Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 150. Sitzung Berlin, Freitag, den 15. Januar 2016 Inhalt: Tagesordnungspunkt 17: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über die Vergleichbarkeit von Zahlungskontoentgelten, den Wechsel von Zahlungskonten sowie den Zugang zu Zahlungskonten mit grundlegenden Funktionen Drucksache 18/7204 14767 B Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär BMF 14767 B Caren Lay (DIE LINKE) 14769 B Ulrich Kelber, Parl. Staatssekretär BMJV 14770 B Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 14771 B Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 14772 C Matthias Hauer (CDU/CSU) 14773 C Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 14774 B Susanna Karawanskij (DIE LINKE) 14775 B Sarah Ryglewski (SPD) 14776 B Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 14778 A Alexander Radwan (CDU/CSU) 14779 A Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 14779 D Dr. Jens Zimmermann (SPD) 14781 A Mechthild Heil (CDU/CSU) 14781 D Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Steffi Lemke, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Pestizide reduzieren – Mensch und Umwelt schützen Drucksache 18/7240 14783 A Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 14783 B Hermann Färber (CDU/CSU) 14784 D Karin Binder (DIE LINKE) 14786 C Rita Hagl-Kehl (SPD) 14787 C Ingrid Pahlmann (CDU/CSU) 14789 A Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) 14791 A Johann Saathoff (SPD) 14792 B Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 14793 C Waldemar Westermayer (CDU/CSU) 14794 C Carsten Träger (SPD) 14795 D Thomas Mahlberg (CDU/CSU) 14796 C Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 14797 B Elvira Drobinski-Weiß (SPD) 14799 B Tagesordnungspunkt 19: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/26/EU über die kollektive Wahrnehmung von Urheber- und verwandten Schutzrechten und die Vergabe von Mehrgebietslizenzen für Rechte an Musikwerken für die Online-Nutzung im Binnenmarkt sowie zur Änderung des Verfahrens betreffend die Geräte- und Speichermedienvergütung (VG-Richtlinie-Umsetzungsgesetz) Drucksache 18/7223 14800 B Heiko Maas, Bundesminister BMJV 14800 C Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) 14801 B Dr. Stefan Heck (CDU/CSU) 14802 C Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 14803 C Christian Flisek (SPD) 14805 A Marco Wanderwitz (CDU/CSU) 14806 A Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 14807 A Tagesordnungspunkt 20: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz Drucksache 18/7054 14808 A Heiko Maas, Bundesminister BMJV 14808 A Richard Pitterle (DIE LINKE) 14809 A Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) 14810 A Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 14811 B Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) 14812 B Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) 14813 B Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU) 14814 C Tagesordnungspunkt 21: a) Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Frank Tempel, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Unerlaubte Einreise von Flüchtlingen entkriminalisieren Drucksache 18/6652 14815 C b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, Katja Keul, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Entkriminalisierung von Menschen ohne Aufenthaltsstatus Drucksache 18/6346 14815 C Ulla Jelpke (DIE LINKE) 14815 D Marian Wendt (CDU/CSU) 14816 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 14818 D Sebastian Hartmann (SPD) 14820 B Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 14821 A Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 14823 A Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 14824 C Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 14824 D Nächste Sitzung 14825 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 14827 A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 14827 B 150. Sitzung Berlin, Freitag, den 15. Januar 2016 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie zur 150. Plenarsitzung dieser Legislaturperiode. Dieses kleine Jubiläum hätte eigentlich eine größere Beteiligung verdient. (Beifall) Immerhin können Sie von sich sagen, dabei gewesen zu sein. Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über die Vergleichbarkeit von Zahlungskontoentgelten, den Wechsel von Zahlungskonten sowie den Zugang zu Zahlungskonten mit grundlegenden Funktionen Drucksache 18/7204 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Was man sich darunter vorzustellen hat, wird nicht jedem auf der Besuchertribüne sofort einleuchten, sich aber sicher im Laufe der Debatte erschließen, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Im günstigsten Fall!) die 77 Minuten dauern soll, es sei denn, jemand macht jetzt einen konkreten Gegenvorschlag. – Darauf war keiner vorbereitet. Also stelle ich dazu Einvernehmen fest. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, Michael Meister. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hoffe, dass ich zur Erhellung Ihrer Frage bei allen Beteiligten, die hier anwesend sind und zuhören, beitragen kann. Ich glaube, heute ist ein großer Tag für viele Menschen in unserem Land, denen über dieses Gesetz in Zukunft die Teilhabe am Zahlungsverkehr rechtlich abgesichert und ermöglicht wird. Insoweit ist es, glaube ich, für eine große Zahl von Menschen ein bedeutender Tag. Die Regierung bittet den Bundestag, die sogenannte Zahlungskontenrichtlinie mit diesem Gesetzentwurf umzusetzen. Wir haben uns im Koalitionsvertrag verpflichtet, eine schnelle, zügige Umsetzung dieser Richtlinie vorzunehmen. Das haben wir auch eingehalten. Deutschland ist das Land unter den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, das bei diesem Vorhaben bisher am weitesten vorangeschritten ist. Meine Bitte wäre, dass Sie in den anstehenden Beratungen in Bundestag und Bundesrat dafür Sorge tragen, dass wir das am Ende auch als Erste im Gesetzblatt stehen haben und umsetzen. Der Entwurf, den das Bundeskabinett verabschiedet hat, ist sowohl auf der Seite der Verbraucher, in den Medien, aber auch von den Vertretern der Rechtswissenschaften begrüßt worden. Ich glaube deshalb, dass wir eine breite Unterstützung haben. Nicht ganz so breit ist die Unterstützung im Bereich der Kreditwirtschaft. Dort ist die Meinung der Beteiligten etwas geteilt. Allerdings zielen die kritischen Meinungsäußerungen weniger in Richtung dieses Gesetzentwurfes, den wir diskutieren, sondern mehr in Richtung des Inhalts der ihm zugrundeliegenden Richtlinie. Diese werden wir bei unseren Gesetzesberatungen allerdings nicht mehr verändern können. Was sieht die Richtlinie vor? Die Richtlinie sieht zunächst einen Kontrahierungszwang für sogenannte Basiskonten vor. Das heißt, jeder Mensch in diesem Land hat in Zukunft den Anspruch, ein sogenanntes Basiskonto eröffnen zu können. Dieser Anspruch besteht zwar seit Jahren, aber er wird heute im Prinzip nur von den Sparkassen durch das Sparkassenrecht in Deutschland zur Umsetzung gebracht. In Zukunft wird er nicht nur für Sparkassen, sondern für alle Kreditinstitute Gültigkeit haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir den Zahlungsverkehr innerhalb der Europäischen Union über die dafür notwendigen Konten auf zwei Ebenen verbessern: Den ersten Pfeiler hatte ich angesprochen: den zivilrechtlichen Anspruch jedes Menschen auf ein sogenanntes Basiskonto. Was ist ein Basiskonto? Es bietet die Möglichkeit, Ein- und Auszahlungen auf ein Bankkonto vorzunehmen, an Geldautomaten Geld abzuheben und einzuzahlen, am Lastschriftverkehr teilzunehmen und Überweisungen zu tätigen – all das, wovon viele Menschen in unserem Lande bisher ausgegrenzt sind. Es geht um die Frage: Zu welchen Preisen wird diese Leistung bzw. dieses Basiskonto angeboten? Die Transparenz der Kontogebühren wird durch diesen Gesetzentwurf erhöht, und die Vergleichbarkeit der Preise für die verschiedenen Angebote wird verbessert. Im Interesse der Kunden soll auch der Wechsel des Anbieters des Basiskontos – sprich: des Kreditinstituts – erleichtert werden. Wir haben versucht, das Recht auf ein Basiskonto für alle Menschen als ein Thema zu betrachten, das nicht nur den Verbraucherschutz betrifft. Wir müssen, gerade in diesen Tagen, berücksichtigen, dass es auch Asylbewerber, Wohnsitzlose und Drittstaatsangehörige, die sich innerhalb der EU und damit auch innerhalb Deutschlands befinden, berührt, weil sie nicht automatisch Zugang zu einem Konto haben. Es gibt Schätzungen – natürlich kann man die Betroffenen nicht genau zählen –, nach denen bis zu 1 Million Menschen in unserem Land von diesem Problem betroffen sind. Es ist also ein Thema, das weiter zu fassen ist. Beim zweiten Pfeiler dieses Gesetzentwurfes geht es um das Funktionieren eines harmonisierten Zahlungsverkehrs im europäischen Binnenmarkt. Ein Zahlungskonto ist ja der Schlüssel, um an unbaren Zahlungsvorgängen überhaupt teilnehmen zu können. Nach der Schaffung eines einheitlichen europäischen Zahlungsverkehrsraums – das Stichwort lautet „SEPA“ – bildet die Zahlungskontenrichtlinie einen weiteren Meilenstein im Hinblick auf den europäischen Zahlungsmarkt. Es gab in diesem Zusammenhang die Empfehlung des Europäischen Parlaments, den Zugang zum Zahlungsmarkt im Privatkundengeschäft zu verbessern. Wir als Bundesregierung versuchen, diese Forderung des Europäischen Parlaments aufzugreifen. Meine Damen und Herren, was den Kontenwechsel und in diesem Kontext auch die Vergleichbarkeit der Leistungen betrifft, wollen wir jedem Konsumenten in der Europäischen Union die Möglichkeit geben, ohne technische und bürokratische Hürden das Konto zu wählen, das für seine Bedürfnisse am besten geeignet ist. Wir hoffen, dass es entsprechende Websites geben wird, auf denen man sich relativ zügig informieren kann: „Welche Konten gibt es, und wie sehen die Konditionen dieser Konten aus?“, sodass der Verbraucher die Möglichkeit hat, Entgelte und Leistungen zu vergleichen, und Schwierigkeiten beim Wechsel des Anbieters überwinden kann. Heutzutage gibt es in diesem Bereich eine relativ geringe Mobilität. Wir hoffen, dass dieses Gesetz dazu beiträgt, dass die Mobilität steigt. Auch das wäre, glaube ich, im Interesse des Verbrauchers, weil er das Ganze, wenn er die Marktgegebenheiten hinsichtlich der Entgelte und der Kosten überblickt, besser für sich nutzen kann. Wer ist verpflichtet, ein Basiskonto anzubieten? Ich habe vorhin schon erwähnt, dass es im Sparkassenrecht entsprechende Vorgaben gibt, dass andere Banken davon aber nicht betroffen sind. An dieser Stelle führen wir eine Diskussion über den Identitätsnachweis von Kunden, die ein solches Konto eröffnen wollen. Es geht um die Frage, ob es hier einen Konflikt mit der Geldwäscheprävention gibt. Natürlich ist uns die Geldwäscheprävention ein riesiges Anliegen. Wir sehen hier aber keinerlei Konfliktlage. Wir fordern zwar eine Identifikation, knüpfen sie aber nicht unbedingt an Ausweispapiere, etwa an einen Personalausweis oder Ähnliches; denn solche Papiere können zum Beispiel Drittstaatsangehörige nicht vorlegen. Nichtsdestotrotz ist eine Identifikation sehr wohl notwendig, um einen Beitrag zur Geldwäscheprävention zu leisten. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass, wenn man den Zahlungsverkehr über Konten abgewickelt, die Möglichkeiten, Geldwäsche zu betreiben, mit Sicherheit geringer sind als beim Bargeldverkehr. Insofern glauben wir, dass wir das Problem identifiziert haben, mit diesem Gesetzentwurf einen Schritt in die richtige Richtung gehen und an dieser Stelle nicht kontraproduktiv handeln. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir versuchen, die möglichen Ablehnungsgründe für die Anbieter eines Basiskontos im Gesetzentwurf klar zu präzisieren. Eine solche Präzisierung gibt es in unserem Rechtssystem bisher nicht. Außerdem setzen wir eine Frist und sagen: Wenn abgelehnt wird, dann muss das binnen einer Frist von zehn Tagen geschehen. – Das kann sich also nicht ewig hinziehen. Wenn die Einrichtung eines Basiskontos abgelehnt wird, muss also gesagt werden, aufgrund welchen Tatbestands im Gesetz diese Ablehnung erfolgt. Diese möglichen Ablehnungsgründe sind im Gesetz abschließend aufgezählt und klar benannt. Ein solcher Ablehnungsgrund kann zum Beispiel sein, dass der Betreffende schon an anderer Stelle über ein Basiskonto verfügt. Dann ist eine Ablehnung, glaube ich, nachvollziehbar. Ein anderer Ablehnungsgrund wäre zum Beispiel, dass jemand bei dem gleichen Kreditinstitut, bei dem er ein Basiskonto einrichten möchte, in der Vergangenheit durch strafbare Handlungen wegen Geldwäsche aufgefallen ist. Selbstverständlich ist in einem Rechtsstaat jede Ablehnung auch vor Gerichten überprüfbar. Wir gehen hier aber den Weg, bei einer Ablehnung nicht nur auf den Gerichtsweg zu verweisen – das kann Monate oder auch Jahre dauern –, sondern unabhängig von der gerichtlichen Überprüfung eröffnen wir auch die Möglichkeit, die Ablehnung durch die BaFin überprüfen zu lassen, was schneller geht und möglicherweise auch mit weniger Kosten verbunden ist. Insofern glauben wir, dass man hier tatsächlich im Interesse der Verbraucher zügig zu einer Entscheidung kommt. Auch für die BaFin setzen wir eine Frist von maximal einem Monat, in dem diese Ablehnungsentscheidung überprüft werden muss. Wenn man die zehn Tage und den einen Monat zusammenrechnet, dann sieht man, dass es auf jeden Fall schnell zu einer Entscheidung kommen wird. Außerdem wird es bei der BaFin keinen Anwaltszwang geben, sodass auch an dieser Stelle für einen potenziellen Kunden keine Kosten entstehen. Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass wir eine gute Beratung zu diesem Gesetzentwurf haben werden. Ich habe es eingangs bereits gesagt: Mit diesem Gesetzentwurf eröffnen wir in Zukunft für die vielen Menschen in unserem Lande, denen heute noch der Zugang zum bargeldlosen Zahlungsverkehr fehlt, einen unbürokratischen und auch kostengünstigen Weg, um daran teilnehmen zu können. Herr Präsident, ich hoffe, dass ich mit meinem Beitrag ein klein wenig zur Erhellung des Beratungsgegenstandes beigetragen habe. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Staatssekretär, zumindest ich habe den Eindruck, dass ich es begriffen habe. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ob das repräsentativ ist, kann ich jetzt nicht hinreichend beurteilen. Es gibt jedenfalls noch weitere vertiefende Erläuterungen, zum Beispiel von der Kollegin Caren Lay, die nun für die Fraktion Die Linke zu diesem Thema Stellung nimmt. (Beifall bei der LINKEN) Caren Lay (DIE LINKE): Meine Damen und Herren! Herr Präsident! Stellen Sie sich ein Leben ohne Girokonto vor. Die Schwierigkeiten fangen damit an, dass man an der Kasse eines Supermarktes bzw. eines Geschäftes nicht einfach mit der EC-Karte bezahlen kann. Man kann auch nicht einfach Geld überweisen und seine Rechnungen per Überweisung begleichen. Man bekommt keinen Handyvertrag und schon gar keine neue Wohnung. Ein Girokonto ist in der modernen Welt einfach unverzichtbar, und ich finde, es ist ein Skandal, dass immer noch über 700 000 Menschen in Deutschland – Flüchtlinge bzw. Geflüchtete sind hier noch nicht eingerechnet – kein Girokonto haben. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Insofern freuen auch wir uns, dass endlich ein Basiskonto für alle kommen soll. Das wird auch höchste Zeit. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich spreche an dieser Stelle nicht zum ersten Mal zu diesem Thema. Gestatten Sie mir deshalb einen kleinen Ausflug in die Geschichte der Debatte, die wir hier im Bundestag dazu geführt haben; denn das Recht auf ein Girokonto hätte es natürlich schon sehr viel früher geben können. Die PDS hat hier im Bundestag 1994 zum ersten Mal ein Girokonto für alle gefordert. Die Linke hat seither sage und schreibe fünf Anträge gestellt, in denen wir ein Recht auf ein Girokonto für alle gefordert haben. Alle diese Anträge wurden hier mit Mehrheit abgelehnt. Die Argumente, die damals vor allen Dingen die Union ins Feld geführt hat, waren wirklich abenteuerlich. Es waren die üblichen Vorurteile vor allen Dingen gegenüber uns Linken. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die meisten davon sind bestätigt! – Lachen bei der LINKEN) Das alles sei gegen den freien Markt, staatsfixiert usw. Der ehemalige Kollege Leo Dautzenberg sagte zum Beispiel 2006: Das Girokonto für alle ist geradezu ein Beispiel dafür, dass der Staat nicht alles regeln kann und schon gar nicht besser regeln kann als die Wirtschaftsteilnehmer im Rahmen einer bestimmten Selbstregulierung. Und der Kollege Brinkhaus entgegnete mir noch vor einigen Jahren an dieser Stelle zu diesem Thema: Es gibt kein Menschenrecht auf ein Girokonto. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Und dabei bleibe ich!) Meine Damen und Herren, ich finde schon. Und ich freue mich sehr, dass auch Sie heute, so hoffe ich, endlich zur Einsicht gekommen sind. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es wurden zwar regelmäßig die Zahlen erhoben, wie viele Menschen in Deutschland ohne ein Girokonto sind. Man hat sich aber nicht dazu durchringen können, endlich gesetzlich verbindliche Regeln zu schaffen. Stattdessen hat man mit den Banken eine freiwillige Selbstverpflichtung ausgehandelt. „Freiwillige Selbstverpflichtung“ war jahrelang – das ist es, glaube ich, bis heute – die beliebteste Worthülse vor allen Dingen der Union in der Verbraucherpolitik, die eigentlich nur darüber hinwegtäuschen soll, dass man nicht in der Lage ist, verbindliche Regelungen gesetzlich zu verankern. Ich finde, wir brauchen verbindliche gesetzliche Regelungen für Menschen, die überschuldet sind, für obdachlose Menschen und für Geflüchtete. All jene haben das Recht auf ein Konto. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auch dieses Mal sind Sie nicht so ganz allein auf diese Idee bzw. zur Einsicht gekommen. Im Gegenteil: Es gibt eine EU-Richtlinie, die auch Deutschland dazu verpflichtet, dieses Recht noch in diesem Jahr umzusetzen. Also – so gut es ist, dass es ein Basiskonto für alle geben wird –: Schmücken Sie sich an dieser Stelle bitte nicht mit fremden Federn! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bei der Umsetzung gibt es leider einen Pferdefuß bzw. einen entscheidenden Nachteil: Das Konto soll nämlich nicht verbindlich kostenfrei oder gebührenfrei sein. Im Gegenteil: Im Gesetzentwurf ist von marktüblichen Gebühren und Entgelten die Rede. Da schwant mir nichts Gutes. Einige Banken haben ja ein sogenanntes Bürgerkonto auf Grundlage dieser freiwilligen Selbstverpflichtung eingerichtet. Sie verlangen aber stattliche Gebühren in Höhe von 10 Euro im Monat. Es kostet also viel mehr als ein normales Girokonto, hat aber viel weniger Funktionen. Ich finde das wirklich unmöglich. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es wäre möglich gewesen, bereits im Gesetzentwurf die Gebührenfreiheit des Kontos festzulegen oder zumindest die Gebühren zu deckeln. Dafür haben sich auch die Verbraucherschutzminister einstimmig ausgesprochen. Auch das Land Brandenburg hat dafür im Bundesrat gekämpft und gefordert, dass das Konto gebührenfrei sein soll oder dass die Kosten zumindest gedeckelt werden sollen. Leider hat das keine Mehrheit gefunden. Ich finde, das muss im Gesetzgebungsverfahren geändert werden. (Beifall bei der LINKEN) 10 Euro im Monat, meine Damen und Herren, mögen in diesem Hohen Hause vielleicht nicht als große Summe gelten. Für Menschen aber, die obdachlos, geflüchtet oder überschuldet sind, sind 10 Euro im Monat jede Menge Geld. Es wird sie im Zweifel davon abhalten, das Recht auf ein Girokonto in Anspruch zu nehmen. Das können wir so nicht stehen lassen. Ich bitte Sie wirklich eindringlich: Lassen Sie uns im Beratungsverfahren gemeinsam dafür sorgen, dass das Basiskonto für alle kostenfrei sein wird. Das sind wir den Betroffenen schuldig. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Parlamentarische Staatssekretär Ulrich Kelber für das Justiz- und Verbraucherschutzministerium. – Bitte schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ulrich Kelber, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Guten Morgen, Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es geht um ein zentrales verbraucherpolitisches Thema. Mit dem heute eingebrachten Gesetzentwurf schaffen wir in der Tat erstens einen Anspruch aller Verbraucherinnen und Verbraucher auf ein Girokonto. Zweitens werden die Transparenz von Kontogebühren und die Vergleichbarkeit von Angeboten deutlich verbessert. Und drittens wird auch allen Verbraucherinnen und Verbrauchern der Anbieterwechsel ihres Zahlungskontos erleichtert. Wir setzen erstens ein Verbraucherrecht durch, und zweitens sorgen wir dafür, dass der Wettbewerb in diesem Bereich in Gang kommt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Frau Lay, aber auch Herr Meister haben es bereits anklingen lassen: In der Tat ist dies – nämlich der Zugang zu bargeldlosem Zahlungsverkehr – ein Thema, das schon lange in Deutschland und Europa diskutiert wird und bei dem die Dringlichkeit größer geworden ist. Es gibt auch in Deutschland eine große Zahl von Menschen, die bisher kein Girokonto bekommen konnten. Dieser Missstand soll durch diesen Gesetzentwurf behoben werden. Wir folgen damit der Zielsetzung des Koalitionsvertrages, Frau Lay, diese europäische Initiative zu unterstützen – diese Initiativen fallen nicht vom Himmel, sondern müssen beschlossen werden – und sie dann unter Einbeziehung aller Kreditinstitute, nicht nur der Sparkassen, umzusetzen. Ich finde es gut, dass dieses Recht auf gesamteuropäischer Ebene für alle Verbraucherinnen und Verbraucher in Europa in Kraft tritt. Ich bedanke mich auch für die gute Zusammenarbeit mit dem Finanzministerium. Ich hoffe, das beruht auf Gegenseitigkeit, auch wenn der Kollege Meister das bei seinen erhellenden Ausführungen nicht dargelegt hat. (Beifall bei der SPD – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Man konnte es aber raushören!) Von überragender Bedeutung ist dabei die Sicherung des Zugangs zu einem Zahlungskonto für jedermann, also das Girokonto für alle, das in der Öffentlichkeit immer wieder als ein Prüfpunkt für Verbraucherschutz im Finanzsektor benannt wurde. Eine Untersuchung der Europäischen Union 2013 hat eine Zahl von 1 Million Menschen in Deutschland ermittelt, bei denen man vermutet, dass sie noch keinen Zugang zu einem Konto haben. Ich denke, dass die Zuwanderung von Menschen auf der Flucht in den letzten beiden Jahren dazu geführt hat, dass diese Zahl heute vermutlich sogar höher liegt. Aber ohne ein Konto sind die gesellschaftliche Teilhabe und die Teilnahme am Wirtschaftsleben und damit auch Integration nicht möglich. Die Verankerung in den Sparkassengesetzen einzelner Bundesländer und auch die Selbstverpflichtung haben dieses Problem nicht grundlegend gelöst. Deswegen ist das Handeln des Gesetzgebers gefragt. Wir wollen alle Kreditinstitute, die schon heute Zahlungskonten für Verbraucher im Angebot haben, dazu verpflichten, solche Konten anzubieten. Damit sichern wir die breite Verfügbarkeit eines solchen Basiskontos nicht nur für alle Bevölkerungsgruppen, sondern auch in ländlichen Gebieten. Wir wollen auch eine gleichmäßige Beteiligung der Kreditwirtschaft sicherstellen. In der Vergangenheit haben viele private Banken bestimmte Kunden einfach an die Sparkasse weitergeleitet. Alle grundlegenden Zahlungsdienste werden mit einem solchen Konto ermöglicht, also Ein- und Auszahlungen, Lastschriften, Überweisungen und natürlich Geschäfte mit Zahlungskarten. Das Leistungsangebot wird nicht hinter dem Angebot für gängige Girokonten zurückbleiben. Ebenso müssen die Kosten angemessen sein. Eine Benachteiligung ist also ausgeschlossen. Frau Kollegin Lay, Sie wissen, dass ich Sie schätze, aber es ist schon unseriös, die Vorgaben in der gesetzlichen Vorschrift, nach der die Kosten im Vergleich mit anderen Angeboten des Kreditinstitutes angemessen sein müssen, mit den Kosten von freiwilligen Angeboten von heute zu vergleichen. Damit haben Sie selber einen Popanz aufgebaut, an dem Sie sich dann im Rest Ihrer Rede versucht haben, abzuarbeiten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Caren Lay [DIE LINKE]: Warten Sie es einmal ab!) Der Kollege Meister hat zu Recht dargestellt, dass die Kreditinstitute nur noch einen sehr geringen Spielraum haben, wann sie die Einrichtung eines Basiskontos ablehnen dürfen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Ulrich Kelber, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Kurzen Augenblick, bitte. – Deswegen werden die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht nur in die Lage versetzt, ein solches Konto zu erhalten. Sie werden auch davor geschützt, diesen Zugang wieder zu verlieren. – Herr Präsident. Präsident Dr. Norbert Lammert: Vielen Dank. – Der Kollege Schick möchte gerne eine Zwischenfrage stellen oder -bemerkung machen. Ulrich Kelber, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Ja. Präsident Dr. Norbert Lammert: Bitte. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke. – Herr Staatssekretär, ich möchte Sie fragen, ob die Finanzaufsichtsbehörde BaFin die Angemessenheit aktiv prüfen wird oder ob sie es den Menschen, die offensichtlich nicht über die Ressourcen verfügen, ein normales Girokonto zu eröffnen oder einen Anwalt für die Durchsetzung ihres Anspruchs zu bezahlen, überlassen wird, diese Angemessenheit in einem Rechtsstreit gegen die Institute durchzusetzen. Ich meine, diese Angemessenheit wird es nur dann geben, wenn sie wirklich überprüft wird. Ist das vorgesehen? Können Sie das zusichern? Ulrich Kelber, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Ich sage Ihnen natürlich nicht zu, was genau im Geschäftsablauf der dem Bundesfinanzministerium zugeordneten Behörde passieren wird. In der Tat sind aber die Rechtsaufsicht und die Rechtsdurchsetzung durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Kernelemente dieses Gesetzentwurfes. Genau dieses Novum – verglichen mit anderen Bereichen der Verbraucherpolitik; dazu werde ich gleich noch etwas sagen – wird zur Durchsetzung sowohl des Anspruchs auf Einrichtung eines Kontos als auch des Anspruchs auf Angemessenheit der vorliegenden Entgelte führen. Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Kollege, für Ihre Frage. Mein nächster Punkt ist nämlich das Thema der Rechtsdurchsetzung. Wir haben in Deutschland eine gute Tradition der zivilrechtlichen Überprüfung und Durchsetzung von Verbraucherrechten. Wir erleben aber, dass es Bereiche gibt, in denen diese Tradition an Grenzen kommt. Deswegen haben wir eine besonders effektive Möglichkeit der Rechtsdurchsetzung – ich konnte das dank Ihrer Frage gerade schon kurz erwähnen – geschaffen: Der Weg zu den Zivilgerichten bleibt frei, übrigens nicht nur für die einzelnen Verbraucherinnen und Verbraucher, sondern mit entsprechender Unterstützung auch über Gruppenverfahren. Aber die BaFin wird an der Stelle nicht nur kollektive Verbraucherinteressen durchsetzen – diese Aufgabe hat sie seit kurzem; auch das haben wir erreicht –, sondern es gibt auch die Möglichkeit, sich bei der Verweigerung der Einrichtung eines Basiskontos individuell an die BaFin zu wenden, die mit einem Verwaltungsakt sicherstellen kann, dass ein Basiskonto eröffnet wird. Das geht deutlich schneller als ein gerichtliches Verfahren. (Beifall bei der SPD) Die Überwachung des Finanzmarkts – dazu gehören auch all diese Fragen – ist ohnehin Aufgabe der BaFin. Die Verbesserung der Transparenz von Kontogebühren und die Vergleichbarkeit verschiedener Angebote sind weitere wichtige Punkte. Der Wettbewerb führt dazu, Angebote möglichst in einer Form auszugestalten, bei der es Verbraucherinnen und Verbrauchern schwerfällt, die Konditionen wirklich zu vergleichen. Deswegen ist eine Situation entstanden, die es notwendig macht, Verbraucherinnen und Verbrauchern wieder den Überblick darüber zu geben, was sie für ihr Geld bekommen. Wir wollen nicht nur, dass die Sollzinssätze und angefallenen Zinsen für geduldete Kontoüberziehungen und anderes sichtbar auf den Websites der Anbieter vorgehalten werden müssen, sondern es wird, um diese Informationen vergleichbar zu halten, auch ein standardisiertes Präsentationsformat und eine einheitliche Terminologie geben. Auch das halte ich für eine Blaupause, wie man in solchen Fragen vorgehen kann, um die Vergleichbarkeit sicherzustellen. Wir wollen außerdem, dass Vergleichswebsites es Verbraucherinnen und Verbrauchern ermöglichen, das für sie beste Angebot auszuwählen. Wir wollen, dass diese Vergleichswebsites weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Um das Verbrauchervertrauen zu schützen, sollen Websites, die gesetzlich geregelte Qualitätsstandards einhalten, mit einem Zertifizierungssymbol ausgestattet werden, damit Verbraucherinnen und Verbraucher wissen: Hier wird nicht eventuell dem Interesse eines Finanzinstituts nachgegangen, sondern hier werden objektiv die in dem einheitlichen Format dargestellten Entgelte verglichen. Auch das halte ich für ein Novum, für eine bessere Form der Rechtsdurchsetzung und vielleicht auch für eine Blaupause für andere verbraucherpolitische Aufgaben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Der Gesetzentwurf enthält auch Regelungen zur Kontenwechselhilfe. Wir haben in den letzten Jahren erlebt, dass Wettbewerb dann mit besseren Angeboten für Verbraucherinnen und Verbraucher in Gang kommt, wenn es möglich ist, mit einem überschaubaren Aufwand und geringer Gefahr von Fehlern Angebote zu wechseln. Ich glaube, dass man durchaus sagen kann, dass in den Bereichen Telekommunikation und Energie dadurch deutliche Verbesserungen für die Verbraucherinnen und Verbraucher entstanden sind. Wir haben in der Tat erleben müssen, dass selbst überzogene Zinsen für Dispokredite und andere schlechte Konditionen nur wenige Verbraucherinnen und Verbraucher dazu gebracht haben, ihre Zahlungskonten zu wechseln, weil die Vielzahl von Lastschriften, Daueraufträgen und Personen, denen man eine neue Kontoverbindung mitteilen muss, viele davon abgehalten hat. Das hat oft genug dazu geführt, dass wir in diesem Hause diskutiert haben, eventuell gesetzliche Regelungen bis ins Detail – mit Obergrenzen oder Ähnlichem – aufzunehmen, um schlechte Angebote vom Markt zu fegen, was wir in anderen Bereichen dem Wettbewerb überlassen haben. Wenn wir jetzt eine Kontenwechselhilfe ermöglichen – und das tun wir mit dem Gesetzentwurf; wir erleichtern den Wechsel von Anbietern für Verbraucherinnen und Verbraucher –, dann sorgen wir dafür, dass es auch im Bereich der Konten zu einem Wettbewerb kommt, und zwar nicht nur um die besten Kunden – dafür ist das Instrument zu breit angelegt –, und dass es Verbraucherinnen und Verbrauchern in Zukunft möglich ist, zu günstigeren oder für ihre Ziele besseren Anbietern zu wechseln. Auch dieser Teil ist ein gutes Ergebnis des Gesetzentwurfs. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, der Zugang zu Zahlungskonten ist die unverzichtbare Voraussetzung für die Teilnahme am modernen gesellschaftlichen Leben. Wir wollen das mit dem Gesetzentwurf auch den Verbraucherinnen- und Verbrauchergruppen, die bisher davon ausgeschlossen waren, ermöglichen. Wir wollen undurchschaubaren Entgeltgestaltungen durch mehr Transparenz ein Ende bereiten und den Wechsel ermöglichen. Ich bitte Sie um Unterstützung dieses Gesetzentwurfs für diese Ziele. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nicole Maisch ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein guter Tag für die Verbraucherinnen und Verbraucher in diesem Land – das sind schöne Worte von der Union. Wenn ich mich an die Debatten in den vergangenen Jahren erinnere, dann müssten heute von Ihnen sinngemäß eher folgende Worte kommen: Die DDR ist zurück. Der Sozialismus ist ausgebrochen. Wir alle sind jetzt Mitglied der Linkspartei. – Das war der Diskussionsduktus des Kollegen Brinkhaus, des Kollegen Meister und vieler anderer in der Union, wenn wir in den vergangenen Jahren immer wieder gemeinsam mit den Kollegen von der Opposition ein Girokonto für alle beantragt haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Aber Menschen sind lernfähig. Das finden wir wunderbar. Das ist vor allem wunderbar für die rund 1 Million Menschen – so viele scheinen es mittlerweile zu sein –, die bislang vom normalen Wirtschaftsleben in Deutschland ausgeschlossen sind. Um so etwas Exotisches wie Onlineshopping oder Bestellungen bei Ebay geht es gar nicht, sondern um Telefonanschluss, Mietvertrag und Arbeitsvertrag. Das alles ist heutzutage ohne ein Konto kaum noch möglich. Das soll sich nun ändern. Das ist gut so. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Peinlich ist, dass auch diese Bundesregierung wieder von Brüssel zum Jagen getragen werden musste. Drei Legislaturperioden – so weit reicht zumindest meine politische Erinnerung in diesem Haus – haben wir diskutiert. Stets haben Sie alles abgelehnt. Auch die SPD, die den heutigen Tag so besonders feiert, hat sich unter Führung ihres Finanzministers Peer Steinbrück gegen ein Girokonto für alle mit Händen und Füßen gewehrt; das gehört zur Wahrheit dazu. Aber nun kommt es, und man darf die Umsetzung nicht vermasseln. Es gibt viele Punkte in dem vorliegenden Gesetzentwurf, die wir begrüßen. Brüssel schreibt auch vieles sehr eng vor. Aber zwei Punkte kritisieren wir. Da ist noch – so glauben wir – Luft nach oben. Der erste Punkt betrifft die Kosten. Wir glauben nicht, dass ein solches Konto kostenlos sein muss. Auch wer arm ist in diesem Land, dem wird selten etwas geschenkt; das ist nun einmal so. Aber wir halten die Begriffe „angemessen“ und „marktüblich“, die Sie gewählt haben, für zu unkonkret. Sie eröffnen den Banken damit Spielräume, sich die unliebsame Kundschaft durch saftige Kontoführungsgebühren vom Hals zu halten. Diese Befürchtung können wir historisch gut begründen. 2010 haben wir das Pfändungsschutzkonto, das sogenannte P-Konto, gesetzlich eingeführt. Viele Kreditinstitute – auch Sparkassen – haben darauf reagiert und versucht, sich die unliebsame Kundschaft mit drastisch erhöhten Kontogebühren vom Hals zu halten. vzbv und die Verbraucherzentralen in den Ländern haben viele Kreditinstitute abgemahnt und die meisten Rechtsstreitigkeiten gewonnen. Das zeigt: Man muss genau aufpassen, dass diese Kundschaft nicht durch erhöhte Gebühren verdrängt wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das gilt auch für das von den Sparkassen freiwillig eingeführte Bürgerkonto bzw. Guthabenkonto, das im Grunde genommen so eine Art Girokonto für alle ist. Die Berliner Sparkasse zum Beispiel hat ihre Gebühren von 3,90 auf 8 Euro erhöht. Man versucht also, über die Gebühren etwas zu schaffen, was das Gesetz eigentlich verbietet. Ich glaube, dass wir hier nicht auf den Markt setzen können; denn ein funktionierender Wettbewerb setzt voraus, dass der Anbieter den Kunden auch möchte. Wenn es aber um eine Kundengruppe geht, gegen die man sich mit Händen und Füßen wehrt, um sie vom Bankschalter fernzuhalten, dann kann es keinen Wettbewerb geben. Wettbewerb funktioniert nur in Bezug auf eine Kundengruppe, die man auch möchte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der zweite Punkt betrifft die Transparenz von Vergleichswebsites; Herr Kelber hat schon etwas dazu gesagt. Eine staatliche Zertifizierung ist sicherlich gut. Aber dann müssen wir uns Gedanken über die Kriterien für diese Zertifizierung machen. Was sagt mir als Kunde ein entsprechendes staatliches Siegel? Nach unserer Auffassung gehört zu einer vernünftig zertifizierten Vergleichswebsite, dass alle Provisionen, die zwischen Bank oder Sparkasse und einer Vergleichswebsite fließen, zwingend offengelegt werden. Sonst steht man als Verbraucher wie der Ochs vorm Berg und weiß nicht, wie hinter den Kulissen die Geldströme fließen. Sonst ist auch der Zugang zu Banken und Sparkassen nicht diskriminierungsfrei. Deshalb fordern wir die Pflicht zur Offenlegung von Provisionen für alle Vergleichswebsites. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Regierung hat uns als Antwort auf eine Kleine Anfrage zu anderen Vergleichswebsites mitgeteilt, dass sie darauf setzt, dass die Verbraucher die Portale selbst fragen, welche Provisionen in welcher Höhe von wem an wen fließen. Das halten wir – mit Verlaub – für lebensfremd und das Gegenteil von Verbraucherschutz. Wenn ich als Verbraucher ins Netz gehe, um mich schnell zu informieren, dann möchte ich nicht an irgendwelche Stellen einen Brief schreiben nach dem Motto: Bitte teilt mir mit, wie viel Provisionen ihr von welcher Sparkasse oder welcher Bank erhalten habt. – Das ist lebensfremd und das Gegenteil von Verbraucherschutz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir sind heute noch nicht am Ende der Debatte. Ich freue mich sehr auf konstruktive Beratungen. Es handelt sich um eine gute europäische Regelung, die nun in deutsches Recht umgesetzt werden soll. Diese Umsetzung kann in einigen Punkten noch besser werden. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Matthias Hauer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Matthias Hauer (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute in erster Lesung den Entwurf eines Zahlungskontengesetzes. Damit setzen wir die EU-Zahlungskontenrichtlinie in deutsches Recht um und erfüllen gleichzeitig wichtige Zusagen aus dem Koalitionsvertrag. Was wird sich durch das Gesetz ändern? Erstens. Wir sorgen dafür, dass jeder Verbraucher in Deutschland Zugang zu einem Zahlungskonto mit grundlegenden Funktionen erhält. Jeder, der sich rechtmäßig in der Europäischen Union aufhält, kann dann ein solches Basiskonto eröffnen. Zweitens. Wir sorgen für mehr Vergleichbarkeit und Transparenz bei den Kontoentgelten. Jeder Verbraucher wird sich künftig auf dafür zertifizierten Internetseiten schnell und einfach über Entgelte der Banken und Sparkassen informieren können, die für ihn infrage kommen. Drittens. Wir sorgen dafür, dass Verbraucher ihr Girokonto einfacher wechseln können. Der Kontoumzug zu einer anderen Bank wird künftig mit weniger Aufwand für den einzelnen Bankkunden verbunden sein. Er umfasst auch die bestehenden Überweisungen, Daueraufträge und Lastschriften. Bislang sind die Vorschriften über Zahlungskonten innerhalb der EU sehr unterschiedlich und nicht durchgängig an einem hohen Verbraucherschutzstandard orientiert. Die Umsetzung der Zahlungskontenrichtlinie ist nun ein weiterer Schritt zur Harmonisierung der Regelungen innerhalb des europäischen Binnenmarktes. Nun zum Basiskonto. Ein Girokonto ist heutzutage Grundvoraussetzung für die Teilnahme am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben. Schätzungen gehen davon aus – wir haben es gerade schon gehört –, dass allein in Deutschland etwa 1 Million Menschen nicht über ein solches Konto verfügen können. Diesen Zustand wollen wir nicht hinnehmen. Wir möchten, dass gerade Obdachlosen und anderen einkommensschwachen Menschen nicht länger der Zugang zu einem Basiskonto verwehrt wird. Gleiches gilt auch für Asylsuchende sowie für Personen ohne Aufenthaltstitel, die nicht abgeschoben werden können. Der Anspruch auf das Basiskonto steht jedem zu, der sich rechtmäßig in der Europäischen Union aufhält. Wir als Union werden in besonderem Maße darauf achten, dass bei den parlamentarischen Beratungen keine Abstriche bei den Themen Geldwäsche und Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung gemacht werden. Das vorgesehene Recht auf Zugang zu einem solchen Basiskonto geht weit über die bisherigen Maßnahmen hinaus. In Deutschland haben sich Sparkassen sowie öffentliche, private und genossenschaftliche Banken 1995 die Selbstverpflichtung auferlegt, für jeden Bürger auf Wunsch ein Girokonto zu eröffnen. Lediglich in einigen Bundesländern besteht darüber hinaus mit gewissen Einschränkungen eine Verpflichtung für Sparkassen, ein Girokonto anzubieten. Zudem haben sich die Sparkassen im Jahr 2012 selbst dazu verpflichtet, jeder Privatperson in ihrem Geschäftsgebiet ein Guthabenkonto, das sogenannte Bürgerkonto, einzurichten. Der Gesetzentwurf geht auch inhaltlich weit über die bisherigen Regelungen hinaus, vor allem hinsichtlich des Kreises der berechtigten Verbraucher, des Mindestumfangs der zu nutzenden Zahlungsdienste und bei weiteren verbraucherschützenden Regelungen. In der Vergangenheit haben gerade die Sparkassen einen großen Teil dazu beigetragen, Menschen ohne geregeltes Einkommen den Zugang zu einem Girokonto zu verschaffen. Für dieses Engagement gilt es insbesondere den Sparkassen zu danken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Der Versorgungsgrad mit Girokonten ist in Deutschland zwar höher als in den meisten anderen EU-Staaten, dennoch besteht Handlungsbedarf. Noch immer haben auch in Deutschland zu viele Menschen keinen Zugang zu einem Konto. Diesen Zustand möchten wir ändern. Bargeld spielt gerade in Deutschland, im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern, im tagtäglichen Leben eine sehr wichtige Rolle. Dennoch braucht derzeit jeder ein Girokonto, um am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben partizipieren zu können. Wer heutzutage ein Arbeitsverhältnis aufnehmen, eine Wohnung mieten, einen Vertrag mit einem Strom- oder Handyanbieter schließen oder nur über das Internet einkaufen möchte, der steht ohne ein Girokonto vor großen, teils unüberbrückbaren Hindernissen. Hinzu kommt, dass hohe Entgelte anfallen, wenn jemand nicht über ein Girokonto verfügt. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Hauer, darf die Kollegin Maisch eine Zwischenfrage stellen? Matthias Hauer (CDU/CSU): Sehr gerne. Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Hauer, vielen Dank, dass ich diese Frage stellen kann. – Sie haben gerade sehr eindrücklich erklärt, warum ein Girokonto in Deutschland Voraussetzung für die Teilhabe am politischen Leben ist. Wie erklären Sie sich dann den Zwischenruf Ihres stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Brinkhaus, der – ich glaube, das kann man so sagen – einer der profiliertesten Finanzpolitiker der Union ist und der sagte: „Ich bleibe dabei: Das ist der größtmögliche Blödsinn“? (Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Hört! Hört!) Matthias Hauer (CDU/CSU): Frau Kollegin Maisch, das Lob an den Kollegen Brinkhaus teile ich voll und ganz. Dennoch geben Sie seine Äußerung hier falsch wieder. Schauen Sie sich einmal an, was die Union bereits vor Jahren, beispielsweise 2012, gemeinsam mit der FDP beantragt hat, übrigens bevor diese Richtlinie erlassen worden ist: „Rechtssicherheit beim Zugang zu einem Basiskonto schaffen“. Bereits in diesem Antrag sind die Punkte, die wir auch heute behandeln, festgeschrieben. Insofern sollten Sie genau darauf achten, was der Kollege Brinkhaus dazwischenruft. Das kann erhellend wirken. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Frau Maisch kann sich auch mit mir austauschen, sie kann das auch bilateral klären!) Ich war bei den Entgelten stehen geblieben. Bareinzahlungen und Barüberweisungen sind bei den meisten Kreditinstituten mit hohen Kosten verbunden. Wer, vielleicht weil er obdachlos ist, über kein Girokonto verfügt, der muss derzeit noch hohe Entgelte leisten. Auch das wollen wir mit der Einführung des Zugangs zu einem Basiskonto ändern. Um die Teilnahme am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben in Deutschland zu ermöglichen, soll das Basiskonto alle wesentlichen Funktionen des modernen Zahlungsverkehrs umfassen. Dazu gehören Bareinzahlungen, Barauszahlungen, Überweisungen, Lastschriften und Kartenzahlungen. Von diesem Gesetz profitieren aber nicht nur diejenigen, die bislang keinen Zugang zu einem Girokonto haben, sondern alle Bankkundinnen und Bankkunden. Die Vergleichbarkeit und Transparenz von Kontoentgelten werden erhöht, und der Girokontowechsel zu einer anderen Bank wird vereinfacht. Wir versetzen Verbraucher damit in die Lage, EU-weit das am besten für sie geeignete Girokonto auszuwählen. Zahlungsdienstleister müssen Verbraucher sowohl vor Vertragsabschluss als auch während der Vertragslaufzeit über die Entgelte informieren, die für das Girokonto anfallen. Die Entgeltinformation muss so gestaltet sein, dass sie klar und leicht verständlich ist. Wir sorgen dazu dafür, dass Verbraucher auf zertifizierten Internetseiten kostenlos und transparent Bankentgelte vergleichen können. Dadurch kann der Verbraucher sachgerecht beurteilen, bei welchem Institut er ein Girokonto beantragen möchte. Auf diesen Vergleichswebsites muss der Vergleich mindestens anhand der gesetzlich bestimmten Kriterien erfolgen: Das sind Entgelte, Filialnetz, Geldautomatennetz und Sollzinssatz für eingeräumte Überziehungsmöglichkeiten. Darüber hinaus gibt es weitere gesetzliche Bestimmungen für diese Internetseiten: Sie müssen zum Beispiel unabhängig betrieben werden, eine leicht verständliche und eindeutige Sprache verwenden sowie korrekte und aktuell gehaltene Informationen bereitstellen. Damit auch ein länderübergreifender Vergleich von Angeboten gelingen kann, wird EU-weit eine standardisierte Bezeichnung für die mit dem Girokonto verbundenen wesentlichen Dienste eingeführt. Zudem wollen wir den Wechsel eines Girokontos weitgehend von Bürokratie befreien und ein klares, schnelles und sicheres Verfahren dafür bieten. In Zukunft müssen die Banken und Sparkassen einem Verbraucher Kontenwechselhilfe anbieten, wenn er mit einem Girokonto zu einem anderen Institut umziehen möchte. Wir sorgen mit dem einfachen Kontenwechsel dafür, dass der einzelne Verbraucher flexibler die auf ihn zugeschnittenen Angebote auf dem Markt nutzen kann. Der Kontowechsel wird einfacherer möglich sein, weil Informationen, wie zum Beispiel über Daueraufträge und Lastschriften, unbürokratisch übermittelt werden. Das gilt nicht nur für den innerstaatlichen, sondern auch für den grenzüberschreitenden Kontenwechsel. Dabei wird das Entgelt begrenzt, das durch den Kontenwechsel anfällt. Es muss angemessen und an den tatsächlichen Kosten des Zahlungsdienstleisters ausgerichtet sein. Abschließend ist festzustellen: Rechtsanspruch auf ein Basiskonto, mehr Vergleichbarkeit und Transparenz bei den Kontoentgelten und einfacherer Wechsel des Girokontos – mit dem Zahlungskontengesetz stärken wir die Rechte aller Verbraucherinnen und Verbraucher. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Karawanskij das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Susanna Karawanskij (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Die Gesetzesvorlagen der Bundesregierung können wir als Opposition nur sehr selten loben. Es gibt aber im wahrsten Sinne des Wortes manchmal löbliche Ausnahmen. Mit dem Gesetz, dessen Entwurf vorliegt, soll nun der unbeschränkte Zugang zu Zahlungskonten geschaffen werden, wodurch erstmals eine wirksame Rechtsdurchsetzung für Verbraucherinnen und Verbraucher ermöglicht wird. Dieser Anspruch auf Abschluss eines Basiskontovertrages auf Guthabenbasis ist sicherlich ein Quantensprung im Bereich des finanziellen Verbraucherschutzes. Wir finden es richtig gut, dass dieses Gesetz jetzt auf den Weg gebracht wird. Doch bevor die Bundesregierung zu selbstgefällig wird, möchte ich noch einmal auf etwas verweisen – das hat auch meine Kollegin Caren Lay schon getan –: Es gab jahrelang nur freiwillige Selbstverpflichtungen. Sie haben 20 Jahre lang auf Sand gebaut. Erst als die EU diese Richtlinie beschlossen hat, mussten Sie handeln; Sie mussten tatsächlich zum Jagen getragen werden. Wir haben als Linke in den Kommunalparlamenten, aber auch in den Landesparlamenten und hier im Bundestag durchgängig für das Basiskonto gestritten. Mich würde es freuen, wenn Sie in anderen Bereichen des finanziellen Verbraucherschutzes aus eigener Überzeugung heraus proaktiv die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher im Finanzbereich stärken würden. (Beifall bei der LINKEN) Ich möchte im Folgenden auf Nachbesserungen eingehen, die in diesem Gesetzentwurf dringend notwendig sind: Wir fordern als Linke, dass das Basiskonto kostenlos ist. Der Gesetzentwurf enthält zwei unbestimmte Rechtsbegriffe, durch die den Instituten unseres Erachtens zu viele Spielräume bei der Festlegung von Entgelten eingeräumt werden. Bitte konkretisieren Sie sowohl den Begriff „marktüblich“ als auch den Begriff „angemessenes Entgelt“. Sie sind hoffentlich nicht so blauäugig und erwarten, dass diese Begriffe zugunsten der Verbraucherinnen und Verbraucher ausgelegt werden; denn es gibt bislang gar keinen Markt für Konten speziell für finanzschwache Verbraucher. Verbraucher wie Überschuldete, Obdachlose oder Flüchtlinge – wir haben es in der Debatte bereits gehört – müssen ein Basiskonto bezahlen können. Seien wir mal ehrlich: Es wird am besten und dauerhaft gelingen, wenn so ein Konto kostenlos ist. Nur so kann die Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger am bargeldlosen Zahlungsverkehr ermöglicht werden. (Beifall bei der LINKEN) Man überliest schnell, dass ein Basiskonto dem Verbraucher innerhalb von zehn Tagen angeboten werden muss; ich betone: angeboten. Dies bleibt allerdings hinter der EU-Richtlinie zurück. Wir fordern als Linke, dass das Konto innerhalb von zehn Tagen eingerichtet und eröffnet werden muss. Sie sollten sich an die umzusetzende Richtlinie halten und nicht dagegen verstoßen. So eine klare und einheitliche Eröffnungsfrist ist notwendig, damit die Kontoeröffnung tatsächlich zeitnah stattfindet, damit Banken den eigentlichen Anspruch auf Einhaltung der Zehntagesfrist nicht konterkarieren können in der Hoffnung, dass die nicht ganz so finanzkräftigen, vielleicht zum Teil auch unliebsamen Kundinnen und Kunden der letzten Jahre ihr Glück bei einem anderen Institut suchen. (Beifall bei der LINKEN) Es fehlt auch eine Harmonisierung mit den Vorschriften zum Pfändungsschutzkonto. Wenn ein Basiskonto eröffnet wird, kann nicht gleichzeitig ein Pfändungsschutzkonto eröffnet werden. Das geht immer nur in einem separaten zweiten Schritt. Der Wechsel des Basiskontoanbieters ist zwar von nun an einfacher möglich – das wurde hier auch schon betont; es reicht die Vorlage der Kündigung des bisherigen Kontos –; aber problematisch bleibt der Wechsel für die Inhaber eines Pfändungsschutzkontos, eines PKontos. Oft werden PKonten – man darf nur ein solches Konto führen – nicht zeitnah geschlossen. Bis zur Kontoschließung steht dieses PKonto in den Daten der Schufa. Wenn das alte PKonto gekündigt wird, erhalten die Kundinnen und Kunden zwar ein Basiskonto; das verfügt dann aber nicht über den notwendigen Pfändungsschutz, weil bei der Schufa noch der Eintrag des alten PKontos besteht. Hier ist eine Ankopplung des PKontos an das Basiskonto nur dann sinnvoll, wenn bei Kündigung des PKontos diese Kontofunktion innerhalb weniger Tage aufgehoben und dieser Eintrag bei der Schufa auch tatsächlich gelöscht wird. Wir fordern, dass mit diesem Gesetz beim Kontowechsel eine ununterbrochene PKonto-Verbindung sichergestellt werden muss. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich habe einige Punkte aufgeführt, bei denen Sie bitte schön nicht hinter die Richtlinie der EU zurückfallen sollten. Es ist ein Quantensprung im Bereich des Zahlungsverkehrs; nichtsdestotrotz bleiben viele Lücken im finanziellen Verbraucherschutz. Ich möchte hier noch einmal betonen: Lebensversicherte werden weiter geschröpft. Kleinanleger können immer noch in hochriskante und unseriöse Anlageprodukte gelockt werden. Ich nenne Fragen der Deckelung der Dispozinsen oder auch der verbrauchergerechten Finanzberatung; hier verweise ich auf die noch weitverbreiteten Provisionen der Vermittler, die allzu leicht nur an ihren eigenen Vorteil denken. Ich würde mich freuen, wenn Sie diesen Gesetzentwurf und die moderate Kritik, die wir in dieser Diskussion üben, als Ansporn nähmen, in diesen Bereichen des finanziellen Verbraucherschutzes auch ein bisschen proaktiver voranzuschreiten. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Sarah Ryglewski ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Sarah Ryglewski (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Loriot hat einmal gesagt: Ein Leben ohne Mops ist möglich, aber sinnlos. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) In Bezug auf das Girokonto ist es genau umgekehrt. Ein Leben ohne Konto hat sicherlich trotzdem einen Sinn, ist heutzutage aber fast unmöglich. Denn wie sieht ein Leben ohne Girokonto heute aus? Stellen wir uns einmal vor, wie unser potenzieller Arbeitgeber reagieren würde, wenn wir ihm nach einem bis dahin möglicherweise sehr positiv verlaufenen Vorstellungsgespräch mitteilten, dass er uns unser Gehalt in einer Lohntüte überreichen soll, oder die Reaktion des Vermieters, dem wir sagen, dass wir ihn jeden Monat persönlich besuchen werden, um die Miete vorbeizubringen. Möglicherweise hat man einen sehr sympathischen Arbeitgeber oder einen netten Vermieter, und das lässt sich alles regeln. Trotzdem ist es eine höchst beschämende Situation für den Betroffenen oder die Betroffene. (Beifall bei der SPD) Auch bei weiteren regelmäßigen finanziellen Verpflichtungen wird es sehr schwierig – sei es die Strom- oder Handyrechnung oder auch die Krankenversicherung. Möglicherweise lassen sich immer individuelle Lösungen finden. Das Ganze ist aber mit einem sehr hohen Aufwand, sowohl organisatorisch als auch finanziell, verbunden. So sind die Gebühren für Bareinzahlungen so hoch, dass sie unter Umständen sogar den einzuzahlenden Betrag übersteigen, und zum Telefonieren bleiben nur die teuren Prepaidtarife. Ein Leben ohne Konto ist also nicht nur fast unmöglich, sondern auch noch sehr, sehr teuer und beschneidet die Möglichkeiten von Menschen, die in der Regel ohnehin mit sehr wenig Geld auskommen müssen, weiter. Diese Situation ist leider keine Seltenheit. Wir haben in dieser Debatte schon oft gehört, dass bis zu 1 Million Menschen betroffen sind. Diese Zahl höre ich allerdings schon seit Jahren. Angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen können wir davon ausgehen, dass sie in den letzten Monaten deutlich gestiegen ist. Die Gründe dafür sind vielfältig: negative Schufa, Überschuldung, fehlende Ausweisdokumente oder schlicht die falsche Staatsbürgerschaft. Vor dieser Situation stehen wir trotz der seit mehr als 20 Jahren bestehenden Selbstverpflichtung der Kreditwirtschaft. Diese sollte – daran möchte ich erinnern – gerade für diesen Personenkreis sicherstellen, dass er endlich ein Konto bekommt. Diese Selbstverpflichtung hat nicht funktioniert. Das können wir so feststellen. Ich möchte auch noch einmal daran erinnern, dass die Kreditwirtschaft nur bedingt freiwillig zu dieser Selbstverpflichtung gekommen ist; denn schon 1995 war der Handlungsdruck so groß, dass die damalige Bundesregierung über ein entsprechendes Gesetz nachgedacht hat. Dieses Gesetz konnte die Kreditwirtschaft nur dadurch abwenden, dass sie die Selbstverpflichtung eingegangen ist. Umso bedauerlicher ist es, dass es erst einer EU-Richtlinie bedurfte, damit wir hier in Deutschland endlich zu einer gesetzlichen Regelung kommen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir hätten das schon früher haben können. Meine Partei war da auch relativ klar. Ich erinnere mich noch gut an Debatten, die ich in der Bremischen Bürgerschaft geführt habe. Dort wurde mir von meinem CDU-Kollegen vorgeworfen, ich würde vom Pult aus sozialistisches Gewäsch verbreiten. (Ulli Nissen [SPD]: Was? Das hat er gesagt? Ungeheuerlich! – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: In der Bürgerschaft wird so gesprochen! – Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr Finanzminister war aber nicht so klar!) – Ich will jetzt nicht die Kolleginnen und Kollegen hier im Bundestag für Äußerungen ihrer Kollegen in einem Landesparlament verantwortlich machen, (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen die umgekehrt auch!) aber das war der Tenor. Heute sind wir hier glücklicherweise im Jahr 2016. Deswegen sollten wir nach vorne schauen und dafür sorgen, dass das, was lange währt, am Ende auch endlich gut wird. (Beifall bei der SPD) Deswegen möchte ich mich bei den beteiligten Bundesministerien ganz herzlich für den guten Gesetzentwurf bedanken. Wir schaffen damit endlich die Grundlage, dass jeder in Deutschland ein Konto eröffnen und am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben teilhaben kann. Damit das Basiskonto ein voller Erfolg wird, bedarf es jedoch eines klaren Rahmens. Darauf haben meine Vorrednerinnen und Vorredner bereits hingewiesen. Neben der Frage, wie teuer das Konto sein darf, ist mir dabei insbesondere wichtig, dass wir darüber reden, welche Funktionen das Konto hat und aus welchen Gründen die Eröffnung eines Basiskontos abgelehnt werden darf. Hier mahnen die Erfahrungen mit dem Pfändungsschutzkonto. Die Versuchung ist für Banken doch sehr groß, die Funktionen des Kontos so zu gestalten, dass das Konto sehr unattraktiv wird für die unbeliebte Kundschaft. So gibt es ein Girokonto ohne Onlinebanking, bei dem der Verbraucher darauf angewiesen ist, statt von zu Hause Überweisungen zu tätigen, persönlich zur Bank zu gehen und dort für jede Überweisung auch noch eine hohe Gebühr zu bezahlen. Ich glaube, dass das neben der Frage der Höhe der Kontoführungsgebühren, bei der wir auch noch etwas präziser werden können, die zweite große Gefahr ist; denn wir wollen ja schließlich, dass möglichst viele Menschen vom neuen Basiskonto profitieren. (Beifall bei der SPD) Hinsichtlich der Gründe, aus denen ein Konto verweigert werden darf, ist der Gesetzentwurf schon sehr präzise. Insbesondere ist es sehr gut, dass wir einen abschließenden Katalog von Ablehnungsgründen haben. Da gibt es also kein Drumherumgemogel. Besonders gut finde ich, dass auch die Antragstellung dokumentiert werden soll und dass wir eine Frist zur Eröffnung haben, sodass es da eigentlich keine Ausreden geben sollte. (Beifall bei der SPD) Doch auch hier gibt es leider negative Erfahrungen mit dem Pfändungsschutzkonto, mit der Selbstverpflichtung der Banken und leider auch mit den Sparkassen. Oft ist es nämlich so, dass es gar nicht zu einer dokumentierten Antragsstellung kommt, sondern Kundinnen und Kunden unter Umständen schon am Schalter abgewiesen werden, wenn sie nach einem solchen Konto fragen. Das ist natürlich ein Sachverhalt, der dann später schwer zu klären ist und bei dem es mit der Nachweispflicht schwierig wird. Hierauf müssen wir auf jeden Fall ein Auge haben. Hier sollten wir uns auch sensibel bei den Verbraucherzentralen und den Schuldnerberatungen umhören, damit das nicht durch die Hintertür zum Regelfall wird. (Beifall bei der SPD) Wir als SPD-Fraktion wollen also ein Basiskonto ohne Schlupflöcher und ohne Ausweichmöglichkeiten verabschieden, damit am Ende des Gesetzgebungsprozesses das Recht auf ein Girokonto keinem Menschen in Deutschland mehr aus rein geschäftlichen Erwägungen verweigert werden kann. Doch mit dem Zahlungskontengesetz verbessern wir nicht nur die Situation von bisher Kontolosen. Wir schaffen auch mehr Fairness und Transparenz für alle Bankkunden. Bisher ist es meist sehr schwierig, Angebote von Banken miteinander zu vergleichen. Gebühren werden im Kleingedruckten oder irgendwo in den hintersten Ecken einer Website versteckt und sind schwer zu durchblicken. Wir erinnern uns an die Diskussion um die Dispozinsen. Bisher war es ja gang und gäbe, dass man die Höhe der Dispozinsen nur in einem kleinen Bilderrahmen aufgehängt in seiner Bankfiliale finden konnte. Verbraucherinnen und Verbraucher sollen künftig offen und regelmäßig über Kosten und Entgelte informiert werden. Nur wenn ich Entgelte nachvollziehen kann, kann ich zwischen verschiedenen Kreditinstituten vergleichen und beurteilen, welches Konto zu mir passt. (Beifall bei der SPD) Aber selbst wenn dies gegeben ist, ist es sehr schwierig, sich im Dickicht der verschiedenen Gebühren und Angebote zurechtzufinden. Hier versprechen Vergleichswebsites oder Vergleichsportale Abhilfe. Doch diese sind nicht immer verlässlich und nur selten objektiv; denn schließlich ist das Geschäftsmodell der Portale, dass sie über die Abschlüsse ihr Geld verdienen. Die Verbraucherinnen und Verbraucher können sich also nicht sicher sein, ob ihnen das günstigste Kontoangebot angezeigt wird oder doch nur das, welches die höchste Provision für den Portalbetreiber verspricht. Deshalb brauchen wir hier eine klare Regulierung und eine gute Zertifizierung. (Beifall bei der SPD) Doch auch die beste Vergleichsplattform nützt nichts, wenn der Kontowechsel weiterhin mit demselben hohen Aufwand verbunden ist wie bisher. Wer das einmal versucht und durchgemacht hat, der weiß, dass es leichter ist, seinen kompletten Hausstand von einer Wohnung in die nächste zu bringen, als das Konto zu wechseln. Damit kann man gut und gerne ein halbes Jahr beschäftigt sein. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deswegen begrüßen wir es sehr, dass die Banken nach dem Zahlungskontengesetz ihre Kunden künftig beim Wechsel des Kontos unterstützen müssen. Nur so ist eine ununterbrochene Kontoverbindung sichergestellt. Nur so gibt es keine Scherereien. Nur so bekommen wir endlich einen echten Wettbewerb bei den Girokonten für Privatkunden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der vorliegende Gesetzentwurf ist gut. (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das wäre eigentlich ein schöner Schlusssatz, Frau Ryglewski. Sarah Ryglewski (SPD): Es kommt ein letzter Satz. – Er bedeutet eine echte Stärkung von Verbraucherrechten am Finanzmarkt. Jetzt müssen wir an die Details, damit aus einem guten Gesetzentwurf ein noch besserer wird. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält der Kollege Gerhard Schick für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im März 2006 – ich war damals noch relativ frisch im Bundestag – habe ich hier zum ersten Mal zum Girokonto für jedermann – so sagte man damals noch; die jetzige Begrifflichkeit „für alle“ ist natürlich die bessere – gesprochen. Auch damals schon war es so, dass die Banken zehn Jahre Zeit hatten, um zu zeigen, dass die Selbstverpflichtung funktioniert. Auch damals schon war es klar und bewiesen, dass zu viele Menschen in Deutschland keinen Zugang zu einem Girokonto erhielten und damit große Schwierigkeiten hatten, ihr Geschäftsleben zu gestalten, Miete zu zahlen. Sie konnten in Bewerbungsgesprächen keine Kontonummer angeben etc. Also: Die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben war dadurch massiv erschwert. Auch damals war schon klar, dass das den Staat mehr kostet, weil zum Beispiel die Bundesagentur für Arbeit höhere Kosten hat, wenn sie alles in Bargeld abwickeln muss, als dann, wenn die Leute ein Konto haben. Auch damals gab es schon massenhaft Argumente dafür, eine gesetzliche Verpflichtung vorzusehen. Wir haben immer noch zehn Jahre gebraucht, damit jetzt ein solcher Gesetzentwurf vorliegt. Das ist einfach eine schwache Leistung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Auch wenn der Kollege Hauer gerade versucht hat, die Verantwortung ein wenig zu diffundieren, muss man klar sagen, wo sie lag. Die Ablehnung war im Kern bei CDU, CSU und natürlich auch der FDP begründet. Es ist jetzt so, dass es einer europäischen Gesetzgebung bedurft hat. Man muss, wenn Sie sich immer wieder mit Blick auf Europa als Verteidiger der deutschen Kleinsparer gerieren, doch deutlich machen: Es ist das Europäische Parlament, es ist die Europäische Kommission gewesen, die Sie dazu zwingen, endlich einmal für die kleinen Leute in Deutschland etwas zu tun. Es muss doch einmal deutlich gesagt werden, wie hier die Lage ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf des Abg. Matthias Hauer [CDU/CSU]) Noch 2011 ist die Hamburger Initiative im Bundesrat von den CDU- bzw. CSU-geführten Ländern abgelehnt worden – vor wenigen Jahren! Auf europäischer Ebene haben Sie sich, damals noch als schwarz-gelbe Bundesregierung, gegen die Gesetzgebung gewehrt. Geben Sie das mal zu, und sagen Sie, dass Sie über Jahre auf dem Holzweg waren und viele Hunderttausend Menschen in Deutschland im Regen stehen lassen haben! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Jetzt kommt es endlich. Das ist gut. Es ist gut, dass es eine klare Frist gibt. Es ist gut, dass es eine klare Liste von Ausschlussgründen gibt. Es ist auch gut, dass wir damit Menschen, die jetzt als Flüchtlinge nach Deutschland kommen, auch in dieser Form integrieren können. Ich finde es richtig, dass Sie die Bedenken der Banken kritisch hinterfragt haben und darauf nicht eingehen, wenn sie sagen, es gebe Probleme, etwa mit den USA. Das sind richtige Punkte. Ich möchte zwei Punkte ansprechen, von denen wir meinen, dass sie im Gesetzgebungsverfahren besondere Bedeutung bekommen sollten. Das eine ist die Kostenfrage, die schon angesprochen worden ist. Ich bin der Kollegin Ryglewski sehr dankbar, dass sie gesagt hat, dass wir da noch präziser werden sollten. Ich glaube auch – deswegen habe ich gerade die Zwischenfrage gestellt –, wir können nicht mit einer weichen Formulierung, die nicht durchgesetzt wird, den Banken freies Spiel lassen, über hohe Gebühren die Leute vom Girokonto abzuhalten. Hier braucht es eine klare Formulierung, und es braucht die Sicherheit, dass es wirklich kontrolliert und umgesetzt wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich will einen zweiten Punkt ansprechen. Für eine der vielen Anhörungen, die wir hatten, haben wir eine Expertin aus Frankreich benannt. Frankreich hat schon längere Erfahrung mit diesem Thema. Dort gibt es ein gesetzliches Recht schon seit 1984. Man hat in Frankreich die Erfahrung gemacht, dass ein Gesetz, das auf dem Papier steht, von dem die Leute aber nichts wissen, die entscheidende gesellschaftliche Wirkung nicht erzeugt. Die Menschen müssen über Werbung, die entweder der Staat macht oder die Banken machen, über das Recht auf ein Girokonto aufgeklärt werden, damit sie es in der Praxis einfordern und nicht ausgeschlossen bleiben, weil sie meinen: Ich bekomme doch eh nichts. Ich glaube, dieses Thema sollten wir uns noch einmal anschauen – erreicht dieses neue Recht wirklich die Menschen? –, damit das Ziel, das wir offensichtlich jetzt alle teilen, dass möglichst alle Menschen in Deutschland Zugang zu bargeldlosem Zahlungsverkehr haben, wirklich in der Praxis verwirklicht wird. Dann können wir in einigen Monaten sehen, dass die Zahl der Menschen ohne Girokonto, der Menschen, die abgewimmelt werden, massiv sinkt, und können sagen: Das Ziel, das wir alle proklamieren, ist wirklich erreicht und steht nicht nur im Gesetzblatt. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Alexander Radwan hat nun das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Alexander Radwan (CDU/CSU): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Es wurde ja schon sehr viel zum Thema gesagt, zur Richtlinie zu den Bankkonten, die 2013/2014 auf europäischer Ebene auf den Weg gebracht wurde und die wir nun umsetzen. Lassen Sie mich zu Beginn, nachdem Herr Kollege Dr. Schick sehr ausgiebig auf die europäische Ebene eingegangen ist, ebenfalls einen Verweis darauf machen. Auf europäischer Ebene wurde dieses Thema sehr lange diskutiert, und man war der Meinung: Eine solche Richtlinie ist notwendig, weil der Zugang der Menschen zu Konten in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union schlicht und ergreifend sehr unterschiedlich geregelt ist, weil auch die Bankenstruktur in Europa sehr unterschiedlich ist. Wir in Deutschland haben – zumindest formell betrachtet – eine Struktur mit kleinen Regionalbanken; jede Fraktion nimmt für sich in Anspruch, für die kleinen Regionalbanken zu sein. Dann gibt es das britische Bankensystem. Wir wissen: In Großbritannien, in Irland, in anderen Staaten war der Zugang der Menschen zu einem Bankkonto angesichts der dortigen Bankenstruktur erheblich schlechter gewährleistet. Darum wurde auf europäischer Ebene diese Richtlinie auf den Weg gebracht. Es gibt in Deutschland – Staatssekretär Meister und Kollege Hauer haben darauf hingewiesen – eine Selbstverpflichtung der Banken und Sparkassen. Dank der Sparkassen gibt es in Deutschland eine erheblich bessere Versorgung mit Konten für jedermann als in anderen europäischen Staaten. (Beifall bei der CDU/CSU) Einen Punkt kann ich mir da nicht verkneifen – es geht um den Trugschluss europäischer Gesetzgebung –: Wenn auf europäischer Ebene durch Binnenmarktgesetzgebung, Finanzmarktregulierung und Maßnahmen in vielen anderen Bereichen auf der einen Seite harmonisiert und damit Kahlschlag betrieben wird, weil systemimmanente Strukturen nicht berücksichtigt werden – – (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gab doch trotzdem 1 Million Leute ohne Konto!) – Lassen Sie mich doch bitte erst mal den Gedanken zu Ende führen. Ich kann Ihnen genügend Beispiele nennen. Sogar die Grünen im Europäischen Parlament teilten damals die Meinung, dass der Verbraucherschutz in Deutschland durch systemimmanente, kleingewachsene Strukturen gewährleistet wird. Das sehen wir im Apothekenbereich, das sehen wir im Bereich des Handwerks, und das sehen wir auch bei den Regionalbanken. Ich komme zu den Sparkassen. Was ich schon gern hätte, ist, dass die europäische Ebene nicht die Sparkassen, die bisher diese Leistungen erbracht haben, an den Pranger stellt, indem sie regelmäßig in dem Bereich reguliert. – Da brauchen Sie nicht mit dem Kopf zu schütteln, Frau Maisch. (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat mit dem Thema gar nichts zu tun! Die Sparkassen machen es doch schon seit langem!) – Eben! (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt werden auch die anderen Institute gezwungen! Aber nicht von Ihnen, sondern von Brüssel!) Sie äußern genau den Gedanken in sehr kurzer Form. In anderen Bereichen Europas gibt es so etwas nicht. (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an die CDU/CSU gewandt: Er hat es leider nicht verstanden! – Gegenruf der Abg. Antje Tillmann [CDU/CSU]: Sie offensichtlich auch nicht!) Die Sparkassen haben es gemacht. Auf europäischer Ebene wird jetzt wieder eine Harmonisierung vorgenommen. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir hier eine Anti-EU-Debatte, oder wie?) Das führt zu einem Kahlschlag auf voller Bandbreite. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn hier der Kahlschlag? Können Sie das mal erklären?) Herr Präsident? Präsident Dr. Norbert Lammert: Lassen Sie dazu eine Zwischenfrage zu? Alexander Radwan (CDU/CSU): Ja. Präsident Dr. Norbert Lammert: Bitte schön. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Radwan, Ihnen ist sicherlich wie mir bekannt, dass für die Sparkassen Gesetze gelten und dies Landesgesetze sind. Ich möchte Sie, wenn Sie nicht darüber informiert sind, darüber in Kenntnis setzen, dass beispielsweise das Land Berlin ein Sparkassengesetz hat und die Grünen beantragt haben, darin das Konto für jedermann aufzunehmen, es aber nicht aufgenommen wurde. Nach meinem Wissen gibt es maximal ein oder zwei Bundesländer, in denen das Konto für jedermann im Sparkassengesetz steht. Es wurde auch von den Sparkassen massiv bekämpft, dass das Konto für jedermann verankert wird. Deswegen ist das, was Sie gerade gesagt haben, schlichtweg nicht richtig. Alexander Radwan (CDU/CSU): Das eine ist die gesetzliche Regelung, Frau Kollegin. Das andere ist die Selbstverpflichtung zu einem Basisgirokonto, einem Bürgerkonto. Da waren die Sparkassen nach meinem Kenntnisstand in Deutschland und sogar in Europa Vorreiter. Oder wollen Sie das infrage stellen? Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. Alexander Radwan (CDU/CSU): Dann haben wir halt einen Dissens. Die Sparkassen waren hier beispielhaft. Ich erwähne es deswegen, weil Sie von der Opposition – das ist der Punkt, auf den ich hinaus will – den Gesetzentwurf zur Einlagensicherung begrüßt haben – entschuldigen Sie, dass ich jetzt kurz zur Einlagensicherung komme –, der gerade diese Struktur der in der Region verwobenen, verbrauchernahen Institute, die sehr verbraucherfreundlich ist, gefährdet. Sie begrüßen es, diesen Weg der europäischen Ebene zu gehen, aber wir kritisieren das. Wir wollen bestehende bürgernahe Strukturen schützen und aufrechterhalten. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie doch einmal zum Thema!) – Nein, das ist für mich ein Thema. Sie gehen den Weg in Richtung eines einheitlichen europäischen Breis. Sie begrüßen das. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was soll denn dieser nationalistische Einschlag?) Sie wollen eine einheitliche europäische Regulierung, die bewirkt, dass die Großen mit den Kleinen gleichgesetzt werden, wie bei der Einlagensicherung, wie bei der Bankenunion. Sie sagen: Wir brauchen einheitliche Regelungen, mit denen die Großen mit den Kleinen auf eine Ebene gesetzt werden. – Das wollen wir genau nicht. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Wir wollen, dass jeder ein Konto bekommt! Das wollen wir doch!) In diesem Zusammenhang sind drei Bereiche genannt worden. Das Basiskonto wurde erwähnt. Dann ist der Wechsel zwischen Banken zu nennen. Das ist ein gutes Ziel, ein Ziel, das den Wettbewerb stärkt. Wir werden darüber diskutieren, inwieweit wir es zukünftig mit einem Systembruch zu tun haben; denn die Digitalisierung schreitet hier voran. Zukünftig wird es nicht um die Frage gehen, ob einer beispielsweise von der Sparkasse zu einer Genossenschaftsbank wechselt. Vielmehr werden wir verstärkt darüber diskutieren müssen, ob jemand von einer traditionellen Bank zu einer im digitalen Bereich tätigen Bank wechselt. Es ist sehr wichtig, zu schauen, inwieweit diese Möglichkeit vorhanden ist und inwieweit ein Systembruch notwendig ist oder nicht. Ich begrüße sehr stark den Vorstoß zum Thema Entgelttransparenz. Ich möchte an die Finanzwirtschaft die mit einer Kritik verbundene Bitte richten: Natürlich gibt es unterschiedliche Produkte, die unterschiedliche Bestandteile aufweisen, aber wichtig ist – das ist schon sehr lange Thema –, eine einfache Information zu geben, eine Information, die Produkte relativ schnell vergleichbar macht. Wenn man dann immer auf verschiedene Pakete verweist, kann man natürlich gut in die Irre führen. Die Finanzwirtschaft hat die Chance, entsprechende Vorschläge zu machen. Bis jetzt habe ich hierzu leider keine Vorschläge gesehen. Die Geldwäscherichtlinie und -verordnung wurden erwähnt. Ich halte den Aspekt, den der Staatssekretär im Hinblick auf die Geldwäscheverordnung erwähnt hat, für richtig. Trotzdem sollten wir in der weiteren Beratung gerade vor dem Hintergrund der Terrorismusfinanzierung und der in Europa und weltweit aufkommenden höheren Sensibilität dazu kommen, dass wir auch andere Rechtsgebiete prüfen. Wir wollen nicht, dass durch ein Gesetz für einen Bereich in anderen Rechtsbereichen zusätzliche Gefährdungen entstehen. Man muss sich anschauen, inwieweit eine entsprechende Problematik besteht, Stichwort: USA, bzw. inwieweit wir Gefährdungen mit gutem Gewissen ausschließen können. Ich begrüße es sehr, dass wir die Richtlinie jetzt umsetzen. Sie stammt übrigens aus dem Jahr 2013/2014. Damals hatten wir nicht die jetzt aktuelle Situation mit den Flüchtlingen. Die BaFin hat aus meiner Sicht völlig zu Recht für Erleichterung beim Zugang zu Konten gesorgt. Das ist zu begrüßen. Wir müssen das aber gerade unter dem Gesichtspunkt der Umsetzung der Geldwäscherichtlinie und der Geldwäscheverordnung entsprechend handhaben. Einen letzten Aspekt kann ich mir nicht verkneifen. Vorhin wurde darüber geredet, dass wir für die neuen Regelungen Werbung machen müssen. Viele Redner haben zu Recht betont, wie wichtig ein Konto ist, um am sozialen Leben in Deutschland teilhaben zu können. Das betrifft die Miete, den Arbeitsvertrag und andere Bereiche. Aber wenn der Druck so groß ist – und das ist unter allen Fraktionen unbestritten –, dann ist, glaube ich, keine Werbung notwendig. Es ist schlicht und ergreifend so, dass mit diesem Gesetz ein gangbarer Weg gegangen wird. Ihn werden wir jetzt mit den Beratungen eröffnen. Ich denke, wir werden am Schluss ein gutes Gesetz hinbekommen. Besten Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Jens Zimmermann für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Jens Zimmermann (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich nach der Rede des Kollegen Radwan noch einmal klarstellen, was wir eigentlich wollen und warum wir dieses Gesetz machen: Wir wollen ein Konto für alle, darum geht es heute Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Über alle anderen Nebenkriegsschauplätze werden wir uns noch in anderen Debatten austauschen können. Es ist angesprochen worden: Ohne Konto steht man im Alltag vor vielen Problemen, sei es bei der Miete, sei es im Beruf. Aber ich will auch noch einmal auf einen Bereich bzw. eine Personengruppe eingehen, die immer größer wird: Das sind die Geflüchteten, die wir in Deutschland haben. Wir müssen uns doch fragen: Ist es wirklich sinnvoll, dass sie ganz viele Geschäfte mit Bargeld abwickeln müssen? Ist es sinnvoll, dass sie auf Prepaidkarten usw. ausweichen müssen? Aus Gesprächen mit Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern und Landrätinnen und Landräten weiß ich, welchen Aufwand das Hantieren mit großen Bargeldsummen für die Behörden und Ämter bedeutet. Auch in einer Unterkunft mit nur 100 Leuten machen kleine Beträge am Ende große Summen aus. Ich glaube, es kann nicht in unserem Interesse sein, dass diese Menschen auch langfristig alles nur bar abwickeln können. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Als jemand, der sich sehr intensiv mit dem Thema Geldwäsche beschäftigt, will ich an dieser Stelle eines ganz klar sagen: Unser Ziel muss es sein, dass möglichst viele Menschen ihre Geschäfte elektronisch abwickeln, über regulierte Konten, weil wir dadurch die Möglichkeit haben, entsprechende Erkenntnisse zu gewinnen und Ermittlungsansätze für die Strafverfolgungsbehörden zu finden. Also ist das Konto für alle eben gerade nichts, was der Geldwäsche Vorschub leistet, sondern ein Instrument zur Geldwäschebekämpfung. (Beifall bei der SPD) An dieser Stelle will ich auf die Bedenken eingehen, die von einigen Banken jetzt ins Feld geführt werden. Über diese Bedenken muss ich mich sehr wundern. Unsere deutschen Banken in den USA – die USA sind als Problemfeld explizit angesprochen worden – haben doch ein wesentliches Problem: Sie werden in den USA von einem Prozess zum nächsten gezerrt, weil sie sich nicht an die dortigen Gesetze gehalten haben. Ich finde es – das muss ich schon sagen – billig, wenn diese Probleme, die deutsche Banken mit den Strafermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden in den USA haben, jetzt herangezogen werden, um zu sagen: Vielleicht bieten wir lieber doch kein Konto für alle an, weil uns in den USA Ärger drohen könnte. – Das halte ich für nicht gerechtfertigt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben vorgestern im Finanzausschuss auch dieses Thema diskutiert. Ich finde es erstaunlich, dass diejenigen, die dieses Argument vorbringen, auf die Frage: „Welche Gesetze stehen dem denn entgegen?“ mit großem Schweigen antworten. Das zeigt mir, dass das ein vorgeschobenes Argument ist, um dieses Konto nicht anbieten zu müssen. Wir als SPD-Fraktion werden in den anstehenden Verhandlungen und in der Anhörung sehr genau darauf achten, dass wir uns um die Dinge kümmern, die wirklich wichtig sind: Am Ende sollen alle Menschen Zugang zu einem Basiskonto erhalten. Diese Manöver zielen nur darauf, ökonomisch vermeintlich uninteressante Kunden nicht bedienen zu müssen. Das werden wir verhindern. Ich will auch eines sagen: Einer der bekanntesten Unternehmensgründer der USA, ein Milliardär, hat syrische Eltern gehabt: Das war Steve Jobs. Vielleicht sollte sich die eine oder andere Bank einmal Gedanken darüber machen, ob nicht der zukünftige Steve Jobs und damit ein potenter Kunde heute unter diesen vermeintlich ökonomisch uninteressanten Kunden ist. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Antje Tillmann [CDU/CSU]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Mechthild Heil für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Mechthild Heil (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zeiten, in denen man am Ende des Monats sein Gehalt in einer Lohntüte bekommen hat, sind wirklich schon lange vorbei. Schon seit 1957 kann man sein Gehalt auf ein Girokonto überweisen lassen. Wir haben es heute schon mehrfach gehört: Die Miete, der Strom, aber auch der Vereinsbeitrag und vieles andere mehr werden heute nicht mehr bar bezahlt. Ein eigenes Konto und eine eigene Zahlkarte sind heute eine Selbstverständlichkeit. Ich glaube, die jungen Leute auf der Tribüne können sich das gar nicht anders vorstellen. Dazu kommen natürlich neue Tendenzen: der wachsende Internethandel, aber auch die Digitalisierung der Verwaltungen. Egal ob Sie Steuern zahlen, Steuern nachzahlen, Steuern zurückbekommen oder zum Beispiel Hartz IV bekommen, eigentlich geht alles bargeldlos. Im meinem Landkreis Mayen-Koblenz – immerhin der größte Landkreis in Rheinland-Pfalz – gibt es heute keinen Hartz-IV-Empfänger mehr, der kein Konto hat. Er ist schwarz regiert. Ich sage Ihnen: Wenn man sich ein bisschen darum gekümmert hat, war das Konto für alle auch schon in der Vergangenheit möglich. Die Tendenz zum bargeldlosen Zahlen ist steigend. In den Supermärkten und auch an der Tankstelle wird bargeldlos gezahlt. Ich gehöre zu denjenigen, die das Zahlen mit Bargeld nicht abschaffen wollen. Ich bin nach wie vor dafür, dass man Bargeld verwendet, und ich finde, dass es in Deutschland eine gute Entwicklung ist, dass man weiterhin Bargeld benutzt. Aber ich will natürlich nicht, dass manche Verbraucher auf Bargeldgeschäfte beschränkt werden, weil sie kein Konto haben können. Bislang – wir haben das schon erwähnt – haben die Sparkassen diese Lücke geschlossen, wenn auch nicht in allen Bundesländern. Sie haben vollkommen recht: Auch da ist Berlin ein Negativbeispiel; hier haben die Sparkassen ihre Aufgabe nicht übernommen. Die Europäische Union sagt, dass 1 Million Menschen bei uns in Deutschland kein Konto haben; wir gehen von 700 000 oder 600 000 Menschen aus. Ich will mich über die Zahlen gar nicht streiten. Es sind auf jeden Fall eine Menge Menschen zu viel, die kein eigenes Konto haben. Manch einer von denen will gar kein Konto; diesen Menschen wollen wir auch kein Konto aufzwingen. Aber das ist kein Grund, es denjenigen zu verweigern, die Zugang zu einem Konto benötigen. Deshalb begrüße ich es, dass wir heute in der ersten Lesung dieses Zahlungskontengesetz auf den Weg bringen. Die Frage ist natürlich: Wer hat jetzt ein Recht, ein solches Basiskonto zu eröffnen? Das ist jeder Verbraucher mit einem rechtmäßigen Aufenthalt in der Europäischen Union. Das sind erstmals aber auch Personen ohne festen Wohnsitz. Das sind alle Asylsuchenden sowie Personen ohne Aufenthaltstitel, die aber aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abgeschoben werden können. Bereits 1995 haben sich die Banken in Deutschland selbst zu der Einrichtung eines sogenannten Jedermann-Kontos verpflichtet. Das ist 20 Jahre her. Einige Banken sind dieser Selbstverpflichtung nachgekommen, aber viel zu viele haben sich in diesem Bereich nicht engagiert. Auch wenn jetzt in Deutschland verhältnismäßig viele Menschen ein eigenes Konto haben – wir haben die Zahlen gehört –, muss ich ganz ehrlich sagen: Das Engagement der gesamten Branche hat nicht ausgereicht. Ehrlich gesagt, ich finde es schade, dass gerade eine Branche, die immer mehr und manchmal – auch das sage ich – durchaus berechtigt über zunehmende Reglementierung lamentiert, in diesen 20 Jahren keine Kraft hatte, eine solche Selbstverpflichtung umzusetzen. Deshalb bessern wir als Gesetzgeber jetzt nach, und zwar auch – Sie haben recht – mithilfe der Europäischen Union. Wir bessern so nach, dass alle Institutsgruppen – dies wurde übrigens schon im Koalitionsvertrag vereinbart – in angemessener Weise beteiligt sind. Das geht nicht ohne gewisse Eingriffe in die Vertragsfreiheit der Banken. Ein Konto für alle bedeutet dann eben auch für alle und nicht nur für den, den sich die Bank aussucht. Was muss ein Basiskonto alles können? Wir haben es schon gehört: Überweisungen sowie Barein- und -auszahlungen müssen möglich sein, man muss Lastschriften tätigen können, und natürlich müssen auch Kartenzahlungen möglich sein. Die Kosten müssen angemessen, marktüblich und verhältnismäßig sein. Ich finde es richtig, dass es nicht kostenlos ist. Die Bedingungen für das Basiskonto dürfen nicht schlechter sein als die bei anderen Zahlungskonten des gleichen Institutes. Ein Basiskonto – das möchte ich an dieser Stelle auch ganz klar sagen – ist keinesfalls ein Freifahrtschein zum Leben auf Pump. Denn es besteht lediglich ein Recht auf ein Guthabenkonto. Das Recht auf einen Kredit oder auf einen Disporahmen hat man damit nicht. Es geht also wirklich nur um die Grundfunktionen eines Kontos. Alles andere ist freiwillig: Überziehungskredite müssen nach wie vor frei zwischen der Bank und dem Kunden ausgehandelt werden. Wenn es dann zu Problemen mit dem Kreditinstitut kommt, kann der Kunde sich auf drei Wegen Hilfe suchen: Erstens. Er kann sich an die BaFin wenden. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht kann dann als zuständige Behörde den Anspruch des Verbrauchers auf ein Basiskonto mit den Mitteln eines Verwaltungsaktes durchsetzen, natürlich nur, wenn auch keine Ablehnungsgründe vorliegen. Zweitens. Wie immer kann der Verbraucher den ordentlichen Rechtsweg beschreiten. Drittens. Er kann sich für eine alternative Streitbeilegung – wir sprechen von Schlichtungsstellen – entscheiden. Die Schlichtungsverfahren, die dann bei der BaFin angesiedelt sind, sind für den Kunden kostenlos. Sie sehen daran, meine Damen und Herren: Wir schreiben nicht einfach nur die Ziele in ein Gesetz hinein, nein, wir sorgen auch dafür, dass die Verbraucher ihr Recht auch wirklich durchsetzen können. Und ein weiteres Thema packen wir an: Wir erleichtern den Wechsel zwischen den Kreditinstituten. Bisher war es wirklich eine große Arbeit und war mit gewissen Hürden und Mühen verbunden, die Bank zu wechseln; der eine oder andere von uns oder von Ihnen wird es schon einmal gemacht haben. Das soll jetzt leichter werden. Dass Lastschriften, Auf- und Abbuchungen und Daueraufträge einzeln geändert und übertragen werden mussten, das ändern wir nun. Künftig wird die übertragende Bank verpflichtet, Lastschriften und dergleichen an die empfangende Bank zu melden. Ich gehe wirklich davon aus, dass wir mit diesem Mittel bald deutlich mehr unzufriedene Kunden dazu bewegen können, von dem Recht Gebrauch zu machen und die Bank zu wechseln. Das ist gut so; denn das erhöht noch einmal den Wettbewerb unter den Banken. Den Wettbewerb zwischen den Banken zugunsten der Verbraucher fördern wir auch beim Thema „Vergleichbarkeit von Zahlungsentgelten“. Wie kommt – auch das war vorhin schon die Frage – der Kunde an diese Informationen? Klar, zuerst einmal ist die Bank in der Verpflichtung – das haben wir auch schon geregelt –, die Informationen an den Kunden zu geben. Aber gleichzeitig können Verbraucher auch auf einer zertifizierten Webseite – zumindest wollen wir das so – diese Informationen in Zukunft abrufen. Insgesamt kann ich sagen: Das wird ein gelungenes Gesetz, wenn wir es dann nach der dritten Lesung verabschiedet haben. Auch mit diesem Gesetz steht die CDU/CSU für klare Kundeninformation. Wir stehen für mehr Wettbewerb zwischen den Kreditinstituten, und wir stärken auch hier einmal wieder die Marktmacht der Verbraucher. Ein guter Schritt in Richtung „Verbraucher auf Augenhöhe“. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 18/7204 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Dann kann ich nun Tagesordnungspunkt 18 aufrufen: Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald Ebner, Steffi Lemke, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Pestizide reduzieren – Mensch und Umwelt schützen Drucksache 18/7240 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch für diese Aussprache 77 Minuten vorgesehen. – Das scheint einvernehmlich zu sein. Also können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Anton Hofreiter für die Antragsteller das Wort. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Glyphosat ist das am häufigsten in Deutschland verwendete Ackergift. Allein 5 Millionen Liter des reinen Wirkstoffes werden Jahr für Jahr auf unsere Felder und Äcker ausgebracht. Die WHO, die Weltgesundheitsorganisation, hat in ihrer jüngsten Untersuchung Glyphosat als wahrscheinlich krebserregend eingestuft. Das ist die zweithöchste Stufe, die die WHO überhaupt kennt. Wenn man weiß, wie vorsichtig, wie konservativ, wie zurückhaltend die WHO bei diesen Einstufungen agiert, dann heißt das: Glyphosat ist nach menschlichem Ermessen in Wirklichkeit krebserregend. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Glyphosat findet sich inzwischen in den Körpern vieler Menschen, nicht nur derer, die in der Nähe von Äckern wohnen, sondern auch derer, die in den Innenstädten beispielsweise von München oder Berlin wohnen. Woran liegt das? Das liegt schlichtweg daran, dass Glyphosat vom Acker in die Lebensmittel und so in unsere Körper kommt. Es ist endlich an der Zeit, dass die Große Koalition, dass ihr zuständiger Minister aufhört, diese wissenschaftlichen Erkenntnisse zu ignorieren. Handeln Sie endlich; denn es ist überfällig! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist sogar noch schlimmer. Was hat denn die Bundesregierung trotz dieser Erkenntnis getan? Sie hat das Gegenteil von dem getan, was notwendig ist, und hat in Brüssel mit ihrer ganzen Lobbykraft darauf hingewirkt, dass die Zulassung für Glyphosat noch einmal um volle zehn Jahre verlängert wird. Das ist angesichts dieser Erkenntnisse mehr als skandalös. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man sich in Brüssel umhört, dann beschleicht einen der Verdacht, dass das überhaupt nichts mit wissenschaftlicher Erkenntnis zu tun hat und auch nicht allein mit der Lobbykraft der Agroindustrie oder der deutschen Bundesregierung, sondern dass das schon ein peinlicher Vorgriff auf die TTIP-Verhandlungen ist; denn in den USA wird Glyphosat noch umfangreicher verwendet als in Deutschland. Glyphosat kommt bei uns – zum Glück – nur zum Einsatz, bevor die Nutzpflanzen keimen; denn es ist ein Totalherbizid, das nach der Ernte eingesetzt wird. Aber in den USA gibt es gentechnisch veränderte, herbizidresistente Pflanzen. Auch in anderen Ländern wie Brasilien und Argentinien werden in großem Umfang glyphosatresistente Pflanzen eingesetzt. Deshalb liegt der Verdacht auf der Hand, dass Sie bereits im Vorfeld der Verhandlungen wissenschaftliche Erkenntnisse ignorieren und sich hier entsprechend dem Diktat unterwerfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Katharina Landgraf [CDU/CSU]: Jetzt wird es gerade langsam spanisch! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Konstruiert! Verdammt konstruiert!) Das Bittere ist, dass der Pestizidverbrauch in Deutschland trotz der problematischen Auswirkungen auf Natur und Gesundheit steigt. Wir sind inzwischen bei einem Pestizideinsatz von über 100 000 Tonnen pro Jahr. Das sind umgerechnet 270 Tonnen, die täglich auf unsere Felder und Äcker gespritzt werden. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Skandalös!) Diese Gifte sind nicht nur krebserregend, sondern auch hormonschädigend. Da sie interagieren und sich ihre Effekte addieren und multiplizieren, sind viele der gesundheitsschädlichen Auswirkungen schwer abzuschätzen; das ist noch nicht erforscht. Sorgen Sie deshalb nach dem Vorsorgeprinzip endlich dafür, dass diese Gesundheitsschäden ausbleiben, dass diese Schweinereien abgestellt werden! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Das Angstprinzip ist das!) Nehmen wir als Beispiel Äpfel. Äpfel sind ein eigentlich hervorragendes und gesundes Obst, das bei uns einheimisch ist. Äpfel werden bei uns bis zu 24-mal mit 17 unterschiedlichen Mitteln gespritzt. Es ist daher überhaupt nicht erstaunlich, dass konventionelles Obst zum Teil 350-mal höher belastet ist als Bioobst. Und was unternehmen Sie? Was tun Sie, um die Verbraucher zu schützen? (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gar nichts!) Jetzt können wir natürlich sagen: Der Verbraucher kann Bio kaufen. – Ja, der Verbraucher kann Bio kaufen. Das kann man ihm insbesondere bei Obst nur raten. Aber Sie tun ja auch nichts dafür, dass der Bioanbau zunimmt. Bei den konventionellen Lebensmitteln lassen Sie den Verbraucher alleine. Das ist das Gegenteil von verantwortungsvollem Verbraucherschutz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Bitter ist auch: Sie ignorieren nicht nur die Erkenntnisse der WHO, sondern auch die Erkenntnisse des Bundesamtes für Naturschutz. In Deutschland ist inzwischen jede dritte Tier- und jede dritte Pflanzenart vom Aussterben bedroht. Damit zerstören Sie unsere natürliche Vielfalt. Anders formuliert – wenn Sie es gerne christlich haben –: Sie zerstören damit die Schöpfung. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Das sollte Ihnen als CDU/CSU doch etwas bedeuten. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben die vergessen!) Jede dritte bei uns lebende, natürlich vorkommende Art ist vom Aussterben bedroht. Pestizide tragen einen erheblichen Teil dazu bei. Sie aber sind zu feige oder zu ignorant, daran etwas zu ändern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) In gewisser Hinsicht ist nachvollziehbar, dass Sie sich nicht an dieses Thema herantrauen; denn allein BASF und Bayer machen mit Pestiziden 13 Milliarden Euro Umsatz. Da müsste man natürlich den Mut haben, sich mit der Agroindustrie auseinanderzusetzen und zu sagen: Wir haben die Erwartung, dass ihr innovative Produkte herstellt, aber nicht Produkte, die die Gesundheit der Menschen und die natürliche Artenvielfalt gefährden. – Deshalb sage ich: Trauen Sie sich endlich an entsprechende Regelungen heran! Sie haben hier doch 80 Prozent. Trauen Sie sich also irgendwann auch einmal etwas! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine andere Landwirtschaftspolitik wäre möglich. Das beweisen die grünen Landwirtschaftsminister in den Bundesländern Tag für Tag. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU) Eine Agrarwende müsste aber vonseiten der Bundesebene unterstützt werden. Da gibt es aber leider keinerlei Unterstützung. Sie stellen sich ja gerne als Lobbyisten der Landwirte dar. Wenn also wenigstens die Landwirte von Ihnen profitieren würden! Aber was zeigen uns die Zahlen? Die Anzahl der Bauernhöfe nimmt ganz massiv ab. Deshalb: Noch nicht einmal den Landwirten nützt Ihre Politik. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Hören Sie deshalb endlich damit auf, die Augen davor zu verschließen, dass der Pestizideinsatz zunimmt, die Arten aussterben und wir Jahr für Jahr weniger Landwirte haben! Steuern Sie endlich um! Sorgen Sie endlich für eine funktionierende Agrarwende! Sorgen Sie endlich für eine grüne Landwirtschaftspolitik zugunsten der Verbraucher, zugunsten der Landwirte und zugunsten unserer Natur! Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Hermann Färber erhält nun das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Hermann Färber (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich teile die Ansicht meines Vorredners definitiv nicht. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ups! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat mich jetzt aber erstaunt!) Sehr geehrter Herr Hofreiter, ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, als ich Ihnen zugehört habe. Ihnen dürfte in Sachen Verbraucherschutz schon bekannt sein, dass in Zeiten Ihrer Regierungsverantwortung auf Bundesebene Ihre Fachministerin eine Genehmigung für Importlebensmittel unterzeichnet hat, die 300-mal höhere Rückstände an Pestiziden aufweisen, als es in Deutschland zulässig ist. Ich wollte Ihnen das nur sagen. Vielleicht haben Sie das ja aus den Augen verloren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Färber, mich würde interessieren, was jetzt irgendeinem Verbraucher in irgendeinem Land heute nützt, das, was vor 10, 15 Jahren war!) – Weiter möchte ich auf Ihre Rede jetzt nicht eingehen. Das, was Sie gesagt haben, spricht für sich. Sie haben aber natürlich wie auch ich das Recht, sich hier zu äußern. Meine Damen und Herren, der Antrag der Grünen macht eines ganz deutlich: Chemische Pflanzenschutzmittel sind heute so gut und so erfolgreich, dass sich niemand mehr vorstellen kann, wie das Leben war, als es diese Mittel noch nicht gegeben hat. Ein solcher Antrag wäre völlig undenkbar, wenn heute noch die Erinnerung daran lebendig wäre, wie früher ganze Landstriche dem Hunger ausgeliefert waren, nur weil ein Pilz oder ein anderer Pflanzenschädling die komplette Nahrungsgrundlage zerstört hat, wie es in früheren Zeiten in Irland mit der Kartoffelfäule geschehen ist. Fakt ist: Die heutige Sicherheit und Qualität unserer Nahrungsmittelversorgung, die uns so selbstverständlich erscheinen, sind ohne chemische Pflanzenschutzmittel definitiv nicht zu erreichen. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh, oh!) Das muss an dieser Stelle einfach gesagt werden. Es gibt auch heute Schädlinge, die letztendlich nur mit chemischen Mitteln bekämpft werden können. Ein Beispiel dafür ist die Kirschessigfliege, die im letzten Jahr zu massiven Schäden im Obst- und Weinbau geführt hat. Zur Bekämpfung dieses Schädlings schreibt der BUND Regionalverband Südlicher Oberrhein auf seiner Webseite: Biologische Schädlingsbekämpfungsmittel werden erforscht, sind aber noch längst nicht praxisreif. Es gibt hier, wie in vielen anderen Fällen auch, eben keine wirksame Alternative zu chemischen Pflanzenschutzmitteln. Ich stelle aber positiv fest: In dem Antrag der Grünen kommt der Begriff „Forschung“ zumindest noch vor. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Noch besser wäre es allerdings gewesen, wenn Sie die zahlreichen Bemühungen dieser Bundesregierung dazu zur Kenntnis genommen hätten. Ich erwähne hier nur die Förderung von Demonstrationsbetrieben für den integrierten Pflanzenschutz, die Resistenzforschung und die Forschung an vorbeugenden und nichtchemischen Pflanzenschutzmaßnahmen. Dafür haben wir auch die notwendigen Mittel im Bundeshaushalt eingestellt; denn wir wollen den Landwirten Lösungen anbieten, die wirklich praxistauglich sind. Ich bin davon überzeugt: Das ist der bessere Weg zu noch gesünderem und umweltverträglicherem Pflanzenschutz als eine pauschale Verunglimpfung. Im Antrag der Grünen wird es so dargestellt, als sei ein Verzicht auf diese Mittel in jedem Fall und ohne jede Ausnahme besser und gesünder als ihre Anwendung. Genau das ist eben falsch. Was vielen Verbrauchern nicht bewusst ist: Jedes pflanzliche Lebensmittel enthält auch natürliche Pestizide, die von den Pflanzen selbst hergestellt werden. Der amerikanische Biochemiker Bruce Ames ist bei seinen Untersuchungen zu dem Ergebnis gekommen, dass 99,99 Prozent der in Lebensmitteln enthaltenen schädlichen Stoffe solch einen natürlichen Ursprung haben. Nur 0,01 Prozent kommen aus künstlichen Quellen. Erst kürzlich hat das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit in 56 Prozent aller untersuchten Honigproben Alkaloide gefunden, die für den Menschen giftig sind. Ihnen von den Grünen war das aber keine Warnung wert. Ich gehe davon aus, dass der Grund dafür ist, dass die Quelle dieser Alkaloide eben kein Industrieunternehmen ist, das man an den Pranger stellen kann. Man kann es nicht einmal dem Freihandelsabkommen zuordnen, sondern es handelt sich um in der Natur wachsende Pflanzen wie etwa das Jakobskreuzkraut. Dadurch wird ganz klar: Auch der Verzicht auf Pflanzenschutzmittel kann die Gesundheitsgefahren erhöhen. (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können Sie das statistisch belegen, Herr Färber? Es gibt keine Statistik, die das beweist!) Beispielsweise ist Getreide oft von Pilzerregern befallen, die dann ihrerseits wieder Mykotoxine ausscheiden. Diese Mykotoxine sind gesundheitlich sehr bedenklich. Ohne den Einsatz beispielsweise von Fungiziden würde diesen pflanzlichen Parasiten und damit auch der Bildung ihrer giftigen Stoffe nicht Einhalt geboten werden können. Für die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln gibt es also sehr gute Gründe. Vor- und Nachteile müssen natürlich in jedem Einzelfall sorgsam abgewogen werden. Das ist die korrekte Anwendung des Vorsorgeprinzips. Genau diese Abwägung aber findet offensichtlich bei den Grünen schlichtweg nicht mehr statt. Das ist ebenso unwissenschaftlich wie unrealistisch und auch unverantwortlich. Selbstverständlich müssen Pflanzenschutzmittel ausreichend reguliert werden. Das werden sie aber heute schon. Wir haben in Deutschland und in Europa eines der strengsten Regulierungssysteme der Welt. Es beruht auf mehreren Säulen: auf einem wissenschaftlich basierten Zulassungssystem für einzelne Wirkstoffe und Mittel, einem Sachkundenachweis für die Landwirte, welche die Mittel anwenden, sowie auf Kontrollen über die sachgerechte Anwendung. In Deutschland gibt es genaue Anwendungsbestimmungen, wie viel von einem Mittel in welchem Zeitraum mit welcher Ausbringungstechnik und mit wie viel Abstand zum Waldrand und zu Gewässern ausgebracht werden darf. Diese hohen Standards sind uns von der Union sehr wichtig. Ebenso wichtig ist uns die wissenschaftliche Basis des Zulassungsprozesses. In diesem Zusammenhang will ich, auch wenn es Sie verwundert, Frau Renate Künast ausdrücklich loben. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wundert uns gar nicht! Dazu gibt es Anlass!) Frau Künast ist heute – ich sehe sie nicht – leider nicht da. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der jetzige Landwirtschaftsminister ist auch nicht da!) Wir haben sicherlich inhaltlich eine Reihe von Differenzen; aber die Gründung des Bundesinstituts für Risikobewertung war eine völlig richtige und sehr gute Entscheidung von Frau Künast. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr wart doch dagegen! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Union war damals dagegen!) Das BfR ist heute für seine Bewertungspraxis und seine fachliche Arbeit international hoch anerkannt. Dafür bedanke ich mich auch bei den Mitarbeitern dieses Instituts. (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist aber völlig inakzeptabel, wenn diese Mitarbeiter massivem Druck politischer Kampagnen ausgesetzt werden. Zulassungen von Pflanzenschutzmitteln sind in Europa klar und streng geregelt. Jeder Hersteller, der ein Mittel auf den Markt bringen will, benötigt zuerst eine Zulassung des Wirkstoffs auf europäischer Ebene, die dann nach zehn Jahren automatisch ausläuft und neu beantragt werden muss. Der Hersteller muss die Unschädlichkeit des Produkts für Umwelt und Gesundheit nachweisen. Dazu müssen die Hersteller den staatlichen Bewertungsbehörden aufwendige Studien vorlegen. Es gibt die international festgelegten Standards guter Laborpraxis. Dadurch ist sichergestellt, dass diese Studien zu korrekten und nachprüfbaren Ergebnissen führen. Diese Studien werden dann von den staatlichen Bewertungsbehörden überprüft. Dieser Prozess läuft gerade bei Glyphosat. Da bei dieser Zulassung auf europäischer Ebene nur der reine Wirkstoff überprüft und zugelassen wird, ist es völlig richtig, dass das Bundesinstitut für Risikobewertung als Berichterstatter für die Europäische Union eben nur solche Studien verwenden kann, die sich ausschließlich mit diesem Wirkstoff befassen, nicht aber mit kompletten Mischungen oder Beistoffen; denn die kompletten Mischungen, mit allen Zusatzstoffen und Beistoffen, werden anschließend in einem zweiten Schritt auf nationaler Ebene geprüft und zugelassen. Wer dieses Verfahren des BfR kritisiert, der hat entweder schlicht und ergreifend den Prozess der Zulassung nicht verstanden oder – naheliegender – will ihn einfach nicht verstehen. Wir halten auf jeden Fall an verlässlichen wissenschaftlichen Standards fest. Sie sind die Basis sowohl für korrekte Zulassungsverfahren als auch für korrekte Verbraucherinformation. Wir von der Union wollen wissenschaftsbasierte und rechtssichere Zulassungsverfahren. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Zulassung eines Pflanzenschutzmittels muss auch in Zukunft allein von der wissenschaftlich nachgewiesenen Unschädlichkeit für Umwelt, Anwender und Verbraucher abhängen. Nur wenn auch für die Hersteller diese Rechtssicherheit besteht, werden sie weiter in Forschung und Entwicklung investieren, um noch zielgenauere und noch umweltfreundlichere Produkte zu entwickeln. Das liegt im Interesse von uns allen. Pflanzenschutz ist für die Ernährung von 7 Milliarden Menschen auf dieser Erde unverzichtbar. Wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion arbeiten weiter an konkreten Lösungen für konkrete Probleme. Aber ich bitte Sie um Verständnis dafür, dass wir uns nicht an Stimmungsmache und entsprechenden Kampagnen beteiligen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Kollegin Karin Binder hat nun das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Karin Binder (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Obst und Gemüse sind wichtige Bestandteile einer gesunden und ausgewogenen Ernährung. Umso schlimmer ist, dass immer mehr Rückstände von Pflanzenschutzmitteln in unseren wichtigsten Lebensmitteln festgestellt werden. (Ingrid Pahlmann [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!) Deshalb ist es gut, dass wir heute durch den Antrag der Grünen die Möglichkeit haben, die ernstzunehmenden Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt zu behandeln. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nach Angaben des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit ist die Beanstandungsquote aufgrund von Grenzwertüberschreitungen mit 1,4 Prozent der untersuchten Proben äußerst gering. Doch bei genauem Hinsehen entpuppt sich diese Angabe als höchst bedenkliche Verbrauchertäuschung. Tatsache ist: Die Beanstandungen sind so niedrig, nicht weil die Schadstoffbelastung reduziert wurde, sondern weil die Grenzwerte vieler Pestizide in den vergangenen Jahren immer wieder angehoben wurden. Auf Wunsch des Herstellers Monsanto wurde zum Beispiel der Grenzwert für das vermutlich krebserregende Glyphosat im Jahr 2011 von 0,1 auf 10 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht eines erwachsenen Menschen erhöht, also um das Hundertfache. Da brauche ich mich nicht mehr zu wundern, dass ein Überschreiten der Grenzwerte kaum noch festgestellt wird. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Verbraucher nehmen also, während die Zahl der Beanstandungen mangels regelmäßiger Kontrollen sinkt, unwissentlich und unbewusst immer mehr Gifte auf. Das ist ein Skandal. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bestimmte Pestizide können das Gehirn schädigen, Parkinson und Alzheimer fördern, die Fortpflanzung beeinträchtigen oder Krebs auslösen. Besonders Kinder und schwangere Frauen werden durch diese Gifte gefährdet. Dagegen müssen wir etwas tun. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Kollege Hofreiter hat darauf hingewiesen: Allein Äpfel werden mit bis zu 17 unterschiedlichen Substanzen behandelt, bevor sie in unserem Einkaufskorb landen. Diese Chemiecocktails und ihre Auswirkungen werden bisher jedoch kaum untersucht. Über viele Jahre nehmen wir täglich Substanzen auf, zwar in geringen Mengen, aber dafür viele unterschiedliche Stoffe. Wir essen jeden Tag Gift. Auch die Umwelt leidet. Viele Kleinstlebewesen sterben durch diese Art von Pflanzenschutz. Sie verschwinden einfach. Das heißt, ein Teil der Nahrungskette ist weg. Bienen, die eigentlich Obstbäume bestäuben sollten, werden durch Pestizide vergiftet oder geschwächt. Sie verlieren die Orientierung, fallen der Varroa-Milbe zum Opfer, und im Honig tauchen Rückstände auf. Wir haben aber auch noch ein anderes Problem. Der Großteil der Rückstandsuntersuchungen wird von den Herstellern selbst vorgenommen. Das ist in etwa so, als dürfte der Autobesitzer die TÜV-Prüfung selbst durchführen – alles auf Vertrauensbasis. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Oh! Das ist eine gute Idee!) Aber Spaß beiseite. Erzeuger stehen täglich im Konflikt zwischen ihrem Ertrag und dem Verbraucherschutz. Die Händler nehmen nur noch Eins-a-Ware ab – das ist im Übrigen eine rein optische Angelegenheit –, angeblich, weil die Verbraucher es so wollen. Ich glaube das, ehrlich gesagt, nicht. Aber das ist eine andere Geschichte. Ich frage mich: Wie sollen die schädlichen Wirkstoffe in Obst und Gemüse untersucht werden? Die amtlichen Überwachungsbehörden jedenfalls sind seit Jahren chronisch unterfinanziert, schlecht ausgestattet und haben zu wenig Personal. Unangemeldete Kontrollen finden heute kaum noch statt. Was dabei herauskommen kann, haben uns die Lebensmittelskandale der vergangenen Jahre gezeigt: Gammelfleisch, EHEC, Dioxin oder zuletzt der Bayern-Ei-Skandal. Mehr als 40 000 Tonnen Pestizide werden jährlich in Deutschland auf den Feldern versprüht. Äpfel werden bis zur Ernte mehr als 20-mal gespritzt. Wenn Labore heute einen Apfel auf Pestizidrückstände untersuchen wollen, dann müssten sie bis zu 500 chemische Wirkstoffe berücksichtigen. Das ist teuer. Es gibt nur eine Lösung: Der Einsatz der Pestizide, der sogenannten Pflanzenschutzmittel, muss drastisch reduziert werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir müssen Anbaumethoden entwickeln, die letztendlich ohne den Chemiecocktail auskommen. Das hat vielleicht seinen Preis, aber es nützt: Es schützt Umwelt und Gesundheit und schafft vermutlich auch neue Arbeitsplätze. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Rita Hagl-Kehl ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Rita Hagl-Kehl (SPD): Danke schön. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen haben für ihren Antrag einen Titel gewählt, zu dem man schwer Nein sagen kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Karin Binder [DIE LINKE]) – Nicht zu voreilig klatschen. – Ich bin mir sicher, dass wir uns alle in unserer politischen Arbeit dafür einsetzen, Mensch und Umwelt zu schützen. Wie man das tut und ob die Herangehensweise dieses Antrages die richtige ist, ist eine andere Frage. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zunächst möchte ich auf die Schwerpunkte der sozialdemokratischen Agrarpolitik eingehen, die ich schon mehrmals im Plenum und im Ausschuss deutlich gemacht habe. Für uns steht der Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher an erster Stelle. Wir wollen eine nachhaltige Entwicklung der Landwirtschaft, die auch ressourcenschonend ist. (Beifall bei der SPD) Die Beachtung der Gesundheit von Menschen und Tieren sowie die Folgen für die Umwelt sind für uns ein wichtiger Punkt. Wir wollen die Produktion von gesunden, qualitativ hochwertigen und auch wettbewerbsfähigen Lebensmitteln. Ein verantwortungsvoller Umgang mit Pflanzenschutzmitteln, nachhaltiger Schutz der Gesundheit und die Fruchtbarkeit unserer Böden sind ausschlaggebende Gründe dafür, dass wir uns sehr eingehend mit diesem Thema beschäftigt haben. Jetzt von der Theorie zur Wirklichkeit: Derzeit haben wir in Deutschland trotz rechtlicher Vorgaben und hoffentlich artgerechter Anwendung von Pflanzenschutzmitteln überschrittene Rückstandshöchstgehalte in Gewässern und Lebensmitteln sowie Schäden an Bienen und Wirbeltieren. Der intensive Einsatz von Pestiziden bewirkt eine anhaltende Abnahme der biologischen Vielfalt; auf diesen Punkt wird mein Kollege Carsten Träger noch näher eingehen. Wir wissen deshalb, dass eine Reduktion dringend nötig ist, aber nicht ein allgemeiner Verzicht auf Pflanzenschutzmittel. Warum? Ziel eines Pflanzenschutzmittels ist – das sagt schon die Bezeichnung – der Schutz einer Pflanze oder eines pflanzlichen Produkts vor Risiken und Gefahren durch andere Organismen. Wenn die Anwendung richtig erfolgt, dann haben wir einen Schutz der Gesundheit von Menschen und Tieren sowie einen Schutz des Naturhaushalts. Das Problem ist oft die Anwendung. Welche Folgen hätte aber ein Verzicht auf Pflanzenschutzmittel grundsätzlich? Da muss ich dem Kollegen Färber ausnahmsweise recht geben (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Betonung liegt auf „ausnahmsweise“!) – wie Sie wissen, mache ich so etwas selten –: Wir würden damit befördern, dass noch mehr Produkte aus dem Ausland zu uns kommen, also nicht erst mit TTIP, wie Herr Hofreiter vorhin meinte. Wir haben bereits viele Importe von Lebensmitteln und insbesondere von Futtermitteln zu verzeichnen. Man darf nicht vergessen, dass Pflanzenschutzmittel nicht nur in den USA, sondern insbesondere auch in Südamerika in sehr starkem Maße eingesetzt werden, um genmanipulierte Pflanzen zu schützen. Bei uns sterben die Pflanzen, wenn sie zum Beispiel mit Glyphosat besprüht werden. Bei genmanipulierten Pflanzen ist das aber nicht der Fall. Pflanzenschutzmittel werden aber in Südamerika in sehr viel stärkerem Maße angewendet. Damit steigt auch die Schadstoffbelastung. Natürlich weisen die dort produzierten Lebensmittel eine sehr viel höhere Konzentration auf, weil die Pflanzenschutzmittel direkt auf die Pflanzen angewendet werden. Vor kurzem haben einige Kollegen und ich ein Gespräch mit einem argentinischen Arzt geführt. Er hat dargestellt, wie extrem gerade in Argentinien zum Beispiel Soja mit Glyphosat besprüht wird. Glyphosat wird dort nicht von den Landwirten mit entsprechenden Maschinen auf leere Flächen aufgebracht, wie das bei uns der Fall wäre, sondern teilweise per Flugzeug verteilt, egal ob ein Dorf vorhanden ist oder nicht. Wenn wir aus solchen Ländern Lebensmittel importieren, dann verlagern wir die Entscheidung über die Gesundheitsgefahr zu einem großen Teil in Länder, in denen die Menschen zum Teil sehr viel ärmer sind als wir. Wir bringen diesen Menschen damit noch mehr Krebsgefahr ins Land. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen nun Schritte, um die genannten Probleme zu lösen. Die konsequente Umsetzung und Weiterentwicklung des Nationalen Aktionsplans zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln müssen vorangetrieben werden. Hier erleben wir momentan Stillstand. Wir brauchen einen verantwortungsbewussten Einsatz von Pflanzenschutzmitteln durch die Landwirte. Hier muss Qualität vor Quantität gehen. (Beifall bei der SPD) Das fördert auch die Akzeptanz in der Bevölkerung. Die Ausrichtung der Wissenschaft und der Beratung auf eine nachhaltige Landwirtschaft ist uns ein wichtiges Anliegen. Wir hoffen, dass wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner dafür mehr Fördermittel im Haushalt 2017 bekommen. (Beifall bei der SPD) Wir brauchen die Beschränkung des überflüssigen Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln. Wenn zum Beispiel Glyphosat zur Sikkation verwendet wird – das ist noch immer möglich, wenn auch nur ausnahmsweise –, dann ist es im Getreide und geht so in den Organismus des Menschen über. Wir brauchen des Weiteren eine Stärkung der gezielten Erforschung sicherer Alternativen und – das ist mir ein besonderes Anliegen – die Ausweitung der ökologisch bewirtschafteten Anbauflächen in Deutschland, für die ein Anwendungsverbot von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln gilt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Glyphosat wurde als Beispiel schon genannt. Es ist aber leider nicht so einfach, seine Anwendung in Deutschland zu verbieten, wenn es in der EU erlaubt ist. Was wir machen können – damit habe ich mich in den letzten Wochen eingehend befasst –, ist, die Anwendung von Glyphosat in Haus- und Kleingärten sowie im kommunalen Bereich zu verbieten. Trotz Zulassung auf EU-Ebene besteht nach Artikel 31 Absatz 1 der Pflanzenschutzmittelverordnung die Möglichkeit, auf nationaler Ebene festzulegen, in welchen nichtlandwirtschaftlichen Bereichen Pflanzenschutzmittel verwendet werden dürfen. Wir alle wissen, dass Haus- und Kleingärtner Pflanzenschutzmittel nicht immer verantwortungsvoll einsetzen. Auch eine Beschränkung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln in der Nähe von Orten, wo sich Kinder aufhalten, wo sie spielen, ist möglich. Da wollen wir sie auf keinen Fall. Hier gibt uns zwar nicht die Pflanzenschutzmittelverordnung, aber die Rahmenrichtlinie die Möglichkeit, dass wir ein Verbot verhängen oder zumindest die Minimierung des Einsatzes beschließen. Diese Orte sind auch in der Rahmenrichtlinie genannt. Es sind öffentliche Parks, Gärten, Sport- und Freizeitstätten, Schulgelände und Kinderspielplätze. Für uns steht die Pflanzenschutzmittelreduktion als ein wichtiges Anliegen im Mittelpunkt. Leider geht der Antrag der Grünen in diesem Punkt meiner Fraktion etwas zu weit, weshalb wir ihm leider nicht zustimmen können. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Etwas zu weit“!) Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Ingrid Pahlmann für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ingrid Pahlmann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich spreche Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünenfraktion, jetzt einmal ganz besonders an: Die Wortwahl in Ihrem Antrag ist bezeichnend. Sie sprechen nur von Pestiziden und Giften, also wieder von dem Teufelszeug, das die Landwirte auf die Äcker bringen und womit sie alles töten, was ihnen in die Quere kommt. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie soll man das sonst nennen?) Pflanzenschutzmittel sind aber nicht nur Pestizide und Gifte, Pflanzenschutzmittel schützen Pflanzen. (Beifall bei der CDU/CSU) Sie schützen sie vor Pilzbefall, saugenden und beißenden Insekten und vor dem Überwuchern mit Beikräutern. Pflanzenschutz hat natürlich auch einen bedeutenden gesellschaftlichen Nutzen. Er sichert und erhöht die Erträge unserer Äcker. Ohne Pflanzenschutz gäbe es immense Ernteverluste. Durch höhere Erträge können übrigens knappe Ressourcen – Sie müssen zur Kenntnis nehmen: Ackerboden ist eine knappe Ressource – geschont werden. Wir alle wissen: Unsere Anbauflächen sind begrenzt und die bestehenden auch noch zunehmend gefährdet. Wir haben immer noch einen täglichen Flächenverlust von über 70 Hektar. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt! Unternehmen Sie doch etwas dagegen!) Diese begrenzten Flächen müssen aber eine immer stärker wachsende Weltbevölkerung ernähren. Das wird bei aller Idylle der heilen Heidi-Welt leider nicht möglich sein. Brandenburg zum Beispiel schafft es nicht einmal, Berlin mit Lebensmitteln zu versorgen. Die Höhe und die Stabilität der Flächenerträge hängen untrennbar mit einem funktionierenden Pflanzenschutz zusammen. Ohne einen flächendeckenden Pflanzenschutz stünden rund ein Drittel weniger nutzbare Erträge zur Verfügung. Die Union will gute, sichere und bezahlbare Lebensmittel. Wir haben in Deutschland die besten und sichersten Lebensmittel. Es ist amtlich, statistisch bewiesen, dass wir die geringsten Rückstände von Pflanzenschutzmitteln in unseren Nahrungsmitteln haben, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) und das Ganze bei einem für die Verbraucher niedrigen Preisniveau. Wir wollen eine nachhaltige Ertragssicherung und den Schutz der biologischen Vielfalt. Diese Ziele darf man nicht gegeneinander ausspielen. Unsere Landwirte – das sage ich Ihnen – haben das Know-how, das auch zu erreichen. Die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln in Deutschland unterliegt strengen Kriterien. Sie ist darüber hinaus mit präzisen Anwendungsbestimmungen verbunden. Diese dienen auch dazu, Grenzwerte für Rückstände in Gewässern und Lebensmitteln einzuhalten. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Diese Grenzwerte – hören Sie zu! – werden regelmäßig kritisch überprüft und auch kontinuierlich angepasst. Dass in Wasserproben doch ab und zu Rückstände oberhalb oder an den Grenzwerten gefunden werden, hat verschiedene Gründe. Es liegt zum Teil an der Nichteinhaltung der Anwendungsvorschriften. Da sind wir bei Ihnen: Das muss aufgedeckt und natürlich auch geahndet werden. Zum Teil werden aber auch Rückstände alter, nicht mehr zugelassener Wirkstoffe gefunden. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Umso schlimmer!) Das lässt darauf schließen, dass die Mittel der neuen Generation eben besser abbaubar sind und die Forschung bessere Lösungen entwickelt hat. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Illegale Anwendung!) Auch auf europäischer Ebene gelten für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln bereits heute außerordentlich strenge Anforderungen. Für Anwender gilt das Prinzip, ein zugelassenes Mittel nur so viel und so häufig auszubringen, wie unbedingt nötig. Der Anspruch des integrierten Pflanzenschutzes als Leitbild ist es, zunächst die zur Verfügung stehenden pflanzenbaulichen Möglichkeiten der Vorbeugung und der Reduzierung eines Befallsrisikos auszuschöpfen und erst bei einem nicht mehr tolerierbaren Befall eine Behandlung mit Pflanzenschutzmitteln durchzuführen. Zur guten fachlichen Praxis gehört darüber hinaus eine intensive, regelmäßige Fortbildung im Bereich des Pflanzenschutzes. Pflanzenschutz hat aber noch einen weiteren Aspekt: den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der Landwirte im internationalen Vergleich. In der letzten Ausschusssitzung haben Sie, liebe Kollegen, den Einkommenseinbruch bei den Landwirten beklagt. Wir haben einen Rückgang des landwirtschaftlichen Realeinkommens pro Arbeitskraft um 37,6 Prozent, einen Rückgang der Milchvieh- und schweinehaltenden Betriebe um 4,2 Prozent. Wenn Ihre Antwort nun die ist, auch das Einkommen der Ackerbauern auf dieses Niveau zu senken, dann muss man Ihrem Antrag zustimmen – aber auch nur dann. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ein ständiges Hochschrauben der Anforderungen an die Bauern oder der Entzug wichtiger Produktionsbestandteile führt erst einmal zu höheren Kosten und zu weiteren Einbrüchen im Gewinn und damit zu einem verstärkten Strukturwandel, klar gesagt: zu einem weiteren Höfesterben. Wir müssen doch einmal anerkennen, dass die deutsche Landwirtschaft Lebensmittel auf allerhöchstem Niveau erzeugt, und das unter zum Teil deutlich schwierigeren Produktionsbedingungen als die der Konkurrenten auf den europäischen und weltweiten Märkten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Willi Brase [SPD]) Die Nachfrage gerade nach hochwertigen deutschen Agrarprodukten ist weltweit hoch. Wir sind ein Exportland, und das nicht nur im industriellen Bereich. Der Export im Agrarbereich wächst. Deutsches Getreide ist gefragt, neuerdings besonders in Bereichen Asiens, die eine hohe Nachfrage nach unseren ausgezeichneten Agrarprodukten haben. Sie müssen doch einmal zur Kenntnis nehmen, dass die Weltbevölkerung wächst und Hunger hat. Da tragen auch wir als wohlhabendes und fruchtbares Land Verantwortung. Das Absenken deutscher Erträge, das die unmittelbare Folge eines weitgehenden Verzichts des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln wäre, wäre fatal und führt in die völlig falsche Richtung. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir wollen keine gesellschaftliche Spaltung in gute und schlechte Landwirtschaft. Konventionelle Landwirtschaft per se zu verurteilen, ist nicht der richtige Weg. Konventionell arbeitende Betriebe legen im Rahmen des Greenings Blühstreifen und Lerchenfenster an. Sie achten auf die Fruchtfolge und arbeiten mit Zwischenfruchtanbau. Das alles geschieht zum Schutz der Böden. Unsere Landwirte haben eine exzellente Ausbildung genossen, und sie gehen verantwortlich mit den Produktionsgütern Boden und Wasser um. (Beifall bei der CDU/CSU) Fachwissen, Sachkundenachweis im Umgang mit Pflanzenschutzmitteln und Spritztechnik, gepaart mit Hightech der Gerätschaften und satellitengesteuerte Ausbringungsmethoden sorgen dafür, dass sorg- und sparsam mit den Mitteln umgegangen wird. Glauben Sie mir, bei den Preisen, die für Pflanzenschutz verlangt werden, überlegt sich jeder Landwirt, wann, was und wie viel er ausbringt. (Beifall bei der CDU/CSU) Diese hohen Standards zu erfüllen, ist durchaus auch der Anspruch der Union. Dass diese dann auch kontinuierlich überprüft und weiterentwickelt werden müssen, ist für uns ebenfalls selbstverständlich. Das muss dann allerdings auf Basis aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse erfolgen. Hier leistet Forschung einen entscheidenden Beitrag. Deshalb haben wir diesen Bereich ja auch im Haushalt des Bundeslandwirtschaftsministeriums gestärkt und mit insgesamt 566 Millionen Euro um 10 Prozent aufgestockt. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir brauchen innovative und nachhaltige Pflanzenschutzmittel. Neben intensiver Erforschung neuer Verfahren des integrierten Pflanzenschutzes befasst sich zum Beispiel das Julius-Kühn-Institut mit der Resistenzforschung. Durch die Resistenzforschung sollen zunehmend moderne Züchtungsverfahren geschaffen werden, die polygen resistente Pflanzen züchten, deren Resistenzmechanismen von Schadstofforganismen nur schwer umgangen werden können. Um Pflanzenschutzmittel, auch biologische, für den integrierten Pflanzenschutz und den ökologischen Landbau langfristig zu sichern, sind funktionierende und wirksame Resistenzstrategien notwendig; da sind wir uns einig. Aber auch damit befasst sich die Ressortforschung des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Zudem werden weiterhin moderne Pflanzenschutzgeräte und Technologien sowie Prognosemodelle und andere Entscheidungshilfen entwickelt und weiterentwickelt. Innovative Verfahren tragen dazu bei, die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln auf das notwendige Maß zu beschränken und Risiken zu reduzieren. Wichtig in Bezug auf Forschung ist immer auch die Anwendung in der Praxis. Darum ist das Modellvorhaben „Demonstrationsbetriebe integrierter Pflanzenschutz“ so wichtig. Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse werden neue Schlussfolgerungen für den integrierten Pflanzenschutz gezogen, insbesondere zur Anwendung und Weiterentwicklung der Leitlinien und zu entsprechenden Maßnahmen, die der Umsetzung der Erkenntnisse in die Praxis dienen. Aber darüber hinaus werden natürlich noch weitere Maßnahmen ergriffen: Die Bewertung von Mehrfachrückständen von Pflanzenschutzmitteln in Lebensmitteln soll künftig vorausschauend bei der Festsetzung von Rückstandshöchstmengen und bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln Berücksichtigung finden. Ich hoffe, dass die Konzepte, die hierzu derzeit entwickelt werden, bald vorliegen. Im Nationalen Aktionsplan wurde festgelegt, auch ein Kleingewässermonitoring für Pflanzenschutzmittel zu entwickeln. Die Umsetzung erfolgt derzeit durch das Umweltbundesamt. – Das sind nur zwei kleine Beispiele von vielen. Die bisherigen Ergebnisse aus dem Aktionsplan sind mit Blick sowohl auf Lebensmittel als auch auf den Naturhaushalt positiv. Die wichtigsten Ziele wie zum Beispiel 20 Prozent Risikoreduktion für den Naturhaushalt bis 2018 und 30 Prozent bis 2023 werden wir wohl erreichen. Die Landwirte jedenfalls sind bereit, an lösungsorientierten Herangehensweisen mitzuarbeiten, die zu einer weiteren Vermeidung und Verringerung von Pflanzenschutzmittelrückständen in der Umwelt beitragen. Meine Damen und Herren, gesellschaftlicher Zusammenhalt ist ein hohes und in diesen Tagen sehr fragiles Gut. Das haben die Debatten in dieser Woche zu ganz unterschiedlichen Themen immer wieder gezeigt. Die Stimmung in unserem Land ist aufgeheizt und vielfach durch Verunsicherungen geprägt. Ich finde, auch hier tragen wir Verantwortung. Schwarz-Weiß-Denken ist nicht der richtige Ansatz für einen sachorientierten gesellschaftlichen Diskurs. Ich fordere Sie daher auf, sich zwar immer wieder konstruktiv kritisch gemeinsam mit uns für gesunde Lebensmittel und Lebensräume einzusetzen, aber die Spaltung in gute und böse Landwirtschaft, schwarz und weiß endlich zu beenden. Stattdessen sollten wir alle gemeinsam einen Beitrag dazu leisten, dass die Akzeptanz für die Produkte verantwortungsvoll arbeitender Landwirte auch durch gutinformierte Verbraucher gestärkt wird. Mit Ihren pauschalen Diffamierungen (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo denn ganz konkret, Frau Kollegin?) erweisen Sie nicht nur den Landwirten, sondern auch den Verbrauchern einen Bärendienst. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ich danke den Grünen dafür, dass wir heute über Pflanzenschutz debattieren können; denn die Grüne Woche ist eigentlich ein exzellenter Anlass dafür. Es wertet sie doch eigentlich nur auf, wenn nicht nur die Branche gefeiert wird, sondern wenn im Parlament auch Probleme diskutiert werden. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Als Tierärztin und leidenschaftliche Hobbygärtnerin, als die ich mich outen möchte, kenne ich natürlich das Bedürfnis, Pflanzen vor Krankheiten zu schützen. Aber ich weiß eben auch, dass die Mittelchen nicht nur die gewollte Wirkung, sondern auch ungewollte haben oder indirekt Schäden anrichten. Über Rückstände in Lebensmitteln hat meine Fraktionskollegin Karin Binder schon gesprochen. Ich möchte über die ökologischen Schäden reden. Wer Schädlinge bekämpft, schadet auch Nützlingen. Manchmal ist das offensichtlich – wie zum Beispiel beim massiven Bienensterben in Süddeutschland 2008 infolge fehlerhafter Aussaattechnik. Manchmal wird aber auch „nur“ das Nervensystem der Bienen geschädigt, sodass sie nicht zurück in den Stock finden. Das ist für die hochsozialen Bienenvölker wirklich ein Problem. Manchmal sinkt die Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten, und damit wird die Varroa-Milbe sehr gefährlich. Bei Hummeln wurde kürzlich ein ganz besonders erschreckendes Phänomen festgestellt. Für sie werden nämlich Pflanzen, die mit Neonikotinoiden behandelt werden, also mit besonders bienengefährlichen Stoffen, zu attraktiven Fallen; sie werden dort besonders häufig geschädigt. Auch indirekte Wirkungen gehören in die Schadensbilanz. Beikräuter auf Äckern werden heute als Erntegutverunreinigung oder als Konkurrenz rigoros beseitigt. Damit gehen aber gleichzeitig Nahrungsquellen für andere Lebewesen verloren. Nicht nur Insekten sind vom stillen Sterben betroffen. Erst seit kurzem wissen wir, dass zum Beispiel die feuchte Haut von Fröschen nur wenig Schutz vor Ackergiften bietet. Das wird im Zulassungsverfahren nicht einmal geprüft, obwohl auch in Gewässern Rückstände gefunden werden. Aber ich sage ganz klar: Diese dramatische Situation entsteht nicht durch gelegentlichen Pflanzenschutz – das würde die Natur verkraften -; in Verruf gekommen ist der Pflanzenschutz, weil er viel zu oft zum festen Bestandteil des Ackerbaus geworden ist. Hier ist Kritik angebracht und dringend notwendig. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Selbst bei Glyphosat hat der Bauernverband in der Ausschussanhörung eingeräumt, dass es eigentlich nur um Arbeitserleichterung geht. Ich finde, das ist bei einem Wirkstoff, der unter dem Verdacht steht, krebsauslösend zu sein, alles andere als dem Vorsorgeprinzip gemäß. Ja, wir haben den Nationalen Aktionsplan; nur geändert hat sich wenig. Aber es muss sich dringend etwas ändern; denn das Insektensterben wird für die Landwirtschaft auch schnell – das muss man betonen – zum Bumerang. Ein Drittel der landwirtschaftlichen Kulturen sind auf Insektenbestäubung angewiesen. In China müssen inzwischen ganze Obstplantagen durch menschliche Handarbeit bestäubt werden, weil die Insekten dort schon fehlen. Mit den Insekten geht auch eine wichtige Nahrungsgrundlage für viele Vögel verloren. Der rasante Verlust von biologischer Vielfalt gerade in der Agrarlandschaft hat nicht nur, aber eben viel mit Ackergiften zu tun. Als Linke sage ich ganz klar: Das sind keine Kollateralschäden. Hier geht es um den Schutz unserer Lebensgrundlagen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb dürfen wir nicht wegsehen. Wir müssen handeln, bevor dieser Prozess unumkehrbar geworden ist. Ja, wir brauchen die Landwirtschaftsbetriebe als Verbündete. Sie sind übrigens nicht die Profiteure des falschen Systems. Das große Geld landet nämlich in den Taschen von Konzernen. Diese würden den Landwirten am liebsten nicht nur das Pflanzenschutzmittel verkaufen, sondern gleich noch die dazugehörende gentechnisch veränderte Pflanze. Diese Gelddruckmaschine wird aber Gott sei Dank von immer mehr Menschen durchschaut. Es ist gut, dass sich hier Widerstand regt. Die Linke ist an der Seite derer, die sich dem widersetzen. (Beifall bei der LINKEN) Was ist also noch für weniger Gift auf dem Acker zu tun? Beim Glyphosat wiederhole ich hier die Forderung der Linken: Als erste Sofortmaßnahme müssen die Vorerntebehandlung und der Verkauf im Baumarkt sofort verboten werden. (Beifall bei der LINKEN) Das zweijährige Verbot der besonders bienengefährlichen Neonikotinoide muss dringend verlängert werden. Es geht uns aber nicht nur um Verbote. Wir müssen riskante Anbaukonzepte in den Blick nehmen. Dazu gehören zum Beispiel der großflächige Anbau einer einzigen Kulturpflanze oder der mehrjährige Anbau von Mais auf Mais. Wenn immer weniger unterschiedliche Kulturen überhaupt noch angebaut werden, ist das ein Problem. Deshalb ist die Forderung der Grünen nach einer verbindlichen und rechtssicheren Definition der sogenannten guten fachlichen Praxis richtig und längst überfällig. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen auch mehr Flächen, in denen sich die Natur regenerieren kann. Die Unterstützung des Ökolandbaus gehört dazu. Auch die ökologischen Vorrangflächen, die alle Betriebe jetzt einrichten müssen, sind aus meiner Sicht durchaus eine Chance. Ja, leider wurden die Regeln dafür während des Verhandlungsmarathons in Brüssel aufgeweicht. Unterdessen wissen wir aber, dass viele kleine Flächen einen großen Einfluss haben können, wenn sie denn als ökologische Trittsteine fungieren können. Deswegen ist hier Kreativität dringend gefragt. An dieser Stelle sage ich: Ortsansässige Betriebe sind da eher unsere Verbündeten als Agrarinvestoren. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber mit Betrieben in ständiger Existenznot wird das auch sehr schwer. Gebraucht wird mehr unabhängige, öffentlich finanzierte Forschung für Analysen, für Alternativkonzepte und für die Bewertung der Wirksamkeit von Maßnahmen. Vielleicht ist auch Landwirtschaft 4.0 eine Chance; denn wenn eine Gefahr früher erkannt wird und kleinflächiger und konsequenter behoben werden kann, ist vielleicht auch der Schaden zu minimieren. Am dringendsten ist aus Sicht der Linken allerdings ein transparentes, herstellerunabhängiges Zulassungsverfahren; denn dann kämen gefährliche Pflanzenschutzmittel gar nicht erst auf den Markt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb haben wir viel Stoff zur Diskussion. Ich freue mich auf die Ausschussbefassung. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Johann Saathoff das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Johann Saathoff (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen – heute einmal wegen des Antrags – von den Grünen! Ich will durchaus bekennen, dass ich meistens mit den Positionen der Grünen im Agrarbereich durchaus einverstanden bin – so auch hier. Bei den Zielen sind wir uns einig. Wir wollen so wenig Pestizideinsatz wie möglich und mehr Ökolandbau erreichen. Meine Damen und Herren, Pflanzenschutzmittel werden aber nicht nur zum Spaß eingesetzt. Zwar werden Pflanzenschutzmittel in Einzelfällen bedauerlicherweise nach dem sehr betrüblichen Motto „Viel hilft viel“ verwendet. Größtenteils wenden die Bäuerinnen und Bauern in Deutschland Pflanzenschutzmittel aber verantwortungsvoll an. Das müssen wir in dieser Debatte deutlich betonen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Bundesregierung hat mit dem Nationalen Aktionsplan sehr umfassende Ziele und Maßnahmen definiert, vor allem das 1-Prozent-Ziel bei Grenzwertüberschreitungen. Es gibt auch ein begleitendes Forum zu diesem Nationalen Aktionsplan. Ich bedaure es ausdrücklich, dass dort nicht alle relevanten Gruppen beteiligt sind. Die Umweltverbände haben sich nämlich aus dieser Diskussion herausgezogen. Ich finde, dass sie mit in diese Diskussion hineingehören, und möchte sie an dieser Stelle auch aufrufen: Bitte machen Sie bei diesem Forum zum Nationalen Aktionsplan weiter mit! (Beifall bei der SPD) Ihnen sind die Zeitpläne im NAP nicht konkret genug. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie trauen sich auf der anderen Seite selbst nicht, einen Zeithorizont für die Beschränkung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln auf ein Minimum oder vielleicht sogar den Totalausstieg zu nennen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Mich würde echt einmal interessieren, bis wann Sie das für möglich halten. Oder gilt vielleicht der Umkehrschluss? Das bedeutet: Aus der Tatsache, dass Sie keinen Zeitplan für den Ausstieg nennen, könnte man schließen, dass Sie den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln grundsätzlich anerkennen. Auch kein Wort zu einer Steuer oder Abgabe auf Pflanzenschutzmittel. Dabei hat der grüne Umwelt- und Landwirtschaftsminister Robert Habeck aus Schleswig-Holstein diese ins Spiel gebracht. Der Diskussionsprozess über Wege zur Verringerung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln scheint also auch bei euch, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, anzudauern. Das ist völlig normal, und das ist auch gut so. Das ist sogar bei uns in der SPD-Fraktion nicht anders. Aber mit eurem Antrag schraubt ihr an Details herum. Ihr sprecht den BVL-Report 2013 an. 106 Proben mit Überschreitung der Grenzwerte sind genau 106 zu viel, keine Frage. Wir müssen diese Zahl aber in einen angemessenen Kontext stellen. Dabei würde zum Beispiel deutlich werden, dass die Zahl der Grenzwertüberschreitungen bei Produkten aus Drittländern die in Deutschland bei weitem übertrifft. In Deutschland sind es nur 0,6 Prozent. Die Proben werden risikobezogen genommen, also bei den Lebensmitteln, wo bekanntermaßen Pflanzenschutzmittel zum Einsatz kommen können. Ich würde Sie einmal die „üblichen Verdächtigen“ nennen. Würde man die Proben bei allen Lebensmitteln gleichermaßen nehmen, wäre der Prozentsatz der Grenzwertüberschreitungen noch einmal deutlich niedriger. Das Ziel des Nationalen Aktionsplans zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln ist also mehr als erreicht und deutlich früher erreicht; denn eigentlich war das 1-Prozent-Ziel erst für 2021 vorgesehen – zumindest in Deutschland, worum es ja im Antrag geht. In den Drittländern sind die Grenzwerte teilweise höher als bei uns. Allerdings haben wir dort nur einen sehr begrenzten Einfluss auf den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Aber auch dort müssen wir uns für eine Reduktion des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln einsetzen, für niedrigere Grenzwerte, für eine bessere Anwenderausbildung. Wir stellen fest, dass das BVL resümiert, dass es „keine Anhaltspunkte für ein akutes Gesundheitsrisiko für den Verbraucher“ gibt. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist eine gute und wichtige Botschaft. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir wollen deshalb aber nicht die Hände in den Schoß legen. Wir wollen Pflanzenschutzverfahren mit geringem Pflanzenschutzmitteleinsatz und integriertem Pflanzenschutz. Dazu gehört, den Anteil praktikabler nichtchemischer Maßnahmen in den Pflanzenschutzkonzepten, zum Beispiel durch biologische, biotechnische oder mechanische Pflanzenschutzverfahren, weiter auszubauen. Wir wollen die Forschung intensivieren mit dem Ziel, den Einsatz von Pestiziden weiter zu reduzieren. Kurz: Wir wollen mit immer weniger Pflanzenschutzmitteln auskommen. Das gilt übrigens auch für den Ökolandbau. Im Ökolandbau ist der Einsatz von chemisch-synthetischen Mitteln verboten. Wir wollen mehr Ökolandbau. Wir haben uns gemeinsam bei der Novelle der EU-Ökoverordnung sehr für den Ökolandbau starkgemacht. (Beifall bei der SPD) Dank der einstimmigen – einstimmigen! – Positionierung des Deutschen Bundestages, der sich viele Mitgliedstaaten angeschlossen haben, konnten wir viel für den Ökolandbau erreichen. Meine Damen und Herren, zusammenfassend kann man sagen, dass wir uns in den Zielen wieder einmal einig sind. Diskussionsbedarf besteht hinsichtlich des Weges, um die Ziele zu erreichen. Am Ende des Prozesses ist man immer schlauer, was denn der beste Weg gewesen wäre, oder wie wir in Ostfriesland sagen: „Achteran kakeln Hauner.“ Besten Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Übersetzung, bitte!) – „Anschließend gackern die Hühner.“ Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Harald Ebner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Atrazin, Chlorpyrifos, Glyphosat – das G-Wort wurde heute schon oft genannt – und nicht zuletzt die Neonikotinoide – die Liste wäre verlängerbar – haben gezeigt: Der Pestizidpfad der angeblich modernen Landwirtschaft führt leider in eine Sackgasse. Wenn wir Pech haben, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann gibt es am Ende dieser Sackgasse nicht einmal eine Wendeplatte, damit wir da wieder herauskommen. Pestizide schaden der Gesundheit von denen, die sie anwenden, und denen, die an den Feldern wohnen. Am Ende – das haben wir jetzt auch in unserer neuen Studie lesen müssen – landen sie auch auf unseren Tellern. Sie verursachen enorme Kosten für die Beseitigung von Umweltschäden. Für die Schweiz gibt es eine Schätzung: Da würde die Umrüstung von Kläranlagen, um solche Rückstände herauszufiltern, 1,2 Millionen Franken kosten. – pro Anlage Pestizide tragen leider auch massiv dazu bei, die biologische Vielfalt zu vermindern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ausgestorbene Arten kommen nicht wieder, und das entzieht dem gesamten Agrarökosystem die Existenzgrundlage. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, brauchen wir einen Weg aus dieser Sackgasse. Pestizide müssen runter vom Acker, und sie haben in unserem Essen nichts zu suchen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir haben am Mittwoch im Fachgespräch im Umweltausschuss gehört: Als Ursache für ein aktuelles, wirklich erschreckendes Insektensterben in Deutschland wurden ganz klar an erster Stelle der Einsatz von Pestiziden und auch Strukturverluste in agrarisch optimierten Landschaften genannt. Das Fazit des Fachgesprächs war: Dieser massive Insektentod kann nur gestoppt werden, wenn auf eine Landwirtschaft mit deutlich weniger – die Experten sagen: besser ohne – Pestiziden umgestellt wird. Das sagen nun einmal die Experten. Der Kollege Auernhammer erinnert sich ganz bestimmt an die Empfehlung auf seine Frage, er möge dann doch auf Ökolandbau umstellen. Ich weiß nicht, ob er den Antrag schon gestellt hat. (Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Er ist dabei!) Von der Reduzierung der Pestizidmengen – darin sollten wir uns einig sein – können wir doch alle nur profitieren, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) außer natürlich die Industrie, die Pestizide herstellt und damit seit Jahren Rekordumsätze einfährt. Leider verweigert der Bundesminister, der auch heute lieber auf der IGW als im Parlament ist, in Sachen Pestizidreduktion wie bei vielen anderen Themen eindeutig die Arbeit. Das zeigt, lieber Kollege Saathoff, der Nationale Aktionsplan, der nach wie vor nicht mehr als das geduldige Papier ist, das sich gefällig liest, aber zu dessen Umsetzung nichts passiert. Eine ganze Reihe von Verbänden – das wurde schon gesagt – mit Sachverstand sind schon vor Jahren aus dem NAP-Forum ausgestiegen, weil sie sagen: Bei einem Aktionsverhinderungsplan machen wir nicht mit. Wir lassen uns nicht zu Tode partizipieren, und am Ende kommt nichts dabei heraus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dies zeigt: Die Bundesregierung ist an dieser Stelle nicht Sachwalter der Interessen der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land. Da muss ich auch an die Adresse des Kollegen Färber und der Kollegin Pahlmann sagen: Uns geht es darum, die Forschungen zu Alternativen zum chemischen Pflanzenschutz zu einem Schwerpunkt der öffentlichen Agrarforschung zu machen. Wir haben das in unseren Haushaltsanträgen mehrfach gefordert. Da ist noch lange nicht genug passiert. Das kommt dann den konventionellen Landwirten und den Ökolandwirten zugute. Auch der Deutsche Bauernverband hat dies jüngst gefordert: 60 Millionen Euro für den Ökolandbau! – Das ist richtig. Das findet unsere volle Unterstützung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hermann Färber [CDU/CSU]: Der größte Bauernverband fordert das!) – Ja, natürlich. – Aber schade, dass es just nach den Haushaltsberatungen im Dezember passiert ist. Ich baue darauf, dass der Bauernverband diese Forderungen auch aufrechterhält, wenn es an die nächsten Haushaltsberatungen geht. Ich baue darauf, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, dieses Mal auch, wie sonst immer, den Forderungen des Bauernverbandes entsprechen und hier mit dabei sind. Dann kommen wir einen wesentlichen Schritt weiter. Das wäre schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das würde uns nämlich auch als Verbraucherinnen und Verbraucher nutzen. Die aktuelle Auswertung unserer Fraktion zu Pestiziden auf Lebensmitteln zeigt: Ökolebensmittel schneiden bei allen Parametern der Pestizidbelastung deutlich besser ab. Wenn Pestizidrückstände auf Ökolebensmitteln auftauchen, dann kommen sie leider Gottes zu 90 Prozent vom konventionellen Nachbarn. Das kann ja keiner wirklich gutheißen. Es wurde schon angesprochen, Pestizidrückstände, Kollege Saathoff, seien ja immer unter dem Grenzwert. Aber die Grenzwerte sind die halbe Wahrheit. Wir haben keine Grenzwerte für Cocktails. Es ist auch der Dreh- und Angelpunkt bei den Zulassungsverfahren, dass wir keine Prüfungen für die Mischung von Pestiziden haben, dass wir über deren Risiken überhaupt nichts wissen. Ein weiteres Problem – ich komme demnächst zum Schluss – bei Zulassungsverfahren ist: Wir haben keine Kenntnis über das, was die Industrie im Vorfeld, bevor sie Studien abliefert, für ihre Good-Laboratory-Practice-Prüfungen durchführt. Sie können lange untersuchen, bevor sie ein Untersuchungsdesign festlegen, das sie am Ende abliefern. Wir haben gesehen, dass ein Pestizidzyklus immer läuft: Pestizide prüfen, Ungefährlichkeit feststellen, zulassen. Vizepräsidentin Petra Pau: Herr Kollege Ebner, nicht nur die Ankündigung, sondern der tatsächliche Schluss ist jetzt erreicht. Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zum Schluss. – Am Ende stellen wir fest, es wird gefährlich, und erst dann werden die Pestizide vom Markt genommen. Wir kennen das von DDT und anderen Substanzen. Damit muss endlich Schluss sein. Wir müssen im Rahmen eines Humanbiomonitorings bessere Daten zur Exposition gewinnen. Wir wollen, dass die Landwirtschaft mit weniger Pestiziden, besser noch: ohne Pestizide auskommt. Machen Sie endlich etwas dafür. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Waldemar Westermayer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Waldemar Westermayer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute gemeinsam den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in unserer Landwirtschaft. Zunächst möchte ich festhalten, dass unsere Lebensmittel niemals zuvor so sicher, bezahlbar und vielfältig waren. (Beifall bei der CDU/CSU) Beim Thema Pflanzenschutz sind die Verbraucher aber zu Recht sehr sensibel. Deshalb sollten wir uns sachlich fundiert damit auseinandersetzen. Zu diesem sachlich fundierten Umgang gehört für mich aber auch, dass wir auf Basis gesicherter Erkenntnisse argumentieren. Diesem Anspruch werden Ihr Antrag und auch Ihre Rede, Herr Hofreiter, leider nicht gerecht. Übrigens, der Betrieb meines Sohnes befindet sich gerade in der Phase der Umstellung auf Ökolandbau. Das möchte ich auch einmal erwähnen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich selber habe 40 Jahre lang den Betrieb geführt, habe einige Jahre das Modell MEKA, das übrigens in Baden-Württemberg von einer CDU-Regierung ins Leben gerufen wurde, genutzt und über Jahrzehnte keine Pflanzenschutzmittel eingesetzt. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb sind Sie noch so fit und rüstig! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das heißt, es geht ja!) Sie behaupten, dass in Deutschland Jahr für Jahr mehr Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden, und stellen einen direkten Zusammenhang zwischen den Gewinnen der Hersteller und Gesundheitsgefahren für die Menschen her. So ist das falsch. Zum einen geben die Zahlen den von Ihnen beschriebenen Trend nicht her; denn der Absatz der Wirkstoffe – darum geht es im Kern – ist seit 2011 ungefähr konstant geblieben. Zwischendurch ist der Absatz sogar leicht gesunken. Sie, Herr Hofreiter, haben vorhin von 100 000 Tonnen gesprochen. Dazu muss man sagen: 44 000 Tonnen entfallen auf den Wirkstoff, das andere sind Füllstoffe. Im europaweiten Vergleich der Zahlen liegt Deutschland nach Daten von Eurostat beim Verkauf von Pflanzenschutzmitteln pro Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche sogar leicht unter dem EU-Durchschnitt. Irreführend und populistisch finde ich zum anderen auch Ihre Gegenüberstellung von Gewinnen der Hersteller auf der einen Seite und Gesundheitsgefahren für den Menschen auf der anderen Seite. Sie legen damit ganz bewusst nahe, dass hier ein Zusammenhang besteht, und wollen damit das Bild einer menschenverachtenden Industrie zeichnen. Das hat aus meiner Sicht nichts mehr mit seriöser Politik zu tun. Schließlich stellen diese Unternehmen Wirkstoffe her, die – das sage ich ganz bewusst – nach unabhängigen wissenschaftlichen Untersuchungen mit hohem Sachverstand zugelassen wurden. An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich sagen: Ich bin davon überzeugt, dass wir einen solchen unabhängigen Sachverstand im Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit und im Bundesinstitut für Risikobewertung haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Willi Brase [SPD]) Insbesondere wird die nationale Zulassung durch das BVL internationalen Standards gerecht, vor allem auch durch die intensive Zusammenarbeit mit dem Julius-Kühn-Institut und dem Umweltbundesamt. Vor diesem Hintergrund kann ich die Fundamentalkritik am Zulassungsverfahren in Ihrem Antrag nicht nachvollziehen. Nach meiner Auffassung setzt Ihr Antrag im Kern den falschen Schwerpunkt. Sie fordern primär ein Programm zur Reduzierung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln mit dem Ziel des vollkommenen Verzichts auf diese Mittel. Unabhängig davon, dass Sie damit den erheblichen gesamtgesellschaftlichen Nutzen von Pflanzenschutzmitteln außer Acht lassen, bringt eine pauschale Reduktion erst mal gar nichts. Gute und nachhaltige Agrarpolitik bemisst sich nämlich nicht isoliert nach der bloßen Menge der eingesetzten Pflanzenschutzmittel. Sonst würde ein risikoreicheres Mittel, das schon in geringen Mengen wirkt, besser bewertet werden als ein risikoärmeres mit einer höheren Wirkungsschwelle. Das kann deshalb nicht unser Ansatz sein. Entscheidend ist vielmehr, dass man sich die Eigenschaften der eingesetzten Stoffe genau anschaut, eventuelle Risiken identifiziert und dementsprechend Maßnahmen trifft. Letztlich ist demnach keine Mengen-, sondern eine Risikoreduktion entscheidend. Das ist aus meiner Sicht der nachhaltige und dem Vorsorgeprinzip entsprechende Ansatz, den wir verfolgen sollten. Ausdrücklich möchte ich in diesem Zusammenhang auch auf die Untersuchung der WHO hinsichtlich Glyphosat eingehen. Der vermeintliche Gegensatz zwischen dem Ergebnis der WHO und dem Ergebnis des BfR und der klaren Mehrheit der Zulassungsbehörden ist schlicht im unterschiedlichen Ansatz der Untersuchung begründet. Die WHO hat in ihrer Betrachtung nämlich keine Risikobewertung im eigentlichen Sinn durchgeführt, sondern lediglich abstrakt und allgemein das potenzielle Krebsrisiko durch Glyphosat begutachtet. Das sagt jedoch erst einmal nichts über das tatsächliche Risiko für den einzelnen Bürger aus, welches maßgeblich für die Zulassung ist. Ich ziehe daraus für mich den Schluss, dass wir vor allem in der Forschung weiter vorankommen müssen. Hierfür übernimmt die Bundesregierung in ihrem Aktionsplan auch einiges, vor allem mit der Nationalen Forschungsstrategie BioÖkonomie 2030. Außerdem wird die Bundesregierung ihrem Anspruch an eine nachhaltige Anwendung von Pflanzenschutzmitteln auch international gerecht. So betreibt das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – in diesem Ausschuss bin ich auch vertreten – zusammen mit der GIZ in Entwicklungsländern Resistenzforschung und bildet Bauern vor Ort in der Anwendung des integrierten Pflanzenschutzes aus. Außerdem wird die Anwendung von Nachhaltigkeitsstandards beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft gefördert, zum Beispiel in einem regionalen Projekt zur Baumwollproduktion in Afrika. Das zeigt den ganzheitlichen Ansatz, den wir bei unserer Pflanzenschutzstrategie verfolgen, und beweist, dass wir in der Sache auf einem guten Weg sind. Denn wer eine Welt ohne Hunger will, kann nicht auf Pflanzenschutzmittel verzichten. Deshalb ist Ihr Antrag abzulehnen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Willi Brase [SPD]) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Carsten Träger hat für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Carsten Träger (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Am Mittwoch fand im Umweltausschuss eine Anhörung zum Verlust der Artenvielfalt bei Insekten statt. Das mag von dem einen oder anderen belächelt werden: Wen interessieren schon ein paar Mücken mehr oder weniger? Ich sage Ihnen: Mir ist das Schmunzeln vergangen. In der Anhörung zeigten alle Sachverständigen die Dramatik des Artensterbens auf, hier in Deutschland, in unserer Heimat, vor unserer Haustür. In manchen Teilen Deutschlands ist die Zahl der Fluginsekten um 80 Prozent zurückgegangen, das ist der Anteil der Individuen, die verloren sind. Das Aussterben von Arten hat ein unerkanntes Ausmaß erreicht. Mehr als 20 Prozent der Großschmetterlinge – das haben Messungen an den jeweiligen Standorten ergeben – sind verloren. Diese Arten sind in Deutschland ausgestorben. Kann uns das kaltlassen? (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) Der Verlust der Arten ist nicht nur bedrohlich, weil sie ein wichtiger Bestandteil der Nahrungskette sind. Weniger Insekten bedeuten auch weniger Futter, zum Beispiel für Jungvögel. Der Verlust der Insekten ist nicht nur bedrohlich, weil sie verantwortlich sind für das Bestäuben eines Großteils der Pflanzen. Alle reden über Bienen, aber die Wahrheit ist: Nicht nur die Bienen sind für die Bestäubung zuständig. Der Verlust der Insekten ist auch bedrohlich, weil sie Frühindikatoren für den Zustand unseres Lebensumfeldes sind. Kann uns das kaltlassen? Liebe Kolleginnen und Kollegen, werfen wir doch gerade anlässlich der Grünen Woche einen Blick auf die Gründe. Alle Experten in der Anhörung vermuten Neonikotinoide als Hauptursache für das Massensterben. Das sind Pestizide, die seit Mitte der 90er-Jahre in der Landwirtschaft eingesetzt werden. Seit es sie gibt, hat die Geschwindigkeit des Sterbens von Insekten dramatisch zugenommen. Und, seien wir ehrlich: So ganz überraschend ist der Befund nicht; dafür sind sie schließlich da, die Neoniks. Landen sie in unserer Nahrung, mit Folgen für unsere Gesundheit? Wer kann das mit Sicherheit ausschließen? Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns muss daran gelegen sein, den Einsatz von Pestiziden zu verringern. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jeder Zustandsbericht zur Lage der Natur zeigt es immer wieder: Der Indikator für Artenvielfalt gerade im Agrarland hat sich deutlich verschlechtert. Er ist auf den bisher tiefsten Wert gesunken, und er ist weiter vom Zielwert entfernt als alle anderen Indikatoren. Die Landwirtschaft erhält in großem Umfang Agrarsubventionen aus Steuermitteln. Die daran geknüpften Umweltanforderungen sind allerdings wenig anspruchsvoll und können am negativen Trend nichts ändern. Ich unterstütze daher ausdrücklich unsere Umweltministerin Barbara Hendricks bei ihrer Naturschutzoffensive für eine Umgestaltung dieser Landwirtschaftssubventionen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es muss das Prinzip gelten: öffentliche Mittel für öffentliche Leistungen. Kolleginnen und Kollegen, ich bin sehr dafür, dass wir unsere Landwirte kräftig unterstützen. Ich bin aber auch dafür, dass wir unsere Unterstützung an Leistungen für den Naturschutz knüpfen. (Beifall bei der SPD) Wenn nicht mit Rücksicht auf Umwelt und Natur bewirtschaftet wird, sollten die Subventionen nicht mehr fließen. Das wird nicht von heute auf morgen gehen; gleichwohl müssen wir uns auf den Weg machen; denn der Verlust der Artenvielfalt kann uns nicht kaltlassen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Thomas Mahlberg das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Thomas Mahlberg (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Hofreiter, ich muss sagen: Sie sind wirklich sehr konsequent gewesen. Sie haben genau das getan, was man von Ihnen erwartet hat. Sie wollen den Markenkern, den Sie für Ihre Partei entwickeln, Angstpolitik zu machen und Panik zu verbreiten, auch mit diesem Antrag heute umsetzen. Ich kann Ihnen sagen: Das ist Ihnen nicht gelungen. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Sie sind unbelehrbar!) Sie haben in Ihrer Rede angesprochen, wie es in den einzelnen Bundesländern aussieht. Sie haben die Bundesländer wegen der Kontrollen gelobt. Ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir gestern über den Ticker eine Meldung aus Mecklenburg-Vorpommern zu Ihrem Lieblingsthema Glyphosat erhalten haben: Ministerium: Keine Glyphosatrückstände in Lebensmitteln aus MV ... in keiner der 135 Proben eine Überschreitung des Grenzwertes nachgewiesen. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Grenzwerte! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie die Studie!) Untersucht wurden den Angaben zufolge frisches Obst wie Äpfel ... Und so weiter. Das sind genau die Äpfel, die Sie eben angesprochen haben. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zwischen Grenzwerten und nichts drin ist ein Unterschied! Kennen Sie den?) Ich frage Sie: Was für Geschichten erzählen Sie eigentlich hier im Parlament? (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kennen Sie unsere Studie?) Das ist genau der Punkt. Wir sprechen über Grenzwerte, die natürlich sinnvoll sind und zur Sicherung unserer Bevölkerung festgelegt werden, und Sie sagen: Wenn man etwas findet, dann ist das per se schlecht und muss raus. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso sind sie dann um den Faktor 100 erhöht worden?) Gut ist, Herr Hofreiter, dass nicht nur wir erkennen, was Sie hier machen, sondern mittlerweile auch andere Leute Ihnen auf die Schliche kommen, auch die Leute, die das, was Sie machen, transportieren sollen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) So hat zum Beispiel Der Tagesspiegel im September letzten Jahres einen Kommentar mit der Überschrift „Glyphosat: Wie groß ist die Gefahr?“ veröffentlicht. Im Teaser kann man lesen: Glyphosat in der Muttermilch? Eine höchst zweifelhafte Annahme. Bei der Bewertung von Pestiziden sollte Sachlichkeit der Maßstab sein. Herr Hofreiter, es geht um Sachlichkeit. Dieser Kommentar bezieht sich auf eine – das kann man nur in ganz dicken Anführungszeichen sagen – „Studie“, die im Auftrag Ihrer Fraktion, der Fraktion der Grünen, bei stillenden Müttern durchgeführt wurde. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war eine Untersuchung!) Sich auf die Ergebnisse dieser Studie stützend, rief Ihre Kollegin Bärbel Höhn – sie sitzt ja da; sie ist eine sehr geschätzte Kollegin; wir waren früher ja zusammen im Landtag von Nordrhein-Westfalen – der Bundesregierung zu: Die Bundesregierung muss Glyphosat aus dem Verkehr ziehen. Was können wir in dem Artikel weiter lesen? Ich zitiere das einmal: Aber die Grünen verschwiegen nicht nur, dass die gefundenen Glyphosat-Mengen weit unterhalb der Schadensschwelle lagen. Schlimmer noch, das verwendete Testverfahren war gar nicht für Muttermilch geeignet, die Ergebnisse daher unbrauchbar. Deshalb kann ich nur sagen, im Klartext: Das war großer Murks, was Sie da veranstaltet haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Mahlberg, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Höhn? Thomas Mahlberg (CDU/CSU): Natürlich. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Mahlberg, Glyphosat ist seit langer Zeit auf dem Markt. Es braucht eine gewisse Zeit, um Testverfahren zu evaluieren. Warum hat die Bundesregierung mittlerweile nicht dafür gesorgt, dass wir evaluierte Testverfahren haben, auch für Milch? Auch wir Grüne müssen diese Tests machen, um die Bundesregierung dazu zu treiben, endlich dafür zu sorgen, dass diese Tests gemacht werden und die Tests evaluiert sind, sodass wir diese Diskussion nicht mehr führen müssen. Warum? Wir machen auf ein Problem aufmerksam, aber Sie verhindern die Lösung, die wir brauchen, um hier objektive Fakten auf den Tisch legen zu können. Deshalb: Handeln Sie endlich im Interesse der Verbraucher, und reden Sie hier nicht so rum. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Thomas Mahlberg (CDU/CSU): Frau Kollegin Höhn, umgekehrt wird ein Schuh daraus. Sie erfinden Testverfahren, die nicht geeignet sind, weil Sie bestimmte Ergebnisse erzielen wollen. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie endlich zur Kenntnis nehmen, dass die Bundesregierung keinen Pfifferling dafür getan hat, dass es sie gibt?) Sie wollen ja nicht wirklich Ergebnisse haben, sondern Sie wollen Ergebnisse finden, mit denen Sie Ihre Angstpolitik weiter betreiben können. (Beifall bei der CDU/CSU) An der Stelle sind Sie sich nicht zu schade, Äpfel und Birnen miteinander zu vergleichen. Wie gesagt, auch Journalisten kommen Ihnen hier auf die Schliche. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Antworten Sie jetzt noch auf die Frage? – Gegenruf von der CDU/CSU: Ist doch beantwortet!) – Habe ich. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Feigling!) Ich darf Ihnen auch verraten, wie der Artikel weitergeht; er ist sehr spannend. Ich stelle ihn Ihnen gerne zur Verfügung. Da ist dann von den hanebüchenen Testergebnissen und vor allen Dingen von der ungerechtfertigten Panikmache unter Müttern die Rede. Der Tagesspiegel-Kommentator unterstellt Ihnen sogar, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion der Grünen, dass die Angstmacherei am Ende sogar Sinn der ganzen Sache war. Soll ich Ihnen etwas sagen? Er trifft ins Schwarze. Genau das ist hier der Fall. Sie haben es heute wieder unter Beweis gestellt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich weiß nicht, ob Ihnen diese Sache nicht schon peinlich genug ist, aber ich kann gerne noch andere Beispiele bringen. In dem Antrag, den Sie heute gestellt haben, entlarven Sie sich selbst auch mit Ergebnissen einer weiteren Studie. In dem Fall geht es um Stichproben zum Glyphosat-Gehalt im Urin von Stadtbewohnern. Diese – Sie nennen das so – wissenschaftliche Arbeit wurde von der renommierten und bestimmt weltweit anerkannten Forschungseinrichtung BUND – das ist nicht der Bund, sondern der Bund für Umwelt und Naturschutz – durchgeführt. Es ist bestimmt eine sehr renommierte Forschungseinrichtung. (Zuruf von der CDU/CSU: Wer bezahlt das?) Die Exzellenz der wissenschaftlichen Leistung, die hier erbracht worden ist, wurde, wie ich meine, vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung zu Recht erkannt und mit dem Titel „Unstatistik des Monats“ prämiert. Das sind die Quellen, auf die Sie sich berufen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das Institut, das Mitglied in der Leibniz-Gemeinschaft und vom Bund und den Ländern finanziert wird, ordnet die Studie als „groben statistischen Unfug“ ein. In Ihrem Antrag bieten Sie, wie ich finde, noch mehr Peinlichkeiten. Gleich auf der ersten Seite Ihres Antrags beziehen Sie sich angeblich auf die Daten des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit aus dem Jahr 2013. Laut Ihrer Aussage wurde bei 106 Proben eine Überschreitung der Rückstandshöchstgehalte festgestellt. Ich weiß nicht, woher Sie die Zahlen haben. Ich finde die da nicht. Wenn man in die Nationale Berichterstattung „Pflanzenschutzmittelrückstände in Lebensmitteln“ aus dem Jahr 2013 schaut, sieht man, dass es diese Zahl dort gar nicht gibt. Man kann in dem Bericht hingegen andere Zahlen finden. Das sind eigentlich die interessanten. Aber ich verstehe, dass Sie diese nicht nennen; denn sie passen nicht in die Panikmache, die Sie betreiben. Aber ich spiele an dieser Stelle gerne einmal den Spielverderber und darf vielleicht aus dem Bericht des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit die Ergebnisse der in Deutschland im Jahr 2013 an Lebensmitteln erfolgten Untersuchungen auf Pflanzenschutzmittelrückstände zusammenfassen. Da heißt es: So traten im Jahr 2013 bei insgesamt 1,1 % der beprobten Erzeugnisse ... aus Deutschland ... Überschreitungen der geltenden Rückstandhöchstgehalte auf ... So wurden im Berichtsjahr 0,6 % der untersuchten deutschen ... Erzeugnisse ... aufgrund von Rückstandshöchstgehaltsüberschreitungen beanstandet. Das ist eine Quote von 0,6 Prozent bei 17 000 Proben. Selbstverständlich gilt auch der Grundsatz, dass natürlich nicht alles gesundheitsgefährdend ist, was da auf den Tisch kommt. Darauf weist das BVL in der Studie natürlich explizit hin. Ich glaube auch nicht, dass wir an dieser Stelle einen Dissens haben. Deshalb frage ich Sie, Herr Hofreiter, einmal ganz persönlich, warum Sie hier diese ganze Panikmache und Irreführung betreiben. Ihnen geht es doch eigentlich nur um einen parteipolitisch ideologischen Ansatz. Sie wollen im Grunde schon Wahlkampf betreiben und bereiten so zum Beispiel Ihre Konferenz am morgigen Tag vor. Das ist doch eigentlich das Ziel, das Sie hier haben, oder nicht? (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie jetzt ernsthaft eine Antwort von mir haben?) Immer getreu dem Motto: Falsche Dinge lange genug behaupten, dann bleibt schon etwas hängen, dann wird es an irgendeiner Stelle entsprechend transportiert. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben mich persönlich gefragt! Wollen Sie eine Antwort haben? Oder wie stellen Sie sich das vor?) Es mag Ihnen nicht gefallen, aber Sie sollten endlich einmal einsehen, dass unsere Lebensmittel so sicher sind wie nie zuvor. Die Kolleginnen und Kollegen haben in ihren Beiträgen schon darauf hingewiesen. Die Bundesbürger haben – auch wenn Ihnen das nicht passt – ein ganz hohes Vertrauen in die heimische Landwirtschaft und unsere Erzeugnisse. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]) Laut dem Ernährungsreport 2016, der auch Ihnen vorliegt, also einer repräsentativen Umfrage im Auftrag unseres Landwirtschaftsministeriums, sagen 77 Prozent der befragten Bürger mehrheitlich, dass Lebensmittel sehr sicher sind. Ich finde, mit Ihren Diffamierungskampagnen und der Angstmacherei, die Sie betreiben, zerstören Sie doch gerade das Vertrauen in unsere sicheren Lebensmittel. Das darf doch nicht wahr sein, was Sie hier im Parlament betreiben. Das Schlimme ist: Wir haben wissenschaftliche Institute, wir haben Behörden, wir haben das BfR und die EFSA. Mit den Studien, die Sie machen, ziehen Sie die seriöse Arbeit genau dieser Institutionen in Zweifel. Es kann doch nicht wahr sein, dass man versucht, Politik auf Panikmache aufzubauen. Im Prinzip machen Sie nichts anderes, als unsere Landwirte und Landwirtinnen zu entmündigen. (Beifall bei der CDU/CSU) Sie haben es ja gehört: Da wird mit großer Sachkunde und mit ganz großem Verantwortungsbewusstsein vorgegangen – Sie haben es auch gerade von meinem Kollegen Westermayer noch einmal gehört, wie es in seinem Betrieb gelaufen ist: mit großer Sachkunde wird das gemacht –, und Sie sprechen hier immer von „Ackergiften“; dabei geht man – so sage ich einmal – sehr dosiert mit Pflanzenschutzmitteln um. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Und die Insekten sterben zufällig, oder was?) Ich könnte jetzt noch etwas zum Nationalen Aktionsplan zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln sagen; ich glaube aber, darüber ist schon gesprochen worden. Ich kann nur sagen: Der richtige Ansatz ist natürlich Risikominderung; in diesem Punkt sind wir uns ja einig. Das kann auch etwas mit Mengenminderung zu tun haben, aber Risikominderung ist der entscheidende Punkt. Notwendigkeiten zu erkennen und Risiken zu minimieren, muss im Grunde das sein, was wir tun müssen. Herr Hofreiter, ich empfehle Ihnen einfach einmal, einen Grundkurs beim BfR zu machen. Dann werden Sie wahrscheinlich die eine oder andere Notwendigkeit an dieser Stelle auch einsehen. Zum Schluss will ich Ihnen noch verraten – Vizepräsidentin Petra Pau: Herr Kollege Mahlberg, achten Sie bitte auf die Zeit! Thomas Mahlberg (CDU/CSU): – ich bin sofort fertig, Frau Präsidentin –, was noch im Kommentar des Tagesspiegels zu Ihren Angstkampagnen steht. Der Artikel endet nämlich folgendermaßen: „Jetzt muss sich nur noch die Vernunft durchsetzen.“ (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie eigentlich auch einen eigenen Gedanken, oder lesen Sie nur aus dem Kommentar vor? Warum haben Sie eigentlich so viel Redezeit, wenn Sie nur Kommentare vorlesen? Die können wir auch selber lesen!) Vernünftig wäre es, wie gesagt, mal einen Grundkurs zu belegen. Wir sprachen gestern über Wahrheit und Klarheit beim Deutschen Lebensmittelbuch. Wahr ist, wie ich finde: Ihr Antrag ist unterirdisch. Und klar ist: Hier im Haus wird Ihr Antrag gar nicht gebraucht. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Elvira Drobinski-Weiß das Wort. (Beifall bei der SPD) Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir über die Gefahren von Pestiziden und Glyphosat diskutieren, fällt zwangsläufig ja auch immer wieder der Name des Bundesinstituts für Risikobewertung. Der aktuelle Verbrauchermonitor, den das Bundesinstitut regelmäßig erstellt, hat mir dabei für die Debatte wichtige Erkenntnisse geliefert, nämlich dass beispielsweise 65 Prozent der befragten Bürgerinnen und Bürger sich wegen des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln um die Sicherheit von Lebensmitteln sorgen. Und ihre Anzahl ist in den vergangenen Jahren nicht gesunken, sondern gestiegen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Da hat Herr Mahlberg gerade etwas anderes gesagt!) Über die Hälfte aller Befragten wünscht sich, dass der Staat mehr konkrete Maßnahmen wie Verbote und Beschränkungen ergreift, um sie, nämlich die Verbraucherinnen und Verbraucher, vor gesundheitlichen Risiken zu schützen. Ich kann diese Bedenken sehr gut nachvollziehen. Pestizide finden sich in Milch, in Brötchen und im menschlichen Urin wieder. Gesund kann das nicht sein. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Wirkstoff Glyphosat gehört unter den Pflanzengiften inzwischen zu den bekanntesten seiner Art. Behörden auf allen Ebenen streiten sich mit Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen aus allen Ländern darüber, ob Glyphosat „krebserregend“, „wahrscheinlich krebserregend“ oder „gesundheitlich unbedenklich“ ist. Ich bin keine Wissenschaftlerin. Ich muss mich auf die fachliche Beurteilung durch Dritte verlassen. Wenn ich aber höre, dass kritische, unabhängige Studien wegen fehlender Formalitäten bei der Risikobewertung einfach ignoriert werden, kommen mir doch erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit dieser Beurteilungen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Demgegenüber stehen die eindringlichen Warnungen von Experten und Expertinnen, die anmahnen, den Einsatz von Glyphosat deutlich einzuschränken bzw. zu verbieten. Nicht zuletzt durch den Streit in der Wissenschaft hat der Wirkstoff eine traurige Berühmtheit erlangt. Er wird auch weltweit am meisten genutzt. Regelmäßig erreichen uns Berichte aus Brasilien, Argentinien und Indien, wo Glyphosat in großen Mengen verspritzt wird – mit unübersehbaren Folgen für die Anwohner und für die Arbeiterinnen und Arbeiter auf den Feldern. Der Handel hat bereits auf diese Bilder reagiert und entsprechend den Wünschen seiner Kunden gehandelt. Die großen Baumarktketten beispielsweise haben sich dazu entschlossen, Glyphosat nicht mehr zum Kauf anzubieten. Das gilt auch für deren Onlinehandel. Ich begrüße es außerordentlich, dass die Unternehmen in dieser Sache so verantwortungsbewusst handeln. Auch in ihrem Interesse kann es daher nur sein, wenn wir zügig eine Regelung schaffen, die für den gesamten Handel gilt: (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Für den privaten Gebrauch sollte Glyphosat nicht mehr frei erhältlich sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die SPD wird sich deshalb für ein Verbot im Bereich von Haus- und Kleingärten und auch im kommunalen Bereich einsetzen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja schon einmal etwas!) Denn dort, wo Menschen unmittelbar mit dem Gift in Berührung kommen, ist das gesundheitliche Risiko besonders groß. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jawohl!) Ich bin mir sicher, dass auch Eltern nicht wollen, dass ihre Kinder auf Spielplätzen, in öffentlichen Parks und Gärten spielen, also da, wo das Gift dann auch angewendet wird, egal in welchen Mengen. Nach wie vor bin ich auch davon überzeugt, dass die Landwirtschaft ohne Glyphosat auskommen kann. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Hier müssen wir nur die Anwendung konsequent reduzieren, Schritt für Schritt, aber mit dem Ausstieg als klarem Ziel vor Augen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In der Tat können wir auf nationaler Ebene nur zu einem kleinen Teil zur Lösung beitragen, insbesondere wenn es um die Lebensmittelsicherheit geht. Doch wir sollten als gutes Beispiel vorangehen. Von unseren hohen Lebensmittelstandards haben wir bis jetzt noch immer profitiert. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/7240 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/26/EU über die kollektive Wahrnehmung von Urheber- und verwandten Schutzrechten und die Vergabe von Mehrgebietslizenzen für Rechte an Musikwerken für die Online-Nutzung im Binnenmarkt sowie zur Änderung des Verfahrens betreffend die Geräte- und Speichermedienvergütung (VG-Richtlinie-Umsetzungsgesetz) Drucksache 18/7223 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale Agenda Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich bitte, die offensichtlich notwendigen Umgruppierungen in den Fraktionen zügig vorzunehmen und die Gesprächsrunden aus dem Plenum nach draußen zu verlagern. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister der Justiz, Heiko Maas. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Urheberrecht ist in Bewegung. Heute beraten wir zu diesem Thema hier im Parlament das erste große Gesetzgebungsverfahren in dieser Legislaturperiode, nämlich das neue Recht der Verwertungsgesellschaften. Der Anstoß dazu kam aus Brüssel. Wir setzen eine Richtlinie um, die das Recht der Verwertungsgesellschaften europaweit harmonieren soll. Unser altes deutsches Urheberrechtswahrnehmungsgesetz wird damit abgelöst. Es hat immerhin fünf Jahrzehnte die Spielregeln von GEMA, VG WORT und anderen Verwertungsgesellschaften bestimmt. Meine Damen und Herren, wir machen mit diesem Gesetz nicht alles anders, aber wir machen, wie wir finden, vieles besser. Ich will drei Punkte herausheben. Erstens. Wir stärken die Mitbestimmung. Unser Gesetzentwurf enthält neue Kompetenzen und Verfahren, die dafür sorgen, dass alle Mitglieder und Berechtigten in ihrer Verwertungsgesellschaft mitreden und auch mitentscheiden können. Zweitens. Wir passen das Recht an das digitale Zeitalter an. Wir regeln die gebietsübergreifende Vergabe von Musikrechten neu. Das ist für Onlinemusikangebote erforderlich, etwa für Streaming-Dienste wie Spotify oder auch andere. Drittens. Wir reformieren die sogenannte Vergütung der Privatkopie. Um das Verfahren zur Festsetzung der Tarife effizienter zu machen, führen wir unter anderem ein Schiedsstellenverfahren ein. Wir sorgen so dafür, dass Autoren und Verlage in Zukunft schneller an ihr Geld kommen werden. Das schafft auch und vor allen Dingen mehr Rechtssicherheit für die Unternehmen. Sie können künftig wesentlich besser einplanen, welche Vergütungskosten noch auf sie zukommen werden. Außerdem schützen wir die Kreativen besser vor Ausfallrisiken. Wir sichern sie dadurch ab, dass die Schiedsstelle künftig eine Sicherheitsleistung für ihre Vergütungsansprüche anordnen kann, etwa in Form einer Bankbürgschaft. Bewährte Grundsätze behalten wir aber bei. So wird es bei diesem Gesetzentwurf in der Sache auch einen hohen Wiederkennungswert geben. Verwertungsgesellschaften sind auch in Zukunft dazu verpflichtet, Nutzungsrechte zu angemessenen Bedingungen einzuräumen. Es bleibt also beim Wahrnehmungs- und Abschlusszwang. Es bleibt auch bei der Erlaubnispflicht für Verwertungsgesellschaften, und schließlich werden die Verwertungsgesellschaften auch in Zukunft weit mehr sein als der Treuhänder der Rechteinhaber. Es geht eben nicht nur um Tantiemen, sondern auch um den Wert kreativer Leistungen für unsere Kulturgesellschaft. Deshalb wird es auch weiter Aufgabe der Verwertungsgesellschaften sein, Künstlerinnen und Künstler zu fördern und zu unterstützen – auch wenn sie etwa in einer Schaffenskrise in Not geraten sind. Das sind die wesentlichen Aspekte dieses Gesetzentwurfs. Ich kann aber auch ankündigen, dass unsere Arbeiten am Urheberrecht weitergehen werden. Der nächste Gesetzentwurf, den wir hier schon bald zur Beratung und zur Entscheidung vorstellen möchten, betrifft das Urhebervertragsrecht. Wir wollen damit insbesondere den gesetzlichen Anspruch auf eine angemessene Vergütung für kreative Leistungen stärken und geltendes Recht besser durchsetzbar machen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir arbeiten außerdem an einem Gesetzentwurf zur Bildungs- und Wissenschaftsschranke, damit Schulen und Unis die Chancen der Digitalisierung in Zukunft noch stärker nutzen können. Schließlich geht auch – wie Ihnen nicht verborgen geblieben ist – die Arbeit in Brüssel weiter. Zuletzt hat uns das Reprobel-Urteil mit seinem Votum gegen eine Beteiligung der Verleger an der Privatkopievergütung deutlich gemacht: In vielen Fragen des Urheberrechts stellt heute der Europäische Gerichtshof die Weichen. Deshalb brauchen wir an vielen Stellen neue gesetzliche Regeln, und wir werden uns in Brüssel dafür starkmachen, dass auch in Zukunft Autoren und Verleger solche Vergütungsansprüche wahrnehmen können. Ich halte das für die weitaus bessere Lösung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zudem geht es darum, dass wir auf nationaler, aber auch auf europäischer Ebene dafür sorgen müssen, dass in Zukunft nicht die Gerichte, sondern die gewählten demokratischen Parlamente weiterhin die Regeln des Urheberrechtes bestimmen. Deshalb gibt es an vielen Stellen des Urheberrechtes, das teilweise vor Jahrzehnten beschlossen worden ist und das die Dynamik der technischen Entwicklung in der digitalisierten Welt häufig nicht widerspiegelt, Veränderungsbedarf. Dem wollen wir uns stellen. Schönen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Harald Petzold für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf den Tribünen! Die Präsidentin hat uns das Wortungetüm des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, den wir heute hier verhandeln, vorgelesen. Die kurze Überschrift lautet „Umsetzung der Verwertungsgesellschaften-Richtlinie“. Verwertungsgesellschaften erfreuen sich nicht gerade größter Beliebtheit in der Gesellschaft. Gerade die jungen Zuschauerinnen und Zuschauer auf den Tribünen werden sich möglicherweise an den frustrierenden Moment erinnern, als sie vor dem Bildschirm ihres Computers gesessen haben, weil sie sich auf YouTube einen Titel anhören oder ihn vielleicht sogar herunterladen wollten, und nur eine schwarze Fläche zu sehen war, weil die GEMA erklärt hat, dass die Rechte dafür in Deutschland nicht geklärt wären. Aber auch Personen meines Jahrgangs hier im Saal werden sich möglicherweise daran erinnern, dass sie als Mitglied des Fördervereins einer Kita oder einer Schule oder als Mitglied einer Willkommensinitiative versucht haben, ein Weihnachtskonzert, ein Benefizkonzert oder eine andere Kulturveranstaltung zu organisieren, und erleben mussten, dass im Finanzplan der Veranstaltung der Posten „GEMA-Gebühren“ einen nicht ganz unerheblichen Finanzbetrag von ihnen einforderte, obwohl sie eigentlich einen guten Zweck verfolgt haben; dennoch mussten sie dafür löhnen. Insofern erfreuen sich Verwertungsgesellschaften nicht unbedingt großer Beliebtheit. Sie sind aber eine sehr wichtige und eigentlich auch eine gute Institution, weil sie gerade angesichts der Tatsache, dass wir uns im Internetzeitalter befinden und es weltweite Vertriebsmöglichkeiten von Musik- und Kunstprodukten gibt, dafür sorgen, dass Komponistinnen und Komponisten, Textdichterinnen und Textdichter, Fotografinnen und Fotografen, bildende Künstlerinnen und Künstler sowie Autorinnen und Autoren ihr Geld nicht einzeln bei den Verwerterinnen und Verwertern einfordern müssen, sondern das kollektiv über eine Organisation betreiben können. Insofern ist meine Fraktion, die Linke, sehr dafür, dass Verwertungsgesellschaften gut reguliert werden und ordentlich arbeiten können. Wir haben bereits in der vergangenen Legislaturperiode dazu einen Antrag vorgelegt und einen Gesetzentwurf eingefordert. In dem Antrag haben wir eine ganze Reihe von Kriterien genannt, die inzwischen auch in die Regelungen der Europäischen Kommission eingeflossen sind und die jetzt hier umgesetzt werden sollen. Insofern sind sie natürlich von der Bundesregierung aufgegriffen worden und finden sich im Gesetzentwurf wieder. Gleichzeitig muss ich sagen: Wenn ich mir den Gesetzentwurf, den die Bundesregierung hier vorlegt, insgesamt angucke, erinnert er mich eher an die Echternacher Springprozession; denn es werden drei Schritte nach vorn und zwei zurück gemacht, oder, um in Richtung der Kolleginnen und Kollegen von der SPD mit dem Ihnen bekannten Schriftsteller Günter Grass zu sprechen: „Der Fortschritt ist eine Schnecke“. Was in aller Welt hat Sie denn daran gehindert, für mehr Binnendemokratie in den Verwertungsgesellschaften zu sorgen? (Beifall bei der LINKEN) Was hat Sie denn dazu bewogen, ein Aufsichtsmodell zu wählen, das aus den 60er-Jahren stammt, (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das hat sich bewährt!) und das Deutsche Patent- und Markenamt für die Aufsicht sorgen zu lassen? (Christian Flisek [SPD]: Sie müssen jedem die Kompetenz absprechen, oder?) Ich hatte bereits in der Befragung der Bundesregierung im November vergangenen Jahres angefragt, wie die Bundesregierung das gestalten will. Die Antwort ließ nichts Gutes erahnen. Warum wurde das Deutsche Patent- und Markenamt als Aufsicht für diese Verwertungsgesellschaften ausgewählt? (Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD]: Warum nicht?) Um nur ein Beispiel zu nennen: Wenn ein Konzert organisiert wird und dann die GEMA-Gebühr bezahlt werden soll, richtet sich der Beitrag nach einem vom Deutschen Patent- und Markenamt genehmigten Tarif. Aber das Deutsche Patent- und Markenamt hat nicht die Spur einer Ahnung davon, wer beispielsweise Organisator solcher Konzerte sein und welche Interessen dieser haben kann. Wenn beispielsweise ein Konzert zu einem guten Zweck bzw. ein Benefizkonzert organisiert werden soll, ist es eigentlich nicht sinnvoll, die Veranstalter in einem so hohen Maße zur Kasse zu bitten. Genauso könnte ich Sie fragen: Was hat Sie dazu bewogen, dieses kastenähnliche binnendemokratische Mitbestimmungsmodell aus den 60er-Jahren in dem Gesetzentwurf weiter fortzuführen, das nur Mitgliedern – insofern stimmt es nicht ganz, was Sie hier vorgetragen haben – in den Verwertungsgesellschaften eine tatsächliche Mitbestimmung sichert? Das alles ist nicht zielführend, weil es dazu führt, dass beispielsweise, wenn die Gewinne oder die Einnahmen der Verwertungsgesellschaften an die Beteiligten ausgeschüttet werden, vor allen Dingen die Großverdiener bevorzugt werden und gerade kleinere, finanzschwächere Kreative, die eigentlich viel mehr darauf angewiesen wären, dass sie von den Einnahmen profitieren, benachteiligt werden. All dies sind Dinge, die wir dringend noch korrigieren müssen. Insofern freue ich mich auf die parlamentarische Debatte zu diesem Gesetzentwurf. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Dr. Stefan Heck hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Stefan Heck (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dieses Video ist in Deutschland nicht verfügbar, da es möglicherweise Musik enthält, für die die erforderlichen Musikrechte von der GEMA nicht eingeräumt wurden. Diesen Satz kennt wohl – Herr Kollege Petzold, auch Sie haben es angesprochen – jeder YouTube-Nutzer. Vielleicht haben auch Sie sich schon einmal darüber geärgert, dass, wenn Sie ein solches Video aufgerufen hatten, ein schwarzer Bildschirm mit einem traurigen roten Gesicht erschien. Das macht deutlich, dass Urheberrecht zwar manchmal, aber nicht immer Spaß macht. Vor allem ist es verwirrend, dass manche Inhalte zwar in einigen Ländern verfügbar sind, in anderen wiederum nicht. Herr Minister, Sie haben es gesagt: Mit dem neuen Verwertungsgesellschaftengesetz lösen wir das alte Urheberrechtswahrnehmungsgesetz ab, das diesen Rechtsbereich über viele Jahrzehnte geregelt hat. Wir ändern aber nicht nur den Namen. Wir lösen auch eine ganze Reihe von Rechtsproblemen, die in der Vergangenheit aufgetreten sind, insbesondere das der länderübergreifenden Rechtewahrnehmung. Wir setzen die Vorgaben der EU-Richtlinie um. Was uns ganz wichtig ist: Wir behalten dabei das hohe Urheberrechtsniveau in der Bundesrepublik Deutschland bei, auf das wir zu Recht stolz sein können, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das Urheberrecht, das sich schon begrifflich von dem englischen Copyright unterscheidet, stellt die wirtschaftliche Grundlage kreativen Schaffens dar. Es entspringt dem Eigentumsrecht und dem Persönlichkeitsrecht des Urhebers. Er selbst steht im Mittelpunkt. Er selbst entscheidet darüber, was mit dem von ihm geschaffenen Werk am Ende geschieht. Die Verwertungsgesellschaften, die im Mittelpunkt dieses Gesetzentwurfes stehen, unterstützen den kreativen Urheber, der nicht selten damit überfordert ist, seine Rechte selbst wahrzunehmen und durchzusetzen. Diese Aufgabe der Verwertungsgesellschaften kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Deswegen ist das Urheberrecht das Recht auf Eigentum im digitalen Zeitalter. Auch das ist schon angesprochen worden: Bei der gesamten Diskussion um das Urheberrecht in Deutschland, aber auch in Europa kommt den Verlagen eine ganz wichtige Rolle zu. Sie unterstützen den Urheber in seiner Arbeit. Sie haben eine wichtige Aufgabe bei der Auswahl, Bearbeitung und Betreuung von Werken. Dass es in Deutschland ein so hohes Publikationsniveau gibt, ist am Ende ein gemeinsames Verdienst von Urhebern auf der einen und Verlagen auf der anderen Seite. Ich glaube, wir alle, die wir uns mit dem Urheberrecht beschäftigen, haben in den letzten Wochen und Monaten sehr aufmerksam die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu diesem Thema verfolgt; auch das ist schon angesprochen worden. Das Urteil in der Rechtssache Reprobel hat deutsche Verlage in eine schwierige und teilweise existenzbedrohende Situation gebracht. Deswegen, finde ich, sollten wir heute das Signal senden: Wir lassen es nicht zu, dass die deutsche Verlagslandschaft von der europäischen Rechtsprechung quasi im Handstreich zerstört wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Harmonisierung des hohen Urheberrechtsstandards auf EU-Ebene hat für die Urheber, aber auch für die Nutzer sehr große Vorteile. Künftig gelten EU-weit die gleichen Spielregeln. Für den gesamten EU-Raum wird nun die Möglichkeit bestehen, grenzübergreifende Lizenzen zu erhalten. Die Einholung von 27 Lizenzen der Verwertungsgesellschaften aus 27 Mitgliedstaaten wird künftig der Vergangenheit angehören. Das wird hoffentlich auch dazu führen, dass Sie bei YouTube den eingangs erwähnten Satz „Dieses Video ist in Ihrem Land nicht verfügbar“ auf Ihrem Bildschirm künftig nicht mehr so häufig lesen müssen. Für die Urheber bietet sich ein weiterer Vorteil. Es gibt nämlich einen größeren Wettbewerb bei den Verwertungsgesellschaften. Ihnen wird es ermöglicht, Verwertungsgesellschaften in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit der Wahrnehmung ihrer Rechte zu beauftragen. Aber wir bleiben als Koalition nicht bei dem stehen, was uns der europäische Normgeber vorgegeben hat. Wir haben uns im Koalitionsvertrag das Ziel gesetzt, die kollektive Rechtewahrnehmung durch Verwertungsgesellschaften zu stärken und die Aufsicht darüber künftig noch effektiver zu gestalten. Dabei möchte ich ein Problem ansprechen, das uns alle beschäftigt hat und das auch zu vielen Diskussionen geführt hat. Es ist ein gravierendes Problem in der urheberrechtlichen Praxis, dass das Verfahren zur Festsetzung der sogenannten Privatkopievergütung im Moment viel zu lange dauert. Es gibt für Vervielfältigungsgeräte und für Speichermedien in weiten Teilen bislang keine wirksamen Gesamtverträge. Das führt dazu, dass es auch keinerlei Zahlungen seitens der Vergütungsschuldner an die Kreativen und die Urheber gibt. Dadurch haben sich ganz beträchtliche Vergütungsrückstände gebildet. Das ist für die Rechteinhaber mit erheblichen Belastungen verbunden. Es besteht zudem ein zunehmendes Risiko, dass die aufgelaufenen Ansprüche am Ende nicht mehr realisierbar sind. Hier besteht dringender Verbesserungsbedarf. Deshalb haben wir in der Koalition verabredet, dass die Verhandlungen und Streitigkeiten über die Höhe der Privatkopievergütung künftig noch einfacher und effizienter gestaltet werden sollen. Zur Sicherung der Vergütungsansprüche im laufenden Verhandlungsverfahren schaffen wir eine Hinterlegungspflicht. Verwertungsgesellschaften können künftig von Vergütungsschuldnern Sicherheitsleistungen verlangen, wenn noch keine Klarheit über den Tarif herrscht. Wir wollen dabei aber auch die Gerätehersteller nicht unangemessen benachteiligen. Deshalb sieht der Gesetzentwurf vor, dass am Ende die Schiedsstelle als neutrale Instanz über die Höhe des zu hinterlegenden Beitrages entscheidet. Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetzentwurf soll die Tätigkeit der Verwertungsgesellschaften transparenter und der Erwerb der Lizenzen künftig einfacher werden – ein weiterer Schritt, um das Urheberrecht für das 21. Jahrhundert und die digitale Welt fitzumachen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Renate Künast für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist richtig – das will ich ausdrücklich sagen –, dass Herr Minister Maas den Gesetzentwurf und die Umsetzung der Richtlinie in den Kontext gebracht hat, dass wir im Urheberrecht und Urhebervertragsrecht sowieso einen Regelungsbedarf haben; es sind nämlich schon andere Initiativen im Bundestag oder auf europäischer Ebene in der Debatte. Das finde ich richtig. Ich will gleichwohl sagen, dass es mich ein bisschen irritiert hat, dass Herr Heck über das Geoblocking sprach und den Eindruck erweckte, das sei Gegenstand des Gesetzentwurfes. (Dr. Stefan Heck [CDU/CSU]: Nicht das Geoblocking! Nein! – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Nicht das Geoblocking! Das hat er nicht gesagt! Es geht um die Musiklizenzierungen!) – Gut. Dann haben Sie es vielleicht nicht gemeint. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Auch nicht gesagt!) Aber das ist genau der Punkt, der insgesamt noch vor uns liegt. Warum? Weil wir einen ganz großen Arbeitsauftrag haben, der eigentlich lautet: Wie bringen wir das Urheberrecht und das Urhebervertragsrecht ins 21. Jahrhundert? Es gibt so viele neue Anwendungen und Nutzungsformen. Es gibt – Herr Petzold hat es angesprochen – so manche Jugendliche, die sich wundern, wenn plötzlich Rechnungen kommen oder wenn ihnen plötzlich gesagt wird, dass sie sich illegal verhalten haben. (Christian Flisek [SPD]: Manche wundern sich auch über Straßenverkehrsregeln!) Ich finde, dass es überfällig ist, hier zu einer rechtlichen Änderung zu kommen. Denn wir müssen Nutzungsformen wie Downloads, Streaming, Remix bis hin zur Privatkopie – das Stichwort ist schon gefallen – im digitalen Zeitalter neu regeln, und wir müssen sie klar regeln, sodass die Menschen wissen, was zu tun ist und was legal ist und was nicht. Ich erwarte an dieser Stelle von der Europäischen Kommission mehr, als wir bisher bekommen haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Ich scheue mich nämlich schon fast, Herrn Oettinger wieder einzuladen, weil ich Sorge habe, dass ich dann zum fünften Mal dieselbe Rede hören werde. (Christian Flisek [SPD]: Das ist durchaus möglich!) Nur die Vorlage dazu gibt es noch nicht. Ich habe den Eindruck, dass auch einige andere schon meinen, den Text mitsprechen zu können, wenn er uns zum Beispiel wieder erzählt, dass in Zukunft nur noch bestimmte Fußballspiele geguckt würden, die kleinen aber nicht mehr. Wir erwarten – das will ich in Richtung Brüssel sagen –, dass es endlich gute Legal Proposals und Vorlagen gibt; denn der gesamte Bereich des Urheberrechts betrifft nicht nur uns persönlich, sondern auch die Autorinnen und Autoren, die Künstler und Künstlerinnen und die User, die täglichen Nutzer im digitalen Zeitalter. Klarheit tut not, und es wird am Ende auch mehr wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten geben. Auch das wollen wir nicht vergessen, meine Damen und Herren. Aber hier und jetzt geht es speziell um den Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung einer Richtlinie über die kollektive Wahrnehmung von Urheber- und verwandten Schutzrechten. In diesem Zusammenhang möchte ich eines klar sagen: Autorinnen und Autoren, Künstlerinnen und Künstler, Urheberinnen und Urheber leben davon, dass sie Werke verfassen, die ein möglichst breites Publikum finden. Dabei brauchen sie natürlich organisatorische Unterstützung. Denn man kann noch so viele Romane schreiben: Wenn sie alle zu Hause in einer großen Schachtel neben dem Poesiealbum liegen bleiben, wird daraus kein Lebensunterhalt. Sie leben aber logischerweise auch davon, dass es eine entsprechende Vergütung gibt. Verwertungsgesellschaften können dabei eine gute Hilfe sein, auch wenn wir alle wissen, dass es hier und da Kritik an Abläufen und Vergütungsstrukturen gibt. Manche haben das Gefühl, dass einige, die schon berühmt sind, viel Geld bekommen, während die Kleinen bei der Vergütung im Verborgenen bleiben. Es gibt also eine Menge zu tun in Sachen Umsetzung, nicht nur dieser Richtlinie, und es gibt eine Menge Reformmöglichkeiten. Dieser Gesetzentwurf regelt einen großen Bereich der technischen Umsetzung. Ich will vier oder fünf Punkte in diesem Bereich ansprechen, von denen wir hoffen, dass wir zu einer ernsthaften Debatte im Ausschuss, zu einer Anhörung, die schon terminiert ist, und letztlich auch zu Änderungen kommen. Der erste Punkt betrifft § 35 Absatz 2. Ich glaube, hier ist noch nachzubessern. Bei den hier möglichen „Zwangsgemeinschaften“ bei Gesamtverträgen sehe ich, sehen wir, sehen viele Praktikerinnen und Praktiker, Urheber und auch Verwertungsgesellschaften ein erhebliches Missbrauchspotenzial und in der Praxis erhebliche Probleme, auch zulasten der Urheber und Urheberinnen. Zweiter Punkt, der One-Stop-Shop. Viele – auch Verwertungsgesellschaften – plädieren für einen One-Stop-Shop, also eine einfache, schnelle und europaweit zentrale digitale Rechteerklärung für Nutzungslizenzen. Ich frage mich: Warum finden wir das nicht im Gesetzentwurf? Warum entscheidet man sich anders? Drittens, ein kleines Lob. – Nein, erst unter dem vierten Punkt kommt das Lob. (Christian Flisek [SPD]: Zweimal Lob!) – „Zweimal Lob“, das ist auch eine gute Idee. Da habe ich mich jetzt vergaloppiert. Wie schade! Dann komme ich jetzt erst einmal zu dem Punkt mit dem kleinen Lob. In § 32 geht es um die Ausschüttung für kulturelle und soziale Zwecke sowie um kulturelle Förderung und soziale Leistung. Die Richtlinie enthielt eine Sollvorschrift, während der Referentenentwurf nur eine Kannvorschrift vorsah. Nun handelt es sich wieder um eine Sollvorschrift. Das ist gut so. Der vierte Punkt betrifft die Kosten und den Kostenaufwand. Ich wünsche mir, dass das noch einmal realistisch nachgerechnet wird. Fünfter und letzter Punkt betrifft die kritische Frage, ob dieser Gesetzentwurf eigentlich alternative Verwertungsgesellschaften zulässt. Alle wollen immer überall Wettbewerb. Vizepräsidentin Petra Pau: Frau Kollegin Künast, ich glaube, das müssen Sie in den Ausschussberatungen bis zur zweiten und dritten Lesung klären. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich führe meinen Gedankengang noch zu Ende. – Ich frage mich: Werden hier eigentlich Alternativen zugelassen? Herr Maas hat gesagt, dass wir Wettbewerb brauchen. Dann müsste ein solches Gesetz auch genossenschaftlich organisierte Verwertungsgesellschaften zulassen. (Beifall des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Es ist Luft nach oben, und ich freue mich auf die Beratungen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Christian Flisek für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Christian Flisek (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht heute um Verwertungsgesellschaften; das ist mittlerweile klar. Herr Petzold, Sie haben es angesprochen: Was auf Anhieb etwas sperrig klingt, stellt in Wirklichkeit eine große gesetzgeberische Zäsur dar, und zwar eine Zäsur in sehr positivem Sinne. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat die Richtlinienumsetzung zum Anlass genommen, das Recht der Verwertungsgesellschaften komplett neu aufzustellen. Man muss sich nur vor Augen führen, dass das derzeitige Wahrnehmungsgesetz über 50 Jahre gegolten hat, um zu ermessen, wie lange uns wahrscheinlich auch das neue Gesetz begleiten wird. Es ist kein Geheimnis, dass das Recht der Verwertungsgesellschaften selbst für Juristen, die sich intensiv mit dem Urheberrecht beschäftigen, eine besondere Materie ist, in der sich nur wenige Spezialisten bewegen. Die Existenz der Verwertungsgesellschaften im Verborgenen steht aber in keinem Verhältnis zur ökonomischen Bedeutung der Verwertungsgesellschaften für die Kulturschaffenden und die Kreativwirtschaft in unsrem Land. Zwei Zahlen mögen dies verdeutlichen: Die GEMA als die vielleicht in der Öffentlichkeit bekannteste deutsche Verwertungsgesellschaft verwaltet jedes Jahr treuhänderisch Erlöse über knapp 900 Millionen Euro. Insgesamt verwalten die 13 deutschen Verwertungsgesellschaften als Treuhänder Einnahmen von über 1,3 Milliarden Euro. Damit sind Verwertungsgesellschaften eine wesentliche Säule der kulturellen und kreativen Landschaft in Deutschland, und das – darauf wurde schon hingewiesen –, obwohl sie in der öffentlichen Meinung nicht unbedingt das beste Image haben. Aber das sollte nicht dazu führen, dass wir in parlamentarischen Debatten stereotype Vorurteile bedienen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Verwertungsgesellschaften arbeiten nicht gewinnorientiert. Ihre Einnahmen verwalten sie als Treuhänder. Diese werden an die berechtigten Urheber und Rechteinhaber ausgeschüttet. Diese verlässlichen Ausschüttungen sind für viele Kreative der gerechte Lohn für ihre Arbeit. Diese Ausschüttungen sind wesentlicher Teil der Existenzgrundlage vieler Urheber, und sie sind damit eine wesentliche ökonomische Grundlage für das Kulturschaffen in Deutschland. Verwertungsgesellschaften bündeln Rechte und erleichtern damit den Kreativen, die wirtschaftlichen Früchte ihrer Arbeit zu ernten. Sie tragen aber auch ganz wesentlich dazu bei, dass Verwerter wie beispielsweise Radiosender Rechte effizient und rechtssicher einkaufen können. Um es auf den Punkt zu bringen: Effiziente und gesellschaftlich breit akzeptierte Verwertungsgesellschaften sind unverzichtbar. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Genauso unverzichtbar ist ein verlässlicher und klarer Rechtsrahmen für die Arbeit der Verwertungsgesellschaften. In Zeiten der Digitalisierung und Internationalisierung muss dieser Rechtsrahmen auch wettbewerbsfähig sein. Verwertungsgesellschaften benötigen nicht nur ein attraktives Rechteportfolio, sondern auch faire Wettbewerbsbedingungen. Dafür haben wir als Gesetzgeber zu sorgen, und wir werden es mit diesem Gesetzentwurf auch tun. Dieser Gesetzentwurf markiert aber auch das Ende der urheberrechtlichen Lethargie in der deutschen Politik. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Urheberrechtspolitik dieser Koalition besteht nicht aus vollmundigen und im Ergebnis ergebnislosen Berliner Reden zum Urheberrecht, sondern sie setzt handwerklich sauber das Urheberrechtsprogramm der Legislaturperiode, das angekündigt wurde, um. (Beifall bei der SPD) Das ist ein gutes Signal für die Urheber, die Verwerter und auch für die Nutzer in diesem Land. Meine Damen und Herren, der Minister hat die Details des Entwurfs bereits vorgestellt. Lassen Sie mich noch zwei Anmerkungen hierzu machen. Dieser Entwurf enthält auch wesentliche Regelungen zur Erhebung und Verteilung derjenigen Gelder, die unter dem Stichwort „Privatkopievergütung“ die urheberrechtlich sensibilisierten Gemüter in der Vergangenheit erregt haben. Auch jetzt kursieren schon wieder zahlreiche Gutachten zu der Frage, was an diesen Regelungen vielleicht verfassungswidrig sein könnte und was nicht. Ich möchte betonen, dass es uns als SPD in dieser Frage um einen fairen Interessenausgleich geht. Wenn klar ist, dass ein Vergütungsanspruch zu zahlen ist, jedoch keine Einigkeit über die Höhe besteht, dann muss einerseits das Insolvenzrisiko der Zahlungsverpflichteten abgesichert werden, und andererseits muss verhindert werden, dass unnötig Liquidität aus den Unternehmen herausgezogen wird. Wir haben dies im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens deutlich gemacht, und ich persönlich finde, dass der nunmehr vorgeschlagene Weg der Sicherheitsleistung, auch wenn diese nicht kostenlos zu haben ist, hier eine faire Kompromisslinie darstellt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Eine zweite Anmerkung möchte ich machen. Wir werden – es ist bereits erwähnt worden – aus Anlass der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs im Fall Reprobel und der anstehenden Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Fall Vogel beobachten müssen, welche Konsequenzen dies für die betroffenen Verwertungsgesellschaften einerseits und insbesondere für die Verlagslandschaft in Deutschland andererseits haben kann. Wir stehen hier für einen konstruktiven Dialog auf nationaler und europäischer Ebene bereit, aber wir werden jetzt erst einmal die höchstrichterliche Entscheidung des Bundesgerichtshofs abwarten. Das gebietet auch der Respekt vor der Judikative. Meine Damen und Herren, ich möchte mich zum Schluss bei Herrn Bundesjustizminister Heiko Maas und auch bei seinem Hause für diesen ausgewogenen, komplexen und handwerklich guten Entwurf bedanken. 2016 wird mit Sicherheit das Urheberrechtsjahr dieser Legislaturperiode werden. Es beginnt mit einem großen Wurf zum Recht der Verwertungsgesellschaften. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Marco Wanderwitz für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Marco Wanderwitz (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst auch von mir, Herr Minister, herzlichen Dank für das erste große Urheberrechtsgesetz dieser Legislaturperiode; Kollege Flisek hat es schon angesprochen. Wir haben die Raufe reichlich voll in diesem Bereich. Deswegen freue ich mich sehr, dass wir nun ans Laufen kommen. Es wird auch Zeit, will ich an dieser Stelle sagen; (Beifall des Abg. Christian Flisek [SPD]) denn die Legislaturperiode ist zur Hälfte vorbei. Weil es so viel ist, was wir noch gemeinsam machen wollen, haben wir 2016 eine Menge vor, was unter anderem – auch das will ich an dieser Stelle sagen – etwas damit zu tun hat, dass wir einen erheblichen Reformstau in diesem Bereich haben. Das hat wiederum damit zu tun, dass die letzte Legislaturperiode in diesem Bereich leider verlorene Jahre für das deutsche Urheberrecht mit sich gebracht hat. Warum spreche ich das heute hier an? Weil wir als Union betonen wollen, dass nicht wir dafür verantwortlich sind, sondern diese Verantwortung bei einer Partei liegt, die heute nicht mehr in diesem Hause sitzt, und bei einer ehemaligen Ministerin, die heute nicht mehr Justizministerin ist, nämlich bei Frau Leutheusser-Schnarrenberger. Das waren verlorene Jahre für die Weiterentwicklung des Urheberrechts. Das will ich heute hier zumindest festgehalten haben. Schön ist nun, dass es uns gelingt – mit diesem Gesetz sind wir jedenfalls schon einmal auf dem richtigen Weg –, dass es künftig anders wird. Ich teile absolut die Sicht, dass wir hier ein handwerklich gutes Gesetz vor uns haben. Wir werden im parlamentarischen Verfahren, glaube ich, nicht so viele Änderungen vornehmen müssen. Ich will allerdings ein wenig Wasser in den Wein gießen, indem ich den Blick auf das lenke, was so im Köcher ist. Herr Minister, ich verweise beispielsweise auf den sich auf Referentenebene befindlichen Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Urhebervertragsrechts. Da erkennen wir derzeit nicht die Qualität, wie wir sie hier jetzt sehen. Insofern hoffen wir, dass dieser Entwurf auf dem Weg zum Kabinettsbeschluss noch deutlich nachbearbeitet wird, damit das hohe Niveau, mit dem wir in die Novellierung des Urheberrechtes eingestiegen sind, aufrechterhalten wird. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Kolleginnen und Kollegen haben es schon angesprochen – gleichwohl will auch ich es noch einmal sagen –: Das Urheberrecht ist eine relativ trockene Spartenmaterie. Dennoch besprechen wir dieses Thema zu dieser Zeit hier im Parlament, was einfach etwas damit zu tun hat, dass es für die vielen Hunderttausend Kreativen in unserem Land – für die Urheber, für die, die schreiben, für die, die malen, für die, die Drehbücher verfassen, für Schauspielerinnen und Schauspieler usw. – ein unheimlich wichtiges Thema ist, weil sie vom Wert ihrer Arbeit leben können müssen. Das setzt voraus, dass die Rechte, die sie haben, vernünftig wahrgenommen werden. Damit sind wir bei dem Thema „kollektive Rechtewahrnehmung“, das im Rahmen der Beratung dieses Gesetzentwurfs zu behandeln ist. Kollegin Künast hat § 35 Absatz 2 dieses Gesetzentwurfs bereits angesprochen. Auch wir sehen noch Gesprächsbedarf im parlamentarischen Verfahren. Hinter die im Gesetzentwurf verankerte Regelung von Gesamtverträgen setzen zumindest wir noch große Fragezeichen, weil sie einfach missbrauchsanfällig ist, weil sie die Möglichkeit von Blockaden in sich birgt und weil davon auch das Thema „ausländische Verwertungsgesellschaften“, die ein bestehendes System unterminieren können, berührt ist. Über all das müssen wir im parlamentarischen Verfahren noch sprechen. Des Weiteren war – das hat mein Kollege Stefan Heck schon angesprochen – das einschlägige Urteil des Europäischen Gerichtshofes, was Verlagsbeteiligungen betrifft, ein, wie man so schön sagt, „Schlag ins Kontor“. Wir wollen im parlamentarischen Verfahren prüfen, ob wir mit diesem Gesetz an dieser Stelle Raum für eine nationale Lösung der aufgeworfenen Problematik haben. Klar ist – das hat der Minister zutreffend ausgeführt; Herr Minister, wir wollen Sie absolut darin bestärken, zu versuchen, in Brüssel zu einer Lösung zu kommen –: Bis es zu einer solchen Lösung gekommen ist, haben wir eine Lücke; bis dahin befinden sich unsere Verlage in schwerer Not. Das ist auch für die Kreativen keine gute Botschaft; denn die Verlage sollen das vorhandene Geld nicht einfach einstecken, sondern damit weiterhin all das tun, was sie bisher getan haben, nämlich beispielsweise Produkte wie Hörbücher entwickeln, ausländische Lizenzen vergeben und Übersetzungen auf den Markt bringen. Hinzu kommt natürlich auch die gesamte Werbung, etwa für Bücher, Stichwort „Markteinführung“. Angesichts dessen meinen wir, dass wir im parlamentarischen Verfahren intensiv prüfen sollten, ob es uns gelingt, diese Lücke zumindest national zu schließen, bis sie auch auf europäischer Ebene geschlossen ist. Der letzte Punkt, den ich in Bezug auf das Verfahren der Umsetzung der Richtlinie ansprechen möchte: Der Gesetzentwurf sieht eine Lösung vor, was die Sicherheitsleistung betrifft. Die vorgesehene Leistung ist ein bisschen weniger umfangreich als die Hinterlegungspflicht, die wir uns im Koalitionsvertrag vorgenommen hatten. Dies halten wir gleichwohl für eine akzeptable Lösung, für einen Interessenausgleich zwischen den Verwertungsgesellschaften auf der einen Seite und der Geräteindustrie auf der anderen Seite. Allerdings sollte sich das Ganze dann nicht noch weiter zurückentwickeln, sprich: Ein parlamentarisches Verfahren, das sich in die falsche Richtung entwickelt, wäre für uns kein gangbarer Weg. Deswegen an dieser Stelle meine Bitte an die Kolleginnen und Kollegen: Lassen Sie uns eher in die andere Richtung denken. Das ist besser, als diesen Weg weiterzugehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Volker Ullrich das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben in unserem Land ein reiches Kulturleben mit vielen Werken in Wort, Ton, Bild oder Schrift, die von zahlreichen Kreativen geschaffen werden. Auch wenn viele Werke ideelle Werte haben und oftmals in ihrem Wert nicht bezifferbar sind, so müssen und sollen die Kreativen doch von ihren Werken leben können und dürfen. Weil die Vergütungsansprüche von Kreativen mit den zu zahlenden Entgelten der Nutzer in Einklang zu bringen sind, ist das System der kollektiven Urheberrechtswahrnehmung ein altes und bewährtes System. Deswegen werden wir an ihm festhalten. Das Urheberrechtswahrnehmungsgesetz hat am 1. Januar 50 Jahre seines Bestehens gefeiert. Wir werden es durch das Verwertungsgesellschaftengesetz ablösen, das die wesentlichen Punkte beibehält, weil sie sich bewährt haben. Dazu gehört, dass die Verwertungsgesellschaften ihre Monopolstellung behalten, dass sie einer staatlichen Erlaubnispflicht und Überwachung unterliegen und dass sie verpflichtet werden, gemeinnützig zu handeln, nicht für sich Gewinne zu erzielen, sondern Gewinne an die Kreativen auszuschütten. Es sind nicht unerhebliche Summen, die hier zustande kommen. Allein im Jahr 2014 war es über 1 Milliarde Euro, davon 893 Millionen Euro für die GEMA und 144 Millionen für die VG WORT. Das sind Beträge, die es vielen Künstlern ermöglichen, von ihren Werken zu leben und zu profitieren. Das sollten wir in diesem Zusammenhang auch einmal bemerken. Meine Damen und Herren, wir müssen bei dem zur Beratung anstehenden Gesetzentwurf auf einige Dinge achten. Es ist ein insgesamt ausgewogener und guter Entwurf. Wir müssen aber Obacht geben und uns fragen, ob wir bei der Frage der Binnenstruktur den Verwertungsgesellschaften nicht Regulierungen auferlegen, die es für die Kreativen zu kompliziert machen, ihre Rechte wahrzunehmen. Wenn die Wahrnehmung der Rechte innerhalb einer Verwertungsgesellschaft komplizierter ist als beispielsweise bei der Binnenstruktur einer Aktiengesellschaft, dann, glaube ich, laufen wir Gefahr, dass wir hier überregulieren. Wir sollten eine einfache, eine praktikable Handhabung vorsehen und nicht in eine Richtung gehen, die ein Zuviel an Regelung bedeutet. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir werden auch über die Geräte- und Leermedienvergütung zu sprechen haben. Es muss klar und deutlich gesagt werden, dass die Urheberrechtsreform von 2008, die eine Einigungspflicht zwischen den Organisationen, zwischen den Urhebern einerseits und den Verwertern andererseits, vorsah, sich nicht bewährt hat, dass immer noch Dutzende von Schiedsverfahren und Gerichtsverfahren offen sind, weil es der Gesetzgeber zu schwer gemacht hat, sich darüber zu einigen. Deswegen ist die zukünftige Sicherheitsleistung ein gangbarer und, wie ich meine, auch verfassungsrechtlich angemessener Mittelweg zwischen dem System, das nicht funktioniert hat – nämlich zu sagen: einigt euch! –, und einer Hinterlegungspflicht, die verfassungsrechtlich bedenklich ist. Ich glaube, mit dieser Sicherheitsleistung sind die Ansprüche der Urheber gegen Insolvenzrisiken hinreichend abgesichert. Trotzdem wird Liquidität nicht in einem Maße entzogen, welches es für die Verwerter selbst schwer macht, über die Runden zu kommen. Deswegen sollten wir uns auf diese Sicherheitsleistung einigen. Meine Damen und Herren, wir brauchen eine Änderung in Bezug auf die Rechtsprechung des EuGH. Das Urteil vom 12. November 2015 ist ein Urteil, das mit unserer Rechtstradition und auch mit unserer Auffassung nicht in Einklang zu bringen ist. Auch Verlage tragen ihren Teil zur schöpferischen Darstellung und zum Urheberrecht bei, weil ein Autor ohne die Verlage sein Werk gar nicht an die Öffentlichkeit bringen könnte. Deswegen sollten wir deutlich machen, dass erst durch das Zusammenspiel von Verlagen und Autoren die Autoren, die Urheber, ihre Rechte wahrnehmen können. Meine Damen und Herren, Kreativität hat in diesem Land einen hohen Wert; das muss auch so sein. Wir werden mit diesem Gesetz zwei Grundrechte, zwei Verfassungsentscheidungen, die wichtig sind, verbinden, nämlich die Kunstfreiheit und die Eigentumsgarantie. Deswegen: Lassen Sie uns an diesem Entwurf mit der gebotenen Ernsthaftigkeit sauber arbeiten – für die Kreativen und für das kulturelle Leben in diesem Land! Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/7223 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz Drucksache 18/7054 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, Heiko Maas. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine der wichtigsten Aufgaben des Rechts besteht darin, Sicherheit zu schaffen. Rechtssicherheit bringt Ordnung in unser Leben. Zu dieser Sicherheit gehört dann auch Kontinuität. Was heute gilt, soll grundsätzlich auch morgen noch Bestand haben. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre schön!) Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf stärken wir Sicherheit und Kontinuität im Geschäftsverkehr, indem wir das Recht der Insolvenzanfechtung behutsam reformieren. Durch die Anfechtung kann ein Insolvenzverwalter Vermögenswerte in die Insolvenzmasse zurückholen, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus dem Vermögen des Schuldners geflossen sind. Das ist ein wichtiges Instrument, um vor allen Dingen sicherzustellen, dass alle Gläubiger gleichbehandelt werden. Es soll verhindert werden, dass sich Einzelne vor einer Insolvenz die Rosinen herauspicken. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben allerdings auch die Kehrseiten der Anfechtung gezeigt. Wer mit einem Unternehmen Geschäfte macht oder dort als Arbeitnehmer beschäftigt ist, also Lohn empfängt, kann nicht sicher sein, dass er sein Geld dauerhaft behalten kann. Wie ein Damoklesschwert schwebt über ihm das Risiko, dass er das Geld wieder herausgeben muss, wenn das Unternehmen später in Insolvenz gerät und ein Insolvenzverwalter die Zahlung anfechtet. Diese widerstreitenden Interessen – Rechtssicherheit einerseits und Sicherung der Insolvenzmasse andererseits – sind zweifelsfrei aus der Balance geraten. Hier setzt unser Entwurf an. Wir wollen die Interessen der früheren Zahlungsempfänger und die Belange der übrigen Insolvenzgläubiger wieder ins Lot bringen. Bisher können Geschäfte angefochten werden, die bis zu zehn Jahre vor der Insolvenz liegen. Dieser Zeitraum ist für gewöhnliche Zahlungsvorgänge zu lang. Wir wollen diese Frist auf vier Jahre verkürzen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich sage dazu: Diese Verkürzung gilt allerdings nicht für Vermögensverschiebungen und Bankrotthandlungen. Dort muss nämlich niemand geschützt werden. Unrecht verdient wahrlich keine Rechtssicherheit. Wir wollen auch mehr Sicherheit für Gläubiger schaffen, die ihren Schuldnern zur Überbrückung Zahlungserleichterungen gewährt haben. So etwas kann das Funktionieren der Märkte stärken und soll nicht unnötig bestraft werden. Das ist ebenfalls gesondert geregelt. Wir wollen auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besser schützen. Sie sollen die Sicherheit haben, dass sie den Lohn, den sie verdient haben, auch tatsächlich behalten dürfen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) In Zukunft sollen Lohnzahlungen nicht mehr angefochten werden können, wenn das Geld spätestens drei Monate nach der Arbeitsleistung gezahlt worden ist. Und schließlich wollen wir auch Gläubiger schützen, die zur Zwangsvollstreckung gegriffen haben. Was sie mithilfe des Vollstreckungsrechts erlangt haben, sollen sie nicht aufgrund des Insolvenzrechts wieder herausgeben müssen. Meine Damen und Herren, neben diesen Einschränkungen des Anfechtungsrechts wollen wir auch noch auf andere Weise die Belastungen für den Geschäftsverkehr reduzieren. Wir wollen die Verzinsung des Anfechtungsanspruchs neu regeln. Das niedrige Zinsniveau auf dem Geldmarkt und die deutlich höheren Verzugszinsen, die das Gesetz vorsieht, verleiten manche tatsächlich dazu, ihre Anfechtungsansprüche später als möglich geltend zu machen. Auch solche Fehlanreize wollen wir beseitigen. Wir schlagen außerdem vor, dass das Insolvenzantragsrecht der Gläubiger gestärkt wird. Belastungen durch die nachträgliche Anfechtung lassen sich ja auch dadurch vermeiden, dass insolvenzreife Unternehmen rechtzeitig vom Markt genommen werden. Meine Damen und Herren, mit diesen behutsamen Reformen erhalten wir das wichtige Recht der Insolvenzanfechtung, aber wir steuern auch punktuell nach. Wir machen die komplexe Materie vor allen Dingen für die Praxis leichter handhabbar, und wir sorgen damit dennoch für mehr Rechtssicherheit. Das kommt auch dem Ansehen des Insolvenzrechtes insgesamt zugute. Es soll eben kein Damoklesschwert sein, das über Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und lauteren Geschäftspartnern schwebt, sondern ein juristisches Skalpell, das dafür sorgt, dass Markt und Wirtschaft gesund bleiben und gerecht funktionieren. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Richard Pitterle von der Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Richard Pitterle (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Stellen Sie sich Folgendes vor: Sie arbeiten seit einigen Jahren in einem kleinen Familienunternehmen. Es herrscht ein angenehmes Betriebsklima. Kollegen und Kolleginnen treffen sich auch in der Freizeit. Die Tür der Chefin oder des Chefs ist immer offen. Eine durchaus realistische Vorstellung! Wie wir im Zuge der Erbschaftsteuerdebatte immer wieder gehört haben, sind kleine Familienunternehmen das Rückgrat der deutschen Wirtschaft; denn sie beschäftigen Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Stellen wir uns weiter vor: Im Unternehmen wird seit einiger Zeit gemunkelt, dass es dem Unternehmen nicht gut ginge. Die Aufträge würden wegbrechen, Kreditgeber ließen sich Zeit mit Zusagen, Vertragspartner mahnten Zahlungen an. Die Chefin oder der Chef räumt ein, dass es Probleme gibt: Das Gehalt werde gezahlt, aber wohl später, wohl weniger. Wenn sich alle anstrengten, den Gürtel enger schnallten, dann sei die Krise aber bald überwunden. Leider wird die Krise nicht überwunden. Nach Monaten des Zitterns steht der Insolvenzverwalter in der Tür. Und er bringt ein paar Briefe mit: keine Dankes- oder Motivationsschreiben, sondern Zahlungsaufforderungen, Aufforderungen an die Belegschaft, die letzten nachgezahlten Gehälter unverzüglich zu erstatten, damit sie allen Gläubigern zur Befriedigung ihrer Ansprüche zur Verfügung stünden. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer seien Schuldner der Insolvenzmasse, da sie die prekäre Situation ihres Unternehmens schließlich gekannt hätten. Das mag wie eine Räuberpistole klingen. Oder? Aber das ist seit der Insolvenzrechtsreform 1999 gesetzliche Realität und Praxis. Zuvor galt Jahrzehnte das sogenannte Arbeitnehmerprivileg der Konkursordnung. Danach blieben rückständige Lohnforderungen der letzten sechs Monate unangetastet. Forderungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer waren gegenüber anderen Gläubigern bevorrechtigt. Mit der Insolvenzrechtsreform wurden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu einfachen Gläubigern degradiert, die auf sich gestellt gegen Vertreter von Banken und Großgläubigern in den Verteilungskampf um den Trog mit den Vermögensresten geschickt wurden. Man kann sich vorstellen, wer da den Kürzeren gezogen hat. Zum Glück für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hat das Bundesarbeitsgericht die Anfechtungen der Gehaltszahlungen durch die Insolvenzverwalter nicht länger geduldet. Es wandte die Insolvenzordnung unter Achtung tragender Verfassungsprinzipien wie des Sozialstaatsprinzips an und erhöhte den Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Trotz dieser Entscheidung wurden weiterhin Lohnzahlungen durch Insolvenzverwalter angefochten. Sie beriefen sich auf die Rechtsprechung eines anderen Obergerichts: Der Bundesgerichtshof für Zivilsachen warf dem Bundesarbeitsgericht vor, die Grenzen der Verfassung verlassen zu haben und den gesetzgeberischen Willen zu missachten. Daher sind wir als Gesetzgeber gefordert, gesetzliche Regelungen zum Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu verabschieden. (Beifall bei der LINKEN) Die Argumente der Gegner einer solchen Regelung überzeugen nicht. Die beschworene heilige Kuh der Gläubigergleichbehandlung mag ein altrömisches Prinzip sein. Doch nicht altrömische Prinzipien, sondern das Grundgesetz ist unser Maßstab. Das Gleichbehandlungsgebot des Artikels 3 Grundgesetz ist im Lichte des Sozialstaatsprinzips anzuwenden. Und während Forderungen von Banken und Großgläubigern häufig nur Rechnungsposten in der Buchführung sind, ist Arbeitslohn für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schlicht existenziell. Der Gesetzgeber ist gefordert, Schutz nach Schutzbedürftigkeit zu gewähren. Der BGH meint, es wäre dabei Aufgabe des Staates, sozialrechtliche Schutzlücken durch staatliche Leistungen auszugleichen. Für die Linke ist es die Aufgabe des Staates, unter den Gläubigern eine gerechte Verteilung zu regeln. (Beifall bei der LINKEN) Im Steuerrecht wird nach Leistungsfähigkeit besteuert. Auch das Insolvenzrecht muss sich bei der Verteilung daran orientieren. Es kann nicht Aufgabe der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sein, den Topf für Banken und Großgläubiger wieder aufzufüllen, um dann zum Bittsteller beim Staat zu werden. Der vorliegende Entwurf ist ein wichtiger Anstoß. Lassen Sie uns in den Beratungen dafür sorgen, dass den Ansprüchen, wie sie im Regierungsentwurf zur Insolvenzordnung von 1992 formuliert werden, Rechnung getragen wird. Dort heißt es – ich zitiere –: Insolvenzrecht soll, wie alles Recht im demokratischen und sozialen Rechtsstaat, einen gerechten Ausgleich schaffen, den Schwächeren schützen und Frieden stiften. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: So viel Lob der Linken für eine Initiative der Union!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Elisabeth Winkelmeier-Becker für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Koalition legt heute – endlich, möchte man sagen – einen Gesetzentwurf vor, der die Anfechtung von früheren Zahlungen eines Schuldners betrifft, die im Falle der Insolvenz zurückverlangt werden. Da an dieser Stelle die Sache aus dem Ruder gelaufen ist, hat sich die Union seit Jahren für eine Neuregelung starkgemacht und vor allem auch in den Koalitionsverhandlungen dafür gesorgt, dass das zum Programm dieser Regierung wird. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir werden mit diesem wichtigen Gesetz Vertrauen und Planungssicherheit für viele Unternehmen wiederherstellen, die in den vergangenen Jahren aufgrund einer Fehlentwicklung in der Praxis vieler Insolvenzverwalter, die von der Rechtsprechung nicht korrigiert wurde, mit unvermuteten hohen Rückforderungen konfrontiert worden sind, die sie selber an den Rand ihrer Existenz gebracht haben. Im Zentrum steht die sogenannte Vorsatzanfechtung nach § 133 der Insolvenzordnung. Ihr liegt der an sich richtige und nachvollziehbare Gedanke zugrunde, dass sich kein Gläubiger einen Vorteil verschaffen darf, wenn sich beim Schuldner eine Krise abzeichnet. Deshalb ordnet § 133 der Insolvenzordnung an, dass Zahlungen, die in der Absicht, Gläubiger zu benachteiligen, erfolgten, zurückgeholt werden können, wenn dies für den Gläubiger, der begünstigt ist, erkennbar war, und zwar mit einer Frist von bis zu zehn Jahren. Was aber in der Praxis daraus geworden ist, geht weit über diese sinnvolle Intention hinaus. In der Praxis werden völlig übliche und gesamtwirtschaftlich erwünschte Verhaltensweisen auf diese Weise sanktioniert. Schon eine bloße Ratenzahlungsvereinbarung, die der Gläubiger mit dem Schuldner trifft – oft sind das Vertragspartner über Jahre hinaus, die in einer Vertrauensbeziehung zueinander stehen –, soll ausreichen, dass eine erfolgte und gerechtfertigte Zahlung hinterher wieder zurückabgewickelt werden kann. Das geht dann doch zu weit. Handwerker, Lieferanten, aber auch die Arbeitnehmer sind auf diese Weise unter Druck gesetzt worden in einer nicht mehr akzeptablen Art und Weise. Deshalb müssen wir handeln. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir müssen wissen: Zahlungserleichterungen von Lieferanten, aber auch Zugeständnisse aus der Belegschaft sind üblich, um zum Beispiel saisonale Schwankungen oder eine erkennbare vorübergehende Krise zu überbrücken. Es würde an der Realität des Wirtschaftslebens vorbeigehen, den Gläubiger faktisch dazu zu zwingen, einen Insolvenzantrag zu stellen und nicht dem Vertragspartner zu helfen. Das funktioniert nicht und würde zusätzlichen Schaden anrichten. Meine Damen und Herren, für das Insolvenzverfahren ist es typisch, dass es um Verteilungskonflikte geht. Was der eine für sich zusätzlich verlangt, würde auf Kosten des anderen gehen. Aber hier kommt noch etwas anderes hinzu. Die Verunsicherung und die Sorge vor einer späteren Rückforderung führen in der Praxis zu weniger Flexibilität, weniger unkomplizierter Unterstützung der Firmen untereinander bei erkennbar guter Prognose. Wir müssen wissen: Zunehmend sind die Lieferanten diejenigen, die sich um die Finanzierung kümmern und Einblick darin haben, wie ein Unternehmen aufgestellt ist. Sie wissen, ob das Unternehmen deshalb in der Krise ist, weil ein eigener Schuldner wiederum ausgefallen ist, es aber in der Substanz völlig gesund ist, oder ob etwas anderes dahintersteckt. Insofern ist eines klar: Wenn ein Lieferant davon ausgeht, dass ein Vorschuss noch Sinn macht, weil er davon überzeugt ist, dass das Unternehmen aus der Krise kommt, dann dürfen wir vom Lieferanten doch nicht verlangen, dem ein Ende zu setzen, einen Insolvenzantrag zu stellen und dem Unternehmen den Todesstoß zu geben. Das würde zu mehr unnötigen Insolvenzen führen und damit einen zusätzlichen wirtschaftlichen Schaden anrichten, dem auf der anderen Seite überhaupt kein Vorteil gegenübersteht. Das ist der Grund, weshalb diese Praxis unisono kritisiert wird, und zwar auch von Verbänden, die sowohl auf der Seite eines begünstigten Gläubigers als auch eines Schuldners oder eines Gläubigers, für den sich daraus im Einzelfall ein Nachteil ergibt, stehen könnten. Hier geht es um Vertrauen, einem Wert im Geschäftsverkehr an sich. (Beifall bei der CDU/CSU) Deshalb ist es wichtig, dass wir für den redlichen Geschäftsverkehr die Frist für eine Anfechtung auf vier Jahre verkürzen und dass die Regelung hinsichtlich der Vermutung über die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit gesetzlich geändert wird: Es wird klargestellt, dass eine Zahlungserleichterung, die ein Gläubiger dem Schuldner gewährt, allein noch kein Indiz für die Kenntnis des Gläubigers ist. Wichtig ist – es wurde schon angesprochen –: Die Arbeitnehmer werden in einer besonderen Weise unterstützt, ohne dass wir ansonsten in die Struktur des Insolvenzrechts eingreifen. Wir nehmen hier eine Lösung auf, die das Bundesarbeitsgericht vorgezeichnet hat, und sichern sie ab, indem wir sie gesetzlich regeln. Der Lohn, der innerhalb von drei Monaten für geleistete Arbeit gezahlt worden ist, ist nun der Anfechtung entzogen, im Wege der Subsumtion unter das Bargeschäft. Ich glaube, das ist eine intelligente Lösung, um hier zu einem effektiven Schutz gerade der Arbeitnehmer zu kommen, die besonders darauf angewiesen sind, darauf vertrauen zu können, ihren ausgezahlten Lohn behalten zu dürfen. Für mich ist für die weiteren Beratungen aber noch eines wichtig: Wir müssen darauf achten, dass wir dem Insolvenzverfahren nicht insgesamt mangels Masse den Boden entziehen; denn das Insolvenzverfahren hat seinen spezifischen Wert. Es gehört zur Marktwirtschaft, dass ein Unternehmen, das nicht mehr wettbewerbsfähig ist, vom Markt verschwindet und abgewickelt wird. Da macht es einen Unterschied, ob das in einem geordneten Verfahren durch den Insolvenzverwalter gemacht wird oder ob einfach nur unsortiert Aktenordner und volle Schubladen mit Rechnungen entsorgt werden. Es geht dann auch darum, Ansprüche zu klären. Es geht zum Beispiel auch darum, Zeugnisse für Arbeitnehmer auszustellen. All das muss in einem geordneten Verfahren geschehen. Schon deshalb müssen wir dafür sorgen, dass das Insolvenzverfahren nicht ausgetrocknet wird. Wir müssen überlegen, ob es richtig ist, dass alle Titel, die vollstreckt werden – egal, woraus sie resultieren –, privilegiert werden sollen. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Winkelmeier-Becker, Sie müssen die weiteren Vorschläge vertagen. Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Ich bin froh, dass die Bedeutung unserer heutigen Debatte nicht daraus resultiert, dass wir viele Insolvenzverfahren hätten. Wir haben den geringsten Stand an Insolvenzverfahren seit der Einführung der Insolvenzordnung. Trotzdem ist es dieses Thema immer wieder wert, an Verbesserungen zu arbeiten. Die Union macht das jedenfalls sehr gerne, im Interesse der Unternehmen und der Arbeitnehmer. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Katja Keul für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schlägt die Bundesregierung Änderungen an der Insolvenzordnung vor, die insbesondere das Anfechtungsrecht betreffen. Parallel dazu sollen im Anfechtungsgesetz entsprechende Änderungen für Anfechtungen außerhalb eines Insolvenzverfahrens vorgenommen werden. Aber was ist das Anfechtungsrecht eigentlich? Es dient dazu, zu verhindern, dass bei einer Insolvenz einzelne Gläubiger bessergestellt werden, weil sie früh Informationen über die finanziellen Verhältnisse des Schuldners haben und daher noch kurz vor der Insolvenz ihr Geld eintreiben können. Das Anfechtungsrecht dient somit der Gläubigergleichbehandlung. Dennoch soll dieses Recht nunmehr an mehreren Stellen eingeschränkt werden, um überlange Unsicherheiten über den Bestand eines Rechtsgeschäftes zu vermeiden. Unproblematisch und zu begrüßen ist zunächst einmal die Verkürzung der Anfechtungsfrist von zehn auf vier Jahre ab Insolvenzantragstellung. Nach vier Jahren sollte klar sein, ob eine Leistung zurückgezahlt werden muss oder nicht. Auch die Verknüpfung der Verzinsung von Rückzahlungsansprüchen an die üblichen Verzugsvoraussetzungen ist nicht mehr als fair. Kritisch ist aber die künftige umfassende Privilegierung von Vollstreckungsmaßnahmen, die dann nicht mehr anfechtbar sein sollen. Der Vorschlag hat folgenden Hintergrund: Wenn Gläubiger ihre berechtigte Forderung in jahrelangem Rechtsstreit endlich tituliert haben und dann mit hohem Zeit- und Kostenaufwand vollstrecken, ist nicht einzusehen, dass sie so behandelt werden, als ob ihnen dieses Recht nie zugestanden hätte. Problematisch dabei ist aber, dass das jetzt auch für alle öffentlich-rechtlichen Gläubiger wie Finanzämter und Sozialversicherungsträger gelten soll, die sich ihre Titel selbst erstellen und vollstrecken können. Mit Einführung der Insolvenzordnung hatte man sich bewusst von dieser Fiskusprivilegierung verabschiedet, um Insolvenzverfahren frühzeitiger zu ermöglichen, wenn noch genug Masse zur Verteilung bzw. Chancen zur Fortsetzung des Unternehmens vorhanden sind. Sozialversicherungsträger und Finanzämter sind die wichtigsten Insolvenzantragsteller. Wenn diese nun die Möglichkeit erhalten, bis zum bitteren Ende unanfechtbar zu vollstrecken, haben sie kaum noch Interesse an einem frühzeitigen Insolvenzantrag. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: So ist es ja nicht!) Im Ergebnis werden damit wieder mehr Privatgläubiger leer ausgehen, so wie früher nach der Konkursordnung. Ich denke, Sie sollten die Vorschläge der Verbände übernehmen und die Privilegierung auf gerichtlich erlangte Vollstreckungstitel beschränken. Kommen wir zu den Änderungen in § 133 Insolvenzordnung. Danach soll der Gläubiger, dessen berechtigte Forderung vom Schuldner erfüllt wird, nur noch dann mit einer Anfechtung rechnen müssen, wenn er die eingetretene Zahlungsunfähigkeit kannte. Kenntnis von drohender Zahlungsunfähigkeit soll nicht mehr reichen. Dieser zusätzliche Schutz ist angemessen und nachvollziehbar. Ob es aber darüber hinaus auch noch angemessen ist, gleich bei jeder Ratenzahlungsvereinbarung zu vermuten, dass der Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit nicht kannte, finde ich zumindest zweifelhaft. Hier bleibt die Expertenanhörung abzuwarten. Mit der Änderung des § 142 Insolvenzordnung sollen die sogenannten Bargeschäfte konkretisiert werden, also die Geschäfte, bei denen eine Gegenleistung unmittelbar bezahlt wird, wie vor allem beim Arbeitslohn. Das finde ich richtig. Gerade in Bezug auf Arbeitnehmer war es an der Zeit, die umfangreiche höchstrichterliche Rechtsprechung zum Zwecke der Rechtsklarheit im Gesetz aufzunehmen. Jetzt kann es jeder schwarz auf weiß nachlesen: Der Lohn für Arbeitsleistungen der letzten drei Monate ist vor der Anfechtung sicher. Nicht ganz so klar ist leider die Ausnahmevorschrift. Hat der Arbeitnehmer erkannt, dass der Arbeitgeber unlauter handelte, soll der Anfechtungsschutz nicht gelten. Aber was bitte ist „unlauter“? Warum man jetzt hier wieder einen neuen Begriff einführt, der erst wieder im Wege der Rechtsprechung konkretisiert werden muss, erschließt sich mir nicht. Ich denke, auf diese Ausnahme sollten Sie schlicht verzichten oder zumindest auf leitende Angestellte beschränken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Am Ende schlagen Sie noch eine Änderung vor, die mit dem Anfechtungsrecht nichts zu tun hat: Gläubiger sollen schneller und leichter einen Insolvenzantrag stellen können als bisher. Bislang konnte ein Schuldner den Insolvenzantrag eines Gläubigers einmal abwenden, indem er die Forderung doch noch bezahlt, wenn nicht bereits ein Insolvenzantrag in den letzten zwei Jahren gestellt worden war. Diese Möglichkeit soll für den Schuldner jetzt gänzlich entfallen. Begründet wird dies insbesondere damit, dass Sozialversicherungsträger schneller eine Klärung der Zahlungsfähigkeit herbeiführen sollen. Im Ergebnis kann dann aber jeder Gläubiger eines säumigen Schuldners ohne weitere Voraussetzungen jederzeit eine insolvenzgerichtliche Entscheidung in der Sache veranlassen. Ich frage mich schon, ob das wirklich praktikabel sein wird und nicht einfach zu einer unnötigen Mehrbelastung der Insolvenzgerichte führt. Leider liegen gerade zu diesem Punkt kaum schriftliche Stellungnahmen der Verbände vor, sodass wir auch hier die Expertenanhörung abwarten müssen. Fazit: Der Gesetzentwurf ist eine gute Diskussionsgrundlage. Allerdings sollte auch dieses Gesetz keinesfalls aus dem Parlament so herauskommen, wie es hineingekommen ist. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Katja Keul. – Nächster Redner in der Debatte: Dr. Heribert Hirte für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer! Es sind an diesem Freitagnachmittag ja nicht mehr ganz so viele. Zunächst einmal: Worum geht es eigentlich bei diesem Gesetzentwurf zur Reform des Insolvenzanfechtungsrechts? Die Insolvenzanfechtung dient dazu – wir haben es schon einmal gehört –, sogenannte vorinsolvenzliche Vermögensverschiebungen rückabzuwickeln. Wer also etwas aus einem später insolvent gehenden Unternehmen herausbekommen hat, muss es unter bestimmten Voraussetzungen an den Insolvenzverwalter zurückführen, wenn er es innerhalb bestimmter Fristen vor der Insolvenz bekommen hat. Das dient dazu – auch das hat der Minister richtigerweise gesagt –, die Gleichbehandlung der Gläubiger im Insolvenzverfahren sicherzustellen. Es soll nicht derjenige einen Vorteil haben, der noch kurz vor der Insolvenz seine Schäfchen ins Trockene gebracht hat. Um es deutlich zu sagen: Das ist nicht etwa neu, sondern das ist ein Rechtsinstitut, das es seit der Römerzeit gibt und das deshalb weitgehend anerkannt ist, auch in seiner Konzeption. Es wurde in den letzten Jahren allerdings ausgebaut, weil wir den Gläubigerschutz an anderer Stelle, bei den Gesellschaften, zurückgefahren haben. Insofern ist es nicht ganz überraschend, dass wir jetzt auch hier über die Grenzen nachdenken. Herr Pitterle hat gesagt, in einem Bereich, was die Anfechtung von Lohnzahlungen an Arbeitnehmer angeht, hat sich seit der Konkursordnung etwas geändert. Das ist richtig. Die Konkursordnung sah ein spezielles Privileg für die Arbeitnehmer vor, das in dieser Weise jetzt nicht mehr existiert. Aber die Zahl der Anfechtungen von Lohnzahlungen hat nicht etwa wegen der Einführung der Insolvenzordnung zugenommen, sondern aus einem ganz anderen Grund, nämlich weil die Sozialversicherungsträger der Sache nach durch eine etwas versteckte Sonderregelung – § 28 e SGB IV – privilegiert wurden. Insofern gibt es einen Zusammenhang mit dem, was Frau Keul angesprochen hat, mit der Privilegierung der Sozialversicherungsträger. Darauf komme ich gleich noch einmal zu sprechen. Diese Regelungen – ich betone es noch einmal – sind im Grundsatz richtig. Sie dienen der Verwirklichung des Gläubigerschutzes und haben deshalb eine hohe ordnungspolitische Bedeutung. Allerdings ist die Reichweite umstritten. In einem zentralen Punkt sind die Regelungen zu Recht auf Kritik gestoßen. Dabei geht es um die Regelung des § 133 Insolvenzordnung, um die sogenannte Vorsatzanfechtung. Leistungen, die bis zu zehn Jahre vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zurückliegen, können zurückgefordert werden, und das eigentlich nur bei Vorsatz. Die zehn Jahre wären nicht so schlimm, wenn nicht der Begriff „Vorsatz“ von der Rechtsprechung ausgelegt, will heißen: abgemildert worden wäre. Das bedeutet für die Gläubiger, die Adressaten dieser Insolvenzanfechtung, dass sie ziemlich überraschend mit solchen Rückforderungen konfrontiert werden. Das wollen wir ändern. Es ist richtig, dass wir das ändern. In der Koalitionsvereinbarung haben wir vereinbart, dass wir im Interesse des Mittelstandes und im Interesse der Arbeitnehmer in diesem Punkt mehr Rechtssicherheit herstellen wollen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Aus diesem Grunde adressiert der Gesetzentwurf zu Recht drei Bereiche, in denen Änderungen vorgenommen werden: Zum einen geht es um Änderungen bei der schon angesprochenen Vorsatzanfechtung. Die Frist, die bisher zehn Jahre beträgt, soll, jedenfalls für wesentliche Teile, auf vier Jahre verkürzt werden. Es soll dabei auch die Kenntnis, die der andere, der das Geld bekommen hat, hat, erhöht werden. Er muss wissen, dass die Insolvenz schon eingetreten ist. Es soll nicht mehr nur ausreichen, dass er von einer drohenden Insolvenz Kenntnis hat. Zweitens. Zahlungserleichterungen, die irgendwann einmal im Vorfeld gewährt wurden, sollen nicht mehr dazu führen können, dass man sein Geld zurückgeben muss. Über die genaue Formulierung – auch das ist schon angesprochen worden – müssen wir allerdings noch nachdenken; das ist zu evaluieren. Drittens. Richtig ist auch, dass das sogenannte Bargeschäft – § 142 Insolvenzordnung – erweitert wird, und zwar klarstellend erweitert wird, in Aufnahme der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Anfechtbarkeit von Lohnzahlung an Arbeitnehmer. Allerdings müssen wir noch ein bisschen schauen, ob jetzt auch innerhalb dieser Norm die Gleichbehandlung hergestellt ist. Auch darüber werden wir noch nachzudenken haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Völlig unstreitig, wenn ich das hier Revue passieren lasse, ist, dass der Zinslauf bei der Rückforderung jetzt ab Verzug einsetzen soll und nicht etwa nur, wie es im Augenblick der Fall ist, ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Auch das hat dazu beigetragen, dass Adressaten einer solchen Insolvenzanfechtung mit den Forderungen überrascht werden konnten. Das wird jetzt anders. Das ist ein wichtiger Punkt. Wir hätten diesen Punkt meines Erachtens schon viel, viel früher regeln können, als wir am Anfang der Legislaturperiode gesagt haben, wir könnten mit kleinen Detailänderungen das Problem schon lösen. Das sind einige wesentliche Punkte. Ein Punkt ist zweifelhaft. Das ist der Punkt, dass auch Deckungen und Sicherungen, die man im Wege der Zwangsvollstreckung erreicht hat, privilegiert werden, also von der Insolvenzanfechtung ausgenommen werden sollen. Denn das betrifft jedenfalls in der Praxis vor allen Dingen Forderungen des Fiskus und der Sozialversicherungsträger. Wenn die nicht mehr anfechtbar sind, obwohl die Beteiligten genau wussten, dass es sich um ein insolventes Unternehmen handelt, heißt das, dass die Insolvenzmasse so ausgedünnt wird, dass am Ende nicht mehr genügend Masse zur Eröffnung der Verfahren zur Verfügung steht. Ich stimme der Kollegin Keul, die sehr deutlich darauf hingewiesen hat, ausdrücklich zu. Das würde mich mit großer Sorge erfüllen. Darüber müssen wir nachdenken, unter anderem auch deshalb, weil sonst anschließend nicht mehr genügend Geld für die Arbeitnehmer, für einen Sozialplan, zur Verfügung steht. Es gibt noch genügend zu beraten. Auf diese Beratungen freue ich mich. Vielen Dank Ihnen allen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke schön, Dr. Hirte. – Nächster Redner: Dr. Brunner für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Verehrte Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren und Gäste, die Sie an diesem Freitagmittag auf den Zuhörerrängen ausgeharrt haben! Die Koalitionsparteien haben in dem Koalitionsvertrag „Deutschlands Zukunft gestalten“ vorgeschlagen, eine Reihe von gesellschafts- und insolvenzrechtlichen Aspekten zu regeln. Ich zitiere aus dem Koalitionsvertrag: Zudem werden wir das Insolvenzanfechtungsrecht im Interesse der Planungssicherheit ... sowie des Vertrauens der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ausgezahlte Löhne auf den Prüfstand stellen. Kernstück der Regelungen heute ist daher die Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung. Hier gab es oft Probleme, nicht zuletzt – das wurde ja schon von einigen Rednern angesprochen – durch die unterschiedlichen Rechtsprechungen des Bundesarbeitsgerichtes, des Bundesgerichtshofs – und nicht zu vergessen – die zahlreichen obergerichtlichen Entscheidungen zu den Haftungsansprüchen von Insolvenzverwaltern, wenn sie in der gängigen Praxis früherer Jahre nicht angefochten haben; denn Rechtsgeschäfte mit dem Schuldner unterliegen bis zu zehn Jahren rückwirkend der Anfechtung. Lassen Sie mich kurz die häufigsten drei Beispiele nennen, in denen dies zum Tragen kam. Erstens. Arbeitnehmer vereinbaren mit ihrem Betrieb, der sich in Schieflage befindet – manchmal ist dies noch nicht ersichtlich –, dass sie für ein geringeres Gehalt arbeiten, um nach Insolvenzeröffnung nicht nur zu erfahren, dass der Arbeitsplatz weg ist, sondern nun auch noch erfahren, dass bereits gezahltes Gehalt an den Insolvenzverwalter zurückzuzahlen ist. Zweitens. Handwerker, meist kleine und mittelständische Unternehmer, gestatten ihren Lieferanten, mit denen sie schon lange in Geschäftsbeziehungen stehen, Stundungen oder Ratenzahlungen, um deren Liquidität und letztendlich die Geschäftsbeziehung zu erhalten. Der Geschäftspartner geht in Insolvenz, und es passiert, dass die Zahlungen an den Insolvenzverwalter zurückzuzahlen sind. Drittens. Ein Gläubiger bemüht sich, wegen mangelnder Zahlung bei Gericht ein Urteil zu erwirken, beauftragt den Gerichtsvollzieher, und der vereinbart ordnungsgemäß, so wie es das Gesetz will, eine Ratenzahlung. Am Schluss bleibt der kleine Unternehmer auf den Kosten sitzen, weil er zurückzuerstatten hat. Alle drei Fälle führen zu Ergebnissen, die im schlimmsten Fall sogar die Existenzgrundlage der betroffenen Gläubiger ernsthaft bedrohen, weil die Rückforderungen bis zu zehn Jahre danach erhoben werden können. Verständlich ist das nicht – und gerecht allemal nicht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Diese Ungerechtigkeit zu beseitigen, nachzujustieren, wo es notwendig ist, gleichzeitig aber möglichst wenig in die Systematik der Insolvenzordnung einzugreifen, das unternimmt der heute in erster Lesung vorliegende Gesetzentwurf. Kern der Änderung, die ausdrücklich Vermögensverschiebungen oder Bankrotthandlungen ausnimmt, weil diese keine Privilegierung verdienen, ist die Beseitigung von Rechtsunsicherheiten bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Es geht dabei – das wurde bereits angesprochen – um die Kodifizierung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Außerdem wollen wir, um das Vertrauen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu stärken, verdienten Arbeitslohn auch behalten zu dürfen, einen Teil der Vorsatzanfechtung in das Bargeschäftsprivileg einbeziehen. Nach § 142 Absatz 1 der Insolvenzordnung soll die Anfechtung nur noch möglich sein, wenn erstens der Schuldner unlauter handelte und zweitens der Gläubiger dies auch erkannte. Zudem wollen wir die Anfechtungsfrist von zehn auf vier Jahre verkürzen. Wenig interessensgerecht fand ich auch die bisherige Regelung zur Verzinsung des Anfechtungsanspruchs, weil sie Anreize zu dessen verzögerter Geltendmachung schaffte. Deshalb sollen, wie im Gesetzentwurf vorgesehen, die Zinsen begrenzt werden, indem sie den allgemeinen schuldrechtlichen Verzugsregeln unterstellt werden. Mein Dank an dieser Stelle, meine Damen und Herren, geht vor allen Dingen an Sie, lieber Justizminister Heiko Maas, für diesen Entwurf und die konstruktiven Lösungsansätze. Ich hoffe, dass bei der öffentlichen Anhörung noch viele konstruktive Vorschläge zu den noch wenigen offenen Fragen kommen. Ich sage dies deshalb, weil ich glaube, dass an einigen Stellen noch Diskussionsbedarf besteht. So glaube ich, dass der Vorschlag im Referentenentwurf aus Ihrem Haus, Herr Minister, lediglich den zivilprozessualen, also auf dem Rechtsweg erstrittenen Titeln ein Privileg in der Zwangsvollstreckung einzuräumen, also denjenigen, die einen Zahlungsbefehl oder ein Urteil erwirken wie der einfache Handwerker, sachgerecht und angemessen war. (Beifall des Abg. Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]) Dass jedoch jetzt, vermutlich bei der Ressortabstimmung, durch Streichung des kleinen Wortes „gerichtlich“ quasi durch die Hintertür die alten, aus der Konkursordnung bekannten Fiskal- und Sozialversicherungsprivilegien wieder Einzug halten könnten – auch als Ausstandsverzeichnisse, die im einfachen Weg erstritten werden, bekannt –, dient weder der Sache und, wie ich glaube, schon gar nicht der Masse. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU] und Richard Pitterle [DIE LINKE]) Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, freue ich mich, auch nach den Wortbeiträgen und Reden des heutigen Tages, auf einen intensiven Gedankenaustausch, auf gute Anregungen in der öffentlichen Anhörung am 24. Februar und gute Ergebnisse bis zur zweiten und dritten Lesung. Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Brunner. – Der letzte Redner in dieser Debatte ist Philipp Graf Lerchenfeld für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hohes Haus! Der vorliegende Gesetzentwurf soll den Wirtschaftsverkehr und die Arbeitnehmer von Unsicherheiten im Insolvenzverfahren entlasten, die eben gerade durch die Praxis des Insolvenzverfahrens in den letzten Jahren stark hervorgerufen wurden. Es ist Ziel der Reform, die Insolvenzanfechtungen in bestimmten Punkten neu zu ordnen, wie von vielen schon dargestellt worden ist, die Gläubiger in ihren Rechten zu stärken, sodass übermäßige Belastungen des Geschäftsverkehrs und gleichzeitig vor allem auch Rechtsunsicherheiten bei Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen vermieden werden können. Es sollte dabei allerdings nicht aus den Augen verloren werden, dass das große Ziel der Reform der Konkursordnung im Jahre 1994 darin bestand, anstelle der damals üblichen Zerschlagung der in Krise geratenen Unternehmen vor allem die Möglichkeit der Fortführung der Unternehmen in den Vordergrund zu stellen. Dieses Ziel hat sich bewährt, und es sind in den letzten Jahren viele Unternehmen und damit auch viele Arbeitsplätze erhalten worden. Alle Änderungen, die wir an der Insolvenzordnung vornehmen, müssen sich deshalb an diesem Ziel messen lassen. Während der Insolvenz eines Unternehmens verändert sich grundsätzlich das Recht des Gläubigers auf Vollstreckung seiner Forderung. Ziel ist die Sicherstellung der gleichmäßigen Befriedung aller Gläubiger. Konsequenterweise können deshalb Zahlungen, die vom Schuldner in der Krise geleistet worden sind, zurückgefordert werden, damit die Gelder dann gleichmäßig auf alle Gläubiger verteilt werden können. Die Frist für diese Rückforderung betrug zehn Jahre. Man muss sich nun einmal vorstellen, was das bedeutet: Im Laufe von zehn Jahren kann es leicht passieren, dass sich ein Unternehmen, das in der Krise war, einigermaßen erholt und dann wieder in Konkurs oder Vermögensverfall gerät. Aber eine Rückforderung konnte, obwohl jeder gewusst hat, dass es dem Unternehmen wieder deutlich besser geht, zehn Jahre lang geltend gemacht werden. Das ist ungerecht, und das führt nicht dazu, dass man mit den Gläubigern vernünftig umgeht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD]) Diese Frist wird durch den Gesetzentwurf nun auf vier Jahre verkürzt, und die Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit wird durch die Kenntnis der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit ersetzt. § 142 Insolvenzordnung, der die Bargeschäfte betrifft, wird klarer formuliert, und die Arbeitnehmerrechte werden dadurch gestärkt; das ist von allen Vorrednern schon ausführlich dargestellt worden. Wichtig sind in diesem Zusammenhang natürlich auch die Zinsforderungen, für die nunmehr die allgemeinen Grundsätze gelten und die nicht mehr, wie bisher, eine Sonderstellung erhalten sollen. Problematisch sehe ich die im Gesetzentwurf vorgesehene Neuregelung des § 131 Insolvenzordnung, nach dem für alle Zwangsvollstreckungen und damit auch für die sogenannten Zwangsgläubiger der Tatbestand der Inkongruenzanforderung entfallen soll. Eine behutsame Änderung des Gesetzes ist das eigentlich nicht. (Beifall des Abg. Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]) Genügt es nicht, den Tatbestand der Inkongruenzanforderung nur auf der Grundlage eines in einem gerichtlichen Verfahren erlangten vollstreckbaren Titels zu erreichen? Es entsteht somit ein großer, wirklich großer Vorteil für öffentlich-rechtliche Gläubiger, da diese ihre Forderungen ja auch meist selbst titulieren können. Sie erhalten damit einen zeitlichen Vorzug vor privaten Gläubigern, und der allgemeine Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger kann damit eindeutig gestört werden. Es muss auch befürchtet werden, dass dadurch wieder mehr Verfahren mangels Masse abgewiesen werden, weil man schlicht und ergreifend nicht mehr über die erforderliche Masse verfügt, um das Verfahren überhaupt zu eröffnen. (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Eben!) Wichtig ist auch – ich glaube, damit sollten wir uns in den Beratungen noch ernsthaft beschäftigen –, eine vernünftige Übergangsregelung für die Verfahren, die bereits laufen, zu schaffen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich denke, hier haben wir in den Beratungen noch eine große Aufgabe vor uns. Ich hoffe, dass wir den Grundsatz, den ich eingangs genannt habe – die Fortführung des Unternehmens muss Vorrang vor der Zerschlagung des Unternehmens haben –, in den anstehenden Beratungen beachten, und ich wünsche uns zu diesem Zweck gute Beratungen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke schön, Graf Lerchenfeld. – Damit schließe ich diese sehr lehrreiche Debatte. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/7054 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Es gibt dazu keine anderweitigen Vorschläge. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Frank Tempel, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Unerlaubte Einreise von Flüchtlingen entkriminalisieren Drucksache 18/6652 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, Katja Keul, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Entkriminalisierung von Menschen ohne Aufenthaltsstatus Drucksache 18/6346 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich bitte diejenigen, die sich – warum auch immer – nicht unmittelbar für dieses Thema interessieren, den anderen die Möglichkeit zu geben, der Aussprache zu folgen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort an Ulla Jelpke für die Linken. (Beifall bei der LINKEN) Ulla Jelpke (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Einerseits garantiert das Grundgesetz Flüchtlingen die Prüfung eines Asylantrages, andererseits wird gegen die Flüchtlinge aber ein Ermittlungsverfahren wegen unerlaubter Einreise eingeleitet, wenn sie ohne Reisepass und Visum zu uns kommen, um Asyl zu beantragen. Ich meine, man erkennt auf den ersten Blick, wie absurd diese Gesetzeslage ist. Deswegen fordern die Linken heute in ihrem Antrag, klarzustellen, dass Asylsuchende, die zu uns kommen, nicht kriminell sind, sondern völlig im Einklang mit unseren Gesetzen handeln. (Beifall bei der LINKEN) Jedes Jahr führt die Bundespolizei Zehntausende von Ermittlungsverfahren wegen unerlaubter Einreise durch. Alleine im vergangenen Jahr waren es bis August 118 000 Verfahren, und inzwischen dürften es noch einige mehr sein. Nach dem Gesetz steht darauf eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr. In der Realität wird aber nur 1 Prozent der Beschuldigten tatsächlich verurteilt; denn nach internationalem Recht dürfen Asylsuchende nicht wegen illegaler Einreise belangt werden. Deswegen werden fast alle Verfahren wieder eingestellt, sobald die Beschuldigten ihren Asylantrag gestellt haben. Mit anderen Worten: Die Polizei wird vom Gesetz gezwungen, Verfahren einzuleiten, die zu 99 Prozent nur für den Papierkorb sind. Mit dieser Verschwendung der Arbeitszeit muss man – auch vor dem Hintergrund der enormen Belastung der Polizei – endlich einmal aufhören. (Beifall bei der LINKEN) Wir müssen einsehen: Flüchtlinge haben überhaupt keine andere Chance, als unerlaubt hier einzureisen, wenn sie Asyl beantragen wollen. (Marian Wendt [CDU/CSU]: Natürlich! Kontingente!) Es ist deshalb doch völlig absurd, ihnen diese Einreise strafrechtlich vorzuhalten. Ich zitiere einmal den Bundesvorsitzenden des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, André Schulz. Er sagt: Wir gewähren ein grundgesetzlich verankertes Asylrecht, haben aber so gut wie keine Möglichkeit geschaffen, damit Betroffene dieses Recht auch wirklich und auf legalem Wege in Anspruch nehmen können. Stattdessen kriminalisieren wir Asylbewerber systembedingt. Der Vorsitzende des BDK im Bundeskriminalamt, Andy Neumann, sagt: Die Kriminalpolizei in die Pflicht zu zwingen, Hunderttausende Vorgänge zu bearbeiten, die juristisch folgenlos bleiben und menschlich fragwürdig sind, ist angesichts der brutalen Überlastung der Polizei in Bund und Ländern ein Skandal. (Beifall bei der LINKEN) Auch die Gewerkschaft der Polizei teilt diese Ansicht und sagt, es sei unsinnig, die unerlaubte Einreise und den unerlaubten Aufenthalt strafrechtlich ahnden zu wollen. Es kommt wirklich selten vor, dass die Linke mit den Polizeigewerkschaften einer Meinung ist, aber hier ist das auf alle Fälle so. Ich meine, wir sollten wirklich die Konsequenzen daraus ziehen und die unerlaubte Einreise endlich aus dem Strafrecht herausnehmen; denn Flüchtlinge sind nicht illegal hier. Wenn Sie das auch juristisch klarstellen, dann ist das ein wichtiges Signal an die Flüchtlinge und auch an unsere Gesellschaft. Die Linke geht in ihrem Antrag noch einen Schritt weiter. Wir fordern nämlich auch die Entkriminalisierung von Menschen, die Flüchtlingen beim unerlaubten Grenzübertritt helfen; denn diese Helfer riskieren bislang eine Haftstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren. Bis Mitte September 2015 wurden 2 653 sogenannte Schleuser festgestellt. Um es gleich klarzustellen: Es geht uns hier nicht um die bandenmäßigen Schleuser, die Leib und Leben von Schutzsuchenden aufs Spiel setzen und dafür auch zu Recht bestraft werden. Uns geht es um die aus humanitären Gründen Handelnden, um Menschen, wie beispielsweise Hanna L., der ein syrischer Christ ist, in Essen lebt und seit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien 270 Menschen aus seiner syrischen Heimat geholfen hat, aus der dortigen Hölle herauszukommen. Er wurde zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt und muss eine hohe Geldstrafe zahlen. Wir meinen, völlig zu Unrecht. (Beifall bei der LINKEN – Marian Wendt [CDU/CSU]: Der Richter aber nicht!) Für uns Linke ist die Rettung von Menschen aus Not eine achtbare Tat. Menschen zu retten, ist vorbildlich. Man darf sie nicht unter Strafe stellen. Ich weiß, Sie von der CDU/CSU werden hier vor allen Dingen gleich wieder von einer fatalen Signalwirkung sprechen. Ich will Ihnen dazu sagen, dass ich das für Quatsch halte. Wer Gründe hat, zu fliehen, bleibt nicht weg, weil es hier ein Ermittlungsverfahren wegen illegalen Grenzübertritts gibt. Es gibt keinen vernünftigen Grund dafür, Flüchtlinge und ihre Helfer wegen angeblich unerlaubter Einreise zu kriminalisieren. Wer das will, dem geht es nur darum, seine Ressentiments gegen Flüchtlinge zu pflegen. Wir sagen: Entlasten wir die Polizei und die Ermittlungsbehörden, entkriminalisieren wir die Flüchtlinge, nehmen wir die Asylgarantie des Grundgesetzes ernst. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Ulla Jelpke. – Nächster Redner in der Debatte ist Marian Wendt für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Marian Wendt (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „… ein Staat ohne Grenzen gibt sich selbst auf“. – Das ist ein schöner kurzer Satz des Herausgebers der Zeitung Die Welt, Stefan Aust, in einem Artikel der letzten Tage. Ein Staat ohne Grenzen gibt sich selbst auf – oder anders formuliert: Ein Staat, der diese Grenzen gar nicht schützt, gibt sich selbst auf. – Ein europäisches Grenzregime, das wir im Rahmen von Schengen vereinbart haben, entbindet uns auch weiterhin nicht von der Kontrolle unserer nationalen Grenzen. Auch wenn es keine stationären Grenzkontrollen mehr gibt, wie wir sie noch vor 15, 20 oder 25 Jahren hatten, bleibt der illegale Grenzübertritt in die Bundesrepublik Deutschland weiterhin strafbar. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Wie in jedem Land!) Ich sage Ihnen: Die illegale Einreise ist auch aus guten Gründen strafbar. Ich führe in meiner Rede gerne die wesentlichen Punkte dazu auf: (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Jetzt sind wir gespannt!) Den in der Genfer Flüchtlingskonvention vereinbarten Schutz vor Strafverfolgung bei illegaler Einreise können die meisten Flüchtlinge in Deutschland gar nicht in Anspruch nehmen. Sie sind nämlich grundsätzlich über sichere Drittstaaten eingereist – und eben nicht unmittelbar aus einem Gebiet, in dem sie gefährdet sind. So viel zur Rechtslage. Schutz finden sie auch in Österreich und in Slowenien, auf dem Balkan oder in anderen Staaten, aus denen sie hierher eingereist sind. Deutschland ist umgeben von sicheren Drittstaaten. Das ist nun einmal so wegen unserer geografischen Lage. Dass wir in Deutschland dennoch zurzeit eine so große Menge an Menschen aufgenommen haben und diese nicht wegen illegaler Einreise bestraft werden, ist ein der humanitären Situation geschuldeter Umstand. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das folgt aus Artikel 31 der Genfer Flüchtlingskonvention! Das ist keine Wohltat, das ist internationales Recht, Herr Wendt!) Die Bundesregierung hat am 4. September 2015 erkannt, dass die Situation in Budapest und in den Regionen Südosteuropas zu kippen droht. Wir erinnern uns alle an die Bilder vom Budapester Bahnhof. Deshalb haben wir aus europäischer Solidarität unsere Grenzen geöffnet. Diese Katastrophensituation vom 4. September kann aber kein Dauerzustand sein, und wir sind bereits dabei – wie die Kontrollen in Österreich und in Sachsen mittlerweile belegen –, Stück für Stück wieder zu einem geordneten Verfahren zurückzufinden. Auch Zurückweisungen – das haben wir in den letzten Tagen erfahren – finden statt und machen die Grenze Stück für Stück sicherer. Die Genfer Flüchtlingskonvention kann daher kein Argument sein, den illegalen Grenzübertritt in die Bundesrepublik zu entkriminalisieren. Das Argument der Linken, (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ein gutes Argument!) man sollte als entlastendes Element für die deutschen Behörden illegale Einreise straffrei stellen, weil dieser Straftatbestand ohnehin durch die Genfer Flüchtlingskonvention, das EU-Recht und das Grundgesetz aufgelöst würde, geht also fehl. Man könnte auch sagen: Wir schaffen einfach das Asylverfahren ab. Das wäre auch eine Form von Entbürokratisierung, aber keine Form von Rechtsstaatlichkeit. Ferner gehen Sie in Ihrem Antrag auf Grenzkontrollen ein. Sie wollen, dass der Bundestag die Bundesregierung auffordert, von grenzsichernden Maßnahmen abzusehen. Diese Forderung halte ich – aus den eben genannten Gründen, so die mangelhaft gesicherten Außengrenzen der EU – für naiv bis gefährlich. Vielmehr brauchen wir bessere, effizientere Grenzkontrollen. Sie sollten temporär und stationär durchgeführt werden sowie auch Schleierfahndungen und sogenannte Binnengrenzkontrollen umfassen. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Wollen Sie die Mauer wieder?) – Wir wollen keine Mauer, meine Damen und Herren. Die Linkspartei kennt sich da ja bestens aus. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Reflexe funktionieren!) Wir wollen aber eine Kontrolle derer, die in unser Land kommen. Dass wir über die Mittel verfügen, um die öffentliche Sicherheit wieder herzustellen, haben wir bereits unter Beweis gestellt. Ich erinnere an den G7Gipfel. Da hatten wir ordentliche Einreisekontrollen, (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Sehr hohe!) ohne dass unsere Freiheit in Europa oder der lokale Grenzverkehr gefährdet waren oder gar die Rechtsstaatlichkeit infrage gestellt wurde. Die Effizienz dieser temporären Grenzkontrollen rund um den G7Gipfel brauche ich, denke ich, nicht näher zu erläutern. Darüber haben wir im Innenausschuss intensiv diskutiert und haben die Diskussion mit einem positiven Ergebnis beendet. Zusätzlich ginge mit der entkriminalisierten und damit letztlich nicht zu kontrollierenden Einreise die Aufgabe des Schutzes des deutschen Staatsgebietes einher. In Anbetracht der Tatsache, dass die europäischen Außengrenzen nicht hinreichend geschützt werden, wäre dies ein fataler Fehler. Ihre Stoßrichtung hin zu Grenzen ohne jede Kontrolle lässt sich auch in einem anderen Lichte betrachten. Die Signalwirkung wäre nämlich verheerend. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Sie haben offensichtlich nichts verstanden!) Gerade jetzt, da die Zahl der Flüchtlinge wenigstens langsam zurückgeht, wäre es geradezu sträflich, weitere Anziehungsfaktoren einzurichten. Die Entkriminalisierung der illegalen Einreise mag in Ihren Augen vielleicht keinen großen Effekt haben und sogar gut sein. Aber die Anreizstrukturen für die Menschen, gerade nach Deutschland zu kommen, sind vielfältig. Die illegale Einreise straffrei zu stellen, wäre ein solcher Anreiz ebenso wie die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach!) Andererseits würden wir den Migrationsdruck auf unsere europäischen Nachbarn erhöhen, wenn Deutschland auf einmal anfangen würde, alle Grenzen zu öffnen. Wer litt denn zunächst unter dieser vermeintlichen Grenzöffnung, wie Sie sie hier beschrieben haben? Die Nachbarstaaten auf dem Balkan, die von all denen, die hier nach Deutschland kommen, durchquert werden. Auch das wäre ein Aussetzen von europäischer Solidarität. Der Tod der 71 Syrer in einem ungarischen Lkw im August letzten Jahres in Österreich ist uns allen eine Mahnung. Deswegen haben wir am 4. September 2015 richtig gehandelt. Schleusung zu entkriminalisieren, (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Humanitäre Schleuser!) auch für diejenigen, die in diesem Geschäftsfeld aus angeblich edlen Motiven tätig sind, können wir nicht zulassen. Die Hilfe zur illegalen Einreise ist und bleibt strafbar, und das ist auch gut so. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn die Haupttat nicht strafbar ist, bleibt auch die Beilhilfe nicht strafbar!) Einen viel klügeren Schritt – darauf möchte ich nach der ganzen Analyse eingehen – haben wir gestern Abend unternommen, um wieder zu sicheren Grenzen zu kommen. Mit dem Datenaustauschverbesserungsgesetz haben wir eine echte Entlastung für alle Behörden geschaffen, die mit der Bewältigung der Flüchtlings- und Asylkrise betraut sind. Es ist doch ein Hauptanliegen Ihres Antrags, dass wir die Behörden entlasten und dass wir der Polizei wieder mehr Möglichkeiten geben, die Grenzen wirklich zu sichern und nicht nur Papier zu verschieben. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das haben Sie verstanden!) Deswegen reduzieren wir mit dem Gesetz den Aufwand dort, wo er wirklich anfällt. Wir wissen künftig, wer kommt. Wir wissen, wer bei uns ist. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das wissen wir auch so!) Und es ist uns auch klar, ob Terroristen unter den Ankommenden sind. Damit können wir auch besser unterscheiden, wer Hilfe braucht und wer nicht. Bei der Registrierung und Aufnahme von Flüchtlingen und Asylbewerbern, vor allen Dingen bei der Abwicklung der Verfahren, besteht derzeit ein Engpass; darin sind wir uns sicherlich einig. Da besteht Handlungsbedarf, den wir mit Mitteln der digitalen Verwaltung angegangen sind. Es freut mich daher, dass wir das ängstliche Datenschutzdenken aus der Zeit des Volkszählungsgesetzes ablegen und uns etwas trauen. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie noch gar nicht gelebt, Herr Wendt! – Mechthild Rawert [SPD]: Wie alt waren Sie denn da?) Sie haben sich dankenswerterweise bei der Abstimmung über das Datenaustauschverbesserungsgesetz enthalten und damit Ihre Unterstützung für dieses Gesetz gezeigt. Das Kerndatensystem, auf das fast alle mit der Unterbringung, Betreuung und Erfassung betrauten Behörden zugreifen können, ist ein mutiger Schritt. Die Mittel der modernen Verwaltung zu nutzen, sollte für unsere normalen Verwaltungsprozesse beispielhaft sein. Dort sind wir vielleicht noch nicht mutig genug. Aber wir werden dieses gute Beispiel als Blaupause nehmen können. Die lückenlose Erfassung all derer, die Schutz in Deutschland suchen, und derer, die sich hier illegal aufhalten, ist vor dem Hintergrund der Ereignisse der vergangenen Monate geboten. Die leider mittlerweile zahlreichen Anschläge in Frankreich, die Ereignisse von Köln, Hamburg, Istanbul und anderen europäischen Städten sowie die Lage im Nahen Osten erfordern eine Zusammenarbeit und einen besseren Datenaustausch unserer Sicherheitsbehörden. (Beifall bei der CDU/CSU) Das Datenaustauschverbesserungsgesetz ist dazu die nötige Grundlage. Lassen Sie mich also zusammenfassen: Eine Entkriminalisierung der illegalen Einreise wäre aus verschiedenen Gründen ein Fehler: wegen der falschen Anreize, wegen der Pull-Faktoren und auch in Bezug auf die Kontrolle derer, die ankommen. Denn wir müssen es vielleicht noch einmal klar sagen: Die Mehrheit der Menschen, die zurzeit an unsere Grenze strömen, kommen aus Gebieten, die normalerweise einem zweistufigen Visaverfahren unterliegen, das insbesondere eine nachrichtendienstliche Kontrolle zum Bestandteil hat. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dass es nicht strafbar ist, heißt nicht, dass sie nicht trotzdem gehen müssen! Was ist denn das für ein Unsinn?) Deswegen kommen wir mit unserem Datenaustauschverbesserungsgesetz genau zu dem Ziel, das Sie fordern, aber ohne unsere Staatlichkeit aufzugeben. Wir sichern unsere Grenze, sorgen für eine ordentliche Registrierung, und wir werden auch in Zukunft in Abstimmung mit unseren europäischen Partnern dafür sorgen, dass wir zu einem kontrollierten Grenzzustand kommen – ohne die Freiheit, die Reisefreiheit, die Wirtschaftsfreiheit und die Dienstleistungsfreiheit, in Europa aufzugeben – und trotzdem allen Menschen, die hier leben wollen und des Schutzes – auch unseres Schutzes – bedürfen, Hilfe gewähren. (Mechthild Rawert [SPD]: Das ist ein Trugschluss!) Wir werden in den anstehenden Beratungen weiter über den Gesetzentwurf und den Antrag debattieren. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Wendt. – Nächster Redner in der Debatte: Volker Beck für Bündnis 90/Die Grünen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Wendt, das mit dem Strafrecht haben Sie nicht ganz verstanden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Marian Wendt [CDU/CSU]: Aber Sie!) Dass man es nicht zur Straftat macht, dass jemand illegal die Grenze übertritt, heißt noch nicht, dass er sich legal hier aufhalten darf, wenn er kein Flüchtling oder Tourist ist und kein Visum hat. Wenn er keinen entsprechenden Grund für den Aufenthalt und keinen entsprechenden Titel hat, dann muss er unabhängig von der Strafbarkeit der illegalen Einreise selbstverständlich das Land verlassen. Dass diese Rechtsfolge nicht mehr gegeben ist, wenn wir das aus dem Strafgesetzbuch herausnehmen, wird damit nicht bewirkt. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Es gibt dann diese Rechtsfolge nicht mehr!) Das sollten Sie eigentlich bei der Vorbereitung der Rede durchdacht haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Aber Sie liegen noch in einem weiteren Punkt falsch. Sie haben davon gesprochen, dass wir von sicheren Drittstaaten umgeben sind. Das ist zwar richtig, es hat aber mit dieser Materie nichts zu tun. Das sieht übrigens auch die Bundesregierung so. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Stuttgart und des Oberlandesgerichts Düsseldorf vertritt auch die Bundesregierung die Auffassung, dass der Schutz des Artikel 31 Absatz 1 Genfer Flüchtlingskonvention nicht bereits durch die Einreise über einen sicheren Drittstaat verloren geht, wenn die Flucht dort nicht schon beendet war. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Die Flucht!) So weit zu der Frage der zwingenden Straflosigkeit für Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention bei der illegalen Einreise. Deshalb ist es doch richtig, zu sagen, dass die Straftaten nach dem Aufenthaltsgesetz in Bezug auf Flüchtlinge als kaum vermeidbare Ordnungswidrigkeiten zum Zweck der Vorbringung begründeter Schutzersuchen erscheinen. Das muss überwunden werden, weil es keinen Sinn macht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Trotz der rechtlichen Voraussetzungen, in Deutschland Asyl zu beantragen oder den Flüchtlingsstatus zu erhalten, existieren nach dem Aufenthaltsgesetz Straftaten, welche nahezu jeden der Antragsteller betreffen. Demnach ist die Einreise ohne einen gültigen Aufenthaltstitel (Visum) per se eine Straftat, welche eine polizeiliche Bearbeitung nach sich zieht. Gibt der Betroffene seine Absicht kund, in Deutschland Asyl beantragen zu wollen, zieht dies keine strafrechtlichen Konsequenzen nach sich, – das ist auch richtig – dennoch führt diese Gesetzeslage dazu, dass ein Großteil der Flüchtlinge in Deutschland durch die Straftat der illegalen Einreise polizeilich bearbeitet wird, was auch das Erfassen und Speichern von Lichtbildern und Fingerabdrücken umfasst. Dies ist nicht nur enorm zeitaufwendig und personalbindend, sondern erscheint unter Berücksichtigung des Mangels an legalen Einreisemöglichkeiten widersprüchlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Dem kann man eigentlich nichts hinzufügen. Das ist aber kein Grünen-Duktus oder Linken-Duktus, sondern das ist ein wortwörtliches Zitat des Bundes der Kriminalbeamten, der nämlich sagt: Wir wollen mit so einem Unsinn nicht unsere wertvolle Arbeitszeit verbringen; wir wollen weder Justiz- noch Polizeiressourcen für etwas binden, das ohnehin zu nichts anderem als zu Verfahrenseinstellungen führt; wir haben weiß Gott Wichtigeres zu tun. – Da ist der Polizei nur beizupflichten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Nein! Sie haben sich an Recht und Gesetz zu halten!) – Wie bitte? (Manfred Grund [CDU/CSU]: Sie haben sich an Recht und Gesetz zu halten! Dafür werden sie bezahlt!) – Wollen Sie eine Zwischenfrage stellen? Ich lasse die Zwischenfrage zu, Frau Präsidentin. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Sie haben mich gefragt!) – Wenn Sie keine Zwischenfrage stellen, können wir kein Gespräch führen. Das ist Ihre Entscheidung. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Meine Entscheidung ist, dazwischenzurufen oder nicht dazwischenzurufen!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Grund hat das Recht, dazwischenzurufen, ohne anschließend eine Frage zu stellen. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Ich möchte das nicht kriminalisiert haben!) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist absurd, dass jeder Flüchtling qua Flüchtlingsstatus beim Grenzübertritt eine Straftat begeht. Das müssen wir überwinden. Es kommt aber noch absurder. Ich habe die Bundesregierung gefragt, wie es um die Beihilfe von Menschen bestellt ist, die sich ehrenamtlich in Flüchtlingsinitiativen engagieren. Die Bundesregierung kann nicht ausschließen, dass diese Menschen strafrechtlich belangt werden. Die Anzahl der Ermittlungsverfahren ist der Bundesregierung in diesem Zusammenhang nicht bekannt. Wir wollen, dass uns die Bürgerinnen und Bürger helfen und sich bei der Aufnahme der Flüchtlinge engagieren, und setzen sie gleichzeitig bei bestimmten Hilfsmaßnahmen der Gefahr aus, strafrechtlich verfolgt zu werden. Das ist doch eine absurde Situation. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Es ist nicht so, dass das nicht passiert. Stichwort „Schwedentickets“ – Luise Amtsberg, das ist ein Beispiel aus Deiner Region –: Die Staatsanwaltschaft überprüfte die Strafbarkeit von Flüchtlingshelfern in Schleswig-Holstein, die Tickets gekauft haben, damit Menschen nach Schweden weiterreisen können. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können gleich bei mir anfangen!) Das ist doch ein absurder Vorgang. Der Staatsanwalt hat geäußert, dass es eine rechtlich hochinteressante Frage sei, ob das strafbar ist oder nicht, auch wenn das im Ergebnis nicht entscheidend sei, da die Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt werden. Sind wir denn völlig verrückt geworden, unsere Justiz mit so etwas zu belasten? Lassen Sie uns ein Signal setzen: Die illegale Einreise von Flüchtlingen ist nicht strafbar. Da das so ist, müssen auch keine Verfahren eröffnet werden. Nehmen wir es also aus dem Strafgesetzbuch heraus! Menschen, die Flüchtlinge unterstützen, ohne habgierige und unverantwortliche Schleuser zu sein, sollen ebenfalls nicht belangt oder der Gefahr ausgesetzt werden, dass ihnen ihr ehrenamtliches Engagement zu guter Letzt auf die Füße fällt. Das wäre eine sinnvolle Maßnahme für Humanität und Entbürokratisierung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wenn wir die Ressourcen unseres Staates nicht für sinnloses Zeug wie Ihre konservative Ideologie verschleudern, dann können wir guten Gewissens sagen: Wir schaffen das! – Wenn Sie so weitermachen wie bisher, ist das allerdings sehr zweifelhaft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Volker Beck. – Das Wort als nächster Redner hat Sebastian Hartmann für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sebastian Hartmann (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um nicht nur auf den Antrag der Linken einzugehen, sondern auch auf die im Mittelpunkt stehende Frage, wie wir Deutschen in dieser Lage unserer internationalen Verantwortung gerecht werden. Die Dimension dieser Frage macht es notwendig, eine Antwort auf mehreren Ebenen zu geben. Es gibt eine internationale Verpflichtung, eine Verpflichtung und eine Verantwortung gegenüber unseren Bürgern, aber auch eine Verantwortung gegenüber den Beschäftigten in Polizei und Justiz. Die Linken greifen einen Aspekt heraus. Das ist eine singuläre Betrachtungsweise. Aber ich möchte auf diesen Punkt eingehen und werde Ihnen darlegen, dass wir unserer internationalen Verantwortung gerecht werden. Die Genfer Flüchtlingskonvention wurde schon angesprochen. Hier ist die erste Verantwortung, die unser Land hat; denn für uns gilt die Genfer Flüchtlingskonvention nicht nur dann, wenn sie nicht zur Anwendung kommt, sondern auch dann, wenn Menschen in unser Land flüchten und sich auf diese Konvention berufen. Die Ausführung der Bundesregierung, dass die Einreise über einen Drittstaat unter die Genfer Flüchtlingskonvention fällt, ist noch einmal zu unterstreichen. Aber das soll uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass das, vor dem wir stehen, uns, unseren Staat und unsere Gesellschaft, vor enorme Herausforderungen stellt. Im Mittelpunkt steht daher der handlungsfähige Staat. Es ist unsere Verantwortung, den Staat so zu organisieren, dass er handlungsfähig ist. Ich möchte in diesem Zusammenhang einen Gedanken des Justizministers aufgreifen und darauf hinweisen, dass das Recht nur so viel wert ist, wie es durchgesetzt wird. Unter diesem Aspekt sollten wir unsere Aufmerksamkeit auf die Frage lenken, wie wir das verfahrensökonomisch so gestalten, dass sich die Bediensteten in Polizei und Justiz auf das Wesentliche konzentrieren können. Ich habe ausgeführt, dass wir unserer internationalen Verantwortung gerecht werden. Das zeigt unser gesetzgeberisches Handeln im Zusammenhang mit dem Aufenthaltsgesetz. In Abschnitt 5 dieses Gesetzes wird ausdrücklich Bezug auf Artikel 31 der Genfer Flüchtlingskonvention genommen und dargelegt, dass Artikel 31 Absatz 1 des Abkommens über die Rechtsstellung von Flüchtlingen unberührt bleibt. Darin haben wir das abgebildet, wozu wir uns international verpflichtet haben. Wir werden aber die Frage, wie wir das verfahrensökonomisch abbilden, vielleicht auch anders beantworten können. Darüber werden wir zu reden haben. Die Bundesregierung selbst hat in ihrer Antwort auf die Fragen auch der Linken dargelegt, dass im Übrigen nicht die Tatsache der Asylbeantragung, sondern erst der anerkannte Status als Schutzbedürftiger die Strafbarkeit wegen unerlaubter Einreise aufhebt. Ich ergänze, dass nach weitergehender Auffassung und auch nach der Rechtsprechung klar ist, dass die Genfer Konvention in diesem Falle mit der entsprechenden Antragstellung als Strafaufhebungsgrund wirkt. Das gilt auch dann, wenn das Verfahren nachher bestandskräftig abgelehnt wird. Aber danach wird der Ausländer eben ausreisepflichtig, und so haben wir das in unserem Verfahren auch ordentlich geregelt. Deswegen finde ich die Überschrift Ihres Antrags „Unerlaubte Einreise von Flüchtlingen entkriminalisieren“ falsch. Wir kriminalisieren Flüchtlinge nicht. Auch das ist Teil unserer internationalen Verantwortung. Es ist unredlich, das Ganze hier anders darzustellen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Lassen Sie mich auf den zweiten Punkt des Antrags eingehen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie bringen sie schon erst einmal in die strafrechtliche Mühle!) – Herr Volker Beck, ich darf Ihren Ansatz aufgreifen und Sie fragen, wie Sie eben den Kollegen gefragt haben: Ist das eine Zwischenfrage? (Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Vizepräsidentin Claudia Roth: Gut. Dann fragt die Präsidentin, ob Herr Hartmann es möchte, dass Herr Beck eine Zwischenfrage stellt. Sebastian Hartmann (SPD): Ja. Dann werde ich antworten: Vielen Dank. Aber ich glaube, wenn meine Ausführungen zu Ende sind und Sie dann noch eine Frage haben, können Sie die stellen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt haben Sie gedacht, ich sei so feige wie Ihr Kollege!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Moment. Das ist jetzt ein Eingriff in das Recht des Kollegen Beck zu einer Zwischenfrage. – Herr Beck kann jetzt fragen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin, Herr Hartmann. – Ich wollte Sie fragen, ob Sie Ihrer eigenen Logik folgen, wenn Sie die Linken kritisieren. Die Überschrift des Antrags ist natürlich ein bisschen kursorisch; das gebe ich zu. Aber trotzdem ist die Abfolge doch so: Der Flüchtling übertritt die Grenze. Die Polizei stellt den illegalen Grenzübertritt als Tatbestand fest. Dann nimmt sie Fingerabdrücke, macht ein Lichtbild, stellt die Identität fest. Das ist ein Riesenbrimborium, und das alles kostet Geld und Arbeitskapazitäten. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das ist auch richtig!) Dann sagt der Flüchtling: Asyl. – Das nimmt die Staatsanwaltschaft irgendwann zur Kenntnis, und sie macht einen Stempel auf die Akten mit dem Vermerk „eingestellt“. Natürlich wird die Person nicht strafrechtlich verfolgt, aber die ganzen polizeilichen Ermittlungsmaßnahmen, die Geld kosten und Ressourcen binden, finden statt. Deshalb ist der Antrag zwar, wie ich finde, etwas schlank formuliert, aber im Kern trifft der Grundgedanke doch die Sache. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Hartmann. Sebastian Hartmann (SPD): Ich werde mir jetzt redlich Mühe geben, aus Ihren Ausführungen eine Frage zu extrahieren. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die ergibt sich aus der Sprachmelodie!) Ich darf mit Ihren eigenen Worten, die Sie vor zwei Minuten hier im Plenum verwendet haben, antworten: Die illegale Einreise ist nicht strafbar. Das ist nachzulesen im Protokoll des Bundestags vom heutigen Tage. Das haben Sie selbst in Ihrer Bundestagsrede ausgeführt. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber diese ganze Ermittlungsaufwand passiert doch!) Sie wollen über die verfahrensökonomische Frage reden, das heißt darüber, ob dieser Ermittlungsaufwand gerechtfertigt ist. Ich habe zu Anfang, als ich auf Ihren Fragewunsch eingehen wollte, darauf hingewiesen, dass ich in meiner Rede dazu Ausführungen machen werde. Ich habe jetzt die Gelegenheit, Ihre Frage zu beantworten, und sage, dass es andere Varianten geben wird, als das über die Strafbarkeit zu regeln. Aber es wird darauf ankommen, bestimmte Tatbestände eben auch strafbar zu halten. Ich denke dabei zum Beispiel an das Schleusen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schauen Sie in unseren Gesetzentwurf! Da ist das vernünftig geregelt!) Darum muss man sehr genau überlegen, wie man das regelt. Ich möchte auf die Verantwortung gegenüber den Beschäftigten der Bundespolizei eingehen. Es wird nach wie vor den Tatbestand geben, dass jemand die Grenze übertritt, auch ohne konkreten Bezug zum Flüchtlingsstatus, und damit möglicherweise ein Aufenthalt in unserem Land illegal ist. Wenn wir dem Antrag der Linken folgen würden, dann könnten wir bestimmte abschreckende und generalpräventive Maßnahmen, zum Beispiel gegen Menschenhandel oder gegen illegale Beschäftigung, nicht mehr treffen. Der Aufenthaltstitel gilt nämlich an der Stelle nicht nur für Flüchtlinge. Ich möchte auch auf den zweiten Gedanken zu sprechen kommen. Wir haben die Verpflichtung, einen handlungsfähigen Staat zu schaffen. Dieser Verpflichtung sind wir hier im Plenum durch eine Vielzahl von Maßnahmen und einzelnen Paketen – Stichwort „Asylpakete“ – gerecht geworden. Wir wollen die Verfahren vereinfachen. Darauf haben die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land einen Anspruch. Wir wollen nämlich Recht und Ordnung ebenso wie Sicherheit garantieren. Aber damit haben wir auch die Verantwortung, geordnete Verfahren, insbesondere schnelle und effiziente Asyl- und Anerkennungsverfahren, durchzuführen, wobei wir trotzdem unserer internationalen Verantwortung gerecht werden müssen. Mit dem Bezug auf das Schengen-System, das nicht dauerhaft außer Kraft gesetzt werden soll, und die zeitweilige Einführung von Grenzkontrollen geht es im Kern aus meiner Sicht darum, wieder zu geordneten Verfahren zu kommen. Wir müssen wissen, wer einreist. Wir müssen die Identität der Einreisenden feststellen, und wir müssen dafür sorgen, dass diejenigen, die bei uns bleiben können, schnell in ein Integrationsverfahren eintreten können. Was die Forderung angeht, die Sie in Ihrem Antrag ebenfalls gestellt haben, nämlich die Grenzkontrollen entfallen zu lassen: Dessen bedarf es nicht. Es geht darum, zu geordneten Verfahren zu kommen. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind Verfechter eines freien und offenen Europas. All diejenigen, die meinen, mit immer mehr und immer höheren Grenzzäunen das Europa, das auf einem Konzept und einer Idee beruht, sichern zu können, würden das Gegenteil von dem erreichen, was wir ja gerade wollen: ein Europa der freien Grenzen. Das setzt aber zwingend die Sicherung der Außengrenzen voraus. Hierfür werden wir uns weiterhin einsetzen. Wir müssen die Kontrollen an dieser Stelle aber vor allen Dingen unter dem Aspekt betrachten, dass wir zu einer Ordnung im Verfahren kommen wollen, damit wir auch über die erkennungsdienstliche Behandlung vorankommen können. Hier gibt es einen Unterschied: Die erkennungsdienstliche Behandlung der in unser Land Einreisenden entspricht nicht der von Straftätern – das hat die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Fragen der Linken dargelegt –, sondern es wird analog zum Asylverfahrensgesetz vereinfacht erkennungsdienstlich behandelt, weil erkannt wird, welcher Verwaltungsaufwand damit verbunden ist. Ich komme zum nächsten Punkt, nämlich zu unserer Verantwortung gegenüber den Beschäftigten von Polizei und Justiz. Wir werden unserer Verantwortung gerecht. Zum einen haben wir uns als SPD-Bundestagsfraktion sehr deutlich dafür eingesetzt, 3 000 neue Stellen bei der Bundespolizei zu schaffen. Wir haben das durchgesetzt, wir stehen dazu, und wir sind darauf stolz. (Beifall des Abg. Ulrich Freese [SPD]) Wir haben die Forderung erhoben, 12 000 neue Beschäftigte bei Landespolizeien und Bundespolizei einzustellen. All das dient dazu, dem effizienten Staat die Möglichkeit zu geben, handlungsfähig zu sein. (Beifall bei der SPD) Ich möchte an dieser Stelle aber auch den Bundespolizisten, den Landespolizisten und allen Justizbediensteten danken. Mir ist sehr bewusst, dass es zu einer Vielzahl von Überstunden und aufgeschobenen Urlaubstagen kommt, wenn man hier seiner Verantwortung gerecht werden will. Mein Dank gehört ihnen allen ebenso wie den Ehrenamtlichen, die sich darum kümmern, dass Flüchtlinge, die hier einreisen, aufgenommen und unterstützt werden. Danke hierfür! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir werden durch effiziente Verfahren und Gesetze diesen Menschen ermöglichen, ihrer Arbeit möglichst gut nachzugehen. Der Antrag der Linken und die Ausführungen des Kollegen Beck haben auf das hingewiesen, was der Bund Deutscher Kriminalbeamter gesagt hat, und wir nehmen diese Hinweise ernst. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die GdP hat das auch gefordert!) Wie bereits ausgeführt, wird der Flüchtling bzw. der Asylsuchende, der aufgegriffen wird, erkennungsdienstlich behandelt. Das bedeutet einen Verwaltungsmehraufwand und eine Belastung der Polizei- und Justizbehörden. Das will niemand wegdiskutieren. Wir reagieren darauf über die Verfahrensvereinfachungen. Aber allein die Aussage, dass die Fallzahl von 42 000 Fällen im Jahr 2014 auf 90 000 Fälle in den ersten drei Quartalen im Jahr 2015 gestiegen ist – verwiesen sei auch auf die 118 000 beanzeigten illegalen Einreisen – ist keine Aussage, die den Schluss zulässt, dass dieses Verwaltungsverfahren keinen Sinn hat. Sie zeigt eher auf, dass die Kontrollen eine Wirkung entfalten und eine statistische Folge haben. Aber wir brauchen einen ganzheitlichen Ansatz, um die Migration in unserem Land zu steuern. Das muss von illegaler Einreise und von illegalem Aufenthalt klar getrennt werden. Man kann das eine tun, ohne das andere zu lassen. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter hat etwas ausgeführt, was leider noch nicht Gegenstand der Debatte war: Er hat in seinen Diskussionsbeiträgen die Verabschiedung eines Einwanderungsgesetzes gefordert. (Beifall bei der SPD) Das ist etwas, was die SPD-Bundestagsfraktion schon seit vielen Jahren fordert. Ich möchte diese Forderung unterstreichen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Legen Sie doch eins vor! Sie sind doch an der Regierung!) Dies gibt uns die Gelegenheit, aufgeworfene Fragen der Strafbarkeit, aber auch Fragen, die Ordnungswidrigkeiten betreffen, zu regeln. Ich glaube, dass wir an dieser Stelle unserer Verantwortung gegenüber den Bediensteten im öffentlichen Dienst mehr als gerecht werden können. Ein Blick nach Österreich zeigt: Dort ist die unerlaubte Einreise lediglich ein Verwaltungsverstoß; die Sicherheit der Grenze wird damit nicht in Abrede gestellt. Deswegen werden wir diese Hinweise aufnehmen. Das ist ein Unterschied zum Antrag der Linken; denn hier geht es eben nicht darum, unter der falschen Überschrift der Kriminalisierung von Flüchtlingen eine Abschaffung oder eine Änderung des Gesetzes zu fordern. Wir wollen an dieser Stelle einen ganzheitlichen Ansatz statt eines singulären Ansatzes, und wir wollen das Verfahren so gestalten, dass sich die Beschäftigten im öffentlichen Dienst, bei Polizei und Justiz, auf das Wesentliche konzentrieren können, nämlich auf die Verfolgung von Straftaten. (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren, das ist etwas, was wir in den Mittelpunkt der Diskussion stellen wollen. Es ist richtig, dass das jetzt ein Ansatz Ihres Antrages ist; aber ich glaube, dass das nur eine Momentaufnahme ist und nur einen einzelnen Punkt betrifft. Wenn wir das tun, dann zeigt das unsere Verantwortung, für ein insgesamt schlüssiges Verfahren zu sorgen. Wenn Sie besorgt sind, dass Flüchtlinge kriminalisiert werden, so kann ich Ihnen versichern, wie ausgeführt: Sie werden nicht kriminalisiert. Das ist schon beim Verfahrensstand von heute so. Aber wir brauchen auch eine internationale und eine europäische Regelung, um dies gemeinsam zu lösen. Wir merken im Schengen-System, dass es ohne eine europäische Lösung nicht gehen wird. Lassen Sie mich zum Ende meiner Rede noch einen Punkt ausführen. Wir müssen dafür sorgen, dass wir in dieser Diskussion in Ruhe auch über eine Verfahrensfrage reden. Wir müssen dies so organisieren, dass wir einen handlungsfähigen Staat haben. Darauf verlassen sich die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. Das ist unsere Verpflichtung, die wir Flüchtenden gegenüber haben. Ich meine auch, dass wir auf dem Weg, unserer internationalen Verantwortung gerecht zu werden, schon ein Stück weit gegangen sind. Diejenigen, die immer weiter Verschärfungen fordern oder das Kurzfristige hektisch in den Mittelpunkt stellen, werden nicht die unterstützen, die es gut meinen, die unseren Staat voranbringen wollen. Für all das brauchen wir einen Staat, der handlungsfähig ist, und eine Gesellschaft, die unterstützt wird. Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Hartmann. – Zum Ende dieser Aussprache gebe ich das Wort an Dr. Volker Ullrich – wie immer; das muss sein –, Augsburg. (Beifall bei der CDU/CSU – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann enden die Gemeinsamkeiten!) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! § 95 des Aufenthaltsgesetzes stellt die illegale Einreise unter Strafe. Es ist eine notwendige und gebotene Vorschrift. Das ergibt sich aus dem unmittelbaren Zweck des Staates selbst. Der Staat hat die Verpflichtung, die innere und äußere Sicherheit für seine Bürger zu gewährleisten. Daraus folgt, dass der Staat zur Aufrechterhaltung der staatlichen Ordnung gezwungen ist, und dies setzt voraus, dass der Staat seine Grenzen schützt. (Beifall bei der CDU/CSU) Der Schutz der staatlichen Grenzen schafft auch den notwendigen Ordnungsrahmen. Damit die Grundrechte in diesem Staat überhaupt zur Geltung kommen können, damit Bürger sich in Würde frei entfalten können, damit sie die Freizügigkeit und ihre Freiheit ausleben können, muss der Staat einen entsprechenden Rahmen setzen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müssen Sie jetzt noch mit diesen Delikten in Zusammenhang bringen! Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei dieser Denksportaufgabe! Das wird Ihnen nicht gelingen!) Grenzen schränken also die Freiheit nicht ein, sondern sie erreichen erst, dass der Staat diese Freiheit gewährleisten kann. Unser Staat hat den Schutz an das Schengensystem, das die EU-Außengrenzen schützt, delegiert – das ist richtig -; das entbindet unseren Staat aber nicht davon, seine Grenzen zu schützen. Deswegen muss klar sein: Solange der Schutz der EU-Außengrenzen nicht hinreichend gewährleistet ist, ist die Sicherung der eigenen Staatsgrenze keine Option; sie ist eine Notwendigkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn wir über die Notwendigkeit des Schutzes unserer Grenzen reden, dann muss auch etwas anderes klar sein. Dieser Staat muss wissen: Wer betritt das Staatsgebiet? (Marian Wendt [CDU/CSU]: Richtig!) Wer ist er? Woher kommt er? Was will er? Das kann man nur durch wirksame Grenzkontrollen erreichen. Das kann man nur erreichen, indem klar ist: Wer diesen Staat illegal betritt, der begeht eine Straftat. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, die mögliche Abschaffung der Strafbarkeit der illegalen Einreise wäre auch das falsche Signal in der jetzigen Debatte. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie glauben tatsächlich, die Syrer schauen bei uns ins Aufenthaltsgesetz und erschrecken sich beim § 95? – Gegenruf der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Die lesen das! Die lernen das auswendig!) Die Humanität in diesem Land ist groß. Unser Herz ist groß. Wir helfen über 1 Million Menschen, die im letzten Jahr in dieses Land gekommen sind, um hier Zuflucht zu suchen, um Schutz zu suchen, ja, um vielleicht auch ein besseres Leben zu finden. Diese humanitäre Geste unseres Landes ist eine großartige Leistung, die durch ehrenamtliche Helfer, aber vor allem auch durch die Kommunen zustande gekommen ist. Aber so groß unser Herz auch ist, (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie überhaupt eins haben!) klar wird auch, dass die Kapazitäten dieses Staates begrenzt sind. Wir können das Asylrecht nur in dem Maße gewährleisten, wie es uns, den Kommunen gelingt, eine menschenwürdige Unterbringung sicherzustellen, und wie es uns auch gelingen kann, die Integration sicherzustellen. Eine unbegrenzte Zuwanderung richtet sich sowohl gegen das, was die Kommunen leisten können, als auch gegen den grundlegenden Grundsatz der Menschenwürde. Deswegen ist eine Begrenzung der Zuwanderung notwendig und wichtig. Eine Begrenzung der Zuwanderung wird auch von den Kollegen der Linken sowie der Grünen gefordert. Ich zitiere: Natürlich gibt es Kapazitätsgrenzen, wer das leugnet, ist doch weltfremd. Das sagte vor wenigen Tagen Sahra Wagenknecht, Fraktionsvorsitzende der Linken. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das ist trotzdem nicht das Thema dieses Antrags!) Ein anderes Zitat: Wenn wir weiterhin mehr als eine Million Flüchtlinge pro Jahr aufnehmen, halte ich zwar die Unterbringung in Containern für machbar, nicht aber die Integration aller in unsere Gesellschaft. Das sagte der Oberbürgermeister der Stadt Tübingen, Mitglied der Grünen. Meine Damen und Herren, deswegen ist es wichtig, dass dieser Staat auch ein klares Signal aussendet. Das Signal heißt: Wir können die Probleme der Welt nicht lösen, indem alle Menschen zu uns kommen. (Beifall bei der CDU/CSU – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Es wollen ja auch gar nicht alle Menschen zu uns! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die einen haben Wagenknecht, die einen haben Palmer, und die anderen haben Seehofer!) Es gibt eben eine Differenzierung zwischen den Menschen, die unseres Schutzes bedürfen, und den anderen Menschen, die keinen Schutzgrund haben und die unser Land dann auch wieder verlassen müssen. In genau dieser Debatte, in der die Menschen mit großer Sorge darauf schauen, ob es der Politik in Berlin auch gelingt, eine deutliche Reduzierung der Zuzugszahlen zu erreichen, wäre es das völlig falsche Signal, zu sagen: Die illegale Einreise stellen wir auf einmal straffrei. – Das wäre das falsche Signal, ein Signal, das wir im Augenblick nicht gebrauchen können. (Beifall bei der CDU/CSU – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Meinen Sie, die Flüchtlinge lesen vorher die Gesetze, oder was?) Meine Damen und Herren, ich lade Sie ein, in der jetzigen Flüchtlingskrise unsere Verantwortung in diesem Hohen Haus gemeinsam wahrzunehmen. Diese Verantwortung bedeutet, dass wir den Kommunen und den ehrenamtlichen Helfern unter die Arme greifen, die so viel für eine humanitäre Visitenkarte für unser Land tun. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht, indem Sie sie mit Strafrecht bedrohen! Da platzt doch Ihre ganze Argumentation!) – Herr Kollege Beck, (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, Herr Ullrich?) ich bitte Sie, dass Sie hier keine Nebelkerzen zünden. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Pyrotechnik ist im Plenum nicht erlaubt! – Heiterkeit) Sie sprechen davon, wir würden ehrenamtliche Helfer kriminalisieren. Das ist schlichtweg nicht der Fall. Wenn ein ehrenamtlicher Helfer einem Flüchtling in einer Unterkunft hilft, ist das zu begrüßen. Wenn es aber darum geht, einen Flüchtling über die Grenze zu bringen, dann ist das Schleuserei. Das muss auch bestraft werden. (Beifall bei der CDU/CSU – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie war das denn früher in der DDR mit den Leuten, die die Flüchtlinge nach Westberlin gebracht haben?) Meine Damen und Herren, ich lade Sie ein, dass wir gemeinsam an unserer Verantwortung arbeiten, die Flüchtlingszahlen deutlich zu reduzieren, damit wir Kapazitäten für die Menschen haben, die unserer Hilfe bedürfen. Das ist unsere Aufgabe. Darum bitte ich Sie sehr. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Ullrich. Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Ihren Antrag werden wir ablehnen. (Beifall bei der CDU/CSU –  Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Vizepräsidentin Claudia Roth: Für eine Zwischenfrage ist es jetzt zu spät. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann würde ich das gerne so sagen!) – Gut. Es geht nach der Geschäftsordnung. Bitte. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich möchte Sie nach Ihren letzten Worten schon fragen, ob Sie der Meinung sind, dass die Menschen bestraft werden sollten, die in Lübeck Geld gesammelt haben, damit Flüchtlinge, die in den vergangenen drei Wochen per Fähre von Travemünde nach Schweden gereist sind, die Tickets kaufen konnten. Ist das Ihrer Ansicht nach illegale Schleuserei oder Beihilfe zu illegaler Schleuserei und damit strafwürdig? Der zuständige Staatsanwalt ist der Auffassung, es erfülle zwar den objektiven Tatbestand; mögliche Ermittlungsverfahren würden aber wohl wegen Geringfügigkeit eingestellt werden. Halten Sie diese Einschätzung der Staatsanwaltschaft für falsch, und würden Sie der Staatsanwaltschaft anraten, hier rigoros anzuklagen? Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Ullrich, bitte. (Zuruf von der CDU/CSU: Stehen bleiben, Herr Beck!) – Ja, es wäre schon gut, stehen zu bleiben. Das ist ja auch für den Rücken nicht schlecht. – Herr Ullrich. Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Herr Kollege Beck, wir haben in diesem Land Gewaltenteilung. Deswegen sollte ein Mitglied des Bundestages nicht über Ermittlungsmaßnahmen, mögliche Verfahrenseinstellungen oder auch Anklageerhebungen einer Staatsanwaltschaft sprechen. Ich kann Ihnen aber sagen, dass es keinen Grund für einen Flüchtling gibt, von Deutschland nach Schweden weiterzureisen, weil er auch bei uns schon sicher ist. Und es gibt auch keinen Grund, von Österreich nach Deutschland weiterzureisen, weil der Flüchtling bereits in Österreich sicher war. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Aber vielleicht gefällt es ihm in Schweden besser!) Die Wertentscheidung des Gesetzgebers ist aber folgende: Der illegale Grenzübertritt ist strafbar. Jemand, der diesen Grenzübertritt befördert, ist möglicherweise wegen Beihilfe anzuklagen. An dieser grundsätzlichen Entscheidung des Gesetzgebers wollen und werden wir nicht rütteln. (Beifall bei der CDU/CSU – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Aber wir würden das gern! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können sich nicht so richtig entscheiden bei dem Fall!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Ullrich. – Damit schließe ich die Aussprache. Es wird ja lebendig weitergehen. Die Einladung nehmen wir gerne an. Das wurde von Herrn Binninger gerade ein bisschen falsch verstanden. Wir haben gedacht, wir gehen zum Wirt; aber es war wohl eine andere Einladung gemeint. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/6652 und 18/6346 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit einverstanden. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 27. Januar 2016, 13.30 Uhr, ein. Ich möchte Sie im Herausgehen noch daran erinnern, dass an diesem Tag um 12 Uhr hier im Plenarsaal die Sonderveranstaltung aus Anlass des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus stattfindet. Deswegen beginnt die Plenarsitzung erst um 13.30 Uhr. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen ein gutes Wochenende. (Schluss: 14.11 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Aken, Jan van DIE LINKE 15.01. 2016 Albsteiger, Katrin CDU/CSU 15.01. 2016 Brugger, Agnieszka BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15.01. 2016 Daldrup, Bernhard SPD 15.01. 2016 Dittmar, Sabine SPD 15.01. 2016 Fabritius, Dr. Bernd CDU/CSU 15.01. 2016 Fischbach, Ingrid CDU/CSU 15.01. 2016 Fuchs, Dr. Michael CDU/CSU 15.01. 2016 Gottschalck, Ulrike SPD 15.01. 2016 Gysi, Dr. Gregor DIE LINKE 15.01. 2016 Harbarth, Dr. Stephan CDU/CSU 15.01. 2016 Hardt, Jürgen CDU/CSU 15.01. 2016 Held, Marcus SPD 15.01. 2016 Ilgen, Matthias SPD 15.01. 2016 Janecek, Dieter BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15.01. 2016 Jantz, Christina SPD 15.01. 2016 Kapschack, Ralf SPD 15.01. 2016 Kauder, Volker CDU/CSU 15.01. 2016 Kotting-Uhl, Sylvia BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15.01. 2016 Kühn (Tübingen), Christian BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15.01. 2016 Malecha-Nissen, Dr. Birgit SPD 15.01. 2016 Nahles, Andrea SPD 15.01. 2016 Poschmann, Sabine SPD 15.01. 2016 Post (Minden), Achim SPD 15.01. 2016 Rehberg, Eckhardt CDU/CSU 15.01. 2016 Röring, Johannes CDU/CSU 15.01. 2016 Sarrazin, Manuel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15.01. 2016 Schäuble, Dr. Wolfgang CDU/CSU 15.01. 2016 Scheer, Dr. Nina SPD 15.01. 2016 Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU 15.01. 2016 Spinrath, Norbert SPD 15.01. 2016 Steffen, Sonja SPD 15.01. 2016 Steinbach, Erika CDU/CSU 15.01. 2016 Tank, Azize DIE LINKE 15.01. 2016 Veit, Rüdiger SPD 15.01. 2016 Veith, Oswin CDU/CSU 15.01. 2016 Vogler, Kathrin DIE LINKE 15.01. 2016 Wagenknecht, Dr. Sahra DIE LINKE 15.01. 2016 Wagner, Doris BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15.01. 2016 Wicklein, Andrea SPD 15.01. 2016 Zdebel, Hubertus DIE LINKE 15.01. 2016 Anlage 2 Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Der Bundesrat hat in seiner 940. Sitzung am 18. Dezember 2015 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2016 (Haushaltsgesetz 2016) – Gesetz zur Umsetzung der EU-Mobilitäts-Richtlinie – Gesetz zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und weiterer Vorschriften – Erstes Gesetz zur Änderung des Seearbeitsgesetzes – Erstes Gesetz zur Änderung des Lebensmittelspezialitätengesetzes – Gesetz zur Mehrseitigen Vereinbarung vom 29. Oktober 2014 zwischen den zuständigen Behörden über den automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten – Gesetz zum automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten in Steuersachen und zur Änderung weiterer Gesetze – Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Bausparkassen – Zweites Gesetz zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Zweites Pflegestärkungsgesetz PSG II) Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung gefasst: 1. Der Bundesrat stellt fest: Das vorliegende Gesetz enthält eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen, die einen Beitrag zur Gewährleistung der pflegerischen Versorgung leisten können. So begrüßt der Bundesrat ausdrücklich die seit langem von den Ländern geforderte Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und des damit verbundenen neuen Begutachtungsverfahrens. Einem dringenden sozial- und pflegepolitischen Anliegen wird dadurch Rechnung getragen. Pflegebedürftigkeit wird künftig auf der Grundlage des Grades der Selbständigkeit der Betroffenen weit mehr Lebensbereiche als bisher erfassen. Damit geht notwendigerweise auch die Erweiterung des Leistungskatalogs der Pflegeversicherung um pflegerische Betreuungsmaßnahmen, die nun gleichberechtigt neben den bisherigen herkömmlichen Pflegeleistungen stehen, einher. Die Länder haben in der Vergangenheit wiederholt deutlich gemacht, dass mit der Neuausrichtung des Leistungsrechts in der weiterhin als Teilzuschuss ausgestalteten Pflegeversicherung gleichzeitig und untrennbar die Notwendigkeit zur Anpassung der sozialhilferechtlichen Regelungen im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) mit der Klärung der Schnittstellen, insbesondere zur Hilfe zur Pflege und zur Eingliederungshilfe, verbunden ist. Dies ist sowohl rechtssystematisch als auch sozialpolitisch unabdingbar, denn zum einen verweisen die Vorschriften im SGB XII umfänglich auf Regelungen im Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI), und zum anderen ist eine faktische Rückverengung des künftig breiter gefassten Verständnisses von Pflegebedürftigkeit in der Sozialhilfe nicht begründbar. Die Länder haben deshalb immer darauf hingewiesen, dass vor allem in Bezug auf die rechtlichen und finanziellen Folgen die Wechselwirkungen der beiden Systeme SGB XI und SGB XII genau analysiert und bewertet werden müssen. Das vorliegende Gesetz entkoppelt die Umsetzung eines einheitlichen Lebenssachverhaltes, der in zwei Sozialgesetzbüchern – dem SGB XI als „Teilleistungssystem“ und dem SGB XII als ergänzendes, bedarfsdeckendes System – geregelt ist. Das Gesetz enthält zudem einseitig Berechnungen zur Entlastung der Sozialhilfe. 2. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf: Zur Sicherstellung des nahtlosen Übergangs in das neue Leistungsrecht und zur Definition des Leistungsspektrums der Sozialhilfe und deren Abgrenzung zum SGB XI sind die zum 1. Januar 2017 zugesagten gesetzlichen Änderungen zeitnah in einem Gesetzentwurf vorzulegen, um die rechtzeitige Einbindung der Länder zu gewährleisten. Dabei sind die folgenden Aspekte zu berücksichtigen: a) Die Umsetzung der grundlegenden Änderungen durch das Zweite Pflegestärkungsgesetz im Bereich des SGB XII ist umgehend und verbindlich bundesgesetzlich zu normieren. Eine Schlechterstellung pflegebedürftiger Menschen, die Sozialhilfe beziehen, ist dabei sozialrechtlich und sozialpolitisch nicht zu vertreten. b) Vor allem die Schnittstellen zwischen Leistungen der Pflegeversicherung, Leistungen der Hilfe zur Pflege und der Eingliederungshilfe beziehungsweise des angekündigten Bundesteilhabegesetzes sind eindeutig zu bestimmen. Das bedingt klare Regelungen, welche Leistungen vorrangig oder nachrangig zu gewähren sind. Eine Vorfestlegung zulasten der Träger der Sozialhilfe darf nicht erfolgen. c) Die Grenze der finanziellen Belastbarkeit der Kommunen und Länder als Träger der Sozialhilfe ist unter anderem bereits durch die bisherigen Auswirkungen des demografischen Wandels erreicht. Kommunen und Ländern dürfen keine Mehrkosten entstehen. Soweit eine notwendig durchzuführende Ermittlung der Gesamtkosten eine Mehrbelastung der Träger der Sozialhilfe ergibt, ist zur Sicherstellung dieser Kostenneutralität eine Bundesbeteiligung an den entsprechenden Kosten vorzusehen oder auf anderem Wege ein Ausgleich herzustellen. d) Im Rahmen der gesetzlichen Umsetzung der Evaluationsklausel sind die Auswirkungen für die Betroffenen sowie die örtlichen und überörtlichen Träger der Sozialhilfe zu überprüfen und bei Bedarf zu korrigieren. Die Länder bieten dem Bund beim Folgegesetz Unterstützung an. – Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen sowie zur Änderung weiterer Gesetze – … Gesetz zur Änderung des Parteiengesetzes – Gesetz zur Änderung des Berufsqualifikationsfeststellungsgesetzes und anderer Gesetze – Gesetz zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2016) – Gesetz zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren (3. Opferrechtsreformgesetz) – Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung – Erstes Gesetz zur Änderung des Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaftsgesetzes Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung gefasst: 1. Der Bundesrat erkennt das Bemühen des Bundes um ein einheitliches Buchungssystem für die Ausgaben zur Finanzierung der Bundesfernstraßen an. 2. Der Bundesrat betont, dass die im Gesetz enthaltene Verfahrensänderung und die damit zusammenhängende Übertragung weiterer Aufgaben und Zuständigkeiten an die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft kein Präjudiz darstellen dürfen bezüglich einer Gründung einer Bundesfernstraßengesellschaft und damit einhergehenden Abschaffung der Auftragsverwaltung durch die Länder für die Bundesfernstraßen. 3. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, die Länder bei der Erarbeitung von Vorschlägen zur Optimierung der Bundesfernstraßenverwaltung eng einzubeziehen und keine Vorfestlegungen zu treffen, bevor die Kommission „Bau und Unterhaltung des Verkehrsnetzes“, die sich unter anderem mit dem Verhältnis von Bund und Ländern bei Planung, Bau und Unterhaltung von Fernstraßen beschäftigt, ihre Beratungen abgeschlossen hat. – Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 1007/2011 und zur Ablösung des Textilkennzeichnungsgesetzes – Gesetz zur Umsetzung der aufsichts- und berufsrechtlichen Regelungen der Richtlinie 2014/56/EU sowie zur Ausführung der entsprechenden Vorgaben der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 im Hinblick auf die Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse (Abschlussprüferaufsichtsreformgesetz – APAReG) – Gesetz zur Neuregelung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung gefasst: 1. Mit einem Gesamtwirkungsgrad von über 80 Prozent leisten KWK-Anlagen einen wichtigen Beitrag für die hocheffiziente Nutzung der uns zur Verfügung stehenden fossilen und regenerativen Energieträger. Zum anderen tragen sie entscheidend zur notwendigen Flexibilisierung unseres konventionellen Kraftwerksparks bei und unterstützen so in kosteneffizienter Weise die Integration der Erneuerbaren Energien in unsere Energieversorgung. KWK-Anlagen stellen zudem eine wichtige und notwendige Verknüpfung von Strom-, Wärme- und Erdgasversorgung dar, die eine effiziente Einbindung eines zunehmenden Anteils an fluktuierender Stromerzeugung aus Windenergie und Sonne in sichere Versorgungsstrukturen volkswirtschaftlich vorteilhaft unterstützt. 2. Der Bundesrat begrüßt den Beschluss des dringend benötigten Gesetzes zur Neuregelung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes. Der vorliegende Gesetzesbeschluss ist nach Ansicht des Bundesrates dazu geeignet, bestehende Verunsicherungen auf Seiten von Investoren zu beseitigen, Planungssicherheit herzustellen und einen Zubau von auch klimapolitisch gewünschten KWK-Anlagen anzureizen. 3. Er begrüßt insbesondere die Einführung von Vorbescheiden durch die BAFA, da hierdurch Investoren bereits frühzeitig Sicherheit über die Förderfähigkeit und Förderhöhe ihrer Projekte erhalten und so Finanzierungsentscheidungen auf einer sicheren Grundlage gefällt werden können. Ebenso begrüßt er die vorgesehene Besserstellung von Energiedienstleistern und Contractoren. Er verbindet damit die Erwartung, dass insbesondere Projekte zur Nahwärmeversorgung und Quartierslösungen zukünftig höhere Realisierungschancen haben. 4. Gleichzeitig muss der Bundesrat jedoch ebenfalls feststellen, dass im Rahmen der Beratungen des Gesetzes im Deutschen Bundestag die Stellungnahme des Bundesrates vom 6. November 2015 (BR-Drucksache 441/15 – Beschluss -) lediglich in Teilen berücksichtigt wurde. Wichtige Punkte, die nach Ansicht des Bundesrates die Zubaudynamik deutlich verbessert hätten, haben keinen Eingang in den Gesetzesbeschluss gefunden. 5. In diesem Zusammenhang hebt der Bundesrat insbesondere die neue Zielsystematik des Gesetzes in § 1 hervor. Anders als bisher wird dort nun mit absoluten Terawattstunden-Größen gearbeitet. So wird eine Nettostromerzeugung von 110 Terawattstunden bis zum Jahr 2020 und 120 Terawattstunden bis zum Jahr 2025 aus KWK-Anlagen angestrebt. Dies entspricht – bei einer gleichbleibenden Nettostromerzeugung in Höhe von ca. 592 Terawattstunden (2014) – einem Anteil von 19 Prozent in 2020 und 20 Prozent in 2025. Dies stellt zwar eine Verbesserung gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf dar, bleibt jedoch deutlich hinter der Forderung des Bundesrates von 25 Prozent an der gesamten Nettostromerzeugung bis zum Jahr 2020 zurück, die einer Nettostromerzeugung aus KWK-Anlagen von 148 Terawattstunden entspricht. 6. Um den Ausbau der KWK nicht weiter abzubremsen, sollte der Bezug des Ausbauziels von 25 Prozent im Rahmen der Überprüfung der Zielerreichung des Gesetzes wieder hergestellt werden, zumal mit einem wachsenden Anteil dargebotsabhängiger Erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung die Bezugsgröße der regelbaren Nettostromerzeugungsmenge zunehmend schrumpfen würde. 7. Unter grundsätzlichen Erwägungen von Vertrauensschutz und Wettbewerbsgleichheit lehnt der Bundesrat die nach wie vor vorgesehene Ungleichbehandlung von bis zum 31. Dezember 2015 in Dauerbetrieb gegangenen modernisierten oder neu errichteten KWK-Anlagen gegenüber solchen, die nach dem 1. Januar 2016 in Dauerbetrieb gehen, ab. Er hält es für erforderlich, dass frühzeitige Investitionsentscheidungen im Sinne von Energieeffizienz und Klimaschutz nicht schlechter gestellt werden. Auf Grund von gesunkenen Erlösmöglichkeiten am Strommarkt droht hierdurch schlimmstenfalls ein Ausscheiden der betreffenden Anlagen aus dem Markt. Dies ist nicht im Sinne der Zielsetzung des Gesetzes. 8. Nach dem vom Bundestag beschlossenen Gesetz wird die Förderung für Neubau, Modernisierung und Nachrüstung von KWK-Anlagen auf Anlagen beschränkt, die vor dem Jahr 2023 in Dauerbetrieb genommen werden. Diese zeitliche Beschränkung der Förderfähigkeit von Einrichtungen unter dem KWKG spiegelt jedoch nicht die Zielsetzung des Gesetzentwurfs zum KWK-Ausbau bis zum Jahr 2025 wider. Die Ausbauziele für 2020 und 2025 dürfen nicht als Schlusspunkt gesehen werden. Vielmehr müssen die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Kraft-Wärme-Kopplung so gestaltet werden, dass auch über das Jahr 2022 hinaus der Anreiz zum Ausbau der Stromerzeugung in Kraft-Wärme-Kopplung erhalten bleibt, wobei das Ziel der langfristigen vollständigen Dekarbonisierung der Energieerzeugung nicht gefährdet werden darf. 9. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, von der vom Deutschen Bundestag neu eingefügten Verordnungsermächtigung in § 33 Absatz 2 Nummer 3 KWKG keinen Gebrauch zu machen. Die Bundesregierung hat nach Auffassung des Bundesrates zu Recht in ihrer Begründung zum Gesetzentwurf darauf hingewiesen, dass die Unterstützung von neuen oder modernisierten Kohle-KWK-Anlagen einen Widerspruch zum Ziel einer Dekarbonisierung der Stromerzeugung darstellt. Nach Auffassung des Bundesrates gilt diese Annahme umso mehr für alte Kohle-KWK-Anlagen, die nicht modernisiert wurden. 10. Der Bundesrat bedauert, dass keine neuen Anreize für die Nutzung von KWK in Industrieprozessen im Gesetz eröffnet wurden, sondern lediglich eine Verordnungsermächtigung beschlossen wurde für den Fall, dass ohne entsprechende Förderung kein Zubau oder sogar ein Rückgang der Anlagenkapazitäten erfolgt. Gerade hier bestehen aus Sicht des Bundesrates große Potenziale zur Nutzung industrieller Wärme/Kälte und damit große klimapolitische Potenziale. Er bittet die Bundesregierung daher, von der genannten Verordnungsermächtigung möglichst umgehend Gebrauch zu machen und damit positive Marktsignale auszusenden. 11. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass neben dem Ausbau der KWK im Leistungsbereich oberhalb von 2 Megawatt ebenfalls die Wettbewerbsfähigkeit und die Zukunftsfähigkeit der bestehenden hocheffizienten, regionalen Energieerzeugungs- und -versorgungsstrukturen erhalten bleiben muss. Er bedauert, dass im weiteren Gesetzgebungsverfahren seinem Vorschlag, die Zuschlagsberechtigung von kleineren KWK-Anlagen auch unterhalb einer elektrischen Leistung von 2 Megawatt wirksam werden zu lassen, nicht gefolgt wurde. 12. Die Beschränkung der KWK-Förderung für eigenerzeugten und -verbrauchten Strom auf Anlagen mit einer elektrischen Leistung von bis zu 100 Kilowatt sowie auf Anlagen in stromintensiven Unternehmen (§ 6 Absatz 4 Nummer 1 und 3 KWKG), die über einen rechtskräftigen Begrenzungsbescheid der BAFA zur EEG-Umlage verfügen, wird abgelehnt. Gerade mit der Förderung des Baus, der Modernisierung oder Nachrüstung industrieller KWK-Anlagen für eigenerzeugten Strom sind weitere Energieeffizienzsteigerungen in der Strom- und Nutzwärmeerzeugung verbunden. Vor dem Hintergrund des Ausbaudefizits bei der Stromerzeugung in KWK ist eine Schlechterstellung von eigenerzeugtem und verbrauchtem KWK-Strom nicht nachvollziehbar. 13. Der Bundesrat stellt fest, dass der der Gesetzesbeschluss eine Reihe von Verordnungsermächtigungen enthält, die jedoch nicht die Zustimmungsbedürftigkeit durch den Bundesrat vorsehen. Gerade vor dem Hintergrund der regional diversifizierten KWK-Landschaft und der damit in den Ländern verankerten Kenntnis über die Situation der Anlagenbetreiber hätte der Bundesrat seine Beteiligung an den auf Grundlage der Ermächtigungsnormen zu erlassenen Verordnungen für sinnvoll erachtet. 14. Der Bundesrat verzichtet auf eine Anrufung des Vermittlungsausschusses, um ein Inkrafttreten des Gesetzes zum 1. Januar 2016 nicht zu gefährden. Er bittet die Bundesregierung jedoch, im Rahmen der Überprüfung der Zielerreichung gemäß § 34 KWKG mit den Ländern in den Dialog zu treten und frühzeitig eine Perspektive für die KWK-Technologie, langfristig auf Basis erneuerbarer Energien, auch über 2025 hinaus zu erörtern. – Gesetz zur Änderung von Bestimmungen des Rechts des Energieleitungsbaus – Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts (Vergaberechtsmodernisierungsgesetz – VergRModG) – Gesetz zu dem Abkommen vom 28. März 2014 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Ausschuss für Wirtschaft und Energie – Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) gemäß § 56a der Geschäftsordnung Technikfolgenabschätzung (TA) Moderne Stromnetze als Schlüsselelement einer nachhaltigen Stromversorgung Drucksache 18/5948 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Vierter Monitoring-Bericht „Energie der Zukunft“ Drucksachen 18/6780, 18/6933 Nr. 1.2 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Änderung des Monitoring-Prozesses «Energie der Zukunft» Drucksachen 18/6781, 18/6933 Nr. 1.3 Ausschuss für Kultur und Medien – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Maßnahmen zur Förderung der Kulturarbeit gemäß § 96 des Bundesvertriebenengesetzes in den Jahren 2011 und 2012 Drucksachen 17/13777, 18/770 Nr. 30 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Maßnahmen zur Förderung der Kulturarbeit gemäß § 96 des Bundesvertriebenengesetzes in den Jahren 2013 und 2014 Drucksache 18/5598 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Drucksache 18/5982 Nr. A.12 EP P8_TA-PROV(2015)0273 Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksache 18/5286 Nr. A.8 EuB-BReg 37/2015 Drucksache 18/6240 Nr. A.1 KOM(2015)359 endg. Drucksache 18/6607 Nr. A.16 Ratsdokument 12858/15 Ausschuss für Gesundheit Drucksache 18/2935 Nr. A.4 Ratsdokument 13558/14 Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Drucksache 18/6855 Nr. A.7 EP P8_TA-PROV(2015)0375 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Drucksache 18/6607 Nr. A.23 Ratsdokument 12667/15 Drucksache 18/6607 Nr. A.24 Ratsdokument 12683/15 Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Drucksache 18/6607 Nr. A.25 EP P8_TA-PROV(2015)0345 Drucksache 18/6607 Nr. A.26 EP P8_TA-PROV(2015)0348 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 18/5982 Nr. A.50 EP P8_TA-PROV(2015)0265 Drucksache 18/6607 Nr. A.27 Ratsdokument 12797/15 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 18/822 Nr. A.38 Ratsdokument 5866/14 Drucksache 18/822 Nr. A.39 Ratsdokument 5867/14 Drucksache 18/1707 Nr. A.9 EP P7_TA-PROV(2014)0430 Drucksache 18/2533 Nr. A.70 Ratsdokument 12424/14 Drucksache 18/5982 Nr. A.52 Ratsdokument 10651/15 Drucksache 18/5982 Nr. A.53 Ratsdokument 10663/15 II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 150. Sitzung, Berlin, Freitag, den 15. Januar 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 150. Sitzung, Berlin, Freitag, den 15. Januar 2016 III Plenarprotokoll 18/150