Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 147. Sitzung Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2015 Inhalt: Tagesordnungspunkt 22: Beratung der Unterrichtung durch den Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung: Stellungnahme des Parlamentarischen Beirates für nachhaltige Entwicklung zum Indikatorenbericht 2014 „Nachhaltige Entwicklung in Deutschland“ des Statistischen Bundesamtes – und – Erwartungen an den Fortschrittsbericht 2016 der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie Drucksache 18/7082 14513 B Carsten Träger (SPD) 14513 C Birgit Menz (DIE LINKE) 14514 C Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU) 14515 C Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 14516 D Dr. Lars Castellucci (SPD) 14518 C Sabine Leidig (DIE LINKE) 14519 C Andreas Jung (CDU/CSU) 14520 B Bernd Westphal (SPD) 14521 D Matern von Marschall (CDU/CSU) 14522 D Jeannine Pflugradt (SPD) 14524 B Sybille Benning (CDU/CSU) 14525 A Tagesordnungspunkt 23: Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Rentenniveau anheben – Für eine gute, lebensstandardsichernde Rente Drucksache 18/6878 14526 C Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) 14526 D Karl Schiewerling (CDU/CSU) 14529 A Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) 14530 A Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 14530 D Klaus Ernst (DIE LINKE) 14531 D Dr. Martin Rosemann (SPD) 14533 C Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) 14535 A Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) 14536 C Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD) 14537 D Jana Schimke (CDU/CSU) 14539 A Ralf Kapschack (SPD) 14541 B Tagesordnungspunkt 24: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über die Maßnahmen zur Förderung der Kulturarbeit gemäß § 96 des Bundesvertriebenengesetzes in den Jahren 2013 und 2014 Drucksache 18/5598 14542 D Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU) 14542 D Sigrid Hupach (DIE LINKE) 14544 A Hiltrud Lotze (SPD) 14545 A Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 14546 D Ute Bertram (CDU/CSU) 14547 D Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU) 14548 C Tagesordnungspunkt 25: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Transfer von Forschungsergebnissen und Innovationen in die Gesundheitsversorgung beschleunigen Drucksache 18/7044 14549 D Stephan Albani (CDU/CSU) 14550 A Kathrin Vogler (DIE LINKE) 14552 A René Röspel (SPD) 14553 B Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 14555 B Tino Sorge (CDU/CSU) 14556 C Tagesordnungspunkt 26: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Julia Verlinden, Christian Kühn (Tübingen), Annalena Baerbock, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung Erneuerbarer Energien im Wärmebereich (Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz – EEWärmeG) Drucksache 18/6885 14558 C Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 14558 C Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU) 14560 A Ralph Lenkert (DIE LINKE) 14562 A Dr. Nina Scheer (SPD) 14563 A Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU) 14564 B Klaus Mindrup (SPD) 14566 A Nächste Sitzung 14567 D Berichtigung 14567 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 14569 A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 14569 B 147. Sitzung Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2015 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie herzlich zur voraussichtlich letzten Plenarsitzung in diesem Jahr. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Diese Einschränkung macht mich nervös! – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Voraussichtlich“, das ist gefährlich! Was kommt da noch? – Volker Kauder [CDU/CSU]: Mit Schwimmen ist ja jetzt nichts bei dem Wetter!) – Ich hätte eigentlich damit rechnen können, dass das von dem einen oder anderen als Anregung verstanden werden könnte. So war es aber ausdrücklich nicht gemeint. Es gibt heute nicht einmal mehr Veränderungen in der Tagesordnung oder andere Formalitäten zu verkünden und zu billigen. Wir kommen daher gleich zu dem Tagesordnungspunkt 22: Beratung der Unterrichtung durch den Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung Stellungnahme des Parlamentarischen Beirates für nachhaltige Entwicklung zum Indikatorenbericht 2014 „Nachhaltige Entwicklung in Deutschland“ des Statistischen Bundesamtes und Erwartungen an den Fortschrittsbericht 2016 der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie Drucksache 18/7082 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Das scheint einvernehmlich zu sein. Also können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Carsten Träger für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Carsten Träger (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Jahr geht zu Ende, und da ist es Brauch, dass man zurückblickt auf das Jahr: auf das Erreichte und vielleicht auf das Unvollkommene. Da passt es gut, dass wir heute, am letzten Plenartag des Jahres, den Indikatorenbericht zum Stand der nachhaltigen Entwicklung in Deutschland debattieren. Darin geht es um die langen Linien, die großen Trends. Wohin führt unsere Entwicklung? Wo läuft es gut? Wo besteht Handlungsbedarf? Ich ziehe eine positive Bilanz aus mehreren Gründen. Ich habe es schon an anderer Stelle erwähnt – aber man kann es gar nicht oft genug betonen –: Deutschland ist mit seiner Architektur der Nachhaltigkeit weltweit beispielgebend. Wir können stolz darauf sein, dass wir seit 2002 eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie haben, dass wir einen Rat für Nachhaltigkeit haben und dass wir einen Parlamentarischen Beirat haben. Wir können auf diese Institutionen und auf die Arbeit, die sie leisten, stolz sein. Aber wir müssen sie weiterentwickeln. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ein fester Bestandteil der Nachhaltigkeitsstrategie ist der regelmäßige Indikatorenbericht, den wir heute debattieren. Alle zwei Jahre misst das Statistische Bundesamt anhand von 21 Indikatoren den Fortschritt in den Kernbereichen Generationengerechtigkeit, Lebensqualität und sozialer Zusammenhalt. Im Bericht 2014 stehen positive Trends wie der Ausbau der erneuerbaren Energien, der Abbau der Schulden und die Erhöhung des Beschäftigungsniveaus. Dann gibt es Ziele, die sich zwar in die richtige Richtung entwickeln, gleichwohl zu langsam. Dazu zählen die Energie- und Rohstoffproduktivität, der Primärenergieverbrauch, die Gleichstellung sowie die Flächeninanspruchnahme. Hier sind weitere Anstrengungen nötig, ganz klar. Und dann gibt es negative Trends in den Bereichen Mobilität, Zukunftsinvestitionen und Artenvielfalt. Dort liegt der Indikatorenwert bei 63 Prozent des Zielwerts. Das ist der schlechteste jemals gemessene Wert. Alarmierend ist auch der Teilindikator für das Agrarland. Dieser ist auf 56 Prozent des Zielwerts gesunken. Er hat sich in den letzten zehn Jahren deutlich verschlechtert. Wir müssen die Belange des Natur- und Artenschutzes in der Landwirtschaft stärken. Wir haben eine nationale Biodiversitätsstrategie. Trotzdem wird Biodiversitätspolitik nicht als Querschnittsaufgabe verstanden. Hier haben wir Handlungsbedarf. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Mal geht es bei der Fortschreibung des Indikatorenberichts nicht nur darum, die Ziele und Indikatoren ein weiteres Mal fortzuschreiben. Denn wir haben im September dieses Jahres die 17 globalen Nachhaltigkeitsziele, die SDGs, verabschiedet. Deshalb geht es dieses Mal darum, unsere Strategie an diese 17 Ziele und die 169 Unterziele anzupassen. Denn, seien wir ehrlich, gemessen an diesen globalen Zielen sind auch wir ein Entwicklungsland. Es mag den einen oder anderen Nationalisten überraschen: Auch unsere Nachhaltigkeitsstrategie ist weit davon entfernt, perfekt zu sein. Sie muss weiterentwickelt werden. Dazu bieten die SDGs jetzt eine Chance. Wir sollten sie ergreifen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich möchte hier für einen Konsumindikator plädieren. Für mich geht es letztlich darum, dass, wie Ernst Ulrich von Weizsäcker es formuliert, die Preise die Wahrheit sagen müssen. Wenn wir ein T-Shirt für 3 Euro kaufen, sind damit die Kosten für die Faser, die Herstellung, den Transport und den Verkauf wirklich abgedeckt? Das alles für 3 Euro? Ein anderes Beispiel: Ist ein Stück billiges Fleisch wirklich so billig? Wie sähe es ohne Subventionen in der Landwirtschaft aus, oder wie sähe es mit veränderten Subventionen in der Landwirtschaft aus, die etwa den Naturschutz belohnen? Wie kann man das messen? Und wie kann man wirklich dafür sorgen, dass die Preise die Wahrheit sagen? Ich finde, das ist eine spannende Aufgabe. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, 2015 war ein gutes Jahr für die Nachhaltigkeit. Wie erwähnt, haben wir im September in New York den Weltzukunftsvertrag geschlossen, ohne den das Klimaschutzabkommen von Paris niemals zustande gekommen wäre. Genauso wie wir die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit – Wirtschaft, Ökologie und Soziales – mittlerweile gemeinsam denken, müssen wir diese beiden Verträge miteinander betrachten. Sie bedingen einander. Dass es gelungen ist, beide Verträge ins Werk zu setzen, ist ein starkes Signal der Hoffnung für unseren Planeten. Dafür danke ich allen Beteiligten, vor allem unserer Umweltministerin Barbara Hendricks und ihrem Team, das auf beiden Konferenzen Großartiges geleistet hat. (Beifall bei der SPD) Liebe Barbara Hendricks, mit diesen Verträgen ist Historisches gelungen. In Zeiten großer internationaler Krisen sind diese Verträge rechtzeitig zu Weihnachten das schönste Geschenk: die Hoffnung, dass die Welt rechtzeitig zur Besinnung kommt. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin Birgit Menz das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Birgit Menz (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ich würde mich freuen, wenn die Frage, wie wir eine nachhaltige Zukunft erreichen und gestalten wollen, häufiger den Platz im Parlament einnehmen würde, den sie verdient. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Denn Nachhaltigkeit ist im Kern ein hochpolitischer Begriff. Das sehen wir auch an den Debatten, die wir im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung führen. Dass am Ende dieser Debatten Konsensentscheidungen stehen, wie auch bei der vorliegenden Stellungnahme, ist gut so, bedeutet aber vor allem für die Opposition viele Kompromisse. Die Linke steht für eine sozial-ökologische Transformation unserer Gesellschaft. Dieses Leitbild unterscheidet sich zum Teil deutlich von dem, was in der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie abgebildet wird. Wir werden deshalb im Rahmen des Beirats darauf hinarbeiten, dass die Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele in Deutschland neue, auch politisch unbequeme Schwerpunkte setzen kann. (Beifall bei der LINKEN) Mit den Forderungen nach neuen Zielen zur Förderung nachhaltigen Konsums und zur Bekämpfung von Ungleichheiten weist die Stellungnahme hier in eine richtige Richtung. Was aber in der Nachhaltigkeitsstrategie bisher deutlich zu kurz kommt, ist die Tatsache, dass Nachhaltigkeit längst zur sozialen Frage unseres Jahrhunderts geworden ist. Wir müssen zum Beispiel folgende Fragen neu denken: Wie schaffen wir einen fairen globalen Lastenausgleich bei der Bekämpfung des Klimawandels? Was erkennen wir als Gesellschaft jenseits der klassischen Lohnarbeit als Arbeit an, und wie kann Arbeit gerecht verteilt werden? (Beifall bei der LINKEN) Wir haben im vergangenen Jahrzehnt erlebt, wie eine zunehmende soziale und wirtschaftliche Verunsicherung der Bevölkerung den Widerstand gegen die stete Ausdehnung der Verwertungslogik auf den Menschen, seine Fähigkeiten und seine Arbeit erfolgreich gebrochen hat. Wirtschaftlicher Nutzen wurde immer mehr zum Kern der Möglichkeit, Anerkennung in der Gesellschaft zu erfahren. Diesen Zusammenhang müssen wir aufbrechen. Wir werden eine nachhaltige Gesellschaft nur erreichen können, wenn wir allen eine sichere Grundlage geben, auf der sie frei und mutig neue Zukünfte denken und gestalten können. (Beifall bei der LINKEN) Deshalb brauchen wir endlich gute Arbeit und Teilhabechancen für alle, wir brauchen eine gerechte Umverteilung von Wohlstand und Ressourcen. (Beifall bei der LINKEN) Diese Umverteilung müssen wir unter der Vorgabe erreichen, dass Wachstum nicht grenzenlos ist. Wir müssen anerkennen, dass unser Wachstum oftmals zulasten anderer geht und schon jetzt seine klaren Grenzen an der ökologischen Belastbarkeit unserer Umwelt gefunden hat. Das schulden wir unseren Mitmenschen weltweit ebenso wie den nachfolgenden Generationen. Denn auf einem toten Planeten gibt es nicht nur keine Arbeit, wie die Gewerkschaft treffend mitteilt, sondern auf einem toten Planeten gibt es auch keine Zukunft. Um den Einwand „Müssen wir uns also einschränken?“ vorwegzunehmen, antworte ich: Wenn damit gemeint ist, dass wir weniger verbrauchen, weniger Müll produzieren und auf umweltschädliche und unverantwortliche Technologien wie zum Beispiel das Fracking verzichten müssen, dann lautet die Antwort: Ja. (Beifall bei der LINKEN) Wenn damit aber der Mangel an Lebensqualität gemeint ist, dann lautet die Antwort ebenso eindeutig: Nein. Denn Lebensqualität hängt nicht vom Massenkonsum ab. Umverteilen setzt Umdenken voraus. Wir müssen den strukturellen Wachstumszwang überwinden, der soziale Ungerechtigkeit verschärft und unsere Umwelt zerstört, und wir müssen Räume schaffen, in denen gemeinwohlorientiertes Wirtschaften entstehen und funktionieren kann. Das betrifft zum Beispiel die Frage, wie wir in Deutschland zentrale Wirtschaftssektoren wie Energie und Mobilität demokratisch und nachhaltig gestalten können. Das betrifft aber auch die Architektur des Handels, die Steuerpolitik, das Arbeitsrecht und den Sozialschutz, all das, was aktuell einem für Mensch und Umwelt verheerenden globalen Standortwettbewerb unterworfen ist. Hier müssen wir globale Übereinkünfte und entsprechende Strukturen anstreben; denn wir haben auch die Verantwortung dafür zu übernehmen, welche Auswirkungen unser Handeln, unsere Politik für die Chancen auf eine gerechte, ökologisch verträgliche soziale Entwicklung weltweit hat. Die überarbeitete Nachhaltigkeitsstrategie muss diese internationale Verantwortung als Aufgabe aller Politikbereiche definieren. Die drei großen Gipfel in Addis Abeba, New York und Paris haben noch einmal klargemacht, dass es ein Weiter-so nicht geben darf. Dazu haben wir uns alle bekannt. Nun gilt es, zu beweisen, dass wir es ernst meinen. (Beifall bei der LINKEN) Zum Schluss möchte ich mich bei meinen Kolleginnen und Kollegen und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die gute Zusammenarbeit im Beirat bedanken. Lassen Sie uns weiter streiten und jene Irritationen schaffen, die es uns ermöglichen, aus den bekannten Denkmustern auszubrechen, sie zu hinterfragen und Neues zu denken. Lassen Sie uns mutig sein! Danke. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Brechen Sie mal aus Ihrem ideologischen Denken aus!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Andreas Lenz ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass wir zu so prominenter Zeit heute das Thema Nachhaltigkeit hier im Hohen Haus diskutieren. Das zeigt auch, dass das Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung fundamentaler Bestandteil bundesdeutscher Politik ist. Schaut man sich den Koalitionsvertrag an, dann stößt man 69-mal auf den Begriff der Nachhaltigkeit, manchmal in einem etwas unglücklichen Zusammenhang. Aber nichtsdestotrotz zeigt das einmal mehr, wie wichtig der Begriff der Nachhaltigkeit und nachhaltige Politik für Deutschland sind. Das ist wichtig für die Bundesregierung, aber auch für das Parlament. Wir setzten hier ganz gezielte Akzente. Die nationale Nachhaltigkeitsstrategie wird durch den Indikatorenbericht begleitet. Hier wird die Zielerreichung gemessen, die einzelnen Punkte werden begutachtet. Ich will die im Indikatorenbericht genannten Punkte anhand einiger Beispiele deutlich machen und aufzeigen, in welchen Bereichen wir Verbesserungen erreichen konnten. Für mich ist das wichtigste Beispiel der ausgeglichene Haushalt, den wir mittlerweile zum dritten Mal anstreben und auch erreichen werden. Das ist deshalb nachhaltig, weil ohne die maßvolle Haushaltsführung die Bewältigung der mit der Flüchtlingskrise einhergehenden Herausforderungen nicht möglich wäre. Gleichzeitig werden die Investitionen in die Infrastruktur, insbesondere in die digitale und in die Verkehrsinfrastruktur, konsequent fortgesetzt. Das ist Nachhaltigkeit, auch im Sinne der Generationengerechtigkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Kaum woanders werden die Unschärfen des Begriffes der Nachhaltigkeit so klar wie beim Thema Energiewende. Uns ist die Entkoppelung von Energieverbrauch und Wirtschaftswachstum gelungen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die erneuerbaren Energien sind Deutschlands wichtigste Stromquelle. Der Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch lag im ersten Halbjahr 2015 erstmals bei über 30 Prozent. Dabei konnte die EEG-Umlage stabilisiert werden. Die soziale Dimension von Nachhaltigkeit gilt es eben auch zu berücksichtigen, ebenso wie die ökonomische. Im Bereich der Innovationen hat Deutschland viel erreicht. Die Ausgaben des Bundes für Bildung und Forschung haben sich seit 2005 verdoppelt, aber auch die Ausgaben für Forschung und Entwicklung sind gesamtwirtschaftlich deutlich angestiegen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Gerade die Forschung und der Transfer von Technologien, die einer nachhaltigen Entwicklung dienen, bieten wirtschaftliche Chancen. Es gibt also wesentliche Fortschritte im Bereich einer nachhaltigen Entwicklung. Deutschland ist hier nach wie vor Vorbild, aber – wir haben es gehört – Deutschland ist auch Entwicklungsland. Natürlich hindert uns niemand daran, noch besser zu werden. Es gibt auch Bereiche, in denen dies notwendig ist. Im Bereich der Mobilität erreichen wir unserer Ziele nicht. Der Endenergieverbrauch im Sektor Verkehr war 2014 rund 1,7 Prozent höher als 2005. Die Gütertransportintensität steigt weiter. Der Beirat fordert hier, umweltfreundliche Antriebstechnologien, auch die Elektromobilität, durch sinnvolle Maßnahmen stärker zu fördern. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Die Leute müssen es kaufen!) Auch beim Klimaschutz sind weitere Anstrengungen notwendig. Das Klimaschutzabkommen von Paris schafft dafür gute Voraussetzungen. Der Kohleausstieg muss gelingen. Der Beirat fordert, dass Deutschland bei der Verringerung der Pro-Kopf-Emissionen weiterhin ambitioniert vorangeht. Deutschland leistet viel im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit, der Armutsbekämpfung, der Friedenssicherung und der Demokratieförderung. Dennoch sind in diesem Bereich die selbstgesteckten Ziele finanziell noch nicht erreicht. Wir brauchen also weiterhin ein ambitioniertes Vorgehen, um die nationalen Ziele tatsächlich zu erreichen, und wir können die Ziele erreichen. Nachhaltigkeitspolitik ist mehr als Indikatoren; so wichtig diese auch sind. Insgesamt 195 Länder haben sich am 25. September dieses Jahres auf 17 übergeordnete globale Nachhaltigkeitsziele geeinigt. Das ist wirklich eine historische Einigung. Die Ziele, wie Armut und Hunger zu beenden, ein gesundes Leben zu ermöglichen, Zugang zu Bildung zu schaffen usw., bieten letztendlich auch die Grundlage dafür, Perspektiven zu schaffen und die Fluchtursachen langfristig global und effektiv zu bekämpfen. Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung muss gelingen. Es handelt sich um nicht weniger als einen Weltzukunftsvertrag, wie es unser Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung formulierte. Es ist das eine, Ziele zu verabschieden, aber das andere ist, sie auch umzusetzen. Jetzt muss auf die Umsetzung geachtet werden. Klar ist, dass die Prioritäten der einzelnen Länder unterschiedlich sind. Es geht um Common But Differentiated Responsibility, also um eine gemeinsame, aber unterschiedliche Verantwortung. Es ist erstaunlich bzw. beachtlich, was man feststellt, wenn man in Neu-Delhi, in Indien, am Flughafen landet: Ein Plakat mit den 17 Nachhaltigkeitszielen ist dort an prominenter Stelle platziert. Das spricht doch dafür, dass das Bewusstsein für eine globale Verantwortung durch diese Ziele gestärkt werden kann. Deutschland hat sich als eines von neun Ländern verpflichtet, die Ziele möglichst früh vollständig umzusetzen. Dazu muss es gelingen, die Inhalte der globalen Nachhaltigkeitsziele verständlich zu kommunizieren. Die Bundesregierung wird deshalb im Rahmen der Fortschreibung der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie zügig einen Umsetzungsplan vorlegen. Wir als Nachhaltigkeitsbeirat werden diesen Prozess konstruktiv, aber natürlich, wie es unsere Art ist, auch kritisch begleiten. Der Beirat ist sozusagen der Stachel im Fleisch der nationalen Nachhaltigkeitspolitik. Wir werden die Nationale Nachhaltigkeitsstrategie anpassen müssen, ebenso die Indikatoren, die zur Prüfung dienen. Aber auch auf europäischer Ebene ist eine Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitsstrategie notwendig. Auf dieser Ebene sind wir als Beirat in Gesprächen ebenfalls aktiv. Angesichts der globalen Herausforderungen gilt es, noch einmal die Notwendigkeit einer globalen nachhaltigen Entwicklung zu betonen. Auch wenn es schwierig ist, weil die Länder unter Nachhaltigkeit etwas Unterschiedliches verstehen, gilt: Wir haben dank der globalen Nachhaltigkeitsziele eine Chance, die wir ergreifen sollten. Achten wir also, wie Papst Franziskus es in seiner Enzyklika sagt, aufeinander und haben wir sorgsam Acht auf die Schöpfung. Das ist, wie ich finde, eine sehr schöne Definition von Nachhaltigkeit. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Valerie Wilms für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wieder ist ein Jahr vorbei. Woran merken wir das? Wir haben mal wieder das Thema Nachhaltigkeit auf der Tagesordnung des Plenums, und das zu prominenter Stunde, in der sogenannten Kernzeit. Das scheint mir fast eine vorweihnachtliche Tradition zu werden. Kollege Lenz, Kollege Träger, Kollegin Menz, vielleicht schaffen wir das nächstes Jahr ja auch wieder. Gucken wir mal. Viele sind heute gekommen, um zuzuhören. Das ist etwas Neues. Das haben wir bei Nachhaltigkeitsthemen sonst nicht unbedingt. Das Auditorium ist zwar nicht so groß, wie wenn wir über ein riesiges Streitthema debattieren, aber es sind doch eine ganze Menge Abgeordnete da. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir sollen nicht streiten! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Vor Weihnachten wollen wir doch friedlich sein!) Nachhaltigkeit ist also nicht länger ein kleines Nischenthema, um das sich eine Handvoll Leute kümmert. Nein, Nachhaltigkeit geht uns alle an, werte Kolleginnen und Kollegen. Generationengerechtigkeit, Lebensqualität, sozialer Zusammenhalt und internationale Verantwortung – wer sich von diesen Themen überhaupt nicht angesprochen fühlt, möge die Hand heben. Der Nachhaltigkeitsgedanke ist so allumfassend, dass eben jeder und jede betroffen ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Mit der Verabschiedung der 17 globalen Nachhaltigkeitsziele, der schon mehrfach angesprochenen SDGs, und dem wegweisenden Klimavertrag von Paris – Frau Hendricks, herzlichen Dank – bekommt die Nachhaltigkeitspolitik neuen Schwung. Beide Verträge bedeuten Umsetzungsanstrengungen, auch hierzulande. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Frau Hendricks, daran mangelt es noch massiv. Vielleicht sollten Sie Ihren Koalitionspartner ein bisschen einnorden, wenn ich das als Norddeutsche einmal so sagen darf. Der Zug fährt, und er fährt in die richtige Richtung. Jetzt muss man nur noch einsteigen. Deswegen möchte ich die Bundesregierung bitten, nicht nur mitzufahren und im Bordrestaurant über das gute Leben zu sinnieren – dazu später noch ein bisschen mehr –; nein, sie soll vorne Platz nehmen und den Zug mit steuern. Das wäre ihre Aufgabe. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Dazu braucht man einen Führerschein, eine Ausbildung!) Die Voraussetzungen dafür sind durchaus gut. Wir haben bereits seit 2002 – Herr Kauder, daran sollten auch Sie sich einmal zurückerinnern; Sie sind ja lange genug dabei – (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie. Wir haben eine Kanzlerin – da spreche ich jetzt auch die Union an –, die sich auch einmal als „Klimakanzlerin“ bezeichnet hat. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nicht sie! Das haben andere gemacht!) Das scheint ihr bei der nationalen Umsetzung der Klimapolitik aber leider öfter zu entfallen. Irgendwie ist das verloren gegangen. Werte Kolleginnen und Kollegen, ich mache mir große Sorgen, dass sich die Bundesregierung hier verzettelt. Die Nachhaltigkeitsstrategie soll nächstes Jahr fortgeschrieben und an die sogenannten SGDs angepasst werden. So weit, so gut. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Okay!) Die Regierung hat sich dazu ein aufwendiges Prozedere ausgedacht: Es gibt Regionalkonferenzen. Bürgerinnen und Bürger und die Zivilgesellschaft können sich vor Ort oder im Netz einbringen. Das klingt so weit gut. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Super!) Aber irgendwie kenne ich das. Das gleiche aufwendige Prozedere gibt es noch ein zweites Mal: bei der sogenannten Gut-Leben-Strategie. Hier gibt und gab es 100 Bürgerdialoge und eine aufwendige, wissenschaftlich begleitete Auswertung. An deren Ende soll stehen – ich zitiere von der Homepage der Bundesregierung –: Die gewonnenen Erkenntnisse münden in Indikatoren für Lebensqualität, an denen sich die Bundesregierung künftig orientieren wird. Ein Bericht wird über den Stand sowie die Entwicklung von Lebensqualität in Deutschland Auskunft geben. Das kommt Ihnen bekannt vor? Ja, mir auch, liebe Bundesregierung. Aufwachen und nicht weiter Geld verplempern! Das alles gibt es bereits seit 2002. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das nennt sich nämlich Nachhaltigkeitsstrategie. Die hätten Sie nur regelmäßig anwenden und aktualisieren müssen. Die Indikatoren der Nachhaltigkeitsstrategie und einen Bericht über deren Entwicklung finden Sie alle zwei Jahre in einer schönen Veröffentlichung des Statistischen Bundesamtes mit dem Titel „Nachhaltige Entwicklung in Deutschland“. Ich habe sie einmal mitgebracht; die anderen Kollegen haben sie ja noch nicht gezeigt. (Die Rednerin hält den Bericht hoch) Dies ist Anlass unserer heutigen Debatte. Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung bewertet den Bericht und die Entwicklung der Indikatoren. Er mahnt Verbesserungen an und zeigt, wo Konzepte und Veränderungen nötig sind – das alles übrigens im Konsens und in guter Zusammenarbeit mit allen Fraktionen, wofür ich mich an dieser Stelle herzlich bedanke; das klappt nämlich wirklich toll. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Auch wenn es ein mühsamer Prozess ist, schaffen wir es, sozusagen die größte Schnittmenge, die wir hier im Haus finden können, darzustellen, und das abseits allen Tagesstreits. Der Indikatorenbericht zeigt auf den ersten Blick, dass noch lange nicht alle Ziele erreicht sind; manche sind nicht einmal auf einem guten Weg. Beispiel: Güterverkehr. Er wurde von Herrn Lenz ja schon angesprochen; ich gehe damit noch ein bisschen härter um. Eine Verlagerung weg vom Lkw hin zu Schiene oder Wasserstraße hätte positive Umweltauswirkungen. Insbesondere im Hinblick auf die Klimakonferenz in Paris ist die bessere Umweltbilanz von Schiene und Wasserstraße ein wichtiger Faktor. Leider stagnieren beide Werte, bzw. sie entwickeln sich rückläufig. Die gesetzte Zielmarke ist also weit, weit entfernt. Da müssen wir ran. Liebe Kolleginnen und Kollegen, aber ich frage mich schon: Was sind die Ziele eines Berichts zum sogenannten guten Leben? Wohin führt uns ein weiteres Indikatorenset? Soll da nur die Doppelarbeit der Enquete-Kommission aus der letzten Wahlperiode fortgesetzt werden? Machen Sie hier etwa vorgezogene Wahlwerbung mit Steuermitteln? Die Gefahr der Doppelung verschiedener Indikatoren mit der Nachhaltigkeitsstrategie ist recht hoch. Was ist, wenn sich die Indikatoren gegenseitig widersprechen? Nach Planung der Bundesregierung bekommen wir im Sommer 2016 einen Bericht und einen Aktionsplan für das sogenannte gute Leben. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja!) Im Herbst 2016 kommt dann die Fortschreibung der Nachhaltigkeitsstrategie, ebenfalls mit neuen Indikatoren. Verstehen Sie mich nicht falsch: Bürgerbeteiligung ist begrüßenswert; wir Grünen stehen voll dahinter. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch das Messen politischer Ziele und deren tatsächliche Durchsetzung sind eine gute Sache. Ich frage mich aber: Warum werden mit so großem Aufwand immer wieder neue Strategien und Konzepte erarbeitet? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Warum konzentriert man sich nicht einfach einmal auf die Umsetzung bereits etablierter Konzepte? Oder muss jede neue Koalition, Herr Kauder, immer wieder das Rad neu erfinden, nur damit es etwas Neues gibt? Die Nachhaltigkeitsstrategie ist wirklich nicht neu und im Kanzleramt als zentraler Regierungsstelle definitiv verankert. Trotzdem bekommen wir im Beirat heute immer noch häufig Gesetzentwürfe, aus denen klar hervorgeht, dass die Existenz dieser Strategie nicht bis in alle Äste der Regierung vorgedrungen ist. Die Nachhaltigkeitsprüfung in den Gesetzen wird besser. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle einmal bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Ministerien bedanken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber sie ist immer noch nicht überall bekannt. Deshalb sollten wir unsere Energie auf das Vorhandene verwenden. Wir müssen die Nachhaltigkeitsstrategie ernst nehmen und mit Leben füllen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) statt immer wieder neue Strategien ins Leben zu rufen und planlos nebeneinanderzustellen. Das vernebelt und verwirrt nämlich nur. Nachhaltigkeitspolitik muss aber genau das Gegenteil erreichen: Wir müssen klarer sehen, was wir mit unserer heutigen Politik in der Zukunft anrichten. Das ist die entscheidende Frage. Deswegen lautet meine eindeutige Aufforderung: etwas weniger PR für diese Wohlfühlkoalition und etwas mehr klassisches politisches Handwerk. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In diesem Sinne sollten wir schauen, dass wir gut ins nächste Jahr kommen, und uns dann wieder hier zu diesem Thema treffen. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die SPD-Fraktion erhält nun der Kollege Lars Castellucci das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Lars Castellucci (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachhaltigkeit ist wirklich eine Überlebensfrage für die Menschheit. Es ist aber gleichzeitig eine Chance auf mehr Lebensqualität für Menschen, denen es deutlich schlechter geht als den Menschen bei uns. Und auch bei uns gibt es Menschen, denen es schlecht geht. Wirtschaftlichen Wohlstand, die Bewahrung der Schöpfung und das soziale Miteinander in Einklang zu bringen, dafür intelligente Lösungen zu finden und über Grenzen hinweg zusammenzuarbeiten: Das ist wirklich ein großes Versprechen und ein Ansporn für uns in der Politik. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich zitiere jetzt einmal etwas: Nachhaltige Entwicklung heißt, mit Visionen, mit Fantasie und Kreativität die Zukunft zu gestalten, Neues zu wagen und unbekannte Wege zu erkunden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist nicht von Greenpeace oder WWF, sondern von der Bundesregierung. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Erlauben Sie mir an dieser Stelle eine kritische Reflexion unseres Arbeitens: Wie häufig ist ein Kompromiss, den wir finden, dann doch nur ein bisschen etwas von dem einen und etwas von dem anderen und eben noch nicht die intelligentere Lösung, die wir brauchen? Gerade jetzt am Jahresende erleben wir, wie Kolleginnen und Kollegen von einem Termin zum anderen hetzen. Ich frage uns einmal: Wo ist denn der Raum für Fantasie und Kreativität im politischen Bereich? (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Na, in der Linksfraktion!) Nehmen wir einmal den Begriff der Nachhaltigkeit. Für diesen Begriff könnten wir hier wahrscheinlich sehr viele unterschiedliche Definitionen finden, aber in einem stimmen wir doch überein: Es geht um Langfristigkeit, um etwas, das auf Dauer angelegt ist. Wie sehr sind wir auch im politischen Betrieb bei dem, was wir tagtäglich tun, von der Nachrichtenlage beeinflusst? Ich glaube, wir brauchen gar nicht zu streiten, ob das Glas zurzeit halb leer oder halb voll ist, sondern wir können, wie es auch schon angeklungen ist, gemeinsam feststellen: Beim Thema Nachhaltigkeit ist noch viel Luft nach oben, auch in Deutschland. Gleichzeitig ist jetzt ein guter Zeitpunkt, über Nachhaltigkeit zu sprechen; denn gerade haben wunderbare Ereignisse wie der Gipfel in New York und der Klimagipfel in Paris stattgefunden. Das gibt uns Rückenwind. Ich will auch sagen, dass die Flüchtlinge, die zu uns kommen, uns zeigen, dass die Probleme, die es auf dieser Welt gibt, eben nicht weit weg sind, sondern auch mit uns etwas zu tun haben, und dass diese Probleme, wenn wir unserer Verantwortung nicht gerecht werden – so gut wir das als eine starke Nation und ein starkes Europa eben können –, auch zu unseren Problemen werden. Außerdem ist unsere Bevölkerung derzeit auf Mitmachen getrimmt, wie wir das nie zuvor – abgesehen von der Zeit, als das Land in Trümmern lag – erlebt haben. Diesen guten Zeitpunkt für eine Fortschreibung der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie müssen wir engagiert nutzen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Da bald Weihnachten ist, wünsche ich mir etwas: Ich wünsche mir, dass wir ehrgeizige Ziele finden, dass wir wirklich aufgreifen, was in New York verabschiedet wurde, und dass wir nicht Ziele definieren, die wir ohnehin erreichen, weil wir stark sind, sondern dass wir ehrgeizige Ziele erarbeiten, mit denen wir wirklich einen Beitrag zur Erreichung der globalen Ziele leisten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Beispiel?) Ich wünsche mir, dass wir an 1992 anknüpfen und etwas schaffen, was es damals gegeben hat, nämlich einen wirklichen gesellschaftlichen Aufbruch zu mehr Nachhaltigkeit. Ich denke an die Lokale Agenda 21. Wir brauchen so etwas wie eine Lokale Agenda 2.0, die wir jetzt ausgehend von der Diskussion über die nationale Nachhaltigkeitsstrategie starten müssen. Und wir müssen uns als Parlament – das ist auch schon angeklungen – das Thema Nachhaltigkeit stärker aneignen, als das in der Vergangenheit geschehen ist. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Aber bitte konkret!) Es ist doch so: Das Thema Nachhaltigkeit fristet eher ein Nischendasein, als dass es wirklich Leitbild und Zentrum der nationalen Politik ist. Darum lautet meine Forderung, dass wir die nationale Nachhaltigkeitsstrategie nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern dass sie einem Beschluss des Deutschen Bundestages zugeführt wird, dass wir sie hier im Parlament diskutieren und verabschieden. (Beifall bei der SPD) Wir haben aufgrund der Gipfelergebnisse Grund, optimistisch zu sein, und wir haben, wie es Karl Popper sagt, sogar die Pflicht, optimistisch zu sein. Es ist kein Optimismus im Sinne von „Es wird schon werden“, sondern ein Optimismus der Tat. Vielleicht nicht mehr vor Weihnachten, aber im nächsten Jahr wollen wir damit engagiert weitermachen. Alles Gute und vielen Dank allen, die sich für dieses Thema engagieren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Sabine Leidig ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Leidig (DIE LINKE): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mich Herrn Castellucci nur anschließen. Auch ich wünsche mir ehrgeizigere Ziele für die Veränderung unserer Produktions- und Lebensweise; denn nichts anderes steht eigentlich auf der Tagesordnung, wenn wir es wirklich schaffen wollen, nachhaltig zu leben. Nun ist es aber so – das haben einige der Vorredner und Vorrednerinnen auch schon gesagt –, dass die Relevanz dieser Nachhaltigkeitsstrategie nicht in allen Bereichen des parlamentarischen und des Regierungshandelns zu spüren ist. In manchen Feldern passiert immer wieder das Gegenteil. Das Thema „Mobilität und Verkehr“ wurde ja schon angesprochen. Ich würde gerne einen Vorschlag machen, mit dem ich ein bisschen von den großen strategischen Linien heruntergehe, auf denen es immer extreme Widersprüche gibt, über die wir uns als politische Parteien durch eine Diskussion über das Wie der Umsetzung auseinandersetzen müssen: Ich möchte Ihnen vorschlagen, wie der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung tatsächlich zum Stachel werden kann. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das wollen wir doch gar nicht!) Ich finde, das ist ein richtiger Anspruch. Das erreichen wir, indem wir uns darum kümmern, wie der Bundestag selber handelt und welche konkreten Maßnahmen in unserem eigenen Haus umgesetzt werden oder nicht. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Weniger Licht! Kerzen!) Ich will hier zwei Beispiele nennen, die ganz aktuell sind: Erstens. Unser Fahrdienst RocVin, den einige mehr, andere weniger häufig benutzen, will die 55 VW Passat, die im Mai letzten Jahres angeschafft worden sind, durch Mercedes-Fahrzeuge ersetzen. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Weil die Benziner besser zu verkaufen sind als die VW Passat! Das ist nachhaltig!) – Sie sagen, das sei nachhaltig. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Ja, weil die Wiederverwertung entscheidend ist!) RocVin sagt, diese Fahrzeuge seien imagestärker. Ich weiß nicht, ob es wirklich nachhaltig ist, und finde, darum müsste man sich kümmern. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Ist doch lächerlich! Die leben vom Verkauf!) Den zweiten Punkt finde ich noch wichtiger. Derzeit werden etwa 30 Leute eines IT-Service, die die IT von 400 Abgeordnetenbüros betreuen, entlassen. Der IT-Service wird vom Bundestag alle zwei Jahre neu ausgeschrieben. Jetzt werden diese Leute entlassen, weil ein anderes Unternehmen diesen Service billiger anbietet. Ob das sicherer, sinnvoller, nachhaltiger und sozialer ist, ist mit großen Fragezeichen zu versehen, und ich bitte darum, dass sich der Parlamentarische Beirat zum Fürsprecher einer nachhaltigen Personalpolitik im Bundestag macht. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Sorgen Sie dafür, dass mit diesem Unsinn Schluss gemacht wird; denn dadurch werden die Leute immer wieder in existenzielle Unsicherheit gestürzt und wir Abgeordnete und Mitarbeiter des Bundestages müssen uns mit immer wieder anderen Leuten ständig neu einarbeiten. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Meine Güte! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir müssen die Ergebnisse nachhaltig sichern, und das wird beschlossen!) Im Hinblick auf die soziale Nachhaltigkeit wäre das ein sehr konkreter und sehr wirksamer Schritt. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Der nächste Redner ist der Kollege Andreas Jung für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Andreas Jung (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will zu Beginn an meine Vorrednerin anknüpfen und unterstreichen, dass sich der Parlamentarische Beirat durchaus als Fürsprecher dafür versteht, dass wir als Deutscher Bundestag mit dem, was wir hier tun, Vorreiter für nachhaltige Entwicklung sind und dass das, was wir fordern, beispielsweise im Bereich der nachhaltigen Mobilität, sich als Erwartung an das eigene Haus, an den eigenen Fahrdienst richtet. (Beifall des Abg. Ulrich Freese [SPD]) Ich will in diesem Zusammenhang auch betonen, dass es – sicher nach langem Ringen und vielen Diskussionen – gelungen ist, die Grenzwerte für die Autos im Fahrdienst des Bundestages zu verschärfen und diese verschärften Grenzwerte auch einzuhalten. Der Parlamentarische Beirat fordert jetzt, dass hier verstärkt Elektroautos eingesetzt werden. Nach Gesprächen mit dem Ältestenrat vertrauen wir darauf, dass es genau so kommt. Ich möchte diesen Ort dafür nutzen, dieser Forderung noch einmal Nachdruck zu verleihen. Wenn wir Elektromobilität insgesamt voranbringen wollen, dann müssen wir selber mit diesen Autos fahren. Deshalb ist es der richtige Weg, das hier zu betonen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir sprechen heute über den Indikatorenbericht, mit dem das Vorankommen der Nachhaltigkeitsstrategie geprüft wird. Die Nachhaltigkeitsstrategie sind quasi die Zehn Gebote für eine nachhaltige Entwicklung in Deutschland, und dieser Bericht ist die unabhängige Überprüfung als Vorlage für das Beichtgespräch. Dabei stellt sich die Frage: Wo kommen wir gut voran, und wo kommen wir weniger gut voran? Ich will zunächst einmal die internationalen Entwicklungen aufgreifen, die schon angesprochen worden sind. Da kann man nun sagen, dass wir in diesem Jahr ausgesprochen gut vorangekommen sind. Wir haben gestern in der Aktuellen Stunde über den Weltklimavertrag diskutiert, der nach langem Ringen in Paris endlich verabschiedet werden konnte, ein Erfolg dieser Bundesregierung. Ich will heute verstärkt auf den Nachhaltigkeitsvertrag, den Weltzukunftsvertrag, eingehen, der auch durch den Einsatz der Bundesregierung mit den internationalen Partnern im September dieses Jahres in New York verabschiedet werden konnte und der einen Paradigmenwechsel in der internationalen Politik für Nachhaltigkeit darstellt. 13 Jahre nach dem Umweltgipfel von Rio ist es endlich gelungen, in diesem Jahr in beiden Bereichen, Entwicklung und Umwelt, Verträge zu schließen und damit einen Knopf dranzumachen. Damit wird in New York ein Wechsel vollzogen: von den Millenniumszielen – damals vertrat man noch die Denkweise: das sind Entwicklungsziele für die Entwicklungsländer; sie sollen im Prinzip so werden wie wir, dann wird alles gut – hin zu der Denkweise: Wir alle müssen uns entwickeln; denn wenn die Menschen in den Entwicklungsländern mit Ressourcen, Energie und Flächen so umgehen würden wie wir, dann bräuchten wir zwei Planeten. Wir haben aber nur einen, und den müssen wir gemeinsam bewahren. Deshalb sind diese Verträge ein Erfolg. Sie sind aber jetzt vor allem auch Auftrag. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Zu diesem Auftrag gehört unsere internationale Verantwortung. Ich will an dieser Stelle betonen: Ich finde, es ist ein großer Erfolg, dass es gelungen ist, den Etat für Entwicklungshilfe in den nächsten Jahren um 8,3 Milliarden Euro aufwachsen zu lassen. Das ist ein ganz erheblicher Fortschritt. Wir können sagen: Wenn es die Bundesregierungen vor uns genauso gemacht hätten wie diese Bundesregierung, dann müssten wir uns keine Sorgen über die Einhaltung des 0,7Prozent-Ziels – also 0,7 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungshilfe bereitzustellen – machen. Da haben wir jetzt einen wichtigen Punkt gemacht. Trotzdem müssen wir, weil das in der Vergangenheit eben nicht erfolgt ist, den Finger immer wieder in die Wunde legen und sagen: Das müssen wir erreichen. Dieses Versprechen wurde über Jahre und Jahrzehnte von unterschiedlichen Bundesregierungen gegeben. Das muss eingehalten werden. Dafür brauchen wir einen ganz konkreten Stufenplan, der auch gegenüber den Partnern in den Entwicklungsländern zeigt: Wir nehmen unsere Verantwortung wahr, und wir lösen unsere Versprechen ein. – Das gehört zur Glaubwürdigkeit dazu. Das müssen wir auch tun. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) In dem Bericht wird mit Blick auf die internationale Verantwortung darauf hingewiesen, dass unser Handel mit Entwicklungsländern stagniert. Da müssen wir vorankommen. Wir brauchen Wertschöpfung in diesen Ländern. Nur durch diese Wertschöpfung wird es dort auch Perspektiven geben. Nur dann werden die Menschen dort ihre Zukunft sehen und vor Ort bleiben. Deshalb brauchen wir Fortschritte – das betrifft das Ressort von Gerd Müller –: Wir müssen die Transparenz der Lieferketten engagiert angehen und uns dafür einsetzen, dass das, was dort produziert und hier verkauft wird, sich nicht in einer Sphäre vollzieht, in der unsere sozialen und ökologischen Standards nicht eingehalten werden. Das Beispiel der T-Shirts ist bereits angesprochen worden. Wir haben uns im Beirat mit Kakao und Schokolade aus nachhaltigem Anbau beschäftigt. Das, was wir hier konsumieren, muss nachhaltig produziert werden. Dafür tragen auch wir Verantwortung, und deshalb unterstützen wir diese Aktivitäten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Was das angeht, was in letzter Zeit nicht so gut gelaufen ist, will ich die Europäische Union ansprechen. Wir werden den Prozess einer internationalen Nachhaltigkeit nur dann prägen können, wenn wir als Europäer geschlossen auftreten. Das war bei der Konferenz in New York der Fall. Aber die Europäische Union wollte ihre eigene Nachhaltigkeitsstrategie einstampfen. Sie sollte nur noch ein Unterpunkt der Strategie Europa 2020 sein. Dazu haben wir als Beirat über alle Fraktionsgrenzen hinweg gesagt: Das kann nicht sein. Die Bundesregierung hat uns in Brüssel unterstützt. Wir haben gefordert, dass die Strategie fortgeführt wird, und nach langem Ringen und vielen Gesprächen gibt es jetzt Anzeichen, dass die EU die Nachhaltigkeitsstrategie fortführt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das ist wichtig und notwendig. Alles andere wäre auch ein Armutszeugnis gewesen. Zu dem, was wir in Deutschland machen, gibt es in dem Bericht vieles, das einen optimistisch stimmen kann. Andreas Lenz hat auf die ausgeglichenen Haushalte hingewiesen. Ich will hinzufügen: Dazu tragen auch die Quote der Jugendlichen, die eine qualifizierte Ausbildung abschließen, die hohe Beschäftigungsquote und die geringe Arbeitslosenquote bei. Das ist ein Beitrag zur Generationengerechtigkeit und zur nachhaltigen Entwicklung. Damit sind wir auf einem guten Weg, und den gilt es weiter voranzuschreiten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ich will aber zum Schluss auch ansprechen, dass wir Hausaufgaben haben. Ich will einige wenige Bereiche ansprechen. Wir haben vor allem Hausaufgaben im Bereich der Artenvielfalt. Die Zahlen sind drastisch und dramatisch: Arten verschwinden, und wenn eine Art erst einmal verschwunden ist, dann kann man das nicht mehr korrigieren; dann ist sie für immer weg. Deshalb müssen wir jetzt konsistent über alle Ressorts und Fachbereiche hinweg – Umwelt, Landwirtschaft, Forsten und Städtebau – handeln; da besteht Handlungsbedarf. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich will noch einen Bereich hinzufügen: Das gilt auch für das Vorankommen des Ökolandbaus. Da sind die Österreicher noch besser als wir, und wir sollten entsprechend aufholen. (Beifall des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es gibt also noch einiges zu tun. Wir werden das als Parlamentarischer Beirat beherzt angehen. Ich will mich zum Ende dieses Jahres bei allen Kolleginnen und Kollegen für die ausgesprochen gute und konstruktive gemeinsame Arbeit an der Sache und für die Sache bedanken. Alles Gute. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun der Kollege Bernd Westphal für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bernd Westphal (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der heutigen Debatte geht es um die anstehende Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitsstrategie. Durch die neuen globalen Nachhaltigkeitsziele haben sich die Anforderungen erhöht. Deutschland muss sichtbar seine Vorreiterrolle behalten. Wir müssen technologisch, wirtschaftlich, sozial und ökologisch stark bleiben. Ich möchte auf einige der insgesamt 21 Indikatoren eingehen. Wir brauchen ein klares Ja zur Energiewende und zur Energieeffizienz. Nur dadurch ist eine Senkung des Primärenergieverbrauchs möglich. Wir müssen die Treibhausgase in den bisher festgelegten Pfaden reduzieren. Allerdings ist auch die hohe industrielle Wertschöpfung in Deutschland zu berücksichtigen. Sie hat uns gerade in der Finanzkrise enorm geholfen. Dekarbonisierung darf nicht Deindustrialisierung bedeuten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Bei den erneuerbaren Energien brauchen wir global mehr Anstrengungen für eine umweltverträgliche Stromerzeugung. Die bisherige weltweite Entwicklung mit steigendem Energie- und Stromverbrauch und steigenden CO2-Emissionen muss durchbrochen werden. In Deutschland sind wir gerade im Strombereich auf einem guten Weg und müssen nun den Strommarkt und die volatilen erneuerbaren Energien aufeinander abstimmen. Nachholbedarf gibt es im Wärme- und Verkehrsbereich sowie in der Landwirtschaft. Anstrengungen auf Bundesebene, Landesebene und kommunaler Ebene müssen mehr verzahnt und koordiniert werden. Was die wirtschaftliche Zukunftsvorsorge angeht: Deutschland ist nach wie vor eine der bedeutendsten Industrienationen der Welt. Wohlstand und Beschäftigung hängen deshalb mehr als in anderen Ländern in hohem Maße von der industriellen Produktion ab. Auch aus der Innovationskraft der Industrie und des Mittelstands entstehen international anerkannte Qualitätsprodukte, die wir zur Lösung der globalen Probleme dringend brauchen. Sorge muss uns die stagnierende und teilweise rückläufige Nettoinvestitionsquote der letzten Jahre machen. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Völlig richtig!) Wir brauchen direkte und indirekte Impulse für die Bruttoanlageinvestitionen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) In Verbindung mit Nachhaltigkeit stehen Anreize für Energieeffizienz, aber auch für den Erhalt der öffentlichen Infrastruktur. Anreize privater Investitionen in nachhaltige Entwicklung müssen daher gefördert werden. Wir brauchen klare politische und sichere Rahmenbedingungen für ein investitions- und innovationsfreundliches Umfeld. (Beifall des Abg. Ulrich Freese [SPD]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht nicht nur um die Erreichung eines Ziels, sondern um die Verknüpfung der Ziele. Alle Ziele greifen ineinander und helfen dabei, Nachhaltigkeit in Deutschland zu schaffen. Wir brauchen eine nachhaltige Industrie-, Energie- und Klimapolitik, die industrielle Entwicklung und Innovation fördert, langfristig eine umwelt- und klimaverträgliche Energieversorgung sichert, das Klima schützt und den sozialen Fortschritt voranbringt. Es geht aber nicht um Arbeit statt Umwelt oder um Umwelt statt Arbeit, sondern um die Förderung all dessen, was eine Vereinbarkeit im Sinne der Nachhaltigkeit auf höherem Niveau ausmacht. Dazu gehören vor allen Dingen auch Arbeits- und Ausbildungsplätze. Bei dem, was wir heute tun, müssen wir die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder im Blick behalten. Das darf ihre Aussicht auf eine lebenswerte Umwelt in Wohlstand und sozialer Sicherheit nicht schmälern. Das sage ich als Vater von drei Söhnen und stolzer Großvater des kleinen Louis, der vor allen Dingen Perspektive braucht. Wir haben als Abgeordnete Verantwortung. Wir müssen für ein tragfähiges Gleichgewicht zwischen Umweltschutz, sozialer Verantwortung und wirtschaftlicher Notwendigkeit sorgen. Der notwendige Strukturwandel wird nur gelingen, wenn wir soziale, ökologische und wirtschaftliche Aspekte gleichrangig berücksichtigen. Eine nachhaltige Zukunft liegt in unserer Hand. Ein Lakota-Indianer hat einmal gesagt: „Wir haben die Erde nicht von unseren Eltern geerbt, wir haben sie von unseren Kindern geliehen.“ (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Herzlichen Dank für die interfraktionelle Zusammenarbeit im Parlamentarischen Beirat. Herzliches Glückauf! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die CDU/CSU-Fraktion ist der nächste Redner der Kollege von Marschall. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Matern von Marschall (CDU/CSU): Vielen herzlichen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt ein wenig Kritik vorab und dann ein wenig Lob hintenan. Die Kritik betrifft die Präsenz der beiden maßgeblichen Ministerien, des Umweltministeriums und des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Ich kann nicht erkennen, dass die beiden zuständigen Minister anwesend sind; (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist sehr bedauerlich!) Frau Hendricks war wohl vorhin anwesend. Was mich erfreut – das ist das Lob hintenan –, ist die Präsenz unseres Fraktionsführers. Vielen Dank, Herr Kauder! Die übrigen Fraktionsführer kann ich, soweit ich das im Moment überblicke, nicht erkennen. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Herr Bartsch war auch hier! – Caren Lay [DIE LINKE]: Herr Bartsch ist da!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege von Marschall, ich kann im Augenblick aber auch eine ganze Reihe von Kolleginnen und Kollegen nicht erkennen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das stimmt, Herr Präsident!) Matern von Marschall (CDU/CSU): Das ist angesichts der Prime Time, zu der wir über diesen Tagesordnungspunkt diskutieren, noch bedauerlicher. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Reden Sie zum Thema! Es reicht!) – Ja, jetzt kommen wir zum Thema. Welche Bedeutung das Thema für manche hat, wird symbolisiert durch ihre Präsenz. Weil der Einwurf von der Linken kam: Frau Kollegin Menz, wenn ich mich richtig erinnere, haben Sie davon gesprochen, dass es gilt, den Wachstumszwang zu überwinden. (Caren Lay [DIE LINKE]: Ja! Sehr richtig!) Aber ohne Wachstum gibt es leider keinen wirtschaftlichen Erfolg, und ohne wirtschaftlichen Erfolg können auch keine Steuereinnahmen erzielt werden. Ohne Steuereinnahmen besteht nicht die Möglichkeit, 1 Million Flüchtlingen in diesem Land zu helfen. (Caren Lay [DIE LINKE]: Umverteilen! Der Reichtum ist doch da, nur an den falschen Stellen!) Insofern ist es schon hilfreich, dass wir mit annähernd 700 Milliarden Euro Steuereinnahmen maßgeblich in Deutschland und wesentlich in Europa einen Beitrag leisten. (Beifall bei der CDU/CSU) Sie brauchen gar nicht zu schimpfen; denn uns in Deutschland ist es immerhin gelungen, die wirtschaftliche Entwicklung vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln. Im Übrigen sind wir führend beim Aufbau der Nutzung erneuerbarer Energien, und wir sind dank unserer Forschung maßgeblich verantwortlich für den Technologietransfer. Das ist ein nennenswerter Beitrag zur Nachhaltigkeit insgesamt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) In dieser Nachhaltigkeitsdebatte beziehe ich mich symbolisch auf einen Punkt, um klarzumachen, wie schwierig es ist, die Balance herzustellen, nämlich auf den Baubereich, für den wir im Umweltausschuss ebenfalls Verantwortung tragen. Zu uns kommen Hunderttausende von Menschen und brauchen, etwa in Universitätsstädten wie meiner Heimatstadt Freiburg, neuen Wohnraum. Hier müssen wir eine Balance zwischen ökologischen Ansprüchen an das Bauen, notwendiger Baugeschwindigkeit und Kosteneffizienz finden. In dieser Balance befindet sich unsere praktische Politik. Wenn wir zusätzlich eine halbe Milliarde Euro für den sozialen Wohnungsbau ausgeben, aber ohne Priorisierung von Flüchtlingen oder von Bedürftigen, die in unserem Land schon leben, dann ist auch das ein gutes Symbol dafür, wie wir Nachhaltigkeit begreifen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich würde ganz gern noch, sehr geehrter Herr Präsident, auf unser Haus und seine Arbeit zu sprechen kommen. Herr Präsident, Sie haben ja am 1. September 2015 auf der Welt-Parlamentspräsidentenkonferenz in New York eine Ansprache gehalten. Wir hatten die Freude, während des Klimagipfels in Paris mit dem Präsidenten der Interparlamentarischen Union, mit Saber Chowdhury, zusammenzutreffen, von dem wir Ihnen – das darf ich an diesem Platz vielleicht sagen – ganz herzliche Grüße übermitteln sollen. Es ist für uns von außerordentlicher Bedeutung, den interparlamentarischen Austausch voranzubringen, um festzustellen, wie in anderen Parlamenten der Erde sozusagen fachausschussübergreifend die Arbeit der Nachhaltigkeitsentwicklung vorangebracht wird oder wie sie im Moment vielleicht auch noch nicht vorangebracht wird. Insofern begreifen wir diese Möglichkeit des interparlamentarischen Austausches, auch auf solchen globalen Konferenzen, als eine Möglichkeit, anderen diesbezüglich hilfreich zur Seite zu stehen und Anregungen zu geben. Liebe Frau Dr. Wilms, ich möchte auf Ihren stets pragmatischen Ansatz zurückkommen. Sie haben vollkommen Recht: Dopplungen sind an sich nicht sinnvoll. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schön, dass Sie das zugeben!) Wir brauchen die Integration der Arbeit in die Nachhaltigkeitsstrategie wegen der Lebensqualität; darüber hinaus muss die Integration der globalen, der noch nicht vorhandenen europäischen und der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie vollzogen werden. Das gehört für uns zusammen. Ich will Ihnen aber schon noch ein bisschen Wasser in den Wein schütten. Es ist nämlich so, dass das Nachhaltigkeitsthema leider kein Privileg einer Fraktion oder Partei ist. Ich freue mich, dass am Montag und Dienstag der Bundesparteitag der CDU stattgefunden hat. In dessen Zentrum stand die umfangreiche Nachhaltigkeitsstrategie der CDU. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist schön!) Es lohnt sich, das Ganze nachzulesen, auch weil diese Strategie eine Fortsetzung der bereits begonnenen Politik ist, etwa unseres Ministers Müller, zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Textilbündnis, durch das eine durchgängige Lieferkette gewährleistet werden soll. Ich möchte zum Abschluss auf die Weihnachtstage blicken, die ja naturgemäß Tage des Abarbeitens von Wunschlisten sind. Wir können alle zusammen etwas für Nachhaltigkeit tun, indem wir – Andreas Jung hat es schon angesprochen – auf zuverlässige Label achten, auf Label, die wir noch entwickeln müssen. Da, wo bei diesen Labeln geschummelt wird, müssen wir kräftig auf die Finger klopfen. Solche Label gibt es bereits im Bereich der Schokolade und des Tees; Sie kennen das. Mit solchen Produkten lässt sich das Weihnachtsfest mit gutem Gewissen, was die Nachhaltigkeit angeht, feiern. Man kann auch darauf achten, inwieweit Produkte regional sind. Auch der Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland achtet sehr darauf – ich verweise da vor allen Dingen auf das Vorgehen von Edeka im Südwesten –, dass regionale Lebensmittel zur Verfügung gestellt werden. Wir müssen versuchen, in den nächsten Jahren durch das nationale Parlament – das ist schon wichtig bei der Verzahnung der verschiedenen Ebenen; nicht nur horizontal ist ein Austausch nötig, etwa der interparlamentarische Austausch – auf die Bildung, die ja Sache der Länder ist, einzuwirken, um den Menschen eine bessere Möglichkeit zu bieten, selber nachzufragen, selber zu lernen, was es eigentlich für sie selbst bedeutet, im Alltag konkret Nachhaltigkeit zu leben. Und daran wollen wir arbeiten. Ich wünsche Ihnen, uns allen am heutigen letzten Sitzungstag eine gute und erholsame Weihnachtszeit und freue mich auf eine wunderbare Zusammenarbeit im kommenden Jahr. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Kollegin Pflugradt ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Jeannine Pflugradt (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Wir haben schon viel über den Indikatorenbericht gehört. Ich beziehe mich heute ausschließlich auf den Indikator 14e „Anteil der Menschen mit Adipositas (Fettleibigkeit)“. Die Gesundheit der Bevölkerung ist ein wichtiges Zukunftsthema und entscheidend für die ökonomische und soziale Entwicklung. Die Mitgliedstaaten der Weltgesundheitsorganisation, WHO, der Europäischen Region haben sich deshalb auf ein gemeinsames Rahmenkonzept „Gesundheit 2020“ verständigt. Die Strategie ist insbesondere darauf ausgerichtet, gesundheitliche Ungleichheiten zu verringern. Besonders ausgeprägt ist die Bedeutung der sozioökonomischen Situation für die Verbreitung von Adipositas. Starkes Übergewicht ist ein bedeutender Risikofaktor für Fettstoffwechselstörungen, Bluthochdruck, erhöht – – (Volker Kauder [CDU/CSU]: Muss denn das jetzt vor Weihnachten sein? – Heiterkeit bei Abgeordneten im ganzen Hause) – Doch, Herr Kauder, das ist ganz wichtig vor Weihnachten. Uns stehen Tage mit sehr fettreichem Essen bevor. Von daher können Sie vielleicht noch zwei Minuten zuhören. – (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das alles ist uns bekannt, auch Herrn Kauder. Das ist ganz wunderbar. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Mir ist es leider bekannt!) Der Anteil adipöser Personen ist jedoch in den niedrigen Statusgruppen deutlich größer als in den höheren Statusgruppen. Bei Frauen wirkt sich traurigerweise der sozioökonomische Status noch stärker als bei Männern aus. Gleichzeitig nehmen jedoch Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Status Präventionsangebote seltener in Anspruch als Personen mit höherem Status. In Deutschland ist in den vergangenen Jahren eine Zunahme von ungesundem Ernährungsverhalten und Bewegungsmangel festzustellen, in deren Folge die Anzahl der übergewichtigen Menschen zunimmt. Es ist von besonderer Wichtigkeit, gegen den Anstieg ernährungsbedingter Krankheiten aktiv vorzugehen. Hierbei muss vor allem die Gruppe der Kinder und Jugendlichen in einen besonderen Fokus gerückt werden. Kitas und Schulen gelten wegen ihres universellen und vergleichsweise diskriminierungsarmen Zugangs als Schlüssel zur Verbesserung gesundheitlicher Chancengleichheit. Die Daten der KiGGS-Studie des Robert-Koch-Instituts zeigen, dass Kinder und Jugendliche mit niedrigem sozialem Status insgesamt seltener sportlich aktiv sind und seltener Vereinssport treiben und leider Gottes mehr Zeit mit der Nutzung elektronischer Medien verbringen als Gleichaltrige aus der mittleren oder hohen Statusgruppe. Hinzu kommt, dass sich Kinder und Jugendliche der niedrigen Statusgruppe ungesünder ernähren. Sie konsumieren deutlich häufiger Weißbrot, Fleisch, Wurstwaren, Fast-Food-Produkte sowie fast alle zuckerreichen Lebensmittel und Getränke. Der Anteil der übergewichtigen und adipösen Kinder und Jugendlichen ist in der niedrigen Statusgruppe ebenfalls am größten. Präventive Maßnahmen sollen in besonderem Maße sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status erreichen, da diese häufig einen schlechteren Gesundheitszustand haben. Diese Bevölkerungsgruppen nehmen, wie bereits erwähnt, die verhaltenspräventiven Maßnahmen jedoch leider am wenigsten wahr. Genau daraus ergibt sich ein Bedarf an spezifischen Angeboten und an weiterführenden Ansätzen. Dazu gehören Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und verhältnispräventive Maßnahmen, die das Ziel haben, die Lebens-, Arbeits- und Umweltbedingungen so zu entwickeln, dass sie der Gesundheit der Bevölkerung dienen. Es besteht weiterhin erheblicher Bedarf, die Bedeutung von Prävention und Gesundheitsförderung gesellschaftspolitisch zu stärken, finanziell auszubauen und neben den verhaltens- auch verhältnispräventive Maßnahmen umzusetzen sowie miteinander zu verzahnen. Darunter müssen unbedingt Initiativen, die ausgewogene Ernährung und körperliche Aktivität für alle Menschen unterstützen, in den Fokus genommen werden. Uns allen ist klar, dass natürlich in erster Linie die Eltern in der Pflicht sind, hierauf zu achten. Dennoch dürfen wir als Staat sie dabei nicht alleinlassen; denn wir haben doch ein ureigenes Interesse an der Senkung von horrend teuren Ausgaben im Gesundheitswesen, die man im Kindes- und Jugendalter bereits vermeiden kann. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]) Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche allen hier im Hause eine gesegnete und friedvolle Weihnacht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Sybille Benning für die CDU/CSUFraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Sybille Benning (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Als letzte Rednerin in dieser Debatte möchte ich, nachdem wir noch viel Optimierungspotenzial festgestellt haben, aber auch eine Menge Lob gehört haben, jetzt einfach einmal aufzeigen, was wir schon alles unternehmen, um die Nachhaltigkeitsstrategie mit Leben zu füllen. Die 17 Nachhaltigkeitsziele müssen jetzt auch lokal umgesetzt werden. Die Umsetzung dieser konkreten weltweiten Ziele erfordert es, unser Leben in Zukunft nachhaltiger zu gestalten. Jetzt befinden wir uns in einem strukturierten Dialog, um die vertikale Kohärenz bei der Umsetzung zu gewährleisten. Seit diesem Herbst geschieht das auch unter reger Teilnahme der Bevölkerung dank der Bürgerdialoge im Rahmen der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie. In dieser Rede möchte ich mich auf zwei Indikatoren des Nachhaltigkeitsberichtes konzentrieren: die Indikatoren zu Bildung und zu Innovation, also Forschung. Bildung ist der Katalysator für die Sicherung einer nachhaltigen und damit besseren Zukunft; und in der neuen Nachhaltigkeitsstrategie soll Bildung für Nachhaltigkeit mehr Gewicht erhalten. Bildung für nachhaltige Entwicklung hat das Ziel, vom Wissen zum Handeln zu kommen. Bis 2030 soll jeder Lernende zum Beispiel wissen, was ein nachhaltiger Lebensstil ist, was Menschenrechte sind und was Geschlechtergerechtigkeit bedeutet. Das alles soll ein nachhaltiges Bewusstsein fördern. Bildung für Nachhaltigkeit ist kein Randthema, sondern gehört in Kita, Schule, Berufsschule, Hochschule, Forschungsinstitute und Unternehmen; denn der Blick in die Zukunft muss mitgedacht werden – lebenslang. (Beifall bei der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Klatscht mal, ihr Faulenzer!) Es gibt bereits Initiativen, die diese Aufgaben durchführen. Im Anschluss an die UNDekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ werden wir jetzt unser nationales Konzept umsetzen. Hier freut es mich ganz besonders, dass auch die erfolgreiche Bundesinitiative zur MINT-Bildung, das „Haus der kleinen Forscher“, in dem schon die Kleinsten in Kita und Grundschule für Wissenschaft und Forschung begeistert werden, in die Vermittlung von Bildung für Nachhaltigkeit einbezogen wird. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Das ist eine gute Initiative!) Wenn wir, wie im Koalitionsvertrag festgelegt, 80 Prozent der Kindertageseinrichtungen mit dem „Haus der kleinen Forscher“ erreichen, so ist das doch wohl schon ein guter Anfang. (Beifall bei der CDU/CSU) Diese vielversprechende Verbindung von MINT-Initiativen und Bildung für nachhaltige Entwicklung begrüße ich ausdrücklich. Ich komme zur Forschung. Forschungsergebnisse unterstützen unser Verständnis von Klimawandel und unsere Fähigkeit, mit den Folgen umzugehen. Im Rahmen dieses Wandels zu einer nachhaltigen Gesellschaft müssen wir scheinbar gegenläufige Ziele in Einklang bringen: Wohlstand, Fortschritt und eine lebenswerte Zukunft. Dabei sollen gleichzeitig der Ressourcenverbrauch und der Ausstoß klimaschädlicher Stoffe gemindert werden. Das ist eine Herausforderung und Chance zugleich. Auch unser Leitantrag auf dem CDUParteitag „Nachhaltig leben – Lebensqualität bewahren“ unterstreicht das einmal mehr. Er ist lebens- und ausführenswert. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Mit den Kopernikus-Projekten wurde jetzt die größte Forschungsinitiative zur Energiewende gestartet. Neue Energiesysteme und konzepte sollen entwickelt werden, um sie im großen Maßstab anwenden zu können. Sowohl die maximale Förderdauer von zehn Jahren als auch die geplante Fördersumme von 400 Millionen Euro machen den herausragenden Stellenwert des Vorhabens deutlich. Kopernikus soll die Weichen für neue Wege in der Kooperation von Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft stellen. Kopernikus ist eine Energieforschung, die uns hilft, Nachhaltigkeit und unsere Klimaziele zu erreichen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das Anfang dieses Jahres vorgestellte Forschungsprogramm „Forschung für Nachhaltige Entwicklung“, FONA3, ist darauf ausgerichtet, Innovationen zum Umbau zu einer nachhaltigen Gesellschaft zu fördern. Unter den zentralen Elementen des neuen Programms ist neben der Green Economy und der Energiewende besonders die Zukunftsstadt das Thema, das mich als Berichterstatterin für nachhaltige Stadtentwicklung besonders beschäftigt. Die Stadt der Zukunft braucht eine nachhaltige Stadtentwicklung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nachhaltige Stadtentwicklung ist erfreulicherweise ein eigenes globales Nachhaltigkeitsziel, das SDG 11. Im Bereich nachhaltiger Urbanisierung ist die deutsche Forschung auch international führend und trägt mit einer Reihe ausgezeichneter Forschungsprogramme dazu bei, Städte und Megacitys der Zukunft lebenswert zu machen. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Das müssen wir mehr in den Fokus stellen!) – Wir müssen das mehr in den Vordergrund stellen; da hat die Kollegin völlig recht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau!) Zusammen mit den UN-Habitat-Programmen und weiteren Partnern fördert das BMBF mit dem Projekt „Rapid Planning“ die Entwicklung einer schnell umsetzbaren transsektionalen Stadtplanungsmethodik, die eine rasche Anpassung an schnellwachsende Städte erlaubt. Ich hatte die Möglichkeit, mit Architekten und Studenten in Hanoi intensiv dieses Programm zu diskutieren. Es kommt gut an, und es wird auch realisiert. Für die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie wäre es gut – das meint auch der Bericht –, Faktoren mit den Indikatoren Fläche, Innovation und nachhaltige Mobilität im Sinne einer nachhaltigen Stadtentwicklung zusammenzufassen und abzubilden. Das muss natürlich im Dialog mit den Kommunen geschehen. Als Berichterstatterin sind mir verschiedene Kommunen bekannt, die dank des FONA-Programms „Zukunftswerkstatt“ hervorragende, nachhaltige und zukunftsweisende Projekte implementiert haben. Ich nenne hier nur Freiburg und Bottrop, von Münster ganz zu schweigen. (Beifall bei der CDU/CSU) Eine ganz erfreuliche Entwicklung ist die zunehmende Wertschätzung urbaner Grünflächen in der Stadtplanung. Grün in der Stadt sorgt nicht nur für Freiräume, Orte der Begegnung, der Erholung, der Integration, sondern liefert auch einen wichtigen Beitrag zu Klimaschutz und Gesundheit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau: Grün!) Grün in der Stadt ist einfach lebensnotwendig (Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein gutes Schlusswort!) – und völlig ideologiefrei, meine Kollegen. – Davon profitieren kleine und große Städte, kleine Forscher bis hin zu großen Forschungsvorhaben nachhaltig. Meine Kollegen, ich wünsche Ihnen allen eine gute Weihnachtszeit und bedanke mich für die gute Zusammenarbeit in diesem Jahr. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/7082 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt unseren Tagesordnungspunkt 23 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Rentenniveau anheben – Für eine gute, lebensstandardsichernde Rente Drucksache 18/6878 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen, wobei sich die Fraktionen offenkundig darauf verständigt haben, dass die Fraktion Die Linke zwei Minuten zusätzlich erhalten soll, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) was ich erst durch wohlwollende Nachfragen ermittelt habe, aber hiermit ausdrücklich zustimmend zur Kenntnis nehme. Darf ich fragen, ob auch alle übrigen Kolleginnen und Kollegen mit dieser Vereinbarung einverstanden sind? – Das ist offensichtlich der Fall. Also können wir so verfahren. Dann eröffne ich die Aussprache und erteile dem Kollegen Matthias Birkwald das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beginne mit einem Zitat: ... – zum Mitschreiben –: Die Rente ist sicher. (Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt ja auch!) Das sagte der damalige Sozialminister Norbert Blüm, CDU, am 10. Oktober 1997 im Deutschen Bundestag. (Beifall bei der LINKEN – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Sozialexperte der SPD, Rudolf Dreßler, antwortete ihm – Zitat –: Wer sich auf das Wort des Bundesministers ... verlässt, hat auf Sand gebaut. Heute wissen wir: Rudolf Dreßler hatte recht. Das Rentenniveau befindet sich im freien Fall. Was heißt das? Das Rentenniveau bezeichnet das Verhältnis zwischen einer Standardrente und dem Durchschnittsgehalt der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im selben Jahr. Die für die Berechnung zugrundegelegte Standardrente entspricht der Altersrente eines Durchschnittsverdieners nach 45 Jahren. Dieses Rentenniveau – offiziell heißt es Sicherungsniveau vor Steuern – lag im Jahr 2000 bei 53 Prozent. Alle Fachleute sind sich einig: Das ist ein lebensstandardsicherndes Rentenniveau. Und das wird seit 15 Jahren systematisch ruiniert. Gerhard Schröder, SPD, Walter Riester, SPD, und Joschka Fischer, Grüne, haben unter lautem Beifall von CDU und CSU dafür gesorgt, dass das Rentenniveau Schritt für Schritt dramatisch sinkt. Rudolf Dreßler hatte sich das bestimmt anders vorgestellt, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) Heute liegt das Rentenniveau nur noch bei 47,5 Prozent. Bis zum Jahr 2030 darf es auf bis zu 43 Prozent absinken. Meine Damen und Herren, das war unverantwortlich, ist unverantwortlich und wird unverantwortlich bleiben. (Beifall bei der LINKEN) Was heißt das in Euro? Das heißt: Die Sekretärin aus Köln, die zum Beispiel am 1. Mai 2029 nach 45 Jahren Durchschnittsverdienst in Rente gehen wird, wird jeden Monat rund 245 Euro Rente weniger erhalten, weil die Rentenkaputtreformierer zwei sogenannte Dämpfungsfaktoren in die Rentenanpassungsformel eingebaut haben. Knapp 245 Euro weniger Rente im Monat – das macht rund 2 940 Euro Rente weniger im Jahr. Da Frauen ihre Rente durchschnittlich 21,4 Jahre beziehen, bedeutet das: Fast 63 000 Euro werden dieser Rentnerin durch die Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors und des Riester-Faktors im Portemonnaie fehlen. 63 000 Euro Rentenkürzung nach einem harten Berufsleben – das ist sozial ungerecht, völlig inakzeptabel und absolut daneben! (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie behaupten, die drastischen Verluste bei der gesetzlichen Rente könnten die Menschen ja mit privater Altersvorsorge oder einer Betriebsrente ausgleichen. Drei-Säulen-Modell nennen Sie das. Ich sage Ihnen: Die Riester-Rente ist tot, und die betriebliche Altersversorgung ist gefangen in der Niedrigzinsfalle. Schauen Sie doch mal bitte in Ihrem eigenen Rentenversicherungsbericht auf Seite 40 nach. Da träumen Sie nämlich von einem Gesamtversorgungsniveau aus gesetzlicher Rente und Riester-Rente von 51,1 Prozent im Jahr 2029. Das ist maßlos überschätzt, weil Sie immer noch von einer Verzinsung von 4 Prozent ausgehen. Das ist völlig utopisch. Liebe Koalition, Sie sind mit der Teilprivatisierung der Rente völlig auf dem Holzweg. Darum fordere ich Sie auf: Stoppen Sie die Talfahrt der gesetzlichen Rente! Die Linke sagt deshalb: Für eine gute und lebensstandardsichernde Rente muss das Rentenniveau angehoben werden. Auf 53 Prozent! (Beifall bei der LINKEN) Herr Kollege Weiß, Sie haben laut Handelsblatt vom 2. Dezember gesagt – Zitat –: Die Rendite der gesetzlichen Rente liege bei drei Prozent. „Da haben kapitalgedeckte Systeme eher Schwierigkeiten, eine solche Rendite darzustellen.“… (Zuruf von der CDU/CSU: Im Moment ja!) Richtig, Herr Weiß. Betriebliche und private Vorsorge sind aber meistens kapitalgedeckt. Nur: Warum gehen Sie dann weiter den falschen Weg der beitragsfreien Entgeltumwandlung? Da steht nur Betriebsrente drauf, da ist aber keine Betriebsrente drin. Im Gegenteil: Bei der Entgeltumwandlung zahlen die Versicherten Geld von ihrem Bruttoeinkommen zum Beispiel in eine Direktversicherung ein. Dadurch sinkt ihr Lohn. Und deshalb werden geringere Beiträge an die gesetzliche Rentenversicherung abgeführt. Die Folge: Wer Entgeltumwandlung macht, kürzt sich selbst die gesetzliche Rente. Und noch schlimmer: Weil die Lohnsumme aller Versicherten dadurch sinkt, wird auch die Rente von allen anderen gekürzt, sogar von denen, die selbst gar keine Entgeltumwandlung machen. Darum sage ich: Schaffen Sie die Entgeltumwandlung ab, und erhöhen Sie stattdessen das Rentenniveau! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, Riester und solch schlechte Betriebsrenten sind keine guten Alternativen zur gesetzlichen Rente. Warum kürzen Sie dann das Rentenniveau bis 2030 so dramatisch? Jahr für Jahr bleibt die gesetzliche Rente hinter den Löhnen, dem Wachstum und dem Wohlstand immer mehr zurück. Dabei sollte die Rente genau das Gegenteil leisten, nämlich den im Arbeitsleben erreichten Lebensstandard sichern und die Menschen am Wohlstand, den sie sich erarbeitet haben, auch im Alter teilhaben lassen. Und: Die Rente soll vor Armut schützen. (Beifall bei der LINKEN) Das tut sie aber nicht mehr, weil durchschnittlich Verdienende im Jahr 2030 bereits 31,5 Jahre werden arbeiten müssen, um eine Rente in Höhe der Sozialhilfe zu erhalten. Der durchschnittliche Bedarf der Grundsicherung im Alter liegt übrigens derzeit bei 785 Euro. Das ist nicht armutsfest. Deshalb lassen Sie uns die Notbremse ziehen und umkehren. Die Rente muss wieder den Löhnen folgen. (Beifall bei der LINKEN) Ich habe in der vergangenen Woche Sozialministerin Andrea Nahles gefragt, wie die beiden Kürzungsfaktoren, die Sie in die Rentenanpassungsformel hineingeschrieben haben, denn Jahr für Jahr wirken. Die Antwort der geschätzten Staatssekretärin Lösekrug-Möller war: Zwischen 2003 und 2015 blieben die Rentenerhöhungen wegen des Riester-Faktors um 4,5 Prozentpunkte hinter den Lohnerhöhungen zurück. – Noch erschreckender ist ein Blick in die Zukunft: Zwischen 2016 und 2029 werden es noch mal 7,8 Prozentpunkte sein, die die Renten hinter den Löhnen herhinken werden. Ursache: vor allem der sogenannte Nachhaltigkeitsfaktor. Heißt auf Deutsch: Die Löcher im Geldbeutel der Rentnerinnen und Rentner werden immer größer. Meine Damen und Herren, den Nachhaltigkeitsfaktor haben Sie ja mal aus Angst vor der demografischen Entwicklung eingeführt. Seien Sie doch nicht so ängstlich. Es gibt doch zurzeit auch gute Entwicklungen. Ich nenne Ihnen vier. Erstens. Wenn wir es schaffen, die vielen jungen Geflüchteten zügig in den Arbeitsmarkt zu integrieren, werden sie noch Jahrzehnte in die Rentenkasse einzahlen können. Das ist doch gut! (Beifall bei der LINKEN – Dr. Martin Rosemann [SPD]: Der erste richtige Satz!) Zweitens. Es gibt viele Frauen, die nicht mehr nur Teilzeit arbeiten wollen, sondern Vollzeit. Drittens. Seit einem Jahr gibt es endlich einen gesetzlichen Mindestlohn. Der ist zwar viel zu niedrig, aber immerhin erhöht er die Rentenansprüche, vor allem im Osten. (Katja Mast [SPD]: Und du hast nicht zugestimmt!) – Ich war einer der Ersten, der den gefordert hat. – (Katja Mast [SPD]: Du hast nicht zugestimmt!) Aber er ist zu niedrig. Er muss dringend auf 10 Euro angehoben werden. (Beifall bei der LINKEN) Das wäre auch ein wichtiger und richtiger Schritt in Richtung einer armutsfesten Rente. Und viertens werden immer mehr Kinder geboren. Also: Diese Entwicklungen müssen klug gestaltet und ausgebaut werden. Das wäre viel besser, als weiterhin das Rentenniveau in den Keller zu schicken. Darum fordert die Linke: Erstens. Der Nachhaltigkeitsfaktor und der Riester-Faktor müssen aus der Rentenanpassungsformel gestrichen werden. (Beifall bei der LINKEN) Zweitens. Es wird eine neue Rentenanpassungsformel eingesetzt. Ihr Kern: Die Rente muss wieder den Löhnen folgen, ohne Wenn und Aber. (Beifall bei der LINKEN) Drittens. Um das Rentenniveau wieder schrittweise auf lebensstandardsichernde 53 Prozent anzuheben, wird ein Rückholfaktor eingeführt. So, und jetzt fragen Sie alle: Was kostet das? (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Milliarden!) Wie soll das denn finanziert werden? Nun, die Einführung einer neuen Rentenanpassungsformel kostet nach unseren Berechnungen 30,31 Milliarden Euro. Der Beitragssatz müsste nur um je 1,18 Prozentpunkte für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sowie Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen ansteigen. Für durchschnittlich verdienende Beschäftigte wären das 34,40 Euro im Monat – für ein lebensstandardsicherndes Rentenniveau! Die Riester-Rente wäre dafür dann nicht mehr nötig. Das wäre doch wunderbar! (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, das Rentenniveau anzuheben, ist der Kern einer guten Rentenpolitik. Ein höheres Rentenniveau bedeutet höhere Renten für die heutigen Rentnerinnen und Rentner und höhere Renten für die künftigen Rentnerinnen und Rentner. Das ist Generationengerechtigkeit. (Beifall bei der LINKEN) Ein höheres Rentenniveau ist gut für Jung und Alt, es ist gut für Frauen und Männer, gut für Ossis und Wessis und für Schwerbehinderte und Nichtbehinderte. Ein höheres Rentenniveau sortiert nicht ein noch aus. Ein gutes Rentenniveau ist gut für alle. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen diese Wende in der Rentenpolitik. Die gesetzliche Rente muss den Lebensstandard wieder sichern, und niemand soll im Alter von weniger als 1 050 Euro im Monat leben müssen. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Darum werden wir auch im kommenden Jahr unseren Vorschlag für eine Solidarische Mindestrente neu in die Debatte und den Bundestag einbringen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Karl Schiewerling für die CDU/CSU-Fraktion, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) der sicher auch bestätigen wird, Herr Kollege Birkwald, dass der von Ihnen zitierte langjährige Arbeits- und Sozialminister Norbert Blüm seine rentenpolitischen Vorstellungen auch nach Ausscheiden aus dem Amt tapfer aufrechterhält. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das finde ich sehr gut! Danke für den Hinweis!) Karl Schiewerling (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Alterssicherung in Deutschland steht nach wie vor auf drei Säulen: auf der gesetzlichen Rente, auf der betrieblichen Altersvorsorge und auf der privaten Altersvorsorge. Alle drei Säulen sind abhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung: ohne gute wirtschaftliche Entwicklung keine stabile Alterssicherung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vor einer Woche hat die Deutsche Rentenversicherung Westfalen ihr 125-jähriges Jubiläum gefeiert, nicht nur in Anwesenheit des vorhin zitierten ehemaligen Arbeitsministers Norbert Blüm, sondern auch seines Nachfolgers Franz Müntefering, vor allem aber mit einem vielbeachteten Vortrag des Präsidenten des Deutschen Bundestages, der auf die Entwicklung hingewiesen hat, dass natürlich alle Altersvorsorgesysteme, auch die gesetzliche Rente, auch die betriebliche Altersvorsorge und auch die private Altersvorsorge, von der demografischen Entwicklung abhängen. Diese demografische Entwicklung dürfen wir nicht ausblenden: keine Kinder, keine Zukunft oder eine teure Zukunft – in der Phase stecken wir. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, auch wenn der Kollege Birkwald jetzt dargestellt hat, wie hell der Tag wird, nachdem so viele Menschen zuwandern, nachdem einige Kinder mehr geboren werden, als ursprünglich gedacht, nachdem sich offensichtlich die ein oder andere Entwicklung positiv am Horizont auftut, können wir doch auf Grundlage dieser Entwicklung im Augenblick keine ungedeckten Schecks ausstellen und sagen: Das wird schon alles, damit kriegen wir die rentenpolitischen Fragen geklärt. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Ja, genau!) Das ist Politik der Linken: Sie stellt Schecks aus, die nicht gedeckt sind, und man weiß nicht, wohin es geht. Das ist nicht verlässlich. Das ist nicht vernünftig geplant. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Auch beim vorliegenden Antrag wird deutlich: Die Linken sind mindestens auf einem Auge blind. Es geht ihnen ausschließlich um die Frage des Rentenniveaus. Die Deutsche Rentenversicherung hat aber verschiedene Stellschrauben. Sie ist vor allen Dingen ein solidarisches Sicherungssystem, das ohne diese vier Stellschrauben letztendlich nicht auskommt, und zwar erstens die Beiträge, zweitens das Rentenniveau, die dritte Stellschraube ist die Frage der Laufzeit von Renten und die vierte ist der Bundeszuschuss. Alle vier Aspekte müssen im Gleichgewicht bleiben und abgewogen werden, sonst ist die Rente auf Dauer gesehen nicht zu finanzieren. Meine Damen und Herren, es geht uns in der Tat im Augenblick gut: niedrige Arbeitslosigkeit, hohe Beschäftigung. Wir haben hohe Rücklagen im Bereich der Rentenversicherung. Ich glaube, dass das eine gute Voraussetzung ist, die Zukunft vernünftig zu gestalten. Allerdings sehe auch ich, dass mit den Ausgaben, die gerade durch das Rentenpaket anfallen, die Rücklage abschmilzt. Deswegen bin ich nachdrücklich dafür, dass wir die untere Grenze der Nachhaltigkeitsrücklage sukzessive von 0,2 auf mindestens 0,4 bis 0,5 durchschnittliche Montagsausgaben anheben, um genügend Liquidität für schwierige Zeiten zu haben und um nicht wieder Darlehen beim Bund aufnehmen zu müssen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das haben wir schon vor einiger Zeit beantragt! Den Antrag haben wir doch eingebracht! Das haben Sie abgelehnt!) Es geht auch um die Frage der Stabilisierung der Rente; denn die Rente ist ein Generationenvertrag. Und der Generationenvertrag kann nur erfüllt werden, wenn ihn alle Generationen akzeptieren. Das betrifft nicht nur die Generation der Rentnerinnen und Rentner, das betrifft auch die Generation derjenigen, die heute einzahlen, und die Generation, die noch gar nicht so weit ist, dass sie einzahle müsste, aber all die Lasten für die Altersvorsorge übernehmen muss, die jetzt schon aufgehäuft sind. Ich kann nicht nur von einem Rentenniveau reden, sondern ich muss auch zusehen, dass das ganze System bezahlbar bleibt. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das tut es! – Weitere Zurufe von der LINKEN) Dazu gehört auch, dass die Menschen länger fit bleiben, dass sie länger arbeiten können. Deswegen haben wir in der Koalition vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung die Flexirente vereinbart mit einem ganz starken Anteil an Rehabilitation und Prävention und mit einem ganz starken Anteil an Flexibilität, damit die Menschen länger in Arbeit bleiben können und nicht zu früh in Rente gehen. Was den Nachhaltigkeitsfaktor und den Riester-Faktor angeht, sage ich: Ja, Herr Kollege Birkwald, man kann das so machen, wie Sie das gemacht haben: Rückwärts rechnen, aufrechnen, was man in der Zeit an Rente alles nicht bekommen hat; unter dem Strich steht dann eine Summe, die einen schwindelig werden lässt. – Ich kann aber auch sagen: Der Nachhaltigkeitsfaktor und der Riester-Faktor sind im Interesse der Generationengerechtigkeit eingeführt worden, damit sich die jetzige und die zukünftige Rentnergeneration an den zukünftigen Kosten beteiligt. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie schicken Durchschnittsverdiener in die Armut!) Deswegen ist das, was damals eingeführt wurde, übrigens unter Rot-Grün, in der Sache richtig. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Deswegen gehen wir an diese Frage nicht heran. Im Übrigen ist der Riester-Faktor längst ausgelaufen. Er wirkt natürlich nach. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aha!) Den Nachhaltigkeitsfaktor werden wir nicht aushebeln können. Würden wir das tun, würden wir den Umstand nicht ernst nehmen, dass, unabhängig davon, dass im Augenblick ein paar Kinder mehr geboren werden, dann die beitragszahlenden Generationen eine wesentlich kleinere Gruppe bilden als die Generation der Rentner. Wir dürfen keine ungedeckten Schecks auf die Zukunft ausstellen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Beitragszahler, darauf kommt es an!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Lieber Kollege Schiewerling, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Petzold zu? Karl Schiewerling (CDU/CSU): Ja, eine lasse ich zu. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Schade eigentlich!) – Sie haben gar keine Frage, Herr Birkwald? – Ach so, Sie, Herr Petzold. Bitte. Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen, ausnahmsweise von einem nicht rentenpolitischen Experten. – Das Anliegen, die Bezahlbarkeit des Gesamtsystems sicherzustellen, teile ich. Ich möchte Sie gerne fragen, warum Sie gestern einem Gesetzentwurf zugestimmt haben, mit dem 40 000 gut verdienende Syndikusanwälte aus der gesetzlichen Rentenversicherung herausgenommen werden. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Nein! Die sind nicht raus! Die waren gar nicht drin!) Karl Schiewerling (CDU/CSU): Erstens. Die Syndikusanwälte waren bisher überhaupt nicht in der Rentenversicherung. Zweitens musste das aufgrund der Rechtsprechung eines Sozialgerichts neu geregelt werden. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Sozialgericht hat gesagt, sie sollen rein!) Drittens ging es darum, dem Berufsstand und den Bedingungen des Berufsstandes gerecht zu werden. Deswegen haben wir dieses Gesetz gemacht. Ich halte das in der Sache auch für vertretbar. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, wir wollen, dass die Menschen auch in Zukunft von ihren Alterseinkünften leben können, von der gesetzlichen Rente, von der betrieblichen Rente und von der privaten Altersvorsorge. Herr Kollege Birkwald, Sie haben mit Ihrer Analyse recht: Aufgrund der Situation am Kapitalmarkt, aufgrund der niedrigen Zinsen, ist die betriebliche Altersvorsorge und die private Altersvorsorge – das hat der Kollege Weiß in den Medien kundgetan – (Lachen des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) unter Druck geraten. Anfang der 2000er-Jahre hatten wir aber eine Situation, 2002, in der das genau umgekehrt war. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist aber nicht verlässlich!) Damals waren die Zinsen hoch – damals hat es sich gelohnt, Kapital anzulegen –, und die Renten waren unten. Jetzt hat sich die Situation umgekehrt. Ich kann Ihnen nur raten: Machen Sie auch in der Opposition keine kurzatmige Politik; Sie könnten eines Tages von wirtschaftlichen und finanzpolitischen Entwicklungen in Deutschland und in der Welt eingefangen werden, die Sie nicht in der Hand haben. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Schön, dass Sie uns schon in der Regierung sehen!) Meine Damen und Herren, auch wir wollen nicht, dass das Rentenniveau dauerhaft ins Bodenlose fällt. Auch wir wollen, dass es zu einem Stopp kommt. Auch wir wollen, dass die Menschen am Ende der Tage von ihrem Einkommen leben können. Wir wollen die bisherigen Regelungen der Riester-Förderung in der Tat überprüfen – ich halte das auch für notwendig –, nicht, weil sie aufgrund des niedrigen Zinsniveaus an Bedeutung verlieren, sondern aufgrund der Entwicklungen bei den Versicherern, aufgrund der Dinge, die sich dort abgespielt haben. Außerdem wollen wir die betriebliche Altersvorsorge ausweiten und stärken. Eine Arbeitsgruppe unserer Fraktion und eine Arbeitsgruppe der Koalitionsfraktionen arbeiten daran. Die umlagefinanzierte Rente ist wie keine andere Institution in Deutschland Ausdruck des Zusammenhalts der Generationen. Vielleicht ist das der letzte institutionalisierte Zusammenhalt der Generationen. Diesen Zusammenhalt wollen wir stärken. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit des Advents, ein frohes Weihnachtsfest und ein gesegnetes neues Jahr. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Markus Kurth erhält nun das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! 500 Milliarden Euro, das sind 100-mal die Kosten des unvollendeten Flughafens BER. 500 Milliarden Euro, das sind 23 Monatsausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung. 500 Milliarden Euro würde es kosten, wenn man die Vorschläge der Linken zur Anhebung des Rentenniveaus auf 53 Prozent umsetzen würde. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh, das ist aber üppig!) Um dies zu finanzieren, müsste man, auch nach den eigenen Berechnungen von Matthias Birkwald, den Beitragssatz in der gesetzlichen Rentenversicherung auf 28 Prozent anheben. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nicht heute!) Ich frage Sie wirklich: Was denken Sie sich politisch? Wo leben Sie denn? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Ich sage nicht, dass Sie falsch gerechnet haben; Sie haben es ja vorgerechnet. (Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage) – Sie wollen mir das jetzt wahrscheinlich alles noch einmal darlegen, was die 28 Prozent betrifft. Wir haben hier ja schon mehrfach gehört, dass Sie die Riester-Beiträge sozusagen umrechnen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Klassische Mathematik!) – Ja, die klassische Mathematik. – Darum möchte ich eine Zwischenfrage an dieser Stelle nicht zulassen. Das, was Herr Birkwald jetzt vorrechnen würde, kenne ich nämlich schon. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Aber Politik ist nicht die Fortsetzung der Mathematik mit anderen Mitteln. Politik ist der Kampf um gesellschaftliche Mehrheiten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Eigentlich ist das, was Sie hier vorlegen, im Vergleich zu dem, was Klaus Ernst in einem, wie ich finde, bemerkenswerten Artikel in der Frankfurter Rundschau jüngst geschrieben hat, ein Rückschritt. Herr Ernst hat nämlich geschrieben – das war das erste Mal, dass man das als klare Analyse so lesen konnte –, die Linke müsse „runter von der Zuschauertribüne“. Er schrieb auch, man müsse sich die Frage stellen, ob es sich die Linke in ihrer Biedermeierwelt noch lange so kuschelig machen kann. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Anständige Rente ist Biedermeierwelt?) Ich habe das als erste vernünftige strategische Überlegung bewertet, wie man in diesem Parlament vielleicht auch andere Mehrheiten herstellen kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aha, der Wahlkampf fängt an!) Ich habe das als Bereitschaft verstanden, endlich Verantwortung zu übernehmen – etwas, was Sie in den ganzen letzten Jahren, gerade in der Sozialpolitik, sehr oft nicht getan haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ihr Antrag macht genau das, was Herr Ernst in seinem Artikel auch gefordert hat, nicht. Er eröffnet nämlich keine strategische Perspektive. Das ist schade. Sie schaden mit diesem Antrag nicht nur sich selbst – das könnte mir ja völlig egal sein –, sondern Sie schaden auch einer vernünftigen Debatte darüber, wie man das Rentensystem weiterentwickeln kann, und Sie machen es den Regierungsfraktionen wahnsinnig leicht. Deshalb ist es ganz einfach, Ihren Antrag abzulehnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Kurth, darf der Kollege Ernst denn eine Zwischenfrage stellen, wenn er auf Rechenbeispiele verzichtet? (Heiterkeit) Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, das kann er gerne machen. Ich freue mich darauf. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber keine Zahlen! – Zuruf von der SPD: Kein Spickzettel, Herr Ernst!) Klaus Ernst (DIE LINKE): Herzlichen Dank, dass Sie die Frage zulassen. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt nimm nicht zurück, was du geschrieben hast, Klaus!) Ich glaube, sagen zu können – ohne dabei Abstriche an meinem Artikel zu machen –, dass die Rente und unser Vorschlag zur Rente mit Sicherheit nicht zu dem Teil gehören, bei dem wir Abstriche machen müssten. (Beifall bei der LINKEN) Vielmehr geht es – im Gegenteil – darum, gemeinsame linke Projekte zu finden, die im Interesse der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes eine Alternative zur gegenwärtigen Regierungspolitik sein können. Darum geht es. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber euer Rentenkonzept gehört nicht dazu!) Was die Rentenpolitik betrifft, weiß ich, dass die Grünen das Modell einer Bürgerversicherung bzw. einer Erwerbstätigenversicherung anstreben. Wir leben in einer Zeit, in der viele Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, die in Rente gehen, nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen, dass der Monat bei weitem länger ist, als der Geldbeutel gefüllt ist, und das, obwohl Deutschland eines der reichsten Länder der Welt ist. Wir wissen, dass alle privaten Rentenversicherungsmodelle, die es gegenwärtig gibt, gescheitert sind – das betrifft sowohl die Riester-Rente als auch die private Vorsorge –, weil es fast keine Zinsen mehr gibt. In einer solchen Zeit kommt es darauf an, dass wir gemeinsam – Linke, Grüne und die Sozialdemokratische Partei – diese Dinge wieder in Ordnung bringen. (Beifall bei der LINKEN) Insofern sehe ich nicht, dass ich an dem, was ich in meinem Artikel geschrieben habe, auch nur die geringsten Abstriche machen müsste. Wir sollten uns überlegen, solche Projekte hinzubekommen, damit wir eine Alternative darstellen und die Bürger sehen: Wenn wir die wählen, dann ändert sich etwas. – Was sich ändern muss, ist die Rentenpolitik. Da finde ich, dass die Vorschläge, die mein Kollege Birkwald hier eingebracht hat, und die Vorschläge meiner Fraktion genau die richtigen sind. (Beifall bei der LINKEN – Katja Mast [SPD]: Was war die Frage?) Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Ernst, ich muss meine eben gemachten, ermunternd gedachten Bemerkungen zur strategischen Überlebensfähigkeit wieder ein bisschen relativieren. Politik ist keine voluntaristische Veranstaltung. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Wenn Sie sagen, dass wir keine Abstriche machen müssen, dann müssen Sie sich, selbst wenn Sie eine absolute Mehrheit hätten, fragen, ob denn das, was Herr Birkwald hier vorgeschlagen hat, auch nur ansatzweise mit den Gewerkschaften machbar sein würde. Das würde es nämlich nicht. Ich bin sicherlich niemand, der die Lohnnebenkosten als Superargument ganz oben an die erste Stelle stellt, aber einen Beitragssatzanstieg um 10 Prozentpunkte kann man nicht ignorieren. Das wird natürlich Folgen für die Ökonomie haben. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nicht in einem Jahr und auf einen Rutsch! Das ist doch Unsinn! Ganz langsam!) Wir können auch die gesetzliche Rentenversicherung nicht allein betrachten; denn auch die gesetzliche Krankenversicherung steht angesichts des demografischen Wandels vor Kostensteigerungen. Wenn man sich überlegen will, wie man Politik macht, muss man gerade bei einer langfristig angelegten Sozialversicherung sehen, dass das Ganze pfadabhängig ist. Die jetzige Situation mit dem Drei-Säulen-Modell ist nicht vom Himmel gefallen, sondern ein längerer Entwicklungsprozess. Genauso wird man in einem längeren Entwicklungsprozess Defizite dieser drei Säulen analysieren und schauen müssen, wie man jeweils innerhalb der drei Säulen damit klarkommt; das führe ich gleich noch aus. Sicherlich wird man sagen, dass die gesetzliche Rente sozusagen als Basis und Voraussetzung für die private Vorsorge gestärkt werden muss. Ich erwarte aber ein planvolles Vorgehen (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was heißt das denn konkret? Was heißt das, „die gesetzliche Rente stärken“?) und nicht einfach das Aufstellen eines Wunschkatalogs und die Aussage: So muss das aber sein. – Das ist genau die kuschelige Oppositionswelt, aus der Sie sich doch angeblich verabschieden wollten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ich finde, man kann es den Regierungsfraktionen angesichts dessen, was im Feststellungsteil analysiert wird, nicht leicht machen; denn das absinkende Rentenniveau wird aktuell leider nicht durch die Riester-Rente kompensiert. Wie eine meiner Kleinen Anfragen an das Finanzministerium ergeben hat, sind es nur 6,4 Millionen von 35 Millionen Versicherungsberechtigten, die den Riester-Vertrag wirklich voll besparen. Das heißt also: Der ganze Niveauausgleich findet so gar nicht statt. Wir haben gleichzeitig eine hohe Selektivität bei Riester; denn die Geringverdiener schließen das eben nicht ab. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sag ich doch!) Diese hohe Selektivität bzw. diese Unwucht haben wir gleichzeitig bei der zweiten Säule, der Betriebsrente. Auch da sehen wir: Der Verbreitungsgrad ist noch zu gering. Er konzentriert sich auf die Großunternehmen und auf eher besserverdienende Personen. Hier ist eben für einen großen Teil der Bevölkerung die zweite Säule auch nicht tragfähig. Das bedeutet, dass wir bei jeder Säule schauen müssen, wie wir an der Stelle weiter vorankommen. Da sehe ich bei der Großen Koalition aber großes Schweigen im Walde. Sie haben verschiedene, im Diffusen bleibende Vorschläge; manche Sachen liegen in den Schubladen des Bundesministeriums. Im Grunde genommen befinden Sie sich aber in einer Blockadesituation, und zwar wegen des Rentenpakets, das Sie gleich, nachdem Sie die Regierung übernommen haben, verabschiedet haben. Seitdem trauen Sie sich doch gegenseitig nicht mehr über den Weg, blockieren sich und schieben notwendige Entwicklungen auf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie kommen auch in anderen Bereichen nicht voran. Selbst bei an sich eigentlich harmlosen Geschichten wie der Arbeitsstättenverordnung wird alles gleich aufgeblasen, Unternehmerlager und Wirtschaftsflügel der CDU regen sich auf, und deswegen unterbleiben notwendige Weiterentwicklungen oder fallen, wie bei Ihren Vorschlägen zur Flexirente, minimal aus. Ob da ein Gesetz kommt – wir warten ohnehin schon lange darauf. Das Glück, das Sie haben, ist, dass die wirtschaftliche Lage günstig ist. Der Problemdruck wird aber nicht geringer. Es steht zu befürchten, dass wir spätestens ab Mitte der 2020er-Jahre sowohl von der Beitragsseite als auch von der Seite der Altersarmut unter Druck geraten, wenn wir an dieser Stelle nichts machen. Warum stellen Sie sich zum Beispiel in Bezug auf die Betriebsrente nicht die Frage, ob Sie es machen sollten wie in Großbritannien? Dort gibt es ein Opt-out-Modell. Arbeitgeber müssen eine Betriebsrente anbieten, und die Beschäftigten können dann sagen, ob sie sie wollen oder nicht. In Großbritannien ist die Verbreitung der Betriebsrente dadurch gestiegen, und sie befindet sich auf dem Vormarsch. Warum kann man sich das nicht einmal überlegen? Warum reagieren Sie nicht auf diese Mängel, die ich gerade in Bezug auf die Riester-Rente genannt habe? Wir diskutieren im Moment in der Fraktion darüber – ich hoffe, dass wir bald zum Abschluss kommen –, dass man die Förderung bei Riester umstellen kann, und zwar weiter in Richtung der Geringverdienenden, damit dort die Verbreitung steigt. Wir brauchen gleichzeitig mehr Transparenz bei den Produkten. Diese ist unbefriedigend. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) All die Reparaturen bei der zweiten und dritten Säule werden trotzdem nicht dazu führen, dass alles ausgeglichen wird, was mit dem gesetzlichen Rentenniveau zusammenhängt. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aha!) Darum gebe ich zu: Wir müssen das Niveau der gesetzlichen Rente nach oben hin stabilisieren. Das muss tatsächlich so sein; denn die Voraussetzungen für die kapitalgedeckte Absicherung – auch die Betriebsrente ist überwiegend kapitalgedeckt – werden in Zukunft nicht besser. Wir haben, weil wir eine sehr reife Volkswirtschaft sind, ein tendenziell sinkendes Zinsniveau. Wir werden nicht auf 4 Prozent Kapitalmarktzinsen bei entsprechend risikoarmen Anlagen kommen. Darauf muss man reagieren. Im Unterschied zu 2000, der Jahrtausendwende, ist es so, dass wir seitdem eine Finanzmarkt- und Euro-Krise hatten und die gesetzliche Rente die Überlegenheit des Umlagesystems unter Beweis gestellt hat. Nicht einmal die Versicherungswirtschaft stellt in Abrede, dass die umlagefinanzierte gesetzliche Rente Voraussetzung für private Vorsorge ist. Nur wenn wir eine armutsfeste und stabile gesetzliche Rente haben, haben Leute auch Anreize, privat vorzusorgen oder Betriebsrenten in Anspruch zu nehmen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Haben sie in Zukunft nicht mehr!) Das heißt, wir sind in dieser Hinsicht ein Stück weiter als vor 15 Jahren, auch gesellschaftlich. Selbst Herr Schiewerling hat gewisse Nachdenklichkeit signalisiert. So sollte man dann das Ruder langsam umsteuern und sich in eine andere Richtung bewegen. Das macht die Regierung im Moment leider nicht. Aber nur voluntaristische Das-will-ich-so-Sprüche und eine Mindestrente von 1 050 Euro zu fordern, sind keine realistische und keine strategische Perspektive. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da war nichts Konkretes dabei!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Martin Rosemann ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dr. Martin Rosemann (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Markus Kurth, herzlichen Dank dafür, dass Sie alles gesagt haben, was zum Antrag der Linken zu sagen ist. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deswegen kann ich mich wieder der Realität zuwenden. Zunächst einmal zur aktuellen Lage. Diese ist in der Rentenversicherung ausgesprochen gut. Die Nachhaltigkeitsrücklage liegt bei rund 35 Milliarden Euro. Wir mussten in dieser Legislaturperiode sogar schon die Beitragssätze senken. Diese Situation ist deutlich besser, als es noch vor einigen Jahren prognostiziert worden ist. Matthias Birkwald, das zeigt, dass der Nachhaltigkeitsfaktor auf die Situation am Arbeitsmarkt reagiert; denn das, was wir erleben, hat mit der sehr guten Lage auf dem Arbeitsmarkt, mit der höchsten Erwerbstätigkeit, der höchsten Zahl an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und der geringsten Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung zu tun. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Weil das so ist, dürfen die Leute keine anständige Rente kriegen? Das ist unlogisch!) Das wiederum hat etwas mit den Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt vor rund zehn Jahren zu tun. Es hat etwas zu tun mit den richtigen Weichenstellungen der Politik in der Finanzmarktkrise. Und es hat erst recht etwas damit zu tun, dass wir verantwortungsvolle Unternehmer und engagierte Beschäftigte in Deutschland haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, ich will aber auch noch an die ersten Leistungsverbesserungen in der Rente seit Jahren, die Aufwertung der Kindererziehungszeiten vor 1992, den früheren Rentenzugang für besonders langjährig Versicherte und Verbesserungen bei den Erwerbsminderungsrenten erinnern. Das hat diese Bundesregierung gemacht. Das hat die Bundesministerin Andrea Nahles gemacht. Und das hat diese SPD gemacht, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ganz allein wart ihr nicht!) Wir sind damit sicherlich noch nicht am Ende; denn die Herausforderungen durch den demografischen Wandel, durch zunehmende Altersarmut liegen auf dem Tisch. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: „Koalition“ ist heute ein Fremdwort!) – Ja, die Koalition hat es gemeinsam gemacht. (Beifall bei der CDU/CSU – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Danke!) Es ist ja Weihnachten. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das hängt auch ein bisschen mit Mehrheiten zusammen!) – Wenn ihr euch durch diese Bundesregierung nicht angesprochen fühlt, dann ist das nicht mein Problem. (Lachen bei der CDU/CSU) Die Herausforderungen durch den demografischen Wandel und durch zunehmende Altersarmut infolge von brüchigen Erwerbsbiografien liegen also auf dem Tisch. Wir haben mit den Verbesserungen bei den Erwerbsminderungsrenten schon einen wichtigen Schritt zur Bekämpfung von Altersarmut gemacht. Aber natürlich brauchen wir weitere Antworten, gerade dann, wenn Menschen mit brüchigen Erwerbsbiografien, mit geringen Löhnen, mit langen Phasen der Arbeitslosigkeit in Zukunft in Rente gehen. Deswegen werden wir als Koalition geringe Anwartschaften im Rahmen der solidarischen Lebensleistungsrente noch in dieser Legislaturperiode aufwerten. (Beifall bei der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da bin ich mal gespannt!) Wenn wir im Durchschnitt älter werden, dann müssen wir im Durchschnitt auch länger arbeiten. Dann müssen wir aber auch dafür sorgen, dass die Menschen das schaffen. Wenn wir auf die Arbeitsmarktstatistiken schauen, dann sehen wir, dass wir dabei schon ein großes Stück vorangekommen sind. Mit der Einigung in der Koalition über flexible Übergänge verbessern wir die Bedingungen weiter. (Beifall der Abg. Katja Mast [SPD]) Durch eine attraktivere und flexiblere Teilrente und die frühere Möglichkeit, Abschläge abzukaufen, machen wir einen flexiblen Ausstieg attraktiver. Durch die Stärkung von Prävention und Reha verbessern wir die Chancen, dass die Menschen bei guter Gesundheit möglichst lange im Erwerbsleben bleiben können. Durch die Möglichkeit, eigene Rentenanwartschaften auch während des Rentenbezugs zu erwerben, machen wir das Weiterarbeiten auch nach dem Renteneintritt attraktiver. Klar ist und klar muss sein: Die gesetzliche Rente ist und bleibt die zentrale Säule der Altersversorgung in Deutschland. Deswegen müssen wir sie auch stabilisieren. (Beifall bei der SPD) Klar ist aber auch, dass der demografische Wandel nur bewältigbar ist, wenn wir die Lasten gerecht zwischen den Generationen verteilen und Alterssicherung auf mehreren Säulen basiert. Klar ist schließlich auch, dass es so, wie man es sich einmal vorgestellt hat, nicht gut genug funktioniert. Deswegen sehen auch wir da Reformbedarf. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Immerhin!) Reformbedarf sehe ich vor allem in zwei Bereichen. Ich glaube, wir müssen auch bei kapitalgedeckten Systemen weg von individuellen Lösungen. Wir müssen hin zu mehr kollektiven Lösungen und zu mehr Verbindlichkeit. Das heißt, dass betriebliche Altersversorgung auch in Deutschland sozialpartnerschaftlich organisiert wird. Das erhöht die Verbindlichkeit, und wir erreichen mehr Beschäftigte. Das reduziert Vertriebs- und Verwaltungskosten und ermöglicht optimalere Anlagestrategien. Den zweiten Reformbedarf sehe ich bei der Förderung. Ich glaube, wenn wir über stärkere kollektive Systeme die zweite Säule, die betriebliche Altersversorgung, stärken, dann müssen wir in der zweiten Säule auch Geringverdienerinnen und Geringverdiener besser fördern, damit nicht nur gut verdienende Facharbeiter aus der zweiten Säule, der betrieblichen Altersversorgung, profitieren. (Beifall bei der SPD) Insgesamt heißt das, dass wir einen Paradigmenwechsel bei der betrieblichen Altersversorgung vornehmen müssen und die betriebliche Altersversorgung von einem Instrument der betrieblichen Personalpolitik zu einem Instrument der Sozialpolitik für alle Beschäftigten in Deutschland weiterentwickeln müssen. Aber klar ist: Nicht alle Probleme sind alleine in der Rentenpolitik zu lösen. Denn natürlich gibt es einen Zusammenhang: gute Arbeit, gute Löhne, gute Rente. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sag doch mal was zu Riester!) Deshalb haben wir den Mindestlohn eingeführt. Deshalb stärken wir die Tarifbindung. Deshalb arbeiten wir für den Grundsatz: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit für Frauen und Männer genauso wie in der Leiharbeit. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Aber nicht für Leiharbeiter!) Deshalb setzen wir uns für die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein. Deshalb geht es auch um bessere Bildung von Anfang an. An all dem arbeiten wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten hier im Bund gemeinsam mit unserem Koalitionspartner, aber auch in der Verantwortung in den Ländern. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen ein frohes Weihnachtsfest. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun Peter Weiß für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn man das System der Rentenversicherung richtig in den Blick nehmen will, dann muss man auch ein bisschen zurückgucken. Die gesetzliche Rentenversicherung ist eine tolle Erfindung gewesen, aber sie hat über Jahrzehnte hinweg nie zu finanziellen Leistungen geführt, die wirklich den Lebensstandard der älteren Generation gesichert haben; sie war nur ein Beitrag. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist Geschichtsklitterung!) 1957 ist es mit der Einführung der dynamischen Rente zum ersten Mal gelungen, die Rentenversicherung so umzubauen, dass sie Leistungen erbringt, durch die wirklich der Lebensstandard im Alter gesichert werden kann. Der Zeitpunkt der Einführung der dynamischen Rente ist das entscheidende Geburtsdatum. Das war deswegen möglich, weil wir nach dem Zweiten Weltkrieg ein Wirtschaftswunder erlebt haben und weil in Deutschland Jahr für Jahr mehr Kinder geboren wurden, wodurch die Zahl der Beschäftigten in Deutschland angestiegen ist. Das war damals möglich mit dem Höhepunkt 1964, als die meisten Kinder in Deutschland geboren wurden, nämlich 1,35 Millionen, und das hat natürlich auch dazu geführt, dass das Rentenniveau steigen konnte, weil eine große Zahl von Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern einer damals vergleichsweise geringen Zahl von Rentnerinnen und Rentnern gegenüberstand. Seither hat sich die Welt aber geändert: 1960 haben die Menschen, die in Rente gingen, im Durchschnitt 10 Jahre lang Rente beziehen können, bis sie verstorben sind. Heute beträgt die durchschnittliche Rentenbezugsdauer 20 Jahre. Man profitiert also doppelt so lang von seinem Anspruch auf eine gesetzliche Rente. Daneben hat sich seitdem die Zahl der Kinder verringert. Seit 1964 nimmt die Zahl der Kinder, die jährlich geboren werden, Jahr für Jahr ab. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt nimmt sie wieder zu!) Deswegen hat sich auch das Verhältnis zwischen der Zahl der Menschen, die eine Rente beziehen, und der Zahl derjenigen, die aufgrund ihrer Arbeit Beiträge in das Rentenversicherungssystem zahlen, verändert. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was ist mit der Produktivität?) Wir haben ein umlagefinanziertes Rentenversicherungssystem. Das, was heute eingezahlt wird, wird morgen für die Rentnerinnen und Rentner ausgegeben. 1960 kamen auf einen Rentner noch drei Erwerbstätige. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein, das ist falsch! 1960 kamen da 5,8, im Jahr 2010 waren es 3,1, Herr Weiß! Sorry, da kenne ich mich aus! – Heiterkeit) Herr Birkwald, egal welche Zahl Sie nehmen, der Punkt ist der: Die Zahl derjenigen, die mit ihren Beiträgen das finanzieren müssen, was die Rentnerinnen und Rentner an Rente bekommen, nimmt kontinuierlich ab und wird auch in den kommenden Jahren kontinuierlich abnehmen. Einerseits wird die Rentenbezugsdauer länger – es ist ja schön, dass wir alle länger leben können und dürfen –, andererseits nimmt die Zahl derjenigen ab, die diese Rente für die große Zahl von Rentnerinnen und Rentnern aktuell finanzieren. Diese beiden Entwicklungen müssen in einem Rentenversicherungssystem, das auf Generationengerechtigkeit und dem Generationenvertrag fußt, Konsequenzen haben, und eine Konsequenz kann nur sein, dass die Belastungen und Entlastungen zwischen den Generationen gerecht verteilt werden. Das ist die Philosophie unserer Rentenpolitik: Generationengerechtigkeit. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist Volksschule Sauerland! Da haben Sie die Produktivität nämlich nicht berechnet!) Was die Grünen vorschlagen, bedeutet nichts anderes, um es mit einem Satz zu sagen, als den Ausstieg aus der Generationengerechtigkeit und eine Entsolidarisierung unserer Gesellschaft. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die Linke, Herr Weiß! – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Die Linken haben den Antrag gestellt!) – Was die Linke vorschlägt, ist Entsolidarisierung. So ist es richtig, danke. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben noch etwas gemacht, was ebenfalls zur Generationengerechtigkeit beiträgt, hier bisher aber nicht erwähnt worden ist: Die gesetzliche Rente wird längst nicht mehr nur aus Beiträgen finanziert, sondern wir haben durch einen ständig steigenden Zuschuss aus dem Bundeshaushalt, aus dem Steueraufkommen, alle Einkunftsarten und damit alle Mitbürgerinnen und Mitbürger an der Finanzierung der gesetzlichen Rente beteiligt. Mit dem kürzlich verabschiedeten Bundeshaushalt 2016 steigen diese Beiträge des Bundes zur Rentenversicherung auf insgesamt 86,2 Milliarden Euro an. Wir finanzieren also die solidarisch finanzierte Rente zusätzlich aus Steuermitteln. Das ist der größte Ausgabenblock in unserem Bundeshaushalt. (Zuruf von der CDU/CSU: Und wehe, der fällt weg!) Um die Vergleichsziffer zu nennen: Die Gesamtausgaben werden sich, so der Haushaltsplan der Deutschen Rentenversicherung, im kommenden Jahr auf 283,3 Milliarden Euro belaufen, davon stammen eben 86,2 Milliarden Euro aus Steuermitteln. Das heißt, wir haben die Solidarität in der Rentenversicherung zusätzlich gestärkt. Nun ist es richtig: Wenn man im Alter auskömmlich leben will, wird alleine das, was man aus der gesetzlichen Rentenversicherung bekommt, nicht ausreichen. Deswegen ist es übrigens auch schon in der Vergangenheit richtig gewesen – das hat auch ein Großteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland gemacht –, sich fürs Alter etwas anzusparen. Für viele in Deutschland gilt: Ich schaue, dass ich zu Wohneigentum komme. Auch das ist ein Stück Alterssicherung. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die Hälfte schafft das, die andere nicht! – Gegenruf der Abg. Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Immerhin!) Wir haben Instrumente entwickelt, um die betriebliche Altersversorgung und die private kapitalgedeckte Altersversorgung attraktiver zu machen, nicht deshalb, weil in dem einen oder anderen System die Rendite höher ist – Sie haben mich dazu aus dem Handelsblatt zitiert –, sondern weil es sinnvoll ist, neben einer umlagefinanzierten Altersvorsorge, die darauf aufgebaut ist, dass die nächste Generation finanziell für einen einsteht, auch ein Element einer Altersvorsorge zu haben, das man selber angespart hat – mit staatlicher Unterstützung und mit Unterstützung des Arbeitgebers. Das ist der Sinn eines Alterssicherungssystems, das damit eben nicht auf einem, sondern auf zwei Beinen steht. Diese Lebensweisheit gilt immer: Es ist besser, auf zwei Beinen zu stehen als nur auf einem. Das ist die Philosophie unseres Rentensystems. (Beifall bei der CDU/CSU) Nun ist mittlerweile der einzige Faktor, der diesen Ausgleich zwischen Alt und Jung, also zwischen den Generationen, schafft, der sogenannte Nachhaltigkeitsfaktor. Dieser Nachhaltigkeitsfaktor muss aber nicht zwingend, wie von den Linken dargestellt, zu einem sinkenden Rentenniveau führen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Von „zwingend“ habe ich nicht gesprochen!) Im Jahr 2015 zum Beispiel hat der Nachhaltigkeitsfaktor bei der Rentenanpassung zum 1. Juli positiv gewirkt. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ich habe nicht das Gegenteil behauptet!) Das heißt, er hat zu einer höheren Rentenanpassung geführt, weil aufgrund der hervorragenden wirtschaftlichen Lage in unserem Land die Zahl derjenigen, die arbeiten und Sozialversicherungsbeiträge zahlen, so deutlich stärker gestiegen ist als die Zahl derjenigen, die in Rente gegangen sind. Es ist doch offenkundig, dass die Frage, wie sich das Rentenniveau in Zukunft entwickelt, zuallererst und eigentlich ausschließlich mit der Frage zusammenhängt: Wie entwickelt sich die Wirtschaft in unserem Land, und wie viele sozialversicherungspflichtig Beschäftigte gibt es, die Beiträge zahlen? Wenn deren Zahl nach oben geht, dann bedeutet das: Der Nachhaltigkeitsfaktor wirkt positiv. Wenn deren Zahl nach unten geht, wirkt er negativ. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat den Nachhaltigkeitsfaktor erfunden?) Verehrte Damen und Herren, die beste Rentenpolitik, die beste Politik, um auch für die Zukunft gute Renten zu sichern, ist gute Beschäftigung und gutes Wirtschaftswachstum. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Weiß, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Birkwald? Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Bitte schön. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gnade! – Heiterkeit) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Weiß, dass Sie die Frage zulassen. Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie müssen keine Angst haben: Wir machen das Seminar im Ausschuss. (Heiterkeit) Der Kollege Weiß hat eben erklärt, die Linke habe behauptet, der Nachhaltigkeitsfaktor wirke immer und jederzeit dämpfend. – Dazu stelle ich fest: Das hat die Linke natürlich nicht getan. Wir sind ja nicht doof. (Beifall bei der LINKEN) Wir wissen, dass der Nachhaltigkeitsfaktor in manchen Jahren positiv wirkt. Herr Kollege Weiß, ich habe vorhin schon darauf hingewiesen: Ich habe das Ministerium gefragt, wie sich die Faktoren auswirken. Auf dem mir vorliegenden Papier ist zu sehen, dass der Nachhaltigkeitsfaktor von 2003 bis 2015 nur mit minus 0,18 Prozentpunkten gewirkt hat. Das war in der Tat sehr harmlos. Aber das Ministerium hat mir freundlicherweise auch mitgeteilt, dass diese Entwicklung in Zukunft eben ganz anders aussehen wird. Für den Zeitraum von 2016 bis 2029 steht hier ein Minus von 4,38 Prozentpunkten. Ich frage Sie: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass der Nachhaltigkeitsfaktor in den nächsten 14 Jahren dafür sorgen wird, dass massenhaft Rentnerinnen und Rentner deutlich weniger Rente erhalten werden? (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kommt darauf an!) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Herr Kollege Birkwald, in Ihrer Rede vorhin haben Sie gesagt, es gebe auch aus Ihrer Sicht positive Entwicklungen. Zum Beispiel würden Sie davon ausgehen, dass die Flüchtlinge, die derzeit zu uns ins Land kommen, alle einmal Rentenbeitragszahlerinnen und beitragszahler würden. Das haben Sie vorgetragen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wenn wir das schaffen! – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Wir müssen dafür arbeiten!) Das ist richtig. Das ist genau die Wirkung, die ich beschrieben habe. Wenn die Zahl der Menschen, die bei uns in Deutschland Arbeit haben und Beiträge zahlen, in Relation zu der Zahl der Rentnerinnen und Rentner nicht sinkt, sondern steigt, dann ist die Berechnung des Ministeriums nicht mehr richtig; dann korrigiert sie sich ins Gegenteil. Das habe ich vorgetragen. Das beweist nur, dass eines richtig ist: Der Nachhaltigkeitsfaktor und auch der früher von der CDU und Norbert Blüm vorgeschlagene demografische Faktor haben einen Ausgleich geschaffen zwischen der Generation, die arbeitet und Beiträge zahlt, und der Generation, die im Ruhestand ist und Rente bezieht. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Nicht der demografische Faktor! Der Nachhaltigkeitsfaktor!) Wenn wir dafür sorgen, wie wir es zurzeit in der glücklichen Situation in Deutschland machen, dass sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zunimmt, dann wirkt der Nachhaltigkeitsfaktor positiv. Das ist das, was ich sagen wollte. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Okay!) Verehrte Kolleginnen und Kollegen und auch alle Bürgerinnen und Bürger, die fragen, wie es weitergeht: Entscheidend sind die wirtschaftliche Entwicklung, die Lohnentwicklung und die Frage, wie viele Beschäftigte wir haben. Aber bei unserer demografischen Entwicklung gibt es nur eine Lösung: Belastungen und Entlastungen müssen generationengerecht aufgeteilt werden, statt eine Generation einseitig zu bevorzugen oder einseitig zu belasten. Wir haben als Große Koalition, die aus einer sehr starken CDU/CSU-Bundestagsfraktion und einer etwas kleineren SPD-Bundestagsfraktion besteht – um Ihnen die Dimensionen zu erklären –, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das Leben ist hart!) die gute Lage, die wir in Deutschland wirtschaftlich und in der Rentenversicherung haben – der Kollege Rosemann hat in seiner Rede zu Recht darauf hingewiesen –, dazu genutzt, erstmals seit 25 Jahren keine Leistungseinschränkungen, sondern Leistungsverbesserungen in das Rentenrecht einzuführen. Ich finde das bemerkenswert. Ja, eine gute wirtschaftliche Lage kann man auch dazu nutzen, etwas Gutes für unsere Rentnerinnen und Rentner zu tun, und das haben wir gemacht. (Beifall bei der CDU/CSU) Uns als Union war besonders wichtig, dass wir etwas für diejenigen tun – das sind vor allem Frauen –, die wegen der Kindererziehung früher meist aus dem Erwerbsleben ausgestiegen sind. Sie bekommen mit der Mütterrente eine stärkere Anerkennung. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer bezahlt das? Warum nicht mit Steuern?) Genauso wichtig war es uns, etwas für diejenigen zu tun, die wegen Krankheit oder eines Unfalls vorzeitig aus dem Erwerbsleben austeigen müssen und Erwerbsminderungsrente beziehen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war viel zu wenig!) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, diese gute Entwicklung der Rentenversicherung führt auch dazu, dass wieder Rentenerhöhungen für die aktuellen Rentnerinnen und Rentner möglich sind, die deutlich über der Inflationsrate liegen. Wir stehen jetzt am Jahresende 2015 und blicken dem Weihnachtsfest und dem Jahreswechsel entgegen. Die gute Nachricht für die Rentnerinnen und Rentner für das kommende Jahr ist, dass voraussichtlich die Rentenanpassung 2016 zwischen 4 und 5 Prozent liegen wird. Das ist die höchste Rentenanpassung seit Jahren und eine gute Aussicht für die Rentnerinnen und Rentner in Deutschland für das kommende Jahr. Darauf können wir stolz sein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Bei niedriger Inflationsrate!) Aber ich möchte nicht nur den Rentnerinnen und Rentnern ein gutes neues Jahr wünschen, sondern auch Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest und ein erfolgreiches Jahr 2016. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Dagmar Schmidt für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD): Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen und liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke! Niemand bestreitet, dass das Rentenniveau in der von Ihnen beschriebenen Weise sinken wird. Das hat bisher niemand getan. Das Rentenniveau sinkt auch nicht erst, wie gerne und auch dieses Mal wieder von Ihnen behauptet, seit Gerhard Schröders Kanzlerschaft, sondern bereits seit Anfang der 80er-Jahre. Dass es nicht endlos weitersinken kann, ist auch klar. Ich glaube, alle Fraktionen – nicht nur Sie – beschäftigen sich mit dieser Frage. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Es wird dadurch nicht besser!) Wenn wir aber sagen, dass das Rentenniveau sinkt, dann meinen wir das theoretische Modell mit dem sogenannten Eckrentner. Die Wahrheit über die reale soziale Lage der Rentnerinnen und Rentner in Deutschland erzählt uns der Eckrentner aber nicht; denn seine Erwerbsbiografie gibt es nicht. 45 Jahre Vollzeit und Durchschnittsverdienst, das ist ein zutiefst hypothetisches Arbeitsleben. Einige arbeiten länger. Viele schaffen keine 45 Jahre. Manche verdienen mehr, andere weniger. So ist das nun einmal mit dem Durchschnitt. Das Standardrentenniveau kennzeichnet als statistische Maßzahl die relative Einkommensposition der Rentnerinnen und Rentner im Vergleich zu den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Es sagt uns aber nichts über die realen Altersrenten realistischer und tatsächlicher Erwerbsbiografien. Diese sehen anders aus. Denn zur ganzen Wahrheit der Rente gehört: Schlechte Löhne führen zu schlechten Renten. Deswegen haben wir den Mindestlohn eingeführt und haben damit 4 Millionen Menschen die Löhne erhöht. (Beifall bei der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das holt keinen Rentner aus der Armut heraus!) Der Mindestlohn allein reicht aber nicht. Deswegen stärken wir die Tarifpartnerschaft. Das haben wir zum Beispiel getan mit der Erleichterung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das hat aber nicht funktioniert!) Wir wollen die Tarifpartnerschaft aber auch im Zuge der Regelungen von Leiharbeit und Werkverträgen stärken. (Beifall bei der SPD) Klare und starre gesetzliche Regelungen als Grundlage, aber flexible Handhabungsmöglichkeiten im Rahmen von Branchentarifverträgen, also Mindestlohn als Anstandsgrenze und starke Anreize, tarifpartnerschaftlich zu agieren, das stärkt die Löhne insgesamt. Teilzeitarbeit und kurze Erwerbsbiografien führen ebenfalls zu schlechten Renten. Wie Sie bereits gesagt haben, beschreibt das die Situation vieler Frauen. Deswegen werden wir noch in dieser Legislaturperiode das Recht auf Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit umsetzen. (Beifall bei der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Warum klatscht bei der CDU/CSU keiner?) Wir fördern Partnerschaftlichkeit und Flexibilität bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zum Beispiel durch das Elterngeld Plus und verringern damit die Rentenlücke zwischen Männern und Frauen. Genauso führen gebrochene Erwerbsbiografien, Arbeit ohne Alterssicherung, zum Beispiel Soloselbstständigkeit, oder andere schlecht versicherte oder unversicherte selbstständige Arbeit zu schlechten Renten. Wir wollen erreichen, dass keine Erwerbstätigkeit ohne Absicherung im Alter bleibt. Das betrifft vor allem Soloselbstständige. Aber am Ende steht für uns als SPD eine Erwerbstätigenversicherung für alle, auch wenn wir das in dieser Legislaturperiode noch nicht erreichen werden. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sagen denn die Rechtspolitiker von der SPD dazu?) Auch Krankheit und früher Renteneintritt führen zu schlechten Renten. Deshalb haben wir im Rahmen der AG „Flexible Übergänge“ vieles beschlossen, was die Gesundheitsprävention und die Unterstützung von Menschen mit besonders schwerer Arbeit verbessert. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die Gesetze kommen nicht!) Das alles verbessert die Basis für die Rente deutlich. Von alledem haben viele Menschen in der Vergangenheit aber noch nicht profitieren können. Deswegen verstehe ich nicht, wieso Sie in Ihrem Antrag abschätzig über unser Vorhaben der Einführung einer Solidarrente reden. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das kann ich Ihnen gerne erklären!) Denn Sicherheit vor Altersarmut erlangt man nicht über die Anhebung des Rentenniveaus. Bei der solidarischen Lebensleistungsrente werden wir geringe Anwartschaften aufwerten. Das kann zu Anhebungen von bis zu 50 Prozent führen für diejenigen, die es am meisten brauchen. Das erreichen Sie mit Ihrer Forderung nach 53 Prozent Rentenniveau, also einer Steigerung um 11 Prozent, für alle aber nicht. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Deshalb machen wir auch eine solidarische Mindestrente dazu!) – Legen Sie einmal alles vor und erklären uns dann, wie Sie das finanzieren. Dann diskutieren wir noch einmal. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sehr gerne! Jetzt?) Ich verstehe auch nicht, warum Sie in Ihrem Antrag abschätzig darüber schreiben, dass wir die betriebliche Altersversorgung stärken, verbessern und verbreitern wollen. Aber dazu wird mein Kollege Ralf Kapschack gleich noch etwas sagen. Rentenpolitik ist eine dauerhafte Aufgabe. Kein Rentenkonzept dieser Welt wird auf alle Zeiten für alle eine gute Antwort geben. Unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft und unser Arbeitsleben verändern sich nicht nur durch die Digitalisierung. Frauen arbeiten mehr, Männer wollen weniger arbeiten. Der demografische Wandel hat seine schwierigen Auswirkungen. Genauso kann aber die Zuwanderung unsere Gesellschaft positiv beeinflussen. Wir haben viel Gutes auf den Weg gebracht. Seien Sie versichert: Genauso erfolgreich werden wir alle weiteren Herausforderungen in der Rentenpolitik annehmen. „Ein gutes Gewissen ist ein ständiges Weihnachten“, sagte Benjamin Franklin. Wir haben nicht nur ein gutes Gewissen; wir sind auch stolz auf das, was wir in den letzten zwei Jahren erreicht haben. Ich wünsche Ihnen allen ein schönes, fröhliches und vor allem ein friedliches Weihnachtsfest. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion hat die Kollegin Jana Schimke das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Jana Schimke (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nächste Woche ist Weihnachten, und die Linke verteilt wieder einmal Geschenke – faule Geschenke; nichts anderes ist ihr Antrag. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: So ein Unfug!) Es sind faule Geschenke, die auf den ersten Blick gut aussehen; aber auf den zweiten Blick zeigt sich, wer das Ganze am Ende zu bezahlen hat. Meine Damen und Herren, wir führen heute wieder einmal eine sehr aufregende Diskussion über die Fragen: Wie soll unser Rentensystem künftig aussehen? Wie soll sich unsere Altersvorsorge künftig gestalten? Wir debattieren im Wesentlichen immer wieder über dieselben Dinge. Ich glaube, man kann es eigentlich nicht oft genug sagen: Es ist richtig, und es ist auch kein Geheimnis – das wissen wir schon seit längerem –, dass die gesetzliche Rente allein künftig nicht mehr ausreichen wird, den Lebensstandard auch im Rentenalter abzusichern. Das ist nichts Neues. Es ist nicht so lange her, dass wir uns über ganz wichtige, ganz entscheidende Schritte in diesem Bereich verständigt haben: Wir haben uns darauf verständigt, die Gewichtung in unserem Rentensystem, dem sogenannten Drei-Säulen-System, etwas zu verschieben, ja, etwas zu verändern, und zwar zu Recht: Der demografische Wandel – das ist uns allen bekannt – stellt eine existenzielle Gefahr für unsere sozialen Sicherungssysteme dar. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das bestreite ich nicht!) Wir leben in einem Land, das auf umlagefinanzierte soziale Sicherungssysteme zurückgreift. Der demografische Wandel ist der Hauptgrund dafür, dass dieses System ins Wanken gebracht wird. Weniger Junge und damit weniger Beitragszahler in unserem Land sowie mehr Ältere und damit natürlich auch mehr Rentenempfänger bringen unser umlagefinanziertes Sicherungssystem auf die Dauer in die Schieflage. Unsere Aufgabe ist es, darauf zu reagieren. Deshalb haben wir uns in den vergangenen Jahren zu mehreren Schritten entschieden, die weitaus vernünftiger sind als das, was die Kollegen der Linken uns heute hier präsentiert haben: Erstens. Wir sagen den Menschen, dass die Altersvorsorge künftig eben nicht mehr allein von der gesetzlichen Rente getragen werden kann. Zwar soll die gesetzliche Rentenversicherung weiterhin Kernstück unserer Altersvorsorge bleiben, aber auch die betriebliche und private Altersvorsorge wird für einen guten Ruhestand künftig unverzichtbar sein. Zweitens. Wir sagen den Menschen, dass längeres Arbeiten künftig unverzichtbar ist für den Erhalt unserer Solidargemeinschaft, nicht nur, um unsere sozialen Sicherungssysteme zu finanzieren, sondern auch, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass wir immer länger leben, dass es den Menschen immer besser geht. Das muss sich am Ende auch am Arbeitsmarkt abbilden. Drittens. Im Jahr 2001 gab es eine Rentenreform, die zur Folge hatte, dass die Beiträge an die gesetzliche Rentenversicherung ansteigen. Gleichzeitig wurde vereinbart, dass das Rentenniveau bis 2030 absinkt; auch das ist in der Debatte heute schon mehrfach angeklungen. Aber nur so konnte sichergestellt werden, dass die gesetzliche Rentenversicherung eben in keine finanzielle Schieflage gerät. Viertens. Im Jahr 2004 wurde der Nachhaltigkeitsfaktor eingeführt; auch das ist heute mehrfach angeklungen. Dadurch wurde dafür gesorgt, dass das Verhältnis der Zahl der Beitragszahler zur Zahl der Rentner nicht aus dem Gleichgewicht gerät: Steigt die Zahl der Rentner überproportional, steigen eben auch die Renten weniger stark. Ich halte das nur für gerecht. Fünftens. Wir brauchen natürlich flankierende Maßnahmen, die Arbeiten und Ruhestand eben nicht mehr als zwei gegensätzliche Dinge sehen. Da haben wir in dieser Legislatur mit den ersten Maßnahmen zur Flexirente schon etwas Gutes auf den Weg gebracht. Da sind wir schon erste Schritte gegangen, und wir werden das künftig fortsetzen. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wollen Sie die Maloche bis zum Tod, oder wie darf ich das verstehen?) Was unsere Gesellschaft braucht, ist eben ein Umdenken, ein Denken weg von einer starren Grenze „von der Arbeit in den Ruhestand“ hin zu weitaus mehr Flexibilität, durch die man durchaus in der Lage ist, beides zu vereinen: Ruhestand und Arbeiten im Alter. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Menschen haben ein Recht auf Ruhestand!) Wir haben uns mit dem Koalitionspartner darauf verständigt, Erleichterungen bei den Hinzuverdienstgrenzen zu schaffen. Wir wollen Anreize setzen, dass sich längeres Arbeiten sowohl für Arbeitgeber als natürlich auch für Arbeitnehmer lohnt, und wir wollen auch Erleichterungen bei den Sozialbeiträgen durchsetzen. Außerdem haben wir gemeinsam mit der Deutschen Rentenversicherung darauf hingewirkt, dass die Arbeitnehmer nicht mehr nur darüber informiert werden, ab wann man in Rente gehen darf, sondern dass sie durchaus auch über alternative Möglichkeiten des Ruhestandes und des Weiterarbeitens unterrichtet werden. Das ist mein Verständnis von einer modernen Rentenpolitik, von einem modernen Rentenversicherungssystem. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bis jetzt gibt es nur ein Papier der Fraktionen!) Meine Damen und Herren, diese Schritte sind nicht nur notwendig und sinnvoll, sie sind vor allen Dingen auch generationengerecht. Ich frage mich immer wieder: Die Vorschläge, die von der Linken kommen, kosten viel Geld, zielen auf eine Gruppe ab, und keiner fragt: Wie soll das eigentlich finanziert werden? (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Eine Gruppe? Das ist echt gut! 20,6 Millionen Rentner und 30 Millionen Beschäftigte! Das ist keine Gruppe!) Sie insbesondere tun das nicht. Die junge Generation zahlt. Die Schülerinnen und Schüler zahlen, die Sie regelmäßig in Ihrem Wahlkreis treffen, die Sie möglicherweise regelmäßig im Deutschen Bundestag besuchen. Denen sollten Sie das mal erzählen. Meine Damen und Herren, so werden die wiederkehrenden Forderungen der Linken auch nicht besser und auch nicht richtiger. Wir haben heute schon eine Vielzahl Ihrer Wünsche und Vorstellungen gehört. Sie fordern zum Beispiel, dass die Rente den Löhnen folgen soll. Demnach hätten die Renten 2009 sinken müssen. Denn hätte die Bundesregierung in diesem Jahr – das war zu Zeiten der Wirtschaftskrise – keine Rentengarantie ausgesprochen, hätte sich der Einbruch der Löhne auch in den Renten abgebildet. Das hat er aber nicht, weil es die Rentengarantie gab. (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Habe ich heute irgendetwas dagegen gesagt? – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben die Rentner trotzdem bezahlt!) Entgegen der demografischen Wirklichkeit wollen Sie zudem das Rentenniveau dauerhaft auf 53 Prozent anheben und den Nachhaltigkeitsfaktor abschaffen. Finanzieren wollen Sie das natürlich nur mit einem massiven Anstieg der Rentenbeiträge. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nachhaltigkeitsfaktor und Nachholfaktor sind zwei verschiedene Sachen, Frau Kollegin!) Meine Damen und Herren, was Sie fordern, ist ein Angriff nicht nur auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land, nicht nur auf unsere Leistungsträger, sondern das ist auch ein Angriff auf die junge Generation. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das stimmt doch gar nicht! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch!) Sie behaupten in Ihrem Antrag, dass sich private und betriebliche Altersvorsorge für die Menschen in unserem Land nicht mehr lohnt. Aber glauben Sie denn ernsthaft, dass sich die Situation der arbeitenden Bevölkerung im Alter zum Positiven wenden würde, wenn Sie ihr jetzt mit massiven Rentenbeiträgen zusätzlich in die Tasche greifen? (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: 34,40 Euro! Massiv?) Denken Sie nicht, dass eine Erhöhung der Rentenbeiträge unsere ohnehin im europäischen Vergleich hohen Arbeitskosten weiter verteuern würde? Genau das würde sie tun. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Arbeitskosten sind niedrig im europäischen Vergleich! Ich dachte, die FDP wäre nicht mehr im Bundestag!) Mein Verständnis von guter Sozialpolitik ist: Am Ende muss netto mehr übrigbleiben. Wenn wir über Vorsorge für das Alter sprechen, denken wir einmal nicht nur an die betriebliche und die private Vorsorge, sondern denken wir vielleicht auch an das kleine Eigenheim, das sich die jungen Familien in jungen Jahren errichten. Auch dazu brauchen sie natürlich mehr netto in der Tasche. Genau darauf zielt unsere Politik ab; Ihre tut das nicht. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf die reichere Hälfte der Gesellschaft zielt Ihre Politik ab!) Verlierer Ihrer Politik von Arbeitsplatzverlusten und nicht geschaffenen Stellen sind ausgerechnet jene, die Sie mit Ihrem Antrag vorgeben unterstützen zu wollen. Es sind die Geringqualifizierten. Eines ist Fakt: Die größte Gefahr von Altersarmut geht immer noch von der Arbeitslosigkeit aus. Die notwendigen – nicht nur rentenpolitischen – Maßnahmen, um im Alter möglichst gut abgesichert zu sein, sollten unseres Erachtens andere sein. Neben den bisher erläuterten Schritten, die ich Ihnen lang und breit erklärt habe, haben wir uns natürlich im Koalitionsvertrag auch auf die Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge verständigt. Das wollen wir noch in dieser Legislaturperiode umsetzen. Wir wollen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer Anreize setzen, Modelle der betrieblichen Altersvorsorge stärker anzubieten, zu verbreiten und auch zu nutzen. Ein weiterer Punkt ist der berufliche Aufstieg. Er ist nicht nur mit Karriere, sondern auch mit mehr Gehalt verbunden. Das wiederum erfordert Bildung und Qualifikation. Eine solide Ausbildung und eine kontinuierliche Erwerbsbiografie sind immer noch die beste Altersvorsorge. Daran sollten wir weiterhin arbeiten. (Beifall bei der CDU/CSU) Auch sollte die Arbeitsmarktpolitik den Unternehmen in unserem Land genügend Freiraum lassen, um zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen. Denn Wohlstand und Wertschöpfung fallen eben nicht vom Himmel. Das muss man immer wieder sagen, wenn wir über Anträge der Linken diskutieren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Von einem robusten Arbeitsmarkt profitieren eben nicht nur jene, die einer Beschäftigung nachgehen können, sondern es profitieren auch unsere sozialen Sicherungssysteme durch eine Vielzahl von Beitragszahlern. Lassen Sie mich als letzten Punkt noch etwas ganz Wichtiges sagen: Es geht um die Familienpolitik. Wir konnten uns gestern über eine Meldung in den Medien freuen, dass die Anzahl der Geburten steigt und dass es mehr Kinder in unserem Land gibt. Ich glaube, das ist auch Ausdruck unserer guten Familienpolitik, die wir von CDU und CSU in den letzten Jahren gemacht haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben wahnsinnig viele Maßnahmen auf den Weg gebracht, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie – – Vizepräsidentin Petra Pau: Frau Kollegin Schimke, die müssen Sie dann bitte in der nächsten Debatte vortragen oder im Ausschuss. Sie müssen jetzt einen Punkt setzen. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist eine gute Idee!) Jana Schimke (CDU/CSU): Das mache ich sehr gerne. – Ich wollte nur darauf hinweisen, dass die Maßnahmen, die wir im Bereich der Familienpolitik auf den Weg gebracht haben, richtig und gut waren. Denken Sie daran, meine Damen und Herren, wenn Sie jetzt in die Weihnachtszeit gehen: Ohne Kinder ist alles nichts. Darauf sollte unsere Politik abzielen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Ralf Kapschack für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Ralf Kapschack (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Die gesetzliche Rente ist und bleibt der zentrale Ansatzpunkt, um eine Altersversorgung zu gewährleisten, von der Frau und Mann gut leben können. (Beifall bei der SPD) Das ist völlig klar. Deshalb ist es gut – vielen Dank dafür –, dass wir heute darüber reden können. Es gibt in der Tat noch einiges zu tun. Vieles ist angesprochen worden. Ich will mich auf einen besonderen Aspekt konzentrieren. Vorab: Es bleibt für mich und uns bei der Idee, langfristig eine Erwerbstätigenversicherung aufzubauen und die gesetzliche Rentenversicherung zu einer Altersversorgung für alle Beschäftigten, also auch für Selbstständige und Beamte, umzubauen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das ist gut! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da machen wir mit!) Das schafft mehr Gerechtigkeit, und das schafft auch neue finanzielle Spielräume. Aber – das muss man der Ehrlichkeit halber sagen – auch eine Erwerbstätigenversicherung löst nicht alle Probleme. Trotzdem ist sie aus meiner und unserer Sicht langfristig der richtige Weg. Deshalb halten wir daran fest. Zugegeben: Nächste Woche wird das noch nichts. Das wird schon noch ein bisschen dauern. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gestern war ein Rückschritt da! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Mit der CDU könnt ihr das nicht machen!) Deshalb müssen wir uns natürlich damit beschäftigen, wie wir die jetzige Form der Altersversorgung absichern. Die gesetzliche Rente ist – ich habe es gesagt – der zentrale Teil, aber sie ist eben nur ein Teil. Das Gesetz schreibt vor, dass spätestens 2020 – das ist nicht mehr ganz so weit – eine Überprüfung zu erfolgen hat und geeignete Maßnahmen zu ergreifen sind, wenn Beitragssatz und Sicherungsniveau von den Plänen abweichen und wenn die freiwillige zusätzliche Altersversorgung nicht ausreicht, um dieses Niveau zu halten. In der Tat – das ist schon angesprochen worden – hat die private Altersversorgung die Erwartungen bislang nicht erfüllt. Wir haben 16 Millionen Riester-Verträge, aber das entspricht nur rund 35 Prozent der Beschäftigten. Bei knapp 20 Prozent der Verträge wird zurzeit gar nichts eingezahlt. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist es!) Woran liegt das? Für manche ist das Thema Rente sicher noch weit weg, aber viele können sich die zusätzliche Vorsorge auch nicht leisten. Von den Geringverdienern erhalten mehr als 40 Prozent weder eine Betriebsrente noch eine Riester-Rente, also ausgerechnet diejenigen, die die zusätzliche Vorsorge am dringendsten brauchen. Das müssen wir ändern, und das wollen wir ändern. (Beifall bei der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Warum klatscht die CDU nicht?) Gerade Geringverdiener werden auch in Zukunft auf zusätzliche Vorsorge angewiesen sein. Eine Diskussion über das Rentenniveau allein hilft ihnen nicht. Die betriebliche und tarifvertraglich abgesicherte Altersversorgung ist für uns die beste Form der privaten und zugleich kollektiven Altersversorgung. Wir wollen sie stärken und durch die Erleichterung bei der Allgemeinverbindlichkeit auch in Regionen und Branchen in Deutschland durchsetzen, in denen sie derzeit aufgrund der geringen Tarifbindung noch viel zu wenig genutzt wird. Die Stärkung der betrieblichen Altersversorgung ist für uns eine wünschenswerte Ergänzung der gesetzlichen Rente. Zurzeit haben etwa 60 Prozent der Beschäftigten Anspruch auf eine betriebliche Altersversorgung, in Großbetrieben ist es fast jeder, im Handwerk aber nur jeder Zehnte. Auch für Mittel- und Kleinbetriebe muss die betriebliche Altersversorgung selbstverständlich werden. So ist das im Koalitionsvertrag formuliert, und so werden wir das umsetzen. (Beifall bei der SPD) Der Klempner- oder Bäckermeister will sich, wenn er abends die Lohnabrechnung macht, in der Regel nicht auch noch um die betriebliche Altersversorgung kümmern, und das kann er auch nicht. Eben weil vor allem kleine Betriebe oft damit überfordert sind, sollte es nach unserer Ansicht tarifvertragliche Lösungen geben. Die Betriebe könnten von Risiko und Organisationsaufwand entlastet werden. Gleichzeitig können gemeinsame Einrichtungen durch ihre Größe Kostenvorteile beim Vertrieb, bei den Verwaltungskosten und bei möglichen Anlagen realisieren. Das Arbeitsministerium arbeitet an entsprechenden Vorschlägen. Aus meiner Sicht brauchen wir eine obligatorische Regelung. Das heißt: Jede oder jeder Beschäftigte muss in Zukunft ein Angebot des Arbeitgebers für eine betriebliche Altersversorgung bekommen. Die Erfahrung in den Nachbarländern zeigt, dass eine solche Regelung zu einer deutlich besseren Verbreitung führt. Auch die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft hat sich vor kurzem für eine obligatorische betriebliche Altersversorgung ausgesprochen. Ich finde das prima und unterstütze sie natürlich dabei. Martin Rosemann hat es gesagt: Betriebliche Altersversorgung ist für uns nicht nur betriebliche Personalpolitik, sondern auch Sozialpolitik im eigentlichen Sinne. Klar ist doch – das sollte man an dieser Stelle auch sagen –: Wenn sich die Situation bei der betrieblichen Altersversorgung nicht ändert, wenn nicht deutlich mehr Unternehmen ihren Beschäftigten eine betriebliche Altersversorgung anbieten, dann wird der Druck steigen, die Beiträge in der gesetzlichen Rentenversicherung zu erhöhen, um eine angemessene Versorgung zu gewährleisten. Auch deshalb wäre es für Unternehmen sehr kurzsichtig, weiter auf betriebliche Altersversorgung zu verzichten. Denn höheren Beiträgen können sie sich nicht entziehen. In den nächsten Wochen sollen die Ergebnisse eines Gutachtens vorliegen, das vom Finanzministerium in Auftrag gegeben worden ist. Davon erhoffen wir uns Erkenntnisse über die Wirkung der steuerlichen Förderung der betrieblichen Altersversorgung. Ich vermute, wir werden auch in Zukunft bei der betrieblichen Altersversorgung mit Zulagen arbeiten müssen, um Geringverdienern den Zugang zu ermöglichen; denn von steuerlicher Förderung haben sie wegen ihres niedrigen Einkommens in der Regel nichts. Im kommenden Jahr werden wir hier über konkrete Vorschläge zur Reform der betrieblichen Altersversorgung diskutieren. Darauf freue ich mich schon. Für uns ist und bleibt die gesetzliche Rente der Kern der Altersversorgung. Aber die betriebliche Altersversorgung ist eine sinnvolle Ergänzung. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit und schöne Weihnachten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/6878 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Maßnahmen zur Förderung der Kulturarbeit gemäß § 96 des Bundesvertriebenengesetzes in den Jahren 2013 und 2014 Drucksache 18/5598 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Tourismus Ich bitte, die notwendigen Umgruppierungen so vorzunehmen, dass wir mit der Debatte fortfahren können. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Christoph Bergner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Bemerkung vorab: Wir alle mögen unsere Staatsministerin Monika Grütters. Aber bevor die Sehnsucht nach ihr den einen oder anderen zu einem Antrag auf Herbeizitierung verleiten könnte, will ich sagen: Sie muss im Moment im Bundesrat das Kulturgutschutzgesetz verteidigen. Ich glaube, das ist ein Punkt, den wir respektieren sollten. Nun zum vorliegenden Bericht. Seit 1999 vergibt die Europäische Kommission den Titel Kulturhauptstadt Europas, und sie tut es nach der Osterweiterung der Europäischen Union unter bewusster Einbeziehung von namhaften Städten unserer östlichen Mitgliedstaaten. Ich darf einige Städte der letzten Jahre einmal aufzählen: 2007 Hermannstadt, Sibiu, in Rumänien, 2010 Fünfkirchen, Pecs, in Ungarn, 2011 Tallinn, Reval, in Estland, 2013 Kosice, Kaschau, in der Slowakei, Riga in Lettland letztes Jahr, Pilsen in Tschechien in diesem Jahr und Breslau in Polen im nächsten Jahr. Meine Damen und Herren, warum erwähne ich diese Kulturhauptstädte Europas im Zusammenhang mit der Diskussion unseres Berichtes? Es sind alles Orte, deren reiche Geschichte ohne den Beitrag deutscher Kultur unverständlich und unvollständig geblieben wäre. Es sind heute Orte europäischer Kultur, deren Wert ohne den Beitrag der Deutschen im Rahmen der europäischen Siedlungsgeschichte nicht darstellbar wäre, seien es die Siebenbürger Sachsen, seien es die Karpatendeutschen, die Ungarndeutschen, die Baltendeutschen oder im nächsten Jahr mit Breslau die Schlesier. § 96 des Bundesvertriebenengesetzes enthält den Auftrag – ich zitiere –: das Kulturgut der Vertreibungsgebiete in dem Bewusstsein der Vertriebenen und Flüchtlinge, des gesamten deutschen Volkes und des Auslandes zu erhalten, ... Wenn wir diesen Auftrag richtig verstehen wollen, so sollten wir uns klar sein: Es geht darum, dass wir unseren deutschen Beitrag zu einem gemeinsamen europäischen Kulturerbe pflegen. Gerade das kulturelle Erbe der Heimatvertriebenen, der deutschstämmigen Aussiedler und der deutschen Volksgruppen im Osten hat oft genug eine Entstehungsgeschichte und eine Dimension, die ein allein nationalkulturelles Verständnis überschreitet. Es leistet deshalb innerhalb der EU einen Beitrag zur Entwicklung eines kulturellen Identitätsbewusstseins, das sich immer weniger national und immer mehr europäisch versteht. Die Förderung nach § 96 Bundesvertriebenengesetz kann also einen Beitrag leisten, ein vorwiegend national bestimmtes Kultur- und Geschichtsverständnis durch ein europäisches Verständnis abzulösen. Ich muss in diesem Zusammenhang nicht daran erinnern, welche Abgrenzungen genau mit einem immer stärker national verbundenen Kulturverständnis einhergingen und wie aggressiver Nationalismus Europa in die kriegerischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts stürzte. Die Kenntnis der in Jahrhunderten historisch gewachsenen kulturellen Verflechtungen in Europa, gerade in den deutschen Siedlungsgebieten im Osten, und die daraus resultierenden Gemeinsamkeiten sind ein kaum zu überschätzender Faktor der europäischen Integration. Ich füge gern persönlich hinzu, dass ich es immer wieder für einen problematischen Irrtum halte, dass europäische Integration vor allen Dingen in der Gemeinsamkeit der Märkte und der Währung gesucht wird. Gemeinsamkeit, die ein kulturelles Identitätsbewusstsein schafft, aus dem auch ein europäisches Gemeinwohlverständnis abgeleitet werden kann, scheint mir in dem Zusammenhang wichtig. Unter diesem Gesichtspunkt müssen wir das Anliegen des § 96 BVFG sehen. Zu den Besonderheiten des vorliegenden Berichtes gehört, dass er – Zitat – „die Zeitmarke von 60 Jahren“ nach Verabschiedung des Bundesvertriebenengesetzes umfasst. 2013, im 60. Jahr der Verabschiedung des Bundesvertriebenengesetzes, hat der Deutsche Bundestag eine Resolution beschlossen, in der es heißt – ich darf zitieren –: Das Anliegen und die Leistungen des BVFG sind Teil der Politik der Kriegsfolgenbewältigung durch die Bundesrepublik Deutschland. Kriegsfolgenbewältigung, das heißt die Aufarbeitung des Holocaust, der Folgen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft sowie des Zweiten Weltkrieges, war für den Deutschen Bundestag und sämtliche Bundesregierungen stets ein zentrales Anliegen. Kriegsfolgenbewältigung hat mehrere Aspekte. Von übergeordneter Bedeutung sind die Leistungen der Versöhnung und Wiedergutmachung gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus und der von Deutschland ausgehenden Aggressionskriege. Daneben steht die Solidarität mit den Deutschen, die wegen ihrer Volkszugehörigkeit ein besonders schweres Kriegsfolgenschicksal erlitten haben. Das Anliegen des § 96 BVFG liegt ganz wesentlich auch in der Aufarbeitung und im Gedenken der Leidensgeschichte der Deutschen, die in Reaktion auf die Verbrechen des Nationalsozialismus allein wegen ihrer Volkszugehörigkeit Vertreibung, Unterdrückung und Zwangsassimilation ausgesetzt waren. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Bergner, ich störe ungern, aber Sie müssen zum Schluss kommen. Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU): Ich bedauere das sehr. – Beide Aspekte scheinen mir für die Umsetzung des § 96 Bundesvertriebenengesetz und für das Verständnis des vorliegenden Berichtes wichtig. Mir ist es wichtig, zu sagen, dass es angesichts eines solchen zukunftsweisenden Anliegens bedauerlich war, dass in den Jahren 1998 bis 2005 die dafür erforderlichen Mittel gekürzt worden sind, und dass es erfreulich ist, dass sie nach 2005 regelmäßig ausgebaut wurden. Ich möchte Ihnen allen ein gesegnetes Weihnachtsfest – Vizepräsidentin Petra Pau: Klären Sie das mit den Redezeiten mit Ihrer Fraktion. Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU): – und ein gutes neues Jahr wünschen. Ich denke im Sinne des § 96 Bundesvertriebenengesetz in diesem Fall besonders an die Organisationen der deutschen Minderheiten im Osten, von Usbekistan über Rumänien bis hin zu anderen Ländern. Sie haben einen besonderen Weihnachtsgruß verdient. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Sigrid Hupach für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sigrid Hupach (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einer Zeit, in der das Thema „Flucht und Vertreibung“ von leidvoller Aktualität ist, sprechen wir heute über die Förderung der Kulturarbeit gemäß § 96 des Bundesvertriebenengesetzes. Das bietet die Chance, aus einem alten und an sich überholten Gesetz Lösungsansätze und Ideen für die Gegenwart zu entwickeln. Ohne Zweifel stehen die Kommunen aktuell vor großen Herausforderungen. Viele Menschen suchen bei uns Zuflucht. Sie müssen mit dem Nötigsten versorgt werden, ja, aber wir müssen ihnen auch mit Respekt begegnen. Menschenrechte gelten für alle, egal wo. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Heiko Schmelzle [CDU/CSU] und Martin Dörmann [SPD]) Ich möchte an dieser Stelle an die erfolgreiche Integration von 12 Millionen Menschen nach dem Ende der NS-Herrschaft erinnern und an die 3 Millionen Spätaussiedler, deren Integration natürlich auch nicht konfliktfrei bewältigt wurde. Vor diesem Erfahrungshorizont aber muss es doch möglich sein, heute 1 Million geflüchtete Menschen würdevoll in unsere Gesellschaft aufzunehmen. (Beifall bei der LINKEN – Heiko Schmelzle [CDU/CSU]: Wo ist denn die Vergleichbarkeit?) Dies wird aber nur gelingen, meine Damen und Herren, wenn wir unsere Erfahrungen von Integration und Wiederaufbau nach Ende des Zweiten Weltkrieges konstruktiv in die Gegenwart übertragen. Das Bundesvertriebenengesetz taugt dazu aber nicht. Zu sehr spricht aus ihm noch immer der Geist der damaligen Zeit. So wirkt auch der von Ihnen vorgelegte Bericht entsprechend befremdlich. Gleich unter Punkt 1 heißt es, dass die deutsche Kultur im östlichen Europa als verbindendes Element für ein gemeinschaftliches Europa anzusehen ist. Wenn es ein über alle Grenzen hinweg verbindendes Element in Europa gibt, dann ist es doch die kulturelle Vielfalt, (Dr. Christoph Bergner [CDU/CSU]: Was ist das jetzt? Ein Gegensatz?) das interkulturelle Miteinander oder, so müsste man genauer sagen, die transkulturelle Verflechtung. Europa war nie geprägt durch ethnisch oder kulturell homogene Räume, sondern eben durch kulturelle Vielfalt. Das gilt auch für alle Gebiete Osteuropas. Erst die völkische, rassistische und nationalsozialistische Politik des 19. und 20. Jahrhunderts hat sie zu vermeintlich homogenen Räumen erklärt und durch ethnische Säuberungen und Vertreibungen zu unvorstellbarem Leid geführt. Betrachtet man die Geschichte dieser Regionen nicht mit der deutschen Brille, sondern als Geschichte transkultureller Verflechtungen, könnte man mit einer gesamteuropäischen Betrachtungsweise eine wirklich differenzierte Analyse der Geschichte Europas im 20. Jahrhundert anstellen, unter klarer Benennung der Ursachen, und dann könnte man für die verheerenden Folgen der Ausgrenzung von Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Sprache oder ihrer Religion sensibilisieren, und man könnte das Bewusstsein schärfen für ausschließende Prozesse, die es auch heute gibt. Die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung kann hierbei einen wesentlichen Beitrag leisten. Das geht aber nur, wenn die gegenwärtig bestehende Chance zu einem Neuanfang auch wirklich genutzt wird, wenn die bisherigen Probleme der Stiftung analysiert und auch öffentlich thematisiert werden. Der vorgelegte Bericht schweigt sich dazu jedoch aus, obwohl im Berichtszeitraum der Gründungsdirektor entlassen wurde und es zu einem Eklat bei zwei Ausstellungen kam. Das verwundert vor allem, weil es in der letzten Zeit sehr wohl anderslautende Äußerungen vonseiten der Bundesregierung gab. Frau Staatsministerin Grütters stellte am vergangenen Sonntag im Interview im Deutschlandfunk fest, dass die Stiftung an der schwierigen Entstehungsgeschichte krankt. Das ist eine richtige, aber auch überfällige Erkenntnis. Ich hoffe sehr, dass Sie nun auch den Mut haben, daraus die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. (Dr. Bernd Fabritius [CDU/CSU]: Sie meinen aber Ihre destruktive Begleitung!) – Okay. – Die Stiftung muss inhaltlich neu positioniert werden und die aktuellen Bezüge zu Flucht und Vertreibung aufnehmen. (Beifall bei der LINKEN) Die Stiftungsgremien müssen anders zusammengesetzt werden, ohne die Übermacht des Bundes der Vertriebenen und unter Berücksichtigung aller im Bundestag vertretenen Fraktionen und vor allem unter Einbeziehung von Vertreterinnen und Vertretern der jüdischen Organisationen, der Sinti und Roma sowie von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Mittel- und Osteuropa. (Beifall bei der LINKEN) Die internationale Ausrichtung ist hier unerlässlich. Nur so kann die Stiftung wirklich der Versöhnung dienen, nur so kann die Stiftung das Thema im europäischen Kontext bearbeiten. Nutzen Sie also die Chance zum Neuanfang! Unsere Unterstützung haben Sie. (Beifall bei der LINKEN) Die Stiftung ist ein gutes Beispiel für einen weiteren Gedanken, mit dem ich schließen möchte. Früher fiel die Stiftung unter die Kulturförderung nach § 96 des Bundesvertriebenengesetzes, seit 2008 aber ist sie beim Deutschen Historischen Museum angesiedelt. Damit ist schon der erste Schritt getan, für den sich die Linke schon in der Enquete-Kommission 2007 starkgemacht hat, nämlich für das Ende der speziellen Kulturförderung nach § 96 BVFG, für eine Eingliederung in die allgemeine Kulturförderung sowie für die Gründung von multinationalen Stiftungen, in denen neben Bund und Ländern auch die osteuropäischen Staaten und die Opfergruppen gleichberechtigte Partner wären. Wenn sich die Kulturförderung durch einen transkulturellen Ansatz und eine gesamteuropäische Betrachtungsweise auszeichnen würde, könnten wir einen wirklich nachhaltigen Beitrag zur europäischen Einheit in Vielfalt leisten. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Hiltrud Lotze für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hiltrud Lotze (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! § 96 des Bundesvertriebenengesetzes verpflichtet Bund und Länder, die Kultur und Geschichte jener Regionen im östlichen Europa zu erforschen und zu sichern, in denen früher teilweise jahrhundertelang Deutsche gelebt haben oder heute noch leben. Mehr als 20 Millionen Euro geben wir jährlich dafür aus. Das geschieht im Interesse unserer Gesellschaft, und es geschieht auch im Interesse derjenigen Menschen, die heute in den historischen Gebieten wie Ostpreußen, Pommern und Schlesien leben. Für die Partnerschaft mit unseren osteuropäischen Nachbarn ist dies von herausragender Bedeutung. Durch die Förderung werden auch grenzüberschreitende Projekte unterstützt. Das ist im Bericht nachzulesen. Der Bericht erfährt auch immer große Zustimmung. Ein Beispiel: Wissenschaftler am Institut für Kultur und Geschichte der Deutschen in Nordosteuropa, kurz: Nordost-Institut, in meinem Wahlkreis in Lüneburg forschen 2016 gemeinsam mit Historikern der Universität Breslau in dem Projekt „Juden und Deutsche im polnischen kollektiven Gedächtnis“. Auf dieser gemeinsamen wissenschaftlichen Arbeit gedeiht vertrauensvolle Zusammenarbeit mit vielen Partnereinrichtungen im östlichen Europa. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Nicht nur bei der Erlebnisgeneration und ihren Nachfahren ist das Interesse an Kultur und Geschichte im östlichen Europa groß, sondern auch bei den jungen Leuten, bei Schülern, bei Studierenden und bei jungen Wissenschaftlern, die sich dem Thema „Flucht und Vertreibung“ heute mit ganz neuen Fragestellungen nähern. Auch in den ehemals deutschen Siedlungsgebieten, die mittlerweile überwiegend in den Mitgliedstaaten der EU liegen, ist das Interesse an deutscher Kultur und Geschichte groß. Hierin, liebe Kolleginnen und Kollegen, liegt eine große Chance. Gerade jetzt in der Europakrise können wir über diesen Kulturaustausch dazu beitragen, dass nicht Ultranationalismus, nicht Abgrenzung und nicht Rassismus wieder an die Stelle von Partnerschaft, Zusammenarbeit und Versöhnung treten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich bin überzeugt, dass es die Aufgabe unserer Bundeskulturförderung sein muss, einen solch hohen Anspruch zu verfolgen. Ich will nicht verschweigen, dass es immer wieder Kontroversen und Diskussionen um den sogenannten Kulturparagrafen gab und gibt; denn die kulturpolitischen Anliegen einzelner Interessengruppen wie etwa der Vertriebenenverbände spielen eine Rolle, wenn es um die Förderung von Projekten und Einrichtungen geht. Nach dem von Deutschland entfesselten Zweiten Weltkrieg haben Millionen von Deutschen ihre Heimat im Osten verloren. Unsere Gesellschaft hat ihr Schicksal bis heute nicht hinreichend gewürdigt, finde ich, und auch nicht ihren Anteil am Wiederaufbau Deutschlands nach 1945. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Auch über das Trauma des Heimatverlustes darf und muss gesprochen werden. Das ist Teil unserer Geschichte. Jedoch müssen Ursache und Wirkung, der von Nazideutschland verursachte Krieg und die dann folgenden Fluchtbewegungen in ganz Osteuropa, klar benannt werden. Deshalb darf sich die Kulturförderung nach § 96 Bundesvertriebenengesetz nicht allein an die Deutschen richten. Die Wechselwirkung mit anderen Kulturen, mit anderen Ethnien und deren wissenschaftliche Erforschung sowie die Auseinandersetzung damit müssen im Vordergrund der Förderaktivitäten des Bundes stehen. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Katharina Landgraf [CDU/CSU]) Mit der mittlerweile breit akzeptierten „Konzeption 2000“ hat die damalige rot-grüne Bundesregierung diese wissenschaftliche und fachliche Professionalisierung festgeschrieben. Seitdem hat sich Europa aber deutlich verändert: 2004 sind Estland, Lettland, Litauen, Polen, die Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn der EU beigetreten, 2007 Rumänien und Bulgarien und 2013 Kroatien, also Länder, in denen zum Teil ehemals von Deutschen besiedelte Regionen liegen. Genau deshalb haben sich SPD und CDU/CSU in ihrem Koalitionsvertrag darauf verständigt, die Förderung des kulturellen Erbes der Deutschen im östlichen Europa als Beitrag zur kulturellen Identität Deutschlands und Europas zu würdigen und mit dem Ziel verstärkter europäischer Integration die „Konzeption 2000“ anzupassen und weiterzuentwickeln. Einige kritische Anmerkungen und Hinweise zu diesem Prozess der Weiterentwicklung in Richtung Kulturstaatsministerin Grütters kann ich, auch wenn wir kurz vor Weihnachten sind, nicht vermeiden, auch wenn sie leider noch nicht hier ist: Die BKM hatte zugesagt, Eckpunkte zur Anpassung der Förderkonzeption noch vor der Sommerpause 2015 vorzulegen. Aber erst im November wurde uns ein ausformulierter Diskussionsentwurf vorgelegt. Dann musste es plötzlich ganz schnell gehen. Mit Verweis auf die Haushaltsanmeldungen für 2017 wurde großer Zeitdruck aufgebaut. Ein zuvor verabredeter Zeitplan wurde nicht eingehalten, möglicherweise in der Hoffnung – das könnte man vermuten –, die SPD würde das Papier einfach so durchwinken. Ich finde, so geht das nicht. Dieses Vorgehen ist für uns nicht akzeptabel. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es ist vor allen Dingen deshalb nicht akzeptabel, weil das vorgelegte Papier aus unserer Sicht sehr diskussions- und kritikwürdig ist und einen unzeitgemäßen Duktus enthält. Der im Koalitionsvertrag formulierte Auftrag ist eindeutig: Die Kulturförderung nach § 96 Bundesvertriebenengesetz soll dem veränderten europäischen Kontext angepasst werden. Zugleich muss es eine Öffnung geben, hin zu neuen Zielgruppen, zu den nachfolgenden Generationen und zur Gesamtgesellschaft. Die Förderung nach § 96 BVFG hat einen gesamtstaatlichen Auftrag. Sie richtet sich nicht ausschließlich an die Vertriebenenverbände und ihre Landsmannschaften, aber auch an diese, weil die Arbeit dieser Verbände und ihrer einzelnen Mitglieder für die Verständigung und Vermittlung mit den Nachbarn in Osteuropa auf zivilgesellschaftlicher Ebene unheimlich wichtig ist. Das Klima, das dadurch geschaffen wird, brauchen wir. Es ist unverzichtbar für ein besseres Verständnis zwischen den benachbarten Völkern der EU. Ich will daher eindrücklich an die Kulturstaatsministerin Grütters appellieren, im anstehenden Abstimmungsprozess darauf zu achten, dass die Anpassung der Förderkonzeption diesem Anspruch gerecht wird. (Beifall bei der SPD) Nur so erfüllt sie einen gesamtstaatlichen Auftrag, und letztendlich sind auch nur so die erheblichen Mittel in Höhe von über 20 Millionen Euro jährlich zu rechtfertigen. Das ist ein Thema, das uns allen wichtig ist und das die ganze Gesellschaft etwas angeht. Das gilt im Übrigen auch für die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung, die den Auftrag hat, das Thema „Zwangsmigration im 20. Jahrhundert“ im europäischen Kontext aufzuarbeiten. Es wird im Ausland sehr genau darauf geachtet, wie wir in Deutschland mit diesem Thema umgehen. Das Thema „Flucht und Vertreibung“ ist ja aktueller denn je. Staatsminister Michael Roth hat in einem Artikel in dieser Woche sehr richtig geschrieben, dass allein durch den Blick zurück Wunden und Narben von Flucht und Vertreibung nicht verheilen. Nur indem wir heute eine Erzählung finden, die die nächste Generation und ihre persönlichen Erfahrungen mit diesem Thema anspricht, ist und bleibt die Stiftung wichtig und rechtfertigt die erheblichen Bundesmittel. In den letzten Monaten wurde wegen der gescheiterten Neubesetzung mit einem Direktor erneut negativ über die Stiftung berichtet. Dabei hat die Stiftung gutes Potenzial, und sie hat gutes Personal. Damit sie dieses gute Potenzial aber entfalten kann, muss sie dahin rücken, wo sie hingehört: in die Mitte der Gesellschaft. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es wäre ein mehr als positives Signal, wenn wir den Stiftungsrat erweitern und weitere Gruppen zur Mitarbeit einladen würden, über die Vertreter der Bundesregierung, der Regierungsfraktionen, der beiden Kirchen, des Zentralrats der Juden und der größten Gruppe, des Bundes der Vertriebenen, hinaus. Ich bin sicher, dass eine breitere Basis dazu beitragen kann, die Stiftung gut aufzustellen und von alten, einseitigen und meist negativen Zuschreibungen wegzukommen. Denn neben der Dauerausstellung, für die nun endlich das Drehbuch entwickelt werden muss, brauchen wir jetzt eine Direktorin oder einen Direktor und einen Wissenschaftlichen Beirat, damit die Stiftung zum Laufen kommt. Sie muss endlich durch gute Arbeit und durch interessante Veranstaltungen auf sich aufmerksam machen und nicht länger durch negative Schlagzeilen. Auch hier, liebe Frau Grütters – in Abwesenheit –, sind Sie gefordert, in den nächsten Tagen und Wochen die Situation zu klären und zu befrieden. Der SPD ist diese Stiftung, die wir gemeinsam in der letzten Großen Koalition begründet haben, wichtig. Doch unsere Geduld ist auch hier endlich. Ich danke für die Aufmerksamkeit und wünsche allen schöne Weihnachtstage. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Ulle Schauws das Wort. Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir über Vertriebenenpolitik sprechen, müssen wir vor allen Dingen über die Kontroverse sprechen, über die die Kollegin Lotze gerade schon gesprochen hat, nämlich: Seit Jahren schlägt die Debatte um die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung hohe Wellen; sie sorgt immer wieder für Unruhe. Wir müssen über diese Stiftung deswegen sprechen, weil viele zentrale Fragen weiterhin unbeantwortet sind: Wer wird die Stiftung, die jetzt seit einem Jahr keine Direktorin bzw. keinen Direktor hat, zukünftig leiten? Wann wird die dringend notwendige konzeptionelle Neuaufstellung endlich realisiert? Hierauf warten wir bereits seit Jahren. Warum ist die Zusammensetzung des Stiftungsrates nicht schon längst verändert worden? Antworten auf diese zentralen Fragen bekommen wir bisher keine, von der Bundesregierung zumindest nicht. Stattdessen bekommen wir schlechte Nachrichten, und zwar aus den Medien. Es wird über endlose Personalquerelen berichtet. Es ist die Rede von mehr Belastung als Versöhnung, von einem würdelosen Spiel der BKM-Chaostruppe. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So was!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen genauso gut wie ich, wie schlecht solche Berichte für uns sind, gerade auch aus internationaler Perspektive. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) So wird die Stiftung ihrem Zweck, einen Beitrag zur Versöhnung und Verständigung zu leisten, mitnichten gerecht. Aber ich sage Ihnen: Gerade jetzt, in Zeiten, in denen das Thema „Flucht und Vertreibung“ viele Menschen bewegt und ein beispielloses gesellschaftliches Engagement für Geflüchtete stattfindet, sollten nicht endlose Konflikte im Mittelpunkt stehen, sondern die Chancen der Stiftung. Sie könnte, wenn sie denn neu aufgestellt wird, zu einem wichtigen Ort des Dialogs und der Aufklärung werden. Dafür ist allerdings ein entschiedenes Handeln der Bundesregierung erforderlich. Meine Damen und Herren, was muss für einen ernstgemeinten Neuanfang alles getan werden? Es braucht eine Stiftungsleitung, die als dialogfähige Friedensstifterin nach vorne in die Zukunft schaut und nicht zurück. Es ist die Aufgabe der Kulturstaatsministerin, hier endlich eine passende Person zu finden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es braucht eine neue Zusammensetzung des Stiftungsrates. Alle Gruppen – alle, die von Flucht und Vertreibung betroffen sind – sollten hier vertreten sein, also auch der Zentralrat der Sinti und Roma und natürlich auch Vertreterinnen und Vertreter von Migranten- und Flüchtlingsorganisationen. Dieser Schritt ist längst überfällig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was wir vor allem endlich brauchen – angesichts der aktuellen Flüchtlingssituation umso mehr –, ist eine inhaltliche Neukonzeption der Stiftungsarbeit. Weltweit sind Millionen von Menschen vertrieben und auf der Flucht. Sie versuchen, ein neues Leben in Freiheit und Sicherheit zu finden. Sie suchen Schutz vor Krieg. Die Menschen, die zu uns kommen, darunter viele junge Leute, werden unsere Gesellschaft nachhaltig verändern. Die Geschichte von Flucht und Vertreibung kann deshalb nicht ohne diesen aktuellen Bezug verstanden werden – und umgekehrt. Die Stiftung sollte deshalb ihren Fokus erweitern und die Aufarbeitung der Vergangenheit mit Impulsen für Versöhnung und Austausch heute verknüpfen. Flucht und Vertreibung und die Aufnahme von Millionen von Menschen – das ist nichts Neues für uns. Jeder und jede Dritte in Deutschland kommt aus einer Familie, in der Angehörige vertrieben wurden. Ich finde, hier bietet sich eine riesige Chance für den Dialog zwischen Menschen aus unterschiedlichen Generationen und Kulturen und für Begegnungen auf Augenhöhe. Denn viele ältere Menschen erinnern sich aktuell an ihre eigene Fluchterfahrung. Viele möchten deshalb Geflüchtete unterstützen und ihre Erfahrungen an junge Menschen weitergeben. Gerade die eigene Vertreibungsgeschichte führt doch zu viel Empathie gegenüber denjenigen, die jetzt zu uns kommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Junge Menschen verbinden mit dem Thema Flucht jetzt vor allem die aktuelle Situation in Syrien. Ihr Interesse an einer Auseinandersetzung mit den Ursachen für Flucht und Vertreibung in der Vergangenheit kann durch den Bezug zur aktuellen Situation geweckt werden. Dafür braucht es aber ein Zentrum, das Flucht und Vertreibung über die singuläre Leidensgeschichte einzelner Völker hinaus als Phänomen aufzeigt, das alle betrifft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nur so kann die Stiftung zu einem Forum werden, in dem über Mechanismen von Terror, Krieg und Nationalismus aufgeklärt wird – in Geschichte und in Gegenwart. Im besten Fall könnte so das Erlebte Generationen und Herkunft verbinden. Es kann vielleicht sogar zu einem Ort werden, in dem so etwas wie gelebte Humanität vermittelt wird. Ich möchte die Frau Kulturstaatsministerin ausdrücklich auffordern, beim Thema „Stiftung Flucht, Vertreibung und Versöhnung“ die bisher verpassten Chancen für einen ernstgemeinten Neuanfang endlich zu ergreifen und nicht erneut wieder verstreichen zu lassen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine friedvolle Zeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Ute Bertram für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Ute Bertram (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Thema „Flucht und Flüchtlinge“ ist seit Monaten in aller Munde. Wenn wir sehen, wie viele Menschen heute in Deutschland Schutz suchen, erkennen viele Deutsche Parallelen zur eigenen Familiengeschichte. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg kamen aus den ehemaligen deutschen Gebieten gut 14 Millionen Flüchtlinge und Heimatvertriebene ins heutige Bundesgebiet. Später folgten die deutschstämmigen Aussiedler aus dem östlichen Europa und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Sie alle standen vor der Aufgabe, sich hier eine neue Heimat zu schaffen, ohne ihre Wurzeln zu verleugnen. Eine Allensbach-Studie hat erst dieses Jahr bestätigt: Jeder vierte Deutsche hat dazu einen persönlichen oder familiären Bezug. Welche Rolle die alte Heimat bis heute spielt, sehe ich in meinem Wahlkreis Hildesheim. Tausende von Schlesiern bauten sich bei uns eine neue Heimat auf, und bis heute gibt es einen regen kulturellen Austausch mit der Herkunftsregion im Riesengebirge rund um die Stadt Hirschberg. Es ist beeindruckend, was die Heimatvertriebenen und ihre Organisationen bis heute leisten, vor allem auch für die Verständigung mit unseren osteuropäischen Nachbarn. Allerdings stirbt die Generation derer, die sich noch aus eigenem Erleben an Hirschberg oder an die anderen Herkunftsorte des deutschen Ostens erinnern können, aus. Wir stehen deshalb vor der großen Herausforderung, die Jugend für das gemeinsame Engagement mit Osteuropa zu gewinnen. Hier müssen die Schulen noch mehr tun. Denn für unser nationales Selbstverständnis spielt dieser Teil der deutschen Geschichte eine entscheidende Rolle. Die unmittelbare Pflege des Kulturgutes der Herkunftsgebiete ist damit eng verbunden. Seit 1953 engagiert sich der Bund für die Förderung von Archiven, Museen, Bibliotheken, Wissenschaft und Forschung im östlichen Europa. Wie wichtig uns diese Förderung ist, haben wir noch einmal im Koalitionsvertrag verankert. Wir sprechen heute über das Engagement des Bundes in den Jahren 2013/14. Der Bericht belegt eindrucksvoll die Vielfalt der Vorhaben zur deutschen Kultur und zur Geschichte im östlichen Europa. Im Vergleich zum Berichtszeitraum 2011/12 konnten wir die Förderung um mehr als 30 Prozent auf insgesamt 43,5 Millionen Euro aufstocken. Mit weiteren 1,7 Millionen Euro unterstützt das Bundesministerium des Innern im gleichen Zeitraum die verständigungspolitische Arbeit der Vertriebenen. Das ist ein deutliches Zeichen unserer hohen Wertschätzung für das kulturelle Erbe im östlichen Europa. Freilich will ich nicht verhehlen, dass wir die starken Kürzungen in diesem Bereich aus der Regierungszeit von Rot-Grün noch nicht vollständig überwunden haben. Insofern, Frau Lotze und Frau Schauws, kann ich es nicht akzeptieren, dass Sie hier Kritik anbringen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bei uns Christdemokraten ist dieses Thema nämlich ganz oben angesiedelt. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel hat es sich letztes Jahr nicht nehmen lassen, nach Schweidnitz und Kreisau in Schlesien zu fahren. 1989 nahm Helmut Kohl mit dem damaligen polnischen Regierungschef Tadeusz Mazowiecki an der Kreisauer Versöhnungsmesse teil. Der Friedensgruß zwischen den beiden gilt als der symbolische Ausgang des Versöhnungsprozesses nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. 25 Jahre später feierte die Bundeskanzlerin dort das Mauerfalljubiläum. Auf dem Gut der Familie Moltke verschwor sich einst der berühmte Kreisauer Kreis gegen Hitler. Heute ist daraus, auf Wunsch Deutschlands, eine deutsch-polnische Jugendbegegnungsstätte geworden. Weil wir wissen, dass Kulturarbeit Brücken schlägt, fördern wir als Parlament noch weitere Projekte. Als Beispiel möchte ich den Kulturhauptstadtexpress nach Breslau anführen, Europäische Kulturhauptstadt 2016. Auch dort wird deutsch-polnische Kulturarbeit lebendig; denn die deutsche Geschichte der Stadt wird auch im Kulturhauptstadtprogramm vorkommen, genauso wie die deutschen Minderheiten. Das Thema bleibt aktuell in Bezug auf unsere östlichen Nachbarn, und es wird aktuell in Bezug auf unser Zusammenleben mit allen Tausenden Flüchtlingen, die heute zu uns kommen. Ich hoffe, dass all jene, die sich seit Jahren für die Vertriebenen engagieren, ihr vieles Wissen nun mit einbringen. Denn wer weiß, was Flucht und Vertreibung für das eigene Leben bedeuten, der kann auch den heute ankommenden Flüchtlingen helfen. Ich wünsche Ihnen allen eine gesegnete Weihnachtszeit. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Dr. Bernd Fabritius hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich fasse den Bericht der Bundesregierung zu § 96 BVFG zusammen: Es brechen endlich wieder bessere Zeiten an. – Und das ist hocherfreulich. Einige Vorrednerinnen tun allerdings fast so, als ob sich Kulturpflege in Geschichtsbewältigung erschöpft. Das ist dem Grunde nach falsch. Deswegen gehe ich darauf nicht ein. Nach 15 Jahren ist es uns gelungen, die Kulturförderung nach § 96 BVFG wieder auf das Niveau zu bringen, das es vor dem unglücklichen Kahlschlag vor 15 Jahren hatte, und sogar noch zu steigern. Das Fördervolumen hat endlich wieder das Niveau erreicht, welches Inhalt und Auftrag des § 96 entspricht. § 96 ist beileibe kein Instrument der Flüchtlingspolitik, auch wenn einige das gerne so hätten. Es war dringend nötig: Das jahrhundertealte kulturelle Erbe der Deutschen aus den ehemaligen Siedlungsgebieten in Ost-, Mittelost- und Südosteuropa – das ist Objekt des § 96 – sowie die „Weiterentwicklung der Kulturleistungen der Vertriebenen“ wurden mit dem Naumann‘schen Änderungskonzept im Jahre 2000 faktisch aufgegeben. Es sollte durch weitgehende Musealisierung – welch euphemistische Umschreibung einer Abwicklung – geradezu kaltgestellt werden. Die Verbände und Selbstorganisationen der deutschen Heimatvertriebenen sollten kaputtgespart werden. Ihre eigenen Kultureinrichtungen wurden zunehmend isoliert und von der Bundesförderung ausgeschlossen. Das breite Aufgabenspektrum zu Pflege, Erhalt und Weiterentwicklung dieses kulturellen Schatzes – besonders auch der kulturellen Breitenarbeit – konnte von den entsprechenden Verbänden so nur noch ungenügend erfüllt werden. Kulturpflege in der Personengruppe war auf ehrenamtliche Wahrnehmung und Finanzierung durch beschränkte Eigenmittel reduziert und entsprach so nicht im Ansatz mehr dem gesetzgeberischen Auftrag, den man sich immer wieder vergegenwärtigen sollte. (Hiltrud Lotze [SPD]: Es ging um Professionalität!) Erst mit dem Haushaltsjahr 2006 konnten wieder ein positiver Trend eingeleitet und die Mittel nach und nach aufgestockt werden. Wenn wir einen Blick in den hier vorliegenden Bericht werfen, dann wird deutlich, dass dieses Geld gut angelegt ist und dass eine umfassende, breite und professionelle Kulturarbeit, Frau Kollegin Lotze, heute erneut möglich ist. Wir sehen natürlich auch, dass es an der einen oder anderen Stelle weiteres Verbesserungspotenzial gibt. Ich denke beispielsweise an die Förderung der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen oder an dringend benötigte Kulturreferenten im Wirkungsbereich dieses Personenkreises, dessen Kultur es zu sichern und zu entwickeln gilt. Ich sehe auch noch Lücken in der institutionellen Förderung einiger Museen, um auch eine gewisse Nachhaltigkeit bei deren Arbeit sicherzustellen. Denn eines ist klar: Mit reiner Projektförderung sind Nachhaltigkeit und Kontinuität nicht mehr als ein Wunsch und damit ebenfalls ungenügend im Sinne des § 96 BVFG. Ich sage Ihnen auch, warum es richtig und wichtig ist, sich für eine nachhaltige Förderung einzusetzen und dieses kulturelle Erbe der deutschen Heimatvertriebenen – ich wiederhole es – zu erhalten: Die Kultur der deutschen Heimatvertriebenen ist unser aller kulturelles Erbe und Teil der gesamtdeutschen Geschichte. Deswegen hat der Gesetzgeber mit § 96 eine gesamtdeutsche Verpflichtung zum Erhalt und zur Weiterentwicklung dieses Erbes geschaffen, das nicht zur Disposition stehen darf. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Weiterentwicklung!) Die Selbstorganisationen der Heimatvertriebenen dürfen wir mit dieser Arbeit nicht alleine lassen. Sie müssen vielmehr als Partner der Kulturarbeit in die Bemühungen von Bund und Ländern zum Erhalt eines lebendigen Kulturerbes einbezogen werden. Daher zählt es zu unseren Verpflichtungen, im Bereich von Wissenschaft und Forschung, im Bereich von Kulturvermittlung, im Bereich der gesamten kulturellen Breitenarbeit deutliche Signale zu setzen und die einzelnen Gruppen zu unterstützen. Auch die Einbeziehung derjenigen – das wurde dankenswerterweise angesprochen –, die heute weiter in den Siedlungsgebieten leben und dort zum Erhalt von Traditionen, Bräuchen und kulturellen Werten beitragen, ist wichtig. Deshalb bin ich dankbar dafür, dass wir im Haushalt 2016 die Mittel für die Förderung der deutschen Minderheiten vor Ort weiter erhöht haben und so unseren Teil dazu beitragen, das kulturelle Erbe in den Herkunftsgebieten zu erhalten. (Beifall bei der CDU/CSU) Gleichzeitig fordere ich an dieser Stelle auch unsere Nachbarländer dazu auf, diese Kultur zu schützen und einen Beitrag zu ihrem Erhalt zu leisten. Denn es ist auch ihre Kultur, die als Teil der jeweiligen Gesamtkultur über Jahrhunderte in diesen Regionen gewachsen ist. Polen und seine neue Regierung dürfen das Engagement auf diesem Gebiet nicht aufgeben und müssen insbesondere auch die Verpflichtungen aus der ratifizierten einschlägigen Charta des Europarates einhalten. Entgegenstehende Signale dürfen sich nicht verfestigen und sollten zum Nachdenken anregen. Denn, Frau Kollegin Hupach, die Kultur Schlesiens ist auch die Kultur Polens, die Kultur der Sudetendeutschen ist auch die Kultur der Tschechischen Republik, und die Kultur Siebenbürgens und des Banats ist auch die Kultur Rumäniens. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Sigrid Hupach [DIE LINKE]) Kulturarbeit und Kulturförderung haben auch etwas Verbindendes. In einem vereinten Europa sind die jeweiligen Minderheiten wichtige Brückenbauer und Verständnisbilder zwischen den Nationen. Die Verbände aus Deutschland stehen in einem intensiven Dialog mit den Minderheiten vor Ort, mit der einheimischen Mehrheitsbevölkerung und mit den staatlichen Institutionen. Gerade im Jugendbereich gibt es weitreichende Kooperationen und Projekte, die alte Vorurteile abbauen und sich für Verständigung mit den östlichen Nachbarn starkmachen. So wächst Europa weiter zusammen, so funktioniert eine auf Völkerverständigung ausgerichtete Kulturpflege. Abbau von Vorurteilen scheint auch in Deutschland weiterhin nötig zu sein. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Ja, aber Revanchismus brauchen wir nicht!) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/5598 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Transfer von Forschungsergebnissen und Innovationen in die Gesundheitsversorgung beschleunigen Drucksache 18/7044 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Stephan Albani für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. René Röspel [SPD]) Stephan Albani (CDU/CSU): Liebe Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren auf den Tribünen und zu Hause an den Bildschirmen! Die Medizintechnik ist für uns Menschen und unsere Wirtschaft in Deutschland von großer Bedeutung. Wir haben in Deutschland ein Gesundheitsversorgungssystem, das uns Versicherten eine umfangreiche medizinische Versorgung auf hohem Niveau bietet. Das ist vorbildlich und weltweit anerkannt. Der Gesundheitssektor in Deutschland ist zugleich auch ein erheblicher Wirtschaftsfaktor. So sind in der erweiterten Gesundheitswirtschaft derzeit rund 6,2 Millionen Erwerbstätige beschäftigt. Fast jeder siebte Arbeitsplatz findet sich also in diesem Bereich, und Prognosen gehen von einem deutlichen Zuwachs der Beschäftigten in diesem Bereich aus. Mehr als 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes werden im Gesundheitsbereich erwirtschaftet. Die erweiterte Gesundheitswirtschaft ist damit die größte Wirtschaftsbranche in Deutschland. In ihr sind mehr Menschen beschäftigt als in der Automobilindustrie und in der Elektroindustrie zusammen. Allein die industrielle Gesundheitswirtschaft beschäftigt in Deutschland mehr als eine Viertelmillion Menschen und generiert zudem doppelt so viele Arbeitsplätze in anderen Wirtschaftsbereichen. Die Medizintechnik stellt innerhalb dieser Gesundheitswirtschaft einen zentralen Wachstumstreiber dar. Mit rund 130 000 Mitarbeitern und einem jährlichen Umsatz von 8,7 Milliarden Euro im Inland und 18,3 Milliarden Euro im Ausland ist die Medizintechnik von hoher Bedeutung. Vor allem kleine und mittlere Betriebe in Deutschland bilden mit 1 200 Betrieben und einer Exportquote von 68 Prozent die große Stütze der Branche. Die Medizintechnik hat viele Erfindungen hervorgebracht, die unser Leben heute lebenswerter machen und überlebenswichtig sind. Wer möchte sich eine Welt ohne diese Hilfsmittel vorstellen, deren Ziel es ist, die Gesundheit der Menschen durch Diagnostik und Therapie zu ermöglichen und das Leben schlussendlich sogar zu retten? Medizinische Innovationen retten immer wieder Leben. So verringerte sich in Deutschland im Zeitraum 2000 bis 2010 die Sterblichkeit bei akutem Herzinfarkt um rund ein Fünftel. Die hohe Überlebensquote verdanken wir der verbesserten Notfallversorgung, wirksamen Medikamenten und eben leistungsfähigen Medizinprodukten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Von Hilfs- und Verbandsmitteln über Geräte für Diagnostik, Chirurgie und Intensivmedizin bis hin zu Prothesen, Implantaten und der Bildgebungstechnik erstreckt sich die Bandbreite. – So weit, so gut. Aber: Angesichts der zunehmenden Komplexität im Innovationsprozess bedarf es immer häufiger und mehr gemeinsamer Anstrengungen und Abstimmungen vonseiten der Forschungs-, der Gesundheits- und auch der Wirtschaftspolitik, um dies in Zukunft zu verbessern. Ein Transfer von Innovationen aus der Forschung in die Gesundheitsversorgung zum Nutzen der Patientinnen und Patienten muss effektiver und effizienter gestaltet werden. Forschungspolitisch hat sich die Bundesregierung mit dem im Jahr 2010 verabschiedeten Rahmenprogramm Gesundheitsforschung hier bereits auf den Weg gemacht. Insbesondere durch den nationalen Strategieprozess „Innovationen in der Medizintechnik“, den das Bundesministerium für Bildung und Forschung, das Bundesgesundheitsministerium und das Bundeswirtschaftsministerium gemeinsam mit zahlreichen Akteuren von 2010 bis 2012 durchführte, wurden Innovationshürden für die Medizintechnik und Wege zu deren Überwindung aufgezeigt. Aus den Handlungsempfehlungen dieser Strategie lässt sich nun erkennen, dass es hier noch weiterer Anstrengungen in Bezug auf eine kohärente Innovationspolitik der Bundesregierung bedarf. Dies fordern wir in dem vorliegenden Antrag. Wir wollen darum die ressortübergreifende Zusammenarbeit weiter unterstützen und weiter ausbauen und den Transfer von Forschungsergebnissen stärken. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Nach umfassenden technischen Innovationen in den vergangenen Dekaden ist es wichtig und richtig, die Forschungsförderung nicht allein, aber verstärkt am Bedarf der Versorgung zu orientieren. Daher müssen wir nun in einem nächsten Schritt Forschungsförderung bedarfsorientierter verfolgen. (Beifall des Abg. René Röspel [SPD]) Wir stellen fest, dass das Spannungsfeld von teilregulierten Märkten und komplexen Versorgungssystemen die Entwicklung eines Medizinproduktes auf dem Weg von der Idee zur Anwendung erheblich erschwert. Es darf nicht sein, dass ein Patient 14 Jahre auf ein innovatives Medizinprodukt warten muss. 14 Jahre! (Beifall bei der CDU/CSU) Das ist der Durchschnitt. Das bedeutet: Wenn einer oder zwei das Medizinprodukt innerhalb von einem Jahr oder zwei Jahren bekommen, müssen andere bis zu 30 Jahre darauf warten. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Wie bei Autos!) Stellen Sie sich einen Patienten vor, der beim Arzt oder Apotheker in einer Zeitschrift oder Tageszeitung liest, dass in einem hervorragenden Forschungsinstitut oder an einer Universität ein neues Verfahren entwickelt wird, und zwar just genau für die Erkrankung, unter der er leidet. Was tut er? Er fragt seinen Arzt. Dieser antwortet: Das habe ich noch nicht. Der Patient schaut dann in den kleinen Kasten unter dem Artikel, in dem der Name des Instituts steht. Er ruft dort an. Auf der anderen Seite ist ein Wissenschaftler, dem Transfer natürlich verpflichtet, und sagt ihm: Ja, wir haben dieses Medikament oder dieses Verfahren gefunden. – Daraufhin fragt der Patient: Ja, wann kann ich das kriegen? – Sie müssen schon ein sehr hartgesottener Wissenschaftler sein, wenn Sie dann dem Patienten erzählen: Jetzt müssen wir erst einmal Start-ups gründen und Lizenzen erwerben. Danach müssen wir die Phasen eins, zwei und drei der Zulassung durchlaufen. All das dauert noch – ich sage einmal – 10 bis 20 Jahre. (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie das abschaffen, oder was?) Wenn der Patient am anderen Ende sagt: „Wer weiß, ob ich dann noch lebe“, müssen Sie schon sehr hart sein, um das zu ertragen. – Das ganze Verfahren müssen wir schneller machen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir wollen daher weiter in die medizinische Forschung investieren und brauchen einen schnelleren Transfer zum Nutzen des Patienten. Dass neue Medizinprodukte – das ist jetzt sehr wichtig – vor Einführung in den Versorgungsalltag einen klinischen Beleg für ihre Schadlosigkeit und ihre Wirksamkeit erbringen müssen, ist im Sinne der Patientensicherheit nicht umkehrbar. Patientensicherheit steht über allem, fraglos. Wenn aber die Genehmigung der Begleitdiagnostik bei einer klinischen Studie die Testung einer Therapie über Monate und Jahre verzögert, dann kann ich nur sagen: Das darf nicht sein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. René Röspel [SPD]) Stellen Sie sich vor, Sie bringen Ihr Auto zum TÜV. Auch hier geht es um die persönliche Sicherheit und um die Sicherheit der Allgemeinheit. (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn es kein VW ist, geht es ja!) Auf die Frage hin, wann Sie Ihr Auto denn wiederbekämen, kommt die Aussage: Wenn wir fertig sind. – Das ist nicht akzeptabel. Ein Wort zu den Fristen bei der Zulassung der Anwendung von Röntgenstrahlen in klinischen Studien. Hier hat das Bundesamt für Strahlenschutz in den vergangenen Jahren bereits Erhebliches verbessert. Aber entscheidend sind die Verbindlichkeit und die Planbarkeit des Prozesses. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dies erscheint vielleicht hier und da als ein kleiner Schritt. Aber es ist ein wichtiges Signal für die in Deutschland forschenden Unternehmen. Kommen wir zu einem weiteren Hinweis auf dem langen Weg von der Idee zum medizinischen Produkt: Es ist völlig normal, dass ein entwickelndes Unternehmen ein unternehmerisches Risiko trägt, fraglos. Wenn es am Ende der Entwicklung und nach einem Beleg des Nutzens aber noch lange – mitunter gefühlt ewig – dauert, bis eine Finanzierung im Versorgungssystem geregelt wird, dann darf auch das nicht sein. Wir können die Unternehmen auf diesem Weg nicht alleinelassen. (Beifall des Abg. Albert Rupprecht [CDU/CSU]) Ein Stichwort ist hier die Innovationsfinanzierung. Hierdurch kann das Wachstumspotenzial der Medizintechnikbranche besser unterstützt und das gesellschaftliche Klima für den Gründergeist weiter gefördert werden. Dies trägt zudem der Tatsache Rechnung, dass Innovationsprozesse deutlich zeit- und kostenintensiver geworden sind. So verständlich die Forderung nach Sprunginnovationen an dieser Stelle auch ist, so darf man doch nicht darüber hinweggehen, dass dem Patienten auch viele kleine Schritte eine erhebliche Verbesserung bringen können. Viele Schritte ergeben mitunter dieselbe Strecke wie ein Sprung. Wir fordern daher die Bundesregierung auf, hierzu an verschiedenen Stellen die Initiative zu ergreifen. Innovationsprozesse müssen vor allem effizienter und kooperativer gestaltet werden. Wir brauchen dafür neue Formen der Zusammenarbeit, neue Versorgungskonzepte, neue Innovationsmodelle und eine neue Kooperationskultur entlang der gesamten Prozesskette. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Hier bin ich insbesondere dafür dankbar, dass die Zusammenarbeit für diesen Antrag nicht nur zwischen den Koalitionspartnern – hier danke ich dem Kollegen Röspel –, sondern insbesondere auch in unseren Fraktionen über die Arbeitsgruppen Wirtschaft und Gesundheit ganz hervorragend funktioniert hat. Wir wollen durch diesen Antrag einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass sich all diese Vorgänge verbessern. Wir beschleunigen den Transfer von Forschungsergebnissen und Innovationen in die Gesundheitsversorgung. Dies umfasst das Vorgetragene, aber auch noch viele andere Dinge: Die Ergebnisse des Pharmadialogs sollen dem Parlament vorgestellt und zeitnahe Umsetzungen vorgeschlagen werden. Zudem sollen ein Aktionsplan Wirkstoff und Arzneimittelforschung vorgelegt und geeignete Rahmenbedingungen für die aktive Einbringung von Interessengemeinschaften, Patientenverbänden sowie Kostenträgern in den Innovationsprozess geschaffen werden. Vorgesehen sind auch die Weiterentwicklung des Konzeptes für die Zentren der Gesundheitsforschung und die Förderung der interdisziplinären Zusammenarbeit. Kehren wir zu dem eingangs erwähnten Patienten zurück, der über eine Therapie seiner Krankheit gelesen hat. Ich möchte, dass wir ihm in Zukunft sagen können, dass er schneller als in 10 bis 20 Jahren eine entsprechende Hilfe bekommt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Anbetracht der Herausforderungen für die Gesundheitsversorgung der Zukunft haben wir den Auftrag, weiter konsequent einen integrierten Politikansatz bezogen auf Gesundheitsforschung, Wirtschaft und Versorgung des Patienten zu verfolgen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. Frohe Weihnachten! (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Kathrin Vogler für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Kathrin Vogler (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele Patientinnen und Patienten setzen große Hoffnungen in den medizinischen Fortschritt und die Ergebnisse der Gesundheitswissenschaften. Sie warten darauf, dass neue Behandlungsverfahren ihr Leid mildern und ihre Lebensqualität verbessern können. Deshalb ist es wichtig, dass Forschungsergebnisse und Innovationen in erster Linie ihnen zugutekommen. Der Antrag, den die Koalition vorgelegt hat, weist aber leider in eine falsche Richtung. Schon der Feststellungsteil, den der Kollege Albani zu großen Teilen vorgelesen hat, ist dermaßen wirtschaftsfreundlich, als hätten Sie sich den von den Unternehmerverbänden schreiben lassen. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Seit wann haben Sie denn was gegen die Wirtschaft?) Ihre flammende Begeisterung für den Wachstumsmarkt Gesundheitswirtschaft kann ich nur sehr begrenzt teilen. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Dann gucken Sie sich die Zahlen doch mal an! Schauen Sie sich die Eckdaten an!) Aus gesundheitspolitischer Sicht ist es nämlich eine Katastrophe, dass die Ökonomisierung im Gesundheitswesen dazu führt, dass sehr viel Geld in Scheininnovationen fließt, die lediglich den Aktienkursen nutzen, aber nicht dem medizinischen Fortschritt. (Beifall bei der LINKEN – Stephan Albani [CDU/CSU]: Das stimmt schon lange nicht mehr!) Regelmäßig kommen unnütze oder sogar schädliche Arzneimittel und Medizinprodukte auf den Markt und lassen die Kosten im Gesundheitswesen steigen und steigen. Das können Sie nachlesen. Im Innovationsreport der Techniker Krankenkasse werden neue Medikamente nach ihrem Nutzen, ihrem Risikopotenzial und den Kosten nach dem Ampelprinzip wissenschaftlich bewertet. In diesem Jahr hat von 20 untersuchten Neuzulassungen nur ein einziges Präparat grünes Licht bekommen. 60 Prozent sind mit der roten Ampel versehen. Ihr Schadenspotenzial ist also höher als der zu erwartende Nutzen. Trotzdem werden diese Mittel bereits massiv verordnet – zum Schaden der Versicherten und der Kranken. Angesichts dieser Missstände gäbe es also tatsächlich einen großen Handlungsbedarf. Aber Sie ignorieren das. Sie haben ja auch die Universitäten und Forschungseinrichtungen systematisch zu Außenstellen der Wirtschaft gemacht. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist unglaublich! So ein Unfug!) Unabhängige Forschung, die nicht von Drittmitteln aus der Industrie abhängig ist, gibt es kaum noch. Es wird vorwiegend beforscht, was wirtschaftlich interessant sein könnte. Die Patente, also die Verwertungsrechte für die Forschungsergebnisse, eignet sich dann die Privatwirtschaft an, auch wenn dafür öffentliche Gelder geflossen sind. Das wollen Sie mit Ihrem Antrag auch noch forcieren. Oder wie soll ich es sonst verstehen, wenn Sie bei der öffentlich geförderten Gesundheitsforschung verstärkt die Effektivität in den Blick nehmen oder im Bereich der Medizintechnik – ich zitiere – konsequent markteffektiv forschen wollen? Mit Ihrer Forderung unter Punkt 2 d wollen Sie allen Ernstes die Krankenkassen auch noch mit Forschungsausgaben belasten. Dabei steigen die Beiträge schon jetzt zum Jahreswechsel, weil diese Bundesregierung permanent für gesamtgesellschaftliche Aufgaben in die Taschen der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler greift. Das machen Sie doch die ganze Zeit: Die Risiken sollen die öffentliche Hand, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler oder die Krankenversicherten tragen; den Gewinn streicht irgendein privates Unternehmen ein. Was bei Ihnen vollständig fehlt, ist eine Orientierung darauf, was unbedingt erforscht werden müsste, aber eben nicht marktkonform ist. Ein Beispiel: Etwa eine halbe Million Menschen infizieren sich in Deutschland jährlich mit sogenannten Krankenhauskeimen. Zehntausende sterben daran, auch deshalb, weil viele Erreger gegen Antibiotika resistent sind. Die Entwicklung neuer Antibiotika müsste deshalb ganz oben auf der Forschungsagenda stehen. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Da steht sie doch! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Lesen bildet!) Antibiotika haben aber aus der Perspektive der Industrie einen entscheidenden Nachteil: Sie heilen nämlich Kranke. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist eine unverschämte Unterstellung!) Man nimmt sie drei Tage, zehn Tage oder ein paar Wochen, und dann ist die Krankheitsursache beseitigt. Reserveantibiotika dürfen gar nicht in großen Mengen verordnet werden; denn sonst geht der Teufelskreis der Resistenzen wieder von vorne los. Aus wirtschaftlicher Perspektive ist es schlicht uninteressant, solche Produkte zu entwickeln. Da sagen wir als Linke: Wir brauchen eine öffentliche, staatliche Forschungsförderung, die sich eben nicht am möglichen Profit orientiert, sondern am gesellschaftlichen Nutzen, also am Allgemeinwohl. (Beifall bei der LINKEN) Die Ergebnisse dieser Forschung, die Patente, gehören dann auch in öffentliche Hand. Wir brauchen eine kritische und unabhängige Gesundheitswissenschaft, die auch erforscht, welche Therapien vielleicht unnütz oder gar schädlich sind, selbst wenn das bestimmte Geschäftsmodelle beenden könnte; denn sonst wird unser Gesundheitswesen noch mehr zum Selbstbedienungsladen für Unternehmen, die sich aus den Kassen der Versicherten grandiose Gewinnspannen organisieren. Aber CDU/CSU und SPD lehnen dies ab. Vor knapp vier Wochen hat die Linke in den Haushaltsberatungen 500 Millionen Euro für eine nichtkommerzielle Pharmaforschung gefordert. Dazu haben Sie Nein gesagt. (Stephan Albani [CDU/CSU]: Der Haushalt ist verdoppelt worden! Was für ein Quatsch!) Stattdessen kommen Sie nun mit seitenweise Lobhudelei für die Bundesregierung und deren wirtschaftsfreundlichen Kurs. Entschuldigung, dieser Antrag ist einfach nur ein Armutszeugnis. Er ist forschungspolitisch nutzlos und gesundheitspolitisch kontraproduktiv. Gesundheit ist ein Menschenrecht und keine Ware. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege René Röspel für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) René Röspel (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielleicht versuchen wir nun, anhand des Antrags ein bisschen zu referieren, worum es geht. Der Kollege Albani hat viel, wenn auch relativ schnell, aus dem Antrag zitiert. Es geht tatsächlich um die Verbesserung der Medizintechnik und der Versorgung von Menschen. An dieser Stelle, Stephan Albani, vielen Dank für die gute Zusammenarbeit – auch mit der Kollegin Griesbach aus Ihrem Team – im abgelaufenen Jahr. Wir haben uns beispielsweise um vernachlässigte und armutsassoziierte Krankheiten gekümmert, einen entsprechenden Antrag gestellt und forciert, dass das BMBF dagegen etwas tut. Die Linke ist leider vor langer Zeit aus diesem Thema ausgestiegen und beschränkt sich in ihren Anträgen offenbar auf Ihre Ideologieschemata und -schablonen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Weil Sie den unbewiesenen, da falschen Vorwurf der interessengeleiteten Forschung erhoben haben, (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das ist so billig!) will ich darauf hinweisen, dass wir, die drei Fraktionen, die sich in den letzten anderthalb Jahrzehnten der Regierungsverantwortung gestellt und nicht verweigert haben, in den Bereich des basisgesellschaftlichen und basiswissenschaftlichen Fortschritts wesentlich investiert haben, nämlich in die Grundlagenforschung. Seit 2005, als Rot-Grün den Pakt für Forschung und Innovation auf den Weg gebracht hat, den alle nachfolgenden Regierungen fortgesetzt haben, gibt es bis zum Auslaufen dieses Paktes 22 Milliarden Euro mehr für die Grundlagenforschung. Diese Forschung findet beispielsweise bei Max-Planck-Instituten und der Helmholtz-Gemeinschaft statt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Diese Forschung ist nicht interessengeleitet. Im Rahmen des Hochschulpakts wird bis zu dessen Ende 2019 die zentrale Basis unseres Wissenschaftssystems mit über 20 Milliarden Euro gefördert, nämlich die Forschung an den Hochschulen. Diese Forschung ist ebenfalls nicht interessengeleitet, auch wenn Sie das gerne anders hätten. Kein Max-Planck-Forscher wird sich vorschreiben lassen, was er zu erforschen hat, und das ist auch gut so. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das war übrigens kein leichter Akt, sondern eine große Kraftanstrengung. Warum ist Grundlagenforschung so wichtig? In der Grundlagenforschung widmen sich Menschen bestimmten Fragen und suchen nach Antworten. In der angewandten Forschung, die von Unternehmen betrieben wird, wird eine Lösung für ein Problem gesucht, eine Lösung, die man meinethalben kommerzialisieren kann. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Ja, wir brauchen aber auch Lösungen, die keiner kommerzialisieren kann!) – Deshalb fördern wir die Grundlagenforschung. Aber die Politik mischt sich nicht ein. Die Forscher können im Rahmen ethischer Grenzen tun und lassen, was sie wollen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Es gibt ein paar prägnante Beispiele, die deutlich machen, warum Grundlagenforschung für den Erkenntnisgewinn wichtig ist. Genau darum geht es in unserem Antrag: Wie können wir Erkenntnisse, die in der Grundlagenforschung gewonnen werden, in die Gesundheitsversorgung oder – dagegen ist nichts zu sagen – in kommerzielle Anwendungen transferieren? Vor 120 Jahren – das ist vielleicht eines der bekanntesten Beispiele – hat ein Physiker im Physikalischen Institut in Würzburg vor einer abgedeckten Kathodenröhre gesessen und ein bisschen experimentiert. Dann hat er festgestellt, dass bestimmte Substanzen außerhalb dieser Region zu leuchten anfangen. Dieser Physiker war Wilhelm Conrad Röntgen. Er hat sich mit Grundlagenforschung befasst und überhaupt keine Überlegungen angestellt, welche Anwendung seine geniale Entdeckung haben könnte. Auf Röntgenforschung, Röntgenstrahlen und Röntgenapparate will heute aber niemand mehr in einem guten Gesundheitssystem verzichten. Was ich beschrieben habe, ist vor 120 Jahren passiert. Ein aktuelles und räumlich näheres Beispiel: Keine 500 Meter Luftlinie von hier entfernt befindet sich das Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie. Dort betreibt man reine Grundlagenforschung. Man hat sich dort unter anderem mit der Tuberkulose befasst. Der einzige Impfstoff gegen Tuberkulose ist fast 100 Jahre alt; er stammt von 1921. Dieses Grundlagenforschungsinstitut hat die große Hoffnung, einen neuen Impfstoff gegen Tuberkulose zu entwickeln, auch wenn sich dieser noch in der klinischen Phase befindet. Der entscheidende Punkt ist, wie man die Erkenntnisse der Grundlagenforschung gewinnbringend – gewinnbringend im Sinne von gesellschaftlicher Verbesserung, von mir aus auch gewinnbringend für pharmazeutische Unternehmen, die daraus irgendwann Kapital schlagen können – auf den Markt bringen kann. Das geht zunächst leider nicht ohne staatliche Mittel; aber irgendwann muss sich ein Pharmaunternehmen dieser Erkenntnisse der Grundlagenforschung annehmen, um dann, wie hier, einen Impfstoff zu vermarkten. Dieser Antrag setzt sich im Wesentlichen mit Medizintechnik auseinander: Wie können wir das, was Röntgen entdeckt hat, im medizintechnischen Bereich praktisch umsetzen? Aber wir gehen auch deutlich über die Medizintechnik hinaus. So fordern wir zum Beispiel einen Aktionsplan Wirkstoff- und Arzneimittelforschung. Das Thema Antibiotika ist hier schon angesprochen worden. Es gibt seitens des BMBF seit längerem – vielen Dank dafür – eine Antibiotika-Resistenzstrategie, weil bekannt ist, dass gegen die meisten Antibiotika, die wir verwenden, wegen menschlichen Missbrauchs – von mir aus können wir auch sagen: wegen kommerziellen Missbrauchs – Resistenzen existieren. Dagegen müssen wir etwas tun. Wir wollen einen Aktionsplan Wirkstoff- und Arzneimittelforschung, weil die pharmazeutischen Unternehmen da versagen; das muss man deutlich sagen. Wir haben gestern über das EFI-Gutachten gesprochen. Darin findet man die Aussage, dass die Forschungs- und Entwicklungsintensität gerade der pharmazeutischen Industrie seit 2012 rückläufig ist. Sie ist in Deutschland zwar immer noch auf einem hohen Niveau; aber offenbar wird zu wenig geforscht. Da braucht es leider staatliches Engagement und politische Initiativen, um eine Verbesserung zustande zu bringen. Deutschland war einmal die Apotheke der Welt. Unsere globale Verantwortung für Menschen und Länder, die sich Medizin eben nicht so leisten können wie wir, bewegt uns dazu, zu sagen: Wir müssen in diesem Bereich unseren Teil beitragen. Es braucht öffentliche Mittel, also Steuermittel, und öffentliche Forschung, um da ein Stück weiterzukommen. Dieser Gedanke findet sich in unserem Antrag wieder. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir fordern zum Beispiel, dass die Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung, die es seit einigen Jahren gibt – dort konzentriert man sich auf die Arbeit zu bestimmten Themen; man ist vernetzt mit Dritten, mit Hochschulen, aber auch mit Wirtschaftsunternehmen –, im Hinblick auf die Möglichkeit evaluiert werden, die dort gewonnenen Erkenntnisse in die Versorgungspraxis, in die Gesundheitsversorgung zu transferieren. Es geht also darum, dass das, was dort erforscht wird, bei den Menschen ankommt. Unsere bereits bestehenden Systeme, die Gesundheitsnetzwerke und die Kompetenznetzwerke – wo Menschen gesundheitlich versorgt werden, wo Forscher, etwa Hochschulkliniker, arbeiten, wo die Erfahrungen aus Forschung und die Behandlung von Patienten zusammenkommen –, müssen stärker gefördert werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch da wollen wir bestehendes Gutes im Sinne der Patientenorientierung und der Forschung erhalten. Ich will auch darauf hinweisen, dass deutlich mehr Patientenverbände als bisher beispielsweise im sogenannten Agenda-Setting von Forschung berücksichtigt werden müssen. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Wir wollen die Betroffenen und Patientenverbände an den Überlegungen, was für Forschung betrieben werden soll, partizipieren lassen. Ich finde, dagegen kann man überhaupt nichts sagen. Es wird noch schwer genug sein, diese Neuerung durchzusetzen. Ein letzter wichtiger Punkt – das hätten Sie in unserem Antrag lesen können –: Wir wollen mehr in die Versorgungsforschung und in die Pflegewissenschaft investieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Medizintechnische Innovationen sind wichtig, wie sich bei Röntgen gezeigt hat. Manchmal sind es aber gar nicht die großen teuren Geräte, die unsere Gesellschaft weiterbringen. Es wäre schon ein Fortschritt, wenn sich mehr Menschen im Krankenhaus einfach nur die Hände waschen würden. Mit einfachen Mitteln, etwa mit der Beachtung von Hygieneregeln, würden wir uns viele Probleme ersparen. Das heißt: Wir wollen nicht nur mit Medizintechnik auf die Menschen zugehen und dort das Heil suchen, sondern wir sagen, dass es in der Versorgungsforschung viele kleine Maßnahmen gibt, von technischen Maßnahmen abgesehen, (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zum Beispiel mehr Personal!) etwa wie man mit pflegebedürftigen Menschen umgeht und was man beachten muss. Genau das wollen wir hinzunehmen, damit am Ende das Wichtigste steht, nämlich dass es den Menschen im Alltag bei ihrer Gesundheits- und Krankheitsversorgung besser geht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vom forschungsseitigen Ansatz her ist dies, wie ich glaube, ein guter Antrag. Wir werden ein Stück weiterkommen. Die politische Diskussion, was die Gesellschaft damit macht und was die Bürgerinnen und Bürger entscheiden, was ihnen eine gute Gesundheitsversorgung in diesem Land wert ist und ob sie bereit sind, möglicherweise mehr dafür zu bezahlen, (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Vor allem weil ihr ja nur die Versicherten belastet!) findet auf einer anderen Ebene statt. Wir als SPD werden unser Konzept der Bürgerversicherung weiter aufrechterhalten, weil wir glauben, dass es wichtig, ist, dass alle in eine Kasse zahlen und alle die gleichen Möglichkeiten haben. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Thomas Feist [CDU/CSU] – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Stellt doch erst mal die Qualität wieder her!) Aber das werden wir heute hier nicht entscheiden. Ich danke allen Initiatoren und Mitinitiatoren für diesen Antrag, stelle fest, dass ich nichts mehr dazu zu sagen habe, aber noch eine Minute Redezeit habe. Die nutze ich jetzt, um meine Redezeitüberschreitung des ablaufenden Jahres zu kompensieren und Ihnen allen frohe Weihnachten zu wünschen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Kai Gehring für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es freut mich, dass ich jetzt ein bisschen mehr Zeit habe. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Die Präsidentin schüttelt schon den Kopf!) – Das war nur ein Scherz. Meine Damen und Herren! Der zügige Transfer von Ergebnissen der Gesundheitsforschung in die Praxis bedeutet für viele Menschen eine Verbesserung ihrer Lebensqualität. Deshalb ist das Grundanliegen des vorliegenden Antrags der Koalitionsfraktionen zu unterstützen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie beim Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Es ist aber nicht damit getan, wie Herr Albani es getan hat, zu sagen: Von der Idee zur Anwendung muss es schneller gehen. – Nein, wir brauchen Ernsthaftigkeit, Gründlichkeit, Sicherheit und Qualität in den Zulassungsverfahren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Und Schnelligkeit!) – Da hätten Sie jetzt auch mitklatschen können. Ich finde an Ihrem Antrag, den wir seit vorgestern haben und der wieder sehr lang geraten ist, wirklich anstrengend, dass die Koalition dem kleinteiligen Lob des Regierungshandelns so breiten Raum gibt (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Sehr detailliert!) und dagegen bei den Forderungen so allgemein und vage bleibt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Stimmt überhaupt nicht!) Im Antrag verteilen Sie Weihnachtsgeschenke: Die Regierung bekommt Lobeshymnen, (Tino Sorge [CDU/CSU]: Das sind objektive Feststellungen!) die Gesundheitsindustrie ein Musterzeugnis und der Mittelstand einen warmen Händedruck. Einige Probleme werden benannt, deren Gründe aber weitgehend ausgeblendet. So erreichen wir weder mehr Patientenorientierung noch einen effizienteren Einsatz der Forschungsmittel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Beispiel: KMU-Förderung. Sie erwähnen mehrfach das Rückgrat der Branche, also kleine und mittlere Unternehmen. Unbestritten ist, dass diese von bestehenden Förderinstrumenten nicht ausreichend erreicht werden. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Deswegen entwickeln wir das weiter! Genau lesen, Kai!) Das war gestern übrigens auch Thema in der EFI-Debatte. Ihnen fällt ein: mehr Wagniskapital und die Erhöhung der Programmmittel, die bisher noch nicht so gut wirken. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist doch gut! Dann ist doch nichts dagegen einzuwenden!) Wir haben mit der Einführung einer steuerlichen Forschungsförderung für KMU ein wirksames Instrument vorgeschlagen. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ach!) Es ist nicht hinnehmbar, dass dieser fehlende Ausgleich von Förderdefiziten, die es EU-weit nur noch in Deutschland und Estland gibt, Forschungsaktivitäten hierzulande hemmt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie fordern weiter blumig mehr Abstimmung der Forschungs- und Gesundheitspolitik mit der industriellen Gesundheitswirtschaft. Aber erst drei lange Seiten später werden dann endlich die Patientinnen und Patienten erwähnt. (René Röspel [SPD]: Das Beste zum Schluss!) Unklar bleibt, wie diese unterschiedlichen Akteursinteressen fairer als bisher ausbalanciert werden sollen, damit am Ende nicht erneut steigende Arzneimittelkosten und höhere Beiträge für die Versicherten stehen. Das gilt es zu vermeiden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie fokussieren in Ihrem Antrag auf Forschungsfelder, aus denen sich unmittelbar wirtschaftlicher Profit schlagen lässt. Die wichtige und richtige Forderung, neben technischen auch soziale Innovationen zu fördern, kommt dagegen leider nur in einem Halbsatz vor. So setzen Sie nicht die richtigen Prioritäten; denn die wären: mehr Prävention und integrierte Versorgungssysteme zum Wohl der Patientinnen und Patienten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie haben eben gefordert, dass es eine schnellere Zulassung von Medikamenten geben müsse. Das ist generell ein gutes Ziel. Die Sicherheit darf dabei nicht auf der Strecke bleiben. (Stephan Albani [CDU/CSU]: Das habe ich ausgeführt! – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Schau einmal in den Antrag hinein!) – Das haben Sie ausgeführt. Aber wie konkret soll es denn dann gehen? – Wie werden das Verfahren und die Zulassung beschleunigt? Ich finde, da bleiben Sie in Ihrem Antrag, der die Grundlage dieser Debatte ist, sehr nebulös. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]) Das gilt ebenso für Ihre Forderung, den tatsächlichen Nutzen für die Gesundheit stärker bei der Förderentscheidung zu gewichten. Wie wollen Sie denn den Kostenträgern, wie Sie schreiben, frühzeitig die Möglichkeit zur Beteiligung an Innovationsprozessen geben? In dem vorgeschlagenen Dialogverfahren werden die Krankenkassen gar nicht erwähnt. Warum greifen Sie nicht unsere Vorschläge zur Gesundheitsförderung und zur Stärkung der Versorgungsforschung aus den Haushaltsberatungen auf? Das wären wichtige Schritte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Unterstützen möchte ich ausdrücklich die Forderungen nach Stärkung und Evaluation der Verbundforschung. Hierzu muss auch die Rolle der Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung reflektiert werden. Deren Kooperationen, zum Beispiel mit Universitätsklinika, verlaufen generell gut, aber nicht überall optimal. Die Unikliniken haben zudem das Problem eines räumlichen und apparativen Investitionsstaus. Verbesserungen bei der Grundfinanzierung der Hochschulen und Lösungen für den Hochschulbau und Universitätsklinikbau sind somit auch wichtige Bedingungen für einen besseren Forschungstransfer zum Nutzen der Patientinnen und Patienten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Kai, du hast das Kooperationsverbot vergessen!) Patientenbeteiligung, Angebots- und Kostentransparenz sind hehre Ziele; sie sind aber in der Realität längst noch nicht verwirklicht. Sie fordern heute die Beteiligung von Patientenvertreterinnen und -vertretern am Agenda-Setting-Prozess. Das ist gut. Bisher hat die Koalition im Gesundheitswesen dazu wenig zustande gebracht. Es würde uns daher sehr interessieren, wie genau Sie die Forschungsförderung tatsächlich und konkret partizipativer gestalten wollen. Wir freuen uns auf Ihre guten Ideen und bringen eigene ein. Ihr Antrag bietet auf jeden Fall insgesamt sehr viel Stoff zur Diskussion. Deshalb freue ich mich auf intensive Beratungen im Forschungsausschuss. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Ein würdiger Schluss!) Schöne Feiertage. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Tino Sorge für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Tino Sorge (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Vogler, Sie haben das gemacht, was auch der Kollege Gehring wieder gemacht hat: Sie haben unseren Antrag offensichtlich nicht genau gelesen. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Sehr genau!) Sie haben nämlich Kooperation mit Konfrontation verwechselt. Das heißt, Sie haben das herausgegriffen, was Ihnen nicht gepasst hat, und die anderen Dinge einfach nicht erwähnt, und das ist nicht gut. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das stimmt ja nicht! – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Sie könnten mir ja drei Minuten Redezeit schenken!) Worüber reden wir in diesem Antrag? Wir reden über Innovation, und wir reden ganz konkret über Translation. Translation heißt nichts anderes als Übersetzung, so viel wie die PS im Forschungsbereich auf die Straße zu bringen. Das heißt, wir wollen Grundlagenforschung, klinische Forschung und ärztliche Anwendung besser miteinander verbinden. Das ist nichts Schlimmes. Wir haben das Ziel, wissenschaftliche Ergebnisse schneller zum Wohle der Patienten anwenden zu können, aber wechselseitig auch Fragen und Erkenntnisse aus der ärztlichen Praxis in die Wissenschaft zurückzugeben. Dass das schon immer ein wichtiger Grundsatz war, sieht man daran, dass bereits 1654 der Naturwissenschaftler Otto von Guericke mit dem Magdeburger Halbkugelversuch die Existenz des Vakuums nachgewiesen hat. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dass Sie bei Ihrem Antrag über Vakuum sprechen, verstehe ich!) Er hat zwei Halbkugeln mit einer umgebauten Feuerspritze so zusammengefügt, dass die Pferdegespanne, die von beiden Seiten an den Halbkugeln zogen, diese Halbkugeln nicht auseinanderziehen konnten. Damit hat er nachgewiesen, wie hoch der auf ihnen lastende Luftdruck war. Das heißt ganz konkret, wenn man das auf Translation bezieht, dass Innovationen wie die Glühbirne oder das Elektronenmikroskop Eigenschaften des Vakuums nutzen. Deutschland ist auch heute noch das Land von Forschung und Innovationen. Das haben wir erst letztens gesehen, als der Nobelpreis für Chemie an den Forscher Stefan Hell ging. Er bekam ihn für seine Forschung und die Entwicklung der hochauflösenden Fluoreszenzmikroskopie. Das finde ich deshalb so bemerkenswert, weil noch 1873 der Wissenschaftler und Optiker Ernst Abbe sagte, dass Lichtmikroskope keine Objekte vergrößern können, die kleiner als 0,2 Mikrometer sind. Strukturen, die kleiner sind als die Wellenlänge von Licht, sichtbar zu machen, ginge nicht, so hat man bisher immer gesagt. Stefan Hell hat das Gegenteil nachgewiesen und die Gesetze der Optik ausgetrickst. Wie ist die Situation bei uns? Wir haben eine hervorragende Ausgangssituation; wir haben forschungsstarke Firmen und eine exzellente universitäre Forschung. Die Zahl der Unternehmensgründungen ist bundesweit 2013 gegenüber dem Vorjahr um rund 15 Prozent gestiegen. Deutschland belegt weltweit einen Spitzenplatz, wenn es um den Export von Gütern der Hochtechnologie geht. Die Exportquote im Bereich der Medizintechnik liegt bei 65 Prozent. Das heißt aber nicht, dass wir nicht noch besser werden können; denn wer aufhört, besser zu werden, hört auf, gut zu sein. Es herrscht erheblicher Innovationsdruck. Die Innovationszyklen werden kürzer. Wenn man sich überlegt, dass sich zwischen 1800 und 1900 das Wissen verdoppelt hat und heute die Verdoppelung des Wissens in vier Jahren geschieht, dann erkennt man, wie hoch der Innovationsdruck ist. Wir reden gerade in Zeiten der Digitalisierung und Globalisierung darüber, den Anschluss nicht zu verlieren. Wir diskutieren über disruptive Geschäftsmodelle; wir reden darüber, dass sich unser Kommunikationsverhalten durch das Smartphone in den letzten Jahren erheblich verändert hat. Andere Nationen drängen mit Spitzentechnologien auf den Markt. Da heißt es für uns, mit ihnen Schritt halten zu können. Eine große Chance bietet – darauf haben wir in dem Antrag hingewiesen – der Gesundheitsbereich. Man kann natürlich, wie die Opposition es gerne macht, sagen, dass alles schlimm ist und die Gesundheitswirtschaft nur gewinnorientiert ist. Man muss aber sagen, dass öffentliche Forschungsförderung allein nicht ausreicht, Innovationen schneller in den Markt zu bringen. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das hat ja auch keiner gesagt!) Was haben wir als Politik gemacht? Wir wollen sinnvolle Rahmenbedingungen schaffen. Der Etat des Bildungs- und Forschungsministeriums ist erneut um 1,1 Milliarden Euro gestiegen. Das ist ein Zuwachs um 18 Prozent im Vergleich zum Beginn der Legislatur und um 65 Prozent gegenüber 2006. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das mit dem Antrag zu tun?) Das sind Zahlen, die man nennen und durchaus positiv würdigen sollte. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat aber nichts mit Ihrem Antrag zu tun!) Die Investitionen der öffentlichen Hand in Kooperation mit der privatwirtschaftlichen Forschung sind ein Erfolgsbeispiel. Es geht um den Patientennutzen. Schauen wir uns den Gesundheitsbereich einmal an: Es gibt technologische Innovationen wie mitwachsende Herzklappen. Es gäbe viele andere Beispiele, die ich hier nennen könnte. Wir müssen damit aufhören, den Gesundheitsbereich immer nur als Kostenblock zu sehen. Der Gesundheitsbereich ist einer der größten Wachstumsmotoren – mein Kollege Stephan Albani hat bereits darauf hingewiesen – mit einem Anteil von 13 Prozent am Bruttoinlandsprodukt. Es sind mehr Menschen im Bereich der Gesundheitswirtschaft beschäftigt als in der Automobilindustrie. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das sind Punkte, die wir durchaus häufiger erwähnen müssen. Warum tun wir das alles? Wir tun das vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und einer alternden Gesellschaft. Wir wissen, dass in Deutschland im Jahr 2050 jeder Dritte 65 Jahre oder älter sein wird. Die Zahl der Menschen, die an Volkskrankheiten wie Krebs, Diabetes, Adipositas und Herz-Kreislauf-Erkrankungen leiden, steigt erheblich an. Gleichzeitig ist festzustellen, dass aufgrund der Forschung beispielsweise im onkologischen Bereich die Überlebensraten signifikant steigen. Viele Erkrankungen, die bisher tödlich verliefen, sind zu chronischen Erkrankungen geworden. Im immunonkologischen Bereich haben wir in den letzten Jahren Fortschritte erlebt, die bisher nicht denkbar waren. Deshalb ist es so wichtig, dass wir Ergebnisse aus dem Bereich der Grundlagenforschung in innovative therapeutische Verfahren überführen und schneller in die Regelversorgung aufnehmen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das Beispiel der Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung mit ihrer Vernetzung ist angesprochen worden. Ich denke, wir müssen auch da viel besser werden. Es sind gute Grundlagen gelegt. Aber es geht auch darum, dass Wissenschaft und Wirtschaft an den Schnittstellen interdisziplinär besser vernetzt werden. Da wir von Kosten und Kostendeckelung gesprochen haben, will ich den Grundsatz bemühen: Am besten spart man, indem man das Geld erst gar nicht ausgibt, sondern vorhandene Quellen nutzt. Zu diesen Quellen gehören auch die Datenquellen. Wir haben daher mit viel Engagement den Aufbau von Registern vorangetrieben. Wir werden ihn weiter forcieren. Dies ist deshalb so wichtig, um valide Daten über die Ursache, Entstehung und Verbreitung von Volkskrankheiten zu bekommen. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Nationale Kohorte, eine der größten Gesundheitsstudien mit 200 000 Teilnehmern, vorantreiben. Deshalb ist es so wichtig, dass wir Krebsregister zentralisieren, um gute Daten zu bekommen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb ist es so wichtig, ein Diabetesregister zu bekommen. Zum Transplantationsregister liegt uns bereits ein Referentenentwurf aus den letzten Wochen vor. Ich will damit sagen: Wir brauchen keine Datenfriedhöfe. Vielmehr müssen wir anonymisierte Routinedaten, die sowieso erhoben werden und jetzt verfügbar sind, viel stärker nutzen. Wir müssen gerade im Sinne einer besseren Versorgung Forschungseinrichtungen und auch Kassenärztliche Vereinigungen Daten, die ohnehin schon den Krankenkassen vorliegen, nutzen lassen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie noch was zum Datenschutz? Datenschutz ist auch Innovation!) Ich will das an einem konkreten Beispiel aus meinem Wahlkreis Magdeburg – - Vizepräsidentin Petra Pau: Das wird Ihnen nicht mehr gelingen, Kollege Sorge, auch wenn der Koalitionspartner ein paar Sekunden übrig gelassen hat. Sie müssen einen Punkt setzen. Tino Sorge (CDU/CSU): Gut, den werde ich jetzt machen, Frau Präsidentin. Ich wünsche Ihnen, den Kolleginnen und Kollegen und den Zuhörern auf der Tribüne schöne, besinnliche Weihnachten und uns allen ein paar ruhige Tage. Ich hoffe, wir sehen uns alle gesund im neuen Jahr wieder. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Es wird noch Gelegenheiten geben, dieses Thema zu vertiefen. – Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/7044 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Julia Verlinden, Christian Kühn (Tübingen), Annalena Baerbock, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung Erneuerbarer Energien im Wärmebereich (Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz – EEWärmeG) Drucksache 18/6885 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich werte das Gemurmel an der Seite nicht als Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich bitte Sie, die notwendigen Umgruppierungen, Verabschiedungen und anderes zügig vorzunehmen. – Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Dr. Julia Verlinden für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach den mutmachenden Beschlüssen von Paris zum internationalen Klimaschutz kommt es jetzt auf die Umsetzung in jedem einzelnen Land an. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das heißt: Es geht um nichts weniger als darum, jetzt den Planeten zu retten. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Da hat die Bundesregierung großen Nachholbedarf; denn bisher hat sie die Energiewende im Wärmesektor und beim Verkehr völlig verschlafen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]) Das zeigt sich zum Beispiel an den Absatzzahlen für neue Heizungen. Laut dem Bundesverband der Heizungsindustrie waren über 80 Prozent der im vergangenen Jahr verkauften Wärmeerzeuger Öl- oder Gasheizungen. Mehr als 80 Prozent! Ich frage Sie: Wie wollen wir eine Dekarbonisierung schaffen, wenn heute immer noch überwiegend Technik eingebaut wird, die die nächsten 30 Jahre lang Öl und Gas verbrennt? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Durch Heizung, Warmwasser und Industriewärme verursachen wir in Deutschland etwa ein Drittel der gesamten CO2-Emissionen des Landes. Wenn die Regierung ihre Zusagen für ambitionierten Klimaschutz in Paris ernst nimmt, muss sie endlich etwas vorlegen für eine klimaschonende Wärmepolitik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Damit meine ich nicht nur neue Strategiepapiere wie zuletzt Ihre Energieeffizienzstrategie Gebäude. Darin stehen sicherlich viele richtige Fakten. Nur: Das alles sind keine neuen Erkenntnisse. Es gibt in der Wärmepolitik und beim Energiesparen auch gar keine Erkenntnisprobleme. Es gibt vielmehr ein Umsetzungsproblem. Daran schuld ist diese Bundesregierung, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Weil die Regierung jetzt selbst erkannt hat, dass sie in der Wärmepolitik nicht vom Fleck kommt, versucht sie es mit Rechentricks. Im Monitoringbericht zur Energiewende für das Jahr 2013 betrug der Anteil der erneuerbaren Energien an der Wärmeversorgung wie schon in den Jahren zuvor nur knapp 10 Prozent. Im jüngsten Monitoringbericht ist der Anteil dann auf wundersame Weise auf 12 Prozent angestiegen, aber nicht etwa, weil tatsächlich mehr erneuerbare Energien zur Wärmeerzeugung eingesetzt worden wären. Das Gegenteil ist sogar der Fall. Nein, die Regierung hat einfach die Berechnungsmethode geändert, um besser dazustehen. In anderen Zusammenhängen würde man da wohl von Bilanzfälschung sprechen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Jetzt werden Sie vermutlich sagen: Ach, die in der Opposition, die haben ja gar keine Ahnung von Regierungsstatistik. – Dann schauen wir doch mal, was die von Ihnen einbestellten Experten dazu sagen. Den Experten sind Ihre Rechentricks nämlich auch aufgefallen. Ich zitiere aus der Stellungnahme der Wissenschaftler zum Monitoringbericht: Im Bereich der erneuerbaren Wärme lässt der Monitoring-Bericht der Bundesregierung große Datenunsicherheiten und wiederholte Umstellungen der Berechnungsmethodik erkennen, ohne dass dies transparent erläutert würde. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Ach was!) Und weiter heißt es bei den Experten: Der Einsatz erneuerbarer Wärme war im Jahr 2014 rückläufig. Das nenne ich eine schallende Ohrfeige für Ihre Art, sich den Stand der Energiewende im Wärmesektor schönzurechnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sehen Sie der Tatsache doch ins Auge. Es geschieht einfach nicht genug im Wärmesektor, und das, was passiert, geschieht viel zu langsam. Mit dem Zeitlupentempo der Bundesregierung kommen wir im Klima- und Ressourcenschutz einfach nicht voran, meine Damen und Herren. Mit Zahlentricks lässt sich die Klimakatastrophe aber nicht aufhalten. Wir brauchen echte Energieeinsparung, echte CO2-Einsparung und keine Einsparung nur auf dem Papier. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was wir jetzt brauchen, sind konkrete Gesetze mit konkreten Maßnahmen, und da geben wir Ihnen heute Starthilfe. Während die Bundesregierung noch an ihrer Gebäudestrategie feilt, haben wir schon mal losgelegt und einen Entwurf für ein erweitertes Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz ausgearbeitet. Wir stützen uns darin auf das entsprechende Gesetz aus Baden-Württemberg, im Übrigen das einzige Bundesland, in dem es bisher eine Regelung für erneuerbare Energien für die Wärmeversorgung im Gebäudebestand gibt. Und es spricht viel dafür, so eine wichtige Sache jetzt bundeseinheitlich zu regeln. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mit unserem grünen Gesetzentwurf werden also künftig automatisch erneuerbare Energien zum Einsatz kommen, sobald eine Heizung ausgetauscht wird. Die neue Anlage muss dann mindestens 15 Prozent erneuerbare Wärme nutzen. So kommen wir endlich voran mit der Energiewende und mit dem Klimaschutz, und wir kommen voran mit der Unabhängigkeit von teuren Öl- und Gasimporten. Fast 100 Milliarden Euro gibt Deutschland jedes Jahr für Kohle-, Erdgas- und Erdölimporte aus. Und wir Grüne machen bei der erneuerbaren Wärme allein nicht halt. Die grüne Bundestagsfraktion hat ein ganzes Paket an Maßnahmen und Instrumenten geschnürt, wie wir uns eine zukunftsweisende, eine sozial gerechte Wärmepolitik vorstellen. Wir wollen faire Wärme. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Faire Wärme heißt für uns, dass energetische Sanierungen nicht länger für die Vertreibung von Mieterinnen und Mietern aus beliebten Innenstadtlagen missbraucht werden. Für Haushalte mit kleinem Einkommen wollen wir warmmietenneutrale Sanierungen ermöglichen. Dazu haben wir in der Haushaltsdebatte ja auch deutlich mehr Geld gefordert, zum Beispiel für die energetische Quartierssanierung. Faire Wärme heißt für uns auch, dass sich Bürgerinnen und Bürger und Genossenschaften an Sanierungen beteiligen können, zum Beispiel an der energetischen Modernisierung von Schwimmbädern, Schulen und anderen öffentlichen Gebäuden. So mobilisieren wir das notwendige Kapital und schaffen breite Unterstützung für eine vorsorgende Wärmepolitik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Und faire Wärme heißt nicht zuletzt, dass wir mehr erneuerbare Energien für die Wärmeversorgung nutzen; denn Erdöl und Erdgas aus Krisenregionen haben wenig mit fairen Verhältnissen zu tun und genauso wenig mit ernstgemeintem Klimaschutz, meine Damen und Herren. Wir Grüne zeigen, wie faire Wärme geht. Nehmen Sie sich ein Beispiel daran, und legen Sie endlich los. Einen Baustein haben wir Ihnen heute mit dem Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz auf dem Silbertablett präsentiert. Und jetzt sind Sie dran. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Dr. Herlind Gundelach von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in der Vergangenheit in der Tat sehr viel über die Erzeugung von Energie debattiert und auch viel zu lange über die Bedeutung der Energieeffizienz, aber ihrer Förderung zu wenig Aufmerksamkeit zukommen lassen. Vor allem die Wärme wurde in der Tat ein wenig stiefmütterlich behandelt. Aber vor diesem Hintergrund würde mich eigentlich dann doch mal interessieren, ob Frau Verlinden auch definieren kann, was unfaire Wärme ist, wenn sie sagt, dass es faire Wärme gibt. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Dann haben Sie nicht zugehört!) Aber weil das so ist, haben wir im Koalitionsvertrag 2013 festgehalten, dass Energieeffizienz die zweite Säule der Energiewende darstellt, und genau nach dieser Maßgabe handeln wir auch. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Davon sehe ich wenig!) 2014 kam der NAPE mit Sofortmaßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz und einer Vielzahl weiterführender Arbeitsprozesse. Für uns galt aber immer: Nach dem NAPE ist vor dem NAPE. Wir arbeiten deshalb konsequent an neuen Ideen und Impulsen für die Energieeffizienz, natürlich auch für die Wärme. Daher wird allein das im Rahmen des Koalitionsgipfels im Juli 2015 beschlossene Effizienzpaket bis zum Jahr 2020 Haushaltsmittel in Höhe von insgesamt 5,8 Milliarden Euro für mehr Energieeffizienz bereitstellen. Deswegen verwundert es mich doch, dass die Grünen jetzt ein Gesetz auf den Weg bringen wollen, das sich an einem Landesgesetz orientiert, nämlich an dem Erneuerbare-Wärme-Gesetz des Landes Baden-Württemberg, das sich in der Vergangenheit nicht unbedingt bewährt hat. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso das?) – Nein. Im vorliegenden Gesetzentwurf der Kolleginnen und Kollegen von den Grünen ist, genauso wie damals in Baden-Württemberg, eine Pflicht zur anteiligen Nutzung von Erneuerbaren bei der Wärmeversorgung auch im privaten Gebäudebestand vorgesehen. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das ist wichtig, wenn wir die Klimaziele erreichen wollen!) – Genau. Die Grünen möchten folglich, dass Hauseigentümer, wie immer bei Ihnen, beim Tausch der Heizung bestimmte Dinge nutzen müssen. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Bevormundet werden!) Die Bilanz des Erneuerbaren-Wärme-Gesetzes in Baden-Württemberg ist sehr durchwachsen. Hier haben viele Hausbesitzer vor Inkrafttreten des Gesetzes schnell noch ihre Kessel getauscht, um die Pflicht zu umgehen. Danach gab es dann einen starken Einbruch bei den Umsätzen mit Erneuerbaren für die Handwerker und für die Hersteller. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von wem haben Sie denn diese Zahlen?) – Das können Sie nachlesen. Das hat übrigens sogar die Regierung festgestellt. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt überhaupt keine vernünftige Datenlage! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie die Gaskesselhersteller fragen, dann ist ja klar, dass die das erzählen!) Seit der Einführung der Pflicht warten die Hausbesitzer meist darauf, bis ihre Heizung richtig kaputt ist, bevor sie etwas tun. Das belegt im Übrigen auch der Modernisierungsindex, der zeigt, das Baden-Württemberg seit Inkrafttreten des Gesetzes hinter den Bundestrend zurückfällt. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind die Zahlen der Gasindustrie! Das ist doch klar!) Im Länderranking zum Ausbau der erneuerbaren Energien belegt Baden-Württemberg den vierten Platz. Diese Zahlen haben wahrscheinlich auch dazu geführt, dass in anderen Bundesländern trotz grüner Regierungsbeteiligung bislang keine vergleichbaren Regelungen getroffen wurden. Denn: Pflichten funktionieren in diesem Fall gut nur im Neubau. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es funktioniert gut auf Bundesebene!) Entsprechend handelt auch der Bund. Im Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz des Bundes zum Neubau werden auch private Eigentümer zur anteiligen Nutzung von erneuerbaren Energien verpflichtet. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie wollen Sie die Klimaziele denn erreichen?) Auf dem EEWärmeG fußt außerdem das Marktanreizprogramm zur Förderung der erneuerbare Energien, mit dem wir den Ausbau erneuerbarer Wärme im Gebäudebestand fördern. Das Marktanzreizprogramm hat insofern das gleiche Ziel, das Sie mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verfolgen, aber es beschreitet einen anderen Weg zur Zielerreichung: (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wird nicht reichen!) Es beruht nämlich auf Freiwilligkeit und nicht auf Bevormundung. Die Grünen begründen ihre Idee zum Zwang auf nationaler Ebene – das haben Sie eben auch gemacht – vor allen Dingen mit der Behauptung, dass wir das im EEWärmeG formulierte Ziel, nämlich den Anteil der erneuerbaren Energien am Wärme- und Kälteverbrauch bis 2020 auf 14 Prozent zu erhöhen, ohne eine Pflicht zum anteiligen Einbau nicht schaffen könnten. Aber das ist erfreulicherweise ja nur eine Behauptung. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber glauben Sie, die 14 Prozent reichen als Ziel?) Denn die Praxis widerlegt Ihre Annahme. Die Kombination aus gesetzlicher Nutzungspflicht beim Neubau und dem Marktanreizprogramm für die Förderung und den Ausbau im Gebäudebestand hat sich nämlich bewährt. So zeigt der Zweite Erfahrungsbericht zum EEWärmeG, der am 18. November dieses Jahres vom Bundeskabinett verabschiedet wurde, dass der Anteil der Erneuerbaren in der Wärme- und Kälteversorgung von 8,5 Prozent im Jahre 2008, also vor dem Inkrafttreten des EEWärmeG, auf inzwischen 12 Prozent in 2014 gestiegen ist. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe Ihnen doch gerade erklärt, warum das die falsche Berechnung ist! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da schummeln Sie! Fragen Sie doch einmal Ihre eigene Expertenkommission! Die sagt Ihnen, dass da geschummelt wird!) – Nein, wir schummeln überhaupt nicht, sondern das ist eine saubere Berechnung, die Sie nachvollziehen können. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist doch klar, dass da geschummelt wird!) – Nein, ich könnte genauso gut behaupten, Sie schummeln bei Ihrer Interpretation. Wir können die Zahlen bei Gelegenheit gerne miteinander vergleichen. Die Prognose des Erfahrungsberichts geht auf Grundlage der vorhandenen Zahlen übrigens auch davon aus, dass der Anteil bis 2020 voraussichtlich auf 16,3 Prozent ansteigen wird. Damit werden wir unser Ziel, 14 Prozent in 2020, auch mühelos erreichen, ja wir werden es sogar übertreffen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und dann ist alles gut, oder was?) Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, eine ordnungsrechtliche Nutzungspflicht für erneuerbare Energien senkt in der Regel die Akzeptanz und die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger, überhaupt Maßnahmen zur Heizungsmodernisierung zu ergreifen. Deshalb setzt die am 18. November von der Bundesregierung verabschiedete Energieeffizienzstrategie Gebäude auch weiterhin ausdrücklich auf Freiwilligkeit und eben auf das Marktanreizprogramm, das in diesem Jahr übrigens ganz hervorragend angenommen wurde. Dieses Programm wäre aus haushaltsrechtlichen Gründen übrigens gar nicht mit einer gesetzlichen Pflicht zum Einbau kombinierbar; denn das, was Gesetz ist, dürfen Sie über das Haushaltsrecht nicht mehr fördern. Das kann ja wohl auch nicht in Ihrem Interesse sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Ihr Vorschlag ist aus meiner Sicht deswegen ein alter Schuh, der noch nicht mal passt. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben gar keine Idee!) – Doch. – Was wir brauchen, sind kreative und innovative Ideen und Konzepte. Wir brauchen Gesetze, Verordnungen, Programme und Impulse, die genau aufeinander abgestimmt sind; (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Sie machen gar nichts!) denn sonst behindern sich nicht nur die Maßnahmen gegenseitig, sondern dann behindern wir auch die Menschen, die sie umsetzen wollen. Da wir schon fast Weihnachten haben und diese Debatte die letzte vor dem Fest ist, sage ich auch noch ein paar versöhnende Worte: Als jemand, der seit 1987 Umweltpolitik macht und schon bei der Vor- und Nachbereitung der Konferenz von Rio dabei war, finde ich Ihr Engagement für den Klimaschutz ja grundsätzlich positiv; (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber schön!) aber müssen Sie denn immer gleich die Gesetzeskeule schwingen (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich denke, es kommen versöhnliche Worte!) und auf Gebote und Verbote setzen? – Die versöhnlichen Worte kommen im zweiten Teil. – (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach so!) Darauf reagieren Menschen nämlich in der Regel allergisch. Dann suchen sie nach Wegen, wie sie diese Verbote umgehen können; denn die Menschen wollen in der Regel nicht gegängelt werden. Wenn Sie mir das nicht glauben, dann schauen Sie doch einfach einmal in die einschlägige psychologische Literatur oder in weihnachtlicher Muße – das ist zugegebenermaßen sehr anstrengend – in die Werke des großen Kirchenlehrers und Philosophen Thomas von Aquin. Ich appelliere an Sie: Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass die Menschen aufgrund von Einsicht und eigener Erkenntnis im Interesse des Klimaschutzes handeln. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Da sind wir dabei!) Lassen Sie uns das neue Jahr in diesem Sinne mit gemeinsamem Schwung und energieeffizient nutzen. Ich freue mich auf viele fruchtbare Diskussionen mit Ihnen in den kommenden Monaten. Ihnen und Ihren Familien wünsche ich ein schönes und friedfertiges Weihnachtsfest und alles Gute für das kommende Jahr. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner spricht Ralph Lenkert für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ralph Lenkert (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! In der gestrigen Aktuellen Stunde zum Klimagipfel wurde fraktionsübergreifend gewürdigt, dass es in Paris vorwärtsging. Frau Gundelach, man kann sich ja darüber streiten, ob die Schuhe der Grünen neu oder alt sind, aber wenigstens haben sie Schuhe, ziehen sie an und wollen loslaufen, was man von Ihnen nicht sagen kann. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bei Strom aus erneuerbaren Energien, bei Energiespeichern, im Verkehrssektor, bei der Energieeffizienz – überall stehen Sie auf der Bremse, und ganz besonders bei der Wärmewende. 95 Prozent der deutschen Wohngebäude werden immer noch überwiegend mit fossilen Energieträgern beheizt. Nur etwa 4,5 Millionen Haushalte in Deutschland decken einen Teil ihres Bedarfs aus erneuerbaren Quellen. Das ist definitiv zu wenig. So kann Deutschland seinen Teil im Kampf gegen die Erderwärmung nicht leisten. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Grünen legen jetzt einen Gesetzentwurf vor und fordern, dass Hauseigentümer künftig 15 Prozent der genutzten Wärmeenergie aus regenerativen Quellen decken müssen oder weniger Energie verbrauchen müssen. Der Gesetzentwurf geht in die richtige Richtung. Auch die Linke kritisiert, dass die Bundesregierung bei der Sanierung des Gebäudebestandes ihre Gesetzgebungskompetenz ignoriert, vor allem, dass nur auf mieterfeindliche, überteuerte energetische Modernisierungsmaßnahmen gesetzt wird. Es braucht gesetzliche Vorgaben, die Vermieter und Hausbesitzer zu Energieeinsparmaßnahmen bringen, ohne dass diese zu einer ungerechtfertigten Erhöhung der Mieten führen. (Beifall bei der LINKEN) Artikel 14 Absatz 2 des Grundgesetzes bietet die Möglichkeit für diese Forderung. Ich zitiere: Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Das heißt, Sie könnten, wenn Sie wollten. Es ist richtig, den Hauseigentümern größtmögliche Flexibilität bei der Umsetzung zuzugestehen. Die Möglichkeit der Wahl zwischen Heizungsmodernisierung, Dämmung und Sanierungsfahrplan im Gesetzentwurf der Grünen begrüßen wir. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das Landesgesetz in Baden-Württemberg zeigt erste Erfolge. Dass die Anzahl kleiner stromproduzierender Heizanlagen, KWK genannt, wächst, ist so ein Erfolg. (Beifall bei der LINKEN) Allerdings braucht es noch viel mehr Ansätze. Eine differenzierte Energiebedarfsanalyse des Gebäudebestands fehlt noch immer. Liebe Kolleginnen und Kollegen, prüfen wir, ob die Fixierung in der Energieeinsparverordnung, EnEV, auf den Dämmzustand der Außenwände noch der richtige Ansatz ist. Entscheidend ist doch nicht, wie viel Wärme theoretisch durch die Außenwände entweicht, sondern wie viel Heizenergie man entsprechend der Nutzung braucht bzw. einsparen könnte. Heute ist die Messtechnik weiter entwickelt als zur Geburtsstunde der EnEV. Stellen wir also gemeinsam die Analyse auf die richtige Basis: Gebäude müssen nach Heizbedarf je Quadratmeter Nutzfläche bewertet werden. Im Vorschlag der Grünen fehlt auch die Verknüpfung von Wärme- und Strommarkt. Gebäude sind nicht nur Stromproduzenten über Solardächer und KWK-Anlagen. Gebäude könnten auch hervorragend als Wärmeenergiespeicher genutzt werden, damit überschüssiger Wind- oder Solarstrom zwischengespeichert und genutzt wird. Noch ein Wort zu strukturschwachen Regionen. Dort sind viele Hausbesitzer mit Sanierungen schlicht überfordert. Oft ist auch unsicher, ob diese Gebäude zukünftig genutzt werden können. Was machen Sie denn mit der alten Dame, die nur eine geringe Rente bekommt und allein im eigenen Haus wohnt? Da braucht es praktikable Lösungen, um soziale Härten abzufedern: (Beifall bei der LINKEN) Sanierungspflicht bei selbstgenutzten Häusern in solchen Fällen erst nach Eigentümerwechsel, Abwrackprämien für Altheizungen und vor allem Förderungen, die warmmietenneutrale energetische Sanierungen ermöglichen. Mieterinnen und Mieter verdienen den gleichen Schutz wie das Klima. Damit soziale Verantwortung und Klimaschutz möglich werden, fordert die Linke jährlich 5 Milliarden Euro für energetische Sanierungen. Da es kurz vor Weihnachten ist, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union: Sie alle träumen von weißen Weihnachten. Wenn Sie, wie bisher, beim Klimaschutz auf der Bremse stehen, werden weiße Weihnachten in Deutschland in Zukunft nur noch ein Traum sein. Das können wir gemeinsam verhindern. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin spricht Dr. Nina Scheer für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Nina Scheer (SPD): Sehr geehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja schon vieles über den Zustand des Wärmebereichs und über die Ausbauzahlen gesagt worden. Natürlich muss man konstatieren, dass es nicht gut ist, wenn der Ausbau erneuerbarer Energien im Wärmebereich und die Investitionen in den Ausbau erneuerbarer Energien rückläufig sind. Die Zahlen sprechen leider diese Sprache; das muss man einfach konstatieren. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, schade!) Insofern ist es wichtig, dass wir uns damit auseinandersetzen. Ich finde aber, es ist schade, wenn dann ein Modell in den Mittelpunkt gerückt wird, an das sich mehr Fragezeichen als Lösungswege anschließen. Insofern möchte ich einige Punkte in Erinnerung rufen. Zunächst zu den Rahmenbedingungen, mit denen wir zurzeit zu tun haben. Wir haben einen extrem niedrigen Ölpreis. Es ist natürlich klar, dass Anreizprogramme, die aufgelegt werden und die für sich genommen richtigerweise auch auf erneuerbare Energien zielen, in puncto Effizienz – es soll ja auch Effizienz angereizt werden – vor dem Hintergrund eines niedrigen Ölpreises möglicherweise eine ganz andere Wirkung entfalten, als sie es bei einem hohen Ölpreis täten. Natürlich erklärt sich vor diesem Hintergrund auch, dass mit dem Effizienzanreiz, der gesetzt ist und der, wie gesagt, natürlich auch erneuerbare Energien anreizen würde, auf einmal Öl und niedrige Gasbrennwertkessel gefördert und angereizt werden. Das ist eine Entwicklung, die man natürlich beobachten muss und die man nicht gutheißen kann. Auch da, meine ich, müssen wir selbstkritisch sagen: Vielleicht sollte man an dieser Stelle nachsteuern und feststellen: Diese Anreize, die an sich in Richtung Energieeffizienz und Förderung der erneuerbaren Energien weisen sollten, haben leider ungünstige Mitnahmeeffekte. Darauf muss die Politik reagieren. Ein weiterer Punkt ist der milde Winter. Wir haben ein etwas verzerrtes Bild davon, welcher Anteil beim Ausbau der erneuerbaren Energien tatsächlich erreicht wurde, allein schon deshalb – in positiv unterstrichenem Sinne –, weil wir in den letzten Jahren insgesamt einen geringeren Heizbedarf hatten. Wir müssen natürlich darauf vorbereitet sein, dass dies, wenn möglicherweise punktuell wieder härtere Winter kommen, ein anderes Bild hervorruft. Zu guter Letzt – dieser Aspekt ist in den letzten Diskussionen, die wir über diesen Themenkomplex geführt haben, schon vielfach erwähnt worden – ist auch der Investitionsattentismus aufgrund des doch nicht gekommenen steuerlichen Anreizes zu nennen. Wir können natürlich nicht immer nur über Modelle reden; denn dann warten die Leute auf solche Modelle. Wenn sie dann nicht umgesetzt werden, hat das fatale, verheerende Auswirkungen auf das Verhalten der Leute, die ihre Kessel austauschen bzw. Modernisierungsmaßnahmen durchführen wollten, dann aber auf eine Sache gewartet haben. In dieser Zeit hätten sie allerdings, wenn sie nicht gewartet hätten, schon viele gute Maßnahmen ergreifen können. Insofern möchte ich festhalten: Es ist ganz wichtig, dass wir den Umstieg auf die erneuerbaren Energien stärker in den Fokus rücken. Ich finde, diese gute Anstoßwirkung kann man dem Gesetzentwurf, der jetzt vorliegt, entnehmen; das ist anzuerkennen. Man sollte dabei nicht zu stark auf den Effizienzaspekt setzen, weil dann die von mir geschilderten Effekte eintreten könnten. Zu den Berechnungsmethoden nur ganz kurz: Wir können die Zahlen ja noch einmal vergleichen. Das ist aber ein Stück weit müßig. Erläuternd muss man an dieser Stelle sagen: Ja, es ist, auch aufgrund einer Vorgabe der EU, nun dazu gekommen, dass man die ganzen Strombereiche aus der Berechnung herausnimmt, insofern den reinen Wärmebereich als Berechnungsgrundlage nimmt. Daher hat es bei den Zahlen eine Verschiebung gegeben. Aber ich finde es etwas müßig, jetzt so sehr auf die Zahlen abzustellen (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir müssen das Ziel erhöhen!) und die Frage zu stellen: „Sind die Ziele erreicht oder nicht?“, weil es jenseits dieser Ziele aufgrund der gerade von mir genannten Aspekte wichtig ist, dass wir schauen, wie wir es schaffen, die erneuerbaren Energien auszubauen. Jetzt noch zu der Frage: Soll man wirklich das Modell aus Baden-Württemberg übernehmen? Frau Gundelach hat richtigerweise angemerkt, dass auch dort am Anfang ein Effekt zu verzeichnen war, der erst einmal bedeutet hat: Es geht in die falsche Richtung. – Das hat sich inzwischen etwas nivelliert. Aber auch von heute aus gesehen – fünf oder sechs Jahre nachdem das Gesetz in Baden-Württemberg in Kraft getreten ist – können wir feststellen, dass es kein richtig durchschlagendes Instrument ist; das muss man einfach zur Kenntnis nehmen. Vor diesem Hintergrund frage ich mich: Was bedeutet es, wenn man dieses Instrument additiv in den Maßnahmenkatalog, den wir schon haben, aufnimmt? Das hätte zur Folge, dass man beim MAP Umstrukturierungen vornehmen müsste. In einem Bereich, in dem man etwas auf den Weg gebracht hat und in dem man gerade dabei ist, den Menschen zu erklären, welche Möglichkeiten sie haben, müsste man also sagen: Nein, Kommando zurück! Wir ändern das. Die Förderung wird jetzt zu einer Nutzungspflicht umdeklariert. – Das halte ich im Hinblick auf die politische Kommunikation für ungünstig. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Bundesregierung fördert jetzt sogar fossile Gasheizungen! – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fördern und Fordern!) Man kann, wenn man Maßnahmen verändert und wenn sich die politischen Rahmenbedingungen verändern, nicht so tun, als befinde man sich im luftleeren Raum. Man muss schon dafür sorgen, dass die Maßnahmen, die auf den Weg gebracht wurden, auch greifen. Wenn sie nicht zielführend sind, muss man genau dort ansetzen, wo deutlich wird, dass sie nicht zielführend sind, und darf nicht immer gleich das Kind mit dem Bade ausschütten und komplett neue Maßnahmen ins Leben rufen. Das halte ich mit Blick auf die Verunsicherung der Bevölkerung, die Unklarheit ob der Fülle der Maßnahmen, die zur Verfügung stehen, und die Rahmenbedingungen nicht für zielführend. (Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also, in Baden-Württemberg ist niemand verunsichert! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Union ist verunsichert!) – Insgesamt ist ja die Rede davon, das jetzt auf die Bundesebene zu übertragen; davon habe ich gesprochen. Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass wir alle – jetzt spreche ich über meine persönliche Einschätzung – uns auch fragen müssen: Was bedeutet die nach wie vor massive Verstromung und die anderweitige Nutzung fossiler Energien? Ich persönlich bin der Meinung, dass wir auf lange Sicht, gerade angesichts des niedrigen Ölpreises, wahrscheinlich nicht umhinkommen, auch die Schädlichkeit dieser Emissionen zu bewerten; das ist meine ganz persönliche Sicht auf die Dinge. Möglicherweise muss man irgendwann auch über eine Schadstoffsteuer nachdenken; das ist, wie gesagt, meine persönliche Einschätzung. Das wäre eine Maßnahme, die additiv ergriffen werden könnte und die den „richtigen“ Maßnahmen, die schon aufgesetzt wurden, nicht widerspricht. Insofern haben wir, glaube ich, noch eine Menge Diskussionen vor uns. In diesem Sinne: Auf eine konstruktive Zusammenarbeit! Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Dr. Andreas Lenz für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es geht um einen Gesetzentwurf der Grünen zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Wärmegesetzes. Bisher hatten wir es immer mit Anträgen von Ihnen, Frau Verlinden, zu tun. Jetzt liegt gleich ein ganzer Gesetzentwurf vor. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Yeah!) „Respekt!“, dachte ich mir zuerst. Aber ein zweiter Blick machte mir klar: Es handelt sich um nicht mehr als eine Kopie des Gesetzes aus Baden-Württemberg; Sie sagten das ja vorhin selbst. Sie führten in einem Interview aus: Wir haben die Regelungen aus Baden-Württemberg fast durchgängig übernommen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, weil die sich da bewährt haben! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Jawohl, so ist es!) Ich rate Ihnen: Schreiben Sie doch wenigstens von den Klassenbesten ab und nicht von Klassenschlechtesten. (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was kommt denn jetzt? – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer sind denn Ihrer Meinung nach die Klassenbesten?) – Darauf komme ich noch. Der Gesetzentwurf hat eine Pflicht zur anteiligen Nutzung von erneuerbaren Energien für die Wärmeversorgung auch im privaten Gebäudebestand zum Inhalt. Der Pflichtanteil der erneuerbaren Energien bei der Wärme soll auf 15 Prozent steigen. Es soll außerdem eine Ausdehnung der Verpflichtungen auf den privaten Bereich und auf Nichtwohngebäude geben, genauso wie eben in Baden-Württemberg. Ich muss schon einmal sagen: Versuchen Sie erst einmal, Ihre rot-grünen Länderkollegen zu überzeugen, bevor Sie beim Bund anfangen. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was nützt es denn der Branche, wenn wir 16 Landesgesetze haben? Wem nützt das denn?) Kein anderes Bundesland hat bisher dieses Gesetz übernommen. Aber der Bund soll es machen. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, weil Einheitlichkeit für die Branche besser ist!) Das entbehrt einer gewissen Logik. Schaut man sich das Gesetz an, dann gibt es gute Gründe – wir haben es vorhin schon gehört –, warum sich niemand diesem Gesetz anschließt. Die Ausdehnung der Nutzungspflicht für erneuerbare Energien auf den privaten Gebäudebestand ist weder notwendig noch sachgerecht. In der Praxis kann ein solches Gesetz zu Attentismus führen, dadurch, dass die Heizungen noch später repariert werden oder noch länger repariert werden, bevor sie letztlich ausgewechselt werden. Der Umwelt wäre hiermit ein Bärendienst erwiesen. Die Leute lassen sich nicht gerne etwas vorschreiben. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: VW lässt sich auch nicht gerne etwas vorschreiben!) Verpflichtungen und Zwang erreichen häufig weniger als kluge Anreize. Diese richtigen klugen Ansätze werden Gesetz. Im privaten Gebäudebestand wird der Ausbau erneuerbarer Wärme durch das Marktanreizprogramm unterstützt. Im aktuellen Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz ist diese Förderung als zentrales Instrument ausdrücklich verankert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gerade die Kombination aus Erneuerbaren-Energien-Wärmegesetz mit der gesetzlichen Nutzungspflicht für den Neubau und dem Marktanreizprogramm für den Bestand hat sich als wirksam erwiesen. Der am 18. November von der Bundesregierung verabschiedete Zweite Erfahrungsbericht zeigt, dass die Instrumente des Gesetzes wirken. Der Anteil hat sich auf 12,2 Prozent erhöht. Man kann immer sagen: Das ist zu wenig. Man kann auch immer die Berechnungsgrundlage kritisieren, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist geschummelt!) nichtsdestotrotz haben wir einen Anstieg zu verzeichnen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Er geht sogar zurück! – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das haben sogar die Experten gesagt!) Wenn es in diesem Bereich in diese Richtung weitergeht, dann rechnet die Bundesregierung bis 2020 voraussichtlich mit einem Anteil von 16,3 Prozent der erneuerbaren Wärme. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reicht nicht, um die Welt zu retten!) Das ist sogar noch höher als der Zielwert von 14 Prozent. Jetzt können wir trefflich diskutieren, ob es reicht, aber auf jeden Fall ist zu konstatieren, dass das von Ihnen vorgeschlagene Gesetz der falsche Weg für ein solches Ziel wäre. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben wenigstens Vorschläge! Von Ihnen kommt ja nichts!) Schauen Sie einmal auf Bayern statt auf Baden-Württemberg. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Können Sie abschreiben!) Hier liegt der Anteil der erneuerbaren Energien im Wärmebereich 2014 bei 19,6 Prozent, ganz ohne Gesetz. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum gelingt das nicht auf Bundesebene? – Max Straubinger [CDU/CSU]: Bayerische Effektivität!) Letztlich sind auch die Kosten für die Attraktivität eines Heizsystems entscheidend. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Biogas und EEG, das haben Sie auch kaputtgemacht!) Das billige Öl und Gas tragen dazu bei, dass Erneuerbare preislich unattraktiver werden. Das ist übrigens ein Fakt, den Sie niemals für möglich gehalten haben. Deshalb müssen wir schauen, dass wir die Erneuerbaren wettbewerbsfähig machen, und nicht, dass wir Öl und Gas teurer machen. Steuern sind auch Anreize. Ich möchte bei dieser Gelegenheit auf einen Punkt hinweisen, der die Attraktivität von erneuerbaren Energien im Wärmebereich unnötig behindert. 72 Prozent der erneuerbaren Wärme wurden 2014 durch Holz erzeugt. Dies zeigt auch, dass für die Wärmewende gerade die Biomasse unersetzlich ist. In Deutschland werden Scheite, Briketts und Pellets bei der Umsatzsteuer mit dem begünstigten Satz von 7 Prozent belegt. Das ist auch gut so. Holzhackschnitzel dagegen werden mit dem normalen Steuersatz von 19 Prozent belegt, außer sie bestehen überwiegend aus Nadeln und Rinden und sind so optisch eindeutig als Abfall zu erkennen. Das ist nicht nachvollziehbar. Hier sollten wir ansetzen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir warten auf den Gesetzentwurf!) Eine weitere wichtige Komponente der Wärmewende ist die Geothermie für Fernwärme. Schon heute produzieren viele Versorger ihre Fernwärme umweltschonend mittels Kraft-Wärme-Kopplung. Hier haben wir einiges erreicht. Die Umweltbilanz der Fernwärme ist schon jetzt positiv. Geothermiebasierte Fernwärme ist erneuerbar und zu 100 Prozent CO2-frei. Die Stadtwerke München beispielsweise wollen bis zum Jahr 2040 die erste Großstadt rein durch erneuerbare Wärme versorgen. Die große Kreisstadt Erding spart beispielsweise jährlich 9 Millionen Liter Heizöl durch geothermiebasierte Fernwärme. Dies sind sinnvolle und innovative Ansätze, die es gilt zu fördern. Letztlich brauchen wir also ein Gesamtkonzept aus Energieberatung, gebäudeindividuellen Sanierungsfahrplänen und gesetzlichen Bestandteilen. Genau das wird erstellt. Genau das ist auch richtig. Ihr Gesetzentwurf setzt einseitig auf Zwang (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo steht das denn?) anstatt auf Anreize und kann deshalb leider nicht befürwortet werden. Sprechen wir aber gerne auch mehr über die Wärmewende (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo bleibt sie denn?) als fundamentalen Bestandteil der Energiewende. Sie muss stärker ins Blickfeld genommen werden. Wir müssen aber natürlich auch die Effizienzseite anschauen, beispielsweise bei der steuerlichen Förderung der energetischen Gebäudesanierung. Da haben auch Sie lange Zeit blockiert. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, Bayern hat blockiert! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bayern! Seehofer!) – Nein, nein, jetzt machen wir da mal keine Geschichtsfälschung. Es war immer so, und es ist nach wie vor so, dass Bayern auch einer steuerlichen Förderung gegenüber offen ist. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Anfang des Jahres hat Seehofer mit Koalitionsbruch gedroht!) Ich komme zum Schluss. Vielleicht sollten wir gerade an Weihnachten ein bisschen an diejenigen denken, die es an Weihnachten überhaupt nicht warm haben. Ich wünsche allen in diesem Sinne ein schönes Weihnachtsfest im Warmen, am besten natürlich unter dem Christbaum mit erneuerbarer Wärme aus Bienenwachs. In diesem Sinne herzlichen Dank und schöne Weihnachten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Ganz herzlichen Dank. – Als letzter Redner in der Debatte hat Klaus Mindrup für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Klaus Mindrup (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle haben uns vor wenigen Tagen über das Ergebnis des Klimagipfels in Paris gefreut. Aber wir alle wissen auch, dass die praktische Arbeit erst jetzt beginnt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) – Danke für den Applaus von den Grünen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Große Koalition klatscht nicht! – Gegenruf der Abg. Dagmar Ziegler [SPD]: Wir wissen das schon!) – Ihr wart zu schnell. – Wir wissen auch, dass die Minderungspläne, die die Staaten eingereicht haben, überhaupt nicht ausreichen werden, um das 2-Grad-Ziel zu erreichen. Wir wissen also, dass man sich überall in der Welt anstrengen muss. In Deutschland wollen wir ja Vorreiter sein. Wir wissen, dass wir uns sehr anstrengen müssen, um das Ziel von 40 Prozent CO2-Minimierung bis 2020 zu erreichen und erst recht das 95-Prozent-Ziel bis 2050. Wenn wir die Begrenzung des Anstiegs der Erderwärmung auf 1,5 Grad anstreben – das wollen wir –, dann müssen für uns in Deutschland 95 Prozent das Ziel sein. Wir in Deutschland sind ja sehr erfolgreich beim Ausbau der Erneuerbaren im Strombereich. Da liegen wir bei über 33 Prozent. Ich denke, die Erfolgsgeschichte dahinter ist, dass es bei den Bürgerinnen und Bürgern eine hohe Akzeptanz für dieses Vorgehen und auch eine breite Bürgerbeteiligung gibt. In der Gesamtbilanz liegen wir deutlich schlechter. Da dürften wir bei ungefähr 14 Prozent liegen, wahrscheinlich auch, weil die Akzeptanz in den anderen Sektoren nicht so hoch ist. Dass Sie von den Grünen jetzt sagen, dass wir die Bestandsgebäude in die Überlegung einbeziehen müssen, ist von daher richtig. (Beifall des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Bundesregierung tut das ja auch im Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz und in den zahlreichen Förderprogrammen. Auch das ist hier schon deutlich geworden. Wenn man sieht, dass man 20 Millionen Bestandsgebäude in Deutschland hat, ist es auch richtig, dass man nicht nur über Neubau diskutiert, sondern auch über die Bestandsgebäude. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!) Sie schlagen jetzt vor, dass man das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz auf die Bestandsgebäude überträgt. Die Diagnose ist ungefähr richtig, aber die Therapie ist leider falsch. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, schade!) – Ja, hören Sie sich das einmal an. – Der entscheidende Fehler, den Sie machen, ist: Sie setzen wieder beim Einzelgebäude an. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht!) Ich bin aber fest davon überzeugt, dass die erfolgreiche Sanierung immer im Quartier erfolgen muss. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Das sagt der Gesetzentwurf auch!) Es gibt dazu unter anderem den Bericht der Töpfer-Kommission beim Deutschen Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung. Es gibt aber auch andere wissenschaftliche Untersuchungen dazu. Fünf Dinge sind entscheidend: Sie brauchen ein klares Energiekonzept, wenn Sie so etwas in den Quartieren umsetzen wollen. Das muss in ein Stadtentwicklungskonzept eingebunden sein, und die Akteure vor Ort müssen das umsetzen, seien es Stadtwerke, Energiegenossenschaften oder auch Wohnungsbaugesellschaften; Vivawest, habe ich eben gehört, ist da sehr vorbildlich. Sie brauchen Sachverständige vor Ort, die eine gute und unabhängige Beratung durchführen; der sogenannte Kümmerer-Ansatz. Man braucht Zeit dafür. Das geht nicht in zwei bis drei Jahren. (Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wissen das schon seit 20 Jahren! – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Und wo bleibt jetzt die Politik?) Die Zielrichtung muss zehn Jahre sein. Sie brauchen Anreize, Förderung und natürlich auch immaterielle Anreize, sprich: Der Nachbar macht es, und man zieht dann nach. Sie brauchen auch soziale Akzeptanz sowohl bei Mieterinnen und Mietern als auch bei Hauseigentümern, die zum Teil natürlich auch nicht immer viel Geld haben. Lassen Sie uns doch einmal anschauen, was bei dem vorbildlichsten Projekt in Deutschland – das ist die InnovationCity Ruhr, Modellstadt Bottrop – in der Umsetzung passiert. Dort gibt es im Augenblick eine Sanierungsrate von durchschnittlich 3 Prozent im Jahr. Das ist dreimal so hoch wie der Durchschnitt in Deutschland. Sie werden bis 2020  38 Prozent CO2 einsparen. Die Basis ist hier nicht 1990, sondern das Jahr 2010. Das ist enorm gut. Das ist sozusagen der richtige Ansatz. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Das ist in Nordrhein-Westfalen, und da ist ein grüner Minister zuständig!) Also nicht das Einzelgebäude, sondern das Quartier sollten wir angehen. Wir haben ein Quartiersprogramm, das wir auch ausweiten; da gehen wir weiter. Im nächsten Jahr werden wir die Diskussion bekommen, wie wir die EnEV und das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz besser verzahnen. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, und wir haben schon Vorschläge gemacht!) Das hat die Baukostensenkungskommission empfohlen, aber auch die Konferenz der Bauminister auf Länderebene. Also, das wird sowieso angegangen. Insofern sind wir hier auf dem richtigen Weg, aber wir müssen das beschleunigen. Ich denke, wir müssen zukünftig auch noch stärker darüber nachdenken, wie wir die Nutzer – es geht um das Nutzerverhalten – und die Immobilieneigentümer mitnehmen können. Die Immobilieneigentümer beklagen sich völlig zu Recht über die steuerliche Diskriminierung, die sie erleben, wenn sie Strom erzeugen und diesen zum Beispiel an ihre Mieter verkaufen wollen. Das muss anders werden. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen zukünftig auch stärker eine ökologische Gesamtbilanz, sprich: Wir dürfen nicht nur Wärme oder Kälte betrachten, sondern wir müssen Wärme, Kälte, Strom und auch den ökologischen Rucksack des Gebäudes betrachten. Dann kommen wir weiter. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wo sind jetzt die Maßnahmen?) Der letzte Punkt ist: Ich möchte nicht 15 Prozent erneuerbare Energien, wie die Grünen, sondern ich möchte 100 Prozent erneuerbare Energien. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das wollen wir auch! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!) Hier liegen die großen Chancen im Bereich der Photovoltaik. Es ist zu überlegen, wie man die Photovoltaik zukünftig stärker in Quartierskonzepte einbinden kann und wie die Wärmeversorgung über Wärmepumpen zu gewährleisten ist. Daneben ist auch der Bereich Elektromobilität sehr wichtig. Denn die zukünftige Welt wird viel stärker von elektrischer Energie und erneuerbaren Energien geprägt sein als die augenblickliche Welt. In diesem Sinne hoffe ich auf weitere konstruktive Beratungen im nächsten Jahr. Ich wünsche Ihnen allen frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/6885 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Beratungen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 13. Januar 2016, 13 Uhr, ein. Jetzt bleibt mir nur noch, Ihnen allen ein frohes Weihnachtsfest, einen guten Rutsch und vor allen Dingen gute Erholung zu wünschen, damit wir uns hier im Januar froh und munter wiedersehen. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 13.36 Uhr) Berichtigung 146. Sitzung, Seite 14458 B, vorletzter Absatz, erster Satz, ist wie folgt zu lesen: „Wir haben außerdem eine Indexierung vorgenommen und diese im Grunde genommen identisch an die Entwicklung der absoluten Obergrenze angekoppelt, die seit 2011 gilt.“ Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bulling-Schröter, Eva DIE LINKE 18.12.2015 Ehrmann, Siegmund SPD 18.12.2015 Ernstberger, Petra SPD 18.12.2015 Feiler, Uwe CDU/CSU 18.12.2015 Gerdes, Michael SPD 18.12.2015 Gohlke, Nicole DIE LINKE 18.12.2015 Göppel, Josef CDU/CSU 18.12.2015 Griese, Kerstin SPD 18.12.2015 Janecek, Dieter BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18.12.2015 Jantz, Christina SPD 18.12.2015 Karawanskij, Susanna DIE LINKE 18.12.2015 Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18.12.2015 Kömpel, Birgit SPD 18.12.2015 Kunert, Katrin DIE LINKE 18.12.2015 Mast, Katja SPD 18.12.2015 Merkel, Dr. Angela CDU/CSU 18.12.2015 Middelberg, Dr. Mathias CDU/CSU 18.12.2015 Nahles, Andrea SPD 18.12.2015 Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18.12.2015 Rachel, Thomas CDU/CSU 18.12.2015 Röring, Johannes CDU/CSU 18.12.2015 Schröder (Wiesbaden), Dr. Kristina CDU/CSU 18.12.2015 Spinrath, Norbert SPD 18.12.2015 Steinbach, Erika CDU/CSU 18.12.2015 Steinke, Kersten DIE LINKE 18.12.2015 Steinmeier, Dr. Frank-Walter SPD 18.12.2015 Volmering, Sven CDU/CSU 18.12.2015 Wagenknecht, Dr. Sahra DIE LINKE 18.12.2015 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18.12.2015 Weber, Gabi SPD 18.12.2015 Wicklein, Andrea SPD 18.12.2015 Anlage 2 Amtliche Mitteilung ohne Verlesung Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mitgeteilt, dass sie den Antrag zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Tierzucht- und Abstammungsbestimmungen für den Handel mit Zuchttieren und deren Zuchtmaterial in der Union sowie für die Einfuhr derselben in die Union, KOM(2014) 5 endg., hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes, Kennzeichnung von Zuchttieren und -materialien mit Klonabstammung im EU-Tierzuchtrecht verankern auf Drucksache 18/3557 sowie den Antrag Novelle des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes unverzüglich vorlegen auf Drucksache 18/3919 zurückzieht. Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Haushaltsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes und der Steuervergünstigungen für die Jahre 2013 bis 2016 (25. Subventionsbericht) Drucksachen 18/5940, 18/6138 Nr. 7 Ausschuss für Wirtschaft und Energie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zur Verordnung über Vereinbarungen zu abschaltbaren Lasten Erforderlichkeit und Eignung abschaltbarer Lasten, um Gefährdungen oder Störungen der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems zu beseitigen Drucksache 18/6096 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Verfahren zur Zulassung privater Bewachungsunternehmen auf Seeschiffen gemäß § 31 der Gewerbeordnung Erfahrungsbericht des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie im Benehmen mit dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur und dem Bundesministerium des Innern Drucksachen 18/6443, 18/6605 Nr. 1.5 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit – Unterrichtung durch die Bundesregierung Programm für eine verantwortungsvolle und sichere Entsorgung bestrahlter Brennelemente und radioaktiver Abfälle (Nationales Entsorgungsprogramm) Drucksachen 18/5980, 18/6138 Nr. 8 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Wohngeld- und Mietenbericht 2014 Drucksachen 18/6540, 18/6708 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Innenausschuss Drucksache 18/642 Nr. C.3 Ratsdokument 6007/11 Drucksache 18/1393 Nr. A.18 Ratsdokument 8401/14 Drucksache 18/1393 Nr. A.19 Ratsdokument 8406/14 Drucksache 18/2533 Nr. A.17 Ratsdokument 11815/14 Drucksache 18/4152 Nr. A.3 Ratsdokument 5470/15 Drucksache 18/4504 Nr. A.2 Ratsdokument 6624/15 Drucksache 18/5982 Nr. A.4 Ratsdokument 8892/15 Drucksache 18/5982 Nr. A.5 Ratsdokument 8905/15 Drucksache 18/5982 Nr. A.6 Ratsdokument 10078/15 Drucksache 18/5982 Nr. A.9 Ratsdokument 11021/15 Drucksache 18/6417 Nr. A.17 Ratsdokument 12128/15 Drucksache 18/6417 Nr. A.18 Ratsdokument 12137/15 Finanzausschuss Drucksache 18/4749 Nr. A.27 Ratsdokument 7373/15 Haushaltsausschuss Drucksache 18/6607 Nr. A.14 Ratsdokument 12502/15 Drucksache 18/6607 Nr. A.15 Ratsdokument 12503/15 Drucksache 18/6711 Nr. A.5 Ratsdokument 13159/15 Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksache 18/6146 Nr. A.9 Ratsdokument 11485/15 Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 18/6607 Nr. A.18 Ratsdokument 12575/15 Drucksache 18/6607 Nr. A.19 Ratsdokument 12576/15 Drucksache 18/6607 Nr. A.20 Ratsdokument 12584/15 Drucksache 18/6607 Nr. A.21 Ratsdokument 12598/15 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 18/419 Nr. A.183 Ratsdokument 12730/13 Drucksache 18/3898 Nr. A.17 Ratsdokument 5080/15 Drucksache 18/4152 Nr. A.15 Ratsdokument 5711/15 Drucksache 18/4152 Nr. A.16 Ratsdokument 5712/15 Drucksache 18/5459 Nr. A.18 Ratsdokument 8876/15 Drucksache 18/5459 Nr. A.19 Ratsdokument 9435/15 II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 147. Sitzung, Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 147. Sitzung, Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2015 14513 Plenarprotokoll 18/147