Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 140. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 26. November 2015 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Heinz-Joachim Barchmann und Alois Karl 13711 A Wahl von Herrn Michael Reiffenstuel und Herrn Ansgar Hollah als Mitglieder des Stiftungsrates der „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ 13711 A Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 13711 B Nachträgliche Ausschussüberweisungen 13711 D Tagesordnungspunkt I: (Fortsetzung) a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2016 (Haushaltsgesetz 2016) Drucksachen 18/5500, 18/5502 13712 A b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Finanzplan des Bundes 2015 bis 2019 Drucksachen 18/5501, 18/5502, 18/6127 13712 B I.13 Einzelplan 09 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie Drucksachen 18/6109, 18/6124 13712 B Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) 13712 B Thomas Jurk (SPD) 13713 B Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13714 D Andreas Mattfeldt (CDU/CSU) 13716 A Hubertus Heil (Peine) (SPD) 13718 C Michael Schlecht (DIE LINKE) 13720 A Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) 13721 C Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13723 D Sigmar Gabriel, Bundesminister BMWi 13725 A Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13727 B Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13728 A Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 13731 A Barbara Lanzinger (CDU/CSU) 13732 B Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13734 A Peter Stein (CDU/CSU) 13734 D Bernd Westphal (SPD) 13736 B Mark Hauptmann (CDU/CSU) 13736 D Jan Metzler (CDU/CSU) 13738 C I.14 Einzelplan 15 Bundesministerium für Gesundheit Drucksachen 18/6114, 18/6124 13740 B Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) 13740 B Hermann Gröhe, Bundesminister BMG 13741 C Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13743 D Petra Hinz (Essen) (SPD) 13745 A Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) 13747 A Harald Weinberg (DIE LINKE) 13748 D Burkhard Blienert (SPD) 13750 B Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13752 A Michael Hennrich (CDU/CSU) 13753 B Dr. Edgar Franke (SPD) 13755 B Dietrich Monstadt (CDU/CSU) 13757 A Tagesordnungspunkt III: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über den Stand von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit und über das Unfall- und Berufskrankheitengeschehen in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2013 Drucksache 18/3474 13758 D b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Sechster Erfahrungsbericht der Bundesregierung über die Durchführung des Stammzellgesetzes Drucksache 18/4900 13759 A c) Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung gemäß § 56a der Geschäftsordnung: Technikfolgenabschätzung (TA): Moderne Stromnetze als Schlüsselelement einer nachhaltigen Stromversorgung Drucksache 18/5948 13759 A Zusatztagesordnungspunkt 1: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt, Claudia Roth (Augsburg), Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Interministerielle Zusammenarbeit bei der Bewältigung der Fluchtkrise in Drittstaaten verbessern Drucksache 18/6772 13759 B b) Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sicherheit hat Vorrang – Ohne Stand von Wissenschaft und Technik keine Inbetriebnahme von Schacht Konrad Drucksache 18/6773 13759 B Tagesordnungspunkt IV: a)–f) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 249, 250, 251, 252, 253 und 254 zu Petitionen Drucksachen 18/6656, 18/6657, 18/6658, 18/6659, 18/6660, 18/6661 13759 C Tagesordnungspunkt I: (Fortsetzung) a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2016 (Haushaltsgesetz 2016) Drucksachen 18/5500, 18/5502 13712 A b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Finanzplan des Bundes 2015 bis 2019 Drucksachen 18/5501, 18/5502, 18/6127 13712 B I.15 Einzelplan 11 Bundesministerium für Arbeit und Soziales Drucksachen 18/6111, 18/6124 13760 A Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) 13760 B Andrea Nahles, Bundesministerin BMAS 13761 B Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13763 B Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU) 13764 D Ewald Schurer (SPD) 13766 D Klaus Ernst (DIE LINKE) 13768 A Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU) 13769 C Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13771 D Katja Mast (SPD) 13772 D Stephan Stracke (CDU/CSU) 13774 A Daniela Kolbe (SPD) 13775 C Mark Helfrich (CDU/CSU) 13776 B Dr. Martin Rosemann (SPD) 13778 B I.16 Einzelplan 17 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Drucksachen 18/6124, 18/6125 13779 B Michael Leutert (DIE LINKE) 13779 B Manuela Schwesig, Bundesministerin BMFSFJ 13780 D Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13782 C Alois Rainer (CDU/CSU) 13783 D Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13785 A Michael Leutert (DIE LINKE) 13785 C Alois Rainer (CDU/CSU) 13785 D Dr. Carola Reimann (SPD) 13786 A Jörn Wunderlich (DIE LINKE) 13787 A Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) 13788 C Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 13790 C Ulrike Gottschalck (SPD) 13791 D Jörn Wunderlich (DIE LINKE) 13792 D Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) 13793 D Sönke Rix (SPD) 13796 B Sylvia Pantel (CDU/CSU) 13797 B I.17 Einzelplan 10 Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft Drucksachen 18/6110, 18/6124 13799 C Heidrun Bluhm (DIE LINKE) 13799 D Cajus Caesar (CDU/CSU) 13801 B Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13803 B Ulrich Freese (SPD) 13804 D Christian Schmidt, Bundesminister BMEL 13805 D Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13807 D Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) 13808 C Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) 13809 D Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13811 B Ingrid Pahlmann (CDU/CSU) 13812 D Dr. Karin Thissen (SPD) 13814 C Gitta Connemann (CDU/CSU) 13815 D Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13817 B Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13818 B Ursula Schulte (SPD) 13819 A Rita Hagl-Kehl (SPD) 13820 A Nächste Sitzung 13821 B Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 13823 A 140. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 26. November 2015 Beginn: 9.01 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich und teile zu Beginn unserer heutigen Sitzung mit, dass die Kollegen Heinz-Joachim Barchmann und Alois Karl jeweils ihren 65. Geburtstag gefeiert haben. Dazu möchte ich noch einmal im Namen des gesamten Hauses herzlich gratulieren. (Beifall) Dann müssen wir noch eine Wahl von zwei Mitgliedern des Stiftungsrates der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung durchführen. Auf Vorschlag der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien sollen als Vertreter des Auswärtigen Amtes Herr Michael Reiffenstuel als Nachfolger für den ausgeschiedenen Herrn Andreas Meitzner und als Vertreter der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien Herr Ansgar Hollah für den ausgeschiedenen Herrn Dr. Michael Roik als stellvertretende Mitglieder des Stiftungsrates gewählt werden. Können Sie dem zustimmen? – Das sieht so aus. Dann haben wir das damit so beschlossen und die beiden Herren als stellvertretende Mitglieder des Stiftungsrates gewählt. Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren (Ergänzung zu TOP III) a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt, Claudia Roth (Augsburg), Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Interministerielle Zusammenarbeit bei der Bewältigung der Fluchtkrise in Drittstaaten verbessern Drucksache 18/6772 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sicherheit hat Vorrang – Ohne Stand von Wissenschaft und Technik keine Inbetriebnahme von Schacht Konrad Drucksache 18/6773 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Schließlich mache ich noch auf zwei nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der am 16. Oktober 2015 (131. Sitzung) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Gesundheit (14. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts (Vergaberechtsmodernisierungsgesetz – VergRModG) Drucksache 18/6281 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO Der am 12. November 2015 (136. Sitzung) überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Haushaltsausschuss (8. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. André Hahn, Frank Tempel, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Parlamentarische Kontrolle der nachrichtendienstlichen Tätigkeit des Bundes verbessern Drucksache 18/6645 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Haushaltsausschuss Ich frage Sie, ob es dazu Einwände gibt. – Das ist nicht erkennbar. Dann sind diese Ergänzungen und Änderungen so beschlossen. Wir setzen nun die Haushaltsberatungen – Tagesordnungspunkt I – fort: a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2016 (Haushaltsgesetz 2016) Drucksachen 18/5500, 18/5502 b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 2015 bis 2019 Drucksachen 18/5501, 18/5502, 18/6127 Ich rufe zunächst Tagesordnungspunkt I.13 auf: Einzelplan 09 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie Drucksachen 18/6109, 18/6124 Berichterstatter sind die Abgeordneten Thomas Jurk, Andreas Mattfeldt, Roland Claus und Anja Hajduk. Zum Einzelplan 09 liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Des Weiteren liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor, über den wir morgen nach der Schlussabstimmung abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 125 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Diether Dehm für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Guten Morgen, Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Auch dieser Wirtschaftsminister offeriert – genauso wie schon Brüderle und Rösler – Exportüberschüsse als besonderen Ausdruck deutscher Tüchtigkeit. Sicher, wir haben tolle Erfinder, sieht man einmal von der Diesel-Gate-Software ab. Näheres dazu lässt sich im Dieter-Hallervorden-Song „Oh je, Vau Weh“ finden. Aber verdammt noch mal, wenn unsere Arbeiter so tüchtig sind, dann müssen wir doch mit den Gewerkschaften für viel höhere Löhne kämpfen! Das predigte Helmut Schmidt zeitlebens. Wo sich Produktivität verzehnfacht, muss die Kaufkraft nachziehen. Sonst gerät die Volkswirtschaft in Rezession und Deflation. Das betrifft heute den gesamten Euro-Raum. In Wahrheit stagnierten in den letzten 15 Jahren die Pro-Kopf-Reallöhne bei uns, während die Profite der Großkapitalisten um 70 Prozent explodiert sind. Deutsches Lohndumping, Steuerdumping und Kaputtsparen des Sozialstaats haben Exportprodukte und Arbeit so billig gemacht, dass Südeuropa nur noch mit Krediten überleben kann. Nur noch 50 Prozent der Beschäftigten arbeiten hierzulande unter Bedingungen eines Flächentarifvertrages. Die andere Hälfte der Beschäftigten hat heute ein Einkommen, das 17 Prozent unter dem des Jahres 2000 liegt. 8,6 Prozent der Erwerbstätigen leben unterhalb der Armutsgrenze. Unter den Erwerbslosen sind es sogar 69,3 Prozent, wesentlich mehr als in jedem anderen EU-Staat. Wohlgemerkt: Wir sind hier schlechter als Griechenland, Spanien und Bulgarien. Die KfW bilanziert: Bei den Realinvestitionen kürzen Bundesregierung und Monopolkapitalisten gleichermaßen. Sie investieren mindestens 25 Prozent zu wenig in die Straßenerhaltung und die Infrastruktur. Die Kommunen können dank Schuldenbremse nicht einmal die Hälfte ihrer Hausaufgaben lösen. Laut DIW weist Deutschland seit 1999 eine addierte Investitionslücke von 1 Billion Euro auf. Der Trend der letzten 25 Jahre führt stracks in die Finanzspekulation. Noch 1991 flossen 40 Prozent des Kapitals in Maschinen und andere Güter der Realwirtschaft. Heute liegt der Wert bei unter 10 Prozent. Herr Gabriel, haben Sie nicht einmal das Wort „Finanzhaie“ plakatiert, und wollten Sie diese nicht ausrotten? Heute betreiben Sie eine ganze Finanzhaiaufzucht. (Beifall bei der LINKEN) Am 22. Januar in Davos erlaubten Sie sich, Herr Gabriel, TTIP-Kritiker als hysterisch zu beschimpfen. Sie verzauberten die skeptische SPD-Basis mit dem Satz, alles habe Recht und Ordnung. Dazu nur zwei Urteile: Erstens. Am 17. November entschied der Europäische Gerichtshof, dass die öffentliche Hand die Vergabe von Aufträgen von der Zahlung eines Mindestlohns abhängig machen darf. CETA jedoch, das Gesellenstück für TTIP, würde das alles außer Kraft setzen, schützt also nicht einmal europäisches Recht. Es ist ein Leichtes für US-Konzerne, in Kanada einen Briefkasten anzumelden und dann in Europa Armutslöhne zu zahlen. Zweitens. Anfang November wurde Ecuador vom Schiedsgericht der Weltbank zur Zahlung von 1,1 Milliarden Dollar an den US-amerikanischen Ölkonzern Oxy verurteilt. Zwar erkannte das Gericht an, Oxy habe gegen ecuadorianisches Recht verstoßen, ging aber davon aus, dass die Firma durch den Staat benachteiligt wurde. Schöne neue Welt für Finanzhaie! Es ist diskriminierend, wenn mit TTIP und CETA Konzerne Staaten verklagen dürfen, aber demokratisch gewählte Regierungen niemals einen Konzern. (Beifall bei der LINKEN) Wenn Profitsicherung demokratische Entscheidungen aushebelt, lieber Sigmar Gabriel, dann nannten wir das doch gemeinsam in unserer „Sozialistischen Jugend Deutschlands – Die Falken“ staatsmonopolistische Planwirtschaft, du in Goslar, ich in Hessen. Waren wir alle damals hysterisch? In Hamburg hat der Senat die Umweltauflagen für das Kohlekraftwerk Moorburg aufgeweicht aus Angst vor einem Schiedsgericht. Die von der EU unterdrückte Bürgerinitiative gegen TTIP hat mittlerweile 3,4 Millionen Unterstützer – alle Hysteriker? –, davon 1 900 deutsche Mittelständler und Handwerker. Wer wie ich als Unternehmer im Internet unterzeichnen möchte: www.kmu-gegen-ttip.de. Aber was der Konzernminister Gabriel heute vom Mittelstand hält, zeigen folgende Zahlen: Sein Gesamtetat umfasst 7,5 Milliarden Euro; davon gehen 1,6 Milliarden Euro an Konzerne, die Luft- und Raumfahrt betreiben und nebenbei auch ein bisschen Rüstung, der Mittelstand hingegen bekommt im Rahmen des Zentralen Innovationsprogramms Mittelstand, ZIM, gerade einmal läppische 538,5 Millionen Euro. Abschließend noch ein Wort zum Umgang mit uns TTIP-Hysterikern. Sollten die Regierungschefs TTIP doch noch nicht als gemischtes Abkommen verabschieden, sodass nationale Parlamente nicht darüber abstimmen dürfen, werden wir Linke klagen. Den 250 000, die am 10. Oktober mit uns in Berlin demonstriert haben, sage ich: Wir werden immer mehr, und wir werden weiter kämpfen für fairen Handel. Um den Entwicklungshilfeminister Gerd Müller zu zitieren, der sagte: für fairen Handel statt Freihandel. Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält der Kollege Thomas Jurk für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Thomas Jurk (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben den Etat des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie bei den Haushaltsberatungen an mehr als 70 Stellen verändert. Sie haben das Glück, dass mir meine begrenzte Redezeit nicht erlaubt, auf alle diese Änderungen einzugehen. Ich beschränke mich auf einige wesentliche Ergebnisse der Beratungen. Für das kommende Jahr sind im Einzelplan 09 jetzt Ausgaben von 7,622 Milliarden Euro vorgesehen, 94,8 Millionen Euro mehr als ursprünglich im Haushaltsentwurf geplant. Bei meiner Rede zur ersten Lesung des Bundeshaushaltes hatte ich bereits angesprochen, wo wir als Koalition aus meiner Sicht noch nachsteuern müssen. Das haben wir tatsächlich auch getan. So wurden die Mittelansätze für das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand sowie bei der Industriellen Gemeinschaftsforschung und im Programm INNO-KOM-Ost um rund 7 Millionen Euro angehoben. Damit kann die Förderung auf dem bisherigen bereits hohen Niveau weiter fortgesetzt werden. Wir haben die Mittel für den innovativen Schiffbau um 10 Millionen Euro erhöht und gleichzeitig den Kofinanzierungsanteil der Länder in diesem Programm von 50 Prozent auf ein Drittel abgesenkt. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]) – Der Beifall kommt völlig zu Recht; (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Aber schwach! – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Der hätte stärker sein können!) denn damit stärken wir auch die maritime Wirtschaft in Deutschland. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) – Jetzt ist es auch dort angekommen, schön. Die Digitalisierung der Wirtschaft ist die zentrale wirtschaftspolitische Herausforderung für Deutschland. Deshalb erhält die Förderinitiative des Bundeswirtschaftsministeriums „Mittelstand 4.0 – Digitale Produktions- und Arbeitsprozesse“ 11 Millionen Euro mehr als im Haushaltsentwurf vorgesehen. Damit sollen im Jahr 2016 fünf zusätzliche Kompetenzzentren für den Mittelstand eingerichtet werden. Darüber hinaus werden die Mittel für die Initiative „Industrie 4.0“ um 1 Million Euro aufgestockt, um die Entwicklung international anerkannter Normen und Standards stärker fördern zu können. Insgesamt stehen damit im kommenden Jahr für die Digitalisierung der Wirtschaft im Einzelplan 09 knapp 100 Millionen Euro zur Verfügung, über 20 Millionen Euro mehr als im Jahre 2015. Ich finde, das kann sich durchaus sehen lassen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zentral ist ebenso die Förderung junger innovativer Unternehmen. Deshalb heben wir 2016 das Zuschussvolumen für Wagniskapitalinvestitionen im INVEST-Programm um 10 Millionen Euro auf 30 Millionen Euro an. Das ist eine Anhebung von immerhin 50 Prozent. Auch mit diesem Ergebnis brauchen wir uns wahrlich nicht zu verstecken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Über das Auslaufen des erfolgreichen Batteriespeicherprogramms für Photovoltaikanlagen gab es einige Diskussionen. Das Programm ist bis zum 31. Dezember 2015 befristet. Die ursprünglichen Ziele des Programms sind erreicht, so sagt es die Evaluierung. Wir stehen vor Änderungen im Strommarktdesign, in welchem auf die verschiedenen Flexibilisierungsoptionen ein stärkeres Augenmerk gelegt werden wird. Dies spricht dafür, dass das Programm wie geplant ausläuft. Es gibt aber auch andere Argumente. Erstens industriepolitisch. Es handelt sich bei der PV-Branche um eine Branche, die sich gerade wieder erholt. Da sind Marktanreize wichtig. Zweitens energiepolitisch. Im neuen Strommarkt brauchen wir einen fairen Wettbewerb aller Flexibilisierungsoptionen. Das schließt aber eine gezielte systemdienliche Förderung von Batteriespeichern nicht aus. Sie muss jedoch der Systemintegration der erneuerbaren Energien dienen. Vor diesem Hintergrund habe ich mit dem Wirtschaftsministerium über eine mögliche Förderung von Batteriespeichern intensiv diskutiert. Als Ergebnis wird es voraussichtlich ein neues, an die derzeitigen Anforderungen für den Strommarkt angepasstes Programm geben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vor dem Hintergrund der Diskussion zur CO2-Minderung im Stromsektor – dort insbesondere bei der Braunkohle – mag man mir unterstellen, ich sei als Lausitzer Bundestagsabgeordneter parteiisch. Vielleicht bin ich als Lausitzer, Sachse und Ostdeutscher auch nur besonders sensibel; denn aufgrund der wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Bedeutung der Braunkohle für die betroffenen Regionen wird es in ihnen zu einem weiteren Strukturwandel kommen. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir in meiner Region seit 1990 nichts anderes als permanenten Strukturwandel betreiben. Um diesen Wandel abzufedern und ein deutliches Signal an die betroffenen Regionen zu senden, unterstützt der Bund ab 2016 jährlich den Strukturwandel mit mindestens 4 Millionen Euro aus Mitteln des Energie- und Klimafonds. Ziel ist es, abrupte Strukturbrüche zu verhindern, industrielle Kerne zu sichern und die regionale Wirtschaftsstruktur weiterzuentwickeln. Ich freue mich, dass wir dieses Zeichen in dieser Zeit setzen können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zum Ende meiner Rede möchte ich kurz noch auf einen Beschluss eingehen, der vordergründig nichts mit Geld zu tun hat, aber umso wichtiger ist. Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt und die Bundesanstalt für Materialforschung und prüfung unterhalten teilweise weltweit einmalige wissenschaftlich-technische Infrastrukturen wie Laboratorien und Reinräume. Um international konkurrenzfähig zu bleiben sowie mit aktuellen technologischen Entwicklungen mitzuhalten, müssen diese Infrastrukturen kontinuierlich und vor allem in kürzester Zeit weiterentwickelt werden. Leider war dies in der Vergangenheit aufgrund der komplizierten Bauplanungs- und Genehmigungsverfahren nicht immer der Fall. Wir haben deshalb neue Haushaltsvermerke für die entsprechenden Bautitel eingefügt. Damit soll sich die Dauer von Bauvorhaben deutlich verkürzen. Dies liegt nicht zuletzt auch im Interesse der deutschen Wirtschaft, welche von diesen wissenschaftlich-technischen Infrastrukturen profitiert. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Abschließend – das ist man von Haushältern schon fast gewohnt – möchte ich mich an dieser Stelle bei allen Mitberichterstattern sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundeswirtschaftsministeriums, insbesondere des Haushaltsreferats, und natürlich auch unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Abgeordnetenbüros ganz herzlich für die erneut gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit bedanken. Ein Wort zum Schluss sei mir noch gestattet, damit wir uns nicht nur selbst beweihräuchern. Ich danke allen am Wirtschaftsprozess Beteiligten in Deutschland, Unternehmerinnen und Unternehmern, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern für ihre fleißige Arbeit, die uns die Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zur Verfügung stellen, die es ermöglichen, dass Deutschland auch in angespannten Zeiten gut durch die Zeit kommt. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Anja Hajduk für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mir bleiben nach den intensiven Haushaltsberatungen mehr Fragen, als dass wir vom Wirtschaftsminister eine klare Orientierung bekommen hätten, wo es denn mit der Wirtschafts- und Energiepolitik unseres Landes hingehen soll. Erster Punkt: Investitionsoffensive. Herr Minister, Herr Gabriel, Sie haben Anfang November am Tag der Deutschen Industrie bemängelt: Schon seit zehn Jahren ist die Investitionsquote viel zu niedrig. Sie haben mit Herrn Fratzscher und anderen eine Kommission eingesetzt, die für eine Investitionsoffensive Vorschläge erarbeiten soll. Und wo stehen wir im November 2015, Mitte der Legislaturperiode? Keine Umsetzung. Sie haben versprochen: Diese Vorschläge aus der Kommission wird die Politik nicht in die Schublade stecken, sondern sie wird sie wirklich umsetzen. Aber wir können davon nichts erkennen. Dabei wird dort zum Beispiel eine Investitionsregel vorgeschlagen, die den Werteverzehr des öffentlichen Vermögens schützt. Wir schlagen das in diesen Haushaltsberatungen vor. Ansonsten bleiben nur Fragen: Was ist mit der Stärkung von kommunalen Infrastrukturprojekten? Was sind die Instrumente, Herr Gabriel, mit denen man es wirklich schafft, eine Strategie zu entwickeln, durch die wir bei den öffentlichen Investitionen „Sanierung und Erhalt vor Neubau“ zustande bringen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Verkehrshaushalt!) Studien belegen, dass gerade in einer entwickelten Volkswirtschaft die bestehende Infrastruktur eine ausschlaggebende Wachstumsdeterminante ist. Sie kommen nicht zu Potte, Herr Gabriel. Dabei sollte das im Zentrum Ihrer Aufmerksamkeit stehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]) Ich muss noch etwas ergänzen zum Thema Investitionen in Ihrem Verantwortungsbereich, dem Wirtschaftsministerium, was den sogenannten EKF, den Energie- und Klimafonds, angeht. Ich weiß gar nicht, ob Ihnen das bewusst ist: In der Nacht der Bereinigungssitzung im Rahmen der Haushaltsberatungen, morgens gegen 3 Uhr, hat die Große Koalition beschlossen, die Verpflichtungsermächtigungen in der gesamten Finanzplanperiode um 7 Prozent zu kürzen. Wissen Sie, was das für Ihren Haushalt bedeutet? 380 Millionen Euro weniger für Investitionen in dieser Periode. Nehmen wir einmal ein markantes Beispiel: Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm ist großartig aufgestockt worden, um 200 Millionen Euro. Darüber haben wir uns sehr gefreut. Wenn wir auf das 1,9-Milliarden-Euro-Gebäudesanierungsprogramm diese 7-Prozent-Regel anwenden, dann stellen wir fest: Wir kürzen im selben Atemzug um 135 Millionen Euro. Das ist eine inkonsistente Politik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie können sich mit gehaltvollen Investitionen nicht durchsetzen. Das ist ein Armutszeugnis. Hinzu kommen fehlende steuerliche Maßnahmen für die Förderung von Privatinvestitionen bei kleinen und mittleren Unternehmen; da sind Sie seit zwei Jahren völlig blank. Stattdessen sollten Sie hier endlich einmal eine sehr überzeugende Maßnahme wie steuerliche Anreize durchsetzen. Doch auch das packen Sie nicht an. Insofern bleibt eine zweite große Frage: Wo ist eigentlich der Industrieminister, der Sie, glaube ich, sein wollten, der beherzt eine ökologische Orientierung unserer Industrie voranbringt? Wir stehen jetzt vor Paris. (Lachen bei der CDU/CSU) – Wir stehen jetzt vor dem Pariser Gipfel, Entschuldigung. Was ich gesagt habe, löst komische Assoziationen aus. Ich möchte das korrigieren. (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Bei mir nicht!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich werde den Kollegen in der Nationalversammlung unterrichten, sodass keine Missverständnisse entstehen, Frau Hajduk. (Heiterkeit und Beifall im ganzen Hause) Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident, vielen Dank. Der Pariser Gipfel – das hat gestern auch die Kanzlerin betont – kann ein starkes Symbol sein und ein wichtiges Signal setzen. Wenn wir aber schauen: „Wo stehen wir selber, Deutschland, mit dem Erreichen unserer Klimaschutzziele?“, dann kann ich Ihnen nur sagen, Herr Gabriel: Sie schaffen es, eine Energiepolitik zu betreiben, durch die wir die Klimaschutzziele gar nicht mehr erreichen können, und gleichzeitig fehlt eine soziale Ausrichtung Ihrer Energiepolitik. Wir haben es mit dem Faktum zu tun, dass die mit der Energiewende verbundenen Ziele nicht erreicht werden, und gleichzeitig wurde noch nie so vielen Verbrauchern Strom und Gas abgedreht wie in 2015. Das ist die traurige Bilanz. Das hat auch damit zu tun, dass wir beim Netzausbau nicht vorankommen, dass der Umfang der Abregelung der Einspeisung von Strom aus Erneuerbaren so groß ist wie noch nie. Da müssten Sie eigentlich viel stärker gegensteuern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was Sie in diesem Jahr zu verantworten haben, ist, dass Sie eine Kohleabgabe nicht durchsetzen konnten, sich aber eine Kohlereserve in einer Größenordnung von 1,6 Milliarden Euro eingefangen haben. Dabei ist der Ausstieg aus der Kohleverstromung der Trend, den wir international beobachten können. Ich kann Ihnen nur zurufen: (Volker Kauder [CDU/CSU]: Dann ruf mal!) Die Kanzlerin hat uns gestern in einer sehr eindringlichen Rede zu neuem Denken aufgefordert. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben wir geklatscht!) Ich sage Ihnen: Kohleverstromung, das ist altes Denken. Gerade in dem Zusammenhang von Klimaschutz und Flüchtlingsbewegungen kann ich Ihnen nur sagen: Mehr Mut auch in der Industriepolitik zu neuem Denken. Nur dann entsteht eine insgesamt glaubwürdige Strategie für die Industrienation Deutschland daraus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Letzter Punkt. Herr Gabriel, noch eine Frage. Sie haben jetzt einen Vorschlag gemacht – in einem Brief. Das ist auch witzig: Der Vizekanzler schreibt zusammen mit dem französischen Kollegen Macron einen Brief an die Kanzlerin und den französischen Präsidenten: Wir schlagen vor einen gemeinsamen Fonds von 10 Milliarden Euro zur Bewältigung der Flüchtlingskrise. Das Thema ist wichtig. Ich denke da auch an die Anrainerstaaten rund um den regional so schrecklichen Konflikt in Syrien. Da muss reagiert werden. Aber beantworten Sie mir bitte mal die Frage: Soll das jetzt hier unsere Haushaltsberatungen noch berühren? 10 Milliarden Euro sind kein Pappenstiel. Ist es nicht besser, die etablierten Ebenen der EU mit ihren Mitteln und Wegen zu nutzen? Herr Minister, Sie sind Vizekanzler dieses Landes. Sie können solche richtigen Fragen nicht mal so locker wie mit einem offenen Ideenwettbewerb über die Medien bedienen. Das kann man nicht ernst nehmen. Sorgen Sie dafür, dass Sie das hier heute in Ihrer Rede klären! Schönen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Andreas Mattfeldt ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Andreas Mattfeldt (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine vergangenen Reden zum Abschluss der Haushaltsberatungen zum Wirtschaftsministerium waren immer von den wirtschaftlichen Rahmendaten geprägt. Fast schon erfolgsverwöhnt konnten wir uns über eine langanhaltende, aber vor allen Dingen auch anständige wirtschaftliche Entwicklung freuen, von der vor allem der Arbeitsmarkt und infolgedessen auch die Haushalte von Bund, Ländern, aber auch Kommunen durch sprudelnde Steuereinnahmen profitierten. Dies gilt auch für das Haushaltsjahr 2016. Meine Damen und Herren, diesem Land geht es nunmehr seit einigen Jahren sehr gut. Durch unsere wirtschaftliche Stärke haben wir uns große Aufgaben zugetraut. So haben wir beschlossen, eine Energiewende einzuleiten, die in Art und Umfang für eine Volkswirtschaft unserer Größenordnung einmalig ist und die bei Erfolg auch für andere Nationen beispielhaft sein kann. Auch die Bewältigung der Verschuldungskrise im Euro-Raum wäre ohne die wirtschaftliche Stärke Deutschlands, so bin ich sicher, nur schwerlich zu bewältigen gewesen. Aber auch erhebliche Mehrausgaben für soziale Wohltaten wie zum Beispiel bei der Rente oder auch die massive Entlastung der Kommunen konnte der Bund scheinbar mühelos schultern. (Ulrich Freese [SPD]: Leg mal eine neue Schallplatte auf!) Mehrausgaben bei Infrastrukturprojekten wie zum Beispiel für den immer noch nicht fertiggestellten Flughafen in Berlin-Schönefeld kann dieses Land anscheinend spielend verkraften. – Damit habe ich nur ganz wenige ausgaberelevante Themen genannt. Die größte Herausforderung – da müssen wir, glaube ich, jetzt aufpassen, dass wir uns nicht verheben – steht uns erst noch bevor. Das Thema der Bewältigung der bisher größten Fluchtbewegung bestimmte deshalb nicht nur diese Woche die Debatten, sondern auch die gesamten Haushaltsberatungen. Die Flüchtlingsbewegung wird ganz sicher unser politisches Handeln auch in den kommenden Jahren noch bestimmen. Dabei mag ich mir gar nicht vorstellen, wie die Situation in Deutschland aussehen würde, wenn wir die derzeitigen Flüchtlingszahlen bei wirtschaftlicher Rezession, bei Haushaltsdefiziten, bei hoher Arbeitslosigkeit bewältigen müssten. Schon hieran sehen Sie, dass die Bewältigung des Flüchtlingsstroms – neben allen sozialen Problemen – vor allem auch ein großes Wirtschaftsthema ist. Ja, Herr Vizekanzler, dieses Land ist stark. Bei unserer demografischen Entwicklung kann dieses Land sicherlich auch Zuwanderung verkraften; nein, ich bin mir sicher: Diese Zuwanderung ist sogar notwendig, um unsere großen sozialen Aufgaben auch in den kommenden Jahrzehnten bewältigen zu können. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja mal eine Ansage!) Was wir aber nicht bewältigen können, das ist die Geschwindigkeit, und das ist die Anzahl der zu uns kommenden Menschen. Bei dieser Geschwindigkeit und bei dieser Anzahl ist eine Integration in unser gesellschaftliches System und in den Arbeitsmarkt nach meiner festen Überzeugung nahezu unmöglich. Herr Vizekanzler, ich bin seit über 25 Jahren an vorderster Front in der Politik aktiv, sowohl im kommunalen Bereich wie auch auf bundespolitischer Ebene, 15 Jahre davon hauptberuflich. Jede politische Herausforderung, jedes Gesetz habe ich, ob es mir nun passte oder nicht, vor allem auch als Bürgermeister, umgesetzt – ganz nach dem Motto: Man jammert nicht; man löst das Problem. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Man ist demokratisch!) Das erste Mal habe ich als politischer Entscheidungsträger in diesen Monaten den Eindruck, dass wir als Staatsgewalt die Kontrolle in der Flüchtlingskrise verloren haben. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann abdanken!) Wir haben die Kontrolle verloren, vielleicht auch, weil wir uns nicht trauen, unpopuläre Dinge auszusprechen und durchzusetzen, zum Beispiel, dass die Aufnahmekapazität von Flüchtlingen in diesem Land überschritten sein dürfte (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das jetzt die Gegenrede zu gestern, zu Merkel?) und auch Rückweisungen kein Tabu mehr sein dürfen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Auf keinen Fall! – Zurufe von der LINKEN) – Sie dürfen sich gerne melden; ich bin gerne bereit, Zwischenfragen zu beantworten; dann hören das auch alle –, aber auch – da schaue ich auf die leider sehr spärlich besetzte Länderbank –, dass wir Rückführungen von nicht bleibeberechtigten Personen in nennenswerter Anzahl derzeit einfach nicht umsetzen. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind Sie eigentlich in der Opposition rechts von Frau Merkel? Oder sind Sie noch Regierungsfraktion? – Weitere Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kollegen aus den Ländern, das ist Ihre Aufgabe, und ich fordere Sie eindringlich auf, Rückführungen konsequent durchzuführen, damit wir auch zukünftig den wirklich von Verfolgung bedrohten Menschen Hilfe bieten können. Wir brauchen zwingend und dringend ein solches Signal. Meine Damen und Herren, wir dürfen unser Land nicht überfordern. Gerade deshalb ist es wichtig, dass wir bei der Aufstellung von Haushalten auch zukünftig maßhalten. Leider habe ich den Eindruck, dass in nahezu allen Ressorts die Flüchtlingskrise dazu genutzt wird, um erheblichen Stellenaufwuchs und Mehrausgaben zu begründen. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also, das würde ich nicht sagen!) Ich habe schon die Befürchtung, dass dauerhaft durch ein solches Verhalten alle Dämme brechen und eine Politik der schwarzen Null im Haushaltsbereich aufgegeben werden soll. Ich halte das für den absolut falschen Weg. Als Berichterstatter für das Wirtschaftsministerium möchte ich dazu beitragen, dass es uns gelingt, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auch zukünftig positiv auszugestalten, damit zum Beispiel gerade die wirtschaftlich wichtigste Säule und der Stabilitätsfaktor unserer Volkswirtschaft, nämlich der Mittelstand, auch zukünftig erfolgreich ist. Eine Eintrübung der wirtschaftlichen Lage können wir in den kommenden Jahren weiß Gott nicht mehr bewältigen. Deshalb kommt diesem Wirtschaftsetat eine besondere, ja sogar außergewöhnliche Bedeutung zu. Insgesamt umfasst der Haushalt von Minister Gabriel im Jahr 2016  7,622 Milliarden Euro und erfährt damit einen Aufwuchs in Höhe von über 95 Millionen Euro gegenüber dem eingebrachten Regierungsentwurf. Ein Großteil hiervon, nämlich über 40 Millionen Euro, fließt sogar in das CO2-Gebäudesanierungsprogramm. Ganz wichtig, meine Damen und Herren, war uns die Ausweitung der Fördermittel für den Mittelstand. Hier haben wir insgesamt 21 Millionen Euro mehr bereitgestellt, als vom Ministerium ursprünglich beantragt war. Ich möchte gar nicht weiter darauf eingehen, wie wichtig der Mittelstand für die Wirtschaftskraft unseres Landes und für Arbeitsplätze ist. Das hören die jeden Tag. Sagen darf ich aber, dass ich mich sehr gefreut habe, dass ein Unternehmen aus meinem Wahlkreis durch unsere Unterstützung einen sogenannten Tankreinigungsroboter – der Arbeitsname T-REX gefiel mir sehr gut – entwickeln konnte. Dadurch konnten nicht nur Arbeitsplätze in erheblichem Umfang geschaffen werden, sondern dies hat dem Unternehmen sogar auch den Deutschen Arbeitsschutzpreis 2015 eingebracht. Auch dies ist, wie ich meine, ein schöner Nebeneffekt unserer Förderung; denn gerade Arbeitsschutz wird auch heute noch zu wenig in den Blickpunkt gerückt und manches Mal leider vernachlässigt. Außerdem war es uns wichtig, die Gelder für die Unterstützung der Wirtschaft bei Auslandsmessen wieder anzuheben. Hier wurde eine Kürzung in Höhe von circa 0,5 Millionen Euro zurückgenommen. Ich habe mich gefreut, dass dies auch mein Koalitionskollege und Mitberichterstatter – lieber Thomas, herzlichen Dank dafür – so gesehen hat. Wir konnten durch kluge Umschichtungen sogar circa 2 Millionen Euro mehr für Auslandsmessen bereitstellen. Gerade die Präsenz des Wirtschaftsministeriums auf Messen im Ausland bietet für kleine und für mittelständische Unternehmen die Möglichkeit, sich mit sehr geringem Aufwand zu präsentieren und so Umsatz- und Marktanteile weltweit zu sichern. Als Norddeutscher habe ich mich gefreut, dass es uns gelungen ist, die maritime Wirtschaft und die damit verbundenen Chancen für die Schaffung und den Erhalt von Arbeitsplätzen in den Blickpunkt zu rücken. Insgesamt haben wir für den Schiffbau 10 Millionen Euro zusätzliche Fördermittel für technische Innovationen bereitgestellt. Ich bedaure sehr, dass mein Heimatland Niedersachsen die maritime Wirtschaft nunmehr schon seit einigen Jahren sehr stiefmütterlich behandelt, obwohl gerade Niedersachsen von diesen Mitteln massiv profitieren könnte. (Thomas Oppermann [SPD]: Sie waren wohl schon lange nicht mehr da, oder? Das ist seit drei Jahren besser geworden!) Leider hat sich Niedersachsen, gerade in den letzten drei Jahren, geweigert, die notwendige Kofinanzierung der Förderung mitzutragen, (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Was ist denn das hier für eine Rede heute?) sodass niedersächsische Schiffbauunternehmen hiervon nicht profitierten. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wir sind heute nicht im Ortsrat!) Ich hoffe sehr, da auch noch der Länderbeitrag von uns Haushältern massiv gesenkt wurde und er ab nächstem Jahr nur noch ein Drittel – vormals waren es 50 Prozent – beträgt, dass sich Niedersachen seiner Verantwortung bewusst wird und die Blockadehaltung aufgibt. Herr Minister, vielleicht können auch Sie mit Ihren niedersächsischen Verbindungen noch einmal vermitteln. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Thomas Jurk [SPD]) Eine weitere Branche, die ich für wichtig halte und über die viele in unserem Land am liebsten gar nicht sprechen, ist die Rüstungsindustrie. Dabei verkennt man, dass auch hier inklusive der Zulieferbetriebe nahezu 350 000 Menschen Beschäftigung finden, die mit ihrem Know-how auch die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes und der westlichen Wertegemeinschaft sichern. (Zuruf des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]) Herr Minister, ich glaube, wir sollten uns schnell darüber unterhalten, ob wir mit der auch von Ihrer Seite verbal unterstrichenen restriktiven Rüstungspolitik nicht über das Ziel hinauslaufen. (Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Hiermit meine ich keinesfalls die Diskussion um Panzerlieferungen in problematische Regionen, sondern erheblich unproblematischer gelagerte Fälle. Es kann doch nicht sein, dass Mitarbeiter im Ministerium und im BAFA mittlerweile so verunsichert sind, dass selbst der Export von gepanzerten Limousinen für die UNO nur schwerlich möglich ist (Zurufe der Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE] und Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) oder Genehmigungen für Sonargeräte zur Küstensicherung in unproblematischen Ländern nur nach heftigster Intervention von Parlamentariern erfolgen. Von viel zu spät gelieferten schusssicheren Westen in die Ukraine mag ich schon gar nicht mehr sprechen. Im Ausland wird von der Konkurrenz schon mit dem Label „german-free product“ geworben, sodass ich befürchte, dass Arbeitsplätze massiv gefährdet sind und ins Ausland verlagert werden. Ich jedenfalls halte das für gefährlich, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Dann kriegen Sie noch mehr Flüchtlinge!) Eine besondere Bedeutung für die deutsche Wirtschaft hat natürlich auch die Luftfahrt. Hier haben wir vor kurzem erneut gute Nachrichten aus dem Hause Airbus gehört. Die Chinesen haben 130 Flugzeuge vom Typ A320 und A330 bestellt. Aber gleichzeitig bekommt Airbus – das haben wir auch gelesen – enorme Konkurrenz aus China, das bekanntlich ein eigenes Mittelstreckenflugzeug entwickelt und demnächst in Serie bauen will. Airbus hat damit weitere ernstzunehmende Konkurrenz bekommen. Aber wir kennen das Unternehmen: Die werden sich mit Sicherheit noch mehr ins Zeug legen; denn Wettbewerb belebt bekanntlich das Geschäft. Und ich bin sicher, dass der Deutsche Bundestag dieses erfolgreiche Unternehmen, an dem wir als Bundesrepublik Deutschland nicht unerheblich beteiligt sind, auch zukünftig im Rahmen der notwendigen Möglichkeiten unterstützen wird. Meine Damen und Herren, zum Schluss meiner Rede möchte ich Danke sagen, Danke sagen Ihnen ganz persönlich, Herr Minister, (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Da freut er sich!) aber ganz besonders auch Ihrem Staatsekretär Rainer Sontowski sowie dem gesamten Haushaltsreferat. Ich danke auch den Kolleginnen und Kollegen Berichterstatter für den Einzelplan 09. Die Haushaltsberatungen haben trotz der Arbeitsintensivität Spaß gemacht, und das liegt nicht zuletzt am guten Miteinander, das wir pflegen. Ich bitte um Zustimmung zum Einzelplan, dem auch die Opposition mit ruhigem Gewissen zustimmen könnte. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Jurk [SPD] – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: „Könnte“!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die SPD-Fraktion erhält nun der Kollege Hubertus Heil das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn noch einer sagt, man habe die Kontrolle verloren, dann flippe ich aus!) Hubertus Heil (Peine) (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Normalerweise ist es in diesem Haus immer so, dass in Haushaltsberatungen abwechselnd Vertreter der Regierungsfraktionen und der Oppositionsfraktionen sprechen. Heute ist das einmal anders. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das war doch so! – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist gerade wichtig!) Als ich die Rednerliste gesehen habe, dachte ich, ich spreche nach einem Kollegen einer Regierungsfraktion, nämlich nach Herrn Mattfeldt von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Mit Verlaub, Herr Mattfeldt, Teile Ihrer Rede waren eher eine Oppositionsrede. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das war doch Opposition! – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: War doch eine Oppositionsrede! – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht unserer Opposition!) Das sollten Sie mit Ihrer Parteivorsitzenden besprechen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Herr Mattfeldt, ich meine das ganz ernst. Die Welt scheint aus den Fugen geraten zu sein. Viele Menschen machen sich Sorgen. Die wahnsinnigen Anschläge in Paris, in Bamako, in Beirut und an vielen anderen Orten der Welt haben Furcht, haben Entsetzen verbreitet. Wir haben heftige internationale Konflikte, ja, und – Sie haben es erwähnt – wir haben in Europa, vor allen Dingen in Deutschland, eine riesige Fluchtbewegung zu bewältigen. An dieser Stelle ist es wichtig, sich nicht klein-klein mit Stimmungen auseinanderzusetzen, sondern Verantwortung zu übernehmen. Ohne Zweifel, wir müssen die Flüchtlingsbewegung in den Griff bekommen und staatliche Handlungsfähigkeit zeigen. Als Abgeordneter einer Regierungsfraktion darf man aber nicht staatlichen Kontrollverlust bejammern, sondern man muss seinen Beitrag dafür leisten, dass wir staatliche Kontrolle bekommen, Herr Mattfeldt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]) In einem sind wir uns dann wieder einig – da sind wir doch Regierungspartner –: Wir müssen mit Realismus diese Herausforderungen angehen; wir können es aber auch mit Zuversicht tun; denn die ökonomische Stärke unseres Landes versetzt uns in die Lage, auch menschliche Stärke zu zeigen. Die ökonomische Stärke unseres Landes verleiht uns politisches Gewicht in Europa und in der Welt und überträgt uns die politische Verantwortung, zu handeln. Wir reden ja über den Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums. Stellen Sie sich einmal vor, wir wären in einer anderen ökonomischen Lage mit diesen Herausforderungen konfrontiert. Mir wäre dann wirklich angst und bange. Aber wir haben ökonomische Stärke, und diese ist an Kennziffern festzumachen: die niedrigste Arbeitslosigkeit seit der deutschen Einheit, ein Wirtschaftswachstum – bei allen weltwirtschaftlichen Erschütterungen – von immerhin 1,7 Prozent in diesem Jahr und ein prognostiziertes Wachstum von 1,6 Prozent im nächsten Jahr, also ein robustes Wirtschaftswachstum, und ein Geschäftsklima in der deutschen Wirtschaft nach dem ifo-Geschäftsklimaindex, das zeigt, dass die deutschen Unternehmen trotz all dieser Herausforderungen zuversichtlich in die Zukunft schauen. Das, meine Damen und Herren, verleiht uns die Stärke, die zugegebenermaßen großen Herausforderungen zu bewältigen. Herr Mattfeldt, Sie haben erwähnt, wie lange Sie politisch tätig sind. Auch ich bin seit 1998 Mitglied dieses Hauses, seit 17 Jahren. Wir haben viele Krisen erlebt und viele schwierige Zeiten zu bewältigen gehabt. Ich kann mich an den Kosovo-Krieg erinnern, an 9/11, an innenpolitische Auseinandersetzungen um die Agenda 2010, an Bankenkrisen, an vieles andere mehr. Ich gebe zu, die Herausforderungen von heute sind andere, und sie sind größer. Aber ich glaube, wenn der Satz „Wir schaffen das“ keine reine Durchhalteparole sein soll, dann müssen wir auch sagen, wie wir es schaffen. Das heißt, wir müssen gerade angesichts der Herausforderungen unseren Job tun, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Asylpaket I! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Asylpaket II müssten wir machen!) damit wir die wirtschaftliche Stärke erhalten und wir das menschlich anständig hinbekommen. Genau das tut diese Bundesregierung, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich will das deutlich sagen; denn jenseits des Zerrbildes, das die Linke hier beschrieben hat, sind die wirtschaftliche Stärke, die Nachfrage und die Wettbewerbsfähigkeit etwas, was die wirtschaftliche Kraft in diesem Land ausmacht. Das Wirtschaftswachstum, Herr Dehm, wird eben nicht nur von einer starken und wettbewerbsfähigen Wirtschaft getragen – schauen Sie sich mal die Statistiken genau an –, sondern auch von einer stabilen und starken Nachfrage und Kaufkraft in diesem Land. Nach Jahren ist die Lohn- und Gehaltsentwicklung endlich wieder positiv. Wir brauchen eben beides: Wettbewerbsfähigkeit und Exportstärke auf der einen Seite und starke Binnennachfrage sowie Investitionen auf der anderen Seite, also starke Auswärtsspiele und starke Heimspiele. Das macht die deutsche Wirtschaft heutzutage aus, und darauf können wir alle miteinander stolz sein, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das betrifft auch die Themen, die wir vor der Brust haben. Erstens. Wir werden das Thema Digitalisierung beherzt angehen müssen, weil es die Wettbewerbsfähigkeit dieses Landes berührt, weil es riesige Produktivitätsfortschritte verspricht, wenn wir uns auf diesen Weg machen. Aber wer von Industrie 4.0, wer von Wirtschaft 4.0 redet, der darf zu Arbeit 4.0 nicht schweigen. Die Stärkung der Mitbestimmung wird ein entscheidender Faktor sein, wenn es darum geht, beim Umstieg zur digitalen Produktion in unseren Fabriken erfolgreich zu sein. Gegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, gegen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geht das nicht. Deshalb ist es gut, dass dieser Bundeswirtschaftsminister auf die Partnerschaft zwischen Wirtschaft, Gewerkschaften und Wissenschaft setzt. Dabei hat er unsere Unterstützung. (Beifall bei der SPD) Zweitens, meine Damen und Herren, ist das Thema Energiepolitik hier angesprochen worden. Aufgrund der Kürze der Redezeit werde ich das nicht vertiefen können, aber so viel an die Adresse der Grünen: Wir setzen die Energiewende so um, dass sie erfolgreich ist. Da sage ich trotz all der Unkenrufe, die Sie hier vom Stapel lassen: Der Ausbau der Erneuerbaren geht weiter. Wir wollen aber dafür sorgen, dass er so weitergeht, dass er bezahlbar ist und auch Systemintegration stattfinden kann. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir brauchen einen Systemwechsel! – Weiterer Zuruf der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Deshalb machen wir Aufräumarbeiten an der Energiewende. Auch da hat der Bundeswirtschaftsminister unsere Unterstützung. Das ist kein leichtes Geschäft; aber es ist wichtig, damit die Energiewende in diesem Land zum Erfolg wird. Ja, den Erneuerbaren gehört die Zukunft – Stück für Stück. Aber wir müssen dafür sorgen, dass der Ausbau effizient gestaltet wird, was die Kosten, die Planbarkeit und die Systemintegration betrifft. Wir werden die Erneuerbaren, die inzwischen 33 Prozent des Bruttostromverbrauchs in Deutschland ausmachen, konsequent an den Markt heranführen. Wir werben um Ihre Unterstützung, damit wir die Energiewende schaffen und nicht gegen die Wand setzen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) All das, was wir vor der Brust haben, ob bei den großen Herausforderungen unserer Zeit, bei der Digitalisierung, bei der Frage, wie wir die Energiewende vom Kopf auf die Füße stellen, damit eine sichere und saubere Energieversorgung für die Zukunft unseres Landes gewährleistet werden kann, machen wir, weil es uns um eines geht: Wir setzen auf eine aktive Wirtschaftspolitik. Sigmar Gabriel betreibt eine aktive Wirtschaftspolitik, weil es uns darum geht, die Zukunft unseres Landes zu sichern. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun Kollege Michael Schlecht für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Michael Schlecht (DIE LINKE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die deutsche Wirtschaft wird bis Ende 2015 Waren und Dienstleistungen im Wert von voraussichtlich knapp 240 Milliarden Euro mehr ans Ausland verkauft haben, als sie aus dem Ausland bezog. (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Immer die gleiche Platte!) Diese deutschen Exportüberschüsse summieren sich seit dem Jahr 2000 bis zum Ende dieses Jahres auf mehr als 2 Billionen Euro. (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Gott sei Dank!) Möglich ist das natürlich nur, weil Deutschland gleichzeitig diese 2 000 Milliarden Euro dem Ausland leiht. Das Ausland verschuldet sich immer mehr bei uns. Wie nachhaltig ist das? Gar nicht! Das ist überhaupt nicht nachhaltig. Diese Entwicklung drückt sich in einem gewaltigen Leistungsbilanzüberschuss aus, der dieses Jahr bei 8,5 Prozent liegen und damit 250 Milliarden Euro, da er etwas höher als der Exportüberschuss ist, betragen wird. Wie gesagt, möglich ist dies nur, weil das Ausland ständig gezwungen wird, sich immer mehr zu verschulden. Gleichzeitig haben wir eine Regierung, die immer wieder verkündet, Verschuldung sei das Schlimmste der Welt. Aber man nimmt billigend in Kauf, dass sich das Ausland wegen der deutschen Exportüberschüsse ständig weiter verschuldet. Die Bundesregierung betreibt nicht nur eine Wirtschaftspolitik, die gegenüber dem Ausland unfair ist, sondern bricht damit auch europäisches Recht. Der Leistungsbilanzüberschuss darf nach den Regeln nämlich nur 6 Prozent betragen. 8,5 Prozent beträgt er. Er beträgt schon mehrere Jahre mehr als 6 Prozent. Da die Bundesregierung wahrscheinlich schon immer vorausgesehen hat, dass sie diese Regeln brechen wird, hat sie in den europäischen Regeln vorgesehen, dass diese Regelverletzung nicht sanktioniert wird. So kann man europäisches Recht auch mit Füßen treten. Ich finde, das ist ein Skandal. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn Wirtschaftsminister Gabriel – wir kennen das aus früheren Diskussionen – diese Exportüberschüsse immer wieder hochhält, dann muss man ihm und denjenigen, die das auch tun – in den Zwischenrufen eben klang das ja an –, deutlich sagen: Sie wollen, dass die Schulden des Auslands dauerhaft weiter steigen, und Sie nehmen dem Ausland jegliche Chance, sich irgendwann einmal zu entschulden. Wie kann man sich eigentlich einbilden, dass die anderen Länder das auf Dauer so hinnehmen? Es ist in Deutschland wohl wenig bekannt, aber es gibt in Italien, Frankreich und anderen – gerade europäischen – Ländern immer wieder Diskussionen, ob man mit diesem Deutschland, das sich so unfair verhält und quasi wirtschaftsimperialistische Züge aufweist, (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD) weiter Handel treiben sollte oder ob es nicht besser wäre, aus einem Euro auszusteigen, in dem sich Deutschland – das muss man schon so sagen – wie ein Fuchs im Hühnerstall gebärdet. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Lassen Sie den Fuchs in Ruhe! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Herr Fuchs kommt gleich noch!) Was wir brauchen, ist eine Umkehr in der Wirtschaftspolitik. Deutschland muss endlich auch Defizite im Außenhandel machen, um zum Abbau der Verschuldung des Auslands und zur Beseitigung internationaler Ungleichgewichte beizutragen. Die Probleme hier sind ja vor allem deshalb entstanden, weil die Binnennachfrage in den letzten 15 Jahren zu sehr stranguliert worden ist und damit die Importe viel schwächer angestiegen sind als die Exporte. Der eigentliche Kern des Problems ist eine desaströse Lohnentwicklung, die endlich umgekehrt werden muss. (Beifall bei der LINKEN) Im Vergleich zum Jahr 2000 liegen die Reallöhne je Beschäftigten heute kaum höher als damals. Das ist ein Skandal in einem so reichen Land. (Beifall bei der LINKEN) Wären die Reallöhne in den letzten Jahren – wie mein Vorredner ja betont hat – nicht ein bisschen gestiegen, lägen sie heute deutlich unter der Marke des Jahres 2000. Der über die Jahre entstandene Verlust ist längst nicht wettgemacht; deswegen muss dort eine Umkehr stattfinden. Die Entwicklung der Tariflöhne ist dabei noch nicht einmal das vorrangige Problem, obgleich den Gewerkschaften mit Leiharbeit, Befristung und Werkverträgen dicke Knüppel zwischen die Beine geworfen wurden. In der Folge waren viele Tarifabschlüsse auch nicht besonders berauschend. Nein, das eigentliche Problem ist, dass die Tarifbindung durch die Politik der letzten 15 Jahre immer mehr zerbröselt ist. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: So ist es!) Heute arbeiten nur noch 50 Prozent der Beschäftigten unter dem Schutz eines Flächentarifvertrages, und das in so einem Land wie Deutschland: Das ist doch ein Skandal! (Beifall bei der LINKEN) Bei den übrigen Beschäftigten, die wie im Frühkapitalismus arbeiten und jede Bedingung akzeptieren müssen, die ihnen der Unternehmer diktiert, sind die Löhne in den letzten 15 Jahren in den Keller gerauscht. Sie liegen pro Kopf 17, 18 oder 19 Prozent niedriger als im Jahr 2000. Es ist doch ein Skandal, dass sich große Unternehmen wie Amazon in diesem Land vor einem Tarifvertrag drücken können. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ja! Richtig!) Was unternimmt diese Regierung eigentlich, um den für einen Tarifvertrag streikenden Kolleginnen und Kollegen zu helfen? Nichts! Auch das ist ein Skandal in diesem Lande. (Beifall bei der LINKEN) Es kann doch nicht angehen, dass solche Unternehmen schalten und walten und mit den Beschäftigten umgehen können, wie sie wollen. Es gab sogar einen Kanzler, der stolz darauf war, dass er eine Politik gemacht hat, die zu solchen Niedriglöhnen in Deutschland führte. Ich finde, das ist wirklich peinlich. Die Lösung der Probleme, die diese Entwicklung mit sich bringt, ist doch eigentlich ganz einfach: Wir brauchen eine Umkehr bei den Rahmenbedingungen am Arbeitsmarkt. Wir brauchen ein Verbot der Leiharbeit und der sachgrundlosen Befristungen. Wir brauchen endlich auch ein Vetorecht des Betriebsrates bei Werkverträgen und auch bei Outsourcing-Strategien der Unternehmen. Das wäre notwendig, um unser Land wieder voranzubringen. (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: In welchem Land leben Sie denn eigentlich?) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Michael Schlecht (DIE LINKE): Einen Satz noch. – Die am Anfang genannten Außenhandelsungleichgewichte sind nichts Technisches, nichts Spielerisches, sondern sie sind eine Gefahr gerade auch für eine friedliche internationale Zusammenarbeit. Wenn ich mehr Zeit hätte, könnte ich noch ausführen, inwieweit dies negative Rahmenbedingungen setzt für vieles, was uns derzeit in diesem Lande im Hinblick auf internationale kriegerische Auseinandersetzungen bedroht. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Michael Fuchs ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kontrolle oder nicht? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kontrollverlust!) Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe zunächst überlegt, ob ich auf die Rede des Kollegen Schlecht eingehen soll, aber mir ist dabei schlecht geworden. Ich lasse es deswegen sein; (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ha, ha! Sie sind der Fuchs im Hühnerstall! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Sehr originell!) das hat nun wirklich keinen Sinn. Die Aussagen, die er da von sich gegeben hat, mögen bei dem VEB DDR funktioniert haben – wir haben das Resultat 1989 mit dem Zusammenbruch der DDR erlebt –, hier in diesem Parlament brauchen wir das Ganze nicht. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Er ist aus Baden-Württemberg, Herr Fuchs!) – Er hat Gott sei Dank in Baden-Württemberg nichts zu sagen, sonst würde es dem Land auch schlechtgehen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Deutschland geht es gut; die Kanzlerin hat es gestern betont. 43,2 Millionen Erwerbstätige, rund 30 Millionen, die sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind: Das ist eine Erfolgsstory. Das können Sie nicht wegdiskutieren, was auch immer Sie damit erreichen wollen. (Beifall bei der CDU/CSU) Nur die Situation jetzt ist so, dass wir vor gewaltigen Herausforderungen stehen. Die Herausforderungen entstehen durch die große Flüchtlingswelle, die wir bewerkstelligen müssen. Wir sind gefordert, Lösungen zu finden. Das heißt auch, dass wir darauf achten müssen, dass es nicht dazu kommt, dass diesen Menschen keine Perspektive in Deutschland eröffnet wird; denn wenn sie keine Perspektive in Deutschland haben, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, dann werden wir eine Situation wie in den französischen Banlieues erleben. Es ist tragisch, was in Paris passiert ist. Es ist furchtbar, was dort passiert ist. Aber es waren junge Franzosen und junge Belgier, die diese Anschläge verübt haben. Man muss sich bitte überlegen, woher das kommt. Das kommt daher, dass diese jungen Menschen in den Banlieues, in den Vorstädten von Paris und Brüssel, keine Perspektive hatten. Sie haben auch keine Chancen gesehen, dass sich ihre Situation ändert. Deswegen ist es unsere Aufgabe, eine Wirtschaftspolitik zu machen, die Arbeitsplätze schafft, so dafür zu sorgen, dass junge Menschen in Deutschland eine Chance haben. Das ist unsere Aufgabe; die sehe ich auch genau so. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ich bin mir mit Hubertus Heil völlig einig, dass wir jetzt darüber nachdenken müssen, wo Fehler liegen und wie wir diese Fehler beheben können. Ich will bei der Energiepolitik anfangen. Ich bin gar nicht gegen den Ausbau der Erneuerbaren. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Doll!) Nur muss er auch – das haben wir in dieser Koalition beschlossen – berechenbar und planbar sein. Dazu gehört für mich, dass wir unsere Zielvorgaben auch einhalten, aber das tun wir in vielerlei Hinsicht nicht. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, Sie unterschreiten sie!) Beim Onshore-Windausbau liegen wir round about doppelt so hoch, wie wir es uns einmal vorgenommen haben. Im letzten Jahr sind ungefähr 4,5 Gigawatt aufgestellt worden, geplant waren 2,5 Gigawatt. In diesem Jahr werden es über 5 Gigawatt sein, geplant waren ebenfalls 2,5 Gigawatt. Das führt dazu, dass wir mittlerweile 16 Terawattstunden mehr an Strom haben, als wir geplant hatten, und entsprechende Kosteneffekte dadurch ausgelöst werden. Diese Kosteneffekte – auch diesbezüglich bin ich mit Hubertus Heil völlig einig – müssen wir in den Griff bekommen. Ein Großabnehmer zahlt 150 Euro pro Megawattstunde. Ein Haushalt muss jetzt jährlich rund 250 Euro EEG-Kosten – das waren 2010 noch 80 Euro – tragen und zahlt mittlerweile insgesamt über 1 000 Euro jährlich für den Strom. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer regiert denn hier seit zehn Jahren? – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das Resultat Ihrer Politik!) Das ist zu viel. Damit schöpfen wir Kaufkraft ab, die dann für andere Bereiche nicht zur Verfügung steht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es darf auch, meine Damen und Herren, keinen Feldzug gegen die großen EVUs geben, wie ihn Grüne und Linke gerne unternehmen; denn wir brauchen kapitalstarke Unternehmen, die das kapitalintensive System der Stromversorgung in Deutschland garantieren und dafür sorgen, dass wir nach wie vor Versorgungssicherheit haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist nun einmal dummerweise so, dass wir das eine oder andere Mal die berühmte Dunkelflaute haben, also weder Wind- noch Sonnenenergie zur Verfügung stehen. Wenn Sie mir das nicht glauben wollen, schauen Sie bitte schlicht und ergreifend aus dem Fenster. Die Grünen wollen zwar erreichen, dass auch nachts die Sonne scheint, bis jetzt sind sie damit aber relativ erfolglos. Deswegen müssen wir Lösungen finden. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also, Ihre Argumente haben ein Niveau, das einen wirklich erschüttert! Das ist wirklich erschütternd, was Sie hier erzählen! Das ist peinlich für dieses Haus!) Eines will ich nicht: Ich will nicht, dass wir ab 2019 gezwungen sind, Atomstrom aus Tschechien und Kohlestrom aus Polen zu importieren. Das würde nämlich die Konsequenz sein. Das Bundeswirtschaftsministerium hat uns schon darauf aufmerksam gemacht, Herr Minister, dass das auf uns zukommen wird. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr, lass Hirn vom Himmel fallen!) Meine Damen und Herren, so etwas in Kauf zu nehmen, ist für mich auch nicht glaubwürdig. Die großen Unternehmen haben immerhin 280 000 Beschäftigte, direkt und indirekt. Ich möchte, dass diese Beschäftigten eine Perspektive in Deutschland haben. Ich möchte nicht, dass diese Arbeitsplätze durch Maßnahmen, die wir hier ergreifen, gefährdet werden. Ich möchte ein zweites Thema ansprechen. Es geht um Werkverträge und Zeitarbeit. Ich bin sehr froh, dass die Kanzlerin vorgestern bei der Jahrestagung der BDA sehr deutlich gemacht hat, dass wir den Koalitionsvertrag einhalten, aber in keiner Weise über diesen Koalitionsvertrag hinausgehen. Das sollte das Bundesarbeitsministerium bitte berücksichtigen und dafür sorgen, dass das, was vereinbart wurde, genau so gemacht wird und dass man nicht darüber hinausgeht. Nach einem Entwurf, der in die Diskussion eingebracht wurde, sollen selbstständige Betreiber einer Werkskantine, IT-Servicekräfte oder Mitarbeiter von Wach- und Sicherheitsdiensten rückwirkend – ich betone: rückwirkend – zu Arbeitnehmern des Betriebes bestimmt werden können, ohne dass sie sich dagegen wehren können. Weder der Arbeitgeber noch der Arbeitnehmer sollen die Möglichkeit haben, zu sagen: Das wollen wir nicht. – Das kann nicht sein. Diese Überbestimmung muss zurückgeführt werden. Das ist im Koalitionsvertrag nicht vereinbart worden. Ich bitte das Arbeitsministerium, den Entwurf entsprechend zu verändern, bzw. das Bundeskanzleramt, ihn in dieser Fassung zurückzuweisen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es kann auch nicht sein, dass bei Zeitarbeitsverträgen alle Sachleistungen eingerechnet werden müssen und diese dann in geldwerte Vorteile umgerechnet werden sollen. Das ergibt eine Bürokratie, die überhaupt nicht zu bewältigen ist; denn es gibt über 170 mögliche Sachleistungen. (Zuruf von der LINKEN) Die können wir nicht alle umrechnen. Das wollen wir nicht haben. Meine Damen und Herren, die Zeitarbeit und die Werkverträge sind eine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt. 63 Prozent der Zeitarbeitnehmer waren vor Eintritt in die Zeitarbeit arbeitslos oder noch nie beschäftigt. Aus diesem Arbeitskräftepool kommen die Zeitarbeitnehmer. Diese Brücke in den ersten Arbeitsmarkt dürfen wir um Gottes willen nicht kaputtmachen. Im Gegenteil: Angesichts der Flüchtlingsproblematik werden wir sie jetzt dringend brauchen. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch!) Meine Damen und Herren, ich bin immer gerecht. Deshalb habe ich für jeden etwas mitgebracht, auch für den Bundesjustizminister: Verehrter Herr Maas, ich freue mich, dass Sie hier sind. Ich möchte Sie bitten, den mittelständischen Unternehmen ganz schnell zu helfen. Im Handelsgesetzbuch muss etwas beim deutschen Bilanzrecht passieren. Wir dürfen die Unternehmen nicht für die ultralockere Geldpolitik der letzten Jahre büßen lassen. Sie wissen, was ich meine: Die drastisch gesunkenen Marktzinsen haben dazu geführt, dass sich die Zinssituation verändert hat. Und bei niedrigeren Zinsen sind höhere Rückstellungen notwendig. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ja, das ist logisch!) Diese höheren Rückstellungen führen wiederum zu einer Schwäche bei den Investitionen und wirken sich in der Folge problematisch auf die Pensionen aus; denn viele Unternehmen sagen, dass sie dann keine betrieblichen Pensionen mehr zahlen können. Wir könnten das relativ schnell heilen. Ich möchte Sie bitten, darüber noch einmal nachzudenken: Wenn wir statt des Bemessungszeitraums von sieben Jahren – das ist jetzt ein bisschen technisch; aber es handelt sich eben um ein technisches Problem, und das muss schnell gelöst werden – einen Bemessungszeitraum von zwölf Jahren ansetzen würden, dann, Herr Minister, hätten wir – da bin ich ziemlich sicher – das Problem gelöst. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Nein, nein! Hätten wir nicht!) Der Zwang hoher Rückstellungen wäre dann nicht gegeben. Ich denke, wir sollten gemeinsam noch einmal darüber nachdenken. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Müssen Sie das nicht in der Koalition ausmachen?) Last, but not least: Herr Kollege Schlecht, vom Außenhandel haben Sie nicht allzu viel Ahnung. Ich kann nur eins sagen: Wenn wir nicht einen so erfolgreichen Außenhandel hätten, dann wären rund ein Drittel der Arbeitsplätze in Deutschland überhaupt nicht vorhanden oder gefährdet. Deswegen sollten wir alles dafür tun, dass er wächst. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dazu gehört, dass wir uns mit den Freihandelsabkommen beschäftigen. Für mich sind die Freihandelsabkommen der Schlüssel zu einem erfolgreichen Außenhandel. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Der Schlüssel zum Niedergang des Mittelstands!) Das gilt auch für TTIP. Ich bitte Sie, darüber nachzudenken. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Mittelstandsungeheuer!) Denn alleine wenn ich höre, dass von gruseligen Umweltstandards in den USA die Rede ist, kann ich Ihnen nur eins empfehlen: Rufen Sie doch einmal bei VW an; die werden Ihnen dazu etwas sagen. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Tipp könnten Sie mal Herrn Dobrindt geben! Der sollte mal bei VW anrufen!) Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Außenhandel ist für Deutschland eine große Chance; er muss gestärkt werden. Ich würde mir wünschen, dass die Opposition dabei mitmacht und mithilft. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Junge, Junge! So viel Unverstand!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Kerstin Andreae das Wort. Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Hajduk hat es gesagt: Die Expertenkommission zum Thema Investitionsstau, die Fratzscher-Kommission, hat sich bis März 2015 mit dem Ziel befasst, die verhaltene Investitionstätigkeit in Deutschland zu stärken. Wenn wir in den Haushalt schauen, sehen wir jedoch überhaupt nichts von Stärkung. Vielmehr wird nur jeder zehnte Euro dieses Haushalts überhaupt investiert, und das bei steigenden Steuereinnahmen. Das ist ein echtes Armutszeugnis. Mit Stärkung von Investitionstätigkeit hat das nichts zu tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Aber es geht ja nicht nur um die öffentlichen Investitionen, sondern auch um die privaten. Private Investitionen anzukurbeln, heißt, vernünftige Wettbewerbspolitik zu machen. Ein kluger Wirtschaftsminister schützt den Wettbewerb: damit die Großen nicht die Kleinen schlucken, damit es faire Preise und faire Bedingungen gibt und damit nicht Kungelei die Wirtschaftspolitik bestimmt, sondern der nüchterne Sachverstand. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Gabriel, als Sie die Kohleabgabe gestartet haben, haben wir Sie verteidigt; die Kohleabgabe war richtig. Bei einem Hinterzimmerdeal ist jetzt eine Braunkohlesubvention herausgekommen. Das ist doch irre! Die Allianz steigt aus der Kohle aus, und diese Bundesregierung subventioniert seit neuestem Braunkohle. Völlig falsche Politik! Sie haben sich vor die Konzerninteressen spannen lassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE]) Die Telekom bekommt vermutlich den Zuschlag für den Breitbandausbau mit Vectoring. Die Telekom arbeitet mit einer Technologie von gestern. Statt in Glasfaser wird in alte Kupferleitungen investiert. Das ist doch keine vernünftige Industriepolitik! Es ist eine Sünde gegen den Wettbewerb. Davon profitiert die Telekom. Das war der Deal: Die Telekom verspricht, 1 Milliarde Euro in den Breitbandausbau zu investieren, und bekommt quasi ein Exklusivrecht. Mittelständische Wettbewerber, die zukunftsfähig auf Glasfaser setzen, kommen nicht zum Zug. Das ist rückwärtsgewandt und wettbewerbsfeindlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es steht ein neues Thema auf der Agenda: die Fusion von Edeka und Kaiser’s Tengelmann. Vermutlich werden wir eine Ministererlaubnis dazu bekommen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Warten Sie es mal ab! Sind Sie Hellseherin, oder was?) Das ist offen, aber das Orakel geht in die Richtung. Edeka ist schon heute der Marktführer. Mit den zusätzlichen Supermärkten wäre Edeka uneinholbar für die anderen Wettbewerber. Das schadet der Vielfalt und dem Wettbewerb. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das schadet den Verbraucherinnen, und das schadet vor allem den Erzeugern und Landwirten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Und es nützt noch nicht einmal den Arbeitsplätzen. Wieso ist denn die Phalanx der Gegner so groß? Bauernverband, Verbraucherzentrale, Verdi und auch wir Grünen sind absolut gegen diese Fusion. Erteilen Sie diese Ministererlaubnis nicht, Herr Gabriel! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber noch einmal zurück zur Fratzscher-Kommission. Von den vielen, auch guten Ideen ist herzlich wenig umgesetzt. Aber eine wird vorbereitet: die Bundesfernstraßen-GmbH. Mit öffentlich-privaten Partnerschaften wollen Sie dem Investitionsstau auf der Straße zu Leibe rücken. Das ist keine gute Idee. Abgesehen von den Kosten, die Sie zukünftigen Steuerzahlern vor die Füße kippen, und abgesehen davon, dass Sie damit die Schuldenbremse umgehen – das sind wahrlich wichtige Punkte –, will ich auf den Wettbewerb hinaus. Das Baugewerbe läuft Sturm gegen Ihre Pläne. Warum? Weil nur noch sehr große Baukonzerne und sehr große Finanzinvestoren überhaupt in der Lage sind, diese Projekte zu stemmen. Für den Mittelstand bleibt nichts übrig. Mit Wettbewerb hat das nichts zu tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ein Thema, das uns alle bewegt, ist die Integration der Flüchtlinge. Die Wirtschaft steht in den Startlöchern. Jedes vierte Unternehmen sucht Fachkräfte. Die Unternehmen sind bereit, Flüchtlinge auszubilden; wir haben das beim Arbeitgebertag von Kramer, Grillo und Schweitzer gehört. Ausbildung ist der Schlüssel zur schnellen Integration. Aber dafür braucht es Verlässlichkeit. Ein Beispiel für Verlässlichkeit wäre, dass Sie endlich das Drei-plus-zwei-Modell der Wirtschaft umsetzen. Jemand, der hier ausgebildet wird, braucht eine verlässliche Aufenthaltsperspektive für die Zeit der Ausbildung und für zwei weitere Jahre, um Berufserfahrung zu sammeln. Wir unterstützen dieses Modell glasklar. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber in der Arbeitsmarktpolitik hat die Regierung die Bedarfe waghalsig kleingeredet. Wenn man das, was im Haushalt abgebildet ist, mit den Anforderungen, die heute schon auf uns zukommen, vergleicht, wird deutlich, dass Sie die Bedarfe hier kleinrechnen. Wir sagen: Geben Sie weitere 3 Milliarden Euro – und die können wir gegenfinanzieren – für Integration, für Bildung und für den Zugang von Flüchtlingen zum Arbeitsmarkt aus! Das ist der Rückenwind, den die Unternehmen und die Gesellschaft brauchen, um Flüchtlinge zu integrieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Minister Gabriel, ich kann Sie nur eindringlich bitten: Geben Sie Ihren Widerstand gegen die Abschaffung der Vorrangprüfung auf! Die Vorrangprüfung ist ohne praktischen Nutzen. Sie bindet wertvolle Kräfte in der Verwaltung. Die Vorrangprüfung ist eine olle und anachronistische Kamelle. Sie gehört endlich in die Mottenkiste. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Flüchtlinge, die zu uns kommen, suchen eine Chance und eine Perspektive. Manche retten schlicht ihr Leben und das Leben ihrer Familie. Heißen wir sie willkommen, und zwar auch in dem Wissen, dass sie eine Chance für Deutschland, für unsere Gemeinschaft, für unser kulturelles Zusammenleben und für unsere Weltoffenheit sind. Deswegen sagen wir: Schmieden Sie ein Bündnis für Integration: mit Unternehmen, Betriebsräten, Kirchen, Weiterbildungseinrichtungen und freiwilligen Initiativen. Jetzt ist die Zeit, diese Herausforderung, vor der wir stehen, in eine Chance zu drehen, die unserem Land nutzen wird: als Wirtschaftsstandort, aber auch als Gesellschaft und im Hinblick auf unser gemeinsames Zusammenleben. Da gehört eine kluge und vorausschauende Wirtschaftspolitik dazu. Nutzen Sie diese Chance – mit Herz, mit Plan und mit Verstand! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun der Bundeswirtschaftsminister, Herr Gabriel. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Recht diskutieren wir in diesen Tagen im Rahmen der Haushaltsberatungen über die großen Herausforderungen, mit denen wir aufgrund der großen Zahl von Menschen, die Schutz und eine neue Heimat bei uns suchen, konfrontiert sind, und über die neuen Sicherheitsanforderungen, die wir spätestens nach den Ereignissen in Frankreich auch bei uns zu beraten haben. All das fordert uns auch finanziell und wirtschaftlich heraus; keine Frage. Es sind insgesamt 10 Milliarden Euro, die der Bund 2015 und 2016 zur Bewältigung dieser Riesenherausforderungen aufbringt. Diese 10 Milliarden Euro sind im Bundeshaushalt bereitgestellt. Wir erfüllen damit das Versprechen, unsere Länder und vor allen Dingen die Kommunen bei der Flüchtlingsunterbringung finanziell zu entlasten. Gleichzeitig stellen wir 3 000 zusätzliche Stellen bei der Bundespolizei zur Verfügung. Das sind nur zwei Beispiele, wofür diese 10 Milliarden Euro verwendet werden. Es gibt zwei Voraussetzungen, denen wir zu verdanken haben, dass all das in so kurzer Zeit geht, dass es nicht zu Verteilungskämpfen in Deutschland kommt und dass es nicht dadurch finanziert ist, dass wir den einen etwas wegnehmen, um es denen, die kommen, zu geben. Die erste Voraussetzung ist eine wirklich gute wirtschaftliche Entwicklung mit sinkenden Arbeitslosenzahlen und extrem hoher Beschäftigung. Mehr als 43 Millionen Menschen finden Arbeit, die weit überwiegende Zahl davon in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung – anders als das Diether Dehm erklärt hat. Zu ihm kann ich nur sagen: Der Tag, an dem du Helmut Schmidt zitierst, musste ein Tag sein, an dem er nicht mehr da ist, um sich zu wehren – der arme Kerl. (Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]) Es war falsch, zu behaupten, wir hätten eine sinkende Lohnentwicklung. Wir haben nicht mehr Armutslöhne, sondern bessere Tariflöhne. Das heißt, wir haben eine exzellente wirtschaftliche Entwicklung, die Gott sei Dank bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern endlich wieder ankommt. Die zweite Voraussetzung ist eine solide Finanzpolitik. Man stelle sich vor, wir hätten auf die Ratschläge gehört, die es seit geraumer Zeit gab, man müsse doch die schwarze Null und den strukturell ausgeglichenen Haushalt nicht so früh erreichen; das sei doch nicht so wichtig. Man könne doch vorher ein paar Programme auflegen. – Man stelle sich vor, wir hätten uns darauf eingelassen. In welchen Verteilungskonflikten wären wir jetzt, um diese Herausforderung mit einem Volumen von 10 Milliarden Euro zu finanzieren? Wir wären mitten in der Auseinandersetzung in Deutschland, wem wir etwas wegnehmen müssten, um die neuen Herausforderungen zu finanzieren. Gott sei Dank haben wir das nicht gemacht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat keiner gefordert!) – Klar haben Sie das gefordert. (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben wir?) – Natürlich gab es auch bei Ihnen Leute, die gesagt haben, man solle die schwarze Null nicht wie einen Fetisch behandeln und vieles andere mehr. Diese Position gab es übrigens auch in meiner Partei. (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt bleiben Sie doch mal bei Ihrer alten Formulierung! Ansonsten kommen Sie durcheinander!) – Frau Hajduk, bevor Sie mich durcheinanderbringen, müssen Sie sich mehr als eine gelbe Jacke anziehen. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war aber reine Notwehr! Das war echt kleines Karo!) – Wir haben doch sonst ein anständiges Verhältnis zueinander. (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Was? – Thomas Oppermann [SPD]: Schwarze Null und gelbe Jacke!) – Ich unterstelle damit nichts Politisches; das will ich nicht gesagt haben. In der Debatte über Flüchtlinge, die zu uns kommen, höre ich leider von vielen Menschen einen Satz, den wir vermeiden müssen: Für die macht ihr alles, für uns macht ihr nichts. (Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]: Genau!) Es ist gefährlich, wenn sich dieser Satz in die Mitte der Gesellschaft frisst. Deshalb ist es von so großer Wichtigkeit, dass wir keine Verteilungskonflikte im Land auslösen, sondern eine doppelte Integrationsaufgabe bewältigen, nämlich die zu integrieren, die kommen, aber auch die beieinanderzuhalten, die in unserem Land sind. Wir dürfen nicht zulassen, dass der eine gegen den anderen ausgespielt wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Frau Andreae, man kann zwar ökonomische Argumente anführen und sagen: Schafft die Vorrangprüfung ab. Die Gewerkschaften sind aber dagegen, sie abzuschaffen, weil dabei das politische Signal entstehen kann, dass die, die kommen, denen vorgezogen werden, die schon hier sind und langzeitarbeitslos sind. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sieht die Arbeitsministerin aber anders!) Der Grund, warum die Gewerkschaften Ihren Vorschlag ablehnen, ist, dass sie solche politischen Spannungen gar nicht erst symbolhaft entstehen lassen wollen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist auch richtig!) Das ist auch der Grund, warum ich den Gewerkschaften in dieser Position folge, Frau Andreae. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Frau Andreae, das ist der gleiche Grund, warum wir denkbaren ökonomischen Argumenten – diese gibt es nicht bei Ihnen, aber bei anderen – nicht folgen, die da besagen: Schafft den Mindestlohn für Flüchtlinge ab, damit sie zum Beispiel über Praktika schneller beschäftigt werden können. – Ökonomisch kann man das vielleicht verstehen. Aber was bedeutet dieses Symbol? Die Armen, die kommen, werden gegen die Armen, die hier im Land sind, ausgespielt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb darf man dieser Forderung nicht nachgeben, und wir werden das nicht tun. Am Gesetz gibt es keine Änderungen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Übrigens ist das auch der Grund, warum wir dafür plädieren, jetzt keinen Flüchtlingswohnungsbau zu betreiben. Wir müssen vielmehr Wohnungsbau – vor allem in den Ballungszentren – für alle Menschen betreiben, die inzwischen Schwierigkeiten haben, eine bezahlbare Wohnung zu finden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zu dem Versprechen „Wir schaffen das“ gehört auch das Versprechen, dass wir in Deutschland niemanden darunter leiden lassen, dass wir eine neue Aufgabe übernehmen müssen. Zum „Wir schaffen das“ gehört auch, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir machen das!) die Menschen hier zusammenzuhalten und ihnen zu zeigen, dass wir ihre Sorgen, Hoffnungen, Ideen, Wünsche und berechtigten Ansprüche nicht vergessen. (Beifall bei der SPD) Deshalb ist es gut, dass wir in dem Haushalt, den wir beschließen, keine Abstriche bei all dem machen, was wir uns vorgenommen haben. Wir bauen weiter Kindertagesstätten aus. Wir widmen uns der Verbesserung der Situation in der Altenpflege und in der Krankenpflege. Wir haben das kommunale Entlastungsprogramm. Frau Hajduk, Sie und Ihre Kollegin haben gefragt: Was macht ihr für Investitionen? 20 Milliarden Euro in einer Legislaturperiode an kommunaler Entlastung – das gab es noch nie in der Geschichte der Republik. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die Hilfen für die Flüchtlinge sind dabei noch gar nicht mit eingerechnet. Das ist das, was wir vorher schon beschlossen hatten. Ich finde, es ist gut, dass wir daran nichts verändern. Wir ändern nichts daran, dass wir 6 Milliarden Euro mehr für Bildung, Forschung und Entwicklung ausgeben. Übrigens ändern wir, Frau Hajduk, auch nichts daran, dass wir in der Klima- und Energiepolitik für Energieeffizienzmaßnahmen 5,8 Milliarden Euro bereitstellen. Es gab jetzt eine Kürzung der Verpflichtungsermächtigung in Höhe von 350 Millionen Euro. Ich gehe davon aus, dass wir davon nicht betroffen sein werden. (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann sind Sie schlecht unterrichtet!) – Lassen Sie mich den Satz zu Ende führen. – Wenn es so wäre, würde das nur heißen, dass aus 5,8 Milliarden Euro dann 5,5 Milliarden Euro werden und das Programm sozusagen ein bisschen länger laufen muss. Es werden also 5,5 Milliarden Euro oder 5,8 Milliarden Euro für Klimaschutz und Energieeffizienz ausgegeben. Sie hätten doch früher gejubelt, wenn es solch riesige Beträge für Energieeffizienz gegeben hätte. Die gibt es doch zum ersten Mal in diesem Haushalt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir erhöhen die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ früher, als wir gedacht haben. Wir haben mithilfe der Parlamentarier – ich nenne Herrn Jurk und Herrn Mattfeldt – das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand, ZIM, ebenfalls auf dem vorgesehenen Niveau halten können. 40 Prozent dieser Mittel gehen nach Ostdeutschland, und auch 80 Prozent der GRW-Mittel gehen nach Ostdeutschland. An nichts von dem ändern wir irgendetwas. Gleichzeitig schultern wir eine Riesenaufgabe. Der Grund dafür ist, dass wir eine so gute wirtschaftliche Entwicklung und solide Finanzen haben. Natürlich machen wir auch beim Thema Energie und Klimaschutz weiter. Frau Andreae und Frau Hajduk, Sie kritisieren hier gerade, da würde nicht so viel passieren. In diesem Jahr haben die erneuerbaren Energien einen Anteil von 33 Prozent am Strommarkt. Im letzten Jahr hatten wir 27 Prozent. Die erneuerbaren Energien gewinnen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: So ist es!) Sie haben in diesem Jahr den größten Anteil an der Stromproduktion der Bundesrepublik Deutschland. Und da kommen Sie und sagen, dass wir in der Energie- und Klimapolitik nicht weitermachen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn mit Photovoltaik und Biogas?) – Ich sage es Ihnen gerne zum zehnten oder elften Mal: Beim Biogas – das haben wir übrigens mit allen Ministerpräsidenten, auch mit Ihrem, verabredet – gibt es eine Verringerung, weil das die teuerste Art der erneuerbaren Energien ist. Da wird der Ausbaukorridor etwas kleiner sein. Bei Wind – darauf hat Herr Fuchs hingewiesen – liegen wir wesentlich darüber, bei PV darunter. Aber wir befinden uns im vorgesehenen Korridor. Im Jahr 2025 wollen wir einen Anteil der erneuerbaren Energien von 40 bis 45 Prozent erreichen. Wir haben jetzt schon einen Anteil von 33 Prozent. Und da sagen Sie, dass wir in der Energie- und Klimapolitik nicht weiterkommen und dass wir vor Paris nichts zu bieten hätten. Wo leben Sie denn eigentlich? (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich komme zu Ihrer wunderbaren Debatte über die Klima- und Kohleabgabe. Wir legen 13 Prozent Braunkohlekapazitäten still. Es werden Kraftwerke stillgelegt. Und Sie sagen uns, wir würden die Kohle weiter fördern. Das kostet 230 Millionen Euro. Wissen Sie, warum? Weil wir damit verhindern, dass die Leute – wie sagt man im Ruhrgebiet? – ins Bergfreie fallen. Das ist Strukturpolitik. Wir legen Kapazitäten still, ohne die Leute den nächsten Tag arbeitslos zu machen. Da wollen Sie nicht mitmachen? Das verstehe ich überhaupt nicht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Minister, darf die Kollegin Hajduk eine Zwischenfrage stellen? Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Selbstverständlich. Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Minister, zur Kohleabgabe bzw. zu der Lösung, die Sie jetzt propagieren, will ich nur so viel sagen: Sie haben zu Beginn der ganzen Debatte dieses Instrument vorgeschlagen, und das haben Sie sicherlich aus Überzeugung getan. Sie wissen, dass wir auch gerade energiepolitisch diese Art von Bereitstellung der Kohlekraftwerke eigentlich nicht brauchen, und Sie sind gezwungen worden, einen anderen Weg einzuschlagen. Aber meine Frage richtet sich auf etwas anderes: Ist es richtig bzw. soll es dabei bleiben, dass Sie das Batteriespeicherprogramm in der Photovoltaik in Zukunft nicht fortführen werden? Wir hatten schon einmal darüber gesprochen. Ich habe es so verstanden, dass Sie noch einmal darüber nachdenken wollten. Das Photovoltaik-Batteriespeichersystem ist eine Innovation, die sich mehr und mehr am Markt durchsetzt, aber dafür braucht es die Fortführung des Programms in der Zukunft. Das wäre ein weiterer Baustein, mit dem Sie beweisen könnten, dass wir jetzt mit einer ökologischen Modernisierung an die Industriepolitik herangehen. Oder halten Sie daran fest, dieses Speicherprogramm endgültig auslaufen zu lassen? Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Frau Kollegin Hajduk, diese Frage hat vorhin der Kollege Jurk in seiner Rede beantwortet, indem er es begrüßt hat, dass das Batteriespeicherprogramm für Photovoltaikanlagen fortgesetzt wird. Das habe ich jedenfalls so verstanden. (Thomas Jurk [SPD]: Richtig!) Das hatten Sie, aber auch andere in den Fraktionen sich gewünscht. (Thomas Jurk [SPD]: War zwar mühsam mit dir, aber es ging!) Deswegen haben wir dazu einen Vorschlag entwickelt. Ihre Frage ist also in der Debatte vorhin von Herrn Jurk bereits beantwortet worden. Was den ersten Teil Ihrer Anmerkung angeht, will ich nur darauf hinweisen, dass mich niemand gezwungen hat, sondern dass wir in der Debatte über die Frage, wie wir die Klimaschutzziele erreichen, mit der Sorge der Beschäftigten konfrontiert wurden, dass sie in großer Zahl arbeitslos werden. Das betrifft ganze Regionen, zum Beispiel die Lausitz. Wir wollten mit dieser Sorge nicht besserwisserisch umgehen, nach dem Motto „Eure ganzen Sorgen sind unberechtigt“. (Thomas Jurk [SPD]: Genau!) Denn wenn wir falsch liegen, zahlen sie den Preis dafür – und nicht ich. Deshalb haben wir uns ein zweites Modell überlegt, nach dem 13 Prozent Braunkohlekapazitäten stillgelegt werden. Das hatten wir in dem ersten Entwurf gar nicht vor. Wir haben immer gesagt, dass das mehr kostet als das erste Modell, nämlich 230 Millionen Euro. Aber das ist doch kein zu hoher Preis. Setzen Sie das doch einmal in Relation zu den 23 Milliarden Euro, die wir bereit sind, jedes Jahr für die Finanzierung der Lernkurve bei den Erneuerbaren aufzubringen! Wir halten 230 Millionen Euro dagegen, die wir einsetzen, um die Leute nicht ins Bergfreie fallen zu lassen. Ich finde, das ist eine angemessene Güterabwägung. Wir haben die Leute nicht alleine gelassen. Sie sind doch diejenigen, die arbeitslos werden, wenn es schiefgeht, und ihre Mieten nicht mehr zahlen können. Wir sitzen dann immer noch brav im Trockenen. Deswegen war es, glaube ich, anständig, auf sie zu hören, statt weiter nach dem Motto „Mit dem Kopf durch die Wand“ vorzugehen. Das wäre falsch gewesen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Abgesehen davon erinnere ich mich daran, dass auch Sie schon einmal einen solchen Lernprozess bei einem Kohlekraftwerk durchmachen mussten, allerdings aus rechtlichen Gründen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das war eine rechtliche Frage!) Bei all diesen großen Aufgaben zu verhindern, dass es zu Verteilungskonflikten kommt, setzt voraus, dass die wirtschaftliche Entwicklung weiter gut verläuft. Dabei sind manche Hinweise der Opposition durchaus berechtigt. Es ist völlig richtig: Wir müssen uns endlich entscheiden, wie wir mit dem Thema Infrastrukturgesellschaft und den anderen Vorschlägen der Fratzscher-Kommission umgehen. Es reicht nicht aus, sich auf den kommunalen Bereich zu beschränken. Sie haben völlig recht. Aber es gibt noch andere Punkte, bei denen Sie uns, finde ich, hätten ermahnen können. Und weil Sie es nicht machen, mache ich es selber. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Minister, bevor Sie zu weiteren, spekulativen Ermahnungen kommen, würde der Kollege Krischer gerne zwischendurch das Wort ergreifen, wenn er darf. Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Ja, natürlich. Präsident Dr. Norbert Lammert: Bitte sehr. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herzlichen Dank, Herr Minister, dass Sie meine Frage zulassen. – Wenn Sie mit den Beschäftigten in der Braunkohle argumentieren, finde ich es ein bisschen unredlich, dass Sie jetzt den Braunkohleunternehmen 1,6 Milliarden Euro zahlen, (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Das könnt ihr nicht hören!) und zwar für die Stilllegung von Kohleblöcken, die sie ohnehin vorgesehen haben. Das ist das exakte Gegenteil von dem, was Sie vorher vertreten haben. Sie hatten vorher ein Modell, bei dem die Unternehmen zahlen sollten. Jetzt die Beschäftigten vorzuschieben, finde ich nicht seriös. Ich möchte aber zu diesem Thema eine andere Frage stellen. Gestern hat ihre Kabinettskollegin Frau Umweltministerin Hendricks, die leider gerade den Saal verlassen hat, den Vorschlag gemacht, noch in dieser Legislaturperiode die Entscheidung zu treffen, in 20 bis 25 Jahren aus der Braunkohle auszusteigen. Mich interessiert, ob das auch die Position des Bundeswirtschaftsministers bzw. der gesamten Bundesregierung ist und wenn ja – sofern das in dieser Legislaturperiode stattfinden soll –, mit welchen Instrumenten – reden wir dann über weitere Braunkohlesubventionen, also 1,6 Milliarden Euro mal x? – das erreicht werden soll. Ich finde es, ehrlich gesagt, nicht redlich, wenn die Umweltministerin vor der Konferenz in Paris einen solchen Vorschlag unterbreitet und damit möglicherweise etwas ankündigt, was gar keine reale Entsprechung im entscheidenden Teil der Bundesregierung, also bei Ihnen, findet. Deshalb bitte ich Sie um eine klare Aussage, wie das, was die Umweltministerin vorgeschlagen hat, ausgestaltet werden soll. Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Wenn Sie mir gestatten, widerspreche ich erst einmal Ihrer Behauptung, wir zahlten 1,6 Milliarden Euro Subventionen für Kraftwerke, die ohnehin stillgelegt hätten werden sollen. Diese Kraftwerke haben auf dem Markt so viel Geld verdient, dass das der Grund war, warum wir trotz Klimaschutz so hohe CO2-Emissionen hatten. Ihre Behauptung ist einfach falsch. Die Summe, die wir pro Jahr aufwenden, beträgt 230 Millionen Euro. Im Übrigen halte ich es für angemessen, mit Beschäftigten über die Frage zu sprechen, ob Politik Auswirkungen auf ihre Arbeitsbedingungen hat. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das unterscheidet vielleicht doch einen Grünen von einem deutschen Sozialdemokraten; das mag sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) Es macht doch nichts, wenn es Unterschiede gibt. (Zuruf von der LINKEN) – In Ihrer Fraktion will der eine Teil die Laufzeit der Braunkohlekraftwerke verlängern, während der andere Teil Anträge stellt, die einen schnellen Ausstieg aus der Braunkohle zum Ziel haben. Da sind die Grünen konsequenter. Nun zu Ihrer Frage, wie es mit der Braunkohle weitergeht. Die Bundesregierung sorgt im Vorfeld der Konferenz von Paris dafür, dass wir unsere Ziele bis 2020 erreichen. Deswegen sind 5,8 Milliarden Euro im Klima- und Energiefonds eingestellt. Wir sichern erst einmal, dass wir zu den Staaten gehören, die ihre freiwilligen Verpflichtungen einhalten, damit wir andere zu verbindlichen Verabredungen bewegen können. Hätten wir uns übrigens nur an die verbindlichen Verabredungen gehalten, müsste Deutschland bis 2020 nur 30 Prozent CO2 einsparen. Wir alle hier im Deutschen Bundestag haben uns freiwillig für 40 Prozent entschieden. Das sichern wir. Selbstverständlich werden wir über die Frage nachdenken, wie wir mit der Braunkohleverstromung als einem der Hauptemittenten umgehen sollen, wenn die Einsparziele bis 2040, 2050 oder 2060 immer größer werden. Ein Zeitraum von 25 Jahren wird bei RWE vermutlich große Beruhigung auslösen; denn wenn ich es richtig in Erinnerung habe, reichen die Kapazitäten der Braunkohletagebaureviere ohnehin nur für diesen Zeitraum. Ich weiß es allerdings nicht genau. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist länger!) – Es mag sein, dass der Zeitraum länger ist. Ich finde es aber angemessen, darüber zu reden, wie Ersatzarbeitsplätze geschaffen werden sollen. In der Lausitz zum Beispiel gab es vor der deutschen Einheit 100 000 Beschäftigte in der Energiewirtschaft. Davon sind 90 000 wegrationalisiert. Übrigens ist ein großer Teil der positiven deutschen Klimaschutzbilanz dadurch überhaupt erst ermöglicht worden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 90 000 Menschen haben also mit ihrem Arbeitsplatz bezahlt. 10 000 sind noch da. Diese stellen die berechtigte Frage: Wenn es zu einem weiteren Abbau der Braunkohlekapazitäten kommen soll, wo sind die Ersatzarbeitsplätze, und zwar nicht nur für uns, sondern auch für unsere Kinder? – Vor diesem Hintergrund wäre es richtig, das zu tun, was die IG BCE und auch der BDEW vorschlagen, nämlich nun darüber zu reden, mit welcher mittel- und langfristigen Perspektive wir Ersatzarbeitsplätze in dieser Region schaffen können. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ausstieg in 20 oder 25 Jahren – ja oder nein?) – Sie möchten gerne, dass man mal eben so – so machen Sie ja Klimapolitik – erklärt, an welchem Tag genau wir das schaffen. Das Ergebnis hat unsere Umweltministerin nicht vorweggenommen. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Auch das ist nicht wahr. Sie sind in der Abteilung Pinocchio ganz gut unterwegs. Das, was Sie sagen, stimmt doch nicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Verstehen Sie, das ist die Art von Klimaschutzpolitik, die uns in Schwierigkeiten gebracht hat. Ich gebe zu: Daran waren alle beteiligt. Immer dann, wenn es gerade passt, wird ein Ziel gesetzt. Einmal sprechen wir von Klimaschutz, ein anderes Mal von Beschäftigung oder von Preisstabilität. Zusätzlich möchten wir natürlich die Stadtwerke retten. Dann kommen wir einmal im Jahr zusammen und stellen fest: Donnerwetter, die Ziele passen irgendwie nicht zueinander. Wir müssen damit aufhören. Wir müssen in der Tat – da haben Sie recht – über die Frage der langfristigen Beschäftigungssicherung und des Aufbaus von Beschäftigung in den Bereichen der Kohlewirtschaft sprechen, in denen wir mittel- und langfristig weniger Beschäftigte haben werden. Das ist völlig richtig. Das wird übrigens, Herr Krischer, Geld kosten. Sie sollten das dann aber nicht – vielleicht sind es sogar dieselben Konzerne, die die Arbeitsplätze schaffen – als milliardenschwere Hilfen für Konzerne diffamieren, wie das Ihre Kollegin vorhin gemacht hat. Dann ist das ein Beitrag zum Strukturwandel; den haben wir in diesem Fall übrigens beim Braunkohlekompromiss auch gemacht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich diskutiere gerne mit Ihnen, wie Sie wissen. Die Spielräume der kommenden Jahre werden wir nutzen müssen, um den guten Stand unserer Wirtschaft zu erhalten; denn das, was mir am meisten Sorgen macht, ist das Vertrauen darauf, dass die wirtschaftliche Entwicklung eben einfach so bleibt. Ich vermute, dass die Schwierigkeiten dann beginnen, wenn man glaubt, es bleibe alles so. Ich glaube, wir werden darüber reden müssen, wie wir einen höheren Anteil als 3 Prozent am BIP für Ausgaben für Forschung und Entwicklung erreichen können. Wir sind zwar besser als der Rest Europas, aber Südkorea hat sich 4,5 Prozent zum Ziel gesetzt. Ich glaube, das ist das Ziel, das wir uns bis 2025 vornehmen müssen. (Beifall des Abg. Dr. Heinz Riesenhuber [CDU/CSU]) Wir werden darüber reden müssen, ob es wirklich so bleiben kann, dass die Wertgrenze für die Abschreibung geringfügiger Wirtschaftsgüter zuletzt vor 50 Jahren verändert worden ist. Da liegen die Rahmenbedingungen für bessere Investitionen der Unternehmen. Natürlich werden wir wieder über steuerliche Forschungsförderung reden müssen und auch darüber, dass wir mit einem Breitbandausbau von 50 Megabit pro Sekunde bis zum Jahr 2018 ein gutes Ziel haben, aber bis zum Jahr 2025 garantiert Gigabitnetze brauchen. Übrigens ist Vectoring dazu eine Übergangstechnologie, aber kein Ersatz für Glasfaser. Also: Das, was wir vor allen Dingen machen müssen, ist, darüber zu sprechen, wie wir Deutschlands Wirtschaft bis 2025 wettbewerbsfähig halten. Wir dürfen uns nicht damit zufrieden geben, wie die deutsche Wirtschaft derzeit aufgestellt ist. Das Plädoyer, wir sollten endlich unsere Exportstärke abbauen, halten Sie am besten in einer Betriebsversammlung von Daimler, Volkswagen, Siemens oder Bosch. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Volkswagen ist gut! – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Volkswagen macht das von selbst!) – Ich werde auch die Beiträge von Ihnen zum Thema Volkswagen gerne den Betriebsräten dort übermitteln. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das können Sie gerne tun!) – Wissen Sie, an der Seite von Arbeitnehmern zu stehen, heißt, sich in Schwierigkeiten nicht über sie lustig zu machen. Das ist das, was dazu zu sagen ist. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Es ist das Management! – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Es heißt: sich mit dem Management auseinanderzusetzen!) Lassen Sie mich am Schluss meiner Rede noch einige Bemerkungen zu der Situation nach den Attentaten in Frankreich machen. Der französische Journalist Nicolas Hénin schrieb vor einigen Tagen – ich zitiere –: Die Bilder aus Deutschland von Menschen, die Flüchtlinge willkommen heißen, werden den IS besonders beunruhigen. Zusammenhalt, Toleranz, das ist nicht, was die Terroristen sehen wollen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Er fügte hinzu: Sie fürchten unsere Einheit und unsere Toleranz mehr als unsere Luftangriffe. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich empfinde das als eine bemerkenswerte Aussage von einem Mann, der unter menschenunwürdigen Umständen einmal als Geisel vom IS festgehalten wurde, von dem man alles vermuten könnte, was Rache angeht. Ich finde, er bestärkt uns geradezu, dass sich nach Paris eben nicht alles ändern darf, dass wir unsere Vorstellungen von Zusammenleben, Menschlichkeit und Nächstenliebe nicht aufgeben werden. Das ist ein Aufruf zum Zusammenhalt und zur Solidarität. Ich finde, weil wir von Frankreich gerade gebeten werden, diese Solidarität auch praktisch werden zu lassen, dass wir das schuldig sind. Es sind die Franzosen gewesen, zusammen mit anderen, die nach 1945 Deutschland, das damalige Volk der Täter, nach Holocaust, nach Vernichtungskrieg, nach Überfall, an den Tisch der zivilisierten Völker Europas eingeladen haben. Ich finde, das müssen mutige Politiker in Frankreich gewesen sein, die das damals gemacht haben. Wir sind den Franzosen etwas schuldig. Deswegen sage ich: Wir müssen ihnen auch jetzt, in dieser Situation, zur Seite stehen. Für mich gibt es dazu keine Alternative. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Natürlich wollen wir auch dafür Sorge tragen, dass sich die Entwicklung bei den Flüchtlingen besser vollzieht als in den letzten Monaten. Wir wollen helfen, ordnen und steuern. Vieles davon – das hat der Kollege Kauder gestern zu Recht gesagt – ist auf den Weg gebracht worden. Herr Kollege Kauder, weil Sie das gestern angesprochen haben: Ich bin sicher, wir schaffen auch das zweite Paket. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Na, dann ran!) – Sie haben doch gesagt, die Fraktionen würden helfen. Jetzt habe ich eine Bitte an Sie. Zurzeit scheitert das Ganze an der Frage, dass wir uns in einer Sache nicht einig werden. Ich finde, das müssen wir schaffen, gerade vor Weihnachten. Ich kann nicht verstehen, warum Ihre Fraktion, bislang jedenfalls, skeptisch ist, ob wir Schwangeren, Minderjährigen unter 14 Jahren und Behinderten eine bessere medizinische Versorgung geben sollten. Das kann nicht sein. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schwangere, Behinderte, Minderjährige und kranke Kinder bekommen derzeit nur eine Notfallversorgung und bei chronischen Erkrankungen keine dauerhafte angemessene medizinische Versorgung. Ich bin sicher, dass wir das angesichts von Kostenordnungen von 5 bis 6 Millionen Euro hinbekommen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Es geht ja gar nicht um das Geld!) Das kann doch nicht ein Bereich sein, bei dem wir zeigen, dass wir uns um Frauen, um werdende Mütter, um Minderjährige und um Behinderte nicht kümmern wollen. Meine Damen und Herren, die Flüchtlingsmigration stellt ohne Zweifel unser Gemeinwesen vor eine ungeheure Aufgabe. Deshalb ist es richtig, dass sich die Koalition darauf verständigt hat, alles in der internationalen Politik dafür zu tun, dass wir es auch wirklich schaffen können. Nicht die Zahl der Menschen, die kommen, ist das Problem, sondern das Problem ist die Geschwindigkeit, in der sie kommen. Ich finde, deswegen ist der Dreischritt richtig, nämlich sich um die Hilfe in den Nachbarregionen Syriens zu kümmern, die Außengrenze der Europäischen Union zu sichern und dann aber auch bereit zu sein, Kontingente an Flüchtlingen, und zwar in hoher Zahl, ohne Schlepper und auf geordnetem Wege nach Deutschland zu holen – nach meiner Vorstellung unter der Überschrift: Frauen und Kinder zuerst und Vorrang für Familien. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das ist übrigens keine Obergrenze. Das wird nur dann zu einer Obergrenze, wenn man das Asylrecht in Deutschland abschaffen würde – nur dann. Das allerdings werden wir nicht tun. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das ist so etwas wie eine kommunizierende Röhre: Je weniger Menschen in Deutschland Asyl beantragen, desto höher müssen die Kontingente sein, die wir Ländern wie der Türkei abnehmen, wenn wir sie bitten, bessere Bedingungen für Flüchtlinge in ihrem Land sicherzustellen. Ich glaube, dass das eine kluge Politik ist, bei der wir darauf setzen, dass wir durch eine Zusammenarbeit in Europa mit unseren Nachbarn dafür sorgen, dass die Außengrenze sicher ist, dass Menschen weniger Fluchtgründe haben, weil wir ihre Lebensbedingungen in ihren Herkunftsregionen verbessern, und bei der wir gleichzeitig bereit sind, auch in Zukunft eine hohe Zahl von Menschen, allerdings geordnet, nicht im Chaos und nicht durch Menschenhandel, bei uns aufzunehmen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Minister. Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Letzte Bemerkung. – Am Ende wird dies alles nur dann funktionieren, wenn wir uns trotz schlimmer Entwicklungen – wie der zwischen Russland und der Türkei – nicht davon abbringen lassen, dass militärische Mittel allein nicht helfen werden, sondern dass wir auch die Mittel der Diplomatie bei der Beendigung des Bürgerkriegs in Syrien brauchen. Deswegen gehören die beiden Dinge zusammen. Flüchtlingspolitik ist nicht zu trennen von dem, was wir in der Diplomatie mit all den Möglichkeiten tun, die Frank-Walter Steinmeier mit seinen Kolleginnen und Kollegen dafür nutzt, um die Fluchtursachen besser zu bekämpfen. Ich finde, dann kann das Land auf das stolz sein, was es bereit ist zu leisten. Dies wird auch den Blick der muslimischen Welt auf unser Land und auf Europa verändern – und zwar zum Positiven. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich habe eine geschäftsleitende Bemerkung: Ich werde jetzt keine weiteren Kurzinterventionen oder Zwischenfragen mehr zulassen. Wir sind schon deutlich über dem zu Beginn der Debatte beschlossen Zeitrahmen. Wir haben für die angemeldeten Redner jetzt noch eine Redezeit von ungefähr 50 Minuten. Die ausführlichen Antworten des Bundeswirtschaftsministers haben schon dazu beigetragen, dass die verbleibende Redezeit für seinen Kollegen Westphal eine stolze Minute betragen wird. (Heiterkeit) Das ist eine besonders steile Versuchsanordnung. Ich bitte also um Nachsicht, dass wir mit Blick auf das weitere Programm des heutigen Tages da keinen weiteren Debattenspielraum haben. Nun erhält das Wort die Kollegin Eva Bulling-Schröter für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Herr Präsident! Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gehe jetzt einmal davon aus, dass Sie die Stellungnahmen Ihrer eigenen Experten lesen – letzte Woche haben Sie sie ja schwarz auf weiß bekommen –: Sie müssten Ihre Anstrengungen verdreifachen – jawohl, verdreifachen –, falls wir das Ziel, den Treibhausgasausstoß gegenüber 1990 um 40 Prozent zu reduzieren, noch erreichen wollen. Das sagen nicht wir, die Linke, sondern Experten der Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zum Vierten Monitoring-Bericht zur Energiewende. Diese Experten sind kluge Leute, und sie sind gewiss nicht verdächtig, extreme Meinungen zu vertreten; vielmehr sehen sie das zentrale Ziel der Bundesregierung, das natürlich auch unser Ziel ist, erheblich gefährdet. Die Bundesrepublik Deutschland müsste nie dagewesene Anstrengungen unternehmen, um das Klimaschutzziel noch zu erreichen. – Ich habe sinngemäß zitiert. Der aktuelle Bundeshaushalt im Bereich Energie und Klima gibt darauf keine Antwort. Dabei ist fatal: Je länger wir warten, desto teurer wird das Ganze. Das hat das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung schon vor einigen Jahren erklärt; dies sagten etwa Nicholas Stern und eine ganze Reihe anderer vor ihm. Die Folgen des Zauderns sind grausam. Das trifft uns alle und die nachfolgenden Generationen. Ich rede dabei noch nicht einmal von den Folgen für die südlichen Länder. Es ist jetzt und hier notwendig, dass die Bundesregierung mit Vernunft und verantwortungsvollem Weitblick handelt und wie eine Marathonläuferin auf der Zielgeraden bis 2020 noch einmal alles gibt. Aber Wolfgang Schäuble sieht nur die schwarze Null wie ein akkurater, aber total engstirniger Buchhalter. Im Wirtschaftsministerium diktieren, wenn es darauf ankommt, die Kohlestromkonzerne, wo es langgeht – auch wenn der Minister das immer abstreitet –, so geschehen im Sommer dieses Jahres – wir wissen das –, als den Kohlekonzernen 10 Millionen Tonnen CO2-Einsparung erlassen wurde. Das halten wir für wahltaktische und parteipolitische Kleinkariertheit und Kurzsichtigkeit. (Beifall bei der LINKEN) Herr Staatssekretär Baake hat gestern wirklich etwas losgelassen. Er sagte, es komme einem ökonomischen Blutbad gleich, am Ziel festzuhalten, aufgrund der fossilen Überkapazitäten, die man dann schaffe, durch KWK netto 25 Prozent des Stroms zu erzeugen. Das ist wirklich der Hammer. Ich sage Ihnen: Das ist bereits angerichtet, indem Sie die Klimaabgabe beerdigt haben, die überflüssige fossile Überkapazitäten an der richtigen Stelle vernichtet hätte. Dieser große Fehler wird Ihnen noch lange nachhängen; denn er zeigt, auf wessen Seite diese Bundesregierung steht: auf der Seite der Kohleindustrie und nicht auf der Seite des Klimas. Jetzt reden wir über die Arbeitsplätze. Sie haben sich damit gegen zukunftsfähige Arbeitsplätze entschieden. Durch Ihre Kohlereserve haben Sie keine Arbeitsplätze gerettet, die nicht durch einen klugen Kohleausstieg, wie ihn die Linken fordern, auf das Beste sozial abgefedert worden wären. (Thomas Jurk [SPD]: So einfach ist das nicht! – Ulrich Freese [SPD]: Sie haben doch überhaupt keine Ahnung! Kommen Sie doch einmal in das Revier, und unterhalten Sie sich mit den Menschen!) Jetzt reden wir über diese 230 Millionen Euro; Minister Gabriel hat dazu etwas gesagt. Dieses Geld bekommen ja die Konzerne; es fließt eben nicht in Strukturprogramme. Wir hätten Strukturprogramme gefordert. (Beifall bei der LINKEN) Noch etwas. Das DIW hat ausgerechnet, dass die ursprüngliche Klimaabgabe, für die wir alle waren – auch die Grünen, bloß die CDU offensichtlich nicht –, nahezu keine Arbeitsplätze gekostet hätte. Die Nettobeschäftigung über ein gutes EEG ist weit besser als die durch die Kohleindustrie. (Ulrich Freese [SPD]: Auch da haben Sie keine Ahnung!) Natürlich denke ich auch an die Kumpel; das ist doch klar. Wenn hier behauptet wird, wir würden VW-Arbeitnehmer lächerlich machen und uns darüber lustig machen, dann ist das, finde ich, genauso eine Unverschämtheit. (Beifall bei der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: Was macht ihr denn sonst?) Viele Kolleginnen und Kollegen von uns kommen aus der Gewerkschaft. (Ulli Nissen [SPD]: Ja und? Das merkt man aber leider nicht bei den Reden gegen VW!) Bevor ich in den Bundestag kam, war ich Betriebsrätin – ich kann mich noch erinnern –, und ich habe eines gelernt: Verhinderter Umweltschutz vernichtet Arbeitsplätze. – Da ist das der Fall. Es geht uns um die Kolleginnen und Kollegen und um die Arbeitsplätze. Die Frage, wer schuld ist und wer das vor allem zu verantworten hat, muss bitte auch gestellt werden dürfen. (Beifall bei der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: Das sehen VW-Mitarbeiter sicher anders!) All das, was ich jetzt gesagt habe, zeigt, auf welcher Seite die Bundesregierung steht. (Ulrich Freese [SPD]: Auf der richtigen Seite, auf der Seite der Arbeitnehmer!) Jetzt noch zu Ihnen, Kollege Heil. Präsident Dr. Norbert Lammert: Das muss aber dann in einem Satz gehen. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Der letzte Satz. – Sie haben gesagt, Sie wollten Aufräumarbeiten beim Erneuerbare-Energien-Gesetz. Sie wollen offensichtlich bei der Bürgerenergie aufräumen, und das lassen wir auf keinen Fall zu. Wir brauchen Bürgerenergie, wir brauchen Akzeptanz, und wir brauchen einen anständigen Klimaschutz. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Barbara Lanzinger ist die nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Barbara Lanzinger (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich fasse es noch einmal zusammen: Ja, Deutschland ist finanziell und wirtschaftlich auf einem sehr guten Weg. Deutschlands Wirtschaft wird trotz einer sinkenden Weltkonjunktur das Jahr 2015 – ich sage das ganz bewusst – mit Schwung beenden. Das zeigen nicht nur die Prognosen der Bundesregierung mit 1,8 Prozent Wachstum in diesem und im nächsten Jahr. Auch die Einschätzung des Einkaufsmanager-Index für Industrie und private Dienstleister kommt zu dem Ergebnis, dass die deutsche Wirtschaft in den nächsten Monaten weiter wachsen wird. Das unterstreichen die aktuellen Auftragsbestände ganz deutlich, die momentan auf dem höchsten Stand seit vier bis fünf Jahren sind. Dieser konjunkturelle Aufschwung spiegelt sich zudem auf dem Arbeitsmarkt wider; der Bundesminister hat es schon gesagt. Wir haben mit 43 Millionen Erwerbstätigen Vollbeschäftigung – und nicht nur Vollbeschäftigung, sondern auch den höchsten Beschäftigungsstand seit über 20 Jahren. Damit steigen auch die Steuereinnahmen. Jetzt möchte ich einige Anmerkungen zu den Beiträgen der Kollegen Schlecht und Dehm machen. Sie können natürlich in jeder Rede, in jeder Debatte alles schlechtreden. Ich habe wirklich ein Problem damit, auch als Bürgerin dieses Landes, dass wir uns selber schlechter darstellen. Sie machen das beständig. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Was? Das stimmt doch überhaupt nicht!) Ich habe manchmal nicht den Eindruck, ob Sie wissen, dass Sie hier in Deutschland leben, sondern ich habe manchmal den Eindruck: Sie sprechen von anderen Ländern, wenn Sie von Jugendarbeitslosigkeit sprechen, wenn Sie von Arbeitslosenzahlen sprechen und wenn Sie von Schulden sprechen. (Zuruf des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]) Sie müssen sich schon einmal überlegen, ob Sie nicht einem totalen Realitätsverlust erliegen. Sie schüren auch Angst bei den Menschen, und das ist nicht zielführend in einer Demokratie. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Jetzt sagen Sie doch, was Opposition in der Demokratie machen soll! – Zuruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) Ich wollte auch einen Ton dazu sagen. Ich stelle mir das auch anders vor. Die Kontrolle haben wir, glaube ich, nicht verloren; das möchte ich schon ganz deutlich festhalten. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das habt ihr vielleicht bei der CSU anders gelernt! Bei uns heißt Opposition immer noch Opposition!) Ich würde mich freuen, wenn wir nicht immer von „diesem Land“, (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Halten Sie das bitte niemandem vor!) sondern von „unserem Land“ sprechen würden – ich bin stolz, in diesem Land zu leben –; das hat auch etwas mit Identifikation zu tun. (Beifall bei der CDU/CSU) Warum geht es Deutschland gut? Ein Grund liegt sicherlich in der nachhaltigen Wirtschaftspolitik Deutschlands. Wir werden nicht nur in Europa, sondern auch international dafür bewundert, auch für unsere solide Finanzpolitik und für die starke Wirtschaft. Dank der Politik der Union ist Deutschland das Zugpferd Europas, und das wollen wir auch so beibehalten. Das können wir nicht, wenn wir gängeln und wenn wir diktieren und wenn wir die Wirtschaft – so wie Sie es vorschlagen – fast züchtigen. Damit kommen wir schlichtweg nicht weiter. Es heißt aber nun, nicht haltzumachen und sich nicht zurückzulehnen, sondern die positiven Effekte des Aufschwungs entsprechend aufrechtzuerhalten und weiter zu fördern. Da sind wir natürlich auch als Politik gefordert, um die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Weichen müssen wir jetzt stellen und dürfen nicht warten. Ein funktionierendes Wirtschaftssystem braucht Investitionen und Innovationen als Treiber für das Wirtschaftswachstum. Nur in einem investitions- und innovationsfreundlichen Klima können sich unsere Unternehmen auch weiterhin entwickeln. Es gilt hier, unsere politischen Entscheidungen bedacht und sorgsam zu treffen. Ich nenne ein paar Beispiele. Das Herzstück ist unser Mittelstand. Unsere hervorragend ausgebildeten Fachkräfte sind Motor für Jobs, sind Motor für den konjunkturellen Aufschwung. Der Mittelstand wird, denke ich, ganz wesentlich zur Bewältigung neuer Herausforderungen beitragen, auch zur Integration von Flüchtlingen. Um unseren Mittelstand weiterhin zu fördern, freut es mich natürlich, wenn ich die Zahlen im Haushaltstitel des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie sehe, die wir ganz nachhaltig aufgestockt haben. Über 3 Milliarden Euro werden für Forschung, Entwicklung und Innovationen bereitgestellt. 781 Millionen Euro davon sind Fördergelder für ZIM und für EXIST. Mit den 17 Millionen Euro – das ist, denke ich, ganz wichtig – im Rahmen des Titels „Fachkräftesicherung für kleine und mittlere Unternehmen“ wollen wir helfen, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Denn wenn wir durch den Zustrom von Flüchtlingen hoffentlich einen Teil des Fachkräftemangels abdecken können (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Machen Sie doch nicht alles schlecht! Mangel! Mangel! Wenn ich immer „Mangel“ höre!) – ich habe ja gesagt: wir machen das –, wird das alleine nicht ausreichen. Wir müssen hier schon mehr tun. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Wir müssen nicht immer über Mangel reden! Machen Sie doch nicht alles schlecht! Kassandra! Mangelrede!) Wir müssen vor allem unsere bewährten Strukturen wie unser fachspezifisches Ausbildungssystem – ich nenne hier als Beispiel den Meisterbrief –, den reglementierten Berufszugang für freie Berufe, Gebührenordnungen wie die HOAI – dazu haben wir gemeinsam Anträge gestellt und beschlossen – aufrechterhalten und vehement unterstützen. Ich bitte das Bundeswirtschaftsministerium noch einmal ganz nachdrücklich, uns dabei zu helfen, diese Qualitätsstandards, die wir haben und die ein Garant für unseren wirtschaftlichen Erfolg sind, auch auf europäischer Ebene und bei der Kommission zu verteidigen. Ich halte das für sehr wichtig. Wir müssen die Aufgabe annehmen, und wir haben die Pflicht, dies zu bewahren und verstärkt dafür zu werben. Ebenfalls wichtig für einen gut funktionierenden Mittelstand und natürlich auch für eine gut funktionierende Wirtschaft sind die Energiepolitik und die daraus resultierenden Preise. Ich denke, wir müssen schon darauf achten, dass dies nicht zu einer Belastung für unsere Unternehmen wird und dass die internationale Wettbewerbsfähigkeit hier nicht gefährdet wird. Wir brauchen im Energiebereich Konzepte, marktwirtschaftliche Konzepte, Konzepte, die der Kleinteiligkeit und Dezentralität der Energiewende gerecht werden und die auch unterschiedliche Flexibilitätsoptionen beinhalten. Und wir brauchen nicht nur Wind- und Sonnenenergie, sondern wir brauchen auch KWK, Lastmanagement und allem voran auch – das ist mein Thema, das ich nie vergesse – Speicher. Ich freue mich, dass das Speicherprogramm für die PV weitergeführt wird. Ich bitte Sie aber auch, sehr geehrter Herr Bundesminister Gabriel, das Thema Speicher nicht zu vergessen und es zum Beispiel beim zukünftigen Strommarktdesign entsprechend zu verankern, weil ich der Meinung bin: Speicher sind weder Erzeuger noch Letztverbraucher. Wir brauchen dies, um unsere Flexibilität insgesamt zu bewahren. Die Energiewende ist ein Puzzle. Nur wenn alles ineinandergreift, so wie Sie es vorhin gesagt haben, kann es letztendlich auch funktionieren. Ich kann das nicht an irgendwelchen Zahlen festmachen, sondern letztendlich nur daran, ob es insgesamt stimmig ist. Mittelstand stärken heißt auch, den Standortfaktor Tourismus zu fördern. Es ist schon oft gesagt worden – ich wiederhole es gern –: Der Deutschlandtourismus ist ein Zugpferd für die deutsche und vor allem für die mittelständische Wirtschaft. Ich freue mich, dass uns die Anhebung der Mittel gelungen ist. Wir haben 500 Euro mehr erreichen können. (Thomas Jurk [SPD]: Das wäre ein bisschen wenig! 500 000!) – 500 000 Euro mehr. Danke schön. 500 wären viel zu wenig. Dann könnte ich das, was ich jetzt will, nicht fordern. Wir sorgen hier für die Verstetigung. Die Gelder sollen gezielt eingesetzt werden, nämlich dort, wo noch Potenziale gehoben werden können; dort, wo Kulturtourismus in den ländlichen Räumen gestartet wird. Wir haben gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsministerium – leider ist Frau Gleicke heute nicht da – ein Projekt zur Förderung des Kulturtourismus in ländlichen Räumen gestartet. Wir müssen dieses Projekt nun mit Leben erfüllen. Momentan sind drei Modellregionen vorgesehen. Ich würde mir wünschen, dass wir eventuell überlegen, ob wir mit den nun angehobenen Mitteln nicht jedes Bundesland fördern und in jedem Bundesland die Schätze, die wir haben, heben könnten. Wir wären sehr froh und glücklich, wenn wir dieses Projekt in diesem Sinne erweitern könnten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich abschließend an alle appellieren, im Sinne der Sache zu handeln und getreu dem Spruch: Die Wirtschaft ist ein Gebiet, das am wenigsten Willkür verträgt. Vielen herzlichen Dank fürs Zuhören. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Der Kollege Dieter Janecek erhält jetzt das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Da Sie noch hier sind: Sie haben das Thema Russland angesprochen. Ich würde Ihnen gerne dazu eine Frage stellen. Zwei Wochen nach Ihrem Besuch war ich auch bei Putin in Moskau. Die Frage ist: Ist es richtig, dass Sie bei Putin im Kreml zugesagt haben, die Sanktionen schrittweise aufzuweichen? Ist es richtig, dass Sie zugesagt haben, beim Thema North Stream 2 die europäischen Interessen nicht zu vertreten? Das würde mich interessieren, wenn wir in diesem Zusammenhang über Wirtschaft und Russland reden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt geht er!) Das Thema, das ich heute aufgreifen möchte – Herr Kollege Mattfeldt hat es auf seine eigene Art und Weise getan –, ist das Thema Wirtschaft und Zuwanderung. In der Geschichte ist es so: In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war Deutschland ein Antieinwanderungsland. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind wir sukzessive ein Einwanderungsland geworden, haben es nur nicht kommuniziert. Es hat lange gedauert – übrigens bis zu Rot-Grün. Jetzt reden wir immer noch in solchen Debatten – das ärgert mich persönlich schon – von denen, die kommen, und denen, die hier sind. Aber was ist die Realität? 20 Prozent der Gründerinnen und Gründer sind Menschen mit Migrationshintergrund. Jeder achte Selbstständige hat einen Migrationshintergrund. In den Städten sind es bis zu 50 Prozent. Wir haben eine völlig andere Realität, und es geht hier nicht um die, die kommen, und die, die hier sind; vielmehr sollte es um die Gemeinsamkeit aller gehen, die uns nach vorne bringt. Davon muss doch die Debatte handeln, wenn wir über Zuwanderung im Zusammenhang mit Wirtschaft reden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was die Frage der Syrerinnen und Syrer angeht, die kommen. Wir wissen, dass bei türkischstämmigen Menschen die Gründungsquote, die Selbstständigenquote sehr hoch ist. Also müssen wir auch hier die Instrumente schaffen, um zu fördern, um Zugänge zu Kleinstkrediten zu schaffen. Sie fallen unter den Radar. Wer gründen will und einen Betrag von unter 25 000 Euro braucht, hat es schwer, weil die Sparkassen es nicht schaffen, weil die Gründungsinitiativen es nicht schaffen, weil es die Vorrangprüfung immer noch gibt und die Drei-plus-zwei-Regelung nicht so greift, wie sie greifen sollte. Lassen Sie uns dort anfangen! Das ist ein Chancenthema. Für ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland mit ihrer demografischen Entwicklung und ihrem wirtschaftlichen Potenzial ist es angezeigt, das als Chancenthema zu begreifen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Thema Energiewende diskutieren wir immer noch sehr stark anhand des EEG. Es gab eine Reform 2014; 2016 kommt die nächste Anpassung. Wir haben unsere Vorschläge gemacht. Sie dürfen nachher abstimmen über die Frage der Batteriespeicher bei der Photovoltaik. Anscheinend haben Sie das positiv aufgegriffen. Ich bin gespannt, wie Sie sich verhalten werden. Ich würde gerne eine Debatte über die nächste Stufe der Energiewende führen: die Digitalisierung der Energiewende. Wir haben das Smart-Meter-Rollout-Gesetz vorliegen. Warum schaffen wir es nicht, kraftvoll darüber zu reden, dass die Potenziale von Digitalisierung und Energiewende zusammengeführt werden, eine Chance darin zu sehen, die Verbrauchskennzahlen von großen Betrieben, von mittelständischen Unternehmen erkennen und steuern zu können, sodass wir erneuerbare Anlagen besser aussteuern und mehr Wettbewerb schaffen können? Das wäre ein großes Chancenthema. Das haben Sie nicht aufgegriffen. Ich wünsche mir, dass Sie das kraftvoll tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir über das Thema Wettbewerb reden, dann müssen wir über das Internet reden. Wir können keine wirtschaftspolitische Debatte führen und nicht über die Rahmenbedingungen unseres Netzes reden. Auf beiden Seiten des Plenums – zugegeben: im Europäischen Parlament; hier wäre es nicht viel anders gewesen – hat jeweils eine einzige Person die Hand dafür gehoben, die Netzneutralität in Europa zu erhalten – eine einzige. Wettbewerb heißt auch, dass die Rahmenbedingungen stimmen müssen. Die stimmen nicht, wenn wir ein Zweiklasseninternet schaffen. Das schaffen Sie. Deshalb müssen wir kraftvoll dagegenhalten. Wir brauchen mehr Wettbewerb. Wir brauchen in diesem Bereich mehr Regeln. Wir brauchen eine Regulierung, die stimmig ist und die Digitalisierung als Chancenfeld begreift, genauso wie es die Energiewende ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir das schaffen, dann bin ich auch frohen Mutes, dass wir hier etwas Vernünftiges schaffen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächster hat für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Peter Stein das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Peter Stein (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen! Trotz aller Krisen und europäischen Unsicherheiten steht Deutschland sehr gut da; das gilt insbesondere für unsere Wirtschaft. Vielen Ländern um uns herum geht es da nicht so gut. Wir dürfen uns selbst durchaus einmal die Frage stellen, warum das so ist. Das kommt bei uns oft viel zu kurz. Wir nehmen vieles als selbstverständlich hin, als etwas, das nicht neu zu schaffen ist. Es geht uns deshalb so gut, weil wir stabile politische Verhältnisse haben. Wir leben und praktizieren eine freiheitliche und tolerante Demokratie, eine soziale Marktwirtschaft. Wir haben einen starken Mittelstand und ein hochqualifiziertes Handwerk. Wir sind innovativ und investieren mit diesem neuen Haushalt so viel wie noch nie in Forschung und Bildung. Wir reden heute über den Haushalt des Ministeriums für Wirtschaft und Energie. Lassen Sie mich hier einen kleinen, vielleicht nicht so bekannten Bereich herausgreifen, der nicht vordergründig mit diesem Hause verbandelt scheint, es aber im Wesentlichen ist. Das Stichwort lautet Energiepartnerschaften. Wir sind Weltspitze, was Technologie und Energiewirtschaft angeht. Unsere vielen kleinen, mittelständischen, aber auch großen Unternehmen sind breit aufgestellt und gut vernetzt. Aber es gibt Regionen, in denen wir noch viel präsenter sein könnten. Unter anderem möchte ich die Maghreb-Region und Subsahara-Afrika nennen. Traditionell sind dort eher die Franzosen sehr aktiv. Sie sind dort sprachlich meist klar im Vorteil und haben historisch bedingt einen besonderen Zugang zu den jeweiligen kulturellen Besonderheiten. Jetzt werden absehbar – das ist heute schon mehrfach angesprochen worden – viele deutsche Unternehmen junge Menschen aus ebendiesen Herkunftsländern mit speziellen sprachlichen und kulturellen Kenntnissen und Hintergründen in ihren Reihen haben können. Ich sehe da neue Möglichkeiten auf unsere Wirtschaft zukommen. Ich möchte hier an alle appellieren, diese Chance, die die Flüchtlingskrise eröffnet, beherzt zu ergreifen. Lassen Sie mich insbesondere nach Nordafrika und dort auf die aktuelle Energiewirtschaft schauen. Rainer Baake, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, und der stellvertretende Energieminister Algeriens haben erst in diesem Jahr, am 25. Mai, in Berlin die erste Sitzung des Steuerungskomitees der Deutsch-Algerischen Energiepartnerschaft abgehalten. Die Energiepartnerschaft zwischen Deutschland und Algerien wird den Rahmen für einen sehr intensiven energiepolitischen Austausch und eine verstärkte Kooperation im Energiesektor schaffen. Algerien hat, wie man sich vorstellen kann, beste Bedingungen für Solar- und Windenergie und ist angesichts seiner ehrgeizigen Ziele beim Ausbau ein attraktiver Partner für Deutschland. Das bringt Vorteile für beide Länder. Wir satteln dabei auf eine Reihe guter Erfahrungen mit Energiepartnerschaften mit anderen Ländern auf. So haben wir bereits seit 2012 eine Zusammenarbeit mit Marokko im Energiebereich. Im Haushalt 2016 ist dieser Posten im Vergleich zum letzten Jahr noch einmal um 28 Prozent aufgewachsen. Das ist sehr zu begrüßen. Ein Schwerpunkt dieser Partnerschaften ist es, auch die Wirtschaft einzubinden. Die genaue Betrachtung des Energiemixes, der Ausbau erneuerbarer Energien und die Verbesserung der Energieeffizienz sind deutsche Kernkompetenzen geworden, die gerade in Nordafrika gefragt sind. Bisher wird beispielsweise Algeriens Energiebedarf fast ausschließlich durch im Land geförderte fossile Brennstoffe gedeckt. Erneuerbare Energien machen trotz guter Potenziale bisher nur einen geringen Anteil an der Energieerzeugung aus. Um den rasant steigenden Energiebedarf in Algerien zu decken, plant die algerische Regierung, bis 2030 neue Solar- und Windenergiekapazitäten in Höhe von 22 Gigawatt aufzubauen. Das schafft sie nicht alleine. Die Energiepartnerschaft zwischen Deutschland und Algerien soll im Rahmen bilateraler Arbeitsgruppen auf Regierungsebene unter Einbindung der Wirtschaft umgesetzt werden und dient, wie gesagt, beiden Seiten. Marokko deckte bislang seinen Energiebedarf ebenfalls fast ausschließlich durch fossile Brennstoffe. Bis 2012 machten erneuerbare Energien trotz guter Potenziale nur einen Anteil von gut 5 Prozent des Primärenergiebedarfs aus. Der Energiebedarf Marokkos steigt derweil jedes Jahr um 6 Prozent. Das Ziel Marokkos ist es daher, bis 2020  42 Prozent der installierten Kapazitäten aus Sonnen-, Wasser- und Windkraft zu erhalten. Das ist noch ehrgeiziger als das, was wir uns als Ziel gesetzt haben. Damit kann und sollte Marokko zum Pionier für erneuerbare Energien in Nordafrika werden. Ich konnte mir dort in der letzten Woche einen Green Energy Park, ein Innovationszentrum, anschauen. Es ist wirklich sehr beeindruckend, mit welcher Energieleistung, mit welcher Geschwindigkeit daran dort gearbeitet wird. Deutschland unterstützt das nicht nur mit der Energiepartnerschaft, sondern auch mit der Deutschen Klima- und Technologieinitiative, der DKTI. Partner wie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, die GIZ oder auch die KfW mit der DEG sind intensiv eingebunden. Da neben der installierten Leistung der Ausbau der Stromnetze, die Energieeffizienz und die Energieforschung Gegenstand dieser Kooperation sind, finden sich hier auch bedeutende weitere Felder für die wirtschaftliche Kooperation und Chancen für deutsches Know-how und Firmen. Deutschland hilft Marokko, Algerien und Tunesien, dazu beizutragen, dass ein Markt für Strom aus erneuerbaren Energien entstehen kann. Dort laufen Referenzprojekte in der Größenordnung von 2,5 Gigawatt; davon entfallen aktuell über 500 Megawatt auf Marokko, maßgeblich durch deutsche Energiepartner unterstützt. Die Hälfte dieses Vorhabens ist bereits umgesetzt und auch genauer definiert. Seit 2014 wird in diesen Anlagen der erste Strom erzeugt. Der Solarpark Ouarzazate soll in Kürze mit bis zu 560 Megawatt ans Netz gehen. Die unter deutschem Vorsitz maßgeblich mitgestaltete Afrika-EU-Energiepartnerschaft ist die mit Abstand am weitesten fortgeschrittene der acht im Jahre 2007 in Lissabon gegründeten thematischen Partnerschaften zwischen der Afrikanischen und der Europäischen Union. Umso wichtiger ist es, dass das in möglichst vielen Haushaltsansätzen verankert ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dazu gehören auch Aspekte wie berufliche Ausbildung, Fachkräftemangel bei uns und auch die vielen jungen Leute in Afrika. Wir haben heute einen der höchsten Beschäftigungsstände der Geschichte und mit 400 000, vielleicht 600 000 freien Jobs und 40 000 unbesetzten Ausbildungsplätzen Potenzial zu bieten. Wir haben derzeit die höchsten Einnahmen in der Sozialversicherung. Wir haben die höchsten Steuereinnahmen und eine Nullverschuldung im Haushalt. Dieser Erfolg gibt uns Spielräume, die wir nun nutzen können, um den internationalen Herausforderungen gewachsen zu sein. Wegen unserer herausgehobenen Rolle stehen wir besonders in der Verantwortung, unserer Wirtschaft die Chancen aus der momentanen Situation aufzuzeigen und diesen Prozess zu begleiten. Wir lernen gerade, dass uns vieles, was wir in den letzten Jahrzehnten an Regelwerken aufgebaut haben, an einem flexiblen Agieren hemmt; die Bundeskanzlerin hat das bereits thematisiert. Wir müssen deutlich stärker entbürokratisieren und verkrustete Prozessstrukturen aufbrechen. Ich bin überzeugt, dass die positiven Effekte weit über die Flüchtlingsfrage, aber auch die Fachkräftefrage hinaus zu spüren sein werden, wenn wir hier entschlossen anpacken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Junge, gut ausgebildete und motivierte Menschen sind eine Riesenchance für jedes Land, bei uns besonders vor dem Hintergrund der unbesetzten Lehrstellen. Zu wenige der Migranten aus den letzten Jahren haben wir in den Arbeitsmarkt integrieren können; zu viel ist zur Parallelwelt geworden. Klar ist, dass die deutsche Sprache eine wesentliche Voraussetzung für die Integration ist. Ja, es wird großer Anstrengungen unserer Gesellschaft bedürfen, dies zu realisieren. Ich möchte zum Schluss meiner Rede noch auf die maritime Wirtschaft zu sprechen kommen und eine Lanze für sie brechen. Rechnet man die Zulieferer hinzu, umfasst diese Branche über 400 000 Arbeitsplätze. Maritime Technologien haben enormes Potenzial, und unser Know-how aus Deutschland ist wie bei den erneuerbaren Energien international mehr als gefragt. Der Kreuzfahrttourismus ist bei uns im Norden eine Erfolgsgeschichte. Stetige Investitionen in unsere Häfen sind eine unabdingbare Grundlage unserer Exportwirtschaft. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) 90 Prozent des globalen Warenverkehrs gehen per Schiff. Jede Investition in unsere Häfen, egal in welchem Haushaltsansatz verbucht, ist sehr gut angelegtes Geld. Meine Damen und Herren, Wirtschaftspolitik gestaltet die Zukunft wahrscheinlich stärker und nachhaltiger, als dies in vielen anderen Feldern der Fall ist. Die Haushaltsansätze 2016 werden diesem Grundsatz gerecht. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege Bernd Westphal. (Beifall bei der SPD) Bernd Westphal (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über den Einzelplan 09 mit einem Volumen von rund 7,6 Milliarden Euro ist viel diskutiert worden. Viele Argumente wurden ausgetauscht; ich möchte mich auf wenige Argumente beschränken. Insgesamt haben wir eine sehr gute wirtschaftliche Situation; das belegen die Kennzahlen des Arbeitsmarktes. Auch die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen sind gut. Die Debatte über den Haushalt ist immer eine Sternstunde des Parlaments. Die wirtschaftspolitischen Herausforderungen gehen einher mit der Digitalisierung der Wirtschaft, der Stärkung des Industriestandorts Deutschlands, aber auch mit Impulsen, um die Wertschöpfungsketten in Deutschland zu erhalten. Mit diesem Haushalt werden die Impulse klar gesetzt. Wir sind damit unserer politischen Verantwortung gerecht geworden, auch angesichts des komplexen Wandels im Bereich Wirtschaft und Energie. Unsere Wirtschafts- und Energiepolitik verzeichnet Erfolge; der Wirtschaftsminister hat darauf hingewiesen. Die SPD schafft damit nicht nur Arbeitsplätze, sondern sorgt auch für gute Arbeit. Wir schaffen den Umbau in der Energieversorgung und sorgen für eine Stärkung von Innovationen in der Wirtschaft. Die SPD schafft damit Zukunft. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das war relativ punktgenau die sicherlich kürzeste Rede des heutigen Tages. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Als Nächster hat das Wort der Kollege Mark Hauptmann, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Mark Hauptmann (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Vielleicht kann ich da weitermachen, wo Herr Westphal aufgehört hat, weil ihm die Zeit gefehlt hat. Ich möchte die Punkte, die er richtigerweise angesprochen hat, noch etwas vertiefen. Es wurde heute in der Haushaltsdebatte bereits mehrfach gesagt: Deutschland geht es gut, und wir werden den erfolgreichen Konsolidierungskurs der vergangenen Jahre fortsetzen. Wolfgang Schäuble ist als Finanzminister etwas gelungen, was in den 40 Jahren zuvor keinem Finanzminister in der Bundesrepublik Deutschland gelungen ist, nämlich einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, und das zum dritten Mal in Folge. Die schwarze Null steht also auch 2016. Daher gebührt dem Finanzministerium, federführend dem Minister, aber auch der Bundesregierung ein ganz besonderer Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich sage das als Kollege einer jüngeren Generation. Zu den Grünen. Die Ausführungen von Frau Andreae und Frau Hajduk haben mich etwas nachdenklich gestimmt. Sie haben gesagt: Wir tun zu wenig im Bereich Investitionen; darauf komme ich gleich zu sprechen. Aber ist es nicht gerade im Sinne grüner Politik, Nachhaltigkeit nicht nur ökologisch, sondern auch finanzpolitisch zu betrachten? (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, unbedingt!) Eine nachhaltige Haushaltspolitik schickt die Rechnung für die derzeitigen Investitionen eben nicht in Form von Steuererhöhungen oder zusätzlichen Ausgaben in die Zukunft. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben alles gegenfinanziert! Umschichtungen im Haushalt!) Eine nachhaltige Haushaltspolitik kann beides: Sie kann investieren und konsolidieren. (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, dann machen Sie doch beides! Aber Sie machen jetzt nur das eine!) Sie schickt verdammt noch mal keine Rechnung an unsere Kinder und Enkel. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen wir auch nicht!) Das ist die Haushaltspolitik der Großen Koalition. (Beifall bei der CDU/CSU) Sie haben die Investitionen angesprochen. Die schwarze Null steht im Haushaltsplan, und das trotz einer Erhöhung der Investitionen um 1,6 Milliarden Euro auf 31,5 Milliarden Euro. Wir haben eine Investitionsquote von 10 Prozent. Wir stellen Bundesmittel in Höhe von 10 Milliarden Euro zur Bewältigung der Flüchtlingsherausforderung zur Verfügung; die Hilfen für die Kommunen habe ich noch gar nicht erwähnt. All das sind Bausteine, die zeigen, dass wir investieren und konsolidieren. Das sollte man auch einmal würdigen. Deutschland geht es gut; das belegen auch internationale Studien. Die OECD geht von einem stärkeren Wirtschaftswachstum im Jahr 2016 aus; es soll 1,9 Prozent betragen. Das wird uns helfen, die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten auszubauen – rund 43,3 Millionen Menschen sind in der Bundesrepublik Deutschland schon heute in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis –, damit wir auch im Bundeshaushalt 2017 die Investitionen weiter steigern können. Unser Konsolidierungsziel werden wir aber keinesfalls aufgeben. Sehr geehrter Herr Minister Gabriel, Sie haben in dieser Debatte zu Recht ein Thema angesprochen, das uns alle sehr bewegt. Es geht um die Frage, wie wir es schaffen können, dass die Flüchtlinge nicht nur eine Herausforderung für unsere Sozialkassen darstellen; denn wir wollen, dass sie einen Beitrag zu unserem Wirtschaftssystem leisten. Wir wollen, dass sie in den Betrieben Beschäftigung finden, damit sie Steuern zahlen und letztendlich einen positiven Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung dieses Landes leisten. Sehr geehrter Herr Minister, ich glaube, in diesem Zusammenhang sollten wir die folgende Frage noch einmal aufwerfen: Ist es richtig, beim Mindestlohn keine Ausnahme für Flüchtlinge zu machen, auch nicht für sechs Monate? Ich halte es für richtig, hier noch einmal genau hinzuschauen. Für die Langzeitarbeitslosen haben wir eine solche Ausnahmeregelung. Viele Unternehmer, mit denen ich in der letzten Woche gesprochen habe, sagen: Wir sind gerne bereit, in unseren mittelständischen Betrieben Personen aus Syrien oder anderen Ländern einzustellen; aber lasst uns bitte schön nicht mit den ganzen Aufgaben, die wir dann zu bewältigen haben, allein. – Die Sprache ist zu lehren, zumindest fachspezifische Termini müssen gelehrt werden, weil die Personen oft aus völlig anderen Arbeitsgebieten kommen und nicht die notwendige Vorbildung mitbringen. Das heißt, wir müssen hier Ausnahmen schaffen. Wir brauchen flexible Lösungen. Ich halte es für sinnvoll, für Flüchtlinge analog zu unserer Regelung für die Langzeitarbeitslosen eine Ausnahmeregelung vorzusehen, und zwar für eine bestimmte Zeit, für sechs Monate, damit wir die Flüchtlinge in unser Wirtschaftssystem integrieren können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]: Sechs Monate! Genau! Guter Vorschlag!) Die Ausgaben des Wirtschaftsressorts steigen gemäß dem Haushaltsplan für 2016 von 7,4 auf 7,5 Milliarden Euro. Viele Mittel werden für Forschung, Entwicklung und Innovationen bereitgestellt. Das ist eine richtige Entscheidung, mit der wir den zentralen Herausforderungen unserer wirtschaftlichen Lage entsprechen. Was sind das für Herausforderungen? An dieser Stelle spreche ich auch als Kollege aus den neuen Bundesländern zu Ihnen. Wir müssen erstens die konsequente Förderung des wirtschaftlichen Aufholprozesses Ostdeutschlands (Beifall des Abg. Peter Stein [CDU/CSU]) weiter verstetigen, zweitens den deutschen Gründergeist unterstützen und drittens eine Energiewende mit Augenmaß betreiben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie wissen alle, dass der wirtschaftliche Aufholprozess der neuen Länder ins Stocken geraten ist. Ich glaube, diese Bilanz muss man ehrlicherweise ziehen. Das heißt nicht, dass es in den neuen Ländern kein wirtschaftliches Wachstum gibt. Die neuen Länder wachsen ungefähr genauso schnell wie die alten Länder. Das wiederum bedeutet aber, dass die Lücke, die zwischen beiden Gebieten der Bundesrepublik noch besteht, nicht geschlossen werden kann, es sei denn, wir legen weiterhin Bundesprogramme auf, mit denen der Aufholprozess der neuen Länder erfolgreich vorangetrieben werden kann. Das machen wir mit diesem Haushalt. In diesem Zusammenhang bin ich Minister Gabriel und unserem haushaltspolitischen Sprecher, dem Kollegen Mattfeldt, sehr dankbar dafür, dass man es geschafft hat, bei den ZIM-Mitteln keine Kürzung vorzunehmen, sondern auch im Bundeshaushalt 2016  543 Millionen Euro dafür einzustellen. 40 Prozent dieser Mittel gehen direkt in die neuen Länder. Das hilft dem Aufholprozess der ostdeutschen Wirtschaft. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das zieht sich wie ein roter Faden durch den Haushaltsplan: Für das Programm INNO-KOM-Ost werden 65 Millionen Euro in den Haushalt eingestellt; auch hier gibt es keine Mittelkürzung, trotz all der Herausforderungen, die wir in dieser Debatte angesprochen haben. Ich komme zum zweiten Punkt: Wie schaffen wir es, die Gründer, die Start-ups besser zu unterstützen, damit wir die wirtschaftlichen Herausforderungen bewältigen können? Gründer sind aus unserer Sicht Initiatoren und Träger von Innovationen und tragen im Wesentlichen dazu bei, dass Deutschland nicht nur heute ein wirtschaftlich starkes Land ist, sondern auch in der Zukunft. Mit diesem Bundeshaushalt legen wir hier einen klaren Schwerpunkt, indem wir sagen: Diese Gründer, diese Start-ups wollen wir in Zukunft weiter fördern; deshalb bauen wir die Förderung seitens des Bundes aus. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Um einige Programme zu nennen: EXIST mit 41,5 Millionen Euro, INVEST-Zuschuss für Wagniskapital mit 20 Millionen Euro, Business-Angels-Markt, innovative Start-ups mit 4,25 Millionen Euro. Der Titel „Mittelstand 4.0 – Digitale Produktions- und Arbeitsprozesse“ wird um 11 Millionen Euro auf rund 28 Millionen Euro erhöht. – All das stärkt den Gründergeist in dieser Republik und sorgt letztendlich dafür, dass wir auch in Zukunft ein erfolgreiches Land sind und ein für Start-ups erfolgreiches Land werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Abschließend möchte ich etwas zur Energiewende sagen, weil sie ebenfalls Bestandteil der heutigen Debatte ist. Wir machen viel, was die verschiedenen Träger der erneuerbaren Energien angeht; aber wir alle wissen, dass wir im Bereich der Technologie zum Speichern von Energie mehr machen müssen und hier noch eine gewisse Kapazität haben, um die Energiewende zum Erfolg führen zu können. Hier ist es natürlich richtig, lieber Bundesminister Gabriel, dass Ihr Haus zusammen mit dem Bundesministerium für Forschung für 270 Projekte, die sich mit dem Speichern überschüssiger Energie befassen, Mittel in Höhe von 200 Millionen Euro bereitstellt. Das trägt dazu bei, dass die Energiewende in Zukunft gelingen kann. Ich komme zum Schluss und fasse zusammen: Dieser Bundeshaushalt, der Einzelplan 09, den wir heute debattieren, trägt enorme Lasten, aber hier wird auch investiert und konsolidiert. Beides sind zwei Seiten einer Medaille. Angela Merkel steuert dieses Schiff seit zehn Jahren erfolgreich. Mit den Innovationen, die wir in dieser Woche beschließen, geben wir dem Wirtschaftsmotor der Bundesrepublik Deutschland neuen Schub, damit es auch in Zukunft heißt: Erfolgreich Kurs halten, um weiteres wirtschaftliches Wachstum in Deutschland zu generieren! Nur wenn wir wirtschaftliches Wachstum haben, können wir alle Herausforderungen, die aktuell anstehen, erfolgreich bewältigen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jan Metzler, CDU/CSU-Fraktion, ist jetzt der letzte Redner zu diesem Einzelplan. Bitte schön, Herr Kollege. (Beifall bei der CDU/CSU) Jan Metzler (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist schon eine ehrenvolle Aufgabe, als letzter Redner in einer so vielseitigen Debatte reden zu dürfen. Zweifelsohne hat dies einen Nachteil, aber auch Vorteile. Der Nachteil ist, dass jetzt schon vieles gesagt worden ist. Ich hoffe, dass ich noch den einen oder anderen Aspekt hinzufügen kann, ohne zu viel zu wiederholen. Aber einiges möchte ich zum Abschluss auch noch einmal unterstreichen. Ohne Frage, dieser aktuelle Haushalt wurde unter besonderen Herausforderungen aufgestellt. Diese Herausforderungen können wir aber deswegen so gut angehen – das wurde in vielen Vorreden deutlich –, weil wir gut aufgestellt sind. Das liegt nicht zuletzt und insbesondere an der wirtschaftlichen Lage; sie ist robust und zukunftsfähig. Damit sie zukunftsfähig bleibt, ist es notwendig, dass wir unsere Hausaufgaben machen. Deswegen – da bin ich der Bundesregierung sehr dankbar – atmet dieser Haushalt den Geist von Stabilität und Nachhaltigkeit. Ich möchte diese Stabilität an drei Punkten festmachen. Erstens: Stabilität durch nachhaltige Finanzpolitik. Kollege Hauptmann hat dies, denke ich, eben schon im Namen der jüngeren Generation unterstrichen. Er hat klargemacht, dass der dritte Haushalt ohne Neuverschuldung nach 40 Jahren auch ein besonderes Zeichen in puncto Generationengerechtigkeit ist. Ich möchte das noch einmal unterstreichen. Ein besonderes Dankeschön gilt hier unserem Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Dies sage ich jetzt stellvertretend an den Kollegen Spahn adressiert. Zweitens: Stabilität durch richtige Anpassungen. Da, wo es sinnvoll ist und unserem Land dient, scheuen wir uns nicht davor, mehr Mittel in die Hand zu nehmen, so zum Beispiel 1 Milliarde Euro mehr für die innere Sicherheit: für die Bundespolizei, für das BKA, für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und für das THW. Drittens – jetzt kommen die Wirtschaftspolitikerinnen und Wirtschaftspolitiker ins Spiel –: Stabilität durch verlässliche Wirtschaftspolitik. Der starke Arbeitsmarkt ist Rückgrat und Gradmesser für das Wohlergehen unseres Landes; das habe ich eingangs betont. Deshalb investieren wir an den entscheidenden Stellen, um weiteres Wachstum und mehr Beschäftigung zu generieren. Wir wollen gute Rahmenbedingungen schaffen und so die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft nachhaltig unterstützen. Das ist auch die grundlegende Idee bei der Bewertung des vorgelegten Etats für Wirtschaft und Energie. Nicht umsonst lauten zwei Überschriften: „Innovation, Technologie und Neue Mobilität“ und „Mittelstand: Gründen, Wachsen, Investieren“. Diese Kapitel machen mit rund 3,5 Milliarden Euro ungefähr die Hälfte des Gesamtetats für Wirtschaft und Energie aus. Das sind übrigens einige Millionen mehr als noch in diesem Jahr. Das schlägt sich positiv auf beinahe alle Posten nieder. Ziel der aufgelegten Instrumente ist es, die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft zu fördern und dabei die richtigen Anreize zu setzen. Das nenne ich Stabilität durch verlässliche Wirtschaftspolitik. Besonders bewährt hat sich in diesem Zusammenhang – auch das ist bereits betont worden – das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand, ZIM, mit einem Volumen von mehr als einer halben Milliarde Euro. Einen herzlichen Dank möchte ich in diesem Zusammenhang an den Kollegen Mattfeldt und den Kollegen Jurk adressieren, die sich erneut in besonderem Maße für dieses Programm eingesetzt haben. (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Danke!) Mit dem Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand fördern wir Neuentwicklungen, besonders im Mittelstand. Dieser stellt das Rückgrat der stabilen wirtschaftlichen und konjunkturellen Situation dar. Deswegen: Gut, dass wir hier drangeblieben sind, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das gilt übrigens auch für die Industrieforschung, die mit weiterhin mehr als 200 Millionen Euro einzubeziehen ist. Auf eines können wir ganz besonders stolz sein, auf die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ von Bund und Ländern. Dahinter verbirgt sich eine auf Nachhaltigkeit angelegte Philosophie, nämlich keine Region in Deutschland zurückzulassen. Wie gelingt das? Indem wir Potenziale in strukturschwachen Regionen fördern, Standortnachteile abbauen, Wettbewerbsfähigkeit herstellen und so neue Arbeitsplätze schaffen oder vorhandene erhalten. Da ich selbst Mitglied in dem zuständigen Unterausschuss sein darf, liegt mir dieser Bereich besonders am Herzen. Die gute Nachricht ist: Im Koalitionsvertrag hat man sich auf eine Erhöhung der Mittel bis auf das Förderniveau vorheriger Jahre geeinigt. Das wird mit diesem Haushalt nun erreicht. Das ist ein exzellentes Zeichen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Jurk [SPD] Ab nächstem Jahr stehen für die regionale Wirtschaftsförderung also wieder 624 Millionen Euro jährlich zur Verfügung. Aufgrund der Kofinanzierung mit den Ländern sind es insgesamt sogar mehr als 1,2 Milliarden Euro. Vom Erfolg konnte sich der Unterausschuss kürzlich bei Unternehmensbesuchen überzeugen. Wir haben sehen können, was es letztlich heißt, das hier Beschlossene mit einem nachhaltigen Erfolg für ganze Regionen in die Praxis umzusetzen. Ich möchte an dieser Stelle ein Wort des Dankes an den gesamten Unterausschuss loswerden, in dem über alle Fraktionsgrenzen hinweg in wirklich konstruktiver Art und Weise zusammengearbeitet wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ein Wort zur Zukunft der regionalen Wirtschaftsförderung möchte ich auch noch loswerden. Die Mittel stehen zur Verfügung. Zukünftig geht es noch mehr als in der Vergangenheit um deren Einsatz. Dabei ist in besonderem Maße wichtig, dass wir die altindustriellen Regionen und die strukturschwächeren ländlichen Regionen in Deutschland insgesamt nicht vergessen. Ich möchte hervorheben, dass es dazu im Unterausschuss keinerlei anderslautende Meinung gab; das wird, denke ich, auch so bleiben. Ich möchte noch kurz auf ein anderes Thema eingehen – es ist eine Art Lieblingsthema, ganz allgemein, aber auch eines der Opposition –, auf die angeblich fehlenden Investitionen. Ich sehe das ganz anders: Erstens. Wir haben die Mittel im Etat für Wirtschaft und Energie erhöht. Zweitens. Wir haben die Mittel im Etat für Bildung und Forschung erhöht. Im Etat für Bildung und Forschung kommt es übrigens zu einer Verdopplung der Mittel, wenn man das Jahr 2005 als Vergleichsgrundlage nimmt. Parallel dazu stellen wir mehr Geld für innere Sicherheit, Integrationsmaßnahmen, humanitäre Hilfe und Krisenprävention zur Verfügung. „On top“ kommen weitere 10 Milliarden Euro, die im Rahmen des Investitionspaketes bereitgestellt werden. Das alles leisten wir in einem ausgeglichenen Haushalt, ohne Neuverschuldung, und das zum dritten Mal. – Wenn man das kleinreden will, kann man das tun. Aber die Fakten sprechen eine andere Sprache. Diese Regierung, diese Koalition hat ihre Hausaufgaben gemacht und ein Zeichen der Stabilität ausgesandt. Sie macht nachhaltige Wirtschafts- und Finanzpolitik. Dieses Zeichen sollte von den Haushaltsberatungen und von den Beratungen über diesen Einzeletat heute abschließend ausgesendet werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ganz nebenbei: Der Bund entlastet die Kommunen in Milliardenhöhe – auch das ist mit einzubeziehen –, und zwar in der Größenordnung von 20 Milliarden Euro. Auch das hat es bisher nicht gegeben. Alles in allem denke ich, dass sich an diesem Punkt für die Zukunft eines sagen lässt: Wir machen unsere Hausaufgaben, und wir setzen Zeichen der Stabilität. Das ist gerade in Zeiten, in denen die Wogen ein wenig höher schlagen, das absolut richtige und ein wichtiges Signal. Insofern blicke ich mit Zuversicht in die Zukunft. Auch wenn ich der letzte Redner war, hoffe ich, dass ich noch den einen oder anderen interessanten Punkt habe hinzufügen können. Ich bedanke mich recht herzlich für die Aufmerksamkeit und wünsche weiterhin gute Beratungen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. Zumindest waren Sie vorbildlich, was die Redezeit angeht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe damit die Aussprache zum Einzelplan 09. Wir kommen zur Abstimmung über diesen Einzelplan. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über die wir zuerst abstimmen. Änderungsantrag auf Drucksache 18/6800. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt. Änderungsantrag auf Drucksache 18/6801. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt. Wir stimmen nun über den Einzelplan 09 in der Ausschussfassung ab. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Einzelplan 09 – Bundesministerium für Wirtschaft und Energie – ist mit den Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir zum nächsten Einzelplan kommen, möchte ich bereits jetzt darauf hinweisen, dass die Fraktionen der CDU/CSU und SPD gebeten haben, die Sitzung nach der Beratung des Einzelplans 17 für etwa eine Stunde für Fraktionssitzungen zu unterbrechen. Nach jetziger Zeitplanung wäre das gegen 17 Uhr. Ich bitte Sie alle in diesem Zusammenhang, nach Möglichkeit keine Zwischenfragen zu stellen oder Kurzinterventionen vorzunehmen, außer dann, wenn sie ganz dringend nötig sind, damit wir den heutigen Zeitplan für die Beratungen in etwa einhalten können. Das ist in unserem gemeinsamen Interesse. Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.14 auf: Einzelplan 15 Bundesministerium für Gesundheit Drucksachen 18/6114, 18/6124 Die Berichterstattung liegt bei den Abgeordneten Petra Hinz (Essen), Helmut Heiderich, Dr. Gesine Lötzsch und Ekin Deligöz. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre hierzu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Etat des Ministeriums für Gesundheit macht nur 4,7 Prozent des Bundeshaushaltes aus. Aber, meine Damen und Herren, es gibt keinen Grund, ihn zu unterschätzen; (Tino Sorge [CDU/CSU]: Er ist ja auch sehr wichtig!) denn die jährlichen Gesundheitsausgaben in Deutschland sind ungefähr so hoch wie der gesamte Bundeshaushalt. Parlament und Gesundheitsministerium können mit Gesetzen und Verordnungen massiven Einfluss auf Ausgaben und Einnahmen nehmen. Diesen Einfluss müssen wir besser nutzen. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Für mich gibt es für die Bewertung eines Haushalts drei Kriterien: Er muss sozial, gerecht und finanzierbar sein. Vorab die positive Nachricht: Dieser Haushalt ist finanzierbar. Aber er ist weder sozial noch gerecht. Ein wichtiger Schritt wäre, die Aufhebung der paritätischen Finanzierung der Krankenkassenbeiträge nicht länger hinzunehmen. Hier muss wieder Gerechtigkeit her. (Beifall bei der LINKEN) Kollege Lauterbach von der SPD, Sie hatten kürzlich kritisiert, dass die Arbeitnehmer bei steigenden Zusatzbeiträgen überproportional stark belastet werden. Sie sagten in der Debatte, das sei nicht durchzuhalten und nicht gerecht. Nach der Sommerpause – so Kollege Lauterbach – wolle man in der Koalition darüber sprechen, wie die Arbeitgeber stärker an den Kosten der Krankenversicherung beteiligt werden könnten. Ich stelle fest: Der Sommer ist vorbei. Aber wo sind die Ergebnisse? Die paritätische Finanzierung ist immer noch nicht wiederhergestellt. Wir müssen endlich die Gerechtigkeit wiederherstellen. (Beifall bei der LINKEN) Die beste Lösung wäre natürlich, endlich eine Bürgerversicherung einzuführen. Nötig und logisch wäre es, alle Einkommensarten – also nicht nur Löhne und Renten, sondern auch Kapitaleinkünfte – beitragspflichtig zu machen. So könnten wir endlich eine solidarische Bürgerversicherung finanzieren. Das wäre das Gebot der Stunde. (Beifall bei der LINKEN) Aber nicht nur die Einnahmen werden nicht gerecht und sozial erhoben, auch bei den Ausgaben geht es nicht gerecht zu. Ich finde, das kann man am Beispiel des Umgangs mit den Hebammen besonders deutlich erkennen. Auch wenn das schon oft besprochen wurde, muss ich das wieder aufgreifen; denn das Problem ist nicht gelöst. Die Hebammen müssen immer noch die immens gestiegenen Haftpflichtprämien alleine zahlen. Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen fordert einen Ausschluss von Hausgeburten aus der Erstattungspflicht, wenn der errechnete Geburtstermin nicht eingehalten wird. Und wie die Natur so ist: Man kann nicht alles genau berechnen. Das wissen ja viele von uns aus Erfahrung, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) Das bedeutet für Frauen, dass eine Hausgeburt zu einer sogenannten IGeL-Leistung werden kann, die privat bezahlt werden muss. Das nenne ich Zweiklassenmedizin. Und ich finde, Zweiklassenmedizin darf es in diesem Land nicht geben. (Beifall bei der LINKEN) Leider gibt es auch eine Zweiklassenpflege. Auch da muss es Veränderungen geben. Eine Untersuchung der Universität Witten/Herdecke hat ergeben: In deutschen Pflegeheimen muss eine Pflegekraft nachts im Schnitt 52 Menschen betreuen. Damit stünden für einen Heimbewohner pro Nacht gerade einmal zwölf Minuten zur Verfügung. In manchen Heimen ist der Versorgungsschlüssel sogar weit schlechter als der ermittelte Durchschnittswert. So geben 8,7 Prozent der Befragten an, nachts sogar für mehr als 100 Heimbewohner zuständig zu sein. In manchen Fällen müssen sie sogar mehrere Häuser betreuen. Herr Gröhe, Sie sind der zuständige Minister. Diese Zustände müssen endlich per Gesetz geändert werden. Die gesetzliche Personalbemessung soll erst 2020 eingeführt werden. Das bedeutet fünf weitere Jahre Arbeitsstress und Pflegenotstand. Ich finde, das muss verhindert werden. Hier müssen wir schnell gemeinsam gesetzlich tätig werden. (Beifall bei der LINKEN – Tino Sorge [CDU/CSU]: Das Pflegestärkungsgesetz haben Sie schon mitbekommen?) Natürlich kommt häufig der Einwurf, mehr Personal in Krankenhäusern und Pflegeheimen würde zu höheren Beiträgen führen. Das sehe ich nicht so. Die OECD hat uns in einer Studie vorgehalten, dass in Deutschland die hohen Gesundheitskosten und der Gesundheitszustand der Bevölkerung in keinem guten Verhältnis zueinander stehen. Ich finde, wir müssen das viele Geld viel besser einsetzen. (Beifall bei der LINKEN) Zum Beispiel wurden in deutschen Krankenhäusern im Jahr 2014 knapp 2 Millionen Menschen ambulant operiert. Damit hat sich die Zahl dieser Operationen seit 2002 verdreifacht. Der Gesundheitszustand unserer Bevölkerung hat sich in zwölf Jahren doch nicht so dramatisch verschlechtert. Und auch in Ländern wie zum Beispiel Japan, die eine ähnliche demografische Entwicklung wie wir erleben, gibt es keine vergleichbare Explosion bei der Anzahl dieser Operationen. Meine Damen und Herren, das Problem ist die Fehlsteuerung der Krankenhäuser. Und die geht von der Bundesregierung aus. Krankenhäuser sind nun einmal keine Fabriken. Es muss in erster Linie um die Gesundheit der Menschen gehen. Und da kann ich Minister Gabriel in Bezug auf das, was er in seiner vorhin gehaltenen Rede gesagt hat, völlig Recht geben: Zu diesen Menschen gehören auch die Flüchtlinge. Herr Gabriel, ich fordere Sie auf: Geben Sie nicht nur öffentlich den Raufbold, sondern setzen Sie richtige Dinge auch in der Koalition durch. Dann können wir Sie auch unterstützen. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, unser Gesundheitssystem ist finanzierbar. Es muss endlich sozial und gerecht werden. Herr Gröhe, es gibt eine Menge zu tun. Wir müssen es endlich anpacken. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Bundesminister Hermann Gröhe für die Bundesregierung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Hermann Gröhe, Bundesminister für Gesundheit: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich beginne mit dem Dank an die Hauptberichterstatterin sowie an die Berichterstatter für gute und konstruktive Beratungen im Haushaltsausschuss, erlaube mir aber die Bemerkung an Sie, Frau Dr. Lötzsch: Ihre Beschreibung unseres Gesundheitssystems hatte mit der Realität nicht viel zu tun, und die Menschen in diesem Land wissen das. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Sie wissen, dass wie in nur ganz wenigen Ländern der Welt in unserem Land die Menschen komplexe, hochaufwändige Behandlungen bekommen, wenn sie sie brauchen, unabhängig von ihrem Einkommen. Das gibt es nur in ganz wenigen Ländern der Welt. Ihre Beschreibung einer angeblichen totalen Ungerechtigkeit hat mit der Realität nichts zu tun, und das wissen die Menschen in diesem Land. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will nicht nur den Haushältern, sondern auch den Gesundheitspolitikern der Koalition und der Fraktionen insgesamt danken. In den letzten Monaten haben wir zahlreiche umfangreiche Gesetzesvorhaben abgeschlossen. Ich nenne das Pflegestärkungsgesetz, die Krankenhausreform, das Versorgungsstärkungsgesetz, das Hospiz- und Palliativgesetz und das Präventionsgesetz. Wir stehen auch kurz vor der Verabschiedung des E-Health-Gesetzes. Dahinter steckt viel Arbeit, für die ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern meines Hauses, aber auch den beteiligten Parlamentarierinnen und Parlamentariern aller Fraktionen danke. Wir haben viel miteinander geschafft. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) All diesen Projekten ist gemeinsam: Sie verbessern die Qualität der Versorgung in unserem Land, und sie entwickeln die Strukturen weiter im Hinblick auf die Herausforderungen der demografischen Entwicklung. Gerade ältere, chronisch oder mehrfach Erkrankte sind darauf angewiesen, dass das Zusammenwirken der unterschiedlichsten Gesundheitsberufe, von Ärztinnen und Ärzten der unterschiedlichen Fachdisziplinen, von ambulant bis stationär, bestmöglich funktioniert. Eine stärkere Vernetzung bei allen Leistungserbringern durchzusetzen: Das ist deswegen heute angezeigt. Deshalb stärken wir im Versorgungsstärkungsgesetz Praxisnetzwerke und die sektorübergreifende Zusammenarbeit. Deswegen stärken wir im Hospiz- und Palliativgesetz die Zusammenarbeit zwischen Palliativmedizin und Altenpflege. Deshalb befördern wir mit der Krankenhausreform eine kluge Arbeitsteilung zwischen unterschiedlichen Kliniken, und deswegen fördern wir die Telemedizin als ein wichtiges Instrument zur besseren Koordination der Leistungsanbieter im Gesundheitswesen. Es geht darum, Brücken statt Mauern zu bauen. Ich weiß, dass das mitunter Ängste auslöst. Die jüngste Polemik gegen die gesetzgeberische Vorgabe der engeren Zusammenarbeit der Notfallambulanzen in den Krankenhäusern mit den Notfallpraxen der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte zeigt das. Ich weise diese Polemik ausdrücklich zurück. Uns geht es um ein faires Miteinander. Im Mittelpunkt muss aber das Wohl der Patientinnen und Patienten und nicht der Kampf um Vergütungsanteile stehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir wissen, dass es Verbesserungen nicht zum Nulltarif gibt. Deswegen ist nicht zuletzt der Kraftakt, mit dem wir die Pflege in unserem Land verbessern, mit einer Beitragssatzanhebung von insgesamt 0,5 Prozentpunkten, paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern aufzubringen, verbunden. Wir wissen aus allen Umfragen, dass die Bevölkerung in diesem Land die Verbesserungen für notwendig hält und die dafür erforderliche Beitragssatzerhöhung akzeptiert. Dies ist ein starkes Zeichen der Solidarität in unserer Gesellschaft. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen, meine Herren, wir gehen den Weg entschlossen voran. Kollegin Schwesig und ich arbeiten unter Hochdruck am Pflegeberufsgesetz, also an der Modernisierung der Ausbildung in der Pflege. Mit dem Pflegestärkungsgesetz III werden wir die Zusammenarbeit zwischen kommunaler Altenhilfe und den Leistungen der Pflegeversicherung verbessern. Karl-Josef Laumann treibt die Verbesserungen beim Pflege-TÜV wie auch bei der Entbürokratisierung in der Pflegedokumentation voran. Herzlichen Dank für diese Arbeit! (Beifall bei der CDU/CSU) Die Anhebung des durchschnittlichen Zusatzbeitrages in der gesetzlichen Krankenversicherung um 0,2 Prozentpunkte hat zu öffentlichen Diskussionen geführt. Das ist so. Aber ich erlaube mir den Hinweis: Wir reden über eine Erhöhung, die bei einem Bruttoeinkommen von 3 000 Euro im Monat 6 Euro im Monat ausmacht. Eine halbe Kinokarte für die Beteiligung an Spitzenmedizin! (Widerspruch bei der LINKEN) Für Alarmismus ist da wahrlich kein Raum. (Beifall bei der CDU/CSU) Im Übrigen weise ich darauf hin, dass es erhebliche Unterschiede in den Beiträgen einzelner Kassen gibt und die gesetzliche Krankenversicherung und der Gesundheitsfonds noch immer über Reserven von deutlich über 20 Milliarden Euro verfügen. Schließlich bestreitet niemand, dass die Schritte, die wir gegangen sind – mehr Pflege in den Krankenhausstationen, bessere Stärkung der Hospiz- und Palliativmedizin und Verbesserungen bei der Hygiene in den Krankenhäusern –, erstens sinnvoll und zweitens im Interesse der Versicherten in unserem Land sind. Bei den Leistungsverbesserungen haben wir aber neben der Lebensqualität der einzelne Patientin und des einzelnen Patienten immer die nachhaltige Finanzierbarkeit unseres solidarischen Gesundheitswesens im Blick. Deswegen sind beispielsweise Schritte wie ein klares Bekenntnis „Reha vor Pflege“, eine bessere sektorenübergreifende Zusammenarbeit und eine Krankenhausreform, die auf intelligente Arbeitsteilung setzt, immer sowohl eine Verbesserung für die betroffenen Patientinnen und Patienten als auch eine Stärkung der Wirtschaftlichkeit unseres solidarischen Gesundheitswesens. Das gilt in besonderer Weise für das Präventionsgesetz, das am 1. Januar nächsten Jahres in Kraft treten wird. Auch hier geht es darum, Lebensqualität zu sichern bzw. zu gewinnen, indem lebensstilbedingte Erkrankungen vermieden werden. Aber damit werden Kosten vermeidbarer Behandlungen auch nicht anfallen. Nehmen wir als Beispiel die Volkskrankheit Diabetes mellitus. 6,7 Millionen Menschen in unserem Land leiden an dieser Krankheit, verbunden mit Risiken wie Herzerkrankung, Schlaganfall, Erblindung und Amputation. Hier geht es auch um milliardenschwere Behandlungskosten. Wenn es uns gelingt, durch starke präventive Angebote und rechtzeitiges Erkennen und Behandeln hier entgegenzuwirken, dann bedeutet das nicht nur, dass wir – darum muss es zuallererst gehen – den betroffenen Menschen unendlich viel Leid ersparen. Vielmehr können wir dann auch die Mittel zur Deckung unnötiger Milliardenkosten sparen. Deshalb ist es richtig, dass wir neben den Maßnahmen des Präventionsgesetzes zur Gesundheitsförderung in allen Lebensbereichen – von der Kita bis hin zur Altenpflege – erstmalig 3 Millionen Euro in den Einzelplan 15 zur Bekämpfung des Diabetes mellitus eingestellt haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Prävention, Hilfe, Repression – das ist der Dreiklang unserer Politik im Bereich der Drogen. Ich danke ausdrücklich der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Marlene Mortler, für ihre engagierte Arbeit. Legale wie illegale Suchtmittel fordern uns weiter in besonderer Weise heraus. Frau Mortler stößt hier Wichtiges an. Herzlichen Dank für diese Arbeit! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir werden hier alsbald weitere gesetzliche Regelungen vornehmen. Ich nenne als Beispiel eine Stoffgruppenregelung, mit der wir endlich ein rechtssicheres Verbot neuer psychoaktiver Stoffe – häufig völlig verharmlosend Designerdrogen genannt – auf den Weg bringen. Ich nenne als weiteres Beispiel die gesetzliche Regelung des Zugangs von Kranken zu Cannabis als Medizin in den Fällen, in denen das die angezeigte Therapie ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) All dies werden wir in Kürze im Rahmen des gesetzgeberischen Handelns auf den Weg bringen. Doch nicht allein umfangreiche Gesetzgebung hat uns alle miteinander in den zurückliegenden Monaten gefordert. Ich erinnere an die Situation vor einem Jahr, als wir ebenfalls über den Haushalt berieten und uns alle die katastrophale Entwicklung in Westafrika, der Ausbruch von Ebola, in Atem hielt. In diesen Tagen zeigen einzelne neue Infektionsfälle in Liberia, dass der Kampf noch immer nicht vollends gewonnen ist, dass die letzten Meter eines Weges offenkundig die härtesten und anstrengendsten sind, auch wenn in der Zwischenzeit viel erreicht werden konnte. Trotzdem ist es richtig und wichtig, dass die Bundesregierung international den Prozess vorantreibt und darauf drängt, dass Lehren aus dieser Katastrophe gezogen werden: Warum wurde sie anfangs unterschätzt? Warum lief die internationale Hilfe zu zögerlich an? Es ist gut und wichtig, dass wir dies aufbereiten; denn wir müssen auf zukünftige Gefahren dieser Art besser vorbereitet sein. Ich freue mich darüber, dass wir die G-7-Präsidentschaft Deutschlands genutzt haben – ich danke dafür ausdrücklich der Bundeskanzlerin, aber auch den Kollegen Müller und Schmidt sowie der Kollegin Wanka; das ist uns gemeinsam gelungen –, globale Gesundheitspolitik zu einem Markenzeichen der Politik unseres Landes zu machen. Das ist Teil unserer Verantwortung, schützt aber auch die eigene Bevölkerung. In diesem Zusammenhang freue ich mich, dass wir uns mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung darauf verständigt haben, dass aus den zusätzlich zur Verfügung gestellten Mitteln im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit 10 Millionen Euro durch das Bundesgesundheitsministerium bewirtschaftet werden, um damit die Beschlüsse des G-7-Gipfels im Bereich des globalen Gesundheitsschutzes und der freiwilligen Leistungen für die Weltgesundheitsorganisation zu finanzieren. In diesen Tagen fordert uns die Versorgung der Menschen, die zu uns fliehen, in besonderer Weise heraus. Das ist nicht nur humanitär geboten, sondern es dient auch dem Schutz der Bevölkerung insgesamt. Auch wenn die Bundesländer die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz umsetzen, so will ich doch festhalten, dass die entsprechenden gesetzlichen Regelungen, beispielsweise ausdrücklich im Asylbewerberleistungsgesetz genannt, selbstverständlich die erforderlichen Leistungen bei der Betreuung von Schwangeren vorschreiben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Auch wenn die Zuständigkeiten so sind wie beschrieben, ist es selbstverständlich auch eine Aufgabe meines Hauses und der angeschlossenen Bundesbehörden, dass wir bestmöglich diejenigen, die vor Ort Verantwortung tragen, in ihrer Arbeit unterstützen. So hat beispielsweise das Robert-Koch-Institut ein Impfkonzept entwickelt und Handreichungen für den Umgang mit spezifisch erkrankten Flüchtlingen erarbeitet. Es gibt ein standardisiertes Konzept für Erstuntersuchungen, und es gibt Impfaufklärungsmaterialien inzwischen in 20 Fremdsprachen. Es gibt also umfassende Informationen für die Menschen, die zu uns kommen, damit sie in ihrer Heimatsprache beispielsweise über notwendige Impfungen informiert werden. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung stellt in sechs Sprachen Materialien über verschiedene Infektionskrankheiten zur Verfügung, und das Paul-Ehrlich-Institut und das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte stellen den Ländern bei der impfstoffbezogenen und arzneimittelbezogenen Versorgung von Flüchtlingen in einer Clearingstelle Beratung und Hilfe zur Verfügung. Sie wissen alle, dass zur Bewältigung der Flüchtlingssituation in diesem Bundeshaushalt von der Bundesregierung 4 Milliarden Euro für das Jahr 2016 zusätzlich eingestellt wurden. Aus diesen Mitteln werden auch die Kosten der Gesundheitsversorgung bestritten. Das sind also keine Kosten, die die gesetzlich Versicherten womöglich durch eine Erhöhung ihrer Beitragszahlung belasten. Das sei angesichts mancher Simplifizierung in der Öffentlichkeit ausdrücklich festgestellt. (Beifall der Abg. Petra Hinz [Essen] [SPD]) Allerdings möchte ich an dieser Stelle auch nicht verschweigen, dass wir uns perspektivisch mit der Frage beschäftigen müssen, wie sich die Integration der Asylsuchenden in den nächsten Jahren auch auf die Krankenversicherung auswirken wird. Ich möchte an dieser Stelle nicht spekulieren und alle davor warnen, dies vorschnell zu tun. Aber wir werden uns natürlich mit der Frage zu beschäftigen haben, wie eine schnelle Integration in den Arbeitsmarkt gelingt und welche Auswirkungen sie dann auf die zu tragenden Kosten, auch angesichts entsprechender Krankheitsbilder, für die Krankenversicherung hat. Wir werden dies jedenfalls sehr aufmerksam beobachten und dann gegebenenfalls mit Ihnen über notwendige Schritte reden. Für heute darf ich noch einmal für die guten Beratungen danken und Sie um Zustimmung zum Einzelplan 15 bitten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt die Kollegin Ekin Deligöz das Wort. Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister! Der Gesundheitsetat hat in der Tat relativ wenig Spielraum. Von dem Etat gehen 95 Prozent, nämlich 14 Milliarden Euro, erst einmal ab als Zuschuss an die gesetzliche Krankenversicherung. Dann bleiben 574 Millionen Euro übrig. Über die reden wir, wenn wir über den Gesundheitsetat im Haushaltsausschuss beraten. Herr Minister, erlauben Sie mir eines. Es ist zwar ganz ungewöhnlich, dass jemand aus der Opposition so etwas sagt, aber ich bearbeite fünf Haushaltspläne und kann es deshalb ganz gut beurteilen: Sie sind der Minister, der sich am allerbesten in seinem Etat auskennt, bis ins Detail hinein. Ich finde, das muss man hier schon einmal erwähnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das ist die große Ausnahme!) Sie würden sich aber wundern, wenn ich nicht trotzdem noch Verbesserungsvorschläge hätte. Einen Teil unserer Verbesserungsvorschläge haben Sie schon übernommen. Es freut mich besonders, dass Sie da sehr offen sind. Ich denke, die größte Herausforderung überhaupt in Ihrem Etat ist, dass wir im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung und der Pflegeversicherung vorausschauend handeln müssen, um das System stabil, gerecht und zukunftsfest zu machen. Das sind die drei Punkte, über die wir reden. Wenn wir über die Sozialversicherung in diesem Land reden, alle Sozialversicherungszweige zusammen, reden wir immerhin über 450 Milliarden Euro. Etwas weniger als die Hälfte dieser 450 Milliarden Euro kommen in der GKV und in der Pflegeversicherung an. Hier kommen die größten Herausforderungen auf uns zu. Der demografische Wandel, die älter werdende Gesellschaft, technischer Fortschritt, aber auch medizinischer Fortschritt, der Personalbestand – Stichwort Fachkräftemangel –, all das wird das System in der kommenden Zeit teurer machen. Es werden Kosten auf uns zukommen, die wir auch aufbringen müssen. Ich möchte zwei Punkte festhalten. Das eine, das mich besorgt macht, ist, dass wir nur bedingt eine parlamentarische Kontrolle über diese Mittel haben, während uns die Menschen vertrauen, dass das Geld auch in ihrem Sinne verwendet wird. Ich finde, das ist eine Baustelle für uns, auch im Rechnungsprüfungsausschuss. Das Zweite ist, dass wir in diesem Bereich natürlich auf die Frage reagieren müssen: Wie entwickeln sich die Sozialversicherungen? Alle Modelle, die Sie jetzt aufgezeigt haben – sei es im Bereich der Krankenhausfinanzierung, der Pflege oder anderes –, werden nicht dazu beitragen, dieses System per se zukunftsfest zu gestalten und auch langfristige Planungen zu ermöglichen. Dafür waren diese Schritte zu klein, und sie werden in diesem Bereich auch wirkungslos verhallen. Was noch dazukommt – Sie selbst haben das angesprochen –: Wir müssen auch über neue Formen der Solidarität nachdenken. Wir Grünen schlagen da eine Bürgerversicherung vor. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Sie haben so gut angefangen, und jetzt kommen Sie mit so was!) Ich bin der festen Überzeugung, dass wir in diesem Land ernsthaft darüber reden müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der größte Debattenpunkt in Ihrem Etat ist in der Tat der Bereich der Flüchtlinge. Menschen kommen, Menschen bleiben. Sie suchen Schutz. Sie sind traumatisiert. Dass Sie die Schutzimpfungen und vieles mehr in die Hand nehmen, ist gut und wichtig. Das wird aber nicht ausreichen. Ich möchte einen anderen Punkt herausgreifen: 50 Prozent der Flüchtlinge sind unter 25 Jahre alt. Sie kommen nach einer langen Reise hierhin. Sie sind geschwächt, und sie sind traumatisiert. Diesen Traumatisierungen begegnen wir aber noch nicht mit einer flächendeckenden psychosozialen Betreuung. Es gibt die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer mit derzeit 30 Zentren für ganz Deutschland. Viele dieser Zentren sind in ihrer Existenz von freiwilligen Spenden abhängig. Sie versuchen, möglichst viel zu machen. Aber es gibt lange Wartezeiten. Diese Zentren müssen bangen. Warum müssen sie bangen? Weile viele der Kosten nicht adäquat von der GKV übernommen werden. Ich will Ihnen ein Beispiel geben. Bei einer Therapie ist die Sprache das Therapieinstrument. Die GKV übernimmt aber keine Dolmetscherkosten. Die GKV übernimmt auch nicht die Kosten für die tatsächliche Zeit, die entstehen wird, wenn Dolmetscher eingesetzt werden. Das hat zur Konsequenz, dass nur ein Bruchteil der Kosten übernommen wird und dass Therapien manchmal sogar abgebrochen werden müssen, wenn die Leute vom Asylbewerberleistungsgesetz in die GKV übergehen und deshalb auf der Strecke bleiben. Die Kosten dieses Verfahrens werden uns dennoch in Rechnung gestellt, wenn auch in einer anderen Form. Ich finde, deshalb müssen wir die Traumata bei den Flüchtlingen nicht nur ernst nehmen, sondern wir müssen da massiv aktiv werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In der letzten Woche gab es einen großen Integrationsgipfel. Da werden Sie jetzt im Bereich Migration und Integration eine halbe Million Euro in die Hand nehmen. Ich finde, das ist ein Tropfen auf einen ganz heißen Stein. Wenn man solche Gipfel im Kanzleramt veranstaltet, weckt man natürlich Erwartungen. Aber diesen Erwartungen müssen auch Taten folgen; denn ansonsten verbleibt nur Symbolpolitik. Ich finde, genau das sollten wir uns in diesem Bereich nicht leisten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ganz am Schluss komme ich noch zur WHO. Herr Minister, Sie haben gerade gesagt: Trotzdem investieren wir. – Ich finde, wir sollten sagen: Gerade deshalb investieren wir in die WHO. Letzte Woche wurde ein Aktionsplan in Rom beschlossen. Wir in Deutschland sind verpflichtet, die Beschlüsse, die dort getroffen worden sind, umzusetzen. Dazu gehört auch das nachhaltige Denken. Wenn wir nicht rechtzeitig in die WHO investieren, dann werden wir die Quittung dafür bekommen. Ebola lehrt uns etwas, nämlich dass die Investitionen in die WHO eine gute Präventionsarbeit darstellen. Wir fordern dafür zusätzliche Mittel, weil wir der Meinung sind, dass wir die internationalen Strukturen höherhalten müssen und sie nicht vergessen dürfen. Herr Minister, es gibt viel zu tun, auch wenn nicht so viel Geld in Ihrem Budget steht. Kreative Ideen gibt es genug. In diesem Sinne kämpfen wir dann umso mehr für mehr Geld für Sie. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Petra Hinz. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Petra Hinz (Essen) (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn wir hier heute über den Haushalt für das kommende Jahr beraten, dann müssen wir dies im Gesamtkontext der von der Großen Koalition beschlossenen Haushalte tun. So möchte ich auch den aktuellen Haushalt verstanden wissen. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass wir, die Große Koalition, erneut einen Schwerpunkt auf die Gesundheitsvorsorge, insbesondere bei Kindern, gesetzt haben. Das, was wir für die Haushalte 2014 und 2015 auf den Weg gebracht haben, ist eine Reihe von Maßnahmen, die wir auch in den kommenden Haushalten entsprechend fortsetzen werden. Wenn wir sozusagen das Buch der Haushalte für den Bereich Gesundheit aufschlagen, dann möchte ich ganz gern einmal die groben Eckdaten nennen. Wir verfügen eigentlich – da haben alle Kolleginnen und Kollegen, die bisher gesprochen haben, recht – über einen wesentlich größeren Haushalt – er umfasst 14,6 Milliarden Euro –, reden aber in der Tat nur über die 86 Millionen Euro, die für die gesamtpolitischen Maßnahmen zur Gesundheitspflege zur Verfügung stehen. Im Vergleich zum Jahr 2015 verzeichnet der Einzelplan einen Aufwuchs um 2,5 Milliarden Euro. Für die gesetzliche Krankenversicherung sind Ausgaben von 14 Milliarden Euro vorgesehen. Wie zugesagt, werden die Ausgaben für die gesetzliche Krankenversicherung ab 2017 wieder dauerhaft bei 14,5 Milliarden Euro liegen. Eins möchte ich zu den neuen Strukturen im Haushalt 2016 sagen – das ist für uns als Haushälter wichtig –: Wir waren die letzten Haushälter, die noch nicht mit neuen Strukturen gearbeitet haben. Es gibt eine neue Systematik. Viele Maßnahmen sind zusammengeführt worden. Für uns als Haushälter ist das sehr wichtig, weil wir dadurch einen besseren Überblick darüber bekommen haben, mit wie vielen Maßnahmen wir im Bereich der Gesundheit, der Pflege, der Prävention, unterwegs sind. Ein weiterer Punkt ist die Frage von Pflichtbeiträgen und freiwilligen Leistungen an die WHO; er ist gerade von meiner Kollegin Ekin Deligöz und auch von Minister Gröhe angesprochen worden. Ich denke, wir sind da auf dem richtigen Weg. Wir haben das, worüber auch wir hier diskutiert haben, in einem ersten Schritt umgesetzt. Dass wir auch da besser mit einem anderen Ressort zusammenarbeiten, ist für uns keine neue Erkenntnis; denn „Gesundheit und Pflege“ ist einfach ein Querschnittsbereich. Sie haben gerade schon deutlich gemacht, dass wir mit der Familienministerin, aber auch mit der Ministerin für Arbeit und Soziales und dem Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zusammenarbeiten. Kommen wir auf den Bereich gesamtpolitische Maßnahmen zu sprechen, für den 86,4 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Hier möchte ich einen ersten Schwerpunkt bei Prävention und Aufklärung sehen; dafür sind 41,7 Millionen Euro veranschlagt. Man kann sagen: Das ist angesichts der Bedeutung der Prävention zu wenig. Wenn bereits Kinder aufgeklärt und gesund leben, dann werden sie mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit auch gesund älter. Insofern wird sich all das, was wir in die Kinder investieren, gerade im Gesundheitsbereich, mit ihrem Älterwerden für das Gesundheitssystem rechnen. An dieser Stelle sei zur Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gesagt, dass die Behördenleitung gewechselt hat: Frau Heidrun Thaiss ist die neue Behördenleiterin. Sie hat sich im Rahmen des Berichterstattergesprächs vorgestellt. In einem weiteren Gespräch hat sie noch einmal ihre Aufgaben dargelegt. Insbesondere hat sie klargestellt, vor welchen Herausforderungen wir im Zusammenhang mit dem Präventionsgesetz, welches am 1. Januar 2016 in Kraft treten wird, stehen. 6 Millionen Euro werden wir wieder für die Organspendekampagne bereitstellen. Leider sind wir auch auf diesem Gebiet noch nicht so weitergekommen, wie wir es uns vorstellen könnten und wie es auch notwendig wäre. Für den Bereich der Durchimpfungsrate haben wir weiterhin 3 Millionen Euro eingeplant. Zu den Bereichen Aids- und Drogenaufklärung. Ich möchte unserer Drogenbeauftragten noch einmal ein herzliches Dankeschön für ihr Engagement sagen. Dieses Dankeschön gilt aber nicht nur der Drogenbeauftragten, sondern allen Kolleginnen und Kollegen, die in der Gesundheitspolitik arbeiten. Wir müssen vor allem die Aufklärung über die Gefahren des Drogenkonsums und der Infektionskrankheiten stärken. Man soll es nicht glauben: Trotz der umfangreichen Aufklärung, trotz der Bewusstseinsarbeit steigen die entsprechenden Zahlen immer wieder an. Wenn man das feststellt, wundert man sich schon sehr. Ein Thema liegt mir besonders am Herzen – entsprechende Vorschläge waren die ersten, die wir in die Beratungen über die Haushalte 2014 und 2015 eingebracht haben –: die Frage der Kindergesundheit, insbesondere im Hinblick auf Prävention und Rehabilitation. Wir haben gemeinsam lange über das Präventionsgesetz diskutiert. Wir haben Anhörungen durchgeführt, und wir haben es fachlich und inhaltlich diskutiert. Darüber hinaus habe ich vor Ort, in ganz unterschiedlichen Bundesländern, mit Vertretern verschiedener Einrichtungen und Institutionen gesprochen. Sie haben mir eine Frage gestellt: Was ist mit denen, die noch nicht in den Bereich der Prävention gehören? Was ist mit den Kindern, die auch noch nicht in den Bereich der Rehabilitation gehören, für die wir aber im Vorfeld eine ganze Menge leisten müssen, damit sie gar nicht erst Leistungen nach dem SGB V brauchen, damit ihnen bei ihrer Übergewichtigkeit geholfen wird? Nun sprechen wir in dem Bereich von Perzentilen und von BMI-Werten – und dies bei Kindern. Wir haben hier 90-Prozent- und 97-Prozent-Perzentile. Das bedeutet: 90 Prozent oder 97 Prozent der Kinder sind nicht übergewichtig, und 10 Prozent oder 3 Prozent sind übergewichtig oder fettleibig. Das heißt, diese Kinder werden mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit übergewichtige Erwachsene. Hier wäre eine Rehamaßnahme angezeigt. Aber was passiert mit denen, die nicht in diese Bereiche fallen? Können wir Kinder tatsächlich in Perzentile einteilen? Wollen wir schon Kinder mit einem Body-Mass-Index versehen? Sollten wir das nicht anders sehen? Wenn wir Kindern in den Familien, in den Schulen – Stichwort „Klasse2000“ – das Bewusstsein dafür stärken, dass sie besondere Menschen sind, dass sie Selbstvertrauen haben können, dass sie Stärken haben, dass sie Erfolge haben, dann wird sie das mit Sicherheit vor einer Übergewichtigkeit oder vielleicht sogar Fettleibigkeit bewahren. Ich habe hier einen besonderen Schwerpunkt gesetzt, weil ich hier den Schlüssel für das Problem sehe. Wenn Kinder wohlgeraten, wenn Kinder, ich sage mal, behütet werden – nicht im Sinne davon, dass man sie permanent beschützt –, wenn Kindern ein Selbstbewusstsein mitgegeben wird, dann werden diese Kinder auch gesunde Erwachsene werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben weitere Schwerpunkte gesetzt: im Bereich der Modellvorhaben, gerade auch im Bereich der Ressortforschung. Hier reden wir über den „Masterplan Medizinstudium 2020“, über den Ausbau der Versorgungsforschung, über Strategien zur Bekämpfung von Krebs. Ja, das ist ein Thema, das immer und immer wieder auf der Tagesordnung steht. Es ist dringend erforderlich, dass wir dabei zu Erfolgen kommen. Zum Pflegebedürftigkeitsbegriff. Es ist gerade schon angesprochen worden, was dort auf den Weg gebracht wird und vor welchen Herausforderungen wir insgesamt noch stehen. Dabei geht es um die, die gepflegt werden, aber auch um die, die pflegen. Da sind wir mit dem Familienministerium, denke ich, auf einem sehr guten Weg. Auch ein anderes Thema habe ich gerade schon angesprochen: sexuell übertragbare Krankheiten. Man soll es nicht glauben: Die Zahl geht leider nicht zurück, aber sie ist zumindest konstant. Ich möchte noch ein Thema ansprechen, und zwar die Aspekte der Migration und Integration im deutschen Gesundheitswesen. Anfang des Jahres hat unsere Staatsministerin zur Unterzeichnung der Charta der Vielfalt ins Kanzleramt eingeladen. Es war eine großartige Veranstaltung. Sehr viele Vertreter waren dort anwesend, auch Kolleginnen und Kollegen aus dem Gesundheitsbereich. Dort haben wir verabredet, dass wir für diesen Bereich einen Titel schaffen und Geld zur Verfügung stellen werden. Das haben wir mit diesem Haushalt umgesetzt. Jetzt kann man sagen: Diese 500 000 Euro sind nur ein Feigenblatt. – Aber: Wir sind seit dem Gipfel dabei, gemeinsam ein Konzept zu erarbeiten. Ich gehe davon aus, dass wir bei zukünftigen Haushalten – ich denke an 2016/2017 – über einen weiteren Aufwuchs sprechen werden. Das Thema Flüchtlinge hat sich in diesen Haushaltsberatungen wie ein roter Faden durch die Beratung aller Etats gezogen. Genau so muss es auch verstanden werden: Es ist eine Gesamtaufgabe aller Bereiche, des gesamten Hauses. Es geht nicht um eine besondere Themenstellung eines einzelnen Bereichs. Ich bin sehr froh, Herr Minister Gröhe, dass Sie gerade die Schwangeren, die Kinder und Jugendlichen erwähnt haben. Diese haben sich nicht einfach auf eine Reise gemacht, sondern sie haben Schreckliches erlitten, um aus einer Kriegsregion zu entkommen und in ein sicheres Land zu gelangen. Unabhängig davon, inwieweit die Gesetzesverfahren abgeschlossen sind und inwieweit sie in Kraft sind, müssen wir den Flüchtenden helfen, insbesondere den Schwangeren, den Kindern, den Traumatisierten. Hieran werden wir in enger Abstimmung mit dem Familienministerium gemeinsam arbeiten. Zum Thema Behinderte. Da ist einmal die Frage der Behinderten grundsätzlich. Es sind besondere Krankheitsmerkmale, die Behinderte haben. Ich habe in der ersten Lesung darauf aufmerksam gemacht, auch vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit den Special Olympics, vor welchen Herausforderungen die behinderten Menschen insgesamt stehen. Noch viel mehr gilt das für die, die auf der Flucht sind. Deshalb dürfen wir die Behinderten, die auf der Flucht sind, auf keinen Fall aus dem Auge verlieren. Ich möchte mich bei allen, die dazu beitragen, dass unser Gesundheitswesen bestmöglich funktioniert, und bei allen Vertretern der Wohlfahrtsverbände, die sich in unterschiedlichen Bereichen, ob hauptamtlich oder ehrenamtlich, engagieren, ganz herzlich bedanken. Ich bedanke mich insbesondere bei meinen Kolleginnen und Kollegen im Gesundheitsausschuss, im Fachbereich, für die großartige Unterstützung, für den Zuspruch, für jede Hilfestellung, die gegeben wird, damit wir im Haushaltsausschuss das umsetzen können, was dort inhaltlich die ganze Zeit über diskutiert wird. Ich möchte nicht versäumen, mich beim Ministerium ganz herzlich für die Zuarbeit zu bedanken. Meine Mitberichterstatterin Ekin Deligöz hat Sie ja gerade schon in den höchsten Tönen gelobt. Ich kann mich dem Lob nur anschließen. Ich möchte mich beim Bundesfinanzministerium und beim Bundesrechnungshof bedanken, aber auch noch einmal bei meinen Kolleginnen und Kollegen. Insbesondere bedanke ich mich ganz herzlich bei meinen Mitberichterstatterinnen und Mitberichterstattern, dass sie mir die Zusammenarbeit ganz einfach machen. Vielen Dank für die geleistete Arbeit, aber auch schon einmal für die Arbeit, die noch vor uns liegt. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Georg Nüßlein, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Die Kollegin Hinz hat gerade – zu Recht, wie ich meine – die Flüchtlingsthematik als eine Querschnittsthematik beschrieben. Dies trifft uns natürlich auch im Bereich der Gesundheitspolitik. Ich möchte vorab ganz klar festhalten: Es geht hier zuallererst um eine humanitäre Frage und erst dann um die Fragen von Euro und Cent, von Steuerung und Begrenzung, (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre gut, wenn Sie das mal beherzigen!) aber natürlich auch um die Frage von Euro und Cent, so wie bei den gesetzlich Versicherten. Wenn ich sage: „Das Thema hat Relevanz für die Gesundheit“, dann möchte ich hier auf der einen Seite auf berechtigte Sorgen hinweisen, auf der anderen Seite aber auch ganz klar sagen: Es geht nicht darum, unberechtigte Ressentiments zu wecken. Flüchtlinge sind keine Seuchenbringer, überhaupt nicht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ganz im Gegenteil: Was solche Themen angeht, produzieren die deutschen Eltern, die ihre Kinder nicht impfen lassen, in dieser Hinsicht ganz andere Risiken; das muss man an der Stelle auch einmal deutlich sagen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Trotzdem gibt es natürlich Themen wie das der offenen Tbc, die uns umtreiben und die zeigen, wie wichtig es ist, auch aus gesundheitspolitischen Erwägungen die Residenzpflicht durchzusetzen. (Mechthild Rawert [SPD]: Untersuchungen sind wichtig! – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sind meist aus Rumänien!) Wir haben, was die Versorgung der Flüchtlinge angeht, als Bund das Notwendige getan, beispielsweise durch den Verzicht auf Mengenabschläge bei den Krankenhäusern, in denen Flüchtlinge behandelt werden, um nicht das Risiko einzugehen, dass denen, die viel machen, am Schluss viel abgezogen wird. Wir haben den Ländern die Gesundheitskarte als Option gegeben. Ich gebe offen zu, dass die Unionsfraktion hier durchaus skeptisch war aufgrund einer zu befürchtenden Anreizwirkung. (Hilde Mattheis [SPD]: Stimmt ja nicht! Das wisst ihr ja jetzt!) Aber wir wissen auch, dass an dieser Stelle am Schluss die Länder gefordert sind. Bei denen, die den öffentlichen Gesundheitsdienst runtergefahren haben, rächt sich das jetzt. Die sind nämlich gerade in einer schwierigen Situation. Ich möchte all denjenigen Dank und Anerkennung aussprechen, die sich im Gesundheitswesen um dieses angesichts von Sprachbarrieren und Krankheiten schwierige Thema kümmern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich möchte ausdrücklich auch dem zuständigen Minister Gerd Müller Unterstützung zusagen. Er hat recht mit dem Hinweis, dass Gesundheitsvorsorge schon in Flüchtlingscamps im syrischen Umfeld stattfinden muss. (Hilde Mattheis [SPD]: Die müssen erst mal was zu essen haben!) Da geht es darum, dass die Bedingungen nicht noch schwieriger werden, als sie ohnehin schon sind. Wir alle wissen mittlerweile, wie schnell uns so etwas dann auch hier in Deutschland trifft. Deshalb ist das das Gebot der Stunde. Nun hat die Kollegin Hinz auch die EU-Richtlinie gestreift, die wir umsetzen sollen. Ich bin hier skeptisch; das gebe ich ganz offen zu. Diese Richtlinie ist drei Jahre alt. Wenn die Kommission diese Richtlinie aktualisieren würde, könnte sie einmal zeigen, wie nah sie am Thema dran ist. Uns in einer komplett anderen Lage eine alte Richtlinie auf den Tisch zu legen, ist kein gutes Zeugnis, das sie sich an dieser Stelle selber ausstellt. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich will Ihnen auch sagen, worum der Streit geht, der sich hier – auch in der Koalition – angedeutet hat. Die Definition von „schutzbedürftigen Personen“ ist zu weitgehend. Man hätte auch gleich „alle“ schreiben können. Wenn man „ältere Menschen“ und „Personen mit schweren körperlichen Erkrankungen“ einbezieht und dies unter Hinweis auf die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses mit einer Beeinträchtigung der Lebensqualität definiert, umfasst das zum Schluss alle Personen, und diese hätten dann von Anfang an den gleichen Gesundheits- und Versicherungsschutz wie gesetzlich Versicherte. Wir wollen beim jetzigen Umfang des Asylbewerberleistungsgesetzes bleiben. Am Anfang wollen wir die Leistungen auf das Notwendige beschränken. Der Minister hat richtig gesagt, dass Leistungen für Schwangere beispielsweise bereits davon umfasst sind. Ich wehre mich deshalb dagegen, dass man mit Bildern arbeitet, die nicht der Realität entsprechen. Das erleben wir momentan in den Medien. Dort werden die Schwangeren, die Mütter, die Kinder gezeigt. Aber die vielen jungen Männer, die das Bild eigentlich prägen, sieht man nicht. Auch hier wird mit genau diesen Themen operiert, dass wir Schwangeren nicht helfen. Das ist nicht der Fall. Das ist mit dem Asylbewerberleistungsgesetz erfasst. Es geht darum, den Leistungsumfang nicht ohne Not auszuweiten. (Mechthild Rawert [SPD]: Die Not ist aber da!) Ich halte es mit Blick auf die Anreizwirkung für richtig, aber auch mit Blick auf das, was die gesetzlich Versicherten, die arbeiten und ihre Beiträge zahlen, von uns erwarten. Ich sage Ihnen auch: Es werden finanziell noch etliche Dinge auf uns zukommen, über die man diskutieren muss. Ab 1. Januar nächsten Jahres werden für Arbeitslosengeld-II-Empfänger nur 90 Euro pauschal vom Staat einbezahlt. Wenn es so bleibt, werden die Kosten pro Leistungsempfänger bzw. Patient jedoch bei 250 bis 300 Euro liegen. (Hilde Mattheis [SPD]: Das nennt man Solidarität!) Damit haben wir ein programmiertes Defizit in der Krankenversicherung, (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Durch Steuern ausgleichen!) wenn es uns im nächsten Jahr gelingt, was ein großer Erfolg wäre, 500 000 Flüchtlinge als arbeitsfähig zu qualifizieren. Ich würde es mir wünschen. Aber das bedeutet für die gesetzliche Krankenversicherung ein Defizit von bis zu 1 Milliarde Euro jährlich. Das können wir so nicht hinnehmen. Hier gibt es Handlungsbedarf. Hierüber muss man reden. Die Gespräche zwischen dem Gesundheitsminister und dem BMAS finden statt. Ich weiß, dass am Ende nur die Frage zu beantworten ist, wer es denn zahlt: die Versichertengemeinschaft oder die Steuerzahler? Jedoch macht das insbesondere angesichts dessen, was in der Debatte angeklungen ist, einen Unterschied. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Das ist das Entscheidende!) Wir alle wissen, dass nach den aktuellen Schätzungen für das Jahr 2016 die GKV-Ausgaben um 5 Prozent auf 220 Milliarden Euro steigen werden. Der Anstieg des Zusatzbeitrages von 0,9 auf 1,1 Prozent ist programmiert. (Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Ach, guck an!) – Ja, guck an. – Die 1,1 Prozent sind übrigens ein Durchschnittsbeitrag. Man kann auch in eine Kasse wechseln, die darunterliegt; das muss man auch einmal in aller Deutlichkeit sagen. Der Grund für diesen Anstieg sind nicht unsere kostentreibenden Gesetze, sondern auch die Tatsache, dass die Kassen unter dem Eindruck des Wettbewerbs den Zusatzbeitrag bisher teilweise zu niedrig angesetzt haben. Das zeigt, dass das, was wir gemacht haben, wettbewerbsseitig durchaus Sinn und Zweck hat. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie produzieren nur Chaos!) Wenn hier Einwände kommen, muss man auch ganz klar sagen, dass wir in der Größenordnung dessen liegen, was von Rot-Grün seinerzeit als Sonderbeitrag beschlossen wurde, der auch einseitig nur von der Arbeitnehmerseite zu finanzieren war. Ich will durchaus zugestehen, dass wir in den letzten Monaten Gesetze gemacht haben, die am Schluss zu Kosten führen. Beim Pflegestärkungsgesetz haben wir es mit eingepreist und haben formuliert: zweimal 0,2 Prozentpunkte mehr für die Pflegeversicherung. Dieser Beitragsanstieg ist notwendig, um die Aufgaben zu erfüllen, die eine Pflegeversicherung erfüllen soll. Ich glaube, es ist anerkanntermaßen richtig und sinnvoll, dass wir den Pflegebedürftigkeitsbegriff komplett neu definiert haben, was insbesondere Demenzkranken zugutekommt. Wir haben uns entschlossen, mit dem Krankenhausstrukturgesetz gezielt die Pflege zu fördern. Das war ein richtiger Ansatz, und zwar deshalb, weil uns Ärzte, aber auch Pflegekräfte durchaus mit Fug und Recht gesagt haben: Es wird langsam kritisch für die Patienten. Es war notwendig, an der Stelle etwas zu tun; wir haben das Richtige getan. Aber da sind wir relativ schnell im Bereich von Milliardenausgaben, die uns natürlich belasten, die aber notwendig sind. Man predigt die ganze Zeit, dass Gesundheit ein hohes Gut ist. Aus meiner Sicht muss jedem klar sein, dass dieses hohe Gut am Schluss auch Geld kostet. Nun gibt es ja ein paar, die verkünden, das mit den Kosten sei ganz einfach; man müsse nur die Bürgerversicherung einführen, und schon sei das Problem gelöst. Ich sehe das nicht so. Ich frage mich schon, inwiefern es eine Lösung ist, dass man, wenn 71 Millionen Versicherte ein Problem haben, 10 Millionen dazunimmt, sodass man auf 81 Millionen Versicherte kommt. (Hilde Mattheis [SPD]: Sie haben es nicht verstanden!) Wo ist denn da die Problemlösung? Wenn man berücksichtigt, dass es am Ende, egal wie man es umsetzt, eine Beitragsbemessungsgrenze geben wird, dann ist jetzt schon klar: Sie würden mit solchen Ansätzen nicht die Millionäre erwischen, sondern die kleinen Sparer, die dann zusätzlich etwas bezahlen müssen. Ob das wirklich die Sozialpolitik ist, die die linke Seite des Hauses an dieser Stelle betreiben will, wage ich zu bezweifeln. (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN) Also, machen Sie es sich nicht ganz so einfach. Gucken Sie lieber mal, was wir im Bereich der Gesundheitspolitik in den letzten Wochen und Monaten Großartiges geleistet haben. Wir haben unser Gesundheitswesen unter qualitativen, humanitären und auch unter Solidaritätsgesichtspunkten massiv vorangebracht. Das hat unser Gesundheitsminister betrieben. Ich will mich ausdrücklich bei ihm dafür bedanken, dass er es so offensiv und klar betrieben hat. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Harald Weinberg, Fraktion Die Linke, das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Harald Weinberg (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen auf der Tribüne! Ich muss, obwohl es von meiner kurzen Redezeit abgeht, kurz etwas dazu sagen, was Sie, Herr Nüßlein, zum Thema Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen gesagt haben. Die Gesundheitsversorgung von Menschen ist ein Menschenrecht, und es ist nicht einzuschränken. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) Das System der Behandlungsscheine ist mit diesem Menschenrecht nicht vereinbar. Es ist bürokratisch, es ist teurer, und es führt dazu, dass Leute, die eine Behandlung brauchen, keine Behandlung bekommen. Das führt zu Folgekosten, zur Chronifizierung von Krankheiten, weil Fachfremde darüber entscheiden, wer einer Behandlung bedarf und wer keine Behandlung bekommen soll. Das hat bereits zu gravierenden Fehlentscheidungen geführt. Wir müssen in der Tat davon wegkommen und die Einführung der Gesundheitskarte voranbringen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jetzt aber zum Haushalt. Schon die ganze Woche feiern Sie hier die schwarze Null, wie einst das goldene Kalb gefeiert wurde – kein Blick nach links oder rechts, nur Starren auf die schwarze Null, kein Blick darauf, wie die Infrastruktur dieser Gesellschaft auf Verschleiß fährt. Das gilt übrigens auch für den Krankenhausbereich, in dem es einen Investitionsstau von über 50 Milliarden Euro gibt. Sie verlieren kein Wort darüber, in welche Taschen Sie greifen, um das Ziel der schwarzen Null zu erreichen. Sie betreiben – und das nicht nur im Gesundheitsbereich, aber dort sehr systematisch – eine Haushaltssanierung auf Kosten der Beitragszahlerinnen und -zahler. Ja, ich weiß: Sie haben den Bundeszuschuss zur GKV, den Sie in den letzten Jahren drastisch heruntergefahren haben, um den Haushalt zu sanieren, jetzt wieder auf 14 Milliarden Euro angehoben. Im Wahljahr 2017 wird er sogar auf 14,5 Milliarden Euro steigen. Sie feiern sich also dafür, dass Sie eine Kürzung zurückgenommen haben. Welch eine grandiose Leistung! (Beifall bei der LINKEN) Nun ist der Bundeszuschuss kein Almosen; er ist begründet. Er ist damit begründet, dass mit ihm gesamtgesellschaftliche Aufgaben der Gesundheitsversorgung finanziert werden sollen. Dazu zählt zum Beispiel die beitragsfreie Mitversicherung von nicht erwerbstätigen Ehegatten, Lebenspartnern, Kindern und Jugendlichen oder die Beitragsfreiheit während Mutterschutz und Elternzeit. Die Kassen rechnen da Kosten von fast 34 Milliarden Euro zusammen – mehr als das Doppelte von dem, was jetzt eingestellt wurde. Aber auch, wenn man die Rechnung der Kassen anzweifelt – was ich nicht tue –, ist festzuhalten: Schon im Jahre 2010 hielt man sogar 15,7 Milliarden Euro Bundeszuschuss für notwendig. Seitdem sind die allgemeinen Gesundheitsausgaben um mehr als 25 Prozent, also um mehr als ein Viertel, gestiegen. Also müsste der Bundeszuschuss ebenfalls um mindestens 25 Prozent ansteigen, also mindestens auf 17,5 Milliarden Euro im Jahr 2016 und auf 18 Milliarden Euro im Jahr 2017. Dass er das nicht tut, bedeutet zweierlei: Erstens. Die Festlegung des Bundeszuschusses ist willkürlich, an keine Regel gebunden, außer vielleicht, Herrn Schäuble zu erfreuen. Es wird dringend Zeit, dass man über eine Regelbindung des Bundeszuschusses nachdenkt und sie auf den Weg bringt. (Beifall bei der LINKEN) Zweitens bedeutet das, dass die genannten gesamtgesellschaftlichen Aufgaben zu einem übergroßen Teil von den Versicherten aus ihren Beitragsmitteln bezahlt werden, und das ist nicht in Ordnung. (Beifall bei der LINKEN) Damit aber nicht genug. Sie haben in gleich drei Gesetzen Ausgabenposten vorgesehen, die sachfremd aus Beitragsmitteln der Versicherten finanziert werden sollen, obwohl es sich zweifelsfrei um gesamtgesellschaftliche Aufgaben handelt. Das betrifft das Versorgungsstärkungsgesetz und dort den Innovationsfonds. Für innovative Versorgungsformen und begleitende Versorgungsforschung sollen 300 Millionen Euro bereitgestellt werden. Schön, dass es den gibt, eine gute Sache! Das kommt hoffentlich allen zugute und sollte daher auch von allen – also aus Steuermitteln – finanziert werden und nicht nur von den Beitragszahlern. (Beifall bei der LINKEN) Präventionsgesetz: Hier ist insbesondere die sachfremde Finanzierung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zu kritisieren. Ob deren Kampagnen nun gut sind oder nicht, darüber kann man streiten. Ganz sicher sind sie schon der Sache nach nicht auf die Versichertengemeinschaft zu reduzieren und folglich gesamtgesellschaftlich aus Steuermitteln zu finanzieren. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schließlich das Krankenhausstrukturgesetz: Auch über den Strukturfonds, der über den Gesundheitsfonds ebenfalls aus Beitragsmitteln finanziert wird, kann man unterschiedlicher Meinung sein. Er soll dazu dienen, Überkapazitäten im Krankenhaussektor durch Umwandlung in andere Einrichtungsformen abzubauen. Mit anderen Worten: Er soll dazu dienen, Krankenhäuser zu schließen, was ihm auch den despektierlichen Bei- oder Spitznamen „Abwrackprämie“ eingebracht hat. Interessant ist dabei, dass das Gesetz hier eine Kofinanzierung durch die Länder vorsieht; das – nur am Rande – tut unser Änderungsantrag zur Investitionsförderung im Krankenhausbereich auch, wird aber von der Mehrheit dieses Hauses – leider – immer abgelehnt. Es handelt sich aber um eine Art Investitionsförderung des Bundes für die Bundesländer, nur eben aus der Kasse der Beitragszahler. Da gehen 500 Millionen Euro raus, und das ist nicht in Ordnung. (Beifall bei der LINKEN) Rechnen wir zusammen, so stellen wir fest, dass sich das auf mehrere Milliarden Euro summiert. Nach der faktischen Abschaffung der paritätischen Finanzierung schauen die Arbeitgeber dem relativ gelassen zu; denn ihr Beitragsanteil ist auf 7,3 Prozent eingefroren. Zahlen muss die Zeche der Beitragszahler allein – mittels Zusatzbeiträgen, und die steigen bekanntlich von durchschnittlich 0,9 Prozent im Jahre 2015 auf 1,1 Prozent im nächsten Jahr. Das hört sich nicht so gewaltig an, wenn man es in Prozent ausdrückt, aber 0,9 Prozent Zusatzbeitrag bedeuten 11,8 Milliarden Euro und 1,1 Prozent rund 14,5 Milliarden Euro. Das ist schon eine ordentliche Summe, die den Beitragszahlern einfach zusätzlich aufgebürdet wird. Das wird 2017 nicht aufhören, sondern weitergehen. Das heizt gleichzeitig den Wettbewerb zwischen den Kassen an, der schon jetzt merkwürdige Blüten treibt. Das Ganze, liebe SPD – also der Griff in die Kassen und die Abschaffung der Parität –, geschieht mit Ihrer gefälligen Zustimmung. Erklären Sie das einmal Ihren Wählerinnen und Wählern! Oder umgekehrt: Es erklärt, warum Sie bei den Umfragen nicht aus dem 25-Prozent-Verließ herauskommen. (Beifall bei der LINKEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Wie viel Prozent hatten Sie noch mal?) Ich kann Ihnen nur raten: Bewegen Sie sich, bevor es zu spät ist – am besten durch die gemeinsame Einführung einer solidarischen Bürgerinnen- und Bürgerversicherung! (Beifall bei der LINKEN) Unsere Änderungsanträge sind gut und sind gegenfinanziert. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege Weinberg. Harald Weinberg (DIE LINKE): Letzter Satz: Sie werden leider wie jedes Jahr überwiegend ungelesen abgelehnt werden. Das ist aber nicht schlimm; denn sie sind ja nicht für Sie geschrieben, sondern damit die Menschen in diesem Land sehen, dass es eine Alternative gibt. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Wie viel hatten Sie noch mal bei der Wahl?) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Burkhard Blienert das Wort. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Burkhard Blienert (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Weinberg, ich glaube, wir sind an der Stelle wirklich programmatisch sauber. Wir haben in diesem Jahr die Kopfpauschale abgeschafft, wir haben ganz viele Sachen mit auf den Weg gebracht. Wir stehen für die Bürgerversicherung – das machen wir auch immer klar –; denn es gibt eine Zeit nach 2017. Wir sollten die Zeit bis 2017 nutzen, um gemeinsam gute Gesundheitspolitik zu machen. Dazu lade ich herzlich ein. (Beifall bei der SPD) Wir diskutieren heute den Einzelplan 15, das Budget des Bundesgesundheitsministeriums. Wie immer geht es nicht nur um die steuerfinanzierten Ausgaben, sondern auch um Gesundheitspolitik im Ganzen. In den letzten Wochen und Monaten haben wir hier im Bundestag eine Vielzahl von Verbesserungen für den Gesundheitsbereich beschlossen. (Beifall bei der SPD) Wir haben umfassende Verbesserungen im Bereich der Pflege, der Krankenhausstruktur, der Prävention und der Hospiz- und Palliativversorgung verabschiedet. Dies ist heute schon genannt worden. Wir haben das gemacht, weil es notwendig geworden ist, da sich seit Jahren das Gesundheitssystem strukturell und gesellschaftlich verändert hat. Jeder, der sich jemals mit Gesundheitspolitik befasst hat, weiß, dass Reformen im Gesundheitsbereich wahrlich nicht einfach sind. Es ist oftmals schwer, die vielschichtigen Interessenlagen zwischen Ärzten, Pflegenden und Patienten, Krankenkassen und Krankenhäusern und Bund und Ländern – um nur einige Akteure zu nennen – unter einen Hut zu bringen. Trotzdem konnten wir diese wichtigen Beschlüsse fassen. Zur Wahrheit bei allen Maßnahmen gehört natürlich auch – das verschweige ich nicht –: Sie lassen sich nicht immer durch Effizienzmaßnahmen durchsetzen, es ist nicht immer nur eine Frage der Effektivität. Es sind zusätzliche notwendige Leistungen in der Pflege, im Krankenhaus und für die ärztliche Versorgung, die bezahlt werden müssen. Das führt zu steigenden Kosten. Die Frage der Finanzierbarkeit hat immer eine hohe Priorität. Nicht alles Wünschenswerte ist finanzierbar. Die Große Koalition braucht diese Frage aber nicht zu fürchten. Wir haben die Kostenfrage immer offen kommuniziert und nur das Machbare beschlossen. Mit den angesprochenen Beschlüssen waren wir bereit, Milliarden an Beitragsmitteln in die Verbesserung und in die Qualität der medizinischen Versorgung zu investieren. Ich glaube, das ist gut angelegtes Geld. (Beifall bei der SPD) Aktuell geht es nun darum, den Bundeshaushalt 2016 zu beschließen und im Einzelplan 15 festzulegen, was zusätzlich steuerfinanziert werden soll. Gemessen an den Summen, die aus den Versicherungsbeiträgen finanziert werden müssen, ist das ein relativ kleiner Anteil am Gesundheitssystem. Aber auch hier gilt: Die zur Verfügung stehenden Mittel müssen sinnvoll und zielführend eingesetzt werden für mehr an Leistung und für mehr an Qualität. Ich bin dankbar, dass die guten Beratungen zum Haushaltsentwurf der Bundesregierung den Einzelplan besser gemacht haben. Es ist im Zuge der parlamentarischen Beratung gelungen, weitere Verbesserungen zu verankern. Insgesamt werden nun für den Bereich Gesundheit 14,6 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, 2,5 Milliarden Euro mehr als im Vorjahr. Das hat natürlich mit dem Gesundheitsfonds zu tun; das ist angesprochen worden. Der Zuschuss umfasst nun 14,066 Milliarden Euro, wenn ich mich recht erinnere. Allen Unkenrufen zum Trotz, die es auch gab, haben wir Wort gehalten und die Haushaltsmittel wie versprochen erhöht. Die darüber hinaus verfügbaren Mittel haben wir nach intensiven Beratungen in den Arbeitsgruppen, in den Fraktionen und im Dialog mit dem Ministerium zielführend auf die einzelnen Titelgruppen des Einzelplans verteilt. Es ist uns beispielsweise gelungen, Mittel für wichtige Projekte der Migration, der Kindergesundheit und der Drogenprävention zur Verfügung zu stellen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir geben daher die richtigen Antworten auf drängende Herausforderungen. Das Flüchtlingsthema – es ist schon angesprochen worden – bestimmt seit Monaten die öffentliche Debatte. Die Herausforderungen, die dadurch entstehen, dass Flüchtlinge nach Europa und insbesondere in unser Land kommen, beschäftigen die Menschen. Wir sind in der Verantwortung, die entsprechenden Antworten zu geben: den Menschen, aber auch den Ländern, den Kommunen, den Landräten und den Bürgermeistern – auch im Hinblick auf die Gesundheitsversorgung. Die Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen ist eine der zentralen Aufgaben. Wir müssen den Gesundheitsschutz von Flüchtlingen unkompliziert und umfassend gewährleisten. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb ist die Gesundheitskarte der richtige Weg, die Möglichkeit, diese einzuführen, die richtige Antwort. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben im Einzelplan 15 ergänzend zu den in anderen Einzelplänen verankerten Geldern auch Mittel für Migration etatisiert. 500 000 Euro – das klingt wenig – stehen zunächst zur Verfügung. Das ist ein gutes Zeichen. (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist zu wenig!) Aber auch im Bereich der Kindergesundheit geschieht im kommenden Jahr viel. Wir hatten in diesem Bereich bereits in den zurückliegenden Haushaltsjahren beachtliche Mittelzuwächse. Nun ist ein weiterer Mittelaufwuchs um 500 000 Euro im Einzelplan enthalten, der vielen Projekten helfen wird. Das Thema Übergewicht, Adipositas im Kinder- und Jugendalter ist angesprochen worden. Für diesen Bereich stehen fast 800 000 Euro zur Verfügung. Auch die Weiterentwicklung der medizinischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen wird gefördert. Seit 2014 haben sich die Mittel für den Bereich Kindergesundheit verfünffacht. Ich glaube, darauf kann man mit Stolz hinweisen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ein Bereich ist mir besonders wichtig. Das ist der Bereich „Drogen und Sucht“. Es ist gut, dass wir hier viele Schwerpunkte gesetzt haben. Insgesamt stehen im Einzelplan 15 für Aufklärungsmaßnahmen auf dem Gebiet des Drogen- und Suchtmittelmissbrauchs Ausgaben in Höhe von 8,7 Millionen. 4,3 Millionen Euro stehen für Modellprojekte zur Verfügung. Davon fließen in neue Projekte 1,9 Millionen Euro. Auch das ist positiv herauszustellen. Das betrifft zum Beispiel Projekte im Bereich Alkohol. Wir haben die neuen Zahlen erst vor wenigen Tagen zur Kenntnis genommen. Nach diesen Zahlen müssen weniger Jugendliche wegen eines Alkoholrausches im Krankenhaus behandelt werden. Dieser Rückgang ist positiv und erfreulich. Trotzdem dürfen wir an dieser Stelle nicht nachlassen. Dementsprechend haben wir die Mittel erhöht. Vor wenigen Tagen haben wir auch den Tabakatlas 2015 zur Kenntnis nehmen können. Auch in diesem Bereich sind erfolgreiche Projekte zur Minimierung der Nikotinabhängigkeit, aber auch zur Verringerung der Tabakrauchbelastung von Kindern wichtig. Neu wurden Projekte in diesem Bereich mit 157 000 Euro etatisiert. Das ist ein kleiner, aber wichtiger Betrag. In der letzten Woche haben wir in Uruguay feststellen können, dass wir uns in bestimmten Bereichen nicht verstecken müssen. Bei uns gibt es Defizite, aber auch positive Entwicklungen. Der Bereich „Cannabis als Medizin“ bedarf auch bei uns, wenn wir das durchgesetzt haben, der Evaluierung und der wissenschaftlichen Begleitung. Das ist eine Aufgabe, die wir im kommenden Haushalt unbedingt einplanen müssen. Darauf müssen wir einen Schwerpunkt legen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Für die Entwicklung von Präventionsangeboten im Bereich Amphetamine stehen jetzt 370 000 Euro im Haushalt. Auch das begrüße ich sehr. Ich freue mich sehr darüber. Zur E-Zigarette sind Forschungsaufträge vergeben worden. Insgesamt werden zurzeit drei Projekte finanziert. Das ist etwas, was ich ebenfalls ausdrücklich unterstütze. Auch im Bereich HIV/Aids gibt es weitere Mittel. Rund 1,6 Millionen Euro stehen für Forschungs- und Entwicklungsvorhaben zur Verfügung. Diese Fortentwicklung ist uns wichtig. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Mit diesem Haushalt wird die Gesundheitsversorgung aller – ich betone: aller – in Deutschland lebenden Menschen gesichert, ohne die Sozialsysteme und den Staatshaushalt in unverantwortlicher Weise zu belasten. Das ist eine gute Entwicklung. Ich bitte um Zustimmung zu diesem Einzelplan. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke. – Nächste Rednerin ist Maria Klein-Schmeink, Bündnis 90/Die Grünen. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister! Bevor wir in eine allgemeinpolitische Debatte eintreten, will ich auf meine Vorredner und Vorrednerinnen eingehen, die sich zur Problematik der Versorgung von Flüchtlingen geäußert haben. Zu Recht ist vorhin gesagt worden: Das ist eine zutiefst menschliche, humanitäre und existenzielle Aufgabe. Ich glaube, wir sollten uns alle zusammen noch einmal genau anschauen, wie die Situation aussieht. Ich meine, es besteht extremer Handlungsbedarf, und dem muss man sich stellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie der Abg. Petra Hinz [Essen] [SPD]) Ich will Ihnen das an ein paar Beispielen deutlich machen. Erstens. Wir diskutieren im Moment viel über die Gesundheitskarte. Wir werden weiterhin ein großes Problem haben, wenn die Definition der eingeschränkten Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge im Asylbewerberleistungsgesetz so, wie sie dort steht, bestehen bleibt. Das würde auch in Zukunft Probleme aufwerfen. Dies müssen Sie, insbesondere Sie von der Union, endlich überdenken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) Zweitens. Wir haben die EU-Schutzrichtlinie noch immer nicht umgesetzt. Auch das hat große Bedeutung für den Bereich der gesundheitlichen Versorgung. Ich spreche Sie ganz konkret an, Minister Gröhe. Es wird ganz dringend notwendig sein, gerade die besonders Schutzbedürftigen im gesundheitlichen Bereich in besonderer Weise in Augenschein zu nehmen und Regelungen zu treffen, die sicherstellen, dass es eine adäquate Versorgung geben wird. Auch da haben wir bisher Probleme. Drittens. Beim neuen Paket zum Asylrecht sehe ich erhebliche Einschränkungen gerade für den Personenkreis von psychisch Erkrankten, von denjenigen, die Traumata erlitten haben. Da wollen Sie die Abschiebehindernisse aufheben. Sie wollen neue Regelungen schaffen, die dazu führen, dass gerade dieser so besonders bedrängte Personenkreis tatsächlich abgeschoben werden kann. Gleichzeitig sollen psychische Erkrankungen nicht als Abschiebehindernis anerkannt werden. Ich finde, das ist ein Unding. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir haben in den Haushaltsberatungen eine kleine Summe in Höhe von 50 Millionen Euro gefordert, mit der wir neue modellhafte Versorgungsformen, übergreifende Versorgungsformen für genau diesen Personenkreis möglich machen und die Arbeit der psychosozialen Zentren absichern wollten. Es war hier in diesem Haus nicht möglich, dies zu verabschieden. Auch das ist, finde ich, ein großes Dilemma. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kommen wir zu den anderen Punkten. In der Tat geht es bei einer Haushaltsdebatte im Gesundheitsbereich eigentlich um nur einen ganz kleinen Teil der Kosten und Ausgaben, die wir im Gesundheitsbereich haben. Das Wesentliche wird über die GKV ausgegeben. Mit 220 Milliarden Euro werden wir 2016 einen Rekordstand bei den Ausgaben haben. Da müssen wir uns natürlich fragen: Sind wir mit all dem, was wir ausgeben, wirklich so aufgestellt, dass wir auch für die Zukunft eine gute Versorgung für alle Patientenkreise zur Verfügung stellen können? Ich meine, da sind große Fragezeichen angebracht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Minister, ich habe durchaus Lob für Ihre handwerklich gute Arbeit. Sie haben hier fünf Gesetze stramm durchgezogen. Aber wir müssen uns fragen: Ist stramm auch gleichzeitig gut? Ist wirklich das angepackt worden, was angesichts des großen Reformstaus im Gesundheitswesen anzupacken ist? Auch da muss ich sagen: Wir sind nur bis zur halben Strecke gekommen. Die großen Themen sind auf die nächste Wahlperiode vertagt. Das ist nicht in Ordnung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Tino Sorge [CDU/CSU]: Wer sagt das? Nennen Sie doch mal ein paar Beispiele!) Ich will Ihnen das an ein paar Themen deutlich machen. Erstens. Im Krankenhausbereich haben wir eine große Lücke im Bereich der Investitionsförderung. Da haben Sie trotz des großen Verfahrens mit Bund und Ländern keine Lösung gefunden. (Widerspruch bei der CDU/CSU) Wir haben Ihnen eine hälftige Finanzierung vorgeschlagen. Zweitens. Wir haben ein großes Problem bei der Personalbemessung im stationären Bereich. Da haben Sie zwar ein Gutachten in Auftrag gegeben, (Tino Sorge [CDU/CSU]: Sagen Sie mal was zum Pflegeprogramm!) aber auch da ist die Lösung auf die nächste Wahlperiode vertagt worden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Drittes Thema: Personalbemessung in der Pflege. Auch da soll es ein Gutachten geben. Auch das wurde auf die nächste Wahlperiode vertagt. Ich sage Ihnen eines: Genau dies können wir uns nicht weiter erlauben. Denn das sendet ein ganz schwieriges Signal an all diejenigen, die schon heute am Rande ihrer Kräfte in diesen Bereichen arbeiten. Sie erhalten nämlich gerade nicht das richtige Argument, nicht die richtige Bestätigung für ihre Arbeit, und sie wissen: An ihren Arbeitsbedingungen sowohl im Krankenhaus als auch in der Altenpflege wird sich nichts Entscheidendes verändern. Diese Reformen wurden wieder auf die nächste Wahlperiode vertagt, ausgerechnet in einer Zeit, in der wir genau wissen, dass wir vielleicht nicht mehr mit einer guten Konjunktur rechnen können, sondern diese wesentlichen Schritte eventuell unter anderen finanziellen Vorzeichen gehen müssen. Ich sage Ihnen: Das können wir uns nicht erlauben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kommen wir zu dem gesamten Bereich der Einnahmensituation. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Das müsste aber kurz gehen, Frau Kollegin Klein-Schmeink. (Heiterkeit) Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bisher, Herr Minister, sind Sie Ausgabenkönig, aber Sie haben nicht für eine nachhaltige Finanzierung gesorgt. All die zusätzlichen Ausgaben in diesem Bereich, die es jetzt gibt – 5,4 Milliarden Euro allein bis 2017 –, werden nur durch die Zusatzbeiträge der Versicherten finanziert. Das ist zutiefst ungerecht. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist falsch!) Das ist eine einseitige Belastung. Hier brauchen wir dringend ein Umdenken. Wir brauchen wieder die paritätische Finanzierung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Da, meine Damen und Herren von der SPD, sind Sie zutiefst in der Schuld. Hier müssen wir umdenken. (Beifall der Abg. Pia Zimmermann [DIE LINKE]) Als Ausblick auf die Zukunft muss ich sagen: Wir brauchen eine Bürgerversicherung. Aber im ersten Schritt geht es nun um die Abschaffung der Zusatzbeiträge auf dem Weg hin zu einer paritätischen Finanzierung. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Michael Hennrich, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Michael Hennrich (CDU/CSU): Liebe Frau Kollegin Klein-Schmeink, als ich eben auf meinem Platz saß, hatte ich Sie im Blick; jetzt habe ich Frau Präsidentin Ulla Schmidt hinter mir. Das erinnert mich an rot-grüne Zeiten, in denen wir von Defiziten in Höhe von 5 Milliarden Euro gesprochen und über Spargesetze diskutiert haben. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ja! Das waren aber auch ganz andere konjunkturelle Zeiten!) Deswegen will ich ausdrücklich betonen, was wir in dieser Legislaturperiode geleistet haben. Wir haben verschiedene Dinge in Angriff genommen: Wir haben die Krankenhäuser auf eine solide finanzielle Basis gestellt. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, eben nicht!) Wir haben das Thema Pflege, das uns über Jahre auf den Nägeln gebrannt hat, in den Griff bekommen und für Leistungsverbesserungen gesorgt. Da Sie die Investitionskostenfinanzierung der Krankenhäuser angesprochen haben, sage ich Ihnen: Sie sollten vor der eigenen Türe kehren und sich einmal anschauen, wie es in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen um dieses Thema bestellt ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren, von den rund 15 Milliarden Euro, die im Einzelplan 15, im Gesundheitshaushalt, enthalten sind, geben wir 14,5 Milliarden Euro als Bundeszuschuss an die gesetzliche Krankenversicherung, und 500 Millionen Euro stehen für allgemeine Aufgaben zur Verfügung. Deswegen stehen in meinem Fokus die Fragen: Gehen wir mit diesen Steuermitteln sorgfältig um? Sind sie klug und vernünftig investiert? Ein guter Freund von mir hat mich vor der Sommerpause gefragt: Was würdest du machen, wenn es das Thema Flüchtlinge nicht gäbe? – Da habe ich kurz aufgezählt, was wir in den letzten Wochen und Monaten auf den Weg gebracht haben: Krankenhausstrukturgesetz, E-Health-Gesetz, Pflegestärkungsgesetz II, Palliativ- und Hospizgesetz, Pflegeberufegesetz; hinzu kommt das Gesetz zum Thema Sterbehilfe. Bis auf das Gesetz zur Sterbehilfe sind das alles Gesetze, die Leistungsverbesserungen beinhalten, die dafür sorgen, dass wir mehr Geld ins System bringen, Strukturveränderungen finanzieren und mehr Effizienz und Qualität bekommen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage auch ganz offen: Ich habe in den letzten Monaten und Jahren erleben können, was es bedeutet, dass wir eine gute wirtschaftliche Entwicklung in unserem Land haben, dass Arbeitnehmer und Unternehmen mit ihren Beiträgen dafür sorgen, dass die gesetzliche Krankenversicherung solide finanziert ist. Wir sollten bei allen Diskussionen über eine paritätische Finanzierung im Blick haben, dass hier Großartiges geleistet wird: von den Arbeitnehmern, aber auch von den Unternehmen, vom Mittelstand, von den Handwerkern und von den Freiberuflern. Deswegen an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön! (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn es um die Frage geht: „Gehen wir mit den Finanzmitteln sorgfältig um?“, dann muss ich sagen, dass es schon das eine oder andere Mal Bauchgrimmen gab, etwa beim Präventionsgesetz oder als es um die Frage ging: Wie viel Geld stellen wir den Krankenhäusern zur Verfügung? Ich will diesen Aspekt am Beispiel des Präventionsgesetzes deutlich machen, weil das Thema Prävention auch im Haushalt ein Schwerpunkt ist. Wenn wir sagen: „Wir wollen unser Gesundheitssystem zukunftsfest machen“, dann ist es, glaube ich, schon wichtig, dass wir auch das Thema Prävention aufgreifen. Natürlich bedeutet Prävention für jeden Einzelnen in erster Linie ein Stück Selbstverantwortung. Aber ich glaube, es ist gut und richtig, dass wir uns darum kümmern und gezielt Schwerpunkte setzen. Ich bin Ihnen dankbar, Herr Minister Gröhe, dass Sie insbesondere im Bereich Diabetes einiges auf den Weg gebracht haben und zusätzlich 1,6 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Ich möchte mich an dieser Stelle auch bei dem Kollegen Monstadt ausdrücklich bedanken, der einen Schwerpunkt seiner Arbeit in diesem Bereich hat. Beim Thema Prävention geht es auch um die Frage: Wie können wir Volkskrankheiten vermeiden? Überlegen wir einmal: Im Bereich Diabetes geben wir pro Jahr circa 40 Milliarden Euro aus. Deswegen ist das hier investierte Geld gut angelegt. Aber wenn wir über Diabetesprävention sprechen, dann geht es nicht nur um die Prävention, sondern es geht auch um Grundlagen und um die Fragen: Haben wir ausreichend Informationen? Wie ist es um die Versorgung der Patientinnen und Patienten bestellt? Wie sieht Diabetes im Krankenhausalltag aus? Wie sieht Diabetes mit Blick auf die Bewertung und das AMNOG aus? All das sind Fragen zur Versorgung, die das Ministerium gezielt aufgreift, weil es diesen Bereich als Schwerpunkt ansieht. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich möchte ein Gesetz aufgreifen, das nicht unmittelbar oder relativ wenig Geld kostet: das E-Health-Gesetz. Ich sage Ihnen ganz offen: Das ist für mich der Bereich, bei dem ich in dieser Legislaturperiode die meisten Erwartungen habe, weil das E-Health-Gesetz dazu beitragen kann, dass wir Effizienzreserven heben, dass wir mehr Qualität ins System bekommen (Hilde Mattheis [SPD]: Und es kostet nichts!) und es relativ preisgünstig, Frau Mattheis, zu haben ist. Im Zusammenhang mit E-Health werden wir uns mit weiteren Fragen auseinandersetzen müssen, die ich hier kurz skizzieren will. Wie gehen wir mit Daten um? Zu welchen Zwecken nutzen wir sie? Wie können wir das zum Beispiel mit dem Thema Versorgungsforschung kombinieren? Auch dazu haben wir in diesem Haushalt einen Schwerpunkt gesetzt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben die ersten zwei Jahre relativ viel Geld in die Hand genommen, um Strukturen zu verändern und zu verbessern. Es wird jetzt unsere Aufgabe sein, im zweiten Teil der Legislaturperiode zu schauen, dass wir den Ausgabenanstieg dämpfen. Ich als Arzneimittelpolitiker sehe das mit einem gewissen Grausen und einem gewissen Schrecken. In der letzten Legislaturperiode haben wir im Bereich Arzneimittel 20 Milliarden Euro an Einsparungen erzielt. Ich wäre schon ganz zufrieden und glücklich, wenn wir dazu ein ausgewogenes Konzept hätten. Gerade in diesem Bereich gibt es zahlreiche Maßnahmen, die kein Geld kosten und die für Strukturveränderungen und Strukturverbesserungen sorgen. Ich möchte zum Schluss zwei Themen aufgreifen, die wir im Blick haben sollten und die uns in den nächsten Wochen und Monaten sicherlich beschäftigen werden. Sie, Frau Klein-Schmeink, haben zu Recht das Thema der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen angesprochen (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist damit?) und den eingeschränkten Leistungskatalog kritisiert. Ich sage Ihnen: Ich habe die Debatten und Diskussionen in den Jahren 2002 bis 2007 erlebt, als es um die Frage ging: Werden Flüchtlinge oder Asylbewerber besser gestellt als gesetzlich Versicherte? Wir haben die bisherigen Regelungen entsprechend korrigiert. Es ist richtig: Das Asylbewerberleistungsgesetz enthält einen eingeschränkten Leistungskatalog für die medizinische Versorgung. Aber ich will Ihnen auch sagen, was „eingeschränkter Leistungskatalog“ ganz konkret bedeutet. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau!) Wenn ein Asylbewerber mit einer Krebserkrankung nach Deutschland kommt, erhält er eine ausreichende Versorgung. Das kann in konkreten Zahlen teilweise 100 000 Euro pro Patient bedeuten. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Steuerfinanziert!) Auch da sind wir in der Verantwortung – die Kollegin Michalk hat zu Recht das Stichwort eingeworfen –: Dieses Geld ist steuerfinanziert. Wir müssen kluge Konzepte entwickeln, wie wir diese Ausgabendynamik vielleicht in den Griff bekommen; denn am Ende tragen die Länder und Kommunen diese Kosten. Ich sage ganz offen: Ich habe in Richtung Pharmaindustrie den einfachen Vorschlag, dass wir die Preise bezahlen, die in den Ländern gelten, aus denen die Flüchtlinge kommen. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist die Alternative? Nicht behandeln?) Aber dafür müssen wir ein Lösungskonzept finden. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist die Alternative, nicht zu behandeln? Das kann nicht sein!) – Nein, wir übernehmen die Kosten. Das halte ich auch für absolut richtig. Trotzdem müssen wir die damit verbundenen Finanzierungsfragen angehen. (Beifall bei der CDU/CSU – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was bedeutet das? Sollen die sterben oder was? Absolut herzlos!) Letztes Thema – Herr Minister, da bitte ich Sie um Unterstützung –: die Nationale Kohorte. Dabei geht es um Gesundheitsforschung, die ja auch ein Schwerpunkt Ihrer Arbeit ist. Wir haben schon viel über Prävention und Kinder gesprochen. Zurzeit wird in Deutschland eine große Gesundheitsstudie durchgeführt, die auf einige Jahre angelegt ist. Sie umfasst rund 200 000 Menschen. Es geht dabei darum, bei großen Volkskrankheiten – Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Adipositas – neue Erkenntnisse für Prävention, Diagnostik und Therapie zu gewinnen. Diese Studie hat ein kleines Manko. Sie umfasst nämlich keine Kinder. Sie gilt für Leute ab 18 Jahren. Wenn wir aber über vermeidbare Volkskrankheiten sprechen und beim Thema „Prävention für Kinder“ ebenfalls ansetzen wollen, wäre es meines Erachtens richtig und gut, die Kinder mit in die Studie einzubauen. Vollkommen klar ist, dass das auf Freiwilligkeit basieren muss. Es darf nicht mit massiven Eingriffen bei Kindern verbunden sein. Ich wäre Ihnen aber dankbar, wenn Sie sich noch einmal um dieses Thema kümmern würden. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und bitte um Zustimmung zum Haushalt. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Edgar Franke, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Edgar Franke (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine SPD-Kollegen haben in dieser Debatte den Gesundheitsetat bereits zu Recht gelobt. Prävention, gesundheitliche Aufklärung und Forschung haben in ihm Priorität, und ich denke, das ist gut so. Ich möchte zum Schluss der Debatte aber eine Bewertung nicht nur der Zahlen, sondern auch der Gesundheitspolitik vornehmen, weil es ja so ist, dass das meiste Geld, wie wir alle wissen, über die GKV läuft. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben im letzten Jahr, glaube ich, in der Gesundheitspolitik wirklich viel erreicht. Wir haben vieles erfolgreich umgesetzt, was im Koalitionsvertrag steht – fünf stramme Gesetze, hat, glaube ich, Frau Klein-Schmeink gesagt –, so – das sind nur Stichworte – das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz, das Präventionsgesetz, Regeln für den Palliativ- und Hospizbereich, die beiden Pflegestärkungsgesetze und das Krankenhausstrukturgesetz. Dies führt – das muss man der Opposition auch einmal sagen – zu einer Verbesserung der Versorgung der Menschen. (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben einen engagierten Gesundheitsminister, dem ich auch für die sehr gute Zusammenarbeit danken möchte. Sie sind ja heute schon – auch von der Opposition – gelobt worden. Der rote Faden aber, dem die gesamte Gesundheitspolitik in den letzten Jahren gefolgt ist, ist – das muss man auch einmal sagen – ein roter Faden sozialdemokratischer Gesundheitspolitik. (Beifall bei der SPD) Herr Minister, Sie haben ja auch einen roten Schlips an. Insofern passt das auch. Wir sind – Sie wissen das – die Probleme der flächendeckenden ärztlichen Versorgung auf dem Lande angegangen, nachdem das Versorgungsstrukturgesetz von Schwarz-Gelb in den letzten Jahren weitgehend wirkungslos geblieben ist. Wir haben die Versorgung in strukturschwachen Gebieten verbessert. Wir werden zulassen, dass Medizinische Versorgungszentren künftig auch durch Kommunen gegründet werden können. Zum Januar des nächsten Jahres werden wir Terminservicestellen einführen. Dann hat jeder gesetzlich Versicherte innerhalb von vier Wochen Anspruch auf einen Facharzttermin. Auch darauf haben viele gesetzlich Versicherte gewartet, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir haben klar gemacht, dass es versorgungspolitisch nicht vernünftig ist, Überversorgung in einer Region fortzuschreiben. Über- und Unterversorgung müssen ausgeglichen werden. Die Anzahl der geförderten Weiterbildungsstellen für Allgemeinmediziner wurde um 50 Prozent erhöht. Wir haben die Hausärzte nachhaltig finanziell gestärkt. Schließlich haben wir mengenanfällige Eingriffe in Krankenhäusern insofern eingedämmt, als wir den Anspruch auf eine ärztliche Zweitmeinung jetzt rechtlich verbindlich gemacht haben. Auch das ist ein großer Fortschritt sozialdemokratischer Gesundheitspolitik. (Beifall bei der SPD) Das Thema Pflege haben wir in diesem Haus – auch im Fachausschuss – in seinen verschiedenen Ebenen diskutiert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben eine Strukturreform durchgeführt. Auch darauf haben wir – ich schaue gerade Hilde Mattheis an – lange gewartet. Ich meine natürlich, dass Sie sich politisch und nicht direkt persönlich für die Pflege eingesetzt haben, liebe Frau Mattheis. Wir werden 5 Milliarden Euro pro Jahr für Verbesserungen in der Pflege ausgeben. Das ist eine grundlegende Leistungsverbesserung in der häuslichen und stationären Altenpflege. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, dass alle Menschen gerne in Würde alt werden möchten. Alle wollen in ihrer häuslichen Umgebung bleiben. Ich habe in meiner Heimatstadt lange Jahre eine kommunale mobile Pflegestation unterstützt, die es älteren Pflegebedürftigen ermöglicht, im Regelfall zu Hause gepflegt zu werden. Ich glaube, das muss unser Ziel sein. Menschen müssen in ihrer gewohnten Umgebung bleiben können. Das ist zukunftsorientierte Pflege. Das ist bessere Pflege, und den Menschen geht es damit besser. Es ist auch in der Regel günstiger, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD) Ein roter – Faden, um das Bild noch einmal aufzunehmen – unserer Politik ist auch die Verbesserung der Arbeitsbedingungen des Personals. Wir haben – das sage ich ausdrücklich in Richtung Linke – den Personalschlüssel und die Bezahlung der Mitarbeiter in Alten- und Pflegeheimen verbessert. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Personalschlüssel gerade nicht!) Allein die Zahl der Betreuungskräfte steigt um 20 000. Wir haben erreicht – das möchte ich ausdrücklich in Richtung Grüne betonen –, dass eine tarifliche Bezahlung der Mitarbeiter in Alten- und Pflegeheimen von den Kassen nicht mehr als unwirtschaftlich abgelehnt wird. Auch das ist eine eindeutige Verbesserung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir alle, die Union und auch wir Sozialdemokraten, wissen: Gute Arbeit in der Pflege hat auch gute Bezahlung verdient. Das erhöht auch die Attraktivität des Berufs. Schließlich bekommen wir auch inhaltlich eine grundlegende Verbesserung, nämlich einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff und ein neues Begutachtungsverfahren, das den Menschen ganzheitlich betrachtet. Nicht „satt und sauber“ ist der Maßstab, sondern die individuellen Bedürfnisse der Menschen sind es. Dafür haben viele in der Pflegepolitik jahrelang gekämpft, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das ist aber nur Teil eins des Problems! Teil zwei fehlt!) – Es kommt noch etwas, Frau Klein-Schmeink: Menschen, die in eine höhere Pflegestufe kommen, müssen nicht automatisch mehr Geld bezahlen. Früher hatte jeder, der hochgestuft wurde, Angst, dass er mehr Geld bezahlen muss. Es gibt keine unterschiedlichen Eigenanteile mehr für Pflegebedürftige. Niemand muss mehr Angst haben. Auch das ist, glaube ich, eine vernünftige Regelung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das Krankenhausstrukturgesetz, das wir hier auch kontrovers diskutieren, sorgt ebenfalls für mehr Pflegekräfte und für mehr Qualität in der Krankenhausversorgung. Es wird Qualitätsanreize in Form von Zuschlägen geben. Wir strukturieren das Krankenhaussystem neu, und wir geben auch nicht, wie immer wieder behauptet wird, weniger Geld, sondern mehr Geld aus, nämlich insgesamt 5 Milliarden Euro pro Jahr. Das ist eine ordentliche Summe. Wir wollen – das finde ich ausdrücklich richtig – das Geld nicht mit der Gießkanne verteilen, sondern wir wollen die Vergütung an die Qualität der Leistung knüpfen. Das ist der richtige Weg. Weil gerade die Personalausstattung angesprochen wurde: Was bringt das Krankenhausstrukturgesetz? Wir werden nicht nur durch das Pflegestellenförderprogramm 6 000 bis 7 000 zusätzliche Pflegestellen bekommen und die Personalbemessung im Detail regeln, sondern wir bekommen nach Auslaufen dieses Programms auch die Einschätzung einer Expertenkommission zu der Frage, wie Personalbemessung richtigerweise geregelt und vielleicht auch in den DRGs oder durch Zusatzentgelte normiert werden kann. Auch das ist ein großer Fortschritt. Des Weiteren werden, wenn Tarifabschlüsse die Obergrenze von Preiszuwächsen überschreiten, jenseits des Orientierungswerts die Kosten automatisch hälftig refinanziert. Auch das ist ein großer Fortschritt. Schließlich und endlich haben wir den Versorgungszuschlag nicht abgeschafft, sondern wir haben ihn in einen Pflegezuschlag umgewandelt. Das heißt, die Höhe der Personalkosten ist maßgebend für die Höhe des Zuschlags im einzelnen Krankenhaus. Das stützt vor allen Dingen die kommunalen Häuser, also die Häuser in öffentlicher Hand. Das ist der richtige Weg in der Krankenhauspolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir stärken also die Pflege, und wir haben neben den drei großen Projekten viel erreicht. Es gibt auch eine ganze Reihe weiterer Vorhaben. Wir diskutieren ein neues Pflegeberufegesetz, und wir wollen mit einer generalistischen Pflegeausbildung das Bild der Pflege aufwerten. Wir wollen die Kostenfreiheit der Ausbildung sichern. Herr Hennrich hat das E-Health-Gesetz angesprochen. Wir wollen einheitliche und sichere Datenautobahnen zur Übermittlung medizinischer Daten, um auch damit die Qualität der Versorgung zu verbessern. Wir werden im nächsten Jahr – darüber freue ich mich besonders – ein Antikorruptionsgesetz verabschieden, damit das Vertrauen in die Integrität heilberuflicher Entscheidungen nachhaltig gestärkt wird; denn es kann nicht sein, dass jemand Zweifel daran haben muss, dass nicht allein medizinische, sondern auch monetäre Gründe für eine Therapieentscheidung maßgebend sind. Auch hier geben wir Sicherheit und Klarheit in vielen rechtlichen Regelungen. Zum Thema Flüchtlinge. Ich glaube, wir sind uns alle darüber im Klaren – Herr Weinberg hat das zu Recht gesagt –, dass das Recht auf Gesundheitsversorgung ein Menschenrecht ist. Wir müssen eine ausreichende Gesundheitsversorgung der Flüchtlinge sicherstellen. Ich bin mir aber sicher, dass diese Regierung auch das realisieren wird. Noch ein Wort zur Finanzierung, weil wir viele Reformen auf den Weg gebracht haben, auch solche, die nicht gerade billig sind. Die beschlossenen Verbesserungen kosten mehr Geld. Die Krankenkassen haben bereits Zusatzbeiträge angekündigt. Wir von der SPD waren und sind immer für die paritätische Finanzierung. Nach meiner Auffassung dürfen die Arbeitgeberbeiträge nicht eingefroren werden. Vielmehr müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer jeweils zur Hälfte alle Kosten im Krankenversicherungsbereich übernehmen. (Beifall bei der SPD) Wie Sie sehen, gibt es einen roten Faden der Gesundheitspolitik, gerade der sozialdemokratischen Gesundheitspolitik. Es gibt einen roten Faden im Gesundheitshaushalt. Der rote Faden in unserer Politik ist die Sicht der Versicherten. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Dietrich Monstadt von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dietrich Monstadt (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen! Meine Herren! Im Verlauf der heutigen Debatte über den Einzelplan 15 – Gesundheit – ist eines klar herausgestellt worden, wie ich finde: Das deutsche Gesundheitssystem ist eines der leistungsstärksten im internationalen Vergleich. Darauf können wir alle stolz sein. Die unionsgeführte Gesundheitspolitik ist von ihrem Selbstverständnis her – Herr Kollege Dr. Franke, Sie erlauben die Bemerkung, dass Sie das vielleicht noch nicht ganz verinnerlicht haben; da sollten Sie nacharbeiten – immer darauf ausgerichtet, Probleme anzugehen und langfristige Entwicklungen möglichst positiv zu beeinflussen. Dies kann man an den zahlreichen Gesetzgebungsvorhaben erkennen, die wir vor allem in den vergangenen zwei Jahren verabschiedet haben. Dabei standen jederzeit die Patientinnen und Patienten im Mittelpunkt unserer Gesundheitspolitik. (Beifall bei der CDU/CSU) Mit dem Fokus auf noch mehr Qualität und Transparenz in der medizinischen Versorgung wollen wir, dass dies auch künftig so bleibt. Mein Dank geht an dieser Stelle an den Minister, das Ministerium sowie die Kolleginnen und Kollegen im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages dafür, dass wir es in kürzester Zeit geschafft haben, die Vorhaben des Koalitionsvertrages so umzusetzen, wie wir es vereinbart haben: fachlich fundiert, strukturell auf die Zukunft gerichtet, nachhaltig im Sinne der Generationengerechtigkeit mit Blick auf unsere Kinder und Enkelkinder. Das ist genau der richtige Weg. (Beifall bei der CDU/CSU) Eine nachhaltige Leistungsfähigkeit ist immer auch an eine nachhaltige Finanzierung gekoppelt. Reserven von circa 24 Milliarden Euro sind ein klares Zeichen dafür, dass die Union mit ihren Partnern über Jahre hinweg mit Augenmaß die richtigen Entscheidungen getroffen hat. Das dritte Jahr in Folge steht die schwarze Null im Bundeshaushalt. Ja, Herr Kollege Weinberg, das ist keine Selbstverständlichkeit, sondern eine starke parlamentarische Leistung in Zusammenarbeit mit der unionsgeführten Bundesregierung. Ein herzlicher Dank an dieser Stelle allen Haushältern. Unsere Gesellschaft wird immer älter. Dadurch werden die Ausgaben für die Gesundheitsversorgung langfristig steigen. Eine starke Wirtschaft und eine positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt bilden die Basis unseres solidarischen Gesundheitswesens. Deshalb war es die richtige Entscheidung, mit dem GKV-Finanzstruktur- und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetz den Arbeitgeberanteil auf 7,3 Prozent festzuschreiben. Wir, die Union, wollen – da unterscheiden wir uns auch, Herr Dr. Franke – mit unserem Gesetzgebungsvorhaben auch Arbeit und Wachstum weiter fördern, neue Arbeitsplätze schaffen und vor allem alte sichern. 31 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte stellen unser leistungsstarkes, solidarisches Gesundheitswesen auf eine solide Basis. Daher ist es auch als Gesundheitspolitiker unsere Pflicht, einen Beitrag für mehr Arbeitsplätze und Wachstum zu leisten. Die Rückführung dieser Regelung, wie sie seit Monaten auch von Ihnen angedeutet und gefordert wird, könnte dies gefährden. Sehr geehrter Herr Minister, deshalb war und bleibt es die richtige Entscheidung, den Arbeitgeberanteil festzuschreiben. (Beifall bei der CDU/CSU) Für mich als Berichterstatter der Union für die beiden großen Volkserkrankungen Diabetes und Adipositas haben unsere gesundheitspolitischen Vorhaben eine ganz besondere Bedeutung. Wir wissen heute, dass mindestens 50 Prozent der Betroffenen ohne Gabe von Medikamenten geholfen werden kann. Eine gesündere Ernährung, mehr Bewegung, ein gezieltes Muskeltraining reichen dafür oftmals aus. Es klingt so einfach, die Realität ist leider anders. Wir leben in einer Gesellschaft des längeren Lebens, die gekennzeichnet ist durch einen Wandel der Lebensstile: Fahrstuhl statt Treppe, Auto statt Laufen, Computerspiele statt Fußball, Fastfood statt gesunder Ernährung. Hierzu kommen die Verlockungen der Werbe- und Lebensmittelindustrie. All dies führt dazu, dass – aktuell haben wir fast 10 Millionen Diabeteserkrankungen unter Einbeziehung einer nicht quantifizierbaren Dunkelziffer – die Zahl der Betroffenen im Jahr 2025 auf rund 20 Millionen ansteigen wird. Das sind 25 Prozent der gesamten Bevölkerung. Darüber sollten wir uns alle Gedanken machen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Auch im Bereich der Adipositas sind die Zahlen erschreckend. Der Anteil der stark übergewichtigen Menschen in Deutschland hat sich zwischen 1999 und 2009 fast verdoppelt. Insgesamt ist fast ein Viertel der deutschen Bevölkerung adipös, mit steigender Tendenz. Im September konnte man der Presse entnehmen, dass die jüngste Typ-2-Diabetikerin in den USA, drei Jahre alt, 35 Kilogramm schwer war. Das Normalgewicht in diesem Alter sind 14 bis 15 Kilogramm. Das Mädchen war also 20 Kilogramm zu schwer. Warum betone ich das so? Früher sprach man von Altersdiabetes. Heute sind immer mehr Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene davon betroffen. Wir alle, die wir politisch in der Verantwortung stehen, müssen alles dafür tun, dass diese angesprochene Entwicklung in Deutschland nicht weiter fortschreitet. Den ersten Schritt haben wir getan, indem wir das Präventionsgesetz in diesem Jahr verabschiedet haben, das am 1. Januar 2016 in Kraft treten wird. An dieser Stelle herzlichen Dank, Herr Minister, dass unter Ihrer Führung endlich Prävention und Gesundheitsförderung in den Vordergrund der Gesundheitsversorgung gerückt sind. Mit den zusätzlichen Beiträgen aus der Pflegekasse und der privaten Krankenversicherung stehen damit insgesamt nahezu 550 Millionen Euro für Präventionsaufgaben zur Verfügung. Das ist ein starkes Signal für die weitere Verbesserung der Gesundheitsversorgung in Deutschland. Prävention und Früherkennung sind wichtige Säulen der Diabetesbekämpfung. Mit einem krankheitsübergreifenden Ansatz sollen lebensstilbedingte chronische Erkrankungen vermindert oder zumindest in ihrem Verlauf positiv beeinflusst werden. Diabetes-mellitus-Typ-2-Erkrankungsrisiko senken, Erkrankte früh erkennen und behandeln – das hat als primäres nationales Gesundheitsziel im Gesetz Niederschlag gefunden. Als betroffener insulinpflichtiger Typ-2-Diabetiker freue ich mich hierüber ganz besonders. (Beifall bei der CDU/CSU) Bereits im Sommer 2014 hat der Bundesrat dem Bundestag empfohlen, einen nationalen Diabetesplan zu verabschieden. Federführend waren hier die norddeutschen Bundesländer. Auch wir, die Union, haben einen Antrag mit der Forderung nach einer nationalen Diabetesstrategie auf den Weg gebracht. Ich darf an dieser Stelle den herzlichen Dank an meinen Kollegen Michael Hennrich zurückgeben, der maßgeblich die Erstellung der Strategie unterstützt hat. Für die Umsetzung dieser Strategie sind erstmalig im Bundeshaushalt 2016 zusätzliche Mittel in Höhe von 3 Millionen Euro vorgesehen – der Herr Minister hat darauf hingewiesen –, unter anderem für den Ausbau des Gesundheitsmonitorings beim RKI für eine bessere Datenlage, die Bekanntmachung und Weiterentwicklung der GMPs und für eine Verbesserung der Aufklärung und Informationsarbeit. Ich finde, das ist ein großer Schritt in die richtige Richtung. In diesem Zusammenhang möchte ich mich ausdrücklich an unseren Koalitionspartner wenden. Dass hier ein grundsätzlicher Konsens besteht, haben wir aus gemeinsamen Veranstaltungen und bei persönlichen Gesprächen feststellen können. Daher lasse ich nicht nach, Sie aufzufordern, diesen Antrag positiv zu begleiten, und hoffe sehr, dass Sie das tun. Meine sehr geehrten Damen und Herren, an Diabetes erkrankte Menschen bedürfen einer kontinuierlichen, wohnortnahen, ambulanten Langzeitbetreuung. 90 Prozent der Typ-2-Diabetiker werden auf Hausarztebene versorgt, wobei hier der Versorgungsqualität eine entscheidende Rolle zukommt. Die restlichen 10 Prozent werden in Schwerpunktpraxen oder stationär betreut. Mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz stellen wir eine gut erreichbare, flächendeckende Versorgung der Patientinnen und Patienten in allen Regionen Deutschlands auf hohem Niveau sicher. Gleichzeitig stärkt es die Patientenrechte und verbessert die Versorgungsqualität. Gerade für Diabetiker ist dies von wesentlicher Bedeutung. Mit der Versorgungsforschung und den dazu vorgesehenen Mitteln in Höhe von 75 Millionen Euro jährlich kann ebenfalls ein großer Beitrag zur Diabetesbekämpfung geleistet werden. Bei Diabetes handelt es sich um keine einheitliche Erkrankung; verschiedene genetische Veränderungen können zu Diabetes führen. Deshalb ist es in der Forschung so wichtig, gerade Akzente im Bereich der personalisierten Diabetesmedizin zu setzen. (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zuckersteuer!) Auch können wir stolz darauf sein, dass sich mit dem E-Health-Gesetz Möglichkeiten für eine bessere Versorgung der chronisch Kranken ergeben. Durch telemedizinische Anwendungen können zum Beispiel lückenlos geführte Diabetestagebücher an den zuständigen Arzt übermittelt werden, der zunächst auch ohne persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt individuelle Therapien daraus ableiten kann. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wie Sie am Beispiel Diabetes unschwer erkennen können, sind wir auf dem Weg, unser schon jetzt sehr leistungsstarkes Gesundheitssystem weiter zu verbessern. Mit den bereits abgeschlossenen und noch uns vorliegenden geplanten Gesetzgebungsvorhaben gehen wir eine Reihe von Problemen an, die zukünftig zu lösen sind. Dieser zu beschließende Haushalt fördert die Generationengerechtigkeit. Er geht die gesundheitspolitischen Probleme der Zukunft in unserem Land entschlossen an. Ich werbe deshalb um Ihre Zustimmung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 15 des Bundesministeriums für Gesundheit in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Dann ist der Einzelplan 15 in der Ausschussfassung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte III. a bis c sowie die Zusatzpunkte 1 a und b auf: III.   a) Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über den Stand von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit und über das Unfall- und Berufskrankheitengeschehen in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2013 Drucksache 18/3474 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Sportausschuss Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Tourismus b) Unterrichtung durch die Bundesregierung Sechster Erfahrungsbericht der Bundesregierung über die Durchführung des Stammzellgesetzes Drucksache 18/4900 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung c) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) gemäß § 56a der Geschäftsordnung Technikfolgenabschätzung (TA) Moderne Stromnetze als Schlüsselelement einer nachhaltigen Stromversorgung Drucksache 18/5948 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss Digitale Agenda ZP 1    a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt, Claudia Roth (Augsburg), Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Interministerielle Zusammenarbeit bei der Bewältigung der Fluchtkrise in Drittstaaten verbessern Drucksache 18/6772 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sicherheit hat Vorrang – Ohne Stand von Wissenschaft und Technik keine Inbetriebnahme von Schacht Konrad Drucksache 18/6773 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Es handelt sich hierbei um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte IV. a bis f auf. Hierbei handelt es sich um die Beschlussfassung zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses, zu denen ebenfalls keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt IV. a: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 249 zu Petitionen Drucksache 18/6656 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Sammelübersicht 249 einstimmig angenommen worden. Tagesordnungspunkt IV. b: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 250 zu Petitionen Drucksache 18/6657 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist auch die Sammelübersicht 250 einstimmig angenommen worden. Tagesordnungspunkt IV. c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 251 zu Petitionen Drucksache 18/6658 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist die Sammelübersicht 251 mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Tagesordnungspunkt IV. d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 252 zu Petitionen Drucksache 18/6659 Wer stimmt für diese Sammelübersicht? – Stimmt jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist die Sammelübersicht 252 einstimmig angenommen worden. Tagesordnungspunkt IV. e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 253 zu Petitionen Drucksache 18/6660 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist die Sammelübersicht 253 mit den Stimmen der Koalition und von Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen worden. Tagesordnungspunkt IV. f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 254 zu Petitionen Drucksache 18/6661 Wer stimmt für diese Sammelübersicht? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 254 mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, setzen wir die Haushaltsberatungen fort. Dazu rufe ich den Tagesordnungspunkt I. 15 auf: Einzelplan 11 Bundesministerium für Arbeit und Soziales Drucksachen 18/6111, 18/6124 Die Berichterstattung haben die Abgeordneten Ekin Deligöz, Axel Fischer, Ewald Schurer und Dr. Gesine Lötzsch. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Dr. Gesine Lötzsch von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Gäste auf den Tribünen! Die Abgeordneten von Union und SPD haben während der Ausschussberatungen für die Sicherheitsdienste deutlich mehr Mittel und Stellen zur Verfügung gestellt, als diese Dienste selbst beantragt hatten. Das ist eine sehr ungewöhnliche Entscheidung. Leider haben wir so etwas im Bereich Arbeit und Soziales noch nicht erlebt. Ich könnte mir vorstellen, Frau Nahles, dass Sie mir zustimmen, dass wir in diesem Bereich das Geld wesentlich besser und sinnvoller verwenden könnten. (Beifall bei der LINKEN – Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]: Das glaube ich nicht!) Das wäre auch ein Beitrag zu mehr Sicherheit; denn mehr Sicherheit gibt es nur, wenn unsere Gesellschaft insgesamt sozialer und gerechter wird. Sicherheit hat auch etwas mit Zukunft zu tun. Wenn die Menschen keine Zukunft für sich sehen, dann wenden sie sich von unserer Gesellschaft ab, und das müssen wir verhindern. Darum, glaube ich, haben wir nur mehr Sicherheit, wenn viele Menschen von ihrer eigenen Hände Arbeit leben können. Was macht die Regierung? Sie legt den Menschen Steine in den Weg. So ein Stein ist zum Beispiel das dreimonatige Arbeitsverbot für Flüchtlinge. Ich finde, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie hätten sich in dieser Frage gegen die Union durchsetzen müssen. Das wäre der richtige Weg gewesen. (Beifall bei der LINKEN) Als Begründung, warum die Flüchtlinge nicht sofort arbeiten dürfen, hat die Bundesregierung unserer Fraktion geantwortet: Der Vorschlag wird abgelehnt, da Asylbewerber in der ersten Zeit des Aufenthalts den zuständigen Behörden ... uneingeschränkt zur Verfügung stehen müssen. Meine Damen und Herren, das ist doch völlig weltfremd, wenn man berücksichtigt, wie lange es dauert, einen Termin bei einer Behörde zu bekommen. Da vergehen schon einmal schnell drei Monate. Richtig ist allerdings: Der Haushalt für Arbeit, Soziales und Rente ist der größter Einzelplan im Bundeshaushalt. Auch das zeigt, wie hoch der soziale Reparaturbedarf in unserer Gesellschaft ist. Die Größe des Etats sagt noch nichts über soziale Gerechtigkeit aus. Ich möchte noch einmal das Beispiel des Arbeitsverbots für Flüchtlinge aufgreifen. Ich sage Ihnen: Wir könnten viel Steuergeld sparen, wenn Flüchtlinge nicht auf staatliche Unterstützung angewiesen wären, weil sie schnell eine Arbeit aufnehmen dürften. Ich sage noch einmal – und ich fordere Sie auf, entsprechend zu entscheiden –: Das Arbeitsverbot muss endlich vom Tisch. (Beifall bei der LINKEN) Wir Linke sind davon überzeugt: Es gibt genug Arbeit, wenn wir jetzt ein Investitionsprogramm auflegen, finanziert aus der Vermögensteuer. Doch leider denkt die Bundesregierung nicht über den aktuellen Haushalt hinaus. Sie befinden sich geradezu in einem Investitionsstreik, und wir fordern Sie auf, diesen Streik endlich zu beenden. (Beifall bei der LINKEN) Gerade Sie, Frau Nahles, müssten sich doch deutlich für mehr Investitionen einsetzen, auch wenn sie nicht direkt in Ihrem Etat vorgesehen sind. Öffentliche Investitionen sichern Aufträge für Betriebe und schaffen auch Arbeit für Langzeitarbeitslose und Flüchtlinge. Wir brauchen einen stärkeren öffentlichen Dienst, und wir brauchen endlich auch wieder einen starken öffentlichen Beschäftigungssektor, so wie wir ihn im Land Berlin schon einmal hatten; so etwas brauchen wir auf der Bundesebene. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Klappt genauso wenig wie der Flughafen!) – Der Flughafenbau, lieber Kollege – um dieses Stichwort einmal aufzugreifen; in Berlin regieren CDU und SPD; daran möchte ich erinnern –,wird nicht vom öffentlichen Beschäftigungssektor erledigt, sondern da hängt die Privatwirtschaft drin. Sie hat da in einem Maße versagt, über das wir alle einmal nachdenken sollten. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: In Hessen klappt’s!) Meine Damen und Herren, das Jahr 2005 liegt jetzt zehn Jahre hinter uns. Das heißt: zehn Jahre Hartz IV. Das ist wahrlich kein Grund zum Feiern. Es hat sich bewahrheitet, wovor die Linke von Anfang an gewarnt hat: Hartz IV ist Armut per Gesetz. Sie alle wissen – man kann es nicht oft genug sagen –: Hartz IV betrifft die gesamte Gesellschaft. Es betrifft diejenigen, die auf Hartz IV angewiesen sind, und diejenigen, die Angst davor haben, in eine solche Situation zu kommen. Hartz IV drückt erkennbar auf die Löhne und zwingt Menschen in unwürdige Arbeitsverhältnisse. Das wollen und dürfen wir nicht weiter hinnehmen. Hartz IV ist ein schlechtes Gesetz. Es gehört abgeschafft. Wir brauchen eine armutsfeste Mindestsicherung, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) Für die Haushaltsberatungen beantragen wir als ersten Schritt die Erhöhung des Regelsatzes auf 500 Euro. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Warum nicht 600 oder 1 000?) Wir brauchen aber mehr. Wir brauchen eine sanktionsfreie Mindestsicherung, und wir brauchen einen angemessenen Mindestlohn. Sie alle wissen genauso gut wie ich, dass der Mindestlohn von 8,50 Euro zu niedrig ist. Die Einführung des Mindestlohns war ein richtiger Schritt. Nun muss der Mindestlohn noch eine angemessene Höhe haben. 10 Euro wären das Gebot der Stunde, und dafür setzen wir uns ein. (Beifall bei der LINKEN – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Das entscheidet die Kommission und nicht die Politik!) Eine freie und offene Gesellschaft, meine Damen und Herren, über die wir in diesen Tagen so häufig sprechen und die wir verteidigen wollen, zeichnet sich dadurch aus, dass die Menschen ihr Leben in Freiheit, Würde und Solidarität gestalten können, und dafür kämpft die Linke. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Ach, das war‘s schon?) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat für die Bundesregierung die Bundesministerin Andrea Nahles das Wort. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Uns allen ist bewusst: Wir stehen vor einer großen Herausforderung, vor wichtigen Fragen: Wer kann als Flüchtling bei uns bleiben? Wie organisieren und verbessern wir die Verfahren, die das klären? Wie schaffen wir es, dass wir die, die bei uns bleiben, rasch integrieren und in Arbeit bringen? Wir haben bereits vieles auf den Weg gebracht, damit die Verfahren zur Aufnahme zügig und reibungslos laufen können. Erste Erfolge sind auch schon da. Die Zahl der vom BAMF getroffenen Entscheidungen zum Beispiel ist im November im Vergleich zum September um 60 Prozent gestiegen. Im Durchschnitt sind es jetzt 1 600 pro Tag. Aber es bleibt noch viel zu tun, und das merken Sie auch an diesem Einzelplan 11, liebe Kolleginnen und Kollegen. Fast 2 Milliarden Euro sollen zusätzlich zur Verfügung stehen, damit die Menschen, die vor Terror und Gewalt fliehen, bei uns Fuß fassen können, Deutsch lernen, eine Ausbildung machen oder eine Arbeit finden, selbst für sich sorgen können. Das ist das Ziel. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich danke an dieser Stelle allen für die gute Zusammenarbeit und die Unterstützung dafür, dass wir die finanziellen Mehrbedarfe jetzt im Haushalt mit Mitteln unterlegen können, besonders unseren Berichterstatterinnen und Berichterstattern, den Kolleginnen und Kollegen im Fach- und vor allem im Haushaltsausschuss. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will mit allen Mitteln verhindern, dass aus Enttäuschung Radikalisierung entsteht und der Rückzug aus der Gesellschaft. Und ich will, dass auch die, die sich hier schon lange um Arbeit bemühen, sich nicht abgehängt fühlen, sondern eine neue Chance bekommen. Darum bündeln wir unsere Anstrengungen für die Flüchtlinge mit denen für Langzeitarbeitslose und richten unseren ganzen Einsatz darauf, ihnen allen einen Neustart zu ermöglichen. „Neustart in Deutschland“, und zwar für alle – die, die neu hinzukommen, und die, die schon lange nach Arbeit suchen –, diese Initiative habe ich vor wenigen Wochen in NRW vorgestellt. Warum in Nordrhein-Westfalen? Dort werden die meisten Flüchtlinge aufgenommen, und dort haben die Städte bedauerlicherweise einen sehr hohen, verfestigten Anteil von Langzeitarbeitslosen. Dort kommt beides zusammen. Wenn wir zu schnellen Entscheidungen über die Asylanträge kommen, heißt das, dass diejenigen, die bei uns bleiben können, auch als Arbeitslose gezählt werden, dass wir mehr Geld für die Grundsicherung brauchen, und das weist der Einzelplan 11 auch aus. (Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Das war auch notwendig!) Aber, meine Damen und Herren, Hartz IV soll für niemanden in Deutschland eine Dauerlösung sein. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich will, dass die Menschen, die zu uns kommen, bald für sich selbst sorgen können. Darum richten wir alle Anstrengungen darauf, sie schnell in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Über die Hälfte der Asylantragsteller sind unter 25 Jahre alt. Wir müssen sie zügig in eine berufliche Ausbildung bringen, damit ihr Neustart hier gelingt. Andere haben schon eine Ausbildung und Erfahrung im Beruf. Trotzdem können sie nicht sofort ihren Platz in unserem hochspezialisierten deutschen Arbeitsmarkt finden. Aber oft genügt eben schon, dass sie Deutsch lernen und ihr Wissen und Können in einem Anerkennungsverfahren geprüft wird. Am schnellsten können wir Flüchtlinge mit Berufsausbildung oder einem Hochschulabschluss integrieren; denn die Nachfrage nach Fachkräften ist ungebrochen hoch. Wir haben 1 Million offene Stellen, und in manchen Berufen und Regionen werden Fachkräfte händeringend gesucht. Also geht es darum, schon in der Erstaufnahmeeinrichtung die Qualifikationen zu erfassen und die Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive so schnell wie möglich mit den zuständigen Stellen für die Anerkennung der Qualifikationen zusammenzubringen. Ich habe mir das in Köln vor Ort angeschaut und an einigen der Bewerbungsgespräche, wenn man das so nennen will, teilgenommen. Ich kann Ihnen nur empfehlen, das auch zu tun. Schauen Sie sich das ruhig einmal an; das ist eine wichtige Erfahrung. Da wird vor Ort eine sehr gute Arbeit gemacht von der BA in den Aufnahmeeinrichtungen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Sooft und wo immer es geht – das halte ich wirklich für einen zentralen Punkt –, wollen wir berufsbezogene Deutschkurse mit der täglichen Erfahrung im Betrieb verbinden. Ich möchte nicht, dass wir aus berufsbezogenen Sprachkursen vor allem ein Beschulungsprogramm machen, sondern ich möchte die Kombination aus Praktika und Deutschkurs, aus ausbildungs- und berufsbegleitenden Angeboten und Deutschkurs, aus Jobs und Deutschkurs. Wir müssen es von Anfang an zusammenbringen: Anpassungsqualifizierung und Arbeitsvermittlung und Deutschkurs müssen eine Einheit bilden. Ich glaube, dass es so auch für die Flüchtlinge am leichtesten ist, weil sie dann schon Kontakt in den Betrieben bekommen und auch Verständnis dafür gewinnen, wie unsere Arbeitswelt hier in Deutschland überhaupt funktioniert. Ich glaube auch, dass sie so schneller Deutsch lernen können, weil es gleich anwendungsbezogen ist. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das muss aus meiner Sicht zusammenkommen. Ich freue mich – im Übrigen verbinde ich das auch mit einem Dank an die deutschen Unternehmen – über die Unterstützung, die ich für dieses Konzept gefunden habe: Angebote, die Bereitschaft, das umzusetzen, und ganz konkrete Hilfe. Wir sind da in einem sehr guten Dialog. Wir stellen in diesem Etat sehr viel mehr Geld für Deutschkurse zur Verfügung, sowohl im Etat von Herrn de Maizière, also dem Etat des Bundesinnenministeriums  – für die Integrationskurse –, als auch für die berufsbezogene Sprachförderung, die wir über die BA anbieten. Knapp 300 Millionen Euro – und damit fünfmal so viel wie ursprünglich geplant – werden hier für den nächsten Haushalt zur Verfügung gestellt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Auch für die Anerkennung der Qualifikationen verstärken wir die Mittel, beispielsweise für das Netzwerk IQ, weil es ganz wichtig ist. Außerdem, Kolleginnen und Kollegen, erhöhen wir auch die Mittel für die Arbeit der Jobcenter. Mehr als eine halbe Milliarde Euro steht hier zusätzlich zur Verfügung. Mir ist wichtig, dass wir auch für die Menschen, die hier Arbeit suchen, die nötigen Mittel bereitstellen. So werden auch im nächsten Jahr den Jobcentern zusätzlich 350 Millionen Euro Ausgabereste zur Verfügung stehen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die Jobcenter – ich denke, das muss allen klar sein – stehen in den nächsten Monaten und Jahren vor einer sehr großen Aufgabe. Ich betone: Es werden nicht nur Monate, sondern Jahre sein. (Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]: So ist es!) Deshalb ist es wichtig, dass wir sie von unnötiger Bürokratie befreien. (Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Deswegen werde ich jetzt die Reform des SGB II zur Rechtsvereinfachung auf den Weg bringen. Es gab da einige, die da die Handbremse angezogen hatten. Die haben wir lösen können, so hoffe ich. Unnötige Bescheide wegfallen zu lassen, Anrechnungsregeln und Verfahren zu vereinfachen – das ist jetzt, gerade in dieser Situation, in der die Belastungen bei den Jobcentern zunehmen, eine der wichtigen Weichenstellungen, die wir vornehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist niemandem geholfen – nicht den Jobcentern, nicht denen, die wir in Arbeit bringen wollen –, wenn Menschen gegeneinander ausgespielt werden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Deswegen sage ich hier ganz klar: Der Mindestlohn gilt für alle, egal welchen Pass jemand mitbringt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Und eine weitere Sache ist mir wichtig: Wir dürfen auch die Menschen in unserem Land nicht vergessen, die keine Flüchtlinge sind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb müssen wir das, was wir zugesagt haben, auch einhalten, zum Beispiel bei Leiharbeit und Werkverträgen. Ich habe mich gefreut, dass die Kanzlerin vorgestern ihre Unterstützung noch einmal deutlich gemacht hat. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja! Das ist eine eigenwillige Interpretation!) Ja, das ist wichtig und richtig. Die Leiharbeit muss raus aus der Grauzone, aus der Schmuddelecke. Wir brauchen sie für die Flexibilität unserer Wirtschaft; davon bin ich fest überzeugt. Aber dann muss sie auch vernünftig geregelt werden. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag eine klare Vereinbarung: Nach 9 Monaten gibt es gleichen Lohn, und nach 18 Monaten muss derjenige in dem Betrieb, in dem er eingesetzt wird, fest eingestellt werden. Ich sage aber auch ganz klar: Wo es einen Tarifvertrag gibt, da kann auch mehr Flexibilität möglich sein. Tarifpartnerschaft schafft mehr Flexibilität. Tarifflucht wollen wir allerdings verhindern. Das ist die Grundidee, die hinter diesem Gesetzentwurf steht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Und bei den Werksverträgen werden wir Abgrenzungskriterien festlegen gegenüber Scheinselbstständigkeit auf der einen und Scheinwerkverträgen auf der anderen Seite. Das ist längst gängige Rechtsprechung. Diese Kriterien übernehmen wir jetzt. Wir kodifizieren das im BGB; denn bisher gibt es zwar Rechtsanwälten Arbeit, aber es belastet nur die Gerichte und führt zu Streit. Wir wollen das verhindern und die gängige Praxis der Rechtsprechung zu geltendem Recht machen. Es ist schlicht falsch, wenn behauptet wird, wie in dieser Woche auf dem Arbeitgebertag, dass jedes einzelne Kriterium ein K.o.-Kriterium für Werkverträge sei. Nein, entscheidend ist die Gesamtbetrachtung. Kolleginnen und Kollegen, weder wird ein bestellter Klempner zum Angestellten, noch beschränken wir die Tarifautonomie auf drei Monate. Das ist vollkommener Unsinn. Das wissen diejenigen auch, die das behaupten, weil ich mit ihnen lange darüber geredet habe. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]) Diejenigen legen dagegen wirklich die Axt an die Tarifautonomie, die Werkverträge als Deckmantel für Lohndumping nutzen. Das allerdings wollen wir nicht; (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) denn das höhlt die Tarifautonomie aus. Wir haben in der Bundesregierung eine klare Linie: Wir wollen die Tarifautonomie stärken. Das haben wir bei der Tarifeinheit gemacht, und das machen wir auch bei Leiharbeit und Werkverträgen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat Ekin Deligöz von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, die Beratungen zu diesem Etat waren bis zum Schluss in Bewegung. Das lag an zwei Aspekten. Zum einen hatten wir jede Menge Schätztitel, die wir immer wieder aktualisieren mussten, und zum anderen lag es an den Flüchtlingsfragen. Ich danke an dieser Stelle der Mitberichterstatterin und den Mitberichterstattern, aber auch Ihrem Haus, Frau Ministerin. Wir haben Sie, wie ich glaube, ganz schön in Atem gehalten. Wir hatten drei sehr ausführliche Berichterstattergespräche, die auch sehr intensiv verlaufen sind. An dieser Stelle vielen Dank für die gute Kooperation. Worüber reden wir? Wir reden über einen Etatansatz von knapp 130 Milliarden Euro; insgesamt liegen wir damit um 4,5 Milliarden Euro über dem Etatansatz für 2015. Das teilt sich auf die größten Titel auf: 34,5 Milliarden Euro für den Bereich Arbeitsmarkt und 93 Milliarden Euro für den Bereich Rente. Bei beiden Titeln muss man feststellen: Die Ansätze für diese Titel werden in den nächsten Jahren eher steigen als sinken. Ich denke, dass wir uns diesen Bereich in Zukunft noch einmal systematischer anschauen müssen. Ja, in der Tat, den Schwerpunkt der Debatte bildete die Flüchtlingspolitik und da die essenzielle Frage, wie wir es schaffen, dass die Flüchtlinge, die hierherkommen, nach ihrer Anerkennung möglichst schnell auf dem Arbeits- und Qualifizierungsmarkt integriert werden. Wir mussten aber – und dazu sind wir geradezu verpflichtet – immer wieder darauf schauen, dass wir die Menschen nicht aus dem Auge verlieren, die in diesem Land ebenfalls Unterstützung brauchen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]) Ich stelle an dieser Stelle auch fest: Diese Aspekte – also sowohl das Thema Flüchtlinge als auch der andere Aspekt – waren bei den letzten Etatplanungen noch nicht so richtig auf dem Schirm. Die Zahlen waren sehr niedrig angesetzt. Wir sind immer von Annahmen ausgegangen, die sehr niedrig lagen. Jetzt stellen wir fest – das ist gut so –: Das alles ist nicht zum Nulltarif zu haben. Es ist gut, dass Sie das machen; zwar kommt das alles ein bisschen zu spät, aber besser spät als gar nicht. Die Ansätze für Arbeitslosengeld II, Kosten der Unterkunft und Sprachkurse werden erhöht; auch Sie haben schon gesagt, dass es da Aufstockungen gibt. Es gibt aber zwei große, riskante Schwachstellen. Ich will sie Ihnen jetzt auch nennen. Erstens: Ihre Berechnungen. Sie gehen von sehr gewagten Annahmen aus. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das stimmt!) Ich gebe Ihnen ein paar Beispiele. Sie sagen: In der Grundgesamtheit rechnen wir mit 800 000 Flüchtlingen. Das dürfte doch wohl eher der untere Wert sein. Es ist schon spannend, was geschieht, wenn die Zahl doch ein bisschen höher ausfällt. Zugleich gehen Sie dabei davon aus, dass nur geringer Familiennachzug stattfindet. Das ist ein Fehler; denn natürlich haben auch die Frauen und gerade die jungen Menschen, die nachkommen, Ansprüche. Außerdem gehen Sie davon aus – das ist wirklich sehr waghalsig –, dass die Verbleibsrate beim SGB-II-Bezug bereits im Jahr 2016 bei 65 Prozent liegen wird. Das ist zu niedrig. Es gibt übrigens auch keinerlei Hinweise, die die Ansetzung dieses Wertes rechtfertigen. Das heißt, da werden noch im kommenden Jahr – damit müssen wir rechnen – zusätzliche Kosten auf uns zukommen. (Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]: Nicht zwingend!) Die zweite große Schwachstelle ist: Die Jobcenter sind jetzt schon unterfinanziert. Die Art und Weise der Finanzierung erinnert an eine Einbahnstraße: Sie schichten Eingliederungsmittel in den Verwaltungsbereich um. Der Bedarf an Mitteln im Verwaltungsbereich ist aber auch jenseits der Flüchtlingsbedarfe vorhanden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jetzt sagen Sie: Die haben Geld eingespart, das können sie jetzt einbehalten. Damit tue ich doch etwas Gutes. – Nein! Wir brauchen frisches, zusätzliches Geld. Aber Sie stellen es nicht in den Haushalt ein. (Dr. Martin Rosemann [SPD]: Es gibt jedes Jahr zusätzliches Geld! – Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]: Natürlich stellen wir zusätzliches Geld bereit!) Dass Sie in diesem Bereich tricksen und das Geld hin und her schieben, macht es, ehrlich gesagt, auch nicht viel besser. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Martin Rosemann [SPD]: Jedes Jahr zusätzlich!) Das Schlimme ist aber, dass man bei den ganzen Beratungen immer wieder feststellen musste: Eigentlich orientieren Sie sich nicht wirklich an den Bedarfen, sondern viel eher an einem vorgegebenen Finanzrahmen. Und dann wird der Rest irgendwie zurechtgestrickt. Das wird uns auf die Füße fallen. Das Schlimmste daran ist – das haben die letzten zwölf Monate gezeigt –: Wenn sich etwas an den Sachverhalten ändert, sind Sie nicht in der Lage, schnell darauf einzugehen und zu reagieren. Das macht es auch für die einzelnen Institutionen sehr schwierig, all die guten Vorhaben, die Sie hier vorgestellt haben, umzusetzen; denn sie werden auf halber Strecke alleingelassen und können sich nicht auf die Finanzierung vonseiten Ihres Hauses verlassen. Am Ende sind dann aber die Menschen verlassen, die die Unterstützung in Anspruch nehmen müssen, weil sie darauf angewiesen sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]: Die finanziellen Vorkehrungen sind getroffen!) Es gibt aber auch andere Punkte, bei denen Sie hinterherhinken. Ich will sie kurz erwähnen; denn wir haben diesbezüglich im Verfahren dezidierte Anträge gestellt, die leider allesamt abgelehnt worden sind. Das Thema Altersarmut findet bei Ihnen nicht statt. Es ist aber ein Thema, das existiert, das auf uns zukommt. Wir haben die Garantierente vorgeschlagen. Ich hätte mich gefreut, wenn von Ihnen eine Alternative bzw. ein anderer Vorschlag gekommen wäre; aber Sie schweigen sich da aus, Sie sitzen das aus. (Dr. Martin Rosemann [SPD]: Lesen Sie doch den Koalitionsvertrag!) Das Thema ist aber aktuell; das ist keine Zukunftsfrage. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das Thema Langzeitarbeitslosigkeit. Ja, wir brauchen da mehr Gegenmaßnahmen. Wir brauchen den sozialen Arbeitsmarkt, wir brauchen einen Passiv-Aktiv-Transfer. Sie haben hierzu nicht einmal ein Modellprogramm entwickelt. Wenn Sie davon reden, dass nicht nur für Flüchtlinge, sondern auch für alle anderen etwas getan werden muss, kann ich Ihnen nur sagen: Hier ist der Punkt, an dem Sie ansetzen und aktiv werden müssen. Das tun Sie aber nicht. Sie sitzen das aus. Das ist bedauerlich, gerade für die Menschen, die davon betroffen sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Und nicht zuletzt das Thema Regelsatzerhöhung. Hier geht es um eine angemessene Existenzsicherung. Wir hören da leider nichts von Ihnen. Mut, Plan und Verlässlichkeit – das wären die drei Anforderungen an Ihren Haushaltsplan. Mit diesem Etat werden Sie diesen Anforderungen aber nicht gerecht, Frau Ministerin. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Axel Fischer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ja, in der Tat, es stimmt: Der Etat, den wir heute beraten, sieht anders aus als der, den die Bundesregierung im Sommer eingebracht hat. Er ist aber mit zusätzlichem Geld ausgestattet, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist eindeutig so. Und ja, es stimmt auch: Wir können den ausgeglichenen Haushalt, die schwarze Null halten – trotz dieser Mehrausgaben. Dafür gleich zu Beginn ein Dankeschön an die Bundesregierung, an das Bundesfinanzministerium, aber auch an Sie alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, weil wir als Parlament diesen Haushalt so beschließen. Herzlichen Dank für diese schwarze Null zum dritten Mal hintereinander! (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Martin Rosemann [SPD] – Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Das Königsrecht des Parlaments!) Selbstverständlich – die Vorredner haben darauf hingewiesen – stimmt auch das: Wegen des Flüchtlingszustroms, den wir erleben, mussten wir an vielen Stellen nachjustieren, völlig klar. Das haben wir gemacht. Aber – und das ist mir an dieser Stelle ganz besonders wichtig – wir haben uns keineswegs nur darauf konzentriert, sondern haben und hatten, also auch schon in den letzten Jahren, in gleicher Weise das Wohl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, das Wohl der Rentnerinnen und Rentner, das Wohl der Arbeitslosen, der Schwachen in unserer Gesellschaft mit im Blick, und das seit vielen Jahren. Das ist wichtig, und das ist gut so; denn wir dürfen unsere Gesellschaft nicht auseinanderdividieren lassen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, Akzente haben wir deshalb unter anderem bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik gesetzt. Wir haben auch mehr Mittel – frisches Geld, Frau Kollegin – für berufsbezogene Sprachkurse für Flüchtlinge und für die berufliche Beratung bereitgestellt, ebenso für die berufliche Eingliederung, für das Programm „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“, für die bessere Heranführung Langzeitarbeitsloser an den Arbeitsmarkt. Wir haben sogar mehr Mittel für das kommende Jahr vorgesehen für das Arbeitslosengeld II – die Ministerin hat es schon erwähnt –, für die Beteiligung des Bundes an den Leistungen für Unterkunft und Heizung und für die Zuschüsse zur Rentenversicherung. Dank zusätzlicher Mittel zur Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende kann die Bundesagentur für Arbeit erheblich mehr Personal einstellen und so die Leistungsfähigkeit den geänderten Rahmenbedingungen anpassen. Wir reagieren auf die aktuelle Situation, meine Damen und Herren. Auch beim Bundesversicherungsamt, von dem neue Aufgaben im Rahmen der Modernisierung und Erweiterung unseres Gesundheitswesens übernommen werden müssen, oder im Ministerium selbst, in dem die Behindertenbeauftragte zusätzliches Personal zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben benötigt, verbessern wir die Personalausstattung so, wie es sein muss. Das ist unsere Aufgabe, und der kommen wir nach, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, dank unserer über Jahre hinweg auf Wachstum durch Innovation, auf sparsames Haushalten und weniger auf Umverteilung – wie es manchmal von links oder von der Mitte hierher strömt – ausgerichteten Politik in Deutschland haben wir heute eine solide Basis für eine zukunftsfähige Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Deshalb führen wir die heutige Debatte vor einem guten wirtschaftlichen Hintergrund. In der Wirtschaftsdebatte heute Vormittag kam es schon zum Tragen. Dank immer neuer Beschäftigungsrekorde von mehr als 43 Millionen Erwerbstätigen und mehr als 30 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist die Arbeitslosenzahl auf nur noch – hören Sie genau zu! – 2,6 Millionen und damit auf einen Rekordtiefstand seit der Wiedervereinigung gefallen. Das ist quasi Vollbeschäftigung, und das haben wir gemeinsam erreicht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die wirtschaftlichen Aussichten sind weiterhin gut. Rentner können nach dem Rentenpaket vom vergangenen Jahr im kommenden Jahr zusätzlich einer noch nie dagewesenen Rentenerhöhung von bis zu 5 Prozent frohgemut entgegensehen. Das ist doch was, meine Damen und Herren! Das muss man doch einmal deutlich sagen. Wir haben alle Menschen in unserem Land im Blick. Und ich freue mich für die Rentner, dass sie dann mehr Geld haben werden. (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Mast [SPD]: Trotz abschlagsfreier Rente mit 45 Versicherungsjahren!) Meine Damen und Herren, die Konjunktur läuft, die Exporte brummen weiter, und unsere Bevölkerung ist gut versorgt. Aber ich gebe offen zu: Der unerwartet große anhaltende Flüchtlingszustrom stellt uns in der Tat vor große Herausforderungen und entfaltet derzeit seine normative Kraft. Man kann sich jetzt empören, dass sich viele der Zugewanderten nach geltendem Recht gar nicht hier befinden dürften. Man kann beklagen, dass die Einrichtung eines tragfähigen Asyl- und Flüchtlingsregimes in den letzten Jahrzehnten versäumt worden ist. Man kann bedauern, dass die Integration der Zugewanderten in vielen Bereichen des täglichen Lebens noch wenig gelungen erscheint. Man kann die Schuld dafür bei der Bundeskanzlerin persönlich, bei der Bundesregierung, bei Länderregierungen – jetzigen oder früheren – oder bei den jeweiligen Innenministern, bei den Politikern allgemein, bei den Kirchen oder bei wem auch immer suchen. Nur: All das hilft nicht weiter. Denn das enthebt uns nicht unserer Pflicht, die bestehenden Herausforderungen aufzugreifen und das Beste aus der Situation zu machen. Das tun wir, und genau deshalb haben wir in den vergangenen Wochen den Haushalt für Arbeit und Soziales im Ausschuss nachjustiert. Die geplanten Mehrausgaben liegen bei 2,6 Milliarden Euro, von denen über 1,9 Milliarden Euro flüchtlingsinduziert sind. Wesentlich sind die Steigerungen bei den Ausgaben für das Arbeitslosengeld II, die um 1,3 Milliarden Euro ansteigen; das wurde schon erwähnt. Damit tragen wir dem Umstand Rechnung, dass anerkannte Asylbewerber nach Abschluss ihres Verfahrens in der Regel nicht sofort eine Arbeit finden werden, häufig noch Sprachkurse oder Qualifizierungen benötigen und daher Arbeitslosengeld II erhalten werden. Die stark gestiegene Zahl der Flüchtlinge verursacht außerdem erhebliche Mehrkosten bei Ländern und Kommunen für die Unterbringung und die soziale Grundsicherung während des Asylverfahrens. Deshalb erhöhen wir die Beteiligung des Bundes an den Leistungen für Unterkunft und Heizung um 400 Millionen Euro. Schließlich soll der im Bundeshaushalt bisher veranschlagte Finanzrahmen für Arbeitsförderung deutlich steigen. Einerseits erhöhen wir die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit um knapp 250 Millionen Euro, andererseits erhöhen wir die Mittel für die Verwaltungskosten für die Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende um 325 Millionen Euro auf jetzt sage und schreibe 4,4 Milliarden Euro. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ja, das leisten wir, und der Sinn ist, dass die Bundesagentur für Arbeit 2 000 zusätzliche Stellen erhält und 800 Befristungsmöglichkeiten in den gemeinsamen Einrichtungen finanzieren kann. Damit sowie mit 179 Millionen Euro für die berufsbezogene Sprachförderung und 48 Millionen Euro für die berufliche Integration und Beratung von Zuwanderern wollen wir die erfolgreiche Integration von Asylbewerbern mit Bleibeperspektive und von anerkannten Flüchtlingen in Arbeitsmarkt und Gesellschaft befördern; (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, nach vorsichtigen Schätzungen verfügt knapp ein Drittel der zu uns geflüchteten Menschen über eine möglicherweise verwertbare berufliche Qualifikation. Zudem können wir die überwiegend sehr jungen Menschen vielfach noch ausbilden bzw. qualifizieren und ihnen so eine attraktive Arbeitsmarktperspektive verschaffen. Frühzeitiger Spracherwerb und frühzeitige Aufnahme einer Erwerbstätigkeit sind zentrale Bausteine einer erfolgreichen gesellschaftlichen Integration. Und über Integration darf man nicht nur in Sonntagsreden fabulieren, man muss sie auch durchführen, und so gehen wir sie als Bundesregierung, als Koalition jetzt an. Das heißt aber auch, dass wir von den Zugewanderten diese Integration konsequent einfordern müssen. Sie muss von der öffentlichen Hand konsequent unterstützt werden, damit Zuwanderung gerade auch vor dem Hintergrund unserer demografischen Entwicklung – wir wissen da alle Bescheid; das brauche ich gar nicht zu vertiefen – dauerhaft von der Bevölkerung akzeptiert wird. Ich möchte den BDI-Präsidenten Kerber zitieren, der letzte Woche gefordert hat – ich zitiere –: Wir brauchen massive und anhaltende Integrationsbemühungen. Wir müssen in eine Integrationsinfrastruktur investieren. Dann könnte es in fünf bis zehn Jahren klappen. Dafür muss die Regierung einen Plan entwickeln. Ich muss sagen: Wo er recht hat, hat er recht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Bundesagentur für Arbeit und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge arbeiten schon seit Spätsommer unter Leitung von Herrn Weise im Rahmen des Arbeitsstabes Integriertes Flüchtlingsmanagement eng zusammen. Ich begrüße vor diesem Hintergrund ausdrücklich die Bereitschaft der Bundesagentur, 121 Millionen Euro aus eigenen Mitteln, aus Mitteln der Bundesagentur, für Sprachkurse zur Verfügung zu stellen. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Jobcenter haben noch keinen einzigen Cent bis heute!) Mein Dank gilt daher neben dem Verwaltungsrat insbesondere den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die auch in diesem Bereich mit ihren Beiträgen solidarisch gesamtgesellschaftliche Aufgaben finanzieren. Meine Damen und Herren, wir wissen es alle: Mit dem Rentenpaket, mit der Mütterrente und der Rente mit 63, ist die Große Koalition im vergangenen Jahr fulminant in die neue Legislaturperiode gestartet. Beide Rentenleistungen erfreuen sich großer Beliebtheit und haben für milliardenschwere Mehrausgaben der beitragsfinanzierten Rentenversicherung gesorgt. Die im Bundeshaushalt 2016 geplanten Ausgaben für die Zuschüsse für die Rentenversicherung und die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung liegen bei 93,3 Milliarden Euro. Das sind circa 30 Prozent des gesamten Bundeshaushalts. Wir lassen uns das also wirklich etwas kosten. Die bis 2019 absehbar auf rund 106 Milliarden Euro ansteigenden Bundeszuschüsse sind derzeit solide finanziert und erscheinen aus heutiger Sicht auch in den kommenden Jahren finanzierbar. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie sehen: Der vorgelegte Bundesetat schaut in die Zukunft. Er ist der Zukunft zugewandt. Er zeigt, dass wir Mut und Tatkraft besitzen, dass wir die Zukunft fest im Blick haben, und das zum Wohle der Menschen in unserem Land. Die haben uns gewählt, und für die arbeiten wir hier gemeinsam in einer Großen Koalition an tragfähigen Lösungen. Ich verschweige nicht, dass es natürlich an der einen oder anderen Stelle bei uns auch einmal ein bisschen knarzt, aber wir finden uns zusammen, wir finden Lösungen. Deshalb von meiner Seite ein Dank an das Ministerium, an die Kolleginnen und Kollegen in den Arbeitsgruppen „Arbeit und Soziales“ der Koalitionsfraktionen, an die Mitberichterstatter und für die ausgezeichnete Zusammenarbeit auch an die beiden Kolleginnen aus der Opposition. Es hat Spaß gemacht, gemeinsam zu arbeiten. Ekin, ich sage es dir ganz persönlich: Du hast mit den Terminen immer viel Arbeit. Du machst das super. Das vertrauensvolle Verhältnis, das wir haben, sorgt dafür, dass man ab und zu auch einmal einen Wunsch der Opposition erfüllen kann; aber das muss ein vernünftiger Wunsch sein, es geht nicht alles. Ich denke, wir können alle frohgemut diesem Bundeshaushalt zustimmen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Ewald Schurer von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ewald Schurer (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Einzelplan 11 ist gerade von meinem Kollegen Fischer in seinen Bestandteilen und seiner Wirkungsmächtigkeit hinreichend beschrieben worden. Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass wir am Freitag einen Bundeshaushalt mit einer Größenordnung von 317 Milliarden Euro verabschieden und der Einzelplan 11 ein Volumen von knapp 130 Milliarden Euro hat, also mehr als 40 Prozent umfasst, dann erkennen wir die gesellschaftliche und ökonomische Bedeutung dieses Haushalts. Gegenwärtig findet ja eine aufgeregte Debatte statt. Klar ist, dass in der gegenwärtigen Situation Migration, Asyl und Integration in die Gesellschaft die bestimmenden Themen sind. Es gibt keinen einzigen Einzelplan, bei dem diese Themen nicht zu Recht in den Mittelpunkt gerückt werden. Das muss auch so sein. Ich sage Ihnen: Die für den Bereich Arbeit und Soziales für Arbeitsförderung vorgesehenen 34,5 Milliarden Euro bedeuten, dass dieser Haushalt – das ist meine These; das ist meine Interpretation dieses Einzelplans im Rahmen der zweiten und dritten Lesung des Bundeshaushalts – der größte Investitionshaushalt ist, den der Bundeshaushalt aufzuweisen hat; und zwar geht es dabei um Investitionen in Menschen. Für Investitionen draußen im Land haben wir nominell gute 10 Prozent der Haushaltsmittel vorgesehen; aber wir sollten das dazurechnen, was wir über Arbeitsförderung in die Menschen investieren. Ich sage Ihnen: Diese Mittel, diese Investitionen in die Menschen werden sich rentieren; denn diese aktiv in die Integration der Menschen in den Arbeitsmarkt investierten Mittel – wir haben natürlich auch passive Mittel; ich nenne das Stichwort „Versorgung“ – werden sich in den nächsten Jahren positiv auswirken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mit dem Haushalt für Arbeit und Soziales haben wir die große Chance, eine Diskussion, die draußen zum Teil mit Angst, Polemik, auch mit politischen Absichten so oder so geführt wird, zu versachlichen. Bei vielen laufenden Programmen geht es um Integration; das ist das, was wir jetzt investieren. Das geschieht natürlich, lieber Kollege Fischer, in Koordination und Kooperation mit der Bundesagentur für Arbeit. Sie erhält zusammen mit den Jobcentern einige Tausend neuer Stellen. Das ist notwendig, damit sie die Mehrarbeit erledigen kann. Der technische Begriff lautet: flüchtlingsinduziert. Ich möchte dieses Wort „flüchtlingsinduziert“ einmal mit Leben erfüllen: Durch Flucht und Vertreibung kommen Menschen mit Bedürfnissen zu uns, aber auch Menschen mit besonderen Persönlichkeitsprofilen, mit Talenten, mit Fähigkeiten. Nicht ohne Grund hat die Frau Ministerin gesagt, dass über die Hälfte dieser Menschen unter 25 Jahre alt ist; laut Statistik sind zwei Drittel unter 30 Jahre alt. Das heißt, da gibt es ein riesiges Potenzial für den Arbeitsmarkt. Es gibt einen Dreiklang: Das Erste ist – das ist schon gesagt worden – die Sprache. Über Bildung und Sprache können die Menschen einen Zugang zu unserer Kultur, auch zu unserer Arbeitskultur, bekommen. Das Zweite ist die Ausbildung, das Dritte die Aufnahme der Erwerbsarbeit. Das sind enorme Schritte, die wir gehen müssen. Es gibt dazu noch nicht sehr viel dezidiertes wissenschaftliches Material oder Evaluierungen; aber es gibt schon Fakten, die zeigen, dass es uns gelingen kann, mit einem gezielten Aufwand in den nächsten zwei – das ist das Minimum, weil man so lange braucht, um die nötigen Sprachkenntnisse zu erwerben – bis acht Jahren die Hälfte aller Menschen, die zu uns kommen, in Erwerbsarbeit zu bringen, durch die sie in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt – weit über der Armutsgrenze – selbst zu tragen und, wenn sie in dieser Gesellschaft eine Bleibeoption haben, eine Wohnung zu haben, also über Arbeit in der Gesellschaft integriert zu sein. Das wäre auch mein persönliches Ziel: dass wir es schaffen, mindestens die Hälfte der Menschen, die bisher gekommen sind, in den nächsten Jahren aktiv in den Arbeitsmarkt zu integrieren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Damit relativieren sich auch die Ängste, die zum Teil politisch bewusst mit der Aussage geschürt werden: Wir schaffen das nicht. – Wenn wir diese Fördermaßnahmen am Arbeitsmarkt gezielt umsetzen, in Koordination mit der BA, mit den Jobcentern, haben wir alle Chancen dieser Welt, die Integration dieser Menschen nachhaltig zu erreichen. (Beifall bei der SPD) Das wird keine leichte Aufgabe werden. Die BA hat im Jahre 2011 in einem Report mit dem Titel „Perspektive 2025“ geschrieben: Was wir brauchen, ist eine allgemeingesellschaftliche Qualifizierungsoffensive. – Wir wissen doch alle, dass sich der Arbeitsmarkt in allen wichtigen Branchen verändern wird – nicht nur aufgrund von Industrie 4.0, nicht nur aufgrund der heutzutage höheren Ansprüche in fast allen Berufsbildern der Dienstleistungswelt, des Gewerbes und der Industrie, sondern auch durch manifeste gesellschaftliche Veränderungen. In diese Veränderungen können vor allen Dingen die jungen Menschen, die zu uns kommen, hineinwachsen. Es wird ja immer von einem – auch das ist ein sehr technischer Begriff, den ich nicht mag, weil er so technokratisch klingt – Geburtenunterschuss in unserer Gesellschaft gesprochen. Dazu gibt es evidente wissenschaftliche Studien. Wir sind in diesem Land in der Lage, jedes Jahr 300 000 bis 400 000 Menschen über den Prozess Bildung und Arbeit in die Gesellschaft zu integrieren. Das würde einen enormen gesellschaftlichen Mehrwert bedeuten, auch für die Leistungsfähigkeit und die Wertschöpfung dieser Gesellschaft, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD) Die Ministerin hat gesagt, dass bei der Aufnahme und Registrierung die Profile und Biografien der Menschen schnell testiert werden müssen, damit bereits in einer frühen Phase die Talente der Menschen erkannt werden können; das soll proaktiv und in einem vernünftigen zeitlichen Rahmen geschehen. Wenn wir das schaffen, werden die Gelder, die wir heute für Arbeitsfördermaßnahmen in den Haushalt einstellen, morgen sowohl individuell für die Menschen, die sich dadurch selbst tragen können, als auch für die ganze Gesellschaft ein großer Gewinn sein. Insofern sage ich: Wer ins Gelingen verliebt ist, der muss auf diese Menschen mit ihren Ansprüchen, Hoffnungen und Fähigkeiten setzen. Das ist die positivste Form der Integration in die Gesellschaft, verbunden mit einem ökonomischen Erfolg. Darauf möchte ich setzen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner spricht Klaus Ernst von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Klaus Ernst (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zugegebenermaßen machen Sie uns die Oppositionsarbeit zurzeit nicht leicht. (Bernd Rützel [SPD]: Aha!) Jetzt hätte ich eigentlich erwartet, dass Sie sagen: weil wir so gute Politik machen. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Richtig! – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das muss man ja nicht extra sagen! Das ist doch klar!) – Ja, Herr Weiß, hereingefallen! (Heiterkeit bei der LINKEN – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Die Opposition ist aber auch äußerst schwach, Herr Ernst!) Ich kann Ihnen sagen, an was das liegt. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Daran, dass die Opposition so schwach ist!) Es liegt daran, dass Sie die Oppositionsrolle offensichtlich gleich mit übernehmen wollen. (Zuruf von der CDU/CSU: Sie machen es nun mal so schlecht!) Bleiben wir doch einmal beim Thema Flüchtlinge, und werfen wir einen kurzen Blick nach Bayern. Ich kann nur sagen: Wir als Opposition sind gegenüber der Bundeskanzlerin nicht nur höflich, sondern geradezu zurückhaltend, wenn ich mir vor Augen halte, was für eine Politik in Bayern gegen Flüchtlinge gemacht wird. (Beifall bei der LINKEN – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Na ja! Sie sind selten zurückhaltend! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU) – Ja, da können Sie sich aufregen; aber das ist doch die Wahrheit. – Die Bundeskanzlerin so abzubürsten, wie Herr Seehofer es auf dem Parteitag gemacht hat, das würden wir nie machen – wenn wir sie einladen würden. (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN – Dr. Martin Rosemann [SPD]: Das müssten Sie mal ausprobieren! – Zuruf von der CDU/CSU: Sie laden sie ja auch nicht ein! – Katja Mast [SPD]: Ja, „wenn“!) Das würden wir aber nie machen. Wo ist das Problem? Das Problem ist, dass es uns – damit meine ich jetzt nicht nur die CSU – offensichtlich nur unzureichend gelingt, diesen Zustrom von Menschen als Chance zu begreifen. Welche Begrifflichkeiten geistern durch die Welt? Der eine spricht von Flüchtlingswellen, der andere von Flüchtlingslawinen, der eine sieht eine Bedrohung, und der andere eine Situation, die nicht mehr bewältigbar ist. So diskutieren wir über dieses Problem. (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir nicht!) Wir verkennen dabei vollkommen, was eben gesagt wurde: dass 50 Prozent der Menschen, die zu uns kommen, unter 25 sind – 50 Prozent! – und dass ein großer Teil von ihnen, 70 Prozent, unter 30 ist. Mein Gott, welch eine Chance, wenn es uns gelingt, diese Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren! (Beifall bei der LINKEN) Welch eine Chance, wenn es uns gelingt, sie so zu qualifizieren, dass sie arbeiten können, Werte erwirtschaften, Steuern zahlen und dann das tun, was Sie alle immer so sehr bejubeln: dazu beitragen, das Wachstum zu fördern. Warum gelingt es uns eigentlich nicht, eine solche Betrachtung der Realität anzustellen, wie ich es eben getan habe? Warum müssen wir von Wellen oder Lawinen reden, und warum wird gefordert, die Grenzen dichtzumachen? Weiß Gott, ich halte es für ein Drama, wie wir diese Debatte in der Bundesrepublik führen. Ich wiederhole es: Ich halte das für ein Drama. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, nun zu Ihrem Haushalt. Dafür muss man natürlich etwas tun. Ja, Sie haben die Mittel aufgestockt. Aber, Frau Nahles, ich bitte Sie: Sie wissen doch selber, dass das, was geplant ist, hinten und vorne nicht ausreicht, um die Probleme wirklich zu bewältigen. Oder war es nicht so – habe ich das falsch verstanden? –, dass Sie vom Finanzminister eigentlich mehr Geld haben wollten, um diese Aufgaben zu bewältigen? Es ist notwendig, jetzt mehr Geld in die Qualifizierung zu stecken, und wir brauchen mehr Geld für Sprachkurse, um zu gewährleisten, dass all das, was ich eben angesprochen habe, erreicht wird. Sie stellen aber nicht mehr Geld zur Verfügung. Sie machen etwas ganz anderes. Der Finanzminister will den Flüchtlingen von dem Geld, das sie bekommen, 36 Euro im Monat für Sprachkurse abziehen. Ja, was ist denn das für eine Politik? (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Antje Lezius [CDU/CSU]: Was nichts kostet, ist auch nichts wert!) Da versteht man die Welt nicht mehr. Man weiß auch nicht mehr, ob die Vorschläge, die hier gemacht werden, wirklich ernst gemeint sind. Meine Damen und Herren, das Nächste – Sie haben es angesprochen, Frau Nahles; heute Vormittag ist übrigens auch Herr Gabriel zu Recht darauf eingegangen –: Wir müssen aufpassen, dass jetzt nicht der eine gegen den anderen ausgespielt wird. Um das zu verhindern, braucht man natürlich erstens Geld. Zweitens braucht man aber auch Regelungen, die dann für alle gelten. Herr Spahn ist jetzt nicht mehr da. Sein Vorschlag lautete, jetzt über den Mindestlohn nachzudenken und die Mindestlohngrenze bei Flüchtlingen vielleicht nicht so ernst zu nehmen, sie vielleicht sogar ein Stück weit zu senken. Meine Damen und Herren, was machen Sie denn da? Ist Ihnen eigentlich klar, welchen Unfug Sie da verbreiten und welchen sozialen Sprengstoff Sie damit erzeugen? (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Im Ergebnis würde das nämlich bedeuten, dass dann wieder Leute für 5 Euro oder 6 Euro pro Stunde arbeiten und dass derjenige, der den Mindestlohn bekommt, seinen Job verliert und direkt gegen einen Flüchtling ausgespielt wird. Da kommt Freude auf! Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie eine klare Position haben. Aber ich würde Sie bitten, mit dem Herrn Spahn einmal ernsthaft zu reden. Der braucht vielleicht eine Streicheleinheit oder so, damit er wieder zur Vernunft kommt. (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Frau Nahles, noch etwas – da haben wir dann das nächste Problem –: Wenn wir einen Mindestlohn auf dem Papier haben, nützt er uns überhaupt nichts. Die Einhaltung des Mindestlohns muss auch kontrolliert werden. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Genau richtig!) Wenn zusätzlich eine Reihe von Menschen in unser Land kommt, die aufgrund ihrer besonders miesen Situation bereit sind, unterhalb dieser Lohngrenze zu arbeiten, und die froh sind, überhaupt irgendeinen Job zu haben, dann ist es umso notwendiger, dass die Einhaltung des Mindestlohns kontrolliert wird. Wir haben überhaupt kein Verständnis, Frau Nahles, dass ein Teil des Personals bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit für die Registrierung von Flüchtlingen umstrukturiert werden soll. Ja, die Flüchtlinge müssen registriert werden. Aber dann muss man eben Geld in die Hand nehmen und für die Registrierung andere Leute einstellen. Wir müssen doch bitte schön die Einhaltung der Bedingungen in unserem Land dahin gehend kontrollieren, dass die Flüchtlinge nicht für Billiglöhne arbeiten und von Arbeitgebern ausgenutzt werden, die sich an ihnen schadlos halten. Das darf nicht passieren. Deshalb müssen wir in dieser Frage wirklich eingreifen. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Natürlich brauchen wir Investitionen in ausreichendem Maße; meines Erachtens gibt das der Haushalt nicht her. Wir brauchen aber auch flankierende Maßnahmen, die dazu führen, dass genau im Bereich der praktischen Arbeit die Menschen vor Ausbeutung geschützt werden, die ihnen droht, wenn die Einhaltung der gesetzlichen Bedingungen nicht kontrolliert wird, weil die Kontrolle nicht funktioniert und unzureichend geregelt ist. Deshalb meine Bitte: Bessern Sie nach, insbesondere bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin spricht Sabine Weiss von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Eigentlich ist es wie immer in der letzten Sitzungswoche im November: Wir debattieren und beschließen den Bundeshaushalt für das bevorstehende Kalenderjahr mit den Einzelhaushalten für die Ressorts. Eigentlich ist es wie immer: Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales weist mit knapp 130 Milliarden Euro den größten Einzelhaushalt auf. Und eigentlich ist auch das wie immer: Der Opposition sind die vorgesehenen Leistungen zu niedrig. Sie wähnt wieder einmal unseren Sozialstaat am Ende. Ich möchte an dieser Stelle – ich glaube, im Namen vieler Kolleginnen und Kollegen – ganz deutlich sagen: Ich bin stolz auf unser Land. Ich bin unendlich dankbar, dass ich in diesem Land leben darf, und ich bin stolz auf das, was die hier lebenden Menschen trotz aller Schwierigkeiten auf die Beine stellen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Eigentlich ist alles anders als sonst. Weil es so wichtig ist, möchte ich natürlich darauf eingehen. Die aktuelle Flüchtlingszuwanderung stellt uns vor die größte arbeitsmarkt- und sozialpolitische Herausforderung unserer neueren Geschichte. Im Bundeshaushalt wird für dieses Jahr von einer Zuwanderung von rund 800 000 Menschen ausgegangen. Die meisten – Herr Ernst hat es erwähnt – sind jünger als 30 Jahre, etwa 70 Prozent. Viele Zuwanderer werden die nächsten Jahre bei uns bleiben. Um diese Menschen möglichst schnell zu integrieren, hat der Haushaltsausschuss des Bundestages deshalb die Haushaltsmittel für das BMAS im Vergleich zur ursprünglichen Planung vom September um rund 2,6 Milliarden Euro aufgestockt. Die Haushälter haben es bereits erwähnt: Deutliche Aufstockungen gibt es zum Beispiel für die berufsbezogene Sprachförderung, für die Eingliederung in Arbeit und bei der Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Die Leistungen für Unterkunft und Heizung werden um 400 Millionen Euro aufgestockt. Richtig ist – auch das wurde erwähnt –: Wir wissen nicht, wie viele Flüchtlinge im Jahr 2015 insgesamt tatsächlich kommen und wie viele von ihnen hierbleiben werden. Daher wird nachgesteuert werden, wenn die Bundesregierung im Februar 2016 über genauere Zahlen verfügt und über den Stand von Integration und Sprachförderung berichtet. Unser gemeinsames Ziel in der Koalition aber ist es, die Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive möglichst schnell in Arbeit zu bringen; denn Ausbildung und Arbeit sind die Voraussetzung für Integration in die Gesellschaft, in unsere Gesellschaft. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dazu müssen natürlich mitgebrachte Bildungs- und Berufsabschlüsse geprüft werden. Ich denke, an dieser Stelle ist angesichts der unterschiedlichen Handhabung und Vorschriften in den einzelnen Bundesländern sicherlich noch mehr Flexibilität erforderlich. Am allerwichtigsten aber – das sehen auch wir so – ist der Spracherwerb. Bei den Sprachkursen haben BMAS und BMI ebenfalls den akuten Handlungsbedarf erkannt und ein integriertes Konzept zur Sprachförderung bis B1 entwickelt. Das kann vielleicht die bisher nur berufsbezogenen Sprachkurse ablösen. Dies ist, denke ich, ein absolut guter Anfang. (Beifall bei der CDU/CSU) Diese Basisausbildung wird aber in der Regel natürlich nicht reichen, um bei der Facharbeiterausbildung die vielen DIN-Normen und sonstigen Vorschriften in Deutschland problemlos verstehen und umsetzen zu können. Daher ist von den künftigen Arbeitgebern, Ausbildern und Mitarbeitern ganz viel Einsatz erforderlich. Die Signale sind ausgesprochen positiv. Ich möchte mich schon jetzt bei den Genannten für ihr Engagement, für ihr Verständnis und auch für ihre Geduld bei der betrieblichen Eingliederung im Rahmen von Aus- und Weiterbildung von Flüchtlingen bedanken. Gleicher Dank gilt selbstverständlich den Tausenden von Menschen, die schon wochen- und monatelang ehrenamtlich und hauptamtlich in Einrichtungen für Flüchtlinge arbeiten, Essen und Trinken austeilen, sich als Dolmetscher bzw. Übersetzer oder für die Beschäftigung mit Kindern zur Verfügung stellen. (Beifall bei der CDU/CSU) Diese Menschen – viele von uns erleben sie in den Flüchtlingsunterkünften – arbeiten oft nach der Devise: Wer selbst nicht für etwas brennt, entfacht auch kein Feuer bei anderen. – Sie alle zeigen ein freundliches Gesicht. Sie alle sind Deutschland. Ich möchte an uns alle appellieren: Lassen Sie uns bitte dieses freundliche Gesicht auch in der Zukunft bewahren. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Weil in den Medien und auch heute hier im Plenum immer wieder so viel Negatives erwähnt wird, möchte ich den Blick auf einige von unzähligen positiven Aktionen richten, die wirklich Mut machen und auch erwähnenswert sind. Sie gehen aber leider angesichts der oft negativen Schlagzeilen immer wieder unter. Zum Beispiel will die Bayerische Staatsregierung mit einem umfassenden Maßnahmenpaket bis Ende 2016  20 000 und bis 2019  60 000 Flüchtlingen einen Praktikums-, Ausbildungs- oder Arbeitsplatz anbieten. In meinem Bundesland Nordrhein-Westfalen wurden von der Bundesagentur für Arbeit sogenannte Integration Points eingerichtet. Hier befinden sich Mitarbeiter aller für die Erstaufnahme notwendigen Behörden neben der BA quasi unter einem Dach – nicht räumlich, aber inhaltlich. Das erleichtert die Erstaufnahme ganz erheblich; denn alles geht sozusagen Hand in Hand. Ich habe den in meinem Wahlkreis jetzt eingerichteten Integration Point besucht und mit den Mitarbeitern gesprochen, und ich muss sagen, dass ich von dem Engagement, Optimismus und, man kann manchmal sogar sagen, Pioniergeist angetan bin, den ich bei den Mitarbeitern der BA beim Aufbau dieser Stelle antreffen konnte. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) In meinem Wahlkreis zum Beispiel haben Rotarier, Stadt und Handwerkerschaft das Programm „Integration durch Arbeit, Ausbildung und Sprache“ entwickelt. Täglich findet vormittags eine Sprachausbildung statt. Nachmittags lernen die Zuwanderer in einer Werkstatt oder beteiligen sich an der Instandhaltung von Rad- und Wanderwegen. Diese Kombination von täglicher Sprachausbildung und Sprachpraxis ist so erfolgreich, dass die ersten Kursteilnehmer schon ein Angebot für ein Vorpraktikum für einen Ausbildungsplatz haben. Heute Morgen konnte ich zu meiner Freude in der Lokalpresse lesen, dass ein in meinem Wahlkreis ansässiger Chemiekonzern 250 000 Euro zur Verfügung stellt. Damit soll ein speziell für Flüchtlinge entwickelter Deutschkurs finanziert werden. Überall – landauf, landab – erleben wir, dass Sprach- und Willkommensklassen für Erwachsene eingerichtet werden. In einer weiteren Flüchtlingseinrichtung in meinem Wahlkreis gibt es das echt gute Beispiel eines jungen Syrers, der in Deutschland mittlerweile Rechtswissenschaften studiert und sich als Dolmetscher zur Verfügung stellt. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Nennen Sie doch mal Ihren Wahlkreis! Haben Sie noch nicht gesagt!) – Wesel. Die Kleinstadt Altena im Märkischen Kreis – sie befindet sich im Wahlkreis der Kollegin Voßbeck-Kayser – nimmt mehr Flüchtlinge auf, als sie muss, und hofft sogar, dass sie dauerhaft bleiben werden. Dort haben DRK, THW, Freiwillige Feuerwehr, Katholische und Evangelische Kirche wie auch islamische Vereine gemeinsam mit der Politik die Hilfe organisiert. Der Bürgermeister von Altena hat zu dem Thema gesagt – ich zitiere aus einem Pressebericht –: Wir haben keine Krise erlebt. Darum sind wir es den Flüchtlingen schuldig, ihnen zu helfen. Wenn wir noch mehr von ihnen aufnehmen müssten, würden wir es tun – auch wieder freiwillig. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) So gibt es unzählige positive Beispiele dafür, wie mit Flexibilität und unkonventionellem Handeln Lösungen gefunden werden, die wir uns vor einiger Zeit vielleicht noch gar nicht haben vorstellen können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit Optimismus, Tatkraft und Ideenreichtum können die vor uns liegenden Herausforderungen gestemmt werden, aber nicht mit Klagen, Zetern und ausschließlichen Negativmeldungen. Es ist richtig, dass die Zuwanderung von Flüchtlingen nach Deutschland sicherlich nicht den Fachkräftemangel und unser demografisches Problem mit einem Schlag lösen wird. Die Zuwanderung wird zweifellos zur Verbesserung der demografischen Situation in Deutschland beitragen; sie wird aber den Fachkräftemangel nicht vollständig beseitigen. Das wissen wir. Daher müssen wir uns auch weiterhin gezielt um Fachkräfte aus Europa oder aus Drittländern bemühen. (Beifall des Abg. Dr. Martin Rosemann [SPD]) Dafür haben wir zahlreiche Möglichkeiten. Für Hochqualifizierte aus Drittstaaten gibt es zum Beispiel die Bluecard. Fachkräfte mit Berufsausbildung können in mittlerweile 70 Engpassberufen bzw. im Rahmen von Vermittlungsabsprachen arbeiten. Mit dem Programm „Triple Win“ werden ausländische Fachkräfte für deutsche Engpassberufe gewonnen. Zur Arbeitsplatzsuche gibt es für Fachkräfte aus Drittstaaten und Absolventen deutscher Hochschulen einen eigenen Aufenthaltstitel. Ob legale Arbeitsmigration durch Fachkräfte oder Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt: Beides muss natürlich geordnet erfolgen. Richtig ist – das ist auch Auffassung unserer Fraktion –: Wir werden nicht den Rufen folgen, den im letzten Jahr vereinbarten Mindestlohn zu senken. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mit Blick auf geforderte Ausnahmen sage ich: Zunächst einmal ist es Sache der Akteure auf dem Arbeitsmarkt, sozialversicherungspflichtige Arbeitsstellen, Praktika und sonstige Jobs anzubieten. Daher freue ich mich über die Aussage von Arbeitgeberpräsident Kramer, der am Dienstag auf dem Arbeitgebertag sagte – ich zitiere –: „Bei der Bezahlung darf die Herkunft der Menschen keine Rolle spielen.“ (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir sind auch für alle Initiativen und Projekte von Arbeitgebern, Sozialpartnern, Aktionsbündnissen und Privatleuten dankbar, die Flüchtlingen ohne ausreichende Sprachkenntnisse den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern. Was wir nicht wollen, sind Verdrängungseffekte zulasten anderer Personengruppen. Ich denke dabei insbesondere an unsere Langzeitarbeitslosen und Menschen mit Handicap. Für Flüchtlinge soll es keine Besserstellung, aber auch keine Schlechterstellung beim Zugang zum Arbeitsmarkt geben. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Warum klatscht da keiner von der Union?) – Weil es selbstverständlich ist. – Deshalb haben wir den Zugang zu zugangsbeschränkten Berufen bereits deutlich erleichtert und die Liste der Mangelberufe ohne Vorrangprüfung erheblich erweitert. Aber grundsätzlich muss es bei der Vorrangprüfung bleiben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Um Menschen mit Schwierigkeiten den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern, gibt es zahlreiche Förderinstrumente, die wir nach wie vor gleichermaßen für einheimische erwerbsfähige Arbeitslose wie für Flüchtlinge nach dem dritten Aufenthaltsmonat anwenden. Wir haben nicht nur den politischen Willen, sondern auch viele notwendige Instrumente, um den Menschen, die es beim Zugang zum Arbeitsmarkt schwerer haben als andere, gleichermaßen zu helfen. Lassen Sie uns also bitte trotz aller politisch unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen in diesem Hause nicht das gemeinsame Ziel – ich hoffe, aller Demokraten – aus den Augen verlieren. Die Migranten mit Bleibeperspektive sollen schnellstmöglich einen Platz in unserer Gesellschaft finden. Es muss sicherlich immer wieder hart um die Erreichung dieses Ziels gerungen werden. Aber lassen wir bitte bei allem Streit, den wir angesichts der Herausforderungen untereinander austragen müssen, keinen Raum für rechtspopulistisches Gedankengut. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Wir nehmen unsere Verantwortung wahr für Europa, für die Menschen unseres Landes und für die Menschen, die zu uns vor Krieg und Krisen fliehen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin spricht Brigitte Pothmer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit wird auch weiterhin Priorität haben und Handlungsschwerpunkt bleiben, auch wenn neue Aufgaben hinzukommen. Das hat die Ministerin bei der Einbringung dieses Haushaltes gesagt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nichts für ungut, Frau Nahles, aber angesichts Ihrer Bilanz bei der Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit klingt das wirklich wie eine Drohung. Die Hälfte Ihrer Amtszeit ist um, und nichts, aber auch gar nichts ist geschafft. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD) Im Gegenteil: Das IAB hat Ihnen erst neulich attestiert, dass der Anteil der Langzeitarbeitslosen mit schlechten Chancen auf dem Arbeitsmarkt während Ihrer Amtszeit noch einmal zugenommen hat. (Dr. Martin Rosemann [SPD]: Ist ja logisch, wenn die Arbeitslosigkeit insgesamt zurückgeht!) Das ist auch kein Wunder; denn Sie haben das Programmhopping, das schon bei Ihren Vorgängerinnen und Vorgängern gescheitert ist, schlicht und ergreifend fortgesetzt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) 10 000 Plätze für das Teilhabeprogramm, 33 000 Plätze mit Lohnkostenzuschuss! Von diesen 33 000 haben nach einem Jahr sage und schreibe 1 139 Langzeitarbeitslose einen Job bekommen. Das ist Ihre Bilanz angesichts der Tatsache, dass es noch immer über 1 Million Langzeitarbeitslose gibt. Frau Nahles, das ist ein Bild des Jammers. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Nun lese ich in einem neuen Papier, das Sie gemeinsam mit der BA herausgegeben haben, wo Sie die zentralen Handlungsfelder bei der Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit sehen. Sie wollen jetzt eine stärkenorientierte Beratung einführen. Bravo! Was haben Sie eigentlich bislang gemacht? Haben Sie die Schwächen der Langzeitarbeitslosen herausgearbeitet? Was stellen Sie sich selber für ein Zeugnis aus? Dann sollen die Förderinstrumente zukünftig motivierend sein. Was waren die denn bislang? Demotivierend? Was haben Sie eigentlich im Bereich der Langzeitarbeitslosigkeit gemacht? Ich bin wirklich für eine gute und professionelle Beratung. Aber so zu tun, als könnten wir die verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit mit neuen Beratungskonzepten verringern, ist angesichts der Größe des Problems unangemessen. Die Probleme sind eine falsche Politik und eine völlig unzureichende Finanzierung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir brauchen dringend einen sozialen Arbeitsmarkt. Ich sage Ihnen noch einmal: Der Vermittlungsvorrang muss weg. Wir müssen endlich in die Qualifikation der Langzeitarbeitslosen investieren, wenn wir sie dauerhaft integrieren wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wir brauchen mehr Geld und mehr Personal. Wenn Sie die Beratung wirklich verbessern wollen, dann geht das nicht ohne mehr Geld und mehr Personal. Frau Nahles, Sie haben heute – genauso wie an anderer Stelle – vollkommen zu Recht gesagt: Wir müssen Neiddebatten verhindern. Einheimische Arbeitslose dürfen nicht gegen Flüchtlinge ausgespielt werden. – Richtig so. Nur, dann müssten Sie endlich auch wirklich einmal für die etwas tun, die bereits abgehängt sind. Die Ressentiments sind doch längst da. Gehen Sie doch einmal auf die Flure der Jobcenter. Was Sie da hören, ist gar nicht schön. Mit der Vorrangprüfung lösen Sie das Problem nun wirklich nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Damit, liebe Frau Weiss, blockieren Sie jetzt zusätzlich noch den Arbeitsmarktzugang für Flüchtlinge. Sie hängen damit zwei Gruppen ab, die Langzeitarbeitslosen und die Flüchtlinge. Liebe Frau Nahles, wirklich waghalsig ist Ihre Annahme, dass zukünftig 35 Prozent der Flüchtlinge bereits innerhalb eines Jahres den Hartz-IV-Bezug wieder verlassen. Sie selber haben hier vor zu optimistischen Prognosen gewarnt. Sie haben gesagt: Nicht einmal jeder Zehnte kann unmittelbar in Arbeit und Ausbildung vermittelt werden. – Das IAB geht von 8 Prozent innerhalb eines Jahres aus. Ich frage Sie jetzt: Auf welchem Weg sollen die anderen 25 Prozent den Hartz-IV-Bezug verlassen? Durch reich Heiraten? (Zuruf von der CDU/CSU: Warum nicht?) Durch einen Lottogewinn? Ich kann Ihnen sagen: Das habe ich auch schon versucht. Das ist nicht so einfach. (Heiterkeit und Beifall – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und dann bist du Bundestagsabgeordnete geworden!) Das, was Sie Ihrem Haushalt zugrunde legen, ist ein Wolkenkuckucksheim. Sie haben beim Finanzminister schlicht und ergreifend nicht genug Geld lockermachen können, und jetzt rechnen Sie sich die Welt schön. Das Geld, das heute hier eingespart wird, wird uns später teuer zu stehen kommen. Können wir nicht endlich einmal aus den Fehlern der Vergangenheit lernen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Seien Sie einmal mutig! Stimmen Sie unseren in jeder Hinsicht gegenfinanzierten Anträgen zu. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Ich hoffe immer noch, dass man jemanden heiratet, weil man ihn oder sie liebt, nicht unter Versorgungsaspekten. (Heiterkeit) Als nächste Rednerin hat Katja Mast von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Karl Schiewerling [CDU/CSU]) Katja Mast (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Da auch Kassandra nie Antworten auf ihre immer wiederkehrenden Rufe bekommen hat, bekommt auch Frau Pothmer sie jetzt nicht. Es ist richtig, dass wir in Deutschland mit viel Leidenschaft darüber diskutieren, wie wir Flüchtlinge integrieren können. Allerdings dürfen wir aus meiner Sicht bei aller Leidenschaft nicht vergessen, dass wir auch viele Menschen in den Blick nehmen müssen, deren Leben wir heute auch verbessern müssen. Wir dürfen die, die dazukommen, nicht gegen die ausspielen, die schon hier sind. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir sind im Jahrhundert der Integration. Dieses Jahrhundert der Integration hat in dem Haushalt, über den wir gerade diskutieren, nämlich dem des Bundesarbeitsministeriums von Andrea Nahles, einen großen Stellenwert bekommen. Insgesamt setzen wir mit 1,9 Milliarden Euro zusätzlich für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen und deren Vermittlung in Arbeit deutliche politische Signale. 800 Millionen Euro davon sind für aktive Arbeitsmarktpolitik, das heißt für den Erwerb von berufsbezogenen Sprachkenntnissen, für die Förderung von Ausbildung, für die Integration durch Arbeit und natürlich auch für die Qualifizierung. Ich finde, das ist erst einmal ein gutes Signal im Jahrhundert der Integration. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Allerdings ist Integration aus meiner Sicht und für die Sozialdemokratische Partei und Fraktion nicht die einzige Jahrhundertaufgabe. Wir sehen, dass es in Zeiten des Wandels auch die Jahrhundertaufgabe gibt, das Kernversprechen der sozialen Marktwirtschaft immer wieder zu erneuern. Es geht nämlich darum, dass wir für jede und jeden – so sage ich es immer ganz gern –, die morgens aufstehen, dann arbeiten gehen und ordentlich ihre Steuern zahlen, auch etwas tun. Wir müssen dafür sorgen, dass dieses Versprechen gilt: dass, wer mitmacht, auch am sozialen Sicherungssystem teilhat und dass es für die, die morgens aufstehen, gerecht und fair zugeht. Deshalb ist klar, dass wir, allen Unkenrufen zum Trotz, Forderungen, die immer wieder auch aus den politischen Reihen erhoben werden, eine Absage erteilen: Es gibt keine Absenkung des Mindestlohns für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland jedweder Herkunft. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber klar ist auch, dass diejenigen, die morgens aufstehen und arbeiten gehen, ein Recht darauf haben, dass wir das, was wir in der Koalition verabredet haben, nämlich die Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen, erstens zügig umsetzen, und zwar im Kabinett und im Parlament, und dass wir zweitens Wort halten bei dem, was wir gemeinsam im Koalitionsvertrag dazu vereinbart haben. (Beifall bei der SPD) Für uns von der SPD ist klar: Wir wollen viel mehr als das, was in dem Koalitionsvertrag steht. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Eben! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja das Problem!) Es ist ja auch in Ordnung, dass wir das wollen. Die Leute sollen auch wissen, dass Sie das nicht wollen. Das finde ich völlig in Ordnung. Aber ich appelliere schon an meine Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU: Zurückfallen dürfen wir nicht. (Beifall bei der SPD) Wenn ich mich an Forderungen aus Ihren Reihen erinnere, die besagen, der Koalitionsvertrag sei nicht mehr auf der Höhe der Zeit – womit man eigentlich sagen will: keine Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen, sondern alles lassen, wie es ist –, dann sage ich: Nein. Denn wenn mein Satz vom Anfang stimmt, dass diejenigen, die neu hierherkommen, und diejenigen, die hier leben, nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen, dann müssten wir bei diesen Themen mit Blick für die Menschen, die die Leistungsträger der Gesellschaft sind, sogar noch mehr machen. (Beifall bei der SPD) Wir wenden uns immer wieder zu Recht der Frage zu: Wie sieht es mit den Menschen aus, die langzeitarbeitslos sind? Was machen wir? Mit diesem Haushalt zeigt die Koalition: Wir legen wieder 350 Millionen Euro zur aktiven Vermittlung von Langzeitarbeitslosen in Jobs obendrauf. Allein diese Zahl zeigt schon: Da wird etwas getan. Zusätzlich werden 150 Millionen Euro auf die Jobcenter verteilt. Das heißt, vor Ort kommen insgesamt 500 Millionen Euro mehr an. Natürlich ringen wir in der Koalition immer wieder darum: Reicht das denn aus? Aus meiner Sicht reicht es nicht aus, insbesondere nicht bei den Verwaltungskosten der Jobcenter. Deshalb führen wir immer wieder sehr engagierte Debatten, ob wir in dieser Regierungskonstellation nicht doch noch zum Passiv-Aktiv-Tausch kommen. (Beifall bei der SPD) Als Vorbild nehme ich da gern die sozialdemokratische Arbeitsministerin von Baden-Württemberg, Katrin Altpeter, die dort gezeigt hat, wie das funktioniert. Nur wenn wir gemeinsam darangehen und sagen: „Es gibt Gruppen, denen wir uns mehr zuwenden müssen“, können wir es hinbekommen, die unterschiedlichen Gruppen am Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft nicht gegeneinander auszuspielen. Ich glaube, das ist die wichtige Botschaft des Haushalts des BMAS. Zum Schluss kommend, will ich sagen: Nur wenn wir uns zusammen anstrengen, nur wenn wir uns anstrengen, niemanden gegen andere auszuspielen, wenn vielmehr alle merken: „Wir strengen uns dafür an, dass sich ihr konkretes Leben in Deutschland verbessert“, dann halten wir Deutschland zusammen. Das ist unser aller Aufgabe in den heutigen Zeiten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner spricht Stephan Stracke von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Stephan Stracke (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute sind deutlich mehr als 43 Millionen Menschen erwerbstätig. Wir verzeichnen ein Allzeithoch bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung und den höchsten Stellenstand seit 15 Jahren – alles in allem eine hervorragende Lage am Arbeitsmarkt in Deutschland, besonders in Bayern. (Katja Mast [SPD]: Baden-Württemberg meinst du!) Die Wirtschaft blickt auch weiterhin optimistisch in die Zukunft. Das gilt auch für die Menschen. Sie wissen: Was der Wirtschaft nutzt, das nutzt auch ihnen selbst. Sichere Arbeitsplätze, mehr Geld in der Lohntüte und stabile Preise, all das tut den Menschen gut und den Familien ebenso. Gute Arbeitsmarktpolitik bedeutet immer auch gute Sozialpolitik. Dieser Zweiklang zeichnet diese Koalition aus, gerade dann, wenn sie unionsgeführt ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir sind, wie ich meine, richtig erfolgreich, weil wir die Menschen im Blick behalten, und so wollen wir es auch in Zukunft halten. Auf diesen Erfolgen dürfen wir uns sicherlich nicht ausruhen. Wir erleben aktuell die größte Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Jeden Tag kommen über 7 000 Menschen zu uns nach Deutschland, insbesondere an den bayerischen Grenzen; das entspricht jeden Tag der Einwohnerzahl einer Kleinstadt. Das zeigt, vor welchen Herausforderungen wir insgesamt stehen, insbesondere für den deutschen Arbeitsmarkt. Allein in Bayern betreuen die Arbeitsagenturen und Jobcenter derzeit rund 16 000 Flüchtlinge, Tendenz stark steigend. Nach der Aussage des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sind die Flüchtlinge, die aktuell zu uns kommen, deutlich schlechter qualifiziert als andere Migrantengruppen. Über 80 Prozent derer, die im erwerbsfähigen Alter zu uns kommen, haben keine formale Qualifikation. Die Aussicht, schnell eine Beschäftigung zu finden, dürfte daher für die übergroße Mehrheit der anerkannten Flüchtlinge gering sein, so der ernüchternde Befund der Wirtschaftsweisen in ihrem aktuellen Jahresgutachten. Wir müssen uns darauf einstellen, dass im nächsten Jahr bis zu 430 000 Flüchtlinge Grundsicherung beziehen werden. Das ist ein starker Anstieg, der auch in den Folgejahren anhalten wird. Die Integration in Ausbildung und Arbeit ist und bleibt unser zentrales Thema. Wir wollen, dass diejenigen Flüchtlinge, die dauerhaft hierbleiben können, ein selbstbestimmtes Leben führen können, und zwar ohne Transferleistungen des Staates. Dabei dürfen wir auch die heutigen langzeitarbeitslosen Menschen in unserem Land nicht aus dem Blick verlieren; sie dürfen nicht auf der Strecke bleiben. Deshalb ist nicht Verharmlosung das Gebot der Stunde, sondern eine realistische Analyse dessen, was auf uns zukommt und wie die Herausforderungen in den Griff zu bekommen sind. Vor diesem Hintergrund bin ich erleichtert, dass auch in Nürnberg die Realität Einzug gehalten hat und dass die Flüchtlingskrise als das gesehen wird, was sie ist: in erster Linie als Krise, die zu bewältigen ist. Es geht nicht darum, dass bedingt durch die Migration, wie es Herr Weise einst ausdrückte, in Deutschland künftig weniger ältere graue Herren durch die Gegend laufen und langsam mit dem Auto auf der Autobahn herumfahren – das war meines Erachtens vollkommen deplatziert und neben der Sache –; vielmehr geht es darum, dass wir Flüchtlinge passgenau unterstützen durch Integrations- und Förderketten. Genau dies tun wir. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Spracherwerb, Kompetenzfeststellung, Qualifizierung, ganzheitliche Betreuung und Wertevermittlung, das sind die wesentlichen Bausteine einer gelingenden Integration. Bayern zeigt, wie es geht. Mit einem ganzen Bündel an Maßnahmen setzt Bayern beispielgebend bei den ankommenden Kindern und Jugendlichen an, indem sie die Sprache lernen und die Grundwerte für das Leben in Deutschland kennenlernen. Das erfolgt zunächst in Übergangsklassen durch Sprachförderangebote der Grund- und Mittelschulen sowie in Berufsintegrationsklassen der Berufsschulen. Gerade die Berufsintegrationsklassen leisten unglaublich viel. Zweijährig, in Vollzeit verbinden sie Spracherwerb mit gezielter Berufsvorbereitung. Dies trifft auf viel Zustimmung der Wirtschaft, aber auch der Flüchtlingsorganisationen. Bayern zeigt, wie es mit pragmatischen Lösungen für die Menschen geht. Deswegen freut es mich, dass es in Bayern einen engen Schulterschluss der Partner am Arbeitsmarkt gibt: Wirtschaft, Bundesagentur für Arbeit und Staatsregierung ziehen an einem Strang. „Keiner darf verloren gehen“, das ist das Motto. Die Mittel dafür heißen Spracherwerb, Qualifizieren und umfassend Betreuen. Die Regionaldirektion Bayern der Bundesagentur für Arbeit nimmt allein 45 Millionen Euro für das nächste Jahr in die Hand für berufssprachlichen Deutschunterricht mit anschließender Berufsorientierung, mit Praktika, gegebenenfalls ergänzt durch assistierte Ausbildung oder ausbildungsbegleitende Hilfen. Ich finde, das ist vorbildlich. Aber: Ohne eine Begrenzung der aktuellen Zuwanderungszahlen werden wir an unsere Grenzen kommen – trotz größter Anstrengungen, trotz immensen Mitteleinsatzes. Deshalb ist es richtig, die Zuwanderung zu begrenzen. Wir sollten uns an all das halten, was wir gemeinsam in dieser Koalition ausgemacht haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Aufstockung des Einzelplans 11 ist in dem Umfang, wie sie vorgenommen wird, sicherlich erforderlich. Der größte Ausgabenblock des Bundes, 40 Prozent der Gesamtausgaben, ist im Haushalt des BMAS vereint. Wir geben hier insgesamt zusätzlich 2,6 Milliarden Euro aus. Davon entfallen 1,9 Milliarden Euro auf Ausgaben im Zusammenhang mit der gestiegenen Flüchtlingszahl. Ich bin sehr gespannt, wie lange diese Zahlen tatsächlich gelten werden. Wir fahren in diesem Bereich derzeit sicherlich auf Sicht. Da die Integration der Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt in den Orten bewältigt werden muss, in denen sie sich tatsächlich befinden, muss das zusätzlich erforderliche Geld dorthin fließen, wo die Arbeit anfällt. Das heißt, die zusätzlichen Mittel für die Jobcenter im Jahr 2016 dürfen nicht auf der Grundlage der bisherigen Verteillogik verteilt werden, weil diese in keiner Weise den Flüchtlingszugängen Rechnung trägt. Es muss der Grundsatz gelten: Jeder Flüchtling muss uns gleich viel wert sein und die gleichen Chancen auf Teilhabe haben – egal ob er sich in Berlin befindet oder im Bayerischen Wald. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Im Wald?) Ich hoffe, dass dieser Ansatz beherzigt wird und auch vonseiten des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales aufgegriffen wird. Das ist nur fair; insbesondere ist es fair gegenüber den betroffenen Menschen. Angesichts der Situation dürfen wir keine weiteren Experimente auf dem Arbeitsmarkt machen. Der Mindestlohn hat sich aufgrund des guten konjunkturellen Umfelds bislang nicht als massiver Einschnitt dargestellt. (Ewald Schurer [SPD]: Im Gegenteil, im Gegenteil! Wirtschaftsförderung! Mehr Kaufkraft! Mehr Konsum!) Es ist jetzt allerdings zu früh für eine seriöse Bewertung der Wirkungen des Mindestlohns. So haben es jedenfalls die Wirtschaftsweisen in ihrem aktuellen Jahresgutachten dargelegt. Ich warne vor zu großem Optimismus. Wir müssen hier die Entwicklungen genau in den Blick nehmen. Wir haben noch viele ungeklärte Fragen, insbesondere auch was Abgrenzungen angeht, was die Arbeitgeberhaftung angeht. Überall da besteht noch Handlungsbedarf. Umso genauer gilt es jetzt bei der Reform der Zeitarbeit und der Werkverträge hinzuschauen. Von Frau Nahles wurde in der letzten Woche ein Referentenentwurf zur Regulierung der Zeitarbeit und der Werkverträge vorgelegt. Ich erachte ihn als nicht zustimmungsfähig. (Bernd Rützel [SPD]: Oh!) Er geht in den entscheidenden Teilen weit über den Koalitionsvertrag hinaus, schafft neue Bürokratie und konterkariert die Aufgabenteilung und Spezialisierung. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Wenn es in die richtige Richtung geht, können Sie sich doch freuen! Dann kann man doch zustimmen!) Deswegen bin ich dankbar, dass die Kanzlerin auf dem Arbeitgebertag klargestellt hat, dass das Gesetz in dieser Form nicht kommt. (Dr. Carola Reimann [SPD]: Wir sind der Bundestag und nicht der Arbeitgebertag!) Wir müssen darauf achten, dass wir bei der Zeitarbeit Spielräume für tarifgebundene Unternehmen lassen. Beim Werkvertrag müssen wir darauf achten, dass wir nicht zu Vermutungstatbeständen und Kriterien kommen, die insgesamt als praxisfremd anzusehen sind. All das zeigt: Wir haben viel vor. Wir haben viel vor bei der Beteiligung von Menschen im Rentenalter; es geht um längeres Arbeiten. Wir haben viel vor, was das Bundesteilhabegesetz angeht. Ich freue mich auf die im nächsten Jahr auf uns zukommenden Aufgaben. Wir werden diese mit der gleichen Begeisterung angehen, wie wir es bislang gemacht haben – für gute Arbeit, für mehr Chancen, für die Menschen in diesem Land. Herzliches Dankeschön. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Aber sehr begeistert haben Sie nicht gesprochen! Die Begeisterung hat man jetzt nicht gehört!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat Daniela Kolbe für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert Weiler [CDU/CSU]) Daniela Kolbe (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei meiner Arbeit in meinem Leipziger Wahlkreis schildern mir Bürgerinnen und Bürger in Gesprächen immer wieder, wie belastend es für sie ist, dass sie keine Arbeit haben. Das sind Geschichten von sozialer Isolation. Die Menschen sitzen zu Hause, haben nichts zu tun, dafür aber existenzielle Sorgen, und sie sind außerdem noch allein. Es macht auf Dauer nicht nur unglücklich, sondern es macht in vielen Fällen auch noch krank, das Leben so an sich vorbeirauschen zu sehen, und wir alle haben nur dieses eine Leben. Uns als SPD ist es deshalb von jeher ein Anliegen, so viele Menschen wie möglich in gute Arbeit zu bringen. Herr Stracke, Herr Kollege, für uns gehört natürlich dazu, dass es einen Mindestlohn für diese gute Arbeit geben muss und dass Leiharbeit und Werkverträge nicht missbraucht werden dürfen. Wir wollen möglichst viele Menschen in gute Arbeit bringen. (Beifall bei der SPD – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Wir auch!) Wer keine Arbeit hat, steht am Rande unserer Gesellschaft. Das ist für uns ein wichtiger Punkt. Das gilt für einheimische Arbeitslose genauso wie für Flüchtlinge. Wir wollen und können es uns nicht leisten, die eine oder die andere Gruppe am Rande stehen zu lassen. (Beifall bei der SPD) Deshalb hat Bundesministerin Andrea Nahles in dieser Legislatur einen ihrer Schwerpunkte auf die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit gelegt. Frau Pothmer, es ist geradezu absurd, Andrea Nahles vorzuwerfen, sie würde wenig in diesem Bereich tun. Es ist ihr ein Herzensanliegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aufgrund der Herausforderungen durch die sehr hohen Flüchtlingszahlen stellt sich natürlich im Zusammenhang mit dem Bundeshaushalt 2016 die Frage nach der Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt. Was brauchen wir, um diese Menschen zu integrieren? Da steht an erster Stelle: Sprache, Sprache, Sprache. Arbeit ist eine der zentralen Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes Leben, für Teilhabe an der Gesellschaft und eben auch für gelingende Integration. Ohne Sprachkenntnisse keine Arbeit: Das gilt auch für einfache Tätigkeiten. (Beifall bei der SPD) Den faktischen Zugang zu Arbeit gibt es nur mit Sprachkenntnissen. Deshalb wollen wir Sprachkurse so früh wie möglich und für so viele Menschen wie möglich. Deutsch lernen, hat noch niemandem geschadet, der in diesem Land lebt. Deshalb ist es für uns so wichtig und richtig, dass nunmehr Spracherwerb und Arbeitsmarktpolitik ganz eng miteinander verknüpft werden. Wir haben im Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz die richtigen Grundlagen gelegt. Wir haben die Integrationskurse endlich geöffnet für Geduldete, für Flüchtlinge, für Asylsuchende mit guter Bleibeperspektive. Wir werden berufsbezogene Sprachförderung und Integrationskurse in einem Gesamtprogramm Sprache zusammenführen – ein richtiger Ansatz. Die Jobcenter können weiterhin als Eingliederungsmaßnahmen berufsbezogene Sprachförderung anbieten. Und wir starten nicht erst 2016: Dank der Bundesagentur für Arbeit geht es jetzt schon richtig los. Mit den Mitteln der BA, den Beitragsmitteln, war es möglich, dass Sprachkurse jetzt schon gestartet sind. Sie werden bis Ende des Jahres auch weiterhin starten. (Beifall bei der SPD) Das alles wird im Haushalt abgebildet. Viele 100 Millionen Euro mehr sind dafür eingestellt. Ich sage ganz klar: Erstens sind drei Minuten viel zu kurz, um über dieses Thema zu sprechen, und zweitens ist jeder Euro, den wir dafür ausgeben, eine Zukunftsinvestition. Wir als SPD würden auch gern noch mehr Zukunftsinvestitionen sehen. Wir wissen, dass unsere Ministerin wie eine Löwin für diese Menschen kämpft, und wir wollen sie dabei unterstützen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner spricht Mark Helfrich für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Mark Helfrich (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „La question sociale“ bezeichneten es die Franzosen, und es war der Dichter Heinrich Heine, der den Begriff 1840 in Deutschland einführte. Gemeint waren die sozialen Missstände infolge der industriellen Revolution in England, in Frankreich und dann auch in Deutschland. 175 Jahre nach Heine darf sich die soziale Frage als Folge der Flüchtlingskrise in Deutschland nicht wieder stellen. Damit dies nicht passiert, statten wir den Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales im nächsten Jahr mit richtig viel Geld aus: 130 Milliarden Euro. Der Einzelplan 11 stellt somit auch im nächsten Jahr den mit Abstand umfangreichsten und größten Einzeletat im Bundeshaushalt dar. Mit der Höhe des Etats wächst aber zugleich auch unsere Verantwortung, die zur Verfügung stehenden Mittel richtig und sinnvoll einzusetzen, damit sie den Menschen auch wirklich helfen. Das macht eine erfolgreiche Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik aus. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Damit sie nachhaltig ist, braucht sie aber immer auch eine solide finanzielle Basis und gute Rahmenbedingungen. Die haben wir in den letzten Jahren dank einer wachstumsorientierten und auf sparsames Haushalten ausgerichteten Politik unter Führung der Union geschaffen. Unsere Erfolge können sich sehen lassen. Wir haben nicht nur die Finanz- und Wirtschaftskrise erfolgreich gemeistert, sondern auch den Bundeshaushalt konsolidiert, und wir legen im zweiten Jahr in Folge einen ausgeglichenen Bundeshaushalt vor. Auch mit unserer Konjunktur verhält es sich derzeit wie einst mit dem VW-Käfer: Sie läuft und läuft und läuft. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: VW ist aber jetzt ein schlechtes Beispiel!) – Damals war das hervorragende Arbeit made in Germany. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Früher war alles besser!) Unser Arbeitsmarkt zeigt sich trotz krisenbehafteten Umfeldes in bester Verfassung: Es sind so wenig Menschen arbeitslos wie seit 24 Jahren nicht mehr. Gleichzeitig geht der Beschäftigungszuwachs weiter. Erstmals in der Geschichte der Bundrepublik waren mehr als 31 Millionen Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das führt dazu, dass die Bundesagentur für Arbeit derzeit auf einem Überschuss von rund 2,8 Milliarden Euro sitzt. Das ist ein gutes Polster. (Beifall bei der CDU/CSU) sowie des Abg. Ewald Schurer [SPD]) Auch die Rentenversicherung profitiert von der steigenden Zahl der Beitragszahler. Im kommenden Jahr können die deutschen Rentnerinnen und Rentner mit einer Rentenerhöhung zwischen 4 und 5 Prozent rechnen. Das gab es seit zwei Jahrzehnten nicht mehr. Dank dieser guten Ausgangslage können wir heute darüber debattieren, wofür wir Geld in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik ausgeben. Dank dieser guten Ausgangslage können wir 2,6 Milliarden Euro mehr ausgeben als ursprünglich geplant. Von diesen 2,6 Milliarden Euro werden knapp 2 Milliarden Euro zur Bewältigung der Flüchtlingskrise eingesetzt. Bei voraussichtlich mehr als 1 Million Asylbewerber in diesem Jahr muss ehrlich ausgesprochen werden: Wir werden nicht alle Flüchtlinge sofort in den Arbeitsmarkt integrieren können. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) Dies zeigt schon ein Blick auf die Qualifikation der Zuwanderer; Vorredner haben es bereits genannt. Nach einer Stichprobe der Bundesagentur für Arbeit sind 81 Prozent der Flüchtlinge ohne formale Qualifikation, 11 Prozent haben eine berufliche Ausbildung, gerade einmal 8 eine akademische. Ingenieure aus Bagdad, Facharbeiter aus Kabul und Ärzte aus Aleppo sind eher die Ausnahme. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es sind aber junge Leute!) Es wird daher lange dauern, bis das Gros der Flüchtlinge ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten kann. 90 Prozent der anerkannten Flüchtlinge werden nach Schätzungen der Bundesagentur für Arbeit zunächst auf Hartz IV angewiesen sein. Erfahrungsgemäß findet nur jeder Zehnte von ihnen nach fünf Jahren eine Arbeit, jeder Zweite erst nach zehn Jahren. So wird Herr Weise in diesen Tagen zitiert. Damit die Zuwanderung nicht dauerhaft in die Sozialsysteme erfolgt, müssen die Flüchtlinge einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz finden. Leben aus eigener Kraft und in eigener Verantwortung – nur das kann das Ziel von uns allen sein, was die Menschen betrifft, die zu uns kommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ewald Schurer [SPD]) Hoffnung macht – dies wurde gerade hier im Plenum gesagt –, dass gut 80 Prozent der Flüchtlinge jünger als 35 Jahre sind und mehr als die Hälfte sogar jünger als 25 Jahre. Das Bildungspotenzial der Menschen, die kommen, ist sehr hoch. Wenn man dann weiß, dass es jede dritte Firma in Deutschland im letzten Jahr nicht geschafft hat, alle Ausbildungsplätze zu besetzen, und dass insgesamt 600 000 Ausbildungsplätze nicht besetzt werden konnten, muss man sagen: Es ist zwar ein Negativrekord, aber gleichzeitig, vor diesem Hintergrund, auch eine Chance. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir können fleißigen, motivierten und talentierten Flüchtlingen durch Bildung und berufliche Qualifizierung also eine gute Arbeitsmarktchance eröffnen. Wir haben deswegen den Jobcentern zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt: 250 Millionen Euro für die Eingliederung in Arbeit, 325 Millionen Euro für die Verwaltungskosten. Die 350 Millionen Euro, die an Ausgaberesten vorhanden sind, können dann noch dazukommen. Insgesamt können 3 800 zusätzliche Stellen in den Jobcentern in Deutschland geschaffen werden. Wirtschaft und Handwerk setzen als Einstiegskriterium für eine Ausbildung, für berufliche Qualifizierung und Tätigkeit gute Deutschkenntnisse voraus. Die ganz überwiegende Mehrheit der Flüchtlinge bringt diese naturgemäß nicht mit. Folgerichtig haben wir auch die Mittel für Bildungsmaßnahmen um rund 180 Millionen Euro auf 312 Millionen Euro aufgestockt. Allerdings sind die sprachlichen Unwägbarkeiten nicht die einzigen Hindernisse auf dem Weg zur beruflichen Integration. Die Menschen, die kommen, finden eine Arbeitswelt vor, die sie so mit Sicherheit noch nicht kennen. Auch unsere duale Berufsausbildung mit Lehrmodulen in Betrieb und Berufsschule ist etwas ganz Neues. Die bisherigen Erfahrungen verschiedener Handwerkskammern in der Bundesrepublik zeigen denn auch, dass dort noch Schwierigkeiten bestehen. Vielen Flüchtlingen fällt es trotz hoher Motivation – die attestieren alle – schwer, sich für eine Ausbildung zu entscheiden, die über mehrere Jahre bei geringer Bezahlung zu absolvieren ist. Es gibt auch Erfahrungen aus Bayern – das wurde heute häufig zitiert –, wonach 70 Prozent der Lehrlinge aus Syrien, Afghanistan und Irak, die im Herbst 2013 eine Ausbildung begonnen haben, nicht mehr in der Ausbildung sind, aber leider ohne Abschluss. Das ist bei diesem Modellprojekt der ernüchternde Teil. Die Zahlen sind bundesweit wohl ähnlich. Umso wichtiger ist es, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jobcenter arbeitsuchende Flüchtlinge davon überzeugen können, dass eine Ausbildung langfristig die einzige Lösung ist. Deshalb haben wir die Mittel für die berufliche Integration und Beratung von Zuwanderern auf insgesamt fast 48 Millionen Euro aufgestockt. (Beifall bei der CDU/CSU) Einen weiteren Schritt bei der Unterstützung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jobcenter sehe ich in dem geplanten Gesetz zur Rechtsvereinfachung im SGB II. Mit diesem Gesetz wollen wir auch im Hinblick auf die wegen der Flüchtlingswelle stärker beanspruchten Ressourcen Verwaltungsabläufe in den Jobcentern vereinfachen. Wichtig ist, dass unsere Jobcenter für die absehbar bevorstehenden Mehrbelastungen gut gewappnet sind. Sonst würden sie wie das BAMF als Behörde im Ausnahmezustand zum Flaschenhals der Flüchtlingsintegration in Deutschland werden. Ich bin in diesem Zusammenhang auch froh – lassen Sie mich das hier erwähnen –, dass wir bei den bestehenden Sanktionsregelungen bleiben können. Das Prinzip „Fördern und Fordern“, auf dem die gute Arbeitsmarktpolitik der vergangenen Jahre basiert, ist richtig und wichtig. Letztlich sind die Sanktionen ein Kontrollmechanismus, und es gibt in unserer Gesellschaft aus gutem Grund an verschiedensten Stellen solche Mechanismen. Sie sind ein Zeichen der Gerechtigkeit und Verantwortung gegenüber denjenigen, die mit ihrer Arbeit bzw. ihren Steuerzahlungen diese Leistungen erst ermöglichen. In Anbetracht der Tatsache, dass die Jobcenter in den nächsten Monaten und Jahren vor einer großen Aufgabe stehen, wäre es das falsche Signal, an dieser Stelle einen Kurswechsel einzuläuten. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es würde die Jobcenter entlasten, wenn man das abschaffen würde!) Zum Thema Mindestlohn. Herr Ernst, Sie haben Herrn Spahn angesprochen. Es gibt auch einige andere, die aus Ihrer Sicht abwegige Vorschläge gemacht haben, unter anderem der Sachverständigenrat. Keine Sorge! Ich will dieses Fass nicht aufmachen. Ich werde mich auch nicht hinstellen und hier etwas fordern. Niemand will Menschen gegeneinander ausspielen. Niemand will, dass es in diesem Land auf der einen Seite Menschen gibt, die den Mindestlohn erhalten, und auf der anderen Seite Menschen, die nicht unter die Mindestlohnregelungen fallen. Ich bitte aber all diejenigen, die das heute betont haben, genauso vehement zu argumentieren, wenn wir darüber reden, wie Betriebe und Unternehmen in den nächsten Monaten und Jahren Stellen anbieten können, die den Menschen im Sinne eines Langzeitpraktikums die Chance eröffnen, in unsere Berufswelt zu kommen. Denn eines ist richtig: In dieser krisengeschüttelten Zeit ist das Wohlergehen unserer Wirtschaft, der deutschen Betriebe, ein wahrer Stabilitätsanker, den wir nicht riskieren sollten. Meine Damen und Herren, ein schon den alten Römern vertrauter Grundsatz lautet: Ultra posse nemo obligatur. Über das Können hinaus wird niemand verpflichtet. – Der Einzelplan 11, der Haushalt für Arbeit und Soziales, zeigt gleichwohl, wie beachtlich unser Können ist. Ich bin hoffnungsvoll, dass wir damit die Herkulesaufgabe der Integration der Flüchtlinge angehen und auch bestehen können. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr. Martin Rosemann für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Martin Rosemann (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, die Zahlen zum Arbeitsmarkt, die vor allem die Kollegen der Union mit stolz geschwellter Brust vortragen, sind gut. Wenn die Politik tatsächlich einen Anteil daran hat, dann will ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, allerdings schon fragen: Wer hat denn den Reformstau in Deutschland abgebaut? (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wer hat Deutschland mit Konjunkturprogrammen und Kurzarbeit durch die Finanzmarktkrise geführt? Das waren deutsche Sozialdemokraten. (Beifall bei der SPD – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Unter einer CDU-Bundeskanzlerin!) Mit dem Haushalt 2016 statten wir die Jobcenter für die wichtige Aufgabe der Integration von Flüchtlingen angemessen aus. Vor allem können sich die Jobcenter rechtzeitig personell und strukturell auf die Herausforderungen einstellen. Wir haben eine doppelte Integrationsaufgabe zu leisten: einerseits die Integration der zu uns kommenden Flüchtlinge, andererseits die Integration derjenigen, die heute schon in unserer Gesellschaft benachteiligt sind. Dabei ist für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten klar, dass nicht die Schwachen gegen die noch Schwächeren ausgespielt werden dürfen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Karl Schiewerling [CDU/CSU]) Deshalb darf es für Flüchtlinge keine Ausnahme beim Mindestlohn geben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich bin froh, dass Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer auf dem Arbeitgebertag gesagt hat, dass eine Sonderregelung für Flüchtlinge beim Mindestlohn Quatsch ist. Recht hat der Mann! (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN) Arbeitsmarktintegration für Flüchtlinge bedeutet für mich nicht, die Flüchtlinge möglichst schnell in irgendwelche Jobs zu vermitteln und damit die Konkurrenz im Bereich der gering qualifizierten Arbeit noch zu verschärfen. Stattdessen geht es darum, in die Potenziale vor allem der vielen jungen Flüchtlinge zu investieren und sie zu den Fachkräften zu machen, die wir benötigen. Gleichzeitig geht es aber auch darum, weiter in die Potenziale von Langzeitarbeitslosen, Geringqualifizierten, Alleinerziehenden und benachteiligten Jugendlichen zu investieren. Liebe Frau Pothmer, Sie haben hier so abfällig über Beratung gesprochen. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht abfällig!) Die Beratung ist doch Kern dessen, was die Jobcenter machen. Ohne Beratung ist die beste Maßnahme nichts, weil dann im Zweifel in die falsche Maßnahme vermittelt wird und man nichts davon hat. (Beifall bei der SPD – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber dafür braucht man Personal und Geld!) Deshalb sage ich Ihnen: Alle Mittel, die für Flüchtlinge zusätzlich benötigt werden, kommen bei den Jobcentern obendrauf. Auch in diesem Jahr gibt es 350 Millionen Euro zusätzlich für die Jobcenter (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben die doch vorher eingespart!) für die Betreuung von Langzeitarbeitslosen, und wir werden die Jobcenter in den kommenden Monaten an anderer Stelle von Aufwand entlasten. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo werden sie denn entlastet? – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sind doch eh unterfinanziert!) Zum Schluss: Diese Koalition wird alle Projekte, die sie sich vorgenommen hat, um Ordnung auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen und mehr Teilhabe zu ermöglichen, umsetzen. Wir werden Leiharbeit und Werkverträge, wie versprochen, regulieren. Wir werden das Bundesteilhabegesetz im Entwurf im kommenden Jahr hier im Parlament beraten und beschließen, damit es zum 1. Januar 2017 in Kraft treten kann. Wir werden auch dafür sorgen, dass das jetzt zwischen den Koalitionsfraktionen vereinbarte Paket zu den flexiblen Übergängen im Gesetzgebungsverfahren zeitnah umgesetzt wird. Das ist ein großes und in die Zukunft gerichtetes Paket mit Anreizen zum längeren Weiterarbeiten, mit einer deutlichen Stärkung von Prävention und Reha, mit einer deutlich flexibleren, einfacheren und attraktiveren Teilrente. Wir werden auch die Zwangsverrentung bei drohender Altersarmut beenden. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Karl Schiewerling [CDU/CSU]) Das alles zeigt: Wir packen auch in der zweiten Hälfte dieser Legislaturperiode das an, was wir versprochen haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 11 – Bundesministerium für Arbeit und Soziales – in der Ausschussfassung. Wer dafür stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Einzelplan 11 ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt I.16 auf: Einzelplan 17 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Drucksachen 18/6124, 18/6125 Berichterstatter sind die Kolleginnen und Kollegen Michael Leutert, Alois Rainer, Ulrike Gottschalck sowie Ekin Deligöz. Zum Einzelplan 17 liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir morgen nach der Schlussabstimmung abstimmen werden. Für diesen Tagesordnungspunkt sind nach einer interfraktionellen Vereinbarung 96 Minuten Aussprachezeit vorgesehen. – Widerspruch erhebt sich nicht. Dann ist das somit beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Michael Leutert für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Michael Leutert (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Ministerin! Für das nächste Jahr stehen dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend etwas mehr als 9 Milliarden Euro zur Verfügung. Das klingt sehr viel, aber man muss dazusagen: Nur 9 Prozent, also circa 800 Millionen Euro, sind für die Programmarbeit vorgesehen. 85 Prozent des Etats werden für gesetzliche Leistungen ausgegeben, allen voran für das Elterngeld mit 6 Milliarden Euro, Tendenz steigend. Fakt ist – und das ist positiv zu bewerten –, dass wir in den Haushaltsverhandlungen die Programmarbeit stärken konnten. Insbesondere die Jugendhilfe wird 27 Millionen Euro mehr bekommen. Das Programm „Demokratie leben!“, das gegen Rechtsextremismus aufgelegt wurde, erhält noch einmal 10 Millionen Euro mehr, und auch die Mittel für die Mehrgenerationenhäuser – die möchte ich nicht vergessen – sind aufgestockt worden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wir müssen uns allerdings fragen, ob die Mittel ausreichen angesichts der Aufgaben, vor denen wir stehen. Ich möchte das am Beispiel des Programms „Demokratie leben!“ skizzieren. Das Programm „Demokratie leben!“ hatte im Jahr 2014  30 Millionen Euro zur Verfügung, dieses Jahr 40 Millionen Euro, nächstes Jahr werden es 50 Millionen Euro. (Ulrike Gottschalck [SPD]: Gut!) Das ist eine gute Tendenz. Man sollte sich aber einmal anschauen, wofür dieses Programm vorgesehen ist. Es soll sich gegen Rechtsextremismus, gegen Antisemitismus, gegen Islamismus, gegen Muslimfeindlichkeit, gegen Gewalt und Menschenfeindlichkeit im Allgemeinen richten. Das alles soll mit vielen verschiedenen Maßnahmen umgesetzt werden, mit Demokratiezentren, lokalen Partnerschaften, Strukturförderung oder auch Modellprojekten. Was heißt das in der Praxis? Das bedeutet, dass ein Landkreis oder eine Kommune im Rahmen eines lokalen Aktionsplanes 60 000 Euro im Jahr bewilligt bekommt. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das ist nicht viel!) Ich frage mich: Was soll ein Landkreis in Sachsen, der zum Beispiel über 2 000 Quadratkilometer groß ist, 300 000 Einwohner und circa 60 Gemeinden hat – damit der Vergleich klar ist: das ist die Dimension des Saarlandes –, mit diesem Geld anfangen? Da in diesen 60 000 Euro auch Personalkosten enthalten sind, würden jeder Gemeinde nicht einmal 500 Euro pro Jahr für das Programm übrig bleiben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen, was derzeit in unserem Land los ist. Die Situation spitzt sich zu. Das Bundesministerium des Innern warnt, der Verfassungsschutz warnt, und das Bundeskriminalamt warnt. Wir haben allein in diesem Jahr bis jetzt 600 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte und Flüchtlinge zu verzeichnen – das ist dreimal so viel wie letztes Jahr –, und es gab rund 223 Verletzte. Leider ist Sachsen auch hier wieder das Negativbeispiel. Dort finden besonders viele fremdenfeindliche Demonstrationen statt; Pegida ist die bekannteste. Dort erleben wir besonders heftige Angriffe; Heidenau und Freital stehen exemplarisch dafür. Die Volksverhetzung nimmt zu. Die Angegriffenen sind nicht nur Flüchtlinge oder ihre Helfer, es sind auch Politikerinnen und Politiker. Es werden Autos angezündet und Büros verwüstet. Das betrifft im Übrigen nicht mehr nur Politiker der Linken oder der Grünen, sondern jetzt auch Politiker der CDU und der FDP: Das prominenteste Opfer ist der sächsische Justizminister, dessen Wohnung vor ein paar Tagen angegriffen wurde. Er war mit seinen Kindern zu Hause; ein Kind ist noch nicht einmal ein Jahr alt. Vor der Wohnung des Dresdner Oberbürgermeisters, FDP, hat sich mehrere Stunden ein Mob versammelt und „Volksverräter“ geschrien. – Das, was zwei Spitzenpolitiker in Sachsen erlebt haben, erleben viele Ehrenamtliche in Sachsen allerdings seit vielen Jahren. Um es noch einmal in Erinnerung zu rufen: Die NPD hat in Sachsen bei der Landtagswahl 2004  9,2 Prozent bekommen, die SPD damals 9,8 Prozent. Das zeigt doch, wie die Gesellschaft positioniert ist. Auch der NSU war in Sachsen zu Hause. Pegida hatte ich schon erwähnt. – Das alles zusammen schafft ein gesellschaftliches Klima, das es der Zivilgesellschaft sehr, sehr schwer macht, dagegenzuhalten. Das bedroht unsere Gesellschaft im Kern, und zwar ernsthaft. Das ist kein Spaß mehr. Aus diesem Grund sage ich: Wir müssen die Zivilgesellschaft in der Breite stärken, und zwar dauerhaft. (Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie der Abg. Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es gibt so viele kleine Vereine, die sich mit ganz normalen Angeboten in der täglichen Stadtteilarbeit und der Jugendarbeit an die Bevölkerung richten. Da zu unserer Bevölkerung jetzt auch Flüchtlinge gehören, richten sich diese Angebote auch an Flüchtlinge, die zum Teil ihrerseits in den Vereinen mithelfen. Wenn die Projekte dieser Vereine bedroht werden, wenn die Vereine nicht einmal vom Staat ausreichend Unterstützung bekommen, dann werden sie diese Angebote einstellen. Jedes Mal, wenn das passiert, bricht uns ein Stück Zivilgesellschaft weg. Das müssen wir verhindern. Dafür brauchen wir dringend mehr Geld. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Sönke Rix [SPD]: Das haben wir geschafft! – Ulrike Gottschalck [SPD]: 10 Millionen mehr! Wieder einmal 10 Millionen!) Wenn wir uns hier im Bundestag einig sind, dass eine Aufgabe wichtig ist – das gab es schon mehrmals –, dann können wir dafür auch Geld mobilisieren. Ich möchte ein Beispiel nennen, ohne irgendetwas gegeneinander ausspielen zu wollen: Wir sind uns im Bundestag einig, dass wir das Elterngeld wollen. Es ist in diesem Etat enthalten und kostet uns 6 Milliarden Euro im Jahr. Das ist es uns wert, weil es uns wichtig ist, dass mehr Kinder geboren werden und diese in gesicherten Verhältnissen aufwachsen können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Aber was nützt uns das, wenn unsere Kinder, weil wir nur 50 Millionen Euro aufwenden, um gegen Rechtsextremismus vorzugehen, in einem durch Fremdenfeinde und Rassisten vergifteten gesellschaftlichen Klima aufwachsen? Das dürfen wir nicht zulassen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Sönke Rix [SPD]) Weil ich den Kollegen Spahn hier gerade sehe, möchte ich noch eines sagen. In der Buchhandlung habe ich Ihr neues Buch gesehen. Ich darf daraus kurz zitieren. Sie schreiben: Obgleich Zigtausende Menschen jeden Tag haupt- und ehrenamtlich fast Übermenschliches leisten, um der Lage Herr zu werden, erleben wir doch in vielen Bereichen eine Art Staatsversagen. Ich möchte Ihnen sagen: Helfen Sie bitte mit – Sie sind Staatssekretär des Finanzministers Schäuble –, dieses Staatsversagen zu beenden, und geben Sie den Ehrenamtlichen das Geld, das sie benötigen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Ich darf ankündigen, dass wir nach der Abstimmung über diesen Tagesordnungspunkt die Sitzung wegen Fraktionssitzungen unterbrechen werden. Bis dahin ist noch etwas Zeit. Ich wollte das nur ankündigen. Ich erteile jetzt das Wort für die Bundesregierung der Bundesministerin Manuela Schwesig. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Von diesem Bundeshaushalt 2016 geht ein starkes Signal für die Familien in unserem Land aus. Welches? Die Familien können sich weiter darauf verlassen, dass sie, egal wie groß die nationalen und internationalen Herausforderungen unseres Landes sind, weiter so gut unterstützt werden wie bisher und ab 2016 mit weiterer Unterstützung rechnen können. Die Familien im Land sind uns wichtig, und wir werden sie weiter gut und verlässlich unterstützen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dank der intensiven Beratung und Ihrer Unterstützung in den Haushaltsberatungen können wir mehr tun, als wir ursprünglich geplant hatten. Dafür bedanke ich mich ganz herzlich. Wichtig ist auch, dass wir nicht unterscheiden zwischen den Familien, die hier schon lange leben – Männer und Frauen mit ihren Kindern und ihren pflegebedürftigen Angehörigen, auch Alleinerziehende –, und den Familien, die zu uns kommen. Mir ist es in der Debatte dieser Tage ganz wichtig, dazu beizutragen, dass sich die Befürchtung, dass wir die einheimische Bevölkerung vergessen, weil wir uns nur noch um Flüchtlinge kümmern – einige versuchen, diese Angst zu schüren –, nicht weiter verfestigt. Das Gegenteil ist der Fall: Wir kümmern uns um alle Familien und um alle Kinder, um die Kinder, die hier geboren sind, aber auch um die Kinder, die bei uns Schutz und Zuflucht suchen. Das gehört zusammen; sie sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]) Wir unterstützen unsere Familien mit dem Familienpaket, das wir in diesem Jahr auf den Weg gebracht haben und das in 2016 stärker wirken wird. Wir haben nicht nur den Kinderfreibetrag und das Kindergeld erhöht, sondern werden ab 2016 den Kinderzuschlag erhöhen, insbesondere für die Familien, die ganz besonders unsere Unterstützung brauchen, diejenigen, die jeden Tag arbeiten gehen, aber eben von geringen Einkommen leben müssen und auch gut über die Runden kommen wollen. Diese Familien unterstützen wir mit Kindergeld und Kinderzuschlag; dieser wird, wie gesagt, im nächsten Jahr erhöht. Das ist eine wichtige Botschaft an alle in unserem Land, die sich anstrengen, und ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung der Kinderarmut. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Insbesondere die Alleinerziehenden werden zukünftig steuerlich besser gefördert. Auch das sieht der Bundeshaushalt 2016 vor. Damit senden wir das Signal an die vielen Frauen, aber auch Männer, die alleine ihren Alltag stemmen, für ihre Kinder da sind, arbeiten gehen und Steuern zahlen, dass wir sie nicht im Stich lassen und zukünftig steuerlich besser fördern als bisher – endlich nach zehn Jahren. Auch das ist ein wichtiges Signal dieses Haushalts. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir werden die Familien im Land, insbesondere die Kinder, auch unterstützen, indem wir die Kinderbetreuung weiter ausbauen. Wir erhöhen die Bundesmittel. Wir haben uns auch entschieden, die aus dem Betreuungsgeld freiwerdenden Mittel ab 2016 zur Verbesserung der Kinderbetreuung einzusetzen. Das hilft allen Kindern im Land, den Kindern, die hier geboren sind, und den Kindern, die zu uns fliehen. Ich möchte nicht, dass Familien in Konkurrenz um Kitaplätze geraten, Familien, die schon da sind, und Familien, die zu uns kommen. Wir brauchen Kitaplätze für alle Kinder. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Viele Kinder, die zu uns kommen, wollen und werden schnell die deutsche Sprache lernen. Ich bin fest davon überzeugt, dass Kinder der Schlüssel zur Integration sind, dass sich Kinder damit leichter tun. Deshalb ist es wichtig, dass es in den Kitas eine gute Sprachförderung gibt. Wir werden weiterhin die Bundesprogramme für Sprachförderung in den Kitas unterstützen; diese helfen allen Kindern. Das ist ein wichtiger Beitrag zur Erhöhung der Bildungschancen von Kindern. Ich finde auch sehr gut, dass es uns in den Beratungen gelungen ist, ein starkes Signal an die vielen ehrenamtlich tätigen Frauen und Männer in unserem Land zu senden. 23 Millionen Frauen und Männer in unserem Land, viele junge Leute, engagieren sich – und zwar nicht erst, seitdem viele Flüchtlinge zu uns kommen; das war schon lange vorher so – in vielen Bereichen: vom Sportverein, vom Fußballtraining für die Kids bis hin zur Hospizarbeit. Ohne dieses Engagement wäre unser Land viel ärmer und längst nicht so solidarisch. Deshalb ist es gut und richtig, dass wir das Ehrenamt zukünftig besser unterstützen, auch vor dem Hintergrund der großen Herausforderung der Integration der Flüchtlinge. Deshalb werden wir den Bundesfreiwilligendienst um 10 000 Stellen aufstocken. Wir haben versprochen, damit zum 1. Januar 2016 zu beginnen. Die gute Nachricht ist: Wir beginnen damit schon zum 1. Dezember 2015. Es wird 10 000 zusätzliche Stellen geben für Einheimische, die sich für Flüchtlinge engagieren wollen, aber auch für Flüchtlinge selbst. Flüchtlinge, die zu uns kommen, sind nicht in erster Linie eine Belastung; sie können etwas, sie bringen etwas mit, sie wollen sich einbringen. Auch ihr Engagement sollten wir nutzen. Herzlichen Dank für die große Aufstockung der Stellen beim Bundesfreiwilligendienst. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir werden auch das ehrenamtliche Engagement mit zusätzlichen 10 Millionen Euro unterstützen. Wir planen hier, wie schon in den Haushaltsberatungen berichtet, ein Patenschaftsprogramm. Wir wollen die Familien, die Patenschaften für Flüchtlingsfamilien übernehmen wollen, mit diesem Programm unterstützen. Wir werden außerdem die großen Wohlfahrtsverbände unterstützen. In den Wohlfahrtsverbänden, Arbeiterwohlfahrt, Diakonie, Caritas, Paritätischer Wohlfahrtsverband, aber auch in den muslimischen und den jüdischen Verbänden wird tagtäglich viel gute Arbeit von Hauptamtlern und Ehrenamtlern geleistet. Deshalb ist es gut und richtig, dass wir mit diesem Haushalt die Förderung der Wohlfahrtsverbände aufstocken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ein ganz wichtiger Punkt: Wir werden mit den zusätzlichen Mitteln, die Sie über die Haushaltsberatungen bereitgestellt haben, dafür sorgen – wir werden den Wohlfahrtsverbänden genau dafür Gelder geben –, dass es zukünftig Schutzkonzepte für Kinder und Frauen in den Flüchtlingsunterkünften gibt. Wir müssen dafür sorgen, dass Kinder und Frauen, die zu uns kommen und selbst vor Gewalt geflohen sind, hier keine Gewalt erleben. Wir brauchen bessere Schutzmaßnahmen in Flüchtlingsunterkünften. Jeder Mensch – jede Frau, jedes Kind und auch jeder Mann –, der hier lebt oder zu uns kommt, muss vor Gewalt geschützt werden. Das ist ein Grundprinzip unseres Landes, und da müssen wir besser werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, Herr Leutert hat es völlig zu Recht angesprochen: In unserem Land gibt es nicht nur die helle Seite – die vielen Ehrenamtler und die vielen Menschen, die sich in der Verwaltung, in ihrem Hauptjob, kümmern –, sondern auch die dunkle Seite. Damit meine ich diejenigen, die Hass, Gewalt und Vorurteile schüren. Wir haben es zu tun mit zunehmendem Rechtsextremismus, aber auch mit zunehmendem Antisemitismus, zunehmendem Salafismus und auch mit linker Gewalt. Das zeigt, dass es unsere Aufgabe ist, unsere Gesellschaft zusammenzuhalten und dafür zu sorgen, dass diejenigen, die jeden Tag Hass, Gewalt und Vorurteile gegen andere schüren, nicht stärker werden; denn sie bedrohen unsere Gesellschaft. Die Gesellschaft wird nicht durch die Menschen, die zu uns kommen, bedroht. Unser Land wird durch diejenigen bedroht, die gegen unsere Demokratie und gegen Weltoffenheit sind. Das ist unser Problem. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb ist unser Programm „Demokratie leben!“ nicht in erster Linie ein Programm gegen etwas, lieber Herr Leutert, sondern ein Programm für etwas: für Demokratie und Vielfalt. Diesem Anspruch kann man nicht an nur einer Stelle nachkommen, auch nicht in einem Landkreis allein. Das muss vielmehr in allen Bereichen der Gesellschaft geschehen. Sie haben völlig recht: Wenn wir mit nur 60 000 Euro in einem Landkreis für Sicherheit sorgen wollten, dann wäre das wenig. Aber Sie wissen auch: Wir machen wesentlich mehr. Wenn sich die Menschen in unserem Land heute fragen: „Kann ich mich eigentlich sicher fühlen?“, dann will ich ganz persönlich sagen: Ja. – Ich war gestern mit meinem Sohn auf dem Weihnachtsmarkt und habe mich genauso gut gefühlt wie jedes Jahr, weil die Bratwurst genauso gut war wie jedes Jahr. Ich finde, wir dürfen unser freiheitliches Leben jetzt nicht infrage stellen. Aber natürlich müssen wir uns Gedanken machen, wie wir die Sicherheit verstärken. Die Sicherheit wird nicht allein durch Bundespolizei und Verfassungsschutz gewährleistet, sondern auch durch Prävention. Wir müssen dafür sorgen, dass sich junge Leute nicht von Rechtsextremen ansprechen lassen, dass sie sich nicht von Salafisten ansprechen lassen und sich nicht dem IS anschließen. Wir pflegen einerseits lokale Partnerschaften vor Ort und fördern andererseits insbesondere bundesweit agierende Träger, die Schulprojekte durchführen, aufklären und die Jugend in ihrer gesamten Vielfalt zusammenbringen. Außerdem fördern wir Aussteigerprojekte und mobile Beratung. Das umfasst viel mehr als nur lokale Demokratiepartnerschaften. Deshalb ist es richtig, dass wir die Mittel für dieses Programm jetzt um 10 Millionen Euro aufstocken. Wir tun das, um diejenigen starkzumachen, die vor Ort jeden Tag ihr Gesicht dafür hinhalten, dass unsere Demokratie gestärkt wird, und die sich dagegenstellen, wenn manche anfangen, Hass und Gewalt gegen andere zu schüren. Das ist die Idee des Programmes „Demokratie leben!“. Deshalb ist es richtig, dass wir da 10 Millionen Euro obendrauf legen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Sie sehen, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete: Der Haushalt 2016 bietet gute Möglichkeiten, die moderne Politik für die Familien im Land fortzusetzen. Wir haben die Möglichkeit, die Zivilgesellschaft und das Ehrenamt viel stärker zu unterstützen als bisher, damit unser Land bleibt, was viele so attraktiv finden, ein familienfreundliches, solidarisches und weltoffenes Land. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulle Schauws für Bündnis 90/Die Grünen. Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Gestern war der Internationale Tag gegen Gewalt gegen Frauen. Darum will ich als Erstes die Frauen und Mädchen in den Blick nehmen, die aus Afrika, Syrien, Afghanistan und von anderswo in der Welt zu uns kommen und bei uns Schutz suchen. Sie fliehen vor Krieg, vor Verfolgung, vor Gewalt und häufig aus geschlechtsspezifischen Gründen. Viele von ihnen haben in ihren Heimatländern Schreckliches erlebt und sind traumatisiert. Auf der Flucht sind insbesondere sie als alleinreisende Frauen und Mädchen gefährdet und von sexualisierter Gewalt bedroht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass diese Mädchen und Frauen auch hier in den Flüchtlingsunterkünften vor Gewalt nicht sicher sind und sexualisierte Übergriffe erleben, kann uns nicht verwundern. Da sind wir als Bund genauso wie die Länder gefragt. Die Kommunen sind derzeit froh, die Flüchtlinge überhaupt unterzubringen. Trotzdem: Es muss auch über das Wie der Unterbringung und über die Mindeststandards, gerade für besonders Schutzbedürftige, gesprochen werden. Es darf doch nicht sein, dass sich Frauen und Mädchen aus Angst vor sexuellen Übergriffen und Gewalt nicht mehr frei bewegen und Toiletten und Duschen meiden. Das gilt auch für lesbische, schwule, trans- oder intersexuelle Flüchtlinge. Nein, sie brauchen Rückzugsräume und abschließbare Sanitäreinrichtungen. Schutzbedürftige brauchen Sicherheit. Betroffene von Gewalt müssen zügig Beratung und Betreuung erhalten, wenn sie diese brauchen. Dazu gehört auch der Einsatz von Dolmetscherinnen. Zugang zu Fachberatungsstellen gegen sexualisierte Gewalt und zu Gewaltschutzeinrichtungen muss gewährleistet werden, die Residenzpflicht darf dem nicht im Weg stehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die im Bundeshaushalt eingestellten 3,75 Millionen Euro zur Unterstützung und Beratung von Flüchtlingsfrauen sind hier deutlich zu wenig. Wir fordern ein Bundesprogramm für Gewaltschutz für schutzbedürftige Flüchtlinge in Höhe von insgesamt 25 Millionen Euro. Wenn wir es versäumen, hier tatkräftig zu investieren, sind langfristige und belastende Folgen absehbar. Da müssen wir, finde ich, jetzt entschiedener handeln. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Noch eines: Posttraumatische Belastungsstörungen als eine Folge von sexualisierter Gewalt nicht mehr als erheblichen Grund gegen Abschiebung anzuerkennen und damit speziell Asylgründe für Frauen zu negieren – dazu sage ich Ihnen ganz klar: Das geht gar nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Frau Ministerin Schwesig, viel Neues im Sinne einer modernen Familienpolitik findet sich im Übrigen in Ihrem Etat nicht. Ich greife einmal vier Punkte heraus. Erstens. Es freut uns, dass das Elterngeld so ein Erfolg ist, und dieser Erfolg ist mit Kosten verbunden. Punkt! Zweitens. Es freut uns, dass das verfassungswidrige Betreuungsgeld vom Tisch ist. Aber wie gut hätte es der Kinder- und Familienpolitik getan, wenn die freiwerdenden Mittel im Haushalt geblieben wären? Wir alle wissen, dass es trotz Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz immer noch an Qualität in Kitas mangelt. All dies gewinnt jetzt mit Blick auf die neu zu uns kommenden Flüchtlingskinder an Bedeutung. Bisher ist unklar, was das für den Alltag in einer Kita tatsächlich bedeutet. Aber dass sich etwas ändern wird, das ist doch klar. Wenn man sich Ihre Schätzungen vor Augen führt, Frau Schwesig, 110 000 Kinder unter sechs Jahren, die allein dieses Jahr zu uns kommen, dann wird deutlich: Das, was Sie dafür an Mitteln in Ihrem Etat eingestellt haben, reicht nicht aus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Drittens. Wie gern hätten wir uns auch über die Erhöhung des Kinderzuschlags gefreut – Sie haben das eben erwähnt –, wäre er nicht derart mickrig ausgefallen. Dabei sind die Stellschrauben den meisten hier Anwesenden bekannt. Hätte die Koalition etwas mehr Engagement an den Tag gelegt und mehr an diesen Stellschrauben gedreht, dann hätte sie vielen mehr helfen können. Viertens. Was mir gerade als frauenpolitische Sprecherin meiner Fraktion am Herzen liegt, ist die große Leerstelle bei den Alleinerziehenden und der Kinder- und Familienarmut. In Deutschland leben rund 1,6 Millionen Alleinerziehende mit ihren Kindern, ganz überwiegend Mütter. Sie arbeiten oft Vollzeit und managen den Familienalltag – rund um die Uhr im vollen Einsatz, oft ohne Atempause. Vier von zehn Alleinerziehenden sind bei uns arm. Ein Drittel im SGBIIBezug ist gleichzeitig berufstätig und stockt auf. Fast jedes zweite Kind im ALGIIBezug wächst in einem Alleinerziehendenhaushalt auf. Das heißt, wenn man etwas gegen Kinderarmut machen möchte, dann muss man bei den Alleinerziehenden ansetzen. In einem so wohlhabenden Land wie unserem kann es doch nicht sein, dass wir Kinder-, Frauen- und Familienarmut in einem solchen Ausmaß zulassen. Da können und da müssen wir noch mehr gegensteuern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Evaluation der Ehe- und Familienförderung aus Ihrem Haus liegen auf dem Tisch, und da bleiben sie anscheinend auch liegen. Hier wird klar: Der Unterhaltsvorschuss hat einen deutlichen Einfluss auf das Armutsrisiko von Kindern. Aber anders als im Unterhaltsrecht endet die Zahlung des Unterhaltsvorschusses mit dem 13. Geburtstag des Kindes. Das geht komplett an der Realität vorbei. Das Gleiche gilt für die Bezugsdauer. Sie ist nämlich auf sechs Jahre begrenzt. Das bedeutet im Falle einer Trennung – gerade wenn die Kinder noch jung sind –, dass Alleinerziehende ziemlich sicher den Zeitpunkt erreichen, an dem der Unterhaltsvorschuss wegfällt. Sie leben quasi auf die Armutsfalle hin. Was ist das für eine Perspektive? Was muten wir den so leistungsfähigen Alleinerziehenden – das sind vor allem Frauen – zu? Deshalb fordern wir, die Bezugsdauer aufzuheben und die Altersgrenze auf 18 Jahre anzuheben. Das wäre ein wesentlicher Schritt, viele Alleinerziehende und ihre Kinder aus der Armut zu holen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Michael Leutert [DIE LINKE]) Liebe Kolleginnen und Kollegen und auch liebe Frau Schwesig: Ich sage Ihnen, mit etwas mehr Mut hätten Sie diesen Einzelplan im Sinne von Frauen und Kindern und gegen deren Armut gerechter ausgestalten können. Sie haben eine große Chance vertan. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Alois Rainer für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Alois Rainer (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Noch nie hat der Bund so viel Geld für Familien, Kinder und Jugendliche bereitgestellt wie in diesem Haushaltsplan. (Beifall bei der CDU/CSU) Dass uns die Familienpolitik am Herzen liegt, zeigen wir einmal mehr mit dem nun vorliegenden Haushaltsentwurf. Trotz der uns allen bekannten schwierigen Situation ist es ein gutes Signal, dass es uns gelungen ist, den Haushalt unseren Vorstellungen entsprechend anzupassen. Insgesamt gilt es festzustellen, dass wir im Haushaltsjahr 2015  8,535 Milliarden Euro für den Einzelplan 17 bereitgestellt haben. Für das Haushaltsjahr 2016 steigen die Leistungen auf beachtliche 9,1 Milliarden Euro. Dies ist, meine sehr verehrten Damen und Herren, das richtige Signal an alle: an Eltern und Kinder, aber auch an die Freiwilligen und die vielen Ehrenamtlichen in unserem Land. (Beifall bei der CDU/CSU) Es war daher auch richtig, das Elterngeld aufgrund der Annahme höherer Geburtenzahlen in der Bereinigungssitzung am 12. November um 205 Millionen Euro auf nun 6 Milliarden Euro anzuheben. Damit stehen weiterhin ausreichend Mittel für das Elterngeld zur Verfügung. Wegen der Zunahme der Geburtenzahlen kann man sehen, dass das Elterngeld ein Erfolgsmodell ist und auch bleiben wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Mit dem vorliegenden Haushalt – und dies war mir und, ich denke, allen Berichterstattern ein besonderes Anliegen – stärken wir auch das Ehrenamt. Denn die vielen Helferinnen und Helfer, die teilweise bis zur Erschöpfung arbeiten, leisten in dieser schwierigen Zeit Großartiges. Zur Stärkung des zivilgesellschaftlichen Engagements haben wir – das war der Koalition ein besonderes Anliegen – 10 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt. In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf die Erhöhung der Mittel für den Bundesfreiwilligendienst in Höhe von 50 Millionen Euro hinweisen. Es werden 10 000 Stellen speziell für den Bundesfreiwilligendienst bedient. Die Inhaber dieser Stellen sollen ausschließlich zur Unterstützung der Flüchtlingsarbeit tätig sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Damit wollen wir eine spürbare Entlastung der Ehrenamtlichen bei der Bewältigung der Flüchtlingsarbeit schaffen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir von Flüchtlingen sprechen, dann heißt das, sich auch Gedanken über diejenigen zu machen, die in Deutschland ein berechtigtes Aufenthaltsrecht besitzen. Meines Erachtens gelingt – das wurde angesprochen – eine Integration nur über die Sprache. Eine vernünftige Integration ist natürlich mit Rechten, aber auch mit Pflichten verbunden. Und das muss auch so gesagt werden. Um dies alles zu ermöglichen, haben wir die Jugendmigrationsdienste – auch wenn die mehr wollten – mit 8 Millionen Euro zusätzlich ausgestattet. Wir haben die Förderung der sogenannten C1-Sprachkurse um weitere 15 Millionen Euro angehoben, um gut ausgebildeten Flüchtlingen schneller den Hochschulzugang zu ermöglichen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Weitere 2 Millionen Euro gehen an den Bundesjugendring. Angesichts der wichtigen Beiträge, die die Wohlfahrtsverbände für die Gesellschaft leisten, werden diese mit 2 Millionen Euro zusätzlich unterstützt. Dies ergibt einen Gesamtansatz von circa 20,8 Millionen Euro. Meine Damen und Herren, es ist schon angesprochen worden: Es ist uns miteinander gelungen, die Mittel zur Bekämpfung von Extremismus und Demokratiefeindlichkeit zu erhöhen. Leider haben Sie es nicht über Ihre Lippen gebracht, lieber Kollege Leutert, auch über linken Extremismus zu reden. Wir reden nämlich nicht nur über rechten Extremismus. (Widerspruch des Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE] Wenn wir über Extremismus sprechen, dann geht es um linken und rechten Extremismus, um Salafismus und anderes. Auch wir wollen keinen rechten Extremismus. Wir sprechen uns massiv dagegen aus. Das, was in Sachsen passiert, verstehe ich nicht. Ich verstehe einfach nicht, warum das so eine Brutstätte ist. Wir beide können uns gerne einmal darüber unterhalten; vielleicht finden wir eine Lösung, was das angeht. Aber bitte lassen Sie uns nicht nur einseitig von einer Form von Extremismus sprechen, sondern von allen seinen Formen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Karin Binder [DIE LINKE]: Was passiert denn hier in Deutschland gerade, Herr Kollege?) Es ist uns in den zurückliegenden Verhandlungen gelungen, an den wichtigsten Stellschrauben wie den gesetzlichen Leistungen, der Kinder- und Jugendpolitik, aber auch der Stärkung der Zivilgesellschaft und der Familien-, Gleichstellungs- und Seniorenpolitik zu drehen und die nötigen Akzente zu setzen. Des Weiteren entlasten wir die Familien mit dem Kinderfreibetrag und dem Kinderzuschlag in diesem Jahr bereits um 750 Millionen Euro. Meine sehr verehrten Damen und Herren, trotz der enormen finanziellen Auswirkungen auf den Bundeshaushalt haben wir einen ausgewogenen Haushalt vorgelegt. Deshalb bin ich sehr froh und guter Dinge, dass der Bund die finanziellen Herausforderungen ohne neue Schulden und vor allem ohne Steuererhöhungen bewältigen wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Dass der Bund dazu überhaupt in der Lage ist, ist den guten Steuereinnahmen geschuldet, und wir haben diese guten Steuereinnahmen, weil die politischen Stellschrauben richtig gestellt wurden, weil wir fleißige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland haben und weil wir fleißige und innovative Arbeitgeber in Deutschland haben. Nur deshalb haben wir die Möglichkeit, diese Mittel zweckgebunden auszugeben. Eine Politik ohne neue Schulden und Steuererhöhungen ist für mich persönlich eine verantwortungsvolle und generationengerechte Politik. So müssen und werden wir auch weitermachen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Lassen Sie mich zum Schluss aber noch eines anmerken: Bei all der derzeitigen verantwortungsvollen und wichtigen Diskussion tragen wir auch Verantwortung gegenüber den Menschen und Familien in unserem Deutschland. Dieser Verantwortung stellen wir uns immer neu mit einer Unterstützung, wie sie so noch nie dagewesen ist. Ich will nur kurz ein paar Punkte ansprechen, die diesen Einzelplan betreffen: Wir verstetigen die Förderung der Mehrgenerationenhäuser, der Conterganstiftung, des Fonds Sexueller Missbrauch, des Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“ – das ist unglaublich wichtig –, und wir werden eine Kinderschutzhotline für Ärzte einführen. Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs wird gestärkt. Wir stellen 3 Millionen Euro für das Deutsch-Griechische Jugendwerk zur Verfügung und kommen damit einer Vereinbarung im Koalitionsvertrag nach. Ich glaube, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage. Vizepräsident Johannes Singhammer: Ja, der Präsident hat das schon gesehen. Die Kollegin Deligöz möchte eine Zwischenfrage stellen, und ich vermute, dass Sie damit einverstanden sind. Alois Rainer (CDU/CSU): Selbstverständlich. Vizepräsident Johannes Singhammer: Bitte schön. Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Rainer, ich habe gerade noch einmal Ihren Vorschlag vernommen, von dem ich auch schon in der Presse gelesen habe. Ist Ihnen klar, dass, wenn Sie die Mittel für die Aufarbeitungskommission und für den Beauftragten gleichstellen – Sie haben von 3 Millionen Euro gesprochen –, dies bedeuten würde, dass sich der Beauftragte, wenn er das Geld für die Aufarbeitungskommission verwendet, selbst abschaffen müsste, weil er dann keine Möglichkeiten mehr hätte, seinen Auftrag als Beauftragter zu gewährleisten? Der Bundestag hat dem Beauftragten zusätzlich 3 Millionen Euro zugesagt. Davon ist nur ein Bruchteil finanziert. Ist Ihnen bewusst, dass die Aufarbeitungskommission, wenn dort nicht aufgestockt wird, nicht ihre Arbeit aufnehmen kann, es sei denn, der Beauftragte schaffte sich selbst ab? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Alois Rainer (CDU/CSU): Wir haben meines Erachtens dem Beauftragten 500 000 Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt. (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber 3 Millionen waren besprochen!) Bei einem Gesamtvolumen von zuvor 3,2 Millionen Euro sind wir nun bei nachweislich 3,7 Millionen Euro. Wir sind also über 3 Millionen Euro. Liebe Frau Kollegin, wir haben viele Gespräche mit dem Haus darüber geführt, wie das zu verstehen ist. Für mich sind es nach wie vor über 3 Millionen Euro, genau 3,7 Millionen Euro. Zu diesem Ergebnis kommt man, wenn man beides addiert. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann soll er sich selbst abschaffen!) – Nein, er soll sich nicht abschaffen; denn es sind noch andere Häuser gefragt, hier einen finanziellen Beitrag zu leisten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir verstehen unsere Arbeit für die Jugend so, wie es in diesem Haushaltsplan angedacht ist. Mit den entsprechenden Mitteln sind wir auf einem guten Weg für unsere Familien, unsere Kinder, unsere Jugend und unsere Senioren. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Leutert. Michael Leutert (DIE LINKE): Lieber Herr Kollege, ich habe in meinem Redebeitrag sehr wohl gesagt, dass sich das infragestehende Programm für Demokratie unter anderem gegen Gewalt und Menschenfeindlichkeit insgesamt wendet. Das schließt meines Erachtens jede Form von Extremismus ein. Ich habe mich aber bewusst auf den Rechtsextremismus konzentriert, weil er unser aktuelles Problem darstellt. Die Flüchtlinge und ihre Heime, die Ehrenamtlichen sowie Politikerinnen und Politiker werden derzeit von Fremdenfeinden und Rassisten angegriffen. Es ist die Aufgabe der Politik, auf aktuelle Ereignisse zu reagieren und Probleme vorausschauend zu lösen. Derzeit warnen die Sicherheitsbehörden vor dem Problem des Rechtsextremismus bzw. der Fremdenfeindlichkeit. Aufgrund dieses aktuellen Anlasses habe ich darauf hingewiesen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Rainer, möchten Sie darauf erwidern? Die Möglichkeit bestünde jedenfalls. – Bitte, Herr Rainer. Alois Rainer (CDU/CSU): Lieber Kollege, Sie haben das vielleicht im Gesamtkontext gesehen, aber das Wort „Linksextremismus“ einfach nicht in den Mund genommen. Da Sie jede Form von Extremismus aufgezählt haben, hätten Sie auch den Linksextremismus erwähnen können. Wenn wir eine vorausschauende Politik betreiben wollen, dann sollten wir auch darauf hinweisen, dass es Linksextremismus in Deutschland gegeben hat und noch immer gibt. (Karin Binder [DIE LINKE]: Wo?) Frankfurt ist ein gutes Beispiel. Linksextremismus gibt es auch bei uns. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Mein Gott! – Karin Binder [DIE LINKE]: Man kann ihn auch herbeireden!) Danke. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die SPD hat jetzt das Wort die Kollegin Dr. Carola Reimann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Carola Reimann (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Einzelplan für Familie, Senioren, Frauen und Jugend umfasst gut 9 Milliarden Euro. Damit bewegen wir eine ganze Menge. Das hat die Ministerin zu Beginn der Debatte deutlich gemacht. Vom Elterngeld über Mehrgenerationenhäuser und den Bundesfreiwilligendienst bis hin zur Stärkung von Demokratie und Vielfalt investieren wir nachhaltig in den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Ich finde, das ist gut investiertes Geld. Zu den genannten Mitteln kommen Investitionen für Familien, Kinder und Jugendliche aus anderen Etats. Wir unterstützen Familien durch finanzielle Leistungen, durch höheres Kindergeld, durch eine Erhöhung des Kinderzuschlags und durch eine bessere Betreuungsinfrastruktur. Wir bringen den Kitaausbau weiter voran durch zusätzliche Mittel für das Sondervermögen „Kinderbetreuungsausbau“ und das Bundesprogramm „KitaPlus“. Denn Randzeitenbetreuung ist gerade für berufstätige Mütter und Väter und insbesondere für Alleinerziehende wichtig, die nicht den klassischen Nine-to-five-Job haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gut investiert sind im Übrigen auch die freiwerdenden Mittel aus dem Betreuungsgeld. Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten war nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts immer klar: Wir wollen Vertrauensschutz für diejenigen, die diese Leistung beziehen und beantragt haben. Wir wollen, dass diese Gelder den Familien weiter zugutekommen. Wir wollen auch eine bessere Kinderbetreuung. Das haben am Anfang nicht alle so gesehen. Da haben wir uns durchgesetzt, und das ist auch gut so. (Beifall bei der SPD) Familien brauchen Geld, Familien brauchen eine gut funktionierende, qualitativ hochwertige Betreuungsinfrastruktur, und Familien brauchen Zeit. Gerade für Frauen und Männer in der Mitte ihres Lebens, die viel Verantwortung tragen, im Beruf, für ihre Kinder, für ihre Eltern, ist Zeit die knappste Ressource. Mit dem Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf und mit dem Elterngeld Plus unterstützen wir Familien, die viel Verantwortung tragen, und wir zeigen auch, dass wir die zeitpolitischen Herausforderungen in der heutigen Zeit angehen. Ich weiß, dass das in den Ohren einiger Haushälter jetzt seltsam klingt, aber ich freue mich über die Mehrausgaben beim Elterngeld; denn diese Ausgaben zeigen, dass das Elterngeld bei Müttern und zunehmend auch bei Vätern gut ankommt. Sie bestärken uns darin, diesen Weg in der Zeitpolitik weiterzugehen. Wir wollen die partnerschaftliche Arbeitsteilung von Müttern und Vätern. Wir wollen, dass berufstätige Eltern mit der Familienarbeitszeit mehr Zeit für ihre Familien haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der vorliegende Haushalt ist auch Ausdruck der erfolgreichen Arbeit, die die Bundesregierung in den vergangenen zwei Jahren geleistet hat. Neben den unmittelbar im Haushalt wirksamen Projekten haben wir gerade im Bereich der Gleichstellung viel erreicht. Mit dem Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Männern und Frauen an Führungspositionen haben wir nicht nur einen wichtigen – ich finde, einen historischen – Schritt für mehr Gleichberechtigung geschafft, sondern wir haben auch die Weichen für mehr Vielfalt in den Führungsetagen gestellt. Davon werden Unternehmen profitieren. Darauf werden wir uns aber nicht ausruhen. Die Gleichstellung von Frauen und Männern bleibt auf der Agenda, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa. Deshalb begrüße ich die Initiative für eine europäische Frauenquote, und ich finde, dass sich Deutschland dafür auch auf europäischer Ebene starkmachen muss. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Natürlich werden wir uns in den kommenden Wochen dem Thema Lohngerechtigkeit zuwenden. Noch immer verdienen Frauen in Deutschland im Schnitt 22 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Das ist ein Skandal. Seit Jahren treten wir hier auf der Stelle. Es hilft nichts, jedes Jahr neu diese Zahlen zu beklagen. Deshalb ist es Zeit für ein Gesetz für mehr Lohngerechtigkeit. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben noch viel vor bei der Gleichstellung, bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und auch bei der Kinderbetreuung und im Bildungsbereich. Gerade bei den letzteren Punkten ist die Herausforderung in Zeiten starker Zuwanderung noch größer geworden. Aber – auch das will ich hier betonen – diese Herausforderungen sind auch nicht neu. Mehr Qualität in Kitas, frühkindliche Bildung, stärkere Sprachförderung, gute Schulen, verlässliche Ganztagsbetreuung – dafür setzen wir uns seit Jahren ein. Es hat sich da auch vieles getan. Jetzt gilt es, mit den neuen Integrationsherausforderungen die Chance für einen zusätzlichen Investitionsschub zu ergreifen. Dabei geht es nicht um ein Entweder-oder, also darum, dass die einen etwas bekommen und die anderen nichts. Nein, von diesem Investitionsschub müssen und werden alle profitieren; denn nur so kann Integration gelingen. (Beifall bei der SPD) Kolleginnen und Kollegen, das alles kostet Geld. Aber wir müssen jetzt klotzen und dürfen nicht kleckern, wie es Thomas Oppermann gestern schon gesagt hat. Dieses Geld ist eine gute Investition, weil sie den Zusammenhalt in unserem Land stärkt und weil am Ende alle von mehr Qualität in guten Kitas, von guten Schulen und von verlässlicher Ganztagsbetreuung profitieren. Danke fürs Zuhören. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Jörn Wunderlich für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gerade in der gegenwärtigen Situation ist in Deutschland Familienpolitik furchtbar wichtig. Wir haben es von allen gehört. Was in der Familienpolitik alles so Tolles geleistet worden ist, jedenfalls angeblich, konnten wir gerade wahrnehmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Michaela Noll [CDU/CSU]: Bis hierher stimmt es! – Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Herr Wunderlich, ich sehe eine gemeinsame Zukunft! – Sönke Rix [SPD]: Einsicht ist der erste Weg zur Besserung!) Es gibt aber auch Kritikpunkte. Ich möchte mich aufgrund der beschränkten Redezeit auf vier Punkte beschränken. Das Sondervermögen Kitaausbau ist anstelle von 230 Millionen Euro mit 1 Milliarde Euro aufzustocken. Es fehlen noch immer Plätze. Wenn man Kitas wirklich als frühkindliche Bildungsstätten versteht, dann muss man sagen, dass dies die Investition in die Zukunft ist, die von allen Seiten immer gefordert wird. Kinder sind unsere Zukunft. Wir alle freuen uns über eine gestiegene Geburtenrate. Gleichzeitig scheint die Kinderarmut in Deutschland aber nicht das prägnante Thema für diese Regierungskoalition zu sein. Dazu zählt auch die Kinder- und Jugendpolitik, gerade unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Situation mit den Anforderungen an eine gelungene Integrationspolitik. (Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch!) Jeder hier investierte Euro ist ein gut investierter Euro. Das weiß jeder, der in der Kinder- und Jugendpolitik tätig ist. (Beifall bei der LINKEN) Ebenso zieht jeder gesparte Euro ein Vielfaches an Folgekosten nach sich. Mein Kollege Weinberg hat schon in der ersten Lesung zum Haushalt dazu bemerkt – ich zitiere –: Wir – damit meint er die Regierung – haben in der Vergangenheit Fehler gemacht: bei den Gastarbeitern, bei den Aussiedlern, Anfang der 90er-Jahre auch im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina. Aus diesen Fehlern sollten wir lernen. Integration von Anfang an, so früh wie möglich. (Beifall bei der LINKEN, der CDU/CSU und der SPD) Und? Gelernt? Pustekuchen! Zur Vermeidung von sogenannten Parallelgesellschaften, wie es von der Regierung immer wieder betont wird, fehlt erkennbar der politische Wille dieser Koalition. Die Linke will integrieren, um nicht erneut eine verlorene Generation zu generieren. Deshalb reichen die Mittel bei der Betreuung unbegleiteter Minderjähriger eben nicht aus. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) In Brandenburg sind im Nachtragshaushalt für nächstes Jahr 90 Millionen Euro dafür eingestellt. Die Bundesregierung stellt insgesamt 350 Millionen Euro zur Verfügung. Nach dem Königsteiner Schlüssel bekommt Brandenburg davon 10,7 Millionen Euro, bleibt also auf 88 Prozent der Kosten sitzen. Ähnlich sieht es in Thüringen aus, wo der Freistaat auf 87 Prozent der geplanten 77 Millionen Euro sitzen bleibt. Deshalb muss der Bund in diesem gesamten Bereich mehr investieren. Die 350 Millionen Euro reichen nicht aus. Wenn wir nächstes Jahr die Marke von 100 000 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen erreicht haben und die Unterbringung pauschal pro Tag 140 Euro kostet, dann kann sich jeder einigermaßen nicht Dumme ausrechnen, dass die 350 Millionen Euro bei weitem nicht ausreichen, sondern eine Lachnummer sind. Hier werden Kinder wieder einmal in ihren Verfassungsrechten beschnitten. Problematisch bei dieser Finanzierung ist – das muss ich zugeben –, dass sowohl die positiven Effekte als auch die nachteiligen Wirkungen erst in Jahren sichtbar bzw. wirksam werden. Dazwischen liegen dummerweise Wahlen. Offensichtlich möchte die Regierung nur kurzsichtig mit fadenscheinigen Erfolgen protzen, die in der Gesamtschau für Deutschland einfach teurer werden. Der Unterhaltsvorschuss ist ein wesentliches Mittel, um Kinderarmut zu verhindern. Von daher sollte dieser ausgebaut und entfristet werden. Deshalb fordert Die Linke schon seit mehr als zehn Jahren, den Unterhaltsvorschuss über das zwölfte Lebensjahr und länger als sechs Jahre zu zahlen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Sogar die Kommission „Zusammenhalt stärken – Zukunft der Bürgergesellschaft gestalten“ der CDU sagte im Juni – ich zitiere –: Wir wollen dafür sorgen, dass der Unterhaltvorschuss länger als 72 Monate und über das zwölfte Lebensjahr des Kindes hinaus gezahlt werden kann. Niemand kann erklären, warum ein Kind ab dem zwölften Lebensjahr keinen Unterhalt mehr bekommen soll oder warum es längstens sechs Jahre Unterhalt erhalten darf. Das muss geändert werden. Die SPD will es. Die CDU-Kommission will es. Wer bremst denn da wieder aus? Wo in diesem Kabinett die schwarze Null sitzt – heute ist er nicht hier; sein Adlatus ist hier –, ist ganz offensichtlich. (Maik Beermann [CDU/CSU]: Na, na, na!) Die schwarze Null als prioritäres Ziel zu definieren, zeugt nicht von perspektivischem Denken. Würde man dies auf private Haushalte übertragen, dann würde die Bauwirtschaft zusammenbrechen. Häuser würde man nur noch mit eigenem Geld finanzieren. Hausbaukredite wären dann hinfällig, weil man keinen Baukredit mehr aufnehmen dürfte, wobei auch das in der Regel gut investiertes Geld ist. Gut wäre auch in die Jugendpolitik investiertes Geld. Hier ist seit Jahren gekürzt worden. In den vergangenen beiden Legislaturperioden fand Jugendpolitik praktisch nicht statt. (Sönke Rix [SPD]: Stimmt doch überhaupt nicht! Haben Sie mal in den Haushalt geguckt?) Dankenswerterweise hat Ministerin Schwesig eine Arbeitsgruppe gebildet, die die Jugend und ihre Vorstellung von der Gestaltung ihrer Zukunft in die Demografiestrategie Deutschlands einbeziehen will. Aber es reicht nicht aus, im Rahmen einer Arbeitsgruppe die Wünsche der Jugendlichen aufzunehmen und in Handlungsempfehlungen für die nächste Regierung einfließen zu lassen. Deshalb fordert die Linke, zumindest die Kürzungen der letzten Jahre in der Jugendpolitik zurückzunehmen. (Beifall bei der LINKEN – Sönke Rix [SPD]: Kürzungen?) Letzter Punkt. Der Kinderzuschlag als wirksames Mittel gegen Kinderarmut muss dringend verstärkt ausgebaut werden, um gerade die Eltern, die im Niedriglohnsektor arbeiten, mit ihren Kindern aus dem diskriminierenden System Hartz IV herauszuholen bzw. sie davor zu bewahren. 2014 haben 95 000 Berechtigte Kinderzuschlag erhalten. Die von der Regierung geplanten 20 Euro Erhöhung auf 160 Euro ab dem 1. Juni 2016 – Frau Schwesig hat es angesprochen – reichen da bei weitem nicht aus, um Kinderarmut effektiv zu bekämpfen. Deshalb fordert die Linke einen gestaffelten Kinderzuschlag von 220 Euro für bis 6-Jährige, von 260 Euro für bis 14-Jährige und von 300 Euro für bis 18-Jährige – nicht nur im Hinblick auf die Mütter und Väter, sondern insbesondere im Hinblick auf die betroffenen Kinder. (Beifall bei der LINKEN) All dies sollte geschehen, damit wir nicht in 15 oder 20 Jahren wieder von einer verlorenen Generation sprechen müssen. Deshalb will die Linke verstärkt in unsere Zukunft, nämlich in Kinder und Jugendliche, investieren. Schade, dass sich bei allen guten Vorsätzen und Wünschen die Familienministerin in der Koalition nicht durchsetzen konnte. Zukunftsprogramm und -investitionen statt schwarze Nullen im Kabinett, das ist linke Politik. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als Nächste spricht die Kollegin Nadine Schön für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Carola Reimann [SPD]) Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Haushaltsdebatten, das ist immer ein Ringen darum, wie die Gelder, die wir von unseren Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung bekommen, wie Steuergelder so gut, klug und umsichtig investiert und verteilt werden können, dass sie den Menschen in unserem Land wieder zugutekommen. Jedes Ressort, jeder Fachpolitiker ringt natürlich darum, dass in seinem Bereich die Mittel steigen, dass die Anliegen, die man als Fachpolitiker hat, in diesem Haushalt berücksichtigt werden. Wir Familienpolitiker können mit Stolz sagen, dass seit zehn Jahren, seit Angela Merkel Bundeskanzlerin ist, die Ausgaben für Familien in unserem Land von Jahr zu Jahr steigen. Das ist ein gutes Ergebnis. Das ist ein gutes Signal an die Menschen in unserem Land. Dafür haben sich die CDU und die CSU starkgemacht. (Beifall bei der CDU/CSU) Auch in diesem Jahr wächst der Haushalt des Bundesfamilienministeriums um mehrere Millionen Euro. Gerade in der Bereinigungssitzung letzte Sitzungswoche haben die Haushälter noch einmal wichtige Maßnahmen ergriffen, die zur Bewältigung der aktuellen Flüchtlingskrise beitragen. Wir wissen, dass viele derjenigen, die heute zu uns kommen, länger in unserem Land bleiben werden. Deshalb ist die Integration natürlich eine entscheidende Aufgabe für uns alle. Das führt dazu, dass wir etwas investieren müssen. Den Menschen, die zu uns kommen, stellen wir eine Unterkunft, Verpflegung, aber eben auch Angebote zum Spracherwerb, zur Vermittlung unserer Kultur und vieles mehr zur Verfügung. Wir können aber umgekehrt von den Menschen, die zu uns kommen, auch verlangen, dass sie diese Angebote annehmen, dass sie sich integrieren und dass sie sich selbst in unsere Gesellschaft einbringen, mit ihren Fähigkeiten, mit ihrem Willen, aber auch mit der Akzeptanz unserer Werte. Diese sollen sie aber nicht nur akzeptieren, sondern auch erlernen und leben. Insofern ist Integration immer ein Geben und Nehmen. Sie muss in meinen Augen in den nächsten Jahren wesentlich verbindlicher werden, als wir es in der Vergangenheit erlebt haben. Viele sprechen zu Recht davon, dass die Integration bei uns in der Vergangenheit teilweise gescheitert ist, eben weil diese Verbindlichkeit gefehlt hat, weil man gesagt hat: Das wird schon irgendwie passen. Darum brauchen wir uns nicht groß zu kümmern. – Nein, Integration muss für beide Seiten verbindlich werden. Das ist ein Anliegen, das die Union hat und das man in den nächsten Wochen und Monaten noch mit geeigneten Maßnahmen unterlegen muss. (Beifall bei der CDU/CSU) In diesem Haushalt machen wir schon vieles, was zur Integration beitragen wird. Zum einen schaffen wir 10 000 neue Stellen im Bundesfreiwilligendienst. Das sind 10 000 neue Stellen für Flüchtlingsarbeit, die den Hauptamtlichen zugutekommen, die in den Kommunen, in den Hilfsorganisationen wirklich am Rande dessen sind, was sie leisten können, die aber gleichzeitig auch die Ehrenamtlichen entlasten, weil die Bundesfreiwilligendienstler genau an der Schnittstelle zwischen Ehrenamt und Hauptamt tätig sind. Das Geld für die 10 000 neuen Stellen ist wirklich gut angelegtes Geld, um Hauptamt und Ehrenamt zu entlasten und somit vor Ort wirklich viel zu helfen. Wir als Union haben gleich gesagt: Wenn wir 10 000 neue Stellen schaffen, wenn wir ein neues Programm auflegen, dann wollen wir, dass auch Flüchtlinge, die zu uns kommen, sich von Anfang an ehrenamtlich, mit bürgerschaftlichem Engagement in unsere Gesellschaft einbringen können. Wieso sollen nicht auch Flüchtlinge Bundesfreiwilligendienst leisten können? Das war unser Vorschlag. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Das war ein sehr guter Vorschlag!) Wir sind sehr froh, dass wir in diesen Tagen das Programm auf den Weg bringen, das es auch Flüchtlingen ermöglicht, Bundesfreiwilligendienst zu leisten; denn das gibt ein Zeichen in unsere Gesellschaft, dass diejenigen, die zu uns kommen, bereit sind, sich einzubringen. Das gibt aber auch ein Zeichen an die Flüchtlinge: Jeder Einzelne von euch ist uns wichtig. Uns ist wichtig, dass du dich einbringst mit deinen Fähigkeiten, mit deiner Arbeit, mit deiner Tatkraft, auch mit den Erfahrungen, die du mitbringst. – Deshalb ist das Geld für diese 10 000 neuen Stellen, vor allem für diejenigen, die von Flüchtlingen selbst besetzt werden, wirklich gut angelegtes Geld. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir werden 10 Millionen Euro zusätzlich einsetzen, um ehrenamtliches Engagement zu verstärken. Ehrenamtlich wird in unseren Hilfsorganisationen seit Jahren wahnsinnig viel geleistet, in ganz vielen Bereichen. Es ist wichtig, dass diese Arbeit, die in den letzten Jahren geleistet worden ist, jetzt nicht plötzlich liegen bleibt, weil es nur noch gilt, die Flüchtlingskrise zu bewältigen. Deshalb ist es richtig, dass wir die Hilfsorganisationen mit Mitteln des Bundes unterstützen. Das tun wir hier maßgeblich. So tragen wir dazu bei, dass die normale Arbeit der Hilfsorganisationen weitergeführt werden kann, aber gleichzeitig auch die neuen Herausforderungen bewältigt werden können. Wir überlegen jetzt: Wie kann man die Ehrenamtler vor Ort besser unterstützen? Die Ministerin hat die Idee angesprochen, dass wir Patenschaften unterstützen. Patenschaften gibt es bereits in vielen Kommunen. Sie funktionieren hervorragend. Es gibt nichts Besseres als Patenschaften zwischen zwei Männern oder zwei Frauen, die am Küchentisch gemeinsam über unsere Werte, über unsere Kultur etc. diskutieren. Patenschaften sind der beste Weg der Integration in unsere Gesellschaft. (Beifall bei der CDU/CSU) Man sollte jetzt aber keine Doppelstrukturen schaffen. Ich glaube, an diesem Punkt müssen wir ziemlich genau aufpassen, dass wir nicht ein Parallelprogramm des Bundes auflegen, ein Programm parallel zu dem, was es vor Ort schon gibt. Deshalb sollten wir sehr genau gucken: Was brauchen die Patenschaften, die es heute schon gibt? Wie können wir dafür sorgen, dass es mehr Patenschaften gibt? Ich glaube, dass es bei diesen Patenschaften ein ganz großes Bedürfnis nach Beratung gibt, vor allem kultureller Beratung, weil es komplett verschiedene Kulturen sind, die aufeinandertreffen. Die kulturelle Beratung, die Beratung in Alltagsfragen, die sich hier stellen – das sollte Inhalt unserer neuen Initiative sein, mit der wir das ehrenamtliche Engagement vor Ort konkret unterstützen; denn das ist das, wofür es bei den Menschen vor Ort einen Bedarf gibt. Das ist das, was wirklich vor Ort ankommt. Wir richten unseren Blick vor allem auf die Schwachen, die zu uns kommen. Das sind zum Ersten die Traumatisierten. Für die legen wir jetzt noch ein Programm in Höhe von 6 Millionen Euro auf. Das sind zum Zweiten die Jugendlichen, die besonders von den Jugendmigrationsdiensten betreut werden. Hierfür hat der Haushaltsausschuss noch einmal 8 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Zum Dritten sind es die Schwangeren und zum Teil auch Frauen und Mädchen, die Vergewaltigung und Gewalt erfahren mussten. Wir haben extra Gelder eingestellt, um diese besonders gut betreuen zu können. Sie sehen also: Mit einem großen finanziellen Engagement kümmern wir uns wirklich entscheidend um die Menschen, die zu uns kommen. Mir ist wichtig, dass bei all den Diskussionen, die wir jetzt um die Flüchtlingskrise führen, draußen bei den Menschen nicht der Eindruck entsteht: Wir machen jetzt nichts anderes mehr. Wir kümmern uns nur noch um die Flüchtlingskrise. – Das Gegenteil ist der Fall: Wir haben in diesem Jahr viele Maßnahmen auf den Weg gebracht, die den Familien in unserem Land konkret helfen. Und unsere Arbeit geht unvermindert weiter: Wir arbeiten an der Umsetzung des Koalitionsvertrages und an vielen weiteren Verbesserungen für die Frauen, die älteren Menschen, die Kinder und die Familien in unserem Land. Das bildet sich auch im Haushalt ab, etwa beim Elterngeld Plus. Das Elterngeld haben wir unter Schwarz-Rot eingeführt. Wir haben die Mittel dafür ständig aufgestockt und es jetzt mit dem Elterngeld Plus flexibilisiert. Mittlerweile sind wir bei 6 Milliarden Euro für die Familien in unserem Land. Die Ausgaben für das Elterngeld steigen auch deshalb, weil der Anteil der Väter, die Elternzeit nehmen, steigt. Das ist ein wirklich gutes Signal. Das zeigt, dass die Partnerschaftlichkeit zwischen Männern und Frauen in unserem Land gestärkt wird. Das zeigt, dass sich auch immer mehr Männer in die Erziehung der Kinder einbringen. Das entspricht genau den Wünschen der jungen Familien. Mittlerweile nimmt jeder dritte Vater Elternzeit. Deshalb sind die 6 Milliarden Euro auch wirklich gut angelegtes Geld. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir investieren weiter in den Ausbau der Kitabetreuung. Auch das ist etwas, was die Menschen in unserem Land wünschen. Wir haben hier sehr viel geleistet, und der Bund unterstützt Länder und Kommunen weiter beim Ausbau. Dass all das erfolgreich ist, dass sich die gute Familienpolitik der letzten Jahre auszahlt und dass sich das Geld, das wir investieren, lohnt, das zeigen aktuelle Studien. Aktuelle Studien belegen, dass sich Deutschland in den letzten zehn Jahren im Bereich der Familienpolitik so gut entwickelt hat wie kaum ein anderes Land. Das Institut der deutschen Wirtschaft hat 23 Länder verglichen. Kaum ein anderes Land konnte sich so verbessern wie Deutschland. Wenn man sich allein die Geldleistungen anschaut, dann liegen wir unter diesen 23 Ländern auf dem zweiten Platz. Nur Luxemburg gibt für die Familien noch mehr Geld aus als wir. Die Verbesserung trifft aber auch auf die Entwicklung insgesamt zu, die Betreuung, die steuerliche Unterstützung etc. All das trägt dazu bei, dass die Menschen in unserem Land mit der Familienpolitik zufrieden sind. Viele könnten sich noch mehr vorstellen. Uns fällt auch noch vieles ein, wie man Familien noch besser unterstützen kann. Aber es ist ja immer gut, das in einen Kontext zu stellen und sich zu vergleichen. Es ist ein schönes Signal, zu sehen, dass die Entwicklung sich in den letzten zehn Jahren wirklich massiv verbessert hat, dass wir an der Spitze in Europa stehen. Das ist christdemokratische und christsoziale Familienpolitik, die sich hier auszeichnet. Ich finde, das ist eine gute Botschaft für die Familien in unserem Land. (Beifall bei der CDU/CSU – Michaela Noll [CDU/CSU]: So werden wir weitermachen! – Sönke Rix [SPD]: Wir sind auch ein bisschen beteiligt!) – Genau. Der Koalitionspartner ist natürlich ebenfalls beteiligt. Lieber Kollege Rix, gemeinsam mit Ihnen werden wir uns den Themen, sowohl der Bewältigung der Flüchtlingskrise als auch den anderen Themen, die uns im Familienressort umtreiben, weiter widmen und sie vorantreiben. Ein Thema ist der Kinderschutz, ein anderes der Schutz von Frauen vor Gewalt. Wir haben in dieser Woche den Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. Wir haben in der letzten Legislaturperiode eine bundesweite Hotline eingerichtet. Sie wird sehr gut in Anspruch genommen. Das ist wichtig. Es ist aber auch wichtig, dass wir etwa beim Thema Zwangsprostitution, dem unser nächstes großes Gesetzeswerk gilt, das wir auf den Weg bringen, genau darauf achten, dass wir den Schutz derjenigen, die von Zwangsprostitution, von Menschenhandel betroffen sind, gewährleisten und alles dafür tun, die Frauen auch vor Gewalt zu schützen. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müssen Sie kein Prostituiertenschutzgesetz machen! Da müssen Sie was gegen Menschenhandel tun!) Deswegen werden wir auch mit weiteren Gesetzesvorhaben unvermindert, unabhängig von der Flüchtlingskrise, an der Umsetzung dieses Anliegens arbeiten. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das falsche Gesetz hat die falsche Nummer!) Ich danke herzlich für die Zusammenarbeit. Zum Schluss ein herzlicher Dank an die Haushälter, die uns bei all diesen Anliegen wirklich großartig unterstützen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles verlogen! – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Selbstzufrieden!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Die Kollegin Beate Walter-Rosenheimer spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grünen. Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Gäste und Zuhörerinnen! Gestern wurde die neue OECD-Studie „Bildung auf einen Blick 2015“ veröffentlicht. Die erfreuliche Nachricht: Mehr als die Hälfte der Kinder, die unter zwei Jahre alt sind, wird in Deutschland in Kitas betreut. Was mich genauso überrascht und freut, ist die gemeinsame Erklärung von Ministerin Wanka und KMK-Präsidentin Kurth. Darin bekennen sich die beiden CDU-Frauen ganz klar zur frühkindlichen Betreuung, weil gerade die ersten Jahre – das ist jetzt ein sinngemäßes Zitat – so besonders wichtig seien für einen erfolgreichen Bildungsweg und das besonders für Kinder mit Migrationshintergrund und für Flüchtlingskinder gelte. Hier offenbart sich, dass die CDU in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Dazu herzlichen Glückwunsch! (Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Wir sind die Mitte!) Ich wünsche mir, dass Sie das Ihren Freundinnen und Freunden in Bayern, der CSU, mitteilen, damit sich das Thema Betreuungsgeld, Herr Lehrieder, bald erledigt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU]) – Kommen Sie heim. Aber selbst ein solches Bekenntnis kann über eines nicht hinwegtäuschen: Es ist viel passiert auf diesem Gebiet – das sagen wir auch –, aber, Frau Ministerin, Sie bleiben hinter Ihren eigenen Ansprüchen zurück. Wir finden, dass im Haushalt Ihres Ministeriums Belege für Anstrengungen fehlen, die Kindertagesbetreuung wirklich fit für die Zukunft zu machen. Es stimmt, dass sich Bund, Länder und Kommunen in den letzten Jahren sehr stark bemüht haben. Richtig ist aber leider auch, dass gerade im Westen der Republik noch 185 000 Plätze für diese Kinder fehlen. Das, sehr geehrte Frau Ministerin, sollte auch Ihnen zu denken geben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es geht bei der frühkindlichen Betreuung aber nicht nur darum, wie groß, sondern ganz entscheidend auch darum, wie gut dieses Angebot ist. Gerade weil wir wissen und die CDU es jetzt auch weiß, dass die Betreuung in den ersten Lebensjahren so wichtig ist, muss die Qualität der Betreuung deutlich steigen. Diese Aufgabe können aber Länder und Kommunen nicht alleine übernehmen. Dies ist natürlich auch Aufgabe des Bundes. Wir brauchen einen besseren Betreuungsschlüssel, einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung und bundesweit einheitliche Qualitätsstandards. Ich wünsche mir hier einfach ein bisschen mehr Durchsetzungskraft der SPD dem Koalitionspartner gegenüber. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sönke Rix [SPD]: Das kriegen wir hin!) Auf meine Fraktion können Sie dabei sicher zählen. Viele Kommunen ächzen jetzt schon unter den hohen finanziellen Belastungen. Wir fordern deshalb in unserem Änderungsantrag zusätzlich 1 Milliarde Euro für den Ausbau und die Qualitätssicherung von Kitas und eine weitere Milliarde für eine breite Bildungsoffensive von der Kita bis zur Hochschule. Ich finde, in Ihrem Haushaltsentwurf ist noch Luft nach oben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Astrid Timmermann-Fechter [CDU/CSU]) Dass wir schon heute für morgen investieren müssen, gilt natürlich für jede vorausschauende und gerechte Politik. Wie wichtig aber gerade in diesen Tagen mutige Zukunftsinvestitionen sind – es geht ja um die Unterstützung durch den Bund, Frau Kollegin, und nicht um die Länder –, zeigen die vielen jungen Flüchtlinge noch einmal ganz besonders deutlich. Hunderttausende Kinder und Jugendliche – wir haben es heute schon gehört – brauchen neben einer guten Versorgung und Unterbringung natürlich Zugang zu Bildung, aber auch zu den Leistungen der Jugendhilfe. Hier tun Sie aus unserer Sicht eindeutig zu wenig. Die Jugendhilfe ist seit Jahren chronisch unterfinanziert. Durch die vielen minderjährigen Flüchtlinge stehen die Jugendämter und die freien Träger der Jugendhilfe vor einer gewaltigen Herausforderung. Die Betreuung und Begleitung, die Übernahme von Vormundschaften und – nicht zu vergessen – die ganz regulären Aufgaben, die nach wie vor zu bewältigen sind, binden Ressourcen und kosten viel Geld. Wir bezweifeln, dass die zusätzlich eingestellten 350 Millionen Euro dafür ausreichen werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir alle ehrlich sind, müssen wir feststellen: Ohne die beeindruckende Unterstützung durch die vielen Ehrenamtlichen – wir haben es heute oft gehört – würde vieles nicht mehr laufen. Man kann es daher nicht oft genug sagen, dass diesen Menschen unser Dank gebührt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Sönke Rix [SPD]) Dieses große ehrenamtliche Engagement ist zugleich eine deutliche Handlungsaufforderung an die Politik. Uns muss klar sein, dass wir die Ehrenamtlichen nicht alleinlassen können, dass die Arbeit der Ehrenamtlichen nicht zur Ausrede dafür werden kann, dass sich die politisch Verantwortlichen vor der Verantwortung drücken. Es ist gut, Frau Ministerin, dass Sie Geld für die Unterstützung des freiwilligen Engagements in die Hand nehmen. Das möchte ich ausdrücklich betonen. Ich verstehe aber nicht, warum Sie nur den Bundesfreiwilligendienst fördern wollen und nicht zum Beispiel auch die Träger des Freiwilligen Sozialen Jahres. Wir wünschen uns, dass Sie die Netzwerkstrukturen der Zivilgesellschaft und deren Ausbau fördern und dass Sie dafür sorgen, dass auch die Helferinnen und Helfer Zugang zu Hilfe und Unterstützung bekommen; denn sonst geht ihnen irgendwann die Luft aus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch dafür, sehr geehrte Frau Ministerin, braucht es Geld – das weiß ich – und gut geschultes Personal. Wir finden im Haushaltsentwurf dazu zu wenig. Die große Willkommenskultur – auch das haben wir schon gehört – hat leider nicht nur Freunde. Deshalb muss sie verteidigt werden. Den Feinden von Vielfalt, Toleranz und Demokratie – das sage ich in aller Deutlichkeit – müssen wir uns entschieden in den Weg stellen. In Zeiten, in denen Flüchtlingsunterkünfte brennen, ist es wichtiger denn je, Programme gegen jede Form von Ausgrenzung und Rassismus zu unterstützen. Da sollten wir nicht darüber streiten, was von rechts und was von links kommt, sondern es anpacken. Sehr geehrte Frau Ministerin, ich weiß, dass Ihnen das ein großes Anliegen ist und Sie da Geld in die Hand genommen haben. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass unser Land in Zukunft ein bunteres, ein gerechteres und ein toleranteres Land sein wird. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Die Kollegin Ulrike Gottschalck spricht jetzt für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ulrike Gottschalck (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Seit der Einbringung des Haushaltes hat sich die Welt weitergedreht. Auch im Etat unseres Gesellschaftsministeriums mussten wir an Stellschrauben drehen, um den aktuellen Herausforderungen in der Flüchtlingspolitik gerecht zu werden. Gleichzeitig haben wir aber sichergestellt, dass andere wichtige Aufgaben darunter nicht leiden. Was verbirgt sich also hinter den 9 Milliarden Euro, die unserem Ministerium zur Verfügung stehen? 87 Prozent unseres Etats stehen für wichtige gesetzliche Aufgaben zur Verfügung, etwa für das eben schon besprochene Elterngeld, das Kindergeld und den Kinderzuschlag, aber auch für die Finanzierung der Familienpflegezeit. Mit den restlichen 13 Prozent werden wertvolle Akzente in den Bereichen Familie, Senioren, Frauen und Jugend gesetzt. Ich darf einmal sagen: Unsere Ministerin macht das, flankiert von ihren Staatssekretärinnen, ganz hervorragend. Ich möchte natürlich das ganze Team in mein Lob einbeziehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine sehr geehrten Damen und Herren, in der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses vom 12. auf den 13. November ist es uns gelungen, erhebliche zusätzliche Mittel für unser Ministerium zu mobilisieren. An dieser Stelle danke ich ausdrücklich meinem Kollegen Alois Rainer für unsere wirklich immer sehr gute Zusammenarbeit. Auch mit den Berichterstatterinnen und Berichterstattern der Opposition macht die Arbeit meistens Spaß, auch wenn sie manchmal mit ihren Anträgen über das Ziel hinausschießen. Ich möchte würdigen, dass der Kollege Leutert immer einen Hauch von Realismus hat. Das, was ich eben von Herrn Wunderlich gehört habe – er bezeichnete die Summe, die wir für die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge zur Verfügung stellen, als „Lachnummer“ –, (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Sie müssen unser Steuerkonzept durchlesen!) fand ich schon ziemlich unterirdisch und der Sache nicht angemessen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die Jugendhilfe ist immer noch eine Länderangelegenheit, und auch die Länder tragen eine Verantwortung. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme aus dem Märchenland der Gebrüder Grimm; (Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Da regiert auf jeden Fall die SPD!) aber ich kann weder Stroh zu Gold spinnen, noch habe ich einen Dukatenscheißer. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Alois Rainer geht es genauso. Wir müssen schon schauen, wie wir mit dem Geld umgehen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das ist auch bei den Grünen ein Problem, die mal eben 2 Milliarden Euro mehr fordern: Es fehlt die Gegenfinanzierung. Wir haben – da gehe ich auf Ekin ein – 500 000 Euro mehr für den Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, zur Verfügung gestellt, damit die unabhängige Kommission zur Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch ihre Arbeit aufnehmen kann. Zukünftig werden da natürlich weitere Mittel gebraucht. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach so!) Aber diese Mittel können nicht allein aus dem schmalen Etat unseres Familienministeriums kommen, sondern da sind auch andere Ministerien gefordert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich bin froh, dass hier über den Etat des Gesundheitsministeriums Stellen finanziert werden. Das ist eine große Hilfe. Frau Wanka ist aufgefordert, dafür zu sorgen, dass sich auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung beteiligt. Das würde mir persönlich sehr gut gefallen; denn es ist eine wichtige Aufgabe. (Beifall bei der SPD) Wir konnten die Mittel für die Mehrgenerationenhäuser noch einmal aufstocken. Damit ist die Förderung von zehn weiteren Häusern möglich. Sie sind wichtige Treffpunkte in den Kommunen. 1,5 Millionen Euro mehr stellen wir bereit, damit junge Leute das Reformationsjubiläum vorbereiten können, 3 Millionen Euro mehr für das Deutsch-Griechische Jugendwerk, 2 Millionen Euro mehr – also deutlich mehr – für die Arbeit des Deutschen Bundesjugendrings; da haben wir schon einmal aufgesattelt. Herr Wunderlich, es gab beim KJP nirgendwo irgendwann mal eine Kürzung. Im Gegenteil: Wir haben jedes Jahr kontinuierlich aufgesattelt, in diesem Jahr 2 Millionen Euro. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir stellen 15 Millionen Euro mehr für C1-Sprachkurse bereit, damit gerade die jungen Leute, die zu uns kommen und besser ausgebildet sind, ein Studium beginnen können. Auch das gehört zur Integration. Ich bin sehr stolz, dass wir das hinbekommen haben. Ebenso haben wir es gemeinsam mit dem Kollegen Rainer geschafft, 8 Millionen Euro mehr für die Jugendmigrationsdienste zur Verfügung zu stellen. Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Gottschalck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wunderlich? Ulrike Gottschalck (SPD): Aber sehr gerne. Das verlängert meine Redezeit? Vizepräsident Johannes Singhammer: Aber selbstverständlich. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Das hoffe ich nicht. – Hier meldet sich der Traumtänzer. Unterhaltsvorschuss ist Bundessache. Kinderzuschlag ist auch Bundessache. Ich weiß nicht, wie Sie zu der Überzeugung kommen, das sei Ländersache. So viel zur Traumtänzerei. Die Grünen haben das hier auch beantragt. Wieso sprechen Sie dann immer nur von den Linken? (Zurufe von der SPD: Och!) – Och, ja – jault doch! Dann gucken Sie sich einmal unser Steuerkonzept an. Ich kann nicht nur eine Forderung aus dem Zusammenhang reißen, dann eine falsche Voraussetzung anführen und sagen: Das ist nicht finanzierbar. – Da muss ich auch die Risiken und Nebenwirkungen benennen sowie die Finanzierung danebenlegen, und dann wird einiges klar. Aber die Zeit nehmen Sie sich ja nicht und machen sich nicht die Mühe. Sie greifen Einzelnes heraus, bewerten es dann völlig isoliert von allem anderen und sagen: Das sind die Spinner! – Das ist Spinnerei. (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der SPD) Das war eine Zwischenbemerkung, keine Frage, daher kann ich mich setzen. Ulrike Gottschalck (SPD): Gut, dann bleiben Sie aber bitte stehen, damit ich auch antworten kann. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Sie brauchen nicht zu antworten! Das war eine Bemerkung!) – Wenn, dann will ich auch antworten. Zum einen habe ich eben von der Jugendhilfe gesprochen, und Jugendhilfe ist Länderangelegenheit, sehr geehrter Herr Wunderlich. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das andere ist: Es ist bei uns Haushältern – das mag Ihnen nicht gefallen – guter Brauch, auch Gegenfinanzierungen im Haushalt darzustellen. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: 230 Milliarden gebt ihr den Ländern, aber die Länder wird der Spaß 5 Milliarden kosten!) – Führen wir jetzt einen Dialog, oder wollen Sie meine Antwort hören? Offensichtlich nicht; das ist auch schon wieder eine Unhöflichkeit, und ich mache einfach weiter. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben 6 Millionen Euro extra noch einmal für das Bundesprogramm „Willkommen bei Freunden“ zur Beratung und Betreuung von jungen Flüchtlingen ausgegeben. Genau dort sind auch die von Ihnen geforderten Akutprogramme, die Frau Schauws angesprochen hat, für traumatisierte Menschen oder aber Frauen und Kinder auf der Flucht enthalten. Das haben wir extra eingefügt. Die Haushälter haben also nicht nur Zahlen im Kopf, sondern sind manchmal auch noch ganz normal und wissen, wo Not am Mann ist. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir brauchen belastbare Netzwerke und zivilgesellschaftliches Engagement. Deshalb gibt es dafür noch einmal 10 Millionen Euro mehr; denn Ehrenamt braucht auch Strukturen, und das können wir damit leisten. Deswegen finde ich auch das sehr gelungen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ein besonderer Lichtblick ist für mich auch das Programm „Demokratie leben!“. Dass es uns erneut gelungen ist, hier 10 Millionen Euro draufzusatteln, finde ich schon ziemlich erstaunlich. Wir sind damit bei 50 Millionen Euro, und jeder Cent davon ist gut angelegtes Geld. Da gebe ich auch dem Kollegen Leutert recht: Wir müssen die jungen Menschen vor Extremismus schützen, egal, ob vor Hasspredigern oder aber vor rechten Socken, die die jungen Leute anbaggern. Wir müssen einfach aufpassen und alles tun, was man an Prävention leisten kann. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Menschenverachtende Ideologien gibt es in jeder Form; wir haben es ganz aktuell erlebt. Deshalb ist es gut, dass auf Wunsch unserer Innenpolitiker auch eine Antisalafismus-Koordinierungsstelle eingerichtet wird. Denn auch diese Vernetzung brauchen wir, um in Zukunft noch stärker ein Auge auf die sogenannten Schläfer haben zu können. Auf den Bundesfreiwilligendienst muss ich nicht mehr eingehen; das haben die Ministerin und meine Vorrednerinnen – auch Carola Reimann – detailliert getan. Ich finde es hervorragend, dass wir die Mittel für die 10 000 Bufdi-Stellen bereitstellen können und diese zukünftig ehrenamtliches Engagement vor Ort unterstützen können. Ich bin sehr stolz und hoffe nur, dass sich die Linken und die Grünen, die im Haushaltsausschuss übrigens all unseren Anträgen zugestimmt haben, (Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Ja, weil sie gut sind!) was ich auch sehr merkwürdig finde, vielleicht überlegen, dem Einzelplan 17 allgemein zuzustimmen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Marcus Weinberg für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gehe fest davon aus, dass die Opposition diesem hervorragenden Haushalt für das Jahr 2016 zustimmt, und will am Anfang die Gelegenheit der Haushaltsdebatte nutzen, einmal die Grundsätze der Politik darzustellen, die sich dann auch im Haushalt abbilden müssen. Das ist für uns als Union und für uns als Große Koalition eine gute Gelegenheit, noch einmal die wesentlichen Punkte unserer Familienpolitik zu definieren. Zwei Vorbemerkungen. Es dauert in der Familienpolitik Jahre, bis Maßnahmen Wirkung zeigen. Wir haben den Sachverhalt, dass in Deutschland 30 000 Kinder mehr leben als im letzten Jahr. Die Geburtenrate ist also um fast 5 Prozent gestiegen. Das ist keiner einzelnen Maßnahme geschuldet, sondern das ist einer Politik geschuldet, die seit zehn Jahren Familienpolitik anders definiert. Endlich stehen die Familien in Deutschland im Fokus der Politik. Das merkt man an den Ergebnissen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Sönke Rix [SPD]) Man fährt auf den Schienen, die Frau von der Leyen vor zehn Jahren gelegt hat. Heute stellen wir hier und da die Weichen noch einmal um. Das ist gut so; denn es ist das Bestreben der Großen Koalition, das zu verbessern, was in Deutschland ohnehin schon gut funktioniert. Ich will mit dem Thema Integration – Herr Wunderlich, Sie hatten mich angesprochen – beginnen. Ja, wir haben in Deutschland in der Vergangenheit Fehler gemacht. In allen Epochen des Migrationsprozesses haben wir gewisse Aspekte nicht beachtet, zum Beispiel, dass Gastarbeiter möglicherweise nicht nur Gäste sind, sondern dass diese Menschen hierbleiben und sich hier verwirklichen wollen. Wir werden im Zuge der Integrationsbewegung verbindlicher werden müssen. Ich möchte, dass Menschen, die hier in Deutschland bleiben, eine Integrationsvereinbarung unterschreiben. Sie sollen sich zu unserer Gesellschaft bekennen, wenn sie hier leben und deren Vorteile genießen wollen. Sie müssen auch bereit sein, der Gesellschaft etwas zu geben. Ich glaube, dass mehr Verbindlichkeit wichtig wäre, sowohl für diejenigen, die Integration leisten müssen, die jetzt als Flüchtlinge nach Deutschland kommen, als auch für uns als aufnehmende Gesellschaft, die diese Menschen dringend braucht. Zu der Frage: Was sind unsere grundsätzlichen Werte und Positionen in der Familienpolitik? Für uns als Christdemokraten und Christsoziale sind zwei Komponenten dominierend. Die Erste ist das Thema der Freiheit. Wir wollen Familien Freiräume zur Gestaltung ihres Lebens geben. Wir wollen sie nicht bevormunden. Wir wollen nicht vorschreiben, wann sie das Kind in die Kita zu geben haben. Wir wollen ihnen Angebote machen. Aber die Freiheit der Familien steht bei uns an erster Stelle. Das ist zentral für die Familienpolitik der Union. (Beifall bei der CDU/CSU) Außerdem wollen wir den verschiedenen Familienmodellen Rechnung tragen. Es gibt über 20 Prozent Alleinerziehende, immer mehr Menschen sind nicht verheiratet und haben Kinder, die in diesen Partnerschaften gut erzogen werden, und es gibt die traditionelle Ehe; das wollen wir nicht bewerten. Wir wollen aber den Familien die Freiheit geben, ihr Leben so zu gestalten, wie sie es möchten; mit so wenig Staat wie möglich und nur dort, wo es nötig ist. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dort, wo es nötig ist, machen Sie zu wenig!) Zur zweiten Komponente unserer Familienpolitik. Wir erkennen durchaus, dass in unserer Gesellschaft nicht alle Menschen stark, reich und klug sind. Nein, wir haben auch schwache Teile der Gesellschaft. Es gibt diejenigen, die nicht so klug sind, und diejenigen, die nicht über entsprechendes Vermögen verfügen. Deswegen ergreifen wir als Große Koalition konkrete Maßnahmen, um die schutzbedürftigen Gruppen zu stärken. Die Familienpflegezeit und die Pflegezeit waren ein Ansatz, um auch denjenigen, die nicht reich sind, die Möglichkeit zu geben, sich um ihre nahen Angehörigen zu kümmern, wenn diese gepflegt werden müssen. Genau das Gleiche gilt bei Vernachlässigung von Kindern und Kindesmissbrauch. Auch hier geht es um Gruppen in der Gesellschaft, die schwach sind. Deswegen stimme ich der Ministerin zu, wenn sie sagt: Wir dürfen es jetzt im Rahmen der Flüchtlingsdebatte nicht zulassen, dass schwache Gruppen der deutschen Gesellschaft gegen die Gruppe der Flüchtlinge ausgespielt werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wenn wir sagen, wir wollen Kinder schützen, dann haben alle Kinder einen Anspruch darauf. Wenn wir sagen, dass wir Frauen vor Gewalt schützen wollen, dann haben alle Frauen einen Anspruch darauf, dass wir als Staat – das ist unsere Kernaufgabe: wir müssen die Schwachen schützen; die Starken kriegen es schon hin – sie schützen. Das wird auch in den nächsten zwei Jahren unser Leitmotiv sein. Das Prostituiertenschutzgesetz wurde angesprochen. Es geht darum, die schwächsten Prostituierten zu schützen. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: So ist es!) Wir dürfen mit Blick auf Bürokratie oder angesichts der Bewältigung neuer Flüchtlingswellen keine Abstufungen vornehmen. Wir wollen nicht die eine schutzbedürftige Gruppe gegen die andere ausspielen. (Beifall bei der CDU/CSU – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da müssen alle drunter leiden!) Es wurde bereits gesagt: Wir haben den Etat im Vergleich zum Jahr 2005 verdoppelt. Nun ist Geld nicht alles im Leben – man genießt es, wenn man einmal reden darf, in einer Haushaltsdebatte zwölf Minuten lang darüber zu reden, wie wir Gelder verteilt haben –, aber der Aufwuchs im Haushalt ist schon ein deutliches Zeichen dafür, dass die Familienpolitik auch in Bezug auf Quantität ein anderes Niveau erreicht hat. Dabei übernehmen wir viele Aufgaben der Länder und der Kommunen. In einer solchen Debatte muss es Zeit und Raum dafür geben, darauf hinzuweisen, dass wir vieles stemmen können, dass wir Kommunen und Länder entlasten und unterstützen können, dass es in der Familienpolitik aber weiterhin Kernaufgaben gibt, die den Ländern und den Kommunen zufallen. Aus dieser Verantwortung werden wir sie auch nicht entlassen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Festzustellen ist aber: Wer meint, dass die Familien jetzt die Sparschweine der Nation sind, der irrt sich. Das verdeutlichen die Haushaltszahlen, die gerade mehrfach euphorisch präsentiert wurden. Es gibt noch einen Punkt, der wichtig ist: In dieser über 90-minütigen Debatte sprechen wir darüber, wie wir das Geld verteilt haben. All die Mittel, die wir für unsere familienpolitischen Maßnahmen verteilen, müssen andere erwirtschaften. Um gute Familienpolitik machen zu können, ist es dringend notwendig, dass es unserem Mittelstand, unseren Unternehmen und unserer Wirtschaft gut geht. (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen ist die Kombination von Erwerbstätigkeit und Familienzeit zentral. Wir sagen: Gemeinsam mit den Mittelständlern und den Handwerkern schaffen wir das. Gute Arbeitnehmer sind glücklich zu Hause und glücklich im Job. – Ich glaube, das dürfen wir niemals außer Acht lassen. Die zentralen Bausteine der Familienpolitik wurden bereits angesprochen, auch das Elterngeld. Das ist ein Erfolgsmodell, das nachhaltig wirkt. Wir haben an einigen Stellschrauben gedreht, die Weichen etwas anders gestellt und dieses Erfolgsmodell weiterentwickelt. Im ersten Quartal 2015 haben fast 950 000 Eltern das Elterngeld in Anspruch genommen. – Eckhardt Rehberg guckt da ganz bedröppelt, weil er weiß, dass das fast 6 Milliarden Euro kostet. Wir wissen, dass das schwer erkämpftes Geld ist. Es ist aber gut angelegt. Wir stehen zu unserem Versprechen: Es wird keine Absenkung beim Elterngeld geben. Das sei ausdrücklich noch einmal versichert. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ein weiteres Erfolgsmodell ist der Ausbau der Kindertagesbetreuung. An dieser Stelle komme ich noch einmal auf die Kommunen und die Länder zu sprechen. Ja, wir haben uns darauf verständigt, die Kommunen zu entlasten, weil es sich um eine nationale Aufgabe handelt. Damit erreichen wir drei Dinge, zum einen die berühmte Vereinbarkeit von Familie und Beruf, zum anderen die Möglichkeit, frühzeitig Bildungsimplikationen zu gestalten – frühe Bildung ist wichtig; jeder Euro, den ich bei einem Zweijährigen investiere, erspart später viele Euro bei den älteren Kindern; wir reparieren ohnehin zu viel in Deutschland; wir müssen mehr investieren; das ist also unter bildungspolitischen Gesichtspunkten richtig investiertes Geld –, und zum Dritten sorgen wir damit für Gerechtigkeit; denn insbesondere die Alleinerziehenden profitieren vom Ausbau der Kindertagesbetreuung. Insoweit ist das eine gute und richtige Maßnahme. Wir entlasten die Länder und Kommunen dabei tatsächlich mit 945 Millionen Euro. Das ist viel Geld, das muss in dieser Debatte immer wieder betont werden. Das ist fast 1 Milliarde Euro. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Aber wir sehen auch die Erfolge: Die Betreuungsquote liegt mittlerweile bei 32 Prozent; 660 000 Kinder unter drei Jahren werden betreut, das ist mehr als doppelt so viel wie im Jahr 2008. Es ist wichtig, dass es dadurch nicht zu Einschränkungen beim Betreuungsschlüssel, der für die Qualität maßgeblich ist, kommt. Wir haben immer gesagt: Wir wollen nicht, dass Kinder betreut werden; wir wollen, dass Kinder gut betreut werden, denn nichts ist schlimmer für ein Kind und eine Familie, als wenn die Betreuung nicht funktioniert. Bei Defiziten hinsichtlich der Qualität müsste man sagen: Das ist kein Erfolgsmodell. Die Zufriedenheit der Eltern bestätigt aber diesen Ansatz. Die Zufriedenheit der Eltern wurde in einer aktuellen Studie noch einmal überprüft. Die Eltern haben gesagt: Wir sind mit der Betreuung zufrieden. Es ist auch richtig, zu fragen: Wo können wir noch etwas verändern? Die vorgesehenen 100 Millionen Euro für Angebote zu besonderen Zeiten – nachts oder am Wochenende –, als Ausnahme, sind gut und wichtig. Wir werden aber darauf achten, dass wir kein System bekommen, in dem Kinder möglicherweise zu intensiv betreut werden. Wir wollen das als besonderes Angebot gestalten. Wir wollen eine Ausnahmesituation gestalten. Dafür ist dieses Angebot richtig. Genauso richtig sind übrigens die Angebote, die im Rahmen des Programms „Sprach-Kitas“ weiterhin bestehen, weil uns das Thema Integration wichtig ist. Hierfür werden wir weiterhin Gelder einsetzen. Denken wir an das Dreieck aus Geld, Infrastruktur und Zeit. Über das Kindergeld, die Kinderfreibeträge und den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende, der nach zehn Jahren endlich um 600 Euro erhöht wurde – das war dringend notwendig, und wir haben das gemacht –, wurde schon viel gesagt. Wir haben auch das Kindergeld und den Kinderzuschlag erhöht. Damit schaffen wir es, mehr und mehr Familien aus dem Hartz-IV-Bezug zu holen. Wir geben ihnen damit die Möglichkeit, ihr Leben zu gestalten. Ich möchte zwei, drei Besonderheiten dieses Haushalts ansprechen. Gelegentlich sind es die Kleinigkeiten, die wichtig sind. Ich danke dem Alois ganz herzlich für die große Unterstützung in dieser Frage. Uns als Union waren einige Dinge besonders wichtig. Stichwort: schutzbedürftige Gruppen. Wir als Staat haben die Aufgabe, diese Gruppen, die es nicht alleine können, zu schützen. Denn sie haben nichts anderes als uns. Einige Erfolge haben wir jetzt auch im Haushalt umsetzen können. Ich will nur zwei, drei Dinge ansprechen. Das eine ist eine Kinderschutzhotline, die jetzt eingerichtet werden soll. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Sehr gut!) Das ist keine große Geschichte, aber hier besteht die Möglichkeit, dass wir Medizinern die Chance bieten, wenn zum Beispiel am Wochenende Eltern mit Kindern in die Notfallambulanz kommen, bei denen man nicht genau weiß, was da passiert ist, Unterstützung und Beratung zu bekommen. Wir haben im Jahr 40 000 Inobhutnahmen. Wir haben über 120 000 Gefährdungssituationen von Kindern und Jugendlichen. Bei jedem Kind muss geschaut werden, was dort passiert und wie wir eingreifen können. Deswegen ist es gut und richtig, dass wir diese Kinderschutzhotline jetzt implementieren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Weiter werden wir Frauen und Flüchtlingsfrauen, die vergewaltigt wurden, die auf der Flucht viel Leid erlebt haben, jetzt mit einem Beratungsangebot unterstützen. Bereits angesprochen wurde – das finde ich absolut wichtig – die finanzielle Ausgestaltung der Kommission zur Aufarbeitung des Kindesmissbrauchs. Ehrenamt ist Teil dieser Gesellschaft. Wir erleben gerade etwas Faszinierendes; das wurde von der Kollegin Gottschalck bereits angesprochen. Ehrenamt ist eine gewisse Zeit auch für sich tragend, aber irgendwann muss es Strukturen geben, irgendwann muss es eine Organisation geben. Die 10 000 neuen Stellen sind wichtig. Jetzt wird es darauf ankommen, dass wir uns das Verfahren genau anschauen. Das, was diese Menschen in unserem Land momentan hinsichtlich der Flüchtlingswelle leisten, ist hervorragend, aber es muss jetzt auch gestärkt und längerfristig aufgebaut werden. Zusammenfassend kann man sagen: Dieser Haushalt bildet tatsächlich das ab, was uns trägt. Wir schaffen ein bisschen mehr Freiheit und Entscheidungsfreiheit für die Familien, und wir generieren Freiräume. Auf der anderen Seite schützen wir die Schwachen. Das, was diese Gesellschaft auszeichnet, das Ehrenamtliche, das Engagement der bürgerlichen Gesellschaft – weg von Politik –, werden wir weiter stärken. Das ist in diesem Haushalt wieder einmal gelungen. Insoweit kann ich mir gut vorstellen, dass die Opposition diesen Haushalt zumindest nicht ablehnt. Das wäre auch ein Zeichen von Anerkennung. Im Übrigen darf ich diese Anerkennung mit Blick auf die Opposition gerne zurückgeben. Ich finde unsere Haushaltsdebatten inhaltlich wirklich gut. Ich danke an dieser Stelle der Opposition auch für sachliche Kritik. Das hat man nicht überall so. Herzlichen Dank dafür und herzlichen Dank für diesen tollen Entwurf! (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege Sönke Rix spricht als Nächster für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sönke Rix (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich mich dem Dank anschließen. Wir haben schon hitzigere Debatten zur Familien- und Gleichstellungspolitik geführt. (Zuruf von der LINKEN: Nächstes Mal!) Der Kollege Wunderlich hat sich Mühe gegeben, das hier ein bisschen streitbarer zu machen. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Auf Krawall gebürstet!) Aber ich sage an dieser Stelle auch: Ich glaube, es ist angesichts der Herausforderung, die wir im Moment haben, sinnvoll, an der einen oder anderen Stelle gemeinsam Dinge zu unterstützen. Deshalb geht mein Dank auch an Sie. Sie haben heute in Ihrer Rede als Haushälter der Linksfraktion deutlich gemacht, wie wichtig es ist, gemeinsam dafür einzustehen, zusätzliche Mittel zur Extremismusbekämpfung, zur Förderung von Demokratie und Toleranz zur Verfügung zu stellen. Ich will an dieser Stelle darauf hinweisen, dass es sowieso einen gemeinsamen Beschluss dieses Hauses gibt, die Mittel zu verstetigen bzw. die Mittel zu erhöhen. Ich bin den Haushältern dankbar, dass sie das hier in großem Einvernehmen geschafft haben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Michael Leutert [DIE LINKE]) In diesen Tagen hat der zweite NSU-Untersuchungsausschuss seine Arbeit aufgenommen. Ein Bestandteil dessen, was wir im ersten Bericht aufgeschrieben haben, war die Stärkung der Zivilgesellschaft. Ich glaube, mit den zusätzlichen Mitteln in diesem Bereich kommen wir der Aufgabe nach, die wir uns durch diesen Bericht selber gestellt haben. Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass man in der Haushaltsdebatte, wenn sie in der Mitte der Wahlperiode stattfindet, auch ein bisschen Bilanz ziehen kann. Ich finde, die Bilanz für die ersten beiden Jahre kann sich sehen lassen. Mit dem Elterngeld Plus, mit der Pflegezeit, mit einer Erhöhung der Mittel für Kitas usw. haben wir viel erreicht. Wir haben die Quote eingeführt, auch wenn es dazu an der einen oder anderen Stelle hitzige Debatten – zum Teil auch mit unserem Koalitionspartner – gab. Ich will an dieser Stelle auch darauf aufmerksam machen, dass wir im Bereich Gleichstellungspolitik noch einen großen Batzen vor uns haben, den wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Herr Kauder hat gestern in der Generaldebatte noch einmal deutlich gemacht, dass das, was im Koalitionsvertrag steht, auf jeden Fall umgesetzt wird. Wir haben mit dem Lohngerechtigkeitsgesetz, dem Entgeltgleichheitsgesetz, noch einen großen Batzen vor uns. Wir sind dafür, dass auch hier genau das umgesetzt wird, und zwar mit Punkt und Komma, was im Koalitionsvertrag steht, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: Aber nicht darüber hinaus!) natürlich – das hat der Fraktionsvorsitzende der Union auch gesagt – nicht darüber hinaus. Aber er hat heute auch gesagt, wir dürfen die Wirtschaft, auch wenn es ihr gut geht, nicht zu sehr testen. Ich glaube, er hatte dabei auch dieses Gesetz ein bisschen im Hinterkopf. Ich appelliere aber an Sie, es genau umgekehrt zu sehen: Je besser die Frauen bezahlt werden, umso besser ist das auch für die Wirtschaft. Deshalb wäre es gut und vernünftig, zu sagen: Dieses Gesetz wird eins zu eins, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, umgesetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD) Man wächst mit seinen Aufgaben. Ich glaube, das wird auch deutlich, wenn man den Regierungsentwurf mit dem Haushalt vergleicht und sich die Veränderungen vor Augen hält. Es gibt nicht nur zusätzliche Mittel für Demokratie, sondern auch für bürgerschaftliches Engagement. Auch hier betonen wir: Diese zusätzlichen Mittel für bürgerschaftliches Engagement wurden nicht nur aufgrund der aktuellen Flüchtlingssituation bereitgestellt, sondern es gibt auch zusätzliche Mittel im Hinblick auf den Zusammenhalt der Gesellschaft insgesamt. Es sind kleine, aber wichtige Beträge, die den Wohlfahrtsverbänden und den Jugendverbänden zugutekommen. Übrigens weiß ich nicht, wie Sie auf eine Kürzung kommen, Kollege Wunderlich. Für die Jugendverbände haben wir nämlich zusätzliches Geld bereitgestellt. Denn wir wissen: Der Zusammenhalt der Gesellschaft ist nicht nur dann, wenn die Flüchtlingssituation so ist, wie sie derzeit ist, notwendig, sondern auch in anderen Zeiten. Deshalb ist es gut, dass wir diesen beiden großen Verbandsgruppen zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch die zusätzlichen Mittel, die wir fürs Ehrenamt zur Verfügung stellen, machen einen ganzen Batzen aus; hier haben wir natürlich insbesondere die Flüchtlinge im Blick. Darüber hinaus stellen wir zusätzliche Mittel für die Bufdis bereit. Das ist Geld, das wir angesichts der zusätzlichen Aufgaben, die wir haben, gut investieren. Außerdem haben wir zusätzliches Geld – wenn auch nicht viel; aber damit machen wir deutlich, wie wichtig sie uns sind – für die Mehrgenerationenhäuser in die Hand genommen. Auch das ist ein wichtiger Beitrag zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Sie sehen also: Nicht nur aufgrund der Flüchtlingssituation wurde mehr Geld in unseren Haushalt gespült, sondern auch, weil es uns um die Frage des Zusammenhalts der Gesellschaft insgesamt geht. Ich bezeichne das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend immer ganz gerne als Gesellschaftsministerium. Wenn man den Haushalt so betrachtet, dann haben wir einen großen Schritt in Richtung Zusammenhalt der Gesellschaft getan. Dafür danke ich nicht nur den Haushältern, sondern dem Parlament insgesamt. Danke schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Abschließende Rednerin in dieser Aussprache ist die Kollegin Sylvia Pantel von der CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Sylvia Pantel (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Starke Familien sind die Garantie für ein starkes Land. Mit dem Haushalt 2016 für den Arbeitsbereich des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zeigt die Bundesregierung, wie wichtig starke Familien für dieses Land sind. In diesen Tagen, die von Terror, Trauer, Not und Elend geprägt sind, ist das Wohl der Familien in unserem Land der tägliche Ansporn für unsere Familienpolitiker. Wir diskutieren und streiten, wir sprechen mit Fachleuten und arbeiten dafür, dass Familien in diesem Land eine gute Zukunft haben. Die Familien sind das Rückgrat unserer Gesellschaft. Durch unsere Politik schaffen wir für Familien in Deutschland die Rahmenbedingungen, die sie benötigen, um zufrieden und gesund in unserem Land zu leben, ganz nach ihren Vorstellungen. Eigenverantwortung und Wahlfreiheit gehen Hand in Hand und gehören zusammen. Starke Familien finden wir in klassischen Familienbildern wie auch bei den vielen Alleinerziehenden in unserem Land, für die diese Regierung umfangreiche Unterstützung bereitstellt. Der Haushalt des Bundesfamilienministeriums mit seinen über 9 Milliarden Euro unterstützt sie. Damit stärken wir die Familien in Deutschland generell. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Starke Familien erziehen starke Kinder. Durch Elterngeld, Kindergeld und steuerliche Entlastung schaffen wir in den Familien den erforderlichen finanziellen Spielraum für Mütter und Väter. Sie bekommen die Gelegenheit, in der Zeit nach der Geburt ihres Kindes mehr Zeit für ihre Familie zu haben. Starke Familien bieten Schutz: Schutz vor Einsamkeit und Schutz vor Verwahrlosung. Starke Familien stärken den Einzelnen in jedem Alter. Die Familienpflegezeit gibt Menschen in unserem Land die Möglichkeit, sich verstärkt um ihre Angehörigen im Krankheitsfall zu kümmern. Dadurch können die Betroffenen besser auswählen, ob sie in ihrer gewohnten Umgebung bleiben oder eben nicht. Es gibt aber leider auch Fälle, in denen Familien nicht den nötigen Schutz und Rückhalt bieten können. Dann bieten wir als Gesellschaft den nötigen Halt und schaffen Angebote zur Hilfe. Gestern war der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. Ich selbst habe mich in Köln im Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben, dem BAFzA, über die Arbeit des Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“ informiert. Dort wird eine beeindruckende Arbeit geleistet, und durch das rund um die Uhr einfach zu erreichende Angebot können sich Frauen in Not Hilfe holen, sogar in 15 verschiedenen Sprachen. Das gleiche Lob gilt übrigens auch für das Hilfetelefon „Schwangere in Not“. Um die telefonischen Hilfsangebote zu erweitern, stellen wir mit dem Haushalt 2016  1,35 Millionen Euro, verteilt auf die kommenden drei Jahre, zur Verfügung. Eine Kinderschutzhotline soll – das haben wir eben schon gehört, aber man kann es nicht oft genug hören – für Ärzte und medizinische Fachkräfte eingerichtet werden. Bei dieser Hotline bekommen sie Rat, wenn der Verdacht besteht, dass ihre kleinen Patienten misshandelt oder missbraucht werden. Eine unserer wichtigsten Aufgaben wird langfristig bleiben, die verschiedenen Hilfsangebote von Bund, Ländern und Kommunen zu verzahnen und bekannter zu machen. Man darf das aber nicht verwechseln – das wurde eben gemacht – und glauben, dass wir dann die Zuständigkeiten oder auch die finanzielle Last des anderen übernehmen. In der Verzahnung müssen wir allerdings noch besser werden. Bei diesem Thema freut es mich sehr, dass auch die Opposition mit uns an einem Strang zieht. Beim Schutz der Schwächsten arbeiten wir alle zusammen und denken nicht an Parteigrenzen, sondern an den möglichst effektiven Schutz von Kindern als mögliche Opfer. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Da, wo Familien nicht stark genug sind, stärken wir sie und helfen ihnen. Starke Familien verbinden die Generationen. Die Mehrgenerationenhäuser sind ein Segen für unsere Gesellschaft. Sie leisten großartige Arbeit und stärken den Gedanken vom Leben und Lernen über die Generationsgrenzen hinweg. Im vergangenen Jahr waren wir noch froh darüber, die Mittel für die Mehrgenerationenhäuser sichern zu können. Durch die zusätzlichen Mittel im Haushalt 2016 werden wir es sogar ermöglichen, zehn weitere Mehrgenerationenhäuser in unserem Land zu gründen. Wer Familien stärken will, muss insbesondere auch die Großfamilie stärken. Wir müssen mehr für kinderreiche Familien tun. Eine Familie mit mehr als zwei Kindern muss bezahlbaren Wohnraum finden können. Das gleiche Problem kennen wir aus unserem Alltag: Eine Familieneintrittskarte zum Beispiel darf nicht nur für Eltern mit zwei Kindern gelten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Starke Familien, ganz gleich wie viele Kinder sie haben, müssen in Deutschland als Bereicherung für unser Land angesehen werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Es gilt der schöne Satz: Das Lachen der Kinder ist die Musik der Zukunft. Gerade erst am Dienstag hat das Institut der Deutschen Wirtschaft in einer Studie wieder gezeigt, dass unser Land immer kinderfreundlicher wird. Dank der Politik der unionsgeführten Bundesregierung herrscht in Deutschland ein Klima, in dem sich Familien wohlfühlen. Dass unsere vielfältigen Maßnahmen, um ein familienfreundliches Klima zu schaffen, wirken, zeigen die Geburtenzahlen. 2014 wurden 715 000 Kinder in Deutschland geboren, fast 5 Prozent mehr als im Vorjahr. Lassen Sie uns Familien noch stärker machen, und freuen wir uns über diesen Trend. Starke Familien beugen Extremismus vor. Angriffe auf unsere freie Gesellschaft kommen nicht nur von außen. Sie kommen von jungen Menschen, denen häufig die Grundwerte der Menschlichkeit abhandengekommen sind. Menschen, die sich extremistischen Ideologien hingeben, haben meist nie einen ordentlichen Wertekompass vermittelt bekommen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hier setzen wir an. Über 50 Millionen Euro werden wir im Haushalt 2016 dafür einsetzen, unsere Demokratie zu schützen. In einer Vielzahl von Programmen bekämpfen wir Extremismus und Gewalt. Es ist für unsere Gesellschaft inakzeptabel, wenn Flüchtlingsunterkünfte in Brand gesetzt werden. Wir tolerieren es nicht, wenn Zeitungsredaktionen angegriffen werden. Es ist für unsere Gesellschaft aber genauso inakzeptabel, wenn eine AfD-Politikerin im Internet für vogelfrei erklärt und danach ihr Auto in Brand gesetzt wird oder wenn Bundeswehrgegner nachts die Radmuttern von Militärfahrzeugen lösen. Es gibt keinen politisch gerechtfertigten Extremismus. In unserer Gesellschaft wird politisch mit Worten gestritten, nicht mit Gewalt. Es darf weder Gewalt gegen Menschen noch Zerstörung fremden Eigentums geben. Darin müssen sich alle Demokraten einig sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Mit dem Haushalt 2016 stellen wir weitreichende Mittel für die Integration von Flüchtlingen bereit. Ganz gleich, wie sich in den kommenden Wochen die politischen Debatten über Aufnahmestopp und Kontingente entwickeln werden: Zu Weihnachten dieses Jahres werden mindestens 1 Million Menschen Zuflucht in Deutschland gesucht haben. Diese Menschen sind hier. Sie stehen vor uns und bitten um Hilfe. Es sind viele junge Männer, aber auch viele Frauen, Alte und Kinder dabei. Neben den zahlreichen staatlichen Leistungen wird die Hilfe in unserem Land maßgeblich von Ehrenamtlichen geleistet. Die Zivilgesellschaft zeigt jeden Tag, wie großzügig und hilfsbereit unsere Bevölkerung und wie stark unser Zusammenhalt ist. Dafür möchte ich herzlich Danke sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Zusätzlich zu den anderen Hilfsgeldern und Sofortmaßnahmen stellen wir über 6 Millionen Euro für die Wohlfahrtsverbände zur Verfügung, um Berater und Experten auszubilden. Mit zusätzlichen 48 Millionen Euro werden 10 000 Stellen im Bundesfreiwilligendienst finanziert. Die Jugendmigrationsdienste bekommen 8 Millionen Euro zusätzlich. Und wir investieren weitere 15 Millionen Euro, um gut ausgebildeten Flüchtlingen schnell und gut die deutsche Sprache beizubringen. Sie sollen sich in den Arbeitsmarkt integrieren oder ihr Studium abschließen können. Wir werden aber auch eine Antisalafismuskoordinierungsstelle einrichten, um gegen religiösen Extremismus im Land vorzugehen. Starke Familien in Deutschland können auch hier Vorbild sein. In starken Familien sind Männer und Frauen gleichberechtigt. In diesen Familien bekommen die Kinder eine gute Ausbildung, und Extremismus hat in ihnen keinen Platz hat. Keinen Platz – erlauben Sie mir diese Bemerkung am Rande – sehe ich in Deutschland übrigens auch für die Vollverschleierung. Ein Niqab oder eine Burka sind keine Zeichen gelebter Religionsfreiheit, sie sind ein Zeichen von Unterdrückung und Unfreiheit. (Beifall bei der CDU/CSU) Das hohe Gut der Religionsfreiheit darf nicht ausgenutzt werden, um Integration zu hemmen und Parallelgesellschaften zu zementieren. Lassen Sie mich zum Abschluss meiner Rede noch auf einen Haushaltstitel kommen, den ich besonders erwähnen möchte. Wir investieren erstmalig 3 Millionen Euro in das Deutsch-Griechische Jugendwerk. Durch die Finanzkrise hat das gegenseitige Verständnis unserer einst so eng verbundenen Länder gelitten. Ganz besonders die griechische Jugend ist von der schlechten Situation ihres Landes betroffen. Daher wollen wir dieses Jugendwerk einrichten und nach dem Vorbild des Deutsch-Französischen oder des Deutsch-Polnischen Jugendwerkes arbeiten, die herausragende Arbeit für die Freundschaft zwischen unseren Völkern leisten. Das ist eine Investition in eine starke europäische Völkerfamilie. Unsere Wirtschaft ist stark. Ich bin froh, dass wir trotz der gestiegenen Ausgaben in allen Ressorts einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen können und keine neuen Schulden machen. Haushaltsdisziplin ist eine familiäre Pflicht, die wir gegenüber unseren Kindern und Enkeln einzuhalten haben. Frau Walter-Rosenheimer, weil Sie vorhin Bayern angesprochen haben: Wenn alle anderen Bundesländer so gute Ergebnisse bei der Bildung, der inneren Sicherheit und im Umgang mit Flüchtlingen hätten, dann wäre ich sehr zufrieden. Insofern bin ich froh, dass wir ein solches Beispiel haben. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 17 – Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – in der Ausschussfassung. Wer dafür stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Einzelplan 17 ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von den Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Die Fraktionen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben gebeten, jetzt die Sitzung für etwa eine Stunde wegen Fraktionssitzungen zu unterbrechen. Der Wiederbeginn der Sitzung wird also gegen 18 Uhr sein und rechtzeitig durch Klingelsignal angekündigt. Ich unterbreche damit die Sitzung. (Unterbrechung von 17.00 bis 18.17 Uhr) Vizepräsidentin Claudia Roth: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie recht herzlich und wünsche Ihnen einen schönen Abend in diesen nicht ganz einfachen Zeiten. Ich begrüße auch die Gäste auf der Tribüne. Ich hoffe, dass die Rednerinnen und Redner auf der Redeliste, die jetzt noch nicht im Saal sind, noch rechtzeitig kommen werden. Ich eröffne die unterbrochene Sitzung wieder und rufe den Tagesordnungspunkt I.17 auf: Einzelplan 10 Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft Drucksachen 18/6110, 18/6124 Jetzt muss ich auf die Bitte einer Fraktion im Deutschen Bundestag noch einmal unterbrechen. Die SPD bittet um eine weitere Unterbrechung, weil sie noch ein bisschen braucht. – Könnte man ein bisschen präzisieren, was „ein bisschen“ heißt? – Also: Um 18.25 Uhr geht es weiter. Dann lese ich aber nicht alles noch einmal vor, sondern wir fangen dann gleich an. Der erste Redner der SPD kommt als vierter Redner dran. Ich glaube, dann kommt er immer noch rechtzeitig. Um Punkt 18.25 Uhr geht es weiter. Entschuldigen Sie bitte, dass wir jetzt noch einmal fünf Minuten unterbrechen. (Unterbrechung von 18.18 bis 18.25 Uhr) Vizepräsidentin Claudia Roth: Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Entschuldigen Sie bitte die zweimalige Unterbrechung. Den Tagesordnungspunkt I.17 – Einzelplan 10 – Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft – habe ich bereits aufgerufen. Die Berichterstattung erfolgt durch die Abgeordneten Cajus Caesar, Ulrich Freese, Heidrun Bluhm und Sven-Christian Kindler. Zum Einzelplan 10 liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Es wäre schön, wenn Sie sich an Ihre Redezeiten halten würden, sodass wir es schaffen, im vorgegebenen Rahmen von 96 Minuten zu bleiben. Heidrun Bluhm hat als Erste für die Linke das Wort. Sie eröffnet unsere Debatte. – Frau Bluhm, Sie haben das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister! Ich bin jetzt die Erste, die im Plenum spricht, nachdem soeben alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages von der Regierung darüber informiert worden sind, dass sich Europa und damit auch Deutschland auf einen militärischen Angriff auf die Gebiete des „Islamischen Staates“ vorbereitet. Ich will sagen: Es fällt mir deshalb extrem schwer, jetzt einfach zur Tagesordnung überzugehen und mich darauf zu konzentrieren; ich will es aber trotzdem versuchen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, 90 Prozent der Fläche in der Bundesrepublik sind ländlicher Raum. Jede zweite Bürgerin und jeder zweite Bürger wohnt im ländlichen Raum. Er ist damit keine Peripherie, kein Randbereich und auch kein Teil Deutschlands, der lediglich als Standort der Agrar-, Forst- und Energiewirtschaft verstanden werden darf. (Beifall bei der LINKEN) Nein, der ländliche Raum ist Lebensraum; der ländliche Raum ist Deutschland. Das ist der Hintergrund, vor dem wir den Einzelplan 10 zu besprechen haben. Die Lebensrealität und die Lebensqualität der Hälfte der Bevölkerung Deutschlands hängen von der Politik ab, die wir für den ländlichen Raum machen oder vielmehr machen könnten. Bisher haben wir aber entweder die Entwicklung im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel eher sich selbst überlassen oder sind der hohen Bedeutung, auch mit Verantwortung verbunden, viel zu wenig gerecht geworden. Hier geht es darum, dass wir über die Rahmenbedingungen für die Menschen reden, die unsere Naturlandschaft pflegen, die die Ernährung aller in Deutschland sichern, die mittlerweile weite Teile der Verbraucher auch mit Energie versorgen; in meinem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern ist das jedenfalls so. Das ist der Maßstab, an dem wir den Haushalt des Landwirtschaftsministeriums für 2016 messen müssen. Herr Minister, da muss ich Ihnen leider sagen: Diesem Anspruch werden wir mit einem Gesamtetat von knapp 5,6 Milliarden Euro nicht gerecht werden können. (Beifall bei der LINKEN) Klar, auch wir begrüßen den Aufwuchs um knapp 250 Millionen Euro im Vergleich zu 2015. Das ist eine Steigerung um insgesamt 4,65 Prozent. Aber gemessen an der Gesamtsumme, die der Bund 2016 ausgeben wird, sind das nur 1,77 Prozent. Wie sieht das Leben auf dem Land heute konkret aus? Fährt der Bus die 80-jährige Dame noch zum nächsten Ärztehaus, oder unterlässt sie den Arztbesuch eventuell, weil ihr der Weg zu schwer und kein Landarzt mehr in der Nähe ist? Sind öffentliche und lebensnotwendige Versorgungseinrichtungen überhaupt noch in der Fläche präsent und erreichbar? Hängen wir Teile Deutschlands digital nicht ab? Können Jugendliche Bildung und Teilhabe in gleicher Weise wie in großen Städten erfahren? Ist Daseinsvorsorge heute noch jedem zugänglich? Oder sind es nur noch ökonomische Kennwerte, die die Bundesregierung bei ihrer Strukturpolitik interessieren, wie es sich beispielsweise beim neuen Krankenhausstrukturgesetz oder auch beim Breitbandausbau beweisen lässt? Öffentliche Dienstleistung nur dort, wo sie sich rechnet oder private Gewinne generiert? Dieses Politikverständnis lehnen wir entschieden ab. (Beifall bei der LINKEN) Aber genau das ist der Trend, der sich seit vielen Jahren vollzieht. Die Linke fordert einen starken Staat. Wenn es um die Grundbedürfnisse der Menschen geht, dürfen Rendite und wirtschaftliche Effizienz nicht im Fokus stehen. Aufgabe von Politik ist es, das zu sichern, was die Menschen brauchen, auch wenn es sich vielleicht nicht rechnet. (Beifall bei der LINKEN) Nur die Starken können sich einen schwachen Staat leisten. Deshalb brauchen wir eine Gemeinschaftsaufgabe für die Entwicklung der ländlichen Räume; und weil es heute um den Haushalt geht, fordere ich das auch finanziell. (Beifall bei der LINKEN) Ich weiß, Herr Schmidt, Ihnen sind die Probleme bekannt. Sie erkennen die Potenziale des ländlichen Raumes. Sie erkennen auch die Investitionsbedarfe, die bei Infrastrukturmaßnahmen, der Dorf- und Regionalentwicklung bestehen. Das werden Sie vielleicht auch in Ihrer Rede gleich noch einmal zum Ausdruck bringen. Aber was nützt es, wenn Ihre Rede in keiner Weise mit den Zahlen im Haushalt in Übereinstimmung zu bringen ist? Und hier hatte ich eigentlich große Hoffnung. Über Parteigrenzen hinweg wurde die Forderung von 200 Millionen Euro mehr für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ unterstützt, in der die Mittel für die ländliche Raumentwicklung abgebildet sind – Herr Seehofer vorweg, die SPD sogar mit Vorstellungen im Bereich von 500 Millionen Euro. Dass Sie da also etwas machen mussten, war Ihnen klar, und Sie standen in dieser Frage auch unter Druck. Aber was ist rausgekommen? Um ganze 5 Prozent erhöhen Sie die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe. 30 Millionen Euro sind übrig geblieben von den gewünschten 200 Millionen Euro, die selbst Ihre eigene Partei, der Bauernverband, die Bundesländer und auch wir Linke gefordert haben. Eine wirkliche Reform der Gemeinschaftsaufgabe hatten Sie in Aussicht gestellt; sie sollte zu einer Gemeinschaftsaufgabe „Ländliche Entwicklung“ werden. Übrig geblieben ist etwas, was man nicht mal mehr Reförmchen nennen könnte. Nahversorgung, die Förderung landwirtschaftsferner KMU, die Umnutzung von Gebäudebeständen – ja, diese Maßnahmen sind richtig und überfällig, und auch die leichte Mittelaufstockung begrüßen wir natürlich. Aber ich bin mir ganz sicher, Herr Minister: Auch Sie können mit diesem Ergebnis nicht zufrieden sein. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Doch Sie vertreten hier die Regierung, und deshalb mache ich bei Ihnen auch die Defizite dieser Politik fest. Die Linke sagt: Wir dürfen vor allem strukturschwachen Kommunen die Zukunft nicht verbauen. Sie brauchen dringend Unterstützung bei der Bewältigung des Strukturwandels. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Hier kommt nicht nur nicht viel voran. Hier unterlassen wir sehenden Auges Investitionen in die Zukunftsfähigkeit der ländlichen Räume. Und wenn das in Ihrem eigenen Haushalt nicht eingestellt werden konnte, dann würde ich Sie bitten, Herr Minister: Treten Sie vielleicht Herrn Dobrindt ein bisschen in die Rippen, dass er dann wenigstens die notwendigen Mittel für den Breitbandausbau auch im ländlichen Raum zur Verfügung stellt. (Beifall bei der LINKEN) Die kommunale Finanznot steht der Strukturförderung aber als grundlegendes Problem entgegen. Wenn Kommunen nicht mehr in der Lage sind, das tägliche Leben der Menschen auf dem Lande attraktiv zu machen, dann werden auch sie bei nächster Gelegenheit wahrscheinlich in Ballungsräume abwandern. Dann bauen wir dort, in den Ballungsräumen, noch mehr Wohnungen auf immer weniger Lebensraum und vernichten damit unsere historischen ländlichen Lebensräume und nicht zuletzt auch gesellschaftliches und privates Eigentum. Herr Minister, das wollen Sie nicht. Die Kolleginnen und Kollegen der Koalition wollen das hoffentlich auch nicht, und die Opposition will das sowieso nicht. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Für 2016 ist die Chance vertan, Daseinsvorsorge, Mobilität und Teilhabe in den ländlichen Räumen langfristig zu sichern, vor allem in schrumpfenden Regionen. Ich sage es heute am Ende noch einmal: Wir brauchen eine ressortübergreifende Gesamtstrategie für die ländlichen Räume. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Und wenn die Regierung das nicht kann, dann sind wir gern in Zukunft bereit, dazu etwas aufzuschreiben. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin Bluhm. – Noch einmal die Bitte, sich an die Redezeit zu halten, sonst – darauf haben wir uns jetzt gerade verständigt – werden wir das einfach Ihren Kolleginnen und Kollegen abziehen müssen. Nächster Redner in der Debatte: Cajus Caesar für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]) Cajus Caesar (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischereiwirtschaft, Ernährungswirtschaft nehmen eine Schlüsselrolle in unserer Gesellschaft, in unserer Wirtschaft ein. Deshalb wollen wir als Union in diesem Bereich auch Akzente setzen; denn wir wollen der Bedeutung dieses Bereiches gerecht werden. Ich denke, mit diesem Haushalt setzen wir diese Akzente und sind an der Seite der Bäuerinnen und Bauern, der Forstwirte und all derjenigen, die in diesem Bereich aktiv sind. (Josef Göppel [CDU/CSU]: Und der Fischer!) Mein Dank gilt dem Minister, dem Ministerium. Mit dem Entwurf sind schon richtige Gewichtungen vorgenommen worden. Ich glaube, dass wir mit Stolz darauf verweisen können, dass das, was wir in der Vergangenheit beschlossen haben, mit Dynamik umgesetzt worden ist. Deshalb danke ich unserem Minister Christian Schmidt im Namen unserer Fraktion ausdrücklich. (Beifall bei der CDU/CSU) Mein Dank gilt auch dem Haushaltsreferat: Albert Wulff – ihn habe ich eben gesehen –, Dr. Ulrich Kuhlmann – er kann heute nicht hier sein – und Bernd-Udo Hahn, mit denen wir stets zusammengearbeitet haben. Es war eine Freude. Wir haben die Informationen schnell, ausführlich und detailliert bekommen. Es war eine sehr gute Zusammenarbeit. Das gilt auch für meine Mitberichterstatter Ulrich Freese, Sven-Christian Kindler – er ist aus familiären Gründen heute nicht hier; aber auch ihm Dank – und selbstverständlich auch Heidi Bluhm, die ja Nachfolgerin von Roland Claus ist. Danke für die Zusammenarbeit! Wir legen einen Gesamthaushalt vor, der null Neuverschuldung vorsieht, und setzen trotzdem sehr wesentliche Akzente: 140,8 Millionen Euro mehr für gesunde Ernährung, für Forschung, für Projekte, für Wertschöpfung im ländlichen Raum – das ist schon etwas besonders –, 108 Millionen Euro mehr für den ländlichen Raum, für die Sozialversicherungen und noch einmal 100 Millionen Euro obendrauf für den vorbeugenden Hochwasserschutz. Das sind 350 Millionen Euro Zukunftsinvestitionen der Union. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich dem Vorsitzenden der Arbeitsgruppe Haushalt, Eckhardt Rehberg, danken. Es ist nicht selbstverständlich, dass er uns in dieser Form vorangebracht und so unterstützt hat. Lieber Eckhardt, herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir als Union setzen mit diesem Haushalt die richtigen Rahmenbedingungen. Wir wollen diese Branche weiterhin zukunftsfest machen, Schwerpunkte setzen und das Geld an der richtigen Stelle einsetzen. Schwerpunkte sind zum einen die nachwachsenden Rohstoffe, für die 61 Millionen Euro vorgesehen sind. Hier darf ich sagen: Andreas Schütte an der Spitze der FNR leistet hervorragende Arbeit. Aber Alois Gerig, der hier unter uns ist, ist derjenige, der in der FNR die Projekte wesentlich voranbringt. Lieber Alois Gerig, herzlichen Dank! Hier wird hervorragende Arbeit geleistet. (Beifall bei der CDU/CSU) Liebe Freunde, auch für den Waldklimafonds haben wir die Mittel von 14,35 Millionen Euro auf 17,61 Millionen Euro in 2016 und auf 19,54 Millionen Euro in 2017 erhöht. Hier geht es um Klimaschutz, hier geht es um klimaresistente Baumarten, hier geht es um Forschung, hier geht es um Kohlenstoffspeicherung und CO2-Reduzierung. Ich denke, dass ist ein richtiger Weg. Gleichfalls setzen wir Akzente im Bereich Bauen mit Holz. Holz ist beim Bauen ein Stoff, der eine hervorragende Ökobilanz hat, weil dadurch 80 Prozent weniger Energie verbraucht werden. Also: Mit Holz ist viel möglich; das ist umweltfreundlich und natürlich auch ressourcenschonend. Wir wollen insbesondere das Bundeswaldgesetz möglichst schnell auf den Weg bringen und so dafür sorgen, dass die Kleinstwaldbesitzer nicht im Stich gelassen werden, sondern vielmehr gestärkt werden. Wir wollen das Eigentum stärken, und wir wollen auch die forstwirtschaftlichen Vereinigungen in ihrer Arbeit stärken. (Josef Göppel [CDU/CSU]: Sehr gut!) Hier ist unser Minister auf dem richtigen Weg. Wir sind davon überzeugt, dass er relativ rasch einen entsprechenden Entwurf vorlegen wird, um dieses zu regeln. (Josef Göppel [CDU/CSU]: Das hoffen wir!) Dafür danke ich ihm ausdrücklich. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir werden des Weiteren zusätzliche Stellen vorsehen, um die Waldstrategie 2020 mit Leben zu erfüllen und im Bereich des Wirtschaftsfaktors Wald einiges tun zu können; da haben wir ja auch bereits einiges getan. Auch hier kann man sagen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Wir wollen – das haben wir gezeigt – nicht nur Versprechen machen, sondern sie auch halten. Im Bereich der Energieeffizienz des Gartenbaus und der Landwirtschaft setzen wir 15 Millionen Euro ein. Das sind in den nächsten drei Jahren insgesamt 65 Millionen Euro. Im Bereich Energieeffizienz ist Geld gut angelegt. Das wollen wir alle. Das ist Klimaschutz. Das bedeutet aber auch Stärkung der Branchen Gartenbau und Landwirtschaft. Das ist uns wichtig. Wir wollen im Bereich der Gemeinschaftsaufgabe Akzente setzen. Wir haben deshalb die Mittel deutlich erhöht: um 30 Millionen Euro in diesem Jahr und in den Folgejahren um 60 Millionen Euro. Das fließt nicht nur in Modellprojekte; vielmehr wollen wir über solche Projekte die ländlichen Infrastrukturen insgesamt verbessern. Natürlich ergänzen wir den Verkehrshaushalt – hier werden mehrere Milliarden für die Breitbandversorgung auch im ländlichen Bereich bereitgestellt – durch eigene Mittel. Wir sind da auf dem richtigen Weg, und wir werden auch unsere Versprechen einhalten, nämlich den ländlichen Raum so auszugestalten, dass er so lebenswert bleibt, wie er ist. Deshalb wird die Union alles daransetzen, erfolgreich solche ländlichen Strukturen aufzubauen, dass sie dazu dienen können, die Menschen im ländlichen Raum zu begleiten. Auch da sind wir auf dem richtigen Weg. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Willi Brase [SPD]) Die Gemeinschaftsaufgabe umfasst auch den Küstenschutz. Ingbert Liebing aus Schleswig-Holstein hat mir auf beeindruckende Weise vor Ort gezeigt, wie wichtig der Küstenschutz ist. Wir haben die Mittel für den Hochwasserschutz erhöht, um Deichertüchtigungen vornehmen zu können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben insbesondere für den vorbeugenden Hochwasserschutz etwas getan. Wer die Bilder vom Hochwasser noch vor Augen hat, der weiß, welches Leid die Leute erfahren haben. Wir haben schnell und unkompliziert geholfen und 8 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Aber wir wollen auch vorbeugend präventiven Hochwasserschutz betreiben. Bei den Terminen in den Wahlkreisen konnte ich feststellen, dass es die Befürchtungen gab, dass wir Geld einstellen könnten, mit dem irgendwelche Programme finanziert werden, die aber gar nicht effektiv sind. Diese Befürchtungen sind unbegründet; denn wir haben das, was wir als Koalition im Bereich des vorbeugenden Hochwasserschutzes auf den Weg bringen wollten, auch umgesetzt. Die 20 Millionen Euro, die im ersten Jahr zur Verfügung standen, haben wir für effektive Programme und Investitionen genutzt. Im nächsten Jahr werden 100 Millionen Euro für den vorbeugenden Hochwasserschutz zur Verfügung stehen. In diesem Bereich ist Geld sehr gut angelegt; denn es kommt – neben der Deichrückverlegung – auch darauf an, den Landwirten weiterhin die Möglichkeit zu geben, dort zu wirtschaften und ihr Land zu bestellen. Es ist so erstmals gelungen, den Landwirten aus Bundesmitteln 20 Prozent des Verkehrswertes betroffener Flächen als Entschädigung zukommen zu lassen, also Ökologie und Ökonomie im besten Sinne zu verbinden. Das ist der richtige Weg; den sollten wir weitergehen. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, alle reden vom ländlichen Raum, vor allem vor Ort, in den Wahlkreisen. Es gibt runde Tische und tolle Ideen; Projekte werden geschmiedet. Wir setzen 30 Millionen Euro zusätzlich für den ländlichen Raum ein. Wir als Union sind an der Seite derjenigen, die vor Ort Ideen haben (Ursula Schulte [SPD]: Wir auch!) und sie umsetzen wollen. Ich sage mal: Wir als Koalition und wir von der Union meinen, dass der ländliche Raum wichtig ist. Deshalb sind wir an der Seite der dort lebenden Menschen und derjenigen, die dort arbeiten. Diese 30 Millionen Euro sind gut angelegtes Geld. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir wollen die sozialen Strukturen im ländlichen Raum stärken. Wir wollen, dass Gebäude umgewidmet werden können, ehe sie verfallen, und Nutzungszwecken in der Landwirtschaft aber auch darüber hinaus zugeführt werden können. Wir wollen durch entsprechende Projekte im ländlichen Raum Dinge auf den Weg bringen und Positivbeispiele sammeln, die dann vermehrt in allen Bereichen des ländlichen Raums umgesetzt werden können. Wir wollen Dienstleistungen, die sonst nicht bezahlbar sind, bündeln und den Menschen anbieten, um den ländlichen Raum so attraktiv zu machen, dass von dort möglichst wenige weggehen. Mehr noch: Der ländliche Raum soll so attraktiv und lebenswert sein, insbesondere im Hinblick auf Infrastruktur, Arbeitsplätze und Angebote vor Ort, dass er mit den städtischen Bereichen mithalten kann. Das sind wir den Bürgern schuldig. Deshalb handeln die Union und die Koalition entsprechend. (Beifall bei der CDU/CSU) Im Bereich der Sozialversicherung stellen wir 78 Millionen Euro mehr für die Unfallversicherung bereit. Wir sind der Meinung, dass dies wichtig ist, auch vor dem Hintergrund, dass die Landwirtschaft im Augenblick sehr schwierige Zeiten durchwandert. Die Rahmenbedingungen sind wegen des Verbots von Exporten nach Russland, der Milchpreise und der Schweinepreise schwierig. Angesichts der Situation wollen wir ein Zeichen setzen und der Landwirtschaft, den Bäuerinnen und Bauern, den Forstwirten, allen, die vor Ort arbeiten, sagen: Wir lassen euch nicht im Stich, wir sind an eurer Seite. – Deshalb stellen wir 78 Millionen Euro mehr für diesen Bereich bereit. Ich denke, das ist richtig und gut angelegtes Geld für die Landwirtschaft, für die Forstwirtschaft und für all diejenigen, die dort richtig anpacken. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben 2 Millionen Euro mehr auch für Messen, für Exportförderung eingestellt. Ich denke, das ist richtig. Das schließt an den eben genannten Bereich an. Wir tun mehr im gesundheitlichen Verbraucherschutz. Ich nenne an dieser Stelle die Aufstockung um 136 Stellen beim BfR und um 195 Stellen beim BVL. Gesunde Ernährung und Tierwohl sind auch Thema unserer Bundesregierung und unserer Koalition; und deshalb tun wir dort etwas. Wir wollen nicht nur einen ausgeglichenen Haushalt; ich habe eben den Namen Eckhardt Rehberg genannt. Wir setzen Akzente und Zeichen für Forschung und Innovation mit 50 Millionen Euro mehr. Wir setzen Zeichen für den Dialog. Wir setzen Zeichen für eine gesunde Ernährung. Wir setzen Zeichen für einen umweltfreundlich erzeugten Rohstoff Holz. Wir setzen Zeichen durch 78 Millionen Euro mehr an Investitionen im Bereich der sozialen Systeme für die Unfallversicherung. Und wir setzen Zeichen im ländlichen Raum durch einen neuen Ansatz in Höhe von 30 Millionen Euro. Wir als Union wollen an der Seite der dort lebenden und arbeitenden Menschen sein. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Caesar. – Nächster Redner in der Debatte: Harald Ebner für Bündnis 90/Die Grünen. Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Zur Tagesordnung überzugehen, fällt uns allen schwer, glaube ich; da stimme ich der Kollegin Bluhm zu. Dennoch müssen wir es versuchen und heute über den Haushalt reden. Der Schwabe schaut ja im Haushalt immer darauf, dass kein Geld verschwendet wird. Als grüner Schwabe achte ich auf Nachhaltigkeit. Als grüner Agrarpolitiker will ich eine nachhaltige Landwirtschaft fördern und unsere Betriebe für die Zukunft fit machen. Hier gibt es wirklich viel zu tun. Das passiert mit diesem Haushalt, lieber Herr Kollege Caesar, leider schon wieder ganz und gar nicht. Ich sehe in dem Entwurf nämlich keinen Plan und keinen Mut. Damit wir uns nicht missverstehen: Herr Minister, es ist gut, dass die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ endlich aufgestockt werden. Darüber diskutieren wir seit zwei Jahren. Und es ist auch gut, dass es mehr Geld für die landwirtschaftliche Sozialversicherung gibt. Aber es bleibt dabei: Sie zementieren einmal mehr Ihre bisherige Agrarpolitik. Ihr Haushalt steht für noch mehr Industrialisierung, hohen Pestizidverbrauch und weitere Investitionen, leider in eine Agrarproduktion, die massive ökologische Kosten verursacht und – das ist das Fatale dabei – nicht einmal den Bäuerinnen und Bauern etwas bringt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Intensivierung auf Kosten der Umwelt bringt ja nicht einmal mehr kurzfristige ökonomische Vorteile. Im Gegenteil: Sinkende Preise gefährden Tausende von bäuerlichen Existenzen. Milchpreise um 25 Cent fressen an der Substanz der Betriebe. Wer seine Tierhaltung für den Export optimiert hat, sitzt jetzt auf hohen Investitionsschulden. Das lässt sich auch nicht mit Liquiditätshilfen kaschieren. Da ist doch ein klarer Auftrag an Sie, endlich Alternativen zu fördern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie predigen stattdessen unverdrossen weiter Ihre Exportvisionen und fördern das auch noch mit öffentlichen Mitteln. Da sind zum einen 3 Millionen Euro für Maßnahmen zur Verstärkung der Außenhandelsbeziehungen im Agrar- und Ernährungsbereich, und das, obwohl die momentane Krise auf dem Fleisch- und Milchmarkt klar zeigt, dass die Exportfixierung in die Sackgasse geführt hat. Diese 3 Millionen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wären im Tierschutz doch deutlich besser angelegt, weil sie hier auch einen echten Mehrwert schaffen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Minister Schmidt, was tun Sie? Statt sich um die drängenden Probleme der Landwirtinnen und Landwirte zu kümmern, beraumen Sie Exportgipfel an. Ihr Soforthilfeprogramm besteht wieder nur aus Exportunterstützung – mit bekannten Folgen für die Landwirtschaft in den Empfängerländern. Dabei gibt es gerade im Inlandsmarkt enormes Wachstums- und Wertschöpfungspotenzial. Der Absatz von Ökolebensmitteln steigt, die Anbaufläche nicht. Die Leistungen des ökologischen Landbaus bei Klima-, Umwelt- und Naturschutz, aber auch bei der Schaffung von Arbeitsplätzen sind durch zahllose Studien, auch durch Studien der Bundesregierung, belegt. Aber wer nachhaltige Landwirtschaft will, der muss dafür auch die Weichen stellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es muss deutlich mehr in das Bundesprogramm Ökologischer Landbau investiert werden, sonst gehen durch den rasanten Verlust von genetischer Vielfalt unsere Grundlagen für nachhaltige ökologische Landwirtschaft unrettbar verloren. Aber Sie haben unseren Antrag, in dem wir forderten, 20 Prozent der Forschungsmittel dem Ökolandbau zur Verfügung zu stellen, abgelehnt. Herr Caesar, Sie haben zwar gesagt, die Forschungsmittel sind aufgestockt worden, (Cajus Caesar [CDU/CSU]: Ja!) aber wir sollten auch mehr Mittel zur Forschung im Ökolandbau investieren. (Cajus Caesar [CDU/CSU]: 50 Millionen mehr haben wir eingesetzt!) Ihre vollmundig gestartete Zukunftsstrategie Ökologischer Landbau kommt ganz ohne Geld aus. Ich kann da keine Strategie und auch keine Zukunft erkennen. Stattdessen gibt es Gesprächsrunden bis zum bitteren Ende der Legislatur. Herr Minister, mit was wollen Sie am Ende der Legislatur eigentlich noch anfangen? Da ist es doch logisch, dass Sie kein Geld ausgeben wollen. In der Sache ist das nachvollziehbar, aber grundfalsch. Orientieren Sie sich doch an den Bundesländern, auch an Ihrem eigenen. Dort passiert etwas, das kann man abschreiben. Für mich sieht es aber so aus, als hätten Sie keinen Plan. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir stellen fest: In allen Lebensmitteln sind Pestizidrückstände zu finden, leider nicht nur in den Importen, sondern auch in den hiesigen; das war einer Dokumentation des BVL aus dem Jahr 2013 zu entnehmen. Das bereitet nicht nur dem Bundesamt, sondern uns allen buchstäblich Bauchschmerzen. Pestizidrückstände, zum Beispiel Glyphosat, finden sich in uns allen; das belegen zahlreiche Untersuchungen. Ich sage ausdrücklich, meine Damen und Herren: Ich halte es für richtig, dass man beim BfR, beim Bundesinstitut für Risikobewertung, Stellen aufstockt. (Dieter Stier [CDU/CSU]: Dann freuen Sie sich doch über unseren Haushalt!) Das ist nötig. Dann ist das Bundesinstitut hoffentlich auch nicht mehr darauf angewiesen, Bewertungen der Industrie hinsichtlich Pestiziden zu übernehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Menschen sind angesichts des steigenden Pestizideinsatzes zu Recht besorgt. Hier müssen wir ansetzen. Wir müssen in die Forschung im Bereich des nicht chemischen Pflanzenschutzes investieren und in die Beratung der Landwirte, die den Mitteln selbst nicht mehr trauen. Deshalb hatten wir ja beantragt, dass die Mittel aus dem Budget für Forschung und Innovation zweckgebunden eingesetzt werden. Das wurde von Ihnen abgelehnt. – Schade! Beim Stickstoffüberschuss sieht es genauso aus; wie bei der Gentechnik passiert hier nichts, Herr Minister. Die Kennzeichnungspflicht von tierischen Produkten bekommen Sie nicht hin. Für die „ohne Gentechnik“-Kennzeichnung gibt es nach wie vor nicht mehr Geld, um sie bekannt zu machen. Und der Gesetzentwurf der Bundesländer wartet darauf, endlich in den Bundestag eingebracht zu werden. Das ist ärmlich, das ist billig, das zeugt auch von Hilflosigkeit. Da fehlt Ihnen der Mut, die Verantwortung für die Anbauverbände mit einem vernünftigen Gentechnikgesetz selbst zu übernehmen, statt sie an die Bundesländer abzuschieben; genau das tun Sie ja. Es gäbe noch viel zu sagen. (Dieter Stier [CDU/CSU]: Die Redezeit ist abgelaufen!) Mir bleibt an dieser Stelle, zu sagen: Der Haushalt zeigt, dass Sie nicht den Mut haben, die Probleme zu lösen. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Ebner, auch für die Einhaltung der Redezeit. – Nächster Redner: Ulrich Freese für die SPD. (Beifall bei der SPD) Ulrich Freese (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich Ihnen so zuhöre, dann beschleicht mich einerseits das Gefühl, dass Sie den vorliegenden Haushalt nicht kennen. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Andererseits haben Sie eine ganze Reihe von Fragestellungen aufgeworfen, die mit Haushaltstiteln nichts zu tun haben. Diese Fragen sind – das ist der Anspruch des Ministeriums – auch ohne Haushaltstitel einfach per Gesetz regelbar. (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welches Gesetz haben Sie denn gemacht? Ihr habt doch gar keines gemacht! – Weiterer Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir reden jetzt über den Haushalt 2016. Ich muss schon sagen, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen: Es ist schon eine verdammt sportliche Leistung, die wir in den letzten 18 Monaten hingelegt haben. Der Haushalt, der von uns heute und morgen abschließend beraten wird, ist nämlich der dritte Haushalt, der ohne Neuverschuldung auskommt, der ausgeglichen ist. Es ist auch der dritte Haushalt, in dem es Bewegung im Haushalt des Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung gibt. Ich denke, darauf können wir alle, die wir die Koalition tragen, ein Stück weit stolz sein; wir arbeiten nämlich unseren Koalitionsvertrag millimetergenau ab. Cajus Caesar ist genauso wie allen anderen, die an den Haushaltsberatungen teilgenommen haben, für sein Engagement zu danken. Ebenso ist dem Bundesministerium zu danken, das uns immer gut vorbereitet hat und unterjährig die Fragen meiner Kolleginnen und Kollegen jederzeit beantwortet hat. Was ist in den 18 Monaten alles geschehen? Ich erinnere mich zunächst einmal, dass in allen meinen Reden der Hochwasserschutz einen hohen Stellenwert hatte. Das Thema Hochwasserschutz hat über einen Maßgabebeschluss Eingang gefunden. Dafür waren in diesem Jahr 20 Millionen Euro vorgesehen, weil wir gesagt haben: Wir wollen planen. – Und in meiner letzten Rede, Herr Minister, habe ich darum gebeten, dass Sie mit dem Bundesfinanzminister und ihren anderen Ministerkollegen aushandeln, dass aus dem Investitionsförderprogramm jährlich 100 Millionen Euro für den Hochwasserschutz vorgesehen werden. Ich bin sehr froh, dass es Ihnen gemeinsam mit der für die Bereiche Bauen und Umwelt zuständigen Bundesministerin, Barbara Hendricks, gelungen ist, exakt 100 Millionen Euro zu vereinbaren, und zwar nicht nur für 2016, sondern auch für 2017 und 2018. Das sind wichtige finanzielle Beiträge, die uns helfen werden, einen nationalen Hochwasserschutzplan auf den Weg zu bringen, in dem genau das berücksichtigt wird, was Cajus Caesar hier beschrieben hat. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zum Zweiten hat in allen drei Reden, die ich hier zum Haushalt gehalten habe, das Thema Hofabgabeklausel eine Rolle gespielt. Im letzten Jahr ist der Haushalt des Bundesministers diesbezüglich so aus dem Parlament herausgegangen, wie er hereingekommen ist, weil wir uns nicht einigen konnten, hier Modifizierungen vorzunehmen. Ich kann, denke ich, mit Stolz sagen, dass es der Hartnäckigkeit der Sozialdemokraten zu verdanken ist, dass wir die Hofabgabeklausel modifiziert haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das hilft 64 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe. Endlich kann aus eingezahlten Rentenbeiträgen, wenn das Renteneintrittsalter erreicht wurde, Rente bezogen werden. Zum Dritten haben wir uns sehr intensiv mit der Frage der ländlichen Räume auseinandergesetzt. In allen Haushaltsberatungen hat die Frage der Weiterentwicklung der GAK eine Rolle gespielt und die Frage: Wie viel Geld setzen wir bundesseitig letztendlich für die Entwicklung ländlicher Räume, in denen ein Drittel der Gesamtbevölkerung Deutschlands wohnt, ein? Ich denke, es ist ein gutes Zeichen, dass wir jetzt zusätzlich 30 Millionen Euro in den Haushalt einstellen mit der Maßgabe, dass dadurch mehr und mehr Bundesaktivitäten finanziert werden können. Ich denke, dass auch wir seitens des Bundes eine ganze Reihe guter Ideen zur Entwicklung der ländlichen Räume haben, die wir einbringen können. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Cajus Caesar [CDU/CSU]) Dazu gehört auch, dass wir uns der Instrumente bedienen, die uns schon zur Verfügung stehen. Ich bin dem Minister sehr dankbar, dass er sich bereit erklärt hat, das Grünlandzentrum, das in Niedersachsen eine Vorreiterrolle einnimmt, über Projekte finanziell zu fördern, damit diese Ideenschmiede mit Blick auf ganz Deutschland mit Bundesmitteln arbeiten kann. Eine letzte Bemerkung, Frau Präsidentin. – Wir haben auch darum gerungen, dass die Kompetenz, die im Forschungsinstitut für Kinderernährung in Dortmund angesiedelt ist, bei der Verlagerung nach Bonn erhalten bleibt. Das traf leider auf das Institut nicht zu, aber die Kompetenz ist teilweise gesichert. Ihre Zusage, Herr Minister, dass Sie sich dafür einsetzen werden, dass über weitere, über die McDonald’s-Studie hinausgehende Projekte die Kompetenz gesichert wird, ist ein gutes Zeichen dafür, dass wir die gesunde Ernährung dieser Teilgruppe der Bevölkerung mit Bundesmitteln weiterhin fördern wollen. (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die „McDonald’s-Studie“? – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie da etwas falsch verstanden?) – Die DONALD-Studie. – Ich glaube, wir haben vieles aus dem Koalitionsvertrag erfüllt. Ich bin mir ganz sicher, dass wir in der nächsten Haushaltsberatung weitere Schritte gehen werden und am Ende sagen können: Wir haben fast 100 Prozent der im Koalitionsvertrag beschlossenen Vereinbarungen auf den Weg gebracht. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Freese. – Nächster Redner ist der Minister Christian Schmidt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es kam eben etwas Unruhe auf. Vielen Dank, Kollege Freese, für die Erwähnung des Bereichs der Ernährung, der uns sehr wichtig ist, allerdings nicht im Sinne von: für Fast Food, sondern gegen Fast Food. Kinderernährung ist genau das Thema, bei dem wir ansetzen müssen. Ich möchte mich sehr bedanken: beim Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages und bei den Hauptberichterstattern, bei Cajus Caesar, Ulrich Freese, Herrn Kindler – Frau Hajduk, bitte übermitteln Sie ihm die besten Grüße – und Frau Bluhm; Herr Claus ist schon nicht mehr da. Sie haben intensiv gearbeitet. Zu später Nachtstunde, in der Bereinigungssitzung, gab es dann ein gutes Ende für den Einzelplan 10; denn – und das habe ich sehr dankbar zur Kenntnis genommen – um 4 Uhr in der Nacht haben sich alle Fraktionen des Deutschen Bundestages (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Wir waren alle hellwach!) – alle hellwach – den Vorschlägen angeschlossen. Dafür kann ich nur großen Dank aussprechen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich bin ohnehin der Meinung, dass in der zweiten und dritten Lesung das Parlament und nicht die Bundesregierung im Mittelpunkt steht. Letztere ist in diesem Augenblick dankbar, dass der Haushaltsausschuss des Bundestages die Zuwächse des Etats, die erst im Raum standen und dann schon fast vom Tisch waren, am Ende genehmigt hat. Es geht um immerhin 108 Millionen Euro, die in früher Morgenstunde zusätzlich beschlossen wurden. Wir können mit dem Geld die richtigen Akzente in diesem Haushalt setzen: für einen verlässlichen gesundheitlichen Verbraucherschutz, für eine ausgewogene Ernährung, für eine zukunftsfähige Land- und Forstwirtschaft. Als weitere Branche nenne ich nur den Gartenbau. Cajus Caesar hat die 65 Millionen Euro genannt, die bereits im zweiten Haushalt der letzten 18 Monate ein Thema waren. Ich danke für die Unterstützung für vitale und attraktive ländliche Regionen. Der Haushalt setzt damit ein deutliches Zeichen, dass Ernährung und Landwirtschaft wichtige Lebensthemen sind, in die es sich zu investieren lohnt. Der Haushalt stellt für den Bereich der Ernährung fast 90 Millionen Euro bereit. Das ist ein richtiger Schwerpunkt; denn wir wissen: Für die Menschen ist das Thema Ernährung das wichtigste Verbraucherschutzthema überhaupt. Diese Mittel werde ich ganz wesentlich dafür einsetzen, gesunde und ausgewogene Ernährung verstärkt zu unterstützen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich tue dies auch an anderer Stelle im Verbraucherschutz, etwa durch die Unterstützung von lebensmittelklarheit.de, die bisher für einige Jahre gesichert war. Ich habe die Mittel für dieses Portal verstetigt, das zu einer wichtigen Anlaufstelle für Verbraucherinnen und Verbraucher geworden ist, die sich über die Kennzeichnung von Lebensmitteln informieren wollen oder sich beschweren wollen, wenn sie sich durch ein konkretes Produkt getäuscht fühlen. Das kann ich mit den Mitteln, die Sie mir zur Verfügung stellen. (Beifall der Abg. Gitta Connemann [CDU/CSU]) Ich darf einen weiteren Punkt nennen. Liebe Gitta Connemann, das gestrige von dir und Kollegen initiierte Fachgespräch in der CDU/CSU-Fraktion und andere Gespräche haben unterstrichen, dass beispielsweise Diabetes nicht nur eine Frage der Gesundheitspolitik ist, sondern auch eine Frage der Prävention. Ich bin sehr dankbar, dass es uns, gemeinsam mit Kollegen Hermann Gröhe, gelungen ist, im Präventionsgesetz zu verankern, dass wir mit unserer Kampagne IN FORM und anderen Initiativen ganz deutliche Grundlagen für eine bessere Ernährungsprävention schaffen wollen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Das muss vor allem in den Schulen stattfinden. Ein gesunder Lebensstil lässt sich nicht einfach verordnen. Wir müssen die Ernährungskompetenz der Kinder und Jugendlichen stärken. Deswegen gehört das auf den Stundenplan. Das heißt allerdings, dass wir darüber mit den Ländern reden müssen. (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Genau, richtig! Die Länder müssen mitziehen!) Ich habe die Kultusministerkonferenz um ein Gespräch über den Vorschlag der Einführung eines Schulfaches Ernährungsbildung gebeten. Nun wollen wir einmal sehen, wie sich das entwickelt. Ich jedenfalls bin bereit, dafür zu sorgen, dass der Bund einen Beitrag hierzu leistet. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich bündle die „Qualitätsoffensive Schulverpflegung“ und die damit verbundenen Aktivitäten meines Hauses mit einer Informationskampagne für Eltern: von der Unterstützung beim Angebot hochwertiger Schulverpflegung bis zur Bereitstellung eines Startersets Ernährungswissen für die Kinder. Ich werde die Aktivitäten in einem Nationalen Qualitätszentrum für gesunde Ernährung in Kita und Schule hier in Berlin zusammenführen. Es wird die zentrale Anlaufstelle werden – bei strenger Beachtung der Länderkompetenzen, aber in Unterstützung der von allen Ländern mitgetragenen Initiative, die insbesondere die Schulverpflegung und die Schulvernetzungsstellen in diesem Bereich zum Gegenstand hat. Das Engagement in Sachen Ernährungssicherung im globalen Kontext ist aber auch in anderer Hinsicht zu betrachten – einige Kolleginnen und Kollegen haben ja auf den Grund für die Unterbrechung der Sitzung und auf die Tatsache, dass wir diesen Einzelplan nun erst sehr spät beraten, hingewiesen –: Es geht um die Frage, wie wir nach den schrecklichen Terrorangriffen in Paris den Aktivitäten des IS bzw. dem Terror, den er in Syrien und im Irak ausübt – quasi als ein Staat, jedenfalls auf einem Territorium –, begegnen können. Lassen Sie mich zur katastrophalen Lage in Syrien noch einen anderen Aspekt ansprechen. Die Ursachen für das heutige Leid der Menschen dort sind vielfältig. Die Ernährungssituation gehört dazu. In Syrien sind in den Jahren 2006 bis 2010  60 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe einer außerordentlichen Dürre zum Opfer gefallen. Die Folgen waren Hunger und Landflucht. Nun müssen wir daran arbeiten, dass die Ernährungssicherung in diesem Land wieder besser wird. Sie hat aufgrund der Kriegswirren natürlich noch mehr gelitten. Deswegen werde ich auch hier Akzente setzen. Es ist zu beklagen, dass die Weltgemeinschaft bisher nicht in der Lage ist, genügend Mittel zu generieren, um den Menschen in den Flüchtlingslagern und in den Lagern um Syrien herum nicht nur das Überleben zu ermöglichen, sondern ihnen auch eine Perspektive zu geben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht in der Lage oder nicht willens?) Ernährungssicherung ist ein entscheidender, ja, nachhaltiger Beitrag zu gesellschaftlicher und politischer Stabilität. Deswegen müssen wir das Menschenrecht auf Nahrung weltweit umsetzen. In ausgewählten Projekten, etwa mit der FAO, findet bereits eine Förderung statt, übrigens auch in Syrien. Auch Saatgut wird in kleinen Gebinden nach Syrien geschickt, damit die kleinen Landwirte es nutzen können. Auch das ist ein Versuch, die Ernährungssicherung weiter zu unterstützen. In unserem Haushalt werden gut 74 Millionen Euro für die FAO und entsprechende Maßnahmen bereitgestellt. Damit ist Deutschland drittgrößter Beitragszahler, was internationale Maßnahmen angeht. Vielen Dank dafür, dass Sie mir die Möglichkeit geben, hier einen Akzent zu setzen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Internationale Verantwortung will ich auch in der Forstpolitik übernehmen. Eine wichtige Rolle spielt dabei unsere nachhaltige und gleichzeitig ökonomisch erfolgreiche Waldbewirtschaftung. Immerhin können die Förster ja von sich sagen, dass sie die Erfinder des Begriffs „Nachhaltigkeit“ sind. Carl von Carlowitz gilt als Begründer des Prinzips der Nachhaltigkeit – das liegt mittlerweile 302 Jahre zurück, wenn ich richtig rechne –, (Cajus Caesar [CDU/CSU]: Jawohl!) und war noch dazu ein Sachse. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt denn hier „noch dazu“?) Die nachhaltige Waldbewirtschaftung hat sich bewährt. Wir müssen Deutschland zu einem Musterland in Sachen Wald machen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die Kompetenzen und Kapazitäten meines Hauses im Forstbereich will ich deswegen stärken. Ich bin dankbar, dass mir der Haushalt die Möglichkeit gibt, hierfür Planstellen zu schaffen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der letzten Haushaltsdebatte habe ich von dem EU-Maßnahmenpaket berichtet, das uns helfen wird, unsere Landwirte in der aktuell schwierigen Situation zu unterstützen. Seit letztem Freitag ist die Eilverordnung in Kraft. 70 Millionen Euro EU-Mittel werden unbürokratisch und wirkungsvoll zur Verfügung gestellt. Ich bin sehr froh, dass wir diese bereitgestellten Hilfen national durch eine signifikante Unterstützung flankieren können. Als Ergebnis der parlamentarischen Haushaltsberatungen werden die Bundesmittel zur LUV um 80 Millionen aufgestockt. Das ist eine zusätzliche Beitragsentlastung, die von einigen Hundert Euro bis zu 2 000 Euro reichen wird. Das lässt sich sehen, besonders wenn ich die Ursprungsentlastung in Höhe von 100 Millionen Euro hinzurechne. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir verschaffen den land- und forstwirtschaftlichen Betrieben Luft. Dadurch können sie ihre Produktion verstärkt an den Märkten ausrichten. Damit sind nicht alle Fragen beantwortet. Ja, es gibt Bereiche, bei denen wir das Ziel verfolgen, die Produktion für den Binnenmarkt zu erhöhen. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir gegenwärtig bei Öko- und Biomilch keine Preiseinbrüche erleben. Das heißt, dass die Nachfrage entsprechend hoch ist, dass also Nachfrage und Angebot im Gleichgewicht sind. Daran müssen wir in anderen Bereichen noch arbeiten. Vizepräsidentin Claudia Roth: Christian Schmidt, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage oder eine Zwischenbemerkung von Herrn Ostendorff zuzulassen? Ja oder nein? Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft: Ja. Meine Antwort wird ja nicht auf die Redezeit angerechnet. Vizepräsidentin Claudia Roth: Natürlich nicht. Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft: Das gibt mir die Möglichkeit, darauf gut zu antworten. Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Schönen Dank, Herr Minister. – Nachdem Sie jetzt zum eigentlichen Thema zurückgekehrt sind, nämlich der Lage unserer landwirtschaftlichen Betriebe, die für viele Bauernfamilien katastrophal ist – der Preisverfall bei Milch und bei Schweinefleisch ist dramatisch –, haben Sie erklärt, dass Sie durch eine weitere Entlastung bei den Beiträgen zur Unfallversicherung helfen wollen und dass es EU-Mittel in Form eines Liquiditätszuschusses von bis zu 10 000 Euro geben wird. Aber Sie haben die Frage, die Sie sich selber gestellt haben, nicht beantwortet: Wie stabilisieren wir denn die Märkte? Darauf brauchen wir eine Antwort. Die von Ihnen genannten Mittel werden bei den bäuerlichen Familienbetrieben nur dazu führen, das Sterben etwas zu verlängern. Na ja, aber das hilft ihnen perspektivisch nicht. Daher die Frage an Sie: Was unternehmen Sie, um den Überschuss, den wir auf den Märkten zu beklagen haben, in den Griff zu bekommen und um die Märkte zu stabilisieren? Hierauf gilt es eine Antwort zu geben. Der Bundesminister muss doch dazu Position beziehen und sich erklären. Meine Frage ist, was Sie den Bauernfamilien dieses Jahr im Haushalt mitgeben können, damit sie Hoffnung schöpfen können, von ihrer Produktion wieder leben zu können, statt nur darauf hoffen zu müssen, von irgendwoher ein bisschen Sterbegeld zu bekommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft: Lieber Kollege, nachdem wir gewisse zarte Anzeichen dafür haben, dass sich der Milchmarkt etwas bessert – leider gilt das nicht für den Bereich Schweinefleisch –, will ich darauf hinweisen, dass uns diejenigen, die uns empfehlen, den Export zu stoppen, die Frage beantworten müssten, wie denn die hergestellten Produkte in unserem Lande abgesetzt werden sollen. Alles hat seine Berechtigung. Der Export allein – auch das ist klar – wird nicht selig machen. Wir brauchen bei den Betrieben einen vernünftigen Mix aus Größe und Qualität, und wir brauchen Bauern, die die Erwartungen der Verbraucher im Blick haben. Ich glaube, dass wir angesichts der prognostizierten steigenden Nachfrage, gerade auch bei Milchprodukten, zuversichtlich in die Zukunft blicken können. Ich will darauf hinweisen, dass die aktuelle Zahl von 7 Milliarden Menschen auf der Welt in wenigen Jahren auf 9 Milliarden anwachsen wird. Auch diese Menschen wollen ernährt werden. (Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] nimmt seinen Platz wieder ein) – Jetzt läuft meine Redezeit weiter, oder? Vizepräsidentin Claudia Roth: Ab jetzt geht es normal weiter. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wäre gut, eine konkrete Antwort zu bekommen!) Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft: Gut. Dann werden wir die Diskussion anderswo fortführen. Ich habe dazu noch gute Gedanken und kann mir gute Entscheidungen dazu vorstellen. Mein letzter Punkt betrifft die ländlichen Räume. Ich bedanke mich sehr, dass die Mittel für die GAK aufgestockt wurden. Wir werden auch das GAK-Gesetz ändern. Ich werde das in Kürze einbringen. Ich bitte darum, dass wir bei der Beratung berücksichtigen – wir sollten aber nicht von der Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes abrücken –, dass ländliche Entwicklung mehr ist. Wir müssen die demografischen Probleme, die wir im ländlichen Raum haben, sehen. Ich habe den ländlichen Raum in diesem Jahr sehr intensiv besucht und zu diesem Thema viele Dialogreihen durchgeführt. Wir werden die angesprochenen Probleme nur durch Attraktivität im ländlichen Raum lösen können. Ich freue mich auf die Diskussion über die Änderung dieses Gesetzes. 5,5 Milliarden Euro für den Einzelplan 10, das ist ein Wort. Es gibt einen deutlichen Anstieg. Ich bin dem Deutschen Bundestag dankbar, dass er mich so gut mit Mitteln ausgestattet hat. Ich werde sie auch im Sinne des Gesagten gut einsetzen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Minister Christian Schmidt. – Die nächste Rednerin ist Dr. Kirsten Tackmann für die Linke. Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Das Problem in der Agrarpolitik ist nicht so sehr der Haushalt, sondern die falsche Politik, die dahinter steht. Die stärkt eben nicht den regionalen Landwirtschaftsbetrieben den Rücken. Im Gegenteil: Sie folgt dem Mantra des glückselig machenden freien Marktes und des gelobten Landes der Agrarexporte. Im Klartext ist das die Aufforderung: Produziert möglichst viel und möglichst billig. Das ist ein Systemfehler, der dringend behoben werden muss. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Denn die Überschüsse werden weltweit entsorgt, was regionalen Märkten schadet und Fluchtursachen verschärft. Und das ist absolut falsch. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wo, bitte, soll denn ein gutes Einkommen, mehr Tierwohl und Schonung der Natur herkommen, wenn am Markt vor allem Dumpingpreise den Wettbewerb entscheiden? Das hat fatale Folgen. Nicht nur in meinem Prignitzer Heimatwahlkreis haben viele Betriebe ein sehr schwieriges Jahr hinter sich. Seit Monaten bekommen sie keine kostendeckenden Erzeugerpreise. Die Landwirtschaftskammer Niedersachsen spricht von Gewinnrückgängen zwischen 40 und 60 Prozent. Schaf- und Ziegenhaltung rechnen sich schon länger nicht mehr. Milch, Schweine, Futtermittel und Obst – alles wird schlecht bezahlt. Ja, das ist auch ein Problem von Milchseen und Butterbergen. Wir haben aber gerade gehört: Jede Überlegung zu einer Mengenregulierung wird von der Koalition bzw. vom Bundesagrarminister blockiert. Ganz anders sieht es übrigens beim Wein aus. Die Steuerung der Angebotsmenge beim Wein wurde fraktionsübergreifend sogar begrüßt. Pflanzrechte werden restriktiv vergeben, und sogar die Erntemenge pro Hektar wird beschränkt. Ja, die unterschiedliche Wirkung des Genusses von Wein und Milch ist mir sehr bewusst. (Heiterkeit bei Abgeordneten im ganzen Hause) Warum aber Mengenregulierung beim Wein richtig und bei der Milch Teufelszeug ist, das erschließt sich mir wirklich nicht. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Viele Betriebe werden diese falsche Agrarpolitik leider nicht überleben. Aber wir brauchen nachhaltig wirtschaftende Agrarbetriebe: für regional und umweltschonend erzeugte Lebensmittel und erneuerbare Energien, für gut bezahlte Arbeit, für lebendige Dörfer, zum Erhalt der Kulturlandschaft und zum besseren Schutz des Klimas. Deshalb ist für uns als Linke ein Weiter-so keine Option. (Beifall bei der LINKEN) Handelskonzerne, Schlachthöfe und Molkereien bereichern sich doch auf Kosten der Erzeugerbetriebe. Ihre Marktübermacht muss endlich gestoppt werden. Die Linke fordert das schon lange. Das ist doch schon längst eine der Forderungen in allen Bauernversammlungen. Tun Sie also endlich etwas! (Beifall bei der LINKEN) Das Ende des Ausverkaufs von Äckern und Weiden an landwirtschaftsfremdes Kapital wird ebenfalls gefordert. Statt aber die Bodenspekulationen zu unterbinden, verdient der Bund noch fröhlich mit, weil er selbst die meisten Flächen – und zwar meistbietend – verkauft. Und der Hammer ist, dass er den ostdeutschen Bundesländern den begünstigten Kauf bundeseigener Flächen sogar dann verweigert, wenn es um Küsten-, Gewässer- oder Hochwasserschutz geht. Ich finde, dass dieser Griff in leere Landeskassen einfach unanständig ist. (Beifall bei der LINKEN) Also, auch in der Landwirtschaft sind neues Denken und entschlossenes Handeln gefragt. Statt aber die falsche Politik zu ändern, werden nur Trostpflaster verteilt. Zum Beispiel werden zu den bereits erwähnten 100 Millionen Euro für die landwirtschaftliche Unfallversicherung weitere 78 Millionen Euro obendrauf gelegt. Die Beiträge sollen um 16 Prozent sinken. Das hört sich spektakulär an. Aber pro Betrieb und gemessen an der dramatischen Situation ist das höchstens eine freundliche Geste Bei der Unfallversicherung bleibt noch eine andere Baustelle bestehen. Wir wollen, dass die Benachteiligungen bei der Beitragsbemessung zum Beispiel für Klein- und Kleinstwaldbesitzer beseitigt werden. (Beifall bei der LINKEN) 2 Millionen Euro zusätzlich gibt es auch für die Propagandaabteilung zur Förderung des Agrarexports. Das ist aber keine öffentliche Aufgabe. Deshalb sollte man diese Mittel nicht aufstocken, sondern ersatzlos streichen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Regionale Lebensmittel sind eine viel klügere Strategie. Die Nachfrage ist hoch und stabil. Sie sichern mehr regionale Wertschöpfung und Arbeitsplätze, und sie haben eine hohe Akzeptanz. Deshalb wäre finanzielle Unterstützung in diesem Bereich gut investiertes Geld. Leider wurden auch in diesem Jahr alle Anträge der Linken zum Einzelplan 10 abgelehnt. Deswegen haben wir unsere Vorschläge noch einmal in einem Entschließungsantrag festgehalten. Das sind die Hausaufgaben für den nächsten Haushalt, aber einige Punkte will ich hier noch einmal kurz aufgreifen. Erstens. Wer Fluchtursachen ernsthaft bekämpfen will, muss auch die Ursachen von Hunger bekämpfen. Dazu gehören nachhaltige Agrarkonzepte, und zwar weltweit. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dazu enthält der Weltagrarbericht, den 500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erarbeitet haben, viele kluge Vorschläge. Deutschland muss ihn endlich unterschreiben und seine Fortschreibung mitfinanzieren. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zweitens sollen nach unserer Überzeugung alle Kinder Zugang zu einer hochwertigen und gebührenfreien Kita- und Schulverpflegung als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge haben. Wir wollen dafür ein Bundesprogramm auflegen, und die Vernetzungsstellen Schulverpflegung müssen gestärkt werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Drittens wollen wir die amtliche Lebensmittelüberwachung von überregional und transnational agierenden Unternehmen verbessern. Dazu soll diese Aufgabe beim Bund angesiedelt und eine Taskforce Lebensmittelsicherheit eingerichtet werden. Viertens fordert die Linke seit Jahren ein Herden- und Wolfsschutzkompetenzzentrum. Das Fachgespräch am Mittwoch hat gezeigt, dass das dringend gebraucht wird. Ich freue mich auf die Diskussion unseres Antrags nächste Woche im Ausschuss und noch vor Weihnachten im Plenum. Im Übrigen sage ich: Krieg ist keine Lösung. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin Tackmann. – Der nächste Redner ist Dr. Wilhelm Priesmeier für die SPD. (Beifall bei der SPD) Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit Blick auf den Haushalt und das, was in der langen Nacht der Bereinigungssitzung herausgekommen ist, muss man vor dieser Koalition den Hut ziehen. Wir haben einen guten Haushalt vorgelegt. Er macht deutlich, welchen Gestaltungswillen die Regierung auch im Bereich der Agrarpolitik hat. Eine Frage sehen wir etwas kritischer – das werde ich noch begründen –, aber im Grundsatz geht dieser Haushalt in die richtige Richtung. Eine Steigerung in einer solchen Größenordnung ist uns in anderen Haushaltsjahren nicht gelungen. Ich glaube, dieser Haushalt macht auch deutlich, dass wir in der Agrarpolitik zukunftsfähig sind. Ich freue mich insbesondere über den Hochwasserschutz und die zusätzlichen 60 Millionen Euro für den Bereich der Gemeinschaftsaufgabe. (Beifall des Abg. Willi Brase [SPD]) Die Festlegung dazu sehe ich allerdings ein bisschen kritisch. Denn wenn man 30 Millionen Euro für Maßnahmen im Bereich der ländlichen Entwicklung festlegt, die in der Verantwortung des Bundes liegen, dann müssen wir uns sputen, wenn es darum geht, den Entwurf des GAK-Gesetzes durch den Bundestag und auch den Bundesrat zu bringen. Das soll bis zur Sommerpause geschehen. Ich nehme an, wir werden damit erfolgreich sein. (Beifall bei der SPD) Wir werden in der weiteren Ausgestaltung des GAK-Gesetzes – dazu rate ich – im Vorfeld verschiedene Ansätze fraktionsübergreifend und auch mit den Bundesländern zu diskutieren haben. Der Gesetzentwurf wird schließlich nicht so bleiben, wie er auf den Tisch gekommen ist. Das ist bekanntlich das Struck’sche Gesetz. Wir werden das noch viel besser machen. Die erste Version habe ich schon gelesen. Ich nehme an, die Ressortabstimmung wird demnächst abgeschlossen sein. Dann werden wir in den entsprechenden Gremien des Deutschen Bundestages darüber diskutieren. Mit unserer Politik tragen wir dazu bei, dass die ländlichen Räume als Lebens- und Wirtschaftsräume gestärkt werden. Dabei setzen wir vor allen Dingen auf die Zukunftsfähigkeit der ländlichen Räume. Denn das ist an sich der Kern der Politik, den die SPD einfordert. Wir haben dazu mehrere größere Anträge und Papiere geschrieben. Wir werden uns auch auf dem kommenden Parteitag damit auseinandersetzen. Das alles macht deutlich, dass alle hier im Hause, insbesondere wir Sozialdemokraten, großes Gewicht auf den ländlichen Raum legen. Über die Schwächen in der Analyse des ländlichen Raums sind wir uns weitestgehend einig. Es kommt jetzt darauf an, den richtigen Weg zu beschreiten. Dazu gehört zwangsläufig, dass wir gerade kleine und mittlere Unternehmen im ländlichen Raum, die im Umfeld der landwirtschaftlichen Produktion, der Ernährungsproduktion und anderer Bereiche tätig sind, im Rahmen eines integrierten Konzepts mit fördern. Wir müssen dafür sorgen, dass die Grundversorgung mit Dienstleistungen vor allem im ländlichen Bereich abgesichert wird und dass die Daseinsvorsorge, die benötigt wird, damit sich Menschen im ländlichen Raum ansiedeln und dort leben, erhalten wird. Wir müssen die Konsequenzen aus den Entwicklungen ziehen, vor denen wir in den ländlichen Räumen stehen, insbesondere aus der demografischen Entwicklung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hier müssen wir entscheidende Angebote an diejenigen machen, die bereit sind, im ländlichen Raum Kinder zu bekommen und ihre Zukunft zu planen. Das ist eine gute Aufgabe, die wir in der weiteren Ausgestaltung der Politik gemeinsam mit denjenigen erfüllen müssen, die auf kommunaler Ebene verantwortlich sind. Das erfordert bestimmte Ansätze und Konzepte. Über diese können wir sicherlich lange diskutieren. Aber wir müssen endlich anfangen, etwas umzusetzen. Ich glaube, wir werden jetzt den richtigen Impuls bekommen, um das in Zukunft zu tun. Wir müssen im Rahmen der GAK nicht mehr unbedingt die Agrarstruktur finanzieren; denn diese ist schon wettbewerbsfähig. Vielmehr müssen wir die weiteren Möglichkeiten im Hinblick auf die Länder nutzen. Wir müssen ernsthaft darüber diskutieren, ob die bisherigen Kofinanzierungssätze in der GAK erhalten bleiben sollen oder ob es nicht vielleicht besser ist, auf bestimmte Modalitäten Rücksicht zu nehmen. Wir müssen mit den Ländern reden und deutlich machen, dass sie nicht dauerhaft die Kofinanzierung an die Kommunen weiterreichen können. Das alles muss man bedenken, wenn man erfolgreich Politik betreiben will. (Beifall bei der SPD) Wir müssen uns auch Gedanken darüber machen, ob das Jährlichkeitsprinzip bei der Abrechnung im Rahmen der GAK beibehalten werden soll. Wir sehen, dass Länder wie Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg oder Thüringen erhebliche Schwierigkeiten haben, die vorhandenen Möglichkeiten überhaupt auszuschöpfen. Hier müssen wir vernünftige und sinnvolle Konzepte dagegensetzen, um ihnen eine bessere Ausschöpfung zumindest über einen längeren Zeitraum zu ermöglichen. Das lohnt den Schweiß der Edlen. Ein Punkt, der mir in diesem Haushalt nicht so gut gefällt, ist der große Ansatz in Höhe von 78 Millionen Euro, der in der Nacht der langen Messer in den Haushalt gekommen ist. – Herr Kollege Caesar, Sie können ruhig lachen, aber Sie sind derjenige, der in der Hauptsache dafür verantwortlich ist. Sie haben dafür brav und wacker gekämpft. Wir haben seit 2007/08 etwa 850 Millionen Euro in die landwirtschaftliche Unfallversicherung gegeben. Ein Bauer, der einen Betrieb mit 120 Hektar – 20 Hektar für Silomais für die Kühe, 100 Hektar Dauergrünland – und 100 Rindern führt, bekommt etwa 799 Euro zusätzlich. Davon kann er vielleicht gerade einmal eine kleine Reparatur der Melkmaschine oder der Melkanlage bezahlen oder für seine Familie ein ordentliches Weihnachtsgeschenk kaufen. Das ist wahrscheinlich das, was der Minister beabsichtigt hat: Er wollte allen ein ordentliches Weihnachtsgeschenk zukommen lassen. Ansonsten halte ich von dieser Form der Subvention relativ wenig. (Beifall bei der SPD) Das verpufft im Großen und Ganzen und bringt strukturell überhaupt nichts. (Cajus Caesar [CDU/CSU]: Nein, nein!) Der Kleinwaldbesitzer geht natürlich leer aus; Sie kennen ja die entsprechende Debatte. Unter 303 Euro wird es mit Sicherheit nichts geben, weil hier eine ähnliche Risikokomponente wie im alten System gefordert wird. Oder Sie wollen wirklich alles nach dem Gießkannenprinzip auf die 1,4 Millionen landwirtschaftlichen Unternehmen verteilen. Das wäre noch verfehlter; denn dann würde noch viel weniger dabei herauskommen. Ich glaube, es ist an der Zeit, über die gesamte Systematik nachzudenken. Subventionen führen nicht immer zum Ziel. Manchmal sind sie als Input für einen kurzen Zeitraum sinnvoll, um für Bewegung zu sorgen. Aber auf Dauer kann ich Subventionen nur ablehnen. Ich spreche aus Erfahrung, die ich hier in dem Hause gewonnen habe. Ich glaube, es ist an der Zeit, sich dazu zu bekennen, dass wirtschaftlich erfolgreiche Betriebe und Unternehmen Subventionen in der Form nicht brauchen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Willi Brase [SPD]) Selbiges gilt auch für die Umgestaltung der GAP. Wir werden uns bis zum Jahr 2017 zu erklären haben, wie wir weiter verfahren wollen, auch mit der Perspektive auf das Jahr 2020. Ich glaube, das wird uns gelingen. Wir müssen heraus aus den 4,5 Prozent, wir brauchen eine Umschichtung von 15 Prozent. (Heiterkeit – Beifall bei der SPD – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Zeit läuft trotzdem weiter, Wilhelm!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Dr. Priesmeier. – Alle noch knapp an der Grenze. Da können sich die Kolleginnen und Kollegen bedanken. Nächste Rednerin: Nicole Maisch für Bündnis 90/Die Grünen. Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe den Ausführungen der Kollegen von der Großen Koalition sehr aufmerksam zugehört und habe versucht, mir alle Zahlen des Kollegen Priesmeier zu merken. Es ist mir nicht ganz gelungen. Was mich aber doch wundert, ist, dass in der Zeit, in der die globalen Krisen immer näher an uns heranrücken und der Globus an vielen Punkten in Flammen steht, keiner der Rednerinnen und Redner der Union auch nur ein Wort darüber verloren hat, welche Fluchtursachen wir mit unserer verheerenden Exportstrategie in der Agrarpolitik selbst bewirken. Das finde ich wirklich kurzsichtig, und das ist, finde ich, der Sache nicht angemessen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wer Fleisch exportiert wie die Europäer – Deutschland ist ganz vorne dabei –, und zwar ohne Rücksicht auf Verluste, der exportiert auch den Hunger in die ganze Welt. Ich hätte mir wenigstens ein oder zwei Sätze Selbstkritik an diesem Punkt gewünscht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Aber gut. Was will man von einer Bundesregierung und einem Minister erwarten, die bisher zum dritten Mal das Licht einer breiten Öffentlichkeit gesucht haben. Nach „an apple a day keeps the Putin away“ und „je suis Greußener Salami” konnten wir jetzt hören: Schmidt will Katern an ihr bestes Stück. – Dass die Journalisten nichts Besseres zu schreiben hatten, liegt nicht nur an den Journalisten, sondern das liegt daran, dass diese Bundesregierung einfach wenig vorzuweisen hat. Selbst diese lächerliche Meldung mit den Katern – Katzenkastration, richtige Sache – ist nur an die Öffentlichkeit gekommen, weil Schmidt in der Tierschutzpolitik nichts anderes vorzuweisen hat. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dass man eine zweieinhalb Jahre alte Meldung hervorholen musste, hat damit zu tun, dass wir im Tierschutz mit Ihnen als Minister einfach peinlich wenig erreicht haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sicher, im Haushalt findet sich ein bisschen, aber der Kollege hat es schon gesagt: In diesem Bereich muss man nicht nur Geld ausgeben, sondern auch Gesetze machen. – Deswegen haben wir Sie in einer Kleinen Anfrage gefragt, welches Gesetz, welche Verordnung Sie für den besseren Schutz der Tiere erlassen haben. Die Antwort war: keine. Dann haben wir gefragt: Welche planen Sie? Die Antwort war: Wir wissen es nicht so genau. Das finde ich ziemlich armselig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Gehen wir einmal kurz von der Landwirtschaft weg und schauen uns die Zahl der Tierversuche an. Die ist in den letzten Jahren durch die Decke gegangen. Warum? Weil die Grundlage für die Abwägung zwischen Tierversuch, Forschungsinteresse und Tierschutz im deutschen Tierschutzgesetz einfach nicht funktioniert. Das ist ein Fehler im Tierschutzgesetz, ein Fehler im System, den Sie sofort mit Ihrer Mehrheit ändern könnten. Warum tun Sie es nicht? Weil Sie nicht den Mut haben, weil Sie nicht das Herz dafür haben, Tiere in diesem Land wirklich zu schützen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir haben eine Koalition, die noch nicht einmal die kleinsten Ziele aus ihrem eigenen Koalitionsvertrag umsetzen will, zum Beispiel die gewerblichen Tierbörsen zu verbieten. Das haben Sie den Leuten im Koalitionsvertrag versprochen. Jetzt hört man weder von der Umweltministerin noch vom Landwirtschaftsminister irgendeinen Plan, wie man das durchsetzen will. Nicht mal dieses kleine Pünktchen haben Sie durchgesetzt; das ist wirklich armselig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Lassen Sie mich zu den Landwirtschaftstieren kommen. Ihr eigener wissenschaftlicher Beirat hat es Ihnen ins Stammbuch geschrieben: Wir haben massive Tierschutzprobleme in der deutschen Landwirtschaft. Sie, Herr Schmidt, haben das Gutachten nicht entgegennehmen wollen. Das musste Herr Bleser abholen. Aber das macht den Inhalt nicht falscher. Das Gutachten sagt ganz genau: Wir haben massiven Reformbedarf. Den werden Sie nicht aussitzen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Für das Aussitzen haben Sie in dieser Legislatur ein anderes Wort erfunden. Es heißt jetzt nicht mehr „Aussitzen“, sondern „freiwillige Verbindlichkeit“. Aber auch damit werden Sie nicht durchkommen. Die freiwillige Verbindlichkeit, das Nichtstun, hat keine Mehrheit in dieser Gesellschaft. Die Deutschen wünschen sich strengere Gesetze für den Schutz von Tieren; denn für die Mehrheit in diesem Land sind Tiere mehr als eine betriebswirtschaftliche Größe, mehr als eine Kennziffer. Die sagen: Tiere sind fühlende Lebewesen, die das Recht auf Schutz haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Von Fachkenntnis ist Ihr Beitrag nicht geprägt!) Auch im Ernährungsbereich sehen wir keine klare Linie und keinen Mut. Dabei haben wir ein gigantisches Problem mit ernährungsbedingten Krankheiten. Der Anteil der übergewichtigen Kinder geht nicht etwa zurück, sondern er stagniert auf hohem Niveau. Diejenigen, die schon dick sind, werden immer dicker. Das haben uns die Experten im Ausschuss vor zwei Wochen berichtet. Wir finden, deshalb brauchen wir eine konsistente Strategie gegen Übergewicht und Fehlernährung. Da reicht es nicht, wie der Minister, einfach nur zu sagen: Wir dürfen den Teller nicht mit Regelungen vollpacken. – Das ist uns ein bisschen zu wenig. Wenn Sie wirklich etwas für besseres Essen in unseren Schulen tun wollen, dann fangen Sie damit an, die Schulvernetzungsstellen ordentlich zu finanzieren. Als Minister kann man ja lange ein Schulfach „Ernährung“ fordern. Machen Sie weiter damit. Aber dann frage ich mich, wie Sie beim Kooperationsverbot – das haben Sie selbst in der letzten Großen Koalition verbockt – Einfluss auf die Kultusminister nehmen wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn man wirklich etwas für die bessere Ernährung von Kindern tun will, dann muss man auch die Grundlagenforschung besser absichern. Kollege Freese, eine McDonald’s-Studie finanziert der Minister zum Glück nicht. Aber auch die Studie, über die Sie gesprochen haben – das sind kleine Projektchen, mit denen man versucht, das Sterben des FKE in Dortmund hinauszuzögern. Das kann es nicht sein! Wir brauchen für die Grundlagenforschung eine verlässliche Finanzierung und mehr als immer mal wieder kleine Projekte, die dann zwar irgendwie über das Jahr helfen, aber doch auf Dauer die Grundlagenforschung nicht retten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Es gab den Vorschlag des Max-Rubner-Instituts, das als Abteilung bei sich zu integrieren. Dafür hätte man mal 1 oder 2 Millionen Euro ausgeben müssen. Das wäre angesichts der Milliardenkosten im Gesundheitssystem, die Fehlernährung und Übergewicht verursachen, eine gute Investition gewesen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, dieser Haushalt überzeugt uns nicht. Wir finden: Er ist planlos. Da ist kein Konzept dahinter. Deshalb kann man ihn nur ablehnen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Nicole Maisch. – Nächste Rednerin: Ingrid Pahlmann für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dieter Stier [CDU/CSU]: Jetzt kommt jemand, der Ahnung hat!) Ingrid Pahlmann (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Schmidt! Vorab erst einmal von meiner Seite meinen Dank dafür, dass Sie sich im Bereich „gesunde Ernährung“ klar positionieren. Auch vielen Dank für die Unterstützung des Gedankens, Ernährungswissen wieder an Schulen zu verankern. Ich war heute Mittag beim Deutschen Landfrauenverband. Er fordert das schon seit langem und freut sich sehr über diesen Beistand; das kann ich Ihnen sagen. Frau Maisch, man muss Ernährungswissen erst einmal haben, um dann gegen Fehlernährung ansteuern zu können. Dicke Kinder kommen auch daher, dass viele gar nicht mehr wissen, was Ernährungsbausteine sind. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich komme jetzt zum Haushalt 2016. Ich denke, er ist ein großer Erfolg für Landwirtschaft, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz. Mein Dank gilt ganz besonders dem Verhandlungsgeschick der Haushälter. Allein in unserem Einzelplan haben wir 245 Millionen Euro mehr als im Jahr 2015. Hinzu kommen die schon genannten 100 Millionen Euro für den Hochwasserschutz im Einzelplan 60. Ich finde, das ist eine gute Grundlage, auf der wir unsere agrar- und ernährungspolitischen Schwerpunkte voranbringen können. Dabei setzen wir mit dem Haushaltsansatz im Forschungskapitel ein wichtiges Zeichen. Forschung und Innovation in den Bereichen Landwirtschaft und Ernährung, aber auch im gesundheitlichen Verbraucherschutz sind von entscheidender Bedeutung für Gesellschaft, Praxis und Wirtschaft. Ohne Forschung und Innovation werden wir die kommenden Herausforderungen der Ernährungssicherung, des Klimawandels und des Klimaschutzes, aber auch des Erhalts der natürlichen Ressourcen nicht bewältigen können. Bei den Schwerpunkten, die uns in unserer Agrar- und Ernährungspolitik wichtig sind, spielt Forschung eine zentrale Rolle für neue Lösungen: beim Tierwohl wie beim Klimaschutz, bei nachhaltigem Pflanzenschutz, gesunder Ernährung sowie der Sicherheit von Lebensmitteln – also bei den Themen, von denen wir Agrar- und Ernährungspolitiker oft sagen: Das sind Lebensthemen. Mit insgesamt 566 Millionen Euro hat die Forschung im Bereich der Ernährung und Landwirtschaft einen erfreulichen Aufwuchs von über 10 Prozent erfahren und damit den Stellenwert bekommen, der ihrer Bedeutung gerecht wird. Frau Tackmann, allein im Kapitel „Nachhaltigkeit, Forschung und Innovation“ werden gegenüber 2015 zusätzlich 33,9 Millionen Euro veranschlagt. Dazu kommen die fast 17 Millionen Euro für die Forschungsinstitute. Ich finde, 50 Millionen Euro ist definitiv mehr als nichts. Das müssen Sie anerkennen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir alle wissen, dass die deutsche Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft eine Schlüsselbranche der deutschen Volkswirtschaft ist. Wie in jeder anderen Branche auch hängen Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung eng mit Innovationen zusammen. Mit den Forschungs-, Entwicklungs- und Demonstrationsvorhaben des Programms zur Innovationsförderung sollen technische sowie nichttechnische Produkte und Verfahren darum marktfähig gemacht werden; das ist ein ganz wichtiger Aspekt. Ich erwähnte schon unsere Bundesforschungsinstitute Julius-Kühn-Institut, Friedrich-Loeffler-Institut, Max-Rubner-Institut, Johann-Heinrich-von-Thünen-Institut. Diese Institute erhalten 16,9 Millionen Euro zusätzlich – ich finde, zu Recht. Der Wissenschaftsrat hat den Instituten fast ausnahmslos gute Leistungen attestiert. Er erkennt ihre unentbehrliche Funktion als Vermittler zwischen Wissenschaft und Politik sowie zwischen Wissenschaft und Wirtschaft an und stellt eine positive Weiterentwicklung bei den Forschungs- und auch bei den Beratungsqualitäten fest. Daran wollen wir anknüpfen und die Bedarfsprofilierung und Bedarfsorientierung in den kommenden Jahren weiter verbessern. Die Forschungsplanung soll verstärkt abteilungs- und programmübergreifend erfolgen und die Praxisverwertbarkeit in den Vordergrund stellen. Dazu soll auch der Wissenstransfer in die Praxis verbessert werden. Es ist mir ein ganz zentrales Anliegen, dass das Wissen auch bei den Betrieben ankommt. Im Rahmen von Modell- und Demonstrationsvorhaben der Tierwohl-Initiative wurden Netzwerke von Praxisbetrieben zum Transfer von Forschungsergebnissen in die Praxis gebildet. Als forschungspolitische Sprecherin begrüße ich es ausdrücklich, wenn unsere politischen Handlungsfelder künftig noch enger durch die Forschung begleitet werden. Wir haben es gehört: Das Tierwohl ist ein Thema, das die Gesellschaft bewegt. Forschung kann auch hier auf den verschiedensten Ebenen einen entscheidenden Beitrag leisten. Modellvorhaben zum Tierschutz nehmen in den nächsten Jahren zu Recht einen Schwerpunkt bei der Förderung von Modell- und Demonstrationsvorhaben ein. 7,5 Millionen Euro stehen für die Erprobung von Maßnahmen bereit, die zum Verzicht auf nichtkurative Eingriffe wie Schnabelkupieren oder Enthornen führen, zu verbesserten Verfahren bei der Schlachtung, bei der Haltung oder beim Transport von Tieren. Wir alle wissen: Verbote allein lösen die Schwierigkeiten in den genannten Problemfeldern eben nicht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Hier setzen wir mit dem Haushalt 2016 ein Zeichen für die Branche. Neben den finanziellen Einbrüchen bei den Milchviehbetrieben haben wir zum Beispiel bei den schweinehaltenden Betrieben Einbrüche im Unternehmensergebnis in einer Größenordnung von 39 bis 49 Prozent. Das ist ein wirtschaftliches Desaster für die Betriebe. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt! Und was machen Sie?) Hinzu kommen immer stärkere Anforderungen und Auflagen an die Haltungsbedingungen. – Hören Sie gut zu, Herr Ostendorff. Das öffentliche Image besonders der viehhaltenden Betriebe ist denkbar schlecht. Wenn nun Politik – das können Sie ja ganz besonders gut – und Gesellschaft vehement Verbesserungen im Bereich Tierwohl fordern, dann müssen diese Forderungen handhabbar und vor allen Dingen auch begründet sein. Die Betriebe an sich sind willens, dem gesteigerten Tierwohl Rechnung zu tragen. Allerdings – das muss ich Ihnen auch sagen – müssen diese Vorgaben dann auch tragfähig, belastbar und vor allen Dingen wissenschaftlich fundiert sein. Da bringen eben keine vorschnellen Gesetze etwas. Wir brauchen belastbare Forschungsergebnisse. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Tiere brauchen Hilfe!) Im Rahmen der Tierwohl-Initiative werden wir das Deutsche Zentrum zum Schutz von Versuchstieren mit 20 zusätzlichen Stellen ausstatten. Es soll alternative Methoden erforschen, Forschungseinrichtungen und Behörden beraten, Öffentlichkeit und Fachöffentlichkeit informieren und die Forschungsförderung bei Alternativmethoden vorantreiben. Das Friedrich-Loeffler-Institut erhält drei neue Stellen für die Bearbeitung der Themen „Haltung und Verhalten von Schweinen“ sowie „Transport und Betäubung landwirtschaftlicher Nutztiere“. Insgesamt stehen für den Bereich Tierschutz somit fast 30 Millionen Euro zur Verfügung. Das zeigt, dass wir diesem Thema gerade auch in den schwierigen Zeiten einen hohen Stellenwert beimessen. Ich bin aber auch fischereipolitische Sprecherin. In diesem Zusammenhang freue ich mich besonders, dass das Fischereiforschungsschiff „Walther Herwig III“ durch einen Neubau ersetzt werden kann, für den insgesamt gut 100 Millionen Euro in den nächsten drei Jahren bereitstehen. (Beifall bei der CDU/CSU) Das inzwischen in die Jahre gekommene Forschungsschiff ist das größte unserer Flotte und liefert für die Hochseefischerei wichtige Erkenntnisse. Denn die Bewirtschaftung der Fischbestände ist auf eine intensive wissenschaftliche Erforschung angewiesen. Der EU-Kommission dienen die erhobenen Daten zur Erarbeitung von Managementkonzepten für eine zukünftige bessere Bewirtschaftung und für eine nachhaltigere Nutzung der Fischbestände. Bestandsschonende, selektive Fangmethoden werden weiterentwickelt und leisten damit einen wichtigen Beitrag für unsere Hochsee- und Küstenfischer. Umweltdaten wie Schadstoffkonzentrationen, Radioaktivität, Salzgehalt und Temperatur werden unter dem Blickwinkel ihrer Wirkungen auf die Fische und das Lebensmittel Fisch gemessen. Ein neues Forschungsschiff leistet somit einen wichtigen Beitrag für unsere Fischer, aber auch für unsere Ernährung. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt – wir haben es schon mehrfach gehört – liegt bei der ländlichen Entwicklung. Mehr als die Hälfte aller Bundesbürger leben in ländlich geprägten Gebieten. Auch der Großteil unserer mittelständischen Wirtschaft ist dort angesiedelt. Die ländlichen Regionen bieten Raum für vielfältiges mittelständisches Gewerbe: Dienstleistungsbetriebe, aktive aufstrebende landwirtschaftliche Betriebe und das Handwerk. Und diese Unternehmer sind wichtige Akteure, die den ländlichen Raum stärken und die wir stärker in die Entwicklung einbinden wollen. Demografischer Wandel und die globale Wirtschaft stellen heute aber gerade diese ländlichen Regionen vor sehr große Herausforderungen. Uns ist es wichtig, gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land dauerhaft zu erhalten. Leben und Arbeiten auf dem Land müssen auch in Zukunft attraktiv bleiben. Deshalb erhöhen wir die Mittel zur Stärkung der ländlichen Entwicklung deutlich. Wir wollen regionale Infrastruktur fördern, Wirtschaftsstrukturen des Mittelstands, des Handwerks und der landwirtschaftlichen Betriebe stärken und Strukturen der Daseinsvorsorge langfristig sichern. Dazu wollen wir auch die Gründung unternehmerischer Initiativen aus dem bürgerschaftlichen Engagement – auch das ist uns allen sehr wichtig –, wie zum Beispiel Dorfläden, Kitas, altersgerechtes Wohnen oder Energievorhaben, erleichtern. Fakt ist: Politik, Zivilgesellschaft und aktive Betriebe müssen die Entwicklung in den ländlichen Räumen gemeinsam gestalten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Für den ländlichen Raum haben wir mit zusätzlichen 30 Millionen Euro ein klares Zeichen setzen können, um die Regionen fit für die Zukunft und lebenswert für die Menschen zu gestalten. Auch hier liefern die Modell- und Demonstrationsvorhaben wichtige Impulse. Wir lassen die Dörfer und die ländlichen Regionen nicht im Stich. Dafür setzen wir mit dem Haushalt 2016 ein starkes Signal. Noch einmal mein Dank an die Haushälter, die das möglich gemacht haben! Ich bin in der Zeit geblieben. Ich denke, Sie sind auch mit mir zufrieden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Super! Sie sind die Nummer eins heute Abend. Vielen Dank, Frau Pahlmann. – Die nächste Rednerin: Dr. Karin Thissen für die SPD. (Beifall bei der SPD) Dr. Karin Thissen (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Jeder Mensch muss essen. Selbst Sozialdemokraten leben nicht nur von Gerechtigkeit und Solidarität. (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD] – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Sonst könnten sie auch verhungern!) Damit ist klar: Lebensmittelsicherheit ist wichtig und – damit eng verbunden – auch der Tierschutz; denn Milch, Eier, Fleisch sind hierzulande Hauptnahrungsmittel. Erinnern Sie sich an den Bayern-Ei-Skandal, mit dem wir uns bis heute beschäftigen müssen? Europaweit erkrankten Hunderte Menschen schwer an Salmonellose – drei starben sogar daran –, und zwar wegen tierschutzwidriger Haltungsbedingungen in einem Legehennenbetrieb, wegen mangelnder Hygiene und Missmanagement. Weil wir nicht nur von Politik und schön Reden allein leben, sind gesunde und sichere Lebensmittel für unser Wohl essenziell. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Tierschutz ist Verbraucherschutz ist Menschenschutz. Wie viel sind uns also Lebensmittelsicherheit und Tierschutz wert, und zwar im kommenden Jahr? Da liest sich der Haushaltsentwurf erst mal wie eine gute Nachricht: knapp 30 Millionen Euro für den Tierschutz, circa 12 Millionen für Lebensmittelsicherheit, 66 neue Stellen im Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Aber, (Cajus Caesar [CDU/CSU]: Mehr Stellen!) aber, aber. Wenn man sich den Gesamtetat des BMEL für 2016 anschaut, kommt die Ernüchterung. Noch nicht einmal 1 Prozent des Gesamtetats ist für Lebensmittelsicherheit und Tierschutz vorgesehen. (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was lernen wir daraus?) Von einem Gesamtetat von 5,6 Milliarden Etat sind gerade mal 42 Millionen Euro für Lebensmittelsicherheit und Tierschutz. Die muss man schon fast mit der Lupe suchen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Trotzdem: Dass das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit personell aufgestockt wird, begrüßt die SPD – und ich ganz besonders. (Beifall des Abg. Willi Brase [SPD]) Dadurch kann die Kontrolle von Lebensmitteln besser gewährleistet werden. Dass da viel zu wenig Personal ist in der Lebensmittelaufsicht, ist mir aus meiner langjährigen Überwachungstätigkeit als amtliche Tierärztin natürlich bestens bekannt. Und noch etwas muss dazukommen, nämlich dass die Öffentlichkeit über Missstände in der gesamten Lebensmittelkette informiert wird. Im Bayern-Ei-Skandal wurde beispielsweise die Öffentlichkeit nicht informiert. Der Grund: bestehende Rechtsunsicherheit. Und weil die Rechtslage unklar ist, traut sich keine Behörde, vor Missständen öffentlich zu warnen, weil sie Angst vor Schadensersatzansprüchen hat, und zwar nicht, weil der Missstand unklar ist, sondern weil die Rechtslage unklar ist. So, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann guter gesundheitlicher Verbraucherschutz nicht gelingen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Genau das haben wir uns aber seinerzeit im Koalitionsvertrag vorgenommen. (Cajus Caesar [CDU/CSU]: Dann mal los!) Ich zitiere: Verbraucherinformationsgesetz und § 40 Lebens- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) werden dahingehend geändert, dass die rechtssichere Veröffentlichung von festgestellten, nicht unerheblichen Verstößen unter Reduzierung sonstiger Ausschluss- und Beschränkungsgründe möglich ist. An dieser Neuformulierung des § 40 LFGB versuchen wir nun seit zwei Jahren zu arbeiten. Als Vertreterin der SPD kann ich sagen, dass es uns ein großes Anliegen ist, ein bisschen Tempo in unsere Arbeitsweise zu bringen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir dabei! Deswegen klatschen wir mit!) Denn Verbraucherinnen und Verbraucher haben das Recht auf Information und Transparenz, und wir haben die Pflicht, rechtssichere Regelungen zu schaffen. Unsere Wählerinnen und Wähler verlangen nach mehr Transparenz und Sicherheit ihrer Lebensmittel, wie zum Beispiel eine Allensbach-Umfrage zweifelsfrei belegt. (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Prost!) Jetzt noch ein paar Worte zum Tierschutz. Wenn ich mir im Haushaltsentwurf die für den Tierschutz vorgesehenen Mittel näher anschaue, fällt mir schon auf, dass einige Positionen aus dem Koalitionsvertrag 2016, nun ja, bearbeitet werden sollen. Aber an die Empfehlungen des Wissenschaftlichen Beirates für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz traut man sich dann doch nicht so richtig ran, Empfehlungen, die da lauten: Tierwohlindikatoren weiterentwickeln, Tierschutzniveau steigern und Kontrolllücken schließen, (Dieter Stier [CDU/CSU]: Das machen wir ständig!) Grundlagenforschung im Tierschutzbereich fördern. Wie werden diese Empfehlungen im nächsten Jahr umgesetzt? Da muss dringend etwas passieren; denn nur so wird die deutsche Landwirtschaft für die Zukunft fit. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es reicht nicht, nur Geld in die Hand zu nehmen oder freiwillige Selbstverpflichtungen der Wirtschaft zu bejubeln. Der Tierschutzgedanke muss sich auch in Gesetzen und Verordnungen wiederfinden, und da sind wir gefragt. Nun wird es Zeit, auch mal die Bereiche Lebensmittelsicherheit und Tierschutz des Koalitionsvertrages abzuarbeiten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die zweite Halbzeit der Legislatur läuft. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, liebe Kollegin Dr. Thissen. Sie sehen: Das gesamte Haus gratuliert Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag. (Beifall) Wir hoffen, dass Sie auch weiterhin so ermunternde Reden halten werden – zur Freude Ihres Koalitionspartners. (Heiterkeit) Wir machen jetzt weiter. Nächste Rednerin in der Debatte ist Gitta Connemann für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Gitta Connemann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Back mit Hack! – Endlich Plätzchen aus Fleisch.“ Dies titelt aktuell eine Kochzeitschrift für Männer mit Geschmack. Zur selben Zeit verschleudert ein Großdiscounter 500 Gramm Schweinehack für 1,59 Euro. Noch nie wurde so viel über Essen geredet, geschrieben, gesendet – für jede Zielgruppe etwas. Das ist die eine Seite der Medaille. Aber auf der anderen Seite werden Lebensmittel verramscht. Dies spüren unsere Landwirte und ihre Familien jeden Tag. Der wirtschaftliche Druck ist enorm; das ist hier mehrfach zu Recht gesagt worden. Was hinzu kommt: Sie fühlen sich immer mehr an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Beispiele gefällig? „Wer ist krasser als Nazis, Scientologen oder Geheimdienste? Die deutsche Agrarlobby.“ So postete kürzlich ein Reporter einer großen deutschen Wochenzeitung. (Zuruf von der CDU/CSU: Schlimm!) „Sklavenhalter“, so brandmarkte Animal Peace einen Landwirt, der von einem Bullen getötet worden ist. Für diese Organisation ist das Tier – ich zitiere – ein „Held der Freiheit“. Bauern als Vogelfreie – das sind sicherlich Extrembeispiele, aber sie beschreiben ein Klima, in dem sich jede Bäuerin, jeder Bauer und ihre Familien bewegen müssen, und zwar tagtäglich. Und dabei sollen sie die Lebensmittel erzeugen, die wir uns wünschen – höchste Standards, kleine Preise, eigentlich eine Quadratur des Kreises. Dank harter Arbeit gelingt es ihnen. Noch nie waren Lebensmittel so sicher, bezahlbar, allzeit verfügbar wie heute. Aber die Anerkennung bleibt aus. (Beifall bei der CDU/CSU) Vor diesem Hintergrund beraten wir heute den Haushalt für Ernährung und Landwirtschaft. Es geht dabei um mehr als Geld. Es geht um ein Signal. Wir, die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion, sagen: Es muss endlich Schluss sein mit der Diffamierung einer ganzen Branche. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir bekennen uns zu unseren bäuerlichen Betrieben. Wir stehen an ihrer Seite, in guten wie in schlechten Zeiten. (Zurufe von der SPD: Oh!) Dies stellen wir unter Beweis, auch heute, unter anderem durch die Erhöhung der Mittel für die landwirtschaftliche Sozialversicherung, für den Export in Schwellenländer, für Forschung, für Energieeffizienz, auch im Gartenbau. Dafür sage ich unserem Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt und unserem Haushälter Cajus Julius Caesar herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das sind wichtige betriebliche Hilfen, aber es geht auch um das Ganze. Landwirtschaft wird nicht mehr verstanden. In Werbung und Medien wird ein romantisches Bild inszeniert, das mit der Realität nichts mehr zu tun hat. Immer weniger erleben diese Realität unmittelbar in ihren Dörfern. Natürlich gibt es auch offene Fragen: Wie wollen wir uns ernähren? Wie soll Tierhaltung zukünftig stattfinden? Wir stellen fest: Es gibt keinen gesellschaftlichen Konsens. Darüber müssen wir reden – gemeinsam, nicht übereinander, sondern miteinander. Dabei setzen wir übrigens auf Dialog statt auf Konfrontation. Das unterscheidet uns, liebe Ingrid Pahlmann, von unserem grünen Agrarminister in Niedersachsen. Er spricht nur mit wenigen und orientiert sich an Nischen. Das ist der falsche Weg. Wir wollen alle Beteiligten an einen Tisch bringen: Verbraucher, Wirtschaft, Wissenschaft, Verbände, Kirchen. Dafür brauchen wir eine Dialogplattform beim Bundeslandwirtschaftsministerium. Es geht uns um den Austausch auf Augenhöhe. Die Mittel dafür stehen jetzt bereit. Nur zu! (Beifall bei der CDU/CSU) Mit seinem Lebensmittelgipfel macht unser Minister Christian Schmidt einen Anfang. Es wird um Verantwortung gehen, auch der Landwirtschaft, ja, aber auch der Verbraucher, der Hersteller und des Handels, ja: des Handels. Vier große Anbieter teilen sich heute noch Zweidrittel des Marktes. Sie liefern sich einen ruinösen Preiswettbewerb auf Kosten Dritter, nämlich auf dem Rücken der Erzeuger von Tieren, der kleinen Mittelständler. Ich sage sehr deutlich: Eine weitere Konzentration des Marktes muss verhindert werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Ute Vogt [SPD]) So sagen es übrigens Bundeskartellamt und Monopolkommission. Ich persönlich sage: Eine Erlaubnis des Bundeswirtschaftsministers für die Übernahme von Tengelmann durch Edeka wäre ein fatales Signal. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) An diesem Fall wird sich zeigen, wie wehrhaft das Kartellrecht ist. Dies betrifft übrigens auch die Verbraucher, ihre Versorgung, ihre Ernährung – Lebensthemen. Kaum etwas bewegt die Menschen so sehr wie ihre Ernährung, und zwar zu Recht; denn am Ende geht es immer um ihre Gesundheit. Für all diese Themen trägt unser Ministerium Verantwortung. Es ist für mich, für uns das Lebensministerium. Dies ist in der Rede von Ihnen, lieber Herr Minister, ganz deutlich geworden. Wir stellen Ihnen heute die Mittel für die Umsetzung Ihrer politischen Agenda mit den Schwerpunkten Ernährung und gesundheitlicher Verbraucherschutz zur Verfügung. Glück auf! (Beifall bei der CDU/CSU) Es handelt sich hier um einen bedeutenden Betrag. Da bin ich etwas anderer Meinung als Sie, Frau Thissen. Wir waren als Koalitionsfraktionen eigentlich gemeinsam sehr stolz darauf, dass wir hierfür 150 Millionen Euro einbringen können. Das ist ein Spitzenwert. Vielleicht schauen Sie sich den Haushalt noch einmal an. Dann werden Sie erkennen, dass viele Mittel durch die landwirtschaftliche Sozialversicherung gebunden sind. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Wir schenken ihr eine Lupe!) Das ist ähnlich wie beim Sozialhaushalt und der gesetzlichen Rentenversicherung. Ich denke, dann kommen wir das nächste Mal hier wieder zusammen. (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist unsere Aufgabe, die Menschen in unserem Land vor gesundheitlichen Gefahren und vor Täuschung zu schützen. Dieser Aufgabe stellen wir uns übrigens seit zehn Jahren, und zwar erfolgreich. Lebensmittel sind so sicher wie nie zuvor, nicht zuletzt dank der hervorragenden Arbeit von Bundesbehörden wie dem Bundesinstitut für Risikobewertung, lieber Harald Ebner. Es bewertet Risiken und leitet Grenzwerte ab. Wir wünschen uns, dass es bleibt, wie es ist, dass es nicht auf Wunsch oder den Zuruf der Politik, (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und auch nicht von der Industrie, bitte!) sondern ausschließlich auf wissenschaftlicher Basis tätig wird; denn wir brauchen Aufklärung und Fakten (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, da bin ich bei Ihnen!) statt Empörung und Vermutungen. Es geht um Menschen, und da müssen wir, da müsst ihr der Verantwortung besser gerecht werden als bisher. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Entscheidung darüber, was auf den Teller kommt, überlassen wir den Menschen. Deshalb lehnen wir eine staatliche Bevormundung durch Verbote oder Strafsteuern ab. Dies wurde übrigens gestern Abend bei einem Kongress unserer Fraktion noch einmal deutlich. Es ging um die Volkskrankheit Diabetes. Verbote, so die Wissenschaft, verlocken oder führen zur Umgehung, und Lenkungssteuern sind schon in anderen Ländern gescheitert. Deswegen ist es richtig, dass wir als Koalition einen anderen Weg gehen und sagen: Wir nehmen 2 Millionen Euro zusätzlich in die Hand, um damit eine Strategie zur Reduktion von Zucker, Fetten und Salz in Fertigprodukten zu entwickeln. Das ist der richtige Weg. Um wirklich entscheiden zu können, braucht der Verbraucher eines: Klartext. Es muss draufstehen, was drin ist, und drin sein, was draufsteht. (Beifall des Abg. Willi Brase [SPD]) Immerhin kann der Verbraucher zwischen 170 000 Produkten mit klangvollen Namen wählen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Connemann, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Herrn Ebner? Gitta Connemann (CDU/CSU): Sehr gern. Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Liebe Frau Kollegin, Sie haben das Bundesinstitut für Risikobewertung und seine Aufgabenstellung angesprochen. Da bin ich ganz bei Ihnen. Ich habe vorhin schon gesagt: Es ist richtig, dass man das Bundesinstitut personell stärkt; denn gerade bei der Bewertung der Gefährlichkeit von Glyphosat haben wir gesehen, (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) dass die personellen Mittel eben nicht ausreichen, um die Bewertung selber vorzunehmen. Das kann man im Bericht des Bundesinstituts nachlesen. Das Bundesinstitut hat geschrieben, dass es bei 850 von 1 250 Studien die Bewertung der Antragsteller übernommen hat, ohne selber zu prüfen. Es musste in der nachgelegten Untersuchung und Bewertung sogar zugeben, dass es gar nicht bemerkt hatte, dass bei etlichen Mäusestudien statistische Verfahren, die notwendig gewesen wären, gar nicht durchgeführt worden sind. Das BfR hat dann, als der Zug eigentlich schon abgefahren war, noch einmal geprüft und festgestellt: Die Bewertung war falsch. Insofern bin ich ganz bei Ihnen: Da soll die Politik nicht reinpfuschen, da soll auch die Industrie nicht reinpfuschen. Auf dem Weg müssen wir uns weiter bewegen. (Beifall der Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]) Gitta Connemann (CDU/CSU): Lieber Harald Ebner, du weißt, dass ich dich persönlich wirklich schätze. Aber du versuchst jetzt, von dem abzuweichen, was du bei der Anhörung zum Thema Glyphosat geliefert hast, und das war ein wirklich trauriges Schauspiel. Das BfR ist nämlich nicht fachlich, sondern politisch-ideologisch angegriffen worden, weil es zu einem Ergebnis gekommen ist, das dir nicht passt. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Quatsch! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht!) Wenn wissenschaftliche Behörden am Ende die Ergebnisse so gestalten müssen, dass sie nur noch Applaus von der Politik erhalten, dann ist das falsch. Es geht ausschließlich um Wissenschaftlichkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Das will er nicht hören!) Dass das BfR nicht danebengelegen hat, zeigt die Entscheidung der EFSA, der europäischen Gesundheitsbehörde, gerade in Sachen Glyphosat. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die das eins zu eins übernommen hat!) Wenn du jetzt unterstellen willst, dass sich auch die EFSA und die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dort in den Befunden, die über Jahre hinweg geliefert worden sind, und den vielen Gutachten, die vorliegen, getäuscht haben, kann ich nur sagen: Du machst dir so ein Stückchen deine Welt, wie sie dir gefällt. (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es war ein Zitat, das ich gebracht habe!) Oder um es mit Karl Marx zu sagen: Niemand ist so taub, dass er es nicht hören will. (Beifall bei der CDU/CSU – Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich bitte angesichts der Zeit – wir sind arg im Verzug –, auf weitere Zwischenfragen zu verzichten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wir werden sicherlich nicht die letzte Auseinandersetzung in dieser schönen Runde haben. – Ich bitte sehr darum. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber noch ein wichtiger Punkt!) – Ja, ich weiß, dass das ein wichtiger Punkt ist; aber wir sind unglaublich in Verzug. Gitta, erlauben Sie die Zwischenfrage? (Manfred Grund [CDU/CSU]: Manche Zwischenfragen sind so schlecht, dass man sie durch Antworten nicht stören sollte!) – Nein, die Qualität der Frage ist eine ganz andere Sache. – Frau Connemann kann jetzt Ja oder Nein sagen. Gitta Connemann (CDU/CSU): Sehr gern, Frau Präsidentin. Vizepräsidentin Claudia Roth: Gut. Aber ich sage an alle Kollegen gerichtet – wir sind richtig spät dran, und wir haben noch eine Abstimmung durchzuführen –: Bitte keine weiteren Fragen! Ansonsten lasse ich sie nicht mehr zu. Bärbel Höhn, bitte. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Kollegin Connemann, Sie haben eben gesagt, in der Anhörung sei das BfR nur ideologisch angegriffen worden. Ich war selber da und weiß, dass die beiden Experten aus den USA das BfR eindeutig fachlich angegriffen haben. Können Sie das bestätigen – ja oder nein? Gitta Connemann (CDU/CSU): Ich war nicht bei der Anhörung. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gitta, was ist das denn jetzt? Das ist ja interessant!) Ich habe das Protokoll gelesen, und ich habe die Anhörung gesehen, die aufgezeichnet worden ist. (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann haben Sie die Aufzeichnungen der amerikanischen Experten gesehen!) – Noch einmal: Ich habe die Anhörung gesehen, auch wenn ich nicht dagewesen bin. – Die Wissenschaftler, die Sie anführen, haben gesagt – da haben Sie natürlich recht –: Das BfR hat an dieser Stelle Fehler gemacht. – Es gab aber andere Wissenschaftler, die genau das Gegenteil gesagt haben. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die waren von Monsanto bezahlt!) Am Ende ist für mich die Bewertung durch die EFSA wichtig, und die oberste europäische Gesundheitsbehörde – das sage ich noch einmal – hat gesagt, dieser Bewertung durch das BfR sei nichts hinzuzufügen. Ich bitte einfach darum: Nur die Tatsache, dass Ihnen ein Ergebnis nicht gefällt, darf nicht dazu führen, dass am Ende die Politik die Seriosität einer ganzen Behörde in Abrede stellt. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Connemann, es geht weiter mit Ihrer Redezeit. Sie haben noch eine Minute. Gitta Connemann (CDU/CSU): Die Leitsätze im Lebensmittelbuch sollen Orientierung geben. Viele sind aber nicht mehr nachvollziehbar. Zucker darf sich nicht hinter chemischen Formeln verstecken. Auch ein Muskatwürzer ohne Muskat stiftet Verwirrung. Das beweisen die Beiträge auf dem Internetportal Lebensmittelklarheit. Auch um dessen Finanzierung zu sichern, stellen wir den Verbraucherzentralen 3 Millionen Euro bereit. Das ist gut investiertes Geld. Wir arbeiten auch an einer Reform des Lebensmittelbuchs, liebe Kollegin Vogt, liebe Kollegin Drobinski-Weiß, lieber Kollege Rainer. Es hat sich bewährt, aber es ist in die Jahre gekommen. Eines wünschen wir uns schon heute, lieber Minister: eine bessere personelle und finanzielle Ausstattung. Dafür müssten sich doch entsprechende Kapazitäten in der BLE finden lassen. (Beifall der Abg. Cajus Caesar [CDU/CSU] und Ute Vogt [SPD]) Informationen dürfen aber auch nicht überfordern. Ein Karottensaft braucht keinen Beipackzettel, die Cortisonsalbe schon, und zwar lesbar und auf Deutsch. Dafür haben Sie, lieber Herr Minister, bei Lebensmitteln gesorgt. Aber es gibt noch einiges zu tun. Ich nenne als Beispiel die verlässlichen Herkunftsangaben. Nur was aus deutschen Landen kommt, darf diese Kennzeichnung auch tatsächlich tragen. Der Anfang ist getan. Wir müssen noch mehr tun, zum Beispiel beim verarbeiteten Fleisch. Wir setzen hier auf die EU; sie muss sich bewegen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in drei Tagen ist der erste Advent. Wir begannen mit Plätzchen, und ich wünsche Ihnen eine besinnliche Adventszeit mit selbstgebackenen Plätzchen – ob nun aus Hack oder aus Mürbeteig; über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Gitta Connemann. – Nächste Rednerin für die SPD: Ursula Schulte. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dieter Stier [CDU/CSU]) Ursula Schulte (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister Schmidt! Sehr verehrte Damen und Herren auf der Tribüne! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beim Blick in den Einzelplan 10 habe ich gedacht: Wunderbar, wir stehen kurz vor Weihnachten, und ein Wunsch geht in Erfüllung. – Ich meine damit nicht die Hofabgabeverpflichtung, (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) um die wir lange gerungen haben und die mich noch im Schlaf verfolgt. Nein, ich meine die Mittel, mit denen wir gesunde Ernährung fördern wollen. 2 Millionen Euro hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft für eine nationale Strategie zur Reduktion von Zucker, Fetten und Salz in Fertigprodukten in den Haushalt 2016 eingestellt. Herr Minister, das ist eine gute Entscheidung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die SPD-Fraktion freut sich darüber besonders, weil wir uns lange für diese Reduktionsstrategie eingesetzt haben. Ein besonderer Dank gilt meiner Kollegin Elvira Drobinski-Weiß, die lange und heftig dafür gekämpft hat. Herzlichen Dank! (Beifall bei der SPD) Eine nationale Strategie zur Reduktion von Zucker, Fetten und Salz in Fertigprodukten ist eine wichtige Präventionsmaßnahme im Kampf gegen chronische Erkrankungen und Fehlernährung. Dass diese Maßnahme zwingend notwendig ist, das zeigen Studien der WHO. Demnach sind Übergewicht und Fettleibigkeit die größten Risiken für die Gesundheit der Menschen. Ich will Sie heute nicht mit Zahlen langweilen, liebe Kolleginnen und Kollegen; eine kann ich Ihnen aber nicht ersparen. In den letzten 20 Jahren hat sich der Anteil der übergewichtigen Menschen verdreifacht. Leider nimmt auch der Anteil der Kinder und Jugendlichen mit Übergewicht stetig zu. Schon ihretwegen müssen wir schnell, langfristig und vor allem nachhaltig handeln. (Beifall bei der SPD) Ein Baustein könnte das Institut für Kinderernährung sein, das schon wichtige Beiträge zur Förderung der Gesundheit von Kindern geleistet hat und alltagstaugliche Empfehlungen für eine gesunde Ernährung auf den Weg gebracht hat. Genau das ist es doch, was Familien, Kitas und Schulen heutzutage brauchen. Lassen Sie uns also gemeinsam versuchen, dieses Institut zu erhalten! Ein Bundesinstitut für Ernährung wäre vielleicht eine Lösung. Herr Minister, Ihr Lächeln, als Herr Freese vorhin ein solches Institut erwähnt hat, deute ich so, dass auch Sie sich eine solche Lösung vorstellen könnten. (Beifall bei der SPD) Mit dem Antrag „Gesunde Ernährung stärken – Lebensmittel wertschätzen“ hat die Koalition eine Initiative gegen den Anstieg ernährungsbedingter Erkrankungen gestartet. Die Reduktionsstrategie war allerdings nur ein Teilelement. Verpflichtende Qualitätsstandards für Kita- und Schulverpflegung sowie Werbeverbote für ungesunde Lebensmittel an Grundschulen und Kitas sind weitere Forderungen, die umgesetzt werden müssen, wenn wir gesunde Ernährung für unsere Jüngsten wirklich wollen. (Beifall bei der SPD) Das sind übrigens alles Forderungen aus der Praxis, die während der großen, von der SPD initiierten Verbraucherkonferenz im Juli dieses Jahres an uns herangetragen wurden. Sehr geehrter Herr Minister Schmidt, vorhin habe ich Sie gelobt. Jetzt muss ich allerdings auch ein bisschen Kritik anbringen; denn auf unserem Wunschzettel stehen noch einige Punkte, die wir gerne erfüllt sähen. An oberster Stelle steht der Fokus auf die Ernährung von Kindern in den ersten beiden Lebensjahren, dem sogenannten 1 000-Tage-Fenster. Wer in dieser Phase seines Lebens falsch oder mangelernährt wird – auch das soll es bei uns in Deutschland noch geben –, hat massive Konsequenzen für seine körperliche und geistige Entwicklung zu tragen, und zwar sein Leben lang. Wenn wir unseren Antrag „Gesunde Ernährung stärken – Lebensmittel wertschätzen“ wirklich ernst nehmen, dann müssen wir gerade in diesem Bereich verstärkt investieren. (Beifall bei der SPD) Schließlich wissen wir schon lange, dass Kinder aus bildungsfernen und einkommensschwachen Familien von Fehlernährung besonders betroffen sind. In unserem bereits erwähnten Antrag steht, dass es eine Frage sozialer Gerechtigkeit ist, allen Kindern eine gesunde Ernährung zu ermöglichen. Wenn dieser Satz nicht nur ein Lippenbekenntnis bleiben soll, müssen wir endlich tätig werden. (Beifall bei der SPD) In der Konsequenz bedeutet das für mich, dass wir Geld in die Hand nehmen und für eine gesunde und teilweise auch kostenlose Verpflegung in Kitas und Ganztagsschulen sorgen müssen. Wichtig ist mir aber auch, unsere Kinder und Jugendlichen in Sachen Ernährung zu bilden. Kinder müssen schon in der Kita erfahren, wie man gesundes Essen schmackhaft zubereitet. Dieses Wissen sollte in der Schule vertieft werden. So werden Kinder auch ein wenig zu Erziehern ihrer Eltern. In Zeiten von Fastfood, Fingerfood, Fertiggerichten und Coffee to go müssen wir aufpassen, dass so etwas wie Esskultur übrig bleibt. (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Da haben Sie recht!) Gemeinsame Mahlzeiten sind nicht etwa altmodisch, sondern eine Möglichkeit, miteinander Zeit zu verbringen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Unsere Aufgabe ist es, bessere Bedingungen für eine gesunde Ernährung zu schaffen. Dazu gehört auch die Information der Verbraucherinnen und Verbraucher. Je einfacher die Information ist, umso besser. Auch ich habe keine Lust, mir lange winzig klein gedruckte Aufschriften auf Verpackungen durchzulesen. Daher sollten wir gemeinsam noch einmal über die Einführung einer Lebensmittelampel nachdenken. Damit erreichen wir dann ganz sicher alle Bevölkerungsschichten. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Ein Haushalt – damit komme ich zum Schluss – ist in Zahlen gegossene Politik. Aus Sicht der Verbraucherinnen und Verbraucher haben wir mit dem Ansatz für die Reduktionsstrategie einen weiteren Schritt in die richtige Richtung unternommen. Natürlich gibt es noch viel zu tun. Die SPD-Fraktion wird die Hände nicht in den Schoß legen, sondern sich für weitere Mittel im Verbraucherbereich einsetzen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke schön, Frau Kollegin Schulte. – Die letzte Rednerin in der Debatte: Rita Hagl-Kehl für die SPD. (Beifall bei der SPD) Rita Hagl-Kehl (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Debatte zum Haushalt dürfen natürlich auch die Themen „nachhaltige Landwirtschaft“ und „zukunftsfähige Agrarpolitik“ nicht fehlen. Für die SPD-Bundestagsfraktion steht eine nachhaltige, zukunftsfähige Entwicklung in der Landwirtschaft im Vordergrund. Der Schwerpunkt unserer Politik liegt auf der Gesundheit von Menschen und Tieren sowie auf den Folgen der Landwirtschaft für die Umwelt. Deswegen sprechen wir uns für eine nachhaltige und ressourcenschonende Agrarpolitik aus, die dazu beiträgt, einen gesunden und fruchtbaren Boden zu erhalten sowie gesunde und qualitativ hochwertige Lebensmittel zu produzieren. (Beifall bei der SPD – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hört sich schon mal gut an!) Um die Agrarpolitik in diesem Sinne gestalten zu können, benötigen wir mehr Forschung, auch mehr Fördermittel, um die Bundesprogramme und die Strategien der Bundesregierung zu stärken. Es ist richtig, dass sich das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft den Bereich „Nachhaltigkeit, Forschung und Innovation“ als einen der wichtigsten politischen Schwerpunkte gesetzt hat. Vielen Dank dafür. Ich werde auf zwei sehr wichtige Titel dieses Bereichs konkret eingehen, die ich für besonders finanzierungswürdig halte. Erstens: der Titel „Eiweißpflanzenstrategie“. Das Potenzial heimischer Eiweißpflanzen wird in Deutschland nur unzureichend ausgeschöpft. Mit der Eiweißstrategie wird das Potenzial von Anbau- und Erntetechniken ausgeschöpft, ebenso werden die Wettbewerbsnachteile heimischer Eiweißpflanzen vermindert. Aus diesen Gründen hat sich die SPD stark und im Endeffekt erfolgreich dafür eingesetzt, diesen Titel im Haushalt 2016 um 2 Millionen Euro aufzustocken. (Beifall bei der SPD) Mit der Eiweißpflanzenstrategie wollen wir die Gewinnung wertvoller pflanzlicher Eiweiße aus Leguminosen wie Erbsen, Ackerbohnen und Lupinen stärken. Die Leguminosen sind ein wichtiger Baustein der nachhaltigen Landwirtschaft. Sie verbessern sogar die Bodenfruchtbarkeit. Langfristig brauchen wir Unabhängigkeit von Importen, zum Beispiel von Gensoja. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Als Zweites möchte ich auf einen Titel eingehen, der aus meiner Sicht im Haushalt 2016 zu wenig berücksichtigt worden ist. Es handelt sich um das Bundesprogramm Ökologischer Landbau und andere Formen nachhaltiger Landwirtschaft, BÖLN genannt. Als für den Ökolandbau zuständige Berichterstatterin habe ich bereits mehrmals darauf hingewiesen, wie wichtig dieser Haushaltstitel ist. Obwohl wir es im Haushalt 2015 geschafft haben, diesen Titel von 14 auf 17 Millionen Euro aufzustocken, werden die Fördermittel am Ende des Jahres voll ausgeschöpft sein. (Cajus Caesar [CDU/CSU]: Nicht ganz!) Daran zeigt sich, dass wirklich Bedarf vorhanden ist. Damit das Bundesprogramm weiterhin gestärkt und verstetigt werden kann, wie im Koalitionsvertrag vereinbart und festgeschrieben wurde, sind weitere Erhöhungen notwendig. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]) Durch das Bundesprogramm können wir die nachhaltige Landwirtschaft stärken; denn wir unterstützen damit die Erzeugung von ökologischem Saatgut und von Mitteln zur vegetativen Vermehrung und schaffen so eine breite Palette verfügbarer Pflanzensorten und arten. Das stärkt die Wirtschaftlichkeit von ökologisch und nachhaltig wirtschaftenden Betrieben. Das Programm dient der Stärkung der ökologischen Land- und Lebensmittelwirtschaft und der angestrebten Ausweitung der ökologisch bewirtschafteten Anbauflächen im Land. In den letzten zwei Jahren hat sich die Größe dieser Anbauflächen leider nicht verändert. So wird es schwierig, die 20 Prozent Ökolandbau, die in der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie festgelegt worden sind, zu erreichen. Um verschiedene Formen dieser Landwirtschaft zu unterstützen, sollen Konzepte und Strategien für eine noch gezieltere Förderung erarbeitet werden. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hat mit der Ankündigung eines Zukunftsplans Öko erste Schritte unternommen. Aber damit die Strategie wie angekündigt bis Ende 2016 erarbeitet und umgesetzt werden kann, bedarf es im Ökobereich noch mehr Subventionen und Forschung. Zum Schluss möchte ich noch kurz auf den Aspekt der Pflanzenschutzmittelreduktion eingehen. Vorhin wurde bereits das Stichwort „Glyphosat“ genannt. Keine Sorge, dazu spreche ich nicht. Aber diese Thematik zeigt, dass wir weiterhin den Nationalen Aktionsplan zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln brauchen. Hier dürfen wir nicht nachlassen. Wir müssen diesen Titel verstetigen und dürfen die Mittel nicht zurückführen. Wir benötigen auch sehr viel Forschung in Bezug auf die Umsetzung, um neue, sichere Alternativen zu den existierenden Pflanzenschutzmitteln zu finden und die Landwirte noch besser beraten zu können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dafür werde ich mich einsetzen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin Hagl-Kehl. – Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 10 – Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft – in der Ausschussfassung. Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/6802 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt durch Ablehnung durch CDU/CSU und SPD bei Zustimmung der Linken und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 10 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Der Einzelplan 10 ist damit angenommen. Zugestimmt haben die CDU/CSU und die SPD, dagegengestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke; es gibt keine Enthaltungen. Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, 27. November 2015, 9 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen einen schönen Restabend. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 20.23 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Albsteiger, Katrin CDU/CSU 26.11.2015 Dörner, Katja BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 26.11.2015 Ehrmann, Siegmund SPD 26.11.2015 Ernstberger, Petra SPD 26.11.2015 Hartmann, Sebastian SPD 26.11.2015 Heiderich, Helmut CDU/CSU 26.11.2015 Irlstorfer, Erich CDU/CSU 26.11.2015 Kekeritz, Uwe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 26.11.2015 Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 26.11.2015 Lagosky, Uwe CDU/CSU 26.11.2015 Launert, Dr. Silke CDU/CSU 26.11.2015 Pronold, Florian SPD 26.11.2015 wScharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 26.11.2015 Schnieder, Patrick CDU/CSU 26.11.2015 Spinrath, Norbert SPD 26.11.2015 Strässer, Christoph SPD 26.11.2015 Veit, Rüdiger SPD 26.11.2015 Warken, Nina CDU/CSU 26.11.2015 Wicklein, Andrea SPD 26.11.2015 II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 140. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 26. November 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 140. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 26. November 2015 III Plenarprotokoll 18/140