Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 143. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2015 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeordneten Dr. Heinz Riesenhuber 13931 A Begrüßung des Präsidenten der Knesset des Staates Israel, Herrn Yuli-Yoel Edelstein 13931 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 13931 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 8 und 25 13931 C Tagesordnungspunkt 3: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über den Stand der Entwicklung des Tierschutzes 2015 (Tierschutzbericht 2015) Drucksache 18/6750 13931 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, Steffi Lemke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Tierschutz ernst nehmen – Tierleid verhindern Drucksachen 18/2616, 18/3107 13931 D Christian Schmidt, Bundesminister BMEL 13932 A Birgit Menz (DIE LINKE) 13934 B Ute Vogt (SPD) 13935 A Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13936 B Dieter Stier (CDU/CSU) 13938 A Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) 13940 A Elfi Scho-Antwerpes (SPD) 13941 A Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13942 D Kordula Kovac (CDU/CSU) 13944 A Dr. Karin Thissen (SPD) 13945 D Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13946 C Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU) 13947 D Tagesordnungspunkt 4: a) Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Bärbel Höhn, Oliver Krischer, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Umsetzung des Aktionsprogramms Klimaschutz 2020 Drucksachen 18/5489, 18/6763 13949 C b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Klimaschutzbericht 2015 Drucksache 18/6840 13949 D Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 13949 D Josef Göppel (CDU/CSU) 13951 A Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 13952 C Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin BMUB 13953 D Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU) 13955 A Sabine Leidig (DIE LINKE) 13957 B Klaus Mindrup (SPD) 13958 B Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13959 C Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) 13959 D Oliver Grundmann (CDU/CSU) 13960 D Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13961 D Arno Klare (SPD) 13963 B Artur Auernhammer (CDU/CSU) 13964 A Michael Groß (SPD) 13965 A Namentliche Abstimmung 13966 B Ergebnis 13969 D Tagesordnungspunkt 5: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern weltweit verstärken Drucksache 18/6880 13966 C Frank Schwabe (SPD) 13966 C Annette Groth (DIE LINKE) 13968 B Erika Steinbach (CDU/CSU) 13972 B Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13973 D Gabriela Heinrich (SPD) 13975 B Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU) 13976 A Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD) 13977 D Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU) 13978 C Tagesordnungspunkt 30: a) Antrag der Abgeordneten Annette Groth, Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Freiheit für Leonard Peltier Drucksache 18/2622 13980 B b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2013 Drucksache 18/208 13980 C c) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2014 Drucksache 18/3682 13980 C d) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht zur Verordnung über Vereinbarungen zu abschaltbaren Lasten: Erforderlichkeit und Eignung abschaltbarer Lasten, um Gefährdungen oder Störungen der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems zu beseitigen Drucksache 18/6096 13980 D Tagesordnungspunkt 31: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Tourismus – zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Die Alpen – Vielfalt in Europa – Ziele der Alpenkonvention voranbringen und nachhaltig gestalten – zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Tressel, Dr. Anton Hofreiter, Steffi Lemke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Tourismusprotokoll der Alpenkonvention umsetzen – Wintertourismus nachhaltig gestalten Drucksachen 18/6187, 18/4816, 18/6848 13981 A b)–f) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 255, 256, 257, 258 und 259 zu Petitionen Drucksachen 18/6819, 18/6820, 18/6821, 18/6822, 18/6823 13981 B Tagesordnungspunkt 6: Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses zu der Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten: Jahresbericht 2014 (56. Bericht) Drucksachen 18/3750, 18/6093 13981 C Dr. Hans-Peter Bartels, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages 13981 D Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) 13983 A Christine Buchholz (DIE LINKE) 13984 D Heidtrud Henn (SPD) 13986 A Doris Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13987 D Julia Obermeier (CDU/CSU) 13988 D Tagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine militärische Antwort auf Terror Drucksache 18/6874 13989 D Sevim Dağdelen (DIE LINKE) 13990 A Henning Otte (CDU/CSU) 13991 C Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) 13993 D Henning Otte (CDU/CSU) 13994 A Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13994 B Thomas Hitschler (SPD) 13995 B Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13997 A Thomas Hitschler (SPD) 13997 C Volker Mosblech (CDU/CSU) 13998 A Josip Juratovic (SPD) 13999 A Tagesordnungspunkt 10: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte in Afghanistan Drucksache 18/6743 14000 A Wolfgang Hellmich (SPD) 14000 B Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) 14001 B Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMVg 14002 C Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) 14004 A Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMVg 14004 B Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 14004 C Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) 14005 C Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 14006 C Gabi Weber (SPD) 14007 D Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) 14008 D Tagesordnungspunkt 9: a) Antrag der Abgeordneten Luise Amtsberg, Omid Nouripour, Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Schutz für Flüchtlinge aus Afghanistan Drucksache 18/6774 14009 D b) Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dağdelen, Frank Tempel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Abschiebestopp und Schutz für Flüchtlinge aus Afghanistan Drucksache 18/6869 14010 A Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 14010 A Nina Warken (CDU/CSU) 14011 C Ulla Jelpke (DIE LINKE) 14013 B Sebastian Hartmann (SPD) 14014 C Andrea Lindholz (CDU/CSU) 14016 B Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der NATO-geführten Operation ACTIVE ENDEAVOUR im Mittelmeer Drucksache 18/6742 14018 A Michael Roth, Staatsminister AA 14018 A Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) 14019 C Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) 14020 D Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 14021 C Julia Obermeier (CDU/CSU) 14022 B Tagesordnungspunkt 11: a) Antrag der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Cornelia Möhring, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Lebenssituation von Alleinerziehenden deutlich verbessern Drucksache 18/6651 14023 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Halina Wawzyniak, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Alleinerziehende entlasten – Unterhaltsvorschuss ausbauen Drucksachen 18/983, 18/6902 14023 B Jörn Wunderlich (DIE LINKE) 14023 C Gudrun Zollner (CDU/CSU) 14024 B Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 14025 C Dr. Fritz Felgentreu (SPD) 14026 C Ingrid Pahlmann (CDU/CSU) 14028 A Tagesordnungspunkt 14: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes Drucksache 18/6879 14029 B Helmut Brandt (CDU/CSU) 14029 C Halina Wawzyniak (DIE LINKE) 14030 C Gabriele Fograscher (SPD) 14031 C Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 14032 D Michael Frieser (CDU/CSU) 14033 C Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 14034 C Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Kordula Schulz-Asche, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gewalt in Burundi stoppen – Weitere massive Menschenrechtsverletzungen verhindern Drucksache 18/6883 14035 A Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 14035 B Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU) 14035 D Inge Höger (DIE LINKE) 14037 C Gabi Weber (SPD) 14038 B Tagesordnungspunkt 16: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Bausparkassen Drucksachen 18/6418, 18/6680, 18/6903 14039 D Anja Karliczek (CDU/CSU) 14039 D Susanna Karawanskij (DIE LINKE) 14040 D Manfred Zöllmer (SPD) 14041 D Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 14043 A Alexander Radwan (CDU/CSU) 14043 D Tagesordnungspunkt 15: a) Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Katrin Werner, Jan Korte, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Entwicklungsstand und Umsetzung des Inklusionsgebotes in der Bundesrepublik Deutschland Drucksachen 18/3460 (neu), 18/6533 14045 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Corinna Rüffer, Maria Klein-Schmeink, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Empfehlungen der Vereinten Nationen zur Behindertenrechtskonvention zügig umsetzen Drucksachen 18/4813, 18/5163 14045 B Katrin Werner (DIE LINKE) 14045 B Uwe Schummer (CDU/CSU) 14046 B Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 14047 B Kerstin Tack (SPD) 14048 B Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) 14049 C Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 14050 B Zusatztagesordnungspunkt 3: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Bestimmungen des Rechts des Energieleitungsbaus Drucksachen 18/4655, 18/5581, 18/6909 14051 C Johann Saathoff (SPD) 14051 C Ralph Lenkert (DIE LINKE) 14052 D Thomas Bareiß (CDU/CSU) 14053 D Ralph Lenkert (DIE LINKE) 14054 D Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 14056 B Zusatztagesordnungspunkt 4: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes Drucksachen 18/6419, 18/6746, 18/6910 14057 D Florian Post (SPD) 14058 A Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 14059 B Barbara Lanzinger (CDU/CSU) 14060 A Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 14061 C Tagesordnungspunkt 17: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten und zur Durchführung der Verordnung über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten Drucksache 18/5089 14063 C – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten und zur Durchführung der Verordnung über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten Drucksachen 18/5295, 18/5760, 18/6904 14063 C – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6914 14063 D Tagesordnungspunkt 18: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren (3. Opferrechtsreformgesetz) Drucksachen 18/4621, 18/6906 14064 B Tagesordnungspunkt 19: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen Drucksachen 18/5293, 18/6012, 18/6138 Nr. 9, 18/6905 14064 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Kathrin Vogler, Sabine Zimmermann (Zwickau), Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Elektronische Gesundheitskarte stoppen – Patientenorientierte Alternative entwickeln – zu dem Antrag der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Dr. Konstantin von Notz, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sicher vernetzt, gut versorgt – Digitalisierung im Gesundheitswesen im Dienste der Patienten gestalten Drucksachen 18/3574, 18/6068, 18/6905 14064 D Dr. Katja Leikert (CDU/CSU) 14064 D Kathrin Vogler (DIE LINKE) 14066 A Hermann Gröhe (CDU/CSU) 14067 A Kathrin Vogler (DIE LINKE) 14067 A Dirk Heidenblut (SPD) 14067 B Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 14069 A Reiner Meier (CDU/CSU) 14070 A Tagesordnungspunkt 20: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der aufsichts- und berufsrechtlichen Regelungen der Richtlinie 2014/56/EU sowie zur Ausführung der entsprechenden Vorgaben der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 im Hinblick auf die Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse (Abschlussprüferaufsichtsreformgesetz – APAReG) Drucksachen 18/6282, 18/6907 14071 B – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6908 14071 B Brigitte Zypries, Parl. Staatssekretärin BMWi 14071 B Klaus Ernst (DIE LINKE) 14071 D Dr. Matthias Heider (CDU/CSU) 14072 C Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 14074 B Matthias Ilgen (SPD) 14075 A Tagesordnungspunkt 21: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Telemediengesetzes Drucksache 18/6745 14076 A Tagesordnungspunkt 22: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/91/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 zur Änderung der Richtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) im Hinblick auf die Aufgaben der Verwahrstelle, die Vergütungspolitik und Sanktionen Drucksache 18/6744 14076 B Tagesordnungspunkt 23: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes zur Erhöhung des Lohnsteuereinbehalts in der Seeschifffahrt Drucksache 18/6679 14076 C Nächste Sitzung 14076 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 14077 A Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Bestimmungen des Rechts des Energieleitungsbaus (Zusatztagesordnungspunkt 3) 14077 B Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU) 14077 C Albert Rupprecht (CDU/CSU) 14078 B Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU) 14078 C Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Jens Koeppen (CDU/CSU) zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes (Zusatztagesordnungspunkt 4) 14078 D Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten und zur Durchführung der Verordnung über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten und zur Durchführung der Verordnung über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten (Tagesordnungspunkt 17) 14079 C Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) 14079 C Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU) 14080 C Dennis Rohde (SPD) 14081 B Caren Lay (DIE LINKE) 14081 D Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 14082 D Ulrich Kelber, Parl. Staatssekretär BMJV 14083 C Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren (3. Opferrechtsreformgesetz) (Tagesordnungspunkt 18) 14084 A Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) 14084 B Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 14085 B Dirk Wiese (SPD) 14086 A Jörn Wunderlich (DIE LINKE) 14087 A Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 14087 D Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Telemediengesetzes (Tagesordnungspunkt 21) 14088 D Hansjörg Durz (CDU/CSU) 14088 D Axel Knoerig (CDU/CSU) 14089 D Marcus Held (SPD) 14090 B Lars Klingbeil (SPD) 14091 A Halina Wawzyniak (DIE LINKE) 14091 C Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 14092 B Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/91/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 zur Änderung der Richtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) im Hinblick auf die Aufgaben der Verwahrstelle, die Vergütungspolitik und Sanktionen (Tagesordnungspunkt 22) 14094 B Fritz Güntzler (CDU/CSU) 14094 B Christian Petry (SPD) 14095 C Susanna Karawanskij (DIE LINKE) 14096 C Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 14097 C Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär BMF 14098 B Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes zur Erhöhung des Lohnsteuereinbehalts in der Seeschifffahrt (Tagesordnungspunkt 23) 14099 B Olav Gutting (CDU/CSU) 14099 B Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU) 14099 D Dr. Birgit Malecha-Nissen (SPD) 14100 D Dr. Jens Zimmermann (SPD) 14101 C Richard Pitterle (DIE LINKE) 14102 C Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 14103 C 143. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2015 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Ich begrüße Sie alle herzlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, freue mich über die ausnehmend gute Stimmung vor dem Aufruf des ersten Tagesordnungspunktes und hoffe, dass uns die über den gesamten Tag begleitet. Ich sehe eine gewisse Chance, dass bei der ersten Mitteilung die Stimmung mindestens stabil bleibt, wenn nicht weiter gesteigert wird, wenn ich dem Kollegen Heinz Riesenhuber herzlich zu seinem 80. Geburtstag gratuliere, den er vorgestern gefeiert hat. (Lebhafter Beifall) Es kommt nicht häufig vor, dass wir hier im Haus einen 80. Geburtstag feiern können, und es kommt auch nicht allzu häufig vor, dass Geburtstage mit einer solch erkennbar demonstrativen Sympathie aller anwesenden Kolleginnen und Kollegen begangen werden. (Beifall) Alle guten Wünsche für die nächsten Jahre. Dann ist es mir eine besondere Freude, dass ich auf der Ehrentribüne eine Delegation der Knesset unter Vorsitz des Knesset-Präsidenten Yuli Edelstein begrüßen darf. (Beifall) Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hatten in den beiden vergangenen Tagen in vielen Begegnungen und Gesprächen die Gelegenheit, wechselseitig die herausragende Bedeutung der Beziehung zwischen unseren beiden Ländern zu bekräftigen und dies gleichzeitig mit konkreten Vereinbarungen zur weiteren Intensivierung der Zusammenarbeit unserer beiden Parlamente zu verbinden. Wir bedanken uns ausdrücklich für Ihren Besuch und die Art und Weise, in der Sie mit uns gesprochen haben. Wir freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit. (Beifall) Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, nach dem Tagesordnungspunkt 15 als Zusatzpunkte die Beratung der Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6909 zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Bestimmungen des Rechts des Energieleitungsbaus sowie danach die Beratung der Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6910 zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes mit einer Debattenzeit von jeweils 25 Minuten aufzurufen. Dabei soll von der Frist für den Beginn der Beratungen abgewichen werden. Der Tagesordnungspunkt 8 – hier geht es um die abschließende Beratung des Entwurfs des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes – soll abgesetzt werden. Die Tagesordnungspunkte der Koalitionsfraktionen rücken entsprechend vor. Des Weiteren soll der Tagesordnungspunkt 25 abgesetzt werden; hier geht es um die Unterrichtung der Bundesregierung zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2015. Sind Sie mit diesen Änderungen einverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über den Stand der Entwicklung des Tierschutzes 2015 (Tierschutzbericht 2015) Drucksache 18/6750 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, Steffi Lemke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Tierschutz ernst nehmen – Tierleid verhindern Drucksachen 18/2616, 18/3107 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor­sicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen­abschätzung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 77 Minuten vorgesehen. – Das scheint allgemein auf Zustimmung zu stoßen. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem zuständigen Bundesminister, Christian Schmidt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorweg sei mir eine Bemerkung gestattet. 25 Jahre nach dem Tag der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl, bei der einige, die hier im Saale sitzen, bereits gewählt worden sind – (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das sind schon richtige Gruftis!) und zwar du, lieber Volker, lieber Herr Alterspräsident Riesenhuber, der Präsident des Deutschen Bundestages und einige andere, mich eingeschlossen –, will ich sagen: Es ist doch wunderschön, dass wir seit 25 Jahren ein gemeinsames Parlament haben und es zwischenzeitlich fast vergessen, dass es am 2. Dezember 1990 so weit war. – Hier fehlt der Applaus. (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir wollten nicht für das „Vergessen“ applaudieren!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Minister, ich möchte mich ungern darauf einlassen, dass die Regierung demnächst den Applaus bestellt, und noch weniger darauf, dass das Parlament diesem Appell bereitwillig folgt. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft: Sehr verehrter Herr Präsident, ich bitte um Entschuldigung, dass ich nicht erkennbar gemacht habe, dass diese Passage die des Bundestagsabgeordneten Christian Schmidt war und dass er als Mitglied dieses Hauses diese Möglichkeit nutzen wollte. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich freue mich im Übrigen in gleicher Weise darüber, dass wir hier eine Delegation der Knesset begrüßen dürfen. Als langjähriger Vorsitzender der Deutsch-­Israelischen Parlamentariergruppe freue ich mich sehr darüber. Ich weiß, dass wir auch in dem Themenbereich, über den wir hier sprechen, erhebliche Potenziale für eine Zusammenarbeit haben. Diese Zusammenarbeit haben wir anlässlich des Jubiläums – 50 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern – verstärkt und mit einigen Projekten untermauert. Ich freue mich auf eine weiterhin gute Zusammenarbeit mit dem Staat Israel und seinen Repräsentanten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Der zwölfte Tierschutzbericht, den die Bundesregierung im November vorgelegt hat, ist Zwischenbilanz und Auftragsbuch für die Zukunft. Der Berichtszeitraum erstreckt sich auf die Jahre 2011 bis 2014, in die die Novellierung des Tierschutzgesetzes und die Initiative „Eine Frage der Haltung – neue Wege für mehr Tierwohl“ fallen. Ich habe hierüber zu berichten. Es ist festzustellen, dass der Tierschutz erhebliche Fortschritte gemacht hat, wenngleich noch manches zu tun bleibt. Das Staatsziel Tierschutz, wie es in Artikel 20 a unseres Grundgesetzes verankert ist, ist dabei Leitlinie. Tiere als Mitgeschöpfe zu sehen, denen wir im Hinblick auf ihre Bedürfnisse, auf Haltungsformen etc. gerecht werden müssen, das ist die Daueraufgabe, die sich wie ein roter Faden durch die Politik der Bundesregierung zieht. Dem Tierschutz kommt bei jeder Abwägung Gewicht zu. Tierschutz ist keine Aufgabe, die man einmal als erledigt abhaken kann. Tierschutz muss täglich mit Leben gefüllt werden: bei politischen Entscheidungen, in den Ställen, an der Ladenkasse oder zu Hause, bei der Fürsorge für die Heimtiere. Diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist eine Grundlage für die politische Herangehensweise. Ziel muss es sein, die Tierhaltung in unserer Gesellschaft so fortzuentwickeln, dass sie eine faire Chance hat, den hohen Ansprüchen gerecht zu werden, und die Tiere eine faire Chance haben, ordnungsgemäß und anständig gehalten zu werden. Diesem hohen Anspruch müssen Politik und Gesellschaft gerecht werden. Dieser Weg ist anspruchsvoll, vielschichtig, aber, wie ich meine, wirkungsvoll. Wir müssen dabei alle an einem Strang ziehen, Kommunen, Länder und Bund. Eine bessere Kooperation brauchen wir mit den Kommunen. Ich denke an die Tierheime. Dort leisten die Tierschutzverbände und viele Ehrenamtliche Herausragendes. Gleichwohl können sie den Tieren in vielen überlasteten Heimen nicht immer gerecht werden, gerade zur Urlaubszeit und nach Weihnachten. Hier müssen die Kommunen Verantwortung übernehmen. Wir sind zum Dialog hierüber bereit. Leider konnte dieses Thema im Berichtszeitraum nicht befriedigend behandelt werden. Wir wollen konkrete Verbesserungen des Tierwohls in der Breite erreichen und dabei unsere Landwirtschaft wettbewerbsfähig halten, ja, wir wollen sie sogar noch stärken, indem wir Tierschutz zum Qualitätsmerkmal ausbauen. Deshalb fordere ich auch die Bundesländer zu einem koordinierten Vorgehen auf. Wir sind bereit, Koordinierungsarbeit zu leisten. Ich freue mich, dass die Zusammenarbeit im Staatssekretärsausschuss Tierschutz, den ich ins Leben gerufen habe, bereits Früchte trägt. Zusammenarbeit steht vor Selbstprofilierung; denn es geht nicht darum, jemandem zu dienen, sondern darum, den Tierschutz voranzubringen. Ich darf darauf hinweisen, dass wir sowohl bei der Beendigung der Kleingruppenhaltung von Legehennen als auch bei der engeren Koordinierung unserer Forschungsaufgaben Erfolge erzielt haben und erzielen. Wichtig ist, dass klar und deutlich wird, dass der Vollzug des Tierschutzgesetzes ein starkes Instrument ist. Vollzug bestehender Gesetze geht vor deren Änderung. Da und dort ist festzustellen, dass der Vollzug noch besser werden kann. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ute Vogt [SPD]) Es gibt effektive Hebel, die auf diesem Ansatz aufbauen. Ich denke dabei beispielsweise an die dringend notwendige Beendigung des massenhaften Tötens männlicher Küken. Ich fördere die Entwicklung von echten Alternativen. Wir sind bei der Entwicklung schon sehr weit fortgeschritten. Manchmal wird übersehen, dass derjenige, der ans Gesetz geht, immer an die verfassungsrechtlichen Grenzen auch von Übergangsfristen gebunden ist und dass es deswegen klüger sein kann, das Gesetz anzuwenden, bevor man es ändert. Ich bin sehr optimistisch, dass wir in diesen Bereichen so schneller vorankommen als mit Gesetzesänderungen. Das gilt genauso für das Ende des routinemäßigen Kürzens von Hühnerschnäbeln. Schon ab August 2016 soll damit Schluss sein. Das ist verbindliche Freiwilligkeit, die wirkt. Der Tierschutzbericht zeigt allerdings auch, dass Regulierung ein Baustein unserer Politik ist, wenn eine freiwillige Verpflichtung nicht erfolgsversprechend ist. Wir haben im Berichtszeitraum mit der Änderung des Tierschutzgesetzes wesentliche Verbesserungen erreicht. Das trifft insbesondere auf den Schutz von Versuchstieren zu, aber auch auf den Schutz von Heim- und Nutztieren. Beim Schutz von Versuchstieren hat sich Deutschland bereits in der Vergangenheit eine gute Vorreiterrolle erarbeitet. Diesen Weg will ich mit der Einrichtung des Deutschen Zentrums zum Schutz von Versuchstieren, das wir in diesem Jahr eröffnen konnten, konsequent weitergehen. Ziel muss sein, für Forschungsarbeiten Alternativen ohne Tiere zu finden. Bei Heimtieren haben wir eine erweiterte Erlaubnispflicht für die Einfuhr geschaffen, um insbesondere dem illegalen Welpenhandel, der leider stark um sich greift, einen Riegel vorzuschieben. Zudem gibt es seit letztem Jahr die Pflicht, Käufer über die wesentlichen Bedürfnisse des Tieres und die richtige Haltung zu informieren. Regulierungsbedarf sehe ich derzeit bei der Vermeidung der Schlachtung hochträchtiger Tiere. Ich will auch ein Haltungsverbot für Pelztiere erreichen. Formulierungshilfen für entsprechende Regelungen stellt mein Haus dem Parlament zur Verfügung. Ich erwarte, dass wir hier bald zu Lösungen kommen. Tierwohl ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Gemeinsam müssen wir eine Haltung entwickeln. Das geht nur im verbindlichen Gespräch. Ein ganz profilierter Tierschützer, ethisch sehr fundiert – an dieser Persönlichkeit sollte man sich orientieren –, hat einmal Folgendes gesagt – ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten –: Ich bemerke ..., dass wir oft in falscher Weise für die misshandelte Kreatur eintreten; wir tun es im Zorn, ... und bringen die Menschen mit einem Schein des Rechts gegen uns auf wegen der Art, wie wir uns in die Dinge mischen, und haben es uns dann selber zuzuschreiben, wenn wir ein barsches: „Das geht Sie nichts an“ zu hören bekommen, wo ein ruhiges und freundliches Wort keinen solchen Trotz im anderen geweckt hätte. Das ist ein Zitat von Albert Schweitzer. Den Dialogprozess meines Hauses „Landwirtschaft und Gesellschaft“ setze ich gerade auf diesen Punkt auf. Ich biete an, die Vorstellungen von Verbrauchern, Tierschützern, Tierhaltern, Landwirten und allen Menschen im Sinne Schweitzers im ruhigen und freundlichen Austausch auszutarieren und anzunähern. Mein Kompetenzkreis Tierwohl spielt hier mit konkreten Vorschlägen eine wichtige Rolle. Ich will all denjenigen, die sich in ihrem Wirkungskreis schon jetzt für das Tierwohl starkmachen und verbindlich dafür eintreten, Tierschützern wie Tierhaltern, meinen Respekt aussprechen. Wir müssen uns die Frage stellen: Wie viel Tierschutz wollen wir uns leisten, und wie wollen wir die Kosten gesellschaftlich verteilen? Tierschutz kann nur erfolgreich sein, wenn wir uns in der gesamten Europäischen Union zu hohen Standards verpflichten. Nur so können wir verhindern, dass die Nutztierhaltung aus Deutschland in Länder mit niedrigeren Standards abwandert, auch zulasten der Tiere. (Beifall bei der CDU/CSU) Hohe Standards auf Gemeinschaftsebene sind der Schlüssel für beides: für das Tierwohl und für die ökonomischen Perspektiven der Landwirte. Deswegen erwarte ich von der Europäischen Kommission, dass sie hier Engagement zeigt. Ich bedanke mich beim Europäischen Parlament, das dieses Thema gerade in dieser Woche aufgegriffen hat. Wir stehen vor der Fortschreibung der Tierschutzinitiative auf europäischer Ebene. Ich kann Ihnen sagen: Da ist noch sehr viel zu tun. Deswegen ist mein Ziel, diese Fragen auf europäischer Ebene mit – wie man sagt – „like-minded people“, also mit Gleichgesinnten, auf hohem Standard gemeinsam voranzubringen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Geflügel- und Schweinehalter haben sich gemeinsam mit dem Lebensmitteleinzelhandel in einer Brancheninitiative zusammengeschlossen, um Fairness und Tierwohl miteinander zu vereinen. Danke für diese Initiativen! Es kommt darauf an, solches Engagement zu verstetigen; denn für mehr Tierwohl muss es auch mehr Geld geben. Das geht bis hin zur Frage, wie wir dieses Thema im Rahmen der Neuausrichtung der europäischen Agrarpolitik in der nächsten Förderperiode einbringen werden. Das wird eine wichtige Diskussion sein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Minister, Sie müssen mit Rücksicht auf die Zeit zum Ende kommen. Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft: Herr Präsident, abzüglich der wenigen Minuten, die ich als Abgeordneter gesprochen habe, (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Sie hätten ja auch Redezeit als Abgeordneter beantragen können!) will ich für die Bundesregierung hier festhalten: Mit vereinten Kräften – nur mit vereinten Kräften – können wir das erreichen. Ich bedanke mich auch für manch kritischen Dialog, (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Ein interessanter Ausdruck!) den wir hier im Deutschen Bundestag führen. Das ist ein ganz wichtiger Ansatz zur Erreichung eines gemeinsamen Ziels. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Minister, Ihre Ausführungen als Abgeordneter haben mich natürlich ganz besonders beeindruckt. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD) Aber ich erkläre Ihnen gelegentlich einmal die komplizierten Verrechnungsmechanismen bezüglich der Redezeiten der Bundesregierung und der Redezeiten der davon besonders begünstigten und zugleich betroffenen Fraktionen. Nun erhält die Kollegin Birgit Menz für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Birgit Menz (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ja, im zwölften Tierschutzbericht der Bundesregierung sind Fortschritte in der Entwicklung des Tierschutzes zu erkennen. Zugleich ist der Bericht jedoch ein Beleg für die zahlreichen Mängel, die in diesem Bereich noch immer bestehen. Ich möchte drei mir besonders wichtige Themen herausgreifen. Im Dritten Gesetz zur Änderung des Tierschutzgesetzes wurde festgehalten, dass die Sachkunde für Heimtierhalterinnen und -halter zu steigern sei. Die Tierhändlerinnen und -händler sind nun angehalten, den Kundinnen und Kunden etwas Schriftliches mitzugeben, das über die wesentlichen Bedürfnisse des Tieres aufklärt. An keiner Stelle wird jedoch überprüft, ob und wie die Tierhalterinnen und -halter diese Gebrauchsanleitung befolgen. Auf diese Weise endet die öffentliche Verantwortung bereits mit dem Kaufvertrag und bleibt der Einzelperson überlassen. Bedenklich ist auch der Handel und Umgang mit exotischen Tieren. Zwar räumt die Bundesregierung ein, dass es hier immer wieder zu Tier- und Artenschutzpro­blemen kommt, dass es aber an auswertbaren Daten fehle. Es ist durchaus zu begrüßen, dass die Bundesregierung ein Forschungsprojekt in Auftrag gegeben hat, um herauszufinden, welche Maßnahmen zur Verbesserung des Tierschutzes bei der Haltung von exotischen Tieren in Privathaushalten als geeignet gelten. Wir meinen, die Erstellung einer Roten Liste für Händlerinnen und Händler würde eher helfen, den Handel mit exotischen Tieren einzudämmen und somit zumindest diese Tiere zu schützen. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dagmar G. Wöhrl [CDU/CSU] und Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Auch die rechtliche Lage betreffend die Zirkustierhaltung ist zu kritisieren. Hierbei bestimmen lediglich rechtlich nicht verpflichtende Leitlinien die Haltung und Nutzung von Zirkustieren. Außerdem stehen die Grundrechte Tierschutz, Berufsfreiheit und Eigentumsfreiheit, ähnlich wie bei der bereits erwähnten Haustierhaltung, in einem Konflikt, sodass ein wirklicher Tierschutz auch in diesem Bereich nicht erreicht werden kann. Tiere nehmen in der deutschen Rechtsordnung eine seltsame Position ein. Zwar sind Tiere ausdrücklich nicht als Gegenstand oder Sache zu betrachten, jedoch werden sie in vielen Bereichen der Gesetzgebung als solche behandelt. Sichtbar wird dieses Spannungsverhältnis etwa bei Tierheimen. Den meisten Tierheimen wird nach vier Wochen die Finanzierung zur Versorgung der herrenlosen Tiere seitens der Kommunen versagt, indem das Fundtier seinen Status als Lebewesen abgesprochen bekommt und zum Gegenstand degradiert wird. Fazit: Die Tierheime bleiben auf ihren Kosten sitzen. Ja, die Fundtierbetreuung ist eine kommunale Aufgabe, aber die Kommunen haben mit klammen Kassen zu kämpfen. Wir sagen: Der Bund ist in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Umsetzung des Tierschutzes in den Kommunen finanziell abgesichert werden kann; (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dagmar G. Wöhrl [CDU/CSU]) denn auch ein verfassungsmäßiges Staatsziel wie der Tierschutz wird ohne die notwendigen Ressourcen zu einer leeren Hülle. Wir fordern auch eine klare rechtliche Regelung zur Anerkennung des Tieres als Lebewesen, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) damit erstens die Tierheime finanziell entlastet werden, zweitens unser gesellschaftlicher Umgang mit Tieren eine stärkere Bedeutung bekommt und drittens die Rechte im Interesse des Tierschutzes wirksamer gestärkt werden. Abschließend möchte ich noch auf ein sehr grausames Thema zu sprechen kommen, nämlich auf die nach wie vor erschreckende Zahl getöteter Tiere für bzw. durch Tierversuche. Laut offizieller Statistik sterben in Deutschland jährlich etwa 3 Millionen Tiere in Versuchslaboren. Allein durch Vorratszüchtung werden Millionen Tiere getötet. Der Grund ist, dass sie nicht das richtige Geschlecht oder das richtige Alter haben, weshalb sie für die Versuche nicht infrage kommen und in der Folge getötet werden. Ebenso skandalös ist, dass Tierversuche für die Entwicklung von Kosmetika zwar verboten sind, Chemikalien, die nicht ausschließlich für kosmetische Zwecke zugelassen werden sollen, zum Beispiel Inhaltsstoffe von Reinigungsmitteln, in Tierversuchen aber geprüft werden dürfen. Die Lösung des Problems kann nur darin bestehen, Tierversuche – wohlgemerkt: ohne Hintertürchen – sofort auf das Notwendigste zu beschränken, in Zukunft gänzlich auf sie zu verzichten und sie durch Alternativmethoden zu ersetzen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der aktuelle Tierschutzbericht der Bundesregierung macht deutlich, dass für einen wirksamen Tierschutz noch einiges zu tun ist. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Ute Vogt das Wort. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]) Ute Vogt (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von Mahatma Gandhi stammt der Satz – ich zitiere, Herr Präsident –: Die Größe einer Nation und ihr moralischer Fortschritt können danach beurteilt werden, wie sie ihre Tiere behandelt. Ich denke, es ist ein gutes Zeichen, dass wir dieses Thema heute Morgen in der Kernzeit behandeln; denn die zivilisatorische Größe einer Gesellschaft zeigt sich in der Tat auch im Umgang mit den Tieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der vorliegende Bericht – das habe ich erfreut gehört, auch vom Minister – ist lediglich eine Zwischenbilanz. Noch mehr hat mich gefreut, zu hören, dass auch unser Minister den Bericht als Auftrag sieht, bei diesem Thema nicht nachzulassen. Es hat sich bereits einiges getan. Wir haben zu Recht gefeiert, als wir 2002 das Grundgesetz geändert und das Staatsziel Tierschutz im Grundgesetz verankert haben. Hier gilt aber, was der langjährige Vorsitzende der Tierschutzkommission beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Professor Hartung, zu diesem Staatsziel gesagt hat: Es hilft aber nicht in der täglichen Praxis. Automatisch geht es dadurch keinem Tier besser. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es braucht uns als Gesetzgeber des Bundes, es braucht das Ministerium als Verordnungsgeber für den Vollzug und für die wirksame Überwachung; aber auch eine stärkere und intensivere Bearbeitung des Themas in den einzelnen Bundesländern ist notwendig. (Beifall bei der SPD) Die Novellierung des Tierschutzgesetzes in der letzten Legislaturperiode war sicher ein erster Schritt in die Richtung, unser Staatsziel Tierschutz besser umzusetzen. Aber mit diesem Schritt sind wir damals leider hinter unseren Möglichkeiten geblieben, vor allem auch hinter dem, was im Sinne der Tiere notwendig gewesen wäre. Wir haben deshalb, als wir unseren Koalitionsvertrag geschlossen haben, im Bereich des Tierschutzes ausdrücklich weitere Maßnahmen vereinbart. Die Kollegin Karin Thissen wird später zum Bereich Landwirtschaft ein paar Ausführungen machen. Ich will mich auf die anderen Bereiche konzentrieren. Wir haben die erste Hälfte der Legislaturperiode dafür genutzt, uns wirklich gründlich vorzubereiten. Jetzt behandeln wir Themen wie das Verbot von Pelztierfarmen, die Haltung, aber auch den Handel von Wildtieren sowie die Fragen: „Wie gehen wir in der Zukunft mit Tierbörsen um?“ und „Wie verhindern wir zum Beispiel Qualzuchten?“. All das wird zurzeit bearbeitet. An diesen Themen sitzen wir gemeinsam und verhandeln darüber. Ich wünsche mir, dass wir Anfang des nächsten Jahres zu diesen Punkten zügig zu gemeinsamen Beschlüssen kommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es liegt noch einiges vor uns. Der Kompetenzkreis Tierwohl hat bereits Ergebnisse vorgelegt, die wir umsetzen müssen. Ich nenne hier auch das Gutachten des wissenschaftlichen Beirates für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Auch dessen Erkenntnisse harren der Umsetzung. Gleiches gilt für das Thema Tierheime, zu dem wir im Koalitionsvertrag ausdrücklich vereinbart haben, uns darum zu kümmern. Dabei erwarte ich, dass auch der Städte- und Gemeindetag seine Verantwortung wahrnimmt und das Gespräch zu diesem Thema nicht länger verweigert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ein Punkt könnte sein, dass wir zum Beispiel den Tierheimen dadurch helfen, dass wir eine Registrierungspflicht für Haustiere einführen, sodass jeder, der sich einen Hund oder eine Katze zulegt, sein Tier registrieren lassen muss. Das würde vielen helfen, weil damit ein hoher Anteil der Kosten von den Verursachern getragen würde und nicht alleine bei den Kommunen läge oder, wie es im Moment hauptsächlich der Fall ist, bei den Tierheimen und ihren Betreibern. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]) Es gibt jede Menge Punkte, die wir angehen können. Es ist verdienstvoll, dass die Regierung dem Thema Tierschutz in dieser Legislaturperiode mehr Bedeutung hat zukommen lassen, als das noch in der letzten Legislaturperiode der Fall war. Aber ich muss auch sagen: Im Wesentlichen haben wir die ersten beiden Jahre genutzt, um Kommissionen einzurichten, um Workshops durchzuführen, um Gutachten in Auftrag zu geben und um freiwillige Vereinbarungen zu treffen. All das sind wichtige und richtige Initiativen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, aktiver Tierschutz braucht Tatkraft und braucht auch konkrete Entscheidungen. Er braucht vor allem manchmal Entscheidungen, die dem einen oder anderen wehtun und mit denen man auch einmal jemandem auf die Füße treten muss. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber nicht dem Tier!) Wir in der SPD möchten gerne diese gute Vorarbeit der ersten beiden Jahre zusammen mit unserem Koalitionspartner nutzen, um jetzt im zweiten Teil der Legislaturperiode ein paar konkrete Entscheidungen zu treffen. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Das wird nicht gehen, ohne das Tierschutzgesetz anzupassen. Ich weiß, aufgrund von Erfahrungen aus der letzten Legislaturperiode haben viele von Ihnen Sorgen, das zu machen. Aber wir müssen da noch einmal ran, wenn wir im Sinne der Tiere etwas grundsätzlich verbessern wollen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es geht darum, das Tierschutzgesetz zu novellieren, um uns weiter an den Bedürfnissen der Tiere zu orientieren. Ich sage Ihnen: Wenn Sie heute das Thema in der Bevölkerung diskutieren, dann stellen Sie fest: Das Thema hat inzwischen nicht nur im Deutschen Bundestag einen höheren Stellenwert als in früheren Jahren, sondern es hat vor allem auch bei den Bürgerinnen und Bürgern einen sehr hohen Stellenwert. Dieser Tatsache müssen wir gerecht werden. In diesem Sinne haben wir viel vorgearbeitet. Die Ergebnisse haben wir Ihnen zum großen Teil schon zugeleitet. Wir sind mitten in der Diskussion. Wie gesagt: Nach zwei Jahren gründlichster Vorbereitung folgen jetzt zwei Jahre der Tatkraft im Sinne der Tiere und – am Ende dieser Legislaturperiode – ein novelliertes Tierschutzgesetz. Das ist ein gutes Ziel für unsere Koalition. Dann könnte der nächste Tierschutzbericht aufgrund erfolgreicher Arbeit noch euphorischer sein, als der heutige Bericht es ist. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Kollegin Maisch ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister! Ich finde es schon erstaunlich, dass Sie so stolz auf diesen Bericht sind, dass Sie ihn heute Morgen zur besten Debattenzeit hier der Öffentlichkeit präsentieren wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Freuen Sie sich doch!) Dieser Bericht zeigt auf über 100 Seiten, dass die Große Koalition für den Tierschutz so gut wie nichts erreicht hat. (Widerspruch bei der CDU/CSU) Kollegin Vogt, bei allem Respekt: Euphorie über das, was Sie bisher getan haben, sprühte weder aus Ihrem Redebeitrag noch aus den Worten des Ministers. Ich würde sagen, da ist noch deutlich Luft nach oben, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schauen wir uns den Bericht daraufhin an, welches Gesetz und welche Verordnung auf Ihre Initiative hin erlassen wurden. Sie haben zu den drängenden Problemen im Tierschutz nicht einmal einen Zeitplan. Wir haben eine Kleine Anfrage gestellt und gefragt: Wann wollen Sie endlich eine Nutztierhaltungsverordnung für die Milchkühe, für die Puten, für das Wassergeflügel machen? Wir haben keine Antwort bekommen. Es gibt nicht einmal einen Zeitplan. Ich finde, diese Koalition zeigt sehr deutlich, dass sie nicht viel für den Schutz der Tiere tun will. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich finde es ganz interessant, dass vonseiten der SPD schon wieder gesagt wird: Wir wollen das Tierschutzgesetz anpacken. – Das finde ich super. Der Minister hat gestern in der Presse gesagt: Auf keinen Fall werden wir das Tierschutzgesetz anpacken, weil dann die ganzen nervigen Tierschützer alle möglichen Änderungsvorschläge haben, die uns stören und uns in unserer Behäbigkeit beim Regieren hindern. – Von daher finde ich es interessant, die Auseinandersetzung zwischen Ihnen anzuschauen. Ja, das Tierschutzgesetz wollen Sie nicht anpacken. Sie haben angekündigt, Sie wollen etwas gegen die Schlachtung trächtiger Kühe und für den Schutz der Pelztiere tun. Das ist durchaus ehrenwert, aber schauen wir uns an, wie Sie das umsetzen wollen. Sie wollen ein Gesetz nutzen, das eigentlich dafür da ist, Robbenprodukte und chinesisches Hundefell vom deutschen Markt fernzuhalten, weil Sie so große Angst davor haben, dass dann, wenn man an das Tierschutzgesetz herangeht, noch alle möglichen anderen Wünsche der Tierschützer aufs Tapet kommen. Ja, wenn wir das Tierschutzgesetz anpacken, dann müssen wir noch über alle möglichen anderen Dinge reden. Bei trächtigen Kühen und bei den Pelzen sind wir uns vielleicht schnell einig, aber was ist mit den Tierversuchen? Warum haben die Behörden kaum die Möglichkeit, wirklich zwischen Tierschutz und Forschungsinteresse abzuwägen? Herr Schmidt, es ist ja nicht richtig, was Sie gesagt haben. Sie haben hier von diesem Pult aus wörtlich gesagt: „Dem Tierschutz kommt bei jeder Abwägung Gewicht zu.“ Bei den Tierversuchen ist genau das nicht der Fall, und das ist Ihre Schuld, weil Sie das Tierschutzgesetz in der letzten Legislatur im Bereich der Tierversuche einfach nur verhunzt haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie wirklich etwas für die Versuchstiere tun wollen, dann hinterfragen Sie doch einmal die internen Abläufe in der Milliardenverteilungsmaschine Deutsche Forschungsgemeinschaft. Setzen Sie sich kritisch mit Ihrer Kollegin, der Forschungsministerin, auseinander. Aber dann müssten Sie auch einmal einen Konflikt innerhalb der Koalition und innerhalb des Kabinetts aushalten, und das ist im Tierschutz bisher wirklich nicht Ihr Ding gewesen. Eine Koalition, die sich nicht einmal traut, beim Tierschutz ihren eigenen Koalitionsvertrag umzusetzen, die sollte wirklich nicht die Backen aufblasen. Sie haben im Koalitionsvertrag versprochen, gewerbliche Tierbörsen für exotische Tiere zu untersagen. Das machen Sie aber nicht. Die Kollegin Menz hat es gesagt: Es gibt jetzt noch einmal ein Forschungsprojekt. – Schlauerweise läuft dieses bis kurz vor der Bundestagswahl. So kann man die Resultate, die dabei herauskommen, nicht mehr umsetzen. Ich finde, das ist sehr hart an der Grenze zur Arbeitsverweigerung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie erkennen die Probleme selbst und benennen sie im Tierschutzbericht. Schauen wir uns die Zirkustiere an. Die Haltung von Wildtieren im Zirkus ist Tierquälerei. Elefanten, Bären, Giraffen, Tiger und sogar ein Flusspferd werden in deutschen Wanderzirkussen herumgekarrt. Wenn man hier von „leuchtenden Kinderaugen“ spricht, wie der Kollege Stier es gern im Ausschuss tut, dann muss ich sagen: Da hat man beim Thema Artenschutz im Biologieunterricht etwas grundsätzlich falsch verstanden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich erwarte von Ihnen, dass Sie dann, wenn Sie hier Schweitzer, Ghandi und alle möglichen Größen aus dem Bereich des Tierschutzes zitieren, endlich verbieten, dass Giraffen, Tiger, Flusspferde und Bären in Wanderzirkussen gequält werden. Wenn Sie das in dieser Legislaturperiode nicht hinkriegen, dann können Sie sich das ganze Gerede zu Ethik und die ganzen Zitate sparen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!) Es sind nicht nur die Wildtiere, bei denen Sie versagen. In Ihrem Bericht loben Sie sich dafür, dass es jetzt einen Tierschutzpreis im Reitsport gibt. Das finden wir super, das soll man machen; (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Donnerwetter! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hammer!) aber ich finde: Ein Tierschutzpreis im Reitsport ist gut und schön. Solange es in Deutschland aber legal Verbrennungen dritten Grades auf den Pferdehintern geben kann, (Beifall der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]) so lange braucht man nicht über Tierschutz im Pferde­sport zu sprechen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU) Der Schenkelbrand wird im Jahr 2015 betäubungslos ausgeführt und ist weiterhin legal. Das kann nicht Ihr Ernst sein. Das ist keine zivilisatorische Größe. Das ist anachronistisch. Das ist widersinnig, und das muss man beenden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das bleibt auch so!) – Herr Kauder sagt gerade: Das bleibt auch so. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein! Ich habe das nicht gesagt! Falsch zugeordnet!) – Dann habe ich mich vertan. Aber es war doch die CDU/CSU – Ursula von der Leyen, Dieter Stier –, die sich bis aufs Blut für den Schenkelbrand eingesetzt haben. Ilse Aigner hatte in ihrem Entwurf schon vorgesehen, dass diese anachronistische, brutale Methode verboten werden soll. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie haben doch verhindert, dass das endlich beendet wird. Es ist immer noch legal, sogar ohne Betäubung. Das ist absurd, und das muss ein Ende haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin. Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber ich will den Worten des Ministers folgen, der gesagt hat, wir sollen nicht immer nur im Zorn zurückblicken. Das ist richtig. Man muss nach vorne schauen. Man muss es besser machen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Vor allen Dingen muss man zum Ende kommen, Frau Kollegin. Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das sehe ich durchaus. Deshalb komme ich zum Schluss. – Wir sind nicht nur wütend; wir haben Ihnen auch konstruktive Vorschläge gemacht. Unser Antrag liegt vor. Stimmen Sie ihm zu! Nehmen Sie die Forderungen ernst! Dann fällt der nächste Tierschutzbericht auch nicht mehr so peinlich aus. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun erhält der Kollege Dieter Stier das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dieter Stier (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Bevor ich beginne, will ich eine Besuchergruppe aus einem Polizeirevier in meinem Heimatbundesland persönlich begrüßen und mich schon jetzt entschuldigen, dass ich aufgrund dieser aktuellen Debatte ein paar Minuten später zu der Diskussion dazustoßen werde. Liebe Frau Kollegin Maisch, es fällt mir schwer, nach Ihrem Beitrag wieder zur Sachlichkeit zurückzukehren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glaube ich! – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür bist du ja bekannt!) Ich will das gleichwohl tun. Ihre Aggressivität beim Thema Tierschutz erschreckt mich. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Leidenschaft!) Meine Damen und Herren, die Art und Weise der Haltung unserer Tiere, ob im Nutztierbereich oder im Heimtierbereich, findet in unserer Gesellschaft eine immer größere Beachtung. Das ist richtig und gut. Der Tierschutz ist deshalb mittlerweile auch als Staatsziel in unserem Grundgesetz verankert. Wer sich in unserem Land einen aktuellen und vor allem auch fundierten Überblick über den Tierschutz verschaffen will, der kommt am Tierschutzbericht unserer Bundesregierung, der im Übrigen nach einem Beschluss des Deutschen Bundestages alle vier Jahre vorzulegen ist, nicht vorbei. Dies war ein guter Beschluss unserer Vorgängerregierung. Der von der Bundesregierung vorgelegte Bericht analysiert den Istzustand. Er ist aber auch ein Indikator für erreichte Verbesserungen im Tierschutz, und ich meine, diese erreichten Verbesserungen können sich sehen lassen! Zunächst einmal möchte aber auch ich mich bei den Fraktionsvorständen und -geschäftsführungen bedanken, dass wir heute diesem Thema ein angemessenes Forum bieten und es im Plenum zur Kernzeit debattieren können. Das macht deutlich, welche hohe gesellschaftspolitische Bedeutung wir diesem Thema fraktionsübergreifend einräumen. Dafür bedanke ich mich. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Um es gleich vorwegzunehmen: Der Tierschutzbericht 2015, der heute auf der Tagesordnung steht, ist ein Erfolgsbericht sowohl der schwarz-gelben als auch der Großen Koalition unter Führung von CDU und CSU. (Lachen bei Abgeordneten der SPD) Er bestätigt den richtigen Kurs der Bundesregierung, und er belegt an konkreten Beispielen unsere Fortschritte in der Tierschutzpolitik. Allein am Umfang des Berichtes kann man erkennen, wie intensiv sich diese Bundesregierung mit dem Thema auseinandersetzt. Der letzte Bericht 2011 umfasste 52 Seiten. Der neue Bericht beleuchtet das Thema auf 128 Seiten, immerhin mehr als das Doppelte. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Quantität statt Qualität! – Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben bestimmt die Schriftgröße verändert!) Für diese intensive Arbeit möchte ich heute der Bundesregierung danken. Sie ist in erster Linie auf Ihren engagierten Einsatz zurückzuführen, sehr geehrter Herr Bundesminister Schmidt; aber auch mit den Staatssekretären und den Mitarbeitern des Hauses gibt es hier eine gute Zusammenarbeit. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!) Aus Ihrem Bericht wird deutlich, dass Sie bestrebt sind, das in der vergangenen Legislaturperiode Begonnene weiterzuentwickeln und darüber hinaus mit der Tierwohl-Initiative eigene und neue Maßstäbe im Tierschutz zu setzen, die richtungsweisend für unsere Zukunft sind. Für dieses Voranschreiten in der Sache danke ich Ihnen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, den Tierschutz stärken: Das ist ein Leitsatz, dem wir uns bereits in der letzten Legislaturperiode mit beachtlichen Ergebnissen gestellt haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Im Tierschutzbericht sind nun die positiven Auswirkungen aufgeführt. Er macht anschaulich, warum wir im europäischen und internationalen Vergleich mit den höchsten Tierschutzstandards aufwarten können. (Beifall bei der CDU/CSU) Den entscheidenden Schritt nach vorn haben wir mit dem gerade erst novellierten Tierschutzgesetz getan. Eine Überarbeitung sollte man allerdings nicht jährlich vornehmen. Selbstverständlich sind wir auch untergesetzlich auf dem Verordnungsweg tätig geworden; denn zahlreiche Tierschutzdebatten in der Öffentlichkeit haben die Verbraucherinnen und Verbraucher in unserem Land weiter sensibilisiert. Ihre Bedenken nehmen wir bei der Überarbeitung der tierschutzrelevanten Vorschriften ernst und haben den unterschiedlichsten Forderungen, die an uns herangetragen wurden, Rechnung getragen, jedoch immer mit dem Blick aufs Ganze. Nicht nur einen Teilbereich, sondern die komplette Spannweite von der Nutztierhaltung über den Heimtierbereich bis zu den Versuchstieren haben wir einer gründlichen tierschutzfachlichen Überprüfung und Verbesserung unterzogen. Ich will Ihnen beispielhaft an den nachstehenden vier Punkten zur Nutztierhaltung zeigen, wie unsere aktive Tierschutzpolitik aussieht. Mit Beginn des Jahres 2019 gilt das Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration, das wir im Tierschutzgesetz festgeschrieben haben. Zum Schutz von Tieren bei Schlachtungen haben wir mit der Tierschutz-Schlachtverordnung strengere Regelungen und Vorschriften eingeführt, die sogar über unionsrechtliche Regelungen hinausgehen. In der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung haben wir die Anforderungen an die Betreuung, Pflege und Haltung von Kaninchen, die zu Erwerbszwecken gehalten werden, verschärft. Das Säugetiergutachten will ich kurz erwähnen. Auch das ist eine wesentliche Entscheidungshilfe bei der Umsetzung tierschutzrechtlicher Vorgaben. Das sind nur einige Beispiele. Die Versuchstiere wurden bereits erwähnt. Noch nie wurde in so kurzer Zeit so viel für die Verbesserung des Tierwohls getan wie in den letzten vier Jahren. Doch dabei werden wir es nicht belassen. Die Tierwohl-Initiative unseres Bundesministers wurde bereits angesprochen. Konzeptionell umfassend, weist sie den Weg über die bisherigen Standards hinaus. Über die Einzelheiten haben wir hier schon oft diskutiert. Ich rufe Ihnen gerne noch einmal einige Schwerpunkte in Erinnerung. Beginnen will ich mit einem ganz grundlegenden Punkt: der Sachkunde der Tierhalter. Tierschutzgerechtes Handeln setzt Sachkenntnis voraus. Wir werden von Personen, die beruflich mit Nutz-, Zoo- und Heimtieren umgehen, künftig höhere Kenntnisse verlangen. Um neue Tierschutzkenntnisse einzubringen, muss natürlich geforscht werden. Deshalb wird auch die Tierwohlforschung gestärkt. Wir haben gerade erst in der vergangenen Woche über die Haushaltszahlen debattiert. Ich denke, sie sind Ihnen allen noch in guter Erinnerung. Große Bedeutung kommt der weiteren Begrenzung der Anzahl von Tierversuchen zu. Hier haben wir schon einen entscheidenden Schritt getan. Das Bundesinstitut für Risikobewertung ist hier Vorreiter mit seiner Zen­tralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch, die wir zum Nationalen Kompetenzzentrum ausgebaut haben. Viele von Ihnen waren kürzlich bei der Eröffnung dabei. Nicht zuletzt werden wir bei der Schlachtung von Tieren die Tierschutzmaßnahmen erweitern, indem wir – der Minister hat das bereits angesprochen – die Schlachtung hochträchtiger Rinder in den Fokus stellen, damit es eine solche Schlachtung künftig möglichst nicht mehr geben wird. Ja, zur Verwirklichung haben wir das Prinzip der verbindlichen Freiwilligkeit gewählt. Wir erarbeiten gemeinsam mit den landwirtschaftlichen Betrieben praxistaugliche Lösungen. Miteinander statt gegeneinander, Frau Maisch, das ist die Devise, die wir hier vertreten. (Beifall bei der CDU/CSU – Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind halt nicht einer Meinung! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Sie verweigern das ja!) Nur dieser Ansatz schafft das notwendige Vertrauen, um tatsächlich bleibende Erfolge zu erzielen; darauf kommt es an. Die ersten Maßnahmen der Tierwohl-Initiative greifen. Nehmen wir nur die nicht kurativen Eingriffe. Bereits jetzt, kurz nach dem ersten Jahrestag der Tierwohl-Initiative, liegt die fertige Vereinbarung mit der deutschen Geflügelwirtschaft zum Beenden des Schnabelkürzens vor. Die Geflügel-Charta ist der Beweis dafür, dass der eingeschlagene Weg richtig ist, und das verbindlich und freiwillig durch Selbstverpflichtung einer ganzen Branche. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Da klatschen nicht einmal die eigenen Leute!) Wir erarbeiten bundeseinheitliche Prüf- und Zulassungsverfahren; diese stehen in den Startlöchern. Ich will zudem daran erinnern, dass wir im Kompetenzkreis „Tierwohl“ weiterhin diskutieren. Wir alle sind uns einig: Nichts ist so gut, das man es nicht noch besser machen kann. Aber Tierwohl kostet auch Geld. Das ist schon angesprochen worden. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Also lassen wir es sein!) Lassen Sie mich zum Abschluss, gerade auch im Hinblick auf die Adventszeit und auf das bevorstehende Weihnachtsfest, auf ein stets wiederkehrendes Tierschutzthema hinweisen. Tiere sind nicht die besten Geschenke unter dem Weihnachtsbaum. (Beifall bei der CDU/CSU – Petra Crone [SPD]: Als Weihnachtsbraten?) Oft wiederholt sich hier die Unvernunft für kurzes Glück mit bösen Folgen. In vielen Fällen bereits unmittelbar nach Neujahr, wenn das Interesse erloschen ist und das Tier zur Belastung geworden ist, landen viele Tiere in überfüllten Tierheimen, oder sie finden sich auf dem Autobahnparkplatz wieder. Hier sollte sich jeder selbst fragen: Bin ich – oder ist mein Kind – über Silvester hinaus bereit, Verantwortung für ein Haustier zu tragen, bevor ich nach staatlicher Finanzierung für Tierheime rufe? (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Hier möchte ich Ihnen einen Rat geben. Es möge sich bitte jeder bei seiner ganz individuellen Kaufentscheidung die Folgen aus Sicht des Tieres vor Augen halten. Ich denke, damit wäre dem Tierschutz in unserem Land auch durch einen ganz persönlichen Beitrag am meisten gedient. Wir wollen an diesem Ziel gemeinsam und miteinander weiterarbeiten und bieten Ihnen dies an. Ich wünsche Ihnen in diesem Sinne eine schöne Adventszeit. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Kirsten Tackmann für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele Jahre ging es beim Tierschutz um fraktionsübergreifende Konsenssuche. Aber unterdessen stellt die Union lieber Pappkameraden auf und blockiert Lösungen. 2013 hat Kollege Stier selbst das Verbot des Schenkelbrands bei Pferden in letzter Minute wieder verhindert. Davon war schon die Rede. (Widerspruch bei der CDU/CSU) Damit – ich erkläre das noch einmal – darf Pferden quasi ein Lobbyistensymbol in die Haut gebrannt werden. Ich finde, das ist frühes Mittelalter und gehört endlich beendet. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Oh Mann!) Minister Schmidt fällt vor allen Dingen durch sprachliche Kreativität auf. Seine Tierschutzinitiative heißt „Eine Frage der Haltung“. Auch das Prinzip der „verbindlichen Freiwilligkeit“ hat er erfunden. Sprachlich ist das zwar hohe Dialektik, zugegeben, aber leider heißt das Prinzip übersetzt: verbindliches Nichtregieren. – Deshalb ist der Tierschutzbericht voll von Absichtserklärungen. Gebraucht wird aber eine wahre Erfolgsgeschichte. (Beifall bei der LINKEN) Ein Lob habe ich aber trotzdem. Erstmalig enthält der Tierschutzbericht alle Anfragen der Abgeordneten. Die sieben Seiten zeigen: Das Parlament hat seine Hausaufgaben gemacht. Zugegeben, es gibt auch Fortschritte in der Sache, aber eher trotz der Union, nicht wegen ihr, obwohl ich dem Minister selbst überhaupt nicht den guten Willen absprechen möchte. Nach längerem Anlauf ist er im Herbst 2014 sogar richtig furios gestartet. Nur, seitdem gibt es nichts Zählbares, trotz eines unüberhörbaren Weckrufes im März. Das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik beim Ministerium war ein richtiger Paukenschlag. Es diagnostiziert – ich zitiere –: … erhebliche Defizite vor allem im Bereich Tierschutz, aber auch im Umweltschutz. Es hält – ich zitiere weiter –: … die derzeitigen Haltungsbedingungen eines Großteils der Nutztiere für nicht zukunftsfähig … Das Gutachten kritisiert aber nicht nur, es zeigt auch Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung auf. Es nimmt nicht nur die Tierhaltungsbetriebe in die Pflicht, sondern alle – vom Stall und der Weide bis hin zur Theke im Supermarkt. Ich finde das richtig und wichtig. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Ute Vogt [SPD]) Auch die Mehrkosten werden geschätzt. Für einen Großteil der Tierhaltung wären das 13 bis 23 Prozent, insgesamt 3 Milliarden Euro bis 5 Milliarden Euro jährlich. Ja, das ist viel Geld, aber selbst wenn man das direkt auf die Verbraucherpreise umlegen würde, wären das nur 3 bis 6 Prozent. Ich glaube, dass das vielen der Tierschutz wert wäre. Aber als Linke sage ich genauso deutlich: Würden Supermärkte auf etwas Gewinn verzichten, könnte man selbst diese Erhöhung vermeiden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das Gutachten überhaupt nicht zu erwähnen, Herr Minister, empfinde ich als eine absolute Respektlosigkeit gegenüber den Autorinnen und Autoren. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Als Linke geht es mir beim Tierschutz aber nicht nur um moralische Appelle, die durch Wohlfahrt finanziert werden; Tierschutz steht schließlich in der Verfassung. Aber stellen wir uns doch einmal die Frage, warum Küken geschreddert, Ferkeln die Schwänze oder Geflügel die Schnäbel kupiert werden, warum Kühe ganzjährig im Stall gehalten werden, trächtig geschlachtet werden oder Schlachttiere über Hunderte oder Tausende Kilometer transportiert werden. Die Antwort ist meistens: Etwas anderes rechnet sich nicht. „Billig“ ist eben das völlig falsche Prinzip in der EU-Agrarpolitik. (Beifall bei der LINKEN) Wer profitiert davon? Die übermächtigen Chefetagen der Handelskonzerne, der Schlachthöfe und der Molkereien. Deshalb, Herr Minister Schmidt: Tierschutz ist eine Machtfrage. Halten Sie endlich einmal dagegen, statt sich mit Almosen abspeisen zu lassen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nein, ich sage nicht, dass damit alle Probleme gelöst wären. Als Tierärztin weiß ich, dass es oft so ist, dass die Umsetzung eines Vorschlages zwar ein Problem löst, aber gleichzeitig neue schafft. Kenntnislücken als Ausreden zu missbrauchen, muss endlich aufhören. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!) Vor Jahren hat die Deutsche Agrarforschungsallianz bereits eine lange Liste mit offenen Fragen vorgelegt. Die Linke hat immer wieder das nötige Geld beantragt. Wir wären wesentlich weiter, wenn Sie endlich einmal auf uns hören würden. (Beifall bei der LINKEN) Der Klimagipfel in Paris stellt uns übrigens noch eine weitere Frage: Nicht, wie viele Tiere können, sondern, wie viele Tiere müssten gehalten werden. Die Klima­bilanz der Tierhaltung wird zwar aus meiner Sicht oft zu schlecht bewertet, weil CO2-senkende Effekte durch die Nutzung von Grünland nicht bedacht werden. Mir geht es beim Fleischkonsum aber gar nicht um Totalverzicht, sondern um das Maßhalten. Weniger Fleisch tut gut, der Gesundheit, dem Klima und dem Tierwohl. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Übrigens ist auch eine geringere Lebensmittelverschwendung aktiver Tier- und Klimaschutz. Ja, beim Tierschutz werden ein breiter Konsens und Verlässlichkeit gebraucht. Eine Enquete-Kommission wäre genau das richtige Instrument dafür. Der Wissenschaftliche Beirat hatte das vorgeschlagen. Die Linke reicht Ihnen noch einmal die Hand dazu. Ich hoffe, dass Sie durch diese Tür hindurchgehen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort nun der Kollegin Elfi Scho-Antwerpes für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Elfi Scho-Antwerpes (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Bildungspolitikerin meiner Fraktion, aber auch, weil es mir ganz persönlich ein Dorn im Auge ist, möchte ich die Debatte um einen wesentlichen Punkt erweitern. Wir müssen über Tierversuche sprechen, und zwar nicht nur heute, sondern dauerhaft, und das mit erhöhtem Tempo, um die Themen voranzubringen. (Beifall bei der SPD) Es ist mir bei diesem Thema völlig egal, ob wir von Primaten, Mäusen oder Kopffüßern sprechen: (Volker Kauder [CDU/CSU]: Oder von Regenwürmern!) Tierversuche muten im Jahr 2015 – die Kollegin Maisch hat es eben schon gesagt – anachronistisch an. Wir müssen dafür sorgen, dass wir möglichst schnell komplett auf Tierversuche verzichten können. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Jawohl!) Medaillen, meine lieben Kollegen und Kolleginnen, haben bekanntermaßen zwei Seiten. Dass Tierversuche ein abzulehnendes Übel sind, ist die eine Seite. Dass sie ein notwendiges Übel sind, ist die andere Seite. Im Kampf gegen Krankheiten, wie zum Beispiel Aids, Krebs oder Alzheimer, sind wir nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft auf ebensolche Tierversuche angewiesen. Bei der Entwicklung von sicheren und hochwertigen Medikamenten für die Humanmedizin und auch für die Tiermedizin sind wir auf Tierversuche angewiesen. Alles andere wäre verlogen. Die Zielsetzung lautet: grundsätzlicher Verzicht auf Tierversuche, und zwar schnellstmöglich. Das erreichen wir natürlich nicht durch plakative Parolen oder Verbote. Der Wille zu einer konsequenten Weiterentwicklung von alternativen Forschungsmethoden wird das Bestreben erleichtern, das Leiden der Tiere zu begrenzen, die Zahl der Tierversuche zu vermindern und am Ende völlig auf Tierversuche zu verzichten. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Richtig!) Im aktuellen Tierschutzbericht ist nachzulesen, dass die Zahl der Tierversuche abgenommen hat. Wir sprechen für das Jahr 2014 von 2,8 Millionen Tierversuchen. Verglichen mit dem Vorjahr sind das rund 200 000 weniger. Das ist ein Erfolg, zumal die Zahlen in den Jahren davor grundsätzlich steigend waren. Es ist gleichwohl ein Erfolg, auf dem wir uns keineswegs ausruhen dürfen. (Beifall bei der SPD) Wir müssen diese Entwicklung erstens verstetigen und zweitens beschleunigen. Den Anstoß für diese positive Entwicklung hat eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates aus dem Jahr 2010 gegeben, die in der Bundesrepublik über die Änderung des Tierschutzgesetzes im Jahr 2013 und den Erlass der Tierschutz-Versuchstierverordnung im selben Jahr umgesetzt wurde. Damit sind im deutschen Tierschutzgesetz wesentliche und grundsätzliche Regelungen zu Versuchstieren enthalten. Die Verordnung geht detaillierter auf die Haltung von Versuchstieren und auf die Durchführung, Genehmigung und Anzeige von Tierversuchen ein. Übergeordnetes Ziel ist auch bei der EU-Richtlinie, die Zahl der Tierversuche zu vermindern, Tierversuche zu vermeiden und sie dort, wo sie noch nicht zu vermeiden sind, zu verbessern, um das Leiden der Tiere zu senken. Dahinter steht das sogenannte 3R-Prinzip, das in Europa konsequent angewendet werden soll: Replacement, Reduction, Refinement; will sagen: Vermeidung, Verminderung, Verbesserung. Das ist natürlich keine neue Erfindung. Erdacht wurde das 3R-Prinzip bereits – man höre und staune! – 1959 durch zwei britische Wissenschaftler, die sich für humanere Forschungsmethoden eingesetzt haben. Durch die Novellierung des Tierschutzgesetzes ist das 3R-Prinzip in deutsches Recht umgesetzt worden. Das heißt im Einzelfall: Wissenschaftliche Arbeiter und Arbeiterinnen, die einen Tierversuch beantragen, müssen gegenüber den jeweiligen Landesbehörden drei Kernfragen wissenschaftlich beantworten: Erstens. Gibt es für den geplanten Versuch keine alternativen Methoden? Zweitens. Ist die Anzahl der Versuchstiere auf das Minimum reduziert? Drittens. Sind die Belastungen der Tiere so gering wie möglich? Hat der Tierversuch dann stattgefunden, ist es am zuständigen Bundesinstitut für Risikobewertung, eine allgemeinverständliche Zusammenfassung anzufertigen und dann zu veröffentlichen. Auch das ist eine Folge des novellierten Tierschutzgesetzes und ein wichtiger Beitrag zur Transparenz hinter den Tierversuchen. Durch die Bundesgesetzgebung fördern wir also die Transparenz und hinterfragen den Sinn von Tierversuchen – und das ist gut so, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Einen wichtigen Beitrag zum Abbau von Tierversuchen leistet die Erforschung von Alternativmethoden. Im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, dass die zuständige Zentralstelle, ZEBET, ausgebaut und erweitert wird. Zum 25. September dieses Jahres ist das bereits geschehen. Das neugeschaffene Deutsche Zentrum zum Schutz von Versuchstieren wird mit zusätzlichen Stellen die Forschung an Alternativen intensivieren, entsprechende Beratung anbieten und weltweit die Anstrengungen in diesem Bereich begleiten. Das ist ein Ausbau, der uns weiterbringt und ein sozialdemokratisches Anliegen war. (Beifall bei der SPD) ZEBET leistet übrigens seit 1989 ganz hervorragende Arbeit: Erfolgreich waren die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen dort unter anderem bei der Entwicklung von Alternativmethoden zur Toxizität an der Haut und am Auge und bei der Forschung, die Versuche an trächtigen Tieren obsolet macht. Die entwickelten Verfahren sind sinnvoll. Sie sind sowohl bei der EU als auch bei der OECD als Prüfmethoden offiziell verankert und international anerkannt. Mit dem Ausbau von ZEBET verfolgen wir mit noch mehr Tatkraft den richtigen Weg, der aber noch Beschleunigung vertragen kann. Entsprechende Forschung gibt es natürlich auch darüber hinaus. Das Bundesministerium lobt seit 1980 einen Tierschutzforschungspreis aus, der für die Entwicklung wissenschaftlicher Alternativmethoden zu Tierversuchen vergeben wird. Preisträger dieses Jahres ist Herr Professor Dr. Leist, der mit seinem Team an der Universität Konstanz forscht. Die prämierte Arbeit befasst sich mit der Frage, wie mithilfe von In-vitro-Zellkulturen die tradierten pharmakologischen Anwendungen an Primaten und Nagern zum Beispiel in der Hirnforschung ersetzt werden können. Ich möchte an dieser Stelle Herrn Professor Dr. Leist und seiner Arbeitsgruppe auch hier im Hohen Hause sehr herzlich danken und ebenso gratulieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, „der Gerechte kümmert sich um das Wohlergehen seines Viehs, aber das Herz der Gottlosen ist grausam“, ist in der Bibel zu lesen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!) Wir kümmern uns. Der Tierschutzbericht 2015 verdeutlicht, dass die ergriffenen Maßnahmen funktionieren. Lassen Sie uns aber am Ball bleiben. Lassen Sie uns schnell spielen und diesen ersten kleinen Erfolg zu einem großen Erfolg ausbauen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Karamba Diaby [SPD]: Das ist sehr schön!) Dazu ist eine ehrliche Debatte erforderlich. Forschung und Wissenschaft sind zu komplex und zu wichtig, als dass wir die Situation nur mit schwarz und weiß beschreiben könnten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Forschung bedeutet auch, Zeit haben zu können, auch für die Forschung an Alternativmethoden. Grundlagenforschung und die Entwicklung von Medikamenten müssen höchsten qualitativen Anforderungen genügen. Wir dürfen kein Risiko eingehen. Wir müssen auch regelmäßig hinterfragen, wieweit das 3R-Prinzip in Deutschland greift und wie ehrlich wir zu uns selbst sind. Absichtserklärungen allein helfen keinem. Wir müssen den eingeschlagenen Weg konsequent und mit Tempo weitergehen. Dabei dürfen wir das Ziel nicht aus den Augen verlieren: Tierversuche gehören in Deutschland und in Europa so schnell wie möglich ins Gruselkabinett der Geschichte. Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Liebe Frau Kollegin, ich gratuliere Ihnen herzlich zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag. (Beifall) Ich weise vorsichtshalber darauf hin, dass der großzügige Zuschlag des Präsidiums zu der eigentlich verfügbaren Redezeit bei weiteren Reden nicht in Aussicht gestellt werden kann. (Heiterkeit – Elfi Scho-Antwerpes [SPD]: Ich war so in Schwung!) Im Übrigen: Sie hatten ja dieses erstaunliche Erlebnis jetzt zum ersten Mal. Wenn die Lampe am Rednerpult blinkt, ist keine Attacke zu erwarten, (Heiterkeit) sondern das ist eigentlich nur der Hinweis, dass die Redezeit mittlerweile abgelaufen ist. Nächster Redner ist der Kollege Friedrich Ostendorff für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Der spart die Zeit ein!) Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Schmidt, eine Frage der Haltung, so überschrieben Sie Ihre vielen Ankündigungen, Europameister in Sachen Tierwohl zu werden. Gemeinsam haben die Ankündigungen alle eines: Der Minister moderiert. Die Gestaltung hat er an die betroffene Wirtschaft abgegeben: freiwillige Verbindlichkeit, verbindliche Freiwilligkeit oder Wirtschaft mitnehmen, je nach Tagesform, so die Textbausteine. Tierschutz wird dadurch beliebig. Tierschutz braucht aber klare Regeln, meine Damen und Herren. Das ist die Aufgabe des Gesetzgebers, Herr Minister. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wo sind denn die Haltungsverordnungen für Milchkühe, für Puten, für Wassergeflügel? Wann hört das Zurechtschneiden der Tiere endlich auf? Wo bleibt die Strategie zum Ausstieg aus der betäubungslosen Ferkelkastration? Anstatt echte Strategien und echte Maßnahmen zu präsentieren, berufen Sie ständig neue Arbeitskreise ein, um die offensichtlichen Probleme zu zerreden. Immer dann, wenn ich nicht mehr weiter weiß, ... Das kennen wir ja. Einen nationalen Alleingang schließt der Minister beim Thema Tierschutz aus. Er trifft sich immer mal wieder zum unverbindlichen Kaffeetrinken mit Vertretern aus unseren Nachbarländern, anstatt die Willigen in Europa zusammenzubringen. Wir Grünen meinen, dass Sie von der Schweiz, von Schweden, von Österreich und von Norwegen durchaus noch lernen können, wenn Sie Tierwohleuropameister werden wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) 2015 scheint das Jahr der Wirtschaftsverbände im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft zu sein. Mittlerweile wurden bereits drei freiwillige Vereinbarungen geschlossen. Mithilfe des Ministeriums werden die Interessen der Wirtschaft direkt umgesetzt. Herr Minister, das Primat des Handelns liegt aber eindeutig bei Ihnen und nirgendwo sonst. Das kann nicht abgegeben werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Von CDU und CSU hören wir beim Tierschutz nur von Sehnsuchtsverirrungen, so will ich es einmal nennen, von anachronistischem Schenkelbrand bei Pferden und veganen Lederpeitschen. (Zurufe von der CDU/CSU: Ah!) Vielleicht sind diese Sehnsüchte aber auch nur die Sehnsüchte des Tierschutzsprechers. Im Tierschutzbericht wird die Initiative Tierwohl hoch gelobt. Das Ziel der Ini­tiative sei es, messbare Verbesserungen für das Tierwohl zu erreichen. Seltsam nur, dass Sie in der Antwort auf unsere Kleine Anfrage nichts Konkretes vorweisen konnten. Sie wollen zum Beispiel das Problem des Tötens der männlichen Eintagsküken lösen, indem Sie ein paar Milliönchen Euro in die Entwicklung der In-ovo-Geschlechtsbestimmung stecken. Sind wir denn hier in der Märchenstunde? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]) Alles geht weiter wie bisher, mit dem Unterschied, dass die männlichen Küken eben ein bisschen früher vernichtet werden und nur die allergrößten Brütereien dieses bezahlen können. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das geht nicht!) Wir Grünen sehen den Weg immer noch in der Zweinutzung der Hühner. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Dann werden sie auch geschlachtet!) Da wären wir schon beim Thema Zucht. Die Qualzucht sollte nach der Ankündigung des Hauses seit der letzten Novelle des Tierschutzgesetzes eingeschränkt werden. Geändert hat sich aber gar nichts. Beispielsweise finden wir immer noch – viel zu oft – extrem aggressive Sauen, die regelmäßig mehr Ferkel gebären, als die Sau Zitzen hat. Was ist das anderes als Qualzucht, Herr Minister? Schauen Sie sich das an. Das ist ein Problem. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Den Masterplan für eine zukunftsfähige Nutztierhaltung hat der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik – Ihr Beirat, Herr Minister – ausgearbeitet. Wir hören hier im Hause, dass selbst Volker Kauder – er wird es ja gleich bestätigen können – sich schon in dieses sehr umfängliche 460-Seiten-Werk eingearbeitet hat. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Die Ignoranz, mit der Sie, Herr Minister, versuchen, dieses Gutachten gänzlich unter den Tisch fallen zu lassen, ist skandalös. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mehr Tierschutz kostet Geld, eine Menge Geld. Bei den derzeitigen Erzeugerpreisen für Milch und Schweinefleisch verschärfen höhere Kosten natürlich die finanzielle Not. Helfen würde dabei zum Beispiel die Haltungskennzeichnung für Fleisch, wie sie vorbildlich das baden-württembergische Landwirtschaftsministerium ausgearbeitet hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Darüber sollten wir sprechen, Herr Minister. Darüber sollten Sie am kommenden Montag bei Hart aber fair sprechen. Sie sollten sich dafür starkmachen und nicht – wie wahrscheinlich wieder, wie wir es befürchten müssen – defensiv das Falsche verteidigen. Wenn Sie tatsächlich europäischer Tierwohlminister werden wollen, dann verstecken Sie sich nicht weiter hinter Arbeitskreisen und verbindlicher Freiwilligkeit, sondern handeln Sie endlich. Vergessen Sie dabei nicht die vielen Betriebe, die ins Tierwohl investiert haben und denen jetzt vom Handel eine lange Nase gedreht wird. Vergessen Sie dabei auch nicht den immer weiterlaufenden dramatischen Strukturwandel. Hinter all den Milchvieh- und Schweinebetrieben, die aufgrund Ihrer miserablen Politik in die Knie gehen, stehen Familien, Traditionen, Werte, Dörfer und viele Generationen von Bäuerinnen und Bauern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Bei der Politik der Grünen gehen noch viel mehr den Bach runter!) Hier ist Ihre entschlossene Haltung gefordert, Herr Minister. Das entscheidet die Frage der Haltung – und sonst nichts. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Kees de Vries [CDU/CSU]: Kleinbauern schützen!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Kovac für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Kordula Kovac (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wissen Sie, worauf ich heute stolz bin? Darauf, dass in unserer Fraktion der Fraktionsvorsitzende anwesend ist – als einziger von allen Fraktionen hier im Bundestag. (Beifall bei der CDU/CSU – Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: So wichtig sind uns die Themen! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das nutzt aber nichts!) Ich finde das gut, und das ist ein Zeichen. Das ist ein sehr gutes Zeichen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das zeigt, wie wichtig uns das Thema ist!) – Genau. Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, seit 2002 ist der Tierschutz als Staatsziel im Grundgesetz verankert. Der Gesetzgeber muss somit seinen verfassungsrechtlichen Gestaltungsauftrag für einen wirksamen Tierschutz erfüllen. Diesem Auftrag sind wir nachgekommen und haben das Staatsziel erfüllt, weil wir eine aktive Tierschutzpolitik betreiben. Am 13. Juli 2013 ist das Dritte Gesetz zur Änderung des Tierschutzgesetzes in Kraft getreten. Der Koalitionsvertrag von Union und SPD greift den Tierschutz und die Tiergesundheit explizit auf. Mit der Initiative „Eine Frage der Haltung – Neue Wege für mehr Tierwohl“ von Bundesminister Christian Schmidt werden die Vorgaben des Koalitionsvertrages umgesetzt. Im internationalen Vergleich zeichnet sich Deutschland als leistungsstarke und wettbewerbsfähige Land- und Ernährungswirtschaft durch hohe Tierschutzstandards aus. Gerade die Verankerung des Tierschutzes in der Verfassung hat Fragen artgerechter Tierhaltung und den Tierschutz in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Diskussion gerückt. Darüber, dass Tierschutz in Deutschland und Europa noch weiter verbessert werden soll, besteht fraktionsübergreifend grundsätzlich Einigkeit. An der Frage des Wie scheiden sich nach wie vor die Geister. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!) Obwohl viel diskutiert – und meist zu Unrecht mit dem nicht näher definierten Begriff der Massentierhaltung verunglimpft –, spielt die Bestandsgröße für die Tiergerechtigkeit keine Rolle. (Beifall bei der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Tierwohl, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist abhängig von den Bedingungen, unter denen die Tiere gehalten werden, und somit von der Gruppengröße, aber nicht davon, wie viele Tiere ein Betrieb insgesamt hat. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Doch, das spielt schon eine Rolle!) Und so gilt beim Tierschutz wie auch allgemein: Schnellschüsse sind nicht immer sachdienlich. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Sie haben noch nie in einem Stall gearbeitet!) Durch Zwangsverpflichtungen oder bloße Verbote laufen wir Gefahr der Standortverlegung ins Ausland, und dies, meine Damen und Herren, würde weder den Bürgerinnen und Bürgern noch den Tieren besonders dienen. Die Verbesserung des Tierschutzes muss auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse und unter Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit stattfinden. Die Tierhaltung ist ein wesentliches Standbein der Landwirtschaft in Deutschland. Die Weiterentwicklung des Tierwohls verlangt daher eine sorgfältige Abwägung tierschutzfachlicher, ethischer und wirtschaftlicher Aspekte. Ich bin davon überzeugt, dass wir mit dem Prinzip der verbindlichen Freiwilligkeit hier einen guten Kompromiss gefunden haben, (Beifall bei der CDU/CSU) zumal man nicht vergessen sollte: Tierschutz liegt im ureigenen Interesse der Landwirte. Ein gesundes und zufriedenes Tier wird im Zweifelsfalle mehr produzieren als ein krankes und gestresstes Tier. (Beifall bei der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wie bei den Menschen!) – Genau. – Erlauben Sie mir hier, Ihnen ein Beispiel von vielen zu nennen: Eckhart Schmieder, von Beruf Landwirt und Milchbauer in Fischerbach im Schwarzwald – meine Heimat –, betreibt in der 23. Generation den Prinzbachhof. Durch Bereitschaft, persönlichen Einsatz und intelligente Technisierung der Tierhaltung hat er es geschafft, dass sein Hof ein Beispiel für die Symbiose von Mensch und Tier ist. Meine Damen und Herren, Tierschutz umfasst eine ganze Bandbreite an Themen bzw. Tieren: Nutztiere, Heimtiere, Versuchstiere, Haltung, Transport, Tötung. In all diesen Bereichen haben wir durch die Novellierung des Tierschutzgesetzes entscheidende Verbesserungen erreicht. Die Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes in der Tierhaltung wurde vorangetrieben, jede einzelne Antibiotikabehandlung von Tieren muss in einer dafür geschaffenen Datenbank erfasst werden. Durch unsere Präzisionslandwirtschaft mit Landtechnik made in Germany bringen wir den Tierschutz wesentlich voran. Darüber hinaus fördern wir eine am Tierwohl orientierte Agrarforschung. Allein im Bundeshaushalt 2015 stehen für die Entwicklung von Modell- und Demonstrationsvorhaben 5 Millionen Euro zur Verfügung. Bis 2018 sind es insgesamt sogar 21 Millionen Euro. Die Haltung von Nutztieren darf in Deutschland nur unter Einhaltung der Regelungen des Tierschutzgesetzes und der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung erfolgen. Sinn und Zweck dieser Regelungen ist es, sicherzustellen, dass es Nutztieren möglich ist, ein nahezu natürliches, der jeweiligen Tierart entsprechendes Verhalten auszuüben. Die Einhaltung der entsprechenden Mindestanforderungen gewährleistet eine angemessene Ernährung, Pflege und Unterbringung von Nutztieren. Darüber hinaus wurde mit dem Tierschutzgesetz eine Verpflichtung des Halters zu einer tierschutzbezogenen Eigenkontrolle anhand von Tierschutzindikatoren eingeführt. Damit soll der Eigenverantwortung des Tierhalters ein höherer Stellenwert eingeräumt werden. Ab dem 1. Januar 2019 wird nicht nur die betäubungslose Ferkelkastration verboten sein, sondern auch der betäubungslose Schenkelbrand bei Pferden. Darüber hinaus prüft das Bundesministerium im Rahmen der Tierwohl-Initiative, wie das Schlachten trächtiger Tiere national, so schnell es geht, grundsätzlich verboten werden kann. Hinsichtlich der Erforschung der In-ovo-Geschlechtsbestimmung als Alternative zur Putentötung nimmt Deutschland mit einer Fördersumme von rund 2 Millionen Euro eine Vorreiterposition ein. Auch der Tierschutz bei Heimtieren wurde vorangebracht. Im Tierschutz ist verankert, dass derjenige, der ein Tier hält oder betreut, über die dafür erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen muss. Seit dem 1. August 2014 müssen beim Verkauf schriftliche Informationen über die wesentlichen Bedürfnisse des Tieres mitgegeben werden. Zusätzlich verbietet das neue Tierschutzgesetz, ein Tier als Preis bei einer Verlosung oder ähnlichen Veranstaltungen auszuloben. Die Rechtssicherheit bei der Anwendung des Qualzuchtverbots im Tierschutzgesetz wurde ebenfalls verbessert. Meine Damen und Herren, Deutschland investiert darüber hinaus viel, um die Erforschung von Methoden zum Ersatz von Tierversuchen zu intensivieren. Dazu vergibt das BMEL den Forschungspreis zur Förderung methodischer Arbeiten mit dem Ziel der Einschränkung und des Ersatzes von Tierversuchen. Außerdem hat Deutschland mit der Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch, ZEBET, beim Bundesinstitut für Risikobewertung eine Vorreiterrolle in Europa übernommen. Die ZEBET wurde übrigens zum Deutschen Zentrum zum Schutz von Versuchstieren ausgebaut; es wurde am 25. September dieses Jahres eröffnet. Sie wird sich künftig unter anderem für die Verbesserung von Haltungsbedingungen für Versuchstiere engagieren. Liebe Freunde, unser Koalitionsvertrag schreibt das Ziel vor, EU-weit einheitliche und höhere Tierschutzstandards durchzusetzen. Auch hier sind wir vorangekommen – was mancher in der Opposition nicht sehen mag. Das Bundeslandwirtschaftsministerium treibt die Einführung eines europäischen Tierschutzlabels ähnlich dem Bio-Siegel voran. Mit Dänemark und den Niederlanden haben wir am 14. Dezember 2014 eine gemeinsame Erklärung zum Tierschutz unterzeichnet. Durch die Erklärung soll auf die Europäische Kommission eingewirkt werden, die Verbesserung des Tierschutzes zu intensivieren, etwa beim Transport und bei der Schlachtung von Tieren. Meine Damen und Herren, Tierschutz wird von uns sehr ernst genommen. Wir haben bereits wichtige Veränderungen erreicht. Im Vergleich mit anderen Ländern hat Deutschland bereits eines der besten Tierschutzgesetze. Die tiergerechte Haltung in Deutschland wird von uns weiter gefördert und verbessert. Hierdurch wird dem gesellschaftlichen Wunsch nach höheren Standards entsprochen. Das kann es aber nicht zum Nulltarif geben. Deshalb gilt: Die Wettbewerbsfähigkeit unserer landwirtschaftlichen Betriebe muss mit den gesellschaftlichen Erwartungen in Einklang gebracht werden. Wir brauchen praxisnahe Lösungen, bei denen die Kosten, die mit höheren Standards im Sinne der Verbraucher und zum Wohle der Tiere verbunden sind, nicht einseitig auf die Produzenten abgewälzt werden, sondern von allen getragen werden. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort nun der Kollegin Karin Thissen für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Karin Thissen (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Wir mussten eine Weile auf den Tierschutzbericht der Bundesregierung warten. Aber das ist in Ordnung. Gut Ding will schließlich Weile haben. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schlecht Ding auch!) Ich hätte mich gefreut, wenn die Seiten nummeriert gewesen wären. So ist es ein bisschen schwierig, darin zu lesen. Aber prinzipiell finde ich gut, dass er da ist. Ich finde auch gut, dass der Tierschutz in Deutschland in den letzten 50 Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen hat, dass sich das Thema Tierschutz inzwischen in den Wahlprogrammen fast aller Parteien wiederfindet und dass das Staatsziel Tierschutz 2002 in das Grundgesetz aufgenommen wurde. (Beifall bei der SPD) Eine Verbesserung des Tierschutzes ist somit politisch gewollt. Das finden wir gut. Die Kollegin Vogt hat es vorhin schon gesagt: Die SPD wird sich als Koalitionspartner vehement dafür einsetzen, dass es den Tieren am Ende der Legislatur besser geht als jetzt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir mal gespannt!) Auch wenn vieles noch vage ist, so nimmt doch vieles schon Formen an. Ich möchte ein positives Beispiel aus dem Tierschutzbericht hervorheben. Es geht um das Kapitel, das sich mit dem Verbot der Schlachtung tragender Tiere beschäftigt. Ich habe mich beim Lesen darüber gefreut, dass konsequent der Begriff „tragende Tiere“ verwendet wird. Denn immer, wenn in den letzten Monaten darüber gesprochen wurde – wir haben es vorhin in der Rede der Kollegin Maisch und in der Rede des Kollegen Stier gehört –, ging es lediglich um das Verbot der Schlachtung tragender Rinder. Aber es betrifft genauso die Sauen. (Dieter Stier [CDU/CSU]: Ich hatte leider nicht mehr Redezeit! Ich hätte Ihnen gerne noch mehr erzählt!) – Ach, Sie hatten keine Zeit, auch noch die Sauen zu erwähnen. Die Zeit nehme ich mir. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Und Pferde und Schafe!) – Ja, aber bei Pferden und Schafen kommt das viel seltener vor. Ich habe auf einem Schlachthof gearbeitet. Es ist noch gar nicht so lange her, da wurde ich von einer Kollegin angerufen, die schon seit 25 Jahren auf dem Schlachthof arbeitet. Sie sagte mir: Morgen kriegen wir eine Lieferung von 80 hochtragenden Sauen, die geschlachtet werden. Karin, tu was! – Ich sagte: Was soll ich tun? Es ist nicht verboten. – 80 hochtragende Sauen, das bedeutet, dass 800 bis 1 200 Feten im Mutterleib ersticken. (Zuruf von der SPD: Wahnsinn!) Ich habe übrigens bewusst Feten und nicht Ferkel gesagt, obwohl sie wie Ferkel aussehen. Das muss man sich einmal genau vorstellen und sich dabei überlegen, wie sich die Menschen fühlen, die an der Schlachtlinie stehen. Ich sagte zu meiner Kollegin: Ich kann nichts tun, es ist nicht verboten. Sie sagte: Dann sorge doch bitte dafür, dass es verboten wird. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]) Ich möchte nicht nur auf den vorliegenden Tierschutzbericht eingehen – das haben meine Vorredner schon gemacht –, ich möchte auch auf den vorliegenden Antrag von Bündnis 90/Die Grünen eingehen; das hat bis jetzt kaum jemand gemacht. Der Antrag der Grünen enthält einen Satz, der mir ein bisschen sauer aufstößt. Da heißt es: Die Bundesregierung soll aufgefordert werden, Tieren in der Landwirtschaft – ich zitiere – „ein würdiges Dasein“ zu ermöglichen. Mit diesem „würdigen Dasein“ habe ich so meine Probleme. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir nicht!) Ich finde es grenzwertig, den Begriff „Menschenwürde“ auf Tiere zu übertragen. Das ist anthropozentrischer Tierschutz. (Abg. Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Herr Präsident, wie läuft das jetzt? Sie machen das jetzt? Präsident Dr. Norbert Lammert: So ist es. Dr. Karin Thissen (SPD): Gut. – Ich bin auch noch Anfängerin. Ich bin noch im ersten Lehrjahr. Präsident Dr. Norbert Lammert: Aber ich habe den Eindruck, dass Sie die Zwischenfrage zulassen wollen. Dr. Karin Thissen (SPD): Ja, ich bin zwar noch nicht fertig, aber von mir aus. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Maisch, bitte sehr. Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Kollegin, danke, dass Sie meine Frage zulassen. – Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass es in der Debatte um Würde mehrerer Würdebegriffe jenseits des Begriffes der Menschenwürde gibt? Vielleicht haben Sie unseren Entwurf eines Tierschutzgesetzes aus der letzten Legislatur gelesen, in dem wir von der „Würde als Tier“ sprechen. Wir verwehren uns gegen die Behauptung, dass wir in unseren Diskussionsbeiträgen die Menschenwürde mit einem würdevollen Dasein für Tiere gleichsetzen. Ich würde mich sehr freuen, wenn auch Sie das nicht weiter behaupten würden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dr. Karin Thissen (SPD): Ich habe das nicht behauptet. Ich habe gesagt: Ich habe ein Problem damit, dass die Würde – – (Abg. Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] nimmt wieder Platz) – Sie können sich ruhig hinsetzen. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nein, nein, nein. Sie veranstalten hier keine private Teestunde. Dr. Karin Thissen (SPD): Ich habe nichts dagegen. Und ich rede nicht nur über den Schutz schwangerer Tiere, sondern auch schwangerer Menschen. Ich habe nichts dagegen, wenn Sie sich hinsetzen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ja, ich aber. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dr. Karin Thissen (SPD): Ach so, gut. – Sorry. Präsident Dr. Norbert Lammert: Wenn Sie sich privat zum Tee treffen, dann können Sie das halten, wie Sie wollen, aber wenn Sie hier im Bundestag miteinander kommunizieren, sollten wir gewisse Standards gemeinsam aufrechterhalten. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dr. Karin Thissen (SPD): Ich bitte untertänigst um Entschuldigung. Ich dachte nur an den Zustand der Kollegin. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Sie ist nicht krank! Sie ist schwanger!) – Gut, alles klar. – Jetzt weiß ich nicht mehr, was ich sagen wollte. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann kann ich mich ja setzen!) Genau. Ich habe es zur Kenntnis genommen. Ich habe trotzdem Probleme damit. Ich weiß, dass es unterschiedliche Definitionen des Begriffes „Würde“ gibt. Trotzdem habe ich Probleme damit, wenn man eine anthropozentrische Sichtweise zugrunde legt. Das führt meines Erachtens nicht zu einer Verbesserung des Tierschutzes. (Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!) Ich lege Wert darauf, festzuhalten: Wenn ich über Tierschutz rede, dann meine ich wissenschaftlichen Tierschutz, der nach der Devise „Wissen schützt Tiere“ handelt. Dazu zähle ich auch den ethischen Tierschutz; denn auch Ethik ist Wissenschaft. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]) Ich möchte noch ein Beispiel aus Ihrem Antrag bringen, warum Wissen Tiere schützt. Sie fordern – ich zitiere wieder –, „das Tierleid auf Deutschlands Straßen und in den Schlachthöfen zu beenden“. Dazu muss man wissen, dass es auf jedem Schlachthof, wenn die Tiere angeliefert werden, einen Tierarzt gibt, der darüber entscheidet, ob die Tiere geschlachtet werden dürfen; das kann auch eine Tierärztin sein, aber ich gender das jetzt nicht alles. Er entscheidet darüber, ob ein Tier geschlachtet werden darf; denn nur gesunde Tiere dürfen geschlachtet werden. (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber gegen die Schlachtung der trächtigen Säue konnten Sie nichts machen!) – Darf ich jetzt erst einmal reden? – Er beurteilt auch, ob der Transport tierschutzkonform erfolgt ist und ob auf dem Schlachthof tierschutzkonform gearbeitet wird. Diese Tierärzte werden an der Ausübung ihrer Arbeit massiv gehindert. (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber doch nicht von den Grünen!) – Das habe ich nicht behauptet. Das betrifft uns alle. Ich kann ja ruhig zur SPD gucken, wenn Ihnen das lieber ist. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das ist eher ein arbeitsrechtliches Problem, und das Arbeitsrecht ist ja ein originäres SPD-Thema. Man muss einfach wissen, dass die Tierärzte, die letztendlich dafür da sind, das umzusetzen, was wir hier beschließen, massiv an der Ausübung ihrer Arbeit gehindert werden. Wir müssen uns einfach einmal überlegen, wie wir diesen Menschen helfen können. Dabei geht es nicht nur um die Tierärzte, sondern grundsätzlich um Menschen, die ihren Lebensunterhalt mit Tieren verdienen und dabei anständig bleiben wollen. Denen wird das Leben immer noch sehr schwer gemacht. Sie werden jetzt sagen: Wir sind die Legislative und nicht die Exekutive. Ich denke, man kann sich trotzdem des Problems bewusst werden und es anpacken. Das ist eine Sache, die auf Länderebene umgesetzt werden muss, aber wir alle sind gefordert, uns zu überlegen, was man da machen kann. (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich bedanke mich bei der Kollegen Thissen für den vorbildlichen Beitrag zur Einhaltung der Gesamtredezeit unserer Debatte (Beifall bei der SPD) und freue mich, wenn der Kollege Holzenkamp diesem leuchtenden Beispiel folgt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Wenn der Inhalt dann auch stimmt! – Gegenruf des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU]: Der Inhalt stimmt!) Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU): Herr Präsident, Sie haben mir eine Minute gestrichen. Gehen Sie bitte gnädig mit mir um. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf den Tribünen und an den Bildschirmen! Wir wissen, die Bedeutung von Tierschutz und Tierwohl in unserem Land steigt. Die Sorge, ob wir mit unseren Mitgeschöpfen richtig umgehen, wächst in unserer Gesellschaft, aber auch in der Landwirtschaft. Zwei Drittel aller Landwirte leben von der Tierhaltung. Somit ist der Tierschutz ein elementarer Faktor. Tierschutz ist immer stärker ein emotionales Thema, auch in der politischen Auseinandersetzung. Manchmal geht das auf Kosten der Bauernfamilien, indem sie instrumentalisiert werden, und das ist, wie ich finde, nicht in Ordnung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Deshalb bin ich dankbar dafür – an dieser Stelle schaue ich auf meinen Fraktionsvorsitzenden –, dass es gelungen ist, dieses Thema zur Kernzeit hier miteinander debattieren zu können. Wo kommen wir her, wo stehen wir, und wo wollen wir hin? Bei dieser Debatte muss man manchmal den Eindruck haben, dass in Deutschland alle Dinge in der Tierhaltung nicht in Ordnung sind. Ich möchte deshalb vorweg feststellen: Im Vergleich mit allen vergleichbaren Ländern der Welt gelten in Deutschland höchste Standards. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]) Damit möchte ich den vorhandenen Handlungsbedarf überhaupt nicht infrage stellen. Ich weiß wie wir alle, dass die Akzeptanz der Lebensmittelerzeugung und das Vertrauen in sie und insbesondere die Akzeptanz der Tierhaltung schwinden, dass die Menschen in unserer Gesellschaft mehr von uns erwarten. Was hat eigentlich die Landwirtschaft in den letzten Jahren und Jahrzehnten gemacht? Sie ist dem gigantischen Preisdruck der Märkte mit Effizienzsteigerungen erfolgreich entgegengetreten. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Durch Selbstausbeutung!) Das kann man den Landwirten nicht vorhalten. Das muss man anerkennen. An dieser Stelle will ich deshalb ganz bewusst gerade die Leistung unserer Tierhalter in Deutschland würdigen. Das haben sie nämlich wirklich verdient. (Beifall bei der CDU/CSU) An dieser Stelle wird das Dilemma deutlich, das schon angesprochen wurde. Wir haben die Forderung nach besseren Bedingungen, nach mehr Komfort, nach höheren Standards, aber die Bereitschaft, hierfür mehr zu bezahlen, ist nach wie vor leider Gottes nicht da. Das zeigt sich an dem tatsächlichen Kaufverhalten. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Dadurch haben wir ein Spannungsfeld, das sehr spannungsgeladen ist. Ich kann nur feststellen: Von Umfragen können unsere Landwirte nicht leben. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben zurzeit keinen gesellschaftlichen Konsens über die Art und Weise der Tierhaltung und der Lebensmittelerzeugung – leider. Die Landwirtschaft muss sich verändern. Die Landwirtschaft will sich auch verändern. Das haben die Landwirte durch ihre Beteiligung an der Brancheninitiative eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Nur, wie schon erwähnt, bessere Bedingungen müssen bezahlt werden, und zwar nicht in Form einer Alimentierung – das haben die Landwirte nicht verdient –, sondern die Landwirte müssen am Point of Sale, an der Ladentheke, fair bezahlt werden, so, wie sich das gehört. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wo wollen wir hin? Wir wollen in den Bereichen Tierschutz und Tierwohl messbare Verbesserungen haben. Das Thema Versuchstiere wurde angesprochen. Wir haben ein Nationales Kompetenzzentrum zum Schutz von Versuchstieren geschaffen. Wir reden nicht, wir machen. Das zeichnet uns aus. (Beifall bei der CDU/CSU) Hochgeschätzte Kollegin Maisch, zum Zirkus: Kon­trollieren, dass die Haltung in Ordnung ist – vollkommen richtig. (Zuruf der Abg. Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Aber wir wollen keine willkürlichen Verbote. Das ist der Unterschied zwischen uns. (Zuruf der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]) Wir verbieten nicht willkürlich, sondern schaffen praktikable Lösungen. So ist es richtig. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich möchte nicht auf die strahlenden Augen unserer Kinder bei einem Zirkusbesuch verzichten. Ich denke, daran liegt uns allen etwas. (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Mein Gott!) Meine Damen und Herren, wir müssen uns verändern. Ich habe schon an anderer Stelle einmal gesagt: Die Landwirte befinden sich hinsichtlich der Tierhaltung in einem Hamsterrad. In der Vergangenheit hieß es immer: Größer, weiter, schneller. Das führt uns in eine Sackgasse. Im globalen Wettbewerb kann man so nicht gewinnen. Der Umbau, der notwendig ist, den ich gar nicht infrage stelle, solch eine Weiterentwicklung muss vernünftig stattfinden nach dem Motto: Evolution statt Revolution, miteinander statt gegeneinander, im Dialog statt in Konfrontation. Dann sind wir vernünftig mitei­nander unterwegs, so, wie sich das gehört. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich bin Minister Schmidt dankbar, dass er das Dialogforum einrichtet und dass er diese Woche mit dem Lebensmittelgipfel startet; denn wir haben eine Verantwortung für die gesamte Erzeugungskette. Wir kämpfen, wenn es um faire Preise für die Landwirtschaft geht, mit den oligopolistischen Strukturen des Lebensmittelhandels und zum Teil auch mit der verarbeitenden Industrie. Hier besteht Handlungsbedarf. Herr Minister, es ist richtig, dass Sie sich dieser Sache stellen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber dann müsst ihr auch handeln!) Wir wollen Fortschritte in Form von praktikablen Lösungen erzielen; wir wollen keine willkürlichen Verbote aussprechen. Deshalb haben wir diese Ansätze gerade letzte Woche in den Haushaltsberatungen um zweistellige Millionenbeträge erhöht. Das ist der richtige Weg. Noch einmal: Keine willkürlichen Verbote, sondern praktikable Lösungen. So machen wir das mit der Initiative „Eine Frage der Haltung – Neue Wege für mehr Tierwohl“. Wir treffen Vereinbarungen mit der Geflügelwirtschaft; Sie haben das gehört. Wir machen ein Prüf- und Zulassungsverfahren für Haltungssysteme. Wir verbieten die Schlachtung trächtiger Rinder. Wir wollen das Kürzen von Schnäbeln ganz verbieten; wir wollen so schnell wie möglich dort aussteigen. Wir wollen Schluss machen mit dem Töten männlicher Küken (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!) und mit der Ferkelkastration. Aber, lieber Kollege Friedrich Ostendorff, wir wollen auch, dass die Landwirte zwei oder drei Optionen haben. Deshalb machen wir Forschung. Wir wollen nicht, dass die Landwirte mit einer Sache letztendlich erpresst werden können. (Beifall bei der CDU/CSU) Deshalb sind wir so gut und richtig unterwegs. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr macht gar nichts! Das ist das Problem!) Richtig ist auch: Wir leben in Deutschland nicht auf einer Insel der Glückseligkeiten. Wir leben in Europa in einem Binnenmarkt. Deshalb kümmert sich unser Minister darum, dass wir mit den befreundeten Mitgliedstaaten, mit den Hauptwettbewerbsländern zu Absprachen und zu gemeinsamen Lösungen kommen; sonst schießen wir uns aus dem Markt und meinen es nicht ehrlich mit unseren Landwirten. Deshalb ist dieser Weg genau richtig. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich lade Sie alle ganz herzlich ein: Gehen Sie diesen gemeinsamen Weg mit uns zusammen in Respekt vor den Leistungen unserer Landwirte. Denn das haben sie wirklich verdient. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Sie bekommen nur nichts dafür!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. – Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf der Drucksache 18/6750 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Ich nehme an, damit sind Sie einverstanden. – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen unter dem Tagesordnungspunkt 3 b zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Tierschutz ernst nehmen – Tierleid verhindern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/3107, diesen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt bzw. die Beschlussempfehlung angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf: a) Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Bärbel Höhn, Oliver Krischer, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Umsetzung des Aktionsprogramms Klimaschutz 2020 Drucksachen 18/5489, 18/6763 b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Klimaschutzbericht 2015 Drucksache 18/6840 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor­sicherheit (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen­abschätzung Zur Antwort der Bundesregierung auf diese Große Anfrage liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir namentlich abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch für diese Aussprache 77 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Bärbel Höhn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor einem Jahr haben wir hier das erste Mal über das Klima-Aktionsprogramm der Bundesregierung diskutiert. Wir Grünen haben es kritisiert und gesagt: Das ist zu wenig. Wir brauchen dreimal so viel Ehrgeiz, um das Ziel einer 40-prozentigen CO2-Reduktion bis 2020 zu erreichen. – Die Bundesumweltministerin war empört. Sie hat gesagt, wir Grünen sollten aus unserem nörgelnden Abseits herauskommen und endlich Gabriels Zahlen akzeptieren. Meine Damen und Herren, das war eine Fehleinschätzung der Bundesumweltministerin, und das war ein verlorenes Jahr 2015. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Heute, ein Jahr später, wird dieser Bundesregierung von Experten bescheinigt, dass die Zahlen der Grünen stimmen. Sie sagen: Die Bundesregierung muss dreimal so ehrgeizig sein, um das Ziel zu erreichen, und das Ziel ist erheblich gefährdet. – Schöne Worte reichen nicht. Packen Sie das Thema endlich an, und tun Sie etwas für den Klimaschutz! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Es wäre international ein verheerendes Zeichen, wenn Deutschland sein Klimaziel nicht erreicht. Was wir momentan erleben, ist, dass Klimaschutz für die Bundesregierung nur ein Sonnenscheinthema ist. In dem Moment, in dem die IG BCE auf die Straße geht, wird der Klimaschutz im Zweifelsfall einfach hintangestellt. Das geht so nicht. Knicken Sie nicht vor der IG BCE ein! Das ist falsch, und das ist auch wirtschaftlich falsch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dieses Desaster begann, als die Bundeskanzlerin 2007 überall in den Medien die „Klima-Queen“ war. (Heiterkeit der Abg. Ute Vogt [SPD]) Da hat sie auf internationaler Ebene gesagt, was man alles machen muss; das war gar nicht so schlecht. Aber als sie dann zurückkam, hat sich genau diese Bundeskanzlerin auf EU-Ebene, in Brüssel, für die großen Spritschlucker, für die großen Autos in Deutschland eingesetzt und schon beschlossene Grenzwerte wieder aufgeweicht. Das war übrigens das Zeichen an die Automobil­industrie: Steigt ganz groß ins legale Tricksen ein! Bis dahin gab es beim CO2-Ausstoß und beim Kraftstoffverbrauch der Autos zwischen Theorie und Praxis einen Unterschied von 8 Prozent; inzwischen haben wir einen Unterschied von 40 Prozent. Seitdem ist die Kreativität der Ingenieure darauf gerichtet, zu tricksen, anstatt darauf, mehr Energieeffizienz in die Automobilindustrie hineinzubringen. Das geht nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das hat nämlich verheerende wirtschaftliche Folgen – das sieht man an VW –, ist aber auch im Hinblick auf die Bilanz im Klimaschutz falsch. Denn der CO2-Ausstoß im Autoverkehr ist seit 1990 gestiegen und nicht gesunken. Wir wollen aber eine Senkung erreichen. De facto verbrauchen wir in diesem Jahr 10 Prozent mehr Kraftstoff als noch im Jahr 2007. Im Umweltbereich gilt für Industrieanlagen: Grenzwerte sind einzuhalten – Punkt. Im Verkehrsbereich gilt: Im Zweifelsfall sieht das Kraftfahrt-Bundesamt sowieso nicht hin, und es hat noch nicht einmal die Kompetenz, hinzuschauen. Das, meine Damen und Herren, muss sich ändern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ansonsten schliddern wir in eine richtige Automobilkrise hinein, die sich gewaschen hat. Was das bedeutet, sehen wir im Energiebereich. Die großen Energiekonzerne schwächeln, weil sie die Energiewende verschlafen haben. Auch da war es so: Die Kanzlerin stellte sich in Elmau hin, sagte: „Wir brauchen im Lauf dieses Jahrhunderts eine Dekarbonisierung“, und wenige Tage später machte sie statt einer Abgabe für Braunkohlenkraftwerke eine Subventionierung alter Braunkohlenkraftwerke in Höhe von 1,7 Milliarden Euro. Das ist einfach unglaubwürdig, meine Damen und Herren. So kann man keine Klimapolitik betreiben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn die staatseigene KfW mit ihrer Tochter IPEX-Bank immer noch Kredite für Kohlekraftwerke in aller Welt ausreicht – insgesamt 3,3 Milliarden Euro für Kohlekraftwerke – und auch Hermesbürgschaften einsetzt, dann ist das eine Doppelmoral, die nicht zu halten ist. Das geht so nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]) Die Allianz, die Rockefeller-Stiftung, der norwegische Pensionsfonds steigen aus Investitionen in die Kohle aus. Die Bundesregierung sollte diese Bewegung mitmachen, weil sie auch wirtschaftlich begründet ist. Ansonsten haben wir hier Fehlinvestitionen, die uns alle teuer zu stehen kommen. Bundesumweltministerin Hendricks hat vor wenigen Tagen einen interessanten Vorschlag gemacht. Sie hat nämlich gesagt, wir könnten in 20 bis 25 Jahren aus der Kohle aussteigen. Das ist gut. Wir wollen aber noch ehrgeiziger sein. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Bitte, tun Sie das!) Genau diese Ankündigung wollen wir hier zur Abstimmung stellen. Wir wollen wissen: Meinen Sie es ernst mit dem Klimaschutz, was zwangsläufig einen Ausstieg aus der Kohle voraussetzt, oder ist das nur ein weiteres Versprechen vor der Klimakonferenz? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir könnten jetzt so viel tun. Die Kosten für PV sind stark gesunken. Wir könnten PV-Anlagen auf den Dächern, Anlagen für die Kraft-Wärme-Kopplung in den Kellern und mehrfach verglaste Fenster einbauen. Davon würden genau die Menschen profitieren, die mit niedrigem Einkommen in schlecht gedämmten Wohnungen leben. Jetzt könnten die Mieter profitieren, genau die Menschen, von denen Gabriel immer sagt, sie würden durch die hohe EEG-Umlage die Photovoltaik-Anlage des Zahnarztes finanzieren. Jetzt, da wir für eine gerechte Umverteilung sorgen könnten – auch bei den erneuerbaren Energien –, blockieren Sie die Photovoltaik. Das ist einfach nicht nur unökologisch, sondern auch unsozial und unwirtschaftlich. So nutzen Sie nicht die Chancen des Klimaschutzes: nämlich dass Sie Arbeitsplätze schaffen und für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen könnten. Machen Sie endlich eine andere Kohlepolitik! Zum Schluss noch eines: Wenn Sie international lächeln und national schwächeln, dann ist das die falsche Politik. Ändern Sie diese Politik für unsere Kinder und Enkelkinder! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Josef Göppel für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Josef Göppel (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gegenstand der heutigen Debatte sind der Klimaschutzbericht und der Maßnahmenplan bis 2020; das ist also sozusagen das Kleingedruckte. Nach der fulminanten Einführung der Kollegin Höhn ist es vielleicht ganz gut, auf die großen Zusammenhänge zu schauen. Frau Höhn, Sie kritisieren an Frau Merkel, dass sie nicht entschlossen genug vorangeht. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, zu Recht!) Ich möchte Ihnen sagen: Frau Merkel hat im Jahr 2007, in einer Situation, als der Klimaschutz für manche Regierungschefs in Europa noch kaum ein Thema war, das Dreimal-20-Prozent-Ziel im Europäischen Rat erreicht. Ich möchte daneben darauf hinweisen, dass sie 2011 – nach Fukushima – die Energiewende eingeleitet und dies auf ihre Kappe genommen hat. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einleiten musste!) Ich möchte weiter daran erinnern, dass sie 2014 im Europäischen Rat das Ziel durchgesetzt hat, dass die Treibhausgasemissionen in der Europäischen Union bis 2030 um 40 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 sinken. Außerdem hat sie in Elmau bei den Regierungschefs der Welt ein Klima herbeigeführt, das zu dem Bekenntnis zum 2-Grad-Ziel und zur Dekarbonisierung der Wirtschaft geführt hat, und dies wird nun auf der Konferenz in Paris von der deutschen Verhandlungsdelegation fortgesetzt. Schauen Sie doch in den Spiegel von dieser Woche. Sie beschreiben sehr schön, welche Verhandlungsgruppen es jetzt in Paris gibt. Da heißt es: Die ambitionierteste Gruppe: Deutschland gibt den Ton an. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Liebe Frau Höhn, das ist der Grund, warum ich für Frau Merkel bin. Sie handelt nämlich alles andere als zögerlich und hat eine durchgehende Linie. Man spürt eben die physikalische Grundhaltung bei dieser Frau. Das ist für Deutschland gut. Das ist für die Modernisierung unserer Volkswirtschaft gut. Das ist für unseren Erfolg auf den internationalen Märkten gut. Man darf natürlich schon fragen: Wo stehen wir? Wir Deutschen hatten vor zehn Jahren einen Primärenergieverbrauch pro Kopf von 50 000 Kilowattstunden. Jetzt sind wir bei 47 000 Kilowattstunden. Man kann also sagen: Das ist ein Erfolg, eine leichte Senkung. – Wir müssen aber auch sehen, dass der europäische Durchschnitt bei 36 000 Kilowattstunden pro Kopf liegt. Hier kommt natürlich ins Spiel, dass wir – das hat sich geschichtlich so ergeben – ein sehr viel stärker industrialisiertes Land sind und dass die alten Industrieanlagen einen erheblich höheren Energieverbrauch hatten. Daraus ergibt sich klar, wo unsere Handlungsfelder sind. Der Ausstoß der Treibhausgase verteilt sich auf folgende Sektoren: 40 Prozent im Energiesektor, 20 Prozent in der Industrie, 20 Prozent im Verkehr, 10 Prozent in den Haushalten – das macht insgesamt 90 Prozent –, und der Rest entfällt auf Landwirtschaft, Gewerbe und kleine Sonderbereiche. Das heißt, es war strategisch völlig richtig, Frau Kollegin Höhn, bei der Energiewende mit dem Stromsektor anzufangen. In dem Bericht, der heute Gegenstand der Beratung ist, steht, dass die Minderung von 110 Millionen Tonnen Treibhausgasen auf Maßnahmen des EEG zurückgeht. Wenn wir uns anschauen, dass im selben Bericht für das Jahr 2014 eine Senkung um 27 Prozent gegenüber 1990 ausgewiesen ist, dann wird klar, dass diese 110 Millionen Tonnen ein Drittel dieser Senkung gegenüber dem Jahr 1990 ausmachen. Das ist ein Erfolg, der unsere Wirtschaft in eine bessere Ausgangsposition auf den Weltmärkten bringt und im Inland zur Modernisierung unserer Wirtschaft führt. Ich muss bei dieser Gelegenheit leider auch sagen: Für Leute, die meinen, dass durch das EEG mit seinen riesigen volkswirtschaftlichen Kosten ein Windradfriedhof erzeugt wurde, für Leute, die derart arrogant und borniert daherreden, kann ich mich nur schämen; denn schon technisch betrachtet ist das falsch. Die alte Wirtschaft hinterlässt uns riesige Nachfolgelasten. Ein Windrad aber kann man bis zur letzten Schraube recyceln. Aus diesem Grund muss man auch darauf hinweisen, dass sich die deutsche Bevölkerung an der Energiewende stark beteiligt und die politischen Vorgaben in einem außerordentlichen Maß positiv aufgegriffen hat. Es gibt in anderen europäischen Ländern in Bezug auf eine CO2freie Energieversorgung nicht den Mittelstand und die Basisinitiativen in dem Ausmaß wie in Deutschland. Diese Bevölkerungsbeteiligung ist ein wichtiger Wert, weil es jetzt um die sektorenübergreifende Betrachtungsweise geht, also die Einbeziehung von Wärme und Mobilität. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass die von uns festgelegten Korridore unter dem Gesichtspunkt der sektorenübergreifenden Sichtweise überprüft werden müssen. Wenn Ende dieses Jahres der Anteil an Strom aus erneuerbaren Energien bei 33 Prozent liegt und unser Ziel bis 2025 bei 40 bis 45 Prozent liegt, dann ist dieses Ziel bei Einbeziehung der Elektromobilität und der Strom­überschüsse im Heizungssektor nicht mehr angemessen. Ich sehe die Notwendigkeit, die Korridore an die Erfordernisse der sektorübergreifenden Politik anzupassen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ich möchte bei dieser Gelegenheit noch einmal die Bevölkerungsbeteiligung aufgreifen. Wir haben beim Verhältnis von Groß- und Kleininvestoren im Bereich der erneuerbaren Energien zurzeit einen Anteil von etwa 50 Prozent auf der einen und rund 50 Prozent auf der anderen Seite. Ich finde, das ist eine gute Verteilung. Die alten Konzerne sollen ihr neues Geschäftsmodell haben; das sehen wir jetzt an der Neuausrichtung von RWE. Wir dürfen aber durch das Mittel der Ausschreibungen nicht die Kleininitiativen abwürgen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Ich habe die Sorge, dass die breite Bevölkerungsbeteiligung, die Beteiligung von Landwirten, von Handwerkern und kleinen Gewerbetreibenden, unter die Räder kommt. Wenn es so ist, dass in den europäischen Beihilferichtlinien eine Freigrenze für eine bestimmte Anzahl – drei Windräder – vorgesehen ist, dann fordere ich, diese Freigrenze auch in Deutschland anzuwenden. Man kann nämlich nicht immer wieder auf die europäischen Beihilferichtlinien wie auf die Bibel verweisen, jedoch dort, wo sie einmal eine Öffnung erlauben, sagen: Nein, das ist für uns aber nicht ganz passend. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Bevölkerungsbeteiligung auf breiter Ebene ist entscheidend dafür, dass wir die Modernisierung unserer Volkswirtschaft in alle Lebensbereiche hineinbringen: in den Verkehr, das Heizen und den ganzen Lebensstil. Unsere Bevölkerung ist ja bereit. Ich sehe im neuen KWK-Gesetz einen wichtigen Erfolg, indem jetzt die Direktbelieferung durch Arealnetze und die KWK-Vergütung von 5,41 Cent auch für Endkunden möglich sind. Das wird auch die Mieter in den Großstädten endlich dazu bringen, dass sie in den erneuerbaren Energien einen Vorteil sehen. Das Argument „Das betrifft ja nur Leute auf dem Land“ kann auf diese Weise überwunden werden. (Beifall bei der SPD) Wir müssen diesen Punkt aber 2016 auch in das EEG einbringen; denn das ist das Gegenstück zum KWK-Gesetz. Präsident Dr. Norbert Lammert: Das ist doch eine vorzügliche Schlussbemerkung, Herr Kollege Göppel. Josef Göppel (CDU/CSU): Genau, zu dieser möchte ich jetzt kommen. (Heiterkeit) Als ich mich heute früh auf die Rede vorbereitet habe, habe ich noch einmal den Vers 212 der Umweltenzyklika von Papst Franziskus gelesen. Er schreibt darin in einer wunderbaren Sprache: Glaubt nicht, dass eure kleinen Bemühungen nicht einen Wert hätten. In ihnen steckt ein Wert, der über das Sichtbare hinaus Gutes in der Welt bewirkt. – Das ist für uns alle sicherlich eine Motivation, bei diesem Thema gemeinsam entschlossen weiterzuarbeiten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Kollegin Bulling-Schröter ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Göppel hat Papst Franziskus zitiert, ich möchte das auch tun. Papst Franziskus sagt auch: Dieses System tötet. – Im Klimawandel macht dieses System das schon, und wir wollen verhindern, dass noch mehr Menschen am Klimawandel sterben. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es ist genau ein Jahr her, dass das Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 und der Nationale Aktionsplan Energieeffizienz verkündet wurden. Es gibt jetzt eine Große Anfrage der Grünen, und ich sage Ihnen: Irgendwie ist die Antwort wenig ergiebig ausgefallen. Jetzt müssen wir uns fragen: Hat die Bundesregierung ihre eigenen Ziele erreicht oder sie auf einen guten Weg gebracht? Und was ist aus den Sofortmaßnahmen bei der Energieeffizienz geworden? Ich denke, wir können ein Zwischenzeugnis ausstellen. Für die Linke sage ich nur: Sehr mangelhaft, da muss noch vieles nachgebessert werden. Denn Sie haben nur etwa die Hälfte der Maßnahmen des Aktionsprogramms Klimaschutz 2020 und ebenfalls nur etwa die Hälfte der Maßnahmen des Nationalen Aktionsplans Energieeffizienz erreicht oder auf den Weg gebracht. Damit ist die Bundesregierung eben nicht die Musterschülerin, als die sie sich immer darstellt. Wenn wir uns die Klimaschutzlücke anschauen, dann müssen wir zur Kenntnis nehmen: Es sind nur ein Viertel der geplanten Einsparungen auf dem Zielpfad. Dies zeigen uns zum Beispiel die Zahlen des Fraunhofer-Instituts. Mit jedem Jahr, mit dem wir näher an das Jahr 2020 heranrücken, wird die Zeit knapper. Die Zeit läuft uns davon, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Anstrengungen müssen vervielfacht werden, wenn die Bundesregierung das Klassenziel der Treibhausgasreduzierung um 40 Prozent noch erreichen will. Die Experten, die vor zwei Wochen den Monitoring-Bericht „Die Energie der Zukunft“ kommentiert haben, haben dieses Mal ungewöhnlich deutliche Worte gefunden. Sie sehen das 40-Prozent-Ziel erheblich gefährdet, und sie machen deutlich, dass die Anstrengungen in der verbleibenden Zeit verdreifacht werden müssen. Die schlimmsten Versäumnisse liegen im Verkehrsbereich. Darauf wird meine Kollegin Sabine Leidig noch eingehen. Der größte Rückschlag bei diesen ganzen Aktivitäten ist für mich nach wie vor das Scheitern der steuerlichen Förderung bei der energetischen Gebäudesanierung. Dafür hätte 1 Milliarde Euro bereitgestellt werden sollen. Das allein hätte 12 Prozent der drohenden Klimaschutzlücke schließen können, und das ist nicht nichts; das ist ziemlich viel. Das daraufhin von Ihnen ins Spiel gebrachte „Anreizprogramm Energieeffizienz“ ist im Vergleich dazu mit seinen 165 Millionen Euro, mit Verlaub, ein Witz. Die Experten sagen: Ohne zusätzliche Maßnahmen ist somit die Zielverfehlung absehbar. Für das Jahr 2020 kann die Deckungslücke auf bis zu 90 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente und für 2030 auf rund 150 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente veranschlagt werden. Das können Sie auf Seite 116 der Stellungnahme nachlesen. Schauen Sie sich das an! Sie müssen etwas tun. Ich meine, wir brauchen eine Regulierung. Andere europäische Länder machen uns das vor: Dänemark ist mutiger und konsequenter. Während dort seit 2013 Ölheizungen im Neubau und ab 2016 auch im Altbau verboten sind, ist bei uns nichts dergleichen in Sicht. Natürlich müsste man ein solches Verbot sozial abfedern, aber es wäre eine gute und effektive Maßnahme, um sich von den 5,2 Millionen Ölheizkesseln in Deutschland zu verabschieden. (Beifall bei der LINKEN) An dieser Stelle möchte ich die Umweltministerin einmal loben. Sie hat keine Zugeständnisse bei der Energieeinsparverordnung aufgrund des Wohnraumbedarfs für Flüchtlinge gemacht, wie es verschiedentlich gefordert wurde. Das ist begrüßenswert, und das unterstützen wir auch. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Aber es gibt große Defizite bei der Effizienzstrategie Gebäude, vor allem bei öffentlichen Gebäuden. Dazu ist uns mitgeteilt worden, dass Ende des Jahres ein Sanierungsfahrplan vorliegen soll. Jetzt wird den Grünen gesagt, dass er nächstes Jahr kommt. Also bitte, da müssen Sie jetzt endlich nachsteuern, und Sie müssen bei den öffentlichen Gebäuden etwas tun. Das schreibt auch die EU-Energieeffizienzrichtlinie vor. Tun Sie also etwas! Bei Bundesliegenschaften ist das ganz, ganz wichtig. Jetzt kommen wir zur größten Enttäuschung – für mich war es auch eine persönliche Enttäuschung –: Sie schenken den Konzernen Geld dafür, dass sie ihre Kohlekraftwerke abschalten. Dabei geht es um 230 Millionen Euro pro Jahr. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ehrlich?) – Ja, ehrlich. Vielleicht können Sie nicht rechnen. Aber lassen Sie sich dazu informieren, wenn Sie nicht Bescheid wissen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Es geht noch weiter mit der Unterstützung der Konzerne RWE und Eon, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist ja Wahnsinn!) Stichwort „Nachhaftungsgesetz“. Ihre Fraktion hat bisher verhindert, dass dieses Gesetz durch den Bundestag kommt. Sie müssen gar nicht lachen. Sie sind einer derjenigen, der die Konzerne richtig pusht, und die Leute vor Ort müssen das bezahlen. Glauben Sie doch nicht, dass sie doof sind! Sie sprechen uns darauf an und fragen: Was macht ihr da überhaupt in Berlin? Ihr braucht gar nicht mehr abzustimmen; das machen die Konzerne für euch. – Und die KfW vergibt weiter Kredite für Kohlekraftwerke. Vizepräsident Peter Hintze: Frau Kollegin, apropos Abstimmung: Die Redezeit ist überschritten. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Das ist eine Politik für die Konzerne. Das muss anders werden. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Weiter, weiter, weiter! Super!) Eine breite Mehrheit der Bevölkerung will das auch anders. Sie will es nicht mehr so wie Sie. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsident Peter Hintze: Für die Bundesregierung erteile ich der Parlamentarischen Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland hat sich das Ziel gesetzt, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um mindestens 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Für uns ist klar: Wenn wir uns auf internationaler Ebene für ambitionierte und verbindliche Klimaschutzziele einsetzen, dann müssen wir daheim unsere Hausaufgaben machen, und das tun wir. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben gleich zu Beginn dieser Legislaturperiode begonnen, festzustellen, ob wir das Ziel bis 2020 erreichen oder ob wir nachlegen müssen, also zusätzliche Maßnahmen benötigen, um dieses Ziel zu erreichen. Mit den bis 2013 beschlossenen und umgesetzten Maßnahmen können wir danach bis 2020 eine Minderung um etwa 33 bis 34 Prozent – plus/minus 1 Prozentpunkt Unsicherheit – erreichen. Das heißt, wir stehen vor einer Lücke bei der Treibhausgasminderung von 5 bis 8 Prozentpunkten, die wir bis 2020 schließen müssen und auch schließen wollen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Nur wenn wir diese Klimaschutzlücke schließen, bleibt der Weg zum Erreichen der 2030er, 2040er und 2050er Klimaschutzziele realisierbar; wir sind dann auf dem Pfad. Nur so kann auch das Klimaschutzziel auf europäischer Ebene erreicht werden. Deshalb hat die Bundesregierung im Dezember vergangenen Jahres das Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 mit über 100 Einzelmaßnahmen auf den Weg gebracht. Ein wichtiger Bestandteil dieses Klimaschutzprogramms ist der NAPE. Er beschreibt die Energieeffizienzstrategie der Bundesregierung. Frau Bulling-Schröter, tun Sie nicht so, als ob wir nichts getan hätten. Bei der Gebäudesanierung wurden die Mittel für das entsprechende Programm aufgestockt. Bei der energetischen Stadtsanierung haben wir die Förderbedingungen wesentlich erleichtert. Mit Verlaub, die Maßnahmen müssen auch erst einmal wirken, wie im Bericht aufgezeigt wird. Mit dem NAPE wurden zugleich die Eckpunkte für die Ausarbeitung der Energieeffizienzstrategie „Gebäude“ beschlossen. Die Umsetzung des Aktionsprogramms wird in einem kontinuierlichen und transparenten Prozess begleitet. Hierfür hat das Kabinett das BMUB beauftragt, jährlich einen Klimaschutzbericht zu erstellen. Das heißt, wir stellen uns durchaus den Problemen und schauen, wo wir stehen. Der Klimaschutzbericht stellt die aktuellen Trends der Emissionsentwicklung dar, berichtet zum Stand der Umsetzung der Maßnahmen des Aktionsprogramms und gibt einen Ausblick auf die zu erwartenden Minderungswirkungen bis 2020. Der erste Bericht wurde am 18. November vom Kabinett verabschiedet, ebenso wie die Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Umsetzung des Aktionsprogramms. Mit der Verabschiedung des ersten Klimaschutzberichts vor der COP 21 in Paris zeigt die Bundesregierung: Wir legen Rechenschaft ab, geben einen Ausblick auf die künftige Entwicklung und lenken den Blick auf das, was tatsächlich noch zu tun ist, um das Ziel im Jahr 2020 sicher zu erreichen. Unser Ziel für 2020 ist ein wichtiges Etappenziel im Hinblick auf das langfristige Minderungsziel der EU und Deutschlands von mindestens 80 bis 95 Prozent bis 2050 gegenüber 1990 sowie für die definierten Zwischenziele 2030 und 2040. Mit dem Gipfel in Elmau ist der Weg ganz klar vorgezeichnet. Wir streben bis zum Ende dieses Jahrhunderts eine weitgehende Dekarbonisierung der Weltwirtschaft an und gehen voran. Der Klimaschutzbericht zeigt: Wir sind auf einem guten Weg. Die Umsetzung nahezu aller Maßnahmen des Aktionsprogramms wurde in Angriff genommen. Einige Maßnahmen wirken bereits. Aber mit Verlaub, es ist schon sehr ambitioniert, zu erhoffen, dass über 100 Maßnahmen ihre volle Wirkung schon im ersten Jahr entfalten. Wir haben 2010 beschlossen, dass der Anteil der erneuerbaren Energien an der Deckung des Stromverbrauchs bis 2020 bei 35 Prozent liegen soll. – Herr Krischer, regen Sie sich nicht auf. Wir sind inzwischen bei 33 Prozent. (Beifall bei der SPD) Wollen Sie angesichts dieser Zahl ernsthaft behaupten, dass wir in den nächsten fünf Jahren die 35 Prozent nicht erreichen werden? Wir sind auf einem guten Pfad. Sie müssen es nicht schlechterreden, als es tatsächlich ist. Ich möchte noch einmal auf die Kohlefinanzierung eingehen. Sie, Frau Höhn, haben die 3,3 Milliarden Euro angesprochen; aber Sie haben nicht gesagt, dass die KfW im gleichen Zeitraum Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen in einem Volumen von 177 Milliarden Euro finanziert hat. Das muss man einmal im Vergleich sehen: 177 Milliarden Euro zu 3,3 Milliarden Euro. Sie tun so, als ob die KfW nur die Kohletechnologie fördere. Das stimmt einfach nicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich appelliere, dass wir uns gemeinsam auf den Weg machen und uns in den Dialogprozess und das Aktionsbündnis Klimaschutz einbringen. Dieses ist ganz gut gestartet und umfasst die Länder, Kommunen, die Wirtschaft und alle gesellschaftlichen Gruppen. Alle diese Akteure gemeinsam müssen dazu beitragen, die Maßnahmen auf dem Weg der Dekarbonisierung voranzubringen. Diesen Ansatz der Beteiligung verfolgen wir auch im Zusammenhang mit unseren mittel- und langfristigen Klimaschutzzielen. Im Lichte der Ergebnisse von Paris und der vereinbarten EU-Ziele wollen wir unsere Klimaschutzpolitik langfristig aufstellen. Dies soll mit dem Klimaschutzplan 2050, den wir nächstes Jahr beschließen wollen, geschehen. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir diesen Dialogprozess haben. Es kommt nicht darauf an, ob wir einen Monat früher oder später damit beginnen. Wir befinden uns auf dem richtigen Weg, und wir machen das gründlich. Wir haben dazu, wie gesagt, einen breiten Dialog- und Beteiligungsprozess mit Bundesländern, Kommunen und Verbänden initiiert. Sie sehen: Für uns ist nicht in fünf Jahren Schluss. Wir wissen, dass bis 2050 ein langer Weg zu gehen ist. Wir haben angefangen, diesen Weg zu gehen, und wir werden die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft bis Ende dieses Jahrhunderts vorantreiben. Dabei spielt auch eine Rolle, diesen Prozess sozialverträglich zu gestalten und sinnvolle Investitionen zu tätigen. Dafür brauchen wir die Unterstützung aller. Dafür werbe ich. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Carsten Müller, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Klaus Mindrup [SPD]) Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will – die Frau Kollegin Staatssekretärin hat das eben richtigerweise gemacht – einen zentralen Punkt dieser Debatte noch einmal unterstreichen. Die beiden Kolleginnen der Oppositionsfraktionen haben unter anderem auf die Frage abgehoben, in welchem Umfang die KfW die Kohletechnologie finanziert. Richtig, sie tut das in einem Umfang von 3,3 Milliarden Euro. Das ist zweimal gesagt worden, und ich sage es jetzt ein drittes Mal. Darüber kann man sich durchaus streiten, aber Sie haben zwei Dinge verschwiegen: zum einen, dass diese Investitionen zur Modernisierung von alten Kohlefeuerungsanlagen verwendet worden sind, (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die dann 40 Jahre weiterlaufen!) zum anderen haben Sie den wesentlichen Punkt verschwiegen – das ist ehrlich gesagt schon in der Nähe der Unredlichkeit –, dass ein Finanzierungsvolumen von 173 Milliarden Euro von der KfW für Klimaschutz und grüne Technologien ausgelegt worden ist. Ich finde, es ist eine bemerkenswerte Aufgabenteilung – die finde ich auch gut –: Sie von der Opposition kümmern sich um 1,87 Prozent, und wir von der Großen Koalition kümmern uns um 98,13 Prozent. Das ist eine vernünftige Aufgabenteilung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was kommt noch mal vor dem Fall, Herr Müller? – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Durchfall! – Gegenruf der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hochmut kommt vor dem Fall!) Etwas überraschend ist heute sowohl von Vertretern der Regierungsfraktionen als auch aus den Reihen der Opposition Papst Franziskus zitiert worden. Ehrlich gesagt: Ja, es lohnt sich, die Umweltenzyklika zu lesen, und es wäre vermessen, zu sagen, dass der Papst von wesentlichen Programmen der Großen Koalition abgeschrieben hätte. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Beleidigung des Papstes!) Aber ich finde es bemerkenswert, dass wir doch einen weitgehenden gesellschaftlichen Gleichklang haben. Das zeigt, dass die Große Koalition und die Bundesregierung auf dem richtigen Pfad sind. Ich will einige wenige Gesichtspunkte herausgreifen. Unzweifelhaft ist die wirksamste Art, das Klima zu schützen, der Energieverschwendung Einhalt zu gebieten. Deswegen finde ich es richtig, dass wir gerade heute, am ersten Geburtstag des Nationalen Aktionsplans Energieeffizienz, eine solche Debatte führen. Der NAPE ist durchaus ambitioniert. Wir wollen versuchen, 25 Millionen bis 30 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente einzusparen, und das bis 2020. Da ist in den letzten zwölf Monaten eine ganze Menge sehr Vernünftiges angedacht und formuliert worden. Ich nenne die KfW-Energieeffizienzprogramme und die Energieauditpflicht für größere Unternehmen. Mit den wettbewerblichen Ausschreibungsmodellen für Energieeffizienz und mit der Contracting-Förderung haben wir wichtige Schritte nach vorne gemacht. Es gibt auch kleinere Maßnahmen, die durchaus wirkungsvoll sind, beispielsweise das Effizienzlabel für Heizungsaltanlagen. Aber – auch das hat mein Kollege Josef Göppel richtigerweise gesagt, und auch ich sage das ganz freimütig – ich könnte mir durchaus etwas mehr Geschwindigkeit bei der Umsetzung der einzelnen Schritte des NAPE vorstellen. Entsprechend ist auch mein Appell an die Bundesregierung. Ich bin, ehrlich gesagt, etwas enttäuscht darüber, dass es nach wie vor nicht gelungen ist, die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung umzusetzen. Ich will meine Worte mit einem Appell an die Bundesländer verbinden. Sie stehen auf der Bremse. (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seehofer steht auf der Bremse!) Das darf nicht sein. Klar ist auch, dass das „Anreizprogramm Energieeffizienz“ der KfW mit einem Volumen von 165 Millionen Euro dieses wichtige und zentrale Vorhaben des NAPE keinesfalls ersetzen kann. Meine Damen und Herren, ich darf daran erinnern, dass der NAPE das Finanzierungsvolumen bereits vorgesehen und eingeplant hat. Wir reden über rund 1 Milliarde Euro, die zwischen 2015 und 2019 ausgegeben werden sollen. Das ist eine lohnenswerte Investition, nicht zuletzt deswegen, weil jeder Förder-Euro erwiesenermaßen 11 weitere Euro Investitionen nach sich zieht. Wir haben hier unmittelbar zu liefern. Das ist mein Appell an die Bundesregierung. Wir dürfen als Parlament nicht nachlassen; denn wenn das Parlament – das sehen wir heute an einem anderen Tagesordnungspunkt – etwas unzureichende Gesetzentwürfe der Regierung besonders in Augenschein nimmt, dann wird etwas Gutes daraus. (Beifall der Abg. Josef Göppel [CDU/CSU] und Klaus Mindrup [SPD]) Auch da schließe ich mich dem Kollegen Göppel an. Die Novelle zum Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz, die heute Abend beraten wird, ist meines Erachtens ein besonders gutes Beispiel dafür. Es ist eben im parlamentarischen Verfahren gelungen – das ist meines Erachtens elementar –, dass wir beispielsweise eine Anhebung des Ausbauziels formuliert haben, dass wir einen viel früheren Zeitpunkt der Rechts- und Investitionssicherheit geschaffen haben, dass wir auch wichtige Technologien wie beispielsweise die ORC-Technologie nicht außen vor lassen, sondern weiterhin fördern. Ich bin da insofern sehr optimistisch, als wir als Parlament wichtige Impulse setzen können. Ich will einen weiteren Punkt aufgreifen, über den wir uns hier gelegentlich unterhalten und bei dem wir ebenfalls einen verstärkten Handlungsbedarf haben. Das ist der Verkehrssektor. Das Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 sieht vor, dass wir 7 bis 10 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente einsparen müssen. Wir haben es bedauerlicherweise mit der Situation zu tun, dass der Anteil der verkehrsinduzierten CO2-Emissionen seit 1990 von 13 Prozent auf 18 Prozent angestiegen ist. Damit sind Effizienzgewinne, die im Übrigen erheblich waren, bedauerlicherweise überkompensiert worden. Das heißt, wir müssen dieses Thema neu aufsetzen und uns deswegen um einige wichtige Bausteine kümmern, beispielsweise um alternative Antriebstechnologien. Wir haben es zustande gebracht, dass Gasantriebe künftig weiterhin steuerlich gefördert werden. Wir erwarten bis zum Ende des erstens Quartals 2016 einen entsprechenden Gesetzentwurf. Das ist wichtig, damit es Investitionssicherheit gibt, sodass man sagen kann: Jawohl, wir fördern und unterstützen klimafreundliche Gasantriebe in Fahrzeugen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, wir sollten durchaus – dazu gab es in der Vergangenheit verschiedentlich Gelegenheit – die Frage von Emissionen von verbrennungsangetriebenen Fahrzeugen in den Blick nehmen. Dabei sollten wir uns nicht nur die Emissionen anschauen, die von den Verbrennungsmotoren selber ausgehen, sondern – ich habe das schon einmal in aller Kürze gemacht – das Fahrzeug insgesamt. Für mich war es eine erschreckende Information, dass beispielsweise Fahrzeuge mit Kühlaggregat – 180 000 Stück fahren davon auf deutschen Straßen – genauso viele Emissionen in Bezug auf Stickoxidpartikel ausstoßen wie 10 Millionen dieselangetriebene Pkws. Das zeigt mir, dass wir dieses Thema angehen müssen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum gehen Sie es denn nicht an? Sie regieren hier!) – Kollege Krischer, Sie haben sich dieses Themas doch noch gar nicht angenommen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben hier etliche Anträge zu dem Thema gestellt!) Für Sie ist das, was ich Ihnen hier heute erzähle, eine absolute Neuigkeit. Ich freue mich über Ihre Unterstützung. Aber, ehrlich gesagt, die Anzahl Ihrer Interventionen in diesem Bereich war doch außergewöhnlich überschaubar. (Lachen des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Insofern müssen wir uns diesem Thema zuwenden. Da sehe ich konkreten Handlungsbedarf. Wir werden dieses Thema aufgreifen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich will auf einen letzten Punkt zu sprechen kommen, auf das Thema Elektromobilität. Da hat die Bundesregierung eine Menge auf den Weg gebracht. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Faktenfreie Behauptung!) Wir haben Schaufensterprogramme gefördert. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben Schaufensterpolitik gemacht!) Es gibt Privilegierungen beim Parken und auch bei der Nutzung von Sonderfahrspuren. Es gab eine Ladesäulenverordnung. Es gibt Modelle der Steuerbefreiung. Wir haben einen Nachteilsausgleich bereits beschlossen und auf den Weg gebracht. Es gibt auch erhebliche Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten. Aber zugegebenermaßen: Der erhoffte Erfolg hat sich nicht vollständig eingestellt. Ich glaube, dass wir zu einem Erfolg nur dann kommen, wenn wir E-Mobilität neu denken. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das mal Herrn Dobrindt!) „E-Mobilität neu denken“, darunter verstehe ich genau das nicht, was Sie, Herr Krischer – ich nehme Sie mal als Beispiel –, darunter verstehen, nämlich einfach dummes Geld rausschleudern, (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dummes Geld?) Kaufzuschüsse geben. Damit verschleudern Sie Steuermittel und vergeben Chancen. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie schon mal gemerkt, dass Sie an der Regierung sind, dass Sie Mitglied einer Regierungsfraktion sind?) Ich sage Ihnen eines: Fast alle in der Republik sind sich einig – Sie sind da einer der letzten Mohikaner –, dass dieses Geld beispielsweise bei der Erforschung von Batteriezellen, in der Frage „Wie setzen wir eine Batteriezellenproduktion in Deutschland um?“, wesentlich besser investiert ist. Ich glaube, wir müssen Elektromobilität neu verstehen, weil es deutlich zu kurz greift, bei einem konventionell angetriebenen Fahrzeug den Verbrennungsmotor herauszunehmen, einen Elektroantrieb und ein Batteriepack hineinzusetzen und zu sagen: Das ist Elektromobilität. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie sogar recht! Warum macht die Bundesregierung dann nichts?) – Herr Kollege Hofreiter, das passiert im Übrigen häufiger, wenn Sie mir zuhören. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was, dass die Bundesregierung nichts macht?) Vielmehr müssen wir uns integrierte Ansätze anschauen. Wir müssen das Thema Intermodalität viel stärker betrachten. Wir müssen dafür sorgen, dass Menschen, die ein E-Mobil fahren, sich nicht sozusagen mit der Kompensation von Minderwerten beschäftigen müssen, sondern echte Mehrwerte haben. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was halten Sie von der Idee, das mal Herrn Dobrindt zu erzählen? Hätten Sie mal Lust, das mal Herrn Dobrindt zu erzählen? Herr Dobrindt ist Verkehrsminister! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Hören Sie doch mal zu!) – Er soll sich doch einfach mal melden. Aber das traut er sich nicht. – Ich greife ein Beispiel heraus, auch für den Kollegen Hofreiter. Es klappt bei den elektrisch angetriebenen Zweirädern. Da zeigt sich: Kaufanreize sind überhaupt nicht notwendig. Wir müssen Mehrwerte generieren. Die Pedelecs und die erfolgreichen E-Räder haben heute einen erheblichen Marktanteil, nämlich von fast 20 Prozent. Meine Damen und Herren, warum ist das so? Weil die Leute Mehrwerte haben. Das sind sozusagen die Abschaffung des Gegenwinds und die Abschaffung der Bergauffahrt. Das wollen die Menschen, und dann klappt es auch mit der E-Mobilität. Ich habe nur zwei Einzelpunkte herausgegriffen. Sie zeigen Ihnen allerdings: Die Bundesregierung ist auf dem richtigen Weg. Klimaschutz ist bei der Bundesregierung und bei den sie tragenden Fraktionen bestens aufgehoben. Vizepräsident Peter Hintze: Lieber Kollege. Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU): Damit möchte ich gern schließen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Sabine Leidig, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Leidig (DIE LINKE): Herr Präsident! Werte Damen und Herren! Bevor ich zum Thema spreche, will ich sagen, wie sehr es mich bewegt und auch entsetzt, dass Deutschland demnächst Kriegspartei in Syrien sein wird. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Den Unsinn hat gestern schon die Frau Buchholz erzählt!) Ich weiß, dass es vielen ebenso geht. Ich finde, dass Solidarität mit den Opfern von Terror und Gewalt anders aussehen muss. Krieg war und ist auch heute die falsche Antwort auf den Terror. (Beifall bei der LINKEN) Nun reden wir über eine andere globale Herausforderung, nämlich über den Klimawandel, der für Millionen von Menschen heute schon lebensbedrohliche Folgen hat, und wir reden über die konkreten Maßnahmen der Bundesregierung zum vereinbarten Klimaschutz. Mein Augenmerk liegt auf dem Verkehrssektor – der Kollege hat ihn gerade schon angesprochen –; denn er ist der zweitgrößte Klimakiller und der einzige Bereich, in dem die Treibhausgasemissionen weiter gestiegen sind, und zwar in den letzten 25 Jahren um 30 Prozent. Da traue ich meinen Ohren nicht: Pünktlich zum Klimagipfel in Paris – dorthin ist ein Promotionzug mit Promis gefahren – hat der Vorstand der Deutschen Bahn AG mitgeteilt, dass alle Nachtreisezüge eingestellt werden. Statt also im Schlafwagen in die europäischen Nachbarländer zu reisen, soll man künftig in Nachtbussen oder im ICE sitzen, oder man muss fliegen. Damit wird die klima­freundlichste Art, zu reisen, durch die klimaschädlichste ersetzt. Die Bundesregierung schweigt. Wir fordern, dass das Angebot an Nachtreisezügen europaweit als umweltfreundliche Alternative zum Flugverkehr ausgebaut wird – für Klimaschutz und für sinnvolle Arbeitsplätze. (Beifall bei der LINKEN) Es geht nicht um irgendwelche Kennzahlen, sondern darum, konkrete sozial-ökologische Umbauprojekte ins Werk zu setzen. Die Politik muss dazu beitragen, unsere Lebensweise in klimaverträgliche Bahnen zu lenken. Das Europäische Parlament hat das erkannt und – übrigens unter Beteiligung der sozialdemokratischen und christdemokratischen Fraktionen – dazu einen, wie ich finde, sehr wegweisenden Beschluss gefasst. Zum Verkehr heißt es dort – ich zitiere –, dass „ehrgeizige Ziele in Bezug auf die Senkung der Treibhausgasemissionen nur verwirklicht werden können, wenn es sowohl kurz- als auch langfristige Strategien zur Verringerung des Verkehrsaufkommens gibt“. (Beifall bei der LINKEN) Genau darum geht es. Der Verkehr muss reduziert werden. Was ist aber vom zuständigen Minister, von Herrn Dobrindt, zu vernehmen? Er schwärmt vom 40prozentigen Zuwachs des Güterverkehrs bis 2030. Ich zitiere ihn: Wohlstandssicherung geht nur über Mobilitätsgewinnung. ... Da, wo Güterverkehre, Personenverkehre und Datenverkehre wachsen, da wächst am Schluss auch der Wohlstand. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Hallo? Wo leben Sie denn? Haben Sie nicht mitbekommen, dass Verkehrslärm und Abgasbelastungen die Menschen krank machen und Stress verursachen? (Volker Kauder [CDU/CSU]: Mich macht etwas ganz anderes krank, wenn ich da manche höre!) Wissen Sie nicht, dass die Zerstörung von Umwelt und Klima unseren Wohlstand schon längst untergräbt? Von einem solchen Minister sind keine Konzepte zur Verkehrsvermeidung zu erwarten. Dabei arbeiten rund 1 300 qualifizierte Beschäftigte im Bundesverkehrsministerium. Da müsste doch etwas möglich sein. Die kleine Alpen-Initiative in der Schweiz hat konkrete Ausarbeitungen zum Thema Verkehrsvermeidung. Sie hat zum Beispiel dargestellt, dass Schlagsahne in Sprühdosen, die mit einem Enzian verziert sind, 2 000 Transportkilometer hinter sich haben, wenn sie in der Schweiz gekauft werden, weil der Rahm in Belgien abgefüllt wird. Eine wichtige Forderung ist, dass Transporte so verteuert werden, dass sich dieser Wahnsinn nicht rentiert und Arbeitsplätze in der Region bleiben. Das ist doch vernünftig. (Beifall bei der LINKEN) Unter Verkehrsminister Dobrindt aber ist die LkwMaut abgesenkt worden. Außerdem denkt er darüber nach, zu prüfen, inwieweit bis 2018 die Kosten der Umweltzerstörung angelastet werden können. Wie armselig ist das? (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ein guter Mann, der Dobrindt!) Werte Kolleginnen und Kollegen, wer Klimaschutz ernst nimmt, muss Verkehr vermeiden und verlagern. Ein Verkehrsminister, der viele Milliarden für neue Straßen verpulvert, ist klimaschädlich und heutzutage fehl am Platze. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: So ein Unsinn!) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Klaus Mindrup, SPDFraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Klaus Mindrup (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Bei allem Streit freue ich mich, dass wir hier Konsens haben, dass der menschengemachte Klimawandel eine große Gefährdung darstellt und wir entschieden dagegen vorgehen müssen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) An die Atomkatastrophen von Tschernobyl und Fukushima kann ich mich genau erinnern. Das waren Ereignisse, die an einzelnen Tagen stattgefunden haben. Der Klimawandel vollzieht sich jedoch schleichend, und das macht ihn so gefährlich. Kohlendioxid bleibt durchschnittlich 120 Jahre in der Atmosphäre, bei Methan sind es 15 Jahre. Dadurch wird die Reichweite unseres Handelns deutlich. Ich will jetzt aber nicht 120 Jahre zurückgehen, sondern nur 15 Jahre. Im Jahr 1999 betrug der Anteil der erneuerbaren Energien ungefähr 5,5 Prozent und bezog sich überwiegend auf die Wasserkraft. Die Vergütung für eine Kilowattstunde Strom aus Photovoltaik betrug damals 50,6 Cent. Heute machen die erneuerbaren Energien im Strombereich über 30 Prozent aus – bei stark fallenden Preisen. Da zeigt sich, dass wir eine Vorbildfunktion in Europa und in der Welt haben. Das ist ein Weg, den wir weiter gehen sollten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vollkommen klar ist, dass die Dekarbonisierung primär bei der Energie stattfinden kann und weniger bei den Grundstoffindustrien, weil wir natürlich auch an unsere Volkswirtschaft denken müssen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wichtig ist aber auch, dass die Energiewende sowie der Kampf gegen den CO2-Ausstoß und den menschengemachten Klimawandel eine Gemeinschaftsaufgabe sind. Es sind alle gefordert, die Bürgerinnen und Bürger, die Initiativen, die Unternehmen, die Gewerkschaften, die Kommunen, die Länder und der Bund. Das ist etwas, was man nicht einfach so bei der Bundesregierung abladen kann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Völlig richtig!) Die Energiewende wird dezentral sein. Sie wird in den Dörfern und Quartieren stattfinden. Deswegen – das ist heute schon mehrfach erwähnt worden – freue ich mich, dass wir heute Abend die Förderung des Mieterstroms aus KWK-Anlagen beschließen werden. Ich hoffe, dass das ein Signal sein wird, dass wir es auch bei der Photovoltaik hinbekommen, die dort vorhandenen Kostenvorteile an die Mieter weiterzugeben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist sozialpolitisch wichtig. Vor allen Dingen stärkt es die Akzeptanz der Energiewende bei den Menschen. Die Bundesregierung ist hier schon von der Opposition – das ist auch das Geschäft der Opposition – heftig kritisiert worden. Was ich hier ausdrücklich loben möchte, ist die Transparenz der Bundesregierung. Hier wird nichts unter den Tisch gekehrt, sondern eine ganz reale Bestandsaufnahme gemacht, wo wir im Augenblick stehen. Ich bin sicher, dass das vorbildlich ist und auch einen Standard für weitere Bundesregierungen setzt. Demokratie ist Macht auf Zeit. Hinter diese Entwicklung wird keine Bundesregierung nach dieser Bundesregierung zurückfallen können. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Josef Göppel [CDU/CSU]) Auch da sind wir vorbildlich in der Welt; denn wir diskutieren darüber. Auch das, was wir hier machen, ist vorbildlich. Dass die Opposition Kritik äußert, ist normal, dass sie sagt: „Ihr müsst schneller sein“, ist normal. In anderen Ländern findet das gar nicht statt. Das können wir nach außen darstellen. Dafür müssen wir uns überhaupt nicht schämen. Wir müssen darüber hinaus natürlich unsere Ziele einhalten. Das wird Schritt für Schritt passieren. Wir müssen auch unsere internationalen Förderzusagen einhalten. Auch wenn der Dollarkurs steigt – oftmals sind unsere Etats in Euro berechnet –, müssen unsere Zusagen verlässlich sein. Und wir müssen jedes Jahr besprechen, was wir besser machen können, weil wir jedes Jahr die entsprechenden Berichte bekommen. Ich glaube, wir müssen uns keine Sorgen machen. Wir reduzieren die Energie­importe. Meines Erachtens müssen wir auch viel stärker über den Ausstieg aus Öl reden. Wir fördern Wertschöpfung vor Ort und Arbeitsplätze im eigenen Land. Auch ich bin mit dem Klimazug nach Paris gefahren. Spannend war die Diskussion mit Vertretern der Stiftung 2°, spannend waren auch die Diskussionen mit Vertretern der NGOs und der Gewerkschaften. Da bahnt sich ein neuer Konsens an, den ich sehr positiv finde. Hier ist auch VW angesprochen worden. Dazu kann man, glaube ich, nur einen Satz sagen: Mogeln lohnt sich nicht. – Das muss Konsens in unserer Wirtschaft sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Was wir angehen müssen – das halte ich für sehr wesentlich –, ist, die Streichung umweltschädlicher Subventionen stärker in den Blick zu nehmen und auch darüber zu reden, wie wir hinsichtlich der Steuern zukünftig ökologische Fortschritte stärker belohnen. (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD] und Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Der Fortschritt, den wir bei den Finanzinvestitionen haben, dass also viele internationale Geldgeber und Banken aus klimaschädlichen Investitionen aussteigen, ist ein wunderbares Signal. Das wird auch dazu führen, dass wir internationales Kapital nach Deutschland holen können für unseren Weg zu einem höheren Anteil erneuerbarer Energien. Schließen möchte ich mit einem alten sozialdemokratischen Ausdruck: zur Sonne, zur Freiheit. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Oliver Krischer, Bündnis 90/Die Grünen. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Schwarzelühr-Sutter, ich kann, ehrlich gesagt, nicht verstehen, wie Sie sich hier als Vertreterin der Regierung hinstellen und sagen können, die Bundesregierung sei beim Klimaschutz auf dem richtigen Pfad. Das exakte Gegenteil ist der Fall. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dazu muss man gar nicht die Gutachten der Opposition herauskramen, sondern nur auf die Seite des Bundeswirtschaftsministeriums schauen. Die Expertenkommission zur Energiewende sagt klipp und klar und unverblümt: Wenn die Politik so weitergeht, werden wir das Klimaschutzziel 2020 verfehlen, nicht knapp, sondern krachend. – Das ist Ihre Politik, Frau Schwarzelühr-Sutter. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich kann jedem nur empfehlen, in diesen Bericht einmal reinzuschauen. Das, meine Damen und Herren, ist die finale Bankrotterklärung der Klimaschutzpolitik dieser Bundesregierung, und es ist die Bundesregierung, die diese Expertenkommission berufen hat, niemand anderes. (Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Diesen Quatsch wiederholen Sie ständig! Das ist doch grundverkehrt!) – Herr Müller, ehrlich gesagt, dass Sie sich hierhinstellen und sagen: Papst Franziskus hat bei der Großen Koalition abgeschrieben. – Also bitte! Geht es noch? (Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Sie haben schon wieder nicht zugehört!) Ich glaube, als bei Ihnen zu Hause die Arroganz verteilt worden ist, da sind Sie ins Töpfchen gefallen. Das ist Ihr Problem. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Herr Krischer, das war ein Topf, kein Töpfchen!) Vizepräsident Peter Hintze: Herr Kollege, Sie bekommen die Chance einer kleinen Redezeitverlängerung, wenn Sie eine Zwischenfrage von Frau Schwarzelühr-Sutter zulassen. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber selbstverständlich. Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD): Sehr geschätzter Kollege Krischer, Sie haben gerade gesagt, dass Sie es nicht verstehen, wie man hier solche Äußerungen machen kann. Ich frage Sie: Haben Sie den Monitoringbericht zur Energiewende denn gelesen? Er bezieht sich auf das Jahr 2014. Das Klimaschutzprogramm haben wir im Dezember 2014 beschlossen. Ehrlicherweise muss man sagen: Das, was Sie bezüglich der Energiewende äußern, haben Sie, glaube ich, nicht gelesen. Aber ich habe es verstanden, dass es damals noch gar nicht beschlossen war. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh, oh!) Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Schwarzelühr-Sutter, danke für die Nachfrage. Dazu wäre ich nämlich jetzt gekommen. Der Monitoring­bericht der Bundesregierung ist eine schöne Selbstdarstellung. Interessant sind aber die von Ihnen berufenen Experten, die jeder grünen Umtriebe und sonst etwas unverdächtig sind. Die sagen: Wenn wir das Klimaschutzziel erreichen wollen, dann müssen wir das Tempo in den verbleibenden drei Jahren verdreifachen gegenüber dem, was in der Vergangenheit stattgefunden hat. Und sie sagen klipp und klar, dass die Politik der Bundesregierung, wie sie sie im Moment macht, dazu keinerlei Anlass gibt, Frau Schwarzelühr-Sutter. Das ist die Wahrheit. Das sagen Ihre eigenen Experten. Das sollten Sie sich bitte schön hinter die Ohren schreiben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn man über die Gründe der gescheiterten Klimaschutzpolitik spricht, dann muss man sich hier nur im Saal umschauen. Das Problem ist nämlich, dass Klimaschutzpolitik bei der Großen Koalition Schönwetterpolitik ist. Es reden immer nur Josef Göppel, manchmal auch Andreas Jung, Frank Schwabe, der Kollege Mindrup. Aber diejenigen, die dann, wenn es in der Energie- und Verkehrspolitik einmal konkret wird, entscheiden, tauchen bei diesen Debatten nicht auf. Die machen die Entscheidungen. Da sitzt plötzlich Sigmar Gabriel, wenn es um die Kohle geht, oder die energiepolitische Todeszone Fuchs–Pfeiffer–Bareiß macht jede sinnvolle Maßnahme kaputt. Das ist die Realität. Das ist der Grund dafür, weshalb Ihre Klimaschutzpolitik gescheitert ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich könnte aus den letzten zwei Jahren drei Dutzend Dinge aufzählen, wo Sie sich immer dann, wenn es konkret wird, wenn die Sonntagsreden und das internationale Parkett nicht angesagt sind, gegen den Klimaschutz entschieden haben. Ich will nur ein Thema herausgreifen. Das ist die Verkehrspolitik. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Super! Hatten wir heute noch nicht!) Letzte Woche hat sich Herr Dobrindt hierhingestellt und hat zum Haushalt geredet. Er hat in bester 70erJahre-Straßenbaurhetorik irgendetwas erzählt. Er hat es geschafft, in 20 Minuten nicht ein einziges Mal die Worte „Klimaschutz im Verkehr“ unterzubringen. Meine Damen und Herren, wer einen solchen Verkehrsminister hat, der braucht sich um das Scheitern seiner Klimaschutzpolitik keine Sorgen mehr zu machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich will zu einem anderen Thema kommen. Gerade wurde über die Kraft-Wärme-Kopplung gesprochen. Ja, das Thema wird heute um 20 Uhr behandelt. Da verstecken Sie diesen Tagesordnungspunkt. Es ist offensichtlich nötig, dass Sie diesen Tagesordnungspunkt verstecken, weil Sie beschließen – neben ein paar sicher auch sinnvollen Sachen –, dass Sie in die Förderung von Bestandskohlekraftwerken einsteigen. Meine Damen und Herren, es kann doch nicht sein, dass die Allianz aus der Kohleförderung aussteigt, und diese Bundesregierung steigt nicht nur in die Förderung von Braunkohle ein, sie beschließt heute Abend auch noch den Einstieg in die Kohleförderung bei der Kraft-Wärme-Kopplung. Meine Damen und Herren, das kann doch nicht das Signal sein, das wir an die Konferenz in Paris schicken. Das muss das exakte Gegenteil sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich sage dazu eines: Richtig wäre ein Signal, das die Umweltministerin Barbara Hendricks in der vergangenen Woche in der Tat offen ausgesprochen hat. Sie hat gesagt: Man kann in den nächsten 20 bis 25 Jahren aus der Kohle aussteigen. Darüber müsste es in Deutschland endlich eine Verständigung geben. – Ich sage: Recht hat die Frau. Deshalb stellen wir hier und heute einen Antrag zur namentlichen Abstimmung. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Unterstützen Sie Frau Hendricks, wenn diese Forderung ernst gemeint sein soll und nicht nur eine Nebelkerze vor Paris war, sodass von Deutschland das Signal ausgeht: Deutschland steigt in den nächsten 20 bis 25 Jahren aus der Kohle aus. Das wäre das richtige Signal, um die Konferenz in Paris voranzubringen, um auch die deutsche Wirtschaft zu stärken; denn die Kohle ist keine Zukunft, nicht nur aus Klimaschutzgründen, sondern wir müssen da raus, der nachfolgenden Generation, der Umwelt und einer nachhaltigen Energieversorgung zuliebe. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Oliver Grundmann, CDU/CSUFraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Oliver Grundmann (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Krischer, wenn Dampfplauderer CO2 ausstoßen würden, dann wären Sie hier sicherlich der größte CO2Emittent im ganzen Hause. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! – Weiterer Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh Gott, wie peinlich!) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben in den Bereichen Klimaschutz und Energiewende eine Vorreiterrolle. Wir können Vorbild für viele Länder auf der Welt sein. Wir haben schon ein gutes Stück an Strecke zurückgelegt. Die neuesten Zahlen belegen: Schon heute beträgt der Anteil aus erneuerbaren Energien 33 Prozent – so viel wie in keiner anderen Industrienation der Welt. Das ist etwas, was wir vor wenigen Jahren noch für undenkbar gehalten haben. Bei aller Euphorie: Wir dürfen uns dabei nicht übernehmen. Vor uns liegt noch eine Marathonstrecke, die wir zu bewältigen haben. Ein radikaler Kohleausstieg, ein Sprint am Anfang der 42 Kilometer, ist – bei aller Ungeduld – die falsche Schrittgeschwindigkeit, wenn wir wirklich erfolgreich ins Ziel kommen wollen. Wenn wir unser industrielles Herz erlahmen ließen, dann wären wir nicht mehr Vorbild, sondern stünden für ein gescheitertes Experiment. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau!) Es nützt niemandem, wenn wir die Konkurrenzfähigkeit unserer Wirtschaft gefährden, um geringste Mengen CO2 einzusparen. Das wäre dann eine schädliche Übertreibung. Wenn wir scheiterten, dann wären wir nicht mehr Vorbild, dann würden uns andere Länder auf der Welt nicht mehr nachfolgen wollen; dann hätten wir eine große Chance vertan, wirkliche Mengen CO2 einzusparen und damit einen wirklichen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich sage Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren: Ein zeitgleicher Atom- und Kohleausstieg ist für eine Industrienation wie Deutschland sehr riskant. Wir brauchen auch in Zukunft verlässliche Grundlastträger, zumal uns erforderliche Leitungen und Speicher für erneuerbare Energien in Deutschland noch fehlen. Es ist daher erforderlich, die Kohle als verlässlichen, heimischen Energieträger im Sinne einer Brückentechnologie zumindest mittelfristig weiter zu nutzen, so lange jedenfalls, bis andere Technologien eine sichere und bezahlbare Alternative darstellen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich begrüße grundsätzlich das Ziel einer Dekarbonisierung; aber ich bin als ehemaliger Geschäftsführer ein Mann der Praxis und kenne den Bereich des Umweltschutzes daher nicht nur aus Anträgen. Ich sage Ihnen: Wir können nicht zwei Schritte vor dem ersten tun. Andernfalls kommen wir ins Straucheln, stolpern und landen dann auf dem Asphalt. Wir müssen uns einmal die Dimension dieser politischen Frage vor Augen führen. Wir haben immer noch die besten und effizientesten Kohlekraftwerke der Welt; sie können heute bereits Wirkungsgrade von bis zu 46 Prozent erreichen. Diese Technik gilt es fortzuentwickeln. Wir müssen weiterhin technologischer Vorreiter bleiben, bei den erneuerbaren – ja! –, aber genauso bei den konventionellen Energieträgern. Sonst haben wir rein gar nichts gewonnen. Sie stimmen mir da vielleicht in diesem Hause zu: In China geht bald jede Woche ein neues Kohlekraftwerk ans Netz, – (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war einmal! Das ist vorbei! Sie sind nicht mehr auf der Höhe der Zeit!) gut für das Weltklima ist das mit Sicherheit nicht. Wir können die Chinesen aber auch nicht dazu zwingen, aus der Kohle auszusteigen. Wir können sie wohl aber ermuntern, umzusatteln, indem wir nur wettbewerbsfähige Umwelttechnologien an den Markt bringen. Für das Weltklima ist es in letzter Konsequenz egal, wo wir eine Tonne CO2 einsparen. Genau aus diesem Grund haben wir den Emissionshandel technologieoffen gestaltet. Ich sage Ihnen: Bleibt Deutschland eine führende Industrienation, dann kann der Energiebedarf in unserem Land kaum sinken, wenn unsere Wirtschaft nicht an einer Herzmuskelschwäche erliegen soll. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also keine Energieeffizienz?) Vizepräsident Peter Hintze: Herr Kollege, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage bei Frau Verlinden von den Grünen. Mögen Sie sie zulassen, oder wollen Sie weitersprechen? Oliver Grundmann (CDU/CSU): Ja, ich lasse sie zu. Vizepräsident Peter Hintze: Bitte schön. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Na los, Mädel! – Gegenruf der Abg. Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Chauvi-­Spruch!) Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Grundmann, Sie haben eben gesagt, dass Sie grundsätzlich dem Ziel der Dekarbonisierung positiv gegenüberstehen, dass Sie es unterstützen. Sie sagen, Klimaschutz ist wichtig. Aber das beinhaltet doch auch den Ausstieg aus den fossilen Energieträgern. Sie kommen aus Stade, wo gerade ein Kohlekraftwerk geplant wird. Ich wüsste gerne, wie Sie dazu stehen, vor allen Dingen – was die Bedenken der örtlichen Bevölkerung angeht – in Bezug auf gesundheitliche Aspekte. Ich habe eine zweite Frage. Sie sitzen doch im Umweltausschuss. Wir haben im Frühjahr eine Anhörung zum sogenannten Fracking-Gesetzespaket durchgeführt. Wir Grüne finden es sehr bedauerlich, dass nach wie vor keine gesetzliche Regelung verabschiedet werden konnte. Wir Grüne waren nach den im Frühjahr sowohl im Umwelt- wie auch im Wirtschaftsausschuss durchgeführten Anhörungen relativ schnell mit unseren Änderungsanträgen zu dem Gesetzespaket fertig. Wir hätten diese sehr gerne hier im Bundestag diskutiert und zur Abstimmung gestellt. Leider hat die Große Koalition den entsprechenden Tagesordnungspunkt kurzfristig von der Tagesordnung genommen. Ich möchte von Ihnen wissen – Sie sind ja Umweltpolitiker –: Wann sind Sie in der Großen Koalition endlich so weit, dass wir hier über das wichtige Thema Fracking debattieren und abstimmen können? (Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Was hat das denn mit der Debatte hier zu tun?) Die Mehrheit der Menschen will kein Fracking in Deutschland. Das hat sehr viel mit Klimaschutz zu tun. Denn es geht um die Frage: Wie lange wollen wir das fossile Zeitalter noch fortsetzen? Oliver Grundmann (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Kollegin Verlinden, auf die von Ihnen genannten Aspekte werde ich im Rahmen meiner Rede noch eingehen. Zu dem von Ihnen genannten Kraftwerk werde ich noch ausführlich Stellung nehmen. Zum Bereich Fracking-Technologie kann ich Ihnen nur sagen: Das Gesetzgebungsverfahren ist auf den Weg gebracht worden, dann allerdings abrupt zum Stoppen gekommen. Aber ich bin sehr zuversichtlich, dass wir in den nächsten Monaten eine vernünftige und sachgerechte Lösung im Sinne der Menschen in unserem Land finden können. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Echt?) Meine sehr geehrten Damen und Herren, angesichts der ideologischen Vergrämung konventioneller Energieträger, die in diesem Land stattfindet, habe ich eine Sorge: Wenn das so weitergeht, dann wird in Deutschland überhaupt kein Kraftwerk mehr gebaut, obwohl wir auf diese wichtige Brückentechnologie angewiesen sind. Dann werden wir abhängig von anderen Ländern und Strom beziehen, der auf ganz andere Art und Weise produziert wird, als wir uns das hier in Deutschland wünschen. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben einen gigantischen Stromüberschuss! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben Überkapazitäten!) Investoren brauchen sichere und verlässliche Rahmenbedingungen. Sie brauchen ein positives Umfeld, damit sie mutig und entschlossen unsere Zukunft anpacken und gestalten können. Ich will Ihnen daher, Frau Kollegin Verlinden, das Beispiel aus meinem Wahlkreis nennen. Es gibt in Stade das größte niedersächsische Chemiewerk, die Dow Chemical. Das Unternehmen braucht für den laufenden Betrieb etwa so viel Strom wie 1 Million Privathaushalte. So ein Unternehmen ist auf eine langfristige, stabile und wettbewerbsfähige Versorgung mit Strom und Wärme angewiesen. Jetzt frage ich Sie: Wie soll ein solches Unternehmen seinen gigantischen Energiebedarf rund um die Uhr, 8 700 Stunden im Jahr, allein aus erneuerbaren Energien decken? Dann wäre mein halber Wahlkreis mit Photovoltaikanlagen zugepflastert, wir bräuchten Hunderte von Windrädern, aber vor allen Dingen bräuchten wir Stromspeicher, die es in Deutschland zurzeit gar nicht gibt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was fordern Sie denn? Neue Kohlekraftwerke?) Wir haben bei uns nun einmal nicht nur dauerhaften Sonnenschein und steife Brisen; auch wenn ich mir das bei uns im norddeutschen Raum sehr wünschen würde. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was erzählen Sie uns denn hier?) Meine sehr geehrten Damen und Herren, Mittelstand und Bürger stöhnen unter der Last der Energiepreise. Wir sind heute schon europäischer Spitzenreiter bei den Industriestrompreisen. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt überhaupt nicht!) Ich hatte erst kürzlich den Dow-Betriebsrat in Berlin bei mir zu Gast. Energieintensive Unternehmen machen sich ernsthafte Sorgen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welcher Lobbyist hat Ihnen das aufgeschrieben?) Aber Sorgen alleine helfen nicht weiter. Dow Chemical nimmt seine Zukunft selbst in die Hand und plant ein eigenes hochinnovatives KWKKraftwerk. Durch modernste Technologien könnten dann sowohl fossiles Gas als auch Wasserstoff, Biomasse und Steinkohle als Brennstoffe eingesetzt werden. Da Wasserstoff als Nebenprodukt der Chlorelektrolyseprozesse in großem Umfang anfällt, könnte das in Zukunft sogar der Hauptbrennstoff werden. Bei einem solchen Kraftwerk hätten wir eine Brennstoffeffizienz von bis zu 60 Prozent und würden dann rund 40 Prozent weniger CO2 emittieren. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau!) Ich sage Ja zu erneuerbaren Energien. Auch das ist Zukunft und darf nicht verteufelt werden, wenn wir neue Wege gehen und solche Kraftwerke wie am Standort Stade vorantreiben. Aber dafür brauchen wir Investitionssicherheit, sonst bleibt auch dieses Projekt nur eine schöne Vorstellung der Investoren. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr geehrten Damen und Herren, was momentan in diesem Land passiert, betrachte ich mit einer gewissen Sorge: Ein Großprojekt nach dem anderen wird zerredet, verzögert oder ganz auf Eis gelegt. Dies wird versucht bei Autobahnen, beim Kraftwerksbau, bei den Freihandelsabkommen oder auch bei dem Ziel, die Olympischen Spiele in Hamburg auszutragen. „German Angst“ wird damit zum Mantra der Fortschrittsverweigerer. Dabei gerät ganz aus dem Blick, dass unser Wohlstand nicht vom Naturtourismus auf dem Lande und den Biomärkten in den Großstädten abhängt, sondern vom Fleiß von Abertausenden von Industriearbeitern, Mittelständlern, Handwerkern und Beschäftigten, die täglich aufstehen, arbeiten, ihre Pflicht tun und damit Wohlstand für alle schaffen. (Beifall bei der CDU/CSU – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das ist ja Steinzeit!) Dieser im Weltvergleich fast einzigartige Wohlstand hat die Energiewende erst möglich gemacht. Ich warne davor, unserer Wirtschaft immer neue Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Ich bin im Gegenteil dafür, die Chancen der Energiewende gemeinsam zu nutzen. Mit Power-to-Gas, Wärmespeichern und intelligenten Netzen sowie im gesamten Bereich der Energieeffizienz, vor allem im Gebäudebereich, bieten sich uns große Chancen. Hier lassen sich riesige Potenziale erschließen, ohne wertvolle Wirtschaftskraft opfern zu müssen. Hier haben wir einen riesigen Schatz, den es zu heben gilt. Wenn wir hier die Goldmedaille erringen, dann stehen wir auf der Siegertreppe und sind ein wirkliches Vorbild für die ganze Welt. Wenn wir Benchmark sind für andere Länder, wenn insbesondere die Chinesen angespornt werden, bei uns abzuschauen, dann können wir dadurch mehr erreichen als durch jeglichen kurzfristigen Aktionismus. Das nenne ich dann eine wirklich nachhaltige Klimapolitik. Dafür setzen wir von der CDU/CSU uns entschlossen ein. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Arno Klare, SPDFraktion. (Beifall bei der SPD) Arno Klare (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Uns eint die Erkenntnis, dass die Planetary Boundaries, also die Grenzen der ökologischen Dimension dieses Globus, in Gefahr stehen, erreicht und überschritten zu werden. Bei dem Stickstoff ist das bereits passiert. Bei CO2 haben wir noch ein riesiges Budget. Die Zahl sieht zumindest riesig aus; aber so groß ist es gar nicht. Genau deshalb hat diese Bundesregierung den Klima-Aktionsplan und den NAPE beschlossen. Ich bin sehr dankbar, dass darin 140 oder 150 Bausteine, Instrumente enthalten sind, dass nicht versucht worden ist, einen großen Wurf zu machen; denn diesen großen Wurf gibt es nicht. Nur in der Addition der vielen kleinen Schritte wird das gelingen. (Beifall bei der SPD) Der zweitgrößte Emittent von Treibhausgasen ist der Verkehr. Hier haben wir eine gegenläufige Entwicklung: Die Personen- und Tonnenkilometer, die auf der Welt zurückgelegt werden, nehmen dramatisch zu, während die THG-Emissionen pro Personenkilometer und Tonnenkilometer abnehmen. Trotz dieser gegenläufigen Entwicklungen nehmen die Emissionen zu; das stimmt natürlich. Wir haben aber vieles schon getan, und zwar auf nationaler Ebene. Zu sagen, es sei gar nichts passiert, ist völliger Unfug. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben die Lkw-Maut gesenkt!) Wir haben zum Beispiel gesagt: Wir müssen die nachhaltige städtische Mobilität stärken. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) Die Regionalisierungsmittel sind von 7,299 Milliarden Euro auf 8 Milliarden Euro im Haushalt 2016 erhöht worden. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu wenig!) Das entspricht fast der Forderung der 16 Länder. Wir haben für diesen Bereich eine Dynamisierung von 1,8 Prozent beschlossen. Ich höre aus den Ländern, dass bezüglich dieses Beschlusses ein hohes Maß an Zufriedenheit herrscht. Wir haben das EmoG I beschlossen. Wir werden auch ein EmoG II machen. Wir haben auch deutlich gemacht – darauf ist gerade schon hingewiesen worden –, dass wir den positiven Beschluss zur Erdgasbesteuerung über 2018 hinaus fortsetzen werden. All das ist schon geschehen bzw. auf dem Weg. Sich hinzustellen und zu sagen, es sei gar nichts passiert, ist schlichter Unsinn. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Das heißt aber nicht, dass wir nicht noch viele Dinge vor uns haben. Wir müssen zum Beispiel im Flugverkehr dafür sorgen, dass das ICAO-Offsetting-System, um klimaneutral fliegen zu können, auch tatsächlich auf den Weg gebracht wird. Da ist die Bundesregierung natürlich gefordert. Verblüfft hat vor einiger Zeit der Antrag eines großen deutschen Flugzeugherstellers – es gibt nur einen –, Mitglied der Nationalen Plattform E-Mobilität zu werden. Die sind nicht verrückt geworden. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Die probieren das sogar aus!) Nein, am 10. Juli dieses Jahres ist ein vollelektrisch betriebenes Flugzeug über den Ärmelkanal geflogen und wieder zurück. Das ist Zukunft, und in diese Zukunft müssen wir investieren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich war vor kurzem bei einer Tagung, auf der das Bauhaus Luftfahrt – das ist ein Thinktank, der über Mobilität und Luftfahrt nachdenkt – vorgestellt hat, wie man Solarkerosin herstellt, und zwar schlicht aus CO2, H2O und Sonnenenergie. In diesem Fall ist das klimaschädliche CO2 plötzlich eine wertvolle Ressource, die in Biokerosin umgewandelt wird. Das ist bisher nur im Labor möglich. Man könnte sich vorstellen, dass wir dies in das Luftfahrtforschungsprogramm aufnehmen. Brigitte Zypries sitzt hier; sie hat es einmal in einer Rede vertreten. Es gibt die Programmlinie „Ökoeffizientes Fliegen“; genau da passt das hinein. Wörtlich steht im Haushalt: Deshalb muss heute bereits erforscht werden, was in 10 bis 20 Jahren zum Einsatz kommt. Man könnte sich auch vorstellen, dass man einen Teil der Luftverkehrsteuer nimmt und in diesen Fonds sozusagen überführt, um ein deutlich höheres Maß an Forschung und Entwicklung – auch Entwicklung bis zur serienreifen Produktion – zu erreichen. Denn so wird daraus wirklich ein sinnvolles Innovationsprogramm. Wir müssen aus den Innovationen im Klimaschutzbereich Business Cases entwickeln und damit die Arbeitsplätze von morgen mit dem Klimaschutz vereinbaren. Das ist das Ziel unserer Großen Koalition. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Artur Auernhammer, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Artur Auernhammer (CDU/CSU): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dass wir während der Klimakonferenz in Paris heute hier im Deutschen Bundestag über Klimaschutz diskutieren, ist ein gutes und wichtiges Signal. Es zeigt auch, wie erfolgreich gerade unsere Kanzlerin und unsere Bundesregierung bei diesem Thema unterwegs sind. Der Klimaschutzbericht 2015 macht deutlich, dass alle Lebensbereiche zur CO2Reduzierung beitragen und weiterhin beitragen werden müssen. Wer die Umwelt bislang stärker in Anspruch nimmt, hat selbstverständlich ein größeres technisch-wirtschaftliches Potenzial zusätzlicher Minderungen als andere. Dieses CO2Minderungspotenzial haben auch die deutsche Lebensmittelproduktion und die Landwirtschaft. Klimaschutz darf allerdings nicht in der Abschaffung der deutschen Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion enden. Man stelle sich einmal vor, sämtliche Nahrungsmittel müssten importiert werden. Wir würden dann zwar die Klimabilanz bei uns verbessern, aber nicht im Ausland. Deshalb müssen wir Lösungen finden, um dies auf einen vernünftigen Weg zu bringen. Denn Klimaschutz macht nicht vor Staatsgrenzen halt, auch nicht im Bereich der Landwirtschaft und der Ernährungspolitik. Die international vereinbarte Obergrenze von 2 Grad Celsius muss unser großes Ziel sein. Die deutsche Landwirtschaft fühlt sich dem ganz besonders verpflichtet. Wir alle merken und spüren es in der Praxis. Durch eine große Trockenheit in diesem Jahr in unserem Land ist die Landwirtschaft massiv betroffen worden. Deshalb ist es unser Bestreben, die Treibhausgasemissionen zu vermindern. Ich spreche hier die sogenannte NECRichtlinie und auch die Novelle der Düngeverordnung an, die der Landwirtschaft einiges abverlangen. Hier müssen wir auf eine praktikable und zukunftsfähige Lösung setzen. Wir dürfen die Verordnung, wie sie jetzt vorliegt, nicht einfach so durchwinken, sondern wir sollten uns wirklich an der Praxis orientieren. Mein besonderes Augenmerk liegt auf der kleinstrukturierten Landwirtschaft. Heute ist bereits viel von regenerativer Energie gesprochen worden. Wir haben leider Gottes die Situation, dass wir Wind- und Solarstrom nicht in der Form speichern können, wie wir ihn speichern wollen. Wir sind aber bereits in der Situation, dass wir 30 Prozent der deutschen Energieversorgung mit regenerativen Ener­gien abdecken. Hier bietet gerade die Landwirtschaft, der ländliche Raum eine große Alternative. Hier gilt es, gerade in dieser Phase dafür zu sorgen, dass der gesamte Bereich der Biomasse zukunftsfähig ist und bleibt. (Beifall bei der CDU/CSU) Leider Gottes gibt es die eine oder andere Überlegung, diese Zukunftsfähigkeit infrage zu stellen. Aber ich fordere Sie auf: Diskutieren wir intensiv über die Zukunftsfähigkeit der Biomasse! Biomasse ist die einzige Energieform, die heute wirtschaftlich speicherfähige Wärme liefern kann. Deshalb müssen wir unsere ganz besondere Aufmerksamkeit darauf legen. Wenn von Biomasse die Rede ist, fokussieren sich viele von Ihnen natürlich gleich auf Biogas und Biogas­anlagen. Wir haben eine große Vielfalt bei der Biomasseproduktion. Allein im Bereich Holz, etwa im Hinblick auf die Kraft-Wärme-Kopplung bei Holzfeuerung, haben wir ein großes Potenzial. Das gilt es in Zukunft intensiver zu nutzen. Da ich gerade beim Holz bin – Holz kommt ja aus dem Wald –: Auch der Wald hat Probleme im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Wir müssen durch einen weiter fortschreitenden Waldumbau dafür sorgen, dass der deutsche Wald gesund bleibt und die Herausforderungen des Klimawandels besteht. Diese Probleme bemerken wir aktuell ganz besonders bei den Nadelhölzern. Der Borkenkäferbefall bereitet uns in trockenen Regionen sehr große Schwierigkeiten. Gerade deshalb müssen wir den Wald umbauen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Klimaschutz und die Bekämpfung des Klimawandels fordern uns alle, nicht nur in der Politik, sondern auch im gesamten Land, vor allem im ländlichen Raum. Deshalb kann es eine effektive Klimapolitik nur dann geben, wenn wir den Klimaschutz gemeinsam mit dem ländlichen Raum und der Landwirtschaft voranbringen. Klimaschutz geht nicht gegen die Landwirtschaft, sondern nur mit der Landwirtschaft. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stimmen heute auch über einen Entschließungsantrag der Grünen ab. Sie fordern uns darin auf, schnellstmöglich aus der Nutzung der Kohleenergie auszusteigen. (Beifall des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE]) Ich frage Sie: Was passiert, wenn wir aus der Kohle aussteigen und keine Alternativen haben? Wir brauchen doch zuerst Alternativen in der Energieversorgung, bevor wir uns von konventionellen Energieformen verabschieden können. Wenn wir heute aus der Nutzung der Kohle aussteigen, würde das zur Konsequenz haben, dass wir Strom aus europäischen Nachbarländern beziehen müssten. Ich gehe davon aus, dass die eine oder andere Kilowattstunde aus einem benachbarten Kernkraftwerk stammen würde. Deshalb bin ich der Meinung, wir sollten diesen Entschließungsantrag der Grünen ablehnen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Letzter Redner in der Aussprache ist der Abgeordnete Michael Groß, SPDFraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Michael Groß (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin ein bisschen kleinwüchsig; deswegen muss ich erst einmal das Pult herunterfahren. Ansonsten werde ich mich beeilen, weil Sie alle abstimmen wollen. Trotzdem einige Worte von mir: Klimaschutz ist ein wichtiges Thema. Wir stehen in der internationalen Verantwortung, auch und vor allen Dingen gegenüber den Menschen in Deutschland. Die Generationengerechtigkeit ist schon angesprochen worden. Das alles sind wichtige Themen. Aber wir sind natürlich auch in einer gewissen Flughöhe gestartet. Hier war von Trickserei die Rede. Hier war davon die Rede, dass wir gegenüber der IG BCE nicht einbrechen sollen. Frau Höhn, ich kann Ihnen nur sagen: Die Kolleginnen und Kollegen vor Ort – ich komme ja aus einer Kohleregion, stehe mit ihnen in engem Kontakt und führe einen Dialog mit ihnen – arbeiten sehr intensiv daran, dass wir die Energiewende schaffen und den Klimaschutz vorantreiben. Ich bitte Sie, nicht mehr zu unterstellen, dass hier getrickst wird oder dass wir vor ihnen einbrechen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir brauchen alle Menschen in Deutschland, auch und vor allen Dingen diejenigen, die in den entsprechenden Bereichen arbeiten, um hier eine vernünftige Lösung zu finden. Herr Krischer, Sie haben von einer energiepolitischen Todeszone gesprochen. Das war ja alles Populismus. Super, was Sie gesagt haben! (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) – Ja, die Flughöhe. – Ich habe von Ihnen aber nicht ein Wort dazu gehört, wie Sie das umsetzen wollen. Ich muss sagen – Herr Göppel ist gerade nicht da –, dass ich an dieser Stelle den Wirtschaftsminister und die Bau- und Umweltministerin, Frau Hendricks, unterstütze und weniger die Kanzlerin. Sie haben einen Plan vorgelegt, der einen Pfad beschreibt, auf dem wir seit einem Jahr die Ziele erreichen wollen. Es ist klar – die Linken haben das gerade betont –: Wir haben bisher 50 Prozent der Maßnahmen umsetzen können. Das ist relativ viel. Ich weiß nicht, wie viel Sie in Ihrer politischen Karriere inzwischen umgesetzt haben, Herr Krischer. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine ganze Menge! 100 Prozent!) Sie müssen mir einmal nachweisen, dass Sie bisher 50 Prozent umsetzen konnten. Das wäre dann schon eine ganze Menge. (Beifall bei der SPD) Ministerin Hendricks und Minister Gabriel haben die Energiewende vom Kopf auf die Füße gestellt. Sie haben den Prozess nämlich mit kleinen, effektiven Maßnahmen von unten nach oben entwickelt. Man wird sich nicht wundern, dass dabei auch ein Begriff wie Forschung vorkommt. Wir benötigen Forschung auch, um zu wissen, ob wir auf dem richtigen Weg sind. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir wollen 350 000 Wohnungen bauen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müssen Sie erst mal forschen, ob Sie die brauchen!) Frau Hendricks und der Finanzminister haben sich geeinigt, dass es dafür eine steuerliche Förderung geben soll, und ich hoffe, die Länder machen dabei mit. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es ist doch interessant, zu wissen, wie viel graue Energie wir verbrauchen, wenn wir neu bauen. Diese interessante Frage muss man sich doch stellen. Ein weiteres wichtiges Thema ist „Bildung und Aufklärung“. Ich komme aus einer Region, in der sich die Städte darum kümmern, dass die Bürger mitgenommen werden. Sie wollen Aufklärungs- und Mitmachstädte sein, gehen in die Schulen und sorgen dafür, dass schon die Kinder lernen, wie sie ein Ziel, zum Beispiel den Sportplatz, erreichen können. Die Kinder fragen sich: Ist es besser, wenn ich mich von meinen Eltern mit dem Auto fahren lasse, oder ist es besser, wenn ich den öffentlichen Nahverkehr nutze? Mit diesen Themen müssen wir uns doch beschäftigen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dabei ist natürlich klar, dass wir einen öffentlichen Nahverkehr brauchen, der auch funktionsfähig ist. Ein wichtiges Thema ist hierbei auch, wie wir die Kommunen entlasten, damit sie diese Infrastruktur vorhalten können. Diesen Fragen müssen wir uns stellen, und sie müssen natürlich auch beantwortet werden. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie beantworten sie nicht!) – Doch, wir haben viele Dinge auf den Weg gebracht, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das mag ja sein, aber nicht beim Klimaschutz!) zum Beispiel das Investitionszukunftsprogramm und die Klimaschutzinitiative, durch die die ausfallenden steuerlichen Förderungen im energetischen Bereich kompensiert werden sollen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie doch einmal Ihre eigenen Experten!) Ich glaube, das ist ein Erfolg für diese Regierung. Darauf kann man stolz sein. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Wir haben auch noch viele Projekte in der Pipeline. So wollen wir beim Wohngeld zum Beispiel die Klimakomponente einführen. Außerdem wollen wir dafür sorgen, dass die Basis in den Bereichen SGB II – KdU – und SGB XII die Warmmiete ist. (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Das alles sind Dinge, die wir überprüfen wollen und umsetzen müssen. Wer nach einem Jahr sagt, wir hätten noch nicht viel erreicht, der hat den Prozess des letzten Jahres verschlafen. Noch einmal: Ich glaube, Sie haben in Ihrer Karriere noch nicht 50 Prozent dessen umgesetzt, was Sie wollten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 100 Prozent!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6900. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist überall der Fall. Ich eröffne die Abstimmung über den Entschließungsantrag. Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarte abgegeben? – Okay. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1 Wir haben jetzt noch eine Abstimmung vorzunehmen. Deshalb bitte ich alle, wieder Platz zu nehmen, und bitte die Geschäftsführer um Aufmerksamkeit. Tagesordnungspunkt 4 b. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/6840 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern weltweit verstärken Drucksache 18/6880 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. – Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die an dieser Debatte nicht teilnehmen wollen, ihre Gespräche draußen fortzuführen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frank Schwabe, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Frank Schwabe (SPD): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Menschenrechtskomitee ­CODIGODH, 2011 gegründet, ist eine Nichtregierungsorganisation im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca, die einen integralen Ansatz der Menschenrechtsarbeit verfolgt: juristisch, medizinisch und psychologisch. Die Rechtsanwältin Alba Cruz ist Koordinatorin der juristischen Arbeit bei CODIGODH. Trotz der Anerkennung, die ihr sowohl in Mexiko als auch auf internationaler Ebene zuteilwird, erhält sie häufig Morddrohungen und wird in ihrer Arbeit behindert. Alba Cruz setzt sich für Opfer von willkürlicher Verhaftung und Folter ein, zum Beispiel für Mitglieder der Bewegung „Yo soy 132“, und fordert Gerechtigkeit in Fällen extralegaler Hinrichtung im Bundesstaat Oaxaca. Alba Cruz ist ebenso in einen sehr brisanten Fall involviert, in dem der Oberste Gerichtshof des Landes geurteilt hat, dass die Regierung des Bundesstaats Oaxaca für die 2006 bis 2007 begangenen massiven Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sei. Sie vertritt indigene Gemeinden, die sich für ihre wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte einsetzen, wie zum Beispiel die der indigenen Zapoteken am Isthmus von Tehuantepec, die ihre Landrechte aufgrund des Baus von Windkraftanlagen bedroht sehen. Alba Cruz erhält aufgrund ihres Engagements häufig Morddrohungen, wird in den Medien diffamiert und erleidet Aggressionen unterschiedlicher Art, obwohl die Interamerikanische Menschenrechtskommission bereits 2007 Schutzmaßnahmen für sie anordnete. Auch ihre Familie hat Morddrohungen erhalten. Im Jahr 2013 wurde im Büro von CODIGODH eine Razzia durchgeführt, wobei Dokumentationen über Menschenrechtsverletzungen sowie Fallakten entwendet wurden. Aufgrund der kontinuierlich prekären Sicherheitslage werden Alba Cruz und andere Mitarbeitende der Organisation von Peace Brigades International bei ihrer täglichen Arbeit begleitet. Alba Cruz ist eine in Mexiko und auch auf internationaler Ebene bekannte und geschätzte Menschenrechtsverteidigerin. 2013 erhielt sie im Rahmen der Verleihung des deutsch-französischen Menschenrechtspreises eine Ehrenbezeugung durch die Botschaften der beiden Länder. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Alba Cruz ist eine von Tausenden, von Zehntausenden, wahrscheinlich von Hunderttausenden Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern weltweit, die eine wesentliche, ja, eigentlich muss man sagen, zentrale Rolle bei der Verteidigung von Menschenrechten spielen. Dabei sind sie selber massiven Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Menschenrechtsverteidiger brauchen ein sicheres Umfeld, in dem sie aktiv sein können. Das ist leider oft, meist, nicht der Fall. Deshalb ist es die zentrale Aufgabe internationaler Politik, unserer Politik, alles zu tun, damit solche Menschenrechtsverteidiger den bestmöglichen Schutz gewährt bekommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Beim Schutz von Menschenrechtsverteidigern gibt es widersprüchliche Entwicklungen. Auf der einen Seite gibt es mehr internationale Schutzmechanismen über die Europäische Union, den Europarat, die Vereinten Nationen, die OSZE, aber auch über den Deutschen Bundestag, auf der anderen Seite gibt es die negative Entwicklung, dass der Druck nationaler Regierungen zunimmt, die internationale Unterstützung von Menschenrechtsverteidigern schwieriger zu machen. Es gibt leider zahlreiche Fälle, und täglich kommen weitere dazu. Unter anderem in Russland, in China, in der Türkei, in Indien, in Aserbaidschan und ganz aktuell in Israel werden die Möglichkeiten der internationalen Unterstützung von Menschenrechtsverteidigern durch nationale Gesetzgebung eingeschränkt. In Israel ist es so, dass erst vor einem Monat die Justizministerin einen Entwurf eines sogenannten Transparenzgesetzes vorgelegt hat, das nichts anderem dienen soll, als im Prinzip den internationalen Geldhahn für nationale Menschenrechtsorganisationen zuzudrehen. Das Argument ist immer das gleiche. Die nationalen Staaten verbitten sich internationale Einmischung. Manchmal werfen sie gar Kolonialismus vor. In Russland wird von ausländischen Agenten geredet. Es ist natürlich so: Menschenrechtsverteidiger kritisieren Staaten. Das ist aber auch die zentrale Aufgabe von Menschenrechtsverteidigern. Deswegen müssen wir auf deutscher und auf europäischer Ebene dafür sorgen, dass der Schutz von Menschenrechtsverteidigern in der Außen- und Menschenrechtspolitik eine zentrale Aufgabe ist. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Einmischung in nationale Angelegenheiten ist kein Willkürakt von anderen Staaten. Vielmehr ist am Ende das, was wir tun und tun müssen und wovon wir uns nicht abbringen lassen dürfen: die Staaten daran zu erinnern, dass sie in den verschiedenen Organisationen internationale Abkommen unterzeichnet haben. Wir müssen sie daran erinnern, dass sie diese Abkommen am Ende auch einzuhalten und umzusetzen haben. Herzlich bedanken will ich mich bei denjenigen, die sich in Deutschland, aber auch weltweit um Menschenrechtsverteidiger kümmern. Peace Brigades International wurde eben bereits erwähnt. Weiter sind es Amnesty International, Human Rights Watch, die mexikanische und die kolumbianische Koordination sowie viele andere internationale Organisationen, die wiederum andere Menschenrechtsorganisationen koordinieren. Sie alle leisten eine wertvolle Arbeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wichtig ist, dass wir unseren Teil wahrnehmen, nämlich unsere politische Verantwortung. Es gibt seit mittlerweile elf Jahren die EULeitlinien zum Schutz der Menschenrechtsverteidiger. Das ist eine wichtige Errungenschaft. Inzwischen liegt auch die Fortschreibung der Leitlinien mit Hinweisen für die nationalen Botschaften und die EUKommission vor, wie man mit diesem Schutz umgehen sollte. Aber ich glaube, Michel Forst, der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für den Schutz von Menschenrechtsverteidigern, hat recht – er war vor kurzem in Deutschland und hat auch unseren Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe besucht –, wenn er beklagt, dass die Botschaften die Frage des Schutzes von Menschenrechtsverteidigern durchaus unterschiedlich ernst nehmen. Das erleben auch wir in unserer Praxis, wenn wir in andere Länder fahren. Wenn wir dort solche Fragen ansprechen, erleben wir, dass die Botschaften mit den Themen unterschiedlich umgehen und dass es sehr häufig vom Engagement des Botschafters und von einigen sehr engagierten Mitarbeitern der Botschaft abhängt, wie man mit dieser Frage umgeht. Ich glaube, in der europäischen und in der deutschen Außenpolitik müssen wir alle noch lernen, dass das kein Thema ist, das man einfach so zusätzlich behandeln kann und das ansonsten vom Engagement Einzelner abhängt, sondern dass es eine konstitutive Aufgabe jeder Botschaft und jeder EUVertretung in jedem Land ist, sich um den Schutz von Menschenrechtsverteidigern zu kümmern. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Als Bundestag haben wir eine weltweite Vorbildfunktion. Das hat Michel Forst uns auch ausdrücklich attestiert. Wir haben nämlich mittlerweile das Programm „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ – oder auch „Parlamentarier schützen Menschenrechtler“ –, bei dem man eine Patenschaft für Menschenrechtsverteidiger weltweit übernehmen kann. Es ist ein wunderbares und wichtiges Programm, das man sicherlich noch vertiefen kann, sowohl was die konkrete Ausgestaltung als allerdings auch die Nutzung des Programms angeht. Ich bin dankbar, dass wir in den letzten Jahren einen Aufwuchs des Programms hatten. Trotzdem sind es derzeit 50 Parlamentarier – ich nehme an, alle Anwesenden sind dabei; das kommt ungefähr hin –, die sich bei uns daran beteiligen. Das ist gut und wichtig. Aber es gibt noch über 550 Parlamentarierinnen und Parlamentarier mehr, die eine solche Aufgabe übernehmen könnten. Man sollte es nicht unterschätzen: Es ist für viele Menschen zum Teil überlebensnotwendig, dass sie eine solche Patenschaft haben und den entsprechenden Schutz genießen. Deshalb die herzliche Bitte: Überlegen Sie es sich! Uns fallen genug Menschen ein, die man schützen kann. Nutzen Sie die Gelegenheit, und nehmen Sie bitte an diesem Programm teil! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke schön, Herr Kollege. Kommen Sie jetzt bitte zum Schluss. Frank Schwabe (SPD): Was wir in begründeten Ausnahmefällen auch tun sollten – das wird auch getan; das hängen wir nicht an die große Glocke –, ist, Menschenrechtsverteidigern in bestimmten Fällen konkreten Schutz in Deutschland zukommen zu lassen. Auch das ist eine wichtige Aufgabe. Es ist so: Menschenrechte brauchen Menschenrechtsverteidiger, und Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger brauchen unseren Schutz. Den sollten wir ihnen gewähren. Glück auf. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke Annette Groth. (Beifall bei der LINKEN) Annette Groth (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Lage der Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger hat sich in den letzten Jahren in vielen Ländern erheblich verschlechtert, so der kürzlich veröffentliche Bericht des UNSonderberichterstatters zur Situation der Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger. Anhand einiger weniger Beispiele möchte ich ihre schwierige Arbeit aufzeigen. Eines der Länder, in denen die Menschenrechtsarbeit systematisch verfolgt wird, ist Saudi-Arabien. Laut Amnesty International wurden dort in diesem Jahr bereits mindestens 151 Menschen hingerichtet. Im Oktober hat der Oberste Gerichtshof die Todesurteile gegen den schiitischen Geistlichen Scheich Nimr alNimr, seinen Neffen sowie zwei weitere Minderjährige bestätigt. Die Verurteilten hatten 2009 an friedlichen Protesten gegen das sunnitische Königshaus teilgenommen und sich für ein Ende der Diskriminierung der schiitischen Gemeinschaft in Saudi-Arabien eingesetzt. Vor einer Woche wurde der in Saudi-Arabien geborene palästinensische Dichter Ashraf Fayadh zum Tode verurteilt. Fayadh gilt als eine der wichtigsten Stimmen der saudischen Kunstszene und hat viele Ausstellungen im In- und Ausland kuratiert. Der 23Jährige wurde vor zwei Jahren verhaftet und wegen Abfalls vom Glauben Mitte November zum Tode verurteilt. Ich hoffe, dass eine breite internationale Protestwelle sein Leben retten kann und dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen auf der Regierungsbank, ebenfalls Druck auf die saudische Regierung ausüben, damit er nicht getötet wird. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist ein Skandal, dass die Bundesregierung noch immer Waffen nach Saudi-Arabien liefert. (Beifall bei der LINKEN) Damit muss endlich Schluss sein. Sie alle wissen, dass etliche saudische Familien zu den größten Unterstützern des IS gehören. Dazu gehört neben Katar auch die Türkei. Es ist skandalös, dass die EU und die Bundesregierung die Angriffe des türkischen Staates auf die kurdische Zivilbevölkerung nicht lautstark verurteilen. (Beifall bei der LINKEN) Anstatt den IS wirksam zu bekämpfen und beispielsweise ISKämpfer nicht weiterhin über die türkische Grenze nach Syrien zu lassen, richtet sich das Vorgehen der türkischen Streitkräfte in erster Linie gegen Kurden und Kurdinnen. Vor einigen Tagen ist der bekannte Menschenrechtsanwalt Tahir Elci erschossen worden, der noch kurz vor seinem Tod Frieden in der Region gefordert hatte. Die Menschenrechtsverletzungen der türkischen Polizistinnen und Polizisten sowie Soldatinnen und Soldaten gegenüber kurdischen und türkischen oppositionellen Journalistinnen und Journalisten sowie Menschenrechtsverteidigern und -verteidigerinnen müssen Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, endlich deutlich verurteilen und ein sofortiges Ende der Gewalt fordern. Stattdessen hofieren Sie und die EU die türkische Regierung und kooperieren mit ihr in der Flüchtlingsabwehr. Ich finde das skandalös. (Beifall bei der LINKEN) In diesem Zusammenhang sprach der syrische Bischof Mirkis aus Kirkuk, den einige von uns am Montag getroffen haben, von „schmutzigem Geld“, das die EU nun der Türkei für die Versorgung der Flüchtlinge zur Verfügung stellt. Am 16. November haben zwei UNSonderberichterstatter zur Einhaltung der Menschenrechte und zu einem Ende der Gewalt in Israel und Palästina aufgerufen. Anlass für diesen Appell war der Mord an einem Palästinenser in einem Krankenhaus in Hebron. Die israelischen Undercover-Agenten waren als Palästinenser verkleidet in das Krankenhaus eingedrungen. Perfide ist, dass einer der Agenten der israelischen Tageszeitung Haaretz zufolge als schwangere Palästinenserin verkleidet war, wodurch der Zugang in das Krankenhaus wesentlich erleichtert wurde. Seit dem 1. Oktober sind circa 100 Palästinenser und Palästinenserinnen durch israelische Streitkräfte oder durch Siedlergewalt getötet worden. Mehr als 9 000 sind verletzt. Durch palästinensische Attacken wurden 19 jüdische Israelis getötet und mehr als 100 verletzt. 2 650 Palästinenserinnen und Palästinenser wurden verhaftet. 80 Prozent davon sind Minderjährige. Auch auf friedliche Mahnwachen und Demonstrationen reagieren die israelischen Behörden mit repressiven Maßnahmen wie zum Beispiel mit der Administrativhaft. Bei der so angewandten, völkerrechtswidrigen Form der Haft erfolgt die Inhaftierung der Beschuldigten ohne Anklage und ohne Gerichtsverfahren. Der entsprechende Haftbefehl kann immer wieder verlängert werden, sodass die Verhafteten nie wissen, wie lange sie im Gefängnis bleiben müssen. Betroffen von der Administrativhaft sind oft Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger. Im März 2014 wurde die Menschenrechtsanwältin Shireen Issawi administrativ inhaftiert. Issawi hat sich mit großem Engagement für palästinensische Gefangene eingesetzt. Schon lange fordern nicht nur palästinensische Menschenrechtsverteidiger und -verteidigerinnen, sondern auch viele jüdische Aktivistinnen und Aktivisten im In- und Ausland einen sofortigen Stopp der Waffenexporte nach Israel und in die gesamte Region. (Beifall bei der LINKEN) Unser Grundgesetz verbietet Waffenexporte in Konfliktgebiete. Das müssen wir doch endlich einmal beherzigen und befolgen. (Beifall bei der LINKEN) Ein weithin auch in Ihrem Antrag unbeachtetes Land, in dem systematisch Menschenrechte verletzt und Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger Repressionen ausgesetzt sind, ist Bahrain. Oppositionspolitiker und Oppositionspolitikerinnen sowie insbesondere Journalisten und Journalistinnen werden oft lange ohne Anklage inhaftiert. Jüngstes Opfer ist der preisgekrönte Fotograf Sajjid Ahmad alMusawi. Er wurde letzte Woche zu zehn Jahren Haft verurteilt. Ihm und zwölf weiteren Bahrainern und Bahrainerinnen wurde die Staatsangehörigkeit entzogen, weil sie angeblich in terroristischen Gruppen aktiv sind und Anfang 2009 an Demonstrationen teilgenommen haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, grundsätzlich hat Ihr Antrag einen Fehler. Er verliert kein Wort zur Situation der Menschenrechtsverteidiger und -verteidigerinnen in Deutschland. Zahlreiche antirassistische und antifaschistische Initiativen setzen sich für die Rechte von Geflüchteten und Minderheiten ein und werden durch Polizei oder Gerichte kriminalisiert. Aktive Unterstützer und Unterstützerinnen der Geflüchteten werden durch den Verfassungsschutz beobachtet und in ihrer Arbeit behindert. Hier besteht bei uns dringender Handlungsbedarf. Das darf so nicht weitergehen. (Beifall bei der LINKEN – Michael Brand [CDU/CSU]: Saudi-Arabien und Deutschland ist ein schlimmer Vergleich!) Die Zahl der unverbindlichen Anträge sollte einmal zu Ende gehen. Was wir brauchen, sind konkrete Handlungen. Deshalb möchte ich Sie auffordern, endlich die militärische und polizeiliche Zusammenarbeit mit diktatorischen Regimen, die Menschenrechte mit Füßen treten, zu beenden. (Beifall bei der LINKEN) Waffenexporte an Diktatoren und Regierungen, die Menschenrechtsverteidiger und Menschenrechtsverteidigerinnen verfolgen und unterdrücken, müssen endlich beendet werden. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Bevor ich nun die nächste Rednerin aufrufe, gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bekannt: abgegebene Stimmen 578. Mit Ja haben gestimmt 118. Mit Nein haben gestimmt 460. Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 579; davon ja: 118 nein: 461 enthalten: 0 Ja DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. Andre Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Michael Schlecht Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Dr. Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Nein CDU/CSU Stephan Albani Artur Auernhammer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. Andre Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Peter Hintze Dr. Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung Xaver Jung Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Ronja Schmitt Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Marco Bülow Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr. h.c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Matthias Ilgen Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoğuz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Nächste Rednerin ist jetzt die Kollegin Erika Steinbach, CDU/CSUFraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Erika Steinbach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir nehmen alljährlich den Tag der Menschenrechte, der immer am 10. Dezember begangen wird, auch zum Anlass, die Menschenrechtssituation weltweit kritisch zu beleuchten und zu betrachten und auf aktuelle Brennpunkte hinzuweisen. Wir müssen feststellen: Auch die Bilanz für 2015 fällt leider wiederum nicht positiv aus. Die Diskrepanz zwischen Soll und Haben bei der Umsetzung der Menschenrechte ist gewaltig, und man hat den Eindruck, dass sie immer noch zunimmt, anstatt dass es besser wird. Auch mehr als 65 Jahre nach der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte kommt es weltweit immer wieder zu schwersten Menschenrechtsverletzungen. Das Problem einer solchen Debatte ist: Wenn wir all das beleuchten wollten, dann würde keine ganze Stunde ausreichen, es würde kein Tag ausreichen, und es würde keine Woche dafür ausreichen, wenn wir allen Menschen, die verfolgt sind, Gerechtigkeit wiederfahren lassen wollten. Deshalb nur einige wenige besonders dramatische Beispiele. Die Gewaltherrschaft der Terrormiliz „Islamischer Staat“ in Teilen Syriens und des Iraks entsetzt jeden Menschen, der ein Herz im Leibe hat. Der IS ist für schwerste Menschenrechtsverletzungen wie Massenhinrichtungen, gezielte Angriffe auf Zivilisten und zivile Infrastruktur verantwortlich, und seit der Ausrufung des Kalifats vor eineinhalb Jahren muss von mindestens 3 600 Hinrichtungen allein in den syrischen Gebieten ausgegangen werden. Die Begründungen für die Hinrichtungen lauten: Homosexualität, Hexerei, Ehebruch, Abfall vom islamischen Glauben. Der IS rekrutiert Kinder für seine Zwecke, und die Schergen des IS scheuen auch nicht davor zurück, Frauen und selbst Kinder systematisch zu vergewaltigen. Religiöse und ethnische Minderheiten wie Jesiden und Christen werden nicht nur unterdrückt, sondern auch vertrieben und ermordet. Das haben wir sehr dramatisch in dem Film der Jesidin Düzen Tekkal sehen können. Dieser Film hat uns das plastisch und sehr beklemmend vor Augen geführt. Eine regelrechte Entführungsindustrie ist inzwischen zu einer der wichtigen Finanzierungsquellen der Islamisten herangewachsen. Das ist Sklavenhandel im 21. Jahrhundert – eine Vokabel, die man bisher immer in der Vergangenheit verortet hat. Das barbarische Vorgehen dieser Terrormiliz muss von der Staatengemeinschaft gezielt und auch planvoll gemeinsam beendet werden, zumal – das sehen wir – auch Europa inzwischen zu deren Aktionsfeld gehört. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Antrag der Koalition, über den wir heute beraten, greift einen weiteren zentralen Punkt heraus; er ist jenen gewidmet, die sich oft unter Einsatz ihres eigenen Lebens selbstlos für die Einhaltung der Menschenrechte in ihrem jeweiligen Land einsetzen: Er ist den Menschenrechtsverteidigern gewidmet. Sie engagieren sich in ihrem Land, wenn Menschenrechte missachtet, wenn Menschenrechte verletzt werden. Das Risiko für dieses Engagement ist teilweise extrem hoch. Immer wieder werden Menschenrechtsverteidiger inhaftiert, sie werden gefoltert, oder sie werden sogar getötet, und manche verschwinden ganz einfach spurlos und tauchen niemals wieder auf. International dürfen wir die Augen nicht verschließen, wenn in Russland, in der Türkei oder in China und in vielen anderen Ländern die Zivilgesellschaften immer mehr eingeschränkt werden, wenn Nichtregierungsorganisationen in ihrer Arbeit behindert werden und wenn kritische Journalisten in größter Gefahr sind. In Russland eröffnen Gesetze gegen die Nichtregierungsorganisationen den Behörden inzwischen die Möglichkeit, Andersdenkende zu verfolgen und die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit massiv einzuschränken. Russland stellt Menschenrechte nun sogar unter seinen nationalen Vorbehalt. Mit dem gestrigen Beschluss der Duma kann das russische Verfassungsgericht selbst Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zurückweisen. (Michael Brand [CDU/CSU]: Unglaublich!) Es ist auch zutiefst beunruhigend, wenn international das hohe Gut der Meinungs- und Medienfreiheit massiv unter Druck steht. Laut „Reporter ohne Grenzen“ wurden allein 2015  63 Journalisten getötet, 152 sind in Haft, 161 Blogger und Bürgerjournalisten sitzen ebenfalls in Gefängnissen. Leider – das muss man sagen – ist auch die Menschenrechtslage in der Türkei besorgniserregend, insbesondere vor dem Hintergrund der derzeit laufenden Verhandlungen zur Bekämpfung des IS und in Fragen der Flüchtlingspolitik. Nach dem jüngsten sogenannten EUFortschrittsbericht – besser wäre, von „Rückschrittsbericht“ zu sprechen – ist die Türkei auf dem Wege zu Menschenrechtsstandards nicht vorwärtsgegangen, sondern sie ist auf dem Wege rückwärts in eine ungute Zeit. Die Werte der Europäischen Union, so wie wir sie manifestiert haben, werden nicht geachtet. In Istanbul durften die Menschen den Tod des Menschenrechtsanwalts Tahir Elci, der am vergangenen Samstag unter ungeklärten Umständen auf offener Straße erschossen wurde, nicht einmal betrauern. Die Versammlung von Hunderten Trauernden wurde mit Tränengas und Wasserwerfern gewaltsam beendet. Im Iran haben sich die diplomatischen Annäherungen zur Entschärfung des iranischen Atomprogrammes bislang leider noch nicht auf die Menschenrechtslage im Land ausgewirkt. Menschenrechtsanwälte und Menschenrechtsverteidiger werden, zum Teil über Jahrzehnte hinweg, weggesperrt, und ihnen werden rechtsstaatliche Verfahren verwehrt, um sie mundtot zu machen, damit man sie nicht mehr hört. Wir signalisieren diesen Opfern mit unserer Debatte auch, dass sie nicht vergessen sind, selbst wenn wir ihnen nicht direkt helfen können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Unvergessen sind auch die inhaftierten sieben Bahai-Führungsmitglieder, unter ihnen zwei Frauen, deren Freilassung immer noch aussteht. Sie verbüßen aufgrund falscher Anklagen und ausschließlich wegen ihrer Religionszugehörigkeit 20jährige Haftstrafen unter menschenunwürdigen Bedingungen. Liebe Kollegin Groth, Sie haben einen Tunnelblick in Richtung Israel; (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Nein! Haben wir nicht!) aber es könnte Ihnen nicht schaden, wenn Sie Ihren Blick auch einmal nach Kuba richten würden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In Kuba hat auch das diplomatische Tauwetter die Menschenrechtslage im Land nicht verbessert. Allein im August wurden 768 Kubaner aus politischen Motiven kurzzeitig festgenommen. Mehr als 50 Regimekritiker sind im September 2015 von der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte als politische Gefangene registriert gewesen. Kuba geht mit ungeheurer Härte gegen die Frauen der Nichtregierungsorganisation Damen in Weiß vor. Die Förderung und der Schutz von Menschenrechtsverteidigern sind ein wesentliches Element der EUAußen- und -Menschenrechtspolitik. Herzlichen Dank allen, die sich für Menschenrechte und für deren Verteidiger einsetzen! Wir wollen das seitens des Bundestages tun. (Beifall des Abg. Michael Brand [CDU/CSU]) Wir können nicht sehr viel helfen, aber indem wir öffentlich darüber debattieren, können wir das Sensorium dafür vielleicht ein wenig aufbauen. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächstes hat der Kollege Tom Koenigs, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vorige Woche ist in der Generalversammlung der Vereinten Nationen eine Resolution durchgegangen, die üblicherweise im Konsens durchgeht, eine Resolution zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern. Diesmal haben Russland und China die Abstimmung verlangt. 117 Länder haben zugestimmt, 14 haben die Resolution abgelehnt, darunter Russland, China und die üblichen Verdächtigen: Saudi-Arabien, Iran, Syrien, Burundi, Myanmar, aber auch Indien, Vietnam, Südafrika und Nigeria. 40 Staaten haben sich enthalten. In der Debatte wurde gesagt, die Menschenrechtsverteidiger bräuchten keinen besonderen Schutz; (Lachen des Abg. Michael Brand [CDU/CSU]) wenn der Rechtsstaat funktioniert, dann seien die Menschenrechte auch ausreichend geschützt. Das sind sie eben nicht! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Auch die Rechtsstaaten brauchen die Menschenrechtsverteidiger; denn alle Menschenrechte sind durch Kampf erreicht worden. Die Geschichte der Sozialdemokratie ist voll vom Kampf für die Versammlungsfreiheit. In der Türkei gilt das für die Pressefreiheit – ein umkämpftes Gut, ein umkämpftes Menschenrecht. Religionsfreiheit – der ganze Orient kämpft um Religionsfreiheit. Viele Flüchtlinge kommen zu uns, weil wir die Religionsfreiheit umsetzen. Freizügigkeit – ein Thema, das in Deutschland seinesgleichen sucht, aber jetzt auch in Europa wieder ein umkämpftes Menschenrecht. Der Sonderberichterstatter für Versammlungsfreiheit, Maina Kiai, hat von „shrinking political space“ gesprochen. Das heißt, der Freiraum für Menschenrechte wird enger: durch Gesetze, durch NGOGesetze – da werden Menschenrechtsverteidiger als Agenten bezeichnet –, durch willkürliche Verhaftungen, durch Verbot der freien Rede oder der Versammlungen. (Michael Brand [CDU/CSU]: So ist es leider!) Der Mord am Menschenrechtsanwalt Tahir Elci in der Türkei vor wenigen Tagen ist schon angesprochen worden. Im Juli wurde die Aktivistin und Künstlerin Nadia Vera in Mexiko vergewaltigt, gefoltert und ermordet, zusammen mit drei weiteren Frauen und ihrem Kollegen Rubén Espinosa. In Saudi-Arabien sitzt unter vielen anderen auch der inzwischen 21jährige Ali alNimr im Gefängnis. Er wurde mit 17 Jahren zur Kreuzigung verurteilt. Die Vorwürfe sind immer gleich: Das sind Staatsfeinde. – Aber Menschenrechtsverteidiger sind keine Staatsfeinde. Der Staat braucht Menschenrechtsverteidiger, die den Zustand der Menschenrechte ständig überprüfen und beobachten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Auch Whistleblower sind Menschenrechtsverteidiger. Es ist eine Schande für die westliche Welt, dass Edward Snowden immer noch in Russland, das sich gegen solche Menschenrechtsverteidigerresolutionen wehrt, verfault, vergammelt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Herr Schwabe, Sie haben gesagt – auch in Ihrem Antrag kommt das vor –, dass man humanitäres Asyl gewähren soll. Warum dann nicht da? Es gibt kaum jemanden, der sich um das Menschenrecht auf Privacy mehr verdient gemacht hat als Edward Snowden. Ja, das schafft einem Ärger. Aber diesen „double standard“, dass wir da, wo es uns Ärger macht und wo es die Freunde sind, die sich vielleicht ärgern, wie die Vereinigten Staaten, dass man da nichts macht, aber sonst, wenn es um Saudi-Arabien geht, alles an die große Glocke hängt, den werfen uns diese Staaten vor. Das sind „double standards“, und das ist die Pest für die Umsetzung von Menschenrechten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es gibt starke Institutionen zum Schutz von Menschenrechten, vor allem den Menschenrechtsrat. Glücklicherweise ist dieses Jahr Botschafter Rücker dort Präsident. Er setzt sich dafür ein, dass die Zivilgesellschaft dort vortragen kann und dass die Menschenrechtsverteidiger auch bis an die Institution herankommen. Es kann nicht sein, dass eine eritreische Delegation aus der Zivilgesellschaft, die dort Kritik übt, von Jubel-Eritreern in einem Hotel in Genf verprügelt wird. (Beifall des Abg. Frank Heinrich [Chemnitz] [CDU/CSU]) Es gibt scheinbar hoffnungslose Fälle: die Staaten, die ich genannt habe, Gefangene, die fast vergessen sind. Da sagt man oft: Da können wir ja nichts machen. Man kann aber immer etwas machen. Auch wir können von hier aus etwas machen. Das Allererste, was wir machen können, ist, diese Menschenrechtsverteidiger zu kennen und sie nicht zu vergessen, sie bekannt zu machen. Sie müssen auch wissen, dass wir sie kennen, und auch die Staaten, aus denen sie kommen, müssen wissen, dass wir diese Menschenrechtsverteidiger kennen. Wir machen so viele Reisen und Besuche, sowohl die Regierung als auch wir Abgeordnete. Wir sollten auf jeder Reise Menschenrechtsverteidiger empfangen. Wir sollten in jeder Botschaft fragen: Kennen Sie die Menschenrechtsverteidiger? – Wir sollten bei jedem Empfang in einer Botschaft darauf drängen, dass diese auch eingeladen werden. Denn oft ist das die einzige Möglichkeit, dass sie sich überhaupt zeigen, dass sie auch untereinander reden. Die deutschen Botschaften sollen diesen Kontakt halten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD und der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Das gilt aber auch für deutsche Unternehmen. Auch diese haben eine Verantwortung. Wir versuchen derzeit durch Diskussionen, diese Verantwortung der Unternehmen mehr zu fassen. Auch die deutschen Unternehmen haben eine Verantwortung für die Menschenrechte und für den Schutz der Menschenrechtsverteidiger in den Ländern, in denen sie investieren. Der Investitionsschutz im internationalen Bereich wird immer weiter entwickelt und immer mehr verschärft. Es werden Gerichte eingesetzt, um das umzusetzen. Der Schutz der Menschenrechte und der Menschenrechtsverteidiger aber bleibt im Internationalen weit zurück. Die Menschenrechtsverteidiger brauchen Schutz und Unterstützung, gerade auch in Auseinandersetzungen, die Unternehmen haben. Schutz vor Sicherheitskräften, Schutz vor Paramilitärs oder selbsternannten Sheriffs. Es ist immer ein falsches Signal, nur den Mächtigen die Hand zu reichen, ohne diejenigen, die für unsere gemeinsamen Werte eintreten, auch zu ermutigen und zu stärken. Wo Menschenrechtsverteidiger verfolgt werden, muss es auch unbürokratische Möglichkeiten der Unterstützung geben. Da ist das humanitäre Visum ein Teil. Wenn ich mir den vorliegenden Antrag ansehe, der ja sicher Konsens ist – denn „motherly love“ und „apple pie“ ist auch Konsens – ,würde ich mir doch wünschen, dass nach dem tapferen Gebrüll am Anfang im Feststellungsteil auch einige Forderungen kommen, die nicht nur Samtpfötchen haben, sondern vielleicht auch Zähne und Krallen. Und wenn wir das gemeinsam bearbeiten, wäre es ja vielleicht gut, dass nicht nur „hingewiesen“ und „sensibilisiert“ wird, wenn man sich nicht nur „einsetzt“ und besser „berücksichtigt“, wenn man nicht nur „anmahnt“, dass man nicht nur das „diplomatische Personal für Leitlinien sensibilisiert“, sondern wenn man auch etwas Mut zeigt. Denn das, was die Menschenrechtsverteidiger wirklich auszeichnet, ist Mut. Ein bisschen Mut sollten wir auch bei einem Antrag haben. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPDFraktion spricht jetzt die Kollegin Gabriela Heinrich. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gabriela Heinrich (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Auf den Tag genau heute vor einem Jahr hatte ich in meinem Büro ein Gespräch mit einer Verteidigerin von Frauenrechten. Ich habe sie gefragt, wie wir aus Deutschland ihre Arbeit unterstützen könnten. Sie sagte: Stärken Sie die Regierung von Somalia. – Ich habe das zuerst nicht verstanden. Wir sollten ihre Regierung stärken, in einem zerfallenen Staat? Ich habe erst später begriffen, was Fartuun Adan, Menschenrechtspreisträgerin der Friedrich-Ebert-Stiftung 2014, gemeint hat. Fartuun Adan ist Direktorin der Organisation Elman Peace and Human Rights Center. Sie hat drei Töchter. Ihr Mann wurde ermordet, und von seinem erfolgreichen Unternehmen erbte sie nichts. Sie hatte keinen Sohn, aber sie könne ja wieder heiraten, sagte seine Familie, die sich das Geld unter den Nagel riss. Sie gründete dennoch eine Organisation, die Frauen in Not rechtliche und psychologische Unterstützung, gesundheitliche Versorgung und Zuflucht bietet. Fartuun Adan und ihre Mitstreiterinnen leisten Aufklärungsarbeit und haben mehrere Häuser als Anlaufstellen für Frauen eröffnet. In Somalia werden Frauenrechte mit Füßen getreten: Genitalverstümmelung, Vergewaltigung, Zwangsheirat, Rechtlosigkeit. Diese Gewalt wird nicht direkt vom Staat ausgeübt, aber Täter und Täterinnen werden kaum bestraft. Es herrscht Straflosigkeit. Genau darauf zielte die Antwort von Fartuun Adan ab. Nur ein stärkerer Staat könne die Menschenrechtsverletzungen der Clans und Milizen einschränken, auch die aus dem familiären Bereich gegenüber Frauen. Es gibt viele Regierungen auf dieser Welt, die für Menschenrechtsverletzungen in ihren Staaten verantwortlich sind. Auf sie müssen wir einwirken. Es muss aber auch gelingen, die Menschenrechte in den Gesellschaften durchzusetzen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dafür brauchen wir die Köpfe der Menschen. Denn Menschenrechtsverteidiger werden nicht nur durch Staaten, Regierungen oder Behörden verfolgt und bedroht, sondern auch durch Teile der Zivilgesellschaft. Das relativiert in keiner Weise die ungeheuren Zahlen von staatlicher Verfolgung. Es zeigt aber, dass es ausgesprochen kompliziert sein kann, wenn man Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger schützen will. In Uganda begünstigt eine diskriminierende Gesetzgebung gegenüber Homosexuellen nicht nur die Verfolgung von LGBTI-Personen durch staatliche Stellen. Einschlägige Medien hetzen gegen Homosexuelle. Mitten aus der Gesellschaft kann sich ein Mob bilden, der Homosexuelle und ihre Verteidiger bedroht oder verletzt. Leider kommen die Täter manchmal direkt aus dem Gottesdienst; denn rund um den Globus sind es oft religiös motivierte Gruppen, die gegen Menschenrechtsverteidiger vorgehen. Das können christlich-fundamentalistische Gemeinschaften ebenso sein wie islamistische Gruppierungen und viele andere. Nichtstaatliche Milizen schüchtern Frauenrechtlerinnen ein, Unternehmen bekämpfen Gewerkschafter. Es gibt viele Beispiele. Wir müssen auch gar nicht so weit schauen. Auch in Deutschland werden Menschen, die sich zum Beispiel für Flüchtlinge einsetzen, oder Aktivisten oder Journalisten, die gegen Nazis vorgehen, mittlerweile wieder bedroht, wie letzte Woche in meinem Wahlkreis. Vier Neonazi-Gegner aus Mittelfranken erhielten Morddrohungen in Gestalt einer fiktiven Todesanzeige. Hier muss unser Rechtsstaat dafür sorgen, dass das nicht straflos bleibt. (Beifall im ganzen Hause) Die meisten Regierungen legen Wert auf eine gute internationale Reputation. Man kann versuchen, auf sie einzuwirken, und Menschenrechtsverletzungen in ihren Ländern immer wieder benennen – natürlich besonders bei Gesprächen im jeweiligen Land. Oft ist es damit aber nicht getan. Unser Antrag zeigt sehr deutlich, dass uns ein vielfältiger Maßnahmenkatalog zur Verfügung steht, mit dem wir Menschenrechtsverteidiger verteidigen können. Diese Vielzahl der Mittel braucht es dringend. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Im Hinblick auf die Zivilgesellschaft fordern wir dezentrale Maßnahmen für ein sicheres Umfeld und menschenrechtliche Leitlinien in den örtlichen Sprachen, die dem Volk auch bekannt gemacht werden müssen. Wir reden heute über Menschen, die für die Menschenrechte in ihren Ländern ihr Leben und ihre Freiheit riskieren. Sie sind Vorbild für die Zivilgesellschaft und oft die Einzigen, die dem Terror trotzen. Sie sind uns Mahnung, wie wenig selbstverständlich die Menschenrechte in vielen Teilen der Erde sind und dass sich der Kampf lohnt. Sie brauchen all unsere Unterstützung. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächstes hat der Kollege Dr. Bernd Fabritius, CDU/CSUFraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor wenigen Wochen hat der Unterausschuss für Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik eine Reise nach Kuba unternommen, um ein bilaterales Kulturabkommen voranzubringen. Zu unserer Kultur gehören auch Menschenrechte und deren Schutz, auch wenn Sie, Frau Kollegin Groth, und die Linken meinen, dieser Bundesrepublik Deutschland ein distanziertes Verhältnis zu Menschenrechten vorwerfen zu müssen. Das ist nicht nur ein Tunnelblick, sondern das ist ungeheuerlich, und es ist eine Unterstützung der Schurkenstaaten, die solche Vergleiche dazu nutzen, eigenes Unwesen zu legitimieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Während dieser Reise in die Sozialistische Republik Kuba wurden wir mit dem Schicksal der berühmten Damen in Weiß konfrontiert, die Sie, Frau Kollegin Steinbach, zu Recht angesprochen haben. Es war eine Erfahrung, die ich Ihnen heute gerne etwas näherbringen möchte. Die Damen in Weiß sind eine Gruppe von Menschenrechtsverteidigerinnen, die sich im Jahre 2003 zusammenschlossen, um öffentlich für die Freilassung ihrer Angehörigen zu kämpfen. Diese waren 79 Regimekritiker, die sich gewaltlos für die Menschenrechte in ihrem Land eingesetzt hatten. Sie wurden während des sogenannten Schwarzen Frühlings vom kommunistischen Regime auf Kuba verhaftet und zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Seitdem marschieren die Damen in Weiß jeden Sonntag durch Havanna und setzen ein sichtbares, friedliches Zeichen gegen die Willkür des Regimes und für Menschenrechte und Meinungsfreiheit. Wie so viele Menschenrechtsverteidiger wurden auch die Damen in Weiß schließlich selbst Opfer von Verleumdungen, Behinderungen und Repressionen durch ihren eigenen Staat. Regelmäßig werden sie von den kubanischen Sicherheitsbehörden während ihres Marsches ohne ersichtlichen Grund verhaftet. Sie werden zwar nicht mehr wie früher lange festgehalten, dafür aber irgendwohin, weit vor die Tore Havannas, verschleppt und dort, im Nirgendwo, regelrecht ausgesetzt, von wo sie dann in Ermangelung eines Systems öffentlichen Nahverkehrs den langen und beschwerlichen Weg nach Hause zu Fuß antreten müssen – ungeachtet ihres Alters, der körperlichen Verfassung, des Wetters oder anderer Umstände, die schikaneverschärfend wirken. Mit solchen Einschüchterungen sollen nicht nur die Damen in Weiß von ihrem friedlichen, aber wirksamen Protest abgehalten werden; es soll der erhobene Zeigefinger gegen die eigene Bevölkerung sein, dass man sich mit derlei Aktionen in Kuba nur Scherereien einhandelt. Mit solchen Methoden wollen autoritäre Regimes weltweit einheimische Kritiker mundtot machen und ihren eigenen Machtanspruch sichern. Menschenrechtsverteidiger handeln aus den edelsten Motiven. Sie setzen ihre eigene Sicherheit aufs Spiel, um sich für die Rechte anderer einzusetzen. Dafür ernten sie Einschüchterungen, Repressionen, Verhaftungen und Entführungen. Im schlimmsten Fall werden sie gefoltert, ermordet oder verschwinden einfach für immer. Deshalb bin ich sehr dankbar, dass wir mit dem heute vorliegenden Antrag – passend zum Tag der Menschenrechte – ein starkes Signal der Unterstützung und Solidarität mit Menschenrechtsverteidigern weltweit aussenden. (Beifall bei der CDU/CSU) Es geht uns mit diesem Antrag, meine Damen und Herren, aber nicht nur um ein Signal. Wir wollen einen Beitrag zur konkreten Unterstützung von Menschenrechtsverteidigern leisten. Unser Antrag nennt hierzu eine ganze Reihe von Maßnahmen und Zielsetzungen. Wesentlich hierbei sind auch die geltenden EULeitlinien, die unter anderem den Aufbau und die Pflege systematischer Kontakte zu Menschenrechtsverteidigern sowie die regelmäßige Berichterstattung zu deren Situation durch unsere Auslandsvertretungen und ein allgemeines Mainstreaming in der EUAußenpolitik vorsehen. Diese Leitlinien, die Sie, Kollege Schwabe, zu Recht schon erwähnt haben, haben sich als Instrument bewährt. Auch der Einsatz verschiedenster internationaler Organisationen als wichtige Akteure im Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen wird in unserem Antrag erwähnt, namentlich etwa die Parlamentarische Versammlung des Europarates und die Interparlamentarische Union, die weiter gestärkt und gefördert werden müssen. Der Ausschuss für die Menschenrechte von Parlamentariern in der IPU, in dem ich als Vertreter Deutschlands die 47 Staaten der Gruppe 12+ vertreten darf, befasst sich vor allem mit den Fällen jener Oppositionsvertreter, die aufgrund ihrer politischen Einstellung von der Regierung ihres Landes drangsaliert, verhaftet, gefoltert oder ermordet werden. Der Fall des omanischen Politikers Talib alMaamari sei als ein erschreckendes Beispiel dafür genannt, wie missliebige Regimekritiker selbst in solchen Staaten behandelt werden, die im Reigen autoritärer Systeme noch als weitsichtig gelten können. Der 2011 ins omanische Parlament gewählte Abgeordnete hatte schwere Umweltschäden in seiner Heimatregion angeprangert und sich für nachhaltigen Umweltschutz eingesetzt. Seine Teilnahme an einer Demonstration nahmen die Behörden schließlich zum Anlass, ihn trotz Immunität als Abgeordneter einige Tage später zu inhaftieren und in der Folge mehrfach zu unterschiedlich langen Haftstrafen zu verurteilen. Als Berichterstatter dieses IPUAusschusses konnte ich mir mit dem Ausschussvorsitzenden vor Ort ein Bild machen, Herrn alMaamari sogar in der Haftanstalt besuchen und mit Vertretern des dortigen Parlaments über den Fall sprechen. Mit klaren und verbindlichen Entlassungszusagen beendeten wir die Fact Finding Mission. Man wollte im Oman Öffentlichkeit um jeden Preis vermeiden. Dieser Fall, meine Damen und Herren, zeigt zweierlei: Zum einen unterstreicht die Reaktion der omanischen Behörden, wie wichtig der Einsatz internationaler Organisationen wie der IPU für bedrängte Menschenrechtsverteidiger ist und welche Möglichkeiten diese haben. Öffentlichkeit fürchten Staaten mit schlechtem Gewissen vielleicht am meisten. (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Zum anderen führt der Fall uns auch vor Augen, wie groß die Angst autoritärer Regime vor Menschenrechtsverteidigern ist; denn Herr alMaamari sitzt trotz aller Zusagen bis zum heutigen Tage im Gefängnis. Passiert ist nämlich noch nichts. Wir bleiben aber dran. Wir dürfen nicht den Eindruck erwecken, Menschenrechtsverteidigern konkrete Unterstützung zu gewähren, sei einfach. Das wäre eine bisweilen gefährliche Illusion. Am Rande der IPU-Vollversammlung in Hanoi im vergangenen März veranstalteten die deutsche und die schwedische Botschaft vor Ort ein gemeinsames Treffen mit Menschenrechtsverteidigern – übrigens ganz im Sinne der bereits angesprochenen EU-Leitlinien. Ich möchte der deutschen Botschaft in Hanoi ausdrücklich für ihre Unterstützung danken. Ich möchte auch Ihnen, Frau Staatsministerin Böhmer, danken, dass Sie heute hier sind und damit unterstreichen, welche Bedeutung das Thema für Sie hat. Die Veranstaltung in Hanoi wurde von vietnamesischen Sicherheitsbehörden massiv behindert. Sämtliche vietnamesischen Teilnehmer wurden gefilmt und fotografiert. Viel schlimmer war jedoch, dass wir direkt nach unserer Abreise aus Vietnam erfahren mussten, dass einige Interessierte gar nicht erst zur Veranstaltung anreisen konnten, da sie von Sicherheitskräften mit Gewalt sogar aus Flugzeugen herausgefischt und dabei teils übel zugerichtet wurden. Ein solches Vorgehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dürfen wir nicht akzeptieren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich danke Herrn Präsidenten Lammert ausdrücklich dafür, dass er als Leiter der deutschen IPUDelegation in Hanoi diese eklatante Verletzung von Freiheitsrechten gegenüber dem Präsidenten des vietnamesischen Parlaments mit deutlichen Worten angesprochen hat. Gerade zum Tag der Menschenrechte muss ich leider auch darauf hinweisen, dass wir in der letzten Zeit deutliche Rückschritte bei der Sicherung von Rechtsstaatlichkeit und beim Schutz von Menschenrechten selbst in Ländern beobachten müssen, die zunächst auf einem guten Weg schienen. Offenkundig soll in diesen Ländern der eigene Machtanspruch erneut mit Schikanen, Behinderung und Bedrohung von Menschenrechtsverteidigern gesichert werden. Russland, meine Damen und Herren, hat erst am Dienstag in der Staatsduma entschieden, Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht mehr als verbindlich anzuerkennen. Dieses Gesetz soll es der Regierung dort ausdrücklich erlauben, ihre eigenen Absichten selbst gegen Menschenrechte durchzusetzen. Das ist beschämend. Lassen Sie mich zum Abschluss noch einmal auf die Damen in Weiß zurückkommen. Diese konnten letztlich trotz aller Repressionen und Behinderungen die Freilassung ihrer Angehörigen durchsetzen. Das hält sie jedoch nicht davon ab, bis zum heutigen Tage weiter jeden Sonntag durch Havanna zu ziehen, um so auf die desolate Menschenrechtslage ihrer Landsleute aufmerksam zu machen. Stoisch nehmen sie weiter jede Woche den beschwerlichen Weg zu Fuß zurück in die Stadt auf sich und setzen so Zeichen der Beharrlichkeit und des Willens, in ihrem Land zu wirklichen Verbesserungen beizutragen – die schönste Form echter, revolutionärer Vaterlandsliebe. Genauso beharrlich müssen auch wir dranbleiben. Im steten Kampf für Menschenrechte dürfen wir nicht nachlassen. Ich bitte deswegen um Zustimmung zu unserem Antrag. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Ute Finckh-Krämer, SPDFraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer oben auf der Tribüne! Ich möchte Ihnen den Fall der Menschenrechtsaktivistin Leyla Yunus aus Aserbaidschan näherbringen, die im August zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt worden ist. Der Fall steht beispielhaft für das Schicksal einer ganzen Reihe von Menschenrechtsverteidigern in Aserbaidschan, gegen die das Regime mit drastischen Maßnahmen vorgeht. Sie ist Vorsitzende der aserbaidschanischen Nichtregierungsorganisation Institute for Peace and Democracy, und sie setzt sich aktiv für einen Friedensprozess im Berg-Karabach-Konflikt ein. In eingefrorenen Konflikten ist es wichtig, dass Menschen, die nicht die offizielle Regierungslinie vertreten, für den Friedensprozess eintreten. Wenn die Regierung von Aserbaidschan möchte, dass die Menschen, die wegen des Konfliktes ihre Heimat verlassen mussten, nun zurückkehren können, dann könnte Leyla Yunus mit ihrem Institut einen wertvollen Beitrag dazu leisten. Das geht aber nur, wenn sie freigelassen wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aserbaidschan ist allen wesentlichen internationalen Menschenrechtsabkommen beigetreten, 2002 auch der Europäischen Menschenrechtskonvention. Leyla Yunus’ Gesundheitszustand hat sich in der Haft stark verschlechtert. Insofern hoffen wir, dass sie bald freikommt, ebenso wie ihr Mann, der aus der Haft entlassen wurde und jetzt unter Hausarrest steht. Menschen, die gewaltfrei von der Regierungslinie ihres Heimatlandes abweichende Positionen vertreten, dürfen nicht kriminalisiert werden. Das muss für alle Länder gelten, aber wir setzen uns ganz besonders für die Länder ein, mit denen wir im Europarat zusammenarbeiten. Menschenrechte wie die Presse- und Meinungsfreiheit oder das Recht, sich zu Vereinigungen, etwa zu Gewerkschaften, zusammenzuschließen, werden wertlos, wenn sie nicht wahrgenommen werden können. Menschenrechtsverteidiger nehmen einerseits diese Rechte selber wahr und setzen sich andererseits dafür ein, dass andere sie wahrnehmen können. Dafür gebührt ihnen unser besonderer Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Unser gemeinsames menschenrechtspolitisches Anliegen muss es deshalb sein, Menschenrechtsverteidiger in ihrer Arbeit zu unterstützen und sie dort, wo sie verfolgt werden, so gut wie möglich zu schützen. Das kann nicht nur dadurch geschehen, dass wir uns von hier aus öffentlich für sie einsetzen. Es wurden auch andere Methoden entwickelt, zum Beispiel von Organisationen wie den Peace Brigades International, die in lateinamerikanischen Ländern, aber auch in Kenia Menschenrechtsverteidiger vor Ort begleiten und ihnen helfen, Unterstützernetzwerke in ihrem jeweiligen Land aufzubauen, die bei Angriffen oder Verhaftung protestieren können. Aber auch Schulungen in gewaltfreier Konfliktbearbeitung sind hilfreich; denn wer in seinem Umfeld für seinen konstruktiven Umgang mit Konflikten geschätzt wird, der ist besser vor Angriffen geschützt, weil andere sich aktiv für ihn einsetzen. Eine weitere Möglichkeit, politisch Verfolgte zu unterstützen, zeigt uns die Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte. Sie lädt politisch Verfolgte für ein Jahr ein, damit sie in Hamburg ohne Angst und in Sicherheit arbeiten und sich von der Repression, unter der sie gelitten haben, erholen können. Bis auf eine Menschenrechtsverteidigerin sind übrigens alle ehemaligen Stipendiatinnen und Stipendiaten dieser Hamburger Stiftung in Freiheit. Das heißt: Dieses eine Jahr Erholung und die Aufmerksamkeit, die sie durch dieses Stipendium erhalten haben, haben ihnen geholfen, haben sie unterstützt. Die einzige Ausnahme ist leider Leyla Yunus. Die Hamburger Stiftung hilft ihren Gästen dabei, sich mit deutschen und internationalen Meinungsbildnern aus Politik, Medien und Zivilgesellschaft zu vernetzen. Ich freue mich, dass es in Deutschland eine solche Einrichtung gibt. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Frank Heinrich, CDU/CSUFraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer! Wir haben es inzwischen festgestellt: Anlässlich des Tages der Menschenrechte, der nächste Woche begangen wird, legen wir heute einen Antrag vor, in dessen Mittelpunkt Menschenrechtsverteidiger und ihr Schutz stehen. Ich möchte Ihnen heute ebenso, wie viele meiner Kollegen es getan haben, einige Personen vorstellen: Eine dieser Personen ist Frau Do Thi Minh Hanh. Ich hatte letztes Jahr die Gelegenheit, sie gleich zweimal zu treffen. Einmal wie auf dem Bild in meinem Büro in Berlin. Einige meiner Kollegen haben sie damals getroffen. Herr Brand ist ein Pate von ihr. Sieben Monate vorher musste ich, um sie zu besuchen, in ein vietnamesisches Gefängnis in Hanoi gehen; das haben einige Kollegen schon erzählt. Zu diesem Zeitpunkt war sie als Gewerkschafterin mit etwa drei Dutzend anderen Vietnamesen inhaftiert, die als willkürlich Verhaftete von den Vereinten Nationen namentlich benannt wurden und deren Freilassung gefordert wurde. Kurze Zeit nach meinem Besuch wurde sie ohne Auflagen entlassen. Es wurde ihr empfohlen, wenn sie ins Ausland reist, bitte dort zu bleiben. Das war das Einzige, was man damit verband. Im November hatte sie dann die Möglichkeit, hierherzukommen und uns zu besuchen. Unter anderem entstand damals dieses Bild in meinem Büro. Letzte Woche musste ich erfahren, dass Frau Hanh als Mitglied der Lao Dong Viet Independent Trade Union gemeinsam mit ihrem Kollegen verhaftet wurde. Ihr Verbrechen war: Sie war Teilnehmer eines Treffens mit Arbeitnehmern eines südkoreanischen Unternehmens, bei dem es um Arbeitnehmerrechte und Verdienstausfall ging. Polizeikräfte haben dieses Zusammentreffen beendet. Frau Hanh und ihr Kollege, Herr Duc, wurden in Polizeigewahrsam genommen. Bis zum Morgen darauf wurden sie festgehalten und offenbar von Polizeikräften brutal geschlagen. Inzwischen konnten die Verletzungen an Kopf und Auge im Krankenhaus behandelt werden. Sie leidet aber bis heute unter Sehstörungen. Ein weiterer Fall – ähnliche wurden schon genannt – aus Aserbaidschan: Rasul Jafarov ist Gründer und Vorsitzender eines Menschenrechtsclubs, einer unabhängigen Menschenrechtsgruppe. Er ist laut Human Rights Watch einer der angesehensten und schärfsten Kritiker der politisch motivierten Strafverfolgung in seinem Land. Im August vergangenen Jahres brachte er eine Kampagne – Sport for Rights – in Umlauf. Sportler sollten während der Europaspiele in Aserbaidschan im Juni dieses Jahres – der eine oder andere mag sich daran erinnern – auf die Freilassung widerrechtlich inhaftierter Aktivisten hinweisen. Er konnte seine Pläne aber nicht durchführen, weil er am nächsten Tag verhaftet und im April dieses Jahres zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt wurde. Ihm wurden illegales Unternehmertum, Machtmissbrauch, Steuerhinterziehung – was man alles da so findet – vorgeworfen. Während dieser Spiele wurde uns unterdessen ein Bildermärchen eines Landes vorgelegt. Wer von gefälschten Wahlen, Korruption oder fehlender Meinungsfreiheit berichtet hat, wurde drangsaliert, bedroht und inhaftiert. In diesem Land gibt es etwa 100 politische Gefangene. – Herr Strässer, Sie als Menschenrechtsbeauftragter könnten ganze Lieder darüber singen. Er ist derjenige, der deswegen bald nicht mehr ins Land darf, weil er seinen Finger immer wieder draufgelegt hat. (Michael Brand [CDU/CSU]: Zu Recht!) Auch Europaratskommissar Nils Muižnieks – ich hoffe, ich habe den Namen richtig ausgesprochen – verurteilt das klare Muster der Unterdrückung von Journalisten, Bloggern und anderen Aktivisten in Aserbaidschan. Einige weitere wichtige Zivilgesellschaftsvertreter haben seit Sommer 2014 das Land verlassen. In einem Fall wurde auch um humanitäres Asyl in einer westlichen Botschaft ersucht. Ein drittes Beispiel möchte ich nennen: Letzte Woche saß eine junge Frau aus Bahrain – dieses Beispiel wurde schon zweimal angeführt – in meinem Büro. Sie ist Journalistin und berichtete von ihren Erfahrungen und den Missständen in ihrem Land. Für ihr Engagement bekam sie einen Menschenrechtsaward, den ich jetzt genauso wenig nenne wie ihren Namen, weil ich sie nicht in Schwierigkeiten bringen will. Eine solche Ehrung ist die eine Seite. Die andere Seite ist: Sie wurde in der Zeit, in der sie inhaftiert war, von fünf Polizisten gefoltert. Für dieses Verbrechen hat sie keine Gerechtigkeit walten sehen. Sie und ihre Kollegen finden in ihrem Land keinen Schutz vor Folter und willkürlicher Verhaftung. Sie sagte in der letzten Woche in meinem Büro: Ich muss aufpassen, was ich wem wie erzähle; denn ich will das so nicht noch einmal erleben. Doch möchte ich, meinem Gewissen folgend, deutlich Kante zeigen. Auch für den Menschenrechtsverteidiger Nabeel Rajab, ebenfalls aus Bahrain, konnte ich mich letztes Jahr einsetzen; mehrere von uns ebenfalls. Er ist Präsident des Bahrain Centers for Human Rights, Mitglied bei Human Rights Watch, und er ist Blogger. Er hat zehn Jahre dafür bekommen, dass er über die Menschenrechtssituation in seinem Land berichtet hat. Laut Amnesty International ist er im Juli aus gesundheitlichen Gründen aus der Haft entlassen worden. Laut einem Bericht von Human Rights Watch, den ich zitieren möchte, foltern bahrainische Sicherheitskräfte Häftlinge bei Verhören. Die Opfer müssen stehen bleiben. Sie werden extremer Kälte ausgesetzt. Sie werden sexuellen Übergriffen ausgesetzt. Die im Jahr 2011 gegründeten Institutionen, die Beschwerden entgegennehmen ... sollen, – also formelle Verbesserungen bewirken sollten – arbeiten weder unabhängig noch transparent. Es fiel vorhin die Zahl von Reporter ohne Grenzen – Frau Steinbach hat das erwähnt –: 63 getötete Journalisten und mehrere Hundert Inhaftierte allein in diesem Jahr. Die Zahlen als solche sind erschreckend. Deshalb haben wir ja auch diesen Antrag eingebracht. Natürlich geht es uns nicht nur darum, strukturell die Bedingungen zu verbessern, sondern es geht uns auch um diese Einzelpersonen wie Do Thi Minh Hanh, Rasul Jafarov und Nabeel Rajab. Vorhin fiel auch der Name alMaamari. Immer wieder wird auch Badawi erwähnt, der Blogger, der 1 000 Peitschenhiebe bekommen soll. Viele Namen und Gesichter fallen uns da ein. Es geht um Menschen, die ihre physische und psychische Gesundheit riskieren, um sich für die Verbesserung der Menschenrechtslage in ihrem Land einzusetzen, und, wie Do Thi Minh Hanh, sogar in ihr Land zurückkehren – obwohl sie die Chance hätte, wegzubleiben –, damit sich die Bedingungen dort strukturell verbessern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Jetzt hat sie wieder eine Strafe dafür kassiert. Rasul Jafarov war derjenige, der mich eingeladen hatte. Ich habe ihn besucht, und er hat mir gesagt: Es könnte mir jeden Tag passieren, verhaftet zu werden. – Damals ging es um den European Song Contest. Der Schutz dieser mutigen Menschen ist ein wichtiges menschenrechtspolitisches Anliegen. Deshalb haben wir nicht nur heute einen Schwerpunkt mit dieser Debatte gesetzt, sondern der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe wird aus diesem Grund auch im nächsten Jahr einen Schwerpunkt auf den Schutz von Menschenrechtsverteidigern legen. Er wird dies dann bei den genannten Besuchen, bei unseren Aufforderungen an Botschafter und auch dann, wenn wir hier mit den Botschaftern der betroffenen Länder reden, immer wieder verstärkt einbringen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Oft fehlen wie in Bahrain die rechtsstaatlichen Strukturen. Nur selten werden die Verbrechen aufgeklärt und die Täter verurteilt. Deshalb bin ich dankbar – das habe ich eben schon gesagt – für Organisationen, die sich an dieser Stelle engagieren. Auch hier in Deutschland gibt es Personen, die sich innerhalb der Organisationen engagieren. So, wie wir als Politiker versuchen, Solidarität zu äußern, bitte ich Sie, Briefe zu schreiben und sich zu engagieren, Licht auf die Einzelschicksale zu werfen und Hoffnung zu machen. In unserem Antrag fordern wir die Bundesregierung auf, alle diplomatischen Mittel wie nur irgendwie möglich zu nutzen, um gegen die Kriminalisierung von NGOs und friedlichen Menschenrechtsverteidigern vorzugehen, Organisationen zu unterstützen, die für Menschenrechtsverteidiger einstehen. Als Abgeordnete können wir das, wie wir gerade gehört haben, tun, zum Beispiel als Pate. Wir können Petitionen unterschreiben. Das können Sie auch als Bürger, als Einzelperson. Man kann als Prozessbeobachter aktiv werden. Ja, wir müssen an der Stelle noch mehr unserer Kollegen bitten – Herr Schwabe hat vorhin darauf hingewiesen –, Paten zu werden, um Licht auf die Menschenrechtssituation zu werfen. Wir müssen Menschenrechtsverteidiger mehr über ihre Rechte und Möglichkeiten des Schutzes aufklären. Ihnen muss bekannt sein, welche Unterstützung sie aus unserem Land, in dem wir tatsächlich diese Freiheiten haben, erhalten können und an wen sie sich wenden können. Ich komme zum Schluss. Es geht um viele Personen, für die man sich auch als Privatperson einsetzen kann. Ich selber habe mich entschieden, Männer und Frauen wie Do Thi Minh Hanh weiterhin zu unterstützen, sie im Gefängnis zu besuchen, wenn wir dort sind, ihnen auch mit Briefen Mut zuzusprechen, ihnen zu sagen, dass sie nicht vergessen sind. Ich werde überall, wo es möglich ist, einen kleinen Beitrag dazu zu leisten, dass das an ihnen begangene Unrecht aufgeklärt wird. Aber das wollen wir auch körperschaftlich als Parlament und als Regierung. Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Ich bedanke mich auch. – Damit sind wir am Schluss der Aussprache angelangt. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 18/6880 mit dem Titel „Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern weltweit verstärken“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 30 a bis 30 d auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Annette Groth, Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Freiheit für Leonard Peltier Drucksache 18/2622 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung b) Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2013 Drucksache 18/208 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Verteidigungsausschuss Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss Digitale Agenda c) Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2014 Drucksache 18/3682 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit d) Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zur Verordnung über Vereinbarungen zu abschaltbaren Lasten Erforderlichkeit und Eignung abschaltbarer Lasten, um Gefährdungen oder Störungen der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems zu beseitigen Drucksache 18/6096 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Es handelt sich hierbei um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a bis 31 f auf. Auch hierbei handelt es sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 31 a: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Tourismus (20. Ausschuss) – zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Die Alpen – Vielfalt in Europa – Ziele der Alpenkonvention voranbringen und nachhaltig gestalten – zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Tressel, Dr. Anton Hofreiter, Steffi Lemke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Tourismusprotokoll der Alpenkonvention umsetzen – Wintertourismus nachhaltig gestalten Drucksachen 18/6187, 18/4816, 18/6848 Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 18/6187 mit dem Titel „Die Alpen – Vielfalt in Europa – Ziele der Alpenkonvention voranbringen und nachhaltig gestalten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung bei Enthaltung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4816 mit dem Titel „Tourismusprotokoll der Alpenkonvention umsetzen – Wintertourismus nachhaltig gestalten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 31 b: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 255 zu Petitionen Drucksache 18/6819 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 255 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 31 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 256 zu Petitionen Drucksache 18/6820 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 256 ist gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 31 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 257 zu Petitionen Drucksache 18/6821 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 257 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 31 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 258 zu Petitionen Drucksache 18/6822 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 258 ist gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 31 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 259 zu Petitionen Drucksache 18/6823 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 259 ist gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dann rufe ich den Tagesordnungspunkt 6 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses (12. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten Jahresbericht 2014 (56. Bericht) Drucksachen 18/3750, 18/6093 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre hierzu keinen Widersprich. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Dr. Hans-Peter Bartels. Dr. Hans-Peter Bartels, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte zum Jahresbericht 2014 passt ganz gut in diese Sitzungswoche. Es ist richtig, dass der Istzustand der Bundeswehr und das, was sich ändern muss, gerade jetzt zum Thema gemacht wird; denn unserer Streitkräfte werden heute wirklich gebraucht – fast möchte man sagen: mehr denn je. Sie werden unter anderem in den klassischen Auslandseinsätzen – out of area – gebraucht. Die Beanspruchung dafür war in diesem Sommer schon auf gut 2 500 Soldatinnen und Soldaten abgesunken. Jetzt ist EUNAVFOR MED im Mittelmeer dazugekommen, und die Einsätze in Afghanistan und im Nordirak werden wieder etwas größer und wohl auch noch länger dauern. Auch für den Einsatz in Mali werden wir deutlich mehr Personal stellen, und das in dieser Woche durch das Parlament gehende Anti-IS-Mandat bedeutet quantitativ und qualitativ auch noch einmal ein starkes Plus. Alles in allem werden dann rund 5 000 Soldaten Deutschland in mandatierten internationalen Einsätzen vertreten – doppelt so viele wie Mitte dieses Jahres. Die Bundeswehr kann das leisten – kein Thema –, wenn es die einzige Beanspruchung unserer Soldatinnen und Soldaten wäre. In ganz ähnlicher Größenordnung – gut 5 000 Soldaten – kommen allerdings noch NATO-Verpflichtungen hinzu. Diese sind spätestens mit Beginn der Ukraine-Krise auch sehr ernst gemeint. Ich meine konkret die NRF mit 4 600 deutschen Soldaten, davon 2 700 in der besonders schnellen Speerspitze. Das ist mehr als früher, und diese Truppen haben eine hohe Bereitschaft. Sie üben tatsächlich. Das sind keine reinen Papierbuchungen mehr. Außerdem kommen noch die Air Policing Baltikum, die rotierenden deutschen Heereskompanien in Polen, Estland, Lettland und Litauen und die ständigen maritimen Einsatzverbände der NATO hinzu. Die kollektive Verteidigung ist wieder ein Thema. Das Bündnis bindet Kräfte in Europa. Aber die Bundeswehr kann das. Die äußere Sicherheit ist ihr Kernauftrag; dafür ist sie da. Weil die Bundeswehr da ist, hat die deutsche Politik, hat dieses Parlament international Handlungsoptionen. Nach 60 Jahren Bundeswehr sind unsere Soldatinnen und Soldaten ein gesuchter Partner in der internationalen militärischen Zusammenarbeit. Dafür, glaube ich, ist dieses Parlament dankbar. Die Bundeswehr kann auch im Innern helfen, wenn es wirklich nicht anders geht. Die Amtshilfe in Sachen Flüchtlinge bindet im Augenblick 8 000 Männer und Frauen unserer Streitkräfte. Viele Soldaten haben sich freiwillig gemeldet. Der Vorteil unserer Bundeswehr ist, dass sie in Krisen schnell zur Stelle sein kann. Das macht sie auch im Innern so beliebt. Sie macht das gut. Uns allen sollte aber klar sein, dass Flüchtlingshilfe keine Dauereinsatzaufgabe der Bundeswehr werden darf; (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sehr richtig!) denn das ginge auf Kosten von Ausbildung und Einsatzbereitschaft für den Kernauftrag, die äußere Sicherheit. Viele Soldaten sagen mir genau das bei meinen Besuchen in der Truppe, und ich teile diese Sorge. Die Soldaten helfen gern, zur Not auch als Lückenfüller, aber die Lücken müssen irgendwann auch wieder zivil gefüllt werden. Warum rede ich heute zuallererst über die Beanspruchung des Personals? Weil ich mir Sorgen mache, dass es zu einer Überbeanspruchung kommen könnte. Niemand muss sich Gedanken über neue Aufgaben für die Bundeswehr im Innern machen; die Belastung wächst gerade jetzt in diesen Wochen auch so schon enorm. Gleichzeitig ist auch noch die letzte Bundeswehrneuausrichtung mit neuen Organisationsstrukturen, neuen Standorten und veränderten Arbeitsbeziehungen zu bewältigen. Es ist richtig, dass die Reform jetzt nachgesteuert wird. Die Bundeswehr braucht 100 Prozent Ausrüstung – große und kleine – für 100 Prozent Bundeswehr, und zwar schnell, nicht irgendwann. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Diese Ausrüstung muss aber auch in der Realität und nicht nur auf dem Papier verfügbar sein. Das heißt, es müssen zum Beispiel Ersatzteile gekauft werden, auch für die alten Tornados. Vielleicht geht es auch darum, wieder mehr selber machen zu können. Jedenfalls muss Schluss sein mit der Toleranz für Fehlanzeigen. Wenn das Gerät für Ausbildung und Übungen nicht da ist, ist der Beruf nicht attraktiv; auch das höre ich bei jedem Truppenbesuch. Vieles ist in Bewegung. Die Stellungnahme des Ministeriums zum Jahresbericht 2014 zeigt, dass Kritik ankommt – nicht immer, aber, wie ich hoffe, immer öfter. Mein Vorgänger Hellmut Königshaus – ich begrüße ihn auf der Tribüne – kann ganz zufrieden sein. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Er hat Anregungen gegeben, die tatsächlich zu Verbesserungen führen, etwa bei der Kasernensanierung. Nur etwas Tempo fehlt noch; darüber haben wir schon im Ausschuss diskutiert. Ein paar offene Punkte will ich hier noch ansprechen. Erstens. Es ist gut, dass das Ministerium zwei Arbeitsgruppen – Sie sagen: Taskforces – eingerichtet hat, die helfen sollen, die Verfügbarkeit von Hubschraubern und Flugzeugen zu verbessern. Das ist dringend nötig. Die Ausbildung für NH90, Tiger, Sea King und Sea Lynx leidet extrem. Für unsere Piloten und angehenden Piloten ist das eine unmögliche Situation. Ich höre aus dem BMVg, kurzfristige Lösungen seien nicht zu erwarten. Aber das Problem kennen wir seit Jahren. Insofern bitte ich auch hier um Tempo. Zweitens. Der Verteidigungsausschuss wie auch mein Amtsvorgänger haben immer wieder auf eine Einhaltung des 20/4-Monatssystems für eingesetzte Soldatinnen und Soldaten gedrängt. Das gelingt noch nicht immer zuverlässig. Aber dann sollte wenigstens der Rücktransport, zum Beispiel aus Afghanistan, planbar und zur festgesetzten Zeit stattfinden und nicht immer mit tagelanger Verzögerung. Das ist für die Soldatinnen und Soldaten und für ihre Familien nur schwer erträglich. Drittens. Das Beurteilungssystem gerecht zu gestalten, ist gewiss eine enorm anspruchsvolle Aufgabe. Aber je existenzieller es in seinen Konsequenzen wird, etwa beim Übergang vom Zeit- zum Berufssoldaten, desto öfter scheint es zu versagen; so ist jedenfalls der Eindruck bei vielen Betroffenen. Das schadet der Bundeswehr. Ich glaube, wir brauchen hier ein neues und transparenteres System. Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend möchte ich sagen, dass ich den Berichterstatterinnen der Fraktionen, den Kolleginnen Schäfer, Henn, Buchholz und Wagner, für die fraktionsübergreifend gute Zusammenarbeit im Interesse unserer Soldatinnen und Soldaten dankbar bin. Ich danke meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und unseren Ansprechpartnern im Ministerium und in den Streitkräften, die ganz überwiegend auf die Anmerkungen des Wehrbeauftragten konstruktiv eingehen. Ich danke auch den vielen Soldatinnen und Soldaten, die mit ihren Eingaben immer wieder dafür sorgen, dass Missstände thematisiert und beseitigt werden können. Manchmal geht es eben nicht nur um den Einzelfall, sondern um eine Art militärisches Verbesserungsmanagement. Keine andere Armee der Welt hat so ein Rückmeldesystem. Wir sind damit in 60 Jahren gut gefahren. Es wird uns auch jetzt helfen, wo die Zeiten sicherheitspolitisch erkennbar härter werden. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Die Kollegin Anita Schäfer spricht jetzt für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter! Vor etwas mehr als sieben Monaten haben wir das erste Mal den Jahresbericht für 2014 debattiert, der noch von Ihrem Vorgänger Hellmut Königshaus verantwortet wurde. Angesichts der Ereignisse in der Zwischenzeit scheint der Berichtszeitraum kurz vor Ende des Jahres 2015 in weite Ferne gerückt. Im letzten Jahr war unser Augenmerk vor allem auf die Ukraine-Krise gerichtet. Wir sprachen über eine Rückbesinnung auf die klassische Bündnisverteidigung, über die notwendige Rückkehr zur Vollausstattung von Kampftruppenbataillonen mit Großgerät, über die Stärkung schneller Eingreifkräfte und über lange nicht geübte Fähigkeiten zur Truppenverlegung in Europa. In diesem Sommer wurden dann die Folgen des seit vier Jahren andauernden Bürgerkriegs in Syrien und der Schreckensherrschaft des sogenannten „Islamischen Staates“ auch hierzulande für jedermann deutlich; denn die Flucht vor Gewalt und Terror in Syrien war wesentlich für die Zuspitzung der aktuellen Flüchtlingskrise verantwortlich. Seither ist auch die Bundeswehr stark in der Flüchtlingshilfe engagiert, mittlerweile mit durchschnittlich 7 500 Soldaten. Die Bundeswehr hilft beim Aufbau und dem Betrieb von Unterkünften, bei der Aufnahme von Flüchtlingen, bei der Organisation, bei Transport und medizinischer Betreuung und durch die Abgabe von Verpflegung, Betten und anderem Material. All das geschieht neben ihren eigentlichen Aufgaben im Grundbetrieb und im Auslandseinsatz. Gestern haben wir nun über die Unterstützung Frankreichs im Kampf gegen den IS nach den neuerlichen Anschlägen in Paris debattiert und werden morgen voraussichtlich die Einsätze über Syrien und im Mittelmeer beschließen. Damit kommen neue gefährliche Aufgaben auf die Bundeswehr zu. Gleichzeitig sind die bisherigen Herausforderungen nicht verschwunden. Lieber Herr Wehrbeauftragter, vor diesem Hintergrund haben Sie sich bereits mehrfach und auch heute zu den Bedürfnissen der Bundeswehr geäußert, unter anderem auch zum Ausstattungsgrad mit Großgerät, wobei, so glaube ich, fast jeder darin übereinstimmt, dass kein Weg an der Rückkehr zur Vollausstattung vorbeiführt. Im Hinblick auf die Vielfalt der Herausforderungen kann es aber nicht nur darum gehen, dass jedes Kampftruppenbataillon des Heeres einen vollständigen Fahrzeugbestand hat. Wir müssen auch darauf achten, welcher Anteil der vorhandenen Bestände überhaupt einsatzbereit ist. Insbesondere bei den Flugzeugen und Hubschraubern gibt es weiterhin niedrige Bereitschaftsstände. Das ist teilweise mit der Einführung neuen Geräts zu erklären, bei dem die Versorgungsreife noch nicht erreicht ist, und umgekehrt mit dem Alter von Luftfahrzeugen, die vor der Ausmusterung stehen. Allerdings zeigt sich auch weiterhin, dass frühere Sparmaßnahmen bei der Ersatzteilbeschaffung erst Jahre später ihre vollen Auswirkungen entfalten. Eine vorausschauende Sicherheitspolitik kann aber nicht zulassen, dass auf Kosten der Zukunft gespart wird. Das ist eine Lektion, die wir nicht vergessen dürfen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, so viel zur Ausrüstung. Viel wichtiger aber sind die Menschen in der Bundeswehr. Die bereits hohe Einsatzbelastung wird sich natürlich mit neuen Aufgaben weiter erhöhen. Das gilt besonders für Organisationsbereiche und Truppengattungen, die ohnehin stark gefordert sind. Dazu kann man praktisch alle zur See fahrenden Teile der Marine zählen. Der gerade beendete Patriot-Einsatz in der Türkei hat auch die Flugabwehrtruppe der Luftwaffe sowohl materiell als auch personell sehr beansprucht. Beim Heer tragen die Spezialpioniere, die für Bau und Betrieb von Feldlagern verantwortlich sind, eine große Last. Schließlich ist die Situation im Sanitätsdienst weiterhin verbesserungsbedürftig, nicht zuletzt, weil sich Einsatzbelastung und Personalprobleme gegenseitig verstärken. Bereits absehbar ist, dass die Verpflichtungen weiter zunehmen, wenn wir 2019 wieder die Führung der NATO-Speerspitze übernehmen. Umso wichtiger ist es, zumindest gute Grundbedingungen und Ausgleichsmöglichkeiten im Dienst zu gewährleisten. Einer der entscheidenden Themenblöcke bleibt daher die Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr. In der letzten Debatte hatte ich angesprochen, dass uns mit dem damals gerade erst beschlossenen Bundeswehr-Attraktivitätssteigerungsgesetz ein großer Schritt gelungen ist. Mittlerweile haben wir mit dem Besoldungsänderungsgesetz darüber hinaus einige zusätzliche Verbesserungen eingeführt. (Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Sehr gut!) Dazu gehören die Erhöhung diverser Stellenzulagen und die Einbeziehung weiterer Gruppen wie die Bundeswehr-Feuerwehr sowie die Schaffung zusätzlicher höherdotierter Dienstposten, insbesondere in der Feldwebellaufbahn. Zum 1. Januar 2016 wollen wir zudem die EU-Arbeitszeitrichtlinie für die Bundeswehr umsetzen. Zum ersten Mal seit ihrem Bestehen wird damit eine gesetzlich geregelte Arbeitszeit für Soldaten im Grundbetrieb eingeführt. Allerdings ergeben sich dadurch auch neue Probleme, gerade bei der Marine, wo die Besatzungen bislang im Hafen an Bord ihrer Schiffe untergebracht sind, was auch entsprechende Wachdienste erfordert, die das ganze Konstrukt der geregelten Arbeitszeit zum Zusammenbrechen bringen würden. Erschwerend kommt hinzu: Bislang erhalten die Besatzungen für solche Dienste Zulagen. Künftig müssen sich die nicht unterkunftspflichtigen Soldaten eigene Unterkünfte an Land besorgen. Allein am Marinestützpunkt Wilhelmshaven betrifft das 1 200 Männer und Frauen. Schon die notwendigen Unterkünfte in dieser Zahl zu finden, stellt eine gewaltige Herausforderung dar. Das Bundesministerium der Verteidigung hat aber erklärt, auch unkonventionelle Lösungen wie Wohngemeinschaften verfolgen zu wollen, sodass sich hoffentlich im Laufe der nächsten beiden Jahre die Situation zufriedenstellend einspielt. Allerdings wird die Umsetzung der Arbeitszeitrichtlinie Auswirkungen auf alle Teilstreitkräfte haben, gerade was das Ableisten von Wachdiensten betrifft, die sehr viel Zeit binden. Dadurch wird sich voraussichtlich ein noch stärkerer Bedarf an Bewachung von Bundeswehrobjekten durch zivile Dienstleister ergeben. Wichtig ist vor allem, dass die Soldaten jederzeit umfassend über die Entwicklung informiert sind. Am Ende muss und wird dann klar werden: Niemals zuvor ist so viel für die Verbesserung der Bedingungen im Grundbetrieb der Bundeswehr getan worden wie in dieser Legislaturperiode, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Herr Wehrbeauftragter, ich möchte zum Schluss auf ein Interview eingehen, das Sie im Sommer der Wochenzeitung Bundeswehr aktuell gegeben haben. Besonders interessant fand ich dabei Ihre Aussage zur Diversität in der Truppe. Dazu gehört das Thema „Frauen in der Bundeswehr“, bei dem wir auf einem guten Weg sind. Der Frauenanteil liegt bereits bei über 10 Prozent, nicht mehr weit entfernt beispielsweise von den knapp 14 Prozent bei der Bundespolizei. Gleichwohl hat im vergangenen Jahr die Studie „Truppenbild ohne Dame?“ auch noch Probleme bei der Integration aufgezeigt, die wir im Blick behalten müssen. Gerade angesichts der Flüchtlingskrise und der Debatte um bestmögliche Integration von Zuwanderern geht es bei Diversität aber auch um den gemeinsamen Dienst von deutschen Staatsbürgern unterschiedlicher Herkunft. Deshalb sollten wir nicht nur darauf hinweisen, dass die Bundeswehr Seite an Seite mit vielen anderen Institutionen und Freiwilligen Großartiges in der Flüchtlingshilfe leistet – (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) was auch von den anderen Helfern anerkannt wird, die teilweise sogar wie hier in Berlin um den Einsatz der Bundeswehr bitten, selbst wenn sie politisch eigentlich eher, ich sage mal, bundeswehrfern sind –, sondern auch darauf, dass die Bundeswehr selbst ein gelungenes Beispiel von Integration ist. Mittlerweile ist der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund bei der Bundeswehr genauso groß wie in der gesamten Gesellschaft. Diese Soldaten erfahren in der Truppe nach Aussage des Vereins „Deutscher.Soldat.“ im Vergleich zur Gesamtgesellschaft praktisch keine Diskriminierung. Der Verein hat sich gerade deshalb gegründet, um gesellschaftlichen Vorurteilen sowohl von links, von rechts als auch unter Immigranten selbst entgegenzuwirken, dass man als – in Anführungszeichen – „Ausländer“ doch nicht bei der Bundeswehr sein könne. Diese Vorreiterrolle der Bundeswehr können wir ruhig ab und zu mal betonen. Meine Damen und Herren, am Ende eines Jahres, das uns alle in Atem gehalten hat, möchte ich besonders den Soldatinnen und Soldaten sowie den Zivilangestellten der Bundeswehr und ihren Familien danken: für das, was sie geleistet haben und in den neuen Einsätzen leisten werden, und für die persönlichen Opfer, die sie für die Sicherheit in Deutschland und Europa bringen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nicht zuletzt möchte ich auch dem Wehrbeauftragten und seinen Mitarbeitern noch einmal für ihre Arbeit danken. Frau Präsidentin, gestatten Sie mir, dass ich auch unserem früheren Wehrbeauftragten Herrn Königshaus noch einmal für seine besondere Arbeit danke. Herzlichen Dank! (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ihnen und uns allen wünsche ich ein hoffentlich friedliches Weihnachtsfest und ein gutes neues Jahr. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Bis dahin ist noch Zeit!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Christine Buchholz, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Christine Buchholz (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter! Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte zum Jahresbericht des Wehrbeauftragten steht erneut unter dem Eindruck des Umbaus der Bundeswehr zu einer Armee im Einsatz. Nun geht es in den nächsten Krieg, nach Syrien und Irak. Die Bundesregierung peitscht in nicht weniger als einer Woche den größten Kampfeinsatz seit Afghanistan durch. Das hat natürlich auch direkte Folgen für die Soldatinnen und Soldaten. Beispielsweise wird dieser Einsatz dazu führen, dass deutsche Soldaten mitverantwortlich sein werden, wenn französische Bomber und Bomber anderer Nationen zivile Ziele treffen. (Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Das stimmt doch alles nicht!) Es wird sie betreffen, weil schon jetzt klar ist, dass dieser Einsatz nicht nach einem Jahr vorbei ist. Der BundeswehrVerband spricht davon, dass mit circa zehn Jahren zu rechnen ist. Das sagt auch jeder andere, der sich mit diesem Thema auch nur wenige Stunden auseinandergesetzt hat. (Henning Otte [CDU/CSU]: Wehrbeauftragtenbericht!) Außerdem wird die Terrorgefahr erhöht. Das gilt für jeden, der in diesem Land lebt, aber auch für die Soldatinnen und Soldaten, egal wo sie sich befinden. Die Linke wird sich diesem Wahnsinn – gemeinsam mit vielen anderen Menschen in diesem Land – entgegenstellen, hier im Parlament und auf der Straße. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Ingo Gädechens [CDU/CSU]) Es geht nicht nur um Syrien. Als der vorliegende Bericht des Wehrbeauftragten geschrieben wurde, hieß es noch, die Bundeswehr werde bald aus Afghanistan zurückgezogen. Die Bundesregierung sprach von Erfolgen bei der Stabilisierung des Landes. Jetzt eroberten zunächst die Taliban Kunduz. Dann griff die US-Armee in der Stadt das einzige Krankenhaus an. (Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Das ist doch schon längst wieder zurückerobert! 80 Prozent des Landes sind befriedet!) Wir sehen in den letzten Tagen wieder Bilder von zivilen Opfern in Afghanistan durch sogenannte Sicherheitsvorfälle. Hier werden inzwischen wieder Höchstzahlen erreicht. Was macht die Bundesregierung? Sie steigt aus dem Ausstieg aus und beschließt die Aufstockung des Militärkontingents. Die Wahrheit ist: Die Bundesregierung schafft es in Windeseile, Deutschland in den nächsten Krieg im Nahen Osten zu verwickeln. Aber sie schafft es nicht, die Armee nach 15 Jahren aus Afghanistan zurückzuholen. Das ist leider die traurige Wahrheit. (Beifall bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Die Rede ist traurig!) Dann kommt noch die Entsendung einiger Hundert Soldaten in den umkämpften Norden Malis und den Nordirak hinzu. Sie alle wissen, wie gefährlich es dort ist. (Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Was Sie sagen, hat nichts mit der Wahrheit zu tun!) – Das hat sehr viel damit zu tun; denn es sind die Soldatinnen und Soldaten, die dorthin geschickt werden. Sie baden es nicht aus. Nicht Sie, Herr Jung, werden nach Gao in den Norden Malis geschickt. Nicht Sie werden die Tornados steuern. Es sind die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr und ihre Familien, die das mit Leib und Leben sowie mit ihrer Gesundheit bezahlen werden. (Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Dafür gebührt ihnen Anerkennung, dass sie die Freiheit unseres Landes verteidigen!) Im letzten Jahr hat Frau von der Leyen viel Wirbel um den familienfreundlichen Umbau der Bundeswehr gemacht. Die neuen Maßnahmen, die nun ergriffen werden, stehen dem diametral entgegen. Es gibt nämlich keine familienfreundlichen Kriegseinsätze. Der vorliegende Bericht belegt das Problem. Der Wehrbeauftragte bemängelt darin – genauso wie seit Jahren – „unverantwortliche dienstliche Belastung insbesondere im Zusammenhang mit den Auslandseinsätzen“. Betroffen sind zum Beispiel die seegehenden Einheiten der Marine. Das BMVg verspricht in der vorliegenden Stellungnahme dazu – ich zitiere –: „Wann immer möglich“, würde „durch organisatorische Maßnahmen die abwesenheitsbedingte Belastung abgemindert“. Das muss doch wohl wie Hohn in den Ohren derjenigen klingen, die nun auf einer Fregatte einen französischen Flugzeugträger schützen sollen. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Und warum?) Natürlich stellt sich die Frage, wovor sie ihn schützen sollen. Der IS hat keine Luftwaffe. Der IS hat keine Marine. Der IS hat keinen Zugang zum Meer. Anstatt Weihnachten auf einer Fregatte im Mittelmeer Dienst zu schieben, sollten die betroffenen Soldatinnen und Soldaten Weihnachten besser bei ihren Familien zu Hause verbringen. (Beifall bei der LINKEN) Die familiäre Belastung von Soldaten in der Truppe ist überdurchschnittlich hoch. Dementsprechend sind auch die Scheidungsraten überdurchschnittlich hoch. Die nun getroffenen Entscheidungen der Bundesregierung werden einen Beitrag dazu leisten, diese Probleme zu verschärfen. Das nehmen Sie in Kauf. Andere Probleme, die mit der Einsatzorientierung einhergehen, werden vom Tisch gewischt. So beharrt das Ministerium auf seinem Standpunkt, dass eine Schädigung erst in einem zähen Verfahren zur Anerkennung von Wehrdienstbeschädigungen festgestellt werden soll. Für Soldaten mit Posttraumatischen Belastungsstörungen ist das entwürdigend. Es muss das Prinzip gelten – ich zitiere den Wehrbeauftragten –: Wem der Dienstherr – also die Bundeswehr - vor einem Auslandseinsatz die Auslandsverwendungsfähigkeit bescheinigt hat, der ist im Beschädigtenverfahren versorgungsrechtlich so zu behandeln, als sei er gesund in den Einsatz gegangen. Die Linke unterstützt diese Forderung aus vollem Herzen. (Beifall bei der LINKEN) Was wir nicht unterstützen, ist, wenn die Debatte über die Ausstattung der Bundeswehr zu einer Debatte über die Aufrüstung wird. Fakt ist: Die Bundeswehr ist überdehnt, weil die Auslandseinsätze immer mehr werden. Die Antwort ist Abrüstung und nicht Aufrüstung. Vielen Dank, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kollegin Heidtrud Henn das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Heidtrud Henn (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Soldatinnen und Soldaten! Der Bericht des Wehrbeauftragten für das Jahr 2014 liegt mit den Stellungnahmen des Verteidigungsministeriums vor. Ich danke nicht nur dem Wehrbeauftragten und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, sondern auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verteidigungsministeriums für ihre wichtige Arbeit. Viele von uns haben am Dienstag vor den Fraktionssitzungen die gelben Bänder mit Grüßen beschriftet. Darüber habe ich mich sehr gefreut; denn wir zollen damit unseren Soldatinnen und Soldaten im Einsatz Anerkennung und zeigen Solidarität. In den Einsatzgebieten wird sehr genau wahrgenommen, was im politischen Berlin passiert. In der vorletzten Woche habe ich als Vorstandsmitglied der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Soldatenbetreuung gemeinsam mit meiner Kollegin Gisela Manderla, der Vorsitzenden der Katholischen Arbeitsgemeinschaft für Soldatenbetreuung, die OASE in Erbil eröffnen dürfen. Ich habe mir das Feldlager angeschaut und viel gelernt. Das Feldlager ist von der Fläche her nicht groß. In den knapp vier Tagen, in denen ich dort gewesen bin, habe ich einen großen Teil unserer Soldaten kennenlernen dürfen. Man fasst Vertrauen auf einem sehr engen Raum. Ich danke allen in Erbil für ihre Freundlichkeit und ihre Herzlichkeit, mit der ich dort empfangen worden bin, vor allem für das offene Wort. Ich habe keine Klagen gehört. Truppenverpflegung, Anstehen im Regen im Freien, Unperfektes, Enge, Dreck und Container, in die es regnet, werden hier ausgehalten. Wie wichtig Militärseelsorge vor Ort ist, hat man deutlich gespürt. Man hält zusammen und gibt das Beste. In den Gesprächen merkt man, dass die Soldaten die Ausbildung der Peschmerga gerne machen und es für sie schön ist, die Erfolge zu sehen, besonders im Sanitätsdienst. Das sollten wir auch unseren Soldatinnen und Soldaten garantieren: das Beste, die beste Ausrüstung und Ausbildung, die beste medizinische Versorgung, die beste Unterkunft. Das sind wir allen schuldig, die wir in Einsätze schicken. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Stellen Sie sich vor, Sie wären für mehrere Monate auf Dienstreise in einem fernen Ort. Sie haben den Tag der Rückreise schon geplant, Familie und Freunde haben schon eine Willkommensfeier organisiert, und Sie freuen sich auf Ihr eigenes Bett, auf die Umarmung Ihrer Liebsten und die Wärme Ihres Zuhauses. Dann erhalten Sie die Nachricht, dass Sie länger bleiben müssen, da Ihr Nachfolger noch auf sein Visum warten muss, um Sie abzulösen – nicht Tage, nicht Wochen, sondern zwei Monate! So ist es einigen Soldaten ergangen. Ein Verwaltungsakt, ein fehlender Stempel legt alles lahm. Ich war schon wütend darüber. Ich möchte, dass dafür Sorge getragen wird, dass die Einsatzplanung nicht an der Verzögerung bei der Visavergabe scheitert. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das dürfen wir unseren Soldatinnen und Soldaten nicht zumuten. Mir ist hier rasche Abhilfe zugesagt worden; denn das darf so nicht sein. Den Bericht des Jahres 2014 hat der ehemalige Wehrbeauftragte Königshaus als das „Jahr der Wahrheit“ betitelt. Mir hat das sehr gut gefallen, weil der Bericht des Wehrbeauftragten dafür da ist, Mängel aufzuzeigen, damit sie behoben werden können. Aber wir müssen nicht nur Lösungen für Ausrüstungsprobleme finden, sondern auch Lösungen für die Menschen, die mit der Ausrüstung arbeiten. Ich habe eben über die Probleme mit der Vergabe eines Visums gesprochen. Das klingt nach etwas, was eine verheerende Wirkung nach sich zieht. Verheerende Wirkungen können auch falsche Schuhwerke nach sich ziehen: Rückenschmerzen, Fehlstellungen der Füße. Blasen sind da noch das geringste Problem. Ja, Kolleginnen und Kollegen, wenn man aus der Pflege kommt, kann man hier mitreden. Richtige Kampfstiefel für die Soldaten sind mit der wichtigste Teil der Ausrüstung. Hartnäckigkeit mag für manche unangenehm sein; aber sie ist notwendig, wenn man den Eindruck hat, dass Lösungen zu lange auf sich warten lassen. Das gilt auch für die elektronische Patientenakte für Soldatinnen und Soldaten. 2017 soll sie kommen. Ab dann sollen Daten und nicht mehr Patienten auf Reisen zur Genesung gehen. An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich bei der Staatssekretärin Suder für unseren regelmäßigen Austausch bedanken: Vielen Dank! (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Es gibt Erkrankungen und Schwierigkeiten, die sich leicht behandeln und lösen lassen. Das gilt nicht für seelische Probleme. Wenn die Seele krank und wenn sie schwach ist, gibt es kein Patentrezept, keine Tinktur, kein Pflaster, das hilft. Mir gefällt der Begriff „gestörte Psyche“ nicht; denn der Mensch ist ja niemals perfekt. Wenn ein Soldat oder eine Soldatin schweren Schaden an der Seele genommen hat, muss das Beste getan werden, um ihm zu helfen. Das gilt insbesondere für Traumata nach Einsätzen. Jedem von uns ist vielleicht schon einmal Verständnislosigkeit begegnet, wenn wir Termine nicht wahrnehmen können oder sogar kurzfristig absagen müssen. Das liegt daran, dass man sich unseren Alltag schwer vorstellen kann. Wir hetzen von Sitzung zu Sitzung, versuchen, dabei gut auszusehen, wir lächeln auf Fotos, wollen perfekt sein. Unsere Kalender ändern sich stündlich. Schmunzelnd sage ich manchmal: Kein normaler Mensch kann sich vorstellen, was hier los ist. Wenn es schon so schwer ist, unseren Tagesablauf zu verstehen, wie fast unmöglich ist es dann, die Erlebnisse eines Soldaten zu verstehen, der zum Gehorsam verpflichtet ist?! Bei der Behandlung von Traumata, Depressionen und psychischen Erkrankungen ist der Aufbau von Vertrauen zum Arzt oder zum Seelsorger der Schlüssel zum Behandlungserfolg. Ich habe den Eindruck, dass Helfende, die die Bundeswehr und die Einsatzrealität kennen, besser als zivile Therapeuten in der Lage sind, zu unterstützen, wenn die Seele verschlossen ist. Den zivilen Therapeuten fehlt hier oft das tiefere Verständnis für unsere Soldatinnen und Soldaten. Eine wichtige erste und unverzichtbare Anlaufstelle sind hier die Lotsen. Sie vermitteln, und sie sind Ansprechpartner auf Augenhöhe, die die soldatische Sprache verstehen. Sie kennen den Truppenalltag. Lotsen sollen zum Teil freigestellt werden; denn auch sie brauchen neben dem Tun für den Nächsten Raum, um Belastendes verarbeiten zu können. Eine aufgeräumte Seele wohnt in einem aufgeräumten Zimmer, so sagt man. Wir haben es gut: Wir können unser Büro so einrichten, wie es uns gefällt. Soldaten können dies nicht. Es wurmt mich, wenn ich höre, dass sich Soldaten in ihren Stuben und Kasernen wie zu Hause fühlen sollen. Da fragt man sich, wie es bei manch einem, der so etwas sagt, zu Hause aussieht. Ich habe zivile Mitarbeiter bei Begehungen schon oft gefragt, wie sie sich das Leben eines Soldaten zu Hause vorstellen: Feldbett, keine Tapeten an der Wand oder Stroh auf dem Boden? Da steigt der Blutdruck des Gegenübers. Ich sende an dieser Stelle ganz herzliche Grüße nach Büchel. Der Zustand der Unterbringung dort war eine Zumutung, als ich dort zu Besuch sein durfte. Ich hoffe, man hat dort mit der Arbeit für die Unterbringung unserer Soldatinnen und Soldaten begonnen. Baumaßnahmen dauern viel zu lange. Das liegt manch­mal daran, dass die Beteiligten nicht miteinander reden, kein Verständnis für den Bedarf des Auftraggebers haben und die Verantwortung für Fehler von einem auf den anderen geschoben werden. Man muss vielleicht auch damit aufhören, sich um Form und Farbe von Lichtschaltern zu kümmern, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Hier wiehert manchmal der Amtsschimmel, und zwar so lange, bis der Schimmel an den Wänden ist. Mut zur Fehlerkultur ist hier erforderlich. Schließlich ist niemand von uns perfekt. Ich freue mich ganz besonders, dass unser Wehrbeauftragter Hans-Peter Bartels die Frauen in der Bundeswehr besonders im Blick hat. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Aha!) – Ja, mein Lieber. – Er weiß, dass wir auf Frauen in der Truppe nicht verzichten können und wollen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Aber viele Frauen kommen zur Bundeswehr und bleiben nicht. Warum das so ist, müssen wir herausfinden, und wir müssen überzeugende Angebote machen. Meine Kollegin Gabi Weber und ich haben hier den Gesprächsfaden mit den zivilen und militärischen Gleichstellungsbeauftragten aufgenommen und freuen uns über das große Interesse. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich habe große Achtung vor unseren Soldatinnen und Soldaten – Achtung und Wertschätzung auch dafür, wie schnell unsere Truppe bereit ist, ihren Auftrag auszuführen. Liebe Soldatinnen und Soldaten, Gott schütze und behüte euch bei eurem Auftrag in In- und Auslandseinsätzen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich freue mich auf die zukünftige Zusammenarbeit mit Ihnen, sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter, lieber Hans-Peter. Mit einem Zitat von Irmgard Erath möchte ich schließen: Manchmal brauchen wir mehr Kraft, als wir haben. Aber nie mehr, als wir von Gott erbitten können. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen Gottes Segen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächstes hat Doris Wagner, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Doris Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Lieber Herr Bartels! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Stellen Sie sich vor, Sie sind Soldatin, Sie machen einen echt guten Job, Sie machen einen so guten Job, dass Sie im Ausland eine Auszeichnung erhalten. Stolz gehen Sie zu Hause zu Ihrem Vorgesetzten und berichten. Und was sagt der dann? Na ja, wenn Sie das geschafft haben, dann wird die Lage vor Ort nicht so schlimm sein. – Das ist nicht nur eine Frechheit; das ist schlechtes Führungsverhalten, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Leider ist diese Geschichte so wahr wie typisch. Die Soldatinnen werden in der Bundeswehr noch immer behandelt wie früher die Stiefkinder. Ihre Leistungen werden häufig nicht gewürdigt, ihre Bedürfnisse zu wenig betrachtet. Sie werden mit ihren Problemen häufig alleingelassen – und das, obwohl die Bundeswehr dringend Personal braucht, insbesondere die Frauen. Ich will eine Bundeswehr, deren Angehörige respektvoll miteinander umgehen. Ich möchte eine Bundeswehr, die auch die privaten Bedürfnisse ihrer Soldatinnen und Soldaten berücksichtigt. Ich möchte eine Bundeswehr, in der alle eine faire Chance auf Karriere erhalten. Trotz der aktuellen Bemühungen ist die Bundeswehr von einer solch modernen Armee noch ziemlich weit entfernt. Beispiel: Chancengleichheit. Bis heute sind in den obersten Dienstgraden der Bundeswehr nur sehr wenige Frauen zu finden. Das gilt auch für den Sanitätsdienst. In 40 Jahren haben es hier gerade mal drei Ärztinnen bis zur Generalin gebracht. Noch immer gibt es keine einzige Leiterin einer klinischen Abteilung. Frau von der Leyen hat deshalb in diesem Jahr überprüfen lassen, wie eigentlich die Karrieren von Soldatinnen im Sanitätsdienst verlaufen, wo eigentlich die Brüche in der Karriere sind. Dabei hat sich bestätigt, wovon auch Herr Königshaus in seinem letzten Bericht spricht: Soldatinnen werden von ihren Vorgesetzten meist genauso gut beurteilt wie ihre männlichen Kollegen – solange es um die Leistung geht. Wenn es aber um die Empfehlung für eine Karriereperspektive geht, schneiden die Soldatinnen plötzlich deutlich schlechter ab. Das ist höchst ungerecht, meine Damen und Herren, und hier muss sich dringend etwas ändern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Ministerium und der Inspekteur des Sanitätsdienstes haben eine Zielvereinbarung zur Erhöhung des Anteils von weiblichen Sanitätsoffizieren in Spitzen­positionen geschlossen. Das ist ausdrücklich zu begrüßen. Wir brauchen jedoch eine ganze Reihe von Maßnahmen darüber hinaus. Wir müssen endlich ein Beurteilungssystem schaffen – Herr Bartels, da stimme ich Ihnen wirklich zu –, das auf objektiven Kriterien basiert und das kein Einfallstor für strategische Beurteilungen und Diskriminierung bietet. Herr Königshaus hat in seinem Wehrbericht wiederholt angesprochen, dass die Gleichstellungsbeauftragten viel stärker als bisher in die Beurteilungsverfahren einbezogen werden müssen. Absolut grundlegend ist schließlich eine Veränderung der immer noch enorm männlich geprägten Unternehmenskultur der Bundeswehr. Vielen Vorgesetzten fällt es sehr schwer, die Leistungen von Soldatinnen anzuerkennen und zu würdigen. Weibliche Erfolge werden kleingeredet nach dem Motto: Eine Herausforderung, die eine Soldatin gemeistert hat, war eben keine Herausforderung. Vor kurzem berichtete mir eine Soldatin, dass sie nicht wie üblich vor der Truppe befördert worden sei, sondern im Büro ihres Vorgesetzten. Der Grund war, dass der Vorgesetzte keinen Neid bei den männlichen Kollegen aufkommen lassen wollte. Das ist doch grotesk, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf von der SPD: Völlig richtig! Genau!) Das Nachsehen haben die Soldatinnen aber nicht nur in puncto Chancengleichheit. Besonders zu leiden haben sie auch unter den undurchsichtigen und familienunfreundlichen Personalplanungen der Bundeswehr. Herr Königshaus berichtet, dass das Personalamt nur in absoluten Ausnahmefällen auf die Standort- und Verwendungswünsche der Soldatinnen eingeht. Zudem haben die Frauen damit zu kämpfen, dass der Verwendungsaufbau zu wenig Flexibilität für Babypausen, Elternzeit und Teilzeit vorsieht. O-Ton einer jungen Soldatin: Nach der Elternzeit hat man keine Chance mehr. – Frau von der Leyen, deshalb fordere ich Sie auf, Ihren Personalpartnern endlich mehr Dampf zu machen. Wir brauchen innovative Modelle des Verwendungsaufbaus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der dritte Bereich, in dem dringend etwas für die Soldatinnen getan werden muss, betrifft das Thema der sexuellen Belästigung. Ja, es ist schon richtig: Das Ausmaß der sexuellen Belästigung in der Bundeswehr ist nicht größer als in anderen Streitkräften. Die Wehrberichte der vergangenen Jahre zeigen aber leider, dass die Bundeswehr nicht immer eindeutig genug gegen die Täter vorgeht, sondern Opfer bisweilen wirklich skandalös im Stich lässt. Das ist absolut inakzeptabel. Hierbei erwarte ich ein deutlich entschiedeneres Handeln von Ihnen, Frau Ministerin. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sagte am Anfang, Frauen würden bei der Bundeswehr behandelt wie Stiefkinder. Das Wort „Stiefkinder“ klingt mittlerweile sehr altmodisch. Dennoch habe ich das mit Bedacht gesagt. Eine moderne Politik hat aus den benachteiligten Stiefkindern von einst längst völlig gleichberechtigte Patchworkkinder gemacht. Frau von der Leyen, genau das sollten Sie nun auch endlich tun. Sie müssen dafür sorgen, dass die Soldatinnen in der Bundeswehr endlich Anerkennung, Respekt und Unterstützung erfahren. Das haben die Soldatinnen verdient, und das liegt auch im Interesse der Bundeswehr. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Julia Obermeier für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Julia Obermeier (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn dieser Legislaturperiode hat kaum jemand mit den Herausforderungen gerechnet, die sich uns in diesen zwei Jahren gestellt haben: die völkerrechtswidrige Annexion der Krim, die Ebolaepidemie in Westafrika, der ISIS-Terror in Syrien und im Irak, das epochale Ausmaß der Flüchtlingsströme und das Überschwappen des islamistischen Terrors auf Europa. Diese sicherheitspolitischen Umwälzungen fordern auch unsere Bundeswehr. Wir haben in unterschiedlicher Weise schnell und flexibel reagieren können. (Zuruf von der LINKEN: Och!) Die Bundeswehr beteiligt sich verstärkt am Air Policing über dem Baltikum. Deutsche Soldatinnen und Soldaten leisteten Nothilfe bei der Ebolabekämpfung. Die Bundeswehr bildet seit 2014 im irakischen Erbil kurdische Peschmerga für ihren Kampf gegen die IS-Terrormiliz aus. Zwei deutsche Schiffe beteiligen sich seit Mai dieses Jahres an der Seenotrettung im Mittelmeer und seit Oktober auch an der Schleuserbekämpfung. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut! – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Toller Freund!) Seit diesem Sommer helfen Bundeswehrangehörige im Inland bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Märchenstunde!) Mittlerweile stehen bis zu 8 000 Soldatinnen und Soldaten hierfür bereit. Morgen werden wir einen Einsatz in Syrien zur weiteren Bekämpfung des IS beschließen. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Oder auch nicht!) Die Vielfalt allein dieser neuen Aufgaben zeigt, wie sehr wir unsere Bundeswehr brauchen und wie wertvoll einsatzbereite, gut ausgebildete und gut ausgestattete Streitkräfte sind. Auf die wichtigen Bereiche der Ausstattung und der Ausbildung blickt auch der Wehrbeauftragte in seinem Bericht. Unsere Soldatinnen und Soldaten müssen ihr Gerät im Einsatzfall beherrschen können. Daher braucht es ausreichend Übung im Regelbetrieb. So ist es besorgniserregend, wenn im Bericht des Wehrbeauftragten zu lesen ist, dass die Zahl der Fälle zugenommen hat, in denen Ausbildungsmängel oder fehlendes Ausbildungsmaterial die Ursache für ungewollte Schussabgaben sind, zumal hierbei auch Soldaten verletzt wurden. Daraus folgt: Die Bundeswehr braucht auch im Grund- und Übungsbetrieb eine bedarfsorientierte Vollausstattung; denn eine gute Ausrüstung und Ausbildung sind der beste Schutz für unsere Soldatinnen und Soldaten. Hierfür haben die Bundeswehr als Dienstherr, aber auch wir als Parlament eine Fürsorgepflicht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Heidtrud Henn [SPD]) Daher freut es mich, dass wir bei den Haushaltsberatungen in der vergangenen Woche einen Aufwuchs der Mittel für die Verteidigung erreichen konnten. Künftig werden wir jedoch noch mehr Mittel brauchen, um den Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten in allen Lagen gewährleisten zu können. Es geht hier nicht nur um die körperliche, sondern auch um die seelische Unversehrtheit. Hier leistet im Bereich der Prävention die Militärseelsorge einen sehr wichtigen Beitrag, wie auch der Wehrbeauftragte in seinem Bericht feststellt. Etwa 200 Militärgeistliche begleiten unsere Soldatinnen und Soldaten im In- und Ausland. Mein Dank gilt an dieser Stelle vor allem den Militärseelsorgern, die zusammen mit den Männern und Frauen in Uniform in den Feldlagern und auf den Schiffen der Deutschen Marine an Auslandseinsätzen teilnehmen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie sind dort wichtige Ansprechpartner, und das unabhängig vom religiösen Bekenntnis der einzelnen Soldatinnen und Soldaten. Sie geben Rückhalt und leisten auf vielfältige Weise Beistand. Dafür auch im Namen der CDU/CSU-Fraktion ein herzliches „Vergelts Gott!“. (Beifall bei der CDU/CSU) Unsere Soldatinnen und Soldaten verdienen neben der Fürsorge und der Seelsorge auch die nötige Anerkennung. Diese Anerkennung kann materiell in Form von Zulagen erfolgen. Es freut mich, dass wir jüngst zum Beispiel die Zulage für die Heeresbergführer und die Feuerwehr erhöhen konnten. Vom für 2016 angekündigten Veteranenkonzept erhoffe ich mir, sehr geehrte Herren Staatssekretäre, neue Formate bei der Anerkennung für unsere Soldatinnen und Soldaten. Eine bewährte Form der Anerkennung sind Einsatzmedaillen. So ist es bestürzend, im Bericht des Wehrbeauftragten zu lesen, dass es immer wieder zu Verzögerungen und Problemen bei der Verleihung von Einsatzmedaillen kommt. Ich hoffe, dass diese wichtigen Auszeichnungen künftig reibungslos erfolgen können. Zudem würde ich es sehr begrüßen, wenn wir, ähnlich wie bei der Flutkatastrophe 2013, auch für den Einsatz bei der Flüchtlingskrise mit Einsatzmedaillen danken könnten. Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Dienst in der Bundeswehr hat viele Gesichter. Unser Dank gilt allen ehemaligen und aktiven Soldatinnen und Soldaten und an dieser Stelle auch ausdrücklich dem amtierenden Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels sowie seinem Vorgänger Hellmut Königshaus, der, wie sein Bericht belegt, sich als Anwalt für die Belange der Soldatinnen und Soldaten starkgemacht hat. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Verteidigungsausschusses zum Jahresbericht 2014 des Wehrbeauftragten. Es handelt sich hier um die Drucksachen 18/3750 und 18/6093. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Keine militärische Antwort auf Terror Drucksache 18/6874 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Sevim Dağdelen für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestern hat die Bundesregierung ihren Antrag auf einen Kriegseinsatz in Syrien hier im Deutschen Bundestag eingebracht. Schon morgen sollen die Abgeordneten darüber abstimmen. Im Eiltempo wollen CDU, CSU und SPD das Land in einen Krieg stürzen. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Ist er nicht!) Weder das Gebiet noch die Dauer des sogenannten Kriegs gegen den Terror sind klar, noch ist eine politische Strategie erkennbar. Wird dieser Krieg über zehn Jahre dauern, wie es zum Beispiel der BundeswehrVerband angibt? Wen werden Sie in Ihrem Einsatz in Syrien als Bodentruppen nehmen: al-Qaida-Verbände, andere islamistische Terrormilizen, die dann als moderate Rebellen umetikettiert werden, wie Sie es in den letzten Jahren immer getan haben? Auf alle diese entscheidenden Fragen haben Sie uns Abgeordneten und der Öffentlichkeit keine Antworten geliefert. Es waren gestern im Auswärtigen Ausschuss nur Sprechblasen zu vernehmen. Dieses Kriegsabenteuer, meine Damen und Herren, lehnen wir als Linke ab. (Beifall bei der LINKEN) Wir sind solidarisch an der Seite der Bevölkerung in Frankreich. Aber diese Solidarität kann nicht bedeuten, dass wir als Antwort auf die barbarische Ermordung von Zivilisten in Paris jetzt Zivilisten in Mali, in Afghanistan und in Syrien per Bombenkrieg morden. Das darf nicht die Antwort auf die Barbarei sein. (Beifall bei der LINKEN) Wie ein Schüler, der sich gerade dadurch unglaubwürdig macht, dass er fünf verschiedene Gründe für sein Zuspätkommen anführt, nennt der Antrag der Bundesregierung verschiedenste vermeintliche Rechtsgrundlagen für diesen Einsatz, jedoch keine einzige ist tragbar. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Die Wahrheit ist: Der Einsatz ist weder vom Völkerrecht noch vom Grundgesetz gedeckt, was bezüglich der Bundeswehreinsätze noch engere Grenzen setzt als das Völkerrecht. (Beifall bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!) Sie führen hier einen Angriffskrieg, meine Damen und Herren. (Henning Otte [CDU/CSU]: Auch das stimmt nicht!) Es gibt keine UN-Sicherheitsratsresolution, (Henning Otte [CDU/CSU]: Und auch das stimmt nicht!) die die terroristischen Anschläge von Paris als bewaffneten Angriff auf das Hoheitsgebiet von Frankreich wertet und dieses Selbstverteidigungsrecht explizit nach Artikel 51 UN-Charta erwähnt. Es gibt auch kein Mandat nach Kapitel VII der UN-Charta. Ich sage Ihnen eines: Wer wie Sie anfängt, sich im Völkerrecht nur das herauszusuchen, (Henning Otte [CDU/CSU]: Das machen Sie doch! – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Wir sind doch keine Linken! Wir suchen uns nichts aus!) was ihm politisch genehm ist, der öffnet der Willkür Tür und Tor beim Thema Völkerrecht. (Beifall bei der LINKEN) Sie zertrümmern das Völkerrecht. Bei dieser Zertrümmerung werden wir nicht mitmachen. Wir als Fraktion Die Linke sagen Nein zu Ihrem Angriffskrieg. Union und SPD machen hier nämlich Willkür zum Recht. Das kann man nicht zulassen. Als Grundlage für diesen Krieg berufen Sie sich auch auf die Aktivierung der EU-Beistandsklausel nach Artikel 42 Absatz 7 des Vertrages der Europäischen Union. Sie behaupteten sogar, um diesen Einsatz grundgesetzlich legitimieren zu können, dass die Europäische Union ein kollektives Sicherheitssystem sei. Diese Lüge der Bundesregierung ist schon nach 24 Stunden in sich zusammengebrochen; denn Ihre Behauptung widerspricht diametral dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu ebendiesem EU-Vertrag. Dieses Gericht hat eindeutig festgelegt, dass auch die Europäische Union nach dem Vertrag von Lissabon kein – ich betone: kein – kollektives Sicherheitssystem ist. Dazu kommt, dass Sie auf dem Rat der Verteidigungsminister nicht einmal einen Beschluss haben fassen lassen, als es um die Aktivierung der Beistandsklausel ging. Per Zuruf schlitterte die Europäische Union, wie der Staatssekretär Steinlein des Auswärtigen Amtes gegenüber meiner Fraktion letzte Woche betonte, in den Krieg. (Volker Mosblech [CDU/CSU]: Das ist doch Klitterei, was Sie betreiben!) Ich sage Ihnen deshalb: Ihr willkürlicher Umgang mit dem Recht wird sich noch rächen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) Hören Sie auf, den Menschen Sand in die Augen zu streuen! Es geht hier nicht um die Entsendung von ein paar Tornados nach Syrien. Es geht Ihnen um einen großen, völlig entgrenzten, neuen Krieg gegen den Terror. Der Grund für Ihre Hast liegt darin, dass sich der Widerstand in der friedliebenden Bevölkerung in Deutschland nicht formieren soll. Die Linke steht aber an der Seite der friedliebenden Bevölkerung und auch der Friedensbewegung. Wir sagen deshalb Nein zu Ihrer Politik des überstürzten Kriegseintritts. (Beifall bei der LINKEN) Sie sagen, Sie wollen in Syrien Feuerwehr spielen. Doch in Ihrem Feuerwehrwagen sitzen Brandstifter, meine Damen und Herren. (Henning Otte [CDU/CSU]: Eijeijei!) Dort sitzt das Terrorregime Saudi-Arabien, dort sitzen die Terrorunterstützer Katar und Türkei. Während Sie gemeinsam mit dem Terrorpaten Erdogan angeblich Krieg gegen den IS führen, lässt Erdogan die Kurden, die effektivste Kraft im Kampf gegen den IS, in Syrien bombardieren und den Chefredakteur der türkischen Tageszeitung Cumhuriyet, Can Dündar, inhaftieren. Wissen Sie, was Erdogan, Ihr Helfershelfer, dem Chefredakteur vorwirft? Er wirft ihm vor, dass er Fotos veröffentlicht hat, die die Waffenlieferungen der Türkei an die Terrororganisation IS zeigen. Während Sie in Zukunft mit Erdogan kooperieren, den Sie mit deutschen Steuergeldern großzügig unterstützen, läuft der gesamte Ölschmuggel des IS über die Türkei. Der Erdogan-Clan, seine ganze Familie, ist darin tief verwickelt. (Thomas Hitschler [SPD]: Das heißt, man müsste etwas gegen diese Logistik der Öltransporte tun, oder?) Und jetzt mehren sich auch noch die Berichte, dass Erdogan frische Waffen an den IS liefert. Sie können auf unsere Nachfrage hin nicht einmal ausschließen, dass die Waffen, die Sie fröhlich weiter an die Türkei liefern, von Erdogan an den IS weitergegeben werden. Vizepräsidentin Petra Pau: Frau Kollegin. Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Das ist wirklich großer Irrsinn. Ich sage Ihnen deshalb: Wenn Sie den IS wirklich bekämpfen wollten, hätten Sie die Möglichkeiten dazu – nicht in einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Dağdelen, Sie müssen zum Schluss kommen. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist gut, Frau Präsidentin!) Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Ich komme zum Schluss. – Vielmehr müssten Sie den Weg des Geldes, der Waffen und auch des Öles zum IS kappen. Ich nenne einen letzten Punkt. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Nein!) Vizepräsidentin Petra Pau: Nein. Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Aus der Erfahrung der beiden Weltkriege hatte Willy Brandt einst gefordert: Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Dağdelen, es tut mir wirklich leid; aber Sie müssen einen Punkt setzen. Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Gut. – Die Linke lehnt diesen Einsatz ab, weil von deutschem Boden kein Krieg ausgehen darf, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Fortsetzung folgt!) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Henning Otte das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Henning Otte (CDU/CSU): Frau Präsidentin, herzlichen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte Ihre Interpretation des Völkerrechts mit aller Kraft zurückweisen, sehr geehrte Frau Kollegin Dağdelen. Sie interpretieren hier das Völkerrecht bewusst falsch, und Sie behaupten hier bewusst die Unwahrheit. Sie sagen den Menschen von diesem Pult aus nicht die Wahrheit, sondern Sie verunsichern die Menschen, und das ist einfach nur abzulehnen. (Beifall bei der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Wo denn, wo denn? Sagen Sie mal, was nicht stimmt!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, der internationale Terrorismus ist die größte Bedrohung für den Weltfrieden und auch für unsere Gesellschaftsordnung. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Konkret mal!) Die Terroristen töten rücksichtslos Menschen, sie bringen Leid über die Hinterbliebenen. Die Kinder müssen oft mit ansehen, wie ihre Väter getötet werden, wie ihre Mütter verschleppt, vergewaltigt, verkauft werden. Meine Damen und Herren, als Deutscher Bundestag dürfen wir diese Grausamkeiten nicht dulden. Wir müssen ein Zeichen gegen diese Grausamkeiten setzen und dürfen nicht nur schlau darüber reden wie Sie von den Linken. Wir müssen diesen Terror zurückdrängen, nicht nur militärisch, aber auch mit militärischen Mitteln, wenn es notwendig ist. Und es ist notwendig, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Haben Sie die anderen Mittel schon ausgeschöpft?) Wir werden mit diplomatischen Mitteln arbeiten, eingearbeitet in einen Gesamtprozess für den Frieden. Aber wir müssen diesen Terror beenden. Der Frieden, meine Damen und Herren, ist das kostbarste Gut für die Menschen. Diesen Frieden wollen wir erhalten. Wir sind auch bereit, ihn zu verteidigen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Otte, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Hänsel? Henning Otte (CDU/CSU): Frau Präsidentin, herzlichen Dank, aber ich möchte meine Rede erst einmal im Zusammenhang vortragen. Vielleicht hilft es ja auch der Fraktion Die Linke, sich einmal mit Argumenten auseinanderzusetzen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Dann bringen Sie mal welche!) Meine Damen und Herren, ich verweise auf die gesamte Bandbreite der Möglichkeiten, um gegen den IS-Terror vorzugehen: diplomatisch, humanitär, aber eben auch militärisch. Wir diskutieren in dieser Woche, ob und wie wir gegen den IS-Terror militärisch vorgehen. Darüber wird aber nicht nur im Deutschen Bundestag diskutiert, sondern auch in unserer Gesellschaft. Das ist richtig, und das ist gut. Der vorliegende Antrag der Linken ist allerdings kein Beitrag zur Diskussion über den richtigen Weg: Er offenbart Realitätsferne, eine Verweigerungshaltung. Ich muss schon sagen: Den Menschen Sand in die Augen zu streuen und sie an der Nase herumzuführen, ist betrüblich und beschämend. (Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) Gutgläubigen Menschen von diesem Pult aus die Unwahrheit zu sagen, so wie die Linke das tut, ist unredlich. Das lassen wir nicht durchgehen. Noch schlimmer ist es in der Außen- und Sicherheitspolitik. Ihre Geisteshaltung zeugt offensichtlich von zynischer Kaltherzigkeit. Sie sind bereit, Menschenleben auf dem Altar Ihrer Ideologie, Ihrer Parteiprogrammatik zu opfern. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das machen doch Sie! Das machen nicht wir!) Das ist linke Arroganz, und das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. (Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sagen Sie endlich einmal ein Argument! Nach 5 Minuten Beschimpfung könnten Sie mal ein Argument bringen! ) Wir diskutieren in den Fachausschüssen sehr differenziert und ausführlich über den Beitrag, den Deutschland im Kampf gegen den IS-Terror leisten wird. Wir haben auch vor einem Jahr diese Diskussion geführt, als es darum ging, den kurdischen Kämpfern der Peschmerga im Kampf gegen den IS-Terror beizustehen, indem wir sie durch Ausrüstungshilfe und Ausbildung unterstützen. Sie haben damals dagegen opponiert. Was wäre wohl aus den Menschen geworden, wenn wir Ihnen, den Linken, gefolgt wären? Es ist gut, dass wir den Menschen geholfen haben. Sprechen Sie mit den kurdischen Kämpfern vor Ort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Mache ich mehr als Sie!) Es ist gut, dass die Union Verantwortung trägt, und dass wir deutlich machen: Terror hat in unserer Gesellschaft keinen Platz. Die Kurden vor Ort sind bereit, tapfer und mutig gegen den IS-Terror zu kämpfen, sich entgegenzustellen, und zwar erfolgreich. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Deshalb wurde die PKK verboten!) Sindschar ist zurückerobert worden. Das Wüten des IS-Terrors zeigt ein furchtbares Ergebnis: Mehr als 3 000 jesidische Männer sind getötet, 5 000 jesidische Frauen sind verschleppt worden. Man kann das Leid, das diesen Menschen angetan worden ist, nicht in Worte fassen. Diese Art des Terrors überzieht die ganze Region und gefährdet den Weltfrieden. Mit dem IS kann man nicht verhandeln, man kann ihn nur militärisch stoppen. Wir sagen den Menschen, die Opfer dieses Terrors sind, Hilfe in der Not zu, und zwar auch mit militärischen Mitteln. (Beifall bei der CDU/CSU – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Die Not kennt kein Gebot!) Die Anschläge in Paris haben deutlich gemacht, dass ganz Europa gefährdet ist. Die Angriffe des IS richten sich gegen Andersdenkende und Andersgläubige, gegen die freiheitliche Demokratie und gegen unsere Weltordnung. Der IS schlägt überall dort zu, wo sich für ihn die Gelegenheit bietet, die freie Gesellschaft zu verunsichern. Der Terror richtet sich schlicht und einfach gegen die Gesellschaftsordnung, wie wir sie leben. Das bedeutet, dass wir mit Passivität die Sicherheit unseres Landes nicht gewährleisten können. Außenpolitische Zurückhaltung wird uns nicht weniger zu einem Anschlagsziel machen. Ganz im Gegenteil: Wir müssen im Rahmen einer gemeinsamen Allianz alles unternehmen, um Frankreich beizustehen, um gegen den Terror vorzugehen, vor allem aber auch, um die Sicherheit Deutschlands und damit die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger zu stärken. Deutschland engagiert sich bereits im Kampf gegen den IS-Terror. Wir bilden die kurdischen Peschmerga im Norden Iraks aus. Wir helfen auch, indem wir sie mit Ausrüstung beliefern. Wir stärken regionale Akteure vor Ort und befähigen sie, gegen den IS-Terror zu kämpfen. Wenn wir mit der Bundeswehr die Sicherheitskräfte anderer Staaten ausbilden, dann leisten wir einen Beitrag dazu, dass das Gewaltmonopol über das jeweilige Staatsgebiet wiederhergestellt wird. Das ist die beste Basis, um den Sumpf des Terrors auszutrocknen. Deswegen ist es richtig, dass wir morgen über einen weiteren Beitrag diskutieren und entscheiden werden. Dieser Beitrag wird eingebettet sein in ein Gesamtkonzept, nämlich dem Wiener Prozess. Wir stellen uns, eingebettet in eine Allianz von 64 Staaten, dem IS-Terror entgegen; vorbehaltlich des morgigen Beschlusses des Deutschen Bundestages. Mir ist wichtig, zu sagen, dass es nicht darum geht, einen Angriffskrieg vorzubereiten, wie die Kollegin der Linken, Frau Dağdelen, es dargestellt hat. Deutschland entsendet eine Fregatte zum Schutz eines französischen Flugzeugträgers, wir entsenden eine Handvoll Tornados, die Aufnahmen machen und damit das Informationsbild bzw. das Lagebild verbessern können, und wir entsenden ein Tankflugzeug, um die Logistik und die Versorgung mit Betriebsstoffen sicherzustellen. Das ist ein fein abgestimmter und ausgewogener Beitrag zur Stärkung der gesamten Allianz gegen diesen Terror und nicht der Quatsch, den Sie hier behaupten, meine Damen und Herren von den Linken. (Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Und wann kommen die Argumente! Ich warte die ganze Zeit! Ich bin ja lernwillig!) Meine Damen und Herren, der Antrag der Fraktion Die Linke setzt auf polizeiliche Methoden und auf Strafverfolgung im Kampf gegen diesen Terror. Die Sicherheitspolitik der Union basiert dagegen auf dem Prinzip der vernetzten Sicherheit, (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Verletzte Sicherheit!) wie es vom früheren Verteidigungsminister Dr. Franz Josef Jung entwickelt worden ist: ressortübergreifend, humanitär, entwicklungspolitisch, aber eben auch militärisch, wenn es notwendig ist, und mithilfe der Nachrichtendienste, um eine maximale Informationsgewinnung zu erreichen. Ich bin klar der Überzeugung, dass der IS nicht aufhören wird, Menschen zu töten und Terroranschläge in Europa vorzubereiten, weil die Linken im Deutschen Bundestag den IS-Terroristen strafrechtliche Konsequenzen androhen wollen – gerade die Fraktion Die Linke, die ohnehin ein angespanntes Verhältnis zu Recht und Ordnung hat. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das war jetzt grenzwertig, aber kein Argument!) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Otte, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Neu? Henning Otte (CDU/CSU): Nein, Frau Präsidentin, ich möchte die Argumente gerne weiter vortragen. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Wann kommen die denn endlich? Ich bin lernwillig!) Meine Damen und Herren, der IS kann nach meiner festen Überzeugung nur mit militärischen Mitteln gestoppt werden. Deutschland ist bereit, sich dieser Verantwortung zu stellen, zum Wohle der Sicherheit unseres Landes und zum Wohle der Sicherheit der friedlichen Völkergemeinschaft. Wir wollen und werden Verantwortung in der Welt übernehmen; denn wir verschließen nicht die Augen vor dem Leid anderer Menschen. Ich zitiere den Theologen und Philosophen Georg Picht, der auch Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung war: Wer die Verantwortung in der Welt bejaht, darf sich der Last, die sich daraus ergibt, nicht entziehen. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja!) Sie als Linke wollen sich dieser Last entziehen. Sie sagen: Wir verabscheuen die terroristischen Anschläge in Paris. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Richtig!) Sie sagen, Sie lehnen die Gewalt des IS ab; (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Richtig!) aber Sie weigern sich, die Last zu tragen, diese Verantwortung zu übernehmen, allein um Ihrer angestaubten ideologischen Parteiprogrammatik gerecht zu werden. Das tun Sie auch, indem Sie Menschen verunsichern. Schlimm ist auch, dass Sie damit den Soldatinnen und Soldaten und deren Familien in den Rücken fallen. Das lassen wir als Union nicht zu. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das hatten wir schon mal! Den Dolchstoß in der Heimat! Wohin das geführt hat, wissen Sie!) Ich hoffe sehr, dass niemand von Ihnen in eine Notsituation gerät und dann erleben muss, dass ihm aus ideologischer Verblendung heraus nicht geholfen wird. Ich freue mich auch für Sie, aber vor allem für die Menschen, die in Not geraten sind, dass wir ihnen die notwendige Hilfe zukommen lassen und deswegen Ihren kurzsichtigen und, ich sage auch, kaltherzigen Antrag mit demokratischer Mehrheit ablehnen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Neu das Wort. Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): Kollege Otte, Sie haben jetzt sehr umfassend erklärt, warum militärische Maßnahmen erforderlich sind. Gestern Abend wurde in der Tagesschau darüber berichtet, dass die beiden Finanzminister Frankreichs und Deutschlands sich darauf verständig hätten, im Rahmen der EU dafür Sorge tragen zu wollen, die Finanzströme des IS einzugrenzen bzw. einzuengen. Wieso kam man nach zwei Jahren IS-Tätigkeit erst gestern auf die Idee, die Finanzströme auszutrocknen? Ich meine, das ist doch nun wirklich eine einfache Aufgabe. Sie schicken Flugzeuge, es gibt einen Flugzeugträger etc. Das ist ein martialischer Aufmarsch; aber es gibt ganz einfache Maßnahmen, mit denen man den IS austrocknen kann. Warum werden die zivilen, die politischen, die verwaltungstechnischen Mittel nicht angewandt? Wie verhalten Sie sich zur Türkei? Es ist bekannt, dass die Türkei bis heute Tanklaster vom IS annimmt, dass über die türkisch-syrische Grenze jeden Tag Blutöl fließt. Wie gehen Sie mit der Türkei um? Sagen Sie das einmal. Auf diese Fragen möchten wir von Ihnen Antworten haben, bevor wir über militärische Mittel reden möchten. Vizepräsidentin Petra Pau: Sie haben das Wort zu einer Erwiderung. Henning Otte (CDU/CSU): Danke schön, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Kollege Dr. Neu, nur weil Sie erst gestern in der Tagesschau diese Informationen bekommen haben und es versäumt haben, einmal im Verteidigungsausschuss nachzufragen, heißt das nicht, dass diese Absprache erst seit gestern gilt. (Zurufe von der LINKEN) Ich sage auch deutlich: Dieser Auftrag im Kampf gegen den IS ist in ein Gesamtkonzept, in den Wiener Prozess, mit humanitären und mit diplomatischen Mitteln eingebettet. Aber es geht auch darum, die Strukturen des IS-Terrors und damit die Keimzelle des Terrors und gerade auch die Einnahmequellen, von denen Sie sprechen, zu zerstören, sodass technisch die Gewinnung von Öl und damit der Verkauf nicht mehr möglich sind. Das ist effektives Handeln. Nicht nur schlau reden, sondern handeln und Verantwortung tragen – das machen wir. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Petra Pau: Wir fahren fort in der Debatte. – Das Wort hat die Kollegin Katja Keul für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Otte, ich glaube, etwas komplexer als Ihre vereinfachte Sicht der Dinge ist es schon. Aber wahrscheinlich lässt es sich damit etwas einfacher leben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Haben Sie nicht zugehört?) Zum Antrag der Linken. Ihr Antrag wirft eine gute und berechtigte Frage auf, zieht dann aber am Ende die falschen Schlussfolgerungen, wenn es um Artikel 42 Lissabon-Vertrag geht. (Zuruf der Abg. Sevim Dağdelen [DIE LINKE]) Die berechtigte Frage lautet: Lassen sich Terroristen mit Militäreinsätzen und Krieg bekämpfen? Die Attentäter von Paris haben ein furchtbares Verbrechen begangen. Sie waren französische und belgische Staatsbürger, sind bei uns in Europa aufgewachsen und haben sich hier bei uns radikalisiert. Dringende Hilfeleistungen für Frankreich sind vor allem ein besserer Austausch von polizeilichen Informationen, Zusammenarbeit bei der Prävention, aber auch bei der Kontrolle der EU-Außengrenzen. Was Terroristen mit Sicherheit nicht abschrecken wird, ist die Bombardierung von Syrien, im Gegenteil. Es ist genau das, was der IS erreichen wollte: den verhassten Westen in einen Krieg hineinziehen, den er nicht gewinnen kann. Die Bomben werden dem IS weiteren Zulauf sichern, sie werden die Heimat der Syrer weiter zerstören, aber sie werden das Problem nicht lösen. Der IS kann sich überall dorthin zurückziehen, wo Militäreinsätze staatliche Strukturen zerstört und rechtsfreie Räume hinterlassen haben, wie es in Libyen längst der Fall ist. Damit dürfte klar sein: Der IS kann militärisch nicht besiegt werden. Jetzt kommen wir zu der nächsten Frage: Dürfen wir überhaupt militärisch reagieren, oder sind wir gar dazu verpflichtet, und was hat Artikel 42 Lissabon-Vertrag damit zu tun? Artikel 42 Lissabon-Vertrag spricht zunächst einmal von einem „bewaffneten Angriff“. Ich denke schon, dass man das Attentat von Paris als bewaffneten Angriff bezeichnen kann. Frankreich ist getroffen, und wir schulden unseren Freunden und Nachbarn unsere Solidarität und alle in unserer Macht stehende Hilfe und Unterstützung. Daran habe ich keinen Zweifel. Artikel 42 enthält aber noch eine Einschränkung: Alle Maßnahmen müssen im Einklang mit Artikel 51 der UN-Charta stehen. Das versteht sich eigentlich von selbst: Maßnahmen, die der UN-Charta widersprechen, können nicht geschuldet sein. Was also sind die Grenzen der Selbstverteidigung nach Artikel 51? Nach dem Notwehrprinzip darf sich ein Staat gegen einen gegenwärtigen oder unmittelbar bevorstehenden Angriff zur Wehr setzen. Ein allgemeines präventives Staatsnotwehrrecht, wie es die USA für sich seit 15 Jahren als War on Terror reklamieren, gibt es im Völkerrecht nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das hat sogar der eigene Supreme Court so gesehen. Das bedeutet, dass man einen Terroranschlag im eigenen Land nicht ohne Weiteres als andauernden gegenwärtigen Angriff qualifizieren kann, und wenn, dann stellt sich die Frage, ob dieser Angriff einem anderen Staat zugerechnet werden kann. Es dürfte auf der Hand liegen, dass wir den IS nicht als Staat anerkennen wollen und dass die Bombardierung ohne Einwilligung des Regimes die staatliche Souveränität Syriens verletzt. Dem syrischen Regime können die Angriffe von Paris aber eindeutig nicht zugerechnet werden. Auch die hoch umstrittene Hilfskonstruktion des Safe Harbor, auf die man nach 9/11 zurückgegriffen hat, kommt hier nicht in Betracht, da das syrische Regime dem IS keinesfalls Zuflucht bietet, sondern diesen vielmehr selbst bekämpft. Man kann es drehen und wenden wie man will: Die Bombardierung Syriens ohne Einwilligung des Regimes und ohne Autorisierung nach Kapitel VII der UN-Charta ist und bleibt völkerrechtswidrig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Fragen Sie doch Herrn Assad!) Daran kann auch der Lissabon-Vertrag nichts ändern. Als Vertrag zwischen EU-Mitgliedern kann er selbstverständlich keine Gewaltanwendung zulasten Dritter legitimieren. Eine völkerrechtswidrige Handlung kann auch nach Artikel 42 Lissabon-Vertrag gar nicht geschuldet sein. Nicht einmal die Bundesregierung behauptet, Artikel 42 sei Grundlage für einen Militäreinsatz. Sie erwähnt diesen Artikel zwar hier und da, um etwas Verwirrung zu stiften (Lachen des Abg. Niels Annen [SPD]) und darüber hinwegzutäuschen, dass ihre Berufung auf Artikel 51 UN-Charta nicht wirklich trägt. Am Ende bleibt es aber genau dabei, dass sie sich als Grundlage für den Militäreinsatz einzig und allein auf das Notwehrrecht beruft. Ich bedaure allerdings schon, dass der linke Mythos von der Militarisierung der EU im Lissabon-Vertrag durch die Argumentation der Bundesregierung Auftrieb erhält. Wer aber noch bereit ist, genau hinzusehen, wird erkennen: Es bleibt ein Mythos. Die EU ist kein Militärbündnis, (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Wird sie aber noch werden!) und Artikel 42 Absatz 7 Lissabon-Vertrag ist nicht die Ausrufung des Bündnisfalles. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja!) Der Beschluss vom 17. November 2015 ist eine symbolisch starke Geste, die den politischen Willen zur Unterstützung Frankreichs ausdrückt. Dieser Beschluss ist völlig berechtigt, und er sollte keineswegs zurückgenommen werden. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Den Schluss habe ich nicht verstanden! Das habe ich wirklich nicht verstanden!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Thomas Hitschler für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Thomas Hitschler (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur rechtlichen Diskussion empfehle ich das aktuelle Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, das zu einem relativ klaren Urteil kommt, nämlich zu dem Urteil, dass die Verfahrens- und Vorgehensweise der Bundesregierung juristisch absolut rechtmäßig und korrekt ist. (Anita Schäfer [Saalstadt] [CDU/CSU]: Richtig! Sehr gut!) Ich möchte an dieser Stelle ein Stück weit auf die politische Argumentation eingehen. Gestatten Sie, dass ich mit einem kleinen Lob an die Linksfraktion beginne. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das höre ich gerne!) Sie greifen in Ihrer Antragsbegründung einige durchaus sinnvolle Einzelmaßnahmen auf: Sie wollen, dass Deutschland diplomatisch auf die Türkei einwirkt. Sie finden, die Finanzierung des IS müsse geschwächt werden. Sie mahnen stärkere soziale Präventionsmaßnahmen an. Das alles können sinnvolle Einzelmaßnahmen sein. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ja, genau! Und was machen Sie?) Sie verpuffen aber, wenn sie nicht in ein Gesamtkonzept eingearbeitet werden. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Wo ist denn Ihr Gesamtkonzept?) Dabei nennen Sie einen entscheidenden Punkt leider nicht. Es ist doch unbestritten: Der IS ist mit militärischen Mitteln allein nicht zu besiegen. Gerade deshalb braucht es ein umfassendes und international abgestimmtes Maßnahmenpaket. Deutschland arbeitet bereits genau daran, speziell unser Außenminister Frank-Walter Steinmeier, im Rahmen der Syrien-Kontaktgruppe gemeinsam mit 16 anderen Staaten – erst vor zwei Wochen wurde auf dem Syrien-Gipfel in Wien ein Zeitplan für eine Übergangsregierung und für Wahlen in Syrien verabschiedet – und im Rahmen der internationalen Koalition gemeinsam mit 63 anderen Staaten. Die Unterbrechung der Finanzströme und des Zulaufs ausländischer Kämpfer, eine Kommunikationsstrategie und die Stabilisierung der Region stehen dort schon längst auf der Tagesordnung, liebe Kolleginnen und Kollegen. Aber die bittere Wahrheit ist auch: Ohne militärische Mittel ist der IS auch nicht zu besiegen. Genau diese wollen Sie aber ausschließen. Sie kritisieren lauthals die Luftangriffe gegen den selbsternannten „Islamischen Staat“. Aber wissen Sie was? Kobane wäre ohne die Luftschläge der USA und ohne die militärische Unterstützung der Peschmerga heute noch in den Händen der Dschihadisten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ach ja?) Haben Sie die fürchterlichen Verbrechen, die in der Region Tag für Tag geschehen, etwa schon vergessen? Die Pappschildsolidarität auf Facebook hilft vielleicht dem eigenen Gewissen, aber ganz bestimmt nicht den Menschen, die unter der Barbarei des sogenannten „Islamischen Staats“ leiden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) An anderer Stelle argumentierten Sie, dass eine deutsche Beteiligung in Syrien die Terrorgefahr in unserem Land erhöhen würde. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind längst im Fadenkreuz der Dschihadisten. Das Freundschaftsspiel zwischen Frankreich und Deutschland war ein ganz bewusst gewähltes Ziel der Terroranschläge von Paris. Seit Monaten gibt es Drohvideos gegen Deutschland im Internet. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Hitschler, es gibt gleich zwei Wünsche nach einer Frage oder Bemerkung. Als Erste hat sich die Kollegin Dağdelen gemeldet, dann noch der Kollege Ströbele. Thomas Hitschler (SPD): Ich würde sie gerne zum Ende beantworten, also nach der Rede. Vizepräsidentin Petra Pau: Nach der Rede, das wird nichts. Nach der Rede haben Sie dann maximal die Möglichkeit, auf eine Kurzintervention zu reagieren. Thomas Hitschler (SPD): Ich denke, ich werde das im Laufe der Rede beantworten. Vizepräsidentin Petra Pau: Gut. – Im Moment lassen Sie das also nicht zu. Dann sehen wir einmal, wie sich das entwickelt. Ich lasse die Uhr jetzt weiterlaufen. Thomas Hitschler (SPD): Das ist nett; vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zu meiner Argumentation zurück. Ich sage: Wir werden bereits angegriffen, unsere Partner, unsere Staatsbürger, unsere Art zu leben, und unsere gemeinsamen Werte. Da müssen wir wachsam sein. Die Dschihadisten werden uns nicht verschonen, nur weil wir sie in Ruhe lassen. Sie bekämpfen nicht nur ihre militärischen Gegner, sie bekämpfen alles, was nicht ihrem kruden Weltbild entspricht. Der Einsatz militärischer Mittel darf dabei aber kein blinder Aktionismus sein. Dafür braucht es immer gute Gründe, und ich meine, die gibt es in diesem Fall. Der IS hält große Teile Syriens und des Irak in Geiselhaft. Das neue Pseudokalifat ist sein Propagandakern und maßgeblich für die Rekrutierung und Ausbildung neuer Terroristen. Es ist Rückzugsraum, ein zentraler Bestandteil und Baustein im Wirtschaftssystem des IS und die Basis seiner militärischen Operationen und seiner Raubzüge. Hier ist der IS angreifbar. Hier kann man sein militärisches Potenzial schwächen. Wer militärische Einsätze aber ausschließt, der schließt auch aus, dem IS dieses Potenzial und diese Basis zu nehmen, der lässt zu, dass der IS weiter Steuern eintreiben kann, dass er über Ölquellen verfügt, dass er einen geschützten Raum hat, in dem sich seine Kämpfer regenerieren können, und der lässt zu, dass die Bevölkerung in diesem Gebiet weiter unter der Terrorherrschaft und unter der Unrechtsjustiz leidet. Solange der IS weite Teile des syrischen und des irakischen Staatsgebiets kontrolliert, ist ein politischer Frieden in dieser Region nicht zu erreichen. Wo Entwicklungshelfer gezielt exekutiert werden, ist Entwicklungshilfe ohne militärischen Schutz kaum zu verantworten. Ich sehe auch keine Möglichkeit, wie man mit dem IS diplomatisch umgehen könnte. Wären es „nur“ Islamisten mit lokaler Agenda, dann könnte man sie ja vielleicht noch mit Biegen und Brechen irgendwie in Verhandlungen einbeziehen. Aber bei Dschihadisten mit dem Ziel eines Weltkalifats kann ich keinerlei Verhandlungsmasse ausmachen. Ohne Militär ist dieser IS nicht zu besiegen. Dazu braucht es eine international abgestimmte, militärische und politische Strategie. Es braucht eine Exit-Strategie, und es braucht ein Konzept dafür, wie es in Syrien und im Irak weitergehen soll. Genau daran arbeiten wir. In Bezug auf die militärische Strategie halte ich drei weitere Punkte für grundsätzlich notwendig: Erstens. Ein Kampf aus der Luft allein wird nicht ausreichen. Damit kann man zwar die Expansion des IS aufhalten, aber am Ende brauchen wir verbündete Strukturen am Boden. Zweitens. Das können aber keine westlichen Boden­truppen sein. Sobald der Westen als Besatzer wahrgenommen wird, spielt das nur der IS-Propaganda in die Hände. Wir brauchen arabisch-sunnitische Verbündete. Drittens. Das darf nicht Assad sein. Für eine langfristige politische Lösung müssen auch gemäßigte Pro-­Assad-Kräfte an den Tisch geholt werden. Aber an der Seite Assads zu kämpfen, wäre ein Verrat an der syrischen Bevölkerung. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Also Saudi-­Arabien, oder was?) Deutschland kann einen sinnvollen militärischen Beitrag leisten. Nicht viele Staaten besitzen die Fähigkeit, die wir mit unseren Tornados anbieten. Das ist ein sinnvoller Beitrag zur Aufklärung, ein Beitrag, der dabei helfen kann, Ziele in diesem Bereich zu identifizieren. Kolleginnen und Kollegen, wir müssen diesen Verbrechern das Handwerk legen. Das erklärte Ziel muss sein: Jeder IS-Kämpfer gehört vor Gericht. Mit der Erreichung dieses Ziels würden wir auch unserer moralischen Verantwortung gerecht werden. Das unterscheidet uns nämlich auch von diesen IS-Schlächtern, und das sollten wir auch deutlich betonen. Ihr Antrag lautet „Keine militärische Antwort auf Terror“. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja!) Ehrlicherweise hätten Sie ihn gleich „Keine Antwort auf Terror“ nennen können. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das kann keine Lösung sein. Deshalb kann ich nur empfehlen, diesen Antrag abzulehnen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Ströbele das Wort. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Hitschler, Sie haben vorhin keine Zwischenfrage zugelassen, aber jetzt klappt es ja mit einer Kurzintervention, und Sie können sich dann ja auch dazu äußern. Auch ich fange mit einem Lob an, mit einem Lob für Sie. Sie haben einiges gesagt, was gut und richtig ist, zum Beispiel, dass die IS-Kämpfer – vor allen Dingen die, die diese Gräueltaten in Syrien und im Irak begehen, nicht nur die, die das ausführen, sondern auch diejenigen, die das anordnen; alle, die irgendwelche Verantwortung dafür tragen – vor Gericht gehören. Darin sind wir uns völlig einig. Sie haben auch recht, dass es Notwehrsituationen gibt – beispielsweise für die Kurden dort –, in denen man auch Gewalt anwenden muss. Bei Folgendem haben Sie aber nicht recht – und dazu haben Sie auch überhaupt nichts gesagt –: Schon jetzt erfolgen Angriffe auf Städte und Dörfer mit über 200 Flugzeugen. Hinzu kommen noch die Russen mit 30 bis 35 Flugzeugen und bald vielleicht auch 3 deutsche Flugzeuge. Wieso soll das die Gräueltaten, die dort passieren, verhindern? Ist ihre Zahl geringer geworden? Es ist ja nicht so, dass diese Geschichte neu ist und erst morgen beginnt, sondern sie läuft seit Monaten, wenn nicht seit Jahren, im Irak schon sehr viel länger. Haben diese Bombardements diese Gräueltaten verhindert, oder ist nicht eher das Gegenteil der Fall? Haben Sie sich einmal um die Ziele gekümmert, die dabei getroffen werden? Jeden Tag sind 250 Flugzeuge mit mehreren Einsätzen unterwegs. Die finden gar keine Ziele mehr. Sie kommen zum Teil mit den Bomben wieder zurück, weil sie diese gar nicht losgeworden sind. Die Flugzeuge bombardieren jetzt immer mehr auch zivile Ziele, etwa Krankenhäuser. Da können Sie doch nicht sagen: Zur Verhinderung der Gräueltaten, der vielen Toten und Verletzten müssen diese Flugzeuge eingesetzt werden. – Das ist einfach kontraproduktiv, ganz abgesehen davon, dass die Bilder von den Luftangriffen sowohl in der Bevölkerung vor Ort als auch in der Bevölkerung Iraks, sowohl in den Nachbarstaaten als auch hier in Deutschland bzw. in Europa zur Rekrutierung neuer IS-Kämpfer führen. Auch das haben wir heute wieder gehört: Die Attentäter von Paris und auch vorherige Attentäter kamen aus Europa, auch aus Deutschland und den Nachbarländern. Hier hat sich ihr Hass angesammelt, hier haben sie ihren Entschluss gefasst und die Tat geplant, und zwar von hier aus. Sie kommen gegen diese Hasswelle und gegen diese Gräueltaten nicht dadurch an, dass Sie dort aus der Luft bombardieren. (Florian Hahn [CDU/CSU]: Er hat mehr Redezeit als ein normaler Redner!) Das ist immer mit sogenannten Kollateralschäden verbunden, also mit zusätzlichen Verlusten in der Bevölkerung. Vizepräsidentin Petra Pau: Sie haben das Wort zur Erwiderung. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: In gleicher Länge antworten, und die Rede am besten noch mal vorlesen!) Thomas Hitschler (SPD): Nein, ich werde nicht in der gleichen Länge antworten. – Aber ich beginne erst einmal damit: Lieber Kollege Ströbele, vielen Dank für das Lob. Das nehme ich gerne zur Kenntnis. Ich will aber mit zwei Argumenten ein Stück weit gegenhalten. Erstens. Sie fragen: Welche Ziele kann man angreifen? Und was wäre sinnvoll? Wir haben gerade, vor drei Wochen, gesehen, dass Flugzeuge der Koalition über 200 Öllaster, glaube ich, angegriffen haben, die genau auf dem Weg unterwegs waren, den Sie vorhin kritisch angesprochen haben. Ich glaube, dass man mit diesen Luftangriffen die logistische Unterstützung des sogenannten „Islamischen Staates“ schwächen kann, und ich glaube ferner, dass wir das in den letzten Wochen gesehen haben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Zweitens. Sie fragen, lieber Herr Ströbele: Was genau können wir gegen diese Attentäter tun, gegen die Fo­reign Fighters, die wieder zurückkommen? Genau das ist das entscheidende Argument, das Sie nicht sehen wollen: Diese Menschen waren in Syrien, wurden dort ausgebildet und haben kämpfen gelernt. In einer perfiden Terrorkette wurden sie zu Kämpfern gemacht. Ich glaube, dass wir genau gegen diese Ausbildungslager militärisch angehen können. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Gestatten Sie, dass ich mir jetzt doch noch eine Sekunde mehr Redezeit nehme. – Sie haben gerade die Argumentation dafür genannt, warum deutsche Aufklärer hier gut eingesetzt werden können: Diese Tornados können im Tiefflug relativ flexibel Ziele ausmachen. Daher sind sie in diesem Einsatz notwendig. Dabei haben wir nämlich die Chance, die Kollateralschäden, wie Sie sie genannt haben, zu minimieren. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das glauben Sie doch wohl selber nicht!) Unterhalten Sie sich mit militärischen Experten! Diese werden Ihnen sagen, dass genau das der Fall ist, liebe Kolleginnen und Kollegen. Denken Sie deshalb einmal darüber nach, ob Sie nicht morgen dem Mandat der Bundesregierung aus genau diesem Grund zustimmen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Volker Mosblech für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Volker Mosblech (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die terroristischen Angriffe des 13. November 2015 erfordern ein entschlossenes und gemeinsames Vorgehen gegen den sogenannten „Islamischen Staat“. Die EU-Beistandsklausel nach Artikel 42 Absatz 7 EU-Vertrag umfasst eine Rechtspflicht zur Hilfe der Mitgliedstaaten. In Verbindung mit Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen ergibt sich eine Rechtsgrundlage für das militärische Eingreifen in Drittstaaten, das sogenannte Selbstverteidigungsrecht. Die völkerrechtliche Frage lautet hier, inwieweit eine nichtstaatliche Terrorgruppe im Rahmen des Selbstverteidigungsrechtes in einem fremden Land angegriffen werden darf. Einerseits kann dies auf Ersuchen des betreffenden Staates geschehen, wie dies beim Irak der Fall ist. Andererseits wird in der Völkerrechtslehre der Ansatz vertreten, dass ein Staat auf seinem Gebiet militärische Maßnahmen erdulden muss, wenn er weder willens noch in der Lage ist, terroristische Gruppen in seinem eigenen Staatsgebiet zu bekämpfen, wie dies in Syrien der Fall ist. Der IS stellt eine globale Bedrohung für Frieden und Sicherheit dar. Dies zeigt sich nicht zuletzt durch die Serie der jüngsten Anschläge in Paris, Beirut, Ankara oder auf dem Sinai. Schon der Anschlag auf das Satiremagazin Charlie Hebdo Anfang dieses Jahres in Paris hat uns deutlich vor Augen geführt, dass speziell unsere freiheitliche Werteordnung angegriffen wird. Der IS hat Frankreich, Deutschland, Europa, die Vereinigten Staaten, sprich: die gesamte westliche Welt, zu seinem Feind erklärt. Die jüngsten Anschläge in Paris haben die vorherrschende Bedrohungslage noch einmal sehr deutlich gemacht. Die Bedrohung Frankreichs ist in diesem Falle die Bedrohung Deutschlands und Europas. Aus diesem Grunde stehen wir entschlossen an der Seite Frankreichs und unserer internationalen Verbündeten; (Beifall bei der CDU/CSU) denn auch wir tragen die Verantwortung dafür, dass der IS sich nicht noch weiter in Syrien ausbreitet. Wir müssen dem IS die Fähigkeit nehmen, den weltweiten Terror aus dieser Region heraus zu steuern. Syrien darf für Terroristen kein Rückzugsort sein. (Beifall bei der CDU/CSU) Unser Engagement in der Allianz gegen den IS beginnt ja nicht erst heute. Wir sind bereits seit über einem Jahr Teil dieser Allianz gegen den Terror. Wir haben vor mehr als einem Jahr begonnen, im Nordirak Verantwortung zu übernehmen, indem wir die kurdischen Pesch­merga-Kämpfer mit Waffen ausrüsten und ausbilden. Dadurch können sie für ihre Freiheit, für ihre eigenen Familien und für ihre Heimat kämpfen. Den Peschmerga ist es gelungen, den IS zurückzudrängen und kurdische Gebiete zurückzuerobern wie die strategisch wichtige Stadt Sindschar. Diese Ausbildungsmission der Bundeswehr mit weiteren europäischen Partnern ist bis hierhin – und das muss man einmal deutlich sagen – ein Erfolg. Dies müssen wir als Vorbild für das gesamte Gebiet nehmen, in dem der IS aktiv ist. Unser Ziel lautet, den IS zurückzudrängen, damit die Menschen in dieser Region wieder eine Perspektive haben und dort ein friedliches Leben möglich ist. Damit dieses friedliche Leben möglich wird, muss die militärische Beteiligung durch einen politischen Dialog mit allen Akteuren begleitet werden. Dieser Dialog sollte mit dem Ziel des Wiederaufbaus und der Versöhnung geführt werden. Deshalb werte ich es als einen großen Erfolg, dass sich nun alle relevanten Akteure in Wien austauschen. Es ist unsere Pflicht, unseren französischen Freunden beizustehen. Zugleich treten wir mit dem Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Unterbindung terroristischer Aktivitäten ebenso entschlossen für unsere eigene Sicherheit und die der übrigen freiheitlichen Welt ein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Niels Annen [SPD]) Wir nehmen damit unsere Verantwortung im Rahmen einer breiten Mehrheit der Staatengemeinschaft wahr. Genau für Missionen wie diese wurden die EU-Beistandsklausel nach Artikel 42 Absatz 7 EU-Vertrag sowie der Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen durch die internationale Gemeinschaft entwickelt. Auf diese beiden Artikel gründen wir unser Recht, unsere freiheitliche und demokratische Grundordnung verteidigen zu dürfen. Es versteht sich von selbst, dass wir unsere Freunde und Partner bei deren Selbstverteidigung unterstützen. Aus diesem Grund werde ich morgen dem Antrag der Bundesregierung zum Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS zustimmen. Gleichzeitig bitte ich Sie heute, den Antrag der Fraktion Die Linke abzulehnen. Ich bin davon überzeugt, dass wir den IS nicht allein durch die rechtsstaatlichen Mittel der Strafverfolgung besiegen können. Wir wünschen den Soldatinnen und Soldaten viel Glück im Einsatz gegen den internationalen Terrorismus, den der Deutsche Bundestag in dieser Woche beschließen wird. Unsere Einsatzkräfte leisten damit einen wichtigen Beitrag an der Seite Frankreichs und unserer Partner. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Mosblech, Sie sind am 20. Juli dieses Jahres in den Deutschen Bundestag eingetreten und haben gerade eben Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag gehalten. (Beifall) Kollege Mosblech, dabei ist Ihnen etwas gelungen, was den wenigsten neu eintretenden Abgeordneten bei ihrer ersten Rede gelingt: Sie sind nicht nur in der verabredeten Redezeit geblieben, sondern sogar darunter. Ich wünsche Ihnen im Namen des gesamten Hauses eine erfolgreiche Arbeit im Deutschen Bundestag. (Beifall) Das Wort hat der Kollege Josip Juratovic für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Josip Juratovic (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Antrag der Linken stellt die Situation dar, als sei der Einsatz der Bundeswehr in Syrien ausschließlich eine Antwort auf den Terror in Paris und das einzige Mittel, das wir im Syrien-Konflikt zum Einsatz bringen. Aber, meine Damen und Herren, die Antworten auf politische Fragen sind selten eindeutig. Politische Lösungen sind selten schwarz oder weiß, sondern erscheinen meistens in Grautönen. Das gilt besonders für Entscheidungen über Militäreinsätze. Der Einsatz der Bundeswehr in Syrien ist mehr als Terrorabwehr und findet zu einem Zeitpunkt statt, zu dem viele Akteure mit ausschließlich eigenen Interessen teilweise gegeneinander in Syrien verstrickt sind. Deshalb ist es wichtig, dass gemeinsames internationales Handeln die nationalen Interessen in geordnete Bahnen lenkt. Der Einsatz der Bundeswehr ist ein europapolitisches Zeichen. In Zeiten eines schwachen Europas lassen sich Frankreich und Deutschland, die Hauptsäulen der Europäischen Union, nicht trennen. Unser Engagement ist auch ein Weg, überhaupt Einfluss auf den weiteren Fortgang zu haben. Nur so können wir außenpolitisch mäßigend mitwirken. Dementsprechend ist unser wichtigster außenpolitischer Beitrag rund um die Frage Syrien der Wiener Prozess. Unserem Außenminister Steinmeier ist gelungen, was von außen einfach erscheinen mag, aber sehr viel diplomatisches Feingefühl und Ausdauer erfordert. (Beifall bei der SPD) Er hat alle im Syrien-Konflikt relevanten Akteure an einem Tisch versammelt. Beim Treffen in Wien sind 18 Staaten und die EU zusammengekommen, um Antworten auf die Frage zu finden, wie der Gewalt so schnell wie möglich ein Ende gesetzt werden kann. Dieser Prozess steht leider erst am Anfang, und wir brauchen einen langen Atem. Zusätzlich zur Arbeit auf dem diplomatischen Parkett engagieren wir uns mit strukturbildender Übergangshilfe, Mitteln zur Krisenbewältigung und humanitärer Hilfe. Auch diese Maßnahmen gehören zum Gesamtbild. Kolleginnen und Kollegen, alles, was wir im Dialog lösen können, erfordert keine Waffen. Allerdings: Ohne Waffen geht es auch nicht immer. Aus Erfahrung weiß ich eines: Die Dämonen dieser Welt sind nicht mit Dialog und gutem Zureden aufzuhalten. Deswegen ist Militär leider oft notwendig, um politische Lösungen zu ermöglichen. Letztendlich hat niemand die Weisheit gepachtet. Historisch gibt es Beispiele für gelungene militärische Missionen, wie auch leider für misslungene. Ich möchte zu bedenken geben, dass es sich niemand in diesem Haus mit seiner anstehenden Entscheidung leicht macht. Kolleginnen und Kollegen, Syrien kann heute mit Bosnien und Herzegowina während der Balkankriege verglichen werden. Ich frage: Muss nun auch noch ein zweites Srebrenica geschehen, ehe wir unser „Punkt und Komma“ richtig setzen? Zu bedenken ist dabei auch das Leid der Flüchtlinge. Viele Menschen sind Geiseln des Terrors in Syrien, besonders die Ärmsten der Armen, die nicht das Geld hatten, das Land zu verlassen. Wollen wir sie ihrem Schicksal überlassen? Denken wir auch an die Vergessenen? (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt doch gar keiner!) Ich will hoffen, dass unser Beitrag dem Frieden und der Zukunft dieser Menschen dient. Dafür wollen wir unseren Soldatinnen und Soldaten, die unsere politische Entscheidung würdig in die Tat umsetzen müssen, einen klaren Auftrag mitgeben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kolleginnen und Kollegen, als Integrationsbeauftragter meiner Fraktion sage ich: Natürlich werden wir Terrorismus nicht allein mit militärischen Mitteln besiegen können. Terrorismus ist Folge der geistigen Brandstiftung auch in unseren Gesellschaften. Die Brandstiftung beginnt mit der „Ja, aber“-Propaganda der Radikalen und endet mit brennenden Häusern oder Bomben. Deshalb ist es besonders wichtig: Wir müssen Rattenfängern, ob Faschisten oder Salafisten, früh und entschlossen entgegentreten. Diese Menschen sind keine Patrioten und erst recht keine Gläubigen. Sie sind einfach Kriminelle, die Pa­triotismus oder den Glauben für ihre Zwecke missbrauchen. Aber um zu verhindern, dass sich Menschen den radikalen Predigern anschließen, ist es wichtig, auch mit unserer eigenen Sprache sensibel umzugehen. Unsere Worte können verletzen. Unsere Worte können zu gegenseitigem Misstrauen und zu Schweigen führen, zu Abschottung und im schlimmsten Fall zu Radikalisierung. Deswegen müssen wir im Dialog bleiben, Empathie entwickeln und gemeinsam die geistigen Grundlagen des Terrors bekämpfen, und zwar als Bündnis der Vernünftigen aus allen Parteien, allen Nationen und allen Glaubensgemeinschaften. Danke schön für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, lieber Kollege. – Einen schönen Tag Ihnen und den Gästen auf der Tribüne! Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/6874 mit dem Titel „Keine militärische Antwort auf Terror“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist abgelehnt bei Zustimmung der Linken und Gegenstimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte in Afghanistan Drucksache 18/6743 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und ­Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind 38 Minuten für die Aussprache vorgesehen. – Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Wolfgang Hellmich für die SPD. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wolfgang Hellmich (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist eine notwendige und richtige Entscheidung, das Mandat für Afghanistan fortzusetzen. Unsere klaren Worte an den afghanischen Präsidenten, der gerade in Berlin weilt, lauten im Zusammenhang mit der Entscheidung für die Verlängerung dieses Mandats, dass wir Afghanistan weiterhin helfen werden, dass wir an der Seite des afghanischen Volkes stehen und es in Zukunft bei der weiteren Entwicklung seines Landes nicht nur begleiten, sondern auch aktiv unterstützen werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es war in der Vergangenheit das falsche Signal – vor allem von unseren Freunden aus den USA –, in erster Linie aus innenpolitischen Gründen deutlich zu machen, dass wir Afghanistan verlassen werden. Dort wurde das so verstanden, dass wir Afghanistan alleinlassen. Das war das falsche Signal. Ich bin froh darüber, dass trotz aller wahlpolitischen Auseinandersetzungen in den USA eine andere Entscheidung getroffen wurde, die uns in die Lage versetzt, unsere Fähigkeiten, abgestimmt in der NATO, zur Verfügung zu stellen und so unser Mandat nicht nur fortzusetzen, sondern auch zu präzisieren, auszuweiten und auf das realistische Lagebild in Afghanistan zuzuschneiden. Zum realistischen Lagebild. Die afghanischen Sicherheitskräfte haben die Verantwortung für die Sicherheit Afghanistans übernommen. Sie befinden sich aber manchmal in einer überdehnten Situation, in der sie nicht in der Lage sind, das, was notwendig ist, in den Griff zu bekommen. Sie brauchen weiterhin unsere Hilfe bei der Feststellung eines Lagebildes für ihre bzw. unsere Einsätze. Sie brauchen das, was wir tun, bis hin zu einer qualifizierten und gezielten Ausbildung der Soldatinnen und Soldaten der afghanischen Armee zu Gebirgsjägern im Norden, wo wir noch im Wesentlichen die Verantwortung tragen. Die afghanischen Sicherheitskräfte müssen ihre Qualität steigern, um die Auseinandersetzung mit den Taliban und anderen aufnehmen zu können. Zum Lagebild gehört auch, dass die Taliban ihre Strategie verändert haben. Erinnern wir uns nur an Kunduz. Es gibt keine Kampfsaison mehr. Die Taliban führen ihren Kampf nun über das ganze Jahr. Zudem wird die Front nicht mehr an vielen Stellen breit gehalten. Vielmehr greifen die Taliban konzentriert und gezielt einzelne Städte und Orte an und verschwinden im Zweifelsfall wieder. Das ist eine andere militärische Kampfsituation als zuvor, auf die die afghanische Armee vorbereitet werden muss. Dazu können wir beitragen, indem wir die Kommunikation und die kommunikativen Kräfte stärken sowie Führungsunterstützung und konkrete Hilfe im Einsatz leisten. Aber das ist, wie in anderen Einsätzen auch, nur ein Teil dessen, was wir in Afghanistan tun. Wenn wir genau in dieser Zeit die Anschlussmandate der NATO vorbereiten – die NATO beteiligt sich aktiv an der Veränderung ihrer Strategie –, um nach diesem Einsatz eine Folgeunterstützung für Afghanistan zu organisieren, dann ist das genau der richtige Weg. Bekämpfung der Korruption und Bekämpfung des Drogenmissbrauchs – das sind die Ursachen für Menschenhandel, mit dem die Taliban und inzwischen auch der IS horrende Gelder verdienen –, das ist genau die richtige Strategie, um für Sicherheit zu sorgen, damit wir den Menschen in Afghanistan sagen können: Bleibt dort. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Wir brauchen die Fortsetzung von UNAMA, um auch bei der Regierungsbildung in Afghanistan weiter zu helfen, und wir brauchen die Ansätze, die aus unserer Wirtschaft kommen und darin bestehen, über Bildung und Ausbildung in Afghanistan zu einer besseren Qualität der wirtschaftlichen Strukturen zu kommen, zu einer eigenen Produktion, zu eigenen Absatzmärkten, die zu organisieren wir mithelfen müssen. Zudem müssen wir mit unseren Instrumenten zu Wissenschaft, Bildung und guter Ausbildung in Afghanistan beitragen. Damit können wir den Menschen in Afghanistan Perspektiven bieten. Damit können wir ihnen helfen, in Afghanistan zu bleiben und dort eine sichere Zukunft zu finden. Uns haben die Soldatinnen und Soldaten bei unseren Besuchen gesagt: Wir kämpfen für unser Land. Wir möchten aber, dass unsere Familien in Sicherheit leben können. Wenn wir den Eindruck haben, dass sie dieses in Afghanistan nicht tun können, dann werden wir ihnen sagen: Geht. – Wir werden sie auch darin unterstützen, zu gehen, weil ihre Sicherheit – das liegt uns an dieser Stelle sehr am Herzen – im Zentrum unserer Bemühungen liegt. Diese Sicherheit können wir nicht garantieren. Deshalb müssen wir dafür Sorge tragen, dass der Staat Afghanistan dies mit seinen militärischen Kräften, mit seinen Polizeikräften und mit seinem politischen System tun kann. Afghanistan liegt nicht in Mitteleuropa. Es ist ein anderes Land, dort herrschen andere Ausgangsbedingungen. Ich möchte anmerken, dass die Evaluierung aller Einsätze in Afghanistan nach wie vor dringend nötig ist. Wir haben sie immer noch nicht auf dem Tisch. Ich gehe davon aus, auch in meiner Eigenschaft als Sonderberichterstatter der NATO-Parlamentarierversammlung für Afghanistan, dass wir die nötigen Beschlüsse hinbekommen, auch über die NATO eine entsprechende Evaluierung auf den Weg zu bringen, damit wir ein realistisches Bild des Einsatzes in Afghanistan bekommen. Herzlichen Dank an die Ministerin – der Staatssekretär wird ihr den Dank überbringen – (Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär: Jawohl!) dafür, genau die Länder für die Speiche Nord zusammenzubringen, die ihre Zusage gegeben haben, weiter dabei zu sein. Deutschland wird das tun. Die Aussage des Generals Brinkmann, der der Leiter der UNAMA war, die deutsche Uniform sei manchmal mehr ein Schutz in Nordafghanistan als alles andere, ist ein deutliches Zeichen dafür, dass die Afghanen von uns erwarten, dass wir an ihrer Seite bleiben und ihnen helfen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Hellmich. – Der nächste Redner in der Debatte für die Linke: Wolfgang Gehrcke. (Beifall bei der LINKEN) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie ernst die Bundesregierung die Fortführung des Mandats nimmt, kann man erkennen, wenn man auf die Regierungsbank blickt und sieht, wer alles nicht da ist. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Florian Hahn [CDU/CSU]: Aber ihr nehmt es auch nicht so ernst!) Ich erwarte von einer Regierung, dass sie, wenn sie ein solches Mandat einbringt, dieses auch ernsthaft verficht. (Florian Hahn [CDU/CSU]: Wo ist denn Ihre Fraktionsspitze?) Der Staatssekretär, der da herumsitzt, kann mich nicht davon überzeugen, dass die Regierung ernsthaft dieses Mandat verfechten will. Das stellen wir hier erst einmal fest. (Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Wo ist Frau Wagenknecht?) Ich denke, dass es der Fluch der bösen Tat ist, dass immerfort Böses sie gebären muss. Die böse Tat war, dass sich Deutschland vor 14 Jahren entschieden hat, mit eigenen Soldaten in den Krieg in Afghanistan einzugreifen. Wir sind bislang nicht herausgekommen, wir wollten offensichtlich auch nicht herauskommen. Dabei kann man aber eines erwarten – das ist eine Minimalanforderung –, nämlich dass man nach 14 Jahren einmal hinschaut und erörtert, was dieser Kriegseinsatz gebracht hat. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Wir haben jedes Jahr hingeschaut!) Das kann man doch auch von Ihnen erwarten. Sie wollen die Augen vor der Katastrophe des Krieges, der gescheitert ist, verschließen. (Beifall bei der LINKEN) Es ist eine blutige Niederlage in Afghanistan, die Sie verantworten. Sie wollen die Augen vor diesem Ergebnis verschließen. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sind Sie mal da gewesen?) Ich nenne Ihnen einmal einige Punkte meiner Beurteilung des Krieges in Afghanistan: (Henning Otte [CDU/CSU]: Ferndiagnose!) 70 000 Tote hat dieser Krieg gebracht. Wir, Deutschland, haben mit dem Krieg in Afghanistan das Völkerrecht tief verletzt. 55 Bundeswehrsoldaten sind in Afghanistan umgekommen. Das Mindeste wäre gewesen, dass man sich angesichts dieser Opfer einer Auseinandersetzung die Frage stellt: Hat es sich gelohnt, in diesen Krieg zu gehen, oder wäre es besser gewesen, es zu unterlassen? (Beifall bei der LINKEN) Ich bin entsetzt darüber, dass in den Debatten dieser Tage über Syrien die gleichen Krampfargumente benutzt werden, die schon zur Rechtfertigung des Afghanistan-Krieges benutzt worden sind. Sie haben gar nichts dazugelernt. Gehen wir doch einmal einige Gesichtspunkte durch. Es sind immer vier ernstzunehmende Argumente angeführt worden. Erstes Argument: Der Terror muss militärisch bekämpft werden; anders ist er nicht zu besiegen. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Auch!) – Sie haben dazugelernt. Früher haben Sie gesagt: Der Terror muss militärisch bekämpft werden. – Jetzt sagen Sie: Auch. – Für Sie ist Militär immer der Eckpfeiler. Ich frage Sie nach 14 Jahren Krieg gegen den Terror: Ist die Gefahr von terroristischen Anschlägen kleiner oder größer geworden? Sie ist weltweit größer geworden; das werden Sie zugeben müssen. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Und sie wird noch größer, wenn nicht eingegriffen wird!) Man kann doch einräumen, dass der Terror mit Krieg niemals erfolgreich bekämpft werden kann. (Beifall bei der LINKEN) Das ist doch eine erste Erkenntnis, die nicht so schwerfallen dürfte. Zweites Argument: Der Krieg gegen den Terror ist ein Krieg für Abrüstung. – Ich frage mich überhaupt, woher die terroristischen Banden immer ihre Waffen haben? Der IS hat zwar keine Waffenfabrik, verfügt aber über Waffen. Wer liefert die denn? Woher kommen die Waffenlieferungen? Die Antwort darauf könnten Sie hier einmal vortragen. Hat der Krieg gegen den Terror zur Abrüstung geführt oder nicht? Er hat zur Aufrüstung geführt. Das ist beweisbar. Drittes Argument: Wir wollen uns mit dem Krieg gegen den Terror für Demokratie einsetzen. – Wo ist in diesen Staaten Demokratie gewachsen? Viertes Argument: Genauso wie Deutschland nie eine Chance gehabt hat, den USA nach dem 11. September 2001 zu sagen: „Wir werden uns militärisch nicht engagieren“, hat Deutschland jetzt keine Chance, Frankreich zu sagen: Wir machen vieles zusammen; aber wir werden nicht zu Waffen greifen. – Das ist ein ernstzunehmendes Argument. Kann der deutsche Staat seinen Verbündeten sagen: „Vieles können wir gemeinsam machen; aber wir wollen nicht gemeinsam zu Waffen greifen“? Ich finde, wenn man es mit der Freundschaft zu Frankreich ernst meint, muss man Frankreich sagen: Wir agieren politisch zusammen. Wir können innenpolitisch viel gemeinsam leisten, etwa bei Polizeieinsätzen. Aber: Hände weg von Waffen! Wir wollen nicht, dass gemeinsam in Kriege gezogen wird. – (Beifall bei der LINKEN) Das sagt übrigens auch die französische Linke. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Dadurch wird es nicht besser, wenn das die französische Linke sagt!) Haben wir das Recht gehabt, den USA zu sagen: „Wir wollen nicht zusammen Krieg führen“? Ich finde, wir hätten die Verpflichtung gehabt, den USA unsere Einwände vorzutragen. Das heißt, es gibt kein ernstzunehmendes Argument für einen Kriegseinsatz. Man kann den Kampf gegen den Terror gewinnen, wenn man das macht, was man machen kann. Warum, frage ich Sie, wird der Zufluss an Kämpfern nach Syrien nicht endlich unterbunden? Sie kommen doch auch aus unserem Land. Sie kommen aus Europa, aus unserer Nachbarschaft. Warum wird der Waffenhandel nicht endlich unterbunden? Das können Sie doch leisten. Man sollte damit anfangen, endlich aufzuhören, deutsche Waffen in diese Region zu liefern. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir könnten auch einmal zusammen die menschenvernichtende Ideologie dieses Terrors angreifen (Henning Otte [CDU/CSU]: Welche meinen Sie denn?) und Alternativen aufzeigen. Nichts haben wir gemacht. Ich empöre mich darüber, dass wir mit den gleichen Drecksargumenten wieder in einen Krieg getrieben werden. Das will ich nicht, und deswegen muss der Afghanistan-Krieg beendet werden. Wir sind dafür, dass die deutsche Bundeswehr sofort aus Afghanistan zurückgezogen wird. Das würde dem Land die Chance für einen zivilen Aufbau bieten. Danke. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte: für die Bundesregierung Dr. Ralf Brauksiepe, Parlamentarischer Staatssekretär. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In meiner Heimatstadt Hattingen im Ruhrgebiet, eigentlich eine sehr schöne Stadt, die seit kurzem auch einen guten parteilosen Bürgermeister hat, war von 1979 bis 1989 die DKP im Stadtrat. Mein Vorredner ist ausweislich des Kürschner Gründungsmitglied dieser Partei. Er könnte genauer erklären, wie das damals ablief. Es war keine bundesweit sehr große Partei, trotz finanzieller Unterstützung. Es gab aber Schwerpunktbezirke. Wo die Partei im Stadtrat war, wurden die Bürger flächendeckend regelmäßig mit deren Parteipamphlet ausgestattet. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Sagen Sie doch mal was zum Mandat! Sie reden für die Bundesregierung!) Das waren die zehn Jahre, in denen die Sowjets Afghanistan überfallen und dann dort zehn Jahre Krieg geführt haben. In dem Pamphlet war nicht von „böser Tat“ die Rede. Ich kann zu meinem Vorredner nur sagen: Damals hätten Sie mal was von „Krieg beenden“ sagen sollen. Wenn einer immer die Augen zugemacht hat, wenn einer überhaupt nichts dazugelernt hat, dann sind Sie es. Vor dem Hintergrund Ihrer eigenen Propaganda müssten Sie sich eigentlich für das schämen, was Sie heute sagen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Zeigen Sie nicht mit dem Zeigefinger auf uns! Es zeigen vier Finger zurück!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsmission Resolute Support läuft insgesamt erfolgreich jetzt seit elf Monaten. Der Norden Afghanistans, für den Deutschland als Rahmennation besondere Verantwortung übernommen hat, gilt dabei als Vorbild multinationaler Kooperation im Einsatzland. Wir können und werden dabei Rückschläge nicht ignorieren. Richtig ist, dass sowohl in der politischen wie auch in der militärischen Führung in Afghanistan immer noch viele Probleme vorherrschen. Das haben vor allem die Ereignisse um die zeitweise Einnahme von Kunduz im September dieses Jahres gezeigt. Richtig ist aber auch, dass Afghanistan mehr ist als nur Kunduz. Die afghanischen Sicherheitskräfte haben unter schweren Bedingungen mit einer hohen Zahl eigener Opfer bewiesen, dass sie für ihr Land einstehen, dass sie die Sicherheitsverantwortung für ihr Land effektiv wahrnehmen wollen und dass sie es mit Anleitung auch können. Dies ist auch vor dem Hintergrund der Ereignisse in Kunduz keineswegs kleinzureden, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Resolute Support ist durch die NATO als Operation in drei Phasen angelegt gewesen und angelegt: erstens Präsenz in den Regionen, zweitens Rückführung auf Kabul und schließlich Rückverlegung. Die Übergänge in diese Phasen sollen lageabhängig vollzogen werden. Das war immer unsere Prämisse. Basierend auf einer Bewertung der Leistungsfähigkeit der afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte sowie der Sicherheitslage wurde deshalb vorgestern beim Treffen der NATO-Außenminister die formale Entscheidung gefällt, die Phase 1 bei Resolute Support weiter fortzusetzen. Die Vereinigten Staaten haben bereits entschieden, ihre Kräfte im Jahr 2016 auf dem gleichen Niveau in Afghanistan zu belassen. Dadurch und durch die vom Kollegen Hellmich zu Recht erwähnte Zusage unserer multinationalen Partner im Norden, für die wir dankbar sind, sind auch für uns die Voraussetzungen für die Fortführung der Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsmission gegeben. So wird die Bundeswehr im Rahmen von Resolute Support auch weiterhin vorrangig auf der ministeriellen und der nationalen institutionellen Ebene die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte befähigen helfen, ihrer Sicherheitsverantwortung nachzukommen. Unsere nationale Bewertung der Leistungsfähigkeit der afghanischen Kräfte im Norden hat ergeben, dass es in der Tat Optimierungsbedarf bei den Beratungsleistungen gibt und dass dieser auch personell im Mandat hinterlegt werden muss. Mit der Anhebung der Obergrenze auf 980 Soldatinnen und Soldaten können wir die erforderliche Feinjustierung umsetzen, unseren Verpflichtungen zur Gestellung von zusätzlichem Personal für die NATO – circa 40 Dienstposten für das NATO-Fernmeldebataillon – nachkommen und verfügen zudem über die notwendige Flexibilität, unseren Auftrag als Rahmennation erfolgreich umsetzen zu können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei allen Anpassungen ist dabei klar: Resolute Support ist und bleibt eine Non-Combat-Mission. Zum einen begleiten wir in der NATO diesen Prozess sehr eng und haben mit den USA einen Verbündeten, der dies ebenso wie wir auch für die Zukunft so sieht. Zum anderen haben wir immer auch die Möglichkeit, uns bei der Frage einer möglichen Anpassung des OPLANs einzubringen. In der NATO wird unser verstärktes Engagement sehr wohl dankbar zur Kenntnis genommen. Das zeigt uns: Wir sind auf dem richtigen Weg, Afghanistan auch in Zukunft nicht alleinzulassen. Mit dem verstärkten Engagement senden wir zugleich mehrere Signale. Wir senden das Signal an unsere afghanischen Partner, an die afghanische Bevölkerung, dass wir weiter eng an ihrer Seite stehen. Wir senden das Signal an die regierungsfeindlichen Kräfte, dass es für sie in Afghanistan auch in Zukunft militärisch nichts zu gewinnen geben wird. Wir senden schließlich auch ein Signal an die afghanische Regierung der nationalen Einheit, dass wir ein ebenfalls verstärktes Engagement bei Reformen, bei der Bekämpfung von Korruption und bei den Anstrengungen für einen Friedens- und Versöhnungsprozess erwarten. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich an dieser Stelle allen eingesetzten Soldaten, Polizisten, Diplomaten und Mitarbeitern des zivilen Wiederaufbaus ausdrücklich für ihren Einsatz danken. Das wird ja oftmals öffentlich nicht so deutlich, mit welchem Mix an Maßnahmen wir hier agieren. Es gibt gute Gründe, dass im Parlamentsbeteiligungsgesetz geregelt ist, dass das Parlament über den Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte entscheidet. Das heißt aber nicht, dass wir an anderer Stelle nicht tätig werden. Wir müssen nicht über jede diplomatische und jede entwicklungspolitische Maßnahme hier in diesem Parlament gesondert debattieren und abstimmen. Dass wir das bei militärischen Einsätzen tun, ist zwar richtig. Das darf aber nicht den Blick darauf verstellen, dass alles, was wir militärisch tun, immer eingebunden ist in diplomatische und entwicklungspolitische Anstrengungen, die wir gemeinsam mit vielen Menschen vor Ort unternehmen, die dankbar sind, dass gerade ihr ziviles Engagement auch durch die Bundeswehr militärisch abgesichert wird. Allen Männern und Frauen, die sich dort einsetzen, gilt unser Dank! (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Unser Ziel bleibt unverändert ein stabiles Afghanistan, das als zuverlässiger Partner in der Region den Friedens- und Versöhnungsprozess selbst aktiv vorantreibt; denn selbsttragende Sicherheit braucht Verständigung, Versöhnung und eine gute Regierungsführung. Das muss aus der Mitte der Afghanen selbst kommen und benötigt gleichzeitig einen langen Atem. Diesen müssen auch wir haben. Wir sind bereit, dabei weiterhin Unterstützung zu leisten. Das ist die Absicht der Bundesregierung. Dafür bitte ich Sie um Ihre Unterstützung. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Kollege Brauksiepe. – Das Wort zu einer Kurzintervention hat der von Dr. Brauksiepe angesprochene Wolfgang Gehrcke. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Brauksiepe, ich kann nachvollziehen, dass es Sie verwundert, dass hier im Parlament Leute sitzen, die vor ihrer Vergangenheit nicht weglaufen und sich ihrer Vergangenheit stellen. Ich brauche auch keine Weißwaschanlage einer anderen Partei. Ich habe so oft in diesem Parlament erklärt – aber Sie hören ja nie zu; Sie wollen auch nichts aufnehmen –, dass ich mit den gleichen schlechten Argumenten, die Sie jahrelang hier gebraucht haben, den sowjetischen Militär­einsatz in Afghanistan gerechtfertigt habe. Im Ergebnis war dieser Einsatz jedoch falsch und ist gescheitert. (Beifall bei der LINKEN) Gehen Sie doch einmal Ihren Argumenten nach! Davor drücken Sie sich. Sie glauben, dass ein Hinweis reicht, dass jemand einmal Kommunist gewesen ist oder von mir aus Kommunist ist. Man kann schlechte Argumente vorbringen. Man kann aber auch irgendwann einmal begreifen, dass die Argumente nicht stimmig waren und dass man die Politik, die man in der Vergangenheit falsch bewertet hat, anders bewerten muss. Das ist meine Position. Ich möchte nicht den gleichen Unsinn mit anderen Deutungen heute wiederholen, den ich damals zum sowjetischen Militäreinsatz in Afghanistan gesagt habe. Ich kann Ihnen ja einmal aus den Programmen vorlesen, die die Machthaber damals vorgelegt haben. Diese betreffen die Bildungspolitik und die Bodenreformen. Es waren auch sehr viele vernünftige Sachen enthalten. Eines ist aber klar: Man kann Textilien exportieren, man kann aber keine Revolution exportieren. Man konnte sie nicht nach Afghanistan exportieren, und man wird sie nicht in andere Teile dieser Welt exportieren können. Verstehen Sie doch endlich, dass man die eigene Politik auch einmal kritisch zu betrachten hat, wenn man etwas neu gestalten will. – Ich wollte es Ihnen nicht ersparen, sich das anzuhören. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Brauksiepe. Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung: Herr Kollege Gehrcke, es mag für Sie persönlich ein weiter Weg sein, jetzt deklarierterweise eine Position der Äquidistanz zur sowjetischen Invasion in Afghanistan und zu dem Einsatz der Völkergemeinschaft im Auftrag der Vereinten Nationen einzunehmen. Mit einer sachgerechten Beurteilung der Lage hat das aber nichts zu tun. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben niemals den Anspruch gehabt, eine Revolution zu exportieren. Das mag der Anspruch anderer gewesen sein. Wir sind auf der Grundlage des Mandats und im Auftrag der Völkergemeinschaft in Afghanistan aktiv, um dieses Land nach Jahrzehnten des Krieges und der Zerstörung wiederaufzubauen und die Afghanen mit militärischer Sicherheit in die Lage zu versetzen, dies selbst zu tun. Wir arbeiten mit am Aufbau dieses Landes. Wir wissen, dass dazu viele Maßnahmen gehören. Wir wissen, dass es am Ende ein Prozess sein muss, der sich auch selber trägt, mit einem Bündel von Maßnahmen. Das ist eben der Unterschied zu dem von Ihnen angesprochenen gescheiterten Revolutionsexport. Darum ist es uns nie gegangen. Das eine mit dem anderen gleichzusetzen, ist abwegig und spricht Hohn für all diejenigen, die sich für ein friedliches und prosperierendes Afghanistan einsetzen – und an deren Seite stehen wir, Herr Kollege Gehrcke. (Beifall bei der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Im Klartext: Sie lernen nichts dazu und haben nichts dazugelernt!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Nächster Redner in der Debatte: Dr. Frithjof Schmidt für Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind uns mit den Regierungsfraktionen einig, aber, wie ich glaube, auch mit der Linken, dass die zivile und entwicklungspolitische Unterstützung Afghanistans uneingeschränkt fortgesetzt werden muss. Hier stimmen wir in den politischen Zielen und Maßnahmen überein, und das ist gut. Ich glaube, das ist ein wichtiges Signal, das nach Afghanistan gesendet werden sollte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Vor einem Jahr hat meine Fraktion dem militärischen Mandat für Resolute Support mit großer Mehrheit nicht zugestimmt. Ich habe damals kritisiert, dass der Mandatstext gefährlich ungenau ist. Ich habe die Sorge formuliert, dass ein Abrutschen in einen erneuten, längerfristigen Einsatz droht mit der Verwicklung in Kämpfe ohne Exit-Strategie, also das, was man auf Englisch einen Slippery Slope nennt. Sie von den Regierungsfraktionen haben das weit von sich gewiesen. Und nun kommt es genau so. Deshalb verändern Sie jetzt das Mandat in zentralen Punkten. Sie haben beim Abzug von ISAF versprochen, dass diese Ausbildungsmission nach zwei Jahren, 2017, endet. Damit haben Sie für Akzeptanz geworben. Davon ist jetzt nicht mehr die Rede. Das Ende des Einsatzes wird bewusst offengelassen; etliche Jahre mehr stehen im Raum. Im alten Mandat gab es ausdrückliche Restriktionen für die Begleitung von afghanischen Verbänden in Einsätze. Diese haben Sie bei diesem Mandat herausgestrichen. Jetzt ist im Mandat ausdrücklich die Begleitung der zu beratenden afghanischen Einheiten durch deutsche Kräfte vorgesehen. Das ist eindeutig. Wenn afghanische Spezialkräfte ausgebildet oder beraten werden – das sieht das Mandat vor –, dann werden sie auch in ihren Einsatz begleitet. Das ist natürlich in der Regel ein Kampfeinsatz. Was denn sonst? Sie passen sich damit der erklärten Praxis der USA an, sich doch wieder direkt an der Aufstandsbekämpfung zu beteiligen. Dieser Einsatz – darüber sollte man hier nicht hinwegreden – verändert damit seinen Charakter. Wenn Sie das in das Mandat schreiben, dann sollten Sie hier auch dazu stehen und nicht wie Sie, Herr Brauksiepe, sagen: Das ist keine Combat Mission. – Das stimmt nicht mehr. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Resolute Support wird so immer mehr zu einer reduzierten Fortsetzung von ISAF, nur mit stärkerem Schwerpunkt auf der Aufstandsbekämpfung. Sie erhöhen die Zahl der eingesetzten Bundeswehrsoldaten von 850 auf 980. Teilweise werden damit finnische und dänische Soldaten ersetzt, die von ihren Ländern abgezogen werden, weil diese ihre Truppen reduzieren; teilweise soll die Zahl der Berater erhöht werden, die mit den ausgebildeten Spezialkräften in Einsätze ziehen. Erhoffen Sie sich davon ernsthaft einen wichtigen Beitrag zur militärischen Stabilisierung der Lage Afghanistans? Ich kann nicht glauben, dass Sie das glauben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Noch vor drei Jahren waren über 100 000 NATO-Soldaten im Land präsent. Insgesamt sind rund 350 000 afghanische Sicherheitskräfte ausgebildet und ausgerüstet worden. Die rund 12 000 verbliebenen Soldaten von RSM sollen jetzt schaffen, was ISAF in all dieser Zeit nicht geschafft hat? Liebe Kolleginnen und Kollegen, Afghanistan befindet sich in einer politischen Führungskrise. Präsident Ghani und Premier Adullah bekämpfen sich politisch. Sie können sich nach einem Jahr nicht auf einen Verteidigungsminister einigen. Afghanistans Armee ist nicht zu klein, sondern politisch führungslos. Das ist das zentrale Problem. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das lässt sich nicht militärisch lösen. Ja, in dieser Lage nehmen Einfluss und Stärke der Taliban in vielen Regionen weiter zu. Herr Jung hat vorhin einen Zwischenruf gemacht und gesagt, 80 Prozent von Afghanistan wären befriedet und stabil. Ich weiß nicht, woher Sie das haben. Ich kenne niemanden, der das glaubt. (Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Hundertprozentig!) So ist es nicht. Die Sicherheitslage verschlechtert sich, aber das ändern ein paar Hundert Ausbilder mehr ebenso wenig wie die Rückkehr zu Kampfeinsätzen durch die relativ kleine RSM-Truppe. Der Schlüssel bleibt die politische Lösung, und zwar sowohl innerhalb der afghanischen Regierung – das ist eine ganz wichtige Frage – als auch in Verhandlungen mit den Taliban. Wenn das nicht geschieht, wird es nichts ändern, ob Sie die Zahl der Soldaten ein bisschen rauf- oder runtersetzen oder die Zahl der Kampfeinsätze ein bisschen intensivieren. Es ist eine Fiktion, dass Sie damit einer Lösung auch nur einen einzigen Schritt näherkommen. Ich finde, das sollte man klar aussprechen und nicht der Bevölkerung Sand in die Augen streuen, man hätte hier eine praktische Lösung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich kann meiner Fraktion auch diesmal eine Zustimmung nicht empfehlen. Abschließend möchte ich die Bundesregierung auffordern, sich für eine unabhängige Untersuchung der tragischen Bombardierung des Krankenhauses von Ärzte ohne Grenzen in Kunduz einzusetzen. Machen Sie deutlich, dass Sie ein Interesse an der Aufklärung haben, selbst wenn dies mit unangenehmen Wahrheiten verbunden sein sollte! Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frithjof Schmidt. – Nächster Redner: Roderich Kiesewetter für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt das Mandat. Ich möchte bei Bündnis 90/Die Grünen an dieser Stelle ausdrücklich dafür werben. Herr Kollege Schmidt, Sie haben Äpfel mit Birnen verwechselt. Unser Mandat sieht Ausbildung, Beratung und Unterstützung vor und nicht den Kampf. Was Sie ansprechen, ist das gesonderte Sicherheitsabkommen, das die USA mit Afghanistan abgeschlossen haben. (Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nein!) Das sollten Sie durchaus unterscheiden; Ziffer 7 unseres Mandatstextes. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das, was vorhin von den Linken vorgetragen wurde, ist eine furchtbare Stellungnahme, die der Wirklichkeit nicht gerecht wird. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben im Jahr 2011 als Gastgeber auf dem Petersberg beschlossen, dass das Land Afghanistan bis 2024 auf das Niveau eines normalen Entwicklungslandes zu bringen ist. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sie haben das beschlossen!) Das sind noch neun Jahre. Es wird eine schwierige Geburt. Zu der Zeit, als wir dies beraten haben – viele Kollegen waren seinerzeit auf dem Petersberg dabei –, waren auch drei Kolleginnen des Kollegen Gehrcke dort, die sich nicht an den Beratungen beteiligt haben, sondern lautstark vor den Kameras Transparente entrollt haben. Lieber Kollege Gehrcke, ich wünschte mir, dass Ihre drei Kolleginnen wenigstens in Ansätzen die Ernsthaftigkeit ihrer Argumente einmal ventiliert hätten. Selbst das ist bei den Linken nicht erfolgt. (Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ich weiß gar nicht, wer das war!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir Afghanistan betrachten, ist es sicherlich für eine Bilanz bei weitem zu früh. Wenn wir Afghanistan mit unseren Maßstäben betrachten, müssen wir auch gewahr sein, dass ein Großteil der Welt nicht so ist, wie wir es uns wünschen. Dass viele Staaten in der Fragilität die Normalität erleben, bedeutet für uns, mitzuhelfen, mitzuwirken, dass diese Staaten sich trotzdem an diplomatischen Verhandlungen beteiligen und sich als verlässliche Nachbarn erweisen. Ich möchte hier Beispiele nennen: Ghana, Burundi, Bangladesch. All diese Staaten beteiligen sich in ihrer Nachbarschaft an Stabilisierungen. Wir müssen versuchen, dass Afghanistan auf dieses Niveau kommt. Afghanistan hat dazu noch einige Jahre Zeit und bedarf unserer Unterstützung. Herr Kollege Schmidt, gerade die Anpassung des Mandats innerhalb eines Jahres zeigt doch, dass die internationale Gemeinschaft nicht stur einen Plan abarbeitet, sondern auf Herausforderungen reagiert. Deshalb ist es so wichtig, dass wir das Mandat angepasst haben. Deshalb stehen die Union und die Koalition hinter dem Mandat. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir müssen aber auch Erfolgsbedingungen beschreiben. Dazu gehört zunächst einmal eine grundsätzliche Stabilität innerhalb Afghanistans. Dazu brauchen wir eine legitime Regierung, so wie sie in Afghanistan nach langem Ringen gefunden worden ist. Dazu brauchen wir grundsätzlich eine Art soziale Sicherheit, so wie sie in Afghanistan in weiten Teilen des Landes gegeben ist. Wir brauchen aber auch die Bereitschaft, innerhalb Afghanistans Verantwortung für die Regionen zu übernehmen. Deshalb brauchen wir die Beratungsmission. Zweitens. Aus unserer Sicht ist es auch ganz entscheidend, dass sich Afghanistan nicht an den Rivalitäten in der Nachbarschaft beteiligt, sondern begonnen hat, di­plo­matisch ausgleichend zu wirken. Wir haben Rivalitäten zwischen Iran und Pakistan, zwischen Indien und Pakistan. Afghanistan geht einen diplomatischen Weg, und darin müssen wir Afghanistan unterstützen. Drittens muss uns sehr daran gelegen sein, dass sich USA, Russland und China als Vetomächte im Weltsicherheitsrat bei aller Konkurrenz wenigstens auf eines fokussieren: Der internationale Terrorismus darf in Afghanistan keine Zukunft haben. Viertens. Die letzte sinnvolle Erfolgsbedingung ist, dass die afghanische Regierung nachhaltig Stabilität gewährleistet. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kiesewetter, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung vom Kollegen Ströbele? Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Ich wundere mich, dass er nicht im NSA-Untersuchungsausschuss ist. Vizepräsidentin Claudia Roth: Er will Ihnen zuhören. Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Wenn er hier mehr zu Wort kommen kann, gerne. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE] Sind Sie jetzt der Sittenwächter, oder was?) – Nein, ich wundere mich nur. Vizepräsidentin Claudia Roth: Bitte schön. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das war eine zutreffende Bemerkung: Ich wundere mich auch, – Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]: Dass Sie nicht im NSA-Untersuchungsausschuss sind? Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): – dass ich wegen der von der Union durchgesetzten Regelung zur Redezeit für die kleineren Fraktionen dort tatsächlich viel zu wenig zu Wort komme. Aber das kann man vielleicht an anderer Stelle noch einmal diskutieren. Vielleicht wird sich der Ältestenrat damit beschäftigen. Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]: Ihre Frage, bitte! Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Kiesewetter, ich spreche Sie als Soldaten an. Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]: Bin ich nicht mehr! Ich bin außer Dienst. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, das weiß ich. – Ich kenne auch andere Soldaten, frühere Oberbefehlshaber, Herrn Kujat zum Beispiel, die, nachdem sie aus dem Militärdienst ausgeschieden sind, eine sehr kritische Haltung zu dem äußern, was in Afghanistan passiert und was dort möglich ist. Ich vermisse jetzt bei Ihnen, dass Sie als Militär auch einmal darauf eingehen: Wie stellen Sie sich denn militärisch die Zukunft in Afghanistan vor? In den letzten Jahren ist die Zahl der Opfer in Afghanistan immer größer geworden – die Zahl der zivilen Opfer, aber auch die Zahl der Opfer in der Armee und in der afghanischen Polizei. In den letzten Jahren ist es in Afghanistan immer unsicherer geworden. Wie lange soll der Bundeswehreinsatz nach Ihrer Meinung jetzt noch dauern? Man muss als Soldat ja auch ans Ende denken. Wann kann das zu Ende gehen? Geht es noch 2 Jahre, noch 14 Jahre oder noch 28 Jahre weiter? Wie lange soll es noch weitergehen? Dazu erbitte ich von Ihnen eine Äußerung. Sagen Sie mir bitte auch: Warum wird eigentlich in Afghanistan gekämpft? Wir haben in Afghanistan keine al-Qaida mehr. Ihr galt ursprünglich der Krieg. Wir haben dort Taliban. Die Taliban haben noch nie Deutsche, Europäer oder US-Amerikaner außerhalb ihres Landes in irgendeiner Weise bedroht. Warum wird der Krieg trotzdem noch geführt? Wenn Sie sich so für den Kampf gegen den internationalen Terrorismus einsetzen, müssen Sie auch zur Kenntnis nehmen, dass der internationale Terrorismus in Gestalt des IS in Afghanistan immer stärker wird und eher die Gefahr besteht, dass der IS eine deutliche Alternative zu den Taliban in Afghanistan wird. Wie können Sie unter diesen Voraussetzungen den Krieg fortsetzen? Vizepräsidentin Claudia Roth: Jetzt erhält Herr Kiesewetter das Wort zu einer kurzen Antwort auf eine lange Frage. Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Nein, ich werde mir schon Zeit nehmen. Die haben wir ja auch. Vizepräsidentin Claudia Roth: Schaun mer mal! Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Lieber Herr Kollege Ströbele, zunächst einmal: Ich hätte mir gewünscht, dass die vielen Generäle, die sich, zehn Jahre nachdem sie in den Ruhestand versetzt wurden, öffentlich äußern, das während ihrer aktiven Dienstzeit gemacht hätten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) So viel Zivilcourage gehört dazu. Zweitens. Ich maße mir nicht an, militärische Vorgänge im Nachhinein zu bewerten. Ich habe mich als alter Oberstleutnant, kurz bevor ich zum Oberst befördert wurde, sehr stark dafür eingesetzt, dass wir in Afghanistan geschützte Fahrzeuge bekommen. Seinerzeit haben viele Offiziere mit ihrer praktischen Erfahrung sehr viel dazu beigetragen, dass die politische Führung des Verteidigungsministeriums sich für geschützte Fahrzeuge in Afghanistan einsetzt. Dann gab es einen parlamentarischen Prozess, und das Parlament hat dem zugestimmt. So stelle ich mir eine gute Zusammenarbeit vor. Über andere Dinge möchte ich hier nicht mutmaßen. Allerdings möchte ich zu unserem Einsatz sagen: Wir sind uns, glaube ich, einig, dass die Herbeiführung einer Lösung in Afghanistan militärisch nur unterstützt werden kann. Die Gesamtlösung muss tatsächlich in einem Aufbauprojekt unter politischer Begleitung erfolgen. Genau den Fehler, den wir anfangs in Afghanistan gemacht haben, nämlich der Öffentlichkeit zu suggerieren, dass wir Teil eines friedlichen Wiederaufbaus sind, nur weil wir im ruhigen Norden waren, wiederholen wir nicht bei der Terrorbekämpfung in Syrien und im Irak und bei der Stabilisierung des Libanon und Jordaniens, die auf uns zukommen wird, Herr Kollege Ströbele. Deshalb möchte ich auch Sie auffordern, anzuerkennen, dass Militär nur ein Teilinstrument, aber notwendig ist, und dass wir gemeinsam an einer übergeordneten Strategie arbeiten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich abschließend denjenigen danken, die mehr als zehn Jahre für eine grundsätzliche Herbeiführung von Stabilität gekämpft und vielfach mit Leben und Gesundheit dafür bezahlt haben: unseren Soldatinnen und Soldaten. Es ist auch unseren Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan zu verdanken, dass der Terror in bestimmten Regionen massiv eingedämmt wurde (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo denn?) und dass die Situation in Teilen Nordafghanistans und auch in anderen Bereichen inzwischen vergleichbar ist mit Neapel bei Tag. Wir müssen uns darauf einstellen, dass der Einsatz – das bezieht sich noch einmal auf die Frage des Kollegen Ströbele – noch viele Jahre dauern wird. Es wäre ein schlechtes Zeichen, wenn wir das nicht offen ansprechen. Es ist Aufgabe dieses Parlaments, jährlich über den Einsatz zu beraten und ihn zu bewilligen. Aber wir alle sollten uns bewusst sein, dass manches mehrere Legislaturperioden überdauert. Wir werden morgen Gelegenheit haben, über diese Thematik mit Blick auf Syrien und Irak noch ausführlich zu beraten. Die Union jedenfalls steht hinter dem Einsatz. Wir hoffen, dass die zivilen und auch die sozialen Kräfte in Afghanistan gestärkt werden, weil Militär für Sicherheit sorgt. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Kiesewetter. – Die nächste Rednerin: Gabi Weber für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gabi Weber (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! „Lasst uns jetzt nicht allein!“, so oder so ähnlich lautet der eindringliche Appell gerade vieler junger Menschen in Afghanistan, die in ihrem Land bleiben und sich in ihrem Land für eine gute Entwicklung einsetzen. Die erste Post-Taliban-Generation kommt mittlerweile aus den Schulen und Universitäten. In dem von der Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützten Projekt Young Leaders Forum wurden seit 2004, also seit elf Jahren, circa 280 junge Menschen begleitet, die heute in Afghanistan an verantwortlichen Positionen arbeiten bzw. verantwortliche Menschen beraten. Diese Menschen appellieren an uns, sie nicht alleine zu lassen, und wir müssen ihnen unsere Unterstützung weiterhin anbieten und zukommen lassen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ohne durch die von der Resolute Support Mission unterstützten Rahmenbedingungen können sich die progressiven Kräfte der Gesellschaft in Afghanistan nur sehr schwer durchsetzen. Auch deshalb steigern wir die Zahl der einsetzbaren Soldatinnen und Soldaten von 850 auf bis zu 980. Entwicklung braucht Sicherheit! Ich bin dem Kollegen Kiesewetter sehr dankbar für seinen Hinweis, dass es nicht einfach darum geht, einen Plan abzuarbeiten, sondern dass es darum geht, zu analysieren, wo Veränderungen notwendig sind, und genau an dieser Stelle ziehen wir die richtigen Konsequenzen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Pessimisten sind immer schnell zur Stelle, wenn es um Afghanistan geht; (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Echt?) das hören wir von der linken Seite des Raumes immer wieder. Aber ist Afghanistan wirklich ein Fass ohne Boden? (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Nein! Wenn wir überlegen, von welcher Basis aus Afghanistan vor über 35 Jahren gestartet ist, dann können wir heute konstatieren, dass es eine enorme Entwicklung gegeben hat. Man muss nur überlegen, von welcher Basis aus man etwas betrachtet. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ein Beispiel. Die Nutzung sozialer Medien in Afghanistan steigt spürbar. Für uns ist das etwas völlig Normales; wir ärgern uns manchmal darüber. Für Afghanistan heißt das, dass es junge Menschen gibt, die in der Lage sind, die Medien zu handhaben, und diese kann ich nur handhaben, wenn Bildung voranschreitet. Wenn ich eine Gesellschaft haben will, in der lebendiger Diskurs und Meinungsvielfalt vorhanden sind, dann muss ich weiter in die Bildung investieren. Auch das ist ein Grund, warum wir in Afghanistan bleiben müssen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir sind jetzt im Jahr eins nach dem Ende des ISAF-Einsatzes. Alle haben gewusst, dass dieses Jahr, in dem die afghanischen Sicherheitskräfte die Verantwortung für ihr Land selbst in die Hand genommen haben, ein äußerst schwieriges Jahr werden wird. Mit welchen Schwierigkeiten sie zu kämpfen haben, sehen wir an den Opferzahlen, auch an den Opfern unter den afghanischen Sicherheitskräften. Wöchentlich haben Polizei und Militär viele Verwundete zu beklagen. Das zeigt, woran es hapert. Es muss eine wesentlich engere Verzahnung der Arbeit von Zentralregierung, regional Verantwortlichen, Lokalregierungen und Sicherheitskräften geben. Da besteht ein Riesenmanko. An dieser Stelle ist dringend zu arbeiten. Die Wahlrechtsreform ist ein weiterer Punkt. Sie kommt sehr schleppend voran. Die elektronischen Personalausweise sind noch nicht eingeführt. Hier steht Herr Ghani, der Präsident Afghanistans, der zurzeit im „Adlon“ ist, in der Verantwortung. Er hat reibungslose Wahlen als Ziel ausgerufen. An dieser Stelle muss er natürlich liefern. Ich denke, da muss unser politischer Druck noch stärker werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Was im Zusammenhang mit Afghanistan ganz wichtig ist, ist die regionale Einbindung. Es muss unbedingt regionale Konferenzen von Afghanistan und seinen Nachbarn geben. Insbesondere der Iran und Pakistan müssen einbezogen werden. Der Ausgleich zwischen Pakistan und Afghanistan ist absolut notwendig, wenn sich Pakistan, ein stillschweigender Unterstützer der Taliban, bewegen soll. Dies ist ein weites Feld für die Diplomatie, auf dem gearbeitet werden muss. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt kommt der entwicklungspolitische Teil meiner Rede – den werde ich Ihnen nicht ersparen –: Zusammengerechnet werden wir nächstes Jahr 580 Millionen Euro in Afghanistan investieren. Ein großer Teil davon wird für die Regierungsführung sein, für die Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung, für die Trinkwasserversorgung und die Abwasserentsorgung. Aber auch die Sicherung der Rechtsstaatlichkeit, zum Beispiel durch Unterstützung bei der Durchführung von Wahlen, ist für uns ein wichtiger Punkt. Mit der Entscheidung, das deutsche Engagement fortzusetzen, senden wir das deutliche Signal an die afghanische Bevölkerung und ihre Regierung, dass Deutschland Afghanistan nicht im Stich lässt. Der Satz aus Afrika, der von den Taliban genutzt wird: „Die internationale Gemeinschaft hat die Uhr, aber wir haben die Zeit“, darf nicht Wirklichkeit werden. Dieses Kalkül müssen wir durchkreuzen. Auch deshalb ist unser Einsatz in Afghanistan weiterhin wichtig und richtig. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollegin Weber. – Letzter Redner in dieser Debatte: Dr. Reinhard Brandl für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Für kaum ein anderes Land auf der Welt hat Deutschland so viel Verantwortung übernommen wie für Afghanistan. Wir reden heute über einen Einsatz der Bundeswehr. Gerade eben war ich auf der Webseite des BMZ. Man kann dort über die Projektdatenbank abfragen, wo und wie wir uns weltweit engagieren. Im Moment laufen in Afghanistan 101 Projekte mit einem Volumen von 1,1 Milliarden Euro. Ich betone das, weil wir den Eindruck haben, dass in manchen öffentlichen Debatten unser Engagement in Afghanistan einzig und allein an der Anzahl der Soldatinnen und Soldaten gemessen wird. Der Schwerpunkt unseres Engagements in Afghanistan – das ist die eigentliche Herausforderung – liegt im zivilen Bereich. Wir haben gerade schon einige Beispiele gehört. Die Aussöhnung mit den Taliban, die guten nachbarschaftlichen Beziehungen mit Pakistan – auf der Konferenz von Paris gab es in den letzten Tagen Annäherungen –, Fragen der guten Regierungsführung, der Kampf gegen die Korruption, die Beschäftigungspolitik, die Wirtschaftspolitik, der Aufbau von Infrastruktur, Energie, Wasser, Bildung – das sind die Themen, bei denen Afghanistan vorankommen muss. Der Kollege Kiesewetter hat dargestellt, wie lang der Weg Afghanistans ist, bis es das Niveau eines – in Anführungszeichen – „normalen“ Entwicklungslandes erreicht. Der ISAF-Einsatz von 2001 bis 2014 hat die Grundlage dafür gelegt, dass diese 101 Projekte heute laufen können. 2001 gab es dort null Projekte. Unser Engagement dort war quasi nicht vorhanden. Das Land war auf dem Weg ins Mittelalter. Diesen Weg haben wir gestoppt. Auch wenn es nur kleine Fortschritte sind, können wir stolz auf das sein, was wir in den letzten Jahren in Afghanistan erreicht haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir reden im Moment auch mit Blick auf Afghanistan viel über die Bekämpfung von Fluchtursachen. Dafür sind zwei Dinge wichtig: Erstens müssen die Menschen eine wirtschaftliche Perspektive in ihrem Land haben, und zweitens müssen sie in Sicherheit leben können. Genau an diesen Punkten arbeiten wir in Afghanistan mit schwankendem Erfolg. Dass die Afghanen heute die Sicherheitsverantwortung in ihrem Land haben und selbst wahrnehmen, ist natürlich ein Erfolg. Der Resolute Support beschränkt sich nur noch auf die Beratung und Unterstützung höherer Führungsebenen. Die Afghanen und die afghanischen Sicherheitskräfte haben gezeigt, dass sie grundsätzlich in der Lage wären, diese Verantwortung wahrzunehmen. Leider sind sie an manchen Stellen auch krachend gescheitert. Die Nachrichten aus Kunduz waren natürlich für viele von uns, die sich seit langem mit diesem Land, mit diesem Einsatz beschäftigen, ein Stich ins Herz. Auch den Anstieg der Anzahl der zivilen Opfer haben wir uns natürlich nicht so gewünscht; das haben wir uns nicht so vorgestellt. Aber es wäre die falsche Antwort, jetzt angesichts dieser Lage zu resignieren und zu sagen: Mein Gott, es hat halt nicht funktioniert, wir lassen das Land im Stich. – Wir müssen eine gegenteilige Antwort geben. Ich bin froh, dass die USA angesichts dieser Rückschläge entschieden haben, länger in Afghanistan und auch mit einer größeren Personalstärke zu bleiben, weil sie damit die Grundlage dafür legen und die Infrastruktur dafür stellen, dass auch wir unser Engagement fortführen können. Wir weiten unsere Mandatsobergrenze jetzt leicht von 850 auf 980 aus. Natürlich ändert das nichts. Es ist eine kleine Anzahl von Soldaten. Aber es hat natürlich eine hohe symbolische Wirkung. Die Wirkung ist, dass wir dem afghanischen Volk demonstrieren, dass wir nicht auf einem automatischen unumkehrbaren Abbau­pfad sind, der irgendwann bei null ankommt, sondern dass wir unser Engagement der Lage anpassen. Ich finde dieses Signal wichtig. Das zweite Signal, das wir in diesen Tagen genauso gut senden müssen, ist, dass wir der afghanischen Regierung sagen: Für diese Leistung, für dieses Entgegenkommen der internationalen Koalition erwarten wir im Gegenzug, dass sie ihren Verpflichtungen, die sie in den letzten Wochen, Monaten und Jahren der internationalen Gemeinschaft immer wieder zugesagt hat, zum Beispiel bei der Frage der Regierungsführung, zum Beispiel im Umgang innerhalb des Landes mit der Koalition, nachkommt. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, heute ist ein guter Tag, die beiden Signale zu senden, zum einen hier im Parlament mit der Verlängerung des Mandates und zum anderen in den Gesprächen, die Präsident Ghani im Moment in Berlin führt. Nutzen wir diesen Tag, um Signale zu senden. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Signale und Symbole!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Brandl. – Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/6743 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie sind damit einverstanden? – Dann ist die Überweisung so beschlossen. Es geht beim nächsten Tagesordnungspunkt eigentlich auch um Afghanistan, es könnte also auch die Vorredner interessieren. Ansonsten bitte ich, den Platzwechsel zügig vorzunehmen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Luise Amtsberg, Omid Nouripour, Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schutz für Flüchtlinge aus Afghanistan Drucksache 18/6774 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und ­Entwicklung b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dağdelen, Frank Tempel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Abschiebestopp und Schutz für Flüchtlinge aus Afghanistan Drucksache 18/6869 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und ­Entwicklung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Luise Amtsberg für Bündnis 90/Die Grünen. Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist tatsächlich ein Zufall, dass wir diese Debatte direkt im Anschluss an den vorherigen Tagesordnungspunkt, bei dem es um ein ähnliches Thema ging, führen. Ich finde, das ist sehr günstig – auch wenn es nicht so geplant war –, weil das wieder einmal verdeutlicht, wie sehr Innenpolitik und Außenpolitik miteinander verknüpft sind. Ich kann einleitend schon festhalten, dass das Bundesinnenministerium die nötige Weitsicht scheinbar nicht hat und zu einem Blick über den Tellerrand wohl nicht in der Lage ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Antrag zum Schutz afghanischer Flüchtlinge ist eine Reaktion auf den Plan des Innenministers, Afghanen wieder verstärkt abzuschieben und die Entscheidungspraxis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge für afghanische Asylsuchende entsprechend anzupassen. Damit es allen klar ist: Die Gruppe afghanischer Schutz­suchender ist die zweitgrößte in Deutschland. Bislang wurden zwangsweise Rückführungen nach Afghanistan zum Glück nur in Einzelfällen durchgeführt. Aber der Wind hat sich gedreht. Das können am besten unsere Kolleginnen und Kollegen im Bayerischen Landtag berichten. Dort hat der Petitionsausschuss mehrheitlich, also auch mit den Stimmen von Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktion, für einen sicheren Aufenthalt von afghanischen Jugendlichen votiert. Dies wurde vom Innenministerium abgelehnt, weil es in Afghanistan angeblich sichere Landesteile gebe, (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Hört! Hört!) in die diese Jugendlichen zurückkehren könnten. Ein weiteres Beispiel ist das eines afghanischen Flüchtlings, der gerade im Flughafenverfahren in Frankfurt steckt. Sein Antrag wurde als offensichtlich unbegründet – offensichtlich unbegründet! – abgelehnt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist mit der außenpolitischen Realität in keinem Fall zu vereinbaren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) „Offensichtlich unbegründet“? „Sichere Landesteile“? Liebe Kolleginnen und Kollegen, Masar-i-Scharif, die Hauptstadt der Provinz Balkh, ist laut Bundesregierung sicher, so sicher, dass die deutschen Kräfte der GIZ in den letzten Wochen wegen der Sicherheitslage abgezogen wurden und sich afghanische Ortskräfte wegen der Bedrohung durch die Taliban kaum noch aus dem Haus trauen. Die Lage der Paschtunen in der Provinz Balkh ist dramatisch. Dort, aber auch in Bamiyan sind Paschtunen nicht willkommen. In Kabul führt die prekäre Sicherheitslage zu einer massiven Einschränkung der Bewegungsfreiheit der dort lebenden Menschen. Das sieht im Übrigen auch das Auswärtige Amt so. Diese Provinzen sind nicht sicher, und sie bieten auch keine inländische Fluchtalternative, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Etwas anderes zu behaupten, ist völliger Unsinn. Es lässt auch außer Acht, dass man sichere Regionen erst einmal erreichen muss, sofern es sie denn überhaupt gibt. Das gilt besonders für die Menschen, die wir dorthin zurückschicken. UNAMA berichtet, dass der Konflikt in diesem Jahr mehr Opfer unter der Zivilbevölkerung gefordert hat als in den Vorjahren. Allein zwischen Januar und Juni dieses Jahres sollen 1 600 Zivilisten getötet und über 3 300 weitere verletzt worden sein. Inzwischen gibt es mehr Opfer durch Kampfhandlungen am Boden als durch Attentate oder Sprengsätze. Die Zahl der Binnenvertriebenen stieg weiter, auf 945 000 Menschen bis Mitte 2015; das ist ein Anstieg von 43 Prozent. Den Grund hierfür sieht ­UNAMA in den Bodenkämpfen zwischen regierungstreuen und regierungsfeindlichen Gruppen in unmittelbarer Nähe von Zivilisten. Uns allen muss klar sein: Die Konfliktparteien sind nicht in der Lage, die Zivilbevölkerung zu schützen. Die Provinz Kunduz, ehemals Standort der Bundeswehr in Afghanistan, ist die wichtigste Region für Landwirtschaft in Afghanistan. Nachdem die Provinzhauptstadt im September kurzzeitig von Taliban eingenommen wurde, ist die Situation dort auch nach der Rückeroberung durch die afghanische Armee kritisch. Es wird berichtet, dass die Felder von den Taliban vermint wurden. Den Bauern, die nun zu ihren Feldern zurückkehren wollen, droht der Verlust ihrer gesamten Existenzgrundlage. Auch die Lebensmittelversorgung im gesamten Land hat sich dadurch noch weiter verschlechtert. Durch steigende Nahrungsmittelpreise ist die Ernährungssicherheit für viele Afghanen bedroht. Ich kann nur sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wenn die Kanzlerin vor diesem Hintergrund gestern in der gemeinsamen Pressekonferenz mit dem afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani gesagt hat, dass Schutzsuchende vermehrt aus wirtschaftlichen Gründen kommen, dann wird das der menschenrechtlichen Realität vor Ort überhaupt nicht gerecht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Die Menschen – auch solche, die noch einen Job in Afghanistan haben – sind aufgrund der persönlichen Bedrohungen so verunsichert, dass sie Schutz in Deutschland und Europa suchen. Diese Flüchtlinge als vermeintliche Wirtschaftsflüchtlinge zu brandmarken, ist einfach nicht in Ordnung und zynisch. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich frage Sie ernsthaft: Wollen Sie es sich wirklich zum politischen Auftrag machen, Menschen in großem Stil zwangsweise dorthin zurückzuführen? Ich finde, all das, was ich gerade gesagt habe, ist Argument genug – Stichwort: Sicherheitslage – für ein maßvolles und umsichtiges Vorgehen bei der Bearbeitung von Asylanträgen afghanischer Schutzsuchender. Die Gesamtschutzquote für das Herkunftsland Afghanistan lag im dritten Quartal dieses Jahres bei 86,1 Prozent. Es kann also wirklich nicht die Rede von unberechtigten Asylanträgen sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, von den geplanten Abschiebungen könnten 7 000 afghanische Schutzsuchende betroffen sein. Viele von ihnen sind in Deutschland seit längerem nur geduldet. Die Rechtsprechungspraxis hält insbesondere Abschiebungen von alleinstehenden jungen Männern für möglich, mit dem Tenor, diese hätten in Kabul die Möglichkeit, wieder Fuß zu fassen. Das Resultat ist – das wissen Sie alle hier, und jeder von uns hat wahrscheinlich durch Gespräche auch einen persönlichen Bezug zu Flüchtlingen in Deutschland –, dass junge Afghanen seit vielen Jahren quasi ein Schattendasein in Deutschland fristen – ausgeschlossen von Deutschkursen und mit der ewigen Angst vor Abschiebung. Das ist integrationspolitisch kurzsichtig, mittlerweile aber auch menschenrechtlich nicht mehr zu vertreten. Meine Fraktion fordert angesichts der Sicherheitslage in Afghanistan einen Abschiebestopp für afghanische Staatsangehörige sowie das Einvernehmen des Bundesministeriums des Innern für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes. Außerdem fordern wir, dass das Bundesamt keine Asyl- und Flüchtlingsanerkennungen und keinen subsidiären Schutz mit dem Hinweis auf eine angeblich positiv veränderte Lage oder irgendwelche sicheren Fluchtalternativen widerruft. Die Gründe dafür habe ich vorgetragen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dieses Vorhaben, afghanische Geflüchtete nun vermehrt gezielt zurückzuführen, passt nicht zur außenpolitischen Situation. Das ist auch aus der vorhergehenden Debatte deutlich geworden. Es ist und bleibt doppelbödig – dazu müssen Sie sich hier verhalten –, sein militärisches Engagement in Afghanistan auf der einen Seite auszubauen und auf der anderen Seite Flüchtlinge dahin zurückzuschicken, weil es dort angeblich so sicher ist. Ich hoffe wirklich, dass Sie dieser Argumentation eine Minute ihre Aufmerksamkeit schenken und dass Sie sich ihr öffnen, sodass wir das im Ausschuss ergebnisoffen beraten. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Luise Amtsberg. – Nächste Rednerin in der Debatte: Nina Warken für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Nina Warken (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen hier heute über zwei Anträge von Linken und Grünen, die die Lage in Afghanistan, die Situation von Flüchtlingen aus Afghanistan und die Überlegungen und Vorschläge der Koalition hierzu zum Inhalt haben. Ich denke, es ist passend, dass wir das gerade heute tun können, nachdem die Kanzlerin gestern den afghanischen Staatspräsidenten zu Gast hatte. Dies gibt mir auch die Gelegenheit, die Vorschläge der Koalition zu den aufgeworfenen Fragen darzustellen, und das ist gut so; denn ich glaube, wir befinden uns derzeit noch immer – das sieht man, wenn man in die Kommunen blickt – in einer Art Notfallsituation bzw. im Notfallmodus. Vielerorts kann die Unterbringung nur in provisorischen Unterkünften, wie Turnhallen, erfolgen, und die Versorgung findet durch Ehrenamtliche statt. Nach wie vor kommen trotz des Wintereinbruchs täglich Tausende Menschen zu uns nach Deutschland. Laut der EASY-Statistik sind in diesem Jahr schon über 129 000 Asylsuchende aus Afghanistan zu uns eingereist. Afghanistan steht somit an zweiter Stelle. Es ist daher wichtig, dass man über Lösungsansätze für einzelne Personengruppen, die zu uns kommen, nachdenkt und dass Maßnahmen ergriffen werden. Das haben die Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD in den Beschlüssen vom 5. November 2015 getan, und das tun auch wir als Koalition. Ein wichtiger Schritt ist, dass in jedem Einzelfall genau geprüft werden muss, wer schutzbedürftig ist und wer nicht – auch wenn jemand aus Afghanistan oder Syrien kommt. Nur das ist angesichts der aktuellen Lage gerecht und vermittelbar. (Beifall bei der CDU/CSU) Genau das, was die Kollegin Amtsberg gesagt hat, nämlich im Einzelfall maßvoll und umsichtig zu prüfen, wollen wir tun. Verbunden damit müssen dann auch Rückführungen sein, wenn sie im Einzelfall angezeigt und vertretbar sind. Von pauschalen Abschiebungen spricht niemand. Forderungen nach einem pauschalen Abschiebestopp und einer pauschalen Anerkennung von Asylbewerbern aus Afghanistan sind weder gerecht noch vermittelbar. Dennoch verstehe ich die Intention Ihrer Anträge. Weite Teile Ihrer Fraktionen lehnen Abschiebungen generell und grundsätzlich ab. Es fehlt Ihnen die Einsicht, dass Abschiebungen notwendig sind, um Entscheidungen im Asylverfahren auch durchzusetzen und ein faires und vermittelbares Asylsystem zu erhalten. Es muss ja schließlich einen Unterschied machen, ob jemand bleiben darf oder nicht. (Beifall bei der CDU/CSU) Ihre Parteikollegen, die in den Kommunen und in den Ländern politische Verantwortung tragen, wissen das. Es verwundert daher nicht, dass sie aus dieser grundsätzlichen Ablehnung heraus auch die Dinge bezüglich der Situation der Migranten aus Afghanistan teilweise einseitig darstellen. So wird pauschal von einer prekären Sicherheitslage gesprochen, weshalb niemand nach Afghanistan abgeschoben werden könne. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich doch gerade ausgeführt!) Das trifft keineswegs zu. Vielmehr ist es so, dass die Sicherheitslage in Afghanistan von Region zu Region sehr unterschiedlich ist. Es ist unbestreitbar: In bestimmten Gebieten – das haben wir eben auch gehört – ist die Lage sehr gefährlich. Afghanistan hat in vielen Bereichen Probleme. Aber wie das Auswärtige Amt schon mehrmals betont hat, gibt es auch Gebiete, in denen die Situation anders, besser ist, nämlich dort, wo unterschiedliche Volksgruppen wie Paschtunen, Usbeken oder andere weitestgehend unter sich bleiben. Es kommt stets auf den Einzelfall an, ob eine Rückführung in eine sichere Region möglich ist. Das und nichts anderes soll angesichts der steigenden Zahlen von Asylbewerbern aus Afghanistan künftig genauer geprüft werden. (Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: Das ist auch gut so!) Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine weitere Tatsache sollten wir in der heutigen Debatte nicht ausblenden. Deutschland und andere Länder unterstützen Afghanistan bei der Bewältigung der vorhandenen Probleme massiv. Allein Deutschland stellt dafür jedes Jahr Hunderte Millionen Euro als Entwicklungshilfe zur Verfügung und unterstützt die afghanischen Streitkräfte. Für 2016 sind das 250 Millionen Euro Entwicklungshilfe. Weitere 180 Millionen Euro kommen für den zivilen Wiederaufbau und 150 Millionen Euro für die nationalen Sicherheitskräfte hinzu. Die Unterstützungsmission der Bundeswehr, wodurch vor Ort die Sicherheitskräfte ausgebildet werden, wurde auf 980 Soldaten erhöht. Auch darüber haben wir eben gesprochen. Insgesamt ist das ein deutliches Signal an die afghanische Regierung und an die afghanische Bevölkerung. Wir lassen Afghanistan jetzt und auch in Zukunft nicht im Stich, weder in der Übergangsphase noch beim Wiederaufbau. Wir lassen Afghanistan nicht allein. Im Gegenzug – da pflichte ich dem Bundesinnenminister vollkommen bei – können wir erwarten, dass die Afghanen selbst und vor allem die Jugend am Wiederaufbau des Landes mitwirken. Wie wichtig das ist, zeigt eine Kampagne einer Gruppe junger Afghanen mit dem Namen „Afghanistan needs you“. Die Initiatoren sagen selbst: Es kann nicht sein, dass der Wegzug der Jungen das Land in die Krise stürzt. Die letzten 15 Jahre dürfen nicht umsonst gewesen sein. Es trifft sehr wohl zu, auch wenn die Opposition das immer wieder bestreitet: Seitdem es den massiven Zustrom von Flüchtlingen nach Deutschland gibt und in den Medien pausenlos darüber berichtet wird, machen sich immer mehr Menschen aus Afghanistan auf den Weg, darunter auch viele, die nicht gefährdet sind, die der Mittelschicht angehören und für den Wiederaufbau dringend gebraucht werden. Wie die Bundeskanzlerin und auch der afghanische Präsident gestern gemeinsam betont haben, müssen wir gegen diesen Trend der illegalen Migration vorgehen. Deutschland wird seiner humanitären Verantwortung gerecht. Selbstverständlich helfen wir Afghanen, die für die Bundeswehr oder andere deutsche Einrichtungen gearbeitet haben und deswegen nun in Gefahr sind. Diejenigen jedoch, die allein aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kommen, müssen wir nach Afghanistan zurückschicken. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einen weiteren Punkt ansprechen. Unsere Aufgabe ist es doch auch, die Menschen, die sich zu uns auf den Weg machen, über alle Folgen der Flucht aufzuklären. Das hat nichts mit Abschreckung zu tun, sondern ist ehrlicher und menschlicher, als falsche Hoffnungen zu wecken. (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass ein Grund für die gestiegenen Zahlen von Asylbewerbern aus Afghanistan falsche Gerüchte und Lügen über die Flucht nach Deutschland sind. Schleuser streuen insbesondere in den sozialen Medien gezielt Falschinformationen, um ihr kriminelles Geschäft zu beleben. Dazu gehört etwa die falsche Behauptung, dass Flüchtlinge in Deutschland sofort eingebürgert werden. Richtigerweise geht das Auswärtige Amt dagegen mit einer Aufklärungskampagne vor; denn es ist wichtig, die Menschen darüber zu informieren, was sie auf der Flucht und in Deutschland erwartet. (Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: Sehr gut!) Wir müssen verhindern, dass sie mit völlig falschen Erwartungen ihre Existenz und ihre Heimat aufgeben. Auch Staatspräsident Ghani hat gestern betont, seine Landsleute müssten „ein realistisches Bild von Deutschland erhalten, wo die Straßen mitnichten mit Gold gepflastert sind“. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich deshalb noch einmal ganz deutlich sagen: Ein Abschiebestopp und eine pauschale Anerkennung für Asylbewerber aus Afghanistan mit mindestens subsidiärem Schutz wären ein völlig falsches Signal. Ich möchte nicht bestreiten, dass es in Afghanistan Gegenden gibt, in denen geschlechtsspezifische Gewalt und die Ausgrenzung von Frauen oder andere schlimme Dinge geschehen. Doch das trifft eben nicht bei jedem zu, der nach Deutschland kommt. Deswegen brauchen wir genaue und zügige Einzelfallprüfungen sowohl bei der Schutzbedürftigkeit als auch bei der Rückführung. Falsch wäre auch der Verzicht auf Widerrufsprüfungen durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, den die Opposition ebenfalls fordert. Zu einem gerechten Asylsystem gehört, dass in regelmäßigen Abständen überprüft wird, ob die Schutzgründe im Einzelfall weiterhin vorliegen oder ob eine Rückkehr unter Würdigung aller Umstände möglich ist. Das ist nicht mehr und nicht weniger als die Anwendung unseres geltenden Rechts. Neben diesen Aspekten müssen wir dazu beitragen, dass die Menschen in Afghanistan innerstaatliche Flucht­alternativen haben. Das tun wir bereits durch unser Engagement zur Stärkung der afghanischen Sicherheitskräfte, durch Entwicklungshilfe und nicht zuletzt auch durch eine von Deutschland mitinitiierte und vom UNHCR koordinierte Strategie zur Verbesserung der Situation von Flüchtlingsrückkehrern und Binnenvertriebenen. Dazu gehören unter anderem beschäftigungsorientierte Bildungsprogramme für bis zu 180 000 junge Menschen sowie Alphabetisierungskurse für Frauen. Vor diesem Hintergrund ist auch das europäische Rückübernahmeabkommen mit Afghanistan zu sehen. Hier geht es um ein geordnetes Verfahren, womit wir den Menschen eine Möglichkeit geben, in ihre Heimat zurückzukehren, und wodurch sie die notwendige Unterstützung bekommen, dort auch wieder Fuß zu fassen. Viele andere Länder haben solche Abkommen bereits mit Afghanistan geschlossen. Meine Damen und Herren, das ist der Kurs, den wir, die Union, in Bezug auf Afghanistan verfolgen. Es ist ein Kurs, der stets die humanitäre Verantwortung Deutschlands, aber genauso auch die Akzeptanz unseres Asylsystems durch unsere Bürgerinnen und Bürger im Blick hat. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollegin Warken. – Nächste Rednerin in der Debatte: Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ulla Jelpke (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollegin Warken, ich muss sagen: Das ist einfach zynisch, wenn man vorher die Debatte verfolgt hat und mitbekommt, dass der Bundeswehreinsatz verlängert wird, weil die Lage in Afghanistan unsicher ist, (Nina Warken [CDU/CSU]: Nicht überall!) gleichzeitig aber darüber nachgedacht wird, Massenabschiebungen nach Afghanistan vorzunehmen. (Nina Warken [CDU/CSU]: Einzelfallprüfung!) Das ist jedenfalls die bisherige Ansage, und Sie haben sie hier nicht klar dementiert. (Nina Warken [CDU/CSU]: Doch, das habe ich getan! Zuhören!) Ich will auch deutlich sagen: Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes spricht von relativ sicheren Regionen. Da muss man – zusammengefasst – ganz einfach sagen: Es kann eigentlich nicht schlimmer sein. Deswegen sagen wir ganz klar: Abschiebungen nach Afghanistan dürfen nicht stattfinden. (Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Wieso denn nicht?) Es ist heute schon gesagt worden: Im ersten Halbjahr hat es 5 000 Tote und Verletzte in Afghanistan gegeben. Die Zahl ist seit 2001 die höchste, und die Dunkelziffer ist wahrscheinlich sehr hoch. Noch nie hat es seit Beginn des westlichen Interventionskrieges so viele zivile Opfer gegeben wie heute. Und ausgerechnet in dieser Situation wird die Abschiebefrage diskutiert. Wir sagen ganz klar: Nein, es darf keine Abschiebungen geben, weil Afghanistan nicht sicher ist. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich habe noch einmal nachgesehen, was Vertreter der Bundeswehr vor zwei Jahren nach dem Abzug aus Kunduz erklärt haben. Man sprach ausdrücklich von einer Erfolgsgeschichte. Die Sicherheit in Kunduz sei nun gewährleistet. Das war die reinste Schönfärberei. Tatsächlich werden die Taliban immer stärker. Erst kürzlich überrannten sie Kunduz. Das zeigt wirklich: Afghanistan ist nicht sicher. Hier ist eben schon über den Zynismus der Bundeskanzlerin gesprochen worden, die so tut, als würden die Flüchtlinge aus Afghanistan nur hierherkommen, weil sie besser leben wollen. Andererseits verhandelt sie mit dem Präsidenten aus Afghanistan um sichere Schutzzonen. Ist das nicht ein Eingeständnis Ihrer Kanzlerin, dass es in Afghanistan nicht sicher ist? Im Übrigen: Auch die Gebiete, die in Afghanistan von der Regierung kontrolliert werden, sind keine alternativen Fluchtziele. 15 Prozent der geschädigten Zivilisten fielen nach UN-Angaben Übergriffen afghanischer Sicherheitskräfte zum Opfer. Nach diesem Bericht der UN berichten 35 Prozent, dass sie durch die Polizei Folter erlitten haben. Das ist für die Bevölkerung in der Tat kein Schutz, sondern eher eine Bedrohung. Das Auswärtige Amt hält im aktuellen Lagebericht fest: Vor allem in den Rängen von Armee und Polizei ist der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in weiten Teilen Afghanistans nach wie vor ein Problem. Die uniformierten Täter genießen völlige Straffreiheit. Da finde ich es eigentlich nur noch zynisch, dass der Bundesinnenminister vor kurzem gesagt hat, wir hätten Millionen an Entwicklungshilfe nach Afghanistan geschickt, jetzt sollten die Afghanen gefälligst einmal dankbar sein und ihr Land aufbauen, statt zu uns zu fliehen. (Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!) Doch Deutschland hat auch Milliarden in den Krieg gesteckt und will jetzt erneut Soldaten nach Afghanistan schicken: in einen Krieg, der vielen Menschen nur die Wahl zwischen Tod und Flucht lässt. Es ist kein Wunder, dass sich unter den Flüchtlingen aus Afghanistan besonders viele unbegleitete Minderjährige befinden; denn es sind oft Kinder, die Angst vor Zwangsrekrutierung der Warlords, der Taliban, aber auch der afghanischen Armee haben. Deswegen haben wir die verdammte Pflicht, diesen Flüchtlingen hier Schutz zu gewähren. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, selbst dort, wo die afghanische Verfassung Menschenrechte gewährt, ist sie das Papier nicht wert, auf dem sie steht. Glaubensfreiheit ist eine völlige Fehlanzeige. Auf die Abkehr vom Islam steht die Todesstrafe. Homosexuelle können – in Anführungsstrichen – „froh“ sein, wenn sie nicht 20 Jahre im Gefängnis landen. Staatliche Akteure denken überhaupt nicht daran, Frauenrechte zu schützen. Die Justiz ist korrupt bis zum Gehtnichtmehr. 36 Prozent der Bevölkerung in Afghanistan leben unterhalb der Armutsgrenze, und 1 Million Kinder sind unterernährt. Das alles weiß auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Deswegen liegt die Anerkennungsquote bei Asylanträgen von Afghanen derzeit auch bei 86 Prozent. Das lässt nur einen vernünftigen Schluss zu: Es darf keine Abschiebung nach Afghanistan geben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist doch völlig absurd, dass afghanische Flüchtlinge 13 Monate lang warten müssen, bis ihr Asylantrag entschieden wird. Sie müssen zumindest von Anfang an das Recht haben, Integrationskurse zu besuchen und unsere Sprache zu lernen. Das wird ihnen gegenwärtig verwehrt. Das ist ein Skandal, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Bundesregierung muss endlich der Realität ins Auge sehen und damit aufhören, die von Deutschland mitverschuldete Hölle in Afghanistan schönzureden. Stimmen Sie den Anträgen von Grünen und Linken zu, damit die Menschen keine Angst mehr haben! Ich habe mit vielen Jugendlichen gesprochen, die Angst haben, abgeschoben zu werden. Deshalb bitte ich Sie: Stimmen Sie diesen Anträgen zu! Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Ulla Jelpke. – Nächster Redner: Sebastian Hartmann für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der LINKEN) Sebastian Hartmann (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es sehr passend, dass die jetzige Debatte direkt an die Debatte zu dem vorhergehenden Tagesordnungspunkt anknüpft. Denn wir werden dadurch noch einmal damit vertraut gemacht, dass Innen- und Außenpolitik untrennbar miteinander verknüpft sind. Wir leiten allerdings unterschiedliche Schlüsse daraus ab, Frau Kollegin Jelpke. Ich werde auf Ihre Position auch eingehen; denn es tut not, das zu differenzieren. Zunächst einmal ist es entscheidend, dass es einen Bericht zur Sicherheitslage in Afghanistan gibt. Wir haben die unterschiedlichen Entwicklungen über die Jahre verfolgen müssen. Das sage ich in aller Klarheit, die das Auswärtige Amt uns auch gibt. Wir, die SPD-Fraktion, nehmen diese Berichte sehr ernst; denn sie sind auch die Maßgabe unseres Handelns. Wir nehmen das nicht nur einfach als regierungsamtliche Dokumentation zur Kenntnis, sondern daraus ergibt sich auch unsere Positionierung. Wir wissen auch, dass sich die Menschenrechtssituation nur sehr, sehr langsam verbessert hat. Aber es gibt einen Unterschied zu 2001, und auch das muss man einmal sagen: Deutschland nimmt seine Verantwortung wahr, auch wenn dies schwieriger wird. Die Situation von Frauen, die in der Region insgesamt schwierig ist, ist ebenso wie die Problematik des Innen- und Justizsystems angesprochen worden. Die humanitäre Situation in Afghanistan ist in keiner Weise bestritten worden. Auch aufgrund dessen hat die vorherige Debatte stattgefunden und zu einer entsprechenden Entscheidung der Großen Koalition geführt. Aber es gibt einen Unterschied je nach Sicherheitslage in den einzelnen Gebieten Afghanistans, und wir haben entsprechende Anstrengungen unternommen. Das machen zum Beispiel die Berichte des BMZ deutlich. Für uns ist die militärische Option keine ausschließliche und nicht die einzige. Tatsächlich wird sie in eine gesamtpolitische Strategie eingebettet. Frau Merkel hat zu Recht gesagt: Deutschland hat sich dem Wohlergehen aller Afghaninnen und Afghanen verpflichtet. Das haben wir nicht nur hier vor Ort zu tun, sondern auch in Afghanistan. Daraus leiten wir auch unsere internationale Verantwortung ab. Aber wir belassen es nicht bei einem Lippenbekenntnis. Wir bringen auch entsprechende Sicherheitskräfte zur Ausbildung und kümmern uns darum, dass sich die Sicherheitslage vor Ort verbessert. Deutschland hat einen entsprechenden Beitrag geleistet und ist seinen internationalen Verpflichtungen nachgekommen. Dass über 55 Soldaten der Bundeswehr, die gekämpft und Verantwortung übernommen haben, verwundet wurden oder gefallen sind, spricht eine sehr deutliche Sprache. Auch das zeigt, was Deutschland hier getan hat. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Hat sich das geändert?) Sie haben von Zynismus gesprochen. Tatsächlich sind Sie inkonsequent. Wenn Sie einerseits gegen ein militärisches Engagement sind und andererseits die Taliban und die verschärfte Sicherheitslage in Afghanistan als Grund dafür nennen, dass sich die Flucht verstärkt, dann ist das in sich inkonsequent; denn entweder tun wir vor Ort etwas, dass Flucht nicht notwendig ist, (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das ging doch nach hinten los!) und nehmen unsere internationale Verantwortung wahr, oder wir machen es uns so einfach wie Sie, die Sie am Ende der Debatte über den vorangegangenen Tagesordnungspunkt gegen ein militärisches Engagement gestimmt haben, um dann anschließend keine Abschiebungen zu fordern, weil Flucht die einzige Möglichkeit ist, dem Wüten der Taliban oder anderer Terrorgruppen in Afghanistan zu entkommen. Das bezeichne ich als zynisch, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wenn Sie das als internationalen Maßstab an jeden Konflikt anlegen, dann würde ich Ihre Position zur Krim gerne hinterfragen, meine Damen und Herren von der Linken. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Dann fragen Sie doch!) Die Position zu Merkel und Ghani habe ich dargelegt. Es ist wichtig, dass Deutschland mittlerweile mit einem souveränen Staat Afghanistan verkehrt und dass wir Gespräche darüber führen, wie wir die Sicherheitslage vor Ort verbessern können. Wenn Sie sich generell für einen Abschiebestopp aussprechen, dann bedeutet das, dass das Asylverfahren gar nicht mehr durchgeführt werden muss. Aber wir wollen eine Einzelfallprüfung. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Dafür spricht doch die Anerkennungsquote!) – Die Anerkennungsquote spricht dafür, dass es ein geordnetes, rechtsstaatliches Verfahren gibt. Die geringe Anzahl derjenigen, die zurückgeführt werden, bedeutet, dass es keine pauschale Gruppenprüfung gibt und dass wir entsprechenden Schutz zuweisen. Reden wir konkret über die Anzahl der Abschiebungen. 2010 wurden 16 Abschiebungen, 2011 zwölf Abschiebungen, 2012 neun Abschiebungen, 2013 acht Abschiebungen und 2014 ebenfalls neun Abschiebungen vorgenommen. Für uns, die SPD-Fraktion, gibt es überhaupt keinen Anlass zur Abkehr von der Einzelfallprüfung und der Zuerkennung eines besonderen Schutzes für einzelne, gefährdete Gruppen, wie sie von den Grünen und der Linken genannt wurden. Darin besteht großes Einvernehmen. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Warum gibt es dann aktuell diese Anträge?) Wenn sich die Parteivorsitzenden allerdings auf eine bestimmte Vereinbarung einigen, dann ist das Ergebnis durch diese Vereinbarung nicht vorweggenommen. Tatsächlich lautet der vollständige Beschluss: Deutschland wird sich weiterhin an der Stabilisierung von Afghanistan beteiligen, sein finanzielles Engagement zur Entwicklung des Landes aufrechterhalten und gemeinsam mit den USA und weiteren Partnern auch sein militärisches Engagement in Afghanistan verlängern. Das bedeutet gerade nicht Flucht vor der Verantwortung. Weiter heißt es: Wir wollen zur Schaffung und Verbesserung innerstaatlicher Fluchtalternativen beitragen und vor diesem Hintergrund – man muss das im Zusammenhang lesen – die Entscheidungsgrundlagen des BAMF überarbeiten und anpassen. Dies ermöglicht auch eine Intensivierung der Rückführungen. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Wir sind doch nicht blöd!) Aber das eine bedingt das andere. Aus der Sicherheitslage vor Ort ergibt sich überhaupt erst eine Änderung der Rechtspraxis. Umgekehrt wäre das völlig falsch interpretiert. Sie dürfen diese Chimäre nicht aufbauen, liebe Kolleginnen und Kollegen insbesondere von der Linken. Wir werden das alles immer unter Berücksichtigung der Sicherheitslage vor Ort tun. Wir werden die Berichte des Auswärtigen Amtes immer als Maßgabe nehmen, wenn wir zu solchen Punkten kommen. Selbst wenn es zu einer Einigung zwischen der deutschen Regierung und Afghanistan kommen sollte und entsprechende Rückführungsabkommen geschlossen würden, wie sie übrigens andere europäische Staaten haben, die weiterhin Asyl- und Bleibegründe im jeweiligen nationalen oder europäischen Rechtsrahmen kennen, bleibt es uns Parlamentarierinnen und Parlamentariern überlassen, darüber noch einmal gesondert zu befinden. Aber wir werden aus einer besonders hohen Anerkennungsquote bei denjenigen, die zu Recht bleiben können, nicht die Schlussfolgerung ziehen, dass ein pauschaler Abschiebestopp notwendig ist; denn dann kann man sich das ganze Verfahren schenken und braucht kein Vertrauen in das rechtsförmige Verfahren eines Rechtsstaates zu haben, der Asyl als Grundrecht für jeden anerkennt, dem dieses nachweisbar zusteht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Abschließend möchte ich noch zu einem weiteren Punkt kommen. Wenn man anerkennt, dass die Lage in Afghanistan schwierig ist und dass sich die Sicherheitslage nur sehr mühsam und langsam verbessert, man sich aber zugleich weigert, internationale Verantwortung dadurch zu übernehmen, dass man auch einer militärischen Beistandsverpflichtung nachkommt, dann kann man es sich nicht so einfach machen und sagen: Wir waren gegen den Krieg, wir waren gegen ein militärisches Engagement und setzen uns deswegen nicht für die Bevölkerung in Afghanistan ein, die Schutz und internationale Unterstützung braucht. Denn das bedeutet, dass es dann, wenn man weder für den militärischen Beistand noch für die Zusammenarbeit im Entwicklungsbereich ist, nur eine einzige Alternative für die Menschen in Afghanistan gibt, die fliehen wollen, nämlich dass sie ihr Hab und Gut verkaufen, das Wenige, das sie haben, nehmen, sich in die Hände zumeist krimineller Schleuser begeben und möglicherweise auf dem Weg hierhin ihr Leben verlieren. Ehrlicher ist es, zu sagen, dass das der Weg nicht sein kann. Wir sagen sehr deutlich: Wir wollen, dass sich die Sicherheitslage vor Ort verbessert, wir wollen dafür sorgen, dass es überhaupt keinen Fluchtgrund mehr gibt. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: 5 000 Tote und Verletzte allein in diesem Jahr!) Wer den Abschiebestopp fordert, aber auf der anderen Seite nicht bereit ist, internationale Verantwortung zu übernehmen, der ist der denkbar schlechteste Anwalt für die Rechte der Menschen in Afghanistan. Deswegen sehen wir in aller Ruhe den Verhandlungen zwischen der deutschen und der afghanischen Regierung entgegen. Wir wissen, dass dort entsprechende Kenntnisse vorliegen. Die Anfragen sind hier im Plenum beantwortet worden. Das ist die Grundlage für die weiteren Beratungen auch im Innenausschuss. Ich sage Ihnen zu, dass wir, die SPD-Fraktion – ich bin mir sicher, dass das für die gesamte Große Koalition gilt –, uns die Entscheidung nicht einfach machen; denn wir wollen die Sicherheit der Menschen vor Ort garantieren, und wir werden niemanden ohne ein ordentliches rechtsstaatliches Verfahren – Einzelfallprüfung und Rechtsschutz – abschieben. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Sebastian Hartmann. – Letzte Rednerin in dieser Debatte: Andrea Lindholz für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Beide Anträge der Opposition zielen im Kern darauf ab, jedem afghanischen Asylbewerber pauschal ein Bleiberecht einzuräumen. Sie begründen das mit der prekären Sicherheitslage in Afghanistan. Ich frage mich, warum Sie diese Forderung nur für Afghanistan aufstellen. Genauso gut könnten Sie auch ein pauschales Bleiberecht für alle Asylbewerber aus Nigeria oder Mali fordern. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Schließlich werden auch manche Gebiete in diesen Ländern von islamistischen Milizen beherrscht. Laut dem heute in Berlin vorgestellten UN-Weltbevölkerungsbericht leben weltweit 1 Milliarde Menschen in Konfliktgebieten. Ein pauschales Bleiberecht, wie Sie es für bestimmte Staatsangehörige fordern, ist unverantwortlich. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutschland wird dieses Jahr wohl 1 Million Asylbewerber aufnehmen. Das sind fünfmal mehr als im Vorjahr. Eine der Ursachen ist auch, dass wir für syrische Flüchtlinge ein pauschales Bleiberecht umgesetzt haben, das wir jetzt zu einer Einzelfallprüfung hin korrigieren müssen. Inzwischen sollte jedem klar sein, dass Deutschland den Flüchtlingszustrom, den wir in diesem Jahr erlebt haben, nicht dauerhaft bewältigen kann. Viele deutsche Kommunen haben längst ihre Belastungsgrenze erreicht. Sogar die humanitäre Großmacht Schweden hat inzwischen die Notbremse gezogen. Stockholm hat die Asylrechtsverfahren extrem verschärft und strikte Grenzkontrollen eingeführt. Der schwedische Botschafter hat in dieser Woche hier vor den Europapolitikern der Union ausdrücklich für ein Umdenken in der Asylpolitik plädiert. Schweden kann, so seine Aussage, keine Flüchtlinge mehr aufnehmen. Auch Schweden hat erkannt, dass man Fehlanreize, die die Menschen dazu veranlassen, zu uns zu kommen, abschaffen muss. Ihre Anträge würden die Politik der Fehlanreize fortsetzen, anstatt sie zu korrigieren. Sie würden weiterhin falsche Signale aussenden, sie würden Hoffnungen wecken, die wir so nicht erfüllen können. Jeden Monat verlassen Tausende Afghanen ihr Land und zahlen für die Reise nach Europa bis zu 10 000 Dollar an die Schleusermafia. Mit Ihren Anträgen spielen Sie auch den kriminellen Schleusern in die Hände. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es gibt weltweit über 60 Millionen Flüchtlinge. Wir müssen angesichts dieser Dimension ganz eindeutig klarstellen, dass unser Asylrecht – hierum geht es – nur im begründeten Einzelfall helfen kann. (Zuruf des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE]) – Da nützt Ihre Schreierei auch nichts. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Asyl ist und bleibt ein Individualrecht, und es ist kein Recht, auf das sich ganze Völker berufen können. Deswegen fordert weder der Bundesinnenminister noch die Unionsfraktion, das Asylrecht oder gar die Einzelfallprüfung für bestimmte Gruppen aufzuheben. Im Gegenteil: Wir fordern eine Einzelfallprüfung für alle Asylbewerber, egal ob Afghanen oder Syrer. Wir wollen, dass endlich wieder europäisches und nationales Asylrecht konsequent angewendet wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das kriegt ihr nicht hin!) Das bedeutet im Übrigen, dass Schutzberechtigte natürlich bei uns bleiben dürfen und die, die abgelehnt wurden, unser Land verlassen müssen. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Selbst das kriegt ihr nicht hin! 320 000 Anträge liegen beim BAMF!) Ja, die Sicherheitslage in Afghanistan ist schwierig. Die Bundeswehr unterrichtet den Innenausschuss darüber regelmäßig. Auch der letzte Bericht betont, dass die Bedrohungslage landesweit sehr unterschiedlich ist. Die aktuell tagende Innenministerkonferenz ist sich darüber einig – zumindest sind das die ersten Pressemeldungen –, dass eine Rückführung in sichere Gebiete Afghanistans grundsätzlich möglich ist. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Und welche sind das?) Die Sicherheitslage erlaubt dies in einigen Gebieten, und die Innenministerkonferenz bittet die Bundesregierung ausdrücklich, die Rahmenbedingungen für Rückführungen und freiwillige Ausreisen durch Absprachen mit der afghanischen Regierung und dem UNHCR zu verbessern und auch zu Einzelfallprüfungen zurückzukehren. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sind denn die sicheren Gebiete, Frau Lindholz? Die kann man ja mal nennen!) An dieser Innenministerkonferenz nehmen meines Wissens nicht nur Innenminister der Union teil. (Rüdiger Veit [SPD]: Gott sei Dank werden es immer weniger!) Deutschland engagiert sich darüber hinaus massiv für mehr Sicherheit und Stabilität in Afghanistan. Den zivilen Wiederaufbau unterstützen wir mit 430 Millionen Euro pro Jahr. Deutschland hat die Leitung der EU-Polizeiausbildungsmission übernommen und stellt eines der größten Kontingente der insgesamt 12 000 Mann starken NATO-Unterstützungsmission in Afghanistan. Am Dienstag hat der NATO-Rat beschlossen, den Truppenabzug weiter zu verzögern und die aktuellen militärischen Kräfte mindestens bis Ende 2016 im Land zu belassen. Auch wir werden unser Kontingent aufstocken. Denn es muss unser Ziel bleiben, dass die Afghanen eigenverantwortlich für die Sicherheit ihres Landes sorgen. Auch das ist eine aktive Bekämpfung von Fluchtursachen. Die Bewertung, ob eine Abschiebung zulässig ist oder nicht, obliegt aus gutem Grund nicht uns, sondern in jedem Einzelfall der Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Aber die Vorgaben macht das BMI!) Die Schutzquote für afghanische Bewerber lag bis Oktober bei rund 45 Prozent. Aktuell sind rund 7 700 Afghanen ausreisepflichtig. Der Kollege von der SPD hat gerade die Zahlen zur tatsächlichen Abschiebung in diesem Jahr und in den vergangenen Jahren ausgeführt. Man sieht daran eben ganz genau, dass wir unserer Verantwortung im Rahmen der Einzelfallentscheidung nachkommen und daher auch keine pauschalen Behandlungen einzelner Gruppen beschließen sollten. Die mangelhafte Durchsetzung der Ausreisepflicht ist ein strukturelles Problem, das wir aktuell im deutschen Asylsystem haben. Das Rückübernahmeabkommen der EU mit Afghanistan, das im Übrigen auch andere Länder schon abgeschlossen haben, wäre ein weiterer sinnvoller Schritt, der in erster Linie der Durchsetzung unseres Asylrechts dienen würde. In unserer Debatte sollte es grundsätzlich nicht darum gehen, pro oder kontra Flüchtlinge zu argumentieren. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Ach, das ist ja ganz neu!) Entscheidend ist die Frage, wie wir unsere begrenzten Mittel einsetzen. Die Wirtschaftsweisen prognostizieren uns, dass die Versorgung der Asylbewerber im nächsten Jahr bis zu 14,3 Milliarden Euro kosten könnte. Das wiederum wäre fast doppelt so viel wie der Etat des Bundesentwicklungsministeriums. Die Hilfe vor Ort ist – das weiß wirklich jeder von uns – um ein Vielfaches effektiver als die Hilfe in Deutschland. Wir müssen daher immer wieder schauen, wo und in welchem Umfang wir Hilfe leisten und worauf wir unseren Fokus richten. Deutschland engagiert sich deshalb auch in Mali, im Irak und in Afghanistan. Bundeswehrsoldaten riskieren ihre körperliche und seelische Gesundheit nicht nur für ihr Land, sondern vor allem auch für die Sicherheit der Bevölkerung vor Ort. Ihnen gebühren heute unser Dank und unsere Anerkennung. Ihre Anträge ignorieren diesen Einsatz vollständig. Wir haben im Tagesordnungspunkt zuvor über eine Verlängerung des Einsatzes gesprochen. Insgesamt sind Ihre Anträge an vielen Stellen nicht zielführend und werden von uns daher abgelehnt. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Damit schließe ich die Aussprache. Ich gehe davon aus, Kollege Bosbach, dass Sie auf Ihre Zwischenbemerkung verzichten; über ein Unentschieden kämen Sie eh nicht hinaus. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/6774 und 18/6869 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Bevor ich den Tagesordnungspunkt 12 aufrufe, möchte ich hier bei uns ganz herzlich 20 Weinmajestätinnen aus dem Weinbaugebiet Rheinhessen begrüßen; Sie erkennen sie an den Krönchen. (Beifall) Ich hoffe, es ist dieses Jahr eine gute Lese gewesen. Außerdem hoffe ich, diese nicht einfachen Debatten sind auch für Sie sehr informativ. Schön, dass Sie bei uns sind, und schön, dass Sie Ihre Krönchen mitgebracht haben! Ich bitte nun die Innenpolitikerinnen und politiker, die an der nächsten Debatte nicht teilnehmen wollen, Platz für die Außen- und Sicherheitspolitikerinnen und politiker zu machen, und ich bitte, die Gespräche einzustellen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der NATO-geführten Operation ACTIVE ENDEAVOUR im Mittelmeer Drucksache 18/6742 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und ­Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Staatsminister Michael Roth für die Bundesregierung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Guten Abend, liebe Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Guten Abend, Herr Staatsminister!) In diesen Tagen diskutieren wir nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa und in der Welt über Solidarität und militärischen Beistand unter Partnern. Die Frage, ob und wie wir unsere französischen Freunde nach den brutalen Anschlägen von Paris auch militärisch im Kampf gegen den Terror unterstützen wollen, beschäftigt uns diese Woche hier im Deutschen Bundestag ganz besonders intensiv. Fast erscheint es wie ein Déjà-vu; denn vor 14 Jahren haben wir in diesem Hohen Hause schon einmal über eine militärische Operation beraten, die eine unmittelbare Antwort auf den islamistischen Terror war, nämlich auf die Anschläge vom 11. September 2001 in New York und in Washington. Damals hat die NATO zum ersten und bislang einzigen Mal in ihrer Geschichte den Bündnisfall nach Artikel 5 des NATO-Vertrags ausgerufen. In der Folge wurde im Oktober 2001 die Operation Active Endeavour ins Leben gerufen, um durch eine Überwachung des Mittelmeerraums die Terrorgefahr an der Südflanke der NATO abzuwehren. Seitdem – Sie wissen das mindestens genauso gut wie ich – ist diese Operation mehrfach verlängert worden. Aktuell schätzt die Bundeswehr die terroristische Bedrohung im Mittelmeerraum als eher abstrakt ein, und es stellt sich die Frage: Warum brauchen wir die Operation auch noch im Jahr 2015 und länger? (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Richtige Frage!) Dazu möchte ich drei Begründungen formulieren: (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Eine würde mir schon reichen!) Erstens. Wir sollten uns nicht zu sehr in Sicherheit wiegen. Wie schnell aus einer abstrakten Bedrohung ein konkreter Anschlag werden kann, das haben wir zuletzt auf ganz dramatische Weise erlebt. Nicht nur in Paris, auch in Tunesien, in Ägypten, im Libanon und in der Türkei sind Hunderte Menschen dem islamistischen Terror zum Opfer gefallen. Nicht nur die Anschlagsziele liegen in Ländern, die unmittelbar an das Mittelmeer grenzen. Das gilt ebenso für die Gebiete, in denen Terroristen rekrutiert und ausgebildet werden. (Marcus Held [SPD]: Sehr richtig!) Die Gefahren des internationalen Terrorismus für unsere europäischen Gesellschaften sind heute so präsent wie vermutlich selten seit 2001. Zweitens. Die Sicherheitslage im Mittelmeer ist seit 2001 vielschichtiger, ich könnte auch sagen, komplizierter geworden. Organisierte Kriminalität, Schlepper, Schleuser sowie eine zunehmende und nur schwer zu berechnende Präsenz Russlands im Mittelmeer sind Entwicklungen, über die wir uns ein umfassendes Bild verschaffen müssen, auch um uns notfalls vor daraus erwachsenden Gefahren zu schützen. Drittens. Der internationale Terrorismus bedroht – auch das dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren – nicht nur unsere Sicherheit, sondern auch eine der wichtigsten Lebensadern unseres wirtschaftlichen Wohlstands. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Daher weht der Wind!) Das Mittelmeer hat für Deutschland als Transport- und Handelsweg eine überragende Bedeutung. 300 Millionen Tonnen Fracht wurden allein 2014 auf dem Seeweg aus und nach Deutschland importiert und exportiert. Der größte Teil der Handelsrouten nach Asien verläuft eben durch das Mittelmeer. Wir sind also auch im Mittelmeer wirtschaftlich verwundbar. Liebe Kolleginnen und Kollegen, all diese Punkte verdeutlichen: Es gibt auch heute noch nachvollziehbare, gute Gründe, die Operation Active Endeavour fortzusetzen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Klar ist aber auch – darüber sollten wir reden, und darüber reden wir ja auch schon seit längerem –: Die Operation muss inhaltlich und konzeptionell weiterentwickelt werden, und sie muss sich den veränderten Anforderungen anpassen. Denn die ursprüngliche Ausrichtung der Operation aus dem Jahr 2001 wird der Einsatzrealität nicht mehr gerecht. Heute benötigen wir ein viel breiteres Einsatzprofil, um die vielschichtigen Risiken und die Bedrohungen im Mittelmeer noch stärker in den Blick nehmen zu können. Das heißt also: weg vom robusten Mandat der Anfangszeit hin zu einer breitaufgestellten Lagebilderstellung und der Schaffung einer Plattform zur Zusammenarbeit vor allem mit den südlichen Anrainerstaaten des Mittelmeeres und anderen Nationen, die sich an dieser Operation beteiligen. Ein weiteres Gravamen – darüber haben wir auch intensiv mit Ihnen gesprochen – ist die Rechtsgrundlage, die seit 2001 gilt. Diese beruht immer noch auf dem NATO-Bündnisfall nach Artikel 5 des NATO-Vertrages. Das ist 14 Jahre nach den Terroranschlägen in den USA schlicht und ergreifend nicht mehr zeitgemäß. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb setzt sich die Bundesregierung seit mehreren Jahren dafür ein, das Einsatzprofil zeitgemäß auszugestalten und die Operation von Artikel 5 des NATO-Vertrags zu entkoppeln. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Bundesaußenminister Steinmeier und Bundesverteidigungsministerin von der Leyen haben diesen Prozess im Februar 2014 angestoßen. Wir haben uns dazu mit dem NATO-Generalsekretär in Verbindung gesetzt. Seitdem haben wir in Brüssel und in den Hauptstädten unserer NATO-Partner intensive Überzeugungsarbeit geleistet. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Und das Ergebnis?) Wir werben dafür, die Operation in eine maritime Sicherheitsoperation der NATO umzuwandeln. (Inge Höger [DIE LINKE]: Besser wäre, sie würde beendet!) Diese soll sich dem spezifischen Bedarf im Mittelmeer anpassen. Sie muss für jedes Aufgabenfeld auf einer soliden rechtlichen Grundlage stehen. Dafür bietet sich die maritime Strategie der NATO aus dem Jahr 2011 an. Diese beruht auf insgesamt sieben Sicherheitsaufgaben. Diese sieben Aufgaben der sogenannten maritimen Sicherheitsstrategie sind nicht gleichermaßen relevant für das Mittelmeer. Deshalb sollte das künftige Operationsprofil eine Auswahl vornehmen: zwischen aktiv wahrzunehmenden Aufgaben einerseits und ruhenden Aufgaben andererseits. Letztere sind nur bei nachvollziehbarer und konkreter Notwendigkeit einzeln durch einen Beschluss aller 28 NATO-Mitglieder zu aktivieren. Sie haben mich vorhin danach gefragt, Herr Kollege Gehrcke: Unsere Bemühungen waren erfolgreich. Am 3. Juli 2015 haben die NATO-Bündnispartner einvernehmlich die Umwandlung der Operation im Grundsatz beschlossen. Die Umsetzung dieses Kompromisses, der auch die Entkopplung von Artikel 5 des NATO-Vertrags vorsieht, ist damit auf einem guten Weg. Nun müssen wir noch einen neuen Operationsplan erstellen. Das soll bis zum NATO-Gipfel in Warschau am 8. und 9. Juli des nächsten Jahres gelingen. Um diese Arbeiten abschließen zu können, bitten wir Sie um Zustimmung zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung unter unveränderten Bedingungen. Wir werden aber die Laufzeit dieses Mandates bis zum 15. Juli 2016 begrenzen. Damit signalisieren wir gegenüber dem Bündnis, aber auch Ihnen gegenüber die ganz klare Erwartung: Die Umwandlung der Operation muss bis zum NATO-Gipfel in Warschau im Juli abgeschlossen sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn das geschehen ist, werden wir uns erneut mit einem Mandatsantrag an den Bundestag wenden. Bis dahin bitte ich Sie um Unterstützung. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Michael Roth. – Nächster Redner in der Debatte: Dr. Alexander Neu für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ich möchte drei Anmerkungen zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr machen. Erste Anmerkung. Bundeswehreinsätze wollen einfach nicht enden. Sie fangen an, aber sie hören nicht mehr auf. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Die Antiterroroperation Operation Active Endeavour im Mittelmeer ist ein anschauliches Beispiel für einen Militäreinsatz ohne Beendigungsperspektive, obschon nicht einmal eine konkrete Bedrohung vorliegt. Man rutscht offensichtlich immer viel schneller in einen Einsatz hinein, als man wieder herauskommt oder herauskommen will. Beispiele: Operation Active Endeavour im Mittelmeer, angefangen im Oktober 2001. 14 Jahre später reden wir immer noch darüber, dass diese Mission faktisch nicht beendet wird, und es ist auch nicht gewollt, dass sie beendet wird. (Niels Annen [SPD]: Das ist doch keine Willkür! Hören Sie doch mal zu!) Kosovo: 16 Jahre. Afghanistan: 14 Jahre. Der Afghanistan-Einsatz sollte ursprünglich 2016 beendet werden. Es gab einen neuen Missionsnamen: Resolute Support stand für die Beendigungsphase. Stattdessen hören wir nun: Nein, wir setzen das fort – mit sogar noch mehr Soldatinnen und Soldaten. Außerdem bekommt man seitens der Bundesregierung immer dieselben Durchhaltephrasen zu hören. Eine Lösung des Konflikts ist nicht erkennbar. Stattdessen ist immer das gleiche Argument vernehmbar. Sie hätten die Rede, die Sie gerade hier gehalten haben, Herr Roth, auch vor zehn Jahren halten können. Da wäre inhaltlich kaum ein Unterschied gewesen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Gabi Weber [SPD]: Das sind wir gar nicht alleine!) All dies beweist: Militärische Einsätze lösen keine Konflikte, sondern vertiefen sie. (Beifall bei der LINKEN) Die Phrasendrescherei ist einfach nicht zu übersehen; (Florian Hahn [CDU/CSU]: Machen Sie doch gerade!) da kann die PR-Abteilung der Bundesregierung sich noch so abstrampeln und von erfolgreichen Friedensmissionen schwafeln. (Florian Hahn [CDU/CSU]: Das sind doch Ihre Phrasen gerade!) Zweite Anmerkung. Das Argument der „abstrakten Bedrohung“ – ich habe mir das einmal durch den Kopf gehen lassen, auch einmal die Bundesregierung befragt, was das heißt – ist nichts anderes als ein Legitimationsrahmen für Großmachtdenken. Bis heute gibt es keine konkrete Bedrohung im Mittelmeer und keinen konkreten Vorfall, nur eine – ich zitiere – „als abstrakt zu bewertende terroristische Bedrohungssituation“, so die Bundesregierung in ihrem Antrag. Die Argumentation der „abstrakten Bedrohung“ ist nichts anderes, sehr geehrte Damen und Herren, als ein Blankoscheck für militärische Einsätze, die das Ziel verfolgen, eine räumlich und zeitlich unbegrenzte Kontrolle und Sicherung geografischer Räume zu leisten. Die Bundesregierung räumt das ja sogar ein. Sie räumt den globalen Einsatz- und Kontrollanspruch ein. In der Antwort, die die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Januar 2015 gegeben hat, sagt sie – ich zitiere –: Abstrakte Bedrohungen lassen sich geografisch nicht eindeutig einzelnen Regionen zuordnen. Vielmehr können „abstrakte Bedrohungen“ aufgrund der fortgeschrittenen Globalisierung grundsätzlich in vielen Teilen der Welt bestehen. Also: Es gibt keine Grenzen, „abstrakte Bedrohung“ ist global, und wir müssen entsprechend reagieren. Die Argumentation der „abstrakten Bedrohung“ ist auch ein Blankoscheck für eine sich selbst ermächtigende weltweite Ordnungsmacht. Auch das bestätigt die Bundesregierung, und zwar im Antragstext. Hier heißt es, die „Präsenz der Einsatzverbände“ sei ein „präventiver Ordnungsfaktor“. Mit anderen Worten: Zwar sprachlich beschönigt, erklärt die Bundesregierung ihr Bestreben, überall militärisch mitwirken zu wollen – natürlich im Rahmen der NATO, natürlich im Rahmen der Europäischen Union, ganz klar; das sind die Vehikel, mit denen man fährt –, aber letztendlich ist man dabei als eine Großmacht – in der Hoffnung, es zu sein. Dritte Anmerkung. Sie haben gerade erwähnt, Herr Roth, dass der Bündnisfall zum Thema „Operation Active Endeavour“ wahrscheinlich im Sommer aufgehoben wird. Ich sage Ihnen: Darüber kann man sich freuen; das ist gar keine Frage. Aber dieser Bündnisfall hätte niemals ausgerufen werden dürfen. (Beifall bei der LINKEN) Denn was 2001 in New York passiert ist, war ein terroristischer Anschlag und kein militärischer Angriff. Aber statt aus den Fehlern zu lernen, machen Sie 14 Jahre später genau den gleichen Fehler. In dieser Woche reden wir genau darüber. Infolge der Anschläge in Paris reden Sie erneut von einem Angriff und von einem Bündnisfall gemäß Artikel 42 EUV. Obschon Artikel 5 des NATO-Vertrages vermutlich demnächst aufgehoben wird, kann man nicht davon ausgehen, dass die Mission zum Ende kommt. Da hat man die Rechnung ohne den Wirt, ohne die NATO, gemacht. Im Gegenteil: Wir machen weiter. Das heißt dann „Maritime Sicherheitsoperation“ im Rahmen der „Maritimen Strategie der NATO“. Was heißt maritime Sicherheit der NATO? Die Antwort steht im Text: Sicherung maritimer Seewege mit allen denkbaren Mitteln außerhalb des eigenen Hoheitsgebietes. – Das lehnen die Linke und, ich glaube, auch die Mehrheit der Menschen in diesem Land ab. Danke. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Kollege Neu. – Nächster Redner: Roderich Kiesewetter für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Der NATO-Pressesprecher!) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Keine schlechte Alternative. (Heiterkeit) Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Vorredner hat gerade behauptet, nie würde ein Bundeswehr­einsatz zu Ende gebracht, immer würden die Einsätze verlängert. Drei Gegenbeispiele – ich glaube, es war eher Absicht als Unwissen, diese unerwähnt zu lassen –: 2006 wurde der Bundeswehreinsatz im Kongo beendet, 2012 der Einsatz der Bundeswehr in Bosnien bei Althea und in diesem Jahr der Einsatz Active Fence mit Patriot in der Türkei. Das sind drei Beispiele, wo der Bundestag in der Lage war, einen Einsatz zu beenden. Das steht Ihrer Aussage eindeutig entgegen, lieber Herr Kollege Neu. (Beifall bei der CDU/CSU) Staatsminister Roth hat eben sehr klar geschildert, wie die Zukunft des Einsatzes Active Endeavour aussehen soll. Die NATO fußt auf drei Säulen: Das ist erstens die kollektive Verteidigung – das war die Ursache für die Operation, über die wir heute beraten –, das sind zweitens Konsultationen – das macht die NATO, wenn krisenhafte Herausforderungen kommen –, und das ist drittens Kooperation. Bis zur Ukraine-Krise und der Besetzung der Krim hat die NATO sehr großen Wert auf Kooperation und die Verständigung mit Partnern gelegt. Die Operation Active Endeavour bietet die große Chance, dass wir in der NATO als Deutsche wieder Einfluss nehmen und das Thema Kooperation in den Vordergrund stellen. Das ist gerade im Mittelmeerraum von größter Bedeutung. In Zeiten, wo der internationale Terror um sich greift und der IS versucht, auch mit Bodentruppen in einen Krieg zu ziehen, kommt es darauf an, dass wir uns mit allen zur Verfügung stehenden sicherheitspolitischen Instrumenten um die Nachbarn in der Peripherie Europas kümmern. Im Mittelmeer – das wurde vorhin angedeutet – findet der wesentliche Waren- und Güterexport und import der Europäischen Union statt. 80 Prozent der seegehandelten Güter kommen über das Mittelmeer. Deshalb hat sich die Operation Active Endeavour in den letzten zwölf Jahren in eine etwas andere Mission gewandelt. Der ursprüngliche Grund der Terrorbekämpfung ist zur Seite getreten, und die Operation Active Endeavour ist eine Mission geworden, die sich vorrangig um die Lagebildgewinnung und um die maritime Sicherheit im Mittelmeer gekümmert hat. Gerade die Weiterentwicklung der Operation hat uns in der Bundesrepublik Deutschland dazu gebracht, diese Operation entsprechend weiterzuentwickeln. Wir sind als Parlamentarier sehr froh, dass auch die Bundesregierung den Vorschlag aus dem Jahre 2012, der einst aus dem Parlament kam, aufgreift, den Artikel 5 zu entkoppeln, und den Schwerpunkt auf kooperative Maßnahmen legt. Worum geht es dabei? Es geht schlichtweg darum, dass Mittelmeeranrainerstaaten im nördlichen Afrika wie Tunesien, Marokko oder auch Länder wie Libanon an dem gemeinsamen Lagebild partizipieren sollen und an den Einsatzverfahren, wie sie die NATO hat, teilhaben sollen. Auch Russland hat schon in der Durchfahrt durch das Mittelmeer zum Roten Meer mit einem Schiffsverband an der Operation Active Endeavour teilgenommen. Das war vor der Ukraine-Krise. Ich sehe also eindeutig, dass die Mission Active Endeavour zu einer Plattform der Zusammenarbeit, der Verständigung mit arabischen, mit afrikanischen Staaten führen kann und wir gemeinsam in eine Sicherheitskooperation kommen, die wir als Zeichen der Verständigung von Warschau, wo im Juli kommenden Jahres der NATO-Gipfel stattfindet, ausgeben könnten. Das muss doch unser Ziel sein: dass die NATO in der Lage ist, einerseits zu stabilisieren, auf Terror zu antworten, sich weltweit in Einsätzen zu bewähren, andererseits aber auch die Hand zur Kooperation zu reichen, wenn sie feststellt, dass bestimmte Operationen überlebt sind. Sie einfach aufzugeben, hielte ich für falsch, weil Nachbarstaaten der EU und der NATO Zugang zu diesem Kooperationsmechanismus gefunden haben. Warum sollten wir nicht aus der Not eine Tugend machen und zeigen, dass zur Schaffung von Sicherheit viel mehr gehört als nur Abschreckung, dass die Schaffung von Sicherheit viel stärker auf Kooperation und Zusammenarbeit, auf gegenseitige Verständigung, auf Austausch von Verbindungsoffizieren, auf Austausch hinsichtlich der Einsatzverfahren ausgerichtet sein muss? Das würde letztlich dazu dienen, das Mittelmeer sicherer zu machen, den Schleusern und anderen ihre Grenzen aufzuzeigen und die maritime Sicherheit, beispielsweise mit Blick auf die Flüchtlingshilfe, zu erhöhen. In diesem Verständnis möchten wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Bundesregierung ermutigen, eine Fortentwicklung der Operation Active Endeavour zu erreichen. In diesem Sinne bitte ich Sie um Unterstützung für das Mandat. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Kiesewetter. – Der nächste Redner ist Dr. Tobias Lindner für Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wohl jeder von uns weiß noch, wo er am 11. September 2001 war, als die schrecklichen Bilder über die Fernsehmonitore kamen. Ich will für mich persönlich sagen: Es mag individuell nachvollziehbar sein, dass die NATO kurz danach den Bündnisfall nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrags festgestellt hat; aber ich habe heute, mit einer gewissen zeitlichen Distanz, deutliche Zweifel daran, dass es wirklich die richtige Entscheidung war. Ich will hinzufügen: dass heute, mit diesem zeitlichen Abstand, der Bündnisfall nach Artikel 5 immer noch nicht aufgehoben ist, ist schlichtweg anachronistisch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dass wir hier alle Jahre wieder über Bundeswehrmandate reden, ist gut und vernünftig. Aber, Herr Staatsminister, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, dass Sie uns nun zum wiederholten Male im Jahresturnus ein Mandat mit einer anachronistischen Begründung vorlegen, ist alles andere als vernünftig. Sie schreiben ja selbst in der Begründung des Mandats, dass Sie die Einsatzgrundlage für überholt halten. Sie schreiben, dass sowohl die ursprüngliche Ausrichtung der Mission nach Auffassung der Bundesregierung der Einsatzrealität nicht mehr gerecht wird als auch die Kopplung an Artikel 5 des Nordatlantikvertrages nicht sinnvoll ist. Außenminister Steinmeier hat bei der letzten Beratung des Mandates hier in diesem Hohen Haus gesagt – ich zitiere wörtlich –: Der Bündnisfall kann heute, mehr als zwölf Jahre nach 9/11, nicht mehr dauerhaft tragfähige Rechtsgrundlage sein … Dieser Auffassung schließen wir uns an. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jetzt haben Sie angekündigt, dass Sie das Mandat auf ein halbes Jahr beschränken wollen, dass sich die Bundesregierung für die Entkopplung des Mandats von Artikel 5 einsetzt. Das tun Sie seit mehreren Jahren und holen sich dabei in verschiedenen europäischen Hauptstädten regelmäßig Abfuhren ab, was schade ist. Aber wenn sich die Hoffnung, dass es vorangeht, im Sommer tatsächlich erfüllt und es zu einer Entkopplung des Mandats kommt, dann ist das ein Ergebnis, das wir nicht bedauern, sondern begrüßen. Nur muss man dann immer noch fragen, ob das entkoppelte Mandat in sich eine vernünftige Lösung für die Herausforderungen hinsichtlich der Sicherheitssituation im Mittelmeerraum ist. Sie haben es selbst gesagt: Das, was heute im Rahmen des Mandats stattfindet – Lagebildgenerierung, Seeraum­überwachung –, sind Routineaufgaben, die die NATO im Normalfall sowieso durchführt. Kollege Kiesewetter, Sie erwähnen, was man alles unterhalb von Einsätzen tun kann, wie man diesen Raum mit Kooperationen, Austausch und anderen Maßnahmen sicherer gestalten kann. Da klingt für mich persönlich einiges durchaus sympathisch; man kann in eine Diskussion darüber eintreten. Nur, brauchen wir dann zwingend ein solches Mandat dafür? Warum führen wir dieses Mandat nicht wirklich auf die Routineaufgaben zurück? Warum beenden wir nicht gar dieses Mandat, liebe Kolleginnen und Kollegen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ein letzter Punkt. Artikel 5 des Nordatlantikvertrages zwingt uns nicht zum Handeln. Auch wenn immer wieder so getan wird: Es gibt hier keinen Automatismus. Nachdem alle Redner in dieser Debatte unsere Auffassung teilen, dass der Artikel-5-Fall als Grundlage für dieses Mandat nicht mehr zeitgemäß ist, würde ich mich freuen, wenn auch Sie sich unserer Auffassung anschließen könnten. Das vorliegende Mandat ist nicht mehr zeitgemäß, nicht einmal seine Begründung. Alle Jahre wieder legen Sie uns das Mandat mit einer anachronistischen Begründung vor. Aber wie in den Vorjahren wird meine Fraktion dafür werben, das Mandat abzulehnen. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Das ist ja konservativ!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Lindner. – Letzte Rednerin in der Debatte: Julia Obermeier für die CSU/CDU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Julia Obermeier (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sucht man im Internet nach dem Stichwort „Mittelmeer“, bekommt man hauptsächlich Informationen zu zwei Themen: zu den Hunderttausenden von Flüchtlingen, die über diese gefährliche Route ihren Weg nach Europa suchen, und zu Urlaubsangeboten aus der Region. Größer könnte der Kontrast kaum sein. Was dabei allerdings in den Hintergrund gerät, ist: Das Mittelmeer ist eine der Hauptschlagadern des weltweiten Handels. Es ist sowohl für den innereuropäischen als auch für den transatlantischen Handel von vitaler Bedeutung. Rund ein Drittel aller über See verschifften Güter und ein Viertel aller Öltransporte weltweit werden über das Mittelmeer geleitet. 200 000 Handelsschiffe durchkreuzen jedes Jahr das Mittelmeer. Für Deutschland als Exportnation sind sichere Seewege von großer Bedeutung. Die möglichen Bedrohungen im Mittelmeer sind vielfältig angesichts der Schmuggler- und Fluchtrouten, der Instabilität in Syrien und in weiten Teilen Nordafrikas sowie der erhöhten Präsenz Russlands. Die Beteiligung der Bundeswehr an der Mittelmeer-Operation Active Endeavour folgt dementsprechend den deutschen Sicherheitsinteressen. Seit die USA vor 14 Jahren den NATO-Bündnisfall in Verbindung mit den Anschlägen vom 11. September ausgerufen haben, beteiligt sich die Bundeswehr an OAE. Deutschland ist hier ein wichtiger Truppensteller. Ursprünglich sollte die Mission einen aktiven Beitrag zur maritimen Terrorismusabwehr leisten. Allerdings hat der Einsatz mittlerweile hauptsächlich die Funktion, ein umfassendes Lagebild für den gesamten Mittelmeerraum zu erstellen und den Seeraum zu überwachen. Die Operation stellt durch die Einsatzverbände einen bedeutenden Ordnungsfaktor im Mittelmeer dar und hat eine wichtige, vertrauensbildende Frühwarnfunktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Aufgrund der sich verändernden Einsatzrealität bemüht sich die Bundesregierung seit Jahren darum, den NATO-geführten Einsatz auf eine neue rechtliche Grundlage zu stellen. Wir verfolgen das Ziel, die Mission von Artikel 5 des NATO-Vertrages zu entkoppeln. Die Operation Active Endeavour soll in einem neuen Rahmen fort- und weiterentwickelt werden. Das braucht aber Zeit, und zwar leider mehr Zeit, als wir erwartet hatten. Das Auswärtige Amt und das Bundesministerium für Verteidigung haben auf allen Ebenen intensiv für diese Entkopplung geworben. Mittlerweile haben sich die 28 Alliierten grundsätzlich darauf geeinigt, und zwar am 3. Juli 2015. Nun soll der Auftrag von OAE bis zum nächsten NATO-Gipfel in Warschau am 8. und 9. Juli 2016 neu ausgestaltet werden. Deshalb ist die Dauer des Mandats auch bis zum 15. Juli 2016 verkürzt. Sie sehen also: Wir meinen es sehr ernst mit der Überführung in eine nicht auf Artikel 5 gestützte Mission. Ein übereilter, plötzlicher Ausstieg aus OAE, wie ihn die Kolleginnen und Kollegen der Opposition fordern, ist daher unnötig und wäre das falsche Signal zum falschen Zeitpunkt. (Beifall bei der CDU/CSU) Bedenken Sie: Das Mandat hat einen besonderen Symbolcharakter. Es basiert auf dem ersten und bisher einzigen Artikel-5-Fall in der Geschichte der NATO. Gerade in diesen geopolitisch unsicheren Zeiten in diesen sicherheitspolitisch unruhigen Fahrwassern, dürfen wir unseren Bündnispartner nicht vor den Kopf stoßen, indem wir das Mandat plötzlich auslaufen lassen. (Zuruf von der LINKEN) Mit der Verlängerung senden wir ein klares Signal des Zusammenhalts und der Verlässlichkeit: Deutschland trägt Verantwortung, und Deutschland steht zu seiner Bündnistreue. (Zuruf des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Aber mit der Befristung bis zum Sommer 2016 signalisieren wir auch: Wir wollen eine Entkopplung von Artikel 5. Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gibt somit drei gute Gründe für die verkürzte Fortführung der Operation Active Endeavour: mehr Sicherheit im Mittelmeer, die absehbare Überführung von OAE in eine nicht auf Artikel 5 gestützte Mission bis zum 15. Juli 2016 und ein Signal der Bündnistreue. Daher unterstützen wir den Antrag der Bundesregierung. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/6742 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Cornelia Möhring, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Lebenssituation von Alleinerziehenden deutlich verbessern Drucksache 18/6651 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Halina Wawzyniak, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Alleinerziehende entlasten – Unterhaltsvorschuss ausbauen Drucksachen 18/983, 18/6902 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich kann die Aussprache eröffnen, sobald die Kolleginnen und Kollegen ihre Plätze eingenommen haben. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat als erster Redner Jörn Wunderlich von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir behandeln heute zwei Anträge meiner Fraktion, einen Antrag zum Unterhaltsvorschuss abschließend und einen Antrag, in dem es um den Unterhaltsvorschuss und weitere Maßnahmen zur Entlastung von Alleinerziehenden geht, in erster Lesung; dieser wird an die Ausschüsse überwiesen. Ich will mich aufgrund der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit auf einen wesentlichen Punkt beschränken, der letztlich beide Anträge betrifft, auf den Unterhaltsvorschuss. Unterhaltsvorschuss heißt gegenwärtig: Wenn der Unterhaltspflichtige nicht zahlt, kann der andere Elternteil bis zum zwölften Lebensjahr des unterhaltsberechtigten Kindes und für maximal 72 Monate Unterhaltsvorschuss beziehen. Mit anderen Worten: Ein Elfjähriger oder eine Elfjährige kann nur wenige Monate Unterhaltsvorschuss beziehen. Seit 2008 wird auf den Unterhaltsvorschuss auch noch das volle Kindergeld angerechnet. Bis 2007 war es nur die Hälfte. Nun hat meine Fraktion schon 2006 im Bundestag gefordert, diese Alters- und Zeitgrenzen fallen zu lassen. Schon damals hieß es seitens der CDU, von Frau Fischbach – leider ist sie gerade nicht anwesend; vielleicht könnte sie sich daran erinnern –: Jawohl, Probleme erkannt, Lösungen aufgezeigt, leider falsche Partei. – Na gut. Es hat ein bisschen gedauert, aber im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP stand: Wir werden die Altersgrenze auf 14 Jahre anheben. – Warum auf 14 Jahre, konnte kein Mensch erklären. Aber immerhin zwei Jahre, das war ja was. Es hieß: Wir werden die Altersgrenze anheben. Gemacht wurde es nicht, aus finanziellen Gründen. Vielleicht kann sich Kollegin Winkelmeier-Becker daran erinnern. Das hat sie damals jedenfalls so begründet. Auch die SPD hat damals im Familienausschuss moniert – Frau Marks weiß das vielleicht noch –, dass diese Anhebung auf 14 Jahre nicht erfolgt ist. Wir haben damals einen gleichlautenden Antrag wie den heute vorliegenden eingebracht: Anhebung auf 18 Jahre und Entfristung der 72 Monate. Dazu hieß es, der Antrag der Linken sei super, klasse und wünschenswert, aber eben nicht finanzierbar. Auch Frau Dörner von den Grünen hat damals gesagt: Wunderbar, super, das ist notwendig. Aber wie ist das mit der Finanzierung? Im Sommer dieses Jahres beschloss die Kommission der CDU, (Dr. Fritz Felgentreu [SPD]: Was ist das eigentlich?) die sich „Zusammenhalt stärken – Zukunft der Bürgergesellschaft gestalten“ nennt, unter dem Vorsitz von Arnim Laschet, Kollegin Widmann-Mauz und Professorin Grütters Folgendes – ich zitiere –: Auch wollen wir dafür sorgen, dass der Unterhaltsvorschuss länger als 72 Monate und über das 12. Lebensjahr des Kindes hinaus gezahlt werden kann. Zitat Ende. Jetzt frage ich mich: Wann denn endlich? Heute wäre eine Gelegenheit dazu. (Beifall bei der LINKEN) Die Gelegenheit ist günstig. Stimmen Sie unserem Antrag zu. Alle wollen es. Aber wer soll es bezahlen? Das war die alles überschattende Frage seit Jahren. Alle wollen es, alle sind dafür, aber woher das Geld nehmen? Wenn wir die Altersgrenze von gegenwärtig 12 sofort auf 18 anheben würden, dann wären wahrscheinlich die 134 Millionen Euro, die wir hier morgen für einen Kriegseinsatz in Syrien beschließen werden, ausreichend, um die Mehrkosten damit zu decken. (Beifall bei der LINKEN) Morgen fragt komischerweise niemand: Wer soll das bezahlen? Dafür ist Geld da. Für die Kinder nicht. (Beifall bei der LINKEN) Wie gesagt, der Antrag der Linken, der heute in die Ausschüsse überwiesen wird, beinhaltet neben der Forderung zum Unterhaltsvorschuss – ich gebe mich keiner Illusion hin; in diesem Parlament wird, was Anträge der Linken angeht, ohne Ansehen des Inhalts, aber mit Ansehen der Person entschieden – noch einen bunten Strauß familienpolitischer Maßnahmen – ich bleibe einmal im Regierungsjargon –, die, denke ich, geeignet sind, um Alleinerziehende aus der Armutsfalle herauszuholen. Im Ausschuss wird darüber beraten. Wir werden dazu eine Anhörung durchführen, vielleicht am 16. März. Die Anhörung wird dann unsere Einschätzung belegen. Insoweit freue ich mich auf die Beratungen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Gudrun Zollner von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Gudrun Zollner (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Gegensatz zum Kollegen Wunderlich möchte ich in meiner Rede gerne auf den kompletten Antrag eingehen. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Sie haben ja auch mehr Zeit!) – Aber nur eine Minute. – Als ich meine zwei Kinder allein großziehen musste, gab es noch keinen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz. Offene oder gebundene Ganztagsschulen – Fehlanzeige. Kinderförderungsgesetz, Elterngeld und Entlastungsbetrag – das gab es anfangs auch noch nicht. Zwischenzeitlich hat sich viel getan. Wir investieren weiter in unsere Familien. Ich sage ganz bewusst „unsere Familien“, denn Alleinerziehende sind auch Familien. Allein bis 2014 hat der Bund den Ländern 5,4 Milliarden Euro für die Investitionen und Betriebskosten von Kitas zur Verfügung gestellt. Wir haben das Sondervermögen „Kinderbetreuungsausbau“ um 1 Milliarde Euro aufgestockt. Seit 2015 beteiligt sich der Bund sogar dauerhaft an den Betriebskosten der Kitas mit jährlich 845 Millionen Euro. Ergänzend fördert das Bundesfamilienministerium ab 2016 das Bundesprogramm „KitaPlus“ mit 100 Millionen Euro, das erweiterte Öffnungszeiten in Kitas vorsieht. Der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende wurde in diesem Jahr um 600 Euro auf 1 908 Euro, für jedes weitere Kind nochmals um 240 Euro erhöht. Ich könnte die Liste noch fortführen, aber dazu reicht meine Redezeit leider nicht. Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Linken, schreiben in Ihrem Antrag: Die Bundesregierung hat vor allem bei der Unterstützung und Entlastung von Alleinerziehenden versagt. – Außerdem, so schreiben Sie, seien die Betreuungsangebote für Einelternfamilien unzureichend. Sie sitzen doch mit mir im Ausschuss und hier im Plenum. Diese ganzen Investitionen, die natürlich auch Alleinerziehenden zugutekommen, können doch wirklich nicht alle spurlos an Ihnen vorübergegangen sein. (Beifall bei der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Sehen Sie sich einmal die Realität an! Gucken Sie mal den Report Mainz!) Wir brauchen auch keine Sachverständigenkommission in den Kitas, wie von Ihnen gefordert; denn es gibt schon Elternbeiräte, die sich sehr engagiert einbringen. Sie nehmen zum Beispiel auch zusammen mit den Erzieherinnen am Coaching „Kitaverpflegung“ teil, das in Bayern zur Verbesserung der Verpflegungsangebote kostenfrei angeboten wird. Mich persönlich freut sehr: 87 Prozent der bayerischen Kindertageseinrichtungen bieten eine Mittagsverpflegung – diese wird von Ihnen gefordert – bereits an. Nun ist es in erster Linie Sache der Länder und Kommunen, sich um die Qualität und Quantität der Kitas zu bemühen. Damit die Länder finanziell noch besser ausgestattet sind, haben wir ihnen darüber hinaus die im Zusammenhang mit dem Betreuungsgeld freiwerdenden Mittel überlassen. Auch das wollte die Fraktion Die Linke durch ihren Antrag vom 5. November 2015 verhindern. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, beim Thema Unterhaltsvorschuss sind die Länder ebenso gefordert. Es betrifft zu zwei Dritteln die Länder und nur zu einem Drittel den Bund. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn ich mir die Rückholquoten der einzelnen Bundesländer ansehe, stelle ich fest: Wieder einmal ist Bayern am erfolgreichsten, nämlich mit aktuell 36 Prozent, Tendenz steigend. Schlusslicht ist seit Jahren Bremen, mit nur 11 Prozent. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Auch schon seit zehn Jahren bekannt!) Ich will betonen, dass der Unterhaltsvorschuss keine auf Dauer angelegte zusätzliche Leistung des Staates ist. Vielmehr gehen Bund und Länder hier gemeinsam in Vorleistung, wenn ein Elternteil seiner Unterhaltspflicht nicht nachkommen kann oder will. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Aber leider nur, bis die Kinder zwölf sind!) Leider gibt es noch viel zu viele, die Kinder in die Welt setzen und sich dann ihren Verpflichtungen entziehen. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh ja!) Die Bundesländer müssen sich in Sachen Rückholquoten viel mehr engagieren, um auch einmal ein Zeichen gegenüber den Unterhaltspflichtigen zu setzen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Fritz Felgentreu [SPD] und Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Alleinerziehende sind Meisterinnen und Meister im Vereinbaren von Beruf und Familie. 70 Prozent von ihnen sind erwerbstätig, davon 45 Prozent in Vollzeit. Ich selbst war jahrelang in Teilzeit beschäftigt, weil ich – freiwillig – nachmittags für meine Kinder da sein wollte. Natürlich muss man ein Organisationstalent sein, um alles unter einen Hut zu bekommen. Alleinerziehende möchten eigenständig sein, selbst entscheiden und selbstbewusst ihr Leben mit ihren Kindern führen. Der Staat hat die Aufgabe, ihnen in schwierigen Zeiten unter die Arme zu greifen. Dafür gibt es viele Angebote, auch Beratungsangebote und Fördermechanismen, zum Beispiel von der Agentur für Arbeit. Es gibt auch Teilzeitausbildungen und Fort- und Weiterbildungsangebote, auch für Wiedereinsteigerinnen; sie bekommen alles, was sie brauchen. Die Stellung der Einelternfamilie zu stärken, ist auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir müssen endlich anerkennen: Familie ist da, wo Kinder sind. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss. Gudrun Zollner (CDU/CSU): Abschließend möchte ich im Hinblick auf den vorliegenden Antrag nochmals unterstreichen: Unterstützung für Alleinerziehende – ja, jederzeit. Luftschlösser ohne Sicherstellung der Finanzierung – nein, danke. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Fritz Felgentreu [SPD] – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wofür ihr Geld übrig habt, habe ich ja gesagt! Zur Versorgung der Witwen und Waisen!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat die Kollegin Dr. Franziska Brantner von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Häufig schreiben mir Mütter und Väter – übrigens fast gleichermaßen Väter wie Mütter –, die für ihre Kinder allein verantwortlich sind. Sie fragen: Warum bekomme ich weniger Geld vom Staat, obwohl ich meine Kinder allein ernähre und betreue? Warum organisiere und bezahle ich eine Kinderbetreuung, damit ich Vollzeit arbeiten kann, wenn es am Ende des Monats dann doch nicht für den Urlaub mit dem Kind reicht? Was sollen wir diesen Müttern und Vätern antworten? Dass wir alle wissen, dass das aktuelle System ungerecht ist, und wir es trotzdem nicht ändern? Sollen wir ihnen antworten, dass wir alle Studien dazu haben und alle Studien ihnen recht geben, wir aber trotzdem nicht handeln? (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Tja, so ist es ja wohl!) Was sollen wir diesen Müttern und Vätern eigentlich antworten? (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Da muss man mal zur Union gucken!) Dass wir – natürlich zu Recht – 275 Millionen Euro für die Erhöhung des Kindergeldes ausgegeben haben, den Kinderzuschlag aber nicht wirklich reformiert haben? Oder dass es uns immer noch nicht gelungen ist, den Unterhaltsvorschuss so zu reformieren, dass es diese absurden Altersgrenzen und die Begrenzung der Bezugsdauer nicht mehr gibt? Es kann doch wirklich keiner von uns begründen, warum ein 14-jähriges Kind diese Leistung nicht mehr bekommen soll, ein 11-jähriges Kind aber schon. Ich habe bis jetzt keine Antwort auf diese Frage gehört. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wie ich sehe, ist der Herr Ausschussvorsitzende gerade nicht da. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Doch, ich bin hier drüben! – Gegenruf der Abg. Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber sehr unhöflich!) – Ich wollte gerade etwas zu Ihnen sagen, Herr Lehrieder. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Dann setze ich mich wieder hin!) Herr Lehrieder, die Höhe der Rückholquoten ist sehr unterschiedlich – Frau Zollner hat das schon gesagt –, und das ist natürlich ein Problem. Ich würde mir wünschen, dass wir, wenn wir die Anhörungen durchführen, Experten einladen, die sich zur Frage äußern, wie man die Rückholquote verbessern kann; denn hier gibt es einen Missstand. Er hängt zwar von den Verhältnissen in den Bundesländern und vor Ort ab, aber es gibt hier auch gemeinsame Schwierigkeiten, über die wir nicht nur diskutieren sollten, sondern die wir endlich auch angehen müssen. Wir könnten es hier in diesem Hause doch vielleicht wirklich schaffen, gemeinsam Reformvorschläge einzubringen, um wenigstens bei diesem Aspekt voranzukommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Da wir über Geld sprechen, möchte ich kurz auch noch eine aktuelle Reform ansprechen. Es wird gerade die Reform und die Vereinfachung der Grundsicherung diskutiert. Das betrifft zwar nicht primär unseren Haushalt, aber wenn man weiß, dass jedes zweite Kind, das im ALG-II-Bezug ist, in einem Ein-Elternteil-Haushalt aufwächst, dann ist auch klar, wie sehr es dabei auch um diese Gruppe geht. Es bietet sich hier die Chance, diese Reform dazu zu nutzen, die Situation der Alleinerziehenden und auch der Elternteile, die sich die Erziehung partnerschaftlich aufteilen, zu verbessern und sie besserzustellen. Momentan besteht die Gefahr, dass es eher in die andere Richtung geht, dass nämlich durch die Reform jene Elternteile benachteiligt werden, die es schaffen, sich die Sorge um ihre Kinder nach ihrer Trennung wenigstens einigermaßen gleichmäßig aufzuteilen. Ich glaube, wir haben hier wirklich eine Verantwortung, darauf zu schauen und zu sagen: Bei dieser Reform darf es nicht zu einer Schwächung der Alleinerziehenden kommen. Es darf keine negativen Anreize geben, sodass man sich die Sorge nicht teilt, sondern es muss einen Anreiz dafür geben, dass man es auch nach der Trennung gemeinschaftlich und partnerschaftlich schafft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dafür ist es notwendig, dass der Regelsatz nur dann hälftig gezahlt werden darf, wenn das Kind auch annähernd hälftig in beiden Haushalten lebt; denn dann gibt es auch einen Mehrbedarf für beide. Es ist nämlich nicht so, dass man als Mutter einen Raum weniger benötigt, nur weil der Vater in der anderen Hälfte der Zeit das Kind betreut. Die Miete für den Raum muss immer bezahlt werden. Auch die Milch wird schlecht – unabhängig davon, ob das Kind am nächsten Tag beim Vater ist –, sodass man sie neu kaufen muss. Deswegen gibt es hier Mehrbedarfe, wenn sich beide Elternteile die Erziehung gleichberechtigt aufteilen. Diese müssen dann auch entsprechend finanziell gewürdigt werden. Ich glaube, das ist ein sehr wichtiger Punkt. Wenn wir das in den Ausschüssen nicht erreichen, dann können wir einen erheblichen Schaden anrichten. Auch hier lautet mein Appell an uns alle: Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten. Die Alleinerziehenden tragen sehr viel Verantwortung und schaffen Unglaubliches. Sie gehen permanent über ihre Grenzen. Lassen Sie uns diese Arbeit würdigen und ihnen das Leben nicht noch schwerer machen. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner spricht Dr. Fritz Felgentreu von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Linke bringt heute einen Antrag ein, der einen weiten Bogen schlägt, um die Lebenssituation von Alleinerziehenden zu verbessern. Alleinerziehende, ihre Sorgen und Nöte sowie die Frage, wie die Politik ihnen helfen kann, das Leben zu meistern, waren in dieser Legislaturperiode mit Recht schon mehrfach Gegenstand unserer Beratungen. „Helden des Alltags“ haben wir die Alleinerziehenden genannt, weil sie all das irgendwie alleine hinkriegen müssen, was andere partnerschaftlich organisieren können. Die Koalition hat das erkannt und deshalb auch schon einiges auf den Weg gebracht. Vor allem haben wir den Entlastungsbetrag bei der Einkommensteuer – endlich, muss man sagen, nach über zehnjährigem Auf-der-Stelle-Treten – um fast 50 Prozent erhöht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Außerdem wird jedes Geschwisterkind mit zusätzlichen 240 Euro Entlastung bei der Einkommensteuer berücksichtigt. Auch die Erhöhung des Unterhaltsvorschusses um gut 10 Euro im letzten Jahr war hilfreich und richtig. Dazu kommen allgemeine Verbesserungen, von denen Alleinerziehende überproportional profitieren. Ab Juli wächst der Kinderzuschlag um 20 Euro auf, eine Unterstützungsleistung, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit niedrigem Einkommen erreicht, und das sind Alleinerziehende alleine schon deshalb sehr oft, weil viele von ihnen in Teilzeit arbeiten. Die aus Sicht der SPD-Fraktion wichtigste Hilfe – gerade für Alleinerziehende – ist aber natürlich der Ausbau der Betreuungsangebote. Die unterschiedlichen Maßnahmen des Bundes zur Ausweitung und Verbesserung der Kinderbetreuung in Kitas und Schulhorten erreichen 2017 ein Gesamtvolumen von knapp 3 Milliarden Euro. Das ist eine große, lohnende Anstrengung. Kinder und Familie fördern wir generell am besten durch erstklassige Kitas und Schulen. (Beifall bei der SPD) Aber für Alleinerziehende gilt dieser Grundsatz in besonderem Maße. In diesem Zusammenhang verweise ich deshalb besonders gerne auf das Modellprogramm „KitaPlus“, das den Kindergärten helfen soll, auch früh morgens oder spät abends und am Wochenende ihre Türen zu öffnen. Eine Kita, in der es auch mal Abendbrot oder sogar ein Bettchen für die Nacht gibt: Das ist das, was eine alleinerziehende Krankenschwester oder ein alleinerziehender Taxifahrer braucht, um Schichtdienst und Familienleben vernünftig zusammenzubringen. 100 Millionen Euro wird der Bund dafür ab dem nächsten Ersten zur Verfügung stellen. Eine wunderbare Initiative, für die ich Ihnen und Ihrem Haus, Frau Staatssekretärin Marks, für die SPD-Fraktion sehr herzlich danke. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich bin aber auch Ihnen von der Fraktion der Linken durchaus dafür dankbar, dass Sie das Interesse am Thema Alleinerziehende mit Ihrem aktuellen Antrag weiter wachhalten. Ihr Antrag enthält eine ganze Reihe von Anregungen, über die es sich zu diskutieren lohnt. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das sind gute Anträge!) Allerdings verstehe ich immer noch nicht, warum Sie sich bei dem durchaus sinnvollen Plan, die Bezugsdauer des Unterhaltsvorschusses über das 12. Lebensjahr eines Kindes hinaus auszudehnen, mechanisch an die Zahl 18 klammern. Logisch wäre es doch, die Bezugsdauer von der Dauer der Unterhaltsverpflichtung des getrennt lebenden Elternteils abhängig zu machen. Oder um es einmal etwas platter zu formulieren: Wenn, wie es leider meistens der Fall ist, der Vater sich verdünnisiert hat, sodass Vater Staat einspringen muss, dann doch bitte eine Bezugsdauer bis zum Abschluss der ersten Ausbildung, also genau so lange, wie der biologische Vater Alimente zahlen müsste. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Machen wir auch mit! Stellt einen Änderungsantrag! Super!) Wir wissen aber alle, warum wir, Kollege Wunderlich, das eben nicht durch einen Federstrich so vernünftig regeln können, weil es nämlich viel Geld kostet, das wir erst einmal auftreiben müssen, (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Deswegen haben wir gesagt: Bis zur Volljährigkeit!) und weil etwa zwei Drittel davon die Länder zahlen, sodass wir den Unterhaltsvorschuss auch nicht über deren Köpfe hinweg reformieren können. In diesem Zusammenhang, Kollege Wunderlich, haben Sie eben etwas gemacht, bei dem ich denken musste: Sie kritisieren hier oft einen billigen Populismus von rechts, es gibt aber auch so etwas wie einen billigen Populismus von links. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Nein, das gibt es nicht! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: 134 Millionen sind ganz schön teuer, finde ich!) Wenn man die Ausgaben für den Unterhaltsvorschuss in einen direkten Zusammenhang mit den Ausgaben für den geplanten Syrien-Einsatz stellt, dann haben wir genau da ein Beispiel für einen solchen Populismus von links. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Aber dafür ist das Geld da! Seit zehn Jahren höre ich: Dafür haben wir kein Geld! Aber für Kriegseinsätze!) Das ist die gleiche Art wie die, die Kosten für Polizeieinsätze gegen die für Kinderbetreuung aufzurechnen. Kollege Wunderlich, mein guter Rat: Lassen Sie es einfach bleiben, solche Bezüge herzustellen! In den Augen derjenigen, an die wir heute am allermeisten denken müssen, in den Augen unserer französischen Freunde, in den Augen der Angehörigen der Opfer von Paris und der Überlebenden hört sich das nicht wie billiger Populismus, sondern wie übelster Zynismus an. Lassen Sie das einfach sein! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber auch der Ärger über solche Bezüge sollte uns nicht davon abhalten, sinnvolle Reformschritte zumindest zu entwerfen und hier zu diskutieren, um für den Zeitpunkt vorbereitet zu sein, an dem wir sie durchsetzen können. In dem Punkt finde ich Ihren Antrag, Kollege Wunderlich, inkonsequent. In anderen Punkten wiederum haben Sie es dafür mit der Konsequenz ein bisschen übertrieben. In einem Antrag, der dazu führen soll, die Situation Alleinerziehender zu verbessern, hätten Sie besser nicht alles hineingeschrieben, was der Linken jemals zum Thema Hartz IV eingefallen ist. Die Abschaffung des Arbeitslosengeldes II und die Einführung einer allgemeinen Grundsicherung sind ein so weit gespannter Reformvorschlag, dass er den Rahmen Ihres Antrags nicht nur verbiegt, sondern sprengt, einmal ganz abgesehen davon, dass das mit der SPD nicht zu machen ist. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Schade!) Insofern also mein Appell: Schuster, bleib bei deinen Leisten! Familienpolitiker, bleib bei der Familienpolitik! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Die SPD wäre besser bei der Sozialpolitik geblieben!) Lassen Sie uns gemeinsam diskutieren, was wir für Alleinerziehende weiter tun können, zum Beispiel im Zuge der Einführung einer Familienarbeitszeit oder eines Familiensplittings, mit dem alle Formen von Familie wertgeschätzt und gefördert werden. Auf diese Debatte können wir uns dann wirklich freuen. In der Zwischenzeit bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als letzte Rednerin in der Debatte hat Ingrid Pahlmann von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Ingrid Pahlmann (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Mütter oder Väter, die die Verantwortung für die Erziehung ihrer Kinder allein tragen, verdienen – ich denke, da sind wir uns alle einig – unseren größten Respekt. In rund 20 Prozent aller Familien trägt nur ein Elternteil, und das ist meistens die Mutter, die Verantwortung für Erziehung und Betreuung. Nicht immer, aber häufig brauchen die Alleinerziehenden dabei besondere Unterstützung. Diese Unterstützung erschöpft sich aber nicht nur in finanziellen staatlichen Leistungen, sondern sie ergibt sich vor allem aus der Schaffung einer Infrastruktur, die den Alleinerziehenden nicht auch noch Steine in den oftmals sowieso nicht gradlinigen Weg legt. Ohne gute Angebote in der Kinderbetreuung werden Alleinerziehende erhebliche Schwierigkeiten bei der selbstständigen und unabhängigen Bewältigung der Aufgabe haben, das Familieneinkommen zu erzielen. Ich denke, da sind wir einer Meinung. Aber hier haben wir in der Vergangenheit bereits vieles auf den Weg gebracht; auch das müssen Sie anerkennen. Der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz war ein ganz entscheidender Meilenstein und bei weitem nicht die letzte Maßnahme des Bundes. Das Sondervermögen Kinderbetreuungsausbau wurde in dieser Legislaturperiode auf 1 Milliarde Euro aufgestockt. Auch die Beteiligung an den Betriebskosten wurde um zusätzliche 100 Millionen Euro für die Jahre 2017 und 2018 angehoben. Die Qualität der Kitas wurde kontinuierlich ausgebaut. Nicht zuletzt ist die Flexibilisierung der Betreuungszeiten – wir haben es gerade gehört – im Rahmen des mit 100 Millionen Euro geförderten jüngsten Programms „Kita Plus“ gerade für berufstätige Alleinerziehende, egal ob für Väter oder für Mütter, eine wichtige Unterstützung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Gute Betreuungsmöglichkeiten sind eine Voraussetzung, um gleiche Chancen im Erwerbsleben zu haben. Hier waren und sind auch heute noch Alleinerziehende oftmals gegenüber kinderlosen Arbeitsplatzkonkurrenten benachteiligt. Es ist aber ein elementares Interesse und auch Aufgabe der Kommunen vor Ort, hier bessere und passgenauere Strukturen zu schaffen, und das sage ich Ihnen in meiner Eigenschaft als Stadträtin einer mittelgroßen Kommune. Nicht nur die Kommunen, auch die Arbeitgeber sind in der Pflicht. Der Bedarf an Arbeitskräften ist da, wir hören es immer wieder. Von der guten Lage auf dem Arbeitsmarkt profitieren auch Alleinerziehende, die von den Unternehmen ja so händeringend als Fachkräfte gesucht werden. Unternehmen, die den vermeintlichen Fachkräftemangel beklagen, müssen aber auch eine stärkere Bereitschaft und ein größeres Engagement zeigen, Alleinerziehenden mit flexiblen Arbeitszeitmodellen den Wiedereinstieg in den Beruf zu ermöglichen. Staatliche Zwangsmaßnahmen sind hier aus meiner Sicht kontraproduktiv. Sie sind eben nicht die richtige Antwort, da sie die Gruppe der Alleinerziehenden auf dem Arbeitsmarkt eher noch benachteiligen würden. Neben der Arbeitsmarktsituation ist auch für Alleinerziehende bezahlbarer Wohnraum ein weiterer wichtiger Baustein. Die Ankündigung des Bundesfinanzministers zur steuerlichen Förderung des Wohnungsbaus ist auch für diese Klientel eine gute Nachricht; (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) denn auch sie haben zunehmend Schwierigkeiten, geeignete und bezahlbare Wohnungen für sich und ihre Kinder zu finden. Von der Entlastungswirkung einer steuerlichen Förderung profitieren letztendlich alle Mieter. Den bestehenden Bedarf können wir meiner Meinung nach jedoch nicht allein durch den Bau neuer Sozialwohnungen decken. Zusätzliche Anreize für private Investoren wären darum auch aus meiner Sicht nötig. Auch von der geplanten Reform des Wohngelds werden Alleinerziehende profitieren. Die Verantwortung für die Kindererziehung allein zu tragen, ist häufig mit großen finanziellen Lasten verbunden; das haben wir gehört, und auch hier sind wir einer Meinung. Deshalb ist es durchaus richtig, Alleinerziehende finanziell zu entlasten; da bin ich bei Ihnen. Der Unterhaltsvorschuss ist hier eine wichtige Säule. Wir haben ihn in diesem Jahr für Kinder bis fünf Jahre auf monatlich 140 Euro und für Kinder zwischen sechs und elf Jahren auf monatlich 188 Euro angehoben. Im Jahr 2016, im kommenden Jahr, kommt die nächste Erhöhung. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Toll!) Ihre Forderung, den Unterhaltsvorschuss auch über mehr als 72 Monate und über das zwölfte Lebensjahr des Kindes hinaus zu zahlen, finde ich gar nicht so ganz abwegig. Ich finde dies sogar erstrebenswert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Seit zehn Jahren finden den alle gut!) Aber ich muss Ihnen auch sagen, das lösen wir als Bund nicht allein. (Dr. Fritz Felgentreu [SPD]: Genau!) Es klang schon mehrfach an: Der Bund trägt ein Drittel der Kosten. Und die Länder müssen mitspielen. Die tragen nämlich zwei Drittel der Kosten. Wie Länder mit zusätzlichen Zahlungen umgehen, das haben wir schon oft genug erlebt. (Dr. Fritz Felgentreu [SPD]: Ich sage nur: Thüringen!) Machen Sie etwas mit Ihren Ländern. Versuchen Sie, dort, wo Sie Verantwortung haben, etwas zu bewegen. Es wird sich nicht viel tun, das sage ich Ihnen gleich. Wir können nicht hier Forderungen stellen, die dann von den Ländern nicht gegenfinanziert werden. Das bringt uns kein Stück weiter. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Es wäre schön, wenn Sie das auch machen würden! Seit zehn Jahren treten Sie auf der Stelle! Stillstand!) Darüber hinaus haben wir – Herr Dr. Felgentreu hat es schon gesagt – den steuerlichen Entlastungsbetrag rückwirkend zum 1. Januar um rund 50 Prozent erhöht. Auch von der Reform des Elterngeldes profitieren die Alleinerziehenden. Vieles haben wir angestoßen, manches müssen wir noch vorantreiben. Das werden wir im Sinne der Familien, egal welchen Modells, vorantreiben. Dafür steht die CDU/CSU, und das macht sie auch in Zukunft, wenn es irgendwie möglich ist. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Weitere Stillstände!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/6651 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das auch so beschlossen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 11 b: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Alleinerziehende entlasten – Unterhaltsvorschuss ausbauen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6902, den Antrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/983 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Beschlussempfehlung angenommen worden mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ein Dank der unterhaltsberechtigten Kinder!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 14: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes Drucksache 18/6879 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich werde die Aussprache eröffnen, sobald die Kolleginnen und Kollegen ihre Plätze eingenommen und die Gespräche eingestellt haben. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat Helmut Brandt von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Helmut Brandt (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren Zuschauer! Wir beschäftigen uns heute in erster Lesung mit Änderungen, die das staatliche Parteienfinanzierungssystem betreffen. Die Praxis der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass einige Regelungen verbesserungswürdig sind und an einigen Stellen Entbürokratisierung notwendig ist. Leider ist es bei den Verhandlungen nicht gelungen, dass wir den Gesetzentwurf fraktionsübergreifend einstimmig werden beschließen können. Das war in der Vergangenheit immer Usus, aber das hat bei diesem Vorhaben nicht funktioniert. Ich bedauere das sehr, zumal der Kollege Nord in der vorletzten Berichterstatterrunde zu Recht den Vorschlag gemacht hat, erst einmal das zu verabschieden, worin sich alle einig sind. Das war nämlich bei den meisten Punkten der Fall. Dieser Vorschlag war vernünftig, und das hätte deutlich gemacht, dass zu diesem Gesetzentwurf weitestgehend Einigkeit besteht. Meine Damen und Herren, gemäß Artikel 21 unseres Grundgesetzes haben Parteien den Anspruch, aber auch die Pflicht, an der politischen Willensbildung mitzuwirken. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, benötigen die Parteien eine angemessene und ausreichende Finanzierung. Wir, CDU/CSU und SPD, wollen die Parteien in die Lage versetzen, dieser Aufgabe auch in Zukunft gerecht werden zu können. Denn so, wie sich die Lebenshaltungskosten für jeden Normalbürger verändern, ist dies auch bei den Kosten der Parteien der Fall. Für Veranstaltungen, die Unterhaltung der Büros und die Beschäftigung der Mitarbeiter sind die Kosten gestiegen. Wir haben uns deshalb entschlossen, die Beträge, die die Parteien jährlich im Rahmen der staatlichen Teilfinanzierung erhalten, zu erhöhen. Dabei ist mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass die letzte Festlegung 2002 war, also 13 Jahre zurückliegt, sodass schon aus diesem Grund eine Anpassung vonnöten ist. Zum Schluss wurde bei den Vorgesprächen insbesondere von Bündnis 90/Die Grünen die Forderung nach mehr Transparenzvorschriften, als wir sie ohnehin haben, erhoben. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Es ist keine Frage, dass Transparenz gerade in den Fällen, in denen öffentliche Mittel fließen, ein wichtiges Moment darstellt; das ist unbestritten. Aber ich bin der Auffassung, dass wir bereits in der Vergangenheit hinreichend Sorge dafür getragen haben, dass Transparenz tatsächlich hergestellt ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Entweder brauchen die Parteien das Geld, um ihre Arbeit vernünftig zu machen, oder sie brauchen es nicht. Wir sagen: Sie brauchen es. Deshalb werden die Parteien künftig die Erhöhung bekommen, die wir ab 2017 dynamisieren wollen, damit es nicht immer wieder zu Aufwüchsen kommt. Wir haben bereits im Jahr 2013 eine Debatte über die Transparenzregelungen geführt. Ich meine, dass damals hinreichend klar geworden ist, wie wir dazu stehen. Allerdings haben wir in den letzten Jahren feststellen müssen, dass mit den gesetzlichen Regelungen betreffend die Parteienfinanzierung Missbrauch betrieben wird. Ich erinnere an die Aktion der AfD, Goldankäufe zu tätigen, oder an die Aktion von Herrn Sonneborn von der Partei „Die Partei“, 100 Euro für 80 Euro zu erwerben. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Der ­Sonneborn ist gut!) – Ich nehme an, dass Sie davon mehrfach Gebrauch gemacht haben, wenn Sie das gut finden. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ja!) Eine solche Aktion ist absurd und zeigt, dass nur die Umsätze erhöht werden sollen, um ein größeres Volumen zu erreichen und so erst in den Genuss der Parteienfinanzierung zu gelangen. Das ist nicht Zweck des Gesetzes und der Parteienfinanzierung. Das wollen wir künftig unterbinden, indem mit Blick auf die relative Obergrenze nur noch der positive Erlös solcher Geschäfte wirksam wird. Wir wollen nicht verteufeln – das ist für kleine wie für große Parteien wichtig –, sich durch wirtschaftliche Betätigung Einnahmen zu verschaffen. Aber dabei darf es sich nicht um unwirtschaftliche Tätigkeiten handeln, nur um in den Genuss der Parteienfinanzierung zu kommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Abgabe von Rechenschaftsberichten. Wir haben in der Vergangenheit feststellen müssen, dass insbesondere kleinere Parteien dieser Verpflichtung oft jahrelang nicht nachkommen, ihre Ein- und Ausgaben nicht veröffentlichen und dem Bundestagspräsidenten keine Prüfergebnisse vorlegen. Wir sind der Auffassung, dass dies nicht hinnehmbar ist, und sehen deshalb vor, dass dann, wenn das sechs Jahre nacheinander nicht geschieht, neben Zwangsgeldauflagen des Bundestagspräsidenten ein Parteiverbot in Erwägung zu ziehen ist. Ich komme zum Schluss. Ich möchte noch auf einen weiteren Punkt hinweisen, den wir geändert haben. Zukünftig werden die Strafgeldzahlungen in die Staatskasse fließen. Das ist nach unserer Auffassung sachgerecht. Insofern bitte ich abschließend alle um Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf. Besten Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Halina Wawzyniak von der Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Kollege Brandt hat schon darauf hingewiesen: Artikel 21 des Grundgesetzes gesteht den Parteien eine herausragende verfassungsrechtliche Rolle zu. Es ist deshalb folgerichtig, dass im Parteiengesetz Regelungen zur staatlichen Teilfinanzierung getroffen werden. Aber ich bin auch der Meinung, dass der Staat aufgrund der herausgehobenen verfassungsrechtlichen Bedeutung der Parteien die Pflicht hat, Grundbedingungen für das Funktionieren des Parteiensystems zu schaffen. Das ist mit dem System der staatlichen Parteienfinanzierung geschehen. Es begrenzt im Übrigen auch die staatliche Parteienfinanzierung. Deswegen sagen wir: Die staatliche Teilfinanzierung der Parteien dürfen wir alle nicht infrage stellen. (Beifall bei der LINKEN) – Ich dachte, dass an dieser Stelle alle Fraktionen klatschen. Aber das scheint nicht der Fall zu sein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir finden jedenfalls: Wer das staatliche Teilfinanzierungssystem infrage stellt, der will eine Demokratie, wie wir sie nicht haben wollen, eine Demokratie, in der vor allem wirtschaftlich Mächtige die Parteien finanzieren. Wir wollen das staatliche Teilfinanzierungssystem erhalten. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) – Es geht doch. Wunderbar. Nun hat sich aber gezeigt, dass es ein paar Lücken in diesem staatlichen Teilfinanzierungssystem gibt. Das vorrangige Ziel dieses Gesetzentwurfs ist es, diese Lücken zu schließen. Ich will das so deutlich sagen. Es ist schon angesprochen worden: Eine Partei, die sechs Jahre keinen Rechenschaftsbericht abgibt, (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Ist keine Partei!) verliert die Parteieigenschaft. Das ist richtig, das finden wir gut. Es ist auch richtig, dass bei den Einnahmen aus Unternehmenstätigkeit eine Saldierung von Einnahmen und Ausgaben stattfindet, damit kein Missbrauch betrieben wird. Auch das finden wir gut. Wir finden auch gut und richtig – auch das ist schon angesprochen worden –, dass die Strafzahlung bei rechtswidrig erlangten und nicht veröffentlichten Spenden nicht mehr vom Bundestagspräsidium verteilt wird, sondern in den Staatshaushalt zurückfließt. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Wenn das alles so gut ist, warum machen Sie nicht mit? – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Bis jetzt stimmt alles!) – Immer mit der Ruhe. – Jetzt gibt es den Vorschlag, die Zuwendung pro von den Bürgerinnen und Bürgern abgegebener Stimme um einige Cent zu erhöhen. Es ist richtig, dass die letzte Erhöhung 2002 stattgefunden hat. Ich verstehe sogar das Argument, dass es Tarifsteigerungen bei den Beschäftigten und auch sonstige Kostensteigerungen gibt. Wäre ich Bundesschatzmeisterin, würde wahrscheinlich auch ich so argumentieren. Für uns wäre aber eine solche Erhöhung nur dann akzeptabel, wenn es auch Regelungen zu Sponsoring und Spenden juristischer Personen in diesem Gesetzentwurf gegeben hätte. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Einen kleinen Punkt will ich noch erwähnen. Wäre ich Landesschatzmeisterin, würde ich allerdings noch darum kämpfen, dass auch der Betrag von 0,50 Euro, die den Landesverbänden pro abgegebener Stimme bei einer Landtagswahl gesetzlich zustehen, etwas erhöht wird. Aber ich bin nicht Landesschatzmeisterin; insofern ist das nicht mein Problem. Ich will als Letztes noch Folgendes sagen: Wir haben bereits im Jahr 2014 einen Antrag zum Verbot von Spenden juristischer Personen eingebracht. Nach dem Parteiengesetz sind Parteien Vereinigungen von Bürgerinnen und Bürgern. Wir haben schon jetzt die Situation, dass Transferleistungsempfangende und Menschen mit geringem Einkommen a) unterdurchschnittlich oft zur Wahl gehen und b) unterdurchschnittlich in Parteien repräsentiert sind. Wir glauben, dass das Signal von Unternehmensspenden an dieser Stelle wäre: Die, die viel Geld haben, nehmen noch mehr Einfluss auf Parteien. Eine Spende – das muss man ehrlich sagen – wird nie nur aus gutwilligen Motiven geleistet, sondern es wird eine Gegenleistung erwartet. (Zuruf von der CDU/CSU: Spenden sind ohne Gegenleistung!) Ein letztes demokratietheoretisches Argument: Diejenigen, die den Gewinn erwirtschaften, entscheiden gar nicht darüber, wohin der Gewinn verteilt wird. Ich komme zum Schluss. Wegen des verfassungsrechtlichen Status der Parteien und wegen der im Parteiengesetz getroffenen Definition von Parteien glauben wir, dass die staatliche Teilfinanzierung plus die eigenen Einnahmen, und zwar ohne Zuwendungen von juristischen Personen, ausreichen müssen, um Parteien zu finanzieren. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Sind Sie jetzt dafür oder nicht?) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Gabriele Fograscher von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Gabriele Fograscher (SPD): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Über die Bedeutung der Parteien, die in Artikel 21 des Grundgesetzes festgelegt ist, haben Sie alle schon gesprochen, auch darüber, dass den Parteien die finanziellen Mittel zur Verfügung stehen müssen, damit sie ihren Aufgaben nachkommen können. Die Einzelheiten regelt das Parteiengesetz. Die Parteien in Deutschland finanzieren sich über einen Einnahmemix. Der setzt sich aus Mitgliedsbeiträgen, Mandatsträgerabgaben und Spenden zusammen. Diese sind neben dem Erfolg der Partei bei Europa-, Bundestags- und Landtagswahlen die Grundlage für die staatliche Teilfinanzierung. Hinzu kommen noch die Einnahmen aus unternehmerischer Tätigkeit. Um die Unabhängigkeit politischer Parteien vom Staat zu gewährleisten, regelt das Parteiengesetz, dass die Höhe der staatlichen Teilfinanzierung nicht die Summe der Einnahmen übersteigen darf. In der letzten Zeit kamen zwei Parteien auf die Idee, ihre Einnahmen künstlich zu erhöhen, um so mehr staatliche Mittel zu erhalten. Die AfD hat den Goldhandel betrieben, damit ihre Einnahmen gesteigert und somit auch die staatlichen Zuwendungen. Die Partei „Die Partei“ war noch dreister und verkaufte 100-Euro-Scheine für 80 Euro. Auch so konnten die Einnahmen erhöht werden, und die zusätzlichen staatlichen Zuwendungen überstiegen den Verlust dieses Geldverkaufs. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fantasie hatten sie ja!) Das entspricht nicht dem Grundgedanken, dass sich Parteien mindestens zur Hälfte selbst finanzieren sollen. Diesen Missbrauch wollen wir mit diesem Gesetz abstellen. Wir werden deshalb die Saldierung im Rechenschaftsbericht wieder einführen. „Einnahmen minus Ausgaben“, also der Gewinn, wird wieder die Grundlage für die Bemessung der staatlichen Zuschüsse und nicht mehr allein der Umsatz. Damit ist der Missbrauch des § 19 a Parteiengesetz nicht mehr möglich. Über diesen Punkt waren sich alle Fraktionen einig. Ebenso einig war man sich, dass Spenden, Mitgliedsbeiträge und Mandatsträgerabgaben eines Zuwenders zusammengefasst werden. Das wird dazu führen, dass mehr Einzelpersonen über die Grenze von 10 000 Euro pro Jahr kommen, damit der Veröffentlichungspflicht unterliegen und dann mit Namen und Anschrift im Rechenschaftsbericht ausgewiesen werden. Der Bundestagspräsident, der für die staatliche Teil­finanzierung der Parteien und die Prüfung der Rechenschaftsberichte zuständig ist, bat mehrfach darum, von dieser Aufgabe entbunden zu werden. Diesem Wunsch konnte sich keine Fraktion anschließen. Wir fanden keine Institution und kein Gremium, das die zweifellos schwierige Aufgabe der Prüfung der Parteienfinanzen so verantwortungsbewusst, glaubwürdig und gewissenhaft erledigt, wie es der Bundestagspräsident mit Unterstützung der Damen und Herren der Bundestagsverwaltung tut. Wir werden aber einen anderen Wunsch unseres Präsidenten erfüllen. Bislang wurden Strafzahlungen, die durch die Abgabe unrichtiger Rechenschaftsberichte entstanden, vom Präsidium des Deutschen Bundestages quasi freihändig an wohltätige Organisationen verteilt. In Zukunft werden die Strafgelder, wie vom Bundestagspräsidenten vorgeschlagen, in den Bundeshaushalt zurückfließen. Unstrittig war auch die Verschärfung der Sanktionen für die Nichtabgabe von Rechenschaftsberichten. Wir ändern deshalb den entsprechenden Paragrafen im Parteiengesetz. Eine Vereinigung verliert ihre Rechtsstellung als Partei, wenn sie sechs Jahre lang ihrer Pflicht der Rechenschaftslegung nicht nachgekommen ist. Über die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung werden wir in der anstehenden Anhörung nochmals beraten. Trotz all dieser Gemeinsamkeiten war es nicht möglich, einen gemeinsamen Gesetzentwurf einzubringen. Grund dafür – auch das ist genannt worden – ist die geplante Änderung in § 18 Absatz 3 Parteiengesetz, der die Höhe der staatlichen Zuwendungen regelt. Seit 2002 ist dieser Betrag nicht mehr erhöht worden, und deshalb passen wir die Beträge an die parteispezifische Preisentwicklung an und lassen diese künftig wie die absolute Obergrenze ansteigen. Allerdings – das muss ich hier zugeben – enthält der Gesetzentwurf, wie er jetzt vorliegt, einen Fehler, den wir erst spät in den Beratungen und Verhandlungen erkannt haben. Es geht um den Prozentsatz, um den die absolute Obergrenze der staatlichen Teilfinanzierung, gemessen an Zuwendungen, also Spenden, Mitglieds- und Mandatsträgerbeiträgen, steigen soll. Diese sollen laut Gesetzentwurf ebenfalls erhöht und indexiert werden. Da die Preissteigerungen entweder durch Indexierung der Mitgliedsbeiträge oder das Verhalten der Mitglieder bzw. der Spender die Zuwendung ohnehin erhöhen, wäre es widersinnig, hier zu dynamisieren. Ebenso würde eine Erhöhung des Grundbetrags keine Preissteigerung ausgleichen, sondern es würde sich um eine prozentuale Zuschusserhöhung handeln, die das Verhältnis zwischen staatlichen Geldern für Wählerstimmen und Zuwendungen verschiebt. Wir hätten gern diesen Fehler vor Einbringung in den Bundestag behoben. Unser Koalitionspartner will dies aber erst im parlamentarischen Verfahren ändern. Die Erhöhung der Beträge um circa 20 Prozent ist unter den Fraktionen strittig. Sie wird vermutlich auch öffentliche Kritik hervorrufen. Da eine Anpassung aber 13 Jahre lang nicht vorgenommen wurde, halte ich sie für notwendig, für angemessen und auch für vertretbar. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, Sie haben uns mitgeteilt, dass Sie bei der Erhöhung der Beträge der staatlichen Zuwendungen nur mitmachen, wenn wir bereit sind, Vorschläge, die Sie für eine Verbesserung der Transparenz halten, mitzutragen. Sie fordern unter anderem, die Spenden von juristischen Personen ganz zu verbieten. Ich persönlich finde es transparent, zu wissen, welches Unternehmen an welche Partei wie viel spendet. Intransparent wäre es für mich, wenn zum Beispiel ein Strohmann im Auftrag eines Unternehmens als Privatmann spendet, ich den Spender aber dem Unternehmen nicht zuordnen kann. Somit ist nicht erkennbar, also intransparent, ob größere Spenden im Zusammenhang mit politischen Entscheidungen stehen. Das ist nicht mehr, sondern weniger Transparenz. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, machen Ihre Zustimmung zum Gesetzentwurf von unserer Zustimmung zu – angeblichen – Transparenzverbesserungen abhängig, und da werden wir nicht mitmachen. In Wirklichkeit scheuen Sie öffentliche Kritik. (Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!) Sie wollen sich einen schlanken Fuß machen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Denken Sie noch mal nach! Hören Sie auf Ihre Schatzmeister, und stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu! Danke schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Britta Haßelmann von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Besucherinnen und Besucher! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin der SPD, da machen Sie es sich mal wieder ein bisschen einfach. Ich rate nur dazu: Wenn Sie das nächste Mal auf einem Parteitag wieder ganz großzügig Transparenzregeln diskutieren und verabschieden, dann erinnern Sie sich daran, was Sie gerade gesagt haben. – Zur Not erinnere ich Sie daran. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Dass ausgerechnet die SPD sich bei solch einer Frage so wegduckt, kann ich nicht verstehen. Meine Damen und Herren, ich finde es bedauerlich, (Max Straubinger [CDU/CSU]: Wir auch!) dass wir im Rahmen dieses Gesetzentwurfes zur Parteienfinanzierung nicht zu einer gemeinsamen Auffassung gekommen sind. Ja, den Parteien müssen ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, damit sie ihre Aufgaben wahrnehmen können. Damit sie nicht auf Dritte, Externe, Wirtschaftsverbände oder andere angewiesen sind, muss es eine staatliche Finanzierung und eine klare Regelung dafür geben. Darüber bin ich froh, und dazu stehen auch die Grünen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE] – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Dann stimmen Sie doch zu! – Michael Frieser [CDU/CSU]: Im Herzen sind Sie bei uns! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Sie bekommen die Finanzmittel so auch!) – Meine Damen und Herren, ich komme gleich zu den Unterschieden. Wir sind auch froh, dass wir uns im Hinblick auf einzelne kleine Änderungen verständigen konnten, die der Gesetzentwurf nun auch enthält. Das eine ist die Sanktionierung für den Fall, dass eine Partei keinen Rechenschaftsbericht vorlegt. Das andere – darauf ist gerade hingewiesen worden – ist die trickreiche und künstliche Erhöhung der einer Partei zustehenden staatlichen Mittel durch die Kreierung von Einnahmen, denen gleich hohe Ausgaben gegenüberstehen, was verhindert, dass die Einnahmen die tatsächliche Verankerung der Partei in der Gesellschaft widerspiegeln. Das wird mit diesem Gesetzentwurf abgestellt. Das ist richtig, und das ist gut. Diese beiden Punkte haben wir selbstverständlich auch unterstützt. Das trifft insbesondere die Partei „Die Partei“ und die AfD mit ihrem Goldhandel, der aus unserer Sicht schon durch das geltende Gesetz nicht abgesichert war; aber durch den Gesetzentwurf wird das endlich klargestellt. Was den beiden großen Koalitionsfraktionen bei der Änderung des Parteiengesetzes besonders wichtig war – das ist ein springender Punkt –, ist die Änderung des § 18 Absatz 3. Sie erhöhen sich die Euro- bzw. Cent-Beträge pro abgegebener gültiger Stimme – das haben Sie gerade beschrieben – um 20 Prozent. (Gabriele Fograscher [SPD]: Bei Ihnen auch! – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Nach 13 Jahren!) Gleichzeitig verzichten Sie aber darauf, notwendige Transparenzregeln zur Parteienfinanzierung im Gesetzentwurf viel stärker und klarer zu formulieren. Bei der Frage von Transparenz sind wir längst nicht am Ende, Herr Brandt. Ich sage Ihnen mal ein paar Punkte, die wir längst nicht geregelt haben. Deshalb haben wir sie in die Verhandlungen eingebracht. Regelungen zum Sponsoring. Sie waren nicht bereit, auch Sie von der SPD nicht, solche Regelungen aufzunehmen. Absenkung der Beträge im Zusammenhang mit Veröffentlichungspflichten: keine Bereitschaft bei Union und SPD, sich darauf einzulassen. Beschränkung der Spendenmöglichkeit auf natürliche Personen: keine Bereitschaft, darauf einzugehen, weder bei der Union noch bei der SPD. Sanktionierung von Barspenden: keine Bereitschaft. Auch das wäre eine Maßnahme zur Transparenz. Schließlich: Sanktionierung einer verspäteten Meldung von Spenden über 25 000 Euro. Meine Damen und Herren, dafür werbe ich. Das sind sehr sinnvolle Transparenzregelungen. Wir als Parteien und Fraktionen haben, da wir mit öffentlichem Geld umgehen, gegenüber der Öffentlichkeit immer die Nachweispflicht und die Darlegungspflicht. Das wären notwendige und richtige Transparenzregeln, die wir, wenn wir das Parteiengesetz schon ändern, auch hätten einfließen lassen können. Deshalb kann ich an der Stelle nicht verstehen, dass Sie von Union und SPD diese Chance vertun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als letzter Redner in der Debatte hat Michael Frieser von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Michael Frieser (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Trotz der erhobenen Stimme beim letzten Redebeitrag muss man feststellen, dass die Unterschiede tatsächlich gar nicht so groß waren. Ob man draußen noch darstellen kann, (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man kann!) worin die wesentlichen Unterschiede liegen, wage ich einmal zu bezweifeln. Wenigstens einen Lerneffekt gab es, und zwar, dass das Privileg der Parteien auch mit einer Last verbunden ist. Artikel 21 GG gibt uns eine Aufgabe auf, die die Parteien zu mehr machen als zu einer normalen Personenvereinigung, einem normalen Verein oder einer normalen wie auch immer gearteten Zusammenkunft von Menschen. Die wesentliche Funktion setzt voraus, dass es nicht nur eine staatliche Teilfinanzierung, sondern vor allem auch eine Kontrolle gibt. Ich glaube, dass es entscheidend ist, dass wir jetzt dieses Gesetz wieder anpassen können. Wir haben im Rahmen der Konsensfindung erklärt und erkannt, dass wir an dieser Stelle nicht weit voneinander entfernt sind. Liebe Kollegen von den Grünen, dass man als Opposition am Ende ein Argument finden muss, warum man der Erhöhung der Beträge nicht zustimmen kann, dafür habe ich aus oppositionstechnischen und demokratietheoretischen Gründen Verständnis. Ganz nachvollziehbar ist das aber nicht. (Beifall bei der CDU/CSU – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie aber schlecht zugehört!) Dass Missbräuche vorkamen, mussten wir immer mal wieder erleben; denn natürlich ist kein Gesetz vor Missbrauch gefeit. Dafür sind wir aber auch ein Rechtsstaat. Es ist mir ganz wichtig, zu sagen, dass es nicht nur um eine Anpassung von Grenzen und von Beiträgen geht, sondern es geht in erster Linie selbstverständlich um die Frage der Anwendung des Gesetzes sowie um die Bilanztechnik bzw. die Vorlagepflichten. Es ist entscheidend, dass jemand, der über sechs Jahre hinweg nicht in der Lage oder nicht willens ist, nachzuweisen, wie sich seine Partei finanziert und wie seine Bilanz aussieht, nicht nur das Geld, das er vom Staat bekommen hat, zurückzahlen muss – das war bisher schon der Fall –, sondern dass wir uns auch aufgrund von äußeren Einflüssen dieser Rechte annehmen müssen. Wer sechs Jahre nicht bei Wahlen antritt und wer sechs Jahre lang weder einen Rechenschaftsbericht noch eine Bilanz vorlegen kann, der hat den Status der Partei auch nicht verdient. Nur so kann man Einfluss von anderer Seite ausschließen und zurückdrängen. (Beifall bei der CDU/CSU) Spenden sind ein wesentlicher Faktor. Ich werde allmählich müde, immer gegen das Bild der Käuflichkeit der Politik anzugehen. Gäbe es in diesem Land nicht die Spendenbereitschaft von Menschen wie auch von juristischen Personen und Organisationen, dann läge unser gesellschaftliches Leben am Boden. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schade, dass Sie sich immer sträuben!) Das gilt für alle Vereine und Verbände und auch für die Parteien. (Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sehen Sie doch bei der Flüchtlingskrise!) – Aufregung allein ersetzt keine Argumentation. Ich bin schon erstaunt, dass man bei so wenig Ahnung so viel Meinung transportieren kann. Das tut mir furchtbar leid. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das Ergebnis bleibt: Wir wissen doch, dass eine natürliche Person, die spenden will, ohne unterhalb der Transparenzgrenze spenden zu müssen, dies tatsächlich auch tun kann. Warum man diese Dispositionsfreiheit des Eigentums nach Artikel 14 GG juristischen Personen nehmen sollte, versteht kein Mensch und ist auch nicht im Sinne unseres Grundgesetzes. (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Frieser, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Haßelmann zu? Michael Frieser (CDU/CSU): Wenn es der Rechtsfindung dient, lasse ich sogar eine Zwischenfrage zu. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind ja so großzügig!) – Das hat mit Großzügigkeit gar nichts zu tun, sondern das hat etwas mit hohen Schmerzgrenzen zu tun. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein arroganter Pinsel!) Bitte schön, Frau Haßelmann. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn man keine Argumente hat, greift man vielleicht zu solchen Dingen. Herr Frieser, empfinden Sie sich in der Debatte nicht als reichlich aufgeblasen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Die Frage hätten Sie sich sparen können!) Michael Frieser (CDU/CSU): Ich versuche, im Rahmen meines Körpergewichtes, das nicht über meinem politischen Gewicht liegt, deutlich zu machen, dass ich von den Regelungen überzeugt bin. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Jetzt lassen Sie bitte ein bisschen die Luft raus. Sonst ist die Debatte gar nicht mehr zu ertragen. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen die Luft rauslassen!) Zurück zum Kern, Frau Haßelmann. Sie müssen das den Menschen gegenüber schon begründen. Wir haben die Transparenzregeln angepasst. Wir haben deutlich gemacht, warum wir das machen. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Jetzt wollen Sie gar nicht mehr zuhören. Das ist auch egal. Man muss den Menschen deutlich machen, dass Parteien etwas anderes als normale Vereine sind. Deshalb müssen Parteien andere Regeln befolgen. Deshalb müssen Parteien in der Lage sein, transparenter zu handeln. Das haben wir ja nun wirklich getan. Um das mal auf ein Beispiel anzuwenden – Frau Haßelmann, vielleicht nützt es was –: Die 10 000 Euro, die wir vor Jahren als Grenze für die Transparenzpflicht festgelegt haben, sind mittlerweile, obwohl wir eine sehr niedrige Inflation haben, wesentlich weniger wert. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die waren doch damals schon hoch!) Die Grenze für die Transparenzpflicht entwickelt sich also automatisch nach unten, und das entspricht im Grunde einer Erhöhung, wie Sie sie gefordert haben. Also kommt man genau dieser Art von Transparenzforderungen tatsächlich entgegen. Ich will zum Schluss kommen und noch einmal deutlich sagen: Ich sehe die Unterschiede als nicht so wesentlich. Das stimmt mich auch wieder einigermaßen zufrieden, weil demokratische Parteien einerseits einen Abwehrkampf gegen ein wirklich schiefes Bild in der Öffentlichkeit führen, was die Parteienfinanzierung anbetrifft. Andererseits sind wir uns aber auch einig darüber, dass wir bestimmte Regeln verschärfen müssen, dass wir bestimmte Regeln deutlich machen müssen, damit wir am Ende des Tages sagen können: Die Parteienfinanzierung setzt sich aus den Mitgliedsbeiträgen, den Spenden, dem Sponsoring und der staatlichen Finanzierung zusammen und ist die Grundlage dafür, dass die Parteien ihrem Auftrag, an der politischen Willensbildung mitzuwirken, nachkommen können. Deshalb hoffe ich, dass wir nicht nur in der Lage sind, das miteinander zu beschließen, sondern dass wir auch über den Malus hinwegkommen, dass die Oppositionsparteien diesmal nicht dabei sind. Vielleicht wird das ja bei der nächsten Änderung der Fall sein. Es sollte mich freuen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da müssen Sie aber noch viel tun!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. Damit sind wir am Schluss dieser Debatte. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf der Drucksache 18/6879 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 13 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom Koenigs, Kordula Schulz-Asche, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gewalt in Burundi stoppen – Weitere massive Menschenrechtsverletzungen verhindern Drucksache 18/6883 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und ­Entwicklung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. Gibt es dagegen Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache, sobald die Kolleginnen und Kollegen ihre Plätze eingenommen haben. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat Kordula Schulz-Asche von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In den 90er-Jahren stand die Region der Großen Seen in Zentralafrika in Flammen. Dazu gehörte auch der Bürgerkrieg in Burundi mit über 300 000 Toten und mit Hunderttausenden von Flüchtlingen in den Nachbarländern. Im Jahr 2000 kam es dann zu einer Einigung zwischen den verschiedenen Parteien. Man beschloss zwei Dinge: Das eine war die Entwaffnung der Milizen und deren Integration in die nationale Armee, das andere waren eine neue Verfassung und ein neues Wahlgesetz. Die neue Verfassung begrenzte die Amtszeiten der Präsidenten auf zwei Legislaturperioden. Deswegen, meine Damen und Herren, ist es nicht banal, wenn heute in verschiedenen Ländern in der Region darüber diskutiert wird, die Anzahl der möglichen Amtszeiten zu erhöhen. Seit der Ankündigung von Präsident Nkurunziza, bei der Wahl am 21. Juli 2015 für eine dritte Amtszeit zu kandidieren, kommt es in Burundi zu schweren Unruhen, zu schweren Menschenrechtsverletzungen seitens der Regierung, aber auch seitens bewaffneter Milizen. Im November dieses Jahres drohte die gesamte Situation extrem zu eskalieren. Man muss dankbar sagen: Die Bundesregierung, die Parlamentariergruppe Östliches Afrika, aber natürlich auch andere – die EU, die Vereinten Nationen, vor allem die Afrikanische Union und die Ostafrikanische Gemeinschaft – haben dazu beigetragen, dass eine weitere Eskalation verhindert werden konnte. In dieser Situation befinden wir uns heute. Die aktuelle Lage in Burundi ist angespannt. Nach wie vor geht es in dem Konflikt um politische Kontroversen. Doch wir müssen alle im Blick haben: Je länger dieser Konflikt dauert, umso größer ist die Gefahr einer erneuten Ethnisierung des Konfliktes und damit auch die Gefahr eines Völkermords. Was ist jetzt zu tun? Wir haben mit der Resolution 2248 des UN-Sicherheitsrates eine gute Grundlage. Deshalb fordern wir in unserem Antrag, dass die Präsenz der Vereinten Nationen, der Afrikanischen Union und der Peacebuildung Commission gestärkt wird, dass die juristische Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen eingeleitet wird, dass Hilfe für die in Nachbarländer geflohenen Flüchtlinge angeboten wird und dass auch Deutschland Asyl anbietet. Meine Damen und Herren, notwendig ist auch – das ist eine Aufforderung an die Bundesregierung – eine konsequente Strategie im Umgang mit den verlängerten Amtszeiten, auch in Ruanda und der Demokratischen Republik Kongo, wo es das gleiche Problem gibt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Entwicklung in Burundi hat uns ein weiteres sehr zentrales Problem aufgezeigt: Wir – ich meine die Weltgemeinschaft, aber auch und gerade Deutschland – müssen die vorhandenen Instrumente der Früherkennung und der Verhinderung von schwersten Menschenrechtsverletzungen im Sinne der Schutzverantwortung weiter schärfen. Hier gibt es noch große Defizite. Deswegen haben wir mit unserem Antrag versucht, auch auf diesen Punkt zu zeigen. Meine Damen und Herren, Burundi mag geografisch in einer anderen Region liegen, aber wir sind eine Weltgemeinschaft, und die Menschenrechte sind unteilbar. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Frank Heinrich von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): Ich stehe dazu: Für mich entscheidet sich die Menschlichkeit unserer Welt am Schicksal Afrikas. Das hat Horst Köhler, der ehemalige Bundespräsident, am Ende einer Rede gesagt. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal ein ganz herzliches Dankeschön für diesen Antrag. Er führt dazu, dass wir über dieses Thema zu einer respektablen Uhrzeit debattieren dürfen. Wir teilen die Befürchtungen. Ich glaube nicht, dass Sie einen kennen, der das Gegenteil sagt. Es ist gut, heute darüber zu reden. Wir reden in der letzten Zeit immer wieder – es ist schon fast ein geflügeltes Wort geworden – über Fluchtursachen. Hier wird es ganz deutlich, auch wenn es uns nicht hier betrifft, sondern die Nachbarländer Burundis. Auch das, was wir als Parlament und als Bundesregierung in solchen Fällen tun und tun können, um Fluchtursachen zu bekämpfen, ob sie uns betreffen oder nicht, noch bevor es zu Chaos und Vertreibung kommt, steht nicht immer im Mittelpunkt. Das ist auch gut so und hat mit Diplomatie zu tun, ist aber von elementarer Bedeutung. Zugleich macht die Situation um Burundi deutlich, worin das Dilemma politischen Handelns besteht. Greifen wir nicht ein, können Situationen wie damals in Ruanda entstehen; Sie haben gerade daran erinnert. Greifen wir ein, laufen Teile der Opposition Sturm. Das lesen wir jetzt in Briefen, die sich auf die Situation in Syrien beziehen. Ruanda hat uns gelehrt: Die Weltgemeinschaft darf nicht nur zuschauen. Auch Deutschland muss Verantwortung übernehmen. Die aktuelle Lage und die damit verbundene Gewalt, auch in den Äußerungen aus Burundi, wecken in uns Erinnerungen an die Völkermorde, die wir bisher erleben mussten. Es wurden Hunderttausende von Toten gezählt. Seit mehreren Wochen kommt es in Burundi zu regelmäßigen Schusswechseln, Folter, Verhaftungen und Überfällen. Das alles – das schreiben Sie in Ihrem Antrag – sind Indizien – die haben wir als messbare Größen festgelegt – für einen Völkermord. Auslöser der Proteste war die auch in der eigenen Regierungspartei hochumstrittene Kandidatur des Präsidenten für eine dritte Amtszeit. Teilweise werden einzelne Stadtteile Bujumburas, der Hauptstadt, tagelang abgeriegelt. Seit dem gescheiterten Putsch an Präsident Nkurunziza vonseiten eines Teils des Militärs im Mai hat sich das Klima deutlich verschärft. Die Regierung und inzwischen auch Teile der bewaffneten Opposition setzen bislang ausschließlich auf Einschüchterung und Gewalt. Der Präsident kündigte in einer Rede am 2. November, also vor gut einem Monat, ein Ultimatum bis einschließlich 7. November an und sprach von der letzten Chance zur freiwilligen Entwaffnung und zur Beendigung aller kriminellen Aktivitäten. Er drohte mit einer Verfolgung derer, die dieser Aufforderung nicht nachkämen, und bezeichnete sie als Feinde der Nation. Verängstigte Bürger flohen nach Ablauf des Ultimatums, teilweise schon vorher, aus den betroffenen, oppositionsnahen Stadtvierteln. Über 200 000 Burundis befinden sich nach Zahlen des UNHCR mittlerweile in den Nachbarländern – Flucht­ursachen, Fluchtfolgen. Zumindest die befürchtete Eskalation der Gewalt blieb nach Ablauf des Ultimatums aus; wir haben aufgeatmet. Das ist auch auf das abgestimmte Handeln der gesamten internationalen Gemeinschaft zurückzuführen, an dem sich die Bundesregierung beteiligt hat. Ich konnte Termine mit Vertretern des Auswärtigen Amtes nicht wahrnehmen, weil sie genau damit beschäftigt waren. Momentan orientiert sich der Konflikt an politischen Linien. Die Regierung versucht zurzeit, diesen Konflikt zu ethnisieren. Auch wenn die Situation nicht eins zu eins übertragbar ist: Wenn es zu einer Intensivierung des Konflikts, zu einem Bürgerkrieg und womöglich zu Massakern kommt, sind wir in meinen Augen nicht weit von der Situation in Ruanda 1994 entfernt. Die Zahl der Toten haben wir alle vielleicht noch im Kopf. Die internationale Gemeinschaft hat damals versagt, und das darf uns bei Burundi heute nicht wieder passieren. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich stimme mit Ihrem Antrag darin überein, dass in der derzeitigen Lage viele der allgemeinen Kriterien erfüllt sind, die der Sonderberater des Generalssekretärs der Vereinten Nationen für die Verhütung von Völkermord – ich habe es gerade schon erwähnt – als übliche Warnsignale für drohende Verbrechen gegen die Menschlichkeit identifiziert hat: schwere Menschenrechtsverletzungen, anhaltende Gewalt, Diskriminierung bestimmter Gruppen. Doch genau deshalb setzt sich die Bundesregierung für die Stabilisierung der Situation in Burundi ein: Schon im April hat sich Bundesaußenminister Steinmeier persönlich an die burundische Regierung gewandt und intensiv mit den europäischen und vor allem den afrikanischen Partnern für eine Stabilisierung der Situation gekämpft. Am Tag vor dem Ablauf des Ultimatums traf sich der Krisenstab der Bundesregierung und hob die Krisenstufe an, um auf eine weitere Zuspitzung der Lage angemessen reagieren zu können. Der Afrika-Beauftragte des Auswärtigen Amtes reiste mehrfach zu Gesprächen in die Region und zur Afrikanischen Union und hat unsere Gremien hier im Bundestag darüber informiert. Um ein deutliches Zeichen zu setzen und weiter Druck auf die Regierung aufzubauen, hat die Bundesregierung bereits Anfang Juni regierungsnahe Aktivitäten der deutschen bilateralen Entwicklungszusammenarbeit mit Burundi beendet. Die Teile der Entwicklungszusammenarbeit, die der Bevölkerung direkt zugutekommen, wurden fortgesetzt. Vertreter der Zivilgesellschaft haben dies ausdrücklich gewürdigt. Aber es ist nicht möglich, es jedem recht zu machen; ich habe auch Klagen darüber gehört. Sie fordern in Ihrem Antrag, dass sich die Bundesregierung dafür einsetzt, dass die internationale Gemeinschaft, insbesondere die Afrikanische Union und die Vereinten Nationen, ihre diplomatischen Anstrengungen verstärkt, um alle politischen Akteure an einen Tisch zu bringen und um weitere Menschenrechtsverletzungen und einen drohenden Bürgerkrieg abzuwenden. Wir wollen unserer Schutzverantwortung – hier fällt oft der Begriff „Responsibility to Protect“ – gerecht werden. Die vor drei Wochen verabschiedete Resolution 2248 des VN-Sicherheitsrates ist in diesem Zusammenhang ein maßgeblicher Baustein. Da passiert also etwas; da sind die ersten Dinge festgelegt worden. Dafür hat sich die Bundesregierung insbesondere bei den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates, darunter Russland, und den afrikanischen Partnern eingesetzt. Der Sicherheitsrat hat auch erklärt – Sie erwähnen es in Ihrem Antrag –, dass er bei ungünstiger Lageentwicklung weitere Maßnahmen gegen Personen, die eine friedliche Lösung verhindern, ins Auge fasst. Innerhalb der EU hat sich die Bundesregierung auf mehreren Ebenen intensiv für die mittlerweile getroffenen Beschlüsse eingesetzt. Sie unterstützt außerdem die im September 2015 gefasste Resolution des Menschenrechtsrats zu Burundi. Dazu gehört zum Beispiel auch der Vorschlag eines neuen VN-Vermittlers. Erst am Montag hat der Generalsekretär der Vereinten Nationen drei Vorschläge zum weiteren Vorgehen gemacht. Dazu gehört die Entsendung von Blauhelmsoldaten zur Friedenssicherung. Besonders positiv ist eine Seite hervorzuheben, die bei den vielen Krisen in Afrika in den letzten Jahren und Jahrzehnten so nicht zu bemerken war, nämlich die Rolle und das Auftreten der Afrikanischen Union. Sie hat zivile Beobachter und Militärbeobachter nach Burundi entsandt, die von der Europäischen Union mitfinanziert werden. Die Bundesregierung und ihre Partner arbeiten mit allen diplomatischen Mitteln einschließlich möglicher Sanktionen, mit einer Mischung aus Druck und Anreizen daran, zu einer friedlichen Lösung zu kommen, wo und wie auch immer sie möglich ist. Die gemeinsamen Bemühungen tragen Früchte. Zum Beispiel ist eine leichte Änderung der Haltung des regional wichtigen Akteurs und nichtständigen Sicherheitsratsmitglieds Angola zu erkennen, das bis dato den Präsidenten Burundis bedingungslos unterstützt hatte, jetzt aber auch ein Ende der Hassreden fordert. Der kenianische Präsident Kenyatta rief anlässlich eines Besuchs des chinesischen Afrika-Beauftragten in Nairobi den burundischen Präsidenten dazu auf, alle wichtigen burundischen Akteure in die Lösung der Krise einzubinden. Auch die Regierung der Demokratischen Republik Kongo zeigte sich weit besorgter als zuvor. Wir können aus der Ferne viel Richtiges sagen, aber es braucht auch die gleichen Reaktionen aus dem afrikanischen Kontext. Darüber bin ich an dieser Stelle sehr dankbar. Zur Versorgung der Flüchtlinge in Nachbarländern hat die Bundesregierung dem UNHCR 1 Million Euro aus Mitteln für humanitäre Hilfe zugesagt. Sie haben in der Begründung Ihres Antrags richtig erklärt, dass die Herausforderung nun darin bestehen wird, die notleidende Bevölkerung, die unter dem drohenden Bürgerkrieg am meisten leidet, nicht im Stich zu lassen und gleichzeitig die Regierung zur Achtung der Menschenrechte zu verpflichten. Wir sehen, dass es bereits entsprechende Anstrengungen im Handeln der Bundesregierung gibt, und plädieren daher dafür, dass wir in den Ausschüssen an dem vorliegenden Antrag weiterarbeiten. Das soll auch keine Rechtfertigung sein im Sinne von: Damit haben wir genug getan. Aber auf der Basis dessen – und es ist eine gute Basis – sollten wir weiter reden. Ich komme zum Schluss. Zusehen ist keine Option. Deswegen: Lasst uns Verantwortung übernehmen! Danke. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin spricht Inge Höger von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Inge Höger (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Burundi steht vor einer humanitären Katastrophe, vor einem politischen Abgrund. Mindestens 240 Menschen sind bei gewalttätigen Auseinandersetzungen vor und nach den Wahlen im Mai dieses Jahres ums Leben gekommen. Rund 200 000 Menschen flohen in die Nachbarländer Tansania, Ruanda, in die Demokratische Republik Kongo und Uganda. Viele der Flüchtlinge sind Minderjährige, die versuchen, sich der Rekrutierung durch regierungsnahe oder oppositionelle Milizen zu entziehen. Ein erster Schritt zur Vermeidung einer weiteren Eskalation ist die Unterstützung des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR bei der Versorgung dieser jungen Menschen. Es ist eine Schande, dass das UNHCR chronisch unterfinanziert ist. Hier könnte mit überschaubaren Summen ganz konkret geholfen werden. Wir haben es in Burundi mit einem politischen und sozialen Konflikt zu tun. Glücklicherweise ist er noch nicht zu einem ethnischen Konflikt geworden, obwohl die Regierung und ihr nahestehende Medien alles tun, die Wut der Hutu-Mehrheit auf die Tutsi-Minderheit zu lenken. Die Jugendorganisation der regierenden CNDD-FDD-Partei ist mitverantwortlich für zahlreiche Angriffe auf Oppositionelle und deren Familienangehörige. Gleichzeitig spielt die Polizei eine erhebliche Rolle bei der gewalttätigen Unterdrückung der Medien und der Opposition. Diese wiederum setzte anfänglich auf friedlichen Protest und reagierte dann zunehmend ebenfalls mit Gewalt. Dieser Teufelskreis muss mit politischen Initiativen durchbrochen werden. (Beifall bei der LINKEN) Dabei kann die von Ban Ki-moon Anfang der Woche ins Spiel gebrachte Entsendung eines Unterstützungsteams für die Wiederaufnahme des politischen Dialogs eine wichtige Rolle spielen. Die Eskalation in Burundi ist auch ein Ergebnis des Versagens der internationalen Geldgeber. Anstatt die Regierung bereits 2010 nach den damaligen Wahlen zu ermutigen, rechtzeitig einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin aufzubauen, lag der Schwerpunkt in der Sicherheitskooperation. Die westlichen Geber haben Prestigeprojekte wie den Aufbau einer gut ausgerüsteten burundischen Interventionstruppe mit 5 000 Mann für AMISOM, die Mission in Somalia, betrieben. Gleichzeitig stagnierte die ökonomische Entwicklung. Armut und Arbeitslosigkeit sind nach wie vor die größten Probleme. Ohne die entschiedene Bekämpfung der Armut gibt es keine Chance für einen dauerhaften Frieden. Oberflächlich gesehen hat sich der Konflikt an der Entscheidung des Präsidenten, entgegen der Friedensvereinbarung für eine dritte Amtszeit zu kandidieren, entzündet. Nun stellt sich die Frage, wie glaubwürdig diese Vorwürfe bezüglich einer dritten Amtszeit sind; denn gleichzeitig hat der international bestellte Vermittler, der ugandische Präsident Museveni, entsprechende Regelungen in seinem Land außer Kraft gesetzt, und es ist absehbar, dass der Druck auf den ruandischen Präsidenten Kagame, der 2017 auch ein drittes Mal kandidieren wird, wohl eher symbolischer Natur sein wird, da er als zuverlässiger Partner der USA und der EU eingeschätzt wird. Eine Politik der doppelten Standards und des geopolitischen Opportunismus sorgt kaum für Glaubwürdigkeit. In ihrem Antrag mahnen die Grünen eine verantwortungsbewusste und vorausschauende Politik an. Diese ist ohne Zweifel nötig. Dafür brauchen wir bessere Strukturen und mehr zivile Ressourcen. Dabei auf das Konzept der Schutzverantwortung zu setzen, ist aber ein Irrweg. Die verheerenden Folgen der sogenannten Verantwortung zum Schutz können wir in Libyen sehen. Sie öffnet die Türen für eine Erosion des Völkerrechts und befördert militärische Interventionen und Eskalationen. Wenn mit der gleichen Entschlossenheit, mit der in diesem Haus zurzeit Kriege beschlossen werden, zukünftig in zivile Krisenprävention und Konfliktbearbeitung investiert wird und wenn dafür die gleichen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, dann wäre dies eine wirklich verantwortliche Außenpolitik. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat Gabi Weber von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gabi Weber (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Parlamentariergruppe Östliches Afrika war in diesem Frühjahr in Burundi. Mit mir sind heute Abend drei Mitglieder dieser Gruppe hier. Wir haben damals Bob Rugurika im Gefängnis besucht. Bob ist ein Journalist, der damals im Gefängnis war und uns in dieser Situation über die schwierige politische Lage seines Landes informiert hat. Schon damals war zu erkennen, dass weder Rechtsstaatlichkeit noch Demokratie in diesem Lande funktionieren. Und dennoch: Kurz nach dem Gespräch erfuhren wir, dass Bob freigelassen wurde. Er ist in Sicherheit. Er war in Brüssel und ist mittlerweile in Kigali. Dieses Ereignis zeigt, wie wichtig es ist, Menschen in ihrer Not anzunehmen und zu unterstützen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Eine wichtige Rolle hat in diesem Zusammenhang – das muss man einfach anerkennen – unser Botschafter in Burundi gespielt. Er hat zusammen mit den Botschaftern der anderen EU-Staaten der burundischen Regierung immer wieder Druck gemacht, auch im vergangenen Dreivierteljahr. Ich denke, dafür kann man unserem Botschafter einmal einen Dank nach Burundi schicken. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir sind uns einig, dass die Situation in Burundi besorgniserregend ist. Es droht ein weiterer grausamer Bürgerkrieg. In der angespannten Lage führt verbale Hetze dazu, dass weder verbal noch mental abgerüstet wird. Vielmehr glaubt man sich im Recht, auch mit Gewalt auf die anderen zuzugehen bzw. einzuschlagen. Wir können nicht zulassen, dass Oppositionelle und Vertreter der Zivilgesellschaft verschleppt, misshandelt und schließlich getötet werden. Über die Situation der Flüchtlinge haben einige Kollegen hier schon einiges gesagt. Das will ich nicht weiter vertiefen, sondern nur darauf hinweisen, dass, wenn es zu einem Bürgerkrieg in Burundi käme, dieser nicht auf Burundi beschränkt wäre. Dann hätten wir einen Flächenbrand in Ostafrika, und den gilt es auf jeden Fall zu verhindern. Deshalb ist es wichtig, dass die alten Wunden, dass die Kriegstraumata geheilt werden, der Vertrag von Arusha umgesetzt wird und in Burundi nicht neue Konflikte heraufbeschworen werden. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wichtig ist mir, noch einmal festzustellen: Es ist kein ethnischer Konflikt. Dieser Konflikt wird hervorgerufen durch das kompromisslose Festhalten der burundischen Regierung und ihres Präsidenten an der politischen Macht. Im Juli dieses Jahres hat er, obwohl er wusste, welche Diskussionen und welche Gewalt er damit heraufbeschwört, zum dritten Mal als Präsident kandidiert. Seitdem kommt Burundi nicht mehr zur Ruhe. Wir müssen verhindern, dass diese Situation so bleibt oder noch schlimmere Ausmaße annimmt. Deswegen müssen wir handeln und Druck ausüben. Ich komme noch einmal auf die Parlamentariergruppe Östliches Afrika zu sprechen, die dem burundischen Botschafter hier eine Note übergeben hat. Ich zitiere daraus: Wir fordern Sie auf, sich bei der Regierung Ihres Landes für eine sofortige friedliche Lösung einzusetzen, um eine weitere Eskalation der Situation zu verhindern. Das heißt: Die Resolution des Peace and Security Committees der Afrikanischen Union und die Mediationsbemühungen der East African Community zu akzeptieren und sich zusammen mit Vertretern der Vereinten Nationen sofort für die Rückkehr aller burundischen Akteure an den Verhandlungstisch und eine dauerhafte, friedliche Entwicklung einzusetzen. Das war das, was wir dem burundischen Botschafter mit auf den Weg gegeben haben. Er war nicht amüsiert. Er wollte diese Botschaft, die ihm in Deutsch übergeben wurde, unbedingt noch einmal auf Französisch haben, damit er auch wirklich alles versteht. Hoffentlich hat es geklappt. (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Hat es nicht!) Unsere Parlamentariergruppe wird sich auch weiterhin für den Friedensprozess einsetzen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mittlerweile wurden seitens internationaler Organisationen einige Schritte unternommen, um das Nkurunziza-Regime zum Dialog zu bewegen. Einer wurde genannt: die UN-Resolution 2248. Das ist spannend, weil sie mit Russland und China verabschiedet wurde, die an dieser Stelle sonst zu ewigen Blockaden neigen. Aber hier haben sie mitgemacht. Nach 15 Tagen hat die UNO dann auch gesagt: Okay, wir fassen jetzt stärkere Schritte ins Auge. – Diese sind im Antrag der Grünen mit aufgeführt. EZ-Mittel wurden gesperrt, sofern sie regierungsnah eingesetzt werden; nicht die EZ-Mittel, durch die Bevölkerung unterstützt werden kann. (Anita Schäfer [Saalstadt] [CDU/CSU]: Das ist gut so!) Ein wichtiger Punkt, der auch zur Entspannung mit beigetragen hat, ist, dass die Chefanklägerin beim Internationalen Strafgerichtshof angekündigt hat, gegen burundische Akteure ermitteln zu wollen. Die Bestrafung der Verantwortlichen wäre ein wichtiger Schritt zur Stabilisierung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Nach Berichten aus Burundi – ich habe gestern noch einmal mit einigen Personen telefoniert – zeigen diese Schritte auch Wirkung. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Sie sind absolut winzig. Und trotzdem sagen uns Menschen aus Burundi heute, dass die Sicherheitskräfte zurückhaltender sind, was Razzien angeht, weil diese Razzien nicht mehr nachts stattfinden, sondern am Tage. Das ist zwar ein winziger Schritt, aber die Menschen dort sagen: Das lässt uns ein bisschen aufatmen, weil wir nicht ständig in Angst leben müssen. Wichtiger an dieser Stelle ist, dass die vor 14 Tagen bzw. drei Wochen befürchtete Eskalation nicht eingetreten ist. Wir müssen aber noch mehr tun, um eine politische Lösung zu finden. Dazu müssen die Afrikanische Union, die Vereinten Nationen und wir mit eingebunden sein. Wir brauchen gezielte Sanktionen, die die Regierung treffen. In diese Maßnahmen sollten auch China und Russland eingebunden sein. Ein spannender kleiner Aspekt am Rande ist: Burundi finanziert sich zurzeit zum Teil durch Kredite der OPEC und der Organisation islamischer Staaten. Das sollte uns ganz, ganz hellhörig machen. Ausländische Konten von burundischen Regierungsvertretern sollten blockiert sowie Reiseverbote erteilt werden. Es sollte aber auch überprüft werden, ob die Vergütung für die 1 256 burundischen VN-Polizisten, VN-Militärexperten und Missionssoldaten dem Regime entzogen werden könnte. Ich glaube, auch das wäre ein Punkt, um sie empfindlich zu treffen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der zivile Friedensdienst muss weiter unterstützt werden. Ein besonderes Anliegen ist mir, die Frauen in diesem Konflikt als Schlüssel zur Lösung zu betrachten. Burundische Frauen haben im Mai mehrere Demonstrationen veranstaltet. Sie haben damit klargemacht, dass sie mitgedacht werden wollen und vor allen Dingen mit handeln wollen. In diesem Sinne erinnere ich auch an die Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrates. Frauen sollten hier eine große Rolle spielen. Das wünsche ich mir auch im Hinblick auf die Lösungen für Burundi. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/6883 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Bausparkassen Drucksachen 18/6418, 18/6680 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Drucksache 18/6903 Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat als erste Rednerin Anja Karliczek. (Beifall bei der CDU/CSU) Anja Karliczek (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Wir haben uns in den letzten Wochen intensiv mit dem engmaschigen Regelwerk der Bausparkassen auseinandergesetzt. Bausparkassen sind besondere Banken. Sie unterliegen deshalb einer Menge Regeln. Aber sie haben wohl auch deswegen in der vergangenen Finanzkrise zu den Lichtblicken im Finanzwesen gehört. Nun trifft auch sie die Niedrigzinsphase. Die Kombination aus engem regulatorischem Rahmen und niedrigen Zinsen ist für Bausparkassen ein Problem. Wir wollen unsere Bausparkassen zukunftsfähig machen. Der Erwerb von Wohneigentum ist ein wichtiges Instrument der privaten Altersvorsorge. Wir können den Menschen nicht vorschreiben, wie sie Vorsorge betreiben. Aber was wir tun können, ist, die richtigen Rahmenbedingungen für verlässliche Anlageformen zu schaffen. Ein eigenes Dach über dem Kopf ist auch eine Form von Vermögensaufbau. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Bausparkassen unterstützen Menschen, die ein eigenes Dach über dem Kopf haben wollen. Deshalb wollen wir ihnen in verantwortbaren Grenzen Erleichterungen und Flexibilität in ihrer Geschäftspolitik zugestehen. Eine Gebäudeversicherungspflicht ausschließlich für Häuser, die durch Bausparkassen finanziert werden, halten wir deshalb nicht für sachgerecht. Das ist genau das Gegenteil von Erleichterung und Flexibilität. Das führt nur zu mehr Verzerrungen im Wettbewerb mit anderen Kreditgebern. Wir haben uns lieber dafür entschieden, dass Bausparkassen bei Baufinanzierungen für selbstgenutzten Wohnraum fortan 100 Prozent statt 80 Prozent finanzieren können. Tatsächlich können sie das auch schon heute tun – nur, dass sie heute für die fehlenden 20 Prozent eine Bürgschaft nachweisen müssen. Ich denke, dass diese Regelung angesichts sehr geringer Kreditausfallraten und einer hohen eigenen Geschäftsexpertise vertretbar ist. Des Weiteren sollen sie in größerem Umfang normale Baudarlehen und Zwischenfinanzierungen vergeben können; auch dies passt zu ihrem Geschäftsmodell. Ebenso soll der Fonds zur bauspartechnischen Absicherung mehr Verwendungsmöglichkeiten bekommen. Er wurde vor Jahren eingeführt, um in einer Hochzins­phase eine gleichmäßige Zuteilung der Bauspardarlehen zu gewährleisten. Eine Hochzinsphase können wir uns heute kaum noch vorstellen. Aber damals gab es wirklich Liquiditätsengpässe bei den Bausparkassen, und die galt es zu überwinden. Heute verfügen die Bausparkassen über eine enorm hohe Liquidität. Jedoch erwirtschaften sie leider nicht immer genug Rendite, um alle Zinsversprechen dauerhaft erfüllen zu können. Deshalb kann der Fonds ab heute in Hoch- wie in Niedrigzinsphasen zur Überwindung kurzfristiger Engpässe genutzt werden. Wenn Sie, liebe Frau Karawanskij, diesen Gesetzentwurf heute allen Ernstes wegen der Kündigung von Bausparverträgen durch Bausparkassen ablehnen wollen, dann muss ich ihnen leider sagen: Sie sind beim falschen Gesetzentwurf. Denn wir schaffen hier und heute gerade die Voraussetzungen dafür, dass Bausparkassen überhaupt in der Lage sind, die versprochenen Zinsen weiter zu zahlen. Ferner werden wir Bausparkassen künftig erlauben, Aktienanlagen zu tätigen. Über diesen Punkt haben wir lange diskutiert. Denn dieses Geschäft hat nichts mit der Finanzierung von Bauen im eigentlichen Sinne zu tun. Ich denke aber, wir haben eine gute Lösung gefunden. Die Bausparkassen dürfen nun ab dem 1. Januar 2017 maximal 5 Prozent ihrer freien Zuteilungsmasse in Aktien anlegen. Uns war es wichtig, dem Spezialbankprinzip Rechnung zu tragen und den Grundsatz zu wahren, dass Bausparkassen nur in überschaubare Risiken investieren dürfen. Erstens dürfen sie die neuen Anlageformen deshalb nun erst ab 2017 nutzen, zweitens müssen sie bis dahin ein eigenes Risikomanagement aufbauen, und drittens bekommen sie von der BaFin qualitative und quantitative Vorgaben für die Aktienanlage. Ein letzter wichtiger Punkt ist die Befreiung des Deckungsvermögens für Pensionsrückstellungen von den sehr restriktiven Anlagemöglichkeiten der Bausparkassen. Die Bausparkassen bieten ihren Mitarbeitern, wie andere Unternehmen auch, eine betriebliche Altersvorsorge an. Dieses Anlagevermögen, das explizit zur Ausfinanzierung der Pensionsverpflichtungen in den Bilanzen der Bausparkassen gebildet wird, unterliegt bisher jedoch den gleichen Regeln wie die Anlagebeträge der Bausparer. Dies ist bei unterschiedlichen Fristigkeiten nicht sachgemäß und auch nicht notwendig. Deshalb sollen zukünftig Vermögensanlagen, die im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge der Erfüllung von Pensionszusagen dienen, unabhängig von den Anlagebeschränkungen der Bausparkassen angelegt werden können. Auch Konzernlösungen zur betrieblichen Altersvorsorge stehen damit den Mitarbeitern der Bausparkassen offen. Auch dies halten wir im Rahmen des Geschäftsmodells für maßvoll und systemgerecht. Insgesamt haben wir die Anlagemöglichkeiten der Bausparkassen so maßvoll wie möglich und so weit wie nötig erweitert. Ich möchte an dieser Stelle nochmals darauf hinweisen: Dieser Gesetzentwurf regelt ausschließlich das Aufsichtsrecht über die Bausparkassen. Das Vertragsverhältnis gegenüber Kunden wird an keiner Stelle berührt. Deshalb werbe ich nochmals dafür, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin spricht Susanna Karawanskij von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Susanna Karawanskij (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Frau Karliczek, der Skandal besteht genau darin, dass zahlreiche Bausparkassen Tausende Verträge mit ihren Kunden einseitig gekündigt haben. Diese Verträge waren gut verzinst und liefen in der Regel schon mehrere Jahre. Dieser Schritt wurde mit den derzeit niedrigen Zinsen begründet. Zu Recht klagen viele Kunden dagegen. Wenn etwas zu Vertragsabschluss versprochen wurde, dann muss das aus meiner Sicht auch eingehalten werden. Dieses Verhalten der Bausparkassen ist ein Schlag ins Gesicht der Kunden. (Die Rednerin hält ein Schriftstück hoch) – Ich glaube, alle Abgeordneten hier im Haus haben auch diese Weihnachtspost von den Bausparkassen bekommen. Darin wird schon fast höhnisch auf die Notwendigkeit dieser Kündigungen hingewiesen. Nun versucht die Bundesregierung mit diesem Gesetzentwurf, den wir heute hier verhandeln, den Bausparkassen im aktuellen Niedrigzinsumfeld zur Seite zu stehen – und eben nicht den Kundinnen und Kunden. Sie unternehmen keine Schritte gegen dieses Kündigungsgebaren und damit gegen diese Vertragsuntreue der Bausparkassen, (Lachen der Abg. Anja Karliczek [CDU/CSU]) und das, obwohl es 30 Millionen Bausparverträge gibt. Sie versäumen es – das haben Sie auch beim Lebensversicherungsreformgesetz getan –, sich hier an die Seite der Kundinnen und Kunden zu stellen. Ich sage es jetzt noch einmal: Das geht so nicht. (Beifall bei der LINKEN) Wir haben Kritikpunkte bei diesem Gesetzentwurf, und ich will sie gleich formulieren: Am Anfang Ihres Gesetzentwurfs schreiben Sie von einem Bausparkollektiv. Wenn jemand einen Bausparvertrag abschließt, dann interessieren ihn der Zinssatz und wann die Darlehenssumme ausgezahlt wird. Es interessiert, glaube ich, nicht, welches fiktive Kollektiv es gibt. Den Kunden interessieren also die ganz individuellen Vertragsbedingungen. Kein Bausparer denkt daran, dass er Teil eines Kollektivs ist und dass vor allen Dingen sein Vertragsinteresse einem fiktiven Gemeinschaftsinteresse untergeordnet werden könnte. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Sie sind gegen ein Kollektiv?) Was das bedeutet, ist klar: Die Bausparkassen können fortan ihr eigenes Interesse als Kundeninteresse, als das fiktive Kollektivinteresse, ausgeben. Dadurch können sie Kunden vorzeitig aus ihren gut verzinsten Verträgen drängen. (Lachen der Abg. Anja Karliczek [CDU/CSU]) Es sieht also wieder so aus, als ob hier die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher geschliffen werden. Frau Karliczek, dazu sagen wir ganz klar – und dabei bleiben wir auch –, dass das mit der Linken nicht zu machen ist. (Beifall bei der LINKEN – Anja Karliczek [CDU/CSU]: Ja, weil Sie es nicht verstanden haben! Das ist das Problem!) Ein zweiter kritischer Punkt ist, dass die Änderungen an den laufenden Bausparverträgen einseitig – ich betone: einseitig – mit der Genehmigung der Finanzaufsicht BaFin vorgenommen werden können. Die Regelungen zu dieser Sondergenehmigung der einseitigen Vertragsänderung sind zu lasch formuliert; das bleibt. Ich denke, dass ein solcher Eingriff in bestehende Verträge nur als letzter Ausweg möglich sein sollte, nämlich genau dann, wenn einer Bausparkasse Insolvenz droht und die Einlagen beziehungsweise die Finanzierungen der Bausparkunden gefährdet sind. Die bestehende Regelung ermöglicht es, dass Bausparkassen diese Änderungen ohne diese Notsituation zulasten ihrer Kunden vornehmen können. Das kann nicht im Interesse der zahlreichen Bausparerinnen und Bausparer sein. (Beifall bei der LINKEN) Insbesondere Kunden mit der weit verbreiteten Kombifinanzierung beziehungsweise dem Bausparsofortdarlehen stehen bei einer Bausparkasseninsolvenz vor einem Problem; denn sie sind nur unzureichend geschützt. Um auch das noch zu sagen: Sie verlieren kein Wort über diese Bausparsofortdarlehen. Auch das ist ein weiterer Kritikpunkt von uns. Meine Damen und Herren, wir von der Linken lehnen diesen Gesetzentwurf ab. Sie gehen kaum auf die Risiken und Probleme im Bauspargeschäft ein. Ich hoffe, dass wir nicht in ein paar Jahren hier wieder zusammensitzen und den Zusammenbruch einiger Bausparkassen zu beklagen haben, weil Sie heute nicht die richtigen Weichen gestellt haben, um die Bausparkassen zu stabilisieren. Sie schützen die Verbraucherinnen und Verbraucher und ihre Interessen zu wenig. (Manfred Zöllmer [SPD]: Das ist ziemlich dreist, die Argumentation! Das muss ich wirklich sagen!) Das ist ganz klar der falsche Weg. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Eine insolvente Sparkasse ist für ihre Kunden auch nicht sehr gut, oder? Da haben wir dann gleich mehrere Kinder mit dem Bade ausgeschüttet!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Manfred Zöllmer von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Manfred Zöllmer (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bausparkassen in Deutschland haben ein erfolgreiches und bewährtes Modell, Menschen zu Wohnung und Eigentum zu verhelfen. Das zeigt die Vergangenheit; das zeigen aber auch die aktuellen Zahlen. Ihr Geschäftsmodell basiert auf der Grundidee des kollektiven Bausparens. Dieser Idee sind in Deutschland sehr viele Menschen gefolgt. Das zeigen 30 Millionen Bausparverträge mit Einlagen in Höhe von über 150 Milliarden Euro. Meine Damen und Herren, das können nicht alles nur Spießer sein, um eine alte Fernsehwerbung zu zitieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aktuell sind die Bausparkassen allerdings unter Druck geraten, infiziert von den Nullzinsen. Die aktuelle Niedrigzinsphase bedroht das bewährte Geschäftsmodell der Bausparkassen. Viele Kunden belassen ihr angespartes Geld, das noch ordentlich verzinst wird, lieber in der Bausparkasse und holen sich einen Immobilienkredit am Markt. Dort ist er billiger als das, was mit der Bausparkasse vertraglich vereinbart worden ist. Dies ist ein Dilemma für die Bausparkassen und eine Herausforderung für den Gesetzgeber. Mit dem neuen Bausparkassen­gesetz wollen wir den Bausparkassen helfen, ihr bewährtes Geschäftsmodell auch in einer Niedrigzinsphase beizubehalten. Offensichtlich wird diese Niedrigzinsphase noch sehr lange anhalten. Man muss sich nur die heutigen Beschlüsse der EZB ansehen. Wir wollen mit einer maßvollen Geschäftsausweitung einige Beschränkungen lockern, damit Bausparkassen auch in einer Niedrigzinsphase wirtschaftlich bestehen können – (Beifall bei der SPD – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Für ihre Kunden!) – für ihre Kunden –, ohne unverhältnismäßige Risiken einzugehen. Die gute Nachricht für alle Verbraucherinnen und Verbraucher lautet, liebe Frau Karawanskij: Dies geht nicht zulasten der Kunden. Ihre Rechtsstellung bleibt unverändert. Dies ist eine gute Nachricht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Was ändert sich nicht? Auch in Zukunft wird die Bausparkasse ein Spezialkreditinstitut bleiben. Was ändert sich? Ich will auf einige der Änderungen kurz eingehen. Wir werden die Beleihungsgrenze von 80 auf 100 Prozent des Beleihungswertes erhöhen. Die bisherige Beleihungsgrenze führte in der Praxis dazu, dass real nur eine Beleihung von ungefähr 65 Prozent des Verkehrswertes einer Immobilie ohne Zusatzsicherheiten möglich war. Das ist für viele junge Familien zu wenig und benachteiligt gleichzeitig die Bausparkassen im Wettbewerb. Diese Erhöhung gilt für selbstgenutzten Wohnraum. Auch die Anhörung hat gezeigt, dass diese Ausweitung sinnvoll und geboten ist und dass die Bausparkassen damit mehr verfügbare Mittel in Wohnungsbaufinanzierung anlegen können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das Ausfallrisiko der Bausparkassen ist sehr gering, wie die Zahlen zeigen. Damit gibt es keine unvertretbaren Stabilitätsrisiken. Bausparkassen erhalten die Möglichkeit, künftig Mittel aus der Zuteilungsmasse, die vorübergehend dafür nicht verwendet werden können, auch zur Gewährung von sonstigen Baudarlehen zu verwenden. Damit reagieren wir auf die veränderten Bedingungen im Niedrigzinsumfeld. Dem gleichen Zweck dient die Ausweitung des Verwendungszwecks des Fonds zur bauspartechnischen Absicherung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden das enge Korsett der Anlagemöglichkeiten einer Bausparkasse moderat erweitern. Zukünftig dürfen Bausparkassen bis zu 5 Prozent der Zuteilungsmasse in Aktien anlegen. Das gilt allerdings erst ab 2017, weil es notwendig ist, dass sie ein eigenes Risikomanagement aufbauen. Darüber hinaus wird es noch eine Verordnung des Ministeriums geben, in der entsprechende Vorschriften gemacht werden, wie man zum Beispiel Anlagen diversifizieren und streuen soll. Wenn eine höhere Rendite erzielt werden soll, dann ist das immer mit höheren Risiken verbunden. Es kommt darauf an, diese Risiken sinnvoll zu begrenzen, und das machen wir. Jede Art der Anlage ist letztendlich mit Risiken verbunden. Das gilt, wie die Vergangenheit gezeigt hat, auch für Staatsanleihen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, etwas ratlos machen mich die Kritik der Linken und das, was die Grünen kritisiert haben. Wir haben das im Ausschuss gehört. Liebe Frau Karawanskij, ausgerechnet die Linke findet den Kollektivgedanken beim Bausparen verwerflich. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Oh, Herr Zöllmer! – Zuruf von der SPD: Hört! Hört!) Das ist so, als ob die katholische Kirche von der Bibel ablassen soll. Alle ideologischen Väter Ihrer Partei würden im Grabe rotieren, wenn sie das erfahren würden. (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Herr Zöllmer, ich gebe Ihnen gern eine Nachhilfestunde! Mache ich wirklich gern! Dann können wir uns auch darüber unterhalten, wie das mit den Auszahlungsmodalitäten ist!) – Ja, das ist in Ordnung, aber für mich macht das eines wirklich deutlich, nämlich dass Ihre Kritik ziemlich hilflos ist. 30 Millionen Bausparverträge sprechen hier eine andere Sprache. Offensichtlich vertrauen die Menschen kollektiven Systemen, und ich finde das gut. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Die jetzt von den Bausparkassen gekündigt werden! Das ist der Punkt!) Bei den Grünen ist mir nicht klar geworden, welche Kritik Sie letztendlich haben. Ich hatte das Gefühl, Sie haben einfach ein Problem mit Bausparkassen. Sie haben keine Alternative aufgezeigt. Ich habe das dumpfe Gefühl, Sie haben auch keine Alternative. Sie handeln nach dem Motto von Konfuzius: Wer etwas will, sucht Wege. Wer etwas nicht will, sucht Gründe. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir erweitern mit diesem Gesetz den Spielraum der Bausparkassen, damit sie auch in Zukunft am Markt bestehen können. Dies geschieht maßvoll und verantwortlich, ohne dass übermäßige Risiken entstehen und ohne die Kundinnen und Kunden zu belasten. Dies ist ein guter Weg. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Dr. Gerhard Schick von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorgelegte Gesetzentwurf scheitert schon bei der Analyse dessen, was eigentlich das Problem ist. Herr Zöllmer hat gerade noch einmal gesagt, die aktuelle Zinssituation, die aktuelle Niedrigzinsphase sei das Problem. Mitnichten! Das Problem der Bausparkassen hat schon in den 90er-Jahren angefangen, als die Zinsen begonnen haben, zu sinken. Das ist ja nicht erst seit 2008 der Fall. Deswegen greift man zu kurz, wenn man meint, man hat es mit einem aktuellen Problem zu tun. Man muss vielmehr genau sehen: Als die Zinsen anfingen, zu sinken, sind die Bausparkassen dazu übergegangen, von ihrem traditionellen Geschäftsmodell Abstand zu nehmen. Sie haben sich in Konkurrenz zu Banken und Versicherungen begeben und attraktive Festgeldangebote gemacht. Das sind genau die Verträge, die ihnen heute Schwierigkeiten machen. Man muss auch sehen, dass hier schon ein längerer Weg zurückgelegt worden ist, dass der Versuch, auf eine schwierige Phase zu reagieren, in immer neue Probleme geführt hat. Ich finde es schon interessant: An anderer Stelle sind Sie mit „Pacta sunt servanda“ immer dabei. Sie hätten erwähnen können, dass dieses Prinzip auch bei den Bausparkassen gelten sollte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Anja Karliczek [CDU/CSU]: Tut es ja auch!) – Sie haben es aber nicht erwähnt. Vonseiten der Bausparkassen wurde auf die Problematik, dass das eigentliche Geschäftsmodell bei sinkenden Zinsen nicht mehr attraktiv ist, damit reagiert, es komplett umzuwandeln – „Vor- und Zwischenfinanzierungen“ ist das Stichwort –, sodass die Menschen nicht mehr ansparen und Mittel dann zugeteilt bekommen, sondern direkt Kredit erhalten und gleichzeitig über einen Bausparvertrag ansparen. Es unterliegt massiven Zweifeln, ob diese Modelle für den Kunden günstig sind. Wir haben in der Anhörung gehört, dass viele Experten das bezweifeln. Wenn man vor dieser Situation steht, kann man nicht sagen: Das bewährte Geschäftsmodell soll beibehalten werden. – Herr Zöllmer, dieses bewährte Geschäftsmodell gibt es gar nicht mehr. Während noch 1990 drei Viertel der Bilanz der Bausparkassen echte Bauspardarlehen waren, sind heute drei Viertel der Bilanz Vor- und Zwischenfinanzierungen, betreffen also gerade nicht mehr das traditionelle Modell. Sie versuchen etwas zu bewahren, was Sie nicht bewahren können. Jetzt gehen Sie den Weg weiter und weichen das auf, statt sich bei der Fragestellung, was man jetzt tun kann, für eine Alternative zu entscheiden. Sie konzentrieren Ihre Arbeit darauf, den Weg, zwar ein bisschen ausweichend, fortzusetzen, und verschieben die Lösung der Probleme damit in die Zukunft. Warum soll eine Bausparkasse, wenn man – so Ihre Ansage – das traditionelle Geschäftsmodell fortsetzen will, Pfandbriefe begeben können? Wenn das traditionelle Geschäftsmodell bewahrt werden soll, warum dann die Ausweitung des Aktiengeschäfts? Was de facto passiert ist, ist, dass die Fassade „Bausparkasse“ beibehalten wird, der die Kundinnen und Kunden nach wie vor vertrauen, hinter dieser Fassade aber etwas ganz anderes stattfindet. Deswegen ist unsere Position, dass man in einer Situation, wo das traditionelle Geschäftsmodell aufgrund der niedrigen Zinsen seit Jahrzehnten nicht mehr vollständig funktionieren kann, die Probleme nicht weiter vor sich herschieben darf, sondern dafür sorgen muss, dass sich die Branche an das geringere Volumen anpasst. Denn was ist passiert? In der Zeit, als das Bausparen insgesamt unter Druck geriet und eigentlich hätte geringer werden müssen, hat man das Volumen noch massiv aufgebläht, sodass man heute viel mehr Probleme hat, als man haben müsste. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Was ist da jetzt zu tun?) Deswegen sind wir sowohl mit Blick auf die Analyse als auch bezüglich dessen, was Sie vorschlagen, der Meinung, dass das unzureichend ist. Wir haben im Ausschuss vorgeschlagen, dass sich die Finanzaufsicht einmal anschaut, ob das, was hinter dem Schild „Bausparkassen“ stattfindet, für die Kundinnen und Kunden eigentlich sinnvolle Geschäfte sind oder ob hier nicht in großem Umfang schlechte Finanzierungen für eine Immobilie angeboten werden. Da sehen wir massiven Korrekturbedarf. Das hätten Sie angehen müssen. Sie tun es leider nicht. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Ein konstruktiver Vorschlag war das jetzt aber noch nicht!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Alexander Radwan von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Alexander Radwan (CDU/CSU): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung das Bausparkassengesetz. Kollegin Karliczek und Kollege Zöllmer haben die notwendigen und richtigen Entscheidungen dargelegt. Wir haben bei den Oppositionsfraktionen zwar nicht in der Argumentation, aber im Ergebnis das Gleiche gesehen: Letztendlich soll das Bausparen in dieser Form in Deutschland keine Zukunft haben. Sie, die Grünen, sagen es dogmatisch – nach dem Motto: Es ist ein überkommenes Modell, das in dieser Form nicht weiterleben soll. (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, ganz pragmatisch!) Was die Linke angeht: Ihrer Argumentation kann man zwar ein Stück weit folgen, aber das führt im Ergebnis auf jeden Fall zum Kollaps der Bausparkassen. Sie kommen nicht weit damit, zu sagen: Damit retten wir sie. – Das bewirkt genau das Gegenteil Ihrer Aussage, dass die Bausparkassen überleben werden. Ob Sie das wollen, müssen Sie selber sagen. Ihre Argumentation geht jedenfalls komplett in die falsche Richtung. (Beifall bei der CDU/CSU) Zum Thema „Kündigung von Bausparverträgen“. Oft wurden, wie erwähnt, Bausparverträge, in deren Rahmen die komplette Bausparsumme bis zur Aussparung angespart wurde, gekündigt. Wir können hierüber sicherlich kräftig diskutieren. Aber ich bin der Meinung, dass die Gerichte entscheiden sollen, ob die Verträge eingehalten wurden oder nicht. Ich halte es für richtig, dass wir nicht nachträglich in Verträge eingreifen. Oder wollen Sie immer dann, wenn eine Gerichtsentscheidung droht, automatisch das entsprechende Gesetz nachträglich ändern? Die Gerichte haben nun das Wort und sollen entscheiden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich bin auf die weiteren Diskussionen gespannt. Der Kollege Zöllmer hat bereits auf den heutigen Tag hingewiesen; das hätte nicht besser sein können. Die Schlussberatung über den Entwurf eines Gesetzes betreffend die Bausparkassen fällt genau auf den Tag, an dem die EZB wieder eine wichtige Entscheidung getroffen hat. Sie wird die Niedrigzinsphase mindestens bis 2017 fortsetzen. Schauen wir einmal, was die Fed, die schon vor über einem Jahr angekündigt hat, aus der Niedrigzinsphase auszusteigen, in der nächsten Woche machen wird. Wir werden hier Diskussionen darüber führen müssen, wie es mit Lebensversicherungen, der betrieblichen Altersvorsorge, dem traditionellen Sparen und den Regionalbanken weitergeht. Alles, was ich bisher von der Opposition dazu gehört habe, ist, das gehe so nicht. Wenn ich alle Argumente zu Ende denke, dann komme ich zu dem Schluss, dass die Linke und die Grünen die Hofberichterstatter und die Königsmacher der Kapitalmärkte sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Denn diese Märkte werden am Schluss obsiegen, wenn wir nicht entsprechend einschreiten. Das ist genau die Krux: Die Linke, die ständig erklärt, den Märkten in Amerika sei nicht zu trauen, betreibt eine Politik, die ein langfristig orientiertes Finanzwesen schleift und schließlich kaputtmacht. So werden am Schluss die Kapitalmärkte siegen. Das wollen wir nicht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Das ist zu dünn!) – Das ist nicht zu dünn. Damit können Sie sich argumentativ auseinandersetzen. Aber das, was Sie vorgetragen haben, Frau Kollegin, war noch nicht einmal dünn. (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Sondern dick?) – Nein, noch weniger. Aber lassen Sie es einmal dahingestellt. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist die Steigerungsform von „dünn“?) – Herr Dr. Schick, darüber werden wir uns einmal auseinandersetzen. Da kann man sogar durchschauen. (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht, dass Sie von Ihrer Rede reden!) Ich möchte die Ausführungen meiner Kollegin Karliczek nur noch in einem Punkt ergänzen. Wir reden hier über ein Spezialgesetz und ein Spezialbankensystem. Es ist dringend notwendig, dass dies auf europäischer Ebene berücksichtigt wird. Deshalb haben wir darauf gedrungen, dass die BaFin EBA-Vorgaben entsprechend zu handhaben hat. Wir erwarten, dass die BaFin zukünftig in den ESAs-Gremien verstärkt ihre Positionen im Bereich der EBA so vertritt und dort, wo es möglich ist, den nationalen Spielraum so nutzt, dass es unserer stabilen, langfristig orientierten Finanzstruktur zugutekommt. Wie wir wissen, wird alles auf europäischer Ebene – Stichwort „Einlagensicherung“ – über einen Kamm geschert. Letztendlich schadet das der nach dem Subsidiaritätsprinzip aufgebauten Vielfalt in Europa. Wir sind für Vielfalt, und die Bausparkassen sind ein Teil dieser Vielfalt. Wir haben das Gesetz gemacht, damit die Bausparkassen eine Zukunft haben. Besten Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Bausparkassen. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6903, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/6418 und 18/6680 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 15 a und 15 b auf: a) Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Katrin Werner, Jan Korte, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Entwicklungsstand und Umsetzung des Inklusionsgebotes in der Bundesrepublik Deutschland Drucksachen 18/3460 (neu), 18/6533 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Corinna Rüffer, Maria Klein-Schmeink, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Empfehlungen der Vereinten Nationen zur Behindertenrechtskonvention zügig umsetzen Drucksachen 18/4813, 18/5163 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Widerspruch kann ich nirgendwo erkennen. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die Kollegin Katrin Werner für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Katrin Werner (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute ist der Internationale Tag der Menschen mit Behinderung. Es ist schon bezeichnend, dass wir keine ausführliche Debatte darüber führen. 25 Minuten werden dem Thema „Menschen mit Behinderung“ eingeräumt, und das auch nur, weil die Linken den TOP aufgesetzt und die Grünen ihren Antrag hinzugefügt haben. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Seien Sie doch einmal ehrlich: Das lässt nur den Schluss zu, dass die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung für die Regierung keinen allzu großen Stellenwert hat. Da hilft es auch nicht, wenn in der Elefantenrunde zum Haushalt die Fraktionsvorsitzenden der Regierungsparteien zwei Sätze zum Bundesteilhabegesetz verlieren. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ein weiteres Beispiel sind die zweitägigen Inklusionstage des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales in der vergangenen Woche. Bei der Tagung wurde zwar viel über den Arbeitsentwurf des neuen Aktionsplans 2.0 diskutiert. Aber auch hier zeigt sich: Eine tatsächliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung liegt der Regierung nicht wirklich am Herzen. – So gut wie nichts ist von den Arbeitsergebnissen des vergangenen Jahres im Arbeitsentwurf des Nationalen Aktionsplans 2.0 zu finden. Eltern mit Behinderung oder der Wahlrechtsausschluss von Gruppen behinderter Menschen werden wie vieles andere im neuen Aktionsplan erst gar nicht erwähnt. Das ist Pseudobeteiligung, meine Damen und Herren. Sie stellen die Maßnahmen unter einen Kostenvorbehalt, was bei der Verwirklichung von Menschenrechten absolut nicht zulässig ist. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In den Aktionsplan schreiben Sie ein Kapitel zur Prävention von Behinderung. Darum geht es aber bei Menschenrechten nicht. Es geht um die Rechte von Menschen mit Behinderung und nicht darum, Behinderung zu vermeiden. Die Bundesregierung versteht die UN-Behindertenrechtskonvention nicht. Ihr fehlt noch immer die Menschenrechtsperspektive. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren der Regierung, wenn Sie beim Bundesteilhabegesetz die Messlatte so niedrig ansetzen wie bei der Beantwortung unserer Großen Anfrage, was soll dann aus dem Bundesteilhabegesetz werden? (Beifall bei der LINKEN) Sie schreiben in Ihrer Antwort, dass es zwischen Armut und Behinderung keinen direkten Zusammenhang gibt. Ist denn das zu fassen? Das ist blanker Hohn und ein Schlag ins Gesicht aller Menschen, die in Deutschland auf Teilhabeleistungen angewiesen sind. Für sie gelten Einkommens- und Vermögensgrenzen. Diese Menschen werden ein Leben lang in Armut gehalten. Das Bundesteilhabegesetz muss einkommens- und vermögensunabhängig sein. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Selbst Herr Schummer, behindertenpolitischer Sprecher der Union, hat im Mai 2014 in diesem Zusammenhang vor dem Deutschen Bundestag vor einer Armutsfalle gewarnt. (Uwe Schummer [CDU/CSU]: So ist es!) Ein weiterer Skandal ist die unzureichende Versorgung von Menschen mit Behinderung im Krankenhaus. Nur in Ausnahmefällen werden die Kosten für notwendige Assistenz übernommen. Aus Angst vor Unterversorgung schieben manche Betroffene lebenserhaltende Operationen immer weiter heraus, manchmal bis es zu spät ist. Das Bundesteilhabegesetz muss für Menschen mit Behinderung endlich echte Fortschritte bringen. Es muss mehr sein als nur ein abgestimmter Kompromiss zwischen den Regierungsparteien, der mehrheitsfähig ist. Es ist eine Schande, dass in einem reichen Land wie Deutschland Menschen mit Behinderung gegen ihren Willen im Heim leben müssen, nur weil es billiger ist. Diese Regelung muss endlich fallen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie sagen: „Das können wir uns nicht leisten“, dann legen Sie doch endlich die Zahlen auf den Tisch, und lassen Sie uns ehrlich miteinander darüber diskutieren. Aber eines sage ich Ihnen: Menschenrechte haben keinen Preis. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sehr geehrte Damen und Herren der Regierung, sorgen Sie endlich dafür, dass Menschen mit Behinderung gleichberechtigt mit anderen in der Mitte unserer Gesellschaft leben können. Das Bundesteilhabegesetz bietet eine Chance dazu. Sie haben es in der Hand. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Uwe Schummer. (Beifall bei der CDU/CSU) Uwe Schummer (CDU/CSU): Verehrtes Präsidium! Meine Kolleginnen und Kollegen! In der Tat wird den Menschen durch Debatten und Reden nicht geholfen. Entscheidend ist, dass ein Werkstück nach dem anderen parlamentarisch bearbeitet wird und Verbesserungen zustande kommen. Vor einem Jahr hatten wir hier eine Debatte anlässlich des Internationalen Tages der Menschen mit Behinderung. Dabei ging es darum, dass eine klaffende Gerechtigkeitslücke bestand in der Form, dass diejenigen, die in psychiatrischen Einrichtungen, in Behindertenheimen misshandelt worden waren, zur Zwangsarbeit herangezogen worden waren, missbraucht worden waren, durch die Opferfonds bis dahin nicht entschädigt worden waren. Es gab ein finanziell unterlegtes Angebot des Bundes an die Länder, gemeinsam mit Bayern, und an die Kirchen, einen neuen Opferfonds zu schaffen, um diese klaffende Gerechtigkeitslücke zu schließen. Die betroffenen Menschen sind heute teilweise um die 80 Jahre alt. Das heißt, wir brauchen eine zeitnahe Lösung. Wir haben uns über alle Fraktionsgrenzen hinweg versprochen, dafür einzutreten, dass das Angebot des Bundes, bei dem die Kirchen und Bayern mitziehen, auch von den anderen Bundesländern getragen wird. Die Blockade der Länder, die bis dahin nicht mitgezogen hatten, sollte gebrochen werden. Es ist daher eine gute Information, dass das Angebot des Bundes, gemeinsam mit den Ländern und Kirchen die Stiftung „Anerkennung und Hilfe“ einzurichten, und zwar durch eine Drittelfinanzierung der Beteiligten, nach einem Jahr im vergangenen November auf der Arbeits- und Sozialministerkonferenz beschlossen worden ist. Dadurch wird diese Gerechtigkeitslücke endlich geschlossen. Wer die Zukunft gestalten will, der muss auch die Fehler der Vergangenheit aufarbeiten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir haben das gegenüber den Bundesländern mit viel Überredungs- und Überzeugungsarbeit durchsetzen können. (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist peinlich, dass das so lange gedauert hat!) – Rheinland-Pfalz war leider nicht an der Spitze der Bewegung; aber Gott sei Dank hat sich auch Rheinland-Pfalz mittlerweile bewegt. (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist richtig!) Diese Aufgabe haben wir gemeinsam bewältigt. Es geht um die ideelle und finanzielle Anerkennung, aber auch um die Aufarbeitung dieser Verbrechen. Ich denke, es ist gut, dass dieses Thema nach der Arbeits- und Sozialministerkonferenz endlich angegangen werden kann und die notwendigen Maßnahmen zeitnah auf die Schiene gesetzt werden. Mit dem Förderprogramm für Integrationsfirmen haben wir zusätzlich 150 Millionen Euro mobilisiert, um auf dem ersten Arbeitsmarkt Inklusion zu leben; es geht um Unternehmen auf dem ersten Arbeitsmarkt. Es gibt derzeit 850 Integrationsfirmen. Wir können mit diesem Förderprogramm einen Anreiz schaffen, dass in den nächsten vier bis fünf Jahren weitere 800 bis 900 Integrationsfirmen bereitstehen. So sorgen wir dafür, dass der Run in die Werkstätten beendet wird. Bisher sind die meisten Neuzugänge in Werkstätten psychisch erkrankte Arbeitnehmer, die vom ersten Arbeitsmarkt kommen. Wir haben mit den vorhandenen Integrationsfirmen ein Instrument, mit dem wir sehr konkret für Tausende von behinderten Menschen Perspektiven auf dem ersten Arbeitsmarkt schaffen werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Wahlfreiheit, das wollen wir; das ist auch ein Thema des Bundesteilhabegesetzes. Wahlfreiheit braucht Optionen. Wir spielen nicht Werkstätten gegen Integrationsfirmen, „Budget für Arbeit“ oder „ausgelagerte Arbeitsplätze“ aus. Wir wollen Optionen, und die Werkstätten gehören dazu. Wir haben gesehen, was passiert, wenn die Werkstätten als ein Institut, das Rhythmus schafft, das soziale und kulturelle Teilhabe ermöglicht – das ist etwas, woran sich die Menschen ausrichten –, das persönliche Bedarfe entwickelt und Förderung bereitstellt, einfach aufgelöst werden. Das ist 2013 in England so geschehen mit der Konsequenz, dass von 1 890 Mitarbeitern in den dortigen Werkstätten heute noch 1 116 arbeitslos oder frühverrentet sind. Das heißt, sie sind aus der Werkstatt raus und vereinsamt zu Hause geblieben, auf Dauer arbeitslos geblieben. Das ist nicht Inklusion; das ist Ideologie, und zwar zulasten der Menschen. (Beifall bei der CDU/CSU – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Das ist Kapitalismus, Herr Schummer! Das hat mit Ideologie auch ein bisschen zu tun!) Wir wollen optional Werkstätten, Integrationsfirmen und „Budget für Arbeit“, damit wir möglichst Durchlässigkeit und auch Wahlfreiheit erreichen. Wir wollen keine Ideologie, die das eine gegen das andere ausspielt, so wie es bedauerlicherweise bei den Grünen immer noch der Fall ist. Wir werden systematisch weiter an den Themen arbeiten. Es kommt das Behindertengleichstellungsgesetz. Da geht es um die Förderung der leichten Sprache, um ein Kompetenzzentrum für Barrierefreiheit. Wir werden im nächsten Jahr das Thema Schwerbehindertenvertretungen und das Teilhabegesetz angehen – ein Werkstück nach dem anderen; denn die Menschen erwarten Lösungen und Gesetze und nicht große Reden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Corinna Rüffer für Bündnis 90/Die Grünen. Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Schummer, ich bin jetzt fast geneigt, von meinem Redemanuskript abzuweichen. Das werde ich aber nicht tun. Heute ist der Internationale Tag der Menschen mit Behinderung, und wir schaffen es, um 19 Uhr diese Debatte zu führen, ganze 25 Minuten lang. Das ist eine Katastrophe. Diese Debatte gehört eigentlich in die Kernzeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sigrid Hupach [DIE LINKE]) Ich möchte Ihnen auch erklären, warum. Zu diesem Zweck lese ich einmal vor, was mir eine Mutter eines Sohns mit besonders hohem Unterstützungsbedarf geschrieben hat. Ich zitiere: Eltern behinderter Kinder fühlen sich alleingelassen, ständig in der Rechtfertigungsposition, ständig im Kampf mit den Behörden. Wir brauchen stattdessen Verständnis und Unterstützung und nicht immer das Gefühl, als Schmarotzer der Gesellschaft gesehen zu werden. Wir lieben unsere Kinder nicht weniger als Eltern ihre gesunden Kinder. Auch unsere Kinder sollen glücklich sein. Ich sage: Sie haben ein Recht dazu. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich habe am Montag ganz intensiv mit dieser Frau geredet. Sie hat mir noch einmal erklärt, was für ein harter Kampf es gewesen ist, bis sie jetzt eine Lösung für sich, ihren Sohn und den Rest der Familie gefunden hat. Der Sohn wohnt in einer eigenen Wohnung, hat Persönliche Assistenz. Er lebt so, wie sie sich das wünschen. Das hat Jahre gedauert, und das darf nicht so bleiben. In einem hochentwickelten Staat wie Deutschland darf es nicht Jahre dauern, bis man sich so ein Setting erarbeitet hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Katrin Werner [DIE LINKE]) Der Sohn hat, wie gesagt, hohen Unterstützungsbedarf. Er kann nicht sprechen und sitzt im Rollstuhl. Er hat das passive Sprachverständnis eines vielleicht neun Monate alten Kindes. Trotzdem lebt er heute in seinem Viertel, voll integriert, als wirklich glücklicher Mensch. Ich habe ihn besucht und mir ein Bild gemacht. Ich kann sagen: Das ist möglich, aber nur dann, wenn der Staat das tut, was er tun muss, nämlich die Menschen unterstützen. Ich kann die Mutter voll unterstützen, wenn sie sagt: Für diesen Sohn wäre das Heim nicht der richtige Platz gewesen. Dort wäre dieser Sohn nicht so glücklich, nicht so zufrieden, wie er es heute ist. Es ist zum Verzweifeln. Zu dem Schluss kommt man, wenn man dieser Frau zuhört, wenn sie über das Hilfesystem redet, wenn sie darüber redet, was sie durch das zuständige Sozialamt erlitten hat. – Herr Kaster, da gucken Sie. Ich erkläre Ihnen das einmal. (Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Ich höre zu!) Es wurde nicht darauf geachtet, was diese Frau will, nämlich dass das Instrument des Persönlichen Budgets auf eine Person angewendet wird, die eine sogenannte geistige Beeinträchtigung hat. In dem Zusammenhang redet man eigentlich eher über Akademiker, die im Rollstuhl sitzen. Das Persönliche Budget ist aber nicht nur für diese Personengruppe geeignet, sondern auch für diejenigen, die kognitive Beeinträchtigungen haben. Das betreffende Sozialamt hat jahrelang dagegen gekämpft, dass diese Frau dieses Instrument für ihren Sohn in Anspruch nehmen konnte. Man hat hinter ihrem Rücken und ohne ihr Wissen einen Heimplatz organisiert in der Hoffnung, dass sie irgendwann einknickt und aufgibt. Sie hat aber nicht aufgegeben, und nun lebt ihr Sohn in der vorhin beschriebenen Situation. Diese Frau hat nicht aufgegeben, weil sie sich mit anderen in einem Verein für Menschen mit Behinderung zusammengetan hat, die sich selbst organisiert haben. Sie ist politisch aktiv geworden und hat Leute kennengelernt, die etwas zu sagen haben. Es kann aber doch nicht sein, dass in Deutschland nur dann Dinge umgesetzt werden können, wenn man über Vitamin B verfügt und die Kraft hat, sich das aufzubauen. Das darf nicht sein. Wir leben nicht in einer Bananenrepublik, sondern in einem Rechtsstaat, in dem die Menschen ihre Rechte auch in Anspruch nehmen dürfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es darf keinen Automatismus geben, irgendwann im Wohnheim zu enden. Vielmehr müssen individuelle Lösungen möglich sein. Wir wissen aus zahlreichen Untersuchungen: Unabhängig davon, ob der Hilfebedarf groß oder gering ist, wollen die Menschen individuelle Lösungen. Die sollen sie auch bekommen. Insofern ist es sehr wichtig, dass wir jetzt endlich in die Debatte um das Bundesteilhabegesetz einsteigen. Ursprünglich war zugesagt, dass der Referentenentwurf Ende November vorliegt. Irgendwann sickerte durch, dass wir mit der Vorlage im Frühling rechnen dürfen. Wir haben aber keine Zeit zu verlieren. Wir erwarten, dass Sie etwas Substanzielles vorlegen, über das wir diskutieren können. Mit unserem Antrag, den wir vorgelegt haben, machen wir konkrete Vorschläge, die sich ableiten aus der Expertenanhörung des UN-Fachausschusses für Rechte von Menschen mit Behinderungen vom März dieses Jahres in Genf. Wir wollen Sondereinrichtungen abbauen und gemeindenahe Dienste aufbauen. Wir wollen ein Hilfesystem schaffen, das dazu dient, dass die Menschen das bekommen, was sie sich wünschen und was sie glücklich macht. Darüber können wir einmal reden. Der Staat ist auch dazu da, die Bevölkerung im Einzelfall glücklich zu machen. Ich glaube, das tun wir viel zu selten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Rüffer, das Thema verdient es mit Sicherheit, dass es sehr ernsthaft und ausführlich behandelt wird. Trotzdem haben wir vereinbarte Redezeiten. Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zum Ende. Aber das zeigt ja, dass dies ein ergiebiges Thema ist. Deshalb sollten wir beim nächsten Mal nicht nur 25 Minuten, sondern vielleicht anderthalb Stunden lang darüber reden. Das Thema ist wirklich wichtig. Zum Schluss möchte ich sagen: Wir haben im Jahr 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert. Insofern handelt es sich um geltendes Recht in diesem Land. Wir sollten das endlich umsetzen. Darum bitte ich. Bitte leisten Sie mit Ihrer übergroßen Mehrheit Ihren Beitrag dazu. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Tack für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kerstin Tack (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte damit beginnen, den Angehörigen derer mein Beileid und meine Anteilnahme auszusprechen, die gestern in einer Einrichtung der Behindertenhilfe in Kalifornien Opfer eines Schusswaffenangriffs geworden sind, 17 an der Zahl, vielleicht noch mehr; das wissen wir noch nicht. Auch wenn wir noch keine näheren Einzelheiten kennen, ist festzuhalten, dass solche Dinge auch vor Einrichtungen der Behindertenhilfe nicht haltmachen. Ich glaube, an dieser Stelle und an diesem Tag muss Raum sein, zu sagen, dass unsere Gedanken bei den Angehörigen der Opfer sind und wir diesen Angriff verurteilen. (Beifall im ganzen Hause) Mit der Staatenberichtsprüfung, die wir im Mai erstmals für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland hatten, haben wir eine ganze Reihe von Empfehlungen und Anregungen bekommen für die künftige Entwicklung in Deutschland zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft. Wir haben aber auch mitbekommen – es ist immer so einfach, zu sagen, wo es nicht gut läuft –, an welchen Stellen wir uns in den vergangenen Jahren schon in Richtung einer inklusiven Gesellschaft entwickelt haben. Ich freue mich, dass wir uns insbesondere mit der Frage der Bewusstseinsbildung befassen – das ist die größte Herausforderung bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention –, dass wir uns mit der Frage befassen, wie wir einen Bewusstseinswandel schaffen und die allergrößten Barrieren abbauen können, nämlich die Barrieren in den Köpfen der Menschen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Der Abbau dieser Barrieren ist der größte Hemmschuh für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Der Gesetzgeber ist da ein Player durch die Rahmenbedingungen, die er setzen muss. Aber auch alle anderen, die Zivilgesellschaft, die Wirtschaft, die Kirchen, sind gefragt, zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention beizutragen und sich nicht auf den Bundesgesetzgeber zu verlassen; denn er kann mit Rahmenbedingungen keine Köpfe verändern, sondern nur Rahmenbedingungen in Form von Gesetzen setzen. Ich möchte mich auf den Arbeitsmarkt konzentrieren, weil ich glaube, dass der inklusive Arbeitsmarkt eine Schlüsselfunktion für eine inklusive Gesellschaft und für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention hat. Vor wenigen Tagen ist das Inklusionsbarometer Arbeit erschienen. Es belegt, dass wir mit einer Zahl von 1,15 Millionen Menschen, die im allgemeinen Arbeitsmarkt untergekommen sind, ein Rekordniveau erreicht haben, auf dem wir uns zwar nicht ausruhen, das wir aber durchaus zur Kenntnis nehmen. Gleichzeitig – da wird es dann schon kritisch – stieg die Zahl der arbeitslosen Menschen an. Die Arbeitslosenquote ist unter schwerbehinderten Menschen doppelt so hoch wie bei Menschen ohne eine Beeinträchtigung. Insbesondere psychisch erkrankte und geistig behinderte Menschen haben einen erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt. Das zeigt: Hier ist ein Bewusstseinswandel, auch in der Wirtschaft, von ganz großem Nutzen. Deshalb freue ich mich, dass wir hier in den letzten zwei Jahren eine ganze Menge dazu auf den Weg gebracht haben. Ich möchte das gerne erläutern. Wir haben mit der Initiative Inklusion und ihren vier Zielen genau an der Stelle angesetzt. Wir geben 80 Millionen Euro dafür aus, dass 20 000 schwerbehinderte Schülerinnen und Schüler mittels Praktika beim Übergang von der Schule ins Berufsleben unterstützt werden. Wir haben mit der Wirtschaft 1 300 neue Ausbildungsplätze für schwerbehinderte junge Menschen vereinbart. Dafür geben wir 15 Millionen Euro aus. Wir haben 4 000 neue Arbeitsplätze für über 50-Jährige mit Schwerbehinderung vereinbart. 40 Millionen Euro stehen dafür zur Verfügung. Und wir haben zusammen mit den Handwerkskammern besprochen, dass deren Kompetenz zur Inklusion am Arbeitsmarkt dadurch gesteigert werden soll, dass sie für noch einmal 5 Millionen Euro eigene personelle Ressourcen einkaufen bzw. Menschen dafür anstellen können. Ich finde, das ist gut und zeigt, dass es angekommen ist und es unabhängig von der Frage, was wir mit Gesetzen regeln, ein immer stärker werdendes Bewusstsein der Unternehmen gibt, sich hier zu engagieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben mit der Inklusionsinitiative für Ausbildung und Beschäftigung auch die Sensibilisierung der Sozialpartner erreicht, die sich verpflichtet haben, in diesem Bereich tätig zu werden. Mit der Initiative „Inklusion gelingt!“ haben die Arbeitgeber, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag, der Zentralverband des Deutschen Handwerks und andere sich verpflichtet, zu informieren, praxisnahe Beispiele zu kommunizieren und entsprechend zu werben. Wir haben mit der Allianz für Aus- und Weiterbildung erreicht, dass insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen mit der Assistierten Ausbildung, mit der begleiteten betrieblichen Ausbildung und schlussendlich auch mit der Unterstützten Beschäftigung hier mehrere Instrumente zur Verfügung haben, um auch Menschen mit schwerer Behinderung das Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu erleichtern und ihnen Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen. Ich finde, das ist Bewusstseinsbildung, die eben beides umfasst: auf der einen Seite die Umsetzung von inklusiven Gedanken, auf der anderen Seite aber auch klare Zielzahlen, die messbar sind und mit denen wir auch messen wollen. Schlussendlich ist es aber auch so, dass wir bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention sicherlich nicht von einem einzigen Gesetz reden können, auch wenn heute versucht wird, die komplette Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention am Bundesteilhabe­gesetz festzumachen. Das ist doch ein bisschen mau. (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat keiner behauptet!) Denn: Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ist eine Daueraufgabe aller Ebenen, aller Strukturen und vor allen Dingen auch eine Aufgabe, die sich nicht allein beim Bundesgesetzgeber abzeichnet. Deshalb würde ich mich freuen, wenn wir es schafften, neben der reinen Debatte um ein einziges Gesetz, zumal wir mehr vorhaben, das Thema Bewusstseinsbildung stärker in das Bewusstsein zu rufen; denn wir haben eine Gemeinschaftsaufgabe: vom Bund, von den Ländern, von den Kommunen, von der Wirtschaft, von den Sozialverbänden, von den Kirchen und von der kompletten Zivilgesellschaft. Ich glaube, wir tun gut daran, wenn wir an dieser Stelle gemeinschaftlich dafür werben, dass unsere Gesellschaft eine inklusive Gesellschaft wird, und wir uns nicht an einem einzelnen Gesetz gegenseitig etwas vormachen. Das hielte ich für zu wenig, gerade an einem Tag wie heute. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Abschließende Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Dr. Astrid Freudenstein für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Werner, wenn diese Debatte so wichtig ist, dann erlauben Sie mir die Frage, warum nahezu alle, ich meine sogar, alle ordentlichen Mitglieder Ihrer Fraktion, die dem Ausschuss für Arbeit und Soziales angehören, heute mit Abwesenheit glänzen. Ich finde das eigenartig. (Beifall bei der CDU/CSU – Katrin Werner [DIE LINKE]: Weil wir gegen den Bundeswehreinsatz demonstrieren!) Wenn die Platzierung und die Länge dieser Debatte kritisiert werden, dann müssen wir ein wenig selbstkritisch feststellen, dass sie leider nach einem recht vorhersehbaren Muster abläuft. Die Opposition stilisiert sich zu einem einzig wahren Fürsprecher der Betroffenen, zeichnet das immer gleiche Bild von einer Koalition, die zu wenig tut, und von einem Deutschland, das in Fragen der Inklusion eher ein Entwicklungsland ist. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion und der Grünen, auch wenn Sie es nicht wahrnehmen wollen: Sie sind nicht auf der Höhe der Zeit. Wir sind ganz gut unterwegs. Die Karawane zieht einfach weiter. (Katrin Werner [DIE LINKE]: Die CSU auf der Höhe der Zeit, alles klar!) Wir alle, die wir uns mit der Inklusion beschäftigen, sind in ständigem Austausch mit den Betroffenen. Wir wissen sehr gut, wo es hakt, und wir wissen sehr gut, wo wir noch besser werden müssen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vor allem weiß ich eines: Mit Ihrer Schwarzmalerei ist niemandem geholfen in diesem Land. Das Inklusionsbarometer Arbeit, das in dieser Woche vorgestellt worden ist, hat unsere Fortschritte mit Zahlen untermauert. Wir haben momentan – die Kollegin Tack hat es erwähnt – eine Erwerbstätigkeit von mehr als 1,15 Millionen Menschen mit Behinderung. Das ist so viel wie nie zuvor. Das ist ein Rekord. Es ist auch richtig, dass das nicht spitze ist. Auch das zeigt das Inklusionsbarometer. Wir dürfen uns natürlich nicht ausruhen, aber das will ja auch keiner von uns. Der Beteiligungsprozess zum Bundesteilhabegesetz war einmalig und richtungsweisend. So etwas hat es noch nie gegeben; übrigens auch nicht, als Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, an der Regierung waren. Und während sich die grüne Fraktion immer wieder in ideologischen Diskussionen um Sonderwelten verliert, saßen im Ministerium längst behinderte und nicht behinderte Menschen auf Augenhöhe zusammen und haben sich Gedanken darüber gemacht, wie ein modernes Inklusionsrecht auszusehen hat. (Katrin Werner [DIE LINKE]: Waren Sie eigentlich bei der Diskussion auf den Inklusionstagen letzte Woche?) Auch die Weiterentwicklung des Nationalen Aktionsplans ist für eine weitere erfolgreiche Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention wichtig. Auf den Inklusionstagen in der vergangenen Woche wurde der Arbeitsentwurf vorgestellt und breit diskutiert. Wenn Sie sich diesen Entwurf anschauen – knallige fast 140 Seiten –, dann werden Sie sehen: Untätigkeit kann man uns wirklich nicht vorwerfen. Es passiert so viel in unserem Land, Sie müssen es nur sehen wollen. (Beifall bei der CDU/CSU) Für eine Antwort auf Ihre Anfrage, meine Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, bin ich der Bundesregierung im Übrigen wirklich dankbar. Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Freudenstein, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung der Kollegin Rüffer? Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Ja, bitte. (Katrin Werner [DIE LINKE], an die Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] gewandt: Frag mal, ob sie die Kritik der Verbände teilt!) Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie stellen die Chancen behinderter Menschen, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, und Ihre entsprechenden Ambitionen recht rosig dar. Ich habe in meinem Büro aktuell jemanden mit einer schweren Behinderung eingestellt, der in verschiedener Hinsicht Sonderbedarfe hat. Meine Büroleiterin ist seit drei Wochen damit beschäftigt, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass das Arbeiten gelingen kann; das betrifft den Arbeitsvertrag usw., aber insbesondere auch die Ausstattung des Arbeitsplatzes. Das ist kein Einzelfall; darüber sind ganze Bücher geschrieben worden. Ich möchte jetzt gerne von Ihnen wissen: Was haben Sie ganz konkret vor, um diesem bürokratischen Wahnsinn – ich nenne das einmal so – ein Ende zu bereiten? (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Ich weiß gar nicht, wo Sie gehört haben, dass ich die Chancen behinderter Menschen, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, als rosig bezeichnet hätte. Das ist überhaupt nicht der Fall. Sie haben mir offensichtlich überhaupt nicht zugehört. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz ehrlich, das hat sich auch nicht gelohnt! – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber „Rekordwert“ hört sich gut an!) Ich habe gesagt, dass die Erwerbsquote sehr hoch ist, dass das ein Rekordwert ist, aber dieser Wert selbstverständlich nicht spitze ist. Sie haben mich also ganz falsch zitiert, Frau Kollegin Rüffer. Selbstverständlich ist der bürokratische Aufwand hoch. Das ist völlig unbestritten. (Beifall bei der CDU/CSU – Barbara Lanzinger [CDU/CSU]: Ist so, und zwar jedes Mal! – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja – und?) Sie haben mir nicht zugehört. Jetzt hören Sie einmal besser zu! (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, gerne! Ich hatte gefragt, was Sie konkret tun wollen!) Dann können Sie vielleicht bessere Fragen stellen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollte wissen, was Sie dagegen tun!) Ich bin der Bundesregierung für eine Antwort auf die Anfrage der Linksfraktion wirklich dankbar. Sie bekennt sich nämlich klipp und klar zu den Werkstätten. Sie werden in der Antwort der Bundesregierung als wichtig für die Eingliederung von Menschen mit Behinderung in das Arbeitsleben bezeichnet, also derjenigen, die wegen der Art oder Schwere ihrer Behinderung nicht am allgemeinen Arbeitsmarkt teilhaben können. Diese Klarstellung ist gut und richtig. Denn auch wenn Sie das nicht gerne hören: Die allermeisten Menschen sind gern in ihrer Werkstätte, sie fühlen sich dort wohl, und sie wehren sich heftig gegen all Ihre Wunschvorstellungen, die Werkstätten zuzusperren und alle 300 000 Beschäftigten dort auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu schicken. (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat das denn gefordert?) Vor ein paar Wochen hat mich der Werkstattrat der Lebenshilfe Regensburg im Bundestag besucht. Ich habe die Leute gefragt, was sie eigentlich von uns wollen. Da wurde einiges genannt, was wir in der Politik nicht unmittelbar regeln können. Eine Frau hat mir zum Beispiel erzählt, dass sie schon merken, wenn andere Leute das Café verlassen, sobald sie hineingehen. Ein anderer Mann meinte, sie wollten nicht mehr von Grundschulkindern im Bus blöd angeredet werden, weil sie irgendwie anders aussehen oder sich anders bewegen. Sie wollen einfach als ganz normale Menschen wahrgenommen werden. Für viele – dafür muss man gar nicht Kind sein – ist es immer noch schwer, mit Behinderungen und behinderten Menschen umzugehen. Sie wollen es richtig machen, aber sie haben Angst, es falsch zu machen. Deshalb ist es gut und richtig, dass eine zentrale Aussage der Antwort der Bundesregierung ist, dass man das Thema Bewusstseinsbildung nun in den Mittelpunkt stellen will. (Beifall bei der CDU/CSU) Denn dieser Punkt, die Bewusstseinsbildung – Kollegin Tack hat es eben ausgeführt –, ist gerade für die Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt ganz wichtig. Wir haben den Ausbau von Integrationsfirmen auf den Weg gebracht, und wir wollen das Budget für Arbeit über das Bundesteilhabegesetz bundesweit einführen. Aber das reicht natürlich nicht: Wir sind in letzter Konsequenz natürlich auf die Bereitschaft der Unternehmer angewiesen, Menschen mit Handicap einzustellen. (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war meine Frage!) Ich will hier die Chance nutzen, mit einem Vorurteil aufzuräumen: Natürlich kann man auch einem Menschen mit Schwerbehindertenausweis kündigen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht darum, dass sie erst mal einsteigen können! Sie müssen die Bürokratie abbauen! Sie haben es nicht verstanden! – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir brauchen klare Zuständigkeiten hinsichtlich der Finanzierung!) Es ist nicht so, dass man ihn nicht mehr losbringt, wie es landläufig immer heißt. In den allermeisten Fällen geben die Integrationsämter durchaus das Okay. Das von BMAS und Arbeitgebern getragene Projekt „Wirtschaft inklusiv“ – in dieser Woche wurde in Weiden, in meiner Heimat, der Oberpfalz, eine Halbzeit­bilanz gezogen – setzt genau an diesem Punkt an: Arbeitgeber informieren, Hemmschwellen abbauen, Chancen für Beschäftigung eröffnen. Ich halte wenig davon, Unternehmen zur Inklusion zu zwingen. Wir müssen sie davon überzeugen, und wir werden sie auch davon überzeugen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Empfehlungen der Vereinten Nationen zur Behindertenrechtskonvention zügig umsetzen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5163, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4813 abzulehnen. Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 3 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Bestimmungen des Rechts des Energieleitungsbaus Drucksachen 18/4655, 18/5581 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Drucksache 18/6909 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Widerspruch erhebt sich keiner. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Johann Saathoff für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Johann Saathoff (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Stromleitungsbau ist ein Eckpfeiler der Energiewende. Leider ist der Ausbau in den letzten Jahren nicht so erfolgt, wie wir uns das vorgestellt hatten, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er ist gescheitert!) und auch nicht so, wie wir es nötig gehabt hätten angesichts der erfreulichen Fortschritte im Bereich Ausbau der erneuerbaren Energien. Spätestens seit den Beschlüssen der Parteivorsitzenden vom 1. Juli mit dem Vorrang für Erdverkabelung im Gleichstromsektor kann der notwendige Leitungsausbau wieder Fahrt aufnehmen. (Lachen des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Idee des Primats der Erdverkabelung wurde allerdings nicht erst am 1. Juli 2015 geboren. Bereits bei der ersten Lesung des Gesetzes am 24. April haben wir darüber gesprochen. Während die Linken den SuedLink damals gar nicht erdverkabeln wollten, habe ich für meine Fraktion für den Erdkabelvorrang im Gleichstromsektor plädiert. Der zentrale Begriff im Zusammenhang mit dem Ausbau der Energieleitungen lautet: Bürgerakzeptanz. Nur wenn die Bürgerinnen und Bürger den Leitungsausbau genauso unterstützen wie die Energiewende an sich, kann die Energiewende auch gelingen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich habe, wie viele Kollegen auch, überall in Deutschland viele Gespräche mit Bürgerinitiativen vor Ort geführt, auch hier in Berlin. Ich traf auf Menschen, die durchweg für die Gestaltung der Energiewende waren. Man hatte auch Verständnis für die Notwendigkeiten des Leitungsbaus. Diese Menschen baten aber auch um Verständnis für ihre Situation und um die Beachtung ihrer Interessen. Die Gründe, die sie genannt haben, haben wir in der erfolgten Anhörung noch einmal aufnehmen können. Die Menschen haben in Bezug auf den oberirdischen Leitungsausbau Sorge: Sorge um das Landschaftsbild, Sorge um den Werterhalt ihrer Immobilien, Sorge um den Erhalt der Wertschöpfung in den ländlichen Regionen, in denen sich der Tourismus gerade erst etablieren konnte – er ist manchmal die einzige Möglichkeit, sich wirtschaftlich zu entwickeln –, und es gab auch die Sorge um gesundheitliche Auswirkungen hinsichtlich des Baus von Stromleitungen. Diese Sorgen muss man ernst nehmen, und wir haben sie ernst genommen. Die Lösung des Zielkonfliktes zwischen notwendigem Leitungsbau und Sorge der betroffenen Bürgerinnen und Bürger lautet: Erdkabel. Jetzt haben wir den Vorrang und werden den SuedLink und die Süd-Ost-Passage zu 80 bis 90 Prozent unterirdisch verlegen. Als Argument gegen die Erdverkabelung habe ich oft gehört, die Erdkabel seien acht- bis zehnmal teurer. Dazu kann ich nur auf Ostfriesisch sagen: Wenn Geld anfangt tau prooten, kann man de Minsken neet mehr raken. Geld ist wichtig, aber nicht alleine entscheidend; die Belange der Menschen sind mindestens genauso wichtig. Man darf nicht zulassen, dass alleine das Geld entscheidet. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch im Drehstrombereich wollen wir mehr Erdkabel, allerdings nur bei insgesamt elf Pilotstrecken, und dort auch nur, wenn die Abstände zu Wohnbebauungen unterschritten oder Naturschutz- oder Artenschutzbelange betroffen sind. Wir haben darüber diskutiert, ob wir die Liste der Pilotvorhaben nicht nur um die Empfehlungen des Bundesrates erweitern wollen, sondern noch weitere Strecken hinzufügen sollten. Dabei ging es nicht um den Regionalproporz – ich gebe zu: Niedersachsen kommt in der Liste der Pilotprojekte eigentlich ganz gut weg –, sondern darum, dass wir bestimmte dringend notwendige Leitungen eventuell gar nicht bekommen, wenn wir sie nicht an den jeweils neuralgischen Punkten unterirdisch verlegen. Ich wurde in diesem Zusammenhang in den vergangenen Wochen und Monaten von vielen Kolleginnen und Kollegen angesprochen und darum gebeten, dass wir den Fokus im Gesetzgebungsverfahren auf bestimmte Leitungen richten. Ich bedauere, dass uns das aus Sicht dieser Kolleginnen und Kollegen nur unzureichend gelungen ist. Ich kann mir deshalb vorstellen, dass wir uns in Zukunft mit der einen oder anderen Leitung zusätzlich werden beschäftigen müssen; denn was wir nicht wollen, ist das, was gerade in der Uckermark-Leitung passieren könnte. Diese Leitung ist nicht als Erdkabelleitung vorgesehen. Das Bundesverwaltungsgericht hat gerade gestern in mündlicher Verhandlung die Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss verhandelt. Solche Verfahren können wir uns ersparen, wenn die Leitungen an neuralgischen Punkten per Erdverkabelung realisiert werden können. Wir sind uns, denke ich, darin einig, dass die Redispatchkosten bei Netzengpässen deutlich steigen werden und wir diese nur durch konsequenten Netzausbau begrenzen und beseitigen können. Kurzum: Wenn keine Leitungen gebaut werden, kommt uns das insgesamt wesentlich teurer, als wenn man eine Leitung an den schwierigen Punkten unterirdisch verlegt. (Beifall bei der SPD) Wenn wir wissen, dass bestimmte Leitungen komplett als Freileitungen wahrscheinlich gar nicht realisiert werden können, wäre es also nur folgerichtig, diese Leitungen mit einem „F“ für Erdkabelpilotprojekt zu kennzeichnen. Im Gegensatz zur technisch einfacheren Erdverkabelung wie bei SuedLink im Gleichstrombereich haben wir im Drehstrombereich einen Pilotcharakter für einige Leitungen normiert. Der Pilotcharakter kann meiner Meinung nach im Drehstrombereich heute noch nicht aufgegeben werden, da hier noch besondere technische Herausforderungen bestehen. Auch das wurde uns in der Anhörung ausführlich berichtet. Wir werden mit den Pilotstrecken Erfahrungen mit dieser Technik sammeln können. Wenn alles gut funktioniert, kann anschließend der Pilotcharakter aus meiner Sicht locker gestrichen werden. Dann kann auch im Drehstrombereich die Erdverkabelung generell an den schwierigen Stellen zum Wohle der Menschen in unserem Lande umgesetzt werden. Ich bedanke mich abschließend herzlich beim Koalitionspartner. Ich kann sagen, dass wir hart, aber immer fair miteinander um den besten Weg gerungen haben. Mit dem Ergebnis können wir alle sehr zufrieden sein, stellt es doch einen weiteren wichtigen Meilenstein auf dem Weg zur Realisierung der Energiewende dar und damit natürlich auch zum Erhalt der Bürgerakzeptanz. Weitere Meilensteine folgen kurzfristig, als da wären: Strommarktdesign, Digitalisierung, EEG 3.0. Es wird uns also nicht langweilig werden in den nächsten Monaten, wenn es um die Energiepolitik geht. Auch bei der Bewältigung dieser Herausforderungen freue ich mich auf eine gute weitere Zusammenarbeit. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege Ralph Lenkert. (Beifall bei der LINKEN) Ralph Lenkert (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Eine überflüssige Stromtrasse ist überflüssig. Wenn man sie als Erdverkabelung ausführt, stört sie wenigstens nicht das Auge. Die Ablehnung der Stromtrassen durch die Bürgerinitiativen ist deutlich. Viele haben aber gesagt: Wenn wir es schon ertragen müssen, dann macht es wenigstens so umweltverträglich wie möglich. – Es war das Ministerium, das sich stark dagegen sperrte, und es war ein von der Linken benannter Sachverständiger, der in der Anhörung klarmachte, dass die prognostizierten Mehrkosten bei Gleichstromerdkabeln doch nicht so hoch sind. Es war dieser Sachverständige, der dem Ministerium klarmachte, dass das Stand der Technik ist und Deutschland gerade dabei ist, bei HGÜs, bei Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungs-Trassen, den Anschluss zu verlieren. Es war Ihr Änderungsantrag – danke dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD –, der es ermöglicht, im Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungs-Bereich zukünftig Erdkabel zu realisieren, und zwar als Standard und nicht als Ausnahme. Das unterstützen wir. (Beifall bei der LINKEN) Leider haben Sie in dem 53-seitigen Antrag, der uns am Dienstagabend vor der Abstimmung am Mittwoch erreichte, noch einige andere Schmankerl eingebaut. Sie haben gleichzeitig einige zusätzliche Stromtrassen in den Bundesbedarfsplan aufgenommen, und zwar – das muss man klar sagen – gegen die Regeln, die Sie sich selbst im Energiewirtschaftsgesetz, im Energieleitungsausbaugesetz und im Netzausbaubeschleunigungsgesetz gegeben haben. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Immer nur herumnölen! – Gegenruf der Abg. Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: : Zu Recht!) Ohne Anhörung haben Sie neue Trassen integriert. Warum? Da lohnt sich ein Blick in den Netzentwicklungsplan 2025. Da steht nämlich drin, dass der Stromtransit, der Transport von Strom, zum Beispiel von Schweden nach Österreich, in der Spitze von 6,5 Gigawatt im Jahr 2014 auf etwa 14,5 Gigawatt im Jahr 2025 steigen soll. Rechnen Sie einmal nach! Das sind genau die 8 Gigawatt HGÜ-Leitung, Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungs-Trassen, die Sie installieren wollen. Es geht nicht um die Versorgung Bayerns, es geht nicht um die Versorgungssicherheit unseres Landes oder den Abtransport des Windstroms aus dem Norden, es geht einzig und allein darum, dass Stromhändler den Strom quer durch Europa zu jeder Zeit in jeder Situation schieben können. Das, finden wir, ist der falsche Weg. (Beifall bei der LINKEN) Wer zahlt dafür? Es zahlen nicht etwa die Händler, liebe Bürgerinnen und Bürger und Mitglieder der Ini­tiativen, zahlen tun Sie. Der Verkäufer des Stromes in Schweden zahlt nicht für den Stromtransport durch Deutschland, er zahlt nicht für den Bau der Trassen und die Refinanzierung, genauso wenig wie der Kunde im Süden. Zahlen tun Sie, die Menschen, die dort wohnen, wo die Stromleitungen durchführen. Gerade bei 50Hertz – das Unternehmen ist für Hamburg und Ostdeutschland zuständig – spüren wir es schon. Die Bundesnetzagentur genehmigte 50Hertz eine Preissteigerung von 30 Prozent für die Netzentgelte zwischen 2015 und 2016. Das sind bereits 0,5 Cent zusätzlich. Dabei ist nur ein Zehntel der Trassen gebaut, die in diesem Gebiet gebaut werden sollen. Schon ist der Preis so hoch. Diese Kosten zahlen Bürgerinnen und Bürger und kleine Handwerksbetriebe. Wer zahlt nicht? Stromhändler und Großindustrie – und Netzbetreiber. Bei jedem Netzentwicklungsplan, Jahr für Jahr, steigt die Summe der Kosten für den Netzausbau um 5 bis 8 Prozent. Das können Sie nachverfolgen: 2012  20 Milliarden Euro, 2013  21 Milliarden Euro, 2014  22 Milliarden Euro, 2015  23 Milliarden Euro. Jedes Jahr ist die Umsatzsteigerung eingepreist. Zu zahlen ist sie von den Bürgerinnen und Bürgern. Garantiert ist für die Netzversorger 9 Prozent Rendite für die investierten Gelder. Das ist eine Umverlagerung des Geldes von unten nach oben. So etwas machen wir nicht mit. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben, wie gesagt, ganz nebenbei Ihre Gesetze außer Kraft gesetzt. Sie haben eine Leitung aufgeführt. In der Begründung steht, sie wäre im Netzentwicklungsplan 2024. Es geht um das Projekt 47. Es ist ein bayerisches Wunschprojekt. Zu diesem Projekt gab es – bis zum Entwurf des Netzentwicklungsplanes 2025 – nie irgendwelche Unterlagen. Die Anhörung dazu findet gerade statt. In Ihrer Begründung steht, es wäre schon 2014 beschlossen worden. Das stimmt nicht ganz. Wir haben Sie bei der Abstimmung im Ausschuss auf diesen Fehler aufmerksam gemacht. Sie haben es ignoriert. Das heißt – jetzt ist es schriftlich bestätigt –, Sie versuchen auf jede Art und Weise, den Netzbetreibern zulasten der Bürgerinnen und Bürger zusätzliche Trassen zuzuschanzen. Das lehnt die Linke ab. Mit solch einer Politik untergraben Sie jede Glaubwürdigkeit beim Netzausbau. Sie haben dem eventuell notwendigen Netzausbau mit dieser Gesetzesnovelle einen schweren Schaden zugefügt. Das haben Sie zu verantworten. Wir werden so etwas nicht mitmachen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Thomas Bareiß. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Thomas Bareiß (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Lieber verehrter Herr Lenkert, ich muss schon sagen: Wenn Sie solche Reden vor Ort halten und die Menschen auf diese Art und Weise verwirren, wundert es mich nicht, wenn wir mit dem Leitungsausbau nicht vorankommen. Wir können nur hoffen, dass hier andere anders reden. In diesem Sinne haben wir heute große Gesetzgebungspakete zu verabschieden und wollen die Energiewende wirklich ein Stück weit voranbringen. Wir haben heute zwei große Themen vor uns. In der nachfolgenden Debatte geht es um das Thema Kraft-Wärme-Kopplung. Wir wollen den Ausbau von KWK schrittweise weiter möglich machen und den Bestand sichern. Wir wollen damit auch eine verlässliche Säule neben den erneuerbaren Energien erhalten. Mit dem jetzigen Gesetzgebungspaket wollen wir mit dem Stromleitungsausbau weiter vorankommen. Das heißt, wir haben zwei große Pakete, die in Zukunft für sicheren und bezahlbaren Strom sorgen. Ich glaube, das ist ein großer Schritt, den wir im Rahmen der Energiewende machen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Meine Damen, meine Herren, ohne Stromnetze wird es keine Energiewende geben. Ich will nochmals betonen, welch großen Umbau wir in den nächsten Jahren vorhaben, und möchte das anhand von ein paar wenigen Zahlen beschreiben. Vor 20 Jahren gab es in Deutschland circa 1 000 Erzeuger von Strom; heute haben wir über 1,8 Millionen Erzeuger. Früher floss der Strom nur in eine Richtung: von den Übertragungsnetzen über die Verteilernetze bis hin zum Verbraucher. Heute fließt der Strom in beide Richtungen. Wir verlieren in den nächsten sieben Jahren acht Kernkraftwerke; das heißt, wir verlieren 15 Prozent unserer gesamten Erzeugung, größtenteils im Süden unseres Landes. Demgegenüber werden wir in den nächsten sieben bis zehn Jahren über 35 Gigawatt an neuer Windleistung aufbauen, größtenteils im Norden. Das heißt, wir werden ein Drittel unserer gesamten Stromversorgung vom Süden auf den Norden umwälzen. Das wird eine enorme Herausforderung für unsere Stromnetze bedeuten. Deshalb müssen wir hier viel investieren. All das macht deutlich: Wir kommen an einem weiteren Ausbau der Stromnetze nicht vorbei; ich wäre dankbar, wenn sich alle hier im Haus endlich einmal ohne Wenn und Aber dazu bekennen würden. Wenn wir das nicht tun, hat das enorme Folgen für die Netzstabilität. Wir bekommen Versorgungsengpässe, und die Kosten werden zusätzlich steigen. Meine Damen, meine Herren, für uns gehören der Netzausbau und die Energiewende zwingend zusammen. Es sind zwei Seiten einer Medaille. Deshalb haben wir bereits 2011 den beschleunigten Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen und gleichzeitig gesagt: Wir wollen mehr für den Netzausbau tun. – Wir haben damals das NABEG, das Netzausbaubeschleunigungsgesetz, und den Bundesbedarfsplan beschlossen und damit ein Bekenntnis zum Netzausbau in den nächsten Jahren abgegeben. Außerdem haben wir uns auf neue Leitungen festgelegt. Neue Stromtrassen mit einer Länge von über 2 800 Kilometern sollen gebaut und Leitungen mit einer Länge von 2 900 Kilometern ertüchtigt werden. Wir haben die Öffentlichkeitsbeteiligung ausgedehnt. Wir haben Verfahren beschleunigt und vereinfacht. Auch das waren wichtige Meilensteine beim Ausbau unserer Netze. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich habe die damalige Anhörung noch ganz gut im Kopf. Als wir damals die Experten gefragt haben, hieß es: Wir kommen beim Netzausbau schneller voran. – Damals hieß es sogar, wir könnten die Realisierungsphase von zehn Jahren auf fünf Jahre verkürzen. Leider hat sich das nicht ganz bewerkstelligen lassen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Überhaupt nicht!) Wir haben jetzt vor Ort gespürt, dass es enorme Pro­bleme und Akzeptanzschwierigkeiten gibt. Lieber Herr Krischer, auch das ist ein Thema, das uns alle bewegt. Ich habe mit vielen Bürgerinitiativen gesprochen, manch eine schwierige Diskussion geführt, immer für den Leitungsausbau vor Ort geworben und versucht, die Menschen dafür zu gewinnen. Was mich dort aber immer wieder geärgert hat, ist, dass manche politisch Verantwortlichen – ich möchte keine Partei nennen – (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: CSU! – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seehofer zum Beispiel!) den Menschen vor Ort immer wieder gesagt haben: Wir brauchen die Leitungen gar nicht. – Das haben wir auch eben wieder gehört. Es hießt manchmal auch: Durch die Leitungen fließt Braunkohlestrom, den wir nicht haben wollen. – Es hieß oftmals auch: Wir bauen autarke Systeme auf und brauchen deshalb keine neuen Leitungen. – Wenn man vor Ort solche Argumente anführt, meine sehr verehrten Damen und Herren, dann werden wir beim Leitungsausbau nicht vorankommen. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Bareiß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lenkert? Thomas Bareiß (CDU/CSU): Aber sehr gerne doch. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Dann verlängert sich die Redezeit!) Ralph Lenkert (DIE LINKE): Herr Kollege Bareiß, ich habe der Studie des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft, in der mit den Daten der Bundesnetzagentur gerechnet wurde, folgende Zahlen entnommen: Die Stromübertragungskapazität zwischen nord- und süddeutschen Regelzonen – sprich: dort, wo der Stromengpass besteht – beträgt 21 Gigawatt; das heißt, im Extremfall können 21 Gigawatt übertragen werden. Die Differenz zwischen der momentanen Erzeugungskapazität in Süddeutschland und dem Spitzenverbrauch – das ist der, der in dieser Jahreszeit und etwa um diese Uhrzeit anfällt; es sind wenige Stunden im Jahr – beträgt im Moment 4 Gigawatt; das heißt, bereits heute ist eine Überkapazität von 17 Gigawatt bei der Transportkapazität vorhanden. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Und wie viele Kraftwerke gehen vom Netz?) In wenigen Monaten geht die Thüringer Strombrücke – leider – in Betrieb. Dadurch kommen weitere 4 Gigawatt hinzu. Dann haben wir eine Übertragungskapazität von 25 Gigawatt. Die Atomkraftwerke, die vom Netz gehen, entsprechen 8 Gigawatt. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das wollen Sie halten?) Das heißt, in Süddeutschland haben wir dann, weil nur ein Teil von ihnen in Süddeutschland steht, einen Maximalbedarf von 10 Gigawatt Transportkapazität, und das bei einer vorhandenen Kapazität von 25 Gigawatt. Erklären Sie mir, wieso Sie bei einer Überkapazität im Jahr 2025 von 15 Gigawatt noch 8 Gigawatt Übertragungskapazität dazubauen wollen. Das müssen Sie mir einmal erklären. Thomas Bareiß (CDU/CSU): Lieber Herr Lenkert, ich weiß nicht, welche Luftzahlen Sie hier nennen, (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) und ich muss auch sagen, ich komme bei dem, was Sie hier beschreiben, nicht ganz mit. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Das sind die Zahlen der Bundesnetzagentur!) – Ich sitze auch im Beirat der Bundesnetzagentur, nehme also auch regelmäßig an den Sitzungen teil. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Aber rechnen können Sie nicht!) Herr Lenkert, ich weiß nur eines: Wir haben in diesem Jahr Redispatch-Kosten von über 500 Millionen Euro. (Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: So ist das!) Diese Kosten entstehen dadurch, dass wir im Süden Deutschlands Strom brauchen, den es dort nicht gibt – er wird dort nicht gehandelt –, während im Norden der Strom produziert wird, der eigentlich in den Süden transportiert werden sollte. Er kann aber nicht dorthin gelangen, weil wir zu wenige Leitungen vom Norden in den Süden haben. Das heißt, weil wir derzeit nicht die notwendigen Kapazitäten haben, um den Strom, der im Norden produziert wird, in den Süden zu transportieren, wo er gebraucht wird, müssen wir jetzt im Norden zwangsweise Windkraftwerke – es geht also um erneuerbare Energien, die Sie ja haben wollen – abschalten, während wir im Süden Kohle- und Kernkraftwerke hochfahren müssen, damit der Süden auch weiterhin Strom hat. Der einzige Grund dafür ist, dass wir nicht genügend Leitungskapazitäten haben, um den notwendigen Strom vom Norden in den Süden zu transportieren. Das ist ein ganz großes Thema und kostet in diesem Jahr 500 Millionen Euro. Im nächsten Jahr werden es wahrscheinlich über 1,5 Milliarden Euro sein, und die Ursache dafür liegt allein im fehlenden Ausbau der Leitungen vom Norden in den Süden. Das müssen wir jetzt entsprechend anpacken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Herr Bareiß, die Zahlen stimmen vorn und hinten nicht!) Wir merken heute wieder, dass wir beim Thema Leitungsausbau auch Gegner haben. Die Opposition macht wieder einmal nicht mit. Die Linken und die Grünen gehen hier in Deckung. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nein, nein!) – Die Grünen enthalten sich, die Linken stimmen mit Nein. – Dieses Verhalten ist wieder Wasser auf die Mühlen der Netzgegner. Bei der Energiewende sitzen die Grünen gemeinsam mit den Linken leider im Bremserhäuschen. (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Thomas! Wir sitzen im Bremserhäuschen? Bei der Energiewende?) Wichtig ist jetzt, dass wir schnell mit dem Ausbau der drei Stromautobahnen vorankommen. Dafür brauchen wir die Menschen und die Akzeptanz vor Ort. Deshalb wollen wir bei Gleichstromleitungen auf Erdkabel setzen. Damit wird es möglich sein, dass die großen Stromautobahnen durch Deutschland zu einem Großteil unter der Erde verlaufen. Das betrifft insbesondere die großen Nord-Süd-Trassen, wie SuedLink, und die Gleichstrompassage Süd-Ost. In der Nähe von Wohnbebauungen führen wir ein generelles Verbot von Freileitungen ein. Ausnahmen für Gleichstromfreileitungen kann es nur dann geben, wenn Naturschutzgründe dafür sprechen, wenn bereits bestehende Stromtrassen genutzt werden oder wenn die betroffenen Gebietskörperschaften eine Freileitung wirklich ausdrücklich verlangen. Meine Damen und Herren, ich gehe davon aus, dass wir in Deutschland in den nächsten Jahren über 1 700 Kilometer Gleichstromkabel in der Erde verlegen werden. Diese Dimension ist einzigartig in der Welt. Wir gehen damit einen riesigen Schritt voran. Das wird, offengestanden, anspruchsvoll und auch teuer. Wir stellen damit aber wieder unter Beweis, dass die Energiewende eines der größten Technologieprojekte der Welt ist. Wir sind damit wieder einmal Pionier und Schrittmacher in der Energielandschaft. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Trotzdem dürfen wir uns aber auch nicht überfordern. Auch bei den Erdkabeln müssen wir Maß und Mitte behalten. Deshalb sind wir bei der Erdverkabelung bei Wechselstromleitungen auch etwas zurückhaltender als die Opposition und manchmal vielleicht auch als die SPD. Bei Wechselstromleitungen sind die Kosten nämlich wesentlich höher, und auch technisch ist dies um ein Vielfaches anspruchsvoller. Schon allein der Landschaftseingriff – das sollte für die Grünenfraktion ein besonders Thema sein – ist doppelt so groß wie der bei HGÜ-Leitungen. Die Breite beträgt nämlich 40 bis 50 Meter. Diese Einschnitte werden auch von Naturschutzfreunden sehr kritisch gesehen. Bei dem einzigen derzeit laufenden Vorhaben bei Raesfeld kostet die Verlegung von 3,4 Kilometer Erdkabel 30 Millionen Euro. Jeder Meter kostet hier also 9 000 Euro. (Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Super!) Deshalb haben wir im vorliegenden Gesetzentwurf klar zum Ausdruck gebracht, dass Wechselstromerdkabel zunächst im Rahmen von Pilotvorhaben getestet werden. Wir haben jetzt Kriterien und die Anzahl der Pilotvorhaben für eine Erdverkabelung maßvoll auf elf erweitert. Allein diese Erweiterung wird uns 400 Millionen Euro kosten. Das Erdkabel ist für Wechselstrom zukünftig sehr eingeschränkt einzusetzen. Wir wollen den Pilotcharakter weiterhin beibehalten. Versorgungssicherheit und die Bezahlbarkeit sind uns oberste Priorität. Hier darf es keine Kompromisse geben. Wir dürfen auch hier den Menschen keine Versprechungen machen, die wir nicht einhalten können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, vielleicht noch einmal ein Bericht aus der Praxis. In der zweiten Januarhälfte dieses Jahres gab es an einem Wochenende ein Rekordhoch im Bereich der Windenergie. 30 000 Megawatt Wind­energie wurden allein an einem Wochenende ins Netz eingespeist. Die Nord-Süd-Verbindungen, wie vorhin beschrieben, haben nicht ausgereicht, um diese Menge wirklich nach Süden zu transportieren. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Weil die Kohlekraftwerke noch liefen! Wäre die Kohle abgeschaltet worden, wäre es gegangen!) Wir mussten im Norden die Windräder zwangsweise abschalten, im Süden mussten wir die Kernkraftwerke zwangsweise hochfahren. (Johann Saathoff [SPD]: Und importieren!) Allein an diesem einen Wochenende, lieber Herr Lenkert, haben wir 7 Millionen Euro an Redispatchkosten gehabt. Diese Kosten werden in den nächsten Jahren eher mehr als weniger werden. Deshalb brauchen wir Leitungen. Wir brauchen Ihre Mithilfe. Deshalb kann ich alle nur darum bitten, dass wir jetzt geschlossen für mehr Leitungen kämpfen, damit die Energiewende Schritt für Schritt vorangeht. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der Kollege Oliver Krischer von Bündnis 90/Die Grünen. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat: Flexibilität ist die neue Währung in einem Stromsystem, das immer mehr auf der schwankenden Erzeugung von Wind- und Sonnenenergie basiert. Das Stromnetz ist neben anderen Lastmanagementspeichern eine sehr wichtige und eine entscheidende Flexibilitätsoption. Es trägt, Herr Lenkert, dazu bei – das ist Physik –, (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) Erzeugung und Verbrauch zusammenzubringen. Deshalb, meine Damen und Herren, brauchen wir den Ausbau und die Optimierung des Stromnetzes, übrigens nicht nur im Bereich des Übertragungsnetzes, sondern auch im Verteilnetz; aber darüber reden wir in der Regel gar nicht. Wir reden über das Übertragungsnetz. Das ist eine richtige Sache. Man kann sich im Detail über viele Fragen streiten. Aber sich hierhinzustellen und zu sagen: „Das alles brauchen wir gar nicht“, das halte ich für eine absolute Fehlentscheidung. Wer das tut, stellt die Energiewende infrage. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich will Ihnen eines sagen: Es war richtig, 2011 einen Bedarfsplan zu verabschieden, ein Gesetz, mit dem deutlich wurde: Auf der Basis von Energieszenarien entwickeln wir den Leitungsausbau. – Das war gut. Das haben wir unterstützt. Das haben wir immer gefordert. Das ist richtig. Was wir 2011 aber nicht gemacht haben, jedenfalls die Mehrheit nicht, war, weitestgehend die Erdverkabelung zu ermöglichen. Die Erdverkabelung sollte verhindert werden. Das war damals der Grund, weshalb wir Grüne uns enthalten haben. Jetzt machen Sie genau das Gegenteil. Aber jetzt, vier Jahre später, ist dieses Gesetz von 2011 de facto gescheitert, und zwar deshalb, weil Sie Erdverkabelung nicht zulassen wollten. (Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Das stimmt ja gar nicht!) Jetzt fangen wir wieder bei null an. Hätten Sie damals auf die Grünen und viele Sachverständige gehört, hätten wir heute möglicherweise dieses Problem nicht. Wir hätten beim Netzausbau nicht vier Jahre verloren. Auch das gehört zur Wahrheit dazu. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Bareiß, bei allem, worin wir übereinstimmen mögen: Ihr Problem in dieser Frage sind doch nicht Sozialdemokraten und Grüne. (Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Manchmal schon!) Ihr Problem sind vielleicht die Linken, aber auch die CSU. Das, was ich von Herrn Lenkert eben gehört habe, habe ich in ähnlicher Form auch von Herrn Seehofer gehört. Genau das ist das Problem. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich hätte es mir 2011 nicht vorstellen können, dass ausgerechnet die Union, die uns Grüne dafür beschimpft hat, dass wir für Erdverkabelung sind, heute dafür sorgt, dass dieses Gesetz scheitert. Das zeigt, dass Sie an dieser Stelle das Ganze nicht verstanden haben und dass es damals ein Fehler war, dass Sie auf unsere Vorschläge nicht gehört haben. Meine Damen und Herren, was Sie jetzt machen, ist, der Erdverkabelung Vorrang einzuräumen. Sie sagen: Erdverkabelung muss überall Vorrang haben. Damit schaffen Sie neue Probleme; das hat die Anhörung sehr deutlich gezeigt. Es wird Konflikte mit der Landwirtschaft und dem Naturschutz geben. Ich habe die ganz große Sorge, dass wir in drei Jahren wieder hier stehen und uns vielleicht von Herrn Seehofer oder jemand anderem anhören müssen: Nein, Erdverkabelung geht gar nicht, weil das meine Bauern in Bayern schädigt – oder was auch immer. Und das ist das Problem, nämlich dass Sie an dieser Stelle das gesunde Maß und die Mitte nicht finden, um zu angepassten Lösungen zu kommen. Der Kollege Saathoff hat es angesprochen: Dazu gehört auch der Bereich des Wechselstroms. Man kann den Menschen nicht erklären, warum bei HGÜ jetzt alles unter die Erde gelegt wird, aber im Bereich des EnLAG, beim Wechselstrom, nur nach unklaren Kriterien Pilotstrecken ausgewählt werden, (Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Weil das viel teurer ist, Herr Kollege! Das ist auch Physik!) und das wird die neuen Konflikte auslösen. Gehen Sie doch einmal nach Hürth bei Köln – um nur ein Beispiel zu nennen. Dort wird dieser Konflikt genau dazu führen. Man kann es den Menschen gar nicht vorwerfen, dass sie vor Gericht gehen. Deshalb habe ich die ganz große Sorge, dass wir in drei Jahren tatsächlich wieder hier stehen und das Ganze wieder neu machen müssen, weil Sie einfach das gesunde Maß nicht finden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Bareiß, Sie sagen an einer Stelle, wir seien Pacesetter, das gehe ganz schnell. Es ist jetzt fast zehn Jahre her, dass das EnLAG verabschiedet wurde, und in dieser Zeit regiert die CDU. Sie haben es in diesen zehn Jahren geschafft, gerade einmal 20 Prozent des Leitungsausbaus von 2 000 Kilometern zu bewerkstelligen. (Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Weil Sie dagegen demonstrieren!) Beim Bedarfsplangesetz sind Sie ganz gescheitert. Das ist keine Erfolgsstory, was Sie hier in zehn Jahren Regierungszeit hingelegt haben. An dieser Stelle wäre ein bisschen Demut darüber angebracht, dass Sie das offensichtlich nicht geschafft haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, ich hoffe nur, dass wir den Leitungsausbau hinkriegen, dass ich mich am Ende hier irre und dass er aufgrund Ihres Gesetzes doch gelingen wird. (Beifall des Abg. Thomas Bareiß [CDU/CSU]) Ich fürchte, das wird nicht der Fall sein, aber ich hoffe, dass der Leitungsausbau gelingen wird. Sonst werden wir 2022 hier eine Debatte mit Horst Seehofer oder wem auch immer führen, und der wird dann sagen: Na ja, jetzt haben wir den Leitungsausbau nicht geschafft, jetzt müssen wir darüber reden, dass Atomkraftwerke weiterlaufen. – Und das möchte ich nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Das wäre das Allerschlimmste, was man Deutschland, der Energiewende und der Welt antun könnte. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich diese Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Bestimmungen des Rechts des Energieleitungsbaus. Dazu liegen mir eine Reihe von Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.2 Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6909, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/4655 und 18/5581 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und einer Enthaltung aus der Fraktion der CDU/CSU. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit angenommen, und zwar mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und einer Enthaltung bei der Fraktion der CDU/CSU. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/6920. – Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dieser Entschließungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke. Ich rufe Zusatzpunkt 4 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes Drucksachen 18/6419, 18/6746 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Drucksache 18/6910 Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache ebenfalls 25 Minuten vorgesehen. – Widerspruch erhebt sich nicht. Dann ist das somit beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Florian Post für die SPD das Wort. (Beifall bei der SPD) Florian Post (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein guter Tag für die Kraft-Wärme-Kopplung; denn wenn wir heute das Gesetz beschlossen haben werden, wird es logischerweise zum 1. Januar 2016 in Kraft treten und die Kraft-Wärme-Kopplung als hocheffiziente ressourcenschonende Art der Energieerzeugung und als Klimaschutzinstrument eine Perspektive haben. Das war – sage ich ganz offen – in den Verhandlungen nicht immer ganz klar. Wir haben hier mit unserem Koalitionspartner bis zur letzten Minute etwas Gutes ausgehandelt, deswegen auch die sehr späte Vorlage. Das haben wir nicht gemacht, um Sie zu ärgern, Frau Verlinden, (Heiterkeit der Abg. Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) sondern uns ging es um ein gutes Ergebnis. Ich glaube, es kann sich sehen lassen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir haben beschlossen, die Perspektive, die wir der Kraft-Wärme-Kopplung geben wollen, auch beim Ausbau deutlich zu machen. Wir sind hier auf absolute Superzahlen gegangen: Wir wollen bis zum Jahr 2020  110 Terawattstunden und bis zum Jahr 2025  120 Terawattstunden zugebaut haben. Ausgehend von den derzeit 97 Terawattstunden macht das deutlich, dass wir uns hier ein ambitioniertes, aber auch realistisches Ziel gesteckt haben. (Beifall bei der SPD) Gleichzeitig werden wir, um Investitionssicherheit herzustellen, die ursprünglich bis 2020 vorgesehene Geltungsdauer des Gesetzes bis zum Jahr 2022 verlängern. Das macht energiewirtschaftlich Sinn, weil im Jahr 2022 einiges in der energiewirtschaftlichen Landschaft passiert sein wird. Es sollen dann nämlich auch die Atomkraftwerke vom Netz gegangen sein. Es ist auch hinsichtlich der Bestandssicherung ein großer Erfolg, gerade bei der – notleidenden – öffentlichen Versorgung durch gasbasierte Anlagen. Hier war Handeln wirklich geboten, da wir über einen Zubau gar nicht sprechen müssen. Wenn wir hier Anlagen aufgrund zunehmender Unwirtschaftlichkeit vom Netz nähmen, wäre die Perspektive für die Kraft-Wärme-Kopplung in der Tat nicht mehr gegeben gewesen. Den Vorwurf in Ihrem Entschließungsantrag, liebe Fraktion der Grünen, dass wir die Förderung für Speicher und Netze nicht verbessern würden, muss ich zurückweisen. Wir haben 150 Millionen Euro hierfür vorgesehen, und das ist kein absoluter und maximaler Deckel, wie Sie es beschreiben, sondern die Mindestfördersumme. Die 1,5 Milliarden sind im Übrigen das Gesamtfördervolumen, das wir von 750 Millionen Euro ausgehend verdoppeln; das kann man auch einmal betonen. (Beifall bei der SPD) Erst wenn diese 1,5 Milliarden Euro ausgeschöpft sind, bleibt es bei maximal 150 Millionen Euro Fördervolumen für Speicher und Netze. Sollten die 1,5 Milliarden nicht ausgeschöpft werden, kann man über die 150 Millionen Euro hinausgehen. Es handelt sich also um eine Mindestfördersumme. Wir machen mit dem Kontraktorenmodell auch Mieterstrom möglich. Dieses Anliegen war uns Sozialdemokraten besonders wichtig, da nun auch Mieter von Förderungen und Befreiungen von Umlagen in der Kraft-Wärme-Kopplung profitieren können, auch wenn diese Modelle gerade nicht in die öffentliche Versorgung einspeisen. (Beifall bei der SPD) Wir sind auch in der Frage „Was wird gefördert?“ bei unserem klaren Standpunkt geblieben: Wir schmeißen niemandem Geld hinterher, der es nicht braucht, beispielsweise industrieller Kraft-Wärme-Kopplung, die eine wichtige Aufgabe übernimmt – das stelle ich nicht in Abrede; es geht ja hier auch um eine Technologie, die wir fördern wollen. Aber diese Anlagen befinden sich im Geld, und wir fördern nichts, was die Förderung nicht braucht – ganz unabhängig von der Betrachtungsweise, was uns die EU da wegen der Beihilfeleitlinien gesagt hätte. Das wäre jedenfalls EU-rechtlich nicht zulässig gewesen. Aber es geht hier um etwas ganz anderes – das möchte ich betonen –, nämlich darum, dass in den betreffenden Unternehmen Unsicherheit über die Eigenstromprivilegierung herrscht. Wir werden in der Bundesregierung und in der Koalition dafür Sorge tragen, dass diese Privilegierung weiterhin erhalten wird. Ich möchte ganz kurz auf den Vorwurf eingehen, dass wir angeblich Kohlekraftwerke fördern. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht angeblich!) Das machen wir nicht. Es gibt zwar steinkohlebasierte Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen im Netzbereich. Aber diese arbeiten effizient. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 50 Jahre alt!) 2017 evaluieren wir – hör zu, Oliver – alle Anlagen. Wenn bei hocheffizienten Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen nachgewiesen wird, dass sie unwirtschaftlich sind – bei der Unwirtschaftlichkeitsbetrachtung darf keine Rolle spielen, wie sich der europäische Emissionshandel entwickelt –, besteht die Möglichkeit, durch eine Verordnungsermächtigung, die im Übrigen unter dem Vorbehalt der Zustimmung durch den Bundestag steht, etwas zu tun. Aber erst dann! Hier von einem Automatismus zu sprechen, ist unredlich. Das wisst ihr auch ganz genau, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen. Schließlich habt ihr den Gesetzentwurf genau gelesen, und du, lieber Oliver Krischer, verstehst etwas von der Sache. Ihr macht uns also einen unredlichen Vorwurf. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und warum überhaupt? – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch keine Planungssicherheit!) Wenn man euren Entschließungsantrag liest, dann stellt man fest, dass ihr bedauert, dass im Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis zum 30. Juni 2015 elf Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen vom Netz gegangen sind. Das bedauern wir auch. Nun habe ich in der Antwort der Bundesregierung vom 28. August 2015 auf eure Anfrage nachgelesen, um welche Anlagen es sich hier handelt. Unter den elf Anlagen, die vom Netz gegangen sind, sind sechs Steinkohlekraftanlagen. Wenn ihr das bedauert, dann müsst ihr doch eigentlich froh sein, dass wir mit der Verordnungsermächtigung die Möglichkeit eröffnen, effektive Anlagen am Netz zu halten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir stimmen heute über einen sachgerechten und zielführenden Gesetzesvorschlag ab, der als Klimaschutzinstrument der effizienten Kraft-Wärme-Kopplungstechnologie eine Zukunft aufzeigt. Ich fordere die Opposition, wenn es ihr um etwas anderes geht als um billigen Klamauk, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Florian!) auf, unseren Gesetzesvorschlag zu unterstützen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin Eva Bulling-Schröter. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als wir vor kurzem in der ersten Lesung über das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz diskutiert haben, gab es eine seltene Einmütigkeit zwischen den Fraktionen. Alle wehrten sich dagegen, das 25-Prozent-Ziel beim Anteil der KWK an der Nettostromerzeugung aufzugeben. Herr Post, Frau Verlinden und selbst Herr Koeppen waren dabei. Gegen diese Einmütigkeit des Parlaments bei der Rettung der KWK ist das Ministerium – so schien es – machtlos. Ich habe wirklich gedacht: Jetzt passiert es. Doch die Einigkeit war trügerisch, wie wir jetzt wissen. Was ist daraus geworden? Nach Verhandlungen der Fraktionen von SPD und CDU/CSU ist ein knappes 20-Prozent-Ziel daraus geworden. Das ist zu wenig. Ich persönlich bin enttäuscht. (Beifall bei der LINKEN) Ich muss schon sagen: Auch wenn wir vermutlich aus unterschiedlichen Gründen für die Beibehaltung der 25-Prozent-Marke waren, enttäuscht mich, dass SPD und CDU/CSU nun so eingeknickt sind. Im Entwurf gab es rechnerisch eine Absenkung des Anteils an der Nettostrom­erzeugung auf 19,2 Prozent. Nun kommen wir mit dem Änderungsantrag auf 19,6 Prozent, (Florian Post [SPD]: Und zwar von was?) wenn wir die neue 110-Terawattstunden-Zielvorgabe bis 2020 umrechnen. Das ist vom Niveau her quasi das Gleiche. Sie haben nun auch ein Ziel für 2025 eingeführt. Das finden wir erst einmal gut. Allerdings kommen wir hier nur auf 21,4 Prozent. Das ist natürlich zu wenig. Eine Verbesserung gegenüber dem Entwurf ist, dass Sie die Förderobergrenze für KWK-Zuschläge bei der Objekt- bzw. Quartiersversorgung und die Förderzeiten angehoben haben. Das ist erfreulich. (Beifall bei der SPD) Schließlich kann auch die kleine KWK einen spürbaren und bürgernahen Beitrag zur Energiewende leisten. Ich hätte mir zudem gewünscht, dass ein Wärmeziel formuliert worden wäre. Also, bessert da einmal nach! (Beifall bei der LINKEN) Es gibt offensichtlich keine Strategie dafür, wie man Kommunen dazu bringt, kommunale Wärmepläne zu erstellen, etwa durch eine finanzielle Unterstützung. Dass es der CDU/CSU besonders um die industrielle KWK geht und sie daher noch die Möglichkeit einer Sonderförderung ab 2017 in das Gesetz geschrieben hat, finden wir problematisch. Reden wir über die Energiepolitik der CDU: Die ist in Wirklichkeit und im Wesentlichen Konzernrettungspolitik, und zwar in allen Fällen. (Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Unsinn!) Die CDU ermöglicht gerade den Atomkonzernen, sich aus der Verantwortung für Atommüllentsorgung und den AKW-Rückbau zu stehlen. Die Bundesregierung zieht den Verbraucherinnen und Verbrauchern das Geld aus der Tasche und vergoldet damit den Konzernen uralte Kohlekraftwerke. Auch wenn Sie das nicht gerne hören wollen, Sie müssen es sich einfach anhören. Weil die Kohlestromindustrie statt 22 Millionen Tonnen Einsparung jetzt nur 12,5 Millionen Tonnen Einsparung leisten muss, sollte ursprünglich die KWK für einen Teil der fehlenden CO2-Einsparungen aufkommen. Das ist jetzt leider hinfällig. Wenn man so nachbessert, dann ist das schädlich; denn offenbar hat die Union jetzt dafür gesorgt, in das KWK-Gesetz eine weitere Kohleförderung zu schreiben. Sie können immer noch Nein sagen, und wir können über etwas anderes abstimmen, aber momentan schaut es so aus. Im gleichen Atemzug spricht die Umweltministerin von einem Kohleausstieg. Ich stelle fest: Die Bundesregierung spricht hier nicht mit einer Stimme. Es wird Zeit, dass Sie endlich ein geordnetes Verfahren zum Abschied aus der Kohleverstromung einleiten, meine Damen und Herren. Dann weiß jeder, woran er ist, wie beim Atomausstieg. Diese Sicherheit braucht es. Danke. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Das Wort hat jetzt die Kollegin Barbara Lanzinger für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Barbara Lanzinger (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte anwesende Besucherinnen und Besucher! Die Umstellung unseres Energiesystems und die Integration der volatilen erneuerbaren Energien wird uns noch lange Zeit vor große Herausforderungen stellen. Ich denke, das muss man zu Beginn schon so festhalten. Daher werden wir auch weiterhin konventionelle Energieträger benötigen, die einerseits die Versorgungssicherheit gewährleisten können, aber andererseits auch zur Integration der Erneuerbaren beitragen. Diese wichtige Funktion können neben den heute schon diskutierten Leitungen, Kraftwerken, Lastmanagement und Speichern vor allem die Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen übernehmen. KWK-Anlagen sind flexibel, steuerbar, können Schwankungen bei den Erneuerbaren ausgleichen und führen durch die Kopplung von Wärme und Strom zu mehr Effizienz. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dies hilft vor allem auch dabei, den Energieverbrauch im Gebäudebestand zu senken und die Industrieprozesse effizienter zu gestalten. Zudem leisten sie mit der Bereitstellung von Strom und Wärme bereits heute einen zentralen und sehr kosteneffizienten Beitrag zum Klimaschutz. Bereits heute sparen wir durch diese Technologie jährlich 56 Millionen Tonnen CO2 ein, auch durch die Kohle-KWK. Es ist nicht so, dass Kohle-KWK-Anlagen kein CO2 einsparen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Florian Post [SPD]) Daher eignet sich KWK auch gut als Klimaschutzin­strument, wie es am 1. Juli von der Bundesregierung beschlossen wurde. KWK kann aber ihr volles Potenzial nur entfalten, wenn die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen stimmen und dadurch ihre Wirtschaftlichkeit gegeben wird. Deshalb müssen wir alles dafür tun, damit diese Technologie auch weiterhin auf dem Markt bleibt. Deshalb haben wir als Regierungsparteien, basierend auf den Eckpunkten vom 1. Juli und dem Koalitionsvertrag, in den letzten Wochen gemeinsam ein Stück weit um die Umsetzungen gerungen – das muss ich so formulieren –, denn ganz so begeistert nahmen wir den Entwurf des Wirtschaftsministeriums nicht auf. Da hatten wir eher das Gefühl, man wolle die KWK nicht unbedingt weiter fördern, sondern eher ein Stück weit verhindern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der heute zu beschließende Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht unter anderem eine erhöhte Förderung neuer KWK-Gasanlagen, eine Förderung der Umstellung von Kohle-KWK auf Gas-KWK sowie eine verstärkte Förderung von Fernwärmenetzen und -speichern vor. Die jährliche Förderung ist erhöht worden. Das wurde schon erwähnt; ich brauche es nicht zu wiederholen. Gerade dieser Punkt ist in meinen Augen ein erster guter Schritt: So wird die Möglichkeit geschaffen, diese Technologie noch weiter auszubauen. Im Speziellen konnte die Union in den Beratungen mit der SPD einige wesentliche Punkte durchsetzen. Das ursprüngliche Ziel war, den Anteil der Kraft-Wärme-Kopplung an der regelbaren Nettostromerzeugung auf 25 Prozent auszubauen. Wir konnten immerhin durchsetzen, das Volumen von den vorgeschlagenen 108 Terawattstunden auf 110 Terawattstunden bis zum Jahr 2020 und auf 120 Terawattstunden bis zum Jahr 2025 anzuheben. Weiterhin wird die Geltungsdauer des Gesetzes – es ist ganz wichtig, dieses Signal an die Betreiber zu geben – um zwei Jahre, also bis Ende 2022, verlängert, und vor allem wird der Stichtag der Inbetriebnahme um ein halbes Jahr, von 30. Juni 2016 auf 31. Dezember 2016, verschoben. (Beifall des Abg. Florian Post [SPD]) Mit diesen Änderungen wird für Investitionen in KWK-Anlagen eine substanziell bessere Zukunftsperspektive eröffnet. Investitionen in KWK erhalten einfach mehr Planungs- und Bestandssicherheit. Das ist ein wichtiges Signal, das wir aussenden müssen. (Beifall des Abg. Florian Post [SPD]) Da wir derzeit bereits 96 Terawattstunden Strom durch KWK produzieren und laut Evaluierungsbericht ein KWK-Potenzial von bis zu 244 Terawattstunden haben, wäre der ursprünglich angepeilte und im Koalitionsvertrag festgelegte Ausbau auf 25 Prozent an der Nettostromerzeugung, was 140 Terawattstunden bedeuten würde, gestreckt bis 2025, erfreulicher gewesen – das gebe ich ganz ehrlich zu –; denn aus meiner und auch aus unserer Sicht ist es erst dann sinnvoll, das KWK-Ausbauziel zu drosseln bzw. anzupassen, wenn wir das Ziel des Anstiegs der Erneuerbaren auf 80 Prozent bis 2050 erreicht haben. Ich möchte kurz auf die Industrie-KWK eingehen. Die Industrie ist ein wesentlicher Bereich unserer Wirtschaft, und sie spielt natürlich eine entscheidende Rolle bei der Umsetzung der Energiewende. Wir können viel probieren; aber wir sollten die Industrie schon mitnehmen und nicht einfach zurücklassen, auch wenn sie im Geld ist. Das hört sich immer fürchterlich an; aber im Geld ist vieles. Würden wir nach dem Kriterium gehen, dass was im Geld ist, dürften wir vieles nicht mehr fördern. Ich habe ein großes Problem damit. Dann müssten wir auch bei den Erneuerbaren manchmal nachdenken. (Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Jawohl!) Wir müssen schauen, dass unsere Industrie international wettbewerbsfähig bleibt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb haben wir im Hinblick auf die industrielle KWK durchgesetzt, dass auch eine Förderung der Industrieparks erfolgt. Sollte zudem eine Evaluierung ergeben, dass indus­trielle KWK zukünftig förderbedürftig wird, kann durch eine Verordnung mit Zustimmung des Bundestages – das hat der Kollege Post eben schon erwähnt – eine entsprechende Förderung festgelegt werden. Die Bundesregierung ist hier dringend gefordert, eine Belastung zu vermeiden; das sage ich ganz deutlich. Ich möchte an dieser Stelle an die hierzu im Koalitionsvertrag getroffene Vereinbarung erinnern, die vorsieht – ich zitiere –: So sollen alle neuen Eigenstromerzeuger mit einer Mindestumlage zur Grundfinanzierung des EEG beitragen, wobei wir die Wirtschaftlichkeit insbesondere von KWK-Anlagen und Kuppelgasnutzung wahren werden. Darauf werden wir, denke ich, schon achten. Trotz aller Diskussionen um die Kohle haben wir mit der SPD zur hocheffizienten – ich sage bewusst „hocheffizienten“ – Kohle-KWK, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das denn? Was ist denn „hocheffizient“?) die wir im Übrigen auch unter Klimaschutzgesichtspunkten für eine sinnvolle Technologie halten, vereinbart, 2017 eine vorgezogene Evaluierung durchzuführen. Sollte diese ergeben, dass Kohle-KWK-Anlagen förderbedürftig sind, kann durch eine Verordnungsermächtigung eine Förderung festgelegt werden. Man muss einfach noch einmal sagen: Es geht hier um keine Brennstoffförderung, sondern um eine Technologieförderung. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Sie sagen Brennstoffneutralität! Was ist denn das alles?) Für die von vielen Kollegen angesprochene Förderung von Anlagen zur Abwärmenutzung – auch das sollten wir noch einmal erwähnen – wird es nach Zusage des Bundeswirtschaftsministeriums Anfang 2016 ein neues Förderprogramm geben. Die Anlagen werden noch bis 2016 weiter gefördert, bis dieses Programm vorliegt. Vielleicht auch noch ganz wichtig – ein kleiner Punkt –: Für kleine KWK-Anlagen – weniger als 50 kW – und Brennstoffzellen haben wir zudem die Förderdauer von 45 000 auf 60 000 Vollbenutzungsstunden verlängert. Ich denke, das ist auch ein wichtiger Punkt. Ich nenne noch die Übergangsregelung für bereits begonnene Projekte. Da kann die Modernisierung schrittweise in den nächsten zehn Jahren erfolgen. Auch das, denke ich, ist ein wichtiges Signal an die Industrie. Zum Abschluss möchte ich betonen: Auch wenn das Gesetz bei einigen Punkten, vor allem bei der industriellen KWK und bei der Brennstoffneutralität, nicht ganz dem entspricht, was wir uns unionsseitig gewünscht hätten, so konnten wir doch insgesamt eine Reihe von Verbesserungen erreichen. Dennoch müssen wir uns vor Augen halten, dass das nun kommende KWKG ein Kompromiss ist. Ich sage ganz deutlich: Wir müssen dafür sorgen, dass diese wertvolle Technologie auch weiterhin Bestandteil unserer Energiewende bleibt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Zum Abschluss dieser Aussprache hat die Kollegin Dr. Julia Verlinden, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gab einen wirklich wichtigen und richtigen Punkt im Gesetzentwurf der Bundesregierung zur KWK: Das war der Ausschluss der Kohlekraft von der weiteren KWK-Förderung. (Florian Post [SPD]: Machen wir auch nicht!) Aber was machen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen? (Florian Post [SPD]: Verordnungsermächtigung!) Auf den letzten Metern machen Sie ausgerechnet diesen kleinen Fortschritt (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nicht übertreiben!) im Sinne des Klimaschutzes, im Sinne des Umweltschutzes und der Luftreinhaltung wieder zunichte. (Florian Post [SPD]: Nein! Ich habe es doch erklärt!) – Ich komme dazu noch, lieber Florian Post. Als wären die Geschenke, die Sie kürzlich an die Betreiber von uralten Kohlekraftwerken für die Stilllegung ihrer Dreckschleudern verteilt haben, nicht schon schlimm genug: (Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Keine Ahnung!) Jetzt wollen Sie der schmutzigen Kohle auch noch Hoffnung auf mehr Subventionen machen. Meine Damen und Herren, das ist ein Schlag ins Gesicht derer, die sich in Paris gerade ernsthaft für mehr Klimaschutz einsetzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Und anstatt einfach offen zu sagen, wer wann wie viel Geld für die Verbrennung von Kohle in KWK-Anlagen hinterhergeschmissen bekommen soll, verstecken Sie das Ganze in einer Verordnungsermächtigung. Sie wollen Ihre Kohlesubventionspolitik weiterhin im Hinterzimmer betreiben. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nein, nein! So geht das nicht! Das ist ein bisschen unterkomplex, Frau Kollegin!) Ich frage ernsthaft: Was ist das für ein Signal, wenn Sie hier immer neue Geschenke für die Kohle ersinnen, (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist jetzt populistisch!) anstatt endlich dafür zu sorgen, dass die fossilen Energien ihre wahren Kosten für Umwelt und Gesellschaft tragen? Sorgen Sie endlich dafür, dass die Klimakiller im Boden bleiben! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie hatten alle Möglichkeiten, den Regierungsentwurf in Richtung Klimaschutz zu verbessern. Wir Grüne haben dazu unsere Zusammenarbeit angeboten. Ich komme jetzt zum Thema „Fuel switch“. Darum geht es eigentlich. (Florian Post [SPD]: Ja, da tun wir auch was drauf!) – Ja, es ist ein äußerst gutes Ansinnen des Gesetzentwurfes, den Umstieg von Kohle auf Erdgas oder Bioenergie zu unterstützen. (Barbara Lanzinger [CDU/CSU]: Das haben wir auch beschlossen! – Zurufe von der SPD) – Genau darum geht es, lieber Florian Post. (Florian Post [SPD]: Steht drin!) – Ja. Ich komme dazu. Wir Grüne haben gesagt: Wir wollen die Braunkohlekraftwerke abschalten und die Steinkohle-KWK auf Erdgas und Bioenergie umrüsten. – Es ist vielleicht manchmal ein bisschen kompliziert, aber so sind unsere Forderungen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: So kompliziert ist das auch nicht!) Die Anreize für die Umrüstung der Anlagen von Steinkohle auf Bioenergie oder Erdgas müssten Sie eigentlich erhöhen. Die Experten im Ausschuss haben uns gesagt, dass es dazu mehr Anreize geben müsste. Hier hätten Sie nachlegen müssen, wenn Sie es ernst meinen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Immer nur Geld ausgeben!) Aber das Gegenteil ist passiert. Sie versprechen denen, die weiter auf Kohle setzen, lieber vielleicht doch ein paar Zuschüsse irgendwann, falls es denn eng wird mit der Finanzierung. (Florian Post [SPD]: Nein!) Deswegen frage ich mich: Welches Unternehmen sollte denn jetzt ausreichend Geld in die Hand nehmen, um die Umstellung seiner Kraftwerke zu finanzieren? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Als wir hier vor vier Wochen bei der Einbringung des Gesetzes gesprochen haben, da herrschte noch große Einigkeit zwischen allen Fraktionen, was das Ausbauziel der KWK angeht. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Was ist ein realistisches Ausbauziel?) Auch Sie, liebe Kollegen von den Regierungsfraktionen, Herr Post, Herr Koeppen, haben hier gesagt, dass wir am bisherigen KWK-Ziel – 25 Prozent an der Nettostromerzeugung bis 2020 – festhalten müssen. Aber offenbar konnten Sie sich in Ihren eigenen Fraktionen nicht damit durchsetzen; denn die Zahlen, die Sie jetzt hineingeschrieben haben – in Terawattstunden –, (Florian Post [SPD]: 31 Prozent!) bedeuten einen KWK-Anteil von 20 Prozent bis 2025. Dann müssen wir jetzt darüber diskutieren, wie viele Terawattstunden wir dann in der Regel verbrauchen werden. Ich gehe von den 600 Terawattstunden aus, die wir im Moment verbrauchen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Damit geben Sie das große Potenzial, das die KWK für eine effiziente Energieversorgung bieten könnte, verloren. Auch in einem anderen wichtigen Punkt sind Sie mit Ihren Änderungsvorschlägen zu kurz gesprungen. Ich kann verstehen, dass das nicht immer einfach ist. Man hat vielleicht viele gute Vorschläge, kann diese aber mit dem Koalitionspartner nicht alle durchsetzen. Wir sind aber auch dafür da, Ihnen zu sagen, was Sie noch mehr hätten tun sollen, und zwar bei der Bürgerenergie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Hier haben Sie offenbar immerhin auf die Meinung der Experten in der Anhörung gehört und die Kürzung der Förderdauer für Mini-KWK zurückgenommen. Gute Sache. (Johann Saathoff [SPD]: Danke!) Dennoch haben Sie den Fördersatz kräftig gekürzt. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das kostet alles Geld!) Es ist die Frage, ob engagierte Bürgerinnen und Bürger unter diesen Bedingungen überhaupt noch in die sinnvollen Mini-KWK investieren werden. Ich glaube, das Denken in kleineren, dezentralen Einheiten fällt Ihnen noch schwer. Beim Denken stehen die großen Kohlekraftwerke offenbar noch im Weg. Sie hätten mit einem gut gemachten KWK-Gesetz der Energiewende im Wärmebereich einen richtigen Schub geben können. Diese Chance haben Sie nicht genutzt. Mit Ihrer doppelzüngigen Energie- und Klimapolitik (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nicht so dick auftragen!) werden Sie Ihre eigenen Klimaschutzziele niemals erreichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuregelung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes. Dazu liegt mir eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.3 Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6910, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/6419 und 18/6746 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die vorliegenden Entschließungsanträge, zunächst zum Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/6919. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ja! Gewonnen!) Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – (Klaus Barthel [SPD], an den Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE] gewandt: Wieder an Erfahrung gewonnen!) Kollege Wunderlich, ich fürchte, dass dieser Entschließungsantrag abgelehnt worden ist, (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Aber nicht qualifiziert!) und zwar nach eindeutiger Wahrnehmung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen. Wir kommen jetzt zum Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6922. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist damit abgelehnt mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke. Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten und zur Durchführung der Verordnung über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten Drucksache 18/5089 – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten und zur Durchführung der Verordnung über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten Drucksachen 18/5295, 18/5760 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/6904 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6914 Zu diesem Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU und SPD liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann sind Sie damit einverstanden.4 Deshalb können wir auch gleich zur Abstimmung kommen. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6904, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf der Drucksache 18/5089 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wir kommen deshalb auch gleich zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/6921 in der neuen Fassung. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – (Richard Pitterle [DIE LINKE]: Die Minderheit!) Der Entschließungsantrag ist damit abgelehnt mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6904, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/5295 und 18/5760 für erledigt zu erklären. Wer für diese Beschlussempfehlung stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung ist damit einstimmig angenommen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 18 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren (3. Opferrechtsreformgesetz) Drucksache 18/4621 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/6906 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, dass Sie alle damit einverstanden sind; denn es erhebt sich kein Widerspruch. Dann verfahren wir so.5 Wir kommen deshalb unmittelbar zur Abstimmung. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/6906, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/4621 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand. Der Gesetzentwurf ist damit einstimmig angenommen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen Drucksachen 18/5293, 18/6012, 18/6138 Nr. 9 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) Drucksache 18/6905 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Kathrin Vogler, Sabine Zimmermann (Zwickau), Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Elektronische Gesundheitskarte stoppen – Patientenorientierte Alternative entwickeln – zu dem Antrag der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Dr. Konstantin von Notz, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sicher vernetzt, gut versorgt – Digitalisierung im Gesundheitswesen im Dienste der Patienten gestalten Drucksachen 18/3574, 18/6068, 18/6905 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Widerspruch erhebt sich keiner. Dann ist das so beschlossen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die von diesem Tagesordnungspunkt betroffen sind, Platz zu nehmen und den Platzwechsel zügig vorzunehmen. Ich eröffne die Aussprache. Ich darf als erster Rednerin der Kollegin Dr. Katja Leikert für die CDU/CSU das Wort erteilen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Katja Leikert (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt liegt er vor: der Entwurf eines Gesetzes für eine sichere digitale Kommunikation und Anwendung im Gesundheitswesen, im Volksmund E-Health-Gesetz genannt. Nach mehr als einem Jahr intensiver Beratung und konstruktiver Debatten ist es ein sehr schönes Gesetz geworden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es ist deshalb ein sehr schönes Gesetz geworden: erstens, weil wir damit die Weichen für eine schnellere und sicherere Kommunikation stellen, indem im Gesundheitswesen die Zeiten von Fax und Karteikärtchen überwunden werden; zweitens, weil wir damit für mehr Patientennutzen und Selbstbestimmung sorgen, indem der Patient Herr über seine eigenen Daten wird; drittens, weil wir die Weichen für mehr Wirtschaftlichkeit und Effizienz stellen, indem die Zeiten des dritten überflüssigen Röntgenbilds beendet werden. Es war der Bundesminister Hermann Gröhe, der nach zehn Jahren des Stillstands diesem wohl größten Digitalisierungsprojekt in unserem Land wieder den nötigen Schwung verliehen hat. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dirk Heidenblut [SPD]) Viele hatten schon den Glauben aufgegeben, dass sich ausgerechnet in diesem sensiblen Bereich des Gesundheitswesens noch etwas tut. Für diesen mutigen Anstoß danke ich sehr unserem Gesundheitsminister sowie der Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz, die hier mit viel Tatkraft vorangegangen sind. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dieses Projekt der Digitalisierung ist mit Blick auf den Patientennutzen einer der größten Fortschritte im Gesundheitswesen der letzten Jahre. Ich möchte nur einige Anwendungen nennen: Zukünftig werden die Notfalldaten auf der elektronischen Gesundheitskarte gespeichert, sodass der Notarzt schnell erkennen kann, ob Vorerkrankungen oder beispielsweise eine Allergie vorliegen. Dann werden wir den Medikationsplan für Menschen einführen, die mehr als drei Medikamente nehmen; denn wir alle wissen, dass mehr Menschen durch Arzneimittelwechselwirkungen sterben als im Straßenverkehr. Das wollen wir nicht länger hinnehmen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Mit dem E-Health-Gesetz wird auch der Weg der Telemedizin in die Regelversorgung geebnet. Röntgenkonsile und Videosprechstunden sind bereits jetzt im Gesetz verankert. Dieses Digitalisierungsprojekt ist darüber hinaus ein Fortschritt, weil wir die Selbstbestimmung des Patienten stärken. Sie alle wissen, dass das so eine Sache ist. Es hängt von der Arztpraxis ab, wie schnell Sie an Ihre Daten kommen. Deswegen haben wir auch von parlamentarischer Seite sehr darauf gedrungen, die elektronische Patientenakte im Gesetz zu verankern. Der Patient muss endlich schnell eine strukturierte Übersicht über seine gesamten Daten bekommen: von der Diagnose bis zu den Befunden, beispielsweise auch über seinen Impfstatus. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Richtig!) Grundsätzlich gilt dabei – das übersehen die Linken sehr oft –: Der Patient entscheidet, welche Daten gespeichert werden und wer Zugriff auf welche Daten hat. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dirk Heidenblut [SPD]) An dieser Stelle möchte ich gerne unserem Koalitionspartner für die sehr gute Zusammenarbeit danken, außerdem den Kollegen vom Ausschuss Digitale Agenda, aber auch der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die sich sehr konstruktiv und kritisch, gerade in dem Punkt der Patientenselbstbestimmung, eingebracht haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) So schön, wie das mit der neuen digitalen Welt ist: Die gesetzliche Krankenversicherung wird nicht dafür da sein, jede digitale Spielerei in ihren Leistungskatalog aufzunehmen. Fest steht aber – da gibt es kein Vertun –: Wir wollen nur Anwendungen mit Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung finanzieren, wenn diese die Festlegungen der Gematik zu den Standards berücksichtigen. Deshalb ist es richtig, dass das Bundesministerium einen großen Schwerpunkt auf das Thema Interoperabilität gelegt hat. So einen Kauderwelsch, wie er zwischen Microsoft und Apple lange Zeit üblich war, wollen und können wir uns im Gesundheitswesen nicht leisten. (Beifall des Abg. Matthias Ilgen [SPD] – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das mit Kauderwelsch zu tun?) Hier geht der Dank an die Experten aus der Anhörung, die auf die wichtige Rolle internationaler Standards hingewiesen haben. Jetzt, wo wir dieses wunderbare Paket zur Schaffung einer Telematikinfrastruktur und verschiedener Anwendungen haben – vom Notfalldatensatz bis zur elektronischen Patientenakte – und die Fortschritte im Hinblick auf Patientennutzen und Patientenselbstbestimmung auf dem Papier klar und deutlich zu erkennen sind, wollen wir es natürlich ganz schnell in die Realität umgesetzt sehen. Bis Mitte 2018 sollen über 200 000 Arztpraxen und 2 000 Krankenhäuser flächendeckend an die Telematikinfrastruktur angeschlossen werden. Damit das auch passiert, sind in diesem Gesetzentwurf ganz harte Fristen und Sanktionen vorgesehen. Hier stehen die Kassen, die Ärzte und die Industrie gleichermaßen in der Verantwortung. Wer die Fristen und Sanktionen nicht einhält, muss Haushaltskürzungen hinnehmen. Man könnte ein bisschen bedauern, dass es so weit gekommen ist. Es ist ein bisschen wie in einer längeren Beziehung, in der sich die Partner gegenseitig blockieren. (Beifall des Abg. Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Michaela Noll [CDU/CSU]: So sind längere Beziehungen? – Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der SPD) – Ich wollte nur gucken, ob Sie aufpassen. – Heute soll aber kein Tag der Drohungen oder des Bedauerns sein. Heute überwiegt die Freude, dass wir mit einer großen parlamentarischen Mehrheit – die Grünen rechne ich da vom Herzen einfach einmal mit ein – dieses schöne Gesetz auf den Weg bringen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin spricht Kathrin Vogler von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Kathrin Vogler (DIE LINKE): Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Leikert, es kommt nicht nur auf die Schönheit an. Wahre Schönheit kommt von innen. Deswegen wollen wir uns die inneren Werte dieses Gesetzentwurfes – vielleicht gibt es sie auch nicht – vornehmen. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Schönheit liegt im Auge des Betrachters, Frau Kollegin!) Sie wissen, dass die Linke sich für sichere digitale Kommunikation einsetzt, gerade auch im Gesundheitswesen. Denn niemand möchte seine Gesundheitsdaten in falschen Händen sehen. (Beifall bei der LINKEN) Da gibt es viel zu tun. Aber das E-Health-Gesetz, das Sie uns hier vorlegen, geht in die falsche Richtung. Deswegen lehnen wir es ab. Die Bundesregierung verfolgt weiter das Prinzip, in einer Telematikinfrastruktur große Datenmengen miteinander zu vernetzen, die dann mit der elektronischen Gesundheitskarte und einer PIN abgerufen werden können. Weil in einem solchen komplexen System die Datensicherheit nur sehr schwer sichergestellt werden kann, wird es immer teurer und teurer, ohne absehbaren Nutzen für die Patientinnen und Patienten. Sie legen jetzt klare Fristen dafür fest, bis wann welche Anwendungen am Start sein sollen. Mit diesen Fristen wird dasselbe passieren wie mit der Frist zum Ende nächsten Jahres. Bis zum 31. Dezember 2016 sollten nämlich alle Arztpraxen am Stammdatenmanagement teilnehmen; nur: Die Industrie kann die Geräte nicht liefern. Das stand heute in der Presse. Gestern haben wir den Gesetzentwurf im Ausschuss behandelt. Herr Gröhe, ich bin Ihnen persönlich – – (Zurufe von der CDU/CSU: Dankbar!) Ich bin persönlich von Ihnen enttäuscht, dass Sie uns diese wichtige Information, die Sie schon seit 14 Tagen haben, vorenthalten haben. (Beifall bei der LINKEN) Ich finde, das ist eine Unverschämtheit. Bis heute hat das Projekt die gesetzlich Versicherten schon nahezu 1,4 Milliarden Euro gekostet. Allein 100 Millionen Euro werden jetzt für den Austausch der Lesegeräte fällig, weil die alten Lesegeräte die Gefahr bergen, dass Daten mitgelesen werden können. Weitere 300 bis 400 Millionen Euro wird der regelmäßige Austausch der elektronischen Gesundheitskarten kosten; denn die Zertifikate darauf veralten und halten dann neuen Gefahren für die Datensicherheit nicht mehr stand. Überhaupt ist es zweifelhaft, ob eine solche Megadatensammlung in der heutigen Zeit mit vertretbarem Aufwand gesichert werden kann. Ein Sachverständiger hat in unserer Anhörung im Gesundheitsausschuss sehr klar gesagt – ich zitiere –, „dass eine solche Struktur im Jahr drei nach Snowden … schlicht und ergreifend nicht mehr zeitgemäß ist.“ (Beifall bei der LINKEN) Die elektronische Gesundheitskarte ist auch kein sicherer Identitätsnachweis. Kolleginnen und Kollegen, beim Kauf einer Prepaid-Karte für Ihr Handy gibt es strengere Regeln, wie Sie sich zu identifizieren haben, als bei der Ausstellung dieser Karte. Da von Datensicherheit zu sprechen, ist einfach nur absurd. (Beifall bei der LINKEN – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Ihr wolltet doch alles abschaffen!) Viele Versicherte teilen übrigens unsere Skepsis und weigern sich deshalb, ein Bild für die elektronische Gesundheitskarte einzureichen. Diesen Menschen drohen Sie jetzt mit dem Entzug sämtlicher Leistungen ihrer Krankenkasse; Menschen wohlgemerkt, die ihren Beitrag bezahlt haben. Sie sollen jetzt nur noch ein einziges Mal eine Ersatzbescheinigung ausgestellt bekommen, danach sind sie wie Nichtversicherte zu behandeln. Ich finde, das ist ein Skandal. (Beifall bei der LINKEN) Der Antrag der Linken „Elektronische Gesundheitskarte stoppen – Patientenorientierte Alternative entwickeln“ ist ein Gegenentwurf, der Datenschutz und Patienteninteresse ernst nimmt. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist einfach nichts! Das ist das Problem!) Wir fordern Sie auf, umzudenken. Sensible Patientendaten dürfen unserer Ansicht nach nur auf den Rechnern der Leistungsempfänger gespeichert werden. Mobile Speichermedien wie USB-Sticks oder Karten sollten zumindest ergebnisoffen erprobt werden. Damit hätten es die Patienten wirklich selbst in der Hand, wem sie ihre Daten offenbaren wollen. Das wäre ein moderner, ein dezentraler Ansatz. (Beifall bei der LINKEN) Wir schreiben die Freiwilligkeit und die Selbstbestimmung der Patientinnen und Patienten groß. Zwangsmaßnahmen wie die Verweigerung von Leistungen lehnen wir ab. Wir wollen auch nicht, dass kommerzielle Anbieter mit ihren Angeboten in den Austausch der Gesundheitsdaten einbezogen werden. Gesundheit ist keine Ware. Meine Daten gehören mir. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Der Abgeordnete Gröhe wünscht eine Kurzintervention. Hermann Gröhe (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Kollegin Vogler, da Sie enttäuscht waren über die mangelnde Information, verstehen Sie vielleicht, dass ich von einer Berichterstatterin enttäuscht bin, die nicht zur Kenntnis genommen hat, dass in öffentlicher Anhörung zu diesem Gesetzentwurf am 4. November der Geschäftsführer der Gematik die Veränderungen am Zeitplan erläutert hat. Sie hätten also längst vorher informiert sein können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: War sie bei der Anhörung dabei?) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Frau Vogler, Sie haben die Möglichkeit zur Reaktion. Kathrin Vogler (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Minister – – (Zurufe von der CDU/CSU: Abgeordneter!) – Entschuldigung, Herr Abgeordneter Gröhe; Ihre Kurzintervention machen Sie ja als Abgeordneter. Sehr geehrter Herr Gröhe, ich finde, dass das absolut nicht ausreichend ist, (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) vor allem angesichts der Tatsache, dass Sie in dem Gesetz neue Fristen festgelegt haben und wir in der Beratung Zweifel daran geäußert haben, ob und wie Sie bzw. die Gematik in der Lage sein werden, diese neuen Fristen einzuhalten. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Aber Sie haben sie geäußert! – Reiner Meier [CDU/CSU]: Sie waren informiert!) Ich denke, Sie werden mit diesem Projekt – eine Sachverständige in der Anhörung hat es wie folgt beschrieben: ein Flugzeug, das startet, ohne dass die Landebahn fertig ist – noch eine fürchterliche Bruchlandung erleben, leider auf Kosten der Patientinnen und Patienten, der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung. (Reiner Meier [CDU/CSU]: Ein Wasserflugzeug!) Das finde ich einfach bedauerlich. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner spricht Dirk Heidenblut von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dirk Heidenblut (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt bin ich schon wieder versucht, auf ganz viele Punkte einzugehen, aber das muss ich mir jetzt klemmen; denn sonst komme ich mit meiner Rede wieder nicht durch. (Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Einfach beim Konzept bleiben!) Eines will ich aber noch einmal sagen: Wir stellen hier keine neue riesige Datensammlung auf irgendwelchen Servern oder Ähnlichem zusammen. Wir machen mit den Daten eigentlich genau das, was Sie verlangen. Die Daten bleiben da, wo sie sind. Wir sorgen nur dafür, dass der Patient drankommt, und wir sorgen dafür, dass der Patient die Hoheit über seine Daten hat, wenn sie zu Zwecken der Behandlung zusammengeführt, kurzzeitig aggregiert werden müssen, damit sie auf vernünftige Art und Weise verfügbar sind. Das ist genau das, was Sie wollen. Sie wollen aber nur ignorieren, dass wir genau das machen, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) genauso wie Sie ignorieren, dass die Frage der Fristen längst besprochen ist. Sie ignorieren auch, dass es genau deswegen richtig ist, dass wir sanktionsbewehrte Fristen setzen, damit wir an solchen Stellen endlich eingreifen können. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Ich komme jetzt zu meiner Rede. Eigentlich möchte ich eine freudige Rede halten. Denn ich muss sagen: Ich bin richtig glücklich – das merkt man vielleicht auch –, (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Sehr gut! Genau!) dass wir im Bereich der E-Gesundheit – ich verwende mal nicht wie der Volksmund den Begriff E-Health – endlich so richtig vorankommen und Schub hineinbringen. Auch ich möchte meine Rede mit einem herzlichen Dank an das Ministerium, an den Minister, an die Staatssekretärin, aber auch an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beginnen, die uns fachkundig begleitet haben. Diesen Dank verbinde ich mit einem herzlichen Dank an den Koalitionspartner, namentlich an die Kollegin Dr. Leikert. Ich freue mich sehr, dass wir in großem Gleichklang – ich glaube, dieser Gleichklang war dem einen oder anderen manchmal sogar unheimlich – eine Menge Verbesserungen bewirken konnten. Ich möchte auch den Grünen für die konstruktive Mitarbeit ausdrücklich danken, auch für den Antrag, der vorgelegt wurde. Wir haben nicht alles übernommen, aber ein paar Sachen haben wir am Ende doch berücksichtigt. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Rest machen wir nächstes Jahr! Da haben wir noch was vor!) Wir schaffen Sanktionen und ein Anreizsystem, um Blockaden aufzubrechen. Wir sagen: Wenn ihr mitgeht, bekommt ihr für neue Leistungen eine entsprechende Vergütung. – Das ist richtig. Genauso ist es richtig, zu sagen: Wenn ihr nicht mitgeht, müsst ihr mit Einbußen rechnen. – Genau so ist das. Zwar zeigen die aktuellen Meldungen – das stimmt –, dass wir vielleicht sehr ambitionierte Fristen setzen; aber ich bin mir ganz sicher, dass das Ministerium die Möglichkeit hat, darauf zu reagieren. Es wird von den Verordnungsmöglichkeiten ganz sicher in entsprechendem Maße Gebrauch machen. Wir sagen es deutlich: Wir meinen es ernst mit diesem E-Health-Gesetz. Wir meinen es ernst, wenn wir sagen, dass wir bezüglich E-Health weiterkommen wollen. Deswegen gehören Anreize und Sanktionen in das Gesetz, damit wir endlich den Fortschritt bekommen, den wir schon lange brauchen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dieser Fortschritt ist ein echter Mehrwert für die Patienten. Wir schaffen einen Medikationsplan. Ich gebe zu, dass ich am Anfang überlegt habe: Warum schaffen wir einen Medikationsplan auf Papier? Aber wir brauchen erst einmal eine Grundlage, die wir dann elektronisch umsetzen können. Durch unsere Änderungsanträge haben wir das Ganze dahin gehend verändert, dass es mit den Projekten zur Arzneimitteltherapiesicherheit übereinanderpasst. So erreichen wir jetzt endlich für den Patienten den wundervollen Aspekt der Arzneimittelsicherheit: Das Ganze liegt in seiner Hoheit und erfolgt auf freiwilliger Basis. Der Patient hat einen Anspruch. Er kann verlangen, dass der Medikationsplan, wenn er elektronisch zur Verfügung steht, auf seiner elektronischen Gesundheitskarte gespeichert wird, aber er muss es nicht. (Zuruf der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Das Gleiche gilt für die Notfalldaten. Wir schaffen einen Anspruch des Patienten bzw. der Patientin auf Bereitstellung der Notfalldaten. Wir sorgen dafür, dass diese Daten im Notfall zur Verfügung stehen. Wir stärken die Selbstbestimmung – auch das haben wir gerade mit dem, was wir nachgelegt haben, sehr deutlich gemacht –, indem wir den Weg zur elektronischen Patientenakte endlich deutlich klarer aufzeigen. Dieser Weg führt durch ein starkes Sicherheitssystem. Ich glaube, es wird das stärkste in Europa sein, wenn wir mit dem Gesetz fertig sind. Allein das Zwei-Schlüssel-System sorgt für Sicherheit: Der Patient hat den einen Schlüssel in der Hand, und der Heilberufsausweis des Arztes, des Apothekers – oder wer sonst zugreifen darf – stellt den anderen Schlüssel dar. Nur mit beiden Schlüsseln kommt man an die elektronische Patientenakte. Nur mit beiden Schlüsseln werden die Daten verfügbar. Das ist richtig, und das ist gut so. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das führt aber auch zu einem Problem – ich gebe zu, dass ich lange überlegt habe, wie man da die Kurve kriegen kann -; denn wir wollen ja, dass der Patient und die Patientin Hoheit über die Daten haben. Aber wie kommen sie an die Daten? Sie haben ja keinen Heilberufsausweis als zweiten Schlüssel. Deswegen schaffen wir das Patientenfach und den Anspruch, dass die Daten aus der elektronischen Patientenakte in dieses Patientenfach übertragen werden. Man muss natürlich wissen, dass das Zwei-Schlüssel-System für dieses Patientenfach nicht gilt; denn sonst käme ich als Patient ja nicht an die Daten. Aber das ist meine Entscheidung. Ich kann dieses Patientenfach dann zusätzlich mit Blutdruckdaten und anderen Daten füllen. Ich habe die Hoheit über die Daten, die wir immer wollten und die wir uns immer vorgestellt haben. Das heißt, wir haben über das Patientenfach und die elektronische Patientenakte endlich den Einstieg in die Selbstbestimmung geschaffen und für die Hoheit des Patienten über seine Daten gesorgt. Wir sorgen dafür, dass Interoperabilität, dass internationale Standards, dass Standards überhaupt Grundlage unseres Systems werden. So kann Zusammenarbeit funktionieren. Wir haben über die Videosprechstunde eine weitere, wie ich finde, sehr interessante Maßnahme in den Gesetzentwurf geschrieben. Ich sage direkt dazu, dass da noch sehr viel mehr kommen kann: Telekardiologie, Telemonitoring und Ähnliches. Da gibt es vieles, was noch kommen kann. Aber wir haben schon jetzt zwei wesentliche Dinge eingebaut. Damit erreichen wir auch Fortschritte im Bereich Versorgung. Die Videosprechstunde ist eine gute Möglichkeit, Entfernungen zu überwinden. Damit schaffen wir Versorgungssicherheit; damit sichern wir gerade in ländlichen Regionen die Versorgungssicherheit. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Das kann und muss die Telemedizin leisten. Sie wird nicht den Arzt ersetzen, sie wird nicht den Arzt-Patienten-Kontakt ersetzen, und sie wird nicht die Therapien ersetzen; aber sie wird Entfernungen überbrücken, sie wird die Kommunikation verbessern, sie wird Doppelbelastungen durch Doppelerhebungen und Doppelmaßnahmen vermeiden helfen, und sie wird die Sicherheit verbessern. Das ist genau das, was wir wollen. Mit dem Gesetz setzen wir einen Meilenstein, aber das ist nicht das Ende. Wir müssen das Gesetz auch als Ausgangspunkt dafür nehmen, wieder richtig Drive in eine nationale E-Health-Strategie zu geben. Da baue ich auf den Ausschuss Digitale Agenda, um an der Stelle gemeinsam richtig weiterzukommen. Denn wir müssen natürlich weiterkommen. Es muss noch deutlich mehr passieren. Das ist jetzt nur ein weiterer Meilenstein, ein Punkt, von dem aus wir sehr gut starten können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Eines lassen Sie mich zuletzt sagen: Wir erwarten jetzt, dass die Selbstverwaltung, die Gematik, die Industrie und alle anderen Beteiligten mitziehen und dazu beitragen, dass E-Health made in Germany eine Vorreiterrolle einnimmt und nicht hinterherhinkt. Aus diesem Grund plädiere ich dafür: Stimmen Sie alle unserem wirklich guten Gesetzentwurf zu. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin spricht Maria Klein-Schmeink von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Dirk Heidenblut, ich glaube, das mit dem Glück ist relativ. Schauen wir es uns einmal an: 2003 wurde die eGK ins Gesetz geschrieben, beschlossen von Rot-Grün. 2006 sollte sie vorliegen. 2018 – das ist hier eben gerade ausgeführt worden – werden wir dann endlich alle Praxen und Krankenhäuser am Netz haben. Es ist noch lange nicht sicher, ob auch die anderen Leistungserbringer, die Pflege- und die Gesundheitsberufe, dabei sind. Ich melde Zweifel an, ob das jetzt ein klassischer Fall von Glück ist. Ich würde andersherum sagen: Dieses Gesetz drückt endlich mit Geschlossenheit und Entschlossenheit das aus, was wir schon lange brauchen und was schon lange klar war. Wir haben schon 2003 gewusst, dass wir mehr Vernetzung im Gesundheitswesen brauchen. Natürlich hat das auch etwas damit zu tun, dass wir einen IT-gestützten Datenaustausch haben und dass wir natürlich immer mehr Anwendungen in der Telemedizin haben. (Zuruf von der LINKEN) Das war das Erste. Das Zweite, was für uns Grüne immer ganz wichtig ist, waren natürlich der Datenschutz und zusätzlich auch die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, welche Daten ich zur Verfügung stelle, welche Daten eingesehen werden können oder nicht. Genau das ist schon damals beschlossen worden. Aber man muss sagen: Es hat verdammt lange gedauert und viel Geld gekostet, bis wir endlich überhaupt bis zu dem Stand von heute gekommen sind. Das ist bedauerlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Diesen Vorwurf muss man natürlich an die Kolleginnen und Kollegen sowohl von der CDU/CSU als auch von der SPD richten, aber ich würde sagen, die CDU/CSU hat dem Blockadeprozess der Selbstverwaltung länger quasi nur zugesehen und ist nicht aktiv geworden. Wir können froh sein, dass wir jetzt tatsächlich das Signal senden: Jetzt muss es passieren! (Maria Michalk [CDU/CSU]: Da sind wir uns einig!) Wir können uns nicht länger erlauben, Milliarden zu versenken, ohne dass etwas vorangeht. Das Resultat dieser Entwicklung ist ja, dass wir in diesem Bereich eigentlich Entwicklungsland sind. Von wegen vorneweg gehen, Dirk Heidenblut, das ist wirklich Zweckoptimismus; denn davon sind wir derzeit noch weit entfernt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schauen wir uns das Gesetz an. Als Sie gestartet sind, waren wir sehr enttäuscht; das muss man schon sagen. Denn mehr als die Umsetzung des Auftrags, eine sichere IT zu schaffen – dieser stand schon längst im Gesetz –, war dabei nicht herausgekommen. Da muss ich sagen: Es ist nachgebessert worden. Darüber sind wir froh. Es ist klarer und deutlicher sichtbar, dass es tatsächlich einen Nutzen für die Patienten gibt. Es steht klarer drin, dass auch die Versicherten selber einen Zugriff auf ihre Daten haben und dass wir da vorankommen müssen. Das ist also gut. Aber warum sind Sie eigentlich auf halber Strecke stehen geblieben? Das verstehe ich wiederum nicht. Es fehlen bestimmte Regelungen zum Datenschutz gerade bei der Einbeziehung von externen Dienstleistern. Das hat Ihnen die Datenschutzbeauftragte ins Gebetbuch geschrieben. Warum haben Sie das nicht umgesetzt? Warum haben Sie nur die Hausärzte in den Beirat der Gematik aufgenommen, aber nicht die Vertreter der Pflege? Das verstehe ich nicht. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Kommt noch!) Das ist ein ganz wichtiges Anwendungsgebiet für die Zukunft. Warum wurde die Pflege nicht aufgenommen? (Maria Michalk [CDU/CSU]: Wir wollen es nicht überfrachten!) Ich könnte Ihnen noch ein paar andere Punkte nennen. Ich hätte mir mehr Mut gewünscht, auch diese Dinge aufzunehmen. Aber ich habe im Arbeitsplan der Bundesregierung gesehen, dass es im nächsten Jahr eine IT-Strategie im Gesundheitswesen geben soll. Das ist ein Punkt aus unserem Antrag, der noch nicht abgewickelt ist. Es gibt bestimmt noch einige andere Punkte, bei denen Sie gut nachbessern könnten. Wir würden uns freuen, wenn Sie auch das noch aufnehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Maria Michalk [CDU/CSU]: Dann stimmen Sie zu!) Eine Sache noch zur Linken. Wenn wir Ihren Vorschlägen folgen würden, dann gäbe es weniger Sicherheit und weniger Selbstbestimmung für die Versicherten und nicht mehr. Deshalb meinen wir: Ihren Antrag muss man ablehnen. Er würde dazu führen, dass wir die vielen, vielen grauen Lösungen, die es im Gesundheitswesen, was den Austausch im IT-Bereich betrifft, schon längst gibt, weiter befördern würden. Wir müssen genau das Gegenteil machen. Wir brauchen eine öffentliche Daseinsvorsorge im Bereich der IT im Gesundheitswesen. Das ist der richtige Weg. Deshalb muss man Ihren Antrag ablehnen. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als letzter Redner in dieser Runde hat Reiner Meier von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Reiner Meier (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Heidenblut, Sie sehen auch mich heute sehr glücklich. (Dirk Heidenblut [SPD]: Dann sind wir schon zwei!) Sie haben mich auf Ihrer Seite. Mit dem E-Health-Gesetz machen wir nämlich einen großen Schritt hin zu einer modernen Kommunikationstechnik in unserem Gesundheitswesen. Die Grundvoraussetzung hierfür ist, dass viele unterschiedliche Systeme im Gesundheitswesen miteinander Daten austauschen können. Das ist mir sehr wichtig. Deshalb bin ich ein großer Befürworter des E-Health-Gesetzes. Wir haben die Selbstverwaltung und die Gematik ermächtigt, im Dialog mit der Industrie offene und standardisierte Schnittstellen für den Datenaustausch festzulegen. Gemeinsam mit dem öffentlichen IOP-Verzeichnis ermöglichen wir mehr Transparenz und klare technische Standards für die digitale Zusammenarbeit. Dabei fangen wir nicht bei null an, sondern können auf Erfahrungen, auch im internationalen Bereich, zurückgreifen. Auf der Grundlage einer sicheren Telematikinfrastruktur können dann auch weitergehende Anwendungen umgesetzt werden. Voraussichtlich im Jahre 2018 wird die Gematik mit der elektronischen Patientenakte eine der wichtigen Anwendungen im Hinblick auf die elektronische Gesundheitskarte einführen. Für den Patienten können in einem Patientenfach seine Befunde, Diagnosen und Behandlungsdaten transparent und jederzeit nachvollziehbar dokumentiert werden. Durch die schnelle Verfügbarkeit dieser Daten können wir dem Patienten nicht nur belastende Doppeluntersuchungen ersparen, sondern wir vermeiden mitunter auch Behandlungsfehler. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Ja, stimmt!) Beim Medikationsplan war die Verbesserung der Patientensicherheit unser zentrales Leitmotiv. Hier können die Apotheker auf Wunsch des Patienten gemeinsam mit den behandelnden Ärzten einen entscheidenden Beitrag zur Arzneimittelsicherheit leisten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dirk Heidenblut [SPD]) Die Beteiligung der Apotheker ist auch deshalb wichtig, weil vor allem sie über die Einnahme der OTC-Medikamente informiert sind. Meine Damen und Herren, bei aller Innovationsfreude haben wir aber auch den Schutz der Patientenrechte besonders berücksichtigt und ernst genommen. Nach dem E-Health-Gesetz ist es deshalb der Patient, der festlegt, wer Zugriff auf seine Gesundheitsdaten hat und wer nicht. Ebenso bestimmt allein der Patient, ob ein Medikationsplan erstellt wird, ob ein Notfalldatensatz angelegt wird und ob er weitere Anwendungen nutzen möchte. Hier setzen wir auf das Prinzip der Freiwilligkeit und darauf, dass die Patienten bestmögliche Kontrolle über ihre medizinischen Daten haben. Meine Damen und Herren, die vielseitigen Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung bieten uns vielfältige Chancen, die Gesundheitsversorgung spürbar zu verbessern. Denn eines ist klar: Die Digitalisierung im Gesundheitswesen ist schon in vollem Gange. Es ist Sache des Gesetzgebers, ihr einen guten und sicheren Rahmen zu geben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine sehr verehrten Damen und Herren, zuletzt möchte ich noch auf einen Punkt eingehen, der uns gerade als CSU seit Jahren sehr am Herzen gelegen hat, nämlich die gerechte Behandlung von Waisen und Halbwaisen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Bislang wurde eine Waisenrente nach dem SGB VI bei der Berechnung der Krankenversicherungsbeiträge wie ein eigenes Einkommen angesetzt. Das führte zu der zusätzlich belastenden Situation, dass ein Kind, das gerade einen schmerzlichen Verlust erlitten hatte, auch noch einen Großteil der Waisenrente als Beitrag an die Krankenversicherung abführen musste. Um diese doppelte Belastung zu beseitigen, werden wir Waisen mit gesetzlichen Hinterbliebenenrenten künftig bis zur Altersgrenze für Familienversicherte von den Beiträgen befreien. (Beifall bei der CDU/CSU und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Damit schließen wir eine große Gerechtigkeitslücke, und das ist auch richtig so. Ich bedanke mich. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6905, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/5293 und 18/6012 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Tagesordnungspunkt 19 b. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6905 empfiehlt der Ausschuss für Gesundheit die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3574 mit dem Titel „Elektronische Gesundheitskarte stoppen – Patientenorientierte Alternative entwickeln“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen worden. Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6905 empfiehlt der Ausschuss für Gesundheit die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6068 mit dem Titel „Sicher vernetzt, gut versorgt – Digitalisierung im Gesundheitswesen im Dienste der Patienten gestalten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist auch diese Beschlussempfehlung angenommen worden, und zwar mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der aufsichts- und berufsrechtlichen Regelungen der Richtlinie 2014/56/EU sowie zur Ausführung der entsprechenden Vorgaben der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 im Hinblick auf die Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse (Abschlussprüferaufsichtsreformgesetz – APAReG) Drucksache 18/6282 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Drucksache 18/6907 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6908 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Dazu gibt es keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Zypries für die Bundesregierung das Wort. Brigitte Zypries, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Vielen Dank, Frau Präsidentin! Bei der Abschlussprüferaufsichtsreform geht es darum, die Qualität der Abschlussprüfungen und die Aufsicht über die Abschlussprüfer zu verbessern, weil sie für das Vertrauen in die deutsche Wirtschaft von großer Bedeutung sind. Deswegen gilt es, bei der Umsetzung der EU-Vorschriften die Qualität in den Vordergrund zu stellen. Weil die Qualität in diesem Zusammenhang so wichtig ist, ist es sehr gut, dass es diesem Gesetzentwurf so erging wie vielen anderen auch, die aus dem Deutschen Bundestag nicht so herausgekommen sind, wie sie hineinkamen. Ich bedanke mich ausdrücklich für Änderungsanregungen aus dem Hohen Hause und auch aus dem Bundesrat. Namentlich sind hier die Kollegen Heider und Ilgen zu nennen, die sich sehr engagiert haben. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) – Ehre, wem Ehre gebührt; das muss man einmal sagen. Die Umsetzung der EU-Vorgaben verlangt erhebliche strukturelle Änderungen der berufsunabhängigen Abschlussprüferaufsicht. Die derzeit bestehende Abschlussprüferaufsichtskommission muss aufgelöst werden. Auch ihr gebührt für ihre zehnjährige engagierte Arbeit ein großer Dank. Die Aufgaben der berufsstandsunabhängigen Aufsichtsbehörde kann sie nicht mehr wahrnehmen. Das liegt schlicht und ergreifend an ihrer Rechtsform und an ihrer Struktur. Deswegen werden die Aufgaben auf eine Stelle beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle übertragen. Das gilt auch für einen Teil der Aufgaben der Wirtschaftsprüferkammer sowie für weitere Aufgaben, die von Richtlinie und Verordnung vorgegeben werden. Wir werden aber die Kontinuität und die Funktionsfähigkeit der Aufsicht gewährleisten, indem wir die Mitarbeiter der Kommission und der Wirtschaftsprüferkammer überleiten. Die fachliche Unabhängigkeit der neuen Aufsichtsstelle wird durch die Entscheidungsfindung in Beschlusskammern gesichert. Darüber hinaus kommt es zu Änderungen des Berufsrechts in der Wirtschaftsprüferordnung. Die Berufspflichten werden teils detaillierter, teils strenger geregelt. Künftig müssen festgestellte Verstöße sanktioniert und veröffentlicht werden. Das sorgt für das, was man im Strafrecht „Generalprävention“ nennt. Ich danke. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Klaus Ernst von der Linken das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Klaus Ernst (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt ja nichts Schöneres, als um diese Zeit dieses Thema zu diskutieren. Es geht darum, dass europarechtliche Vorgaben im Zusammenhang mit Regelungen für Wirtschaftsprüfer umgesetzt werden. Im Zentrum steht dabei, dass die Prüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse kontinuierlich verbessert werden soll. Das ist der eigentliche Kern der Richtlinie der EU. Ziel war, die Qualität der Abschlussprüfungen und die Aussagekraft der Prüfungsergebnisse zu steigern. Es soll mit der APAS eine Abschlussprüferaufsichtsstelle beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle geschaffen werden. Die bisherige Abschlussprüferaufsichtskommission APAK wird aufgelöst. Meine Damen und Herren, es wäre natürlich schön gewesen, wenn die Umsetzung dieser Verordnung dazu geführt hätte, dass man die Probleme, die im Zusammenhang mit Wirtschaftsprüfern nicht nur bei uns in der Bundesrepublik Deutschland, sondern eigentlich weltweit bestehen, mit angegangen wäre. Es gibt vier große Wirtschaftsprüfungsunternehmen: KPMG, PwC, Ernst & Young und Deloitte. Sie prüfen rund 90 Prozent der DAX-, MDAX- und SDAX-Konzerne – 90 Prozent! Nebenbei bemerkt: Wenn man sich an die Finanzkrise erinnert und wenn man weiß, dass die großen Finanzinstitute im Prinzip von diesen vier Unternehmen geprüft wurden, dann weiß man auch, dass es mit der Qualität dieser Prüfungen nicht so weit her gewesen sein kann. (Richard Pitterle [DIE LINKE]: Genau!) Ansonsten hätten sie erkennen müssen, welche Risiken sich in den Bilanzen verstecken, nicht nur bei den Banken, sondern auch bei den großen Versicherungskonzernen. Da kann ich nur feststellen: Da kam nichts. So groß kann es mit der Qualität der vier Großen nicht her sein. (Beifall bei der LINKEN) Übrigens: Der frühere Kommissar Barnier wollte das ändern. Es heißt in einer Vorlage der Europäischen Union: Die derzeitige Konzentration auf den Markt ... stellt damit eine Bedrohung für die Stabilität des Finanzsystems dar. Da ist nichts passiert. Es bleibt alles so, wie es ist. Sie hätten diese Reform tatsächlich nutzen können, um da einzugreifen. Sie machen allerdings etwas anderes. Wir wissen, dass die großen Vier, die Big Four, nicht nur in der Prüfung, sondern massiv auch in der Unternehmensberatung tätig sind. Das heißt faktisch, dass sie die prüfen, die sie vorher beraten haben. Das ist eine tolle Geschichte. (Beifall bei der LINKEN) So kann man sich natürlich Beratung und Prüfung vorstellen. Das ist vielleicht auch der Grund dafür, warum durch diese Großen, die bei der Finanzkrise geprüft haben, nichts herausgekommen ist. Jetzt machen wir etwas anderes. Wir sagen jetzt praktisch, dass die kleineren Wirtschaftsprüfungsgesellschaften mehr oder weniger genau den gleichen Bestimmungen unterliegen, die für die großen gelten. Mit dem APAReG werden jedoch Prüfung und Kontrolle von Unternehmen des Kapitalmarktes einfach auf Unternehmen außerhalb des Kapitalmarktes übertragen. (Dr. Matthias Heider [CDU/CSU]: Genau das machen wir nicht! – Matthias Ilgen [SPD]: Nein! Das machen wir nicht! Das haben Sie nicht richtig gelesen!) – Genau das machen Sie. Wir haben mit den Betroffenen gesprochen. Da sage ich Ihnen: Wenn Sie das tun, dann führt das dazu, dass Sie die Kleineren eigentlich noch mehr schwächen, dass Sie damit den Konzentrationsprozess auf dem Markt für Wirtschaftsprüfer eher fördern und dass Sie das eigentliche Ziel, das Sie erreichen wollten bzw. das die EU vorgegeben hat, mit Ihrer Reform, die Sie machen, nicht erreichen. Das wird vielmehr eher dazu führen, dass die großen Vier gestärkt werden. An den eigentlichen Problemen ändert sich nichts, und die kleineren Wirtschaftsprüfergesellschaften haben den Nachteil. Mich wundert es in diesem Zusammenhang, dass Sie sich immer noch selbst auf die Fahnen schreiben, mittelstandsfreundlich zu sein. Bei den Wirtschaftsprüfern sind Sie das definitiv nicht. Ich danke Ihnen fürs Zuhören. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Dr. Matthias Heider von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dr. Matthias Heider (CDU/CSU): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es gibt so viele wichtige Entscheidungen, die wir in diesen Tagen treffen, die auch von großer Tragweite sind. Da fällt ein Gesetz zur Regelung eines freien Berufes nicht sofort ins Auge. Dennoch kommt der Berufsaufsicht für Wirtschaftsprüfer eine besondere Bedeutung zu. Wir beschließen deshalb heute das Abschlussprüferaufsichtsreformgesetz, kurz APAReG. Frau Präsidentin, das spricht sich auch viel kürzer. Der Jahresabschluss ist die wichtigste Informationsquelle über ein Unternehmen für Aktionäre, für Geschäftspartner, für den Kapitalmarkt, für Mitarbeiter und auch für die Öffentlichkeit. Der Jahresabschluss gibt nicht nur Auskunft über die wirtschaftliche Situation eines Unternehmens und ist Grundlage für die Berechnung von Steuern und Gewinnverteilung, auch Informationen zu rechtlichen Verhältnissen und dem Risikomanagement sind enthalten. Das sind Angaben, die in einer sich immer schneller drehenden Wirtschaftswelt von enormer Bedeutung sind. Der Jahresabschluss hat nach § 264 Absatz 2 HGB unter Beachtung der Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage eines Unternehmens zu vermitteln. Für bestimmte Unternehmen besteht eine Pflicht zur Prüfung ihres Abschlusses durch den Wirtschaftsprüfer. Vor dem Hintergrund der Finanzkrise hat die EU für eine besondere Gruppe von Unternehmen von öffentlichem Interesse – das sind alle börsennotierten Unternehmen, Banken und Versicherungen – strenge Regelungen an die Vergabe des Auftrags zur Prüfung des Jahresabschlusses einerseits und an das Berufsrecht des testierenden Wirtschaftsprüfers andererseits gestellt. Herr Ernst, das sind zwei völlig verschiedene Dinge, die haben Sie gerade mal eben in einen Topf geworfen. Wir beschäftigen uns hier heute nur mit dem Berufsrecht und der Berufsaufsicht, und diese Teile haben wir bis Mitte 2016 umzusetzen. Die Sorge der EU-Kommission dreht sich unter anderem um die Wettbewerbssituation in einer Branche, die von wenigen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften dominiert wird. In der Tat hat das Handelsblatt im Juni 2015 noch einmal festgestellt, dass 90 Prozent aller 160 DAX-Unternehmen von den großen vier WP-Gesellschaften geprüft werden, und diese Wirtschaftsprüfungsgesellschaften prüfen auch 85 Prozent aller Unternehmen von öffentlichem Interesse in Europa. Liebe Kolleginnen und Kollegen, daraus müssen nicht, es könnten aber Risiken entstehen, und darauf muss die Berufsaufsicht vorbereitet werden. Deshalb gilt es auch, die Lage von kleinen, mittleren und großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und auch von Einzelwirtschaftsprüfern genau zu betrachten. Aufsichts- und Qualitätsregelungen sind wichtig. Solche Regelungen verursachen für die Berufsangehörigen großen Aufwand. Dieser Aufwand muss finanziell und organisatorisch eine tragbare Belastung und auch im Sinne der EU-Richtlinie erforderlich und gerechtfertigt sein. Wir glauben, dass alle am Wirtschaftsleben Beteiligten ein großes Interesse an diesen Regelungen haben und das Vertrauen in den Berufsstand, seine Arbeit und seine Berufsaufsicht durch das APAReG gestärkt werden kann. Zu dem Gesetzgebungsverfahren hat es intensive Diskussionen innerhalb der Branche und auch mit uns Abgeordneten gegeben. Die Unionsfraktion hat zu einem frühen Termin eine Informationsveranstaltung durchgeführt. Es haben zahlreiche Fachgespräche mit den Berichterstattern der Koalition stattgefunden. Der Wirtschaftsausschuss hat eine intensive Anhörung zum APAReG mit Vertretern aus Wissenschaft und Praxis durchgeführt. Zunächst möchte ich mich an dieser Stelle aber ganz herzlich für die gute Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Fraktion bedanken, insbesondere bei Matthias Ilgen. Wir hatten eine komplexe Materie zu beraten, und unter Einbeziehung der Fachleute aus dem BMWi haben wir dort eine ganze Menge Änderungsanträge auf den Weg gebracht. Frau Staatssekretärin, auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Ministerium auf diesem Wege unser herzlicher Dank! (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das Abschlussprüferrecht ist kein Thema für parteipolitisches Gezerre. Ich sehe auch bei den Kolleginnen und Kollegen der Grünen gleiche Ansätze und Erwartungen an die neuen Regeln. Wir, meine Damen und Herren, sind uns unserer Verantwortung als Parlament für die Berufsaufsicht bewusst. Die CDU/CSU tritt seit jeher für die freien Berufe ein, zu denen auch die Wirtschaftsprüfer gehören. Wir wollen dem Berufsstand mit der Neuordnung der Wirtschaftsprüferordnung eine gute Grundlage geben. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben die Umsetzung deshalb von Anfang an unter die Leitlinien erstens einer Eins-zu-eins-Umsetzung der europäischen Regelungen, zweitens einer mittelstandsfreundlichen Ausgestaltung und drittens der Gewährleistung einer funktionierenden Selbstverwaltung gestellt. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Vorschriften sehen vor, dass die Abschlussprüferaufsicht durch eine berufsstandsunabhängige Behörde durchgeführt werden muss. Wunsch des Ministeriums war es, diese dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle anzugliedern. Andere Regelungen wären auch denkbar gewesen; insbesondere hätte ich mir eine beliehene private Gesellschaft vorstellen können. Jedoch erfüllt die gewählte Umsetzungsform in vollem Umfang auch die Anforderungen der europäischen Vorschriften. Die Besetzung der Leitungspositionen der APAS – so heißt die neue Behörde – erfolgt dem Gesetz nach in einem transparenten und unabhängigen Auswahlverfahren. Für das BMWi bzw. das BAFA gilt es jetzt, die Stellen für qualifiziertes und unabhängiges Leitungspersonal auszuschreiben und entsprechend auszuwählen, damit die Vorgaben der Richtlinie und der Verordnung umgesetzt werden können. Die Union hat sich für ein Entscheidungsgremium in der APAS nach dem Vorbild der Beschlusskammern des Bundeskartellamtes und der Bundesnetzagentur stark gemacht. Die Einrichtung von Beschlusskammern führt zu mehr Transparenz im Verfahren der Berufsaufsicht und zur Unabhängigkeit der Entscheider. Die Beschlusskammern bestehen aus fünf Mitgliedern. Sie entscheiden mit einfacher Mehrheit über Aufsichtsmaßnahmen. Ich möchte noch auf einige punktuelle Änderungen der berufsrechtlichen und berufsaufsichtlichen Regelungen zu sprechen kommen: In der Qualitätskontrolle werden die Abschlussprüfer durch den Wegfall der Teilnahmebescheinigung entlastet. Eine darüber hinausgehende Streichung der Registrierungspflicht, wie sie der Berufsstand gern gehabt hätte, war aus europarechtlichen Gründen nicht möglich. Dafür haben wir den Zeitpunkt der Anzeige und der Registrierung der Durchführung von gesetzlichen Abschlussprüfungen auf zwei Wochen nach Annahme des Auftrages verschoben. So müssen Abschlussprüfer sich nicht schon registrieren lassen, wenn sie die bloße Absicht haben, also nur darüber nachdenken, eine Abschlussprüfung durchführen zu wollen. Außerdem wird die Qualitätskontrolle durch das ­APAReG verschlankt. Gegenstand der Qualitätskontrolle sind nur noch gesetzliche Abschlussprüfungen und die von der BaFin in Auftrag gegebenen Prüfungen. Der schon im Regierungsentwurf explizit enthaltene Verhältnismäßigkeitsgrundsatz für die Durchführung der Qualitätskontrolle wurde durch unsere Änderungsanträge noch konkretisiert. So soll sich die Intensität der Qualitätskontrollprüfungen an der Anzahl der Mandate sowie der Art und Größe der Praxis orientieren. Auch das erschien uns nur mittelstandsfreundlich und angemessen. Im berufsaufsichtlichen Verfahren verbleibt die Zu­stän­digkeit für den Erlass eines vorläufigen Tätigkeits- und Berufsverbotes als schärfstes Schwert der Berufsaufsicht – anders als im Regierungsentwurf vorgesehen – beim Gericht. Außerdem haben wir die Voraussetzungen für den Erlass einer Rüge durch die Wirtschaftsprüferkammer und die APAS als Regelbeispiel im Gesetz festgehalten. Damit wird eine Entscheidungshilfe vorgegeben, um festzulegen, in welchen Fällen eine Rüge verhängt werden kann und wann eine Belehrung ausreichend ist. Die im Regierungsentwurf vorgesehene Aufsicht der APAS über die Qualitätskontrollprüfer haben wir gestrichen. Jedoch bedarf es zur Sicherung einer hohen Qualität der Qualitätskontrollprüfungen einer Aufsicht. Diese wird zukünftig durch die Kommission für Qualitätskontrolle durchgeführt. Damit verbleibt die Aufsicht über die Qualitätskontrollprüfer bei der Selbstverwaltung. Wir erwarten, dass der Berufsstand die neue Arbeitsgrundlage annimmt und von seinen Mitwirkungsrechten und -pflichten regen Gebrauch macht. Der Berufsstand der Wirtschaftsprüfer genießt hohes Ansehen. Allen Berufsträgern, den Verbänden und Institutionen muss bewusst sein, dass sie Verantwortung für ihren Berufsstand tragen. Deshalb sollten sie an diesen Regelungen in bester Weise mitwirken. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Thomas Lutze [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner spricht Dr. Thomas Gambke für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr verehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe verbliebene Zuschauer auf der Tribüne! Das Thema ist in der Tat sperrig, wie schon die Kurzform APAReG verrät. Herr Ernst, wenn Sie sich ein bisschen mehr mit dem Thema befasst und nicht nur diese Rede gehalten hätten, wüssten Sie, dass noch ein Abschlussprüfungsreformgesetz, AReG, folgen wird. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Bei vier Minuten geht das nicht mehr!) Wenn Sie das gewusst hätten, wäre Ihnen bei richtiger Analyse die Dominanz der Big Four bei internationalen Prüfungen – das hat Herr Heider in den Zahlen bestätigt – aufgefallen, und Sie hätten nicht nur ideologische Schlagworte gebraucht. Das Thema wird uns sicherlich noch befassen. Aber es ist nicht so einfach zu lösen, nach dem Motto: Macht die Großen kaputt, und verschafft den Kleinen mehr Raum! (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Zuhören!) Es gibt heute keine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in Deutschland – das ist die Aussage der Wirtschaftsprüfer selbst –, die in der Lage wäre, die großen Konzerne, die international aufgestellt sind, zu prüfen. Die deutschen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften können es nicht. Die entscheidende Frage lautet daher: Welche Strukturen müssen wir schaffen, um dort – im Ziel stimmen wir absolut überein – eine unabhängige und qualitativ hochwertige Prüfung hinzubekommen? Ich stelle erfreut fest, dass das Petitum der Experten und meiner Fraktion um eine stärkere Berücksichtigung mittelständischer Wirtschaftsprüfer in den Änderungsanträgen Niederschlag gefunden hat. Ich freue mich, dass eine Reihe von Änderungen berücksichtigt wurde; Herr Heider hat sie im Wesentlichen genannt. An einem Punkt allerdings, Herr Heider – deswegen enthält sich meine Fraktion –, ist das anders. Wir haben auch strukturelle Veränderungen vorgeschlagen. Es ist sehr gut, dass in der Wirtschaftsprüferkammer zwischen dem Präsidenten als jemandem, der aus der Industrie kommt und die operative Seite vertritt, und der Aufsicht getrennt wird. Das heißt, wenn jemand in den Vorstand wechselt, ist der Beirat gemäß der Nachrückerregelung nach wie vor unabhängig. Aber wir haben nicht verstanden, warum Sie dem Präsidenten einen eigenständigen Organstatus, der hinsichtlich der Verantwortung nicht klar definiert ist, gegeben haben; denn diese Unklarheit führt nach unserer Auffassung zu dem, was wir in den letzten Jahren leider zu beklagen hatten, nämlich zu einem erheblichen Streit innerhalb der Wirtschaftsprüferkammer und der Wirtschaftsprüfergemeinschaft – und zwar ganz ohne staatlichen Einfluss. Dieser wurde zum Teil durch eine gewisse Intransparenz in der Vergütung bzw. der Aufwandsentschädigung befördert. Wir hoffen, dass die neue Struktur in der Lage ist, die Schwierigkeiten zu überwinden, die wir in der Vergangenheit hatten. Aber wir glauben, dass die Organstellung des Präsidenten dort nicht der richtige Schritt ist. Insofern enthalten wir uns der Stimme, auch wenn wir, wie gesagt, den Änderungen im Ausschuss zugestimmt haben. Ich möchte noch eine Bemerkung zu der Anbindung an die BAFA machen. Sie haben darauf hingewiesen, dass das strittig war. Es hätte auch andere Lösungen gegeben. Ich denke, das, was wir aus der Anhörung, die wir hatten, und den Expertengesprächen lernen müssen, ist, dass wir mehr Transparenz brauchen. Wir werden nach wie vor die Situation haben, dass Gehaltsstrukturen andere als die in der BAFA sind. Insofern wäre Transparenz wichtig. Ich erinnere mich, dass ich einmal in die Geheimschutzstelle musste, um eine simple Zahl zu erfahren, nämlich wie hoch die Aufwandsentschädigung ist. Wir können nur mit Transparenz Vertrauen schaffen. Ich werbe sehr dafür, dass wir den Mut aufbringen, auch Aufwandsentschädigungen und Gehälter nach außen hin zu verteidigen. Ich glaube, es ist besser, dass man sich nicht versteckt, sondern offen ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir werden uns mit dem Abschlussprüfungsreformgesetz noch auseinanderzusetzen haben. Wir vonseiten der Opposition werden das sehr aufmerksam verfolgen müssen; denn nicht immer war die Mittelstandsfreundlichkeit, die Sie eben so betont haben und die auch uns ein Anliegen ist, gegeben. Damit entsteht übrigens ein guter Wettbewerb. Diesem Ziel werden wir unser Augenmerk widmen. Ich hoffe, dass wir dann gute Beratungen haben und ein gutes Ergebnis bei dem noch kommenden Abschlussprüfungsreformgesetz erzielen werden. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Thomas Lutze [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als letzter Redner in dieser Runde hat Matthias Ilgen von der SPD das Wort. Matthias Ilgen (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verbliebene Zuschauer, wo auch immer Sie sind! (Heiterkeit) Diese Woche titelte eine große deutsche Tageszeitung: „Was macht Matthias Machnig?“ Ich möchte denjenigen, die wie ich manchmal nur die Überschriften solcher Zeitungen überfliegen, auf die Sprünge helfen. Er ist Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, und er kümmerte sich zumindest die letzten Wochen sehr intensiv um das Abschlussprüferaufsichtsreformgesetz, ein wirklicher Zungenbrecher. Das BMWi hat, wie ich finde, einen sehr ordentlichen Entwurf vorgelegt. Wir haben diesen im parlamentarischen Verfahren sehr genau unter die Lupe genommen und versucht, noch einige Punkte zu verbessern. Wie mein Kollege Heider von der Union es in seiner ersten Rede dazu, die zu Protokoll ging, im Oktober richtig bemerkt hat – der Dank für die gute Zusammenarbeit geht meinerseits gern zurück –: Kein Gesetz verlässt den Bundestag am Ende so, wie es hineingekommen ist. – Das ist auch hier so. Ein Thema der letzten Wochen war vor allem die Auflösung der APAK durch das APAReG und die damit verbundene Übertragung ihrer Aufgaben an die neu zu schaffende Abschlussprüferaufsichtsstelle, kurz APAS. Es geht dabei um die Eingliederung bzw. die Frage, wie man das macht und ob man diese vielleicht nicht in eine Behörde eingliedert. Diese Problematik hat für reichlich Diskussionen gesorgt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie der Philosoph Hegel schon vor vielen Jahren festgestellt hat: Es gibt viele Wege, die zu einem Ziel führen, wichtig ist dabei allerdings, die goldene Mitte zu finden. – Durch die Eingliederung der APAS als eigenständige Stelle in das BAFA können bestehende Verwaltungsstrukturen im Sinne der Wirtschaftlichkeit genutzt werden. Gleichzeitig werden durch die Eigenständigkeit der Stelle die EU-Anforderungen an die Qualifikation und Letztverantwortung der Leitung erfüllt sowie die Sichtbarkeit, auch der Erhalt der Marke APAK oder neu APAS als national und international hochanerkannte, berufsstandsunabhängige Aufsicht gesichert. Ich denke, hiermit haben wir die goldene Mitte gefunden. Wir sollten das Thema in Zukunft auf sich beruhen lassen und hoffen, dass das vom Berufsstand in der Breite getragen und akzeptiert wird. Eine Problematik bei solchen Operationen ist immer die Überleitung des vorhandenen Personals. Mir und meiner Fraktion war es ein Anliegen, die Kontinuität der bisherigen Aufsicht zu ermöglichen. Diese Beständigkeit wird insbesondere durch eine weitestmögliche gesetzliche Übernahme des vorhandenen hochqualifizierten Personals gewährleistet. Für die Wirtschaftsprüfer ist uns das im Gesetzentwurf gut gelungen. Es geht uns noch um den Artikel 2 § 6. Er regelt den Übergang der Beschäftigten, die bisher nicht als Wirtschaftsprüfer in der Wirtschaftsprüferkammer arbeiteten und zum Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle übergeleitet werden sollen. Nach meinen Informationen handelt es sich um einen Kreis von zwölf Personen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir sind uns alle einig, dass es nicht sein kann, dass das, was für die sehr gut bezahlten Wirtschaftsprüfer gilt – dass sie sozusagen möglichst ohne Verluste in ihre neuen Jobs übergeleitet werden –, nicht auch als Verfahren und Maßstab für Sekretärinnen, Sachbearbeiter und Referenten gelten kann. Auch bei diesen Berufsgruppen müssen wir für eine vernünftige Eingliederung sorgen. Der Gesetzentwurf bietet dem Ministerium dafür einen Verordnungsspielraum. Deswegen möchten wir herzlich darum bitten – ich erinnere an die Einführung des TVöD; es gab damals große Debatten um die Vergleichbarkeit von Gehaltsstrukturen in Ländern und Kommunen –, dass eine Überleitung weitestgehend so durchgeführt wird, dass die Betroffenen keine Verluste erleiden. Das lässt Artikel 2 § 6 Absatz 4 des APAReG eindeutig zu. Wir würden uns freuen, wenn das Ministerium von diesem Spielraum Gebrauch machte. In diesem Sinne: Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Damit schließe ich die Debatte. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Abschlussprüferaufsichtsreformgesetzes. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6907, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/6282 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 21 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Telemediengesetzes Drucksache 18/6745 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale Agenda Die Reden sind zu Protokoll gegeben. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.6 Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/6745 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/91/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 zur Änderung der Richtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) im Hinblick auf die Aufgaben der Verwahrstelle, die Vergütungspolitik und Sanktionen Drucksache 18/6744 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Die Reden sollen hier ebenfalls zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, auch damit sind Sie einverstanden.7 Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/6744 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 23 auf: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes zur Erhöhung des Lohnsteuereinbehalts in der Seeschifffahrt Drucksache 18/6679 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind auch damit einverstanden.8 Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/6679 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 4. Dezember 2015, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend. (Schluss: 21.54 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Behrens, Herbert DIE LINKE 03.12.2015 Gleicke, Iris SPD 03.12.2015 Grindel, Reinhard CDU/CSU 03.12.2015 Gunkel, Wolfgang SPD 03.12.2015 Högl, Dr. Eva SPD 03.12.2015 Jantz, Christina SPD 03.12.2015 Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 03.12.2015 Kömpel, Birgit SPD 03.12.2015 Krellmann, Jutta DIE LINKE 03.12.2015 Lagosky, Uwe CDU/CSU 03.12.2015 Lamers, Dr. Karl A. CDU/CSU 03.12.2015 Maizière, Dr. Thomas de CDU/CSU 03.12.2015 Nahles, Andrea SPD 03.12.2015 Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 03.12.2015 Schlegel, Dr. Dorothee SPD 03.12.2015 Schnieder, Patrick CDU/CSU 03.12.2015 Schröder (Wiesbaden), Dr. Kristina CDU/CSU 03.12.2015 Spinrath, Norbert SPD 03.12.2015 Steinmeier, Dr. Frank-Walter SPD 03.12.2015 Wicklein, Andrea SPD 03.12.2015 Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Bestimmungen des Rechts des Energieleitungsbaus (Zusatztagesordnungspunkt 3) Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU): Dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung kann ich nach reiflicher Abwägung des Für und Wider in der Fassung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie nicht zustimmen und werde mich der Stimme enthalten. Unbestritten besteht Handlungsbedarf, um infolge der Energiewende den Ausbau der deutschen Höchstspannungsnetze stärker mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien zu synchronisieren und für diese Infrastruktur­investitionen die notwendige Akzeptanz in der Bevölkerung und den betroffenen Regionen zu verbessern. Daher begrüße ich es ausdrücklich, dass der geänderte Gesetzentwurf Erleichterungen für die Erdverkabelung im Gleichstrombereich und für ausgewählte Pilotprojekte im Drehstrombereich auf den Weg bringt, um auf diese Weise die Realisierung der Vorhaben zu beschleunigen, die auch angesichts des wachsenden europäischen Stromhandels geboten sind. Nicht nachvollziehen kann ich allerdings die im Gesetzentwurf vorgesehene Festlegung auf den Netzverknüpfungspunkt (NVP) „Cloppenburg Ost“ innerhalb des Vorhabens Nr. 6 „Conneforde – Cloppenburg – Westerkappeln; Drehstrom Nennspannung 380 kV“ des Bundesbedarfsplangesetzes (BBPIG) vom 23. Juli 2013. So ist weder die netztechnische Begründung für eine Offshore-Anbindung mit Konverterstationen im Raum Cloppenburg nachvollziehbar noch ist verständlich, warum der Gesetzentwurf bei diesem NVP eine weitere räumliche Begrenzung auf „Cloppenburg Ost“ vorsieht. Eine solche räumliche Eingrenzung ist weder technisch noch fachlich zielführend. Vor allem deshalb, weil gegenwärtig vom Träger des Vorhabens im Nachgang zur Antragskonferenz des entsprechenden Raumordnungsverfahrens mindestens vier unterschiedliche Grobkorridore für eine vertiefende Untersuchung möglicher Trassenkorridore geprüft bzw. entwickelt werden, die über 30 km auseinander liegen. Die Auffassung, dass eine Festlegung auf „Cloppenburg Ost“ die Planungen vor Ort unnötig beeinträchtigen könnte, teilt auch das Amt für regionale Landesentwicklung Weser-Ems, das als zuständige Planungsbehörde das Raumordnungsverfahren für die 380 kV-Leitung verantwortet. In diesem Zusammenhang hat nicht zuletzt die niedersächsische Landesregierung in ihrer Stellungnahme zum 2. Öffentlichen Konsultationsverfahren des Offshore­Netzentwicklungsplans 2014 vom 13. Mai 2015 darauf hingewiesen, dass bei der Festlegung der NVP noch großer Prüfbedarf hinsichtlich der Standorte und der Raumverträglichkeit besteht. Sowohl hinsichtlich der Offshore-Anbindungen als auch hinsichtlich des Ausbaus des Übertragungsnetzes gebe es für die in Rede stehenden Projekte bislang keine Vorfestlegungen und keine technischen Erfordernisse, die nur bestimmte Lösungen zulassen würden. Grundsätzlich müsse zudem die Bestimmung der Standorte aller NVP unter intensiver Beteiligung der betroffenen Kommunen erfolgen. Hier haben die örtlichen Städte und Gemeinden gemeinsam mit dem Landkreis Cloppenburg bereits mehrfach deutlich gemacht, dass ein solcher NVP in Cloppenburg aufgrund des Flächendrucks durch die intensive agrarstrukturelle Nutzung sowie aufgrund der für das Oldenburger Münsterland typischen Siedlungsstruktur mit Streusiedlungen und einer weitgehend flächenhaften Bebauung mit Einzelhäusern im Außenbereich kaum realisierbar ist. Aus eigener Erfahrung kann ich bestätigen, dass Kommunen insbesondere im Raum Cloppenburg bereits heute große Probleme haben, Flächen für neue Wohn-und Gewerbegebiete zu akquirieren. Aus den genannten Gründen stellt sich die Frage, warum man sich für die Gleichstromeinbindung auf den NVP „Cloppenburg Ost“ derart fixiert, ohne Alternativen im Auge zu behalten, die möglicherweise eine geeignetere Anbindung gewährleisten. Insbesondere mit Blick auf die erhebliche Reduzierung elektrischer Transportverluste ist meines Erachtens der niedersächsischen Landesregierung beizupflichten, die vorschlägt, Offshore­Netzanschlussleitungen im westlichen Niedersachsen, wo eine Vielzahl von Offshore­Windpark-Projekten anlandet, als Gleichstromsysteme ohne Abzweig bis in die Lastzentren in West-und Süddeutschland weiterzuführen. Für die Erhöhung der Versorgungssicherheit ist dazu unter anderem der netzplanerische Ansatz, die NVP weiter nach Süden zu verlagern, sinnvoll. Auf diese Weise ließen sich in den kommenden 10 Jahren zusätzliche Gleichstromtrassenkorridore und damit zusätzliche ökonomische und ökologische Belastungen vermeiden. Leider war die SPD-Bundestagsfraktion nicht zu einer Streichung oder wenigstens einer praxistauglichen Änderung des NVP „Cloppenburg Ost“ auf „Cloppenburg“ bereit. Das bedauere ich sehr. Darüber hinaus wäre es aus meiner Sicht erforderlich gewesen, im Rahmen dieses Gesetzgebungsvorhabens Regelungen für eine Reduzierung des Flächenverbrauchs insbesondere bei der Kompensation sowie Änderungen bei der bisherigen Entschädigungspraxis der Grundeigentümer mitaufzugreifen, da vielfach landwirtschaftliche Flächen für den Anlagenbau der erneuerbaren Energien und den Ausbau der Stromnetze in Anspruch genommen werden. Vor allem dürfen unsere Landwirte, die beim Umbau unserer Energieversorgung eine zentrale Rolle spielen und vielfach erhebliche Investitionen in eine dezentrale Stromerzeugung getätigt haben, nicht zunehmend den Eindruck gewinnen, zu den Verlierern der Energiewende zu werden. Ohne Verbesserungen in diesem Bereich werden wir ansonsten beim Netzausbau den Rückhalt auf dem Land verlieren. Albert Rupprecht (CDU/CSU): Für das im Bundesbedarfsplan genannte Vorhaben Nummer 5, die Höchstspannungsleitung zwischen Wolmirstedt und Isar, wird im Energieleitungsausbaugesetz der Endpunk Landshut/Isar gesetzlich festgeschrieben. Die Entscheidung für den Endpunkt Isar halte ich für falsch. Frühzeitig habe ich die gewichtigen Gegenargumente gegen den Endpunkt Isar unter anderem an den zuständigen Bundesminister für Wirtschaft und Energie Sigmar Gabriel kommuniziert. Bis heute wurden meine Gegenargumente nicht schriftlich entkräftet, weshalb ich mich weiterhin gegen den Endpunkt Isar ausspreche. Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird zum einen der Vorrang der Erdverkabelung beim Bau von HGÜ­Leitungen festgeschrieben. Zum anderen wird der Bundesbedarfsplan novelliert, mit dem die Anfangs- und Endpunkte der energiewirtschaftlich notwendigen Vorhaben beim Netz­ausbau nach derzeitigem Stand gesetzlich festgelegt werden. Die Änderungen, mit denen für die Planung und den Bau von HGÜ-Leitungen ein Vorrang der Erdverkabelung in der Bundesfachplanung eingeführt wird, begrüße ich ausdrücklich. Die breite Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger ist ein zentrales Element für das Gelingen der Energiewende. Der verstärkte Einsatz von Erdkabeln kann dazu beitragen, die Akzeptanz für diese dringend erforderlichen Vorhaben zu stärken. Mit den im vorliegenden Gesetzentwurf enthaltenen Änderungen des Bundesbedarfsplangesetzes, das an den derzeit bestätigten Netzentwicklungsplan (NEP) 2024 angepasst werden soll, bin ich nicht einverstanden. Die Regierungskoalition hat sich in den Eckpunkten vom 1. Juli 2015 darauf verständigt, für die geplanten Drehstrommaßnahmen Mecklar-Grafenrheinfeld und Altenfeld-Grafenrheinfeld Neuberechnungen vorzunehmen. Diese Neuberechnungen sind im NEP 2024 noch nicht enthalten. Ich erwarte, dass die Eckpunkte vom l. Juli 2015 bei der Erarbeitung des Netzentwicklungsplans 2025 konsequent umgesetzt werden. Mit dem bislang gültigen Netzentwicklungsplan würde Grafenrheinfeld zur Stromdrehscheibe Deutschlands. Deshalb hat die Regierungskoalition vereinbart, beim Netzausbau eine Entlastung der Region um Grafenrheinfeld zu erreichen. Dazu sollen die beiden Drehstrommaßnahmen Mecklar­Grafenrheinfeld und Altenfeld-Grafen­rheinfeld entfallen. Stattdessen sollen diese Maßnahmen in Bestandstrassen mitgeführt und neue Endpunkte für diese Stromleitungen gefunden werden. An diesem Ziel halte ich nach wie vor fest. Es darf nicht zu einer Überlastung des Netzknotenpunktes im Raum Grafenrheinfeld kommen. Die im vorliegenden Gesetzentwurf enthaltene Festschreibung des Vorrangs der Erdverkabelung unterstütze ich ausdrücklich. Der im Gesetzentwurf ebenfalls vorgesehenen Änderung des Bundesbedarfsplans kann ich jedoch nicht zustimmen. Deshalb werde ich mich bei der Abstimmung zum gesamten Gesetzentwurf der Stimme enthalten. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Jens Koeppen (CDU/CSU) zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes (Zusatztagesordnungspunkt 4) Ich habe dem Gesetzesvorhaben trotz großer Bedenken zugestimmt, weil KWK eine sehr effiziente und klimaverträgliche Technologie ist, die weitergeführt werden muss. Zudem ist mir die dringende Notwendigkeit der Förderung von Gas-Bestandsanlagen, die sich überwiegend im Eigentum der Stadtwerke befinden, bewusst. Die problematische Situation in diesem Bereich kann ohne veränderte Förderung auf die kommunalen Haushalte durchschlagen und somit viele notwendige Investitionen in anderen Bereichen, wie der Breitbandinfrastruktur oder der Modernisierung von Schulen und Turnhallen, unmöglich machen. Zudem ist zu befürchten, dass Anlagen, die dazu beitragen, C02-Emmissionen zu reduzieren, vom Netz genommen werden. Dennoch halte ich einen Großteil der nun beschlossenen Regelungen nicht für zielführend, um KWK als sichere und bezahlbare Säule für unsere Energieversorgung zu verankern und um die industriellen Potenziale von Emissionseinsparungen durch diese Technologie zu heben. Das nun beschlossene Gesetz ist ein Ausstieg aus der ursprünglich verfolgten Technologieförderung und der Einstieg in die Förderung des fossilen Energieträgers Gas. Die Energiewende soll jedoch aus meiner Sicht das Ziel verfolgen, unsere Energieversorgung immer stärker durch erneuerbare Energieträger abzusichern, und es soll nicht der Umstieg von einem fossilen Energieträger auf einen anderen fossilen Energieträger vorangetrieben werden. Solange wir fossile Energieträger im Energiemix benötigen, sollte die Effizienzsteigerung der Energienutzung im Vordergrund unserer Bemühungen stehen und nicht eine staatliche Lenkung auf den teuren, im Wesentlichen importierten Energieträger Gas. Mit der nun erhöhten KWK-Förderung – 1,5 Milliarden Euro pro Jahr – hätte deutlich mehr erreicht werden können. Durch die Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen wurden Verschlechterungen des Entwurfes gegenüber der geltenden Gesetzeslage teilweise zurückgenommen. Durch die Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen wurden Verbesserungen bei der Mini-KWK, die Verlängerung der Übergangsfrist, die Verlängerung der Gültigkeit des Gesetzes insgesamt, die Förderung von KWK in Industrieparks und auch die Aufnahme von Verordnungsermächtigungen im Bereich der Überprüfung der Unterstützung von Kohle-KWK erreicht und damit wichtige Signale an die KWK-Branche gegeben. Das neue Gesetz bleibt jedoch weiterhin hinter der Unterstützung für die Technologie des bisherigen Gesetzes weit zurück. Sollen die selbstgesetzten KWK-Ziele der Koalition erreicht werden, sind Nachbesserungen in naher Zukunft unumgänglich. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Fraktion der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetztes zur Umsetzung der Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten und zur Durchführung der Verordnung über Online- Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten – des von der Bunderegierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten und zur Durchführung der Verordnung über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten Tagesordnungspunkt 17 Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Die erste Lesung zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten und zur Durchführung der Verordnung über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten war bereits am 11. Juni 2015. Sodann fand am 30. September eine Sachverständigenanhörung statt. Sowohl durch diese Anhörung als natürlich auch durch die vielen Gespräche zu dem vorgelegten Gesetz konnten noch einige Änderungen an dem Gesetz vorgenommen werden, die das Gesetz deutlich verbessern konnten. An dieser Stelle darf ich mich für die gute Zusammenarbeit der Berichterstatterinnen und Berichterstatter und mit dem Ministerium bedanken. Im Folgenden werde ich die wichtigsten Änderungen vorstellen. Allem voran ist hier die Schaffung einer Universalschlichtungsstelle und eine diese begleitende und abschließende Evaluation zu nennen Der Referentenentwurf und der ursprüngliche Gesetzentwurf übertrugen den Ländern die Verantwortung, ein flächendeckendes Angebot an ADR-Stellen zu gewährleisten, wenn sich nicht genügend freiwillige Träger finden. Hier war zu prüfen, ob die Schaffung einer einzigen, bundesweit zuständigen Universalschlichtungsstelle nicht personell und finanziell leichter umzusetzen wäre. Das nun gefundene Ergebnis sieht vor, dass das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz bis zum 31. Dezember 2019 die Arbeit einer ausgewählten Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle, die bundesweit tätig ist, fördert. Träger dieser Verbraucherschlichtungsstelle muss nach § VSBG ein eingetragener Verein sein. Die für die Finanzierung notwendigen Mittel wurden bereits in den Haushalt des Bundes, wie in § 42 Absatz 1 VSBG vermerkt, eingestellt. Gemäß § 43 Absatz 2 VSBG wird diese Stelle, die bis zum 31. Dezember 2019 gefördert wird, begleitend evaluiert. Hierbei wird in einem wissenschaftlichen Forschungsvorhaben die Funktionsweise dieser Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle untersucht, um Erkenntnisse in Bezug auf Inanspruchnahme, Fallzahlen, Arbeitsweise, Verfahrensdauer, Erfolgsquoten, Kosten und Entgelte zu sammeln und auszuwerten. Der Abschlussbericht erfolgt dann am 31. Dezember 2020. Ein Zwischenbericht wird nach § 43 Absatz 3 aber bereits am 30. Juni 2018 vorgelegt. Dies ist für die Länder besonders wertvoll, weil diese dann bereits die ersten Erkenntnisse frühzeitig nutzen können, um zu planen, wie sie ihrer Verantwortung, eine flächendeckendes Angebot an ADR-Stellen zu gewährleisten, nachkommen wollen. Hier sei aber noch gesondert darauf hingewiesen, dass bei der Evaluation berücksichtigt werden sollte, wie sich die in § 4 Absatz 3 VSBG enthaltene Öffnungsklausel auf die Rechtswirklichkeit auswirkt. Mit dieser Öffnungsklausel geht das VBSG über den Anwendungsbereich der Richtlinie hinaus. Es muss dabei untersucht werden, ob durch die Öffnungsklausel möglicherweise mittel- oder langfristig eine niedrigschwellige parallele Struktur zur bestehenden Justiz entsteht, die zudem Unternehmer und Dienstleister im Ergebnis einseitig finanziell belastet. Hinsichtlich der Gebührenlast ist keine Änderung zum ursprünglichen Entwurf vorgenommen worden. Die Verfahrensbeteiligung ist für Verbraucher grundsätzlich kostenlos. Das Gesetz regelt nun ausdrücklich die Gebührenerhebung bei der Universalschlichtungsstelle. Diese Regelung in § 31 VSBG verlangt zum Beispiel in § 31 Absatz 1 Nummer 1 VSBG bei Streitwerten bis einschließlich 100 Euro eine Gebühr von 190 Euro. Ich hätte mir an dieser Stelle eine stärkere Ausdifferenzierung vorstellen können. Diese erste Gebühr orientiert sich allerdings an den Kosten eines durchschnittlichen Schlichtungsverfahrens. Da die Universalschlichtungsstelle ja eigentlich nur in den Ausnahmefällen, dass es keine andere Schlichtungsstelle gibt, angerufen werden soll, soll hier keine geringere Gebühr erhoben werden, weil sonst private Schlichtungsangebote nicht wettbewerbsfähig arbeiten können. Besonders erfreulich ist, dass die Qualifizierung des Streitmittlers nach § 6 Absatz 2, 2. Satz VSBG geändert wurde. Hier heißt es nun: „Der Streitmittler muss die Befähigung zum Richteramt besitzen oder zertifizierter Mediator sein.“ Mit der Verabschiedung des Mediationsgesetzes haben wir in der vergangenen Legislaturperiode die richtigen Weichen gestellt, die Mediation in Deutschland zu fördern. Leider steht der Erlass der Mediationsausbildungsverordnung immer noch aus. Hier wird das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz aber sicher bald eine Lösung vorstellen. Durch die Aufnahme des zertifizierten Mediators kann nun einerseits der Prozess der Zertifizierung der Mediatoren vorangebracht werden, und es gelingt uns weiter, die Mediation zu stärken und keine Parallelstrukturen herzustellen. Im Gegenteil, mit dem vorliegenden Gesetz kann nun eine Brücke zu anderen Formen der außergerichtlichen Streitbeilegung, wie der Mediation, geschaffen werden. Die Regelungen zu den Informationspflichten des Unternehmers nach § 36 und § 37 VSBG treten erst am ersten Tag des 12. auf die Verkündung folgenden Monats in Kraft, sodass die Unternehmen hier noch ausreichend Zeit haben, sich auf das neue Gesetz einzustellen. Der nun vorliegende Gesetzentwurf enthält viele begrüßenswerte Regelungen. Es ist uns gelungen, im parlamentarischen Verfahren noch einige wichtige Verbesserungen anzubringen, sodass nun ein ausgewogenes Gesetz zur Abstimmung vorliegt. Ich darf daher um Ihre Zustimmung zu diesem Gesetz werben. Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Ich erinnere mich noch, wie im März 2013, gegen Ende meiner Zeit als Europaabgeordnete, die alternative Streitbeilegung im Europäischen Parlament verabschiedet wurde. Die Diskussionen waren schwierig und zäh. Am Ende ist es aber gelungen, etwas Zukunftsweisendes für alle Verbraucherinnen und Verbraucher in Europa auf den Weg zu bringen. Denn die Richtlinie ermöglicht eine einfache, schnelle, kostengünstige und zugleich effektive Art der Beilegung von rechtlichen Streitigkeiten. Und: Sie orientiert sich an der Lebenswirklichkeit, indem sie den Onlinehandel einschließt, der immer mehr an Bedeutung gewinnt. Beispiele wie die USA und Kanada zeigen, dass die außergerichtliche Streitbeilegung gut funktionieren kann. Deshalb soll dieses Instrument auch allen Europäern offenstehen. Die Umsetzung der EU-Richtlinie in nationales Recht ist damit eines der wichtigsten verbraucherschützenden Gesetzesvorhaben in dieser Legislaturperiode geworden. Es war uns daher ein besonderes Anliegen, dass wir die Umsetzung praxisnah ausgestalten und gleichzeitig auch die Wirtschaft motivieren, an dem Projekt teilzunehmen. Die Umsetzung der EU-Richtlinie verdeutlicht darüber hinaus, wie wir die Verbraucherschutzpolitik verstehen. Für uns ist das eine Politik, die nicht bevormundet oder den Verbraucher in eine bestimmte Richtung lenkt. Das Leitbild unserer Verbraucherschutzpolitik ist der Verbraucher auf Augenhöhe. Auf Augenhöhe mit der Wirtschaft und den Dienstleistern. Ein Verbraucher, der die Informationen erhält, um eine bewusste Entscheidung zu treffen. Wenn wir die Verbraucher befähigen, im Binnenmarkt zu agieren, und mit entsprechenden Rechten ausstatten, dann müssen sie diese Rechte auch durchsetzen können. Ein Weg ist das gerichtliche Verfahren als klassische Form der Rechtsdurchsetzung. Es gibt aber eben auch noch einen anderen Weg, nämlich den der alternativen Streitbeilegung. Für viele Verbraucher, die sich im Unrecht sehen, jedoch den klassischen Rechtsweg, vielleicht auch wegen eines relativ geringen Streitwerts, scheuen, wird die alternative Streitbeilegung eine Chance sein, zu ihrem Recht zu kommen. Bis 2019 wird die neue Universalschlichtungsstelle beim Bundesamt für Justiz angesiedelt sein und danach auf die Länder übergehen. Eine strittige Frage von Anfang an war die Kostenverteilung. Obwohl vielfach gefordert wurde, dass sich die Verbraucher auch an den Kosten der Schlichtung beteiligen müssen, sieht der vorliegende Gesetzentwurf weiterhin vor, dass vornehmlich die Unternehmen eine Gebühr zu entrichten haben. Auch wenn dies zunächst wie eine ungerechte Lastenverteilung anmutet, so können in dieser Regelung auch Chancen bestehen, Chancen für die Verbraucher sowie für die Unternehmen. Zum einen ist die Hemmschwelle für die Verbraucher niedriger, sich auch bei einem geringen Streitwert an die Schlichtungsstelle zu wenden. Nur wenn die Verbraucherin oder der Verbraucher das Verfahren missbräuchlich in Anspruch genommen hat, soll sie oder er zur Kasse gebeten werden. Zum anderen werden die verschiedenen Branchen dadurch indirekt aufgefordert, eigene Schlichtungsstellen einzurichten. Dies ist nichts vollkommen Neues. In vielen Bereichen gibt es schließlich bereits entsprechende Schlichtungsstellen. Ich denke hier zum Beispiel an die Ombudsleute, die schon heute von einigen Branchen, wie Banken, Energieversorgungsunternehmen oder Versicherungen, auf freiwilliger Basis eingerichtet wurden. Auch die Kammern bieten kostenfreie Schlichtungsverfahren zwischen Kammermitgliedern und den Verbrauchern an. In der letzten Legislaturperiode wurde als weitere Grundlage für die außergerichtliche Streitbeilegung das Mediationsgesetz auf den Weg gebracht. Damit sind die Grundlagen für eine schnelle Streitbeilegung in zahlreichen Rechtsbereichen gelegt. Die alternative Streitbeilegung ist damit ein Fortschritt – für die Verbraucher und die Wirtschaft. Dennis Rohde (SPD): Mit der Umsetzung der Richtlinie zur alternativen Streitbeilegung für Verbraucherinnen und Verbraucher sorgen wir dafür, dass jede und jeder in Deutschland künftig Zugang zu einem außergerichtlichen Schlichtungsverfahren haben wird, statt den Rechtsweg einschlagen zu müssen. Wir erkennen damit an, dass in Verbraucherangelegenheiten oft der Weg der Aussprache und Einigung der richtige sein kann, nicht nur die Konfrontation vor Gericht. Und wir entlasten so zugleich unsere Gerichtsbarkeit. Der vorliegende Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen schreibt die großen Linien des Gesetzentwurfes nicht neu, aber er enthält mehrere sinnvolle verbraucherfreundliche Verbesserungen, mit denen wir ein auch in seinen Feinheiten besser abgestimmtes Gesetz verabschieden. Entscheidend für den Erfolg der Schlichtung wird auch weiterhin sein, dass die Menschen sich darauf verlassen können, an einem geordneten, sicheren und sachkundig geleiteten Prozess teilzunehmen. Wir sind darum der Meinung, dass die Qualifikation der Streitmittler höchsten Ansprüchen genügen muss. Deswegen sorgen wir nun per Änderungsantrag dafür, dass Streitmittler die Befähigung zum Richteramt besitzen oder zertifizierte Mediatoren sein müssen. So stärken wir das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher darin, dass Schiedssprüche fachkundig und rechtlich einwandfrei sind. Zudem tragen wir einem Anliegen des Bundesrates Rechnung, in § 14 des neu zu schaffenden Verbraucherstreitbeilegungsgesetzes (VSBG) klar zu regeln, dass die Einreichung eines Schlichtungsantrags nicht auf Umwegen die Verjährung bestehender Rechtsansprüche zur Folge haben kann. Die Regelung des Regierungsentwurfes hätte hier einen dahingehenden Fehlanreiz setzen können, dass Unternehmen auf Forderungen der Verbraucher nicht reagieren und so die Verjährungsfrist ablaufen „lassen“. Unser Ziel war jedoch von Anfang an, dass die Schlichtung eine Ergänzung zum Gang vor Gericht ist, nicht jedoch in Konkurrenz zu diesem steht oder gar Menschen daran hindern darf, ihre Rechte einzuklagen. Die Neuregelung ist daher sowohl sinnvoll als auch verbraucherschützend. Zuletzt möchte ich kurz auf die Unabhängigkeit des Streitmittlers eingehen. Nach wie vor wollen wir eine unparteiische Schlichtung sicherstellen, indem Personen, die für Unternehmer- oder Verbraucherverbände tätig gewesen sind, eine Karenzzeit von drei Jahren einlegen müssen, ehe sie Streitmittler werden dürfen. Nun existieren jedoch bereits Schlichtungsstellen, für die diese Regelung ein Problem darstellt, da ihre Streitmittler eben für solche Arbeitgeber tätig gewesen sind – oftmals geht es hier um Schlichtungsstellen, die von Wirtschaft und Verbraucherverbänden gemeinsam betrieben werden. Wir stellen nun klar, dass diese Karenzzeitregelung nicht greift, wenn man bisher ebenfalls als Streitmittler – auch für Unternehmen oder Verbraucherverbände – tätig gewesen ist. So sorgen wir dafür, dass existierende sachkundige Streitmittler nicht außen vor gelassen, sondern bestehende Einrichtungen geschützt und die Schlichtung so gefördert wird. Es war gerade in der Abstimmung zwischen Bund und Ländern kein ganz leichter Weg zur Umsetzung der ADR-Richtlinie. Ich bin jedoch überzeugt, dass das Ergebnis sich sehen lassen kann. Ein gewährleisteter Zugang zur Verbraucherschlichtung für alle – das wird der Erfolg dieses Gesetzes sein. Aufgabe des Gesetzgebers ist nun, die weitere Entwicklung der Schlichtungskultur in Deutschland aufmerksam zu verfolgen und wo nötig gestaltend zu unterstützen. Caren Lay (DIE LINKE): Kennen Sie das nicht – nervige Briefwechsel und Telefonate mit Unternehmen zum Beispiel wegen einer nicht nachvollziehbaren Rechnung für eine Gratis-App, wegen ungewollter versteckter Verträge oder so hoher Abrechnungen? Nicht selten gibt man irgendwann auf, und das Unternehmen behält Recht? Die Erfahrung zeigt dann, dass viele Verbraucherinnen und Verbraucher gerichtliche Auseinandersetzungen scheuen. Denn eine gerichtliche Klage kostet Zeit, Nerven und auch Geld. Darauf spekulieren Unternehmen. Nicht selten wird sogar mit Angriff auf Beschwerden reagiert, wenn Kundinnen und Kunden beispielsweise Geld einbehalten. Dann wird anstatt mit Kooperation mit einschüchternden Inkasso-Briefen reagiert. Durch die Schlichtung könnte es hier bald zu Verbesserungen kommen. Sie ist kostenfrei und kann schnell zum Erfolg führen. Daher unterstützt Die Linke die Idee der Streit­schlichtung. In Deutschland haben sich in den vergangenen Jahren zahlreiche branchenbezogene Schlichtungsstellen und Ombudseinrichtungen entwickelt. Die bekannteste ist wohl die der Fahrgastbranche – Schlichtungsstelle öffentlicher Personenverkehr (SÖP). Wenn die Fluggesellschaft die Entschädigung für den ausgefallenen Flug verweigert oder die Eisenbahngesellschaft den Gutschein nicht anerkennt, kann man sich hierhin wenden. Bekannt sind außerdem der Versicherungsombudsmann, die Schlichtungsstelle Energie oder die Schlichtungsstelle Telekommunikation bei der Bundesnetzagentur. Der Gesetzentwurf der Koalition sieht nunmehr vor, dass es für alle Branchen Schlichtungsstellen geben soll. Doch wie so oft: Die Bundesregierung ist hier nicht selbst aktiv geworden, sondern hat auf eine Verpflichtung durch die EU gewartet. So wichtig die Stärkung der Schlichtung auch ist, der Gesetzentwurf hat einen entscheidenden Konstruktionsfehler: Die Teilnahme an der Schlichtung ist für die Unternehmen freiwillig, und sie sind nicht an den Schlichtungsvorschlag gebunden. Ein Berichterstattergespräch hat ergeben, dass eine verpflichtende Teilnahme der Unternehmer die einfache und damit beste Lösung ist. Die Energieschlichtung zeigt: Vor allem die unseriösen Unternehmen wehren sich mit Händen und Füßen gegen die Schlichtung. Das EU-Recht schreibt Freiwilligkeit nur für die Verbraucherseite vor, nicht aber für die Unternehmerseite. Aber wie so oft fehlt der Regierung der Mumm, die Unternehmen in die Pflicht zu nehmen. Dabei zeigt die Verbraucherpolitik seit vielen Jahren, dass freiwillige Selbstverpflichtungen nicht helfen. Denn einer freiwilligen Schlichtung werden sich vor allem unseriöse Unternehmen entziehen. Aber gerade bei diesen gibt es besondere viele Beschwerden. Aber auch die „großen“ Unternehmen machen gern einen großen Bogen um die Verbraucherstreitschlichtung. Beispiel: So ist die Lufthansa vor zwei Jahren nicht ganz freiwillig der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (SÖP) beigetreten. Jahre wurde vergeblich darum gerungen, dass sich die großen Airlines für Vermittlungsverfahren in der SÖP öffnen. Sie haben erst mitgemacht, nachdem gesetzlich festgelegt wurde, dass für Fluggesellschaften, die sich keiner privat organisierten Stelle anschließen wollen, das Bundesamt für Justiz als staatlicher Schlichter verpflichtend zuständig ist. Hier hatte die Koalition also noch reichlich Luft für Verbesserungen. Denn Die Linke will nicht nur eine gute Idee, sondern auch wirksame Gesetze. Das würde auch den privaten Schlichtungsstellen dienen, schließlich müssen die sich selber finanzieren. Kritisch bewertet Die Linke, dass die Bundesregierung durch ihren Gesetzentwurf in der Zukunft mit 100 Schlichtungsstellen deutschlandweit rechnet. Das sind zu viele. Die Linke hätte sich hier eine Beschränkung auf wenige große Stellen gewünscht. Erfahrungen in Großbritannien, Schweden und Österreich zeigen, dass das die Wahrnehmung und Auffindbarkeit für Verbraucherinnen und Verbraucher erleichtert. Österreich, zum Beispiel, richtet acht branchenbezogene und eine Auffangschlichtungsstelle ein. Denn vielen Verbraucherinnen und Verbrauchern sowie Unternehmen sind die bereits jetzt in Deutschland bestehenden Schlichtungsstellen und diese Art der Streitschlichtung unbekannt. Die Linke begrüßt, dass nunmehr der Bund die Anerkennung privater Schlichtungsstellen übernimmt. Ursprünglich sollten das die Länder machen. Das hätte zu unterschiedlichen Standards, zu Rechtszersplitterung und damit zu erheblicher Rechtsunsicherheit geführt. Und es wäre bei bundesweit tätigen Schlichtungsstellen unvernünftig gewesen. Neben den privaten Schlichtungsstellen muss in jedem Land eine Universalschlichtungsstelle in Form einer Behörde eingerichtet werden. Der Bundesrat forderte jedoch eine zentrale Anlaufstelle beim Bund. Nur so könne Fachwissen gebündelt und den Unternehmen auf Augenhöhe begegnet werden. Diese sogenannte Auffangschlichtungsstelle arbeitet branchenübergreifend und muss jede Schlichtung bearbeiten, für die es keine private Schlichtungsstelle gibt. Das Bundesverbraucherministerium hat das abgelehnt. Die Länder bleiben zuständig. Aber der Bund fördert zumindest bis Ende 2019 eine Allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle. Das unterstützen wir. Völlig ungewiss bleibt jedoch, wie es danach weitergeht. Die Linke ist der Meinung, dass die Auffangschlichtung durch den Bund erfolgen sollte, wie es bereits im Luftverkehr geregelt ist. Der Bund könnte eine Universalschlichtungsstelle mit einem bedarfsgerecht ausgestalteten flächendeckenden Filialnetz betreiben, wie es der Normenkontrollrat vorschlug. Dem kann sich Die Linke anschließen. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit den Gesetzentwürfen zur Verbraucherstreitschlichtung wird – nach vielen Jahren der Diskussion – nunmehr eine Lücke zwischen dem unternehmenseigenen Beschwerdemanagement und Gerichtsverfahren geschlossen. Nach meiner Meinung und nach Meinung der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen bietet das Instrument der Schlichtung Vorteile für die Verbraucherinnen und Verbraucher: Schlichtung kann die Durchsetzung von Verbraucherrechten verbessern, indem sie die Lücke zwischen unternehmenseigenen Beschwerdemanagement und Gerichtsverfahren füllt. Verbraucherinnen und Verbraucher scheuen häufig Gerichtsverfahren für kleine Beträge. Selbst dann, wenn diese Beträge ihnen viel wert sind. Und selbst dann, wenn gute Aussichten bestehen zu obsiegen. Doch die Belastung eines Zivilverfahrens, der Kontakt mit dem Gericht oder einer Anwältin bzw. einem Anwalt, die – meist unbegründete – Sorge vor ausufernden Verfahrenskosten, all dies hält viele Verbraucherinnen und Verbraucher davon ab, den Zivilrechtsweg zu beschreiten. Wir sprechen da vom „rationalen Desinteresse“. Unternehmen kalkulieren dies zuweilen ein. Für diese Gruppe Verbraucherinnen und Verbraucher bietet die Schlichtung eine Chance. Schlichtungen können zügig abgewickelt werden und sind mit keinen oder sehr geringen Kosten verbunden. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung geht in die richtige Richtung, weist aber auch erhebliche Mängel auf. Die wichtigsten sind diese beiden: Erstens ist durch die im Gesetzentwurf vorgesehene freiwillige Beteiligung von Unternehmen fraglich, ob das Gesetz tatsächlich das intendierte Ziel erreichen wird, dass sich mehr Unternehmen einer Schlichtungsstelle anschließen und dadurch Verbraucherinnen und Verbraucher einen besseren Zugang zu Schlichtungsverfahren erhalten. Zweitens wären branchenspezialisierte Schlichtungsstellen zielführender statt der im Gesetzentwurf vorgesehenen Universalschlichtungsstellen auf Länderebene. Mit dem Änderungsantrag der Koalition wird es nun zwar für die ersten Jahre, bis Ende 2019, eine bundesweite Universalschlichtungsstelle in Form eines Forschungsprojekts geben – doch damit ist nicht sichergestellt, dass auch nach 2019 noch eine bundesweite Stelle existiert. Denn die Zuständigkeit für die Universalschlichtungsstellen bleibt in dem Gesetz weiterhin bei den Ländern. Wir von Bündnis 90/Die Grünen haben in einem eigenen Entschließungsantrag aufgezeigt, wie eine tatsächliche Stärkung der außergerichtlichen Streitbeilegung aussehen muss. Wir wollen erstens eine Verbindlichkeit für Unternehmen: Unternehmen können sich einer Schlichtungsstelle ihrer Wahl anschließen oder werden von einer Auffangschlichtungsstelle erfasst. Diese Regelung hat im Bereich des Flugverkehrs dazu geführt, dass wir mittlerweile eine von allen Seiten akzeptierte Schlichtungsstelle für diese gesamte Branche haben. Deswegen sollte man diese Regelung auch auf andere Branchen übertragen. Zweitens wollen wir die Einrichtung einer bundesweiten Universalschlichtungsstelle: Die bis 2019 im Rahmen eines Forschungsprojekts eingerichtete Allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle ist nicht ausreichend, da sie nicht sicherstellt, dass auch nach 2019 eine bundesweite Universalschlichtungsstelle existiert. Drittens machen wir uns Gedanken über die Qualifikation der Streitmittler: Hier hat die Koalition zum Glück nach der Anhörung im Ausschuss nachgebessert. Es ist wichtig, dass Streitmittlerinnen und Streitmittler über die Befähigung zum Richteramt und über kommunikative Fähigkeiten verfügen, die gerade bei außergerichtlichen Verfahren zentrale Fähigkeiten sind. Und auch bei unserer vierten Forderung bezüglich der Freiwilligkeit und Gebührenfreiheit hat die Koalition nachgebessert und dafür gesorgt, dass Verbraucherinnen und Verbraucher nicht durch AGB dazu gezwungen werden können, zuerst ein Streitbeilegungsverfahren durchzuführen, bevor sie vor Gericht gehen können. Aber ebenso muss auch sichergestellt werden, dass über eine Rechtsschutzversicherung kein Zwang zur Teilnahme an einer Schlichtung besteht. Fünftens wollen wir die Beteiligung von Verbraucherverbänden stärken: Wesentliche strukturelle Entscheidungen sollten nur mit Zustimmung des Verbraucherverbandes getroffen werden dürfen, zum Beispiel die Bestellung des Streitmittlers. Sechstens wollen wir mehr Transparenz schaffen und die Rechtsfortbildung sicherstellen. Hierfür sollte eine Datenbank eingerichtet werden, in der Fälle anonymisiert eingestellt und zugänglich gemacht werden. Zudem wollen wir eine Musterverfahrensordnung und eine Evaluation des Gesetzes, außerdem Regelungen für bestimmte Branchen: Verbesserungen bei den Anforderungen an Schlichtung im Finanzbereich, Regelung für Telekommunikationsunternehmen und Prüfungen, wie Schlichtung auch für Wohneigentümergemeinschaften ermöglicht werden kann. Wie gesagt: Es geht in die richtige Richtung. Aber: Dem Gesamt–Gesetzentwurf stimmen wir aufgrund der oben genannten Kritikpunkte nicht zu, sondern enthalten uns. Ulrich Kelber, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Bei dem Gesetzentwurf zur Verbraucherschlichtung geht es um Gerechtigkeit im Alltag. Es geht um die faire Lösung von Konflikten bei den zahlreichen Verträgen, die Verbraucherinnen und Verbraucher täglich schließen. Dieses wichtige Gesetz wird für die Verbraucher und für die Wirtschaft insgesamt große praktische Bedeutung und großen Nutzen haben. Verbraucher werden künftig ihre vertraglichen Ansprüche ohne Kostenrisiko bei einer Verbraucherschlichtungsstelle geltend machen können. Unternehmer können durch ihre Teilnahme an Verbraucherschlichtung ihren Service verbessern, Kunden erhalten und sich positiv von der Konkurrenz abheben. Zugleich differenzieren wir die Möglichkeiten zur Lösung von Streitigkeiten über vertragliche Ansprüche weiter aus: ein Beitrag zu einer differenzierten Streitkultur und zur Stärkung alternativer Konfliktlösung. Das Gesetz wurde mit großem Engagement und durchaus auch kontrovers diskutiert. Das Ergebnis ist ein ausgewogener und guter Kompromiss, den die Praxis nun mit Leben erfüllen muss. Künftig wird es ein flächendeckendes Netz von Verbraucherschlichtungsstellen geben, die den Anforderungen der Richtlinie entsprechen. Jeder Verbraucher kann bei Streitigkeiten aus Verbraucherverträgen künftig eine Verbraucherschlichtungsstelle anrufen. Schlichtung ist erfolgreich, wenn sie durch Qualität überzeugt. Beide Seiten müssen Vertrauen in das Verfahren haben. Daher setzt der Entwurf einerseits auf Fortentwicklung des in Deutschland erprobten Systems privat organisierter, branchenspezifischer Verbraucherschlichtungsstellen. Andererseits stellt der Gesetzentwurf hohe Anforderungen an die Ausgestaltung dieser Verbraucherschlichtungsstellen. Die Streitmittler, die für die Unabhängigkeit und Neutralität der Schlichtungsstelle verantwortlich sind, müssen hohe Qualitätsanforderungen erfüllen. Die Anerkennungsbehörden werden auf die Einhaltung der gesetzlich festgelegten Anforderungen achten. Der Aufbau der Verbraucherschlichtung ist eine Aufgabe für die Zukunft. Das heute vorliegende Gesetz schafft dafür den gesetzlichen Rahmen. Zu den Herausforderungen gehört es, flächendeckend Verbraucherschlich­tungsstellen vorzuhalten. Daher haben die Länder die Aufgabe, etwaige Lücken im Schlichtungsangebot durch die Gründung von Universalschlichtungsstellen zu schließen. Diese können angerufen werden, wenn keine andere zuständige Verbraucherschlichtungsstelle zur Verfügung steht. Zunächst wird aber das BMJV in einem Forschungsprojekt von 2016 bis 2019 eine privat organisierte Allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle fördern. Denn wir wissen heute noch nicht genau, wie viele Anträge es geben wird und wie sich die Gründung von branchenspezifischen Verbraucherschlichtungsstellen entwickelt. Es ist daher gut, zunächst in einem Pilotprojekt zu erkunden, wie sich die Arbeit einer solchen „allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle“ gestaltet. Positiver Nebeneffekt ist, dass die Länder zunächst von der Einrichtung von Universalschlichtungsstellen absehen können und mehr Zeit und bessere Entscheidungsgrundlagen haben werden, um über ihr weiteres Vorgehen bei der Erfüllung ihrer neuen Aufgabe zu entscheiden. Alles in allem wird das Gesetz einen wirklichen und ganz konkreten und praktischen Mehrwert für das tägliche Leben der Bürgerinnen und Bürger bringen. Ich hoffe, dass es breite Unterstützung findet, nicht nur im Parlament, sondern auch in der praktischen Anwendung. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren (3. Opferrechtsreformgesetz) (Tagesordnungspunkt 18) Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Die erste Lesung zum Gesetzentwurf zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren war bereits am 23. April 2015. Heute können wir dieses Gesetz nun mit einigen wichtigen Änderungen zum ersten Entwurf verabschieden. Hierbei darf ich zunächst die Gelegenheit nutzen, mich zu bedanken. Mein Dank gilt hier besonders dem Weißen Ring, der durch sein Engagement das Rechtssetzungsverfahren begleitet hat. Den Sachverständigen, die den parlamentarischen Prozess mit ihren Erkenntnissen reifen ließen, unter anderen Frau Professor Dr. Rita Haverkamp, Herrn Dr. Olaf Witt und vor allem Frau ­Roswitha Müller-Piepenkötter, darf ich meine Dankbarkeit aussprechen. Schließlich darf ich mich für die gute Zusammenarbeit zwischen den Berichterstattern und dem Ministerium bedanken, die nun auch in einem ausgewogenen Gesetz gemündet ist. Im Folgenden will ich mich vor allem auf die Änderungen konzentrieren, die seit der ersten Lesung an dem Gesetzentwurf erfolgt sind. Diesen Änderungen gingen mehrere Gespräch und die Anhörung der Sachverständigen am 17. Juni 2015 voraus. Rein formal ist die größte Änderung darin zu sehen, dass die Ausgestaltung der psychosozialen Prozessbegleitung nach § 406 g StPO nun in einem gesonderten Gesetz, dem Gesetz über die psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren (PsychPbG), geregelt ist. Weiter wurde das Kostenverzeichnis im Gerichtskostengesetz – wie vom Bundesrat vorgeschlagen – angepasst. Der Resozialisierungsgedanke rechtfertigte es nicht, dass selbst vermögende Täter von vornherein nur mit einem Teil der Kosten der Prozessbegleitung belastet werden. Für die übrigen Täter besteht natürlich grundsätzlich die Möglichkeit der Stundung, Ratenzahlung, Niederschlagung oder des Erlasses. Die gesetzliche Darlegung der Aufgaben und Funktionen der verschiedenen Beistände erfolgt nun in einem Opfermerkblatt. Das ist wichtig, um den Verletzten frühzeitig und umfassend zu informieren. Da verschiedene Personen zur Unterstützung besonders schutzbedürftiger Verletzter vor, während und nach dem Hauptverfahren mit unterschiedlichen Funktionen in der StPO vorgesehen sind, ist hier eine überschaubare Regelung zum begleitenden Personenkreis mit seinen jeweiligen Zuständigkeiten, aber auch mit seinen Rechten und Pflichten wichtig. Auch der bereits diskutierte § 48 StPO-E wurde geändert. § 48 Absatz 3 Satz 4 StPO-E wurde gestrichen. Bei § 48 Absatz 3 StPO-E handelt es sich um eine zentrale Einstiegsnorm für die Feststellung, ob ein Verletzter besonders schutzbedürftig ist oder nicht. Bei dieser Prüfung sind sämtliche Kriterien heranzuziehen, aus denen sich eine besondere Schutzbedürftigkeit ergeben kann. Das kann auch die Einschätzung einer Opferhilfeeinrichtung sein. Um die Vorschriften der StPO weiterhin übersichtlich und schlank zu halten, kann aufgrund des lediglich klarstellenden Charakters des Satzes 4 auf dessen Anfügung in § 48 Absatz 3 StPO-E verzichtet werden. Dies führt die Begründung nun aus. Leider gelang es nicht, legal zu definieren, wer Verletzter im Sinne der StPO ist. Der Begriff ist durch die Rechtsprechung aber bereits ausreichend und umfassend definiert. Hierauf kann auch an dieser Stelle verwiesen werden. Insbesondere für die Fälle, die § 48 Absatz 3 StPO-E und auch die Opferschutzrichtlinie im Blick haben, ist die Frage, wer Verletzter ist, nicht problematisch. Die Opferschutzrichtlinie stellt in ihrer Begriffsbestimmung auf natürliche Personen ab. § 48 Absatz 3 StPO-E stellt auf besonders schutzbedürftige Verletzte ab. Das sind Personen, die von schweren Straftaten, zum Beispiel schweren Gewalt- oder Sexualdelikten – ihre tatsächliche Begehung unterstellt –, unmittelbar in ihren Rechtsgütern – zum Beispiel körperliche Integrität – betroffen sind. Diese Personen sind „Verletzte“. Unproblematisch sind auch die Fälle, in denen der Gesetzgeber bereits eine bewusste Entscheidung wie bei der Nebenklagebefugnis gemäß § 395 StPO getroffen hat. Wer nebenklagebefugt ist, ist Verletzter im Sinne der StPO. Daher gehören auch die Angehörigen gemäß § 395 Absatz 2 Nummer 1 StPO zu den Verletzten. Das sind die Kinder, Eltern, Geschwister, Ehegatten oder Lebenspartner des durch eine rechtswidrige Tat Getöteten. Die Regelung des § 9 PsychPbG wurde in der Begründung konkretisiert. § 9 PsychPbG regelt das Erlöschen des Anspruchs. Das Gesetz legt fest, dass 15 Monate nach der Einstellung der Vergütungsanspruch erlischt. Die Begründung präzisiert dann noch weiter: Wird ein Verfahren in zwei Etappen eingestellt, wie bei § 153 a StPO, so kommt es für die Frage des Zeitpunkts, ab wann die Frist des § 9 zu laufen beginnt, nicht auf die vorläufige, sondern auf die endgültige Einstellung des Verfahrens an. Hintergrund ist der, dass der Anspruch auf Vergütung nach nicht unerheblicher, aber doch auch angemessener Zeit erlöschen soll. Schließlich konnte man sich noch darauf verständigen, dass in § 11 PsychPbG eine Übergangsregelung eingeführt wird, um es Personen, die bereits eine von einem Land anerkannte Aus- oder Weiterbildung im Sinne dieses Gesetzes begonnen, aber noch nicht beendet haben, bis zum 31. Juli 2017 zu ermöglichen, psychosoziale Prozessbegleitung vorzunehmen. Erst ab diesem Zeitpunkt dürfen nur noch Personen mit abgeschlossener Ausbildung die Begleitung vornehmen. Hiermit habe ich die wichtigsten Änderungen, die seit der ersten Lesung des Gesetzes vorgenommen wurden, dargestellt. Hieran freut auch, dass viele Regelungen auch im Sinne der Länder und der sachkundigen Verbände geändert werden konnten. Entscheidend ist aber, dass wir ein Gesetz mit Blick auf die Opfer geschaffen haben. Das heute vorliegende Gesetz stellt nun eine ausgewogene Regelung dar, die die Rechte der Opfer im Strafverfahren angemessen stärkt und dabei gleichzeitig der Systematik des Strafverfahrens Rechnung trägt. Ich darf daher um Ihre breite Zustimmung werben. Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Ein Strafprozess richtet sich ist in erster Linie an den Angeklagten. Es gilt, den Sachverhalt festzustellen und straferschwerende oder strafmildernde Umstände herauszuarbeiten. Am Ende hat das Gericht ein gerechtes Urteil zu sprechen. Die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe bildet für einen Angeklagten meist eine Zäsur für das ganze Leben. Jedoch darf es nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch ein Opfer einer schweren Straftat während eines Strafverfahrens großen Belastungen ausgesetzt ist. Bereits die Entscheidung, eine Strafanzeige zu stellen, birgt einen schweren Gewissenskonflikt. Das erlittene Unrecht und die anschließende Durchführung eines Strafverfahrens stellen für das Opfer eine viel größere Zäsur im Leben dar. Der Staat hat die Pflicht, den Täter zu bestrafen und die Strafe zu vollstrecken. Der Staat hat aber auch die Pflicht, sich vor die Opfer zu stellen. Die Schutzpflicht erstreckt sich auf die Gewährung bestmöglicher Hilfe. Die Belange der Opfer sind von der Erstattung der Strafanzeige bis zur rechtskräftigen Verurteilung des Täters zu sichern. Dieser Schutzpflicht ist der Staat bereits in weitem Maße nachgekommen. Die Nebenklage verschafft den Opfern eine eigene Position in einem Strafprozess. Für die Durchsetzung der Opferbelange besteht der Anspruch auf einen Rechtsanwalt. Als Verfahrensbeteiligter wirkt der Nebenkläger mit einem eigenen Antragsrecht an der Urteilsfindung mit. Nicht zuletzt zeigt die Tatsache, dass wir das dritte Opferrechtsreformgesetz behandeln, dass der parlamentarische Gesetzgeber bereits große Bemühungen unternommen hat, die Rechte der Opfer von schweren Straftaten zu erweitern. Der heute zu behandelnde Gesetzentwurf geht noch einen weiteren Schritt. Es handelt sich um Vorgaben aus einer Richtlinie der Europäischen Union, die in allen 28 Mitgliedstaaten umzusetzen sind. Dies ist ein alltäglicher Vorgang, und dennoch sollten wir es uns nochmals vor Augen führen: In jedem Mitgliedstaat gilt das gleiche Schutzniveau für Opfer von Straftaten. Die Unterstützung und Hilfe, die von der deutschen Justiz gewährt wird, kann an jedem Ort innerhalb der Europäischen Union eingefordert werden. Ausländische Opfer sind im Besonderen über die Rechte in einer ihnen verständlichen Sprache zu informieren. Inhaltlich werden die Schutzpflichten des Staates zugunsten der Opfer erweitert. Ob es um Maßnahmen der psychosozialen Prozessbegleitung oder besondere Rücksichtnahmepflichten für Zeugen in der Hauptverhandlung geht, dies sind alles Maßnahmen, um weitere Belastungen für die Opfer zu vermeiden. Der Staat ist es den Opfern schuldig, ihnen eine möglichst große Hilfestellung zukommen zu lassen. Es ist schlimm genug, dass eine Straftat gegen sie begangen wurde. Der Staat verpflichtet sich auch zu weiter gehenden Informationspflichten. Die Rechte der Opfer sind diesen auch bekannt zu machen. Es sind grundsätzliche Informationen über das Recht zur Strafanzeige und zum Strafantrag zu geben. Die Hilfestellung erstreckt sich aber auch auf die Unterrichtung über Möglichkeiten der vermögensrechtlichen Entschädigung oder die Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs. In § 158 Strafprozessordnung soll künftig stehen: „Dem Verletzten ist auf Antrag der Eingang seiner Anzeige schriftlich zu bestätigen.“ Die Vorschrift zum Nachweis für eine gestellte Anzeige steht am Anfang eines Ermittlungsverfahrens. Ich denke, dass wir auch einen Blick auf das Ende werfen sollten. Es seien mir folgende Überlegungen erlaubt: Zum Glück kann vielen Opfern schwerer Gewalttaten die Aussage vor Gericht erspart werden, und nicht jedes Opfer entscheidet sich für den Weg der Nebenklage. In diesen Fällen ist aber nicht sichergestellt, dass diese auch vom Urteil Kenntnis erlangen. Ich denke, dass die Informationspflichten sich auch auf den Ausgang eines Strafverfahrens erstrecken sollten. Durch ein Antragsrecht wird den Opfern ein vereinfachtes Verfahren an die Hand gegeben, um letztendlich das ausgesprochene Urteil in Händen halten zu können. Für das Vertrauen in den Rechtsstaat wäre dies nur förderlich. Ein Urteil schafft für alle Beteiligten zumindest Gewissheit über den Ausgang eines Verfahrens. Die Umsetzung der Vorgaben aus der Richtlinie der Europäischen Union in diesem Gesetzesvorschlag schützt die Opfer von Straftaten und gibt ihnen weitergehende Informationen über ihre Rechte an die Hand. Ich kann daher mit voller Überzeugung um die Zustimmung für den Gesetzesvorschlag werben. Dirk Wiese (SPD): Mit der Verabschiedung des heute hier vorliegenden Gesetzentwurfs wird die rot-schwarze Regierungskoalition neue Maßstäbe beim Schutz von Opfern schwerer Straftaten setzen. Denn Bundesminister Heiko Maas hat die zugrunde liegende Umsetzung der EU-Richtlinie als Chance genutzt und Regelungen geschaffen, die weit über die EU-Richtlinie hinausgehen. Ein Strafverfahren kann Opfer schwerer Straftaten oftmals noch ein zweites Mal traumatisieren, gerade wenn die Opfer im Strafverfahren alleingelassen werden. Mit dem heute zu verabschiedenden Gesetzentwurf stellen wir Menschen, die Opfer von schwersten Straftaten geworden sind und besonders schutzbedürftig sind, nun einen psychosozialen Prozessbegleiter an die Seite, der ihnen eine Stütze im Prozess ist und verhindert, dass sie durch den Prozess ein weiteres Mal traumatisiert werden. Damit geben wir ihnen die emotionale und psychologische Unterstützung mit, die sie in diesen schweren Stunden benötigen. Umfasst vom 3. Opferrechtsreformgesetz werden die Betreuung durch qualifizierte Mitarbeiter, Informationsvermittlung und eine grundsätzliche Unterstützung im Strafverfahren. Anspruch haben Kinder und Jugendliche sowie Menschen, die Opfer bestimmter besonders schwerer und traumatisierender Straftaten geworden sind. Darüber hinaus ist ein Katalog von Taten vorgesehen, bei denen das Gericht im Einzelfall und auf Antrag der Geschädigten entscheidet. Die psychosoziale Prozessbegleitung darf nicht an den Kosten scheitern oder dadurch zum Luxusgut für finanziell besser gestellte Opfer werden. Deshalb ist auch vorgesehen, psychosoziale Prozessbegleitung für Kinder oder vergleichbar schutzbedürftige Personen als Opfer schwerer Gewalt- und Sexualstraftaten kostenlos zu halten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, welche herausragende Rolle wir dem Opferschutz mit Verabschiedung der heutigen Vorlage geben werden. Wir haben uns in den Ausschussberatungen ausgiebig mit dem Gesetzesvorhaben beschäftigt und an einigen Stellen nachgebessert. Im Ergebnis kommt somit das ­Struckʼsche Gesetz zur vollen Anwendung. Auch dieses Gesetz verlässt das Parlament nicht mit dem Inhalt, mit dem es hineingekommen ist. Besonders wichtig war mir, in den parlamentarischen Verhandlungen Rücksicht auf die Bundesländer zu nehmen, die die Ausbildung der psychosozialen Prozessbegleiter in Eigenregie übernehmen. Denn es handelt sich bei der Vorlage nicht um ein Zustimmungsgesetz. Das ist selbstverständlich und ergibt sich aus dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme zwischen Bund und Ländern. Dementsprechend haben wir in den Beratungen eine Übergangsfrist bis zum 31. Juli 2017 für die Länder geschaffen, in der auch bereits in Ausbildung stehende psychosoziale Prozessbegleiter schon Opfer von Straftaten begleiten dürfen. Ansonsten hätten die Länder nicht die notwendige Zeit investieren können, um ordentlich und fachgerecht auszubilden. Bei so einer wichtigen Rolle, wie sie die Prozessbegleiter aber innehaben, muss bei der Ausbildung ganz klar der Grundsatz gelten: Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Mit der Einführung der Übergangsfrist haben wir den Ländern deshalb die Möglichkeit zu einer adäquaten Ausbildung der Prozessbegleiter gegeben. Wir haben außerdem eine Vielzahl von Punkten geändert, die teils von systematischer Natur sind. So haben wir beispielsweise die Regelungen über die Prozessbegleitung aus der StPO herausgenommen und ein eigenes Gesetz über die psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren geschaffen. Das haben wir getan, um zum einen die Strafprozessordnung nicht überzustrapazieren und zum anderen durch die Schaffung eines eigenen Gesetzes die Wichtigkeit der psychosozialen Prozessbegleitung zu unterstreichen. Hervorheben möchte ich auch noch, dass wir den letzten Satz in § 48 Absatz 3 Nummer 3 des Regierungsentwurfs gestrichen haben, nach dem Hinweise auf eine besondere Schutzbedürftigkeit des Opfers sich insbesondere aus der Stellungnahme einer Opferhilfeeinrichtung ergeben können. Kurz zum Hintergrund: Eine Einbringung der Stellungnahme der Opferhilfeeinrichtung in das Verfahren hätte der Zustimmung des Opfers bedurft. Angehörige von Opferhilfeeinrichtungen sind im Strafverfahren aber auch immer mögliche Zeuginnen und Zeugen. Sie zählen nicht zum Kreis der Zeugnisverweigerungsberechtigten nach §§ 53, 53 a StPO. Auch Angaben in einer ohne oder gegen den Willen des Opfers abgegebenen Stellungnahme sind uneingeschränkt verwertbar und unterliegen dem Amtsaufklärungsgrundsatz. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Einrichtungen sind zu Zeugenaussagen auch gegen den Willen des Opfers sogar verpflichtet. Dies entspricht dem hohen Wert der Wahrheitsfindung im Strafverfahren. Mit der zur Erörterung gestellten Formulierung würde für den genannten Personenkreis womöglich „durch die Hintertür“ ein in das Belieben des Opfers gestelltes Zeugnisverweigerungsrecht eingeführt. Dieses mittelbare Zeugnisverweigerungsrecht, also Angaben von Zeuginnen und Zeugen, denen kein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, von der Genehmigung anderer Zeuginnen und Zeugen – hier der Opfer – abhängig zu machen, ist in der Systematik dem Strafverfahrensrecht aber völlig fremd und hätte vor allem dem obersten Ziel eines Strafprozesses, der Wahrheitsfindung, entgegengewirkt. Überdies wäre es auch ein unvertretbarer Eingriff in die Verteidigungsrechte gewesen. Unsere Lösung, eine Streichung des Satzes, bietet nun einen guten Mittelweg zwischen Wahrheitsfindung im Prozess und Rechten der Opfer. Abschließend bleibt festzustellen, dass wir hier in hervorragender Zusammenarbeit mit unserem Koalitionspartner ein wirklich gutes Gesetz geschaffen haben. Es steht in einer Reihe mit verschiedenen Gesetzesvorhaben der rot-schwarzen Koalition, die zeigen, dass Opferschutz bei uns Sozialdemokraten groß geschrieben wird. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Die EU-Opferschutzrichtlinie (2012/29/EU) war eigentlich schon bis zum 16. November 2015 umzusetzen. Nun geschieht es zwar mit vier Wochen Verspätung, aber immerhin, es geschieht. Soweit die Bundeszuständigkeit berührt ist, sind viele der in der Richtlinie vorgesehenen Rechtsinstrumente zum Schutz des Verletzten bereits in der Strafprozessordnung geregelt und gehen in Teilen gar über den neuen europäischen Mindeststandard hinaus. Dennoch löste die Richtlinie Umsetzungsbedarf aus. Soweit die Opferschutzrichtlinie erweiterte Informationsrechte des Verletzten vorsieht, sind diese in den Vorschriften der §§ 406 d ff. StPO zu finden, die sprachlich und inhaltlich übersichtlicher gefasst werden. Daneben gibt es wichtige Neuerungen wie die erweiterten Informationsrechte des Verletzten bei Anzeigeerstattung nach § 158 StPO und die neue Ausgangsnorm für die besondere Schutzbedürftigkeit von Verletzten in § 48 StPO. Die Richtlinienumsetzung im Bereich des Opferschutzes ist daneben zum Anlass genommen worden, die in der Justizpraxis bereits bewährte psychosoziale Prozessbegleitung im deutschen Strafverfahrensrecht zu verankern, was wir ausdrücklich begrüßen, ebenso wie die erweiterten Informationsrechte, Hinweis- und Belehrungspflichten sowie Dolmetsch- und Übersetzungsdienste gegenüber potenziellen Opfern. Der Gesetzentwurf enthält insgesamt viele sinnvolle Ergänzungen der Strafprozessordnung (StPO). Denn es ist wichtig, das potenzielle Opfer bei der Aufarbeitung der Tat zu unterstützen und vor weiterer Traumatisierung zu schützen. Es ist aber auch immer zu bedenken, dass erst im Verlauf des Strafverfahrens geklärt wird, ob überhaupt eine Straftat stattgefunden hat und es tatsächlich ein Opfer gibt. Erst am Ende des Strafverfahrens werden die Schuld des potenziellen Täters und die Rollenverteilung zwischen Täter und Opfer festgestellt. Die Berücksichtigung von Opferinteressen während des Verfahrens darf nicht zulasten der Rechtsstellung der Beschuldigten gehen, die im reformiert inquisitorisch konzipierten Strafverfahren der Strafprozessordnung angesichts der beherrschenden Rolle der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren und der überragenden Stellung des Gerichts in der Hauptverhandlung ohnehin nur schwach ausgestaltet ist. Unter Berücksichtigung des Opferschutzes einerseits und der Beschuldigtenrechte andererseits wies der Gesetzentwurf der Bundesregierung, wie auch die öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ergeben hat, noch Schwächen auf, die es zu beheben galt und welche wir in unserem Antrag aufgenommen haben. Durch den Änderungsantrag der Koalition haben sich unsere Forderungen teilweise erledigt; schade, dass nicht alle Änderungen, die in der Anhörung ganz überwiegend gefordert wurden, umgesetzt sind. Unter anderem ist durch den Änderungsantrag der in § 406 g Absatz 1 StPO-E verwendete Begriff „Aussagetüchtigkeit“ gestrichen worden, denn Ziel der Prozessbegleitung ist nicht, die Aussagequalität der potenziell Verletzten zu verbessern, sondern allein die Unterstützung der betroffenen Zeuginnen und Zeugen. Die Qualifikationsstandards für die Prozessbegleitung werden in einem eigenen Bundesgesetz, „Gesetz über die psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren“, definiert; dort wird auch die Trennung zwischen rechtlicher Beratung und Prozessbegleitung ausdrücklich genannt und die Vergütung der Begleiterinnen und Begleiter geregelt. Darüber hinaus ist in § 406 g Absatz 4 StPO-E neu geregelt, dass „einem nicht beigeordneten psychosozialen Prozessbegleiter die Anwesenheit bei einer Vernehmung des Verletzten untersagt werden kann, wenn dies den Untersuchungszweck gefährden könnte. Die Entscheidung trifft die die Vernehmung leitende Person; die Entscheidung ist nicht anfechtbar. Die Gründe einer Ablehnung sind aktenkundig zu machen.“ Diese Regelung erscheint sachgerecht. Außerdem werden weitere Belehrungspflichten gegenüber den Verletzten eingeführt und wenige redaktionelle Änderungen. Der Begriff des Verletzten hätte noch analog dem österreichischen Recht definiert werden können; dies wurde sowohl in der Anhörung als auch aus rechtsanwaltlicher und richterlicher Sicht gefordert. Eine Evaluationsklausel fehlt leider nach wie vor, genauso wie die Sicherstellung der Barrierefreiheit für Information und Dolmetscherleistungen. Man hätte auch noch ergänzend das Beratungshilferecht reformieren können, um den Zugang zur anwaltlichen Erstberatung zu erleichtern. Gut, das sind die nicht umgesetzten Forderungen der Linken. Aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre bin ich mir sicher, dass diese Änderungen auch kommen werden; es braucht nur etwas Zeit, bis sich die guten Ideen der Linken im Regierungslager durchsetzen. Alles in allem kann man feststellen: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gibt es einige Verbesserungen für die mutmaßlichen Opfer, die wenig Belastungen für die Beschuldigten und ihre Rechtsposition bedeuten. Die noch fehlenden Änderungen wird es dann irgendwann auch noch geben. Der Änderungsantrag der Koalition beinhaltet wesentliche Forderungen von uns. Und daher können wir sowohl dem Änderungsantrag als auch dem so geänderten Gesetzentwurf zustimmen. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist gut und richtig, dass wir das vorliegende „Gesetz zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren“ ausführlich diskutiert haben. Ebenso, dass einige der Verbesserungsvorschläge, die Sachverständige im Rahmen der Anhörung gemacht hatten und die wir hier bei der ersten Beratung schon aufzählten, übernommen wurden. Das Gesetz ist auch die Fortsetzung eines Paradigmenwechsels im Strafprozess, der sich über die Jahre mehr und mehr durchsetzt. Ursprünglich war der Angeklagte alleiniges Subjekt des Strafverfahrens, die verletzte Person allenfalls Zeuge, mehr oder weniger auf sich gestellt im Dickicht eines oft schwer zu durchschauenden Strafverfahrens. Nebenklage und Zeugenbeistand gab es schon, aber wenig bekannt und kaum genutzt. Infolge einer geläuterten Rechtsauffassung ändert sich das auch mit den heute zu beschließenden Vorschlägen, die die Rechte der Verletzten im Strafverfahren stärken sollen, nochmals deutlich. Das haben wir, wie auch Opferverbände, immer wieder gefordert. Trotzdem muss man im Blick behalten, dass dies nicht auf Kosten der Beschuldigtenrechte im Strafprozess geschehen darf. Diese müssen weiterhin wie gehabt erhalten bleiben, sie sind ein elementarer Bestandteil unserer Strafprozessordnung. Hilfreich wäre in diesem Kontext, würde der Begriff des „Verletzten“ legal definiert, um deutlich zu machen, dass es sich immer nur um einen „möglichen“ Verletzten handelt, die Einordnung also nur vorläufig ist – bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens. Dieser Vorschlag wurde leider nicht in den Gesetzentwurf übernommen. Bei dem Punkt der psychosozialen Prozessbegleitung wurde der Gesetzentwurf nochmals erheblich nachgebessert. Die Grundsätze der psychosozialen Prozessbegleitung sowie die Anforderungen an die Qualifikation und Vergütung des psychosozialen Prozessbegleiters werden nun in einem eigenständigen Gesetz geregelt. So sind zumindest die wesentlichen Anforderungen an die Qualifikation bundesweit einheitlich vorgegeben. Das ist gut. Die Aufgaben einer Prozessbegleitung sind äußerst anspruchsvoll: Es geht einerseits darum, potenziell Verletzte eines schweren Gewalt- und/oder Sexualdeliktes zu unterstützen, möglichst schonend durch die Verhandlungen, weitere Vernehmungen und gegebenenfalls die Konfrontation mit Tätern zu kommen. Häufig werden die Verletzten zudem stark traumatisiert sein. Andererseits darf die Prozessbegleitung sich nicht in das Strafverfahren einmischen, das heißt den Verletzten auch nicht bezüglich des Prozesses beraten oder mit ihm über prozessrelevante Inhalte sprechen. Damit könnte er dem Verletzten sogar eher schaden als nützen. Die Verteidigung des Angeklagten könnte sich auf eine Beeinflussung der Zeugenaussage berufen. Zudem steht dem psychosozialen Prozessbegleiter, im Gegensatz zum Rechtsbeistand, kein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Insofern ist die in § 2 Absatz 2 des neuen „Gesetzes über die psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren“ eingefügte Klarstellung über die zwingend neutrale Stellung der Prozessbegleitung und die strikte Trennung von – rechtlicher – Beratung und Begleitung nur folgerichtig. Leider nicht übernommen wurde die Forderung, allen Opfern schwerer Gewalt- und Sexualdelikte einen Anspruch auf eine kostenlose psychosoziale Prozessbegleitung zu gewähren. Für Kinder und Jugendliche, die Opfer von den in § 397 a Absatz 1 Nummern 4 und 5 StPO genannten schweren Gewalt- und Sexualstraftaten sind, ist im Gesetzentwurf richtigerweise grundsätzlich ein Rechtsanspruch auf kostenlose psychosoziale Prozessbegleitung vorgesehen, für erwachsene Opfer solcher Delikte hingegen nur dann, wenn eine besondere Schutzbedürftigkeit besteht. Ob eine solche anzunehmen ist, liegt im Ermessen des Gerichts. Ich habe es schon in meiner letzten Rede gesagt: Man muss sich das dann so vorstellen, dass jemand, der Opfer einer schweren Gewalttat oder sexuell missbraucht wurde, dem Gericht erst mal ausführlich darlegen muss, warum er besonders „schutzwürdig“ ist – wie es im Gesetzentwurf heißt – und die Unterstützung der kostenlosen psychosozialen Begleitung in Anspruch nehmen möchte. Das aber sollte doch gerade vermieden werden, denn die Verletzten sollen nicht ein zweites Mal in eine Opferrolle gedrängt werden. Besser wäre daher gewesen, den Gesetzentwurf so zu ändern, dass auch für volljährige Opfer der genannten Straftaten eine Begleitung vorgesehen sein „soll“ oder sogar zwingend vorzusehen „ist“. In diese Richtung gingen auch verschiedene Stellungnahmen zum Gesetzentwurf. Auch wenn nicht alle von uns unterstützten Änderungsvorschläge übernommen wurden, so sehen wir doch, dass das Gesetz in der vorliegenden Fassung ein großer Schritt in die richtige Richtung ist, und stimmen ihm deshalb zu. Durch zusätzliche Belehrungsvorschriften, die Verbesserungen der Informationsrechte der Verletzten und deren Unterstützung innerhalb und außerhalb des Strafverfahrens sowie die psychosoziale Prozessbegleitung ist zu erwarten, dass Verletzte künftig besser für den Strafprozess gewappnet sind. Allerdings wird es schwer sein, nachzuprüfen, wie praxisnah die Vorschriften tatsächlich ausgestaltet sind, wie sie sich auswirken und was an Verbesserungen in der Praxis überhaupt ankommt. Warum wurde der Vorschlag, eine Evaluationsklausel in das Gesetz aufzunehmen, nicht aufgriffen? Damit hätte zeitnah und begleitend erhoben werden können, ob die Vorschriften den Verletzten tatsächlich den Schutz und die Unterstützung gewähren, die sie brauchen und wollen. Ich rate daher dringend, eine solche Evaluationsklausel alsbald im Gesetz zu verankern. Darüber hinaus sollten die mit diesem Gesetz weitergeführten Verbesserungen langfristig dahin gehend ausgebaut werden, dass die verschiedenen Opferrechte im Strafverfahrensrecht übersichtlich und in einem eigenen Abschnitt zusammengefasst werden. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Telemediengesetzes (Tagesordnungspunkt 21) Hansjörg Durz (CDU/CSU): Die Digitalisierung ist ein extrem dynamischer Prozess. Politik kann oft erst mit zeitlicher Verzögerung auf die sehr schnell eintretenden Veränderungen und Entwicklungen reagieren. Unsere Aufgabe als Politik ist es, den richtigen Rahmen für die Digitalisierung zu setzen. Eine ganz konkrete Herausforderung ist dabei, die Urheber von Rechten, etwa aus dem Bereich Film und Musik, aber auch aus dem Bereich des Sports im Blick zu haben. Diese sind zum Teil massiv von Rechtsverletzungen im Internet in Bezug auf geistiges Eigentum betroffen. Der dabei jährlich entstehende Schaden durch Umsatzeinbußen wird auf über 1 Milliarde Euro geschätzt. Wir diskutieren heute einen Gesetzentwurf, der sich im Wesentlichen mit der sogenannten „Störerhaftung“ auseinandersetzt. Von Störerhaftung sprechen wir, wenn für eine Rechtsverletzung die unfreiwillige Unterstützung eines Dritten in Anspruch genommen wird. Dies kann beispielsweise zutreffen, wenn ein unerlaubter Download eines urheberrechtlich geschützten Musiktitels deshalb durchgeführt werden kann, weil das dafür genutzte WLAN unzureichend verschlüsselt wurde. In diesem Fall haftet der WLAN-Betreiber als „Störer“. Der vorliegende Gesetzentwurf wird in der Öffentlichkeit vornehmlich unter diesem Aspekt diskutiert. Er versucht, die Frage zu beantworten, welche Anforderungen zu erfüllen sind, damit die Störerhaftung beseitigt und damit eine stärkere Verbreitung offener WLAN-Zugänge erreicht wird. Kaum in der öffentlichen Wahrnehmung ist der andere Teil der Gesetzesänderung – § 10 –, der sich mit den sogenannten Hostprovidern befasst. Hostprovider sind Diensteanbieter, die eine technische Infrastruktur Dritten zur Verfügung stellen, um dort Daten zu speichern. „Hosting“ umfasst dabei sehr unterschiedliche Geschäftsmodelle und Tätigkeiten. Dazu gehören neben dem Speichern von Daten und dem Hosten von Websites auch Angebote wie Foren, Bewertungsportale, Soziale Medien, Verkaufs- und Video-Plattformen oder Cloud-Angebote. Schätzungen gehen davon aus, dass in Deutschland circa 30 000 Unternehmen unter dem Begriff des Hostproviders fallen. Auch im Bereich der Hostprovider sind Konstellationen denkbar, in denen die Diensteanbieter als Störer in Haftung genommen werden. Beispielsweise dann, wenn ein anonymer Nutzer einen diskreditierenden Eintrag über einen Arzt auf einem Bewertungsportal verfasst, der eine rechtswidrige Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Arztes darstellt. In diesem Fall kann der Betreiber der Seite als Störer in Haftung genommen werden, wenn er die Äußerung nicht entfernt, obwohl er über die Rechtswidrigkeit der Äußerung informiert wurde. Generell gesprochen: Wird ein Hostprovider von einem Rechteinhaber über eine Rechtsverletzung in Kenntnis gesetzt, ist er dazu verpflichtet, die Rechtsverletzung zu beseitigen. Der Hostprovider ist also so lange nicht für die bei ihm gespeicherten Inhalte verantwortlich, solange er keine Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der Inhalte hat. Er genießt dadurch ein Haftungsprivileg. Dieser Ansatz folgt der Logik, dass Hostprovider lediglich einen technischen Dienst bereitstellen, sie jedoch nicht die Urheber und damit die Verantwortlichen für den jeweiligen Inhalt sind. Vorrangig haften soll derjenige, der für die Inhalte verantwortlich ist, der Hostprovider hat dagegen die Rolle des Vermittlers zu den fremden Inhalten inne. Diese Logik stößt jedoch dann an Grenzen, wenn zum Beispiel eine Abgrenzung zwischen Inhalt und technischer Dienstleistung nicht eindeutig möglich ist. Ein typisches Beispiel für eine solche Vermischung sind die sogenannten Sharehoster. Dort werden zum Teil fremde Inhalte rechtswidrig vermarktet. Dennoch fällt eine Rechtsdurchsetzung für Rechteinhaber schwer, da die Betreiber sich weiterhin auf das Haftungsprivileg berufen. Entsprechend haben sich CDU, CSU und SPD im Koalitionsvertrag darauf verständigt, die Rechtsdurchsetzung gegenüber Plattformen zu verbessern, deren Geschäftsmodell sich im Wesentlichen auf der Verletzung von Urheberrechten stützt. Die Bundesregierung hat mit der vorgeschlagenen Neuregelung des § 10 nun den entsprechenden Vorschlag präsentiert. Sie will das Haftungsprivileg dergestalt neufassen, dass es nicht mehr auf die tatsächliche Kenntnis eines Diensteanbieters ankommt, sondern darauf, ob es sich bei dem gehosteten Dienst um einen „gefahrengeneigten Dienst“ handelt. Zur Identifizierung eines solchen Dienstes werden vier Regelbeispiele im Gesetzentwurf genannt. Die vorgeschlagenen Regelungen sind bereits im Vorfeld des Kabinettsbeschlusses kontrovers von den einzelnen Branchen diskutiert worden. Sowohl vonseiten der Rechteinhaber als auch der Internetwirtschaft wurden deutliche Vorbehalte artikuliert. Es wird zu berücksichtigen sein, ob einerseits mithilfe der vorgeschlagenen Regelungen der angestrebte Zweck tatsächlich erfüllt wird, und ob andererseits legale Geschäftsmodelle in ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit beeinträchtigt werden. Fakt ist, dass in den Anwendungsbereich des § 10 TMG die unterschiedlichsten Geschäftsmodelle fallen. Daher werden wir im parlamentarischen Verfahren die Auswirkungen auf sämtliche Dienste der Branche unter die Lupe nehmen. Wir werden darauf achten, dass ein ausgewogenes System an Verantwortlichkeiten weiter bestehen bleibt. In diesem Zusammenhang wird vor allem auch das kürzlich ergangene Urteil des BGH zu Internetsperren zu beleuchten sein und in unsere Überlegungen mit einbezogen werden. Wir sehen also noch intensiven Diskussionsbedarf über den vorliegenden Entwurf. Axel Knoerig (CDU/CSU): WLAN-Betreiber müssen haften, wenn ihre Nutzer sich im Internet rechtswidrig verhalten. Das sieht in Deutschland die Störerhaftung vor. In den USA oder Asien kennt man diese Regelung nicht. Dort sind offene Netze weit verbreitet. Es reicht meist ein Klick auf die Startseite des Anbieters und schon kann man kostenlos surfen. Der Zugang zum WLAN wird gerade den Kunden leicht gemacht, wie in Fast-Food-Ketten und Cafés. Verschlüsselung und Registrierung sind in diesen Ländern eher bei kostenpflichtiger Internetnutzung üblich. In Deutschland hat die Rechtsprechung dazu geführt, dass private WLAN-Netze heute überwiegend verschlüsselt sind. Inzwischen bieten aber auch immer mehr Unternehmen öffentliche Hotspots an. Anders als oft in der Öffentlichkeit dargestellt, gibt es hierzulande bereits über eine Million Hotspots. Allerdings sind diese meistens zugangsgesichert. Die Störerhaftung stellt gerade Hoteliers und Café-Besitzer vor ein rechtliches Dilemma: Um wettbewerbsfähig zu sein, müssen sie kostenloses WLAN anbieten. Zugleich haften sie aber auch für die Rechtsverstöße ihrer Gäste. Die einzige Alternative ist bisher die Einrichtung von Hotspots verschiedener Anbieter. Hier will der Gesetzentwurf ansetzen und Rechtssicherheit schaffen. Der § 8 des Telemedienänderungsgesetzes soll ergänzt werden. WLAN-Betreiber sollen von der Störerhaftung befreit werden. Allerdings nur, wenn sie „zumutbare Maßnahmen“ treffen. Dazu gehört, dass man den Internetzugang mit einem Passwort schützt und die Zustimmung der Nutzer einholt, sich rechtskonform zu verhalten. Die Zielsetzung dieses Gesetzentwurfs, offene WLAN-Netze zu fördern, ist gut und verdient Anerkennung. Grundsätzlich besteht aber noch Klärungsbedarf, da viele Konflikte nicht gelöst werden. Da müssen wir nacharbeiten. Eine praktikable Handhabung, Datensicherheit und der Schutz von Urheberrechten müssen in Einklang gebracht werden. Auch müssen wir bereits getätigte Investitionen unserer Wirtschaft in WLAN-Systeme schützen. Die jetzt geplanten Änderungen würden einen Mehraufwand bedeuten. Ebenso muss der Zugriff von Sicherheitsbehörden bei Ermittlungen gewährleistet sein. Die Praxis zeigt: In frei zugänglichen Netzen besteht wenig Schutz vor Ausspähen und Abhören. Dennoch werden diese im gewerblichen Bereich bevorzugt, weil sie für die Kundschaft leicht zugänglich sind. Individuell verschlüsselte Netze können die Kommunikation intern schützen. Allerdings sind lange Zugangscodes wenig praktikabel. Zugleich hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass private WLAN-Betreiber ihre Netze verschlüsseln müssen. Das sind die Konflikte, die es noch zu lösen gilt. Marcus Held (SPD): Heute beraten wir in erster Lesung den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Telemediengesetzes. Konkret geht es dabei um die Paragrafen 8 und 10 TMG-E. Ich möchte im Einzelnen nun auf die beiden Paragrafen eingehen. Welche Ziele verfolgt der Gesetzentwurf? Deutschland hinkt in Sachen WLAN-Hotspots-Abdeckung gewaltig hinterher. Nur 1,9 freie Hotspots pro 10 000 Einwohner kann Deutschland aufweisen. Zum Vergleich: In Südkorea sind es 37,4, in Großbritannien 28,7 und in Taiwan 10,4. Nur Russland und Japan mit 1,2 und China mit nur 0,8 Hotspots sind schlechter als Deutschland. Wir haben den Ausbau von WLAN-Hotspots regelrecht verschlafen und werden jetzt von anderen Ländern überholt. Was muss getan werden? Wir müssen den § 8 TMG dahin gehend ändern, dass wir Rechtssicherheit in Haftungsfragen für die Betreiber schaffen. Im Koalitionsvertrag hatten wir dies als „dringend geboten“ bezeichnet. Betreiber von öffentlichen WLANs dürfen künftig nicht mehr für fremde Rechtsverletzungen verantwortlich gemacht werden. Wir werden den Gesetzentwurf des Bundesministeriums hierzu genauestens im parlamentarischen Verfahren prüfen, damit wir dieses Ziel auch erreichen. Wir als SPD-Bundestagsfraktion hatten dazu bereits mehrere Gespräche geführt und Experten zu dem Thema angehört. So hat beispielsweise der Handelsverband Deutschland in einer Händlerumfrage ermittelt, dass fast die Hälfte der Händler gerne WLAN anbieten würden, jedoch mehr als die Hälfte der Händler rechtliche Risiken als Hauptgrund sehen, kein WLAN anzubieten. Auch die zahlreichen Freifunkinitiativen dürfen wir nicht im Regen stehen lassen, sondern müssen auch ihnen Rechtssicherheit dahin gehend geben, den Ausbau der digitalen Infrastruktur weiter voranzubringen. An beiden Beispielen sieht man deutlich, welche Unsicherheiten herrschen und vor allem, an welchen Stellen wir handeln müssen. Meiner Meinung nach muss die WLAN-Störerhaftung in Deutschland endlich abgeschafft werden. Auch werden wir uns eingehend mit dem § 10 TMG-E beschäftigen müssen. Wir hatten im Koalitionsvertrag festgelegt, dass wir die „Rechtsdurchsetzung insbesondere gegenüber Plattformen verbessern (wollen), deren Geschäftsmodell im Wesentlichen auf der Verletzung von Urheberrechten aufbaut.“ Wir haben dafür zu sorgen, „dass sich solche Diensteanbieter nicht länger auf das Haftungsprivileg, das sie als sogenannte Hostprovider genießen, zurückziehen können und insbesondere keine Werbeeinnahmen mehr erhalten.“ So der Koalitionsvertrag auf Seite 133/134. Zahlreiche Stellungnahmen haben uns zum § 10 erreicht, und auch hierzu haben wir uns als SPD-Bundestagsfraktion eingehend mit Experten ausgetauscht. Wir werden die uns zugegangenen Stellungnahmen hierzu prüfen. Der Bundesrat hat zum Entwurf des Telemediengesetzes bereits am 6. November 2015 Stellung genommen und sich für eine Streichung von § 10 TMG-E und die Abschaffung der Störerhaftung für WLAN-Anbieter in § 8 TMG-E ausgesprochen. Die Bundesregierung hat hierzu in ihrer Gegenäußerung bereits eingehende Prüfung zugesagt. Auch werden wir uns als SPD-Bundestagsfraktion eingehend mit der Stellungnahme des Bundesrates befassen. Weiterhin müssen wir auch darauf achten, dass der Gesetzentwurf nicht gegen europäisches Recht verstößt. Ich freue mich darauf, dass nun endlich die parlamentarischen Beratungen beginnen können, wir uns bald schon in einer öffentlichen Anhörung mit Experten austauschen können, und wir hoffentlich zu einem anständigen Ergebnis kommen, indem wir für mehr Rechtsklarheit sorgen und mit der Digitalisierung schneller voranschreiten können. Lars Klingbeil (SPD): Der vorgelegte Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Telemediengesetzes geht zweifelsfrei in die richtige Richtung. Mit diesem Entwurf werden zwei Ziele verfolgt: Zum einen sollen die Potenziale von WLAN-Netzen als Bestandteil der digitalen Infrastruktur gehoben werden. Es ist nicht länger hinnehmbar, dass diese Potenziale von WLAN-Netzen im öffentlichen Raum für Kreativität und gesellschaftliche Teilhabe aufgrund der bestehenden Haftungsrisiken brachliegen. Es muss endlich auch in Deutschland eine Selbstverständlichkeit werden, dass in öffentlichen Einrichtungen wie Ämtern, Bibliotheken, Universitäten oder Schulen aber auch in Restaurants, Cafés, Praxen, Flughäfen oder Ladenzeilen ein öffentlicher Zugang zum Netz möglich ist. Auch die Potenziale von privaten WLAN-Netzen liegen brach, weil Privatpersonen, Haus- und Wohngemeinschaften, Familien, Nachbarschaftsinitiativen aufgrund der derzeitigen Rechtsprechung daran gehindert sind, ihre Internetzugänge mit anderen zu teilen. Zum Zweiten verfolgt der Gesetzentwurf das Ziel, wirksamer gegen die sogenannten illegalen Plattformen vorzugehen, deren Geschäftsmodell auf der Verletzung von Urheberrechtsverletzungen beruht. Beide Ziele sind richtig. Allerdings sehen wir an einigen Stellen des vorliegenden Gesetzentwurfes noch erheblichen Änderungsbedarf, um diese Ziele tatsächlich zu erreichen. Bei dem Entwurf handelt es sich um einen schwierigen Kompromiss innerhalb der Bundesregierung. Wir haben nun im parlamentarischen Verfahren die Möglichkeit, den Gesetzentwurf an den entscheidenden Stellschrauben zu überarbeiten, um im Ergebnis das Ziel, mehr freies WLAN in Deutschland zu ermöglichen und Rechtssicherheit für alle WLAN-Anbieter zu schaffen, tatsächlich zu erreichen. Das gleiche gilt für den Kampf gegen die illegalen Plattformen. Der Bundesrat hat hierzu auf Initiative der SPD-geführten Länder entsprechende Vorschläge gemacht. Unsere Überlegungen zielen in die gleiche Richtung. Wir wollen im parlamentarischen Verfahren die bestehende Hürden bei der Haftungsfreistellung für WLAN-Betreiber abbauen, deutlich mehr freie WLAN-Zugänge im öffentlichen Raum ermöglichen und alle WLAN-Anbieter, auch die zahlreichen Freifunk-Initiativen, zweifelsfrei absichern. Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir uns auf die notwendigen Klarstellungen in § 8 Telemediengesetz im parlamentarischen Verfahren verständigen werden. Ich hoffe, dass wir auch unseren Koalitionspartner davon überzeugen können, dass die Ängste vor offenen WLAN-Netzen unbegründet sind und dass es dadurch nicht zu massenhaften Urheberrechtsverletzungen kommt. So hat beispielsweise der durch die Medienanstalt Berlin-Brandenburg ermöglichte groß angelegte Versuch mit öffentlichen Hotspots ohne aufwendiges Anmeldeverfahren gezeigt, dass es keinen Missbrauch seitens der Nutzer gab, der eine Einschränkung des Zugangs oder eine verschärfte Überwachung von Hotspots rechtfertigen könnte. Wörtlich heißt es in einer Erklärung der Mabb: „Im Rahmen unseres seit 2012 laufenden Projekts mit Kabel Deutschland wurden die Public-Wifi-Hotspots nicht für Urheberrechtsverletzungen genutzt. Es gab bei Kabel Deutschland in dieser Zeit keine IP-Adressabfragen wegen Urheberrechtsverletzungen.“ Was den Kampf gegen illegalen Plattformen und die vorgesehenen Änderungen bei der Hostproviderhaftung anbelangt, werden wir uns die zahlreichen Stellungnahmen und Hinweise, die uns bisher erreicht haben, sehr genau ansehen und überprüfen, ob die vorgeschlagene Regelung ihr berechtigtes Ziel tatsächlich bestmöglich erreichen kann. Ziel muss es sein, kreative Leistungen zu schützen. All diese Fragen werden wir in den nächsten Wochen und im Rahmen einer öffentlichen Anhörung sehr intensiv diskutieren, und ich bin sehr zuversichtlich, dass wir hier im parlamentarischen Verfahren zu Verbesserungen kommen, um diese wichtigen beide Ziele des Gesetzentwurfes tatsächlich zu erreichen. Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Ich gebe zu, ich habe kurz überlegt, ob ich hier dieselbe Rede noch einmal halte, die ich vor einem Jahr schon einmal gehalten habe. Damals hatte ich den Gesetzentwurf zur Abschaffung der Störerhaftung bei offenen WLANs begründet, den meine Fraktion zusammen mit Bündnis 90/Die Grünen eingebracht hatte. Offensichtlich hat bei der damaligen Debatte die Bundesregierung nicht zugehört. Anders kann ich mir zumindest den Gesetzentwurf, den sie hier vorgelegt hat, nicht erklären. Aber der Reihe nach: Seit einigen Jahren diskutieren wir nun bereits die Auswirkungen eines BGH-Urteils, wonach Betreiber von offenen WLANs für Rechtsverletzungen, die Nutzer dieses WLANs begehen, haftbar gemacht werden können. Mit der Netzkompetenz des BGH ist es nicht allzu weit her, wie wir an einem aktuellen Urteil sehen, wonach sinnlose Netzsperren erlaubt sind. Und so hatte dieses Urteil verheerende Auswirkungen auf die Verbreitung von offenen WLANs in Deutschland. Während es in anderen Ländern kein Problem ist, in Bussen, Bahnen, Cafés, Bibliotheken etc. ein offenes WLAN zu finden, muss man hierzulande schon sehr viel Glück haben. Kürzlich war der Ausschuss Digitale Agenda in Estland, einem Land, in dem die Digitalisierung schon viel weiter fortgeschritten ist als hier in Deutschland. Als wir versuchten, das Problem der Störerhaftung zu erklären, schauten wir nur in ratlose Gesichter. Umso unverständlicher ist es, dass Sie diesen ganzen Unfug nicht einfach komplett abschaffen. Nein, Sie manifestieren die Störerhaftung sogar und stellen Betreibern offener WLANs Hürden auf. All das wegen einer diffusen Angst davor, dass über offene WLANs plötzlich Rechtsverletzungen im ganz großen Stil begangen werden und die Verursacher nicht ermittelt werden können. Aber fragen Sie doch mal in anderen Ländern nach, ob diese Befürchtungen dort eingetroffen sind. Sie werden ein klares „Nein!“ als Antwort bekommen. Wieso Sie also trotzdem Maßnahmen gegen Phantome ergreifen, versteht keiner. Nicht einmal die EU-Kommission, die in einer vernichtenden Stellungnahme bemerkte, dass die von Ihnen geforderten Sicherheitsmaßnahmen weder erforderlich noch geeignet sind, um das Ziel einer Vermeidung von Rechtsverletzungen zu erreichen. Das Ergebnis ist, dass Ihr Gesetzentwurf genau das Gegenteil von dem bewirkt, was er schaffen will. Anstatt Sicherheit schafft er Unsicherheit. Anstatt einer Verbreitung von offenen WLANs schafft er eine Verhinderung von offenen WLANs. Es gibt natürlich jemanden, der sich über Ihr Gesetz sehr freuen wird. Das sind große Anbieter wie die Telekom, die nun ihre teuren Lösungen schön verkaufen können, weil insbesondere Privatpersonen die von dem Gesetzentwurf geschaffenen Hürden verunsichern werden. Wer wird schon sein WLAN öffnen, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass man für Rechtsverletzungen haftbar gemacht wird? Am meisten ärgert mich an Ihrem Entwurf aber, dass Sie bestehende Initiativen wie die Freifunker gefährden. Die kümmern sich beispielsweise gerade darum, dass Flüchtlingsheime mit dringend benötigten offenen Internetzugängen per WLAN versorgt werden, und dem legen Sie jetzt noch mehr Steine in den Weg. Das wurde in einem Gespräch mit Flüchtlingsinitiativen im Ausschuss Digitale Agenda von Christian Heise vom Förderverein Freie Netzwerke eindrücklich dargelegt. Wie man es dreht und wendet, ihr Gesetzentwurf ist nicht dazu geeignet, das Problem der Störerhaftung bei offenen WLANs aus dem Weg zu räumen. Es verschärft das Problem vielmehr, weil er noch mehr Unsicherheiten bringt. Es liegt mit dem Gesetzentwurf der Grünen und Linken aber zum Glück eine sehr geeignete Alternative vor. Vielleicht nutzen Sie die Zeit bis zur abschließenden Beratung Ihres Gesetzentwurfes und lesen sich unseren noch einmal durch. Das Ergebnis kann dann nur sein, Ihren Gesetzentwurf zurückzuziehen und unserem zuzustimmen. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Themen „Störerhaftung“ und „Providerprivilegierung“ im Telemediengesetz (TMG) beschäftigen dieses Hohe Haus seit Jahren. Durch das sogenannte „Sommer unseres Lebens“-Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) aus 2010 ist eine Rechtsunsicherheit in Sachen entstanden, die Sie in ihrem Koalitionsvertrag selbst feststellen. Dreh- und Angelpunkt der Diskussion ist die Frage nach der Haftung bei Rechtsverletzungen bei offenem WLAN. In seinem Urteil stellt der BGH klar, dass der Betrieb eines offenen WLAN grundsätzlich eine Gefahrenquelle – für Rechtsverletzungen durch Dritte – darstellt. Demjenigen, der ein WLAN in Betrieb nimmt, legt er gewisse Pflichten zu dessen Sicherung auf, um Rechtsverstöße zu vermeiden. Unterbleiben diese Sicherungsmaßnahmen, greift die sogenannte Störerhaftung. Um es Internetcafés, Hotels, aber eben auch Privatpersonen zu ermöglichen, Kunden bzw. anderen Personen auch weiterhin ein (ungesichertes) WLAN anzubieten, wird seit Jahren die Frage diskutiert, inwieweit die vom Gesetzgeber vorgesehenen Privilegierungen für Access-Provider aus dem TMG auch für andere WLAN-Betreiber Anwendung finden können. Kritiker des Urteils weisen darauf hin, dass der BGH sich in dem Urteil gar nicht mit den einschlägigen Paragrafen des TMG (§ 8) beschäftigt hat und die Ablehnung der im TMG vorgesehenen Privilegierung vor allem deswegen nicht nachvollziehbar sei, da es sich im Zuge der Bereitstellung eines WLAN lediglich um eine Durchleitung von Informationen Dritter handele, nicht jedoch um eine Speicherung, ein Betreiber eines WLAN somit durchaus auch als Access-Provider angesehen werden kann, weshalb sich der BGH zwingend mit der Vorschrift des § 8 TMG hätte beschäftigen müssen. Aber das nur am Rande. Seit Jahren kündigen Sie nunmehr an, eine rechtliche Klarstellung vornehmen und für die dringend benötigte Rechtsklarheit sorgen zu wollen. Eine solche rechtliche Klarstellung, die der eigentlichen Intention des Gesetzes wieder Geltung verschafft, hatte die letzte Bundesregierung trotz anderslautender Absichtserklärungen stets versäumt. Eine rechtssichere Regelung für diejenigen, die ihre Netze anderen gegenüber öffnen wollen, darunter auch viele Wirtschaftsbetriebe, ist somit lange überfällig. Zuletzt hat auch der Bundesrat Sie noch einmal mit Nachdruck aufgefordert, eine solche endlich vorzulegen. Eigentlich war die Einigkeit, so haben wir es zumindest immer wahrgenommen, die im TMG verankerte Providerprivilegierung nach dem BGH-Richterspruch, der dazu führte, dass Privatleute, aber auch der Einzelhandel, aus Sorge, für Rechtsverletzungen Dritter in Haftung genommen zu werden, entsprechende Angebote zurückfuhren, auszubauen, groß. Umso mehr hat es dann alle Beteiligten überrascht, als im Zuge der Vorlage der Digitalen Agenda, die Sie selbst ja nur „Hausaufgabenheft“ nennen, deutlich wurde, dass Sie zwar irgendwann eine Regelung vorlegen wollen, jedoch eine Unterscheidung zwischen privaten und kommerziellen Anbietern vornehmen und zugleich sehr weitreichende Verpflichtungen für Anbieter von Funknetzen gesetzlich vorschreiben wollten. Der schnelle Bezahlvorgang an der Supermarktkasse über Mobile-Payment-Modelle wird damit verhindert. Private trifft es noch härter: Sie sollen sogar verpflichtet werden, eine namentliche Registrierung ihrer Nutzer zu verlangen. Eine solche Verpflichtung kennen wir bisher nur aus autoritären Ländern. Sie erinnert stark an Debatten um ein „Vermummungsverbot“ im Internet, die wir längst überwunden glaubten. Die Bundesregierung, die in ihrer Digitalen Agenda doch verspricht, die Anonymität im Netz auszubauen, geht auch hier, statt dass sie die Chancen einer größeren Verbreitung von freien Funknetzen aufgreift, in die exakt andere Richtung. Schnell wurde klar: Statt die bestehende Rechtsunsicherheit zu beheben, ging der vorgelegte Entwurf in eine genau andere Richtung. Im Grunde genommen nahm er die von allen als für die bestehende Rechtsunsicherheit verantwortlich wahrgenommenen Kriterien und goss diese in Gesetzesform. Deutlich wurde: Dieser Entwurf, das ist schon heute offensichtlich, wird letztendlich niemandem helfen. Seine bisherige Kommentierung fiel vollkommen zu Recht verheerend aus. Dies lag auch an den – eine sehr weitreichende Ahnungslosigkeit bezüglich der Materie offenbarenden – Ausführungen zum Vorhaben der „drei federführenden Minister“ in der Bundespressekonferenz im Zuge der Vorstellung der Digitalen Agenda: Auf die Frage einer sichtlich irritierten Journalistin der New York Times, warum es in Deutschland eigentlich nicht mehr offene WLAN-Netze gebe, die ja nun in beinahe jedem anderen europäischen Land überall zu finden seien, antworte ausgerechnet der Wirtschaftsminister und Vizekanzler Gabriel, dass man keinen „Freiraum für Kriminalität“ schaffen wolle, woraufhin der CDU-Innenministerkollege den SPD-Minister lobte, dass er das nun auch nicht hätte schöner formulieren können. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätten alle Alarmglocken bei der SPD schrillen müssen. Das tun sie aber offenbar bis heute nicht. So sah sich ein Ministeriumsmitarbeiter in einem Gastbeitrag genötigt, dem Minister zu erklären, dass die Frage der Störerhaftung allein die zivilrechtliche Haftung betrifft und nicht mit der strafrechtlichen Verantwortlichkeit verwechselt werden dürfe. So gäbe es schon heute keine Störerhaftung im Strafrecht. Insgesamt zeigte der Vorgang und der weitere Verlauf der Debatte einmal mehr, dass die Bundesregierung trotz massiver Kritik auch weiterhin nicht gewillt ist, derart stichhaltige Argumente zu berücksichtigen. Sie haben hier heute, trotz aller Kritik an Ihrem Entwurf, der Ihnen in den letzten Monaten aus allen Richtungen und in aller Deutlichkeit entgegenschlug, von Verbraucherschutzorganisationen, aus der Wirtschaft, vom Bundesrat oder von der EU-Kommission Ihren bisherigen Entwurf eingebracht. Dass zeigt, man kann es einfach nicht anders sagen, Ihre ganze Ignoranz im digitalpolitischen Bereich, die Sie in den letzten Monaten zur Genüge unter Beweis gestellt haben. Während Sie beispielsweise bei der endgültigen Aufkündigung der Netzneutralität, die Sie hier vor wenigen Wochen noch bestritten, die heute aber auch von Ihren eigenen Abgeordneten in Publikationen festgestellt wird, wenigstens klar erkennbar und für jeden nachvollziehbar Wirtschaftsinteressen einiger weniger großer Firmen vor die Interessen von 500 Millionen europäischen Bürgerinnen und Bürger und ihren Verbraucherrechten gestellt haben, ist hier nicht einmal mehr ein solcher Kurs erkennbar. Aus einer völlig diffusen und insgesamt unbegründeten Angst schlagen Sie hier selbst die klaren Aufforderungen aus der Wirtschaft in den Wind und halten an Ihrer völlig verkorksten Regelung unbeirrt fest. Ihr Verhalten erinnert an das eines störrischen Kindes, nicht an das des Gesetzgebers, der Argumente abwägt und sich auch überzeugen lässt. Auch angesichts Ihres Versagens beim Breitbandausbau wäre es dringend geraten, diejenigen, die ihre Netze gegenüber Dritten öffnen wollen und Teilhabe in der digitalen Gesellschaft ermöglichen, hierbei zu unterstützen. Doch statt dies zu tun und diejenigen zu unterstützen, die sich seit Jahren ehrenamtlich in Freifunkinitiativen zusammenschließen und dafür Sorge tragen, dass es auch Zugang zum Netz gibt, wo es diesen bisher nicht gab, oder dass sich auch Menschen diesen leisten können, denen dies vorher verwehrt war, sorgen Sie mit Ihrem Entwurf für weitere, massive Verunsicherung. Statt Respekt und Anerkennung für diese wichtige Arbeit für das Gemeinwohl zu zeigen, sorgen Sie dafür, dass es bald weniger statt mehr offene Funknetze gibt. Dabei sehen wir doch gerade bei der Anbindung von Flüchtlingsheimen durch ehrenamtliche Initiativen, wie mit Herzblut und Enthusiasmus dafür gesorgt wird, dass möglichst alle bei uns lebenden Menschen die Vorzüge der Digitalisierung nutzen können. Eine steigende Verbreitung von Netzanbindungen durch Privatpersonen und Freifunkinitiativen, die ihren Anschluss bereitwillig mit anderen teilen, wird so blockiert. Damit konterkarieren Sie ihre Ausbauziele beim schnellen Internet. Ihre Unterscheidung zwischen privaten und kommerziellen Anbietern bei der Störerhaftung ist schlicht unsinnig. Auch Ihr Sinnieren darüber, wie man die Provider noch stärker in die Verantwortung nehmen und zu Hilfs­sheriffs machen kann, geht angesichts der Tatsache, dass wir – bislang gemeinsam – die Providerprivilegierung ausbauen, statt einschränken wollten, völlig an der Sache vorbei. Zudem steht die EU-Rechtskompatibilität Ihres Entwurfs offen infrage. Auch verfassungsrechtlich ist er durchaus umstritten. Ihr Entwurf wimmelt zudem nur so von unklaren Rechtsbegriffen. Insgesamt ist die von Ihnen vorgeschlagene Änderung des Telemediengesetzes nichts anderes als ein netzpolitischer Rollback par excellence. Während offene Netze überall auf der Welt längst Standard sind, baut die deutsche Bundesregierung weitere Zugangsbarrieren auf. Das ist absurd und ein weiteres, verheerendes digitalpolitisches Signal. Ihr Vorgehen ist nach all den Diskussionen der vergangenen Jahre bitter. Ihre eigene netzpolitische Agenda, alle schönen IT-Gipfel, alle netzpolitischen Kongresse und Beteuerungen der letzten Monate werden so zur Makulatur. Ich darf Ihnen an dieser Stelle noch einmal die Formulierung aus Ihrem eigenen Koalitionsvertrag vorhalten. Sie war – im Vergleich zu Ihrem jetzigen Entwurf – geradezu progressiv. Zur Störerhaftung hieß es: „Die Potenziale von lokalen Funknetzen (WLAN) als Zugang zum Internet im öffentlichen Raum müssen ausgeschöpft werden. Wir wollen, dass in deutschen Städten mobiles Internet über WLAN für jeden verfügbar ist. Wir werden die gesetzlichen Grundlagen für die Nutzung dieser offenen Netze und deren Anbieter schaffen. Rechtssicherheit für WLAN-Betreiber ist dringend geboten, etwa durch Klarstellung der Haftungsregelungen (Analog zu Access­providern).“ Hiervon heute leider kein Wort mehr. Stattdessen haben Sie im Zuge der Erarbeitung Ihrer Digitalen Agenda in Sachen Störerhaftung einen Kompromiss zwischen den beteiligten Häusern ausgeklüngelt, der weder mit Ihren bisherigen Ankündigungen zu vereinbaren ist, noch die seit Jahren bekannten Defizite tatsächlich behebt. Selbst die Abgeordneten von CDU/CSU und SPD machen mittlerweile keinen Hehl daraus, dass sie die Vorlage der Bundesregierung für völlig verfehlt halten – ein schon bemerkenswerter Vorgang, zumindest in Zeiten dieser Großen Koalition. Dass Sie Ihren Entwurf um 23.30 Uhr hier heute und in dieser Form debattieren lassen, ist mehr als bezeichnend und zeigt gut, wie peinlich Ihnen diese Vorlage mittlerweile – vollkommen zu Recht – eigentlich selbst ist. Auf die weiteren Beratungen im Zuge der nun noch Hals über Kopf anberaumten Ausschussanhörung sind wir sehr gespannt, genauso auf die sicherlich sehr weitreichenden Änderungen durch die Regierungskoalitionen. Konkrete Gesetzesvorschläge aus der Mitte der Zivilgesellschaft, die aufzeigen, wie eine ausgewogene und Rechtsicherheit schaffende Regelung aussehen könnte, liegen seit nunmehr mehreren Jahren auf dem Tisch. In dieser Legislaturperiode hat sie meine Fraktion gemeinsam mit der Fraktion Die Linke eingebracht. Nicht zuletzt vor der seit Jahren anhaltenden Verweigerungshaltung im Bereich des Urheberrechts und Ihrer bislang desaströsen netzpolitischen Bilanz in dieser Wahlperiode kann ich Sie an dieser Stelle nur noch einmal und mit Hochdruck auffordern, sich an den seit Jahren vorliegenden, konkreten Gesetzesvorschlägen zu orientieren. Sie selbst haben leider einmal mehr gezeigt, dass Sie mit den Herausforderungen des digitalen Wandels als Gesetzgeber maßlos überfordert sind. Sie taumeln nicht nur weiter orientierungslos durchs Neuland, mittlerweile haben Sie sich heillos verlaufen. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/91/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 zur Änderung der Richtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) im Hinblick auf die Aufgaben der Verwahrstelle, die Vergütungspolitik und Sanktionen (Tagesordnungspunkt 22) Fritz Güntzler (CDU/CSU): Wir beraten heute in erster Lesung das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2014/91/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 zur Änderung der Richtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) im Hinblick auf die Aufgaben der Verwahrstelle, die Vergütungspolitik und Sanktionen. Ein sperriger Titel für ein Gesetz, mit dem wir die überarbeitete europäische OGAW-V-Richtlinie in das Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB), also in nationales Recht, überführen. Unter OGAW sind Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren zu verstehen. Hierbei handelt es sich um detailliert regulierte Investmentfonds, die nur in bestimmte Arten von Wertpapieren und anderen Finanzinstrumenten investieren dürfen und sich insbesondere an Privatanleger richten. Bevor ich auf die Einzelheiten des vorliegenden Gesetzentwurfs eingehe, lassen Sie mich kurz einen Blick zurück auf die Entstehung des KAGB werfen. Seit etwas mehr als zwei Jahren ist das Gesetz nun in Kraft und bildet die rechtliche Grundlage für Verwalter offener und geschlossener Fonds. Das KAGB hat das bis dahin geltende Investmentgesetz abgelöst und ist das Ergebnis der Umsetzung der europäischen Richtlinie über Verwalter alternativer Investmentfonds (AIFM-Richtlinie). Ziel des Gesetzgebers bei der Einführung war es, für den Schutz der Anleger einen einheitlichen Standard zu schaffen und den grauen Kapitalmarkt einzudämmen. Die Anforderungen des KAGB gelten dabei sowohl für Verwalter offener als auch geschlossener Fonds. Erstmalig müssen damit auch Verwalter geschlossener Fonds gesetzliche Vorgaben erfüllen, die für offene Fonds bereits seit langem gelten. Bis heute hat die BaFin 125 deutschen Kapitalverwaltungsgesellschaften eine Erlaubnis nach dem KAGB erteilt. Daneben ließen sich bislang 243 Kapitalverwaltungsgesellschaften registrieren. Die Aufsicht genehmigte insgesamt 294 neue Publikumsfonds und bearbeitete 3 958 Vertriebsanzeigeverfahren von inländischen und ausländischen Fonds. Seit dem Jahr 2013 haben wir das KAGB immer wieder angepasst. Die letzten umfangreicheren Änderungen haben wir 2014 mit dem Gesetz zur Anpassung von Gesetzen auf dem Gebiet des Finanzmarktes (Finanzmarktanpassungsgesetz) vorgenommen. Heute beraten wir über die Umsetzung der EU-Richtlinie 2014/91 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften von Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW-V-Richtlinie), die bis März 2016 im sogenannten OGAW-V-Umsetzungsgesetz vollzogen sein soll. Neben der Implementierung der Vorgaben der OGAW-V-Richtlinie im nationalen Recht sollen auch gesetzliche Voraussetzungen geschaffen werden, unter denen alternative Investmentfonds Darlehen vergeben dürfen. Auf diesen Punkt komme ich später noch zurück. Mir scheint, dass es einer der wenigen in diesem Gesetzgebungsverfahren ist, die noch strittig sein könnten. Überwiegend handelt es sich um ein sogenanntes technisches Gesetz mit wenigen „politischen“ Punkten. Neben der schon angesprochenen Möglichkeit der Darlehensvergabe für Fonds sehe ich hier vor allem die Maßnahmen zur Anpassung des KAGB an die Vorgaben des mit den USA geschlossenen FATCA-Abkommens. Derzeit befindet sich noch eine erhebliche Anzahl von Anteilscheinen an Sondervermögen als effektive Stücke im Umlauf. Mithilfe einer gesetzlichen Regelung (§ 356 -neu- KAGB), die besagt, dass Gewinnanteilscheine an Sondervermögen, die nach dem 31. Dezember 2016 noch im Umlauf sind, nicht mehr als Wertpapiere verkehrsfähig sind, soll erreicht werden, dass Anteilseigner ihre Anteile in Verwahrung geben. Ziel dieser Regelung ist, dass die Kapitalverwaltungsgesellschaften (KVG) ihre Anteilseigner kennen. Mit dieser FATCA-konformen Anteilscheinverwahrung können KVGs sicherstellen, dass es nicht zu einer Strafbesteuerung von deutschen Investmentvermögen mit US-Geschäft kommt. Diese Maßnahmen sind zwar nicht Teil der Umsetzung der OGAW-V-Richtlinie, gleichwohl sind sie international vorgegeben. Bei den sogenannten technischen Maßnahmen handelt es sich im Wesentlichen um eine 1:1-Umsetzung der europäischen OGAW-V-Richtlinie. Die neuen Vorgaben für OGAW werden teilweise über den Anwendungsbereich der OGAW-Richtlinie hinaus auch auf den Bereich der alternativen Investmentfonds (AIF) erweitert. Lassen sie mich auf die wichtigsten Maßnahmen kurz eingehen: Die Vergütungssysteme von OGAW-Kapitalverwaltungsgesellschaften werden durch das Gesetz besser auf die langfristigen Interessen der Anleger und das Erreichen der Anlageziele des OGAW abgestimmt. Sie dürfen künftig keine Anreize mehr für das Eingehen übermäßiger Risiken enthalten. Wir stärken die Haftung der Verwahrstellen. Diese haben im Wesentlichen zwei Aufgaben. Zum einen verwahren sie die Vermögenswerte des OGAW. Zum anderen überwachen sie die Verwaltungsgesellschaften zum Schutze der Anleger. Künftig werden sich OGAW-Verwahrstellen nicht mehr exkulpieren können, wenn einem von ihnen in Anspruch genommenen sogenannten Unterverwahrer Finanzinstrumente abhandenkommen. Außerdem werden aufgrund der Richtlinienvorgaben die im KAGB vorgesehenen Sanktionen bei Rechtsverstößen verschärft und insgesamt neu strukturiert. Das Gesetz enthält neben den Anpassungen an die OGAW-V-Richtlinie auch noch Anpassungen an weitere europarechtliche Vorgaben. Beispielsweise soll das KAGB an die unmittelbar geltende Verordnung über europäische langfristige Investmentfonds (ELTIF) angepasst werden. Mit dieser Verordnung wird eine neue Kategorie von AIF geschaffen, die langfristige Finanzierungsmittel für Infrastrukturprojekte, nicht börsennotierte Unternehmen oder börsennotierte kleine und mittlere Unternehmen zur Verfügung stellen. Die Darlehensvergabe durch AIF hatte ich zu Beginn meiner Rede schon angesprochen. Der Gesetzentwurf sieht nationale Regelungen vor, die über die Richtlinie hinausgehen. Ich will den parlamentarischen Beratungen nicht vorgreifen, vermute aber schon jetzt, dass wir uns diese Regelungen noch einmal genau anschauen werden. Mit diesem Gesetz soll national ein Rahmen für die Darlehensvergabe durch AIF geschaffen werden. Erklärtes Ziel ist es, durch diese nichtbankgestützte Finanzierungsform einen Beitrag für die Finanzierung der Realwirtschaft zu schaffen. Gleichzeitig wollen wir eine uferlose Darlehensvergabe verhindern – Stichwort: „Schattenbankproblematik“ – und dem Anlegerschutz Rechnung tragen. Der Rahmen ist also eng gesteckt. Im Gesetzentwurf steht, dass nur geschlossene – keine Rückgaberechte für Anleger – Spezial-AIF – keine Privatanleger – Darlehen vergeben dürfen und diese AIF auch nur begrenzt Kredite aufnehmen dürfen. Zudem müssen diese AIF ihr Risiko streuen und dürfen keine Darlehen an Verbraucher vergeben. Die Vergabe von Gesellschafterdarlehen soll durch neu geschaffene Bedingungen erleichtert werden. Hierbei berücksichtigt der Gesetzentwurf unter anderem das entsprechende Bedürfnis von Wagniskapitalfonds zur Darlehensvergabe an Beteiligungsunternehmen. Wie gesagt vermute ich, dass wir diesen Bereich in den Beratungen und der Anhörung vertiefen werden. Ich freue mich auf die anstehenden Gespräche und Beratungen mit Ihnen. Christian Petry (SPD): Mit Blick auf die Lehren der Finanzmarktkrise haben wir in dieser Legislaturperiode – neben wichtigen nationalen Gesetzen wie dem Kleinanlegerschutzgesetz von Verbraucherschutzminister Heiko Maas – umfangreiche europäische Gesetzesvorhaben umgesetzt. Dabei stand für uns der Schutz von Anlegerinnen und Anlegern stets im Vordergrund. Ein Gesetz, das primär auf europäischen Vorgaben fußt, ist das vorliegende OGAW-V-Umsetzungsgesetz, welches wir heute erstmalig beraten. Der Regierungsentwurf basiert auf der OGAW-V-Richtlinie, die bis März 2016 in allen Staaten der Europäischen Union in nationales Recht umgesetzt sein muss. Seit 1985 definiert das OGAW-Regelwerk die Anforderungen, Aufgaben und Pflichten von Wertpapierfonds und ihren Verwahrern. Hierdurch gewährleistet der europäische Gesetzgeber europaeinheitliche Standards beim Anlegerschutz im Wertpapierfondsbereich. Durch die Überarbeitung der Richtlinie wird nun den Erfahrungen der Akteure am Markt Rechnung getragen. In der Bundesrepublik werden die Anforderungen der Richtlinie durch das Umsetzungsgesetz in das Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) überführt. Hier kommt es mit Blick auf die Aufgaben der Verwahrstelle, der Vergütungspolitik von Fonds sowie die Sanktionsmöglichkeiten der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zu umfangreichen Neuerungen. Es ist zu begrüßen, dass es mit den geplanten Änderungen im KAGB zu einer Angleichung der Regelungen bei OGAW und alternativen Investmentfonds (AIF) kommen soll. Bislang gab es hier erhebliche Unterschiede. Klar ist: Das Schutzniveau für OGAW-Anleger muss ebenso umfassend sein wie für AIF-Anleger. Das übergeordnete Ziel des Umsetzungsgesetzes ist daher folgerichtig: Das OGAW-System soll an die bisherigen AIF-Regelungen im KAGB angepasst werden. In diesem Zusammenhang ist die gemäß der Richtlinie umzusetzende umfassende Ausweitung der Befugnisse der BaFin positiv hervorzuheben. Neben der allgemeinen Erhöhung des Bußgeldrahmens sowie der Einführung umsatzbezogener Bußgelder kann die BaFin bei Fehlverhalten zukünftig Berufsverbote aussprechen. Sanktionsmaßnahmen der Bundesanstalt müssen zudem im Internet öffentlich gemacht werden und können dort bis zu fünf Jahren angezeigt werden. Zudem muss für Wertpapierfondsanleger zukünftig das interne Vergütungssystem eines OGAW öffentlich gemacht werden. Diese Transparenzanforderungen galten bislang nur für Investmentfonds. Je nachdem, ob die Parameter der Vergütungspraxis eines Fonds an lang- oder kurzfristigen Zielen orientiert sind, kann die Anlagestrategie eines Investmentvermögens zukünftig besser abgeschätzt und beurteilt werden. Vor diesem Hintergrund sollen Anlegerinnen und Anleger ihre individuelle Investitionsentscheidung validierter treffen können. Neben der Angleichung bestehender Regeln für OGAW und AIF kommt es im Regierungsentwurf zum OGAW-V-Umsetzungsgesetz auch zu ganz grundlegenden Neuerungen im KAGB: Genossenschaften werden zukünftig nicht mehr als Investmentvermögen im Sinne des KAGB klassifiziert. Die Regelungen, wonach Genossenschaften bislang Anforderungen aus dem Bereich des Fondswesens zu erfüllen hatten, um von der BaFin zugelassen zu werden, basieren auf dem Umstand, dass die dem KAGB zugrunde liegende europäische Regelung nicht zwischen unterschiedlichen Rechtsformen unterscheidet. Genossenschaften sind jedoch keine Fonds. Dies hat die BaFin bereits erkannt und ihre Verwaltungspraxis bezüglich Genossenschaften im März grundlegend geändert. Eingetragene Genossenschaften fallen seither nicht unter die Regelungen des KAGB. Die Bundesregierung stellt sich mit ihrem Gesetzentwurf klar hinter diese Sicht der BaFin. Die geänderte Verwaltungspraxis der Bundesanstalt fußte bislang auf einem Auslegungsschreiben der Behörde selbst. Durch die Regelungen im Gesetzesentwurf wird die Intention des Auslegungsschreibens nun verbindlich in Gesetzesform gegossen. Es obliegt nun den genossenschaftlichen Prüfverbänden, sicherzustellen, dass die fortan weniger stark regulierte Rechtsform der eingetragenen Genossenschaften nicht zum gezielten Missbrauch genutzt wird. Neben den zu begrüßenden Regelungen des Gesetzentwurfs, die zu einer größeren Transparenz im Fondsbereich führen werden, gibt es aber auch Punkte, die wir in den anstehenden parlamentarischen Verhandlungen intensiv diskutieren müssen. Hierzu zählt die Neuerung, dass Fonds zukünftig in definierten Grenzen Darlehen vergeben dürfen. In den parlamentarischen Beratungen werden wir über den Umfang und das Volumen dieser Vergabemöglichkeit diskutieren müssen. Dabei gilt es einerseits, dem Ziel, neue Finanzierungsmöglichkeiten für die Wirtschaft zu schaffen, Rechnung zu tragen. Andererseits müssen wir sicherstellen, dass sich hierdurch keine Risiken für Verbraucherinnen und Verbraucher ergeben. Nicht erst seit der jüngsten Warnung der EZB und der Bundesbank über die Aktivitäten von Schattenbanken gilt der Kreditvergabe außerhalb des etablierten Bankensektors unsere erhöhte Aufmerksamkeit. Regelungen und Anforderungen im Fondsbereich müssen im Sinne der Anlegerinnen und Anleger einheitlich geregelt werden, unabhängig von der Form des Investmentvermögens. Der Regierungsentwurf stellt diesbezüglich die Harmonisierung zwischen den Anforderungen an OGAW und AIF sicher. Daneben bildet er eine gute Grundlage, um über die Stellung der Fondsbranche als Alternative und als Ergänzung zu bestehenden und etablierten Finanzierungsstrukturen in Europa zu diskutieren. Susanna Karawanskij (DIE LINKE): Ring frei für die nächste OGAW-Runde: Die OGAW-Richtlinie soll in der gesamten Europäischen Union für ein einheitliches regulatorisches System für offene Investmentfonds sorgen. Es geht also um einen einheitlichen Binnenmarkt für Investmentfonds. In OGAW V werden insbesondere das Verwahrstellensystem (Wertpapierfirma oder Kreditinstitut) sowie Vergütungs- und Sanktionsregeln harmonisiert. Das neue Gesetz verpflichtet dazu, eine einzige Verwahrstelle zu benennen, die die Zahlungen der Anleger in den Fonds überwacht. Damit soll unmissverständlich geklärt sein, wer für die Anlegergelder verantwortlich ist. Das Guthaben der Anleger muss von den eigenen Anlagen der Treuhänder getrennt sein. Sie dürfen die ihnen anvertrauten Gelder weder als Sicherheit bei anderen Geschäften verwenden noch auf eigene Rechnung investieren. Fondsmanager werden angehalten, keine Investitionsrisiken einzugehen, denen ihre Investoren nicht zugestimmt haben. Interessant ist hierbei, dass ihnen, wenn ein OGAW Verluste macht, ihre Vergütung gekürzt werden kann. Die Linke unterstützt diesen Plan, um für langfristiges Investieren zu sorgen. Fraglich ist, wie ein wirklich demokratisches, transparentes Verfahren gewährleistet werden soll, um die Zustimmung für bestimmte Investmentvorhaben bei den Anlegenden abzufragen. Alle EU-Staaten sollen zudem Sanktionen für Fonds vorsehen, die die nationalen Regeln für Genehmigung und die Berichterstattung für OGAW missachten. Diese Sanktionen können öffentliche Verwarnungen, ein zeitweiliges oder permanentes Fondsmanagement-Verbot für die Verantwortlichen und die Einziehung von Verwaltungsgebühren einschließen. Wir sehen die Neuordnung der Bußgeldvorschriften in dem Umsetzungsgesetz als Schritt in die richtige Richtung an. Die drei Säulen von OGAW V könnten tatsächlich dafür sorgen, dass Kleinanleger besser geschützt werden, gerade wenn Investmentfonds mit dem Geld ihrer Kunden riskante Geschäfte tätigen. Es ist richtig, die Fondsmanager in die Verantwortung zu nehmen und dafür zu sorgen, dass weniger auf kurzfristige Gewinne durch Spekulation und dafür auf langfristige Anlageerfolge geschaut wird. In dem Gesetzentwurf sind jedoch auch einige Änderungen versteckt, die kritikwürdig erscheinen. Die §§ 261 bis 263 Kapitalanlagegesetzbuch – Anlagegrenzen, Risikomischung, Beschränkung von Leverage bei geschlossenen Publikums-AIF – werden dahin gehend geändert, dass Anknüpfungspunkt nicht mehr die Werte und Verkehrswerte der Vermögensgegenstände sind (bisher § 263: 60 Prozent bezogen auf Verkehrswert), sondern das eingeworbene, eingebrachte Kapital. In § 263 wird sich sogar nur auf das zugesagte Kapital bezogen. Künftig soll eine Kreditaufnahme bis 150 Prozent des eingebrachten und zugesagten Kapitals erlaubt sein. Ich habe den Eindruck, diese Regelung läuft dem eigentlichen Ansinnen des Gesetzes, riskante Anlagestrategien zu vermindern, zuwider. Es ist nicht ohne Weiteres nachvollziehbar, aus welchen Gründen der Gesetzgeber den Emittenten hier entgegenkommt. Bestehende Regeln drohen nach und nach aufgeweicht zu werden. Dies kann letztlich wieder zulasten der Finanzmarktstabilität und der Verbraucher gehen. Ferner stößt uns eine Änderung im KAGB und Kreditwesengesetz übel auf. Die erleichterte Vergabe von Gelddarlehen sehen wir kritisch. Ursprünglich sollten die AIFM, die alternativen Investmentfonds, den Schattenbanken entgegenwirken und das Regulationsgefälle einebnen. Schattenbanken, Kapitalsammelstellen ohne Banklizenz, sollten erfasst und reguliert werden. Nun plötzlich gibt es eine Deregulierung mit Befreiungen zugunsten von AIF im Kreditwesengesetz. Dies ist wirklich bedenklich. Der Gesetzentwurf soll schließlich dem Ziel der Bundesregierung Rechnung tragen, mehr Beteiligungskapital und private Investoren für die Finanzierung von öffentlicher Infrastruktur zu gewinnen. Hier kommt dann die ELTIF-Verordnung ins Spiel, an die das KAGB angepasst werden muss. Die Linke lehnt es ab, den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur der Privatisierung durch eine weitere Öffnung der Anlagemöglichkeit freizugeben. Es wird Geld von privaten und institutionellen Anlegern eingesammelt, häufig wird über öffentlich-private Partnerschaften investiert. In Wirklichkeit darf der Staat gar kein öffentliches Infrastrukturprojekt als Einrichtung der Daseinsvorsorge ausfallen lassen. Er haftet, während die Fonds wachsen und immer größer werden. Dies ist aus unserer Sicht falsch. Es darf einer Privatisierung öffentlicher Daseinsvorsorge und Infrastruktur nicht weiter Vorschub geleistet werden. Es sollen mit diesem Umsetzungsgesetz durchaus sinnvolle Regelungen gerade für Kleinanleger verabschiedet werden. Umso bedauerlicher ist es, dass einige Änderungen dann doch wieder riskanteres Anlageverhalten fördern, was zum einen die Finanzmarktstabilität gefährden und zum anderen zu finanziellen Verlusten bei Verbrauchern führen kann. Insofern steht man diesem Gesetzentwurf mit einem weinenden und einem lachenden Auge gegenüber. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Auf den ersten Blick sind bei dem vorliegenden Gesetzentwurf viele Sachen richtig. Es ist zu begrüßen, dass die durch den Madoff-Skandal und die Insolvenz der Investmentbank Lehman Brothers zutage getretenen Unzulänglichkeiten bei der OGAW-Regulierung angegangen werden. So sollen sich Verwahrstellen ihrer Haftung nicht länger entziehen können, wenn sie ihre Pflichten auf Unterverwahrer übertragen. Genau diese Möglichkeit hatte Madoff zum Schaden von Tausenden Anlegern in Luxem­burg-Fonds ausgenutzt. Nicht zu begrüßen ist jedoch, dass Sie diese Lücke nicht bei inländischen Spezial-AIF schließen wollen, obwohl Publikumsfonds in gewissem Umfang in Spezial-AIF investieren dürfen. Auch an anderer Stelle verzichten Sie aus falsch verstandener Standortpolitik darauf, Spielräume bei der Umsetzung der OGAW-V-Richtlinie zugunsten des Anlegerschutzes zu nutzen. Das ist der Hauptvorwurf, den man Ihnen hier machen muss: Sie nutzen die Umsetzung der OGAW-V-Richtlinie nicht, um die von Ihnen in der letzten Wahlperiode selbst erkannten Unzulänglichkeiten im Kapitalanlagegesetzbuch zu beseitigen. So haben Sie als SPD-Fraktion vor zwei Jahren zum Schutz der Anleger bei geschlossenen Publikums-AIF gefordert, die Grenze, bis zu der nur eine Minimalregulierung der Verwalter greift, von 100 Millionen auf 20 Millionen Euro abzusenken. Weiterhin haben Sie gefordert, das Leverage dieser Fonds von 60 auf 30 Prozent des Wertes des Fonds zu beschränken. Schließlich haben Sie die Einsetzung eines Sachverständigenausschusses zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Bewertung der zu erwerbenden Vermögengegenstände gefordert. Auch in einer Koalition mit der Union wäre zu erwarten, dass wenigstens eine dieser berechtigten Forderungen Eingang in den nun vorliegenden Gesetzentwurf findet. Dies ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr wollen sie nunmehr das Gegenteil Ihrer ursprünglichen Forderungen regeln. So sollen geschlossene inländische Publikums-AIF zukünftig 150 Prozent des zugesagten Kapitals als Kredit aufnehmen können. Wie stellen Sie sicher, dass Kleinanleger nicht mit Renditeversprechen in risikoreiche, kreditfinanzierte geschlossene inländische Publikums-AIF gelockt werden? Wie stellen sie sicher, dass zunächst nur ein Teil des zugesagten Kapitals eingezahlt werden muss? Sie erhöhen auch nicht die Belastbarkeit der externen Bewertung von Vermögenswerten. Im Gegenteil, Sie wollen bei der Kreditvergabe an Beteiligungsunternehmen auf die Notwendigkeit jeglicher externen Werthaltigkeitsprüfung verzichten. Damit laden Sie zur Umgehung der Bewertungsregeln ein. Geschlossene Publikums-AIF werden bei Bestandsbeteiligungen zukünftig einen Kredit gewähren können anstelle der Zeichnung einer Kapitalerhöhung. Nur bei letzterer soll eine externe Bewertung erforderlich sein. Dies ist falsch. Auch in der Gesamtschau sind die im Gesetzentwurf für die Kreditvergabe von Investmentfonds vorgesehenen Regelungen als unausgegoren zu bewerten. Offensichtlich haben Sie hier zu weiten Teilen dem Druck der Industrie nachgegeben. Besonders plastisch wird dies bei verbrieften Kreditforderungen: Nach dem Referentenentwurf sollten diese bei offenen Spezial-AIF aufgrund der Fristenproblematik auf 50 Prozent des Wertes des Fonds beschränkt werden. Im nun vorliegenden Gesetzentwurf ist auf Druck des BVI diese aus Stabilitätssicht sinnvolle Regelung nicht mehr enthalten. Der zweite Hauptkritikpunkt an Ihrer Politik ist Ihr fehlender Wille, die Lehren aus der Pleite von Lehman Brothers vollständig zu ziehen. Wie soll man den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes erklären, dass Zertifikate – trotz der bei Lehman-Zertifikaten entstandenen Verluste für Zehntausende deutsche Anlegerinnen und Anleger – weiterhin im Wesentlichen unreguliert bleiben? Sie ignorieren vollständig, dass Investmentvermögen und Zertifikate Substitutionsgüter sind. Dies können sie beispielsweise an Index-ETFs und Index-Tracker-Zertifikaten erkennen. Eine sachgerechte Bewertung der Regulierung der Investmentfonds bedarf daher auch einer Bewertung der den Banken belassenen Möglichkeiten zur Regulierungsarbitrage. Die Ausschussberatungen zum vorliegenden Gesetzentwurf werden sich daher auch mit diesem Thema befassen müssen. Zwei Punkte sind dabei zentral: Anders als bei Investmentvermögen droht den Kleinanlegerinnen und Kleinanlegern bei Zertifikaten im Fall der Insolvenz des Emittenten auch weiterhin der Totalverlust. Ein sachlicher Grund für dieses unterschiedliche Schutzniveau bei substituierbaren Produkten ist jedoch nicht erkennbar. Insbesondere sind mögliche Regelungen zum Schutz von Kleinanlegerinnen und Kleinanlegern vor der Insolvenz des Zertifikateemittenten offensichtlich: Zertifikate könnten wie OTC-Derivate über Zentrale Kontrahenten gecleart werden oder wie zum Beispiel die Zertifikate am COSI- bzw. ETP-Segment der Schweizer Börse besichert werden. Jedenfalls sollten Zertifikatestrukturen endlich verboten werden, die offensichtlich für den Kleinanleger ungeeignet sind. Es ist nicht verständlich, wieso Strukturen, mit denen Kleinanleger 2008 erhebliche Verluste erlitten, auch weiterhin Kleinanlegern angeboten werden können. Bei diesen Cobald-, Colibri- oder First-to-Default-Bonitätsanleihen sind die Rückzahlungen und die Zinszahlungen von der Solvenz von bis zu fünf Referenzunternehmen abhängig. Bereits die Insolvenz eines der Referenzunternehmen kann zum Totalverlust führen. Es ist schlicht inakzeptabel, wenn Banken auch weiterhin auf diese Weise Risiken auf Kleinanlegerinnen und Kleinanleger verlagern können. Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden europäische Vorgaben umgesetzt, aber auch eigene nationale Regelungen getroffen. Im Hinblick auf die europäischen Vorgaben setzt der Entwurf zunächst die jüngsten Änderungen der sogenannten OGAW-Richtlinie um. Unter OGAW sind Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren zu verstehen. Hierbei handelt es sich um detailliert regulierte Investmentfonds, die nur in bestimmte Arten von Wertpapieren und anderen Finanz­instrumenten investieren dürfen und sich insbesondere an Privatanleger richten. Die neuen Vorgaben für OGAW werden zudem teilweise über den Anwendungsbereich der OGAW-Richtlinie hinaus auch auf den Bereich der alternativen Investmentfonds erweitert. Alternative Investmentfonds sind Investmentvermögen, die keine OGAW sind, zum Beispiel offene Immobilienfonds, Hedgefonds und Private-Equity-Fonds. Zu den Vorgaben der OGAW-Richtlinie: Die Vergütungssysteme von OGAW-Kapitalverwaltungsgesellschaften dürfen keine Anreize für das Eingehen übermäßiger Risiken enthalten und müssen besser auf die langfristigen Interessen der Anleger und das Erreichen der Anlageziele des OGAW abgestimmt sein. Verwahrstellen haben zwei Aufgaben. Zum einen verwahren diese die Vermögenswerte des OGAW. Zum anderen überwachen sie die Verwaltungsgesellschaften zum Schutze der Anleger. OGAW-Verwahrstellen können sich künftig nicht mehr exkulpieren, wenn sie einen Unterverwahrer in Anspruch nehmen und Finanzinstrumente bei diesem Unterverwahrer abhandenkommen. Aufgrund der Richtlinienvorgaben werden die im Kapitalanlagegesetzbuch vorgesehenen Sanktionen bei Rechtsverstößen verschärft und insgesamt neu strukturiert. Anpassung an weitere europarechtliche Vorgaben: Darüber hinaus wird das Kapitalanlagegesetzbuch an die unmittelbar geltende Verordnung über europäische langfristige Investmentfonds angepasst. Mit dieser Verordnung wird eine neue Kategorie von alternativen Investmentfonds geschaffen, die langfristige Finanzierungsmittel für Infrastrukturprojekte, nicht börsennotierte Unternehmen oder börsennotierte kleine und mittlere Unternehmen zur Verfügung stellen. Nationale Regelungen zur Darlehensvergabe durch AIF: Schließlich soll mit diesem Gesetzentwurf ein nationaler Rahmen für die Darlehensvergabe durch alternative Investmentfonds geschaffen werden. Dadurch kann diese nichtbankgestützte Finanzierungsform einen Beitrag für die Finanzierung der Realwirtschaft bilden. Gleichzeitig verhindert dieser Rahmen eine uferlose Darlehensvergabe – „Schattenbankproblematik“ – und trägt dem Anlegerschutz Rechnung. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass nur geschlossene Spezial-AIF – das heißt: Alternative Investmentfonds, bei denen kein Rückgaberecht für Anleger besteht und die sich nicht an Privatanleger richten – Darlehen vergeben, und diese alternativen Investmentfonds dürfen auch nur begrenzt Kredite aufnehmen. Zudem müssen diese alternativen Investmentfonds ihr Risiko streuen und dürfen keine Darlehen an Verbraucher vergeben. Gesellschafterdarlehen können unter erleichterten Bedingungen vergeben werden. Hiermit wird unter anderem das entsprechende Bedürfnis von Wagniskapitalfonds zur Darlehensvergabe an Beteiligungsunternehmen berücksichtigt. Die Schaffung dieses nationalen Rahmens für die Darlehensvergabe durch alternative Investmentfonds soll aus unserer Sicht nur ein erster Schritt sein. Denn man muss wissen: Alternative Investmentfonds, die Darlehen vergeben, können aufgrund des sogenannten Europäischen Passes europaweit an professionelle Anleger vertrieben werden. Auch können alternative Investmentfonds grenzüberschreitend Darlehen gewähren. Chancen und Risiken dieser neuen Finanzierungsform sind also europäisch. Wir brauchen daher auch eine europäische Regulierung. Dies haben wir gegenüber der Europäischen Kommission deutlich gemacht. Wir begrüßen daher, dass die Europäische Kommission im Rahmen ihrer Arbeiten zur Schaffung einer Kapitalmarktunion bis Ende nächsten Jahres prüfen will, ob ein europäisches Rahmenwerk für darlehensvergebende alternative Investmentfonds notwendig ist. Wir werden dafür eintreten. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden Zur Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes zur Erhöhung des Lohnsteuereinbehalts in der Seeschifffahrt (Tagesordnungspunkt 23) Olav Gutting (CDU/CSU): Wir beraten heute in erster Lesung einen Gesetzentwurf des Bundesrates, durch den der Lohnsteuereinbehalt der Arbeitgeber in der Seeschifffahrt von derzeit 40 Prozent auf 100 Prozent befristet bis Ende 2020 angehoben werden soll. Die Maßnahme soll den deutschen Reedern einen Kostenvorteil in Höhe der eigentlich abzuführenden Lohnsteuer bringen und diese damit direkt unterstützen. Ziel dieser Unterstützung ist es, den seemännischen Sachverstand für den Standort Deutschland nachhaltig zu sichern und unsere maritime Wirtschaft zu stärken. Unsere maritime Wirtschaft ist für unser exportorientiertes Land von hoher gesamtwirtschaftlicher Relevanz und deshalb ein überaus wichtiger Wirtschaftszweig. Gerade weil fast 95 Prozent des interkontinentalen Warenaustausches über die Seewege erfolgt, haben wir als eine der führenden Exportnationen ein überragendes Interesse an einer leistungsstarken und international wettbewerbsfähigen deutschen maritimen Wirtschaft. Ein Großteil der deutschen Warenexporte und der Rohstoffimporte werden mit dem Schiff transportiert. Unsere umfangreichen Exporte von Autos und Maschinen wäre ohne eine schlagkräftige Seeschifffahrt nicht denkbar. Zudem sichern unsere Häfen einen wichtigen Teil der industriellen Rohstoffversorgung. Wir wissen, dass jeder zweite Arbeitsplatz in Deutschland vom Export abhängt. Unsere maritime Wirtschaft sichert bundesweit insgesamt über 400 000 Arbeitsplätze und trägt mit circa 50 Milliarden Euro Umsatz jährlich zur deutschen Wirtschaftsleistung bei. Beunruhigend ist, dass sich trotz anhaltender Export­erfolge unsere Handelsflotte in den letzten Jahren stark reduziert hat. Obwohl sich knapp 3 000 Handelsschiffe im Eigentum deutscher Reedereien befinden, fahren jedoch nur rund 360 unter deutscher Flagge. Die Anzahl der unter deutscher Flagge fahrenden Handelsschiffe hat sich somit seit dem Jahr 2000 halbiert. Die Gründe für die zunehmende Ausflaggung und die damit verbundenen negativen Auswirkungen auf die Beschäftigung und Ausbildung unserer Seeleute sind leicht zu erklären. Die unter deutscher Flagge fahrenden Schiffe sind hinsichtlich der Lohnkosten und der Lohnnebenkosten dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt. Hier ergeben sich Mehrkosten für die unter deutscher Flagge fahrenden Schiffe, die im internationalen Vergleich zunehmend zu einem Wettbewerbsnachteil führen. Um diesen Kostendruck auf die Reedereien abzumildern und eine weitere Abwanderung der deutschen Schiffe ins Ausland zu verhindern, wollen wir handeln. Wir halten die aktuelle Förderung für nicht ausreichend, um das seemännische Know-how nachhaltig in Deutschland zu erhalten, zumal der zulässige Förderrahmen von anderen EU-Staaten in dieser Beziehung im Vergleich zu Deutschland mehr ausgeschöpft wird. Die deutschen Schiffe stehen damit auch im innereuropäischen Kostenwettbewerb. Wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion können daher die Anhebung des Lohnsteuereinbehalts auf 100 Prozent nur befürworten. Wir reduzieren damit den Kostendruck und sichern die Beschäftigung unter deutscher Flagge. Sicherlich werden wir im Laufe der weiteren Beratungen zu diesem Gesetzentwurf Detailfragen, insbesondere die derzeit bestehende sogenannte 183-Tage-Regelung, genauer zu besprechen haben. Nach dieser Regel ist für die Inanspruchnahme des Lohnsteuereinbehalts – neben dem Führen der deutschen Flagge – ein Arbeitsverhältnis von mehr als 183 Tagen erforderlich. Wir sollten auch darüber diskutieren, ob die durch den Gesetzentwurf vorgesehene Befristung des erhöhten Lohnsteuereinbehalts zur Planungssicherheit der Reeder auf das Jahr 2025 zu verlängern ist. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen zu diesem Gesetzentwurf. Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU): Oft und gerne diskutieren wir in Deutschland darüber, dass Vorgaben der EU nicht 1:1 umgesetzt werden. Wir beklagen dabei meist, dass wir hier zusätzliche bürokratische Hürden einbauen. Ob diese Kritik immer richtig ist oder nicht, will ich an dieser Stelle nicht bewerten. Hier – beim Lohnsteuereinbehalt – geht es mir aber darum, dass Spielräume, die die Europäische Union zulässt, von Deutschland eben gerade nicht genutzt werden, wohl aber von unseren Konkurrenten im Bereich maritime Wirtschaft. Wir diskutieren heute also über eine Regelung, die zum einen EU-Vorgaben entspricht. Zum anderen wird der 100-prozentige Lohnsteuereinbehalt bei unseren europäischen Mitbewerbern bereits vollständig oder fast vollständig umgesetzt. Es geht also um eine Angleichung, damit unsere deutsche Seeschifffahrt auch in Zukunft wettbewerbsfähig bleibt. Gut 70 Prozent der etwa 400 Reedereien in Deutschland haben weniger als 10 Schiffe. Und gerade für diese mittelständischen Unternehmen – die meisten davon übrigens Familienunternehmen – wollen wir die Rahmenbedingungen verbessern, damit sie besser im internationalen Wettbewerb mithalten können. „Internationaler Wettbewerb“ heißt in diesem Fall: direkte und indirekte staatliche Subventionen, staatliche Finanzierungsmodelle oder gar staatseigene Betriebe, und dies teilweise sogar innerhalb der Europäischen Union, in jedem Fall aber verbreitet in Asien. Ja, es ist klar: Wir wollen und können keine Subventionsspirale in Gang setzen. Aus marktwirtschaftlicher Sicht sind Ausnahmetatbestände bei Steuern natürlich immer schwierig. Aber: Um die Voraussetzungen für unsere mittelständischen Unternehmen der maritimen Wirtschaft zu verbessern, ist es legitim, den Spielraum, den die EU in diesem Fall zulässt, auch tatsächlich auszunutzen. Daher meine ich: Die Anhebung des Lohnsteuereinbehalts ist gut für die Branche und ein gutes Signal für unsere mittelständischen Reeder. Der Bund hat in den letzten Jahren die Rahmenbedingungen für unsere maritime Wirtschaft in vielen Bereichen deutlich verbessert. Stichworte dafür sind: „Nationaler Masterplan Maritime Technologien“, Einbindung der Branche in die Hightech-Strategie der Bundesregierung oder jüngst die Entfristung der Schiffserlöspools von der Versicherungssteuer. Daher freue ich mich, dass auf unser Drängen nun auch die norddeutschen Länder – man könnte auch sagen „endlich“ – einmal einen Vorschlag machen, um unsere maritime Wirtschaft international voranzubringen. Und dies wollen wir nun auch gemeinsam umsetzen. Der Vorschlag, den wir heute beraten, geht in die richtige Richtung. Leider bleibt er aber hinter dem zurück, was wir in der Großen Koalition gemeinsam (!) mit unserem Antrag zur maritimen Wirtschaft Mitte Oktober beschlossen haben. Aber: Das macht nichts. Im anstehenden parlamentarischen Verfahren werden Änderungen beraten. Im Antrag zur maritimen Wirtschaft haben wir uns als Union und SPD zum einen darauf verständigt, neben der Erhöhung des Lohnsteuereinbehalts vor allem die 183-Tage-Regelung zu streichen. Und zum anderen sind wir uns einig, dass wir erst nach gut zehn Jahren eine Evaluierung dieser Maßnahmen benötigen. Warum sind diese gemeinsamen Beschlüsse der Großen Koalition wichtig? Die 183-Tage-Regelung hat nicht nur zu immensem bürokratischem Aufwand geführt. Vor allem aber wird ein Wegfall dieser Regelung dafür sorgen, dass Reedereien ihr Personal flexibler und wirtschaftlicher einsetzen können. Das ist gut für die Unternehmen und vor allem auch gut für die Arbeitnehmer. Eine Evaluierung – und eine damit einhergehende mögliche Veränderung erst nach zehn Jahren, und nicht schon nach fünf Jahren – erhöht die Planbarkeit für die Reedereien und sorgt für langfristige Beschäftigungsmöglichkeiten. Und genau dies ist doch wichtig. Wir wollen mit dem vorliegenden Entwurf und mit den Ergänzungen, die wir vorschlagen vor allem eines: Wir wollen die Ausbildung und das maritime Know-how in Deutschland erhalten. Wir sprechen hier einerseits über deutsche Seeleute, die auf Schiffen ihren Dienst tun. Aber wir reden hierbei vor allem auch über seemännisches Know-how, das abseits der Schiffe benötigt wird: bei den Lotsen, bei maritimen Dienstleistern und nicht zuletzt bei Behörden. Wir wollen und müssen die Wettbewerbsfähigkeit unserer maritimen Wirtschaft weiter stärken und die Zukunftsfähigkeit dieser global immens wichtigen Branche sichern. In China heißt es: „Nicht der Wind, sondern das Segel bestimmt die Richtung“. Ich glaube: Wir sind in dieser Frage dabei, die Segel richtig zu setzen. Und daher freue ich mich auf die nun anstehenden parlamentarischen Beratungen, in denen wir noch weitere Verbesserungen für unsere maritime Wirtschaft herbeiführen werden. Schon heute möchte ich an die Länder appellieren: Verschließen Sie sich diesen Verbesserungen nicht, sondern unterstützen auch Sie diese für ganz Deutschland wichtige Branche. Dr. Birgit Malecha-Nissen (SPD): Schifffahrt und maritime Wirtschaft gehören zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen in unserem Land und haben wesentlich zu Deutschlands führender Position im Exportbereich beigetragen. Damit liefern sie einen wesentlichen Beitrag zu Wachstum und Beschäftigung im ganzen Land. Die deutsche Seeschifffahrt hat eine enorme Bedeutung für Arbeitsplätze und Wertschöpfung am Standort Deutschland. Die maritime Wirtschaft sichert etwa 480 000 Arbeitsplätze und trägt mit rund 30 Milliarden Euro zur deutschen Wirtschaftsleistung bei. Mehr als 370 Reedereien betreiben ihre rund 2 900 Schiffe von Deutschland aus. Doch die Arbeitssituation in der deutschen Seeschifffahrt ist in Seenot geraten. Die langanhaltende Krise in der Seeschifffahrt und die Veränderungen im internationalen Markt haben ihre Spuren hinterlassen. Die mittelständisch geprägte Schifffahrtsbranche befindet sich im Umbruch. Deutsche Reedereien haben sich dafür entschieden, ihre Schiffe auszuflaggen. Lediglich 354 Handelsschiffe führen immer noch die deutsche Flagge. Im internationalen Schiffsverkehr sind es sogar weniger als 200. Zum Vergleich waren es im Jahr 2000 knapp 700. Mit jedem Schiff, das Deutschland verloren geht, verliert der Standort seemännisches Know-how und wichtige Steuereinnahmen. Deswegen brauchen wir neue Arbeitsplätze und Planungssicherheit bei den bereits vorhandenen. Die Absolventen der Hoch- und Fachhochschulen müssen Anstellungsplätze finden, um die vorgeschriebene Erfahrungsseefahrtzeit und somit auch ihre Ausbildung abzuschließen. Nach Angaben des Verbands Deutscher Reeder ist zu Beginn 2015 die Zahl deutscher Seeleute auf rund 6 700 gesunken. Betroffen vom Verlust des maritimen Know-how sind die Hafenbetreiber, die Wasserschutzpolizei, die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, die ganze Zulieferindustrie sowie Forschung und Entwicklung. Besonders betroffen sind die Lotsenbrüderschaften – kein Schiff kann den Nord-Ostsee-Kanal ohne Lotsen befahren oder den Hamburger Hafen ohne Lotsen ansteuern. Wir müssen dafür sorgen, dass die weitere Ausflaggung deutscher Schiffe verhindert wird. Die Entscheidung für die Ausflaggung wird mit erheblichen Mehrkosten für das Führen der deutschen Flagge im internationalen Vergleich begründet. Deutschland schöpft den zulässigen EU-Rahmen für die Schifffahrtsförderung bislang nur zum Teil aus. Es wird höchste Zeit, dass auch wir die Möglichkeiten nutzten, die uns die EU-Kommission in der Beihilfeleitlinie für den Seeverkehr bietet. Zur Förderung der Beschäftigung in der deutschen Seeschifffahrt haben wir bereits umfangreiche Maßnahmen eingeführt. Mit der Tonnagesteuer, dem Lohnsteuereinbehalt von 40 Prozent, den Fördermitteln zur Senkung der Lohnnebenkosten, der Ausbildungsförderung und der Schiffsbesetzungsverordnung hat der Bund in den vergangenen Jahren wichtige Weichen gestellt, um den Schifffahrtsstandort zu stärken. Mit unserem Antrag „Die maritime Wirtschaft stärken und ihre Bedeutung für Deutschland hervorheben“ zur 9. Nationalen Maritimen Konferenz haben wir uns das Ziel gesetzt, Anpassungen vorzunehmen, um Arbeitsplätze und Know-how am Standort Deutschland langfristig zu sichern. Damit wir die deutsche Flagge weiterhin international wettbewerbsfähig halten können, haben wir eine Reihe von Maßnahmen aufgezeigt. Wir haben die Bundesregierung aufgefordert, ein Gesamtkonzept zur Entwicklung der Schifffahrt zu gestalten. Die Erhöhung des Lohnsteuereinbehalts von 40 auf 100 Prozent für Seeleute auf Schiffen unter deutscher Flagge ist ein weiteres wesentliches Element dieses Maßnahmenpaketes. Die Steuerbefreiung haben wir jedoch zeitlich bis zum 31. Dezember 2025 begrenzt. Mit dieser Frist möchten wir dem Gesetzgeber zeitnah die Möglichkeit zur Evaluierung der Maßnahmen geben. Als Bedingung für die Steuererleichterungen fordern wir von den Reedern, weiterhin die deutsche Flagge zu führen und die Beschäftigung von Seeleuten mit Wohn- und Lebensmittelpunkt in Deutschland zu sichern. Unser Ziel ist es, maritimes Know-how dauerhaft zu erhalten und Arbeitsplätze zu sichern. Um dieses Ziel zu erreichen, haben wir ein umfangreiches Maßnahmenpaket auf den Weg gebracht. Das „Gesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes zur Erhöhung des Lohnsteu­ereinbehalts in der Seeschifffahrt“ ist ein weiteres Instrument zur Förderung unserer Seeschifffahrt. Um die Beschäftigung von deutschen Seeleuten zu sichern, brauchen wir jetzt eine klare, verbindliche Zusage der deutschen Reeder für bessere, sozialverträgliche und tarifgebundene Arbeitsverträge. Dr. Jens Zimmermann (SPD): Wir beraten heute in erster Lesung den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Einkommensteuergesetzes zur Erhöhung des Lohnsteuereinbehaltes in der Seeschifffahrt. Der Gesetzentwurf des Bundesrates hat zum Ziel, Arbeitsplätze in der Seeschifffahrt zu sichern und den Schifffahrtsstandort Deutschland international konkurrenzfähig zu halten. Mit dem Entwurf soll vermieden werden, dass die Zahl der Schiffe unter deutscher Flagge weiterhin rückläufig ist. Die maritime Wirtschaft ist nicht nur für die Küstenländer, sondern für ganz Deutschland von großer Bedeutung. Mehr als 400 000 Arbeitsplätze, fast 3 000 in diesem Bereich tätige Unternehmen sowie etwa 60 Prozent deutscher Exporte, die über den Seeweg erfolgen, sprechen hier für sich. Deutschlandweit profitieren viele Wirtschaftszweige von einem starken Schifffahrtsstandort. In den letzten Jahren hat sich die Zahl der Schiffe, die unter deutscher Flagge fahren, allerdings stetig reduziert. Die Reedereien begründen dies häufig mit den Mehrkosten, die Fahren unter deutscher Flagge im Vergleich zu anderen Flaggen mit sich bringt. Auch die Koalitionsfraktionen haben erkannt, dass die Situation für deutsche Reedereien im internationalen Konkurrenzkampf in den letzten Jahren nicht einfacher geworden ist. Deshalb teilen wir mit dem Bundesrat die Absicht, hier gesetzgeberisch tätig zu werden, und begrüßen die Gesetzesinitiative des Bundesrates. Dass auch wir es mit einer Stärkung der maritimen Wirtschaft ernst meinen, haben wir mit einem Antrag der Großen Koalition – „Die maritime Wirtschaft stärken und ihre Bedeutung für Deutschland hervorheben“, Drucksache 18/6328 – gezeigt, der Mitte Oktober vom Deutschen Bundestag verabschiedet wurde. In den parlamentarischen Beratungen zu dem hier vorliegenden Gesetzentwurf des Bundesrates werden wir uns an den steuerlichen Maßnahmen orientieren, die wir in dem gemeinsamen Antrag der Großen Koalition festgeschrieben haben: Wir haben – gleichlautend zu dem Vorschlag des Bundesrates – ebenfalls eine Erhöhung des Lohnsteuereinbehaltes von 40 auf 100 Prozent festgeschrieben. Die Anhebung des Lohnsteuereinbehaltes führt dazu, dass von der an den Fiskus abzuführenden Lohnsteuer ein bestimmter Teil stattdessen bei den Arbeitgebern – den Reedereien – verbleibt. So erhalten deutsche Reedereien einen Kostenausgleich, weil der Betrieb unter deutscher Flagge wegen der Sozialabgaben vergleichsweise teuer ist. Diese finanzielle Unterstützung können und sollten die Reedereien wiederum in die deutsche maritime Wirtschaft und in Arbeitsplätze investieren. Bisherige Voraussetzung für den Lohnsteuereinbehalt war die Anwendung der sogenannten 183-Tage-Regelung. Die 183-Tage-Regelung ist im Steuerrecht insbesondere im Zusammenhang mit Doppelbesteuerungsabkommen wichtig. Denn diese gilt als ein Indikator für die Feststellung, in welchem Staat der Arbeitslohn versteuert werden muss. Nach dem jeweils geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen liegt das Besteuerungsrecht regelmäßig beim Tätigkeitsstaat, nicht beim Ansässigkeitsstaat. Hierfür ist allerdings erforderlich, dass die Arbeit im Tätigkeitsstaat jährlich an mindestens 183 Tagen – also mehr als ein halbes Jahr – erfolgt ist. Damit der Lohnsteuereinbehalt bisher greifen konnte, mussten Seeleute also für mehr als die Hälfte des Jahres in einem ununterbrochenen Heuerverhältnis zu einer Reederei gestanden haben. Oft werden Heuerverhältnisse aber für einen kürzeren Zeitraum abgeschlossen. Häufig scheint gerade die 183-Tage-Regelung zu verhindern, dass überhaupt Heuerverhältnisse abgeschlossen werden. Für die Steuerbehörden ist die Anwendung der 183-Tage-Regelung im Zusammenhang mit dem Lohnsteuereinbehalt außerdem oft mit einem erheblichen Aufwand verbunden. Um den Mechanismus des Lohnsteuereinbehaltes einem breiteren Beschäftigtenkreis in den Reedereien zukommen zu lassen und um andererseits den Steuerbehörden ihre Arbeit zu erleichtern, haben wir für diesen Bereich die Abschaffung der sogenannten 183-Tage-Regelung vorgeschlagen. Die Abschaffung der Regelung soll den Reedern auch den Lohnsteuereinbehalt für Seeleute ermöglichen, die weniger als 183 Tage am Stück in einem Heuerverhältnis unter deutscher Flagge stehen. Diese Maßnahme ist im vorliegenden Gesetzentwurf bisher nicht vorgesehen. Wir teilen innerhalb der Koalitionsfraktionen und auch mit dem Bundesrat das gleiche Ziel: Niemand möchte, dass die deutsche Seeschifffahrt gegenüber der internationalen Konkurrenz nicht mehr wettbewerbsfähig ist. Die deutsche Flagge muss deshalb wieder attraktiver werden. Über den Weg dahin haben wir allerdings mit unserem Koalitionspartner und den eigenen Facharbeitsgruppen, die an der Formulierung des Antrages beteiligt waren, intensiv diskutiert. Denn beide Maßnahmen – der Lohnsteuereinbehalt ebenso wie Abschaffung der 183-Tage-Regelung – sind ohne Frage ein erheblicher Eingriff in das deutsche Steuerrecht. Steuersystematisch habe ich als Finanzpolitiker – und da spreche ich für die gesamte AG Finanzen der SPD-Fraktion – berufsmäßig immer dann Bedenken, wenn es um steuerliche Ausnahmeregelungen für einzelne Branchen geht. Bei beiden steuerlichen Maßnahmen ist deren langfristiger Nutzen für die deutsche maritime Wirtschaft nicht so einfach vorauszusehen. Aufgrund der finanziellen Größenordnung der jährlichen Steuermindereinnahmen sollte deshalb nach einiger Zeit überprüft werden können, wie die zusätzlichen finanziellen Mittel von den Reedereien eingesetzt wurden. Wir haben uns als SPD-Fraktion deshalb in den Beratungen zu dem Antrag dafür eingesetzt, für beide Maßnahmen eine Befristung bis Ende 2025 festzuschreiben. Alle Beteiligten sind sich in den Beratungen zu dem Antrag am Ende einig geworden, dass eine Befristung beider Maßnahmen sinnvoll ist. So kann der Gesetzgeber nach einem belastbaren Zeitraum von zehn Jahren evaluieren, ob beide Maßnahmen die deutsche Seeschifffahrt nachhaltig stärken konnten und gegebenenfalls gesetzgeberisch nachsteuern. Mit einem Befristungszeitraum von zehn Jahren, doppelt so lange wie im Gesetzentwurf des Bundesrates vorgeschlagen, stellen wir außerdem sicher, dass die maritime Wirtschaft Planungssicherheit hat. Ich gehe davon aus, dass wir uns in den Beratungen im Bundestag zügig auf die eben dargestellten Änderungen zu dem vorliegenden Gesetzentwurf einigen werden. Richard Pitterle (DIE LINKE): Nach dem Zusammentritt der griechischen Regierung unter dem neuen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras im Januar 2015 wurde der deutschen Öffentlichkeit ein neues Feindbild präsentiert: der griechische Reeder. Es sei jetzt höchste Zeit, dass Griechenland seine Reeder besteuert, tönte es aus den vorderen Reihen der Union. Denn wer die Reichsten der Reichen nicht besteuere, könne auch keine europäische Solidarität einfordern. Äußerungen, die so manchen deutschen Reeder ins Schwitzen gebracht haben dürften. Die Großzügigkeit gegenüber deutschen Reedern und der maritimen Wirtschaft hierzulande braucht den Vergleich mit Griechenland nicht scheuen. Zwar garantiert das Grundgesetz nicht deren Besteuerungsfreiheit. Mit Artikel 27 GG ist aber auch die deutsche Handelsflotte in der Verfassung fest verankert. 1995 adelte das Bundesverfassungsgericht die deutsche Handelsflotte als quasi unverzichtbar und erteilte dem Gesetzgeber aufgrund des kaum beeinflussbaren Wettbewerbs der Handelsschifffahrt in internationalen Gewässern eine Blankovollmacht bei der Rechtsetzung. Bei Lobbyisten knallten die Sektkorken. Geht nicht, gab es nicht mehr. Schließlich haben die Reeder ein Druckmittel, von dem andere Branchen nur träumen: die „Ausflaggung“. Wenn deutsche Industriebetriebe mit Standortwechseln drohen, ist das oft nicht mehr als ein Säbelrasseln. So einfach ist es nicht, Produktionsstätten und Know-how aus dem Inland zu verlagern. Welches Recht jedoch auf einem Schiff gilt, das in den Meeren der Welt unterwegs ist, überlässt das Völkerrecht der Flagge, also dem Hoheitszeichen eines Staates. Allein die Flagge bestimmt somit die Geltung von Steuerrecht, Arbeitsrecht, Sozialversicherungsrecht. Wem das deutsche Recht zu kostenintensiv erscheint, der flaggt aus. Wem das deutsche Recht zu umweltfreundlich erscheint, der flaggt aus. Wem das deutsche Recht zu viele Arbeitsschutzvorgaben macht, der flaggt aus. Ein spröder Verwaltungsvorgang, der sich wie der Kauf von Schuhen online erledigen lässt. Und so kommt es, dass zwar deutsche Reeder mit 3 000 Schiffen derzeit die viertgrößte Handelsflotte weltweit stellen. Nach der Beflaggung landet Deutschland mit höchstens 500 Schiffen aber weit abgeschlagen auf dem 16. Platz. Die Sieger sind Panama und Liberia. Selbst Griechenland landet nur auf Platz 8 – hinter Malta mit gerade 400 000 Einwohnern. Und während die Steuer- und Finanzpolitik weltweit gegen Steueroasen und Schattenfinanzzentren kämpft, ergibt sich die Wirtschafts- und Verkehrspolitik dem scheinbar unvermeidlichen Schicksal und der unverhohlenen Erpressung der Reeder. Unter Federführung des schwarz-gelb dominierten Verkehrsausschusses wurden 1999 unter Beifall der SPD die Tonnagebesteuerung und der Lohnsteuereinbehalt eingeführt. Bei der Tonnagebesteuerung wird der Gewinn anhand der Größe des Schiffes bestimmt. Das ist so, als würden Juweliere ihren Gewinn anhand der Umverpackungen von Brillantringen ermitteln. Allein dadurch sind in den Jahren 2003 bis 2014 Steuermindereinnahmen in Höhe von 4 Milliarden Euro entstanden. Beim Lohnsteuereinbehalt teilen sich Fiskus und Reeder die von ihren Arbeitnehmern gezahlten Steuern. 40 Prozent darf der Reeder derzeit in die eigene Tasche umleiten. Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf soll er 100 Prozent behalten dürfen. Eine Forderung, die von Bündnis 90/Grüne schon 1999 erhoben wurde. Der Staat erhält vom Besatzungsmitglied dann nicht nur keine Lohnsteuer mehr, er müsste sogar bei der Veranlagung lediglich auf dem Papier an ihn überzahlte Steuern erstatten. Zusätzlich gewährt der Staat jährlich großzügig Zuschüsse zu Lohnnebenkosten von circa 50 Millionen Euro. Und doch ist das nur die Spitze des Subventions- und Steuervergünstigungseisberges. Ob das alles überhaupt etwas nützt, ist der Bundesregierung aber nicht bekannt. Untersuchungen zu Rückflüssen an Steuern und Sozialabgaben lägen ihr nicht vor. Trotzdem wurden die Vergünstigungen immer weiter ausgebaut. Inzwischen schadet selbst das vorübergehende Ausflaggen nicht mehr, um Steuervorteile in Anspruch zu nehmen. Ich stehe hier vor Ihnen als Steuerpolitiker. Nur zufällig ist nicht der Verkehrs- oder Wirtschafts-, sondern der Finanzausschuss federführend. Und wie auch meine Kolleginnen und Kollegen im Finanzausschuss des Bundesrates lehne ich diesen Gesetzentwurf ab. Ich erkenne an, dass die maritime Wirtschaft ein wichtiger Wirtschaftsfaktor Deutschlands und in einer besonderen Wettbewerbssituation ist. Der Verzicht auf Steuern ist aber keine sinnvolle wirtschaftspolitische Maßnahme. Steuerliche Vorteile als Lenkungszweck verpuffen oft. Die Ausflaggung bleibt trotz Milliardensubventionen seit über einem Jahrzehnt unverändert hoch. Steuerliche Vorteile führen darüber hinaus schnell zu Fehlanreizen. Eine Lektion, die gerade Millionen Kleinanleger von Schiffsfonds mit mehr als 50 Milliarden Euro und oft dem Verlust der Altersvorsorge schmerzlich bezahlen. Deutsche wie griechische Reeder braucht das nicht zu stören, solange es von Politikern, wie dem griechischen Schifffahrtsminister Dritsas, auf griechischer wie auch auf deutscher Seite im Gleichklang heißt: „Für uns ist es sehr wichtig, die Wettbewerbsfähigkeit der Schifffahrts­industrie zu bewahren“. Um jeden Preis. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir beraten heute einen Gesetzentwurf, auf den die Koalition offenbar selbst nicht gerade stolz ist. Anders lässt es sich nicht erklären, warum dieser skurrile Entwurf ohne Debatte und ohne Anhörung verabschiedet werden sollte. Vor uns liegt ein Triumph der Schifffahrtslobby, der an politischer Doppelzüngigkeit nur schwer zu überbieten ist, wenn man an die schrille Griechenlanddebatte der letzten Jahre denkt. Während Griechenland zu Recht von allen Seiten für die Steuerfreiheit der Reeder kritisiert wurde, scheint die Koalition kein Problem damit zu haben, die heimische Branche großzügig aufzupäppeln. Was nur wenige wissen: Schon lange gilt auch in Deutschland die sogenannte Tonnagebesteuerung. Diese ist eine nur für die Seeschifffahrt eingeführte besondere Gewinnermittlungsmethode im deutschen Einkommensteuerrecht. Im Kern handelt es sich auch hierbei um nichts anderes als eine steuerliche Subvention. Die pauschale Gewinnermittlung anhand von Ladung und Größe der Schiffe führt im Gewinnfall zu einer Steuerbelastung für Reedereien von rund 5 Prozent, während andere Unternehmen einer Gesamtsteuerbelastung von rund 48 Prozent ausgesetzt sind. Bei dieser Begünstigung sind die Reeder zu keiner konkreten Gegenleistung verpflichtet. Die maritime Wirtschaft ist bereits hochsubventioniert. Sie zahlt schon jetzt faktisch keine Steuern. Mit dem vorliegenden Gesetz erhält sie nun sogar noch zusätzlich Geld obendrauf. Geräuschlos soll den Reedern auch noch die vollständige Lohnsteuer ihrer Mitarbeiter geschenkt werden. Reinste Klientelpolitik, willkürlich und interessengeleitet, wie sie in Griechenland gar nicht schlimmer sein könnte. Bei allem Verständnis für unsere Bundesländer an den Küsten, die ihre Schifffahrtsunternehmen berechtigterweise unterstützen wollen: Als Steuerpolitikerin fällt es mir außerordentlich schwer, in diesem Gesetzentwurf ein – wie es in der Begründung heißt – „geeignetes Instrument“ zu erkennen, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Seeschifffahrt zu fördern. Um was geht es genau bei diesem Gesetzentwurf? Der „Lohnsteuereinbehalt in der Seeschifffahrt!“ klingt zunächst einmal unverdächtig. Die Lohnsteuer gehört zu den Erhebungsformen der Einkommensteuer. Sie stellt eine Art Vorauszahlung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf die am Ende des Jahres festzusetzende Einkommensteuer dar. Schifffahrtsunternehmen, wie auch alle anderen Unternehmen, sind als Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, die Lohnsteuer für ihre in Deutschland steuerpflichtigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einzubehalten. Selbstverständlich müssen sie diese aber im zweiten Schritt an das zuständige Finanzamt abführen. An dieser Stelle schlägt die Koalition eine erstaunliche Neuregelung vor: Der zweite Schritt, die Abführung an das Finanzamt, soll in Zukunft ausfallen. Das ist nichts anderes als ein großzügiges Steuergeschenk. Voraussetzung ist lediglich, dass sie die deutsche Flagge führen. Eine dreiste Zweckentfremdung des Lohnsteuerverfahrens zur Umsetzung einer unverhohlenen Klientelpolitik. Nun wird auch verständlich, warum sich die Koalition sichtlich darum bemüht hat, dass die Öffentlichkeit diesen Zusammenhang nicht richtig verstehen und kritisieren kann. Bislang galt, dass die Schifffahrtsunternehmen 40 Prozent der von ihren Arbeitnehmern einbehaltenen Lohnsteuer vom Staat geschenkt bekommen. Die Regelungen zum Lohnsteuerverfahren sind aber keine Subventionsnormen. Der Bundesrechnungshof kritisiert diese Begünstigung für die Reedereien seit Jahren. Auch verfassungsrechtliche Bedenken wurden laut. Anstatt die Subventionierung über das Steuerrecht abzuschaffen, versucht die Koalition nun klammheimlich das genaue Gegenteil: Die Subventionierung soll maximal ausgeweitet werden, sodass die maritime Wirtschaft keinerlei Lohnsteuer mehr an das Finanzamt abführen muss, sprich nicht mehr 40, sondern 100 Prozent der Lohnsteuer ihrer Arbeitnehmer vom Staat geschenkt bekommt. Begründet wird diese Subvention mit der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Seeschifffahrt. Ich erkenne an: Es besteht ein eindeutiger Trend zum Ausstieg aus der deutschen Flagge. Und ja, unter Umständen führt das auch dazu, dass sich das negativ auf Ausbildung und Beschäftigung auswirkt. Aber wer kann uns, bitte schön, garantieren, dass eine völlig unverbindliche Steuersubventionierung daran etwas ändert? Die Subvention ist an keinerlei Verpflichtungen seitens der Reedereien geknüpft. Die vom Staat verschenkte Lohnsteuer kann theoretisch auch direkt an die Anteilseigner weitergeleitet werden, ohne dass die Ausbildung von Seeleuten in Deutschland gefördert wird. Bei solchen Methoden kann ich mich nur wundern, gerade vor dem Hintergrund der Griechenlandkrise. Zu Recht wurde sich doch über die reichen griechischen Reeder echauffiert, die in Griechenland keine Steuern zahlen. Wer sich aber darüber empört, dass griechische Reeder per Verfassung steuerbefreit sind – aus den Reihen der Koalition war die Kritik besonders lautstark –, der kann doch nicht gleichzeitig der deutschen maritimen Wirtschaft aberwitzige Steuerprivilegien einräumen. Die Griechen haben sich mit dem dritten Hilfspaket immerhin dazu verpflichtet, die Tonnagebesteuerung zu erhöhen. Während der Kampf gegen Vetternwirtschaft und überzogene Privilegien damit endlich gesetzlich wirksam wird, können wir in Deutschland doch nicht ernsthaft den Lobbyisten die Steuerpolitik überlassen. Erinnern möchte ich auch daran, dass eine Vielzahl von Gründen bestehen, warum Reedereien es vorziehen, unter ausländischen Flaggen zu fahren. Es sind vor allem auch unzureichende und daher kostengünstige Regelungen beim Mitarbeiterschutz sowie nicht vorhandene oder geringere Sicherheits- und Umweltstandards. Wenn man die Logik des Gesetzentwurfs weiterspinnt, müssten wir auch hier in den Wettbewerb treten und die Standards in Deutschland senken. Das kann aber keiner ernsthaft wollen. Eine verantwortungsvolle Politik müsste andersherum wirken und sich weltweit für gültige hohe Sicherheits- und Umweltstandards einsetzen. Am Wettbewerb um die niedrigste Steuerbelastung müssen wir hingegen nicht weiter teilnehmen. Hier ist eh schon alles verloren, da die effektive Besteuerung mit der Tonnagesteuer eh schon gegen null tendiert. Soll die Seeschifffahrt in Deutschland gefördert werden, dann machen Sie bitte ein explizites Subventionsgesetz. Wir verweigern uns keiner offenen Diskussion zur Unterstützung der Ausbildung von Seeleuten. Aber dieses Gesetz werden wir so nicht mittragen. 1)  Ergebnis Seite 13969 D 2)  Anlage 2 3)  Anlage 3 4)  Anlage 4 5)  Anlage 5 6)  Anlage 6 7)  Anlage 7 8)  Anlage 8 --------------- ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 143. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 143. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 3. Dezember 2015 V Plenarprotokoll 18/143