen Programmen. Wir müssen eine Antwort auf die Frage geben, wie man Investitionsentscheidungen trifft. Da müssen wir etwas vorzuweisen haben. Wir wollen – diese Neuerung haben wir angekurbelt –, dass man auch testen kann; ein Mittelständler soll seine Idee testen können. Aber vonseiten unseres Ressorts werden keine Testzentren eingerichtet. Denn in der Forschung, auch bei Großunternehmen in Deutschland gibt es Testmöglichkeiten, und wir geben dem Mittelstand über ein Förderprogramm das dazu notwendige Geld. Die Mittelständler können selbst entscheiden, wo sie ihre Idee austesten wollen. Wir werden nächste Woche bekannt geben, wo es Koordinierungsstellen gibt, in denen man sich beraten lassen kann. Ich denke, dies ist eine ganz wesentliche Maßnahme, um den Mittelstand mitzunehmen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Zweiter Punkt. Ohne entsprechende Sicherheit – da brauchen wir uns gar nicht katholisch zu machen – ist es nicht möglich, Industrie 4.0 zu realisieren. Ich bin sehr stolz darauf, dass wir die Idee des Industrial Data Space, die von Fraunhofer kam, durchgekämpft haben. Da gab es viele Gegner etc.; das können Sie in der Presse noch einmal nachlesen. Jetzt ist es Standard. (Beifall bei der CDU/CSU) Jetzt haben wir dazu bei der Plattform Industrie 4.0 organisatorisch alle zusammen – es sind alle Großen dabei; es ist der Mittelstand dabei –, sodass es umgesetzt wird; Stichwort „MoU“. Wir geben im Moment Geld, um die Entwicklung der Softwarebausteine zu befördern. Thema IT-Sicherheit. Die drei Kompetenzzentren für IT-Sicherheit haben wir vier Jahre finanziert und dann evaluiert. Bei einer solchen Evaluation kann auch einer rausfallen. Das Ergebnis aber ist: Exzellent! Super! – So ist die internationale Einschätzung. Deshalb erhöhen wir jetzt die Summe für die nächsten vier Jahre. Wir gehen auf 40 Millionen Euro. Diese Summe werden wir dort hineinstecken. Dann gibt es Kontinuität. Ich nenne auch das große Programm „Referenzprojekt für IT-Sicherheit in Industrie 4.0“, das im Juli gestartet ist, und, und, und. Der dritte Punkt. Allen ist klar, dass Industrie 4.0 nur funktionieren kann, wenn die Mitarbeiter mitziehen oder mitgezogen werden. Das heißt, es gibt Veränderungen in der Arbeitsorganisation, in der Arbeitsmotivation, bei dem, was man können muss. Das muss jetzt in Deutschland entsprechend umgesetzt werden, und das ist nicht einfach. Wir behandeln dieses Thema im Ministerium in unterschiedlichsten Programmen, schon seit Jahren. Ich hoffe, ich höre nachher nicht das Märchen, das ich schon mehrfach gehört habe, nämlich dass wir erst jetzt, nach all der Technologie, anfangen, uns um diese Punkte zu kümmern. Das ist einfach Quatsch. Das kann man belegen. Das kann man zeigen. Ich habe noch vor der Bundestagswahl Verhandlungen mit den Sozialpartnern gehabt, also mit den Gewerkschaften, mit den Arbeitgeberverbänden. Deswegen haben wir jetzt die Möglichkeit, gemeinsam ein großes Programm zu etablieren, bei dem es um die Arbeitswelt von morgen geht, bei dem von Vornherein die Interessen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer mit verankert sind – mit richtig vielen 100 Millionen. Aber es geht nicht darum, dass man nur Forschung macht; Forschung muss immer an die konkrete Wirtschaft gebunden sein. Deswegen wird es keine abstrakten Forschungsprojekte geben, sondern sie werden anwendungsbezogen sein, immer in Verbindung mit einem Betrieb, einem kleinen, einem mittelgroßen, je nachdem. Wir haben die Initiative Berufsbildung 4.0 zur Berufsfeldentwicklung gestartet – mit den Kammern, mit dem BIBB. Die Berufsfelder müssen geändert werden. Die Digitalisierung muss sich in den Curricula wiederfinden. Wir werden hier hoffentlich beschließen, was gestern in der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses nicht strittig war: An die überbetrieblichen Ausbildungszentren des Handwerks geben wir 14 Millionen Euro im nächsten Jahr; das soll sich steigern bis auf 20 Millionen Euro. Das ist für die Hardware an der Stelle. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, es wird in Deutschland immer gesagt: Guckt bei Industrie 4.0 auf die Amerikaner! Was die alles können! – Unsere großen Wirtschaftschefs, ob nun Denner oder Veit, sind dagewesen. Sie sagen unisono – sie sagen das jetzt auch vor versammelter Mannschaft, auf großer Bühne –: Da ist viel heiße Luft. Wir sind richtig gut. – Dieses Selbstbewusstsein wünsche ich uns bei diesem Thema; denn Marketing gehört auch dazu. Wir haben es oft ein bisschen vergeigt oder nicht geschafft. Ich denke, mit Industrie 4.0 sind wir, auch was das Marketing anbetrifft, gut gewesen. Und jetzt wollen wir handeln. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Herbert Behrens von der Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Herbert Behrens (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht um Industrie 4.0, eine Produktionsweise, die heute in den Betrieben schon teilweise vorhanden ist – wir haben es gerade gehört –, aber in der Zukunft noch wesentlich größere Dimensionen erreichen wird. Darum hätte ich bei diesem umfassenden und umfangreichen Antrag der Koalitionsfraktionen erwartet, dass sie Antworten auf die neuen Herausforderungen geben, (Hubertus Heil (Peine) [SPD]: Wo sind denn Ihre Anträge?) dass sie klarmachen, an was es eigentlich fehlt, nachdem im Bundestag seit zwei Jahren über Industrie 4.0 diskutiert wird. Diese Antworten bleiben sie schuldig. Diesen Anforderungen werden sie nicht gerecht. Sie haben keine Antwort auf die Frage gegeben: Wie müssen eigentlich die Schwerpunkte gesetzt werden? Es ist eine Ansammlung, teilweise ein Sammelsurium von verschiedenen Maßnahmen, die es in der Vergangenheit gegeben hat und die es auch künftig noch geben soll. Sie haben nicht gleich zu Anfang festgestellt: Es bedarf eines schnellen Internets auf Glasfaserbasis. – Sie haben wiederholt: Es kann so weiterlaufen wie bisher. Die Industrie hat ja zugesagt, zu investieren. Sie wollen sozusagen technologieneutral – das ist ja das besondere Wort, das Sie verwenden – agieren. Nein, es bedarf eines flächendeckenden Glasfaserausbaus, um wirklich das umzusetzen, was wir mit Industrie 4.0 verbinden. (Beifall bei der LINKEN – Hubertus Heil (Peine) [SPD]: Steht aber drin!) Industrie 4.0 ist aber auch nicht nur Wirtschaftspolitik. Frau Ministerin Wanka hat ja – allerdings erst unter Punkt 3 – darauf hingewiesen, dass es eben auch darauf ankommt, dass wir es mit real existierenden Belegschaften zu tun haben, die heute und morgen damit konfrontiert sein werden, wie sich ihre Arbeit verändert und auf was sie sich einstellen müssen. Auch dazu gibt es deutliche Leerstellen in diesem Antrag. Sie haben keine Ansagen zu Ihrer Position bzw. klaren Schwerpunktsetzung in Bezug auf die Beschäftigten gemacht. (Hubertus Heil (Peine) [SPD]: Doch!) Die Linke stellt die heutigen und künftigen Belegschaften ins Zentrum von Industrie 4.0 und ordnet dem alles unter, was wir dort zu erwarten haben. Wir machen Vorschläge, wie wir die Produktivitätsgewinne, die zu erwarten sind, verteilen wollen, um den Fortschritt der Produktion auch zu einem gesellschaftlichen Fortschritt zu machen. Die Gewinne sollen nicht allein den Kapitalgebern zukommen, auch die Belegschaften sollen etwas davon haben. (Beifall bei der LINKEN) Konkret heißt das: Wenn in der Zukunft weniger Beschäftigte mehr günstiger und schneller produzieren können, dann dürfen die Gewinne eben nicht einseitig verteilt werden. Wir müssen beispielsweise die kürzeren Produktionszeiten – bedingt durch die produktivere Art und Weise, mit der wir produzieren – in kürzere Arbeitszeiten umsetzen, (Beifall bei der LINKEN) um Arbeitsbedingungen zu schaffen, die mehr Zeit für ehrenamtliche Tätigkeit und Familie mit sich bringen. Kolleginnen und Kollegen, Sie haben keine Antworten auf die teilweise anmaßenden Forderungen gegeben, die seitens der Industrieverbände an Sie herangetragen worden sind. Das wäre ein Signal gewesen. Sie wären frei gewesen, die Bundesregierung in Ihrem Antrag dazu aufzufordern, eindeutig zu der Frage Stellung zu nehmen: Was halten Sie davon, wenn die Industrie den Ausbau von Werkverträgen verlangt und wenn sie fordert, dass die Leiharbeit nicht abgeschafft werden soll? Und sogar der Achtstundentag soll infrage gestellt werden. Es gibt keine kommentierenden Hinweise oder Abgrenzungen gegenüber diesen absurden Forderungen. Arbeit im 21. Jahrhundert darf nicht zu Arbeitsbedingungen des 19. Jahrhunderts stattfinden! (Beifall bei der LINKEN) Belegschaften, Betriebsräte und Gewerkschaften haben in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten viel Erfahrung mit der Umstellung von Produktionsweisen bzw. ganzer Produktionszweige gemacht. Sie haben Erfahrungen darüber gesammelt, wie Belegschaften darauf reagieren, wie Kolleginnen und Kollegen mit den technologischen Veränderungen umgehen und wie diese einbezogen werden oder eben auch nicht einbezogen werden. Und sie haben sehen müssen, dass es zusätzliche Belastungen gab und dass es zu Qualifikationsverlusten gekommen ist, was einseitig auf die Schultern der Kolleginnen und Kollegen abgewälzt worden ist. Das hat seinen Grund darin, dass die bisherige Mitbestimmung, die es in den Betrieben gibt, diesen neuen Herausforderungen noch nicht gerecht geworden ist. Darum sagen die Linke, aber auch die Gewerkschaften in ihren Vorschlägen, wie sich Mitbestimmung verändern muss, um diesen Herausforderungen gerecht zu werden: Wir brauchen a) eine Ausweitung der Beteiligung bei Unternehmensentscheidungen, b) zwingend Mitbestimmung bei allen personellen Maßnahmen einschließlich Outsourcing, Leiharbeit und Werkverträgen, und wir brauchen c) Gestaltungsmöglichkeiten von Betriebsräten über die Betriebsgrenze hinaus, wenn es zu Kooperationen kommt. Wenn es dazu kommt, dass Betriebe eng kooperieren, darf die Mitbestimmung nicht an den Betriebsgrenzen Halt machen. Das alles macht ein anderes Betriebsverfassungsgesetz möglich. Die Linke fordert mehr Mitbestimmung und Beteiligung; denn nur mit mehr Demokratie im Betrieb wird es auch zu einem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt kommen können. (Beifall bei der LINKEN) Unsere Aufgabe als Politiker ist es, die Rahmenbedingungen zu setzen. Wir können – das ist klar – nicht jeden einzelnen kleinen Schritt vorgeben. Darum gehört noch viel Forschungsarbeit auf diesem Feld dazu. Ministerin Wanka hat recht, wenn sie sagt: Wir fangen nicht erst heute an. Es gibt bereits aus den Jahren des technologischen Umbruchs bzw. der Digitalisierung in der Produktion weitreichende Forschungsergebnisse. Damals hieß die Überschrift dazu „Leben und Arbeiten in der Informationsgesellschaft“. Wir brauchen Forschung darüber, wie Belegschaften mit diesem Veränderungsprozess umgehen. Wir müssen ihnen Sicherheit geben, damit sie wissen, auf was sie sich – qualifikatorisch, aber auch im Hinblick auf die Veränderung des Betriebes – vorbereiten müssen. Deshalb fordern wir, dass die Forschungen, die hier in dem Antrag noch einmal explizit genannt worden sind, auch wirklich ernst genommen werden. Wir brauchen keine weiteren Forschungsergebnisse, die in den Bibliotheken der Universitäten verschwinden oder verstauben. Diese Forschungsergebnisse müssen in die politischen, aber auch in die unternehmerischen Entscheidungen einfließen, sonst machen sie keinen Sinn. (Beifall bei der LINKEN) Ich kritisiere an Ihrem Antrag, dass Sie, wie vorhin schon gesagt, keine eindeutigen Hinweise darauf geben, wie Sie zu den Forderungen stehen, die beispielsweise von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände oder vom Bundesverband der Deutschen Industrie kommen. Ich lese nichts von Widerspruch zu der anmaßenden Forderung, Unternehmensgründer mit Sonderrechten auszustatten, keine gesetzlichen Beschränkungen beim mobilen Arbeiten zuzulassen oder das Verbot der Sonntags- und Feiertagsarbeit aufzuweichen. Dazu haben Sie Stellung zu nehmen, damit wir Sicherheit in den Umbau der Industrie bekommen. Ohne diese Sicherheit, insbesondere auch für die Beschäftigten, wird es keinen vernünftigen Einstieg in die Industrie 4.0 geben können. (Beifall bei der LINKEN) Es besteht die Gefahr, dass Belegschaften zur Restgröße von industriellen Veränderungsprozessen werden. Sie haben keine Antworten auf die Frage, wie sich möglicherweise die Lebensqualität der Belegschaften verändert, wenn es zur Entgrenzung von Arbeitszeiten kommt, sei es, dass sie zu Hause arbeiten müssen oder sollen, sei es, dass sie just in time in den Produktionsprozess integriert werden. Ohne diese Antworten werden wir aber die Industrie 4.0 nicht gestalten können. (Hubertus Heil (Peine) [SPD]: Stellen Sie mal einen Antrag! Wäre mal schön!) Von daher ist es erforderlich, dass wir zu den Forderungen der Wirtschaftsverbände eindeutig Position beziehen, die aus den Möglichkeiten, die ihnen die neuen Technologien bieten, einseitig ihren Profit heraussaugen wollen. Die Linke sagt: Ja, wir wollen einen technologischen Fortschritt, der den Menschen dient. Wir wollen die Möglichkeiten nutzen für gute Arbeit, für gute Löhne, für eine umweltverträglichere Produktion und für Entwicklungsmöglichkeiten in den Ländern des globalen Südens. (Beifall bei der LINKEN) Das sind die wirklichen Herausforderungen der Digitalisierung von Wirtschaft und Arbeit. Ihr Denken ist von gestern und lässt es nicht zu, dass wir wirklich die Probleme von morgen lösen können. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Hubertus Heil von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hubertus Heil (Peine) (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was verstehen wir eigentlich unter der Chiffre Industrie 4.0? Ich glaube, wir müssen es immer wieder erklären, weil wir als Parlament nicht die Aufgabe haben, in Fachtermini zu sprechen, sondern die Aufgabe haben, uns mitzuteilen. Es geht dabei um die intelligente und internetbasierte Vernetzung von industrieller Produktion, und zwar auf allen Stufen der Wertschöpfung. Es geht nach den industriellen Revolutionen der letzten 150 Jahre – nach Dampfmaschine, Fließband und Robotik – tatsächlich um einen neuen Sprung. Warum wird sich das Ganze ökonomisch überhaupt als Frage stellen? Weil es natürlich technologiegetriebene, riesige Produktivitätsfortschritte verspricht, wenn wir uns auf diesen Weg machen. Es wäre hinsichtlich der ökonomischen Entwicklung dieses Landes eine Katastrophe, wenn wir diesen Weg nicht konsequent gehen würden. Deshalb, Herr Kollege, ist beides richtig. Wir müssen aus diesem technologischen und ökonomischen Fortschritt sozialen Fortschritt machen, ohne Zweifel. Wir müssen auch dafür sorgen, dass die Produktivität gerecht verteilt wird. Aber erst einmal müssen wir für einen Produktivitätssprung sorgen. Es muss etwas erwirtschaftet werden, und es muss gerecht verteilt werden. Das sind für uns Sozialdemokraten keine Gegensätze, sondern wechselseitige Bedingungen. (Beifall bei der SPD) Frau Ministerin Wanka, bei allem in Ihrer Rede, was ich unterstreiche, muss ich sagen: Ich finde, diese Chiffre Industrie 4.0 hat sich zwar in den letzten zwei Jahren durchgesetzt. Trotzdem müssen wir ein bisschen aufpassen, dass sich auch Teile der Wirtschaft darunter versammeln und damit identifizieren können, die sich manchmal nicht im klassischen Sinne mit dem Begriff „Industrie“ anfreunden. Die großen Industriebetriebe unseres Landes, ob nun Bosch oder Siemens, und auch größere Teile der Automobilindustrie, haben sich längst auf diesen Weg gemacht. Es gibt auch eine Reihe von großen Hidden Champions, wie sie immer genannt werden, im produzierenden Mittelstand unserer Marktwirtschaft, die sich auf diesen Weg gemacht haben: Unternehmen wie Festo, KUKA, TRUMPF und WITTENSTEIN. Aber die Tatsache, dass in den letzten zwei Jahren vor allen Dingen immer diese sechs Beispiele genannt werden, zeigt auch, dass wir noch viel Aufholbedarf haben. Wir müssen dafür sorgen, dass sich gerade mittelständische Unternehmen auf diesen Weg machen und machen können und dass sie nicht abgehängt werden. Da bin ich mir nicht sicher, ob diese Chiffre Industrie 4.0 immer ganz hilfreich ist, weil viele dieser Unternehmen sich nicht im klassischen Sinne als große Industrieunternehmen begreifen, sondern als produzierender Mittelstand. Deshalb wäre es eigentlich wichtiger, insgesamt über eine Wirtschaft 4.0 zu sprechen. Wie auch immer der Begriff lautet – es geht um ganz konkrete Handlungsfelder. Meine Damen und Herren, wir beschreiben im vorliegenden Antrag nicht nur, was die Bundesregierung macht – sie ist in vielen Bereichen auf einem guten Weg –, sondern bündeln es in einer Strategie. Herr Kollege Behrens von den Linken, Sie beklagen sich darüber, dass wir darin so viele Themen ansprechen. Das liegt einfach daran, dass wir vom Ressortdenken und von der Vorstellung einzelner Säulen Abstand nehmen, wenn wir dieses Thema angehen; denn dann wäre es keine Strategie. Wir müssen vernetzt denken, wenn wir in diesem Bereich zu Fortschritten kommen wollen. Wir verstehen – erstens – die digitale Infrastruktur als Grundlage. Sie ist die Grundlage dafür, dass wir uns auf den Weg zur Industrie 4.0 machen können. Ohne sie wäre es eine abstrakte und akademische Debatte. Hier hat Deutschland tatsächlich einen Nachholbedarf, auch im internationalen Vergleich. Wir schreiben in unserem Antrag übrigens, dass wir uns in diesem Zusammenhang mit dem Zwischenziel einer Übertragungsgeschwindigkeit von 50 Mbit pro Sekunde im Jahr 2018 nicht zufriedengeben können, dass wir größere Bandbreiten brauchen. Sie haben die Glasfaser angesprochen. Im Antrag steht explizit, dass wir insbesondere auf die Glasfasertechnologie setzen, um diese Bandbreiten in Deutschland zu erreichen. Zweitens geht es uns um Forschung zur Industrie 4.0. In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, dass der Haushaltsausschuss gestern beschlossen hat, Ihrem Ministerium, Frau Wanka, 6 Millionen Euro zusätzlich für die IT-Sicherheitsforschung beim Fraunhofer-Institut zur Verfügung zu stellen. Ich finde, das ist ein guter Schritt, eine gute Unterstützung auf diesem Weg. Wir müssen in diesem Bereich vor allen Dingen anwendungsorientiert forschen, im Interesse einer Durchdringung auch für den Mittelstand. Drittens. Es geht um Aus- und Weiterbildung, die an die Erfordernisse der Industrie 4.0 angepasst werden müssen. Es geht um neue Berufsbilder. Es geht darum, dass wir mehr moderne Berufsbilder brauchen. Das geht nur im Dialog zwischen den Sozialpartnern, beispielsweise in der Frage, dass wir in vielen mittelständischen Unternehmen im Maschinenbau zukünftig mehr Mechatroniker brauchen. Da geht es konkret um Fachkräftesicherung in diesem Bereich. Viertens. Es geht um Arbeit 4.0. Ich will sagen: Das, was Sie eingefordert haben, nämlich Studien durchzuführen, wurde im Bundesarbeitsministerium schon längst auf den Weg gebracht. Zudem hat Frau Wanka zusätzliches Geld für die Arbeitsforschung erhalten. Das hat der DGB ausdrücklich begrüßt. Wir wollen in diesem Prozess nicht nur dafür sorgen, dass die betriebliche Mitbestimmung nicht unter die Räder kommt, sondern im Antrag steht ausdrücklich: Wir wollen die betriebliche Mitbestimmung weiterentwickeln, und zwar in zweierlei Hinsicht. Das ist wichtig, um diesen Prozess hinzubekommen. Denn gegen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können und wollen wir uns nicht auf den Weg machen. Es ist gut, dass wir dafür sorgen, dass aus dem technischen Fortschritt kein Fortschritt für wenige wird, sondern Fortschritt für möglichst viele Menschen. Wir können das Konzept der Industrie 4.0, wenn wir den Rahmen richtig gestalten, zum Beispiel nutzen, um die Humanisierung der Arbeitswelt voranzubringen. Das macht Andrea Nahles mit dem Grünbuch Arbeit 4.0 und dem Prozess auf dem Weg zum Weißbuch Arbeit 4.0 deutlich. Das ist ein wesentlicher Teil der Strategie. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Fünftens – ich bin sehr dankbar, dass sich die Koalitionsfraktionen da einig waren – haben wir uns klar dazu bekannt, dass wir uns nicht nur im Bestand unserer Wirtschaft – die großen und mittelständischen Unternehmen – auf den Weg machen müssen, sondern wir viel mehr junge, dynamische, wachsende Start-ups und Unternehmen in diesem Land brauchen und wir sehr konkret etwas für sie tun müssen. Beispielsweise müssen wir dafür sorgen, dass mehr Wagniskapital zur Verfügung steht, um das Wachstum junger, vor allen Dingen digitaler Unternehmen zu unterstützen. Wir brauchen das Wagniskapital als Ausrüstung in dieser Entwicklung. Da geht es nicht nur darum, den Bundesfinanzminister davon abzuhalten, die Rahmenbedingungen zu verschlechtern – Stichwort „Streubesitz“ –, sondern auch darum, etwas dafür zu tun, dass die Bedingungen besser werden. (Beifall bei Abgeordneten der SDP sowie des Abg. Albert Rupprecht [CDU/CSU]) Das hat die Kanzlerin auf dem IT-Gipfel zugesagt. Dabei ging es beispielsweise um Verlustvorträge, die bei Anteilseignerwechsel vorzunehmen sind. Wir brauchen, meine Damen und Herren, ein Wagniskapitalgesetz. (Beifall des Abg. Dirk Wiese [SPD]) Das steht im Koalitionsvertrag, und die Koalitionsfraktionen sind miteinander der Meinung, dass es Aufgabe der von uns getragenen Regierung ist, entsprechende Gesetzesvorschläge zu machen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Es geht um IT-Sicherheit und Datenschutz, es geht um Normen und Rechtsrahmen, es geht um Technologietransfer und Wissenstransfer. Aber im Kern, meine Damen und Herren, geht es um Folgendes: Wir sind in der Situation, dass wir eine gute industrielle Basis haben. Die Ministerin hat es beschrieben: 22 Prozent der deutschlandweiten Wertschöpfung entfallen auf die Industrie. Wir haben die Plattform Industrie 4.0, die Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel auf den Weg gebracht hat. Damit bringen wir alle Akteure an einen Tisch. Auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung wirkt daran mit. Ich finde, das ist eine gute Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Gewerkschaften. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Na ja! Das ist nicht die richtige Beschreibung gewesen! Hauptakteur ist das BMBF!) Wir müssen uns schleunigst auf den Weg machen. Andere schlafen nicht. Es gibt in Teilen der Welt Unternehmen, die besser sind als unsere in Deutschland, wenn es darum geht, aus Daten Geschäftsmodelle zu entwickeln. Wir wollen uns auf diesen Weg machen, und dieser Antrag zeigt: Wir machen uns auf den Weg. Das ist eine gute Nachricht. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Dieter Janecek von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Dr. Wanka! Sehr geehrter Herr Heil, dieser Antrag liest sich so: Wenn sich zwei Ministerien nicht einigen können, schreibt man alles zusammen; am Ende hatten Sie ein fertiges Stück, aber eine klare Strategie für die Industrie 4.0 haben Sie nun wirklich nicht formuliert. Das ist ein Grund – ich nenne Ihnen gleich noch andere –, warum wir diesen Antrag ablehnen werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gabriele Katzmarek [SPD]: Ehrlich?) Auch ich komme ein bisschen rum in der Welt. Frau Dr. Wanka, wenn Sie zu den Amerikanern, den Chinesen oder den Afrikanern gehen und ihnen von Industrie 4.0 erzählen, dann sagen die Ihnen nicht: Mit dem Begriff können wir etwas anfangen; da hat Deutschland ebenso wie bei der Energiewende Maßstäbe gesetzt. – Das ist eine ehrliche Analyse; das muss man erst einmal festhalten. Ich glaube, dass diese Analyse zutreffend ist. Mit diesem Begriff suggerieren Sie und die Bundesregierung zusammen mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie zwar, dass wir jetzt aufholen wollen, dass wir Hardware und Software endlich zusammenbringen wollen. Aber das Problem ist, dass die gesamten Rahmenbedingungen des Internets in diesem Antrag überhaupt nicht thematisiert werden. Das ist ein großes Problem. Sie können viele Forschungsprojekte auflegen und viel über Automatisierung reden; aber Sie müssen auch über die Entscheidungen sprechen, die Sie zum Beispiel im Europäischen Parlament treffen. Dort hat nämlich jeweils nur ein Abgeordneter Ihrer Fraktionen für die Netzneutralität gestimmt. Wenn das so weitergeht, werden wir schlechte Rahmenbedingungen für den Mittelstand und für die Industrie bekommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Diese Themen gehören zu einer Gesamtstrategie. Das freie Internet ist in Gefahr. Wir haben im Zusammenhang mit Industrie 4.0 auch über Innovationen durch Offenheit zu sprechen: Open Access, freie Schnittstellen, Wettbewerbsrecht. Wo sind die Vorschläge dazu? (Hubertus Heil (Peine) [SPD]: Wo sind denn Ihre Vorschläge?) Wir haben Probleme mit der Plattformisierung der Wirtschaft. Es ist ja gut, wenn sich die Industrie automatisiert; aber wenn sich die gesamte Struktur der Wirtschaft gleichzeitig so verändert – Herr Heil hat das immerhin angesprochen; ich finde es richtig, dass er gesagt hat, dass das Thema eigentlich „Wirtschaft 4.0“ heißen muss –, dass immer mehr digitale Plattformen entstehen, die ein Andocken anderer Plattformen ermöglichen, wir bzw. unsere Industrie diese Plattformen aber nicht baut, dann ist das ein grundlegendes Problem. Dann verlieren wir international auch Marktanteile. Dieser Prozess findet gerade statt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will ein positives Beispiel nennen. Deutsche Automobilhersteller haben gesagt: Okay, wir haben es verpennt; aber wir kaufen jetzt Nokia Maps, bauen uns eine eigene Map und machen da etwas. – Über diese großen Rahmenlinien haben Sie nicht gesprochen. Darüber müssen wir aber reden. Das muss unsere Richtung sein. Ein freies Internet schafft Wettbewerb. Dieser Wettbewerb muss fair sein, und die Bedingungen für diesen Wettbewerb müssen wir in Europa selbst schaffen. Wir müssen nicht – da gebe ich Ihnen recht – in Sack und Asche gehen, weder unsere Industrie noch unsere Forschungslandschaft; denn wir können das. Aber wir haben das in der Vergangenheit nicht wirklich gut gemacht. Wir müssen das besser machen. Wir müssen den Rahmen setzen. Nächstes Beispiel: Europäische Datenschutz-Grundverordnung. Auch diesbezüglich ist Deutschland kein Player, der das Ganze so entwickelt, dass Sicherheit zu einem Wettbewerbsvorteil wird. Sicherheit wird, wenn wir das nicht ordentlich machen, zu einem Wettbewerbsnachteil. Der Rahmen muss stimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Rahmen stimmt aber nicht, und solange dieser Rahmen nicht stimmt, werden wir auch mit der Industrie 4.0 – das ist ein sogenanntes Buzzword – nicht reüssieren. Wir müssen uns auch einmal fragen: Was sind denn die Themen, die wir nach vorne stellen wollen? Automatisierungsprozesse finden in der Industrie vom Stahlwerk bis zur Gießerei – auch ich komme rum – seit 20 Jahren statt. Das ist für die Industrie nichts Neues. Es ist richtig, dass dadurch Produktivitätspotenziale erschlossen werden, vielleicht auch ökologische Potenziale. Auch darüber sollten wir reden. Wir sollten fragen: Wie können wir die Mobilität anders lenken? Wie können wir zum Beispiel dafür sorgen, dass sich der Besitz von Automobilen öfter geteilt wird und nicht mehr jeder eins besitzen muss? Das kann Vorteile für Städte und Kommunen haben. Da kann viel getan werden. Aber diese Fragen müssen in den Vordergrund gestellt werden. Es reicht nicht, auf ich weiß nicht wie vielen Seiten zahlreiche Spiegelstriche zu setzen. Das ist schön und gut. Ich erkenne auch an, dass etwas passiert. Am Ende muss man aber eine Richtung definieren: Wo wollen wir mit dieser Wirtschaft 4.0 hin? Wo wollen wir mit der Digitalisierung hin? Wie wollen wir fairen Wettbewerb schaffen? Wie wollen wir ökologische Rahmenbedingungen schaffen, die für Ressourcenschonung sorgen? Das alles müssen wir zusammenbringen, wir müssen etwas für den Mittelstand tun und die Rechtssetzung in Europa im Sinne unserer Unternehmen gestalten. Wir dürfen uns nicht danach richten, was das Silicon Valley macht, sondern müssen selbstbewusst vorangehen. Wenn wir das schaffen, dann haben wir wirklich etwas gewonnen. Weil Sie das in Ihrem Antrag nicht formuliert haben, werden wir heute nicht zustimmen, nicht, weil wir den Antrag prinzipiell ablehnen – er enthält viele interessante Maßnahmen, das Grünbuch „Arbeiten 4.0“ und anderes, womit wenigstens eine Analyse in Angriff genommen wird –, aber die Ziele stimmen noch nicht. Der Rahmen muss gesetzt werden; die Rechtssetzung muss stimmen; der Wettbewerb muss stimmen. Das alles ist in dem Antrag nicht enthalten. Deswegen werden wir diesen Antrag ablehnen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Axel Knoerig von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Axel Knoerig (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin, Frau Professor Wanka! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, wir stellen fest, dass die Digitalisierung einen riesigen Absatzmarkt erzeugt hat, der unserer Wirtschaft weltweit neue Chancen bietet. Die Globalisierung und auch die mittlerweile über 130 Handelsabkommen – dieses Thema haben wir in der vorherigen Debatte besprochen – tragen dazu bei, dass wir uns neue Zukunftsmärkte erschließen. Dabei sind hohe Wachstumsraten zu erwarten. Allein durch Industrie 4.0, durch das digitalisierte Arbeiten und Wirtschaften, erwarten wir ein zusätzliches Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent. Diese Wertschöpfung wird sich vor allem in den Branchen Informations- und Kommunikationstechnologie, Maschinen-, Anlagen- und Automobilbau vollziehen; hier wird es zu immensen Steigerungen kommen. Und dass die Arbeitslosigkeit derzeit auf dem niedrigsten Stand seit 1991 ist, ist vor allem dem entschlossenen Handeln der Unternehmer und ihrer Fachkräfte zu verdanken. (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist völlig richtig, dass wir die Debatte nicht allein auf Technik und auf Industriepolitik beschränken dürfen – das hat die Ministerin richtigerweise ausgeführt –; vielmehr müssen wir die Entwicklung auch mit sozialen und kulturellen Veränderungen verbinden. Unter dem Stichwort „Arbeit 4.0“ – es ist schon angesprochen worden – beschäftigen wir uns mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt. Das Konzept der sozialen Marktwirtschaft hat sich immer wichtigen gesellschaftlichen Veränderungen angepasst. In den 80er-Jahren entstand ein neues Verhältnis zwischen Wirtschaft und Ökologie, jetzt verändert die Digitalisierung das Verhältnis zwischen Technik und Arbeit. Dabei müssen wir eine Frage besonders in den Vordergrund stellen: Was prägt die digitale soziale Marktwirtschaft? Als Erstes ist zu nennen: Seitdem die Digitalisierung auf den Finanzmärkten greift, haben sich die Börsenbewegungen verändert. Wir haben Krisen erlebt. Deswegen ist es wichtig, die Finanzmärkte im Hinblick auf das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht intensiv zu beobachten. Wir stellen zweitens fest, dass die Wertschöpfung unserer Wirtschaft immer mehr über das Internet und die Daten als solche bestimmt wird. Deshalb nimmt die staatliche Regulierung in der Netzpolitik einen immer höheren Stellenwert für unsere Volkswirtschaft ein. Dazu gehören unter anderem die Preisregulierung, das Urheberrecht, der Verbraucherschutz und die Datensicherheit. Der dritte Punkt ist besonders wichtig im Hinblick auf den Schutz von Unternehmen, Patenten und Informationsrechten vor Cyberkriminalität; denn es kann nicht sein, dass in unserer Volkswirtschaft jährlich ein Schaden von über 50 Milliarden Euro angerichtet wird. Marktorientierte Wirtschaftspolitik und staatlich finanzierte Arbeitspolitik stehen seit jeher in einem Spannungsverhältnis. Der digitale Wandel richtet dieses neu aus. Was wir angesichts dieser massiven Veränderungen brauchen, ist eine neue Kooperation von Wirtschaft und Arbeit. Dabei müssen wir unseren Blick vor allem auf die Unternehmenskultur richten; denn der digitale Wandel findet innerhalb der Unternehmen statt. Deswegen fordern wir ein Umdenken auf beiden Seiten: Arbeitnehmer müssen unternehmensorientierter denken, und Unternehmen müssen Mitarbeiterinteressen mehr berücksichtigen. Mit einem neuen Label möchte ich die wichtigste Strategie für Wirtschaft und Arbeit auf den Punkt bringen: Jetzt ist ein „Neues Digitales Management“ gefragt. Dieses „Neue Digitale Management“ muss vor allem ganzheitlich ausgerichtet sein. Das bedeutet für die Unternehmen, dass erstens die leitenden Aufgaben mehr delegiert werden müssen, dass Hierarchien abgebaut und dezentrale Strukturen, Netzwerke und Mobilität aufgebaut werden müssen. Zweitens. Auch effizientes Personalmanagement gehört zur eigenen Fachkräftesicherung dazu. In meinem Wahlkreis Diepholz–Nienburg erlebe ich immer wieder, dass Unternehmer spezielle Personalmanager einstellen, um betriebsintern das ganze Spektrum der beruflichen Aus, Fort- und Weiterbildung gut abzudecken und um darüber hinaus neue Arbeitskräfte zu akquirieren. Der dritte Punkt ist entscheidend: Arbeitnehmer sollten durch Mitbestimmung und Teilhabe in die Verantwortung und somit in das unternehmerische Handeln eingebunden werden. Diese digitalen Prozesse schaffen vor allem eine neue Art der Transparenz in den Unternehmen. Der VW-Skandal ist ein gutes Beispiel. Denn ich meine, dass dieser insbesondere in der Firmenkultur begründet ist. Die digitalen Medien, die neuen Arbeits- und Geschäftsprozesse bieten einen Neubeginn, eine Chance, dass mithilfe dieser digitalen Geschäftsprozesse die Unternehmenskultur transparent ausgestaltet werden kann. Wir brauchen natürlich – das ist auch angesprochen worden – leistungsfähige Infrastrukturen. Dazu gehören EU-weite Serverlandschaften und ein schnelles Internet jenseits von 100 Mbit/s. Wir wollen vor allem in Europa keine Konzentration von Diensten und keine Kartellbildung im digitalen Markt – Google ist hierfür ein Beispiel –, wie das entsprechend untersucht wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Stattdessen brauchen wir im digitalen Binnenmarkt günstige Investitionsbedingungen vor allem für kleine und mittelständische Unternehmen und eine Sicherheitsarchitektur für das Internet, die von europäischer Souveränität geprägt ist. Deswegen muss die Politik an dieser Stelle die regulatorischen Vorgaben europäisch begründen und globale Standards setzen. Abschließend möchte ich mit Blick zu den Kollegen von den Grünen sagen: Wir gehen progressiv an die Wirtschaft heran (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) und gestalten neue Geschäftsmodelle. Wir verteufeln es nicht, dass man, zum Beispiel im Bereich der Medizin, über die Ländergrenzen hinweg zu neuen Diensten kommt, zu Spezialdiensten, die über das Internet laufen. Deswegen kann man das eine wie auch das andere, die Netzneutralität und die Spezialdienste, zu einem guten Trend miteinander verbinden. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Ganz herzlichen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, bisher hat bis auf Ministerin Wanka jeder Redner, jede Rednerin die Redezeit überzogen. Ich habe einfach die Bitte, dass Sie auf das Warnsignal, das Sie erhalten, achten. Wir haben bereits jetzt eine Überziehung von einer Stunde. (Hubertus Heil (Peine) [SPD]: Das lag an der Debatte vorher!) Das wird ein wenig schwierig für einen Teil der Kollegen werden. Das werden wir nicht aufholen – diese Illusion habe ich nicht –, aber wir sollten versuchen, es nicht noch weiter zu vergrößern. Deshalb meine Bitte. Jetzt hat Kai Gehring als nächster Redner das Wort. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Schade, dass dieser Appell jetzt den letzten Oppositionsredner in dieser Debatte trifft. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Er trifft alle. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Damen und Herren! Mit den Schlagworten „Industrie 4.0“ und „Smart Services“ verbinden sich ganz klar epochale internetbasierte Veränderungen. Deswegen brauchen wir freies Internet für alle statt ein Zweiklasseninternet, und deshalb kann ich nur sagen: Finger weg von der Netzneutralität. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Gabriele Katzmarek [SPD] – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Wir gehen da gar nicht ran!) In der Industrie 4.0 liegen Chancen für Innovation, Chancen für eine humanere Gestaltung der Arbeitswelt und effizienteren Ressourceneinsatz, Chancen, die wir nutzen müssen und die wir auch dringend politisch gemeinsam gestalten müssen. Bei dem Antrag der Koalitionsfraktionen teilen wir sicherlich die Beschreibung, dass wirtschafts-, arbeits-, bildungs- und forschungspolitische Maßnahmen zur Förderung der Digitalisierung notwendig sind, übrigens auch Datenschutz und -sicherheit. Aber Sie stellen den lernenden, den forschenden und arbeitenden Menschen nicht in den Mittelpunkt Ihres Antrags. (Hubertus Heil (Peine) [SPD]: Doch!) Das ist die große Schwäche. Was heißt denn Digitalisierung im Klassenzimmer für Schüler, Lehrer und Eltern? Wie kommen gute Ideen vom Forschungscampus oder dem Reallabor in den Alltag für alle? Wie müssen die neuen zeitpolitischen Arrangements in der digitalisierten Arbeitswelt aussehen? Welche neuen Innovationen und auch welche neuen sozialen Fragen verbinden sich damit? Da muss deutlich weitergedacht und dann etwas gemacht werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auf 15 langen Seiten listen Sie viele schöne Programmnamen und insgesamt 75 Bullet Points mit Selbstbeauftragungen auf. (Hubertus Heil (Peine) [SPD]: Ja, für Maßnahmen!) Dafür haben Sie auf jeden Fall ein Fleißkärtchen verdient. Dennoch bleibt das Bild blass, wie Sie denn die vierte industrielle Revolution kreativ, menschlich und ökologisch ausrichten wollen. Ihre Auflistung ist ein Sammelsurium. Jedes Ministerium wurschtelt vor sich hin. Industrie 4.0 braucht dringend eine konsistente Gesamtstrategie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Herbert Behrens [DIE LINKE] – Hubertus Heil (Peine) [SPD]: Das ist immer schön! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an Abg. Hubertus Heil (Peine) [SPD] gewandt: Da kannst du doch mitklatschen!) – Ja, dann klatschen Sie doch mit. – Zur Breitbandinfrastruktur schreiben Sie, dass das die Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Etablierung von Industrie 4.0 ist. (Hubertus Heil (Peine) [SPD]: Das ist eine Binsenweisheit!) Ich sage Ihnen: Butter bei die Fische. Da gibt es seit Jahren kein ordentliches Vorankommen. Wenn die Basis fehlt, muss man sich um den Innovationsstandort wirklich Sorgen machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie sehen leider keinen Reformbedarf bei Ihrer völlig technologiefixierten Hightech-Strategie. In Ihrem Antrag sind ja zig Punkte zur Hightech-Strategie enthalten; es ist erstaunlich, dass die Ministerin gar nichts dazu gesagt hat. Zugleich loben Sie Programme zur sozialen Implementierung und zur Arbeitsforschung über den grünen Klee. Stattdessen sollten Sie technologische und soziale Innovationen von vornherein zusammendenken und diesen interdisziplinären Ansatz auf die gesamte Hightech-Strategie übertragen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hubertus Heil (Peine) [SPD]: Das machen wir!) Wenn Sie so versäult an die Sache herangehen, dann kann das keinen neuen Gründergeist, den wir so dringend brauchen, entfachen. Allein der Begriff „Industrie 4.0“ würde mich als neuen Gründer oder Inhaber eines kleinen oder mittelständischen Unternehmens nicht ansprechen. Insofern: Schön, dass Sie sich ihn ausgedacht haben. Aber offensichtlich zündet er gerade bei denen, die „small and beautiful“ sein wollen, die Gründerinnen und Gründer der Zukunft sein wollen, nicht. Wer neue Herausforderungen für Beschäftigte anspricht, der darf zu neuen Arbeitszeitmodellen nicht schweigen und Aus- und Weiterbildung nicht vernachlässigen, liebe Koalition. Wir müssen Ihre hehren Worte hier an den Taten und ganz klar auch an Haushaltszahlen messen. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Genau das machen wir!) Da zeigt sich: Die Unterfinanzierung bei den Berufsschulen bleibt bestehen. Auch die Barriere Kooperationsverbot für die digitale Bildung bleibt. Modelle für neue, vollzeitnahe Teilzeitbeschäftigung bleiben Sie uns schuldig. Sie schweigen zu den Schutzstandards für Beschäftigte. Auch auf Impulse für eine echte Weiterbildungskultur, ob analog oder digital, warten wir vergebens. In diesem Antrag attestieren Sie Geringqualifizierten ganz klar ein „erhöhtes Arbeitsplatzrisiko“ in der Arbeitswelt 4.0. Ein Rezept dagegen formulieren Sie aber nicht. Das muss sich dringend ändern. Industrie 4.0 gelingt nur mit Bildung 4.0. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Simone Raatz [SPD]) Wir müssen die Barrieren einreißen: zwischen beruflicher und akademischer Bildung, zwischen Wirtschaft und Wissenschaft. Gute Beispiele für Wissens- und Technologietransfer muss man bundesweit übertragen. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Genau das machen wir! Bitte lesen!) Hier sollte der Staat auch einen besseren Rahmen setzen, vor allem bei Ausgründungen aus Hochschulen und Forschungseinrichtungen und für Start-ups. Die Formulierung in Ihrem Antrag, dass hier „konkrete Fördermaßnahmen … wichtige Impulse liefern“ könnten, offenbart Ihre Ideenlosigkeit. Übrigens: Auch die Forderung, jetzt die Forschungs- und Entwicklungsausgaben zu erhöhen, ist dringend noch einmal anzusprechen; denn von der Erreichung des 3,5-Prozent-Ziels, das auch Ihre regierungseigene Kommission formuliert hat, sind wir weit entfernt. Das muss gesamtstaatlich geschafft werden, aber eben auch mit der Wirtschaft zusammen. Deshalb: Kommen Sie endlich in die Hufe, und bringen Sie eine steuerliche Forschungsförderung für kleine und mittlere Unternehmen auf den Weg! Das ist dringend notwendig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Weil in Ihrem ganzen Antrag Anspruch und Wirklichkeit so extrem weit auseinanderklaffen, können wir ihm leider nicht zustimmen. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Das ist wieder die Standardrede! Da war nichts zu „Industrie 4.0“ dabei! Alles ganz allgemein!) Ich sage – gerade Ihnen, Herr Rupprecht –: Haben Sie doch Mut zu Strukturreformen, statt 75 Forderungen an sich selber zu formulieren! Da geben Sie sich ja fast selbst auf. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Kai Gehring bringt immer dieselbe Rede! Egal zu welchem Thema – immer dieselbe Rede!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Gabriele Katzmarek von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gabriele Katzmarek (SPD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue mich, dass wir das Thema „Industrie 4.0“ heute hier diskutieren können. Was mich nur etwas erstaunt – das will ich gleich zu Beginn sagen –, ist das, was die Opposition vorgetragen hat. Herr Behrens, Sie haben beispielsweise davon gesprochen, dass wir in unserem Antrag nichts zu den Forderungen der Arbeitgeber sagen. Wir haben halt ein anderes Politikverständnis; das will ich Ihnen schon einmal sagen. Es geht nicht darum, dass wir Anträge einbringen, in denen wir uns mit Forderungen von Arbeitgebern oder sonstigen Gruppierungen, die irgendwo zu lesen sind, auseinandersetzen, sondern unser Verständnis ist, diesen Prozess im Interesse der Menschen in diesem Land zu gestalten. Deshalb haben wir entsprechende Forderungen in unseren Antrag aufgenommen und auch Maßnahmen aufgeschrieben. Uns geht es um die Frage: Wie sieht unsere Zukunft aus? Denn wir wollen Zukunft gestalten und nicht nur hier stehen und sagen, warum wir gegen etwas sind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Herbert Behrens [DIE LINKE]) – Dazu haben wir auch etwas geschrieben. Lesen Sie noch einmal die Seite 8. Ich komme gleich aber noch einmal darauf. Nach der Debatte können wir die Absätze gerne noch einmal – dieses Angebot mache ich Ihnen – gemeinsam durchgehen. Dazu bleibt hier jetzt aber keine Zeit. Ich will auch noch eines zu der anderen Oppositionsfraktion, zu Ihnen von den Grünen, sagen: Ich fand es sehr spannend, dass Sie, Herr Janecek, auf der einen Seite gesagt haben: „Darin sind zu viele Punkte aneinandergereiht; es ist ein ganzes Maßnahmenbündel“, während Sie sich gemeinsam mit Herrn Gehring gleichzeitig darüber beklagt haben, was alles nicht enthalten ist. Natürlich fehlt in diesem Antrag noch etwas; denn wir reden über einen Prozess. (Beifall des Abg. Hubertus Heil (Peine) [SPD]) Er ist heute nicht abgeschlossen und beendet, sondern er muss permanent weiterentwickelt werden. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb die Sofortabstimmung!) Von daher hätte ich mich sehr gefreut, wenn Sie das, was Ihrer Meinung nach im Augenblick sehr wichtig ist und in diesem Antrag noch fehlt, durch Änderungswünsche hinzugefügt hätten. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn der Antrag mittwochs kommt und Sie eine Sofortabstimmung wollen, geht das nicht!) Auch Ihre Aussage, der Mensch stehe nicht im Mittelpunkt, stimmt nicht. Wenn Sie genauer lesen, dann werden Sie sehen, dass dem ein ganz großes Kapitel gewidmet ist. Wir übernehmen politische Verantwortung; denn es ist unsere Aufgabe, in diesem Prozess dafür Sorge zu tragen – Hubertus Heil hat das bereits gesagt –, dass die Menschen nicht unter die Räder kommen. Durch die Fragen, die wir aufwerfen, aber auch durch die Maßnahmen, die wir formulieren, übernehmen wir die Verantwortung für den sozialen Fortschritt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die SPD-Fraktion hat sich recht früh und intensiv mit dem politischen Handlungsbedarf bei Industrie 4.0 beschäftigt. In einem breit angelegten Dialog mit Gewerkschaften, Unternehmen, der Wissenschaft und Verbänden wurden die Fragen der digitalen Transformation diskutiert. Im Juni haben wir ein Positionspapier vorgelegt, das den Blick ausführlich und ganzheitlich auf die Herausforderungen, Ziele und Maßnahmen richtet. Vieles davon ist in den heute vorliegenden Antrag eingeflossen. Meine Vorredner haben einen Teil davon schon benannt. Insbesondere auf einen Punkt will ich noch einmal eingehen, weil er in der Diskussion auch bei der Opposition eine besondere Rolle spielte: Neben der Aus- und Weiterbildung, bei der es explizit um Arbeitnehmerfragen geht, zum Beispiel: „Wie sind die Arbeitnehmer für die Zukunft gerüstet, um diesen Wandel meistern zu können?“, haben wir auch einiges andere mit aufgenommen, beispielsweise das Thema Arbeit 4.0, und zwar in der Form, wie Andrea Nahles es ja auch schon in ihrem Grünbuch angesprochen hat. Andrea Nahles mit ihrem Ministerium hat ja zu Recht dieses Thema oben auf die Agenda gesetzt. (Beifall bei der SPD) Ich habe gerade gesagt, Sie sollten einmal die Seite 8 des Antrags aufschlagen. Dort finden Sie etwas zu den Fragen, wie Beschäftigte mitgenommen werden und was für Beschäftigte passieren muss. Die Antwort darauf haben wir dort aufgenommen, indem wir klar formuliert haben, dass die betriebliche Mitbestimmung gestärkt werden muss, dass wir dem Missbrauch von Werkverträgen wirksam entgegentreten und dass wir es nicht zulassen werden, dass technische Möglichkeiten dazu genutzt werden, Arbeitnehmerrechte – ein Stichwort ist zum Beispiel „Arbeitnehmerdatenschutz“ – einzuschränken, und das beschließen wir heute. Ich habe gerade etwas zur politischen Verantwortung gesagt. Mit diesem Antrag und mit unserer Positionierung dazu übernehmen wir politische Verantwortung. Wir stellen uns nicht nur hin und sagen: „Es könnte alles viel, viel mehr sein; es reicht uns nicht“, sondern wir kümmern uns um die Menschen in diesem Land, und wir achten darauf, dass die Menschen in diesem Land nicht unter die Räder kommen. Wir werden – und das ist sozialdemokratische Wirtschaftspolitik – nicht nur bewahrend tätig sein, sondern die Chancen nutzen, die Zukunft im Interesse der Menschen und der Arbeitsplätze für die Menschen zu gestalten. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Aber es nicht bei Absichtserklärungen belassen!) Unser Antrag ist ein wichtiger Beitrag dazu, den wir heute leisten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Dr. Wolfgang Stefinger von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Wolfgang Stefinger (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Frau Ministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Digitalisierung verändert alle Lebensbereiche – das haben wir schon gehört –: Gesellschaft, Staat, Wirtschaft. Alle sind gleichermaßen davon betroffen. Die neuen Technologien verändern die Kommunikation, die Interaktion zwischen Menschen, zwischen Mensch und Maschine, zwischen Maschinen. Produktion und Internet verschmelzen zu cyberphysischen Systemen. Die Veränderungen sind so immens, dass manch einer von der „digitalen Revolution“ spricht. Die Digitalisierung eröffnet neue Möglichkeiten, sie bietet Chancen, nicht nur im persönlichen Bereich – das erleben wir täglich, wenn wir unsere Smartphones in der Hand halten und neue Angebote für irgendwelche Apps bekommen –, sondern auch im betrieblichen Bereich entstehen neue Möglichkeiten, neue Wege der Produktion und Dienstleistung. Die Fertigungsprozesse werden flexibler, effizienter, individueller und nachhaltiger. Neue Geschäftsmodelle entstehen, neue Arbeitsformen und Tätigkeitsfelder eröffnen sich. Die Maschinen können über das Internet gesteuert werden, sie kommunizieren selbstständig miteinander. Produkte werden über Chips mit Maschinen vernetzt sein. Die gesamte Wertschöpfungskette bis zum Kunden – alles automatisch, alles digital. Science-Fiction wird Realität, werden Sie sich vielleicht denken. Wir möchten diese Realität mitgestalten. Industrie 4.0 ist für Deutschland von herausragender Bedeutung. Wir möchten, dass Deutschland Leitanbieter auf diesem Gebiet ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das klare Ziel der Koalition ist: Deutschland soll digitales Wachstumsland Nummer eins in Europa werden. Hierfür hat Deutschland die besten Voraussetzungen; Frau Ministerin hat bereits darauf hingewiesen. Im Übrigen: Herzlichen Dank, dass Sie heute selber zu diesem Thema gesprochen haben. Das unterstreicht noch einmal den Stellenwert dieses Themas im Bundesbildungsministerium. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie haben es bereits angesprochen: Wir haben Spitzenpositionen im Maschinen- und Anlagenbau, in der Automobilindustrie, in der Elektrotechnik, in der Chemie und zunehmend auch bei der IT-Sicherheit, wenn ich nur an unsere drei Kompetenzzentren denke, die bereits mit Preisen ausgezeichnet wurden. Wir haben hervorragende Fachkräfte, einen starken Mittelstand. Deutschland ist – und auch deswegen ist das Thema für uns besonders wichtig – international führender Fabrikausrüster. Die geschaffene Plattform Industrie 4.0 ist im internationalen Vergleich eines der größten Netzwerke im Bereich Industrie 4.0. Und hier muss ich Sie, lieber Herr Kollege Heil, korrigieren. Das BMBF wirkt hier nicht nur mit, (Hubertus Heil (Peine) [SPD]: Doch, gemeinsam!) sondern wir sind Taktgeber in diesem Bereich (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) und machen das gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium. (Beifall bei der CDU/CSU – Hubertus Heil (Peine) [SPD]: Wichtig ist, dass es klappt!) – Ich gebe Ihnen recht: Es ist wichtig, dass es klappt. Deswegen ist es auch wichtig, dass die Ministerien in dem Bereich vertrauensvoll zusammenarbeiten. (Hubertus Heil (Peine) [SPD]: Wie immer!) Ich möchte eine weitere Stärke herausstellen, nämlich Wissenschaft und Forschung, die weltweit ein hohes Ansehen genießen. Sie leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit. Was bislang im Bereich Industrie 4.0 geleistet wurde, vor allem vonseiten des Bundesbildungsministeriums, des Zukunftsministeriums, ist beachtlich. Wir haben in unserem Antrag mehr als 30 Fördermaßnahmen aufgelistet: Grundlagenforschung, Arbeitsforschung, Sicherheit, Spitzencluster, Mittelstandsförderung, um nur einige wenige zu nennen. (Beifall bei der CDU/CSU) Auch wenn ich mir die Haushaltszahlen anschaue, meine sehr geehrten Damen und Herren, dann stelle ich fest, dass im Haushalt des Bundesbildungsministeriums die höchste Summe für den Bereich Industrie 4.0 eingestellt ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Das ist Schwerpunktsetzung!) Alles automatisch, alles digital! Wo bleibt der Mensch? Diese Frage kam schon. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu Recht!) Haben wir Menschen in der Zukunft leere Fabriken? Nein, das werden wir nicht haben. Der Mensch wird auch weiterhin gebraucht, nur eben anders. Deshalb ist im Antrag ein Schwerpunkt auf Bildung, Weiterbildung und Forschung gelegt. Natürlich bedeutet Industrie 4.0 eine Veränderung der Arbeitsabläufe, der Tätigkeitsbeschreibung, der Arbeitsplatzgestaltung. Deswegen sind Qualifizierungsmaßnahmen nötig, Ausbildungsinhalte sind anzupassen. Hochschulen und Berufsschulen müssen sich auf Veränderungen einstellen; denn die Vermittlung von IT-Kompetenz muss in Zukunft einen noch höheren Stellenwert einnehmen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Auch Geringqualifizierte und An- und Ungelernte müssen natürlich mitgenommen werden. Das haben wir im Antrag entsprechend formuliert. (Gabriele Katzmarek [SPD]: Genau!) Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Rahmen des Förderprogramms „Innovationen für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen“ ist in diesem Bereich bereits vieles angestoßen. Ich darf noch einmal die Summe nennen: Wir sind hier bei 1 Milliarde Euro, die das Bundesbildungsministerium bis 2020 hierfür vorgesehen hat. Unsere Betriebe, unsere Produktion und unser gesellschaftliches Miteinander verändern sich durch die fortschreitende Digitalisierung. Wir setzen auf die Chancen der Digitalisierung für Industrie, für Unternehmen und für die Gesellschaft. Wir wollen den Wandel gestalten und stärken hierfür Bildung, Forschung und Innovationen – anwendungsbezogen, mit Unternehmen, mit dem Handwerk. „Deutschland hat die Chance, das bessere Silicon Valley zu werden“, sagte Christoph Keese nach seinem USA-Aufenthalt 2014. Ich sage Ihnen: Nach meiner USA-Reise kann ich Ihnen bestätigen, dass er recht hat. Deswegen bitte ich Sie: Lassen Sie uns diese Chance gemeinsam nutzen! Wir sind überzeugt: Deutschland kann das. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deutschland schafft das, aber die Regierung nicht! – Gegenruf des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU]: Ihr schafft uns!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Dr. Simone Raatz von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Dr. Simone Raatz (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der aktuelle Monitoring-Report „Wirtschaft DIGITAL“, den das BMWi in Auftrag gegeben hat, zeigt, dass Deutschland im Zehn-Länder-Vergleich auf Platz sechs zurückgefallen ist. Ich denke, das ist ein Aha-Signal. Warum ist das so? Die Studie identifiziert dafür drei große Schwächen in Deutschland. Auf diese sind zum Beispiel die Vorredner in keiner Weise eingegangen, insbesondere die von der Opposition nicht. Erstens. Das ist die mangelnde Verfügbarkeit von Fachkräften. Erst wenn ich Fachkräfte habe, kann ich über Mitbestimmung reden oder – sage ich einmal – aus dem Grünbuch zitieren. Das ist der erste Punkt, warum Deutschland auf Platz sechs zurückgefallen ist, nämlich dass wir in diesem Bereich nicht ausreichend Fachkräfte haben. Zweitens. Die teilweise schlecht ausgebaute Netzinfrastruktur ist zu nennen; das ist angeführt worden. Drittens. Das ist der geringe Anteil an Exporten der Informations- und Kommunikationstechnologie. Das macht deutlich: Wir müssen bei der Digitalisierung der Wirtschaft erheblich an Tempo zulegen. Wir brauchen natürlich auch Antworten. Ich habe hier von der Opposition eigentlich nur Fragen vernommen. Wir versuchen mit dem Antrag, einige Antworten zu geben. Natürlich gelingt das nicht vollumfänglich. Aber wir laden Sie immer herzlich ein, sich mit Ihren Ideen zu beteiligen. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Wir sagen Ihnen das gern in den Ausschüssen!) Wir stehen dem offen gegenüber. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich bin daher froh, dass sowohl das BMWi als auch das BMBF Förderprogramme aufgelegt haben, die einen ganz wichtigen Beitrag zum Gelingen der vierten industriellen Revolution leisten werden. Dafür an dieser Stelle einmal ganz herzlichen Dank an die beiden Ministerien. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, 78 Prozent der für das Monitoring befragten Entscheidungsträger geben an, dass sie insbesondere im Bereich des Ausbaus der Fachkräfteförderung die Politik, also uns, in der Pflicht sehen. Industrie 4.0 – einige der Vorredner haben das bereits erwähnt – beschleunigt den Strukturwandel in der Arbeitswelt erheblich und verlangt den Beschäftigten neue Kompetenzen und mehr Flexibilität ab. Unser Blick muss dabei gerade auch auf den Menschen liegen, die eben weniger gut ausgebildet sind; denn – das muss man ehrlich sagen – gerade sie sind mit Industrie 4.0 besonderen Arbeitsplatzrisiken ausgesetzt. Ja, auch diesem Thema wenden wir uns in unserem Antrag zu. Gute Bildung von Anfang an und kontinuierliche berufsbegleitende Qualifizierung sind der Schlüssel für die erfolgreiche Umsetzung von Industrie 4.0. (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit die industrielle Revolution gelingt, wollen wir unser Aus- und Weiterbildungssystem modernisieren und die Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung weiter verbessern; ein Thema, das insbesondere meiner Fraktion sehr am Herzen liegt. (Rainer Spiering [SPD]: Längst überfällig!) Dazu haben wir uns innerhalb der Koalitionsfraktionen mit dem vorliegenden Antrag auf verschiedene Maßnahmen verständigt. Es trifft nämlich nicht zu, Herr Behrens, dass es im Antrag nichts dazu gibt. Ich werde an dieser Stelle aber nur auf wenige Punkte eingehen können. Wir werden zum einen die Berufsschulen verstärkt darin unterstützen, dass sie sich den Anforderungen der Digitalisierung endlich stellen. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem Qualifizierungsbedarf von Berufsschullehrerinnen und Berufsschullehrern. Zum anderen starten wir eine Initiative zur Förderung der Digitalisierung in der beruflichen Ausbildung. Ich denke, auch das ist dringend geboten. Gleichzeitig unterstützen wir eine entsprechende technische Ausstattung in den überbetrieblichen Berufsbildungsstätten. Ja, Herr Gehring, sicherlich hätte man mehr finanzielle Mittel für diesen Bereich bereitstellen können. Mein Kollege Herr Stefinger hat aber gerade darauf hingewiesen, welche Mittel im Bildungsministerium für diesen Bereich eingesetzt werden. Wenn Sie die aktuellen Haushaltsverhandlungen verfolgt haben, dann wissen Sie, dass zum Beispiel für den Bereich Industrie 4.0 zusätzlich 11 Millionen Euro eingestellt worden sind. Ich denke, mit diesem Geld können wir sicherlich das eine oder andere Sinnvolle machen. Ich hoffe deshalb, dass das Ihre Kritik zum Teil vergessen lässt. Neben den genannten Maßnahmen im Bereich der Ausbildung ist auch die berufliche Fort- und Weiterbildung der Beschäftigten für den Erfolg von Industrie 4.0 enorm wichtig. Mich hat überrascht, dass dabei schon die 30- bis 40-Jährigen angesprochen sind. Sie müssen sich bereits heute zur Qualifizierung auf den Weg machen. Das erwartet man nicht, aber das ist schon die kritische Alterskohorte, die wir mit solchen Weiterbildungsmaßnahmen bedenken müssen. Deshalb werden wir sowohl die Schaffung von differenzierten und beschäftigungsorientierten Weiterbildungsangeboten unterstützen als auch die Beratungsangebote für Beschäftigte ausbauen. Denn so können sie sich über ihre Qualifikationsbedarfe umfassend informieren. Ich denke, das wird immer wichtiger werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir den Fachkräftebedarf in den technologiegeprägten Berufen nachhaltig decken wollen, geht es neben der Modernisierung der dualen Ausbildung auch um den systematischen Ausbau von Fort- und Weiterbildung. Es gibt Bereiche, die noch gar nicht bedacht wurden, die aber auch einen wesentlichen Inhalt haben. So geht es natürlich auch um die frühzeitige Sensibilisierung für Zukunftsfelder von Kindern und Jugendlichen. Ich denke in diesem Zusammenhang zum Beispiel an die Stiftung „Haus der kleinen Forscher“, die sehr gute Projekte durchführt. Genauso wichtig ist es, endlich die Studienabbrecherquote in den MINT-Fächern deutlich zu reduzieren. In diesem Bereich verlieren wir enorm viel Fachkräftepotenzial. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, wir haben viel vor. Einiges davon ist in unserem Antrag enthalten. Jetzt muss es uns noch gelingen, diese Vorhaben ministeriumsübergreifend umzusetzen, und dann, denke ich, werden wir auch dem Thema Industrie 4.0 zum Erfolg verhelfen. Ich bin zuversichtlich. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als letzter Redner in der Debatte hat Jens Koeppen von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Jens Koeppen (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als letzter Redner in der Debatte versuche ich, zusammenzufassen, was bisher gesagt wurde, und zwar nicht aus der Sicht von Bildung und Forschung oder der Wirtschaft, sondern aus der Sicht des jüngsten Ausschusses im Deutschen Bundestag, des Ausschusses Digitale Agenda. Sehr geehrter Herr Kollege Janecek und Herr Kollege Behrens, ich bin nicht ganz so unzufrieden wie Sie. Denn mit dem Antrag wird einiges auf den Weg gebracht. Das muss man auch ehrlich zugeben. Es wurde gesagt, dass die Digitalisierung in alle Bereiche des Lebens Einzug gehalten hat. Wir können das nicht ausbremsen oder aufhalten – das wollen wir auch gar nicht –, sondern wir müssen es positiv begleiten. Das haben wir uns auch gerade in unserem Ausschuss auf die Fahne geschrieben: die Chancendiskussion in der Frage, wie wir auf der einen Seite die Potenziale der Transformation der digitalen Gesellschaft heben und auf der anderen Seite auch die Risiken benennen und die Nachteile beseitigen können. Das versuchen wir auch mit diesem Antrag. Ich finde, die Zusammenarbeit dazu ist außergewöhnlich und auch sehr, sehr gut. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, auch beim Thema Industrie 4.0 – ich denke, das ist das entscheidende Zukunftsthema und die wichtigste Säule der Digitalisierung gerade für einen Industriestandort wie Deutschland – müssen wir nicht nur Anschluss behalten, sondern auch, wie die Ministerin schon gesagt hat, Vorreiter sein. Das möchte ich uneingeschränkt unterstreichen. Wenn wir die gesamten Wertschöpfungsprozesse bei uns erhalten wollen, müssen wir Vorreiter sein, wie es uns bisher bei allen anderen industriellen Revolutionen gelungen ist, beginnend mit der Dampfmaschine 1784 über die elektrischen Fließbänder, die die Massenproduktion ermöglichten, knapp 100 Jahre später bis hin zur Computertechnik, die weitere 100 Jahre später, in den 1970er-Jahren, mit der Robotik und anderem in die Industrie Einzug gehalten hat. Immer waren wir Vorreiter, immer haben wir sehr gut mitgespielt. Jetzt kommt Industrie 4.0. Das bedeutet, Smart Factory kommt. Das bedeutet die totale Vernetzung, die Selbstorganisation in der Produktion. Mensch, Maschine, Anlagen, Logistik, Produkte, selbst die Kunden und die Geschäftspartner sind miteinander vernetzt. Es entstehen ganz andere Dienstleistungsmodelle, Smart Services, weil alle miteinander kommunizieren und kooperieren. Ich glaube, das ist eine sehr große Chance. Um noch einmal auf unsere Vorreiterrolle zurückzukommen: Das ist auch eine Werbemöglichkeit für Deutschland; die Frau Ministerin hat es sehr deutlich gesagt. Als wir im Ausland unterwegs waren – Sie hätten gerne mitkommen können, Herr Kollege Janecek; aber leider ging das nicht –, in Japan, in Taiwan oder in Südkorea, war bei jedem Gespräch die erste Frage: Wie sieht es aus mit Industrie 4.0? Ihr seid da die Vorreiter. Ihr könnt das. Wie funktioniert das? – Wir waren aber nicht ganz so euphorisch, weil wir in Deutschland immer ein bisschen zurückhaltend sind, die ganze Sache abstrakt sehen und erst einmal alles regulieren müssen. Wir konnten nur sagen: Wir haben dem Kind einen Namen gegeben und hoffen jetzt alle gemeinsam, dass dieses Kind irgendwann auch auf die Welt kommt. – In einem gebe ich Ihnen recht: Wir müssen aufpassen, dass wir nicht zu lange abwarten. Wir müssen die Rolle, die uns zugeteilt wurde, mit Leben erfüllen. Das Ministerium macht eine ganz hervorragende Arbeit. Auch der Antrag zeigt, dass wir den Anforderungen gerecht werden können. Ich gehe in der letzten Minute, die ich habe, noch kurz auf den Antrag ein. Es handelt sich um einen ganzheitlichen Ansatz. Er hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit, Herr Kollege Gehring. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da bin ich aber froh!) Wir fragen, welche Bedingungen herrschen und was wir für den Erfolg der Industrie 4.0 brauchen. Wir haben gesagt: Wir brauchen innovative Unternehmer. – Dahinter können wir einen Haken machen; denn die haben wir in Deutschland. Wir haben gesagt: Wir brauchen Innovationskraft durch entsprechendes Kapital, nicht Venture Capital, sondern das vorhandene Kapital. – Auch dahinter können wir einen Haken machen; das haben wir. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steuerliche Forschungsförderung!) Venture Capital – da gebe ich Ihnen völlig recht – muss kommen. Da sind wir uns einig. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steuerliche Forschungsförderung!) Dann kommt ein Punkt, an dem wir noch Luft nach oben haben: der kontinuierliche Ausbau der Breitbandinfrastruktur und natürlich die neue Mobilfunktechnologie 5G. Das müssen wir intensiver angehen; denn ohne diese Mobilfunktechnologie und einen umfassenden Breitbandausbau wird das nicht funktionieren. Wir brauchen die Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften; dazu müssen wir mehr Mittel in die Ausbildung und die Qualifizierung stecken. Wir brauchen eine moderne Verwaltung, nicht die Old-Fashion-Verwaltung, die wir jetzt haben, um die Genehmigungspraxis zu verbessern. Wir brauchen den Abbau von bürokratischen Hürden und die Abschaffung der Überregulierung. Das alles ist aus dem vorigen Jahrhundert. Da müssen wir besser werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir müssen auch Standards definieren und sagen, welche Techniken belastbar sein werden. – Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. Ich sehe das Signal sehr wohl. – Wir wurden immer wieder nach der IT-Sicherheit gefragt. Manche Unternehmen haben Angst, ihre Geschäftsgeheimnisse in der Cloud zu verlieren. Darauf müssen wir Antworten geben. Wir dürfen auch den ländlichen Raum nicht vergessen. Dort müssen wir den Ausbau forcieren, damit die Chancen der neuen Technologien auch im ländlichen Raum wahrgenommen werden können und der ländliche Raum den Anschluss nicht verliert. Nicht der Wandel ist das Risiko. Wenn wir den Wandel nicht begleiten, dann werden wir den Anschluss verlieren. Machen wir es so, wie bei den anderen industriellen Revolutionen: Seien wir Vorreiter. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich muss leider sagen: Es reicht nicht aus, dass Sie das Signal sehen; Sie müssen ihm auch folgen. Das ist das Entscheidende. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zum Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf der Drucksache 18/6643. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Abstimmung in der Sache. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke wünschen Überweisung, und zwar federführend an den Ausschuss für Wirtschaft und Energie und mitberatend an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, den Ausschuss für Arbeit und Soziales, den Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur, den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung sowie an den Ausschuss Digitale Agenda. Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung an die Ausschüsse? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisung mit den Stimmen der Koalition und Gegenstimmen der Opposition abgelehnt worden. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 18/6643 mit dem Titel „Industrie 4.0 und Smart Services – Wirtschafts-, arbeits-, bildungs- und forschungspolitische Maßnahmen für die Digitalisierung und intelligente Vernetzung von Produktions- und Wertschöpfungsketten“ in der Sache. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Dann ist der Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a und 31 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen Drucksache 18/6446 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Ausschuss für Gesundheit b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kathrin Vogler, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Korruption im Gesundheitswesen effektiv bekämpfen Drucksache 18/5452 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Gesundheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze zügig zu wechseln. – Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in der Debatte hat für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Christian Lange das Wort. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Christian Lange, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Korruption im Gesundheitswesen beeinträchtigt den wirtschaftlichen Wettbewerb, verteuert medizinische Leistungen und untergräbt das Vertrauen von Patientinnen und Patienten in die Integrität heilberuflicher Entscheidungen. Wegen der erheblichen sozialen und wirtschaftlichen Bedeutung des Gesundheitswesens ist korrupten Praktiken in diesem Bereich deshalb auch mit Mitteln des Strafrechts entschieden entgegenzutreten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Damit schützen wir nicht zuletzt den ganz überwiegenden Teil der ehrlichen Heilberufsangehörigen, die sich täglich für das Wohl der Patientinnen und Patienten einsetzen, und das ist gut und richtig so. Nachdem der Bundesgerichtshof im Jahr 2012 festgestellt hat, dass das geltende Korruptionsstrafrecht weder auf niedergelassene noch für sonst selbstständig Tätige im Gesundheitswesen anwendbar ist, waren wir zum Handeln aufgerufen. Anders als die letzte Bundesregierung sehen wir Handlungsbedarf im gesamten Gesundheitswesen und unterscheiden nicht zwischen Kassen- und Privatärzten. Da Korruption zudem nicht nur auf ärztliche Entscheidungen abzielt, soll die Regelung für alle Angehörigen eines Heilberufs mit einer staatlich geregelten Ausbildung gelten. Der Gesetzentwurf sieht die Einführung der Straftatbestände der Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen in den §§ 299 a und 299 b unseres Strafgesetzbuches vor. Sie verbieten Angehörigen von Heilberufen, Vorteile als Gegenleistung dafür zu fordern, sich versprechen zu lassen oder anzunehmen, dass sie bei der Verordnung oder der Abgabe von Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln oder von Medizinprodukten oder bei der Zuführung von Patienten oder Untersuchungsmaterial einen anderen im Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzugen. Die Regelungen lehnen sich insoweit an den Tatbestand der Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr an. Der Gesetzentwurf trägt aber zugleich den Besonderheiten des Gesundheitswesens Rechnung. So sollen Heilberufsangehörige beispielsweise dann, wenn sie Medizinprodukte auf eigene Rechnung beziehen, grundsätzlich eigene wirtschaftliche Interessen verfolgen dürfen, solange die Produkte nicht zur Weitergabe an den Patienten bestimmt sind. Außerdem haben wir klargestellt, dass das, was berufs- und sozialrechtlich zulässig ist, auch in Zukunft straflos bleiben wird. Das gilt besonders für die vielen Formen der beruflichen Zusammenarbeit, die zum Wohle der Patientinnen und Patienten gesundheitspolitisch von uns allen gewollt sind und deshalb nicht unter Korruptionsverdacht gestellt werden sollen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, nach meiner Wahrnehmung ist es mit dem vorgelegten Gesetzentwurf gelungen, das strafwürdige Verhalten klar zu umgrenzen. Das mag nicht zuletzt auch darauf zurückzuführen sein, dass wir die verschiedenen Akteure im Gesundheitswesen von Anfang an aktiv bei der Entstehung unseres Gesetzentwurfes eingebunden haben. Deshalb bitte ich Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, um Ihre Unterstützung bei den anstehenden Beratungen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Kathrin Vogler von der Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Kathrin Vogler (DIE LINKE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Dass Korruption im Gesundheitswesen bekämpft werden muss, darin sind sich heute alle einig hier im Haus, von der Linken bis zur CSU, und das ist schon ein erheblicher Fortschritt gegenüber der letzten Wahlperiode. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt! Das ist bemerkenswert!) Korruption verursacht finanzielle Schäden in Milliardenhöhe. Sie ist eine Gefahr für die Patientinnen und Patienten und für die Finanzierung unseres Gesundheitswesens. Unterschiedliche Schätzungen gehen davon aus, dass durch Korruption zwischen 5 Milliarden und 17 Milliarden Euro pro Jahr verloren gehen. Dieses Geld fehlt uns an anderer Stelle, zum Beispiel bei den Krankenhäusern oder bei der Versorgung im ländlichen Raum. Aber es geht nicht nur ums Geld. Wenn täglich Tausende von Pharmaberatern durch die Arztpraxen ziehen, um mit allen möglichen Tricks neue, teure Medikamente in den Markt zu drücken, dann hat das auch Risiken für die Gesundheit der Patientinnen und Patienten. Wenn ich als Patientin nicht weiß, ob die Frau Doktor ein Mittel verschreibt, weil es mir guttut oder weil sie dafür von einer Firma bezahlt wird, dann nimmt auch das Vertrauen in die Medizin insgesamt Schaden. Genau hier, Herr Lange, hat der Gesetzentwurf der Bundesregierung leider einen blinden Fleck. Sie wollen vor allem den Wettbewerb im Gesundheitswesen und die finanzielle Stabilität der Krankenkassen schützen, und dabei ist Ihnen die Patientenperspektive leider weitgehend abhandengekommen. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Wieso das denn?) Der Bundesrat hat zum Beispiel vorgeschlagen, Bestechung und Bestechlichkeit auch dann zu bestrafen, wenn zwar kein wirtschaftlicher Schaden entstanden ist, aber eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit eines Menschen. Diesen sehr guten Vorschlag hat die Bundesregierung abgelehnt, und das kann ich, ehrlich gesagt, überhaupt nicht nachvollziehen. (Beifall bei der LINKEN) Meine Fraktion schlägt Ihnen im vorliegenden Antrag vor, die Strafbarkeit auf Vorteilsgewährung und Vorteilsannahme allgemein auszuweiten. Für Nichtjuristen: Das hätte den entscheidenden Vorteil, dass eben nicht nachgewiesen werden müsste, dass eine Zuwendung an eine Ärztin diese ganz konkret dazu veranlasst hat, genau das Medikament dieser Firma zu verschreiben. Damit könnte man auch das Phänomen der sogenannten Landschaftspflege in den Griff bekommen. Damit hätten wir im Gesundheitsbereich ähnlich hohe Antikorruptionsregeln wie bei den Beamtinnen und Beamten. In diese Richtung hat in der letzten Wahlperiode auch die SPD noch gedacht. Genau diese Forderung wird auch von MEZIS, der Initiative unbestechlicher Ärztinnen und Ärzte erhoben; wir sollten ihnen hier folgen. (Beifall bei der LINKEN) Ein großes Problem, das Sie mit Ihrem Gesetzentwurf überhaupt nicht angehen, sind die sogenannten Anwendungsbeobachtungen. Kurz beschrieben handelt es sich dabei um Vereinbarungen zwischen der Industrie und Ärztinnen und Ärzten, wonach Ärzte Patienten auf ein neues Arzneimittel umstellen und dafür von den Herstellerfirmen vergütet werden. Diese neuen Medikamente sind häufig viel teurer und häufig leider auch weniger sicher als die bewährten alten. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Manchmal bringen sie auch mehr!) Wie das konkret funktioniert und welche Risiken das für die Patienten mit sich bringt, das schildert Roland Holtz in seinem Doku-Roman Pharmakrieg am Beispiel eines fiktiven Medikaments mit drastischen Nebenwirkungen. Er zeigt ganz detailliert, wie verheerend sich der Missbrauch der sogenannten Anwendungsbeobachtungen auf die Sicherheit von Patientinnen und Patienten auswirken kann. Die Antikorruptionsinitiative Transparency International hat genau diese Anwendungsbeobachtungen in einer Studie untersucht und kommt zu dem Ergebnis, dass es sich dabei nicht um seriöse Forschung handelt, sondern schlicht um verschleierte Korruption, und fordert deshalb ein gesetzliches Verbot, was wir als Linke unterstützen. Aber leider haben Sie dazu nichts vorgelegt. Inzwischen hat sich die Branche weitere Umgehungsmöglichkeiten gesucht, die wir dringend unterbinden müssen. Schmiergelder können auch weiterhin als überhöhte Honorare etwa für Vorträge oder Gutachtertätigkeiten gezahlt werden; daran wird Ihr Gesetz leider auch nichts ändern. Das ist sehr bedauerlich. (Beifall bei der LINKEN) Die eingeschränkte Sichtweise auf das Problem kommt in dem Gesetzentwurf leider auch zum Vorschein, wenn es um die Frage geht, wer überhaupt Anzeige erstatten darf. Die Staatsanwaltschaft darf nämlich nur dann tätig werden, wenn die Bestechung von einer Ärztekammer, einem Berufsverband, einer Krankenkasse oder einem benachteiligten Wettbewerber angezeigt wird. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das ist unrichtig, Frau Kollegin!) Nun ist es aber doch so, dass es häufig Beschäftigte sind, die das Unrechtsverhalten ans Tageslicht bringen. Die Linke fordert deswegen, diese Whistleblower zu schützen, damit sie nicht aus Angst vor Regressforderungen oder Jobverlust von einer Anzeige abgehalten werden. (Beifall bei der LINKEN) Auch Patientinnen und Patienten, die von korruptivem Verhalten erfahren, sollen selbst nicht Anzeige erstatten dürfen. Das finden wir unzureichend, und wir hoffen, dass Sie da noch nachbessern. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das sind Verletzte!) Insgesamt denke ich, dass in Ihrem Gesetzentwurf durchaus noch eine Menge Luft nach oben ist. Das wollen wir Linke nutzen. Ich hoffe im Interesse der Patientinnen und Patienten, der ehrlichen Medizinerinnen und Mediziner sowie eines solidarischen Gesundheitswesens auf gute Besserung. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Jan-Marco Luczak von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eines ist klar: Korruption ist kein Kavaliersdelikt, sondern verursacht sehr hohe wirtschaftliche Schäden; denn wo korruptive Verhaltensweisen herrschen, da werden Ressourcen verschwendet, da werden falsche Anreize gesetzt, und schließlich kommt es zu Fehlallokationen. Das führt dann dazu, dass nicht mehr die Qualität, die Leistung und der Preis entscheiden, sondern die Höhe des korruptiven Anreizes. Damit bleibt der faire Wettbewerb, eines der Grundprinzipien der sozialen Marktwirtschaft, auf der Strecke. Deswegen gehört die Bekämpfung der Korruption zu den zentralen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Aufgaben, denen der Gesetzgeber nachkommen muss. Wir setzen mit unserem Gesetzentwurf das klare Signal, dass Korruption im Gesundheitswesen sanktionswürdig ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dieses Signal ist notwendig, nicht etwa wegen der Masse an Fällen, die es gibt, sondern weil der Gesundheitsbereich einen hohen Stellenwert innerhalb der Gesellschaft und innerhalb unserer Wirtschaftsordnung hat und weil es sich um einen hochsensiblen Bereich handelt. Volkswirtschaftlich betrachtet, werden in der Gesundheitswirtschaft in Deutschland etwa 300 Milliarden Euro im Jahr umgesetzt. Die Folge von Korruption ist, dass sich medizinische Leistungen verteuern. Das geht zulasten der Patienten und zulasten der Solidargemeinschaft. Mir ist aber ganz wichtig, zu sagen: Korruption hat nicht nur negative wirtschaftliche Auswirkungen. Die gravierendste Folge von Korruption ist, dass ein Vertrauensverlust der Patienten in die Integrität heilberuflicher Entscheidungen damit einhergeht. Wir von der Koalition haben ein klares Ziel. Wir wollen einen verbindlichen Rechtsrahmen für einen fairen Wettbewerb schaffen, der das Vertrauensverhältnis zwischen Ärzten und Patienten schützt. Für die Union ist immer klar gewesen: Niemand soll ein Medikament nur deswegen verschrieben bekommen, weil ein Arzt oder ein anderer in einem Heilberuf Tätiger einen Vorteil daraus zieht. Das darf nicht sein. Entscheidend muss die medizinische Notwendigkeit sein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir haben gehört, was Anlass unseres Gesetzgebungsverfahrens war; Staatssekretär Lange hat dazu schon ausgeführt. In einem Urteil des Bundesgerichtshofes aus dem Jahre 2012 wurde im Kern offenbar, dass es Schutzlücken im Gesundheitswesen gibt, die wir im Rahmen der Bekämpfung von Korruption angehen müssen. Ärzte sind eben keine Amtsträger, und es sind auch keine Beauftragten der gesetzlichen Krankenkassen. Auch greifen hier Tatbestände wie Betrug und Untreue in aller Regel nicht. Die sich auftuenden Schutzlücken wollen wir mit diesem Gesetzentwurf schließen. Für uns ist an dieser Stelle ein Punkt ganz wichtig: Wir wollen kein Sonderstrafrecht für Ärzte schaffen; denn damit würde das falsche Signal ausgesendet, dass offensichtlich Regelungsbedarf besteht, weil alle Ärzte vermeintlich korrupt sind. Das ist ausdrücklich nicht der Fall. Daher haben wir gesagt: Nicht nur für die Ärzte sollen die neuen strafrechtlichen Sanktionen gelten, sondern für Angehörige aller – und nicht nur der akademischen – Heilberufe. All diejenigen, die im Gesundheitsbereich arbeiten und eine staatliche Prüfung im Gesundheitswesen abgelegt haben, werden von diesem Gesetz, dessen Entwurf wir beraten, zukünftig erfasst. Es sind zwei Schutzzwecke, die wir mit diesem Gesetz verfolgen. Das ist zum einen der Schutz des lauteren Wettbewerbs, und das ist zum anderen der Schutz des Vertrauens der Patienten in die heilberufliche Unabhängigkeit. Deswegen haben wir hier zwei Tatbestandsalternativen ausgewählt. Für uns ist bei der Ausgestaltung dieser Alternativen wichtig gewesen, dass wir ganz klar und deutlich sagen: Wir wollen, dass Kooperationen im Gesundheitswesen auch zukünftig möglich sind, weil das wichtig ist für Anreize in Forschung, Innovation und Fortentwicklung. Da braucht man eine enge Kooperation zwischen der Ärzteschaft und der Pharmaindustrie. Das ist notwendig zum Wohl der Patienten. Das kann und darf mit diesem Gesetz nicht verhindert werden, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]) Wir brauchen eine klare Abgrenzung, was strafbar ist und was nicht. Da bewegen wir uns in einem schwierigen Bereich. Wir müssen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot beachten, also möglichst klar sagen, was sanktionswürdig und strafbar ist. Gleichzeitig brauchen wir natürlich eine abstrakt-generelle Regelung, die es ermöglicht, auch jetzt noch unbekannte, aber aus unserer Sicht sanktionswürdige Verhaltensweisen zu erfassen. In der Entwicklung vom Referentenentwurf zum Kabinettsentwurf haben wir die Bedenken, die es dazu in der Praxis gibt, aufgenommen und versucht, das klarer zu fassen. So haben wir im Tatbestand ausdrücklich klargestellt, dass es bei Verstößen gegen berufsrechtliche Pflichten um solche Pflichten geht, mit denen die heilberufliche Unabhängigkeit geschützt wird, und nicht um andere berufsrechtliche Pflichten, also etwa Regelungen dazu, wie groß das Praxisschild sein darf. Letztere haben mit der heilberuflichen Unabhängigkeit nichts zu tun. Deswegen fallen Verstöße gegen solche Pflichten nicht in den Bereich der Strafbarkeit. Wir haben in der Begründung klargestellt, dass wir Kooperationen im Gesundheitswesen wollen. Das gilt für die Kooperationsmodelle, die etwa im SGB V ausdrücklich vorgesehen sind; aber das gilt zum Beispiel auch für die Anwendungsbeobachtung, die Frau Kollegin Vogler hier gerade so sehr gegeißelt hat. Das sind notwendige Kooperationsformen, um festzustellen, ob neue Medikamente einen zusätzlichen Nutzen haben. Natürlich sollen und müssen sie gegebenenfalls vergütet werden, aber angemessen, und das darf nicht zulasten der Patienten gehen; aber sie sind notwendig, um an dieser Stelle für Innovation und Fortschritt zu sorgen. (Beifall bei der CDU/CSU) Weil die Praxis hier ganz entscheidend ist, haben wir auch gesagt: Wir müssen im SGB V eine Regelung schaffen, mit der wir einen Erfahrungsaustausch hinbekommen zwischen den Leistungsträgern im Gesundheitswesen und denen, die möglicherweise korrupte Verhaltensweisen nachher verfolgen müssen, nämlich den Staatsanwaltschaften. Insofern haben wir einen Dreiklang: Wir haben einen Tatbestand konkreter und enger gefasst. Wir haben in der Begründung deutlich gemacht, was zulässig und was nicht zulässig ist. Außerdem werden wir dafür sorgen, dass in der Praxis auch zukünftig die Gefahr von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen nicht über Gebühr droht. Weil hier Bedenken vonseiten der Ärzteschaft und der anderen Heilberufe bestehen, ist es wichtig, noch einmal zu betonen: Staatsanwaltschaftliche Ermittlungen sind von vielen Voraussetzungen abhängig. Es reicht nicht aus, gegen eine bestimmte berufsrechtliche Pflicht zu verstoßen. Vielmehr muss immer eine Verknüpfung von Vorteil und Gegenleistung bestehen. Das ist die sogenannte Unrechtsvereinbarung; das ist der immanente Kernbestandteil einer jeden Korruptionsstrafbarkeit. Ich habe großes Vertrauen in unsere Gerichte, auch in unsere Staatsanwälte, dass sie mit dem Instrumentarium, das wir ihnen hier an die Hand geben, verantwortungsvoll umgehen werden. Letzter Punkt, den ich hier gern noch ansprechen möchte: das Bestimmtheitsgebot. Das ist ein Punkt, den wir uns verfassungsrechtlich genau anschauen müssen. Das werden wir im parlamentarischen Verfahren tun. Wir müssen ganz klar sagen, bei welchen berufsrechtlichen Pflichten ein Verstoß zur Strafbarkeit führen kann; das müssen die Normadressaten wissen. Da müssen wir, glaube ich, aufpassen, dass die unterschiedlichen berufsrechtlichen Regelungen, die es in den einzelnen Ländern gibt, nicht zu einer unterschiedlichen Strafbarkeit führen. Das müssen wir uns im Gesetzgebungsverfahren noch genau anschauen. Ich glaube, da sind wir auf einem guten Weg. Ich könnte mir noch vorstellen, in Bezug auf den Schutzzweck des Gesetzes als besonders schweren Fall auch eine Gesundheitsbeschädigung in den Blick zu nehmen; dazu hat die Kollegin von den Linken etwas gesagt. Unter dem Strich ist für uns ganz wichtig: Wir wollen uns nur auf die schwarzen Schafe konzentrieren. Nur die haben es verdient, verfolgt zu werden. Damit sind wir mit diesem Gesetzentwurf auf einem guten Weg. Deswegen darf ich Sie um Ihre Zustimmung bitten. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich muss Sie ermahnen, in der Zeit zu bleiben. Der Kollege hat jetzt um über eine Minute überzogen. Wenn wir das zusammenzählen, sind wir bei acht Minuten zusätzlich – sogar noch ein bisschen darüber. Ich habe einfach die Bitte, wirklich in der Zeit zu bleiben. Wir liegen bereits sehr weit – über eine Stunde, eine Stunde und zehn Minuten – zurück, und im Anschluss gibt es noch eine Debattenrunde. Als nächste Rednerin hat Maria Klein-Schmeink von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist in der Tat ein guter Tag, weil wir zum fünften Mal über die Korruption im Gesundheitswesen reden – erstmalig auf Grundlage eines Gesetzentwurfes – und alle Fraktionen erkennen lassen, dass sie ihn und damit auch das Anliegen zumindest im Grundsatz unterstützen. Das ist ein weitreichender Fortschritt, den ich von unserer Seite aus begrüße. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Warum begrüße ich diesen Schritt? Als wir im Jahr 2012 das Urteil des Bundesgerichtshofes entgegennehmen mussten, in dem es hieß: „Nein, wir können einen besonderen Fall der Einflussnahme bzw. der Bestechung – die nachweislich stattgefunden hatte; 18 000 Euro waren für die Verschreibung eines bestimmten Präparates als Zuwendung an Ärzte geflossen – auf Grundlage unserer derzeitigen Rechtsgebung bzw. Rechtsprechung nicht verfolgen“, war deutlich: Wir haben eine Rechtslücke, eine Handlungslücke. Die wird mit diesem Gesetz geschlossen, und das ist richtig und gut so. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich begrüße auch ausdrücklich, dass die CDU an dieser Stelle Lernfortschritte gemacht hat. Wenn Sie in die alten Protokolle der Debatten sehen, werden Sie sehen, dass da immer nur von „Unterstellungen“ und „Verleumdung der Ärzteschaft“ die Rede war und eben nicht darüber gesprochen wurde, wie dem berechtigten Anliegen der Patientinnen und Patienten entsprochen werden kann. Ich glaube, da sind wir einen entscheidenden Schritt weiter. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Das ist auch Ausdruck dessen, wo wir als Gesetzgeber wirklich gefragt sind. Es geht um ein extrem hohes Gut, um das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient. Das ist kein beliebiges, sondern ein besonders schutzwürdiges Verhältnis; denn wir müssen uns als Patientin bzw. als Patient darauf verlassen können, dass die Behandlungsempfehlungen und Diagnosen zum Wohle des Patienten sind und nicht zum Wohle des eigenen Portemonnaies. Das muss sichergestellt sein. Dieses besondere Verhältnis müssen wir als Gesetzgeber auch in besonderer Weise schützen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Ich glaube, kein Mensch in der Bevölkerung kann nachvollziehen, dass wir im Strafrecht einen weitreichenden Antikorruptionsparagrafen haben, aber ausgerechnet dieses besondere Verhältnis außen vor lassen. Auch insoweit ist es ein Akt des gesunden Rechtsempfindens und der Akzeptanz von Rechtsgebung, wenn wir diese Lücke jetzt tatsächlich schließen. Wir werden wahrscheinlich im weiteren Verfahren schauen müssen, ob wir da nachschärfen und die zulässige Zusammenarbeit vielleicht noch deutlicher formulieren müssen, damit hinreichend klar ist, was in Zukunft strafbar ist, was mit den Mitteln des Strafrechts geahndet wird. Da müssen wir vielleicht noch einmal genauer hinschauen. In den Gutachten und Stellungnahmen hat es bereits sehr hilfreiche Hinweise gegeben. Dem kann man nachgehen. Ich finde, dass zum Beispiel der Deutsche Anwaltverein einen nicht unlogischen Vorschlag gemacht hat. Er hat vorgeschlagen, dass, wenn es Zweifel bezüglich der Zulässigkeit bei der Zusammenarbeit gibt, im Vorfeld von den Sozialrechtsträgern eine Genehmigung eingeholt werden sollte, womit Sicherheit hergestellt werden kann. Damit könnte an der Stelle auch ein Ausschluss von Strafbarkeit festgestellt werden. Diesen Vorschlag sollte man unter Umständen berücksichtigen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben als Grüne aber auch immer deutlich gemacht: Es kann nicht nur um das Strafrecht gehen. Wir müssen im Vorfeld andere wichtige Schritte tun, um Transparenz herzustellen und insgesamt ein Verhalten herbeizuführen, das diejenigen Ärzte und Leistungserbringer im Gesundheitswesen schützt, die sich korrekt verhalten. Ein wichtiger Punkt wäre beispielsweise, in Bezug auf die Zuwendungen von Pharmaindustrieunternehmen und anderen Unternehmen an die Leistungserbringer mehr Transparenz herzustellen. Wir möchten uns gerne der Gesetzgebung in den USA anschließen und nach dem Vorbild des Sunshine Act deutlich machen: Jede Zuwendung über 100 Euro muss gemeldet werden und ist damit nachvollziehbar und einsehbar. Damit habe ich Klarheit: Welche Zuwendungen sind geflossen? Jeder weiß also um irgendwelche ökonomischen Verflechtungen und kann sich als Patient auch ein eigenes Bild machen. Das, glaube ich, ist ein ganz wichtiges Element, das wir zusätzlich und ergänzend angehen sollten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Weiterhin brauchen wir einen wirksamen Whistleblower-Schutz. Auch diese Debatte haben wir hier im Parlament mehrfach geführt. Da müssten wir weiterkommen. Ein weiterer Punkt sind die Anwendungsbeobachtungen. Es geht nicht darum, diese unter Strafe zu stellen, sondern darum, einen rationalen Umgang mit den Anwendungsbeobachtungen zu finden. Sie sollen anders als jetzt ein Instrument sein, mit dem man die Folgewirkungen von Medizinprodukten oder Medikamenten tatsächlich nachvollziehen kann, und nicht Scheinverfahren, mit denen man unter der Hand Zuwendungen möglich machen will. Dazu gehört, einen strukturierten Umgang mit den Anwendungsbeobachtungen im SGB V festzulegen. Auch das wäre eine sehr sinnvolle Ergänzung dieser Gesetzgebung im Bereich der Korruptionsbekämpfung. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Dr. Silke Launert [CDU/CSU]) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat Dr. Silke Launert von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Silke Launert (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Patientinnen! Liebe Patienten! Stellen Sie sich einmal vor, Sie gehen mit einer schweren Erkältung in die Apotheke, um sich beraten zu lassen. Dort empfiehlt Ihnen der Apotheker ein bestimmtes Medikament, und zwar nur deswegen, weil er von dem Pharmaunternehmen, das das Medikament vertreibt, Prämienzahlungen erhält. Stellen Sie sich vor, Sie benötigen orthopädische Schuheinlagen und Ihr Arzt schickt Sie zu einem bestimmten Sanitätshaus, weil ihm eine Reise versprochen wurde, wenn er nur ausreichend viele Patienten vorbeischickt. Und nun stellen Sie sich vor, dass dieses Verhalten in Deutschland strafrechtlich nicht geahndet wird. Das glauben Sie nicht? Da irren Sie sich. 2012 hat der Bundesgerichtshof – es wurde heute schon mehrfach angesprochen – festgestellt, dass das deutsche Strafrecht nicht ausreichend engmaschig gestrickt ist, um solche Taten zu verfolgen. Tatsächlich ist in Korruptionsfällen für die Staatsanwälte schwer zu greifen, wer nicht als Beauftragter handelt, sondern als Freiberufler und damit allein seinem Gewissen unterworfen ist. Im konkreten Fall, der schon geschildert wurde, ging es darum, dass eine Pharmareferentin in 16 Fällen Kassenärzten Schecks in einem Gesamtwert von 18 000 Euro übergeben hatte. Der Übergabe der Schecks hatte ein als „Verordnungsmanagement“ bezeichnetes Prämiensystem des Pharmaunternehmens zugrunde gelegen. Dieser Fall ist beispielhaft für die Gefahren, die in unserem Gesundheitswesen drohen. Dass es diese Gefahren gibt, ist kein Wunder. Schließlich handelt es sich hier um ein Geschäft, das 300 Milliarden Euro im Jahr umfasst. Natürlich regt das die kriminelle Energie an, erst recht, wenn strafrechtliche Regelungslücken bestehen. In diesem Fall geht das zulasten der Patienten und zulasten des Gemeinwesens. Deshalb wollen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf diesen Missstand beseitigen und entsprechend dem Koalitionsvertrag die neuen Straftatbestände der Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen im Strafrecht verankern. Bereits in der letzten Legislaturperiode gab es einen Gesetzentwurf, der allerdings kurz vor dem Ziel aufgehalten worden ist. Nun, zwei Jahre später, haben wir meiner Ansicht nach einen konsequenteren Gesetzentwurf, der die Straftatbestände nicht im Sozialgesetzbuch vorsieht, sondern im Strafgesetzbuch. Da gehören sie auch hin, insbesondere in Anbetracht der erheblichen sozialen und wirtschaftlichen Bedeutung des Gesundheitswesens. Korruption im Gesundheitswesen – es wurde schon mehrfach angesprochen – bedroht das Vertrauen in die Integrität der heilberuflichen Entscheidungen, und das in einem Bereich, der so wichtig ist und in dem es um unsere Gesundheit geht, ja sogar um Leben und Tod. Da muss sichergestellt werden, dass die Entscheidungen frei sind von der Einflussnahme Dritter. Auch die wirtschaftlichen Auswirkungen sind erheblich. Durch unlauter agierende Teilnehmer wird der Wettbewerb gestört. Wenn nicht die Qualität der Leistung entscheidend ist, sondern die Qualität der Prämienzahlung, dann brauchen wir uns natürlich nicht zu wundern, dass alles aus den Fugen gerät und sich Gewinn und Verlust nicht an marktwirtschaftlichen Kriterien orientieren. Insofern müssen wir dem entschieden entgegentreten. Das tun wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf. Der Kreis der potenziellen Täter ist weit gefasst. Er umfasst Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, Physio- und Psychotherapeuten, Logopäden und Krankenpfleger. Auf der anderen Seite: So groß der Täterkreis auch ist, so wenig wollen wir natürlich einen ganzen Berufsstand unter Generalverdacht stellen. Strafbar soll sich nur machen, wer eine Unrechtsvereinbarung anstrebt. Das heißt, erforderlich ist eine inhaltliche Verknüpfung zwischen Vorteil und Gegenleistung – wie bei allen anderen Korruptionstatbeständen auch. Die berufliche Zusammenarbeit der Beteiligten im Gesundheitswesen soll durch das Gesetz keineswegs unterbunden werden; sie ist nach wie vor gewünscht. (Beifall bei der CDU/CSU) Wie bei den anderen Korruptionstatbeständen auch, gibt es Geringwertigkeits- und Bagatellgrenzen. Kooperationsvereinbarungen sind natürlich nach wie vor möglich. Auch die sogenannten Anwendungsbeobachtungen, die schon angesprochen und erklärt wurden, sind weiterhin möglich. Ich denke, mit dem vorliegenden Entwurf ist uns der Spagat zwischen der notwendigen strafrechtlichen Sanktionierung auf der einen Seite und der in der Praxis erforderlichen Zulässigkeit gesundheits- und forschungspolitisch gewünschter Kooperationen auf der anderen Seite gelungen. Liebe Patientinnen und Patienten, Sie sehen, wir tun etwas für Ihr Vertrauen in das Gesundheitswesen. Sie können auch in Zukunft bei Risiken und Nebenwirkungen guten Gewissens Ihren Arzt oder Apotheker fragen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Dr. Edgar Franke von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dietrich Monstadt [CDU/CSU]) Dr. Edgar Franke (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich sehr, dass wir heute das Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen beraten können. Ich freue mich auch deshalb sehr, weil sich gerade die Gesundheitspolitiker der SPD seit sechs Jahren für ein handwerklich gutes Gesetz starkgemacht haben. Herr Staatssekretär, dieses Gesetz ist handwerklich wirklich gut gemacht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) 2010, als wir den ersten Antrag der SPD mit dem damals programmatischen Titel „Korruption im Gesundheitswesen wirksam bekämpfen“ beraten haben – Frau Maria Klein-Schmeink kann sich noch erinnern –, (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) waren die anderen Fraktionen, auch Ihre, durchaus kritisch. Aber wir haben gesagt: Es kann nicht sein, dass ein Arzt aufgrund finanzieller Zuwendungen bestimmte Medikamente verschreibt, ohne dass dies Folgen hat. Ich glaube, das war richtig. Gerade bei Krebsbehandlungen, dann, wenn es um Leben und Tod geht, dürfen keine Medikamente aufgrund von Schmiergeldzahlungen verschrieben werden – Medikamente, die vielleicht sogar schlechter wirken und teurer sind. Wir haben damals gesagt: Der Patient muss immer sicher sein, dass nur medizinische und nicht monetäre Gründe für eine Therapie maßgebend sind. Ich glaube, das ist wichtig und richtig, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Unser Antrag wurde damals mit der Begründung abgelehnt – beispielsweise auch von den Grünen –, (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Aha! So, so!) dass keine Regelungslücke bestehe. Der Bundesgerichtshof hat aber damals der SPD recht gegeben und hat den Gesetzgeber damals sogar unter Bezugnahme auf unseren Antrag, den Antrag der SPD, aufgefordert, tätig zu werden. Die organisierte Ärzteschaft – ich sehe gerade Herrn Henke –, zumindest die Bundesärztekammer, auch Herr Montgomery, hat sich der Argumentation der SPD angeschlossen. Daran sieht man schon: Wir haben recht gehabt. (Beifall bei der SPD – Heiterkeit bei der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Gesetzentwurf schaffen wir ein relatives Antragsdelikt. Das heißt, ohne Strafantrag oder ohne besonderes öffentliches Interesse kann ein noch so übereifriger Staatsanwalt – auch ein Staatsanwalt aus Hannover – nicht allein loslegen. Die Leistungsträger haben da ein bisschen Angst; aber ich glaube, ihre Angst ist unbegründet. Dr. Luczak hat es schon gesagt: Zusammenarbeit auf sozialrechtlicher Grundlage oder auch Bonuszahlungen sind nicht von den strafrechtlichen Vorschriften des § 299 StGB erfasst. Auch weil die Krankenkassen dabei sind, geschieht das ja nicht im Verborgenen. Im Übrigen – das haben Sie gesagt – müsste ja eine Unrechtsvereinbarung vorliegen, das heißt eine Verknüpfung von Vorteil und Gegenleistung. Deswegen brauchen die Leistungsträger, von denen mich viele angerufen haben, keine Angst zu haben. Weil ohne Unrechtsvereinbarung nichts passiert, ist diese Angst vollkommen unbegründet. Auch deswegen ist dies ein guter Gesetzentwurf, Herr Staatssekretär. Im Zuge der Diskussionen – auch das wurde angesprochen – hat sich der eine oder andere Leistungsträger an uns gewandt. Hörgeräteakustiker, Orthopädieschuhmachermeister oder Augenoptiker haben gesagt, dass es manchmal üblich sein soll, dass es manchmal günstig ist, ein bisschen nachzuhelfen, damit Patienten zu ihnen kommen, dass man die Ärzte diesbezüglich ein bisschen betreuen muss. Auch das war zwar berufsrechtlich zu sanktionieren, hatte aber keine Folgen. Auch deshalb ist es wichtig, dass wir eine klare strafrechtliche Norm haben. Zum Schluss will ich noch etwas zu der Kritik sagen, es gebe ein Sonderstrafrecht für Ärzte, für bestimmte Berufsverbände. Das wurde immer wieder gesagt. Aber auch korruptives Verhalten von Richtern ist mit Strafe bedroht, und keiner kommt wegen dieser Vorschrift auf die Idee, Juristen unter Generalverdacht zu stellen. Deswegen ist diese Argumentation absoluter Blödsinn; das muss ich hier wirklich einmal sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir schließen vielmehr – damit komme ich zum Schluss – eine Strafbarkeitslücke. Keine Berufsgruppe wird unter Generalverdacht gestellt, nicht Ärzte und auch nicht sonstige Leistungserbringer. Das ist ein guter Gesetzentwurf, auch wenn heute Freitag, der 13., ist; wir beraten ja heute nur. Es gewährleistet den Patientenschutz, stärkt das Vertrauen – auch das wurde gesagt – in die Unabhängigkeit heilberuflicher Entscheidungen und schützt vor allen Dingen den fairen Wettbewerb. Das ist – ich sage es noch einmal – ein guter Gesetzentwurf. Das haben wir 2010 schon gesagt. (Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) Wir hätten ihn vielleicht schon eher haben können. Wir hätten ihn vielleicht schon in der letzten Legislaturperiode haben können. Aber wenn man recht hat, hat man recht, und die SPD hatte dieses Mal wirklich recht. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD – Heiterkeit bei der CDU/CSU – Michaela Noll [CDU/CSU]: Das können wir auch!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Dietrich Monstadt von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dietrich Monstadt (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wie die meisten von Ihnen wissen, befassen wir uns mit dem Thema „Korruption im Gesundheitswesen“ sehr differenziert und ausführlich bereits seit der vergangenen Legislaturperiode, und zwar – lassen Sie mich das gleich zu Beginn meiner Rede ganz ausdrücklich und deutlich sagen – völlig zu Recht. Damals bereits wurde ein strafrechtlicher Ansatz ins Gespräch gebracht. Es ist kein Geheimnis, dass ich dieser Lösung seinerzeit durchaus skeptisch gegenüberstand. Wir waren der Meinung, dass berufsrechtliche und sozialrechtliche Regelungen ausreichen, um das Problem in den Griff zu bekommen, und das haben wir dann auch umgesetzt. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Waren sie aber nicht!) Frau Klein-Schmeink, zur Wahrheit gehört, dass Sie das im weiteren parlamentarischen Verfahren aufgehalten haben. So weit, so gut. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil Sie das mit einem unseligen Präventionsgesetz verbunden haben!) Meine Damen und Herren, wir haben heute nicht nur einen anderen Koalitionsvertrag, sondern wir müssen auch feststellen, dass es in Einzelfällen Fehlverhalten gibt, das sich durch das reine Berufs- und Wettbewerbsrecht sowie das Heilmittelwerbegesetz nicht abstellen lässt. Damals wie heute sage ich als Gesundheitspolitiker: Wir sollten dringend der Versuchung widerstehen – der Kollege Dr. Franke hat darauf hingewiesen –, so zu tun, als gebe es im Gesundheitswesen Korruption und Fehlverhalten größeren Umfangs oder als könnte dies gar ungeahndet stattfinden. Dies wäre nicht nur unredlich, sondern auch eine echte Gefahr, zum Beispiel für das besondere Vertrauensverhältnis zwischen den Ärzten und Patienten in unserem Land. Ja, es gibt schwarze Schafe, wie in anderen Bereichen auch. Der vorliegende Gesetzentwurf wird einen Beitrag dazu leisten, wirksam gegenzusteuern; dies haben meine Vorredner hinreichend ausgeführt. Gleichzeitig sollten wir aber darauf achten, nicht alle Angehörigen unserer Heilberufe unter Generalverdacht zu stellen. Die allermeisten Ärzte, Psychotherapeuten, Krankenpfleger usw. machen Tag für Tag einen guten Job im Sinne der Patientinnen und Patienten. (Beifall bei der CDU/CSU) All diese Akteure machen sich jeden Tag Gedanken, wie man die medizinische Versorgung weiter optimieren kann, um den Patientinnen und Patienten noch besser zu helfen. Als Gesundheitspolitiker aus Mecklenburg-Vorpommern, einem der großen Flächenländer, kann ich Ihnen berichten, dass gerade zu solchen Verbesserungen sehr oft auch notwendige und gewollte Kooperationen gehören. Diese werden zukünftig noch größere Bedeutung erlangen. Beispielhaft möchte ich Kooperationen im Rahmen des Patientenanspruchs auf ein Versorgungsmanagement nach § 11 Absatz 4 SGB V oder im Rahmen besonderer Versorgung nach § 140 a SGB V nennen. Hier soll und muss ein breiter und bestmöglicher Behandlungsansatz umgesetzt werden. Deshalb ist es für mich besonders wichtig, dass gewollte und gebotene soziale und berufsrechtliche Kooperationen ohne weiter hinzutretende Umstände nicht strafrechtlich sanktioniert werden. Wir müssen sicherstellen, dass dies auch künftig nicht der Fall ist. Alles andere würde die Patientinnen und Patienten in hohem Maße benachteiligen, wenn nicht sogar ihnen schaden. Ich bin mir sicher, dass wir uns in diesem Punkt einig sind. Aber meines Erachtens ist der vorliegende Gesetzentwurf in diesem Punkt für viele Betroffene nicht eindeutig genug. Herr Staatssekretär Lange, von daher bin ich nicht ganz Ihrer Auffassung. Vor allem Leistungserbringer, die zumeist keinen juristischen Hintergrund haben, können durch einfaches Lesen nicht zweifelsfrei verstehen, was sie dürfen und was nicht. Dies würde in nicht wenigen Fällen dazu führen, dass legale und gewollte Kooperationen aufgrund der Unsicherheiten aufseiten der Leistungserbringer gar nicht erst aufgenommen werden. Das kann nicht in unserem Interesse sein. Wir müssen die Kompetenzen und aktuellen Belastungen unserer Staatsanwaltschaften im Blick behalten. Wir sprechen hier über Vertragskonstellationen, die man durchaus als komplex und schwierig bezeichnen kann. Deshalb ist es besonders wichtig, dass die rechtlichen Vorgaben klar sind. Keinesfalls darf es durch Auslegungsprobleme einer mit der Problematik nicht vertrauten Staatsanwaltschaft zu einem unbegründeten Anfangsverdacht kommen. Kommt es in solchen Fällen zu Ermittlungsmaßnahmen, zum Beispiel zu Durchsuchungen, dann hat das gravierende Nachteile für die Betroffenen. In dem sehr sensiblen Gesundheitsbereich kann und darf dies nur Ultima Ratio sein. Das bloße Vorhandensein eines Kooperationsvertrages darf nicht ausreichen, um den Anfangsverdacht einer Vorteilsgewährung bzw. Vorteilsnahme zu begründen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir müssen im anstehenden Gesetzgebungsverfahren nicht nur über die klarere Abgrenzung von Korruption und Kooperation nachdenken, sondern wir müssen den Leistungserbringern auch aufzeigen, wie sie selbst dies abgrenzen können. Eine Pönalisierung notwendiger Kooperationsformen wie Praxisnetzen und ambulanter spezialfachärztlicher Versorgung oder integrierter Versorgungsformen darf keinesfalls behindert oder verhindert werden. Ich bin mir sicher, dass wir diese und andere Aspekte im weiteren Verfahren in aller Sachlichkeit besprechen und dann zu einer ausgewogenen sowie sachorientierten Lösung kommen werden. In diesem Sinne freue ich mich auf eine konstruktive Beratung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als letzter Redner in dieser Debatte hat Dirk Wiese von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dirk Wiese (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist von immenser Wichtigkeit, dass Patienten vollstes Vertrauen in die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidungen haben. Patienten müssen sich auf ihren Arzt verlassen können. Manchmal ist es bei Ärzten wie bei uns Juristen: zwei Ärzte, drei Meinungen. Aber wichtig ist, dass diese interessenfrei und nicht beeinflusst sind. Es ist wichtig für das Vertrauensverhältnis, dass die Patientinnen und Patienten wissen, dass sie sich auf ihren Arzt verlassen können. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dass das nicht immer der Fall ist, hat uns der bekannte BGH-Fall aus dem Jahr 2012 gezeigt; der eine oder andere das hier schon angeführt. Die Schlussfolgerungen daraus sind bekannt. Der BGH schloss eine Strafbarkeit aus, da es sich bei dem niedergelassenen Arzt nicht um einen Amtsträger im Sinne des StGB handelte, dies aber zwingende Voraussetzung für eine Strafbarkeit nach geltendem Recht gewesen ist. Dieses höchstrichterliche Urteil, das eine bestehende Regelungslücke aufgezeigt hat, gehen wir jetzt mit dem vorliegenden Gesetzentwurf an. In der letzten Legislaturperiode hatte das leider nicht funktioniert. Wir bessern jetzt an dieser Stelle nach. Bedauerlicherweise – der Staatssekretär hat es ausgeführt – war in der letzten Legislaturperiode nur geplant, eine Korruptionsbekämpfung im Sozialrecht, im SGB V, zu regeln, was dann aber nur für Kassenärzte gegolten hätte. Das kann nicht sein. Darum ist es jetzt richtig, dass die Regelung für sämtliche Ärzte gilt. Dies ist auch erst auf Drängen der Sozialdemokratischen Partei passiert. Mein ganz besonderer Dank gilt hier meinem Kollegen Edgar Franke. Wir gehen jetzt die Bekämpfung der Korruption im Gesundheitswesen an. Wir hatten diesen Punkt in den Koalitionsvertrag aufgenommen. Der vorliegende Gesetzentwurf wird die entsprechenden Regelungslücken schließen und – das ist mir besonders wichtig –: Dadurch wird die große Zahl der redlich handelnden Ärzte in unserem Land ebenfalls geschützt; denn es ist nicht so, dass die Mehrheit der Ärzte schwarze Schafe sind. Das ist nicht der Fall. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Es gibt allerdings eine Vielzahl von anderen Fällen von unlauteren Methoden im Gesundheitswesen. Es ist bekannt, dass im Pflegebereich bestimmte Produkte oft nur gekauft werden, weil die Hersteller Provision zahlen, oder dass manche Krankenhäuser für die Überweisung von Patienten sogenannte Kopfpauschalen an Ärzte auszahlen. Nach einer Studie der Universität Halle-Wittenberg werden diese Pauschalen sogar von nahezu fast jeder vierten Klinik gezahlt. Dieselbe Studie förderte übrigens auch zutage, dass zwei Drittel der nichtärztlichen Leistungserbringer, zum Beispiel Optiker oder Logopäden, niedergelassenen Ärzten gelegentlich oder häufig wirtschaftliche Vorteile für Zuweisungen gewähren. Dies ist zu bedenken. Ich denke, in diesem Hohen Haus besteht mittlerweile Einigkeit, dass diesen unlauteren Verfahren unbedingt Einhalt geboten werden muss. Was mich nach zwei Jahren Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag heute etwas skeptisch macht – vielleicht müssen wir uns alles noch einmal genauer anschauen –, ist, dass Frau Keul in einer rechtspolitischen Debatte zum ersten Mal nichts kritisiert hat. Aber vielleicht haben wir etwas übersehen, oder die Grünen freuen sich einmal, dass wir etwas Gutes vorgelegt haben. (Zurufe von der CDU/CSU: Nicht provozieren! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist da etwas schiefgegangen? – Gegenruf der Abg. Michaela Noll [CDU/CSU]: Nein! Alles gut!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der gesamtwirtschaftliche Schaden durch Korruption im Gesundheitswesen ist immens. Die Schäden betragen über 10 Milliarden Euro. Ich glaube, mit diesem Gesetzentwurf von Bundesjustizminister Heiko Maas gehen wir einen richtigen Weg. Ich freue mich auf die Ausschussberatungen und auf die Anhörung. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Damit schließe ich die Debatte. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/6446 und 18/5452 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. In den Ausschüssen können die Erwartungen ja dann allerseits voll erfüllt werden. Ich rufe Tagesordnungspunkt 32 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Susanna Karawanskij, Kerstin Kassner, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Einstieg in die Weiterentwicklung der Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirtschaftsteuer – Freie Berufe in die Gewerbesteuerpflicht einbeziehen Drucksachen 18/3838, 18/6396 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das auch so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. – Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, sich zügig zu setzen. – Als erster Redner in der Debatte hat Graf von und zu Lerchenfeld das Wort, und er wird das jetzt auch gleich ergreifen. (Beifall bei der CDU/CSU) Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Hohes Haus! Zum ich weiß nicht wievielten Mal beschäftigen wir uns damit, dass die Gewerbesteuer in eine Gemeindewirtschaftsteuer umgewidmet werden soll. (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Zum zweiten Mal! Das ist die zweite Lesung!) – Wir hier zum zweiten Mal. – Ich habe mit Freuden noch einmal das Protokoll vom 5. Februar gelesen, wo wir schon alles gesagt haben. In Anbetracht der vorgeschrittenen Zeit könnte man eigentlich darauf verweisen. Ich denke aber, ein paar Erklärungen sollte man doch machen. Es geht hier darum, dass in Ihrem Antrag gefordert wird, eine Gemeindewirtschaftsteuer einzuführen, das heißt, alle, die Einkünfte erzielen, mit Gewerbesteuer zu belasten. Nun ist das ein sehr verführerischer Vorschlag, aber ich gebe zu bedenken, dass hier mehrere Aspekte zu beachten sind. Einer davon ist – das sollten wir uns überlegen –, dass natürlich die Gewerbesteuer bei der Einkommensteuer abzugsfähig ist und infolgedessen eine Verteilung vom Bund hin zu den Kommunen entstehen würde, obwohl der Bund in den letzten Jahren und auch im laufenden Jahr enorme Zahlungen an die Kommunen gegeben hat. (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir aber auch!) Wir haben 4,5 Milliarden Euro vorgegeben. Bis zu 20 Milliarden Euro werden insgesamt von 2012 bis 2020 an die Kommunen gegeben werden. Wenn man jetzt die Flüchtlingssituation anschaut, sieht man: Auch hier engagiert sich der Bund deutlich für Kommunen. Natürlich haben Kommunen vielfältige Aufgaben. Wenn ich an die freiwillige Feuerwehr von Frauenfeld denke, die ich im Namen meines Kollegen hier sehr herzlich grüße, dann weiß ich, dass bayerische Kommunen so gut ausgestattet sind, dass sie auch die Feuerwehren gut ausstatten. (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht alle! Leider!) Ich hoffe, dass sie alle neue Fahrzeuge haben und immer zum Einsatz bereit sind. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Die Ausstattung wäre besser, wenn Sie unserem Antrag zustimmen würden!) Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Antrag wird von uns abgelehnt werden, auch deshalb, weil unser Koalitionsvertrag keine Änderung bei der Gewerbesteuer vorsieht. Die unionsgeführte Bundesregierung hat bereits in der letzten Legislaturperiode versucht, die Gewerbesteuer zu reformieren (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Abschaffen!) und unter anderem die Hinzurechnungen abzuschaffen. Würden wir eine Gemeindewirtschaftsteuer einführen, dann müssten wir uns natürlich Gedanken darüber machen, ob die Hinzurechnungen weiter in dem Umfang erhalten bleiben können. Denn dadurch würde das Ganze eine Substanzsteuer – aus einer reinen Ertragsteuer würde eine Substanzsteuer –, und das kann so nicht sein. Die Erweiterung der Gewerbesteuer auf alle Berufe birgt auch die ganz große Gefahr, dass in wirtschaftlich besonders schweren Zeiten die Gewerbesteuerzahlungen krisenverschärfend wirken würden; denn die gewerbesteuerlichen Hinzurechnungselemente sind ertragsunabhängig und führen dazu, dass auch in Zeiten von Verlust Gewerbesteuer zu zahlen ist. (Beifall der Abg. Anja Karliczek [CDU/CSU] – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Notare und Ärzte haben nicht so Konjunkturschwankungen!) Im Übrigen kann man nicht immer nur von guten Konjunkturdaten ausgehen, sondern es gibt auch schlechte Konjunkturdaten. Wir bemühen uns, mit einer Politik, die sich besonders um die Wirtschaft, auch um die der Kommunen, kümmert, wirtschaftsfreundlich zu sein, damit in den Kommunen auch entsprechende Erträge generiert werden, und zwar bei allen Arten von Unternehmen, sodass den Kommunen genügend Geld zufließt. Die Situation der Kommunen hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert. Die Gewerbesteuereinnahmen sprudeln. Es sind mittlerweile 33,3 Milliarden Euro, wenn sie auch durchaus unterschiedlich verteilt sind. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das ist das Problem!) Ich nehme an, dass die Verteilung ähnlich wie bei den anderen Ertragsteuern ist: dass Bayern, wie üblich, wieder an der Spitze ist. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Und Ostdeutschland hinten!) Norddeutschland hat natürlich ein Problem damit. Aber das liegt unter anderem daran, dass man in diesen Ländern in den letzten Jahren immer wieder deutlich über seine Verhältnisse gelebt und Schulden gemacht hat, was der kommenden Generation gegenüber unverantwortlich ist. Deswegen sollten wir nicht Steuern erhöhen, sondern vernünftig sparen und die Haushalte der öffentlichen Hand so sanieren, wie wir es in Bayern gemacht haben. Ich bitte Sie alle, sich ein Beispiel an uns zu nehmen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich kann Ihnen nur sagen: Wir lehnen den Antrag ab. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. – Ich habe meine Redezeit nicht ganz in Anspruch genommen, verehrte Frau Präsidentin. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Sehr gut! Die wird gutgeschrieben fürs nächste Mal!) Die bekomme ich dann das nächste Mal bitte gutgeschrieben, (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Nee, nee, nee!) wenn es etwas länger gedauert hat. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Gern geschehen. Wenn man die Punkte und Anliegen in der Sache vorgetragen hat, ist es gut, wenn man auch mit einer etwas kürzeren Redezeit auskommt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen zur nächsten Rednerin. Das ist Susanna Karawanskij von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Susanna Karawanskij (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Mein Vorredner hat es gerade angesprochen: Die Frage der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen ist zurzeit tatsächlich das größte Thema, über das in unseren Städten und Gemeinden diskutiert wird. Es treibt vor allen Dingen viele Bürgermeister und Landräte und natürlich auch die Kommunalpolitikerinnen und -politiker um. Da ist es nur richtig, dass der Bund hier verstärkt Verantwortung übernimmt und die Kommunen auch finanziell kräftig unterstützt werden. Es ist aber genauso wichtig, dass die Länder die entsprechenden Gelder an die Kommunen weiterleiten. Wir brauchen Soforthilfen für die Kommunen. Da ist schon einiges getan worden; das erkennen wir an. Aber wir brauchen vor allen Dingen weiterhin Investitionsprogramme. Meines Erachtens ist es schon in Ordnung, wenn man bei langfristigen Investitionen die Belastung auf verschiedene Generationen überträgt und nicht alles gleich aus der Portokasse zahlt. Wir Linke haben schon in der Vergangenheit immer wieder kritisiert, dass die Gelder für die kommunale Familie, für die kommunale Ebene nicht reichen. Wir haben auch Vorschläge eingebracht. Es ist natürlich wahr, dass die Schere zwischen armen und reichen Kommunen auseinandergeht und dass es da Unterschiede gibt. Natürlich stehen einige Kommunen ganz gut da. Aber es gibt natürlich auch einen Haufen verschuldeter Kommunen, die dann in einer Art Teufelskreis sind. Das Resultat sind letztendlich Substanzverzehr und Verfall. Man muss sich einmal anschauen, auf welche Größenordnung sich der kommunale Investitionsstau beziffert. Mehrere Studien gehen davon aus, dass der Investitionsstau ein Volumen von 130 Milliarden Euro hat und die gesamte kommunale Verschuldung 135 Milliarden Euro beträgt. Das sind gigantische Zahlen. Jede zweite Kommune bzw. jede zweite größere Stadt – das muss man sich einmal vorstellen – befindet sich in Haushaltssicherungskonzepten. So geht die Schere zwischen armen und reichen Kommunen tatsächlich auseinander. (Matthias Hauer [CDU/CSU]: In Nordrhein-Westfalen!) Der Punkt ist doch, dass ein Großteil unserer Kommunen chronisch unterfinanziert ist. (Matthias Hauer [CDU/CSU]: In Nordrhein-Westfalen vor allem!) Das ist einfach ein strukturelles Problem. Die Gewerbesteuer ist nun einmal sehr schwankungsanfällig. Sie unterliegt den konjunkturellen Schwankungen sehr stark. Die Städte und Gemeinden können damit also nicht planen. Aus diesem Grund haben wir uns als Ziel gesetzt, die Gewerbesteuer stabiler und vor allen Dingen nachhaltiger zu gestalten, (Beifall bei der LINKEN) was letztendlich auch den Kommunen zugutekommt; sie können dadurch höhere Einnahmen generieren. Unser Vorschlag lautet, die Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirtschaftsteuer mit einer breiteren Bemessungsgrundlage weiterzuentwickeln, sodass die Last auf mehr Schultern verteilt wird, ohne dass es unbedingt zu größeren Mehrbelastungen kommt. Angesichts der aktuellen Situation wären stabilere und höhere kommunale Einnahmen wünschenswert. Sie sind unverzichtbar, und ich hoffe tatsächlich, dass Sie Ihr Votum hier noch einmal überdenken und den vorliegenden Antrag als einen Einstieg in die Gemeindewirtschaftsteuer sehen, wodurch die finanzielle Situation der Kommunen letztendlich ein Stück weit entlastet werden würde. Dass Sie von der CDU/CSU mir jetzt zustimmen, erwarte ich gar nicht. (Matthias Hauer [CDU/CSU]: Richtig!) Ich möchte aber noch einmal für Verständnis bei Ihrem Koalitionspartner werben und auch noch einmal in Erinnerung bringen, wie lange schon diese Forderung im parlamentarischen Raum gestellt wird. (Anja Karliczek [CDU/CSU]: Sie sind vernünftig geworden, seit sie mitregieren!) – Lassen Sie mich doch ausreden. Sie haben doch genug Zeit, darauf zu reagieren. (Beifall bei der LINKEN) Ich möchte daran erinnern: 2003 haben der damalige Finanzminister Hans Eichel und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement bei der Gemeindefinanzreform eine Ausdehnung des Kreises der Gewerbesteuerzahler gefordert. Sie haben es sogar angekündigt. 2010 haben Sie selber einen Antrag gestellt. Ich zitiere: Das Kommunalmodell sieht eine zusätzliche Verbreitung der Bemessungsgrundlage durch eine nochmalige Erweiterung der Hinzurechnungen und durch eine Einbeziehung von Selbständigen und Freiberuflern in die Gewerbesteuerpflicht vor. Für die Angehörigen der freien Berufe führt dies zu keiner unzumutbaren Mehrbelastung, da sie ihre Gewerbesteuerzahlungen grundsätzlich mit der Einkommensteuerschuld verrechnen können. Darum geht es letztendlich. Wir fordern zudem – Sie können weiter schimpfen, dass dies unzumutbar wäre – auch noch Freigrenzen von 30 000 Euro, wodurch wir die Freiberufler trotzdem zum Teil schützen und auch keine wirtschaftliche Tätigkeit unterbinden wollen. Warum sollen sie auch nicht einbezogen werden? Sie nutzen das kommunale Eigentum bzw. die kommunale Infrastruktur ja genauso. Noch eine kleine Erinnerung: Im SPD-Wahlprogramm von 2013 stand, dass es mit der Weiterentwicklung der Gewerbesteuer einen Investitions- und Entschuldungspakt für die Kommunen in Deutschland geben soll. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Das interessiert aber keinen mehr! Das ist von vorgestern!) Das grundsätzliche finanzielle Problem der Unterfinanzierung der Kommunen werden wir mit diesem Antrag sicherlich nicht abschließend beseitigen können; das ist uns auch bewusst. Wir bieten damit aber einen niedrigschwelligen Einstieg in eine stärkere kommunale Finanzautonomie, und das sollte allen Fraktionen hier im Hohen Hause ein dringliches Anliegen sein. Ich bitte um Ihre Zustimmung; das wäre doch einmal ein Anfang. (Beifall bei der LINKEN – Michaela Noll [CDU/CSU]: Nein, das wäre das Ende, wenn wir zustimmen würden!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Bernhard Daldrup von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Bernhard Daldrup (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Karawanskij, Sie wissen, ich habe ausgesprochen viel Verständnis für Sie. Allerdings habe ich mehr Verständnis als eine Mehrheit. Das ist eine der Schwierigkeiten in Bezug auf Ihren Antrag. (Matthias Hauer [CDU/CSU]: Das ist auch gut so! – Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Ihre Stimmen würden uns reichen! Dann hätten wir die Mehrheit!) Ich beginne einmal so und frage: Warum sollte man eigentlich einen Antrag ablehnen, dessen Zielsetzung man dem Grunde nach befürwortet? Sie haben ja gerade auf unsere Position hingewiesen. Ich könnte es mir jetzt leichtmachen und sagen: „Unsere Originalität zu kopieren, wäre allein schon ein hinreichender Grund“; denn wir haben es in der Vergangenheit ja selbst gefordert. Das ist schon wahr. Sie haben 2014 einen Antrag auf Ausweitung der Bemessungsgrundlagen und zugleich die Abschaffung der Gewerbesteuerumlage gefordert. Den haben wir seinerzeit gut begründet abgelehnt. Jetzt konzentrieren Sie sich auf die Einbeziehung freier Berufe. Alle mitberatenden Ausschüsse empfehlen die Ablehnung dieses Antrages. Das hat auch ein bisschen damit zu tun, dass das ein Stück weit alter Wein in neuen Schläuchen ist; denn neu ist an diesem Antrag eigentlich nichts. Aber trotzdem ist es ja im Kern eine vernünftige Fragestellung, ob man Freiberufler in die Gewerbesteuer einbeziehen soll oder nicht. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Nein! Rede beendet!) Denn niemandem ist rational zu erklären, warum ein Zahntechniker Gewerbesteuer zahlen muss, aber ein Zahnarzt nicht. Die Zielsetzung, dass man Freiberufler einbezieht, ist keine sozialdemokratische Erfindung. Diese Zielsetzung verfolgen die kommunalen Spitzenverbände, auch parteiübergreifend. Wir haben das auch gemacht. (Beifall der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es ist eine Grundsatzfrage, der wir uns möglicherweise schneller widmen würden, wenn es bei den Kommunen ein aktuelles Einnahmeproblem gäbe. Die Gewerbesteuer – Herr Lerchenfeld hat bereits darauf hingewiesen – ist zweifelsfrei die wichtigste originäre Einnahmequelle der Gemeinden. Das Band zur lokalen Wirtschaft ist von eminenter Bedeutung. Herr Lerchenfeld sagte, dass sie 2014  33 Milliarden Euro betragen hätte. Wenn man die Stadtstaaten einbezogen hätte – was man in diesem Kontext eigentlich tun sollte –, wären es sogar 43 Milliarden Euro. Es ist also ganz gewaltig. Und die Perspektiven für die Gewerbesteuer sind gut. Das heißt, es gibt ein Stück weit Planungssicherheit für die Gemeinden, was ihre Einnahmesituation angeht. Es geht aber nicht nur um die Erhöhung der Einnahmen, sondern auch um Verstetigung; denn die Verrechnung der Gewerbesteuer für Freiberufler soll ja bis zu einem bestimmten Betrag mit der Einkommensteuer erfolgen. Das ist ein vernünftiges Ziel; denn in vielen Kommunen sind die Einnahmen sehr unterschiedlich, abhängig von der jeweils lokalen Situation. Insgesamt haben wir eine ausgesprochen positive Entwicklung bei den Gewerbesteuereinnahmen. Es gibt Orte, in denen die Durchschnittszahlen erheblich überschritten werden. Es gibt aber auch Orte, in denen sie dramatisch unterschritten werden. Es kommt sehr auf die Situation an. Steuer- und Strukturschwäche fallen leider oft genug zusammen. Deshalb ist die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und die Erhöhung der Zahl der Steuerpflichtigen durchaus eine Chance, Hebesätze zu stabilisieren, manchmal sogar zu senken. Im Übrigen möchte ich noch einen anderen Aspekt ansprechen: Übersteigt der Hebesatz eine bestimmte Schwelle, etwa von 400 Punkten, dann ist das eine Mehrbelastung. Ein praktisches Beispiel: Ein Arzt müsste in einer Großstadt tatsächlich deutlich mehr Geld bezahlen als beispielsweise in einer ländlichen Gemeinde mit einem niedrigen Hebesatz. Das wäre sogar ein interessanter Ansatz, um ärztliche Versorgung in ländlichen Gebieten zu verbessern, wahrscheinlich sogar wirksamer als lokale, meist unerlaubte Subventionen, die es im ländlichen Raum auch gibt. Also warum eigentlich ablehnen? Ich will drei Aspekte nennen. Erstens. Die Kommunen haben zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht so sehr ein Einnahme- als ein Ausgabeproblem, Stichwort „Soziallasten“. Darum kümmern wir uns in unserer Großen Koalition. Und ich meine, dass wir in der letzten Zeit nachweislich viele gute Dinge erbracht haben. Zweitens. Steuerpolitik enthält ja insgesamt ein süßes Gift – wenn ich das einmal so sagen darf –, das bei unterschiedlichen gesellschaftlichen Entwicklungen immer wieder herangezogen wird, mal beim Wohnungsbau, mal bei energetischer Sanierung, mal bei ungerechter Vermögensverteilung. Während die einen die Gewerbesteuer für unzeitgemäß halten, wollen die anderen sie stärken. Daraus ist eine Formulierung im Koalitionsvertrag geworden. Dort heißt es: Die Gewerbesteuer ist eine wichtige steuerliche Einnahmequelle der Kommunen. Wir wollen, dass auf der Basis des geltenden Rechts für die kommenden Jahre Planungssicherheit besteht. Auf gut Deutsch: Wir machen zum gegenwärtigen Zeitpunkt an der Gewerbesteuer nichts. „Pacta sunt servanda“ ist ein Grundsatz auch für Koalitionsverträge. Diese Vereinbarung halten wir ein. Das ist eben unser Verständnis. Es ist vielleicht auch einmal eine ganz angenehme Erfahrung, dass in der Steuerpolitik bei der Gewerbesteuer über eine ganze Wahlperiode Stabilität herrschen soll. Der dritte Gesichtspunkt, den ich ansprechen will, ist komplizierter. Die Linken wollen mit ihrem Antrag weniger Konjunkturanfälligkeit und eine Verstetigung der Gewerbesteuer. Diese Grundüberlegung ist nicht falsch. Diesem Ziel diente auch die Unternehmensteuerreform der letzten Großen Koalition aus dem Jahre 2008. Neben Steuererleichterungen wie der Absenkung der Körperschaftsteuer und der Senkung der Gewerbesteuermesszahl wurde auch eine Hinzurechnung aller gezahlten Schuldzinsen zu 25 Prozent vorgenommen. Das war eine Vereinbarung. Darunter fallen auch Mieten und Pachten. Das ist eine wichtige Verbreiterung – wenn ich das einmal so sagen darf – mit entsprechenden großzügigen Freibetragsregelungen. Im Kern geht es um eine Gleichwertigkeit von Fremd- und Eigenkapitalfinanzierung, also das, was wir unter Finanzierungsneutralität bei der Gewerbesteuer verstehen. Den Entlastungen standen also auch Belastungen, Hinzurechnungen gegenüber, um Steuergerechtigkeit herzustellen. Warum mache ich eigentlich zum gegenwärtigen Zeitpunkt diesen Exkurs? Seit der damaligen Zeit wehren sich Wirtschaftsverbände gegen dieses Modell der Hinzurechnungen, wohlgemerkt, ohne die Steuererleichterungen, die es auch gegeben hat, rückgängig machen zu wollen. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: So sind die!) Zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben wir ein solches Problem in der Tourismusbranche. Vor wenigen Tagen haben sich beispielsweise auch die Messebauer zu Wort gemeldet. In der Darstellung der Folgen der Hinzurechnung verwenden Lobbyisten in hoher Intensität irreführende Berechnungen mit absurd hohen Steuerquoten. Einige scheinen dabei auch wirklich jedes gesunde Maß verloren zu haben. Kleine Reiseveranstalter werden dabei übrigens einmal mehr für einen Protest gegen Steuerbelastungen instrumentalisiert, die vor allen Dingen große Unternehmen treffen würden. Beeindruckend finde ich übrigens, dass uns in Gesprächen mit Lobbyisten aus der Tourismusbranche erklärt wird, bei der Steuergesetzgebung habe man gar nicht an sie gedacht, sie seien schließlich auch nicht zur Anhörung im Gesetzgebungsverfahren eingeladen worden. – Na ja, dann bräuchte ich ab morgen eigentlich keine Einkommensteuer zu zahlen. Das ist ein bemerkenswertes Verständnis darüber – wenn ich das einmal an dieser Stelle so sagen darf –, wie man Betroffenheit organisieren kann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es passt jedenfalls nicht zusammen, wenn Lobbyisten von Belastungen in Millionenhöhe durch die Gewerbesteuer sprechen, während die Steuerverwaltung auf Zusatzbelastungen von unter 2 Prozent hinweist. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ein praktisches Beispiel: Wenn eine 1 000-Euro-Pauschalreise durch die Hinzurechnung um insgesamt 17,50 Euro teurer wird, dann geht davon weder das Produkt noch die Branche pleite; davon bin ich fest überzeugt. (Beifall der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Deswegen will ich hier gar nicht weiter über eine prosperierende Branche, die Tourismusbranche, reden, sondern ich will alle Beteiligten zum jetzigen Zeitpunkt auffordern: Setzen Sie sich dafür ein, dass das, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, eingehalten wird, nämlich Rechtssicherheit beim Bestand der Gewerbesteuer. Wer die Hinzurechnungen zur Disposition stellt, legt die Axt an die Gewerbesteuer. Das wollen wir auf gar keinen Fall. Was können wir jetzt also machen? Ich glaube, wir als diejenigen, die auch Vertreter von Kommunen sind, sollten gemeinsam keine zusätzlichen Anträge stellen, sondern wir sollten den Schulterschluss mit den kommunalen Spitzenverbänden herstellen und ein Abrücken von den Hinzurechnungen verhindern, weil das einen Dammbruch bedeuten würde. Ich bitte an dieser Stelle auch die Mitglieder der Linken ausdrücklich, diese Diskussion in Ihrer Fraktion zu führen. Leider sind auch Vertreter Ihrer Fraktion im Tourismusausschuss vor der Argumentation dieser Lobbygruppen nicht gefeit. Ganz im Gegenteil: Sie haben sie sich zu eigen gemacht. Das ist natürlich eine etwas schwierige Situation. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Sie haben aber keine Mehrheit bei uns!) – Diese habe ich im Moment alleine auch nicht; das ist wahr. Aber deswegen kann man trotzdem sagen, was Sache ist, lieber Axel Troost. Deswegen will ich sagen: Bevor es zu Erweiterungen des derzeit geltenden Gewerbesteuerrechts kommt, sollten Sie in dieser Frage die eigene Haltung klären. Wenn Sie die Bemessungsgrundlage verbreitern und weitere Berufsgruppen in die Gewerbesteuerpflicht einbeziehen, dann müssen Sie an anderer Stelle, meine ich jedenfalls, Kurs halten. Deswegen können wir Ihrem Antrag an dieser Stelle nicht folgen. (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Es war so schön! Jetzt ist alles wieder kaputt!) Wir appellieren an alle, die Rechtssicherheit bei der Gewerbesteuer nicht zu gefährden und sich auch an diese Verabredung des Koalitionsvertrages zu halten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Britta Haßelmann von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Besuchertribüne! In der Tat reden wir heute zum wiederholten Mal über die Frage der Weiterentwicklung der Gewerbesteuer. Aber das ist ganz normal; denn ein Antrag geht nach dem normalen Verfahren in die Fachausschüsse – diese tagen nicht öffentlich –, und danach kommt der Antrag wieder ins Parlament, um hier dann wieder öffentlich abschließend diskutiert zu werden. Ich sage das als Erklärung für Sie. Von daher ist diese Debatte kein ermüdender und lahmer Vorgang, sondern etwas ganz Normales. Um die ausgetauschten Argumente vorzutragen, finden die Debatten öffentlich statt, da bisher die Initiativen der Grünen zur Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen in diesem Haus leider keine Mehrheit gefunden haben. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Das ist Sacharbeit!) Nun aber zur Sache. Ich glaube, dass es richtig und wichtig ist, über die Weiterentwicklung der Gewerbesteuer und auch über die Einbeziehung der Freiberufler in die Gewerbesteuer zu sprechen, zu diskutieren und hier entsprechende Vorschläge zu machen. Ich bin ganz froh, dass ihr von den Linken auf das verzichtet habt, was wir untereinander bisher immer kritisch diskutiert haben, nämlich die Gewerbesteuerumlage. Dieses Stichwort findet sich in der aktuellen Antragsfassung nicht. Von daher kann ich für unsere Fraktion sagen, dass wir das Anliegen unterstützen, über die Frage nachzudenken, wie die Einnahmen aus der Gewerbesteuer für die Städte und Gemeinden verstetigt werden können, sodass sie konstanter und dauerhaft werden. Dabei geht es um zwei Elemente, nämlich zum einen um die Hinzurechnungen bei der Gewerbesteuer und zum anderen um die Einbeziehung der Freiberufler. Einen solchen Vorschlag können und wollen wir unterstützen, und das werden wir durch die Zustimmung zum Antrag auch machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Bernhard Daldrup hat zu Recht darauf hingewiesen, dass in Bezug auf die Hinzurechnungen Schluss sein sollte mit dem Phantomargument, dass das ein ganz furchtbarer Eingriff mit negativen Folgen wäre. Er hatte das Dreifache meiner Redezeit; deshalb will ich das nicht wiederholen. Er hat vorhin auf die Frage des Eigen- und Fremdkapitals und das Verhältnis zueinander Bezug genommen. Ich finde, statt der Verteufelung des Instruments der Hinzurechnungen wäre mehr Sachlichkeit im Umgang mit den Argumenten geboten. Ich glaube, man kann das so gestalten, dass es sinnvoll, richtig und nicht schädlich ist. Daran sollten wir alle mitwirken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Von daher ist die Antragsinitiative an dieser Stelle zu unterstützen. Denn wir haben es mit großen regionalen Disparitäten und sehr unterschiedlichen Entwicklungen in der kommunalen Landschaft zu tun. Es gibt Kommunen, denen es total gut geht. Sie können aus eigener Kraft viel gestalten und haben konstante Gewerbesteuereinnahmen. Andere Kommunen sind in einer absoluten Notsituation. Ich will zum Schluss meiner Rede noch darauf hinweisen, dass die Möglichkeiten des Ausgleichs der regionalen Unterschiede bzw. die Verhinderung der Entwicklung hin zu einer Zweiklassengesellschaft der Kommunen, die wir seit Jahren wahrnehmen, durch die Gewerbesteuer nur ganz marginal sind. Ein viel größerer Anknüpfungspunkt ist die dauerhafte Entlastung der sozialen Kosten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Das sollte uns immer gegenwärtig sein. Auch wenn wir wie heute aufgrund des Antrags über eine solche Frage diskutieren, ist das der Hauptanknüpfungspunkt. Denn die Entwicklung der sozialen Kosten macht ganz deutlich, dass hier der Anknüpfungspunkt ist, um Ungleichheiten und Armut in Städten und Gemeinden ausgleichen zu können. Dabei haben wir als Bund eine Verpflichtung über die Grundsicherung im Alter hinaus, zum Beispiel beim Teilhabegesetz, bei der Eingliederungshilfe und ganz aktuell bei der Unterstützung der Kommunen bei Betreuung, Begleitung und Erstaufnahme von Geflüchteten und der riesigen Aufgabe der Integration, die vor uns liegt. Dass die sozialen Kosten laut Finanzbericht allein für 2014 um 5,2 Prozent gestiegen sind und mittlerweile bei 49 Milliarden Euro liegen, macht deutlich, dass das ein Bereich ist, in dem es mehr Unterstützung für die Kommunen auch durch Bundesleistungen geben muss, wenn es um soziale Pflichtaufgaben geht. Das sollten wir, auch wenn wir heute schwerpunktmäßig über die Gewerbesteuer diskutieren, nicht vergessen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als letzter Redner in der Debatte hat Markus Koob von der CDU/CSU das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Markus Koob (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn viele von uns in einigen Wochen mehr oder weniger text- und tonsicher vor dem Weihnachtsbaum besinnliche Weihnachtslieder singen, wird ein Klassiker sicherlich nicht fehlen: Alle Jahre wieder (Beifall bei der CDU/CSU) Mit Blick auf die heutige Debatte könnten wir dieses Lied aber auch heute schon anstimmen. Denn wir führen auch diese Debatte jedes Jahr wieder. Zur vorweggenommenen Besinnlichkeit gehört, dass wir alle die gleiche Zielsetzung verfolgen, die auch gut und wichtig ist: die Stabilisierung der Finanzen von Städten und Gemeinden. Aber diese Bundesregierung und diese Koalition arbeiten längst mit einem Strauß unterschiedlicher Maßnahmen auf dieses Ziel hin. Der Kollege Lerchenfeld hat in der gebotenen Ausführlichkeit bereits viele der unterschiedlichen Maßnahmen erläutert. Die reichen von der Übernahme der Kosten für die Grundsicherung im Alter und bei der Erwerbsminderung bis hin zu der kürzlich beschlossenen Übernahme von Kosten im Zusammenhang mit der Asyl- und Flüchtlingssituation in Deutschland. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das hat nichts mit Steuereinnahmen zu tun!) Wir helfen den Kommunen. Das machen wir, weil wir starke Kommunen wollen, das machen wir, weil wir stabile Finanzen in den Kommunen wollen, und das machen wir, weil wir mit der Stärkung der Infrastruktur mehr Lebensqualität in den Kommunen wollen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Bernhard Daldrup [SPD]) Diese Ziele haben wir durch konkrete Maßnahmen auch zu unseren gemacht, obwohl nach der Kompetenzverteilung unserer Verfassung die Länder primär zuständig für die Kommunen sind und auch bleiben müssen. Aber der Bund hilft. Wir helfen den Kommunen, weil wir ein verlässlicher Partner der Kommunen sind, obwohl das nicht unsere primäre Pflicht ist. Wir bekräftigen auch an dieser Stelle gerne, dass die kommunalfreundliche Politik dieser Bundesregierung von uns aus voller Überzeugung getragen wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Umso leichter für Sie, zuzustimmen!) Deswegen habe ich wohlwollend zur Kenntnis genommen, dass Sie die von uns gesetzten Ziele in Ihrem Antrag als durchaus erstrebenswert definieren. Es kommt nicht alle Tage vor, dass uns selbst die Linken bescheinigen, eine richtige Zielsetzung mit unserer Politik zu verfolgen. (Beifall bei der CDU/CSU) Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, so viel Einigkeit und Besinnlichkeit gibt es auf den zweiten Blick dann doch wieder nicht, und wir haben auch durchaus unterschiedliche Ansichten, mit welchen Mitteln wir diese Ziele erreichen wollen. Um es vorwegzunehmen: Ich glaube, es wird Sie nicht wirklich überraschen, dass ich am Ende der Rede empfehlen werde, Ihren Antrag abzulehnen. Dafür gibt es zahlreiche Gründe. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Alle Jahre wieder! – Heiterkeit im ganzen Hause) Mit diesem Antrag wird suggeriert, dass sich Anwälte, Ärzte, Ingenieure oder Architekten und viele Freiberufler in unserem Land außerhalb der Steuerordnung bewegen würden. (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Nein! Das habe ich nicht reingeschrieben! Nein, das stimmt nicht!) Nichts anderes lässt es vermuten, wenn der Tenor Ihres Antrags sinngemäß lautet: Die Freiberufler nutzen die kommunale Infrastruktur und sollten sich endlich an ihrer Finanzierung beteiligen. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Ja! Dafür ist die Gewerbesteuer eingeführt worden!) Wir wollen hier einige Sachen klarstellen. Die freien Berufe tragen natürlich ihren Teil zur Finanzierung der kommunalen Infrastruktur bei. Die Grundsätze ihrer Besteuerung sind im Einkommensteuergesetz niedergeschrieben. (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Die sind von 1937!) Ein Teil der Einkommensteuer – es sind 15 Prozent – wird den Kommunen direkt zugeführt. Jetzt werden Sie sagen: Da ist noch Luft nach oben. – Als Kommunalpolitiker – ich bin Stadtverordneter in meiner Heimatstadt Oberursel – sehe ich das durchaus ähnlich. Aber das ist heute nicht unser Thema, (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Doch!) sondern die Auferlegung der Gewerbesteuerpflicht für Freiberufler, und die halte ich für falsch. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Einkommensteuer, die auch für Freiberufler gilt, ist eine beachtliche Komponente von Gemeindehaushalten. Außerdem: Der kommunale Anteil an der Einkommensteuer wird zusätzlich durch Bundesmittel verstärkt, die den Kommunen und deren Infrastruktur zugutekommen. Der Bund beteiligt sich durch kluge Programme und Fördermaßnahmen an der Unterstützung der Kommunen, vor allem der strukturschwachen Kommunen, zum Beispiel durch das Bund-Länder-Programm „Die soziale Stadt“, in dem es um städtebauliche Aufwertung von benachteiligten Städten geht. (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Was hat das mit unserem Antrag zu tun?) Eine sehr finanzschwache Kommune in meinem Nachbarwahlkreis nimmt mit großer Begeisterung an diesem Programm teil und hat so trotz klammer Kassen die Möglichkeit, erheblich in die kommunale Infrastruktur zu investieren. Das zeigt: Der Bund wirkt hier freiwillig daran mit, dass auch finanzschwache Kommunen mitgenommen werden und nicht auf der Strecke bleiben, und das ist auch gut so. (Beifall bei der CDU/CSU) Ohne Auswirkungen auf die Arbeitsbelastung von Finanzbeamten in den Steuerbehörden und von steuererklärenden Freiberuflern würde es nicht gehen, wenn wir Ihre Vorschläge umsetzen würden; denn nach Ihrem Entwurf sollen Freiberufler sowohl einkommen- als auch gewerbesteuerpflichtig sein und ihre unterschiedlichen Steuerschulden miteinander verrechnen. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Wie andere Kleinunternehmen auch!) Denken Sie doch einmal an den Verwaltungsaufwand. Mit welchen Instrumenten die kommunale Finanzkraft gestärkt wird, wird im Rahmen der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen zu klären sein. Aus eigener Erfahrung vor Ort warne ich uns alle davor, nach vermeintlich einfachen Lösungen zu suchen. Dazu zählt auch, dass wir uns davor hüten sollten, die Gewerbesteuer entgegen der Realität vor Ort zu glorifizieren. Die Gewerbesteuer ist eine sehr konjunkturanfällige und damit keine verlässliche Steuer. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Mit unserem Antrag wäre das weniger der Fall!) Darauf hat schon die sogenannte Troeger-Kommission in Vorbereitung der letzten großen Gemeindefinanzreform aufmerksam gemacht. Es gibt sicherlich viele weitere Anekdoten von Kolleginnen und Kollegen, die auch in der Kommunalpolitik aktiv sind und die Ihnen berichten könnten, was bei Turbulenzen in der Gewerbesteuer so alles passieren kann. Allein in meiner Heimatstadt riss erst kürzlich eine Gewerbesteuerrückzahlung in Höhe von 37 Millionen Euro ein großes Loch in den kommunalen Ergebnishaushalt. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das passiert bei Notaren und Ärzten eben nicht!) Für eine mittelgroße Stadt ist das verdammt viel Geld. Daher: Ja, die Finanzkraft und die Infrastruktur vor Ort müssen gestärkt werden, aber ob die Ausweitung der Gewerbesteuer hierbei das geeignete Mittel ist – da würde ich doch ein großes Fragezeichen setzen. Die CDU/CSU-Fraktion bleibt ein verlässlicher Partner der Kommunen, und sie wird sich im Rahmen der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen für einen zufriedenstellenden, aber vor allem für einen stabilen und nachhaltigen Kompromiss starkmachen. Die Menschen vor Ort können sicher sein, dass wir am kommunalfreundlichen Kurs dieser Bundesregierung festhalten (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Das haben Sie schon einmal gesagt!) und dass wir diesen weiterhin zu einer wichtigen Grundlage unserer Arbeit machen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Einstieg in die Weiterentwicklung der Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirtschaftsteuer – Freie Berufe in die Gewerbesteuerpflicht einbeziehen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6396, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3838 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Beschlussempfehlung angenommen worden mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 24. November 2015, 10 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. (Schluss: 15.25 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bülow, Marco SPD 13.11.2015 Dörflinger, Thomas CDU/CSU 13.11.2015 Erler, Dr. h. c. Gernot SPD 13.11.2015 Freudenstein, Dr. Astrid CDU/CSU 13.11.2015 Gabriel, Sigmar SPD 13.11.2015 Gohlke, Nicole DIE LINKE 13.11.2015 Held, Marcus SPD 13.11.2015 Hintze, Peter CDU/CSU 13.11.2015 Jung, Andreas CDU/CSU 13.11.2015 Kaufmann, Dr. Stefan CDU/CSU 13.11.2015 Kelber, Ulrich SPD 13.11.2015 Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13.11.2015 Klare, Arno SPD 13.11.2015 Krellmann, Jutta DIE LINKE 13.11.2015 Kretschmer, Michael CDU/CSU 13.11.2015 Kühn-Mengel, Helga SPD 13.11.2015 Lanzinger, Barbara CDU/CSU 13.11.2015 Ludwig, Daniela CDU/CSU 13.11.2015 Malecha-Nissen, Dr. Birgit SPD 13.11.2015 Mast, Katja SPD 13.11.2015 Nahles, Andrea SPD 13.11.2015 Rüthrich, Susann SPD 13.11.2015 Schäfer (Bochum), Axel SPD 13.11.2015 Schlecht, Michael DIE LINKE 13.11.2015 Schulte, Ursula SPD 13.11.2015 Terpe, Dr. Harald BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13.11.2015 Werner, Katrin DIE LINKE 13.11.2015 Wicklein, Andrea SPD 13.11.2015 Wolff (Wolmirstedt), Waltraud SPD 13.11.2015 Wunderlich, Jörn DIE LINKE 13.11.2015 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Halina Wawzyniak (DIE LINKE) zu den Abstimmungen über – den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Doping im Sport (Tagesordnungspunkt 28 a) – die Beschlussempfehlung des Sportausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. André Hahn, Katrin Kunert, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Anti-Doping-Gesetz für den Sport vorlegen (Tagesordnungspunkt 28 b) 1. Gesetz zur Bekämpfung von Doping im Sport (Drucksache 18/4898) Ich habe bei dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (Drucksache 18/4898) mit „Nein“ gestimmt. Mit dem Gesetz wird unter anderem der Zweck verfolgt, die Gesundheit der Sportlerinnen und Sportler zu schützen und die Chancengleichheit und Fairness im Sportwettbewerb zu sichern (§ 1). Der § 3 stellt das Selbstdoping unter Strafe, soweit dies in Absicht stattfindet, sich in einem Wettbewerb des organisierten Sports einen Vorteil zu verschaffen, anzuwenden oder anwenden zu lassen. Der Gesetzentwurf sieht ein Strafmaß von bis zu drei Jahren vor, der Versuch ist strafbar. Der Gesetzentwurf argumentiert damit, dass Doping tief in die ethisch-moralischen Grundwerte des Sports eingreife und ihm seine Glaubwürdigkeit und Vorbildfunktion raube. Der Gesetzentwurf gibt mithin eine moralisch-ethische Haltung vor und gründet darauf eine staatliche Strafbarkeit. Es ist aber zunächst eine Frage der Selbstbestimmung, ob Sportlerinnen und Sportler durch Selbstdoping ihre eigene Gesundheit gefährden. Eine Täuschung von Konkurrenten/innen ist überhaupt erst durch das Verbot des Eigendopings möglich. Diese Täuschung im Hinblick auf Veranstalter, Sportvereine, Sponsoren und Zuschauer ist ebenfalls nur durch das Verbot des Eigendopings möglich. All diese Probleme würden nicht bestehen, wenn man die Entscheidung treffen würde, Doping zu erlauben. Aber selbst wenn dieser Weg nicht gegangen werden soll, bleibt festzustellen, dass mit dem Selbstdoping der Sportler/die Sportlerin zunächst nur sich selbst schädigt. Eine solche Eigengefährdung fällt unter die Selbstbestimmung. Mit den Mitteln des Strafrechts auf eine solche Eigengefährdung zu reagieren, ist unverhältnismäßig. Denn entgegen den Aussagen im Gesetzentwurf halte ich die Maßnahmen des organisierten Sports für ausreichend. Es ist – anders als es der Gesetzentwurf nahelegt – gerade nicht Aufgabe des Staates, zum Schutz der Gesundheit, soweit es sich wie beim Doping um Eigengefährdung handelt, und zum Schutz der Integrität des Sports mit den Mitteln des Strafrechts beizutragen. Wie Dr. Volkmar Schöneburg, ehemaliger Justizminister des Landes Brandenburg, richtig anmerkte, sind zwei oder vier Jahre Sperre bzw. der lebenslange Ausschluss aus dem Wettkampfbetrieb ein Berufsverbot und treffen die soziale Existenz des/der Dopenden, Titel und Siegprämien können aberkannt und Schadensersatzforderungen geltend gemacht werden (vgl. Schönburg, Rechtspolitik und Menschenwürde, S. 185). Eine zusätzliche strafrechtliche Sanktion stellt eine faktische Doppelbestrafung dar. Es ist anmaßend, wenn staatlicherseits gegen Eigendoping im organisierten Sport eingeschritten werden soll, damit „nicht die ethisch-moralischen Grundwerte des Sports und damit seine Grundlagen beschädigt werden“. Darüber hinaus verkennt der Gesetzentwurf die Gefährdungen der ethisch-moralischen Grundwerte des Sports durch die fast vollständige Kommerzialisierung und Vermarktung des sportlichen Wettbewerbs. 2. Antrag „Anti-Doping-Gesetz für den Sport vorlegen“ (Drucksache 18/2308) Ich habe mich bei diesem Antrag enthalten. Der Antrag benennt zu Recht Probleme im organisierten sportlichen Wettbewerb, wenn er auf Korruption verweist und das Problem benennt, dass der Spitzensport zu einem eigenständigen Wirtschaftszweig geworden ist. Der Antrag verweist darüber hinaus auf die Notwendigkeit von Prävention. Allerdings verfolgt auch der vorgelegte Antrag das Ziel, ,,zum Schutz des sportlichen Wettbewerbs und nicht zuletzt auch zum Schutz des Sports und seiner Werte“ ein Regelwerk zu schaffen, „um gegen Doping im Sport vorzugehen“. Auch dieser Antrag beabsichtigt, „sportrechtliche und staatliche Sanktionsverfahren nebeneinander“ zu etablieren, ,,um sich gegenseitig effektiv zu ergänzen“. Auch dieser Antrag verfolgt das Ziel, einen Straftatbestand des Eigendopings einzuführen. Da ich einen solchen Straftatbestand aus den bereits aufgeführten Gründen ablehne, konnte ich trotz einiger positiver Aspekte diesem Antrag nicht zustimmen. Anlage 3 Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Der Bundesrat hat in seiner 938. Sitzung am 6. November 2015 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie – Gesetz zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner – Gesetz zur Bekämpfung der Korruption – Gesetz zur Änderung des Unterhaltsrechts und des Unterhaltsverfahrensrechts sowie zur Änderung der Zivilprozessordnung und kostenrechtlicher Vorschriften – Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten – Erstes Gesetz zur Änderung des Batteriegesetzes und des Kreislaufwirtschaftsgesetzes – Gesetz zu dem Protokoll von Nagoya vom 29. Oktober 2010 über den Zugang zu genetischen Ressourcen und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus ihrer Nutzung ergebenden Vorteile zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt – Gesetz zur Umsetzung der Verpflichtungen nach dem Nagoya-Protokoll, zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 511/2014 und zur Änderung des Patentgesetzes sowie zur Änderung des Umweltauditgesetzes – Vierzehntes Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes – Gesetz zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes zur Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 7. November 2013 in der Rechtssache C-72/12 – Erstes Gesetz zur Änderung des Energieverbrauchskennzeichnungsgesetzes und zur Änderung weiterer Bestimmungen des Energiewirtschaftsrechts – Gesetz zu dem Partnerschafts- und Kooperationsabkommen vom 11. Mai 2012 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Irak andererseits – Gesetz zu dem Protokoll vom 3. Dezember 2014 zur Änderung des Abkommens vom 30. März 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Irland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen – Gesetz zu dem Abkommen vom 7. Mai 2015 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Jersey über die Zusammenarbeit in Steuersachen und die Vermeidung der Doppelbesteuerung bei bestimmten Einkünften – Gesetz zu dem Zusatzabkommen vom 31. März 2015 zum Abkommen vom 21. Juli 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern – Gesetz zu dem Protokoll vom 17. März 2014 zur Änderung des Abkommens vom 30. März 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen – Gesetz zu dem Abkommen vom 19. Oktober 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Föderation St. Kitts und Nevis über die Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch – Gesetz zu dem Abkommen vom 21. August 2014 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen – Gesetz zu dem Protokoll vom 24. Juni 2010 zur Änderung des am 25. und 30. April 2007 unterzeichneten Luftverkehrsabkommens zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten – Gesetz zu dem Luftverkehrsabkommen vom 16. und 21. Juni 2011 zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika als erster Partei, der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten als zweiter Partei, Island als dritter Partei und dem Königreich Norwegen als vierter Partei und zu dem Zusatzabkommen vom 16. und 21. Juni 2011 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten als erster Partei, Island, als zweiter Partei, und dem Königreich Norwegen, als dritter Partei, betreffend die Anwendung des Luftverkehrsabkommens vom 16. und 21. Juni 2011 – Gesetz über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2015 (Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2015) Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung gefasst: 1. Die steigende Zahl der Flüchtlinge und Asylbewerber stellt die Länder vor große Herausforderungen. Dies gilt nicht nur für den Bereich der Unterbringung, sondern auch für den Bereich der Kinderbetreuung. Aus diesem Grunde wurde in der Besprechung der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder mit der Kanzlerin am 24. September 2015 unter anderem verabredet, dass die Bundesregierung die Kinderbetreuung weiter unterstützen wird. Dafür sollen die Spielräume, die im Bundeshaushalt durch den Wegfall des Betreuungsgeldes bis 2018 entstehen, aufwachsend mit dem sukzessiven Auslaufen der Altfälle genutzt werden. Der Bundesrat geht entsprechend den Äußerungen der Bundeskanzlerin von einem Finanzvolumen in Höhe von nahezu 1 Mrd. Euro pro Jahr aus. Die Länder sehen die Absprache allerdings mit Blick auf Artikel 8 des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes, das für die Jahre 2016 bis 2018 lediglich Mittel in Höhe von 339 Mio., 774 Mio. bzw. 870 Mio. Euro für die Entlastung der Länder vorsieht, als unzureichend erfüllt an. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, im Rahmen der Haushaltsberatungen zum Bundeshaushalt 2016 die Mittelzuweisungen an die Länder entsprechend den Verabredungen anzupassen. Der Bundesrat erwartet, dass die Mittel über 2018 hinaus dauerhaft zur Verfügung stehen. 2. Der soziale Wohnungsbau ist eine der drängenden aktuellen Fragestellungen, auch im politischen Zusammenhang mit der großen Anzahl von Deutschland erreichenden Flüchtlingen. Entsprechend der Vereinbarung zwischen den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder und der Bundeskanzlerin vom 24. September 2015 sollen Länder und Kommunen beim Neubau von Wohnungen und bei der Ausweitung des Bestandes an Sozialwohnungen durch den Bund unterstützt werden. So wird der Bund über Konversionsliegenschaften hinausgehend den Kommunen und kommunalen Gesellschaften weitere Immobilien und Liegenschaften schnell und verbilligt für den sozialen Wohnungsbau bereitstellen. In den anstehenden Beratungen des Bundeshaushalts 2016 sollte daher der Haushaltsvermerk in Kapitel 60 04 Titel 121 01 unter Nummer 60.3 angepasst werden. Es ist erforderlich, dass der Bund für den sozialen Wohnungsbau geeignete Grundstücke zum Verkehrswert an Kommunen bzw. kommunale Gesellschaften abgibt. Die künftig beabsichtigte und vertraglich abgesicherte Nutzung muss dabei in die Ermittlung des Verkehrswertes einfließen. Dadurch kommt vorrangig ein Ertragswertverfahren zur Anwendung. Zudem bedarf es eines Verfahrens, wie eventuelle Streitigkeiten zwischen der BImA und der Belegenheitskommune geschlichtet werden; z. B. durch den Gutachterausschuss gemäß § 192 BauGB. Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zur Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinten Nationen und einzelnen, global agierenden, internationalen Organisationen und Institutionen im Rahmen des VN-Systems in den Jahren 2012 und 2013 Drucksachen 18/2487, 18/2672 Nr. 1.1 Ausschuss für Wirtschaft und Energie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Vierter Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung und Zukunftsperspektiven der maritimen Wirtschaft in Deutschland Drucksache 18/5764 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2015 Drucksache 18/6100 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit – Unterrichtung durch die Bundesregierung Sondergutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen Stickstoff: Lösungsstrategien für ein drängendes Umweltproblem Drucksachen 18/4040, 18/4147 Nr. 6 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zum Anerkennungsgesetz 2015 Drucksache 18/5200 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Innenausschuss Drucksache 18/642 Nr. C.1 Ratsdokument 5833/12 Drucksache 18/642 Nr. C.2 Ratsdokument 5853/12 Drucksache 18/5286 Nr. A.3 EP P8_TA-PROV(2015)0176 Drucksache 18/5459 Nr. A.5 Ratsdokument 9345/15 Drucksache 18/5459 Nr. A.6 Ratsdokument 9355/15 Drucksache 18/5459 Nr. A.7 Ratsdokument 9376/15 Drucksache 18/5459 Nr. A.8 Ratsdokument 9483/15 Drucksache 18/6146 Nr. A.2 Ratsdokument 11843/15 Drucksache 18/6417 Nr. A.4 EP P8_TA-PROV(2015)0317 Haushaltsausschuss Drucksache 18/5982 Nr. A.19 KOM(2015)300 endg. Drucksache 18/5982 Nr. A.21 Ratsdokument 11069/15 Drucksache 18/5982 Nr. A.22 Ratsdokument 10343/15 Drucksache 18/5982 Nr. A.25 Ratsdokument 11068/15 Drucksache 18/6417 Nr. A.19 Ratsdokument 11949/15 Drucksache 18/6417 Nr. A.20 Ratsdokument 12037/15 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Drucksache 18/822 Nr. A.30 Ratsdokument 6202/14 Drucksache 18/5459 Nr. A.16 Ratsdokument 9534/15 Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Drucksache 18/544 Nr. A.47 EP P7_TA-PROV(2013)0575 Drucksache 18/4152 Nr. A.9 EP P8_TA-PROV(2015)0006 Drucksache 18/4152 Nr. A.10 EP P8_TA-PROV(2015)0007 Drucksache 18/4152 Nr. A.11 EP P8_TA-PROV(2015)0012 Drucksache 18/4375 Nr. A.6 EP P8_TA-PROV(2015)0031 Drucksache 18/4375 Nr. A.7 EP P8_TA-PROV(2015)0036 Drucksache 18/4749 Nr. A.38 EP P8_TA-PROV(2015)0072 Drucksache 18/4749 Nr. A.39 EP P8_TA-PROV(2015)0076 Drucksache 18/4749 Nr. A.40 EP P8_TA-PROV(2015)0079 Drucksache 18/5004 Nr. A.13 EP P8_TA-PROV(2015)0095 Drucksache 18/5286 Nr. A.11 EP P8_TA-PROV(2015)0175 Drucksache 18/5286 Nr. A.12 EP P8_TA-PROV(2015)0178 Drucksache 18/5286 Nr. A.14 EP P8_TA-PROV(2015)0187 Drucksache 18/5459 Nr. A.17 EP P8_TA-PROV(2015)0210 Drucksache 18/5982 Nr. A.42 EP P8_TA-PROV(2015)0227 Drucksache 18/5982 Nr. A.43 EP P8_TA-PROV(2015)0229 Drucksache 18/5982 Nr. A.44 EP P8_TA-PROV(2015)0231 Drucksache 18/5982 Nr. A.45 EP P8_TA-PROV(2015)0274 Drucksache 18/5982 Nr. A.46 EP P8_TA-PROV(2015)0275 Drucksache 18/5982 Nr. A.48 Ratsdokument 10056/15 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 18/419 Nr. A.184 Ratsdokument 12883/13 Drucksache 18/419 Nr. A.188 Ratsdokument 14102/13 Drucksache 18/4152 Nr. A.13 Ratsdokument 5467/15 Drucksache 18/5982 Nr. A.54 Ratsdokument 10972/15 1)  Anlage 2 --------------- ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 137. Sitzung, Berlin, Freitag, den 13. November 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 137. Sitzung, Berlin, Freitag, den 13. November 2015 13417 Plenarprotokoll 18/137