Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 153. Sitzung Berlin, Freitag, den 29. Januar 2016 Inhalt: Tagesordnungspunkt 21: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung der parlamentarischen Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland im Zuge fortschreitender Bündnisintegration Drucksache 18/7360 15055 B b) Beratung der Unterrichtung durch die Kommission zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr: Abschlussbericht der Kommission Drucksache 18/5000 15055 B Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) 15055 D Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) 15057 B Sonja Steffen (SPD) 15058 C Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 15060 A Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) 15061 C Klaus Ernst (DIE LINKE) 15063 B Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) 15063 D Sevim Dağdelen (DIE LINKE) 15064 A Niels Annen (SPD) 15065 C Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) 15066 A Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) 15067 C Niels Annen (SPD) 15067 D Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 15068 B Wilfried Lorenz (CDU/CSU) 15069 C Rainer Arnold (SPD) 15071 A Dr. Andreas Nick (CDU/CSU) 15072 D Tagesordnungspunkt 22: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Intelligente Mobilität fördern – Die Chancen der Digitalisierung für den Verkehrssektor nutzen Drucksache 18/7362 15073 D Dorothee Bär, Parl. Staatssekretärin BMVI 15074 A Sabine Leidig (DIE LINKE) 15076 A Arno Klare (SPD) 15077 B Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 15078 B Thomas Jarzombek (CDU/CSU) 15079 C Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 15080 A Herbert Behrens (DIE LINKE) 15082 A Andreas Rimkus (SPD) 15083 B Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 15084 B Steffen Bilger (CDU/CSU) 15085 D Sebastian Hartmann (SPD) 15087 C Daniela Ludwig (CDU/CSU) 15089 A Annette Sawade (SPD) 15090 A Tagesordnungspunkt 23: Antrag der Abgeordneten Özcan Mutlu, Kai Gehring, Beate Walter-Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mehr Bildungsgerechtigkeit für die Einwanderungsgesellschaft – Damit Herkunft nicht über Zukunft bestimmt Drucksache 18/7049 15091 A Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 15091 B Cemile Giousouf (CDU/CSU) 15092 C Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) 15094 D Dr. Karamba Diaby (SPD) 15096 A Uda Heller (CDU/CSU) 15097 A Elfi Scho-Antwerpes (SPD) 15098 D Tagesordnungspunkt 24: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Strommarktes (Strommarktgesetz) Drucksache 18/7317 15100 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Deutscher Beitrag zu den UN-Klimaverhandlungen – Kohlendioxid als Umweltschadstoff definieren, Betriebszeiten von Kohlekraftwerken begrenzen Drucksachen 18/3313, 18/7277 15100 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer, Annalena Baerbock, Dr. Julia Verlinden, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zukunft des Strommarktes – Mit ökologischem Flexibilitätsmarkt klimafreundliche Kapazitäten anreizen und Kohleausstieg einleiten Drucksache 18/7369 15100 C Uwe Beckmeyer, Parl. Staatssekretär BMWi 15100 C Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 15101 B Thomas Bareiß (CDU/CSU) 15102 B Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 15103 D Johann Saathoff (SPD) 15105 A Karl Holmeier (CDU/CSU) 15106 C Tagesordnungspunkt 25: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Innovative Arbeitsforschung für eine Humanisierung unserer Arbeitswelt und mehr Beschäftigung Drucksache 18/7363 15108 A Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU) 15108 A Ralph Lenkert (DIE LINKE) 15109 C René Röspel (SPD) 15111 A Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 15112 C Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF 15113 C Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) 15114 B Dr. Wolfgang Stefinger (CDU/CSU) 15115 B Tagesordnungspunkt 26: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Eva Bulling-Schröter, Kerstin Kassner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Energienetze zurück in die öffentliche Hand – Rechtssicherheit bei der Rekommunalisierung schaffen Drucksachen 18/4323, 18/5274 15116 B Florian Post (SPD) 15116 C Caren Lay (DIE LINKE) 15117 A Dr. Matthias Heider (CDU/CSU) 15118 B Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 15119 D Johann Saathoff (SPD) 15120 D Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU) 15122 A Nächste Sitzung 15122 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 15123 A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede des Abgeordneten Christian Petry (SPD) zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/91/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 zur Änderung der Richtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) im Hinblick auf die Aufgaben der Verwahrstelle, die Vergütungspolitik und Sanktionen (152. Sitzung, Tagesordnungspunkt 14) 15124 A Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 15125 C 153. Sitzung Berlin, Freitag, den 29. Januar 2016 Beginn: 9.01 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich. Es gibt heute keine Veränderung der Tagesordnung, keine Glückwünsche, Geburtstage oder andere Feierlichkeiten, sodass wir gleich in die bekannte Tagesordnung eintreten können. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung der parlamentarischen Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland im Zuge fortschreitender Bündnisintegration Drucksache 18/7360 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss b) Beratung der Unterrichtung durch die Kommission zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr Abschlussbericht der Kommission Drucksache 18/5000 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 77 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Also können wir so verfahren. Ich sehe auf der Tribüne Mitglieder der Kommission, denen ich ganz herzlich danken möchte für die Arbeit, die sie im Auftrag des Deutschen Bundestages geleistet haben. – Ihr Bericht wird den zentralen Gegenstand unserer heutigen Beratung und der weiteren Befassung mit diesem Thema ausmachen. Herzlichen Dank. Schön, dass Sie heute bei dieser Debatte dabei sind. (Beifall) Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Roderich Kiesewetter für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute nach vielen Jahren wieder das Parlamentsbeteiligungsgesetz. Wir sollten hier nicht nur an die Paragrafen des Gesetzes denken, sondern auch an den Geist des Gesetzes. Die Soldaten und Soldatinnen, die wir mit mandatierten Einsätzen beauftragen, schwören, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. „Tapfer zu verteidigen“ heißt, wenn es sein muss, unter Einsatz ihres Lebens. Dessen sollten wir uns bei dieser Debatte bewusst sein. Wir erleben als Parlamentarier eine Gleichzeitigkeit von Krisen und debattieren hier vielfach über Einsätze – im Bewusstsein über die Werte und Interessen unseres Landes. Genau zur Wahrung dieser Werte und Interessen setzen wir unsere Soldatinnen und Soldaten ein. Diese Gleichzeitigkeit von Krisen hat in dieser Koalition zu einer Reihe von aktiven Handlungen geführt, die ich kurz umreißen möchte. Im Auswärtigen Amt geht es um die Überarbeitung, den sogenannten Review-Prozess, bei dem die Schwerpunkte auf Frühwarnung, Krisenprävention und Stabilisierung gelegt werden; im Verteidigungsministerium geht es um den Weißbuchprozess, bei dem es um Auftrag und Aufgaben der Bundeswehr geht, ressortübergreifend aber auch um die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland; und im Entwicklungsministerium geht es um die Agenda 2030, bei der die entwicklungspolitischen Ziele mit außenpolitischen Vorhaben verwoben werden. Dies sind Dinge der Exekutive und der Bundesregierung. Wir als Parlamentarier wollen aber nicht nur Schritt halten mit dieser Entwicklung, sondern wir wollen auch besser informiert werden. Volker Rühe als Vorsitzender der Kommission und Walter Kolbow als sein Stellvertreter haben nach 14 Sitzungen, zwei öffentlichen Anhörungen, sieben nichtöffentlichen Anhörungen und mehreren Dienstreisen bis hin zu den Vereinten Nationen ein umfassendes Vorschlagspaket entwickelt. In dieser Gleichzeitigkeit von Krisen geht es also um die Handlungsfähigkeit unserer Regierung, um die Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland im internationalen Verbund und um die Verlässlichkeit in Bereichen, die nur noch gemeinschaftlich zu finanzieren sind, beispielsweise Aufklärung, AWACS, strategischer Lufttransport. Würde sich Deutschland dort zurückziehen, wäre weder die EU noch die NATO handlungsfähig. Uns geht es um die Handlungsfähigkeit dieser Regierung. Aber das hat seinen Preis. Wir erwarten deshalb bessere Informationen und auch eine andere Beteiligung des Parlaments. Das spiegelt der Kommissionsbericht wider. Wir wollen dies im Rahmen der Anpassung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes erläutern. Ich möchte Ihnen das an vier Aspekten deutlich machen. Zunächst fordern wir in dem Gesetzentwurf eine Evaluierung und Bewertung von Einsätzen. Das ist neu. Die Evaluierung und Bewertung von Einsätzen hat drei Vorteile: erstens mehr Transparenz über das, was in den Einsätzen geleistet wurde, zweitens mehr Handlungssicherheit für die Soldaten, weil sie aus den Einsätzen lernen, und drittens – ich glaube, wir als Parlamentarier sollten großen Wert darauf legen – eine bessere Außendarstellung der Leistungen unserer Soldaten. Unsere Soldatinnen und Soldaten stehen mit ihrem Leben, mit ihrer Gesundheit für diese Außen- und Sicherheitspolitik ein. Wir wollen, dass das deutlicher und besser dargestellt wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Der zweite Aspekt ist, dass wir von der Bundesregierung jährliche Berichte erwarten, die zeigen, in welchen gegenseitigen Abhängigkeiten sich unser Land bei der EU, bei der NATO und bei den Vereinten Nationen befindet, indem wir viele Leistungen beistellen: Personal, Hauptquartiere und Fähigkeiten wie beispielsweise AWACS. Über diese Vernetzungen wollen wir einen jährlichen Bericht, um zu wissen, was es bedeutet, wenn sich Deutschland bei bestimmten Einsätzen beteiligt oder heraushält. Wir wollen also einmal jährlich einen Bericht über die wechselseitigen Abhängigkeiten und über die Verbundfähigkeiten. Es liegt dann an uns Abgeordneten, aus diesem Bericht Lehren zu ziehen. Wir wollen jenseits der jährlichen Debatten über die 16, 17 einzelnen Mandate eine Gesamtaussprache über die Außen- und Sicherheitspolitik unseres Landes durchführen. Das bietet der Koalition die Chance, die Positionen darzustellen. Das bietet der Regierung die Chance, Anregungen aufzunehmen, und das bietet der Opposition die Chance zur Kritik. Ich halte es für äußerst hilfreich, zusätzlich einmal jährlich über die Einsätze insgesamt zu sprechen statt nur über die einzelnen Einsätze. Der dritte Aspekt betrifft auch die Stärkung der Parlamentsrechte, indem wir einfordern, dass bei Einsätzen, die der Geheimhaltung unterliegen, also beispielsweise des Kommandos Spezialkräfte, das Parlament informiert wird. Das ist bisher so nicht festgelegt. Auch das wollen wir. Der vierte Aspekt. Wir legen großen Wert darauf, dass wir uns einmal Gedanken darüber machen, ob wirklich alle Einsätze geprüft werden müssen. Nicht jeder Einsatz muss unbedingt mandatiert werden, insbesondere wenn es sich um Ausbildungsmissionen oder niedrigschwellige Beobachtungsmissionen in nicht bewaffneten Konflikten bzw. in befriedeten Gebieten handelt, wo keine Eskalation und keine extreme Gefahr für Leib und Leben der Soldatinnen und Soldaten zu erwarten sind. Der Deutsche BundeswehrVerband hat sich mit einigen Schreiben an uns Abgeordnete gewendet und macht darin andere Vorschläge. Er geht sogar so weit, eine Grundgesetzänderung vorzuschlagen. Dafür halte ich die Zeit noch nicht für reif. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Was heißt hier „noch nicht“?) – Eine Grundgesetzänderung halte ich nicht für nötig, weil wir mit der Anpassung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes erheblich größere Fortschritte erzielen können. Ich glaube, es ist sehr klug, bei der Parlamentsbeteiligung über zwei Bereiche nachzudenken. Ich sehe hier das Bild der Waagschalen. Das eine ist die Waagschale des Parlaments, und das andere ist die Waagschale der Regierung. Da das Parlament die Regierung kontrolliert, muss das Parlament etwas mehr Gewicht in seiner Waagschale haben. Dieses höhere Gewicht erreichen wir, indem wir frühzeitiger informiert werden, wir mehr – das halte ich für ganz wichtig – über die Ausrichtung debattieren und der Bundesregierung eben auch Evaluierungsberichte abverlangen. Das ist die entscheidende Neuerung. Nun möchte ich hier aber auch ganz offen ansprechen, dass wir im Koalitionsvertrag Folgendes geschrieben haben: „Der Parlamentsvorbehalt ist keine Schwäche Deutschlands, sondern eine Stärke.“ Ich gebe ganz offen zu, dass ich mit dem Kollegen Andreas Schockenhoff vor vier Jahren einen Vorschlag gemacht habe, der sehr zugespitzt war. Wir haben angeregt, zu überlegen, ob es nicht Vorratsbeschlüsse geben sollte – wohl wissend, dass es Vorratsbeschlüsse nie geben darf. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben damit eine Debatte angestoßen, die zu einer Selbstvergewisserung des Parlaments geführt hat. Wir sollten deshalb Volker Rühe und Walter Kolbow sehr dankbar sein, dass sie eine austarierte Lösung angeboten haben. Sie haben im Ergebnis auf der einen Seite die Rechte des Parlaments nicht nur gesichert, sondern den Parlamentsvorbehalt auch gestärkt, und auf der anderen Seite unsere Handlungsfähigkeit in der internationalen Vernetzung eindeutig gestärkt. Wir haben von Anfang an die Tür für die Opposition offengehalten, sich an dieser Kommission zu beteiligen. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Pseudooffenheit!) Die Linke hat von Anfang an Bedingungen gestellt, die unerfüllbar waren. Die Grünen waren durch Winfried Nachtwei intensiv vertreten, auch wenn es sich dabei um einen früheren Kollegen handelt. Ich möchte ihn aber an dieser Stelle ausdrücklich loben; denn er hat erheblich dazu beigetragen, dass wir das Thema der Evaluierung und Bewertung von Einsätzen aufgenommen haben. Des Weiteren gab es – da bin ich Frau Haßelmann und Herrn Schmidt sehr dankbar – noch im November eine umfassende Aussprache mit dem Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung. Wir haben ausgelotet, was geht und was nicht. Wir sind übereingekommen, dass die Opposition ihre Rolle sehr ernst nimmt. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wir haben auch festgestellt, dass wir als Regierungsfraktionen in einigen Punkten eine ganz klare Position vertreten, die wir uns nicht wegverhandeln lassen. Aber es ist wichtig, dass wir im Parlament darüber reden. Ich ermutige Sie daher alle, wenn der Gesetzentwurf zur Parlamentsbeteiligung in die Ausschussberatung geht, konstruktive Vorschläge zu unterbreiten. Wir wollen, dass am Ende ein Parlamentsbeteiligungsgesetz steht, das nicht nur die Rechte des Parlaments sichert und in bestimmten Teilen sogar stärkt, sondern wir wollen auch im Sinne von Volker Rühe, Walter Kolbow und der gesamten Kommission, dass wir die Verlässlichkeit Deutschlands und die internationalen Abhängigkeiten so miteinander verweben, dass die Handlungsfähigkeit unseres Landes in einer Gleichzeitigkeit von Krisen gewahrt ist und – auch wenn die Lage einmal noch schwieriger werden sollte – unsere Bundeswehr von diesem Parlament mit gutem Gewissen im Sinne unserer Interessen und Werte eingesetzt werden kann. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Fraktion Die Linke erhält der Kollege Alexander Neu das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes – Sie da oben – werden heute Zeugen davon, wie die Koalitionsfraktionen parlamentarisch-demokratische Rechte beschneiden. Das wird natürlich mit Nebelkerzen kaschiert, ganz nach dem Motto: Ja, wir werden eine bessere Informationspolitik mit Evaluationsberichten etc. machen. – Es sollte aber eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, dass bei einem Einsatz regelmäßige Berichte und nach Abschluss eines Einsatzes ein Evaluationsbericht vorgelegt werden. Das wollen Sie uns jetzt als eine positive Neuigkeit verkaufen. Das führt schon zu einem gewissen Stirnrunzeln bei der Linken. Aber warum wollen die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen die Parlamentsrechte beschneiden? Es gibt dafür drei Gründe, die sehr offensichtlich sind. Der erste Grund ist folgender: Die Bundesregierung hat den Überblick über die Vielzahl der Auslandseinsätze quasi verloren. Daher auch die zunehmend peinliche Bitte um Fristverzicht. Ich kann Ihnen garantieren: Wir werden niemals einem Fristverzicht zustimmen – und wenn die Sondersitzung nachts um 3 Uhr stattfinden wird. (Beifall bei der LINKEN) Ich möchte Ihnen einen guten Rat geben, Herr Steinmeier und Frau von der Leyen. Gegen einen Überblicksverlust, der offensichtlich ist, gibt es ein probates Mittel: einfach weniger Auslandseinsätze oder vielleicht auch gar keine Auslandseinsätze mehr. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist so was von schlicht! Es ist schon peinlich!) Der zweite Grund: Die Bundesregierung will die Vielzahl der Einsätze der Öffentlichkeit gegenüber nicht mehr erklären. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geht es vielleicht noch schlichter? Das ist unglaublich!) Mehr Freiraum für exekutives Handeln, so wird das genannt. Es ist ja auch peinlich, gegenüber den Partnern erklären zu müssen, erst das Parlament fragen zu müssen. Demokratie ist eben schwierig, aber nicht peinlich. (Beifall bei der LINKEN – Niels Annen [SPD]: Peinlich sind Sie!) Der dritte Grund: Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, ich kann ja verstehen, dass Sie keine Lust haben, quasi jede Woche im Wahlkreis den Bürgerinnen und Bürgern erklären zu müssen, warum Sie wieder einmal einem Einsatz zugestimmt oder einen laufenden Einsatz verlängert haben. (Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]: Erklärungen sind sinnvoll! – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Überhaupt kein Problem!) Das verstehe ich ja. Aber das ist der Preis der Demokratie. (Beifall bei der LINKEN – Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]: Sie machen es sich viel zu einfach!) Um welche Einsatzszenarien handelt es sich, die künftig nicht mehr der parlamentarischen Kontrolle und der parlamentarischen Entscheidung unterliegen sollen? Dies betrifft zum Beispiel die logistische Unterstützung von Partnerarmeen, die medizinische Versorgung, Ausbildungsmissionen – übrigens ein sehr heikles Thema – und Beobachtermissionen. (Rainer Arnold [SPD]: Im sicheren Umfeld! Lesen!) Diese Ausnahmefälle zeigen aber auch die Konstruktionsschwäche des bestehenden Parlamentsbeteiligungsgesetzes. Ein Einsatz ist demnach nur mandatierungspflichtig, wenn Soldatinnen und Soldaten im ausländischen Konfliktgebiet stehen und eine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung besteht oder erwartbar ist. Diese Konstruktionsschwäche wird jetzt von der Bundesregierung und von den Koalitionsfraktionen missbraucht, um die Entscheidungs- und Kontrollkompetenz bei allen Einsatzszenarien zu beenden, die diesem Kriterium nicht entsprechen. Siehe die oben genannten vier Fälle. Ausgangspunkt für die Entscheidung darf aber doch nicht die An- oder Abwesenheit von Soldatinnen und Soldaten im Einsatzgebiet bzw. eine bewaffnete Unternehmung sein. Der Ausgangspunkt muss doch politisch sein. Die Frage muss doch in jedem Einzelfall sein: Darf die Bundeswehr als Instrument deutscher Außen- und Sicherheitspolitik genutzt werden? Das ist doch die zentrale parlamentarische Frage, die in diesem Haus entschieden werden muss. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Wird sie auch!) Das heißt doch letztendlich: weg vom konkreten Einsatzszenario hin zur grundsätzlichen politischen Frage. Um mit militärischen Mitteln politische Entscheidungen herbeizuführen, bedarf es weder der direkten Gewaltanwendung – siehe logistische Unterstützung oder Beobachtermissionen – noch bedarf es der Anwesenheit oder Abwesenheit von Soldatinnen und Soldaten im Ausland und im Konfliktgebiet, und zwar dank waffentechnologischer Entwicklungen. Beispiel: unbewaffnete Waffensysteme, allgemein bekannt als Drohnen, oder Cyberattacken. In beiden Einsatzszenarien, also bei Drohneneinsätzen – es sollen ja künftig bewaffnungsfähige, sprich: bewaffnete Drohnen angeschafft werden – und auch bei Cyberattacken, sitzt die Soldatin bzw. der Soldat künftig in Deutschland und kann von diesem Land aus weltweit militärische und zivile Infrastruktur zerstören oder auch Menschen töten. Was fordert die Linke? Die Linke fordert mehr demokratische Mitbestimmung in der Außen- und Sicherheitspolitik, aber nicht weniger, wie Sie es gerade anvisieren. (Beifall bei der LINKEN) Das heißt konkret: Wir fordern eine grundlegende Korrektur des Entscheidungskriteriums. Das heißt, die Entscheidung über Auslandseinsätze gehört ausnahmslos in den Deutschen Bundestag, (Beifall bei der LINKEN) weil das Militär ein hochgefährliches politisches Instrument darstellt. Außerdem fordert die Linke eine Anhebung des Quorums. Es kann doch nicht sein, dass im Zweifelsfall mit einfacher Mehrheit über Krieg und Frieden entschieden wird. Die Linke fordert als Quorum die Zweidrittelmehrheit des Deutschen Bundestages. (Beifall bei der LINKEN – Thomas Oppermann [SPD]: Warum nicht Dreiviertel?) Die Menschen in diesem Land müssen wissen, ob, wie und mit welcher Qualität Abgeordnete und Bundesregierung militärische Gewaltmittel befürworten oder auch ablehnen. Die Menschen müssen wissen, ob ihre Abgeordneten und die Bundesregierung rechtswidrige Einsätze beschließen, wie dies im Dezember beim Syrien-Einsatz der Fall war. Daher wird die Linke demnächst in Karlsruhe gegen den Beschluss zum Syrien-Einsatz klagen. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN – Rainer Arnold [SPD]: Sehr gut! Jetzt haben wir das geklärt!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Sonja Steffen für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sonja Steffen (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Kommissionsmitglieder! Liebe Gäste! Herr Dr. Neu, es ist einfach, sich vehement gegen das Parlamentsbeteiligungsgesetz zu stellen, wenn man jeden Auslandseinsatz der Bundeswehr grundsätzlich ablehnt. Ich finde allerdings, dass das Wahrnehmen internationaler Verantwortung anders aussieht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Immer mehr Krieg!) Meine Damen und Herren, die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Das heißt, der Deutsche Bundestag stimmt darüber ab – und das soll auch so bleiben –, wenn unsere Bundeswehr, unsere Soldatinnen und Soldaten, in einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte gehen soll. Wir, der Deutsche Bundestag, übernehmen mit diesen Entscheidungen die Verantwortung für den Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten. Wir alle wissen, dass es aktuell mehr Konflikte und Kriege auf der Welt gibt als jemals zuvor. Die Welt ist viel unfriedlicher geworden, und mehr denn je gilt es, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen. Nationale Alleingänge sind der Anfang vom Ende für Europa. Wenn Europa seine Interessen wahren und seiner zunehmenden Verantwortung in einer globalisierten Welt nachkommen will, dann wird es seinen wirksamen außenpolitischen und sicherheitspolitischen Beitrag dazu leisten müssen. Es darf keine Alleingänge von Staaten der Europäischen Union geben, wie gegenwärtig leider von einigen Staaten im Zusammenhang mit Grenzschließungen, sondern Integration und mehr gemeinsame Verantwortung sind notwendig. Damit entstehen aber auch mehr gegenseitige Abhängigkeiten. Das gilt auch für militärische Einsätze. Genau wegen der zunehmenden militärischen Integration europäischer Streitkräfte hat die Große Koalition in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, dass eine Kommission eingesetzt werden soll. Diese sollte prüfen, wie die Parlamentsrechte auf dem Weg fortschreitender Bündnisintegration gesichert werden können. Die Kommission hat nun ihre Ergebnisse vorgelegt und in einem Gesetzentwurf gebündelt. Dieser liegt uns heute in überarbeiteter Form vor. Von den Einigungsvorschlägen möchte ich einige aufgreifen. Ich beginne mit § 2 a, der neu ist. Die Überschrift lautet: „Mitwirkung in militärischen Stäben und Hauptquartieren“. Ich zitiere kurz die Vorschrift. Es heißt hier, dass die Wahrnehmung von Funktionen in integrierten oder multinational besetzten Hauptquartieren, Dienststellen und Stäben der NATO, der EU oder einer anderen Organisation gegenseitiger kollektiver Sicherheit ... keiner Zustimmung des Bundestages bedürfen soll – jetzt hören Sie gut zu –, sofern sie sich dabei nicht im Gebiet eines bewaffneten Konflikts befinden oder dort eingesetzte Waffen unmittelbar bedienen. Damit sind beispielsweise – darauf hat der Kollege Kiesewetter vorhin schon hingewiesen – auch viele Beobachteraufgaben im Rahmen einer UN-Mission gemeint. (Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) Das mag vielleicht auf den ersten Blick wie eine Beschneidung der Parlamentsrechte wirken, aber ein Blick in die Entstehungsgeschichte des Parlamentsbeteiligungsgesetzes aus dem Jahr 2005 zeigt, dass wir eine ähnliche Regelung schon immer hatten. Sie stand früher allerdings in den Begründungen und nicht ausdrücklich im Gesetzestext. Deshalb dient diese Vorschrift, also die Einkleidung in das Gesetz, im Grunde genommen nur der Klarstellung. Es geht um Präzisierungen und nicht um die Einschränkung des Parlamentsvorbehaltes. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hörte sich bei Herrn Kiesewetter aber anders an!) Die größten Probleme bei den Debatten über den neuen Gesetzentwurf hat wahrscheinlich § 2 bereitet. Hier geht es um den Einsatz bewaffneter Streitkräfte. In dem neuen Entwurf gibt es nun einen Negativkatalog mit Fällen, in denen eine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung nicht zu erwarten ist, weshalb keine Parlamentsbeteiligung erforderlich ist. Um welche Fälle handelt es sich hier? Neben den bereits im bestehenden Gesetz aufgeführten Fällen ist in unserem jetzigen Gesetzentwurf neu, dass Ausbildungsmissionen „in sicherem Umfeld“ keiner Mandatierung bedürfen. Ich betone: „in sicherem Umfeld“. Neu ist auch, dass Logistikleistungen „ohne Bezug zu Kampfhandlungen“ und die „Bereitstellung medizinischer Versorgung außerhalb des Gebiets eines bewaffneten Konflikts“ nicht zustimmungspflichtig sein sollen. Sie sehen also: Bei diesem Katalog hat sich die Kommission sehr viele Gedanken darüber gemacht und darauf geachtet, dass die Parlamentsrechte nicht beschnitten werden. Allerdings ist hier nach Meinung meiner Fraktion, der SPD-Fraktion, schon noch einmal eine genauere verfassungsrechtliche Überprüfung erforderlich, weil es, wie die meisten von Ihnen wissen, im September 2015 eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Libyen-Einsatz gab. Das Bundesverfassungsgericht hat den Libyen-Einsatz im Wesentlichen für rechtmäßig erklärt, hat sich aber inhaltlich mit dem Begriff des „Einsatzes bewaffneter Streitkräfte“ auseinandergesetzt. Es hat in diesem Urteil festgestellt, dass es sich hier um einen verfassungsrechtlichen Begriff handelt, also nicht um einen unbestimmten Rechtsbegriff, und dass dieser Begriff nicht durch ein einfaches Gesetz verbindlich konkretisiert werden kann. Das bedeutet also: Wir werden uns im Rahmen der nun beginnenden Beratungen mit dieser Frage noch einmal auseinandersetzen müssen. Auf die weiteren Neuerungen des Gesetzentwurfes, die im Wesentlichen die Stärkung der Informationsrechte des Parlamentes beinhalten, hat Herr Kiesewetter schon hingewiesen. Wir werden uns nun im federführenden Geschäftsordnungsausschuss mit den bereits benannten verfassungsrechtlichen Fragen beschäftigen müssen. Der Bundestag hat nicht nur das Recht auf Beteiligung bei militärischen Einsätzen, sondern auch die Pflicht. Ich glaube, nicht nur wir, die wir hier sitzen, sondern alle Parlamentarier wissen: Wenn es um den Einsatz bewaffneter Streitkräfte geht, dann ist die Entscheidung, die wir hier zu treffen haben, eine der schwierigsten. Wir machen uns diese Entscheidung weiß Gott nicht leicht. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Deshalb wollen wir sie auch nicht treffen!) Mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Parlamentsbeteiligung werden wir diese Rechte auch nicht beschneiden. Ich möchte abschließend den Mitgliedern der Kommission für ihre umfangreiche und sorgfältige Arbeit danken. Ich bedanke mich fürs Zuhören und freue mich auf die Debatten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Frithjof Schmidt ist nun der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen! Bei der Bildung Ihrer – das sage ich ganz bewusst – Kommission zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr standen hochgesteckte Erwartungen im Raum, wie die von Ihnen sogenannte „Abstufung der Intensität parlamentarischer Beteiligung“ aussehen sollte. Daran gemessen ist das Ergebnis recht überschaubar geworden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Hätten Sie mal mitgemacht!) Ich finde es gut, dass Sie auf jeden konkreten Vorstoß zur Änderung der Verfassung verzichtet haben. Ich finde es gut, dass die unselige Debatte über Vorratsbeschlüsse oder die Delegation von Abgeordnetenrechten an spezielle Ausschüsse nicht mehr vorgesehen ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das haben Sie nach Prüfung der Umstände sicher aus guter Einsicht ad acta gelegt. Aber ich bin mir auch sicher, dass Ihnen dabei die geschlossene und scharfe Kritik der gesamten Opposition in diesem Haus an solchen Vorhaben eine große Hilfe war. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wenn diese falschen politischen Ideen nun in Ihren Fraktionen nicht mehr herumspuken und dauerhaft politisch entsorgt sind, dann hatte dieser politische Prozess auf jeden Fall etwas Gutes. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es gibt in Ihrem Gesetzentwurf drei politische Punkte, bei denen wir Ihrer Meinung sind. Wir begrüßen ausdrücklich, dass Sie für Bundeswehreinsätze nun einen Evaluierungsbericht vorsehen, der die Wirksamkeit der militärischen und zivilen Komponenten der Mission bewertet. Das haben wir seit vielen Jahren immer wieder gefordert. Es ist gut, dass Sie diese Position jetzt aufnehmen. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Überfällig!) Wir begrüßen auch, dass dem Bundestag jährlich ein Bericht über bestehende multilaterale militärische Verbundfähigkeiten vorgelegt werden soll. Das trägt zur Transparenz darüber bei, was alles arbeitsteilig mit anderen Ländern militärisch geplant und getan wird. Solche Transparenz ist immer auch die Voraussetzung für politische Kontrolle. Wir finden auch richtig, dass Sie die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes, die es im Urteil zu unserer Klage zum sogenannten Pegasus-Einsatz in Libyen gemacht hat, wie denn bei Gefahr im Verzug mit Eilfällen umzugehen ist, sofort übernommen haben. Das schafft die notwendige Klarheit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So wie das bisher klingt, können Sie zustimmen!) Aber das sind natürlich nicht die zentralen politischen Punkte Ihres Gesetzentwurfes. Politisch im Zentrum steht Ihr Versuch, Einsatztypen zu definieren, die in der Regel nicht mandatspflichtig sein sollen, bei denen also die Möglichkeit einer Einbeziehung in bewaffnete Kampfhandlungen auszuschließen ist. (Henning Otte [CDU/CSU]: Das haben Sie falsch verstanden!) Sie nennen zum Beispiel Ausbildungsmissionen in sicherem Umfeld, UN-Beobachtermissionen, logistische Unterstützung ohne Bezug zu Kampfhandlungen. (Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Ja!) Sie wecken damit die Illusion, man könne mit einem solchen Gesetzestext die notwendige Einzelfallprüfung eines jeden Einsatzes umgehen oder wenigstens minimieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ihre These in diesem Gesetzentwurf ist: Der mandatspflichtige Ausbildungseinsatz ist atypisch, ist die Ausnahme von der Regel. Schauen wir uns die Praxis an. Die Bundeswehr führt zurzeit vier Ausbildungseinsätze durch: in Afghanistan, Irak, Somalia und Mali. Welchen dieser Einsätze wollen Sie denn ohne Mandat durchführen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zurufe von der SPD: Keinen!) Das wäre dann offenkundig die Ausnahme von der Regel und atypisch, also genau andersherum, als Sie es im Gesetzentwurf formuliert haben. Das ist der Fehler. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Sonja Steffen [SPD]: Das stimmt ja so nicht!) Die Wahrheit ist: Sie sind mit dem Versuch gescheitert, eine praxistaugliche Typologie zu finden. Ihre Konstruktion ist auch rechtlich fragwürdig. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes verpflichtet uns zu einer Einzelfallprüfung, und der Versuch, dies mit irgendwelchen Regelfällen zu unterlaufen, muss scheitern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Politisch bedeutet Ihr Gesetzentwurf den Versuch einer Stärkung der Interpretationsmöglichkeiten der Exekutive und einer Schwächung der Kontrollmöglichkeiten und der Kontrollfähigkeit der Legislative, das heißt in diesem Fall insbesondere der Opposition. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Das sehen wir auch so!) Das ist politisch falsch, und das lehnen wir ab. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Wir auch!) Auch die Mitwirkung der Bundeswehr in multinationalen Stäben oder Hauptquartieren wollen Sie durch diesen Gesetzentwurf von der Zustimmungspflicht des Bundestages bei Kampfeinsätzen ausnehmen. (Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Wer sagt denn das? Völlig falsch verstanden! Da liegen Sie völlig daneben! – Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]: Das ist schon so falsch, dass es böswillig ist!) Nur dann soll die Ausnahme nicht gelten, wenn die Soldaten sich direkt im Kampfgebiet befinden oder dort eingesetzte Waffen direkt bedienen, also zum Beispiel Kampfdrohnen steuern. Das heißt, stabsleitende Funktionen von Waffeneinsätzen sollen ausdrücklich keine Einbeziehung in die bewaffnete Auseinandersetzung mehr bedeuten. Das ist politischer Unsinn: Planung und Befehle sollen per Gesetz nichts mehr mit dem Einsatz vor Ort zu tun haben? Wem wollen Sie das weismachen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Das ist lächerlich!) Das widerspricht auch den einschlägigen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichtes. Deswegen sagen wir Ihnen: Sie befinden sich damit auf ganz dünnem Eis. Auch diese Gesetzesänderung lehnen wir ab. Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Schmidt, das Vorhandensein der Opposition ist demokratietheoretisch natürlich ein prinzipieller Vorteil. (Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Demokratiepraktisch ist deshalb wünschenswert, dass die Opposition auch bei allen einschlägigen politischen Beratungsprozessen beteiligt ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das hätten wir natürlich auch bei dieser Kommission außerordentlich begrüßt, und vielleicht hätte das eine oder andere auch im Bericht seinen Niederschlag finden können. (Beifall bei der CDU/CSU) Nächster Redner ist der Kollege Hans-Peter Uhl von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Herr Präsident, ich bedanke mich für den Hinweis an die Opposition. Ich werde auch darauf zu sprechen kommen. Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! „Der Kaiser hat die Verfügung über die bewaffnete Macht.“ So stand es in der Paulskirchenverfassung von 1849: „Der Kaiser hat die Verfügung über die bewaffnete Macht.“ (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Wollen Sie zurück?) Das ist eine lange Verfassungstradition, mit der wir bei der Abfassung des Grundgesetzes demonstrativ gebrochen haben. Weder der Kaiser noch das Staatsoberhaupt, sondern wir in diesem Saal, das Parlament, haben die Verfügung über die bewaffnete Macht. Der Ursprung der heutigen Debatte liegt im Jahr 1994, als das Verfassungsgericht in Karlsruhe ein wegweisendes Urteil gesprochen hat, mit dem Tenor, der Einsatz bewaffneter Streitkräfte bedürfe grundsätzlich der vorherigen Zustimmung des Bundestages. Das ist gut so. Die demokratisch-rechtsstaatliche Verfassungsordnung ist der Rahmen, in dem entschieden wird, wie mit dem Machtpotenzial der Bundeswehr umzugehen ist. Der Gestaltungsspielraum der Exekutive, des Bundesaußenministers und der Verteidigungsministerin, endet bei der Anwendung militärischer Gewalt im Ausland. Bis dahin sind sie selbstständig und eigenverantwortlich zuständig. Nun haben sich die Dinge weiterentwickelt. Nach dem rechtsschöpferischen Urteil aus dem Jahr 1994 hat der Bundestag im Jahr 2005 das Gesetz zur Parlamentsbeteiligung beschlossen. Aber seither sind elf Jahre vergangen. Die Welt hat sich weiterentwickelt. Deswegen ist es gut, dass wir im Lichte zunehmender Bündniszusammenarbeit dieses Gesetz auf den Prüfstand gestellt haben. Bei dieser Gelegenheit bedanke ich mich bei den beiden Vorsitzenden Herrn Kolbow und Herrn Rühe, dass wir uns mit diesem Gesetz sehr intensiv befasst haben. Ich bedauere an dieser Stelle – genauso wie der Präsident und die Koalition –, dass wir dies ohne die Opposition machen mussten. Wir hätten gerne mit Ihnen diskutiert. Viele Missverständnisse, die heute künstlich aufgebläht werden, wären nicht entstanden, wenn wir in den letzten 14 Monaten mit Ihnen hätten diskutieren können. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Die weite Auslegung des Bundesverfassungsgerichtes bei der Frage der Parlamentsbeteiligung birgt allerdings eine Gefahr. Sie birgt die Gefahr, dass durch diese Beteiligung ein Einfallstor in zutiefst militärische Entscheidungen geschaffen wird, das heißt, dass sich Parlamentarier in militärpraktische Details vertiefen, was nicht ihre Aufgabe ist. Das ist die Aufgabe des Militärs, wenn es um das Wie des Einsatzes geht. Wir haben erreicht – davon bin ich überzeugt; das werden Sie am Schluss auch zugeben müssen –, dass die Parlamentsrechte durch das neue Gesetz abgeglichen und nicht abgebaut werden. Jedenfalls war das die Leitlinie für die Rühe-Kommission. Über bewaffnete militärische Einsätze der Bundeswehr entscheidet also nach wie vor der Bundestag und niemand anderes. Wir haben uns mit einer Reihe von Experten getroffen, NATO-Stützpunkte besucht, unendlich viele Arbeitssitzungen abgehalten und haben uns den Dingen im Detail gewidmet. Ich möchte auf drei Dinge hinweisen. Es gibt nun eine Pflicht zur Unterrichtung des Parlaments. Ich halte es für wichtig, dass sich der Bundestag als Ganzes einmal im Jahr mit den vielfältigen militärischen Verbundfähigkeiten und unserer diesbezüglichen Einbindung befasst. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das kann man zusätzlich machen!) Nur gemeinsam im Bündnis können wir unsere Aufgaben lösen. Derzeit diskutieren wir über Flugzeugeinsätze oder EU-Battlegroups. Das können wir nur im Verbund machen. Der Bericht zeigt, in welchen Bereichen wir uns zur Bündnissolidarität verpflichtet haben. Wir werden mehr Verantwortung in der Außenpolitik übernehmen müssen. Wir werden ein verlässlicher Partner sein müssen. Da darf die Parlamentsbeteiligung, die wir ohne Abstriche bejahen, kein Störfaktor sein. Das war die Aufgabenstellung. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Uhl, darf der Kollege Ernst eine Zwischenfrage stellen? Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Ungern, (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD) weil ich mir von dem Kollegen nur wenig Konstruktives erhoffe. Lassen Sie mich fortfahren. Wir sollten mehr Verantwortung im Ausland übernehmen. Wir müssen ein verlässlicher Bündnispartner sein. Dabei geht es darum, dass Deutschland eine Bundeswehr hat, die einsatzfähig ist. (Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE] meldet für Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE] eine Kurzintervention an) – Das ist eine gute Idee. Wenn Sie, Herr Ernst, eine Kurzintervention machen, dann können Sie alles darlegen. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie auch!) Es gab in der Vergangenheit aufrüttelnde Berichte über schwere Mängel bei der Ausrüstung der Bundeswehr. Ich will nicht so weit gehen und das Wort von der Trümmertruppe übernehmen. Aber die Bundesministerin der Verteidigung, Frau von der Leyen, hat nun zu Recht ein großes Programm mit einem Volumen von 130 Milliarden Euro für die nächsten 15 Jahre aufgelegt. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das ist ein Wahnsinn!) Ich befürchte, dass wir die Bundeswehr in dieser Größenordnung ertüchtigen werden müssen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich habe den Eindruck, dass auch der Bundesfinanzminister dem zumindest dem Grunde nach zustimmt. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Er ist aber sicherheitshalber nicht gekommen! – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Grausig!) Es ging bei unserer Arbeit auch um den Einsatzbegriff, einen Begriff, den schon das Gericht vielfältig zu definieren versucht hat. Diesen Begriff wollten wir noch einmal schärfen: Was ist ein Einsatz, und was ist kein Einsatz? Wenn wir diesen Begriff im Unklaren lassen, riskieren wir, dass die Regierung nicht handlungsfähig ist bei ihren vielfältigen Kontakten und Verhandlungen mit den Bündnispartnern. Das Bundesverfassungsgericht ist zunehmend mit der Frage befasst, was ein Einsatz ist. Wir gehen fast regelmäßig davon aus, dass die Linke wegen jedes Einsatzes vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe geht. Dann muss das Gericht entscheiden. Hier befinden wir uns in einem Kernbereich des Politischen. Entscheidungen über Einsätze im Ausland sind zutiefst politische Entscheidungen, die das Bundesverfassungsgericht nicht zu treffen hat. Das entscheiden wir im Parlament und niemand anders. Es gilt der Grundsatz des „judicial self-restraint“. Das Gericht war bisher klug beraten, sich bei diesen Fragen, ob ein Einsatz erfolgen muss, zurückzuhalten. Ich hoffe, dass dies auch so bleibt in Karlsruhe. Wir haben uns also intensiv mit dem Begriff beschäftigt, und wir werden uns jetzt auch weiter im Plenum und in den Ausschüssen mit dem Gesetz befassen. Das ist auch gut so. Das, was kein Einsatz ist, haben wir auch herausgearbeitet: Logistische Unterstützungen oder medizinische Versorgung außerhalb von Konfliktgebieten sind natürlich kein Einsatz. Selbst das Gericht hat bereits gesagt, dass die bloße Möglichkeit der Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen kein Einsatz ist, sondern dass es eine qualifizierte Erwartung an eine solche Verstrickung in militärische Einsätze geben muss. Dann erst entsteht die Mandatierungspflicht. Auch reine Ausbildungsmissionen sind natürlich kein Einsatz. So können wir – hoffe ich – schnell und flexibel auf die Krisen des 21. Jahrhunderts reagieren, indem wir dort das Parlament befassen, wo es nach Gesetz und Recht erforderlich ist, während in den anderen Fällen die Exekutive handelt. Lassen Sie mich zu einem dritten Punkt kommen: die Spezialkräfte der Bundeswehr. Jederzeit weltweit einsatzbereit (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Ja, genau!) stehen sie uns zur Verfügung zur Rettung und Befreiung deutscher Geiseln im Ausland, um verdeckte Operationen im Ausland durchzuführen – Spezialaufklärung – oder zur Terrorismusabwehr. Ungeheuer wichtig in unserer Zeit ist dieses Kommando Spezialkräfte. Wie steht es nun mit der Frage: Was macht das Parlament in diesen Fällen? Auch hier hat das Gericht zu Recht entschieden, dass natürlich keine vorherige Information über einen solch hochgefährlichen Spezialeinsatz erfolgt, dass aber, nachdem der Einsatz hoffentlich erfolgreich zum Wohle der betroffenen Menschen oder Geiseln abgeschlossen ist, selbstverständlich das Parlament, und zwar jeder Einzelne von uns, unterrichtet werden muss. Und das ist eine kluge, weise Entscheidung, der wir gern folgen. Ich halte es auch für wichtig, dass wir darüber öffentlich sprechen, welche Männer und Frauen wir in der Truppe haben, die ihr Leben riskieren, um andere Menschenleben zu retten. Das sollte ruhig öffentlich diskutiert werden. Das steht ihnen zu. Wir haben sechs neue Berichtspflichten geschaffen. Das schafft Transparenz, und darum ist der Vorwurf der Linken völlig unbegründet. Der Kollege Schmidt von den Grünen hat gemeint, dass Sie, die Opposition, eine große Hilfe für uns waren, weil Sie uns von bestimmten Dingen abgehalten haben. Diese Dinge hatten wir übrigens gar nie vor, (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Lachen des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) aber wenn Sie das heftig glauben, dann kann ich Sie nicht daran hindern. Nein, wir haben eine Vorlage gemacht, auf deren Grundlage man die Probleme aus unserer heutigen Sicht der verbundenen Bundeswehr in der NATO, in der EU, in Aufgaben im Rahmen von UN-Resolutionen, die wir weltweit erfüllen müssen, lösen kann. Dies ist ein Gesetz, mit dem wir gut weiterkommen, und ich würde Sie einladen – zumindest die Kollegen der Grünen –, jetzt mitzumachen, (Lachen bei der LINKEN) nachdem Sie gesehen haben, dass wir auf dem richtigen Weg sind, Herr Schmidt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für eine Kurzintervention erhält der Kollege Ernst das Wort. (Niels Annen [SPD]: Jetzt wird es ernst!) Klaus Ernst (DIE LINKE): Herr Dr. Uhl, ich mache die Kurzintervention nur sehr ungern, ich hätte mir eher einen direkten Dialog gewünscht. Ich bin kein Militärexperte, aber Abgeordneter, insofern geht es hier auch um meine Rechte. Deshalb möchte ich Ihnen sagen, was mir jetzt eigentlich in der Debatte fehlt. Es sind im Wesentlichen von der Union zwei Einsatzformen vorgetragen worden. Ich hätte erwartet, dass darauf irgendwie eingegangen würde. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Untertitel!) Das Erste war der Drohneneinsatz. Er ist beschrieben worden. Wie ist es nun? Was passiert, wenn derjenige, der offensichtlich eine Kriegshandlung ausführt, nämlich eine Drohne steuert – dabei wissen wir, dass diese Drohnen inzwischen nicht nur aufklären, sondern auch etwas abwerfen bzw. schießen können –, dies nicht über einem Einsatzgebiet tut, sondern über einem friedlichen Gebiet? Dazu ist doch vorher eine ganz konkrete Frage von Herrn Dr. Schmidt gestellt worden: Ist ein solcher Einsatz nun zustimmungspflichtig durch das Parlament oder nicht? Wenn man so ein Gesetz macht, muss man doch eine klare Antwort geben können. Eine zweite Frage wurde aus meiner Sicht ebenfalls vollkommen zu Recht gestellt: Was ist mit den Einsätzen, die jetzt nicht mehr zustimmungspflichtig sein sollen? Der Kern dieses Gesetzes besteht doch darin, dass bestimmte Einsätze nicht mehr zustimmungspflichtig sein sollen. Jetzt ist von Ausbildungseinsätzen, die nicht mehr zustimmungspflichtig sein sollen, die Rede gewesen. Wir wissen, dass die Bundeswehr Ausbildungseinsätze durchführt. Meine konkrete Frage lautet: Welche Einsätze, die gegenwärtig unter dem Titel „Ausbildungseinsätze“ oder unter anderen Titeln laufen – es sind über zehn, wenn ich es richtig im Kopf habe –, sind nicht mehr zustimmungspflichtig? Das wären meine zwei ganz konkreten Fragen. Ich würde Sie wirklich bitten, darauf einzugehen, damit sich auch der Abgeordnete, der kein Militärexperte ist, ein Bild machen kann, wie es künftig aussehen soll. Werden wir dann noch beteiligt, oder werden wir dann nicht mehr beteiligt? (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Zur Erwiderung der Kollege Uhl. Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! An dem Wortbeitrag des Kollegen wurde überdeutlich, wie falsch die Entscheidung war, sich an der Diskussion in den letzten 14 Monaten nicht zu beteiligen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Hätten Sie sich beteiligt, dann hätten Sie die Diskussion, die wir über Drohneneinsätze geführt haben, mitbekommen und hätten sich einbringen können. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sie können die Frage einfach beantworten!) Das wollten Sie nicht. Sie wollten sich wahrscheinlich die Chance nicht entgehen lassen, später im Plenarsaal solche Reden zu halten, die am Thema vorbeigehen, wie Sie es gerade getan haben. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Ich habe eine Frage gestellt!) Wir haben über Drohneneinsätze gesprochen und uns heftige Gedanken gemacht, wie man damit umzugehen hat. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Was ist dabei herausgekommen?) – Herr Kollege, bewaffnete Drohneneinsätze sind mandatierungspflichtig. Das heißt, Ihren Überlegungen haben auch wir uns gestellt. Deswegen ist es nur wünschenswert, wenn Sie fortan an der Diskussion teilnehmen und sich nicht verweigern, um hinterher umso heftiger mit Missverständnissen Opposition zu betreiben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Was ist mit der Ausbildung? Nach der Ausbildung habe ich noch gefragt! – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Zwei Fragen waren das!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun erhält die Kollegin Dağdelen das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sie können sich noch nicht einmal zwei Fragen merken!) Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Präsident, Sie sagten hier in dieser Debatte, dass es zur Demokratie gehört, dass sich auch die Opposition an einer Parlamentskommission beteiligt. Zu einer Demokratie gehört aber im Wesentlichen, dass es auch Rechte der Minderheiten gibt, (Beifall bei der LINKEN) und es gehört nicht dazu, dass die Regierungsfraktionen einfach eine Kommission gründen, den Auftrag selber bestimmen, einen Closed Shop machen und der Opposition sagen: Ihr könnt gerne zu dieser Kommission mitkommen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist doch kein Closed Shop!) Das ist aus diesem Grund keine Parlamentskommission, sondern eine Regierungskommission. Das ist die Wahrheit über den Sachverhalt, über den wir hier diskutieren. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der ehemalige Staatssekretär im Verteidigungsministerium aus der Partei CDU, Herr Willy Wimmer, (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) hat Folgendes zu diesem Vorgang hier gesagt: Warum eigentlich eine Reform zur Beseitigung des Parlamentsvorbehaltes? Seit dem sogenannten Adria-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes 1994 hat die jeweilige Bundesregierung letztlich alle ihre Einsatzvorhaben zum Bundeswehreinsatz realisieren können. … Die notwendige öffentliche Diskussion über den Einsatz der Bundeswehr ließ die Bundesregierung zögern, wo es wegen der Volksmeinung ratsam zu sein schien. … Anders kann der beabsichtigte Anschlag der Bundesregierung, mittels einer „Vorwandkommission“ den letzten Rest der Parlamentsbeteiligung und damit des Volksinteresses am Einsatz der Bundeswehr zu kippen, nicht gewertet werden. Herr Willy Wimmer sagt ganz eindeutig: Das Vorhaben von Union und SPD ist der größte Angriff auf die Rechte des Parlaments seit Gründung der Bundeswehr 1955. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Recht hat er!) Es ist nämlich der Anfang vom Ende der Parlamentsbeteiligung. Wenn deutsche Soldaten künftig in NATO- und EU-Stäben an Kriegen teilnehmen, hat der Deutsche Bundestag nichts mehr zu entscheiden. Ziel der Großen Koalition ist es, hier in einem so wichtigen Punkt allein die Bundesregierung über Krieg und Frieden entscheiden zu lassen. Wer diesem Gesetzentwurf zustimmt, entmachtet das Parlament, (Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Nein, tut er nicht!) und da macht die Linksfraktion nicht mit. (Beifall bei der LINKEN) Wer diesem Gesetzentwurf zustimmt, vergreift sich nämlich an dieser parlamentarischen Demokratie. Wer diesem Gesetzentwurf zustimmt, (Henning Otte [CDU/CSU]: Genau nachdenken jetzt!) will Deutschland deutlich schneller, möglichst ungestört, möglichst unbeachtet in neue Kriege führen. (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU) – Darum geht es hier: um ein Vorhaben zur Beseitigung des Parlamentsvorbehaltes. – Dieses Vorhaben wird auf den entschiedensten Widerstand bei der Linken treffen. (Beifall bei der LINKEN) Wir sagen Nein zu diesem Angriff nicht nur auf die parlamentarische Demokratie, sondern auch auf die Souveränität der Bevölkerung. Wir wollen diese Kriege nicht, weder unter der Flagge der EU noch unter der Flagge der NATO. Bei Ihrem Vorhaben schrecken Union und SPD auch nicht davor zurück, die Rechte des Bundestages, wie sie in Artikel 23 des Grundgesetzes festgeschrieben worden sind, direkt anzugreifen. Alles, was Sie dem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union zugestehen wollen, ist eine gravierende Verletzung des Grundgesetzes und auch des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union, des EUZBBG. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Unsinn! – Henning Otte [CDU/CSU]: Eine kühne Behauptung!) Das Grundgesetz ist für Sie augenscheinlich eben nichts mehr wert. Sie wollen nämlich ohne öffentliche Diskussion, ohne das Licht der Öffentlichkeit deutsche Soldaten in alle Welt entsenden können. Deshalb sagen wir Nein zu dieser neuen, immer abenteuerlicheren Politik der Entsendung in Auslandseinsätze nach Django-Manier. (Beifall bei der LINKEN) Eins muss man sich wirklich einmal vergegenwärtigen: Selbst im Zeitalter des deutschen Kaiserreichs wurde im Reichstag über Krieg und Frieden entschieden. Heute wollen Sie die Bundesrepublik in vorparlamentarische Zeiten zurückführen, nur damit keiner mehr hier im Bundestag und auch in der Öffentlichkeit über neue Kriege diskutiert. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Lachen des Abg. Niels Annen [SPD] – Rainer Arnold [SPD]: Wo steht denn das, was Sie da behaupten?) Darum geht es. Von einer Zustimmung aufseiten der SPD und auch der Union muss man bei den Militärinterventionen zwangsläufig immer ausgehen. Sie gehen auch noch so weit, den Rechtsbruch direkt in Ihren Gesetzentwurf hineinzuschreiben. Während Sie die EU als ein kollektives Sicherheitssystem bezeichnen, um den Bundestag nicht mehr über die Entsendung von Bundeswehrsoldaten in EU-Stäbe im Kriegseinsatz entscheiden lassen zu müssen, hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil über den Vertrag von Lissabon genau dies ausgeschlossen. Die Europäische Union ist kein kollektives Sicherheitssystem, hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum Vertrag von Lissabon gesagt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sehen Sie sich einfach einmal die Randnummer 390 dieses Urteils an. Deshalb kann es eben nicht angehen, dass Sie die rechtsstaatlichen Institutionen derart ignorant ins Abseits stellen. Die parlamentarische Demokratie, liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt man nicht einfach weg. Wir als Linke werden dafür kämpfen, dass diese parlamentarische Demokratie gerade in Zeiten unsicherer Situationen weltweit erhalten bleibt, um entscheidende Fragen von Krieg und Frieden hier im Parlament und nicht nur in der Regierung zu debattieren. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Das war eine linke Kampfrede!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Niels Annen für die SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Heiko Schmelzle [CDU/CSU]) Niels Annen (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach diesem Redebeitrag aus einem Paralleluniversum (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) versuche ich jetzt, etwas zur Sache zu sagen. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Der Pressesprecher des Auswärtigen Amts spricht!) Wenn man Frau Dağdelen zuhört, dann gewinnt man den Eindruck, dass allein meine Präsenz an diesem Rednerpult eine große Überraschung ist; denn angeblich wollen wir das ja unter Ausschluss der Öffentlichkeit diskutieren. Also, zur Sache. Ich will mich dem Dank an die Mitglieder der Kommission anschließen. Ich freue mich darüber, dass Sie, Herr Rühe, Herr Kolbow, heute an dieser Debatte teilnehmen. Ich glaube, dass Sie eine wichtige Arbeit geleistet haben. Ich will deswegen noch einmal daran erinnern, was der Auftrag war. Dieses Parlament – nicht allein die Koalitionsfraktionen; es war eine für alle offene Kommission – hat eine Kommission zur Überprüfung und Sicherung von Parlamentsrechten eingesetzt. Genau das haben wir getan, und zwar unter dem Eindruck einer Entwicklung, die wir alle miteinander in den letzten Jahren begrüßt haben, nämlich einer Entwicklung, die man als eine fortschreitende Bündnisintegration beschreiben kann. Das klingt technisch, bedeutet aber eigentlich, dass wir auf dem Weg der Europäisierung darin vorangehen, auch unsere transatlantischen Strukturen zu stärken. Natürlich hat es im Vorfeld dieser Einsetzung Debatten gegeben. Wir haben auch innerhalb der Koalition über den Auftrag der Kommission gestritten. Es gab Misstrauen. Das ist von den Oppositionsparteien artikuliert worden; das ist ihr gutes Recht. Deswegen will ich an dieser Stelle sehr deutlich, auch für meine Fraktion, sagen: Die SPD hat Wort gehalten. Es gibt keine Vorratsbeschlüsse. Die Rechte des Parlaments werden nicht beschnitten, sondern sie werden ausgebaut; sie werden gestärkt. Das ist eine ganz wichtige Entwicklung. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Weil man beim letzten Redebeitrag so ein bisschen den Eindruck bekommen konnte, wir würden hier in einer Geheimoperation die Rechte des Parlaments sozusagen zusammenstreichen, will ich doch noch einmal zusammenfassen, was wir uns vorgenommen haben und was Ihnen heute vorliegt. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Annen, darf, bevor Sie das zusammenfassen, der Kollege Neu intervenieren? Niels Annen (SPD): Ja, das darf er natürlich gern. Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): Kollege Annen, ich weiß nicht, ob Sie in Ihrer Fraktion miteinander diskutieren. Jedenfalls hat der Kollege Arnold gesagt, vor einigen Monaten im Verteidigungsausschuss, dass er den Vorratsbeschluss schon drinhaben wollte, (Rainer Arnold [SPD]: Was? – Heiterkeit bei der SPD) aber die Juristen der SPD abgeraten hätten. (Rainer Arnold [SPD]: Jetzt hört es auf!) Wie ist nun der Diskussionsstand in der SPD? (Rainer Arnold [SPD]: Einen solchen Unfug habe ich noch nie gehört! Also wirklich!) – Das lässt sich vielleicht im Protokoll des Verteidigungsausschusses nachvollziehen, Kollege Arnold. (Rainer Arnold [SPD]: Also wirklich! Auf so eine Schnapsidee käme ich nicht einmal besoffen!) Niels Annen (SPD): Ich muss mich manchmal wirklich ein bisschen zusammenreißen. Sie können die Protokolle des Deutschen Bundestages lesen. Sie können die Presseausschnitte über die Debatten lesen, die wir geführt haben. Es gab niemals einen Zweifel daran, dass die SPD gegen Vorratsbeschlüsse ist. Ich glaube, es gibt da überhaupt kein Problem. Der Kollege Kiesewetter hat in seiner Rede auch ein bisschen den Diskussionsverlauf dargestellt. Es gab damals eine öffentliche Auseinandersetzung über ein interessantes Papier von Herrn Kiesewetter und Herrn Schockenhoff. Dazu hat sich auch der Kollege Arnold geäußert; ich bin gelegentlich dabei gewesen. Es ist gar kein Problem, dass wir hier unterschiedliche Meinungen haben. Das ist Teil einer parlamentarischen Auseinandersetzung, Teil von Demokratie. Aber dass Sie mit Ihren Fragen, mit Ihren Redebeiträgen diese Plattform hier nicht nur dazu nutzen, um Ihre Position zu vertreten – das tun wir auch; das ist in Ordnung –, (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das ist aber großzügig! – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Jetzt wollen wir mal hören, was der Pressesprecher zu sagen hat!) sondern auch dazu nutzen, falsche Tatsachen zu präsentieren, (Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Desinformation!) die Öffentlichkeit so auch hinter die Fichte zu führen, das ist nicht in Ordnung. Insofern, glaube ich, entlarvt sich das selber. Zu Ihrer ersten Frage kann ich Ihnen sagen: Die SPD-Fraktion diskutiert immer. Wir haben auch hierüber intensiv miteinander diskutiert. Insofern: Die Einladung bleibt bestehen, auch an Ihre Fraktion. Wir kommen jetzt ins Gesetzgebungsverfahren. Beteiligen Sie sich an dem Gesetzgebungsverfahren. Als kleinen Einstieg in diese Beteiligung lesen Sie vielleicht erst einmal das, was hier zur Beratung vorliegt, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Was im Gesetz steht! Sehr richtig!) Weil sich gezeigt hat, dass es notwendig ist, will ich noch einmal zusammenfassen, worum es geht. Es sollen die Informationsrechte bei geheimhaltungsbedürftigen Operationen – Stichwort „Kommando Spezialkräfte“ – kodifiziert werden. Wir werden bisher über die Obleute unterrichtet. Das ist eine bewährte Praxis, aber es ist eine freiwillige Praxis. Die SPD-Fraktion war immer schon der Meinung, dass es nicht einen Teil der Streitkräfte geben kann, der von der allgemeinen Unterrichtungspflicht sozusagen ausgenommen ist. Wir verändern das jetzt. Ich glaube, das ist ein großer Fortschritt. Wir werden in diesem Gesetzgebungsverfahren auch dafür sorgen, dass es eine erweiterte Unterrichtungspraxis zu abgeschlossenen Operationen des Kommandos Spezialkräfte gibt. Das ist ein wichtiger Fortschritt. Ich will unterstreichen, dass ich es für eine gute Entscheidung halte, dass wir Ihnen, meine Damen und Herren, vorschlagen, die Evaluierungspflicht, die bisher in der Begründung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes angedeutet ist, in den Gesetzestext aufzunehmen. Das ist dann übrigens auch eine Grundlage, um vor der gesamten Öffentlichkeit darüber zu diskutieren, ob diese Entscheidungen vernünftig waren, ob der Einsatz richtig konzipiert war, und eine Grundlage für die weitere parlamentarische Beratung und für die Begleitung der wichtigen Arbeit unserer Soldatinnen und Soldaten. Für die Frage der internationalen Zusammenarbeit ist von besonderer Wichtigkeit – damit greifen wir eine Idee aus der Kommission auf –, dass wir die Bundesregierung auffordern, einen jährlichen Bericht – einen Bericht, keine Beschlussvorlage für einen Vorratsbeschluss; um das an dieser Stelle noch einmal zu unterstreichen – über die multilateralen militärischen Verbundfähigkeiten vorzulegen. Wir gehen davon aus, dass dieser Bericht nicht nur hier diskutiert wird, nicht nur von der deutschen Öffentlichkeit wahrgenommen wird, sondern dass er auch von der europäischen Öffentlichkeit, von den Kolleginnen und Kollegen in anderen Parlamenten und Regierungen zur Kenntnis genommen wird. Das sorgt für eine politische Absicherung. Das schafft das an Verlässlichkeit, was wir erreichen wollen, und es nimmt vielleicht auch ein bisschen von dem Misstrauen, das es in anderen Ländern gegenüber unserer parlamentarischen Beteiligungspraxis gibt. Um es noch einmal deutlich zu sagen – Kollege Uhl hat darauf hingewiesen, dass wir darüber sehr intensiv miteinander diskutiert haben, übrigens auch mit Vertreterinnen und Vertretern anderer Staaten –: Wir möchten nicht, dass sich eine Bundesregierung, wie immer sie zusammengesetzt ist, hinter dem Parlament versteckt, wenn es auf internationaler Ebene darum geht, über die Beteiligung an einem Einsatz zu entscheiden. Unsere Beratungen haben nämlich ergeben, dass das gelegentlich doch der Fall gewesen ist. Deswegen stellen wir klar: Eine frühzeitige Unterrichtung über die konkreten Planungen für bewaffnete Einsätze deutscher Streitkräfte im System gegenseitiger kollektiver Sicherheit soll vor diesem Hintergrund einen Beitrag leisten. Auch das ist eine Ausweitung der Informationsrechte des Parlamentes. Insofern bin ich überzeugt davon – wir beginnen ja jetzt mit dem Gesetzgebungsprozess –, dass diese Diskussion die Kritiker, die wir heute ja auch wieder gehört haben, widerlegt, die uns im Vorfeld der Einsetzung dieser Kommission unterstellt haben, dass die Große Koalition den Abbau von Parlamentsrechten beabsichtige. Deswegen kann man an dieser Stelle, glaube ich, eine ganz sachliche Diskussion miteinander führen. Ich will ohne jede Bitterkeit sagen: Wir haben es wirklich sehr bedauert, dass die Opposition sich gegen die Mitarbeit in dieser Kommission entschieden hat. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Oh!) Trotzdem haben wir das Gespräch gesucht. Wir haben regelmäßig Angebote gemacht, und ich bin sehr froh darüber, dass diese angenommen worden sind. Wir haben, wie ich finde, vor allem mit den Kolleginnen und Kollegen der Grünen sehr konstruktive Gespräche geführt. Wir haben auch Anregungen aus diesen Gesprächen aufgenommen. Ich will Ihnen an dieser Stelle sagen: Wir werden es im Gesetzgebungsverfahren genauso halten. Die Tür für Anregungen, für Diskussionsbeiträge – über Ihre ganz normalen parlamentarischen Rechte hinaus – bleibt natürlich offen. Wir sind sehr daran interessiert, dass es am Ende vielleicht doch noch dazu kommt, dass wir uns aufeinander zubewegen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will noch einen weiteren Aspekt in die Debatte einbringen: Es gibt in Europa nur wenige Parlamente, die über so viele Beteiligungsrechte beim Einsatz bewaffneter Streitkräfte verfügen wie der Deutsche Bundestag. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist wahr!) Der eine oder andere Abgeordnete anderer Parlamente, mit dem wir gesprochen haben, hat keinen Hehl daraus gemacht, dass er sich für sein Parlament manchmal ähnliche Rechte wünschen würde. Ich glaube, wir müssen mit dem, was wir uns erarbeitet und auch erstritten haben, sehr sorgsam umgehen; denn mit diesen Rechten geht ja auch eine Verantwortung einher. Nicht jeder Einsatz der Bundeswehr ist gleich gefährlich; aber kein Einsatz ist ohne Risiko. Es geht immer auch um das Leben meist junger Menschen. Deswegen dürfen wir in diesem Parlament nicht in einen Routinemodus verfallen. Es ist leider bei einigen Debatten manchmal fast vorhersehbar, welche Diskussion wir führen. Ich glaube, dass das an dieser Stelle ganz wichtig ist. Ich möchte zum Schluss doch noch einmal sagen: Der Parlamentsvorbehalt – auch diese Debatte zeigt das – schafft Öffentlichkeit und Legitimität und stärkt den Soldatinnen und Soldaten bei ihrer wichtigen Arbeit den Rücken. Dabei soll es bleiben. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Keul, einen Augenblick noch. – Der Kollege Gehrcke möchte gerne noch eine Kurzintervention machen. Dazu soll er Gelegenheit haben. Bitte schön. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Ich möchte zu einer Sache eine Klarstellung machen, weil sie immer wieder, wie ich finde, in einer falschen Art und Weise wiederholt wird – auch von Niels Annen gerade. Die Absicht ist erkennbar. Wir haben bei der Einsetzung der Kommission – das können Sie im Protokoll nachlesen; ich bedauere sehr, dass wir nicht einmal den Präsidenten haben überzeugen können – davon gesprochen, dass wir in den Auftrag der Kommission auch die Frage nach der Stärkung und dem Ausbau der Parlamentsrechte aufnehmen wollen. (Niels Annen [SPD]: Das haben wir doch gemacht!) Das wollten wir ausdrücklich in dem Auftrag der Kommission haben – was Sie gemacht haben, ist eine andere Sache –, das ist abgelehnt worden. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Hört! Hört!) Man wollte nicht den Auftrag erteilen, dass die Parlamentsrechte auch gestärkt und ausgebaut werden. Das war der Kern der Meinungsverschiedenheiten. Wir wollten nicht das Feigenblatt in einer Kommission, die sich dieser Aufgabenstellung verweigert, für Sie spielen. Das hätten Sie gerne gehabt und hätten hinterher sagen können: Die waren auch dabei und durften ihre Meinung äußern. – Entscheiden konnten wir ja sowieso nichts. Deswegen bleibt meine Fragestellung, ob dieses Parlament bereit ist, seine eigenen Rechte auszubauen und damit die Rechte der Regierung zu schmälern. Das ist der Kern der Differenz. Dazu müssen Sie sich bekennen, und dazu brauchen Sie nicht einen solchen Unsinn zu erzählen, dass wir uns verweigert haben, dass wir nicht wollten und, und, und. Ich weiß, dass Sie sich Mühe gegeben haben. Herr Rühe und Herr Kolbow waren bei uns in der Fraktion. Das war eine ganz muntere Debatte. Die SPD hat uns immer zum Kaffeetrinken eingeladen, um mit uns zu reden. Darum geht es nicht. Es geht darum, ob diese Kommission den Auftrag vom Parlament zur Stärkung und zum Ausbau der Parlamentsrechte bekommen hätte oder nicht. Das haben Sie nicht geleistet, und das wollten Sie nicht. Das Ergebnis spricht dafür, dass es nicht erfüllt worden ist. Das wollte ich hier noch einmal klarstellen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Kollege Annen zur Erwiderung. Niels Annen (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Gehrcke, Sie können nicht von der Tatsache ablenken, dass Ihre Entscheidung, sich nicht an einer Kommission zu beteiligen, bei der es auch um die Sicherung von Parlamentsrechten geht – das steht in der Aufgabenbeschreibung –, vor allem darin begründet liegt – das sehen wir in vielen Debatten, wenn es um Außen- und Sicherheitspolitik geht –, dass Sie die inneren Widersprüche in Ihrer Fraktion nicht vor der versammelten Öffentlichkeit darstellen wollen, und dass Sie sich vor allem – ich bedauere das ausdrücklich – nicht an der Detailarbeit, der Gesetzesarbeit in der Kommission beteiligten wollen, (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Absurd!) weil das offengelegt hätte, was Sie selber eben präsentiert haben: Frau Dağdelen hat gesagt, hier soll das Parlamentsrecht nicht nur beschnitten, sondern abgeschafft werden, und Sie sagen, Sie haben sich deswegen nicht beteiligt, weil in der Überschrift des Kommissionsauftrages sozusagen ein Adjektiv fehlt. Ich glaube, das entlarvt sich selber. Beteiligen Sie sich an der Arbeit. Lesen Sie die Dokumente. Machen Sie konkrete Vorschläge. Dann werden Sie in Ihrer eigenen Glaubwürdigkeit nur gewinnen können. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Lautsprecher des Auswärtigen Amts!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun hat die Kollegin Keul das Wort. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weil hier mehrfach das Bedauern über die Abstinenz der Opposition angesprochen worden ist, will ich noch einmal darauf hinweisen, dass es keine Kommissionen des Parlamentes war, sondern eine Kommission der Regierung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]) Das parlamentarische Verfahren beginnt heute. Hier werden wir uns jetzt auch beteiligen, wie Sie sehen. Sie legen uns heute einen Gesetzentwurf vor, mit dem Sie einen Begriff definieren wollen, den das Verfassungsgericht längst definiert hat. Es geht im Kern um den Begriff des bewaffneten Einsatzes. Dazu führt das Verfassungsgericht in der aktuellen „Pegasus“-Entscheidung aus – Zitat –: Es handelt sich beim Einsatz bewaffneter Streitkräfte um einen verfassungsrechtlichen Begriff, der nicht von einem unter der Verfassung stehenden Gesetz verbindlich konkretisiert werden kann. Und weiter: Mit dem Begriff „Einsatz bewaffneter Streitkräfte“ ist eine einheitliche rechtliche Schwelle parlamentarischer Zustimmungsbedürftigkeit definiert. Für eine zusätzliche militärische Erheblichkeitsschwelle im Einzelfall ist insoweit kein Raum … (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Sie versuchen jetzt trotzdem, mit dem neuen § 2 des Gesetzentwurfes gesetzlich zu definieren, wann eine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung nicht zu erwarten ist. Dazu sollen unter anderem gehören humanitäre Hilfsdienste, logistische Unterstützung und Ausbildungsmissionen im sicheren Umfeld. Nach dem bisherigen Wortlaut des Gesetzes sind humanitäre Hilfsdienste dann nicht zustimmungspflichtig, wenn eine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung nicht zu erwarten ist. Das entspricht den Vorgaben der Verfassung. Ob eine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung zu erwarten ist, bleibt eine Frage der tatsächlichen Verhältnisse, und diese Voraussetzung können Sie nicht gesetzlich wegdefinieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Und noch einmal ausdrücklich das Verfassungsgericht in der AWACS-Entscheidung von 2008 – Zitat –: Insbesondere kann das Eingreifen des Parlamentsvorbehalts nicht unter Berufung auf Gestaltungsspielräume der Exekutive maßgeblich von den politischen und militärischen Bewertungen und Prognosen der Bundesregierung abhängig gemacht werden … Einen solchen Gestaltungsspielraum gibt es auch nicht bei logistischen Einsätzen oder bei Ausbildungsmissionen in angeblich sicherem Umfeld. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch logistische Unterstützung ohne Bezug zu Kampfhandlungen kann grundsätzlich zustimmungspflichtig sein, weil es nach der Verfassungsrechtsprechung gerade nicht darauf ankommt, ob es tatsächlich bereits Kampfhandlungen gibt. (Rainer Arnold [SPD]: Deswegen schreiben wir auch: „in der Regel“!) Und die Ausbildung von Streitkräften, die sich in ihrem Land aktiv in einem bewaffneten Konflikt befinden, steht auch dann im Zusammenhang mit diesem Konflikt, wenn die Ausbildung aus Sicherheitsgründen beispielsweise in einem Nachbarstaat stattfindet. Der Rückzug hinter geografische Landesgrenzen ist gerade kein Ausschlusskriterium für die Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deswegen knüpft auch Ihr neuer § 2 a – was die Mitwirkung in militärischen Stäben und Hauptquartieren betrifft – an das falsche Kriterium an, wenn Sie darauf abstellen, ob sich die Soldaten auf dem Gebiet eines bewaffneten Konflikts befinden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn man sich die Kriegsführung der Moderne ansieht, wirkt dieses Kriterium geradezu skurril. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Ja!) Was Sie hier treiben, ist der untaugliche Versuch, auf einfachgesetzlicher Ebene verfassungsrechtliche Grundsätze zu unterlaufen. Und wenn Sie glauben, Sie könnten mit Ihrer 80-Prozent-Mehrheit die Verfassung ändern, wie es Ihnen beliebt, kann ich Sie nur davor warnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) In seinem Lissabon-Urteil aus dem Jahr 2009 hat das Verfassungsgericht den Zusammenhang zwischen Demokratie und Auslandseinsätzen noch einmal hervorgehoben und festgestellt, dass der Parlamentsvorbehalt zu dem nach Artikel 79 Grundgesetz geschützten, unantastbaren Kern der grundgesetzlichen Verfassungsidentität gehört. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Leider habe ich in dieser Legislaturperiode zunehmend den Eindruck, dass Sie unser bewährtes Grundgesetz nur noch als lästigen Bremsklotz betrachten, den man halt argumentativ irgendwie aus dem Weg räumen muss, (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sehr richtig!) sei es beim Einsatz im Nordirak, beim Tornado-Einsatz in Syrien oder beim AWACS-Einsatz über der Türkei. Deswegen zum Schluss noch eine kurze politische Bewertung aus den Schlussfolgerungen der Kommission „Europäische Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“ beim Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik – Zitat –: Das ParlBG stellt keinen Ballast für eine effektive Sicherheitspolitik dar. Es verhindert auch nicht per se eine stärkere militärische Integration im Bündnis (Niels Annen [SPD]: So what?) oder in der EU. … Im Idealfall verhindert die Parlamentsbeteiligung übereilte Entscheidungen, ermöglicht öffentliche Kontrolle, erhöht die Legitimität des Einsatzes und stärkt die Sicherheit Deutschlands. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das bleibt auch so! – Niels Annen [SPD]: Wo ist der Widerspruch?) In diesem Sinne verstößt Ihr Gesetzentwurf nicht nur gegen die Verfassung, sondern geht auch politisch in die völlig verkehrte Richtung. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Wilfried Lorenz ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wilfried Lorenz (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Vielleicht vorab eine kurze Bemerkung zu meiner Vorrednerin. Nach meinem Kenntnisstand ist die Rühe-Kommission vom Parlament eingesetzt und damit eine Parlamentskommission und keine Regierungskommission. Das sollte man vielleicht einmal klarstellen. (Beifall bei der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr richtig! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vielleicht noch eine weitere Bemerkung. Ich glaube, man sollte mit unserem Grundgesetz ein bisschen zurückhaltender umgehen. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Ja! – Weitere Zurufe von der LINKEN) – Vielleicht hören Sie mal zu. Herr Dr. Neu, es wäre sehr hilfreich, wenn Sie nicht nur reden, sondern auch mal zuhören würden. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Mache ich! Ich höre Ihnen gerne zu!) Ich glaube, man darf mit der Verfassung nicht einfach so sorglos umgehen und aus dem Beispiel AWACS-Einsatz über einem NATO-Gebiet schließen, dass wir gegen die Verfassung verstoßen. Ich glaube, das muss einmal klar und deutlich formuliert werden. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Das habe ich nicht gesagt!) Meine Damen und Herren, die Arbeit der Rühe-Kommission hat gezeigt, dass die Beteiligung des Bundestages bei Entscheidungen über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland in der bisherigen Form vom Grundsatz her erfolgreich war und unseren Bündnisverpflichtungen in keinster Weise im Wege stand. Warum ist es trotzdem wichtig und richtig, Änderungen an diesem Gesetz vorzunehmen? Erstens, weil natürlich die beste aller Politiken auf Realitätssinn beruht, zweitens, weil Geschwindigkeit keine Hexerei und schon gar kein Teufelswerk ist. Was meine ich damit, meine Damen und Herren? Ich meine damit, dass wir bei der Betrachtung der sicherheitspolitischen Lage wesentlich flexibler, schneller reagieren müssen. – Jetzt muss ich leider sagen, dass ich meine Zettel ein bisschen durcheinandergebracht habe, was mir leidtut. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Das passiert schon mal!) Das macht gar nichts. Ich bekomme das auch so hin, Herr Neu. Machen Sie sich da mal keine Sorgen! (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) – Sie können sich darüber totlachen, aber machen Sie sich keine Sorgen. Ich glaube, meine Damen und Herren, wir müssen schon genau betrachten, wie sich die sicherheitspolitische Lage um uns herum entwickelt hat. Es geht in dieser Diskussion nicht ausschließlich um die einzelnen Aspekte des Parlamentsbeteiligungsgesetzes, die zu Recht vorgetragen worden sind; rechtlich haben es Herr Uhl und andere Kolleginnen und Kollegen im Detail beschrieben. Ich glaube, obwohl sich dieses Verfahren bewährt hat, erfordert eine zunehmend komplexe, unübersichtliche Sicherheitslage – wie ich schon gesagt habe – mehr Reaktionsschnelligkeit, Flexibilität und Handlungsfähigkeit Deutschlands. Die sicherheitspolitische Lage ist in der heutigen Zeit von parallelen Bedrohungen und von der häufig raschen Taktung der Entstehung neuer Gefährdungslagen gekennzeichnet. Deshalb mussten wir das Verfahren der Parlamentsbeteiligung auf den Prüfstand stellen. Die Fragen waren: Geht es einfacher und schneller? Muss der Bundestag immer beteiligt werden? Die Antwort auf die erste Frage ist: Ja, es geht. Die Antwort auf die zweite Frage ist: Nein, nicht immer. – Genau das ist im Gesetzesentwurf verankert worden: Zunächst einmal wird der Bundestag künftig im Vorfeld schneller – Zitat: „möglichst frühzeitig“ – über konkrete Einsatzpläne informiert. Seine Wächterrolle beim Einsatz deutscher Streitkräfte hat das Bundesverfassungsgericht bestätigt: Wenn konkret zu erwarten ist, dass deutsche Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen einbezogen werden, ist vorab die Zustimmung des Parlamentes einzuholen. Entscheidend ist laut Gericht, ob die Soldaten in einer konkreten militärischen Gefahrenlage handeln, in der ein Waffeneinsatz naheliegt, sowie ob Waffen mitgeführt werden und eine Ermächtigung zum Gebrauch der Waffen vorliegt. Aber: Bei Gefahr im Verzug darf die Bundesregierung Streitkräfte in eigener Hoheit entsenden. Ein Bundestagsvotum ist dafür – auch nachträglich – nicht notwendig. Das Parlament ist allerdings nach Beendigung des Einsatzes – das ist hier schon gesagt worden – unverzüglich und qualifiziert zu unterrichten. Diese exekutive Eilkompetenz soll in kurzfristig auftretenden Ausnahmesituationen die militärische Handlungsfähigkeit Deutschlands sichern. Mit dieser Ergänzung können unsere Bündnispartner noch mehr darauf vertrauen, dass deutsche Anteile an Einsätzen verlässlich und zeitgerecht zur Verfügung stehen. Auch die differenzierte Definition des Einsatzbegriffes im vorliegenden Entwurf – auch das ist hier schon thematisiert worden – dient dem Ziel der Sicherung des Vertrauens innerhalb des Bündnisses. Gleichzeitig dient sie natürlich auch der Klarstellung hinsichtlich der Kompetenzen von Parlament und Bundesregierung. Nicht zustimmungspflichtig sind nach diesem Gesetzentwurf Einsatztypen, bei denen das Eskalations- und Verstrickungspotenzial „in der Regel“ gering ist. Hier sind Beispiele genannt worden: Erkundungsmissionen, humanitäre Hilfe, logistische Unterstützung, Ausbildungsmissionen. Aber dies gilt natürlich nur, soweit die Einsätze nicht im Gebiet eines bewaffneten Konfliktes oder mit Waffen durchgeführt werden. Diese Regelung übertragen wir mit diesem Gesetzentwurf auch auf integrierte und multinational besetzte Hauptquartiere der NATO, der EU oder anderer Organisationen gegenseitiger kollektiver Sicherheit. Das Merkmal „in der Regel“ sollte, so finden wir, in der parlamentarischen Beratung noch geschärft werden. Neu ist auch, dass die Bundesregierung den Bundestag über geheime Sachverhalte zu informieren hat. Auch darüber ist schon gesprochen worden. Das muss hier nicht mehr ausdefiniert werden. Insgesamt wird das im Entwurf vorgesehene Berichtswesen – diesen Punkt möchte ich herausarbeiten – in der weiteren parlamentarischen Beratung weiterzuentwickeln sein. Natürlich sind alle Kreise eingeladen, in der parlamentarischen Beratung mitzuwirken und ihre Überlegungen einzubringen. Das Verfahren ist das eine. Damit aber aus dem optimierten Verfahren Handlungsfähigkeit entsteht, braucht es mehr. Wir müssen Einsatzentscheidungen mehr denn je in einem größeren Kontext betrachten. Diese Gesamtschau muss den Krisenbogen vom afrikanischen Kontinent über den Nahen Osten bis nach Zentraleuropa im Blick haben. So ist die Terrororganisation Daesh nicht mehr nur in Syrien, dem Irak und in Libyen tätig, sondern in mehr als 20 Staaten. Stark werden kann Daesh aber nur dort, wo das Umfeld schwach ist. Zur Wahrheit gehört dazu: Künftig werden wir weitere Staaten unterstützen müssen, die Daesh nicht selbst stoppen oder zurückdrängen können. Je nach Einzelfall werden wir schnell handeln müssen. Gerade hier helfen die neuen Regelungen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes. Wir können zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen, wie lange der Kampf gegen Daesh in den verschiedenen Ländern dauern wird. Aber: Wir kennen die gefährdeten Staaten, wir kennen die Regionen der Welt, und wir kennen die Stärke der Terroristen in den jeweiligen Ländern. Wir kennen auch die auf Jahrzehnte angelegte Al-Qaida-Strategie, die vielen der aktuellen Gefährdungen in der Welt zugrunde liegt. Damit haben wir alles in der Hand, um systematisch und in längeren Zeiträumen zu planen. Die sicherheitspolitische Realität zwingt uns dazu, künftig in einem breiten Spektrum mehr für die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes zu tun. Deshalb ist es so wichtig, entsprechende rechtliche und verfahrenstechnische Grundlagen im neuen Parlamentsbeteiligungsgesetz klipp und klar zu regeln. Sehen Sie bitte das neue Parlamentsbeteiligungsgesetz als einen Schlüssel zur Sicherstellung aktueller wie künftiger Einsätze im Verbund mit unseren internationalen Partnern durch Vorgaben, die zeitgerechte Einsätze ermöglichen, durch die Sicherung der Rechte des Deutschen Bundestages und durch ein rechtliches Gesamtkonstrukt, das die Bündnis- und Handlungsfähigkeit Deutschlands stärkt. Ich bedanke mich. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort dem Kollegen Rainer Arnold für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Rainer Arnold (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach elf Jahren Parlamentsbeteiligungsgesetz ist es vernünftig und klug, wenn man angesichts der Veränderungen in der Welt dieses Gesetz überprüft; vielleicht sollten wir das öfter, auch bei anderen Gesetzen, tun. Genau das war der Auftrag der Kommission. Es gab von Anfang an viele Wünsche und auch viele Befürchtungen. Keine der Befürchtungen ist am Ende eingetreten. Der Wunsch nach einer Lockerung der parlamentarischen Rechte, der im Raum stand, der auch mal in Brüssel diskutiert wurde, war für uns Sozialdemokraten von vornherein ausgeschlossen, völlig ausgeschlossen. (Beifall bei der SPD) Das haben wir gesagt, und wir haben Wort gehalten. Es war auch gar nicht nötig; denn die Gespräche, die wir mit der Kommission und auch auf internationaler Ebene geführt haben, haben eindrucksvoll gezeigt: Der parlamentarische Vorbehalt ist keinesfalls ein Hemmschuh für deutsche Verantwortung in der Welt. Dass sich Regierungen manchmal hinter dem Parlamentsvorbehalt versteckt haben, ist für uns Parlamentarier sogar ein richtiges Ärgernis, weil das den guten parlamentarischen Vorbehalt in der Staatengemeinschaft diskreditiert und wir immer wieder erklären müssen, was Sache ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Insofern sage ich eindeutig: Der Parlamentsvorbehalt ist gut, und er schützt auch Regierungen – da bin ich ganz bei Ihnen – vor vorschnellen und möglicherweise auch falschen Entscheidungen. Es wurde auch befürchtet, dass der Parlamentsvorbehalt abgeschafft werden könnte. Davon wurde überhaupt nichts realisiert. Wir haben den Parlamentsvorbehalt in keiner Weise eingeschränkt. Im Gegenteil: An vielen Stellen haben wir die parlamentarischen Rechte erweitert und präzisiert. Herr Kollege Neu, was Sie vorhin gesagt haben, das ärgert mich jetzt schon; denn dieses angebliche Zitat ist weit von meinem Denken entfernt. Um es klar zu sagen: Ich war einer der wenigen, die damals, bei der ersten Formulierung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes, sehr engagiert dabei waren. Schon damals war für mich ganz klar: Wir wollen niemals Vorratsbeschlüsse. Ergänzend habe ich immer gesagt: Sie sind rechtlich auch nicht möglich. – Beides ist unsere Position. (Beifall bei der SPD – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Das erinnert mich an Adenauer: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern!) Wir erweitern die Rechte, insbesondere an einem ganz wichtigen Punkt, nämlich bei der Unterrichtung des Parlaments. Es ist eine frühzeitige Unterrichtung vorgesehen, dann, wenn Regierungen anfangen, über Einsätze zu reden und zu planen. Das ist wichtig, weil es nicht im Ermessen von Regierungen liegt, darüber zu befinden, ob ein Einsatz mandatspflichtig ist oder nicht. Das ist ein parlamentarisches Recht. Deshalb ist es ganz eindeutig: Es ist gut, dass wir dies gesetzlich verankern. Die Regierungen müssen mit dem Parlament ventilieren, wie das Parlament den einzelnen Einsatz bewertet. Ich sage es deutlich: Bei allen Bundesregierungen gibt es, was das Ventilieren anbelangt, Luft nach oben. Deshalb ist es gut, dass wir hier Klarheit schaffen. Wir stärken das Recht des Parlaments im Bereich der Informationen über Einsätze des Kommandos Spezialkräfte. Auch das ist ein lang gehegter Wunsch. Und es gibt die seit langem eingeforderten Evaluierungen am Ende von Einsätzen. Das ist alles richtig. Nun kommt dieser schwierige Punkt, über den wir lange diskutiert haben: Ist es überhaupt möglich, eine Grenze zu definieren, ab wann ein Einsatz als Einsatz bewaffneter Streitkräfte anzusehen ist und damit als mandatierungspflichtig? Wir haben viele Stunden darüber beraten. Wir haben gemerkt: Es wird nie eine harte Grenze geben, sondern es wird immer einen Bereich geben, über den man diskutiert, vielleicht auch politisch streitet. Insofern ist das, was wir formuliert haben, nur ein Schritt in Richtung einer stärkeren Präzisierung. Das entbindet uns aber in keinem Fall von der Pflicht – hier wurde gesagt: das muss in jedem Einzelfall entschieden werden –, über jeden Einzelfall zu diskutieren und zu entscheiden. Frau Kollegin Keul, das Kritischste sind sicherlich die Ausbildungsmissionen. Herr Schmidt hat ja ein paar Beispiele genannt: Afghanistan, Mali, Nordirak. Um es ganz klar zu sagen: Afghanistan ist kein sicheres Umfeld und Erbil auch nicht. Es gibt ja Indikatoren: Wenn Ausbildungsmissionen militärisch stark geschützt werden müssen, wenn deutsche Soldaten von einer starken eigenen Schutzkomponente begleitet werden, ist dies ein starker Indikator dafür, dass das kein gesichertes Umfeld ist. Deshalb sind diese Einsätze zu mandatieren. Da gibt es doch überhaupt kein Vertun. (Zuruf des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Daneben gibt es Einsätze, bei denen die Soldaten abends womöglich sogar ins Hotel fahren und sich vom Objektschutz des Hotels bewachen lassen oder sich selbst schützen. Das ist ein sicheres Umfeld. Manchmal wird ja auch in Deutschland oder in Nachbarländern ausgebildet. Wir haben die Ausbildung von somalischen Kräften in Kenia auch nicht mandatiert. Damals gab es keine Diskussionen. Insoweit ist das schon ein Stück weit abgrenzbar. Es gibt noch einen weiteren Aspekt bei Ihrer Argumentation, den wir nicht vergessen dürfen: Für den Zweifelsfall – ich bekenne mich ja dazu, dass es immer wieder Zweifel geben wird – hat uns das Verfassungsgericht etwas Wichtiges ins Stammbuch geschrieben. Das Verfassungsgericht sagt nämlich in seinem Urteil: Im Zweifel muss das Parlamentsbeteiligungsgesetz „parlamentsfreundlich“ interpretiert werden. Das ist juristisch so definiert, und das ist – das sage ich deutlich – auch eine sozialdemokratische Grundposition. Deshalb gibt es keinen Grund, Ängste zu schüren oder gar mit Halbwahrheiten, wie die Linke es tut, die Öffentlichkeit zu täuschen. So können wir über diesen Bereich nicht miteinander diskutieren. Dazu ist das alles viel zu wichtig, viel zu ernst. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir haben ein paar Dinge präzisiert. Das gilt auch für die Stäbe. Kollegen von den Linken, die Stäbe mussten bisher auch nicht mandatiert werden. Bisher stand das in der Begründung, und jetzt steht das im Gesetz. Was kann ein Parlamentarier schlecht daran finden, wenn die Dinge klargezogen werden? Im Prinzip nichts. Die Kommission hat sich ein bisschen auch mit Themen beschäftigt, die nicht zu ihrem Auftrag gehörten. Es war aber richtig, dass die Kommission an der einen oder anderen Stelle über den Tellerrand hinausgeschaut hat. Ich will drei Bereiche erwähnen, die ich wichtig finde: Erstens. Die Kommission hat sorgfältig reflektiert, warum Deutschland bei UN-Friedensmissionen so wenig beteiligt ist. Ich finde, dass dieses ein zentrales Thema ist, dass das Gewaltmonopol der Welt bei den Vereinten Nationen liegt – das müssen wir nicht nur verbal formulieren, sondern wir müssen die UN auch konkret unterstützen, damit dieses Gewaltmonopol durchgesetzt werden kann. Die Defizite der UN darf man nicht beklagen, sondern man muss sie beseitigen – dies hat grundsätzliche Debatten im Parlament verdient. Das Zweite, das die Kommission reflektiert hat, ist: Müssten wir im Deutschen Bundestag nicht mehr über Sicherheitspolitik reden? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich war enttäuscht, dass die Kanzlerin dies im Verteidigungsausschuss von sich gewiesen hat. Deshalb finde ich das, was wir jetzt im Gesetzentwurf machen, sehr geschickt. Denn wir sagen: Überall dort, wo es um verbundene europäische oder NATO-Fähigkeiten geht, muss sich das Parlament damit befassen, nicht im Sinne von Vorratsbeschlüssen, dass man nicht mehr Nein sagen kann. Es gibt keine juristische Bindung – das ist eindeutig –, aber es gibt politische Einsichten, Verpflichtungen und Diskussionen. Diese Diskussionen müssen wir führen. Ich glaube, über diese Brücke zwingen wir in Zukunft einmal im Jahr uns alle selbst und die Regierung, indem wir eine sorgfältige sicherheitspolitische Debatte führen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich glaube, das ist im Interesse von uns Parlamentariern insgesamt. Die dritte Reflexion ist zwar eine heikle, aber ich spreche sie trotzdem an. Es geht um die Frage: Muss man auf Dauer damit umgehen und leben? Juristisch kann man das. Verfassungsgerichtsurteile sind Verfassung. Aber ist es auf Dauer richtig, ein solch wichtiges Thema wie den Einsatz bewaffneter Streitkräfte auf Urteilen basierend zu legitimieren? Wäre es nicht klug, eine Verfassungsdebatte zu führen, die die Urteile, ohne die Rechte der Regierung zu erweitern, im Prinzip eins zu eins in den Verfassungsrang erhebt? Ich muss sagen: Ich treffe sehr, sehr viele Soldaten, die diesen Wunsch haben. Denn unsere Soldaten sind Staatsbürger in Uniform. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Rainer Arnold (SPD): Sie legen Wert darauf, dass nicht der geringste Zweifel daran entstehen kann, dass das, was sie tun, verfassungskonform ist. Um es klar zu sagen: Ich bin nicht der Meinung, dass diese Koalition ihre satte Mehrheit in diesem Fall für Verfassungsänderungen nutzen sollte. Ich würde das für politisch unklug halten, und ich möchte dies auch nicht. Ich bin aber sehr dafür, dass man einen Tag findet, an dem Regierung, Opposition und Koalitionsfraktionen über solche Themen miteinander ins Gespräch kommen. Recht herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Andreas Nick ist der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Andreas Nick (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Parlamentsbeteiligungsgesetz ist 2005 in Kraft getreten. Der Deutsche Bundestag hat seitdem über 90 Anträgen der Bundesregierung auf Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte ins Ausland oder deren Fortsetzung zugestimmt. Auch eilbedürftige Entscheidungen fielen nach sorgfältiger und intensiver Prüfung innerhalb weniger Tage. In keinem einzigen Fall haben wir die Zustimmung verweigert. Jeder Einsatz fand eine oft breite Mehrheit im Bundestag, getragen häufig nicht nur von den Regierungsfraktionen, sondern auch aus den Reihen der Opposition. Als Parlament können wir mit Fug und Recht festhalten: Wir sind unserer außenpolitischen Verantwortung gerecht geworden, und wir haben Verlässlichkeit auch gegenüber unseren Bündnispartnern unter Beweis gestellt. Mit Zustimmung des Bundestages befinden sich deutsche Soldatinnen und Soldaten seit Jahren an vielen Krisenherden der Welt im Einsatz. Mit ihrer Leistungsfähigkeit und ihrer Einsatzbereitschaft leisten unsere Soldatinnen und Soldaten einen vorbildlichen Beitrag für Frieden und Stabilität weltweit. Dafür sprechen wir unseren herzlichen Dank aus. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir bekennen uns als Parlament zu unserer Bundeswehr, und wir sind uns unserer besonderen Verantwortung für unsere Parlamentsarmee sehr bewusst. Dies betrifft nicht nur die sorgfältige Abwägung von Notwendigkeit und Risiken jedes einzelnen Einsatzes. Es gilt vielmehr auch für unsere ganz grundsätzliche Verantwortung, nämlich erstens unseren Soldatinnen und Soldaten die bestmögliche Ausrüstung zur Verfügung zu stellen und zweitens im Ernstfall ihre optimale sanitätsdienstliche Versorgung zu gewährleisten. Ich stelle fest: Nicht zuletzt deshalb genießt unser Sanitätsdienst weltweit einen hervorragenden Ruf. Wir setzen unsere Streitkräfte grundsätzlich nur im Rahmen von Mandaten der Vereinten Nationen oder gemeinsam mit unseren Partnern in NATO und EU ein. Dies entspricht unserer historischen Erfahrung und unseren Sicherheitsbedürfnissen als Land im Zentrum Europas. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen dann die Tornados in Syrien?) Michael Stürmer ruft uns beständig den Leitsatz von Helmut Kohl in Erinnerung: Bündnisfähigkeit ist Kern deutscher Staatsräson. – Unsere Bündnisfähigkeit nach außen und die demokratische Legitimierung nach innen gehören deshalb zusammen. Sie sind der doppelte Imperativ deutscher Sicherheitspolitik. Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass der Parlamentsvorbehalt immer wieder als möglicher Unsicherheitsfaktor beschrieben wird, wenn es um die stärkere Integration deutscher militärischer Schlüsselfähigkeiten in multilaterale Strukturen geht. Es ist richtig: Partner müssen darauf vertrauen können, dass Schlüsselfähigkeiten im Ernstfall auch tatsächlich zur Verfügung stehen. Nur dann sind militärische Zusammenarbeit und Aufgabenteilung mit den Verbündeten auch unter jeweiligem Verzicht auf entsprechende eigene Fähigkeiten möglich. Mit der Weiterentwicklung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes tun wir deshalb zweierlei: Wir untermauern Deutschlands Willen zur stärkeren multilateralen Zusammenarbeit, und wir stärken gleichzeitig die Rechte des Parlaments und die demokratische Legitimation unserer Parlamentsarmee. Ein besonderer Dank gilt der Kommission unter dem Vorsitz des früheren Verteidigungsministers Volker Rühe, die im Auftrag des Bundestages – des Bundestages! – die Grundlagenarbeit für die Fortentwicklung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes geleistet hat. Zunächst einmal verschafft die umfassendere Definition des Einsatzbegriffes mehr Klarheit. Nicht mehr mandatspflichtig sind unter anderem: Beobachtermissionen der Vereinten Nationen sowie Missionen anderer Systeme kollektiver Sicherheit, wenn sie keine Befugnis zur bewaffneten Durchsetzung eines Einsatzauftrages haben, die logistische Unterstützung ohne Bezug zu Kampfhandlungen, die Bereitstellung medizinischer Versorgung außerhalb des Gebiets eines bewaffneten Konflikts und Ausbildungsmissionen, wenn eine Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen nicht zu erwarten ist. Entscheidend – die Kollegen haben in der Debatte schon darauf hingewiesen – ist aber vor allem, dass die Bundesregierung zukünftig in der Pflicht ist, einen jährlichen Bericht darüber vorzulegen, welche konkrete Verantwortung für multilaterale militärische Verbundfähigkeiten aus der Bündnissolidarität folgt. Die geplanten Veränderungen stärken deshalb das Vertrauen in die Verlässlichkeit Deutschlands. Sie tragen aber auch dem veränderten Charakter der Einsätze Rechnung; der Kollege Lorenz hat darauf schon im Einzelnen hingewiesen. Internationale Missionen sind heute vorrangig nicht mehr nur Ad-hoc-Lösungen für akute Konflikte. Es geht vielmehr immer mehr um die vorausschauende Stärkung regionaler Sicherheitsstrukturen, etwa durch Ausbildungsmissionen für lokale Einsatzkräfte. Es ist wahr: Internationale Krisen treten nicht länger singulär auf – wenn sie es denn je taten –, und sie vollziehen sich auch keineswegs linear oder sequenziell. Auch in der parlamentarischen Begleitung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr müssen wir uns darauf stärker einstellen. Als Parlament werden wir uns daher künftig noch frühzeitiger, umfassender und nachhaltiger mit außen- und sicherheitspolitischen Entwicklungen befassen können und müssen. Wir setzen damit einen Prozess fort, der mit dem Review-Prozess und dem Weißbuch-Prozess angestoßen wurde. Ich füge aus meiner Sicht hinzu: Wir müssen auf Dauer stärker in Richtung einer nationalen Sicherheitsstrategie gehen, die wir umfassend hier Jahr für Jahr beraten. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, liebe Kollegen, mit der Weiterentwicklung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes stärken wir unsere Bündnissolidarität nach außen und die demokratische Legitimierung der Parlamentsarmee nach innen. Damit erhöhen wir die Handlungsfähigkeit und dienen den Sicherheitsinteressen unseres Landes. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/7360 und 18/5000 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 22: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Intelligente Mobilität fördern – Die Chancen der Digitalisierung für den Verkehrssektor nutzen Drucksache 18/7362 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss Auch zu diesem Tagesordnungspunkt soll es nach einer Vereinbarung der Fraktionen eine Aussprache von 77 Minuten geben. – Das ist offenkundig unstreitig. Also verfahren wir so. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Parlamentarischen Staatssekretärin Dorothee Bär. (Beifall bei der CDU/CSU) Dorothee Bär, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal ein herzlicher Dank an die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD. Wir sind dem Ministerium sehr dankbar, allein schon für den Titel „Intelligente Mobilität fördern“. Denn man muss einmal daran denken, dass es vor circa zwei Jahren, als das Ministerium nicht nur den neuen Namen, sondern auch die neue Aufgabe bekommen hat, auf der einen Seite für Verkehrspolitik und auf der anderen Seite für digitale Infrastruktur und für die Digitalisierung insgesamt zuständig zu sein, immer noch den einen oder anderen gab, der der Meinung war, dass Digitalisierung und Infrastruktur weder zusammengehören noch zusammenpassen. Ich denke, dass das Ganze sehr schnell Lügen gestraft wurde. Man hat festgestellt, wenn irgendwo die Digitalisierung notwendig ist, wo sie auch perfekt zu vernetzen ist, dann ist das in der Infrastruktur der Fall. Wenn man merkt, wie sich Lebensentwürfe ändern, wenn man merkt, wie sich unser eigenes Leben, das Berufsleben und das Privatleben, ändert und meines Erachtens sehr zum Vorteil wandelt, dann ist das auf die Digitalisierung zurückzuführen. Menschen auf der ganzen Welt und gerade auch in unserem Land, wo die Mobilität so wichtig ist, verlangen heute mehr denn je nach einer ungehinderten Mobilität, dies vor allem auch in einer extremen Schnelligkeit. Wir haben gleichzeitig eine immer dichter verflochtene Weltwirtschaft. Wir brauchen verlässliche, planbare und reibungslos fließende Güterströme. Darauf sind wir nicht nur mit Blick auf unsere Wirtschaft angewiesen, sondern wir haben auch einen Titel zu verteidigen. Weltweit weiß jeder, dass wir Fußballweltmeister sind. Die wenigsten wissen aber, dass wir auch Logistikweltmeister sind. Logistikweltmeister sind wir auch deswegen, weil unsere Warenströme so gut funktionieren. Auf diesem Status quo wollen wir uns aber nicht ausruhen, sondern wir wollen das Ganze auch weiterführen, weil es immer wesentlich schwieriger ist, einen Weltmeistertitel zu verteidigen, als ihn zu erringen. Deswegen werden wir in den kommenden Jahren so viel Geld wie noch nie zuvor in die Weiterentwicklung der Verkehrsinfrastruktur investieren. Wir haben dazu einen Fünf-Punkte-Investitionshochlauf gestartet. Diesen werde ich jetzt nicht noch einmal im Detail erklären. Ich denke, das hat der Minister schon so oft getan, sodass das jeder nachbeten kann. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles läuft hoch!) – Auch Sie, Frau Wilms. – Durch die fortschreitende Digitalisierung im Verkehrsbereich werden sich in den kommenden Jahren deutliche Veränderungen zeigen. Ein Weiteres ist mir sehr wichtig. Bei der Technik sind wir uns relativ einig, auch wenn es sicherlich noch Nuancen gibt, bei denen man die eine oder andere Stellschraube anders drehen möchte. Sorge bereitet mir nicht das Geld. Geld ist in unserem Haushalt vorhanden. Darüber beschwert sich im Moment zumindest niemand. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wird alles in die bayrischen Umgehungsstraßen gepumpt!) Es ist auch nicht so, dass die Technik nicht funktioniert. Auch da haben wir herausragende Firmen. Wir haben Weltmarktführer. Der Bereich der Zulieferindustrie ist herausragend. Sorgen bereitet mir allerdings, wie wir es schaffen, die Begeisterung und die Leidenschaft für die Digitalisierung insbesondere im Verkehrsbereich in die Bevölkerung hineinzutragen. Schauen wir uns einmal Umfragen zum Thema des autonomen Fahrens bzw. des automatisierten Fahrens an. Bei der Frage nach dem Nutzen und der Begeisterung stellt man fest, dass die Umfragen weltweit wesentlich euphorischer ausfallen als im eigenen Land. Spannenderweise sind die Frauen in Deutschland begeisterter als die Männer. Auch das ist eine positive Nachricht. (Zuruf: Oje, oje!) – Wer sagt denn hier „Oje, oje“? Ich hoffe, das kam nicht von hinten. (Heiterkeit) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich war es nicht. Ich weiß nicht, warum Sie sich zu mir umschauen. (Heiterkeit) Dorothee Bär, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Sie können es auch nicht gewesen sein, weil Sie eh nicht zugehört haben, weil Sie geschwätzt haben. Das habe ich ja mitbekommen. (Heiterkeit) Deswegen weckt das vielleicht auch die Begeisterung beim Präsidium. Ich bin der Überzeugung, nicht nur für die Gesellschaft, sondern auch für die Wirtschaft bieten sich enorme Chancen, die wir auch nutzen können. Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist auf der Basis starker Netze ein Hochtechnologieland. Wir sind Export- und Transitnation und stehen damit auch an der Spitze in Europa. Die Digitalisierung sorgt insbesondere im Verkehrssektor dafür, dass wir Wirtschaftswachstum und damit mehr Beschäftigung haben. Außerdem werden wir sicherer werden und umweltschonender sein. Darüber hinaus werden wir inklusiver sein. Das sind doch alles positive Nachrichten. Deswegen müssen wir die Skepsis noch weiter abbauen. Zum Sicherheitsgedanken im Verkehrsbereich. Es wird immer gefragt, wie wir das mit dem automatisierten bzw. autonomen Fahren machen. In Deutschland wird darüber diskutiert, was passiert, wenn das Auto entscheiden muss, ob es in den Kinderwagen reinfährt oder in etwas anderes. Im Silicon Valley in Amerika spricht man immer davon, was ist, wenn das Auto in drei Nonnen reinfährt. Ich weiß nicht, ob das an einem Mentalitätsunterschied liegt. Zumindest werden immer irgendwelche Schreckensszenarien an die Wand gemalt, wie sich das Auto entscheidet. Wenn man sich aber einmal die Zahlen anschaut und feststellt, dass 95 Prozent aller Unfälle auf menschliches Versagen zurückzuführen sind, dann muss man ganz einfach konstatieren, dass der Risikofaktor Mensch im Moment höher zu bewerten ist als der Risikofaktor Maschine. Insofern kann die Digitalisierung für eine größere Sicherheit sorgen und ist zudem wesentlich umweltschonender und inklusiver. Insofern begrüßen wir diesen Antrag der Koalitionsfraktionen ganz ausdrücklich. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Was kann durch die Digitalisierung noch getan werden, was bislang nicht möglich war, um den Menschen das Leben zu erleichtern? Ich nenne unser Ministerium ja sehr gerne auch das „Lebenserleichterungsministerium“. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kommen Sie auch zu politischen Maßnahmen? – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jubelarien haben wir genug gehört! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber wir wollen Chancen und Möglichkeiten eröffnen, beispielsweise durch die Förderung einer möglichst nahtlosen Reisekette – von der Fahrgastinformation über das Ticketing bis zum „Tür zu Tür“-Service – und durch die Förderung von Transportketten im Güterverkehr. Als Koordinatorin der Bundesregierung für Güterverkehr und Logistik sage ich: Gerade für den Güterverkehr, für die Logistik und für die Zukunft des Landes braucht unsere erfolgreiche Volkswirtschaft diese neuen Möglichkeiten noch wesentlich stärker. Zukünftig wird es zum Beispiel immer mehr Wetter- und Verkehrsinformationen geben. Mit dem Deutschen Wetterdienst haben wir hier eine wirklich ganz herausragende nachgeordnete Behörde, die uns täglich sehr wichtige Informationen liefert, und es gibt automatisierte Systeme, die dazu beitragen, dass Gütertransporte und logistische Abläufe effizienter und wesentlich umweltfreundlicher gestaltet werden können. Den gesamten Bereich „Automatisiertes und vernetztes Fahren“ habe ich schon angesprochen. Die Bundesregierung hat letzten September die „Strategie automatisiertes und vernetztes Fahren – Leitanbieter bleiben, Leitmarkt werden, Regelbetrieb einleiten“ beschlossen. Dadurch wollen wir auch die Verkehrseffizienz steigern. Es wird in Zukunft beispielsweise nicht möglich und auch nicht nötig sein, jede sechsstreifige Autobahn auf acht Streifen auszubauen. Schon jetzt werden teilweise Seitenstreifen mitgenutzt, wenn besonders viel Verkehr ist. Selbstverständlich kann die Anzeige für den Seitenstreifen sofort wieder auf Rot geschaltet werden, wenn beispielsweise ein Unfall passiert ist. Auch dadurch können wir die Verkehrssicherheit erhöhen. Wir stärken auch den Innovations- und Wirtschaftsstandort Deutschland. Deswegen hat unser Haus das Digitale Testfeld Autobahn auf der A 9 eingerichtet, was schon jetzt ein weltweites Erfolgsmodell ist. Wir haben hier nicht nur national, sondern auch international sehr viele Anfragen. Man möchte „on the German Autobahn“ – „die deutsche Autobahn“ ist nun einmal weltweit ein absolutes Qualitätsmerkmal – testen. Die Car-to-Car-Kommunikation, also die Fahrzeug-zu-Fahrzeug-Kommunikation, die Fahrzeug-zu-Infrastruktur-Kommunikation und die Rastanlagen der Zukunft werden getestet, und es erfolgen Falschfahrerwarnungen und Baustellenoptimierungen. Das alles wird auf dem Digitalen Testfeld Autobahn erprobt und bewertet, sodass daraus hoffentlich möglichst bald ein Regelbetrieb für ganz Deutschland entstehen kann. Wir haben ein weiteres Schatzkästchen. Wir sind ja nicht nur das Lebenserleichterungs-, sondern auch das Datenministerium. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh!) Das Bundesministerium hat nämlich den sogenannten MobilitätsDatenMarktplatz, den MDM, errichtet, um die verschiedenen verfügbaren Onlineverkehrsdaten weiter zu bündeln. Damit haben wir erstmalig ein zentrales Onlineportal mit den online verfügbaren Verkehrsdaten. Auch hier können noch einmal neue Potenziale erschlossen werden, und zwar durch eine bessere Nutzung der Datenbasis. Für mich ist entscheidend, kein Schreckensszenario an die Wand zu malen und zu sagen, dass „Big Data“ ein wahnsinnig böser Begriff ist. Wir nennen es „Smart Data“. Dabei geht es gar nicht darum, möglichst viele Daten zu sammeln, sondern darum, die Daten, die vorhanden sind, ganz intelligent und besser miteinander zu vernetzen. Ich komme zu meinem letzten Punkt. Auch wenn wir zurzeit immer sehr stark auf die Großstädte schauen, glaube ich, dass gerade die Digitalisierung im Verkehr eine Voraussetzung und eine sehr große Chance ist, um die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im ländlichen Raum und in den Großstädten, die uns wichtig ist, wesentlich besser zu erreichen. Diese Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ist eine wichtige Grundlage für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Deswegen stellen wir mit dem Modernitätsfonds auch die strategischen Weichen für eine gewinnbringende Nutzung von Smart Data in Deutschland. Im Herbst wird es dann unseren zweiten Hackathon, unseren BMVI Data-Run, geben. Dabei geht es darum, Daten, die schon erhoben wurden, öffentlich zur Verfügung zu stellen, um neue Apps oder neue Anwendungen entwickeln zu können. Sie sehen also: Wir tun sehr viel. Ich bin sehr dankbar, dass die beiden Koalitionsfraktionen das Ganze mit dem Antrag auch unterstützen, und ich freue mich weiterhin auf eine gute, gewinnbringende Zusammenarbeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächste Rednerin ist die Kollegin Sabine Leidig für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Leidig (DIE LINKE): Guten Morgen, Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Vor ungefähr 14 Tagen konnte man in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Überschrift lesen: „Google warnt vor eigenen Roboterautos“. Eigentlich dachte ich, damit ist das Thema weitgehend vom Tisch. Aber nein, weit gefehlt. Jetzt kommt die Große Koalition mit einem großen Antrag und spricht von intelligenter Mobilität und Digitalisierung. – Aha! Was steckt eigentlich dahinter? Sie haben es selber gesagt, Frau Bär: Man muss die Idee in die Bevölkerung hineintragen. – Das heißt, von dort kommt sie nicht. Ich kenne keine einzige Bürgerinitiative, keinen Seniorenklub, kein Rathaus, in dem die Leute sagen: Wir brauchen jetzt unbedingt mehr Digitalisierung im Verkehr. (Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Nein, weit gefehlt. Diese Idee kommt von Bitkom, vom Deutschen Verkehrsforum und von den einschlägigen Wirtschaftsunternehmen, die sich von einem solchen Geschäftsfeld neue Profitmöglichkeiten versprechen. (Zuruf von der CDU/CSU: Wir wollen keinen Stillstand!) Daher kommt auch die Überschrift. Frau Bär, dafür brauchen Sie niemanden zu loben. Sie haben „intelligente Mobilität“ einfach von dem Aktionsplan abgeschrieben, den Ihnen die großen Konzerne wie Telekom usw. praktisch in die Feder diktiert haben. (Beifall bei der LINKEN – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Das sagt auch die Bundestagsverwaltung auf ihrer Homepage!) Das kann man natürlich machen. Ich finde aber, das ist falsch; (Beifall bei der LINKEN) denn intelligent sind diese Systeme nur für die Kassen der Konzerne, nicht für die Allgemeinheit. (Maik Beermann [CDU/CSU]: Arbeitsplätze!) Sie wissen ganz genau, dass es 80 Prozent der Bevölkerung als einen Zuwachs von Lebensqualität bezeichnen, wenn es weniger Autos und Verkehr in ihrer Umgebung gibt. Es gibt einen Beschluss des Europäischen Parlamentes, der übrigens im Vorfeld der Klimakonferenz von Paris mit Beteiligung Ihrer Kollegen zustande gekommen ist, in dem eindeutig festgelegt ist: Wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, müssen wir Verkehr reduzieren. (Beifall bei der LINKEN) Weniger motorisierter Verkehr: Das ist intelligent, modern und zukunftsfähig. Was Sie hier vorlegen, ist ein Plan für mehr Verkehr auf der Straße. Sie machen das konkret und deutlich: Wenn man diese intelligenten Informationssysteme nutzt, können die Lkws in noch dichterer Folge fahren. (Nadine Schön [St. Wendel] [CDU/CSU]: Noch mehr Arbeitsplätze schaffen!) Noch mehr Autos, die durch automatisierte Systeme an die richtige Stelle geleitet werden, können in den Städten parken. – Ich bitte Sie: Was ist das denn für eine Zukunftsvision? (Maik Beermann [CDU/CSU]: Wir haben wenigstens eine!) Für mich ist das echt der Horror. (Beifall bei der LINKEN) Wir haben eine Zukunftsvision, aber die sieht anders aus. (Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Dampflokomotiven?) Die sieht nämlich so aus, dass man die Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt der Verkehrspolitik stellen muss. Dabei muss man zur Kenntnis nehmen: Drei Viertel der Menschen in Deutschland leben in großen und ganz großen Städten. Von diesen Menschen fahren immer mehr mit dem Fahrrad – sie verhalten sich automatisch intelligent und vernünftig; (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Autos fahren genug!) denn es gibt kein effektiveres Verkehrsmittel in der Stadt –, während die Autos zu über 95 Prozent stehen und eigentlich als Stehzeuge, nicht als Fahrzeuge bezeichnet werden müssen. Das ist überhaupt nicht effizient. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Für diese Gruppe der intelligenten Verkehrsteilnehmer haben Sie in Ihrem intelligenten Mobilitätskonzept kein einziges Wort übrig. Fahrräder kommen da überhaupt nicht vor. Auch Fußgänger kommen überhaupt nicht vor. Was ist das denn für eine rückwärtsgerichtete, fossile Denkart? Wir brauchen Parkraumkonzepte für diejenigen, die ihre Kinder und ihre Einkäufe mit dem Fahrrad transportieren. Wo sollen diese denn in Zukunft mit ihren Fahrzeugen bleiben? Darüber haben Sie überhaupt kein Wort verloren. (Maik Beermann [CDU/CSU]: Radwege!) Sie fabulieren von der fahrerlosen Straßenbahn, von der Vollautomatisierung des öffentlichen Verkehrs. Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Die Sicherheit und der Service des öffentlichen Nahverkehrs hängen nicht davon ab, dass noch mehr Kameras und Sensoren eingebaut werden, sondern davon, dass qualifiziertes Personal zur Verfügung steht, dass man Fragen stellen kann, dass es vernünftige und bezahlbare Angebote gibt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das ist intelligente Mobilität der Zukunft. Wir müssen die sozialen Strukturen ändern. Wir müssen den sozialökologischen Umbau angehen, statt auf Technologien zu setzen, wie sie VW und andere Autokonzerne einsetzen, um noch mehr Abgase in die Luft zu blasen, während sie versuchen, etwas zu retten, was nicht mehr zu retten ist. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die SPD-Fraktion erhält nun der Kollege Arno Klare das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Arno Klare (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will mit einem ganz kleinen Beispiel beginnen: Wenn man auf der A 57 zwischen den beiden Anschlussstellen Neuss-Reuschenberg und Kaarst fährt (Michael Donth [CDU/CSU]: Mit dem Fahrrad!) – Herr Rimkus wird das schon kennen –, dann fährt man in aller Regel, wenn der Verkehr normal fließt, fünf Minuten. Aber zu Peak-Zeiten, wenn der Verkehr richtig dicht ist, braucht man bis zu 18 Minuten. Das ist die längste gemessene Zeit. Das Ganze kann man global ausweiten. Ein großer Hersteller von Navigationssoftware macht das jedes Jahr mit einem sogenannten Pendlerindex. Er berechnet, wie groß der prozentuale Unterschied zwischen der normalen Fließgeschwindigkeit des Verkehrs auf einer Strecke und der Geschwindigkeit bei ganz dichtem Verkehr ist. Topscorer unter allen Städten weltweit ist Istanbul mit 58 Prozent Differenz, gefolgt von Mexiko City mit 55 Prozent. Düsseldorf liegt leider dorfartig nur bei 22 Prozent, wobei ich dort manchmal einen anderen Eindruck habe. Richten wir den Blick auf Deutschland: Wir hatten im Jahr 2014  474 000 Stauereignisse. Die Menschen standen dabei 285 000 Stunden im Stau. Das sind umgerechnet über 30 Jahre. Das muss man sich einmal klarmachen. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Sehr intelligent!) – Warten Sie ab, Frau Leidig! Ihre Zwischenrufe sind ätzend, ehrlich gesagt. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 1,2 Milliarden Liter Sprit wurden bei diesen Stauereignissen vergeudet. Wenn man davon ausgeht, dass jeweils 1 Liter Sprit zu 2,5 Kilogramm CO2-Ausstoß führt, dann sind das bei 1,2 Milliarden Liter Sprit insgesamt 3 Millionen Tonnen CO2. Das ist ein Drittel der Jahresmenge der 10 Millionen Tonnen CO2, die wir bis 2020 im Verkehrssektor einsparen müssen. Wenn man dafür Sorge tragen kann, dass intelligente Steuerung von Verkehr auch nur einen Teil – sagen wir, die Hälfte – davon entflechtet, und zwar nicht nur dadurch, dass der Verkehr verlagert wird, sondern durch einen Umstieg auf andere Verkehrsmittel in Rushhour-Zeiten, dann macht das durchaus Sinn. Dann ist das nicht nur intelligente Mobilitätssteuerung, sondern auch ein überaus intelligenter Antrag. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Der als Auto-Papst beschriebene Herr Dudenhöffer, um nur ein Beispiel zu nennen, hat vor Jahren vor der Grugahalle in Essen Autos die ganze Zeit im Kreis fahren lassen. Sie fuhren bei geringer Geschwindigkeit mit einem relativ geringen Abstand. Irgendwann trat die Situation ein, dass ein Fahrer nicht aufpasste und auf den anderen zu dicht auffuhr. Er trat auf die Bremse. Was passierte? Der Nächste stand, und dann stand der ganze Kreis. Was Herr Dudenhöffer beweisen wollte, war: Wenn man diese Fahrzeuge elektronisch mit Car-to-Car-Kommunikation koppeln würde und sie automatisch den gleichen Abstand halten würden, dann würden die meisten Staus auf den deutschen Autobahnen gar nicht erst entstehen. Auch das ist Teil der intelligenten Mobilität. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Klare, darf die Kollegin Leidig eine Zwischenfrage stellen? Arno Klare (SPD): Nein, das möchte ich im Moment nicht. Danke. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Das Ganze funktioniert auch im Bereich des Transportwesens bzw. der Logistik. Wenn wir von Logistik 4.0 und davon reden, dass Güter zu cyberphysischen Systemen werden, die sich selbst ihren THG-optimierten Weg suchen, dann geht das nur mit intelligenter Verkehrssteuerung, und zwar wohlgemerkt mit einem enormen Einsparpotenzial an THG. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wenn wir die Umweltziele, die wir uns selber gesetzt haben und die jetzt im Vertrag von Paris kodifiziert worden sind, erreichen wollen, dann wird es mit diesen intelligenten Steuermodellen gelingen, einen Teil davon hinzubekommen. Wenn wir dann sozusagen wieder in die schöne Analogwelt zurückwollen, wo wir ein Vierganggetriebe selber schalten und meinen, wir könnten es besser als das elektronisch gesteuerte Getriebe, dann ist das kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Noch ein Hinweis, damit der ganz große Rahmen deutlich wird: Ende Oktober 2012 war „Sandy“ in New York. „Sandy“ ist ein Hurrikan. Er hat dort große Zerstörungen angerichtet. Ein Hurrikan gehört nicht nach New York. Warum war er überhaupt da? Er war da, weil der Jetstream, ein Nordpolarstrom, der von West nach Ost weht, nicht wie sonst den Hurrikan auf den Atlantik getrieben hat, wo er über dem kalten Wasser an Kraft verliert. Wie wir alle wissen, ist der Jetstream, ökologisch bedingt und menschengemacht, volatil geworden. Deshalb war „Sandy“ in New York. Wenn wir dazu beitragen wollen, dass so etwas nicht mehr passiert, dann müssen wir die hier vorgestellten Modelle umsetzen. Insofern steht unser Antrag in einem großen klimapolitischen und globalen Zusammenhang. Diesen müssen wir begreifen. Das Begreifen vermisse ich bei Ihnen, Frau Leidig. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Es ist nicht zu begreifen, wenn Sie mehr Verkehr auf die Straße bringen!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Ganz herzlichen Dank. – Als nächster Redner hat Stephan Kühn von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist richtig, dass wir über die Chancen der Digitalisierung im Verkehr reden. Allerdings ist der Zeitpunkt mehr als verdächtig. Wir hätten erwartet, dass nach mehr als vier Monaten VW-Betrugsskandal diese Koalition endlich der Öffentlichkeit Vorschläge präsentiert, aus denen hervorgeht, wie künftig Dieselfahrzeuge nicht nur im Labor, sondern tatsächlich auch auf der Straße sauber sind, wie wirksame Prüfungen und Kontrollen stattfinden und wie die Stickoxidbelastung in Städten endlich sinkt. Nichts haben Sie geliefert. Stattdessen befassen wir uns mit diesem Thema. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir hätten erwartet, dass Sie sechs Wochen nach der Klimakonferenz in Paris Vorschläge für eine Strategie „Klimaschutz im Verkehr“ mit verbindlichen CO2-Reduktionszielen und konkreten Maßnahmen vorlegen. Nichts! Sie lenken schlicht und ergreifend von Ihren Versäumnissen ab. In Ihrem Antrag steht: Die Digitalisierung soll Deutschland zum „Leitmarkt und Leitanbieter für die Zukunft der individuellen Mobilität“ machen. Sie bekommen es noch nicht einmal hin, Deutschland zum Leitmarkt und Leitanbieter der Elektromobilität zu machen. Sie streiten sich wie die Kesselflicker über eine Kaufprämie zur Förderung von Elektroautos. Sie beschreiben in Ihrem Antrag des Weiteren die Potenziale der Automatisierung und der Vernetzung für das Carsharing. Sie bekommen aber noch nicht einmal ein Carsharing-Gesetz hin, mit dem endlich rechtssicher geregelt wird, wie Stellplätze im öffentlichen Raum angeordnet werden können. All das legen Sie nicht vor. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch wir sehen die Potenziale und meinen, dass Infrastruktur durch Digitalisierung besser genutzt werden kann, beispielsweise Verkehrstelematik anstatt mehr Beton in der Landschaft. Standspurfreigabe- und Streckenbeeinflussungsanlagen können auf Autobahnen die Kapazität um 25 Prozent erhöhen und für 30 Prozent weniger Unfälle sorgen. Aber wie viele haben wir davon? Wir haben gerade einmal 180 Kilometer von 13 000 Kilometer im Autobahnnetz entsprechend ausgerüstet. Sie wollen nun 50 Millionen Euro jährlich hier investieren. Das ist doch nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Im öffentlichen Verkehr sehen Sie die Potenziale im vollautomatischen Betrieb von U-Bahnen als Perspektive und nennen das Beispiel Nürnberg, verschweigen aber den Kostenaufwand für diese digitale Infrastruktur. Wir haben einen Sanierungsstau von 4 Milliarden Euro bei der analogen Infrastruktur im ÖPNV. Das GVFG-Bundesprogramm ist deutlich überzeichnet. Aber seine Fortführung über 2019 hinaus ist nicht gesichert. Sie haben zwar im Rahmen der Haushaltsberatungen einen Entschließungsantrag eingebracht, aus dem hervorgeht, dass Sie das fortführen wollen. Aber das heißt noch lange nicht, dass jemand im Ministerium einen Stift in die Hand nimmt und ein entsprechendes Gesetz vorlegt. Wenn Sie in diesem Bereich etwas machen wollten, müssten Sie zusätzliche Gelder für die digitale Infrastruktur im ÖPNV bereitstellen. Das tun Sie nicht. Fehlstelle! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir sehen in der Tat für den öffentlichen Verkehr Chancen durch die Digitalisierung. Zugangsbarrieren können abgebaut werden. Der Tarifdschungel entfällt, wenn bundesweit ein E-Ticket eingeführt wird. Einsteigen und Losfahren wie beim Auto wären dann möglich. Die Verkehrsunternehmen könnten zu Mobilitätsdienstleistern werden. Es geht nicht nur um den Weg von A nach B, sondern um die ganze Reisekette. Ich glaube, dass die Verkehrsträger künftig nicht mehr so sehr konkurrieren, sondern kooperieren. Gerade im ländlichen Raum, wenn es um aktive Bedienformen geht, kann die Digitalisierung helfen. Es gibt das schöne Pilotprojekt Mobilfalt im Nordhessischen VerkehrsVerbund, wo man versucht, das Privatauto in den ÖPNV einzubinden, um ein besseres Angebot für die Bürger zu schaffen. All das wird möglich sein. Wir sehen auch beim Auto einen Mehrwert durch Automatisierung in Verbindung mit Vernetzung der Fahrzeuge und der Infrastruktur, gerade im Bereich der Verkehrssicherheitspotenziale. Nehmen Sie den Baustellenassistenten, der Sie sicher durch die Baustelle führt, oder nehmen Sie Fahrzeuge, die sich untereinander warnen, weil auf der Straße eine Gefahrenstelle droht. Aber alles das ist kurzfristig nicht erschließbar, weil die Marktdurchdringung der Systeme Jahre dauern wird. Wer also wirklich bis 2020 die Zahl der Verkehrstoten um 40 Prozent reduzieren will, der muss andere Maßnahmen durchsetzen. Warten auf die Digitalisierung reicht da nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Automatisierung wird in Stufen stattfinden. Im Güterverkehr wird sie vermutlich schneller kommen als im Personenverkehr. Aber es sind noch viele Probleme offen – bis hin zum automatischen Fahren. Und das haben Sie, Frau Bär, leider ganz verschwiegen. Ich nenne Beispiele: Mensch-Maschine-Interaktion, also der Übergang, in dem das Fahrzeug die Kontrolle hat, dann aber wieder der Mensch. Technik ist immer auch störanfällig. Es gab Hackerangriffe auf automatisierte Autos. Das Thema Datenschutz ist aus unserer Sicht in keiner Form geklärt. Wer ist Herr über die Daten? Wem gehören sie? Wo werden sie gespeichert? Wir wollen nicht, dass Bewegungsprofile von Bürgerinnen und Bürgern erstellt werden können. (Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Klar ist das geregelt! Im Bundesdatenschutzgesetz!) Haftungsfragen sind offen. Wer ist schuld beim Unfall? Haftet dann, wenn automatisiert gefahren wird, der Hersteller des Systems oder die Versicherung? Und die ethischen Fragen kann man auch nicht einfach wegwischen. Wenn ein Unfall nicht mehr zu verhindern ist, wohin weicht das Fahrzeug dann aus? Das muss auch geklärt werden. Der Minister für Modernität hätte längst eine Strategie zur intelligenten Mobilität vorlegen können. Es ist ein Armutszeugnis, dass es eines Koalitionsantrags bedarf, der ihn auffordert, dies jetzt zu tun. Es ist ein reiner Fensterantrag, den Sie uns hier vorlegen, anstatt für die eigentlichen Probleme konkrete Lösungen vorzuschlagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Ganz herzlichen Dank. – Als nächster Redner hat Thomas Jarzombek von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Thomas Jarzombek (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf vielleicht damit anfangen, dass ich es begrüße, dass unser Koalitionspartner die positiven Aspekte benannt hat, und dass ich mich darüber wundere, dass die Opposition hier nur Nachteile erkennen kann. (Lachen der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE] – Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann haben Sie mir nicht zugehört!) Ganz im Ernst: Am Ende müssen Sie sich für irgendwas entscheiden, was Sie jetzt kritisieren, Herr Kollege Kühn. Zuerst haben Sie gesagt: Dass wir uns mit solchen Themen hier beschäftigten, wo es doch viel Wichtigeres gäbe! Zum Schluss haben Sie gesagt: Es kann doch nicht wahr sein, dass wir uns erst jetzt damit beschäftigen. – Also, einen Tod müssen Sie sterben, wenn Sie uns kritisieren wollen. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Peter Altmaier hat dazu einmal gesagt: Es ist in Deutschland manchmal so, dass wir immer über die ganz großen, wichtigen Fragen reden und für nichts anderes Platz haben, und auf einmal, irgendwann, haben wir das Ende einer Entwicklung und fragen: Wie konnte es eigentlich so weit kommen? Deshalb ist es, – so glaube ich, – ganz gut, dass wir heute auch einmal zur Primetime anderthalb Stunden über ein Thema reden, das ich sehr wichtig finde, nämlich: Wie digitalisieren wir unsere Verkehrsinfrastruktur? Es ist doch klar: Alles das, was heute an physischer Struktur da ist, braucht parallel eben eine digitale Struktur, um die Dinge besser zu machen. Mich hat in dieser Woche mein Lokalradio angerufen und gefragt, was ich denn dazu sage, dass Senioren ohne weitere Tests weiterhin am Straßenverkehr teilnehmen dürften. Da habe ich geantwortet: Diese Frage stellt sich heute eigentlich gar nicht mehr. Wir haben so viele technische Assistenzsysteme und die Entwicklung in den nächsten Jahren wird dazu führen, dass Menschen viel länger als heute weiter mobil bleiben und selbstbestimmt mobil bleiben können. Und das ist eine extrem gute Entwicklung. (Beifall bei der CDU/CSU – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das hat mit Autos überhaupt nichts zu tun!) Assistenzsysteme warnen den Fahrer, wenn Fußgänger auf die Straße gehen, oder dann, wenn er einmal abgelenkt ist und die drohende Kollision nicht sieht. Diese Systeme wirken. Ich habe gerade in dieser Woche gesehen, dass in Japan, wo man auch die Nachrüstung solcher Systeme unterstützt – das finde ich ganz interessant –, durch den Einsatz von Assistenzsystemen die Unfallzahlen um 60 Prozent zurückgegangen sind. (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie ist die Marktdurchdringung dieses Systems in Deutschland?) – Stellen Sie gerne eine Frage. (Abg. Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) – Gerne. – Frau Präsidentin, Sie sind dran, das zu entscheiden. Ich will Ihnen hier nicht die Aufgabe wegnehmen. Der Kollege würde gern eine Zwischenfrage stellen. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Sie entscheiden natürlich, ob Sie die Zwischenfrage zulassen. – Bitte. Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Könnten Sie vielleicht etwas zur Marktdurchdringung der Fahrassistenzsysteme in Deutschland sagen? Wir haben ja Fahrinformationssysteme, also, sage ich einmal, Entertainmentpakete, die serienmäßig in den Fahrzeugen sind. Und die Fahrassistenzsysteme, die Sie ansprechen, sind nur zu einem Aufpreis – in der Regel reden wir da von Beträgen von 1 000, 2 000 Euro – erhältlich. Können Sie sagen, welche Marktdurchdringung wir bei diesen Systemen haben? Thomas Jarzombek (CDU/CSU): Herr Kollege Kühn, wir haben gemeinsam daran gearbeitet, dass eine Reihe dieser Assistenzsysteme eben nicht mehr aufpreispflichtig sind, sondern inzwischen zur Standardausstattung gehören. Ich nenne ESP als vielleicht eines der wichtigsten Assistenzsysteme, das viele Unfälle verhindert. Ich glaube, dass viele Systeme, die heute noch aufpreispflichtig sind, künftig in die Serienausstattung übergehen. So ist die Entwicklung immer gewesen. Darüber hinaus, wenn Sie die Frage schon stellen, ist es sinnvoll, dass wir über die Nachrüstung von älteren Fahrzeugen diskutieren. Wir reden hier nicht nur über Neufahrzeuge. Wir sollten darüber diskutieren, ob wir bei der Nachrüstung älterer Fahrzeuge staatlicherseits Anreize schaffen sollten. (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schreiben Sie das in Ihren Antrag!) – Herr Kollege Kühn, wenn wir alles, was denkbar wäre, in diesen Antrag geschrieben hätten, dann würden wir Ihnen heute ein Kompendium vorlegen. (Beifall bei der CDU/CSU) Da ist die Frage schon, wo die Abgrenzung zwischen der Regierungs- und der Parlamentsarbeit erfolgt. Ich glaube, es ist gut, dass wir hier bestimmte Eckpunkte benennen. In unserem Antrag steht klar, dass die Regierung ein digitales Straßengesetz vorlegen soll. Darüber werden wir gemeinsam beraten und alle Details eines umfangreichen Werks diskutieren können. Ich glaube, die Digitalisierung ist für die Verkehrssicherheit extrem hilfreich. Sie ist auch hilfreich für den öffentlichen Nahverkehr; das wurde vorhin angesprochen. Der öffentliche Nahverkehr hat so viele Kunden wie nie zuvor. Das liegt vor allem an der Digitalisierung. Statt nachts ewig auf die Bahn zu warten, kann man mit der App jetzt sehen, wann sie wirklich kommt, und dann zielgerichtet zur Haltestelle gehen. Man kann auch sehen, ob der Bus, den man nehmen möchte, pünktlich kommt oder ob er deutliche Verspätung hat. Dann muss man nicht mehr herumstehen. Es gibt viele Leute, die die Zeit in der Bahn gerne dafür nutzen, um möglicherweise mit Facebook, Google oder anderen Produkten irgendetwas zu machen. Sie können das nutzen, und deshalb haben die Bahn und der Bus an Attraktivität gewonnen. Wir müssen dahin kommen, dass auch das Auto mehr von der Digitalisierung profitiert. Ich sehe hier meinen Kollegen Andreas Rimkus aus Düsseldorf. Bei uns in den Städten gibt es kaum ein größeres Thema, mit dem Politik konfrontiert wird, als das Thema Lärmschutz. Wie wollen wir mit Lärm, aber auch mit Emissionen umgehen? Ich erinnere an die Stickoxide und das Thema Feinstaub. Wie wollen wir die Werte senken, wenn Autos mit voller Geschwindigkeit an die Ampel heranfahren, bremsen und dann wieder beschleunigen müssen? Das verursacht Emissionen, das verursacht Lärm, und das verursacht hohe Verbrauchswerte. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit vernünftiger Abgasreinigung beschäftigen!) Deshalb brauchen wir eine Vernetzung von Verkehrsbeeinflussungssystemen, zum Beispiel von Ampeln, damit ein Auto weiß, wann wo welche Ampelphase ist, auch wenn man die Ampel vielleicht noch gar nicht sehen kann, auch wenn die Ampel vielleicht gerade grün wird, aber das Auto sie nicht erreichen kann. Dann kann es vielleicht schon auskuppeln oder rekuperieren, wenn es ein elektrisches Fahrzeug ist, oder es kann eine Geschwindigkeit einstellen, mit der es, möglichst ohne zu bremsen, durch die Stadt kommen kann. Es ist meine persönliche Vision und mein Ziel, eine Infrastruktur bereitzustellen, die Fahrzeugen ermöglicht, durch die Innenstädte zu fahren, ohne bremsen und beschleunigen zu müssen. Dafür brauchen wir einen Open-Data-Plan. Deshalb bin ich dankbar, dass auch der Bundesvorstand der CDU in der Mainzer Erklärung, in der es hauptsächlich um die ganz großen Fragen gegangen ist, deutlich gemacht hat: Wir wollen ein Open-Data-Gesetz. Das brauchen wir insbesondere, um Innovationen im Verkehrsbereich zu ermöglichen. Das steht auch im Koalitionsvertrag. Das gilt im Übrigen auch für den öffentlichen Nahverkehr. Ich finde, es ist ein Unding, dass Anbieter von Verkehrsinformationssystemen, von Apps, mit jedem einzelnen Verkehrsanbieter einzelne Vertragsverhandlungen führen müssen. Der eine bietet Fahrplanarten an, der andere aber keine Echtzeitdaten. Es stellt sich auch die Frage, wie man ein Ticketing-System machen kann. All das müssen wir gesetzlich vereinheitlichen. Wir müssen uns auch überlegen, wie wir mehr aus den Daten, die wir haben, machen. In dieser Hinsicht war das Verkehrsministerium verdammt gut. Ich glaube, kein anderes Haus war so innovativ, mit der Gründerszene gemeinsam ein Hackathon zu machen, bei dem man junge, innovative Gründer mit den Daten zusammengebracht und einen Wettbewerb gestartet hat, um herauszufinden, welche Innovationen daraus entstehen können. Das ist der richtige Weg. Ich kann die Staatssekretärin nur beglückwünschen und ermuntern, diesen Weg weiterzugehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ein weiteres Thema sind die Modellregionen. Wir sehen, wie viel Wirbel aus Marketinggründen gemacht wird, um zu zeigen, was in Kalifornien alles möglich ist. Da fahren die Google-Autos, daher kommen die Tesla-Autos. Deshalb ist es ebenfalls extrem gut, dass auf der A 9 das Testfeld für digitales Fahren ermöglicht wurde. In unserem Antrag fordern wir zusätzliche Modellregionen, um auch innerstädtische Verkehrssysteme zu erproben. Mit UR:BAN gibt es da schon ein gutes Projekt, und darauf kann man aufsatteln und weitere Modellregionen benennen. Außerdem müssen wir Geld in die Hand nehmen, um die Nutzung dieser Daten zu ermöglichen. Dafür gibt es im Ministerium 100 Millionen Euro im Modernitätsfonds; sie werden dafür auch schon eingesetzt. Das können wir an dieser Stelle ebenfalls nur begrüßen. Wir werden die Kommunen dabei unterstützen müssen – das ist für uns eine Herausforderung –, ihre Verkehrsleitzentralen aufzurüsten. Mit UR:BAN in Düsseldorf, in Kassel und in Braunschweig hat die Bundesregierung so etwas gemacht. Aber es reicht nicht, dass Autohersteller oder auch die Hersteller von Informationssystemen eine Anbindung programmieren. Deshalb müssen wir einen Weg finden, den Kommunen zu ermöglichen, ihre Verkehrsleitzentrale auf den gleichen technischen Stand wie in Düsseldorf, Kassel und Braunschweig zu bringen. Dabei geht es um eine Summe von 30 Millionen, 40 Millionen oder 50 Millionen Euro. Das ist nicht einmal so viel, wie eine Ortsumfahrung kostet. Ich glaube, das muss schon drin sein, um die Verkehrsleitzentralen zumindest in den 20 größten deutschen Städten zu ertüchtigen. Darüber hinaus brauchen wir eine Dateninfrastruktur bei der Schiene. Ich verweise auf ERTMS, also auf ein Leitungssystem, das autonom fahrende Züge ermöglicht. Wir müssen auch den öffentlichen Nahverkehr auf diesem Gebiet weiter unterstützen. Ich denke hier an ein gemeinsames Ticketing-System: Mit einer entsprechenden App kann man dann nicht nur in Düsseldorf ein Rheinbahn-Ticket, sondern auch in Berlin ein BVG-Ticket ziehen. Das alles mündet in unsere Forderung nach einem digitalen Straßengesetz. Dieses digitale Straßengesetz sollte noch mehr leisten. Der Kollege Kühn hat die sehr richtige Frage gestellt: Wem gehören eigentlich die Daten? Im Übrigen ist der Datenschutz ziemlich gut geregelt. (Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Ja!) Dafür gibt es ein Bundesdatenschutzgesetz. Gerade hat das Europäische Parlament den Weg für die europäische Datenschutz-Grundverordnung freigemacht. Darin ist bis auf das Kleinste geregelt, was mit Daten passieren darf und was nicht. Im Übrigen kann man auch immer mit den Datenschützern reden und nach neuen Wegen Ausschau halten. Autos mit intelligenten Dämpfern – neue Luxusfahrzeuge haben sie schon; sie werden wahrscheinlich bald in jedem Fahrzeug vorhanden sein – werden bald durch die Stadt fahren und genau erfassen können, wo wie viele Schlaglöcher sind. Das sind doch Informationen, die für unsere Bundesverkehrswegeplanung extrem hilfreich sind. Heute erneuern wir die Straßen erst dann, wenn sie ein gewisses Alter erreicht haben. Aber wir möchten doch eigentlich die Straßen erneuern, von denen wir wissen, dass sie besonders bedürftig sind. Auf unseren Straßen gibt es 40 Millionen Fahrzeuge. Das sind 40 Millionen potenzielle Sensoren, mit denen man Straßen vermessen kann. Die so erzeugten Daten braucht auch unser Staat. Diese Daten müssen natürlich anonymisiert sein – das unterstreiche ich dreimal –, in Absprache mit dem Datenschutzbeauftragten. Das ist ganz wichtig. Am Ende brauchen wir eben auch eine digitale Struktur im Bereich Breitband. Eins ist klar: Die Fahrzeuge, die selber fahren, werden viel besser fahren können, wenn beispielsweise 20 Fahrzeuge synchron und ohne Verzögerung bremsen können. Vorgestern, am Mittwoch, haben wir hier im Deutschen Bundestag über das DigiNetz-Gesetz diskutiert, das der Bundesminister hier präsentiert hat. Dieses Gesetz ist der richtige Weg, um für 2020 Leitmarkt zu werden für die fünfte Mobilfunkgeneration, die es als taktiles Internet, als Echtzeitinternet, ermöglicht, selbstfahrende Fahrzeuge zu steuern. Daher müssen wir anfangen, in jede Laterne, in jede Ampel, in jede neue Baumaßnahme Glasfaserkabel zu legen, die für dieses Internet die Infrastruktur sind. Das brauchen wir im Übrigen auch im ländlichen Raum. Ich wünsche mir schon, dass ein selbstfahrendes Auto, das aus Düsseldorf herausfährt und dann irgendwo in den Tiefen des Kreises Neuss unterwegs ist, genauso gut funktioniert wie in unserer wundervollen Metropole. Für den Breitbandausbau gibt es ein mit 2,7 Milliarden Euro ausgestattetes Förderprogramm, das genau diese Entwicklung unterstützt. Ich glaube, wir haben den richtigen Grundstein gelegt. Ich habe gemerkt: Bei den Grünen ist noch nicht alles verloren. Ich freue mich, wenn sie uns begleiten. Jede gute Idee ist willkommen. Ich freue mich auf die Ausschussarbeit. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Liebe Kollegen, es sei mir auch an dieser Stelle ein kleiner Hinweis auf die Uhr am Rednerpult gestattet. Das Zeichen „Präsident“ heißt nicht, dass man einfach weiterreden sollte, sondern es heißt, dass man bitte zum Ende kommt, und zwar zügig. So viel für alle, die das noch nicht gewusst haben. Jetzt hat der nächste Redner das Wort: Herbert Behrens von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Herbert Behrens (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wer kühne Pläne schmieden will, der sollte auch kühn denken können“, habe ich gedacht, als ich diesen Antrag las. (Abg. Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] hebt den Daumen – Heiterkeit) Im Weiteren habe ich gemerkt: Dieses kühne Denken ist auf keiner der 13 Seiten zu finden, obwohl es dieses Denken bräuchte, wenn Sie den Titel wirklich ernst nehmen wollten. Gleich vorn heißt es: Der digitale Wandel ist im Begriff, die Mobilität zu revolutionieren. Eine Revolution bedeutet, dass man etwas wirklich grundlegend verändert, dass man möglicherweise das Unterste zuoberst kehren muss, weil es verdeckt geblieben ist. Aber im Antrag ist das alles anders. Es werden lediglich vorhandene oder noch zu entwickelnde, fortzuschreibende Technologien angeführt und zu entwickelnde Computeranwendungen vorgestellt. Revolutioniert wird aber gar nichts. Beispiele: Verkehrstelematik soll die Parkplatzsuche für Pkw in Städten erleichtern. Automatisiertes Autofahren soll den Menschen als „Risikofaktor Nummer eins“ – auch das steht im Text – ausschalten. Selbstfahrende Züge sollen den Lokführer überflüssig machen. Autofahrer sollen gläsern werden – dort, wo es für die Automobilindustrie von Nutzen ist. Mehr Vernetzung, mehr Sensorik – das ist zwar auch eine Zukunft der Mobilität, aber die sollten wir uns wirklich nicht wünschen. (Beifall bei der LINKEN) Sie gehen das Thema falsch an. Sie wollen die Zukunft gestalten, ohne die Gegenwart begriffen zu haben; das ist mein Eindruck. Wenn Sie den heutigen Stau auf der Autobahn durch elektronische oder digitale Verkehrsbeeinflussungssysteme lediglich besser managen wollen, dann haben Sie doch den Stau schon akzeptiert. Das ist ein grundlegender Fehler. (Beifall bei der LINKEN) Wenn Sie Voraussetzungen für automatisiertes Autofahren schaffen wollen, dann müssen Sie doch vorher darüber nachdenken: Warum fahren so viele Menschen mit dem Auto? Das hat doch möglicherweise etwas damit zu tun, dass Wohnort und Arbeitsort weit auseinanderliegen und die Strecke anders kaum überwunden werden kann. Das hat unter Umständen etwas damit zu tun, dass wir in den kleineren Städten oder auf den Dörfern nicht jede halbe Stunde einen Bus oder eine Bahn zur Verfügung haben, um unsere Wege zurückzulegen. Wir müssen doch erst sagen, ob wir die gegenwärtige Verkehrssituation so akzeptieren, wie sie ist, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) und dann darüber nachdenken, mit welchen Mitteln, die wir heute möglicherweise noch nicht haben, man zu Verbesserungen kommen kann. So wie Sie das angehen, ist es falsch. (Beifall bei der LINKEN) Mit Interesse habe ich das Kapitel „Automatisierung des Schienenverkehrs“ gelesen. Ihr Ziel ist, Züge künftig ohne Lokomotivführer fahren zu lassen. Das hat wenig mit den Mobilitätsinteressen der Menschen zu tun. Die Bahnkunden im Nahverkehr und im Fernverkehr wären doch schon sehr zufrieden, wenn sie vernünftige und garantierte Anschlüsse hätten, wenn sie vernünftige Auskünfte darüber bekämen, wann man zu welchem Zeitpunkt wo sein kann, wenn Verspätungen die Ausnahme und nicht die Regel wären. An dieser Stelle sollten neue technische Möglichkeiten, neue technische digitale Möglichkeiten genutzt werden, um die Sicherheit und den Komfort zu erhöhen. Lärmschutz. Schon heute ist es möglich, jedes einzelne Rad eines Wagens im Betrieb zu kontrollieren, um festzustellen: Gibt es Flachstellen? Gibt es raue Oberflächen? Man kann den Wagen bei der nächsten Möglichkeit rausziehen und instand setzen, damit der Lärmschutz gesichert ist. Das ist ein Fortschritt für die Menschen, den sie heute wollen. Dafür brauchen wir Investitionen und keine großen Ideen wie die, mit denen hier umgegangen wird. Wir brauchen das Geld, damit wir zu vernünftigen Verkehrssystemen kommen. Es bedarf keiner – Zitat – „sanften Einführung vollautomatischer Systeme“. (Beifall bei der LINKEN) Sie liefern keine Vorschläge dazu, wie mit den technischen Möglichkeiten schon im Hier und Jetzt handfeste Probleme im Verkehrssektor beseitigt werden können. Stattdessen gibt es ein Sammelsurium von Ideen ohne wirkliche Perspektive. „Wo lassen sich per Computerisierung und Vernetzung menschliche Entscheidungen und der Mensch selbst überflüssig machen?“, das ist der Kern Ihres Antrags, den wir nicht teilen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Die Autoren dieses Antrags haben ihrer Fantasie wirklich freien Lauf gelassen – das ist nachzulesen –, aber sie haben sich nicht an der schnöden Gegenwart abgearbeitet, und das geht nicht. Sie beschreiben hier eine wahre Megamaschine, mit der Probleme gelöst werden sollen, die mancher gar nicht hat. Das ist altes Denken, und mit dem werden wir den neuen Herausforderungen überhaupt nicht gerecht. (Beifall bei der LINKEN) Wir stehen vor der Aufgabe, Verkehrssysteme zu schaffen, die für die Menschen einfach zu benutzen sind, die sie sicher und bequem an ihren Wohnort bringen. Einzig im Kapitel „Automatisierung in der Logistik“ – ich komme zum Schluss – sind ansatzweise sinnvolle Vorschläge zu finden, etwa die Forderung nach einem elektronischen Frachtbrief und nach verpflichtender Einführung eines Toter-Winkel-Assistenten für Lkw, um Unfälle beim Abbiegen zu verhindern. Der Antrag vermittelt: Erstens. Die Probleme sollen alle mit Technik lösbar sein. Zweitens. Der Mensch als Stör- und Risikofaktor muss weitgehend ersetzt werden. Das ist mit der Linken nicht zu machen. Ziehen Sie deshalb Ihren Antrag zurück, (Maik Beermann [CDU/CSU]: Niemals! – Arno Klare [SPD]: Wir denken darüber nach!) um die wirklichen Probleme erkennen zu können und die Instrumente zu finden, die wir brauchen, um das zu ändern. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Andreas Rimkus von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Andreas Rimkus (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herbert Behrens, ich finde, dass man sich nicht nur über intelligente Mobilität unterhalten kann, indem man sich gegenseitig vorwirft, was nicht in einem Antrag drinsteht, sondern auch, indem man vielleicht einmal den Blick darauf wirft, was gemacht werden muss, um den Menschen eine gute Mobilität zu geben. Darum geht es doch am Ende; denn es ist in der Tat so, dass die Automatisierung und die Vernetzung der Verkehrssysteme zunehmen. Ich bin sehr dankbar für die lokalen Bezüge, lieber Thomas Jarzombek, weil Düsseldorf ein gutes Beispiel für diese Vernetzung in urbanen Räumen darstellt. Auch Arno Klare hat darauf hingewiesen. Zur Frage: Wann ist etwas entstanden? Ich weiß nicht, ob Sie es wissen: Es war der Franzose Gabriel Voisin, der ein System entwickelte, um bei landenden Flugzeugen das Blockieren der Räder zu verhindern. Das war im Jahr 1920. Das war die eigentliche Geburtsstunde des ABS. Es war das erste Fahrassistenzsystem oder Sicherheitssystem, das serienmäßig in einem Fahrzeug eingebaut wurde. (Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Genau!) Seit 2004 ist es übrigens europäischer Standard. Insofern brauchen die Dinge ihre Zeit. Aber manchmal ist der Fortschritt dann auch sehr klar und deutlich und hilft uns, die Sicherheit voranzustellen. Mittlerweile sind wir fast hundert Jahre weiter. Wir reden über teil-, hoch- oder vollautomatisiertes Fahren. Die Vision eines selbstfahrenden Autos liegt nicht mehr in einer irren Zukunft, sondern sie stellt ein realistisches Szenario dar. Mit der Teststecke auf der A 9 ist die Bundesregierung einen ersten Schritt gegangen. Doch werden wir in Zukunft den Blick auch von der Autobahn auf die Landstraße und dann natürlich auf die Königsdisziplin, den urbanen Verkehr, richten müssen. Auch das haben wir im Antrag deutlich gemacht und damit die Forderung nach weiteren Teststrecken verbunden. Doch vergessen wir nicht, dass die Innovationen nicht nur den Straßenverkehr berühren. Es ist schon gesagt worden: In Nürnberg fahren vollautomatische Schienenbahnen. Dadurch konnte nicht nur die Taktzeit halbiert, sondern auch der Energieverbrauch um fast 15 Prozent gesenkt werden. Auch an Flughäfen finden wir bereits fahrerlose Bahnen, die die Terminals miteinander verbinden. Diese Beispiele zeigen doch sehr deutlich, wie ich finde, dass besonders der Schienenverkehr einen Innovationsmotor für diesen Bereich darstellt. Mit dem Fortschritt dieser Technologie müssen sich aber auch die politischen Rahmenbedingungen ändern. Die von uns formulierten Forderungen tragen auf der einen Seite der Stärkung der Innovationskraft der deutschen Wirtschaft, auf der anderen Seite aber auch dem Schutz der Nutzer Rechnung. Es war uns ein wichtiges Anliegen, den im Koalitionsvertrag verankerten Grundsatz noch einmal deutlich zu machen, dass personenbezogene Daten nur mit Zustimmung der Betroffenen und auf der Grundlage bestehender gesetzlicher Rahmenbedingungen erhoben werden dürfen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Bei aller Euphorie darüber, dass unser Alltag durch eine gute Vernetzung deutlich erleichtert werden kann, dürfen wir die Persönlichkeitsrechte der Menschen und ihr Recht auf Privatsphäre nicht aus dem Blick verlieren. Freiheit und Selbstbestimmung sollten für uns auch hier immer an erster Stelle stehen. Es gibt auch Haftungsfragen, die noch nicht abschließend geklärt sind: Wer haftet bei einem Unfall? Wie lässt sich das bei unterschiedlichen Automatisierungsgraden überhaupt rechtlich regeln? Liebe Kolleginnen und Kollegen, um die Weichen für automatisiertes Fahren zu stellen, brauchen wir nicht nur Klarheit in den Worten und einen gesetzlichen Rahmen bei Datenschutz- und Haftungsfragen, sondern natürlich auch einen Fortschritt beim Aufbau der digitalen Infrastruktur. Es wäre fatal, den Blick auf die einzelnen Bereiche zu richten, ohne das große Ganze zu betrachten. Natürlich wird es keine Automatisierung ohne ausreichende Breitbandinfrastruktur geben, und auch die ökologischen Vorteile automatisierter Verkehrsflüsse gehen parallel zur Integration elektrisch betriebener Mobilität. So ist, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die Einbeziehung intelligenter Stromnetze, Smart Grids, eine Kernaufgabe intelligent organisierter Mobilität. Bei der Integration dieser Smart Grids ist die Elektromobilität, zu der sich die SPD-Fraktion in dieser Woche klar positioniert hat, ein wichtiger Baustein. Der Blick auf das Gesamtsystem lohnt sich. Die Automatisierung auf der einen und die Elektrifizierung auf der anderen Seite gehen so Hand in Hand. So kann die Automatisierung helfen, Reichweitenvorhersagen zu machen, die Nutzung gemanagter Flotten und Carsharing-Dienste zu verbessern. Automatisierte Funktionen können so den Nutzwert und die Attraktivität von Elektrofahrzeugen erhöhen. So trägt die Elektromobilität zur Energiewende im Verkehr bei, aber gleichzeitig helfen auch die automatisierten Verkehrsflüsse, diese Wende zu schaffen: Staus werden reduziert und Fahrweisen effizienter. Dazu gehört natürlich auch Vision Zero. Wir wollen, dass wir möglichst wenig – am besten auf null gesetzt – Tote und Schwerverletzte im Verkehr haben. Da helfen uns telematische Innovationen natürlich besonders. (Beifall bei der SPD) Auch aus der ursprünglichen Idee von Voisin, mit der Stotterbremse Flugzeuge sicher zu landen, ist doch am Ende etwas entstanden – das ist vollkommen klar –, was Leben schützt und Unfälle verhütet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird sicher noch einige Zeit in der Zukunft liegen, bis wir wirklich vollautomatisiert fahren. Aber ich finde, wenn wir – da sollten wir weniger Bedenken haben – die Fragen, über die wir demnächst debattieren werden, in den Vordergrund stellen – Datenschutz, Cybersicherheit –, dann wird einiges gelingen. Vielleicht klinge ich wie ein verrückter Professor, ich sage Ihnen aber eins: Wer Pionierarbeit leistet, muss auch das Unbekannte wagen. Deshalb freue ich mich auf die gemeinsame Arbeit. Ich wünsche Ihnen einen schönen Freitag, ein schönes Wochenende. Bis bald! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Dr. Valerie Wilms von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren an den Fernsehern, (Arno Klare [SPD]: Was?) auf der Tribüne! Toll, dass Sie sich dieser Debatte widmen. Bei dem Antrag stellt sich mir eine grundlegende Frage: Was will uns diese Große Koalition eigentlich damit sagen? (Volker Kauder [CDU/CSU]: Fragen Sie sie doch einmal!) Der Text hat jedenfalls recht wenig mit dem zu tun, was uns ihr Noch-Verkehrsminister quasi täglich präsentiert. Seine Politik ist weder intelligent, noch fördert sie die Mobilität. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Jahrelang hat er uns mit seinem mehr als dummen Biertischvorschlag CSU-Maut beschäftigt. Das Ding ist tot – schon lange –, aber er reitet den Gaul einfach weiter. (Zuruf von der CDU/CSU: Totgesagte leben länger!) Bei den wirklich wichtigen Aufgaben liefert er dagegen nichts Neues. Zu Carsharing, werte Parlamentarische Staatssekretärin – da hilft es nicht, in einer App zu tippen –, finde ich noch keine neuen Entwürfe. Wir wollten hier eigentlich einen Gesetzentwurf haben. Ein Gesetzentwurf ist irgendwann auch einmal sozusagen in Blei gesetzt, von mir aus auch digital, aber er muss einmal da sein. Und wo ist er? Nichts. Er kommt nicht. Dabei bräuchten wir das. Die Elektromobilität, sozusagen Ihr Leitmarkt – ich frage mich, ob das mit t oder d geschrieben wird, wahrscheinlich mehr mit d –, dümpelt so vor sich hin. (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: So wie man es spricht, wird es geschrieben! – Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Fasching steht vor der Tür!) Volkswagen wird trotz aller Betrügereien mit Samthandschuhen angefasst. Beim kombinierten Verkehr, werte Parlamentarische Staatssekretärin – das ist ja Ihr unmittelbarer Aufgabenbereich; irgendwie kann ich mich daran erinnern, dass wir einmal auf einem Podium gesessen haben, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ehrlich?) wo Sie als Logistikbeauftragte der Bundesregierung dabei waren –, hat Ihnen sogar der Finanzminister das Heft aus der Hand genommen, weil die Mittel liegen bleiben. Und der Bundesverkehrswegeplan als zentrale Aufgabe in dieser Wahlperiode wird immer weiter verzögert und gerät in die künftige Wahlkampfschlacht. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Und die endet erst am Wahlsonntag um 18 Uhr!) Da kann ich nur sagen: Das Fahren mit Autopilot wäre wirklich besser, als den Geisterfahrer Dobrindt weiter am Steuer zu lassen. (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus dem Antrag lese ich ein gehöriges Stück Verzweiflung über den eigenen Minister. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist er überhaupt?) Er kann so viel Geld ausgeben wie kein anderer Verkehrsminister vor ihm. Dazu wurde ihm sogar noch die Zuständigkeit für Digitales gegeben. Und jetzt? Nichts macht er daraus. Er verhakt sich in der Maut von vorgestern und redet weiter wie ein Generalsekretär. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber den Angriff nehmen Sie zurück! Das ist eine Beleidigung!) Da kann ich nur sagen: Ein bisschen Grünen-Bashing, welches wir ja immer wieder von ihm hören – auch von Ihnen, Herr Kauder, kommt manchmal nichts anderes –, kann Unfähigkeit auch nicht übertünchen. Es zeigt nur, dass die Ideen in dieser GroKo fehlen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das mit dem Generalsekretär nehmen Sie zurück!) Das Einzige, was der Minister sehr schnell gelernt hat, ist die Beglückung bayerischer Wahlkreise. (Widerspruch bei der CDU/CSU – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es! Genau so ist es!) Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen: Der Minister schafft es nicht, Millionenbeträge für Schienen und Wasserstraßen auszugeben. Und wo landet das Geld? Zu über einem Drittel in fragwürdigen bayerischen Umgehungsstraßen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) Da frage ich mich wirklich, wie lange sich diese Koalition das noch von der CSU-Minderheit bieten lässt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, intelligente Mobilität – das klingt ja schön und gut. Leider fehlen die Grundlagen dazu. Es wäre schon ein großer Schritt, wenn man Bus und Bahn ohne große Probleme einfach so nutzen könnte. Werter Kollege Jarzombek, Sie sprachen vom digitalen Straßengesetz. Kümmern Sie sich erst einmal um das Analoge, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Sie haben mir nicht zugehört!) also darum, dass die Schlaglochpisten beseitigt werden, dass wir keine gesperrten Brücken haben, dass es mittlerweile ja ganze Gegenden gibt, in denen nur noch Schüler mit dem Bus fahren können, dass wir kein durchgängiges funktionierendes Ticketsystem für Bus und Bahn haben, und vor allem darum, dass wir eine überteuerte Bahn haben, die zu spät oder gar nicht mehr kommt. Das sind die Fakten. Da brauchen wir kein digitales Straßengesetz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Statt sich also um handfeste Probleme zu kümmern, schreiben Sie lieber wenig ambitionierte Schaufensteranträge. Aber schauen wir doch einmal in die Details. Auch da bleibt vieles fragwürdig. Der Minister hat ein neues Spielzeug entdeckt: Sein digitales Testfeld Autobahn – das natürlich in Bayern liegen muss. Ich bin gespannt, was dabei herauskommt und ob der Test nicht längst von innovativen Unternehmen überholt wird. Man kann ja bereits Fahrzeuge kaufen, die quasi von allein fahren. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wo?) Dazu braucht es keinen Spezial-Audi mit Minister drin. Nutzen Sie einfach mal den Autopiloten von Tesla – der funktioniert. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Der fährt aber nicht allein!) Wenn es dem Minister nicht nur um ein paar schöne Bilder und weitere Millionen für sein Bayern gehen würde, dann müsste er sich ernsthaft um den Datenschutz kümmern. Da kommt wirklich eine Aufgabe auf die Politik zu. Das wäre politisches Kerngeschäft. Hier gibt es nämlich einen ganz klaren Grundkonflikt: Daten sind das Kapital der Zukunft; die größten Konzerne der Welt machen ihr Geld damit. – Hierfür müssen wir den Rahmen setzen. Wir müssen dafür sorgen, dass Nutzer jederzeit „Stopp!“ sagen können. Das fehlt nämlich derzeit. Nutzer müssen bestimmen können, was sie in welchem Umfang nutzen wollen. Also: Bleiben Sie nicht nur bei Ihren Floskeln – Herr Jarzombek, da helfen auch 13 Seiten Papier nicht –, sondern machen Sie genau das, was wir brauchen. Geben Sie also dieser Bundesregierung, die Sie ja tragen, einen klaren Auftrag, sich endlich mal um die wichtige Kernaufgabe Datenschutz zu kümmern. Da gehen Sie mal ran! Wenn Sie das machen wollen, dann kriegen Sie sicherlich unsere Unterstützung, aber nicht für das Ding, das Sie da auf 13 Seiten verewigt haben. Diese Beweihräucherung tragen wir nicht mit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Steffen Bilger von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Steffen Bilger (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich haben die Redner von der Koalition bereits erklärt, worum es uns in diesem Antrag geht, liebe Frau Wilms. Ich will aber trotzdem noch einmal einen Versuch starten und dabei insbesondere fünf Bereiche ansprechen. Zum einen: Die Umwelt- und Klimabelastung muss reduziert werden. Als Frage formuliert: Womit bewegen wir uns in Zukunft nachhaltig bzw. effizienter voran? Zweitens. Die Zukunft der Automobilindustrie in Deutschland beschäftigt uns alle. Hier geht es schließlich auch um Arbeitsplätze. Der VW-Skandal stellt sicherlich ein enormes Risiko für die deutsche Wirtschaft dar. Wir können aber – wir haben verschiedentlich im Bundestag schon darüber diskutiert – auch eine Chance in dieser Krise sehen. Drittens. Der Verkehrslärm stört die Menschen zunehmend. Wie können wir Lärm und andere Belastungen durch Fahrzeuge unterbinden und die Betroffenen besser schützen, um die Akzeptanz gegenüber der Infrastruktur weiter zu erhalten? Viertens. In Zeiten knapper Kassen und zunehmender Verkehrsströme stellt sich die Frage: Wie können wir weiter Infrastruktur bereitstellen und finanzieren bzw. die bereits vorhandene Infrastruktur effizienter nutzen, und wie kann dabei Mobilität für alle bezahlbar bleiben? Und schließlich – wir haben immer noch zu viele Verkehrstote und verletzte –: Wie kann es insgesamt gelingen, zu erreichen, dass es deutlich weniger Opfer im Straßenverkehr gibt? Wer unseren Antrag liest, meine Damen und Herren, stellt fest, dass wir auf viele dieser Fragen schon Antworten haben. Die Digitalisierung des gesamten Verkehrs bietet viele Vorteile für unsere Mobilität. Deshalb muss sie nun konsequent vorangetrieben werden. Deswegen ist es auch richtig, dass Alexander Dobrindt als Minister für Verkehr und digitale Infrastruktur diese beiden so stark zusammenhängenden Themen mit seiner Staatssekretärin Dorothee Bär engagiert voranbringt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Auf meine erste Frage, auf die Frage nach der Nachhaltigkeit, heißt die Antwort erst einmal: Elektromobilität – von elektrisch betriebenen Zügen über Elektroautos bis hin zu – das ist nur langfristig erreichbar – Flugzeugen, Schiffen und Lastwagen, die mit Wasserstoff und E-Motor angetrieben werden. So wird nach allem, was wir heute wissen, die Zukunft aussehen. Die Digitalisierung der Mobilitätsmittel hat großes Effizienzpotenzial. Aber wir brauchen zusätzlich eine Umstellung auf Antriebsarten, die nicht nur umwelt- und klimaschonend, sondern auch verträglich sind. Da drängt sich derzeit vor allem der Gedanke an nachhaltig hergestellten Strom auf. Bis 2050 wollen wir in Deutschland ja zu 80 Prozent regenerativ erzeugten Strom nutzen. Elektromobilität und Digitalisierung sind somit zwei Seiten einer Medaille. Denn obwohl regenerativ gewonnener Strom nachhaltig ist, ist der beste Strom schließlich derjenige, der gar nicht erst erzeugt werden muss. Da kommt die Digitalisierung ins Spiel. Nur mit ihr erhalten wir die Effizienzsteigerungen, die wir zusätzlich benötigen. Aber, meine Damen und Herren, auch von mir noch ein Satz zur Elektromobilität. Wir alle haben mitbekommen, dass die zuständigen Ministerien zurzeit intensiv an einer Einigung über sinnvolle Fördermaßnahmen arbeiten. (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!) Ich will auch deutlich sagen: Jetzt muss endlich der Durchbruch kommen. Wir benötigen jetzt die nötigen Fördermaßnahmen, um der Elektromobilität in Deutschland zum Durchbruch zu verhelfen! Als Bundestag gehen wir mit gutem Beispiel voran. Ich freue mich sehr, dass der Ältestenrat, wie uns der Bundestagspräsident gestern mitgeteilt hat, nun beschlossen hat, unseren Fahrdienst teilweise auf Elektroautos umzustellen. Vielen Dank allen, die sich dafür eingesetzt haben! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: E-Bikes!) Zurück zur Digitalisierung. Warum sorgt sie für ein deutliches Mehr an Effizienz, und zwar nicht nur beim Energieverbrauch, sondern ebenfalls bei der Infrastrukturnutzung, beim Lärmschutz und bei der Verkehrssicherheit? Digital vernetzte Verkehrsteilnehmer kommunizieren sowohl mit anderen Verkehrsteilnehmern als auch mit der Infrastruktur. Darin ist die Chance, um die es uns geht, zu sehen. Ein Anfang ist bereits auf vielen Bundesfernstraßen gemacht und da auch zu sehen. Wir alle kennen die Telematikanlagen, die Stau und zähfließenden Verkehr erkennen können und durch neue Geschwindigkeitsvorgaben den Verkehr besser steuern. In Zukunft werden Autos wissen, wer noch auf der Straße ist und wie schnell sich derjenige bewegt. Dadurch kann die eigene Geschwindigkeit angepasst werden, können Bremsvorgänge bei Staus hinter einer Kurve eingeleitet werden und vieles andere mehr. Denkbar ist sogar, dass Fußgänger und Radfahrer mit Fahrzeugen kommunizieren und dadurch erkannt werden. Wir denken also durchaus auch an Fußgänger und Radfahrer. Weniger Staus und Unfälle bedeuten nebenbei auch weniger Umweltbelastungen und weniger Lärm. Was auf der Straße nützt, ist in der Logistik, im Schienen-, Luft- und Seeverkehr ebenfalls sinnvoll. Auch hier schlummern Effizienzsteigerungen im Interesse aller durch Digitalisierung. Wie schon gesagt: Wir bewegen uns Schritt für Schritt voran. Teildigitalisierungen sind bereits Standard. Für Pkw sind automatisierte Vorgänge bei Automobilanbietern im Angebot; über GPS-gestützte Navigationsgeräte wird schon jetzt frühzeitig über Staus informiert und es werden Ausweichrouten angeboten. In der Regel werden solche Fortschritte zunächst in der Oberklasse angeboten; aber wir sehen ja, dass mittlerweile alle von diesen Angeboten profitieren können. So gut wie jeder nutzt heute Navigationssysteme. Das zeigt, dass wir jetzt einen richtigen Schritt unternehmen, indem wir unterstützen, dass diese Technologien in Deutschland eingeführt werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Trotzdem ist der Weg bis zum autonomen Auto auch bei uns natürlich noch weit. Damit es überhaupt so weit kommt, müssen zuerst die Weichen richtig gestellt werden. Wir brauchen eine Vielzahl an kleinen und großen Maßnahmen, um unsere Ziele zu erreichen. Eines der großen Projekte liegt mir dabei besonders am Herzen, und deswegen will ich es hier bewusst ansprechen: Galileo ist so eine große Maßnahme. Innerhalb Europas treiben wir ein eigenes Satellitensystem voran, mit dem wir haargenaue Ortsbestimmungen vornehmen können. Außerdem sind wir damit vom US-amerikanischen GPS unabhängig. Trotz aller Rückschläge kommen wir bei Galileo voran. Ein weiteres großes Projekt ist die Änderung des Wiener Übereinkommens über den Straßenverkehr von 1968. Unser Anpassungsvorschlag von 2014 muss nun von den Mitgliedern angenommen werden. Nur so ist autonomes Fahren letztendlich rechtlich auch erlaubt. Neben Antworten auf weitere rechtliche Fragen brauchen wir aber auch noch viele Antworten auf technische Fragen. Wir kennen sie noch nicht, müssen aber bereits jetzt vorausdenken. Denn Verkehr in Deutschland hat eine enorme Bedeutung für Industrie und Arbeitsplätze. Wir sind Logistikmeister, Autobauerland, einer der großen Flugzeughersteller und Schiffbauer. Genau deshalb ist es unser Ziel, Leitmarkt und Leitanbieter zu sein. Wer hierzulande sieht, was möglich ist, wird unsere Produkte kaufen. Von daher brauchen wir ebenfalls wie bei der Elektromobilität die schon angesprochenen Modellregionen, wo der digitalisiert-vernetzte Verkehr greifbar und erprobt wird. Wir haben bereits das bayerische digitale Testfeld A 9. In unserem Antrag fordern wir, dass auch andere Modellregionen initiiert werden. Für ein Modell zum Beispiel mit Straßen unterhalb der Autobahn würde sich aus meiner Sicht vielleicht auch eine Region etwas weiter westlich anbieten. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich glaube, unser Fraktionsvorsitzender hat auch schon einen Vorschlag dazu gemacht. Ich bin jedenfalls gerne bereit, bei der Suche zu helfen. (Sebastian Hartmann [SPD]: Nordrhein-Westfalen!) Nur wenn wir beim Standard-Setzen ganz vorne sind, wird unser Standard sich durchsetzen. Das gilt auch für Datenschutz und Datensicherheit; das wurde ja schon von vielen Rednern angesprochen. Unternehmen im Markt der Mobilität der Zukunft haben natürlich eigene Interessen, ganz klar. Das ist genauso wenig verboten, wie man den Unternehmen verbieten kann, Profit zu machen. Diese Interessen richten sich vor allem auf Daten. Unser Antrag setzt die richtigen Akzente und weist meines Erachtens den gangbaren Weg zwischen dem Datenschutzbedürfnis der Europäer und der durchaus verständlichen Notwendigkeit für Unternehmen, Daten zu erheben. Deswegen will ich Ihnen noch einmal vortragen, was wir ganz konkret in unserem Antrag festhalten: Der Fahrer … sollte selbst entscheiden dürfen, wer Zugriff auf seine personenbezogenen Daten hat. Deshalb bedarf das Auslesen bzw. Übermitteln dieser Daten aus dem Fahrzeug einer Erlaubnis. Die „Aktivierung/Deaktivierung“ der Datenübermittlung muss jederzeit möglich und einfach auszuführen sein. Damit, meine Damen und Herren, stellen wir sicher, dass der Bürger die Hoheit über seine Daten behält. Uns sind all die Bedenken, die der intelligenten Mobilität entgegengebracht werden, bestens bekannt. Vorhin haben wir gehört, die Digitalisierung des Verkehrs würde nicht zur Effizienz beitragen, weil der sogenannte Rebound-Effekt nur dazu führen würde, dass dadurch mehr Verkehr entstünde. Ja, grundsätzlich gibt es diesen Effekt, und ja, wir können nicht ausschließen, dass durch weniger Stau mehr Menschen ihr Mobilitätsverhalten zulasten des Individualverkehrs ändern. Andererseits zeigen solche Kommentare doch auch wieder, wie wenig verstanden wurde. Nachhaltige individuelle Mobilität ist doch zunächst einmal nichts Schlechtes. Das prognostizierte Wachstum der nächsten Jahre und Jahrzehnte im Verkehr müssen wir eben nachhaltig gestalten und nicht durch Fahrverbote oder Ähnliches zu verhindern suchen. Mit dem vorliegenden Antrag zum bedeutendsten Verkehrsthema der absehbaren Zukunft zeigt diese Koalition, dass wir Antworten auf die dringenden und wichtigen Fragen haben. Ich freue mich auf die Diskussion mit Ihnen und bitte schon jetzt um Ihre Unterstützung. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner in der Debatte spricht Sebastian Hartmann von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sebastian Hartmann (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja nun nicht so, dass es fraglich ist, ob die Digitalisierung und damit auch der digitale Wandel stattfinden oder nicht. Er findet statt. Jetzt kommt es darauf an, ihn so zu gestalten, dass wir die Vorteile durch diese Veränderung, die sehr viele von uns in ihrer Lebensumwelt, auch in der Wirtschaft – das Stichwort „Industrie 4.0“ sei genannt – erleben, nutzen. Deswegen kann man es sich nicht so einfach machen wie Teile der Opposition, nämlich einfach die Entwicklung zu negieren bzw. so zu tun, als ob keine Veränderung stattfindet. Das ist aber auch der Hauptunterschied zwischen Ihnen und mir. Ich bin ein progressiver Sozialdemokrat. (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die gibt es noch? – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Progressiv“ und „Sozialdemokrat“, das schließt sich eigentlich aus!) Für mich bedeuten Veränderungen in der Zukunft auch Verbesserungen. Die Zukunft kann besser sein als die Vergangenheit. Aber es kommt darauf an, den Wandel zu gestalten. Das tut die Große Koalition, indem sie in ihrem Antrag ganz klar definiert, welche Handlungsfelder es gibt und welche Maßnahmen wir jetzt ergreifen müssen, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Derjenige, der behauptet, dass in diesem Antrag nichts Konkretes steht und keine Handlungsfelder benannt sind, hat ihn wahrscheinlich nicht gelesen oder will es nicht wahrhaben. Wir müssen uns aber jetzt auf den Weg machen, um auch die Chancen der intelligenten Mobilität zu ergreifen. Wem es zu umständlich ist, 13 Seiten zu lesen, dem kann man es etwas einfacher machen: Erstens. Wir brauchen als Grundlage digitale Infrastrukturen und damit die entsprechende Netzinfrastruktur. Zweitens. Wir brauchen verkehrsübergreifende Strukturen, was Smart-Data-Nutzung angeht. Sie müssen qualitätsorientiert und interoperabel sein. Es darf nicht mehr darauf ankommen, wo diese Daten entstehen. Erst auf dieser Basis werden intelligente Mobilitätsdienste entstehen. Die Große Koalition fängt dabei nicht bei null an. Wir haben nun einfach das, was im parlamentarischen Raum debattiert wird, in einem Antrag zusammengefasst, und bauen auch auf dem auf, was zum Beispiel auf nationalen IT-Gipfeln entwickelt worden ist, auch in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft; denn das kann man mit der Wirtschaft machen, aber nicht gegen die Wirtschaft, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Daniela Ludwig [CDU/CSU]: So ist es!) Wir werden die entsprechenden Rahmenbedingungen gestalten. Beide Bereiche stellen große Herausforderungen dar, und wir werden uns anstrengen müssen. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat das vor einigen Tagen sehr prägnant beschrieben: Wir werden in den nächsten zehn Jahren Investitionen von 600 Milliarden Euro brauchen. Er hat im Zusammenhang mit seinem Modernisierungspakt für Deutschland gesagt, dass allein 100 Milliarden Euro für die intelligente Netzstruktur zur Verfügung gestellt werden müssen. Das sind ambitionierte Ziele; aber wer möchte, dass wir mehr als 1,7 Prozent Wachstum und mehr als die heute 43,3 Millionen Erwerbstätigen haben, der muss jetzt investieren, damit Deutschland vorne bleibt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Andreas Rimkus [SPD]) Die intelligente Mobilität ist zentral dafür; denn ein moderner Industriestaat, in dem Güter produziert werden, muss auch für einen effizienten Transport sorgen. „Güter“ und „Logistik“ sind als Stichworte in diesem Zusammenhang zu nennen. Wir haben das Handlungsfeld klar benannt. Ich sage deswegen: Wer 50 Mbit/s als Zwischenziel ansieht, will in Wirklichkeit 500 Mbit/s. Wenn man eine weitere 5 ergänzen möchte, kann man sagen: Wir brauchen auch den 5G-Standard. Auch er wird in unserem Antrag als Ziel benannt, nämlich im Handlungsfeld unter Buchstabe d. Aber man darf Technik nicht allein als technische Maßnahme begreifen. Es gibt vielmehr noch ein zweites Feld, in dem wir als Staat ebenfalls handeln können, indem wir nicht nur Investitionen anreizen, sowohl der öffentlichen Hand als auch privater Investoren – auch andere Akteure als die öffentliche Hand müssen sich engagieren; die Markteilnehmer müssen sich einbringen –, sondern wir als Staat auch die Verantwortung wahrnehmen, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen. Dafür haben wir der Regierung ganz klar Unterstützung signalisiert bei dem Vorhaben, internationales Recht anzupassen und einen europaweit einheitlichen Rahmen zu schaffen. Es wird nicht nur darum gehen, in Deutschland die besten Rahmenbedingungen zu haben. Wir wollen Leitmarkt sein und damit Standards definieren, liebe Kolleginnen und Kollegen, damit die Akteure in der Wirtschaft die Chance haben, ihre Produkte in einem freien Binnenmarkt, in einem freien Europa und des Weiteren auf der ganzen Welt anzubieten. Wir werden auch dafür sorgen müssen, dass es für nationale Anbieter entsprechende Schutzstandards gegenüber außereuropäischen Mitbewerbern gibt. Auch dafür müssen wir den Rahmen schaffen. Das ist ein weiterer Aspekt, den wir als Staat beim Setzen der Rahmenbedingungen beachten müssen. Ich sehe, dass die Zeit abläuft; das ist digital nachgewiesen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Zeit ist abgelaufen für die Große Koalition!) Deswegen möchte ich zum Schluss kommen und zusammenfassend sagen: Wer behauptet, dass es keinen klaren Forderungsteil gibt, der hat den Antrag nicht gelesen. Das Digitale-Straßen-Gesetz ist angesprochen worden; das haben wir benannt. Wir haben hinsichtlich der internationalen Verhandlungen klare Wegmarken für die Regierung benannt. Ferner haben wir – diesen Punkt möchte ich herausstellen – die Standardisierung und die offenen Schnittstellen als zentrale Herausforderungen benannt, wenn wir Datensätze entsprechend verfügbar machen wollen. Ich will eines nicht verkennen – die TU Dresden hat das in ihrer Studie, die für das Wirtschaftsministerium unter Sigmar Gabriel angefertigt worden ist, prägnant zusammengefasst –: Wir wollen nicht, dass das Unfallrisiko zukünftig durch das Datenrisiko ersetzt wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das können wir gestalten, liebe Kolleginnen und Kollegen. Danke. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Man sieht, digitale Unterstützungssysteme – um nichts anderes handelt es sich ja bei dieser Anzeige – können hilfreich sein, auch zur Einhaltung der Redezeit. (Sebastian Hartmann [SPD]: Fast auf die Sekunde genau! – Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum nicht mal eine App?) Als nächste Rednerin hat Daniela Ludwig von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Annette Sawade [SPD]) Daniela Ludwig (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben gestern im Plenum bereits den Jahreswirtschaftsbericht beraten. Wir haben ihm entnehmen können, dass unsere deutsche Wirtschaft auf einem soliden, gesunden Wachstumskurs ist. Woran liegt das? Das liegt natürlich zum einen – auch das haben wir gestern schon feststellen dürfen – daran, dass wir hier im Land gut ausgebildete Fachkräfte haben, dass wir, auch in dieser Großen Koalition, Herr Hartmann, gute politische Rahmenbedingungen geschaffen haben, und dass wir hier solide Tarifpartnerschaften vorfinden. Aber das liegt natürlich ebenfalls daran, dass eine gute Infrastruktur nicht nur unser Ziel ist, sondern dass wir in den vergangenen Jahren in diesem Bereich auch schon viel erreicht haben. Wenn wir über eine gute Infrastruktur reden, dann meinten wir in den vergangenen Jahrzehnten immer Straße, Schiene, Luft und Wasser, also all das, was man sozusagen befahren und nutzen konnte. Wer sich dem Fortschritt nicht verweigert und in die Zukunft schaut, wer Digitalität und Digitalisierung nicht als Bedrohung sieht, sondern als Chance für den Wirtschaftsstandort Deutschland, für unsere Jugend, für diejenigen, die bei uns arbeiten und leben wollen, der muss sich natürlich – das ist das Ziel dieses Antrages – auch mit intelligenter digitalisierter Mobilität auseinandersetzen. Ich glaube, dass wir es gut schaffen, in dieser Legislaturperiode einen wundervollen Ausgleich zwischen der Ertüchtigung der Straßeninfrastruktur, der Schienen- und Wasserwege und des Luftverkehrs und dem Ausbau der digitalen Infrastruktur hinzubekommen. Es ist deshalb gut und richtig, dass das Verkehrsministerium auch dafür zuständig ist. Liebe Frau Staatssekretärin, Sie haben, wie ich finde, in einem sehr runden Ausblick dargestellt, worum es uns da in den nächsten Jahren gehen muss. Der Personen- und Warenverkehr ist ja für eine Exportnation existenziell wichtig. Er ist nicht nur auf gute Straßen angewiesen, sondern wird künftig auch von einer guten Digitalisierung des Verkehrs in jeglicher Hinsicht abhängen. Wir sprechen deswegen heute über die digitale Vernetzung von Straße, Schiene, Wasserstraßen und Luftverkehr. Wir sprechen heute auch darüber, dass es Fahrassistenzsysteme geben muss, dass wir hochautomatisiertes Fahren voranbringen wollen und dass wir Testfelder geschaffen haben. Ich kann mich gut daran erinnern: Als es hieß, dass wir ein Testfeld auf der A 9 machen, ist der eine oder andere zusammengezuckt und hat plötzlich Roboterautos fahren sehen und vermutlich ganz fürchterliche Vorstellungen vor Augen gehabt. (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von wem reden Sie denn?) Jetzt sieht man, wie wichtig dieses Testfeld auf der A 9 ist, und wie wichtig es ist, dass wir es ausbauen, und wie wichtig es ist, dass wir versuchen, wie Kollege Jarzombek gesagt hat, nicht nur auf der Autobahn, sondern auch im innerstädtischen Verkehr die Potenziale dieser Technik zu heben und zu nutzen. Ich glaube, das zeigt, dass dieses Testfeld richtungsweisend für die nächsten Jahre, richtungsweisend für den deutschen Verkehr ist. Deswegen haben wir uns in unserem, wie ich finde, sehr guten und ausführlichen Antrag dazu bekannt, dass wir weitere Modellregionen ausweisen wollen. Ich kann heute nur dazu aufrufen, sich Gedanken darüber zu machen, wo man diese einrichten kann. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Annette Sawade [SPD]) Das dient nicht nur einem besseren, flüssigeren Verkehr, das dient nicht nur der Lärmreduktion, über die wir uns gestern im Bereich der Schiene so lange unterhalten haben und worauf wir als Koalition, aber auch das federführende Haus ein ganz großes Augenmerk legen, sondern das dient natürlich auch dem Umweltschutz. Deswegen kann ich nicht so ganz verstehen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen aus der Opposition, dass Sie es sich so leicht machen und solch miesepetrigen und ablehnenden Reden halten. Sie haben sich offenkundig nicht mit unserem mehrseitigen sehr guten Antrag auseinandergesetzt. (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gerade weil wir ihn gelesen haben!) Ich kann nur sagen: Ich bin dem Verkehrsminister sehr dankbar, dass er den Runden Tisch „Automatisiertes Fahren“ ins Leben gerufen hat und diesen auch weiterführen wird. Ich bin sehr dankbar für das Forschungsrahmenprogramm „Selbstbestimmt und sicher in der digitalen Welt“. Auch hier sieht man: Wir schauen in die Zukunft, wir verneinen den Fortschritt nicht, sondern wir stellen uns ihm, und wir versuchen, für uns und für unsere Kinder und Enkelkinder das Beste daraus zu machen. Deswegen sage ich: Der Modernitätsfonds und auch der Projektplan Straßenverkehrstelematik weisen in die richtige Richtung und haben unsere volle Unterstützung. Wir als Koalition wollen uns nicht nur auf Regierungshandeln verlassen – (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da bin ich ja froh!) das auch als Antwort auf diejenigen, die sich gewundert haben, warum es jetzt eine Parlamentsinitiative ist –, sondern wir wollen mitmachen und mitgestalten. Wir danken für die gute Zusammenarbeit mit allen beteiligten Ministerien. Ich glaube, wir haben sehr viel vor uns, um dieses weite Feld zu erschließen. Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit und auf weitere gute Ideen, die wir als Koalition auf jeden Fall gerne einbringen werden. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Annette Sawade von der SPD-Fraktion spricht als letzte Rednerin in dieser Debatte. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Annette Sawade (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebes Publikum auf der Tribüne! Vieles wurde von den Kolleginnen und Kollegen bereits zum Thema „Intelligente Mobilität fördern“ gesagt. Ja, es stimmt: Wir haben allein im letzten Jahrzehnt einen technischen – präziser: einen digitalen – Wandel erlebt, der weitreichender und umfassender ist als die vielen technischen Innovationen zuvor. Der Einzug des Fernsehgerätes in die Wohnzimmer unserer Nation in den 50erJahren war für die Gesellschaft offenkundig nicht so komplex und in allen Lebensbereichen wirksam wie die Verbreitung des Internets und der Digitalisierung im 20. und 21. Jahrhundert. Wir reden heute über fünf Trends, die unsere Gesellschaft prägen: Globalisierung, demografischer Wandel, Urbanisierung, Nachhaltigkeit und Ressourcenknappheit. Unser Antrag „Intelligente Mobilität fördern“ zeigt im Bereich der Mobilität Lösungsfelder auf: die Digitalisierung der Verkehrssysteme, die dazu notwendige Weiterentwicklung der Technik und flexibles Management. So weit die Theorie. Aber wir, Politik und Industrie, wollen und müssen jetzt auch praktisch tätig werden. Da gibt es auf allen Gebieten Handlungsbedarf. Ich beschränke mich heute auf das Beispiel Schienengüterverkehr. Bei der Mitgliederversammlung des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen in dieser Woche wurde daran erinnert, welche letzten Innovationsdurchbrüche es im Schienengüterverkehr bei der Bahn gab: 1903 kam die durchgehende Druckluftbremse bei Güterzügen zum Einsatz. Ab 1911 wurde dann auf elektrische Traktion umgestellt. Diese ist übrigens bis heute noch nicht zu 100 Prozent umgesetzt. Was ist in den nächsten 100 Jahren zu tun? Das Güterverkehrsaufkommen in Deutschland und Europa steigt und führt bereits heute zu Infrastrukturengpässen. Zugleich aber sollen Verkehr und Logistik nachhaltiger und energieeffizienter sein. Das passt nur zusammen, wenn es ein Umdenken und Umlenken in der gesamten Konzeption gibt. Es ist schon lange unser erklärtes politisches Ziel und auch Inhalt des Koalitionsvertrages, mehr Güter auf die Schiene zu bekommen. Dazu müssen die Ressourcen dieses Transportweges besser und effizienter genutzt werden als bisher. Leerfahrten, Wartezeiten, Lärm und nationale Sonderbestimmungen sollten der Vergangenheit angehören. Wie könnte das gehen? Eine Lösung wäre autonomes Fahren beim Rangieren von Güterzügen und später eine Ausweitung auf den Personenverkehr. Im Nahverkehr gibt es diese Züge bereits; mein Kollege Rimkus hat es bereits erwähnt. Allerdings wollen wir – das bitte ich zu beachten – oberirdisch bleiben und nicht überirdisch werden, wie im Antrag leider falsch formuliert. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es sind die geltenden Gesetze zu prüfen und gegebenenfalls anzupassen. Darüber hinaus gibt es einen enormen Bedarf an einer einheitlichen Regelung von Sicherheitstechnik. Allein rund 20 verschiedene Zugsicherungssysteme gibt es in der EU. Unser Schienengüterverkehr bewegt sich aber nun einmal nicht nur in Deutschland, sondern über die Grenzen europaweit hinweg. Der intelligente Güterwagen von morgen sollte mit einem System ausgestattet sein, das Daten ermittelt, speichert und verarbeitet. Diese Intelligenz setzt allerdings Kommunikationsplattformen voraus, die einwandfrei und schnell funktionieren, Stichwort „Mobilfunk 5G“. Ohne ein System, das EU-weit sicher und verbindlich funktioniert, brauchen wir über Innovationen wie zum Beispiel fahrerlose Züge gar nicht zu reden. Ein kleines Beispiel: In der westaustralischen Pilbara-Region gibt es ein interessantes Projekt. Die Firma Rio Tinto setzt dort seit letztem Jahr autonome Züge – zum Teil mit über 300 Wagen pro Zug – für den Transport von Eisenerz ein. Überwacht wird das Ganze im 1 500 Kilometer entfernten Perth. Die gesamte Strecke bis zu den Häfen im Nordwesten wurde digital aufgerüstet; Bahnübergänge wurden mit aufwendiger Überwachungstechnik ausgestattet. Natürlich können wir die Lösungen in Australien und den USA nicht mit unseren Gemischtverkehren in Deutschland vergleichen. Aber gerade deshalb sind hier beste IT-unterstützte, intelligente und flexible Systeme gefragt. Auch die Berufsbilder in der Branche werden sich wandeln. Dabei müssen wir Politikerinnen und Politiker jedoch auch die Menschen und ihre Arbeitsplätze im Blick behalten. Deshalb dürfen wir Forschungseinrichtungen nicht abbauen. Wir müssen sie aufbauen und dringend dafür werben, dass sich unsere Jugend für eine Ausbildung als Ingenieurin oder Ingenieur entscheidet. Das richtet sich auch an die jungen Menschen hier auf der Tribüne. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) In Sachen „technisch Innovation“ gäbe es viel aufzulisten: besserer Informationsaustausch zur Bündelung von Transporten, durchgängige Elektrifizierung vom Start bis zum Ziel, Multimodalität oder elektronische Prüf- und Zulassungsverfahren für mehr Effizienz, mehr Kapazität, mehr Flexibilität und auch weniger Kosten – vorausgesetzt, sie werden entwickelt und kommen zum Einsatz. Wir brauchen den intelligenten Güterwagen und eventuell auch einen Masterplan zur Stärkung des Güterverkehrs, die Schiene 4.0. Wir müssen die intelligente Mobilität vorantreiben, weil wir sie brauchen, um effizienter und umweltschonender transportieren zu können. Wir sind schon mittendrin; aber wir werden und müssen weiterentwickeln, ausprobieren und vor allem umsetzen. Ich schließe mit dem ersten Satz unseres Antrags: Die Zukunft der Mobilität in der Digitalen Gesellschaft hat bereits begonnen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/7362 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf. Beratung des Antrags der Abgeordneten Özcan Mutlu, Kai Gehring, Beate Walter-Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mehr Bildungsgerechtigkeit für die Einwanderungsgesellschaft – Damit Herkunft nicht über Zukunft bestimmt Drucksache 18/7049 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Innenausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist auch das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Wenn die Kolleginnen und Kollegen ihre Plätze eingenommen haben, kann auch der erste Redner in der Debatte beginnen. – Erster Redner in der Debatte ist Özcan Mutlu von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Geburtsurkunde steht Kevin, Sevtap, Ludwig oder Marie. Auf dem Papier sind sie alle gleich, in der Kita auch noch, aber danach nicht mehr. Wahrscheinlich muss Kevin doppelt so gute Noten haben wie Ludwig, um Abitur machen zu können. Ob Sevtap eine Chance auf die Ausbildung zur technischen Produktdesignerin bekommen wird, auch wenn sie sich mit dem gleichen Notendurchschnitt wie Marie bewirbt, steht in den Sternen. Wie erklären Sie sich, dass Deutschland als wohlhabendes Land es nur selten schafft, die Kinder unabhängig von ihrer Herkunft zum Erfolg zu bringen? Wir halten das für problematisch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bildungsgerechtigkeit ist nach wie vor die Achillesferse des deutschen Bildungssystems. Das leidige Kooperationsverbot verfestigt diesen Missstand von Generation zu Generation. Wir sagen: Damit muss Schluss sein! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]) Wir sagen: Alle jungen Menschen, die hier leben, die in unserem Land aufwachsen, haben ein Recht auf gute Bildung. Wir müssen unsere Bildungsinstitutionen nicht nur fit für die Zukunft, sondern auch fit für die Einwanderungsgesellschaft machen. Die Fehler der strukturellen Nichtintegration der Gastarbeitergeneration dürfen wir heute nicht wiederholen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Sonst drohen uns hierzulande in wenigen Jahren französische Verhältnisse, die keiner in diesem Saal haben möchte. Gute Bildung ist meiner Ansicht nach nämlich auch eine Investition in die Sicherheit unseres Landes und in ein friedliches Zusammenleben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist daher unser aller Pflicht, alle jungen Menschen, inklusive der Geflüchteten, bestmöglich in unser Bildungssystem zu integrieren und ihnen bestmögliche Chancen zu bieten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bereits vor den aktuellen Herausforderungen durch die Geflüchteten investierte unser Land zu wenig in Bildung. Das haben uns etliche Studien mehrfach attestiert. Für mich lautet daher die Frage: Wie kann der potenteste Geldgeber, der Bund, bei dieser wichtigen gesellschaftlichen Aufgabe mit anpacken, anstatt sich einen schlanken Fuß zu machen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Koordinierungsstellen für Geflüchtete sind sicherlich als erste Maßnahme ein richtiger Schritt. Das ist unseres Erachtens aber noch lange nicht ausreichend. Gerade angesichts der großen Zahl der Kinder mit Migrationshintergrund – das sind ein Drittel der unter Sechsjährigen in unserem Land – muss interkulturelle Bildung eine Schlüsselkompetenz vor allem für unsere pädagogischen Akteure sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]) Die Vielfalt der Lebensrealitäten und der Lebenswelten der Kinder muss sich unbedingt in den Rahmenplänen und in den Schulbüchern abbilden. Gleiches gilt für die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer. Der Handlungsbedarf ist groß, wie die „Schulbuchstudie Migration und Integration“ der Bundesregierung gezeigt hat. Auch heute noch sind die Darstellungen in vielen Schulbüchern tendenziös, überholt und bedienen Stereotypen. Wir sagen: Auch hier haben wir einen großen Handlungsbedarf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, nicht erst seit den aktuellen Entwicklungen – im letzten Jahr sind circa 1 Million Menschen nach Deutschland geflüchtet, wie Sie wissen – ist die Integration von allen Menschen in unser Bildungssystem enorm wichtig und unabdingbar. Wir sagen daher als Grüne: Statt über unsinnige und gesetzeswidrige Obergrenzen zu diskutieren, brauchen wir jetzt eine konsequente und sofortige Bildungsoffensive; denn Bildungspolitik ist Integrationspolitik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]) Auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund fordert einen Masterplan für Integration auf Bundesebene. Schließlich findet Integration vor Ort statt: in den Städten, Gemeinden und Kommunen; diese dürfen wir bei dieser Mammutaufgabe nicht alleine lassen. Das ABC der Integration ist meiner Ansicht nach Integration in Arbeit, in Bildung und in Chancengerechtigkeit. Daher muss dieser Masterplan langfristig sowohl inhaltlich als auch finanziell aufzeigen, welche konkreten Maßnahmen und Schritte einzuleiten sind, um Integration für alle insbesondere in Bildung und Arbeit zu ermöglichen und zu fördern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb fordern wir von dieser Bundesregierung und von der amtierenden Koalition – hierbei sehe ich gerne in die Richtung der SPD –: Sorgen Sie mit dafür, dass wir endlich eine Bildungs- und Integrationsoffensive starten, statt nur immer darüber zu reden! (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Wir reden nicht nur!) Wenn Sie schon nicht auf uns hören, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, dann hören Sie wenigstens auf die Wirtschaft. Wirtschaftsforscherinnen und -forscher haben erst jüngst erklärt, dass in der aktuellen Situation die Investition in eine Bildungsoffensive höchste Priorität haben muss. Das finden wir Grüne auch. Am Geld sollte es nicht scheitern. Schließlich haben wir einen Überschuss von 12 Milliarden Euro. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Jawohl!) Unser Antrag zeigt detailliert auf, was dringend zu tun ist. Ich kann nur an Ihre Vernunft appellieren: Stimmen Sie unserem Antrag zu, damit wir bei dieser wichtigen Aufgabe an einem Strang ziehen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Gesamtinvestitionen für eine Bildungsoffensive in eine gute Zukunft für alle in unserem Land liegen bei circa 6 bis 10 Milliarden Euro pro Jahr. Dieses Geld geht nicht verloren. Im Gegenteil: Es sichert die Zukunft und ist auch eine Investition in die Gegenwart. Es ist ein Konjunkturprogramm ohnegleichen. Lassen Sie uns deshalb hier an einem Strang ziehen. Deutschland muss sich eine Bildungsoffensive nicht nur leisten; sie muss sie auch dringlich durchführen – für heute, für die Zukunft und im Interesse der Kinder und Jugendlichen, und zwar unabhängig von ihrer Herkunft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Cemile Giousouf von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Cemile Giousouf (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Mutlu, im Moment erleben wir, dass sich die europäische Staatengemeinschaft mit einer Bevölkerung von 508 Millionen Menschen weigert, eine Anzahl von circa 1,5 Millionen Flüchtlingen in ihren Ländern aufzunehmen und zu versorgen, und das liegt nicht an Deutschland. Sie zeichnen in dieser Debatte ein Bild, das eine Untergangsstimmung weckt. Dieses Bild ist nicht nur falsch, sondern geht komplett an den Realitäten unseres Landes vorbei. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten den Antrag lesen, bevor Sie das sagen! Lesen Sie einmal den Antrag! Vielleicht lernen Sie ja etwas!) Deutschland ist ein Einwanderungsland. Wir beschulen nicht erst seit dem Jahr 2015 Flüchtlingskinder, und die Integration von Deutschen mit einer Einwanderungsgeschichte ist besser als ihr Ruf. Wir sehen das an den Folgegenerationen der Einwanderer, ob es die Aussiedler, die Gastarbeiter oder Kriegsflüchtlinge sind. Sie haben ihre Elterngeneration überholt. Insbesondere die Mädchen weisen erfolgreiche Schul- oder Berufsabschlüsse vor. Auch die Anzahl der Studierenden mit einer Einwanderungsgeschichte an Hochschulen nimmt zu. Die Migranten und ihre Kinder sind im Bildungswesen und auf dem Arbeitsmarkt zwar immer noch nicht gleichgestellt – das ist wahr –; aber der Trend geht nach oben, und das zeichnet unser Bildungs- und Ausbildungssystem in Deutschland aus. Die Integrationspolitik in diesem Land ist ein Erfolg. Vor dem Hintergrund der Neuzuzügler müssen wir uns zu Recht die Frage stellen, ob das, was wir bislang an Strukturen haben, tatsächlich ausreicht. Ja, unsere Lehrer brauchen eine stärkere interkulturelle Kompetenz, und auch die Geschichte der Einwandererkinder muss Einzug in unsere Schulen halten. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann stimmen Sie dem Antrag also zu?) Sie müssen gemeinsam lernen, dass die Gastarbeitergeneration dieses Land mit aufgebaut hat, (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!) dass es vor hundert Jahren Syrer waren, die den verfolgten Armeniern Schutz gewährten, dass es Marokko war, das im 11. Jahrhundert Juden Schutz gewährte, und dass vom 8. bis zum 16. Jahrhundert Christen, Muslime und Juden in Andalusien friedlich zusammenlebten. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kommen Sie mal zur Gegenwart! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie denn 2016 vor?) Dieses unser gemeinsames Erbe ist die Grundlage dafür, dass wir Menschen zu selbstbewussten Demokraten erziehen. Jeder in diesem Land soll stolz auf seine Herkunft sein dürfen und gleichzeitig stark genug, um unmissverständlich Demokratie und Menschenrechte zu verteidigen, unabhängig davon, ob es sich um seine eigenen oder die eines anderen handelt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD]) Sie müssen lernen, dass sie alle, die sie in diesem Land leben, die Verantwortung für die Geschichte Deutschlands haben, egal ob sie eingewandert oder hier geboren sind, und dieser Verantwortung auch gerecht werden müssen. Wir müssen starke Persönlichkeiten in unseren Schulen erziehen, die den Rattenfängern des islamistischen Terrorismus genauso entgegentreten können wie den Rattenfängern rechtsextremer Gruppen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann stimmen Sie unserem Antrag zu! Da klatsche ich doch gleich mit!) Aber was haben wir bislang alles auf den Weg gebracht, um diese Zukunft zu sichern? Das Bildungsministerium ist das Schlüsselministerium für Integration. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat Frau Wanka selber noch nicht gemerkt! Wo ist Frau Wanka in dieser Integrationsdebatte?) Mit dem Anerkennungsgesetz wurden die Weichen für die Integration von ausländischen Fachkräften in den Arbeitsmarkt ermöglicht, und das eben nicht erst seit dem Zuzug der Flüchtlinge. Es gibt noch Nachholbedarf bei der Ausbildung Jugendlicher; das stimmt. Diese Analyse ist für uns nichts Neues, lieber Herr Mutlu. Daran arbeiten wir mit unseren KAUSA-Servicestellen. Mit der Initiative Bildungsketten unterstützen wir Schülerinnen und Schüler, indem wir sie im Übergang von der Schule in den Beruf begleiten. Es ist schade, dass das Avicenna-Studienwerk, die Begabtenförderung für muslimische Studierende und die Islamische Theologie an Hochschulen, womit Deutschland einzigartig in Europa dasteht, in Ihrem Antrag nicht mit einem Wort Erwähnung finden. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil es das schon gibt! Uns geht es um Missstände, die behoben werden sollen!) An diesen Hochschulen werden Islamkundelehrer und Imame ausgebildet, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen Sie denn in der Schule?) die in unseren Schulen und den Religionshäusern als Lehrer und Seelsorger arbeiten werden. Das alles zeigt, dass die CDU/CSU-Fraktion bei der Bewältigung der großen Integrationsaufgabe auf keine Schnellschüsse setzt, sondern auf Strukturen (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Nur das dauert bei Ihnen!) wie auch unsere Integrationskurse und die berufsbezogene Sprachförderung. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben keine Zeit, zu warten, bis ihr mal zur Einsicht kommt!) Zwei Maßnahmenpakete für die Integration von Flüchtlingen hat unsere Bundesministerin Wanka im Herbst 2015 vorgestellt; das haben Sie vielleicht mitbekommen. Das erste Paket konzentriert sich auf den Erwerb der deutschen Sprache sowie den Zugang zur beruflichen Bildung. Damit Flüchtlinge ein Studium aufnehmen können, brauchen sie Beratung, sprachliche Vorbereitung und fachliche Unterstützung. Genau hier greifen die Maßnahmen des zweiten Paketes. Mehr als 230 Millionen Euro insgesamt stellt das BMBF für diese Integrationshilfen in den nächsten Jahren zur Verfügung. Auch dazu findet sich in Ihrem Antrag keine Zeile. Seitens der Unionsfraktion wurde im Dezember 2015 ein von der AG Bildung und Forschung erarbeitetes und mit den Innenpolitikern abgestimmtes Konzept auf unseren Seiten veröffentlicht. Es wäre besser gewesen, wenn Sie vor Erstellung Ihres Antrages einen Blick darauf geworfen hätten. Im Vergleich zu Ihrem Wünsch-dir-was-Katalog stehen da nämlich konkrete Punkte, die auch umsetzbar und realistisch sind. (Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und warum sind sie dann nicht umgesetzt? Wann wollen Sie sie denn endlich umsetzen? – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Regieren Sie eigentlich seit neun Jahren? Wo ist eigentlich Frau Wanka bei dieser Debatte?) Sei es drum. Gehen wir die einzelnen Punkte Ihres Antrags einmal durch. Ihre Hauptforderung nach Aufhebung des Kooperationsverbotes im Bildungsbereich ist altbekannt. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist eigentlich Frau Wanka?) Doch schon heute engagiert sich der Bund in der Bildung finanziell so stark und umfassend wie nie zuvor: Stichwort „Hochschulpakt“, Stichwort „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“, Stichwort „Qualitätspakt Lehre“, Stichwort „vollständige Übernahme der BAföG-Finanzierung durch den Bund“. Dann fordern Sie die Erleichterung des Zugangs zum Arbeitsmarkt für Flüchtlinge. Diese Forderung ist gut; sie kommt nur zu spät. Bereits im September 2015 hat das BMBF ein erstes Maßnahmenpaket für Flüchtlinge vorgestellt (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh Mann! Ihr habt ja schon alles angepackt! Die ganzen Studien sagen Falsches aus! Die Gewerkschaften und Verbände träumen!) – ich kann es Ihnen nicht ersparen; wenn Sie immer wieder die gleichen Anträge stellen, dann müssen Sie sich auch immer wieder die Antworten anhören –, (Beifall bei der CDU/CSU) bei dem der Erwerb der deutschen Sprache sowie die Integration in Ausbildung und Beruf im Mittelpunkt stehen. Kommen wir zur Forderung nach Schaffung von Sicherheit für junge geflüchtete Menschen in der Ausbildung. Durch die Neuregelung des am 1. August 2015 in Kraft getretenen Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts wurde hier bereits Rechtssicherheit geschaffen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Märchenstunde!) Genau das, liebe Kolleginnen und Kollegen, schafft Planungssicherheit, und zwar sowohl für die betroffenen Auszubildenden als auch für die Ausbildungsbetriebe. Wir sollten aufhören, den Handwerksmeistern vor Ort Angst zu machen, (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen Sie gerade!) ihre Schützlinge könnten in der Ausbildung abgeschoben werden. Dem ist ein Riegel vorgeschoben. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nehmen Sie endlich den Kopf aus dem Sand!) Zu Ihrer Forderung nach schnellerem Zugang zum BAföG für Geflüchtete. Notieren Sie es sich bitte noch einmal: Die Koalition hat bereits dafür gesorgt, dass Inhaber bestimmter humanitärer Aufenthaltstitel nicht mehr eine Vierjahresfrist abwarten müssen. Sie können bereits nach 15 Monaten die Unterstützung beantragen. Ich kann es Ihnen nicht ersparen: Insgesamt sind 80 Prozent Ihrer Forderungen bereits erledigt. Wenn Sie schon nicht auf unsere Fraktionsseite schauen, dann werfen Sie zumindest einen Blick ins Bundesgesetzblatt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Antrag ist an die Regierung gerichtet, nicht an die Seite der CDU/CSU-Fraktion!) So aber müssen Sie sich den Vorwurf gefallen lassen, in den Chor derer einzustimmen, die behaupten, die Integrationspolitik der letzten Jahre sei gescheitert. Sie machen es nur von einer anderen, sympathischeren Seite. Die anderen sagen, wir sollten gar nichts mehr machen, und sie wollen einfach mehr Geld reinblasen. Beides ist falsch. Deutschland ist gut aufgestellt. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie den Antrag überhaupt gelesen? – Gegenruf von der SPD – Gegenruf des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Antrag besteht aus acht Seiten! Sie sollte ihn lesen! Dann lernt sie was!) Sie sollten zur Kenntnis nehmen, dass die Bundesregierung, dass das BMBF und auch ganz persönlich Ministerin Johanna Wanka dieses Thema mit einer großen Ernsthaftigkeit behandeln, wie ich sie mir von allen politischen Akteuren wünschen würde. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz schön dünn!) Diese Konzentration auf das Wesentliche sollte stilbildend sein und hätte möglicherweise auch Ihrem Antrag gutgetan. Das Einwanderungsland Deutschland ist zuversichtlich. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Bis auf Bayern!) Seien Sie es auch! Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keinen einzigen Vorschlag gemacht! Keinen einzigen!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Dr. Rosemarie Hein von der Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt ist die Märchenstunde vorbei! Jetzt hören wir mal Frau Hein zu!) Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Frau Präsidentin! – Vielen Dank, Herr Mutlu. Ich gebe aber zu, dass es mir heute ein bisschen schwerfällt, über diesen Antrag zu reden, in dem es um Kinder und Jugendliche geht, nachdem letzte Nacht die Koalition ihren Asylkompromiss beschlossen hat. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist ein schwarzer Tag zumindest für jene Familien, die darauf warten, zu ihren Angehörigen nach Deutschland ziehen zu können. Und das beschließt eine Koalition, die ständig den Wert von Familie hochhalten will. Ich finde, das ist ein Armutszeugnis. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ja! Christlich vor allen Dingen! Immer „Wir als Christen“!) Nach einer UNICEF-Studie aus dem Jahr 2014 sind 70 Prozent der asylsuchenden Kinder und Jugendlichen unter zehn Jahre alt. Das sieht bei denen, die derzeit auf Familiennachzug warten, ganz sicher nicht anders aus. Kinder brauchen ihre Familien. Welches Recht haben wir, ihnen das zu verweigern? Keines. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nun haben Sie sich die Nacht um die Ohren geschlagen, um auszuhandeln, wie es gelingen kann, Asylsuchende davon abzuhalten, nach Deutschland zu kommen. Bei der Frage einer besseren Integration und eines besseren Bildungszugangs waren Sie nicht so erfolgreich. Das aber wäre wichtiger gewesen; (Beifall bei der LINKEN) denn weder der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz noch die Durchsetzung der Schulpflicht ist heute in den meisten Bundesländern zeitnah gesichert. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist bei der CDU noch nicht angekommen!) Aber alle Kinder haben die gleichen Rechte, egal wo sie geboren sind. (Beifall bei der LINKEN) Darum finde ich es richtig, dass der Antrag der Grünen die Bildungsfrage umfassend angeht. Denn nur ein gutes und gut ausgestattetes Bildungssystem wird für alle Kinder und Jugendlichen gleiche Bildungschancen ermöglichen, und nur ein gut ausgestattetes Bildungssystem wird die große Integrationsaufgabe leisten können. Aber das bundesdeutsche Bildungssystem ist nicht gut darauf vorbereitet. Im Antrag sind fast alle Fakten benannt, und wir unterstützen auch die allermeisten Forderungen. Weitere finden Sie in unserem Antrag „Gleicher Zugang zur Bildung auch für Geflüchtete“ vom September des vergangenen Jahres. Davon ist noch nichts überholt. Zum Beispiel haben wir darin etwas ausführlicher die Forderung erhoben, die interkulturelle Bildung als Bestandteil in die Lehrerbildung aufzunehmen. Des Weiteren haben wir eine stärkere Integration des Faches Deutsch als Zweitsprache gefordert. (Beifall bei der LINKEN) Etwas kritisch sehen wir die Hoffnung auf Institutionen wie Jugendberufsagenturen. Da sind wir skeptisch, zumal wenn sie nicht anders funktionieren als Jobcenter für Jugendliche. Auf einen Punkt möchte noch etwas umfassender eingehen. Die Grünen fordern in ihrem Antrag die gesetzliche Verankerung eines Rechtsanspruchs auf einen Ganztagsplatz in Kitas oder Tagespflege. Diese Forderung teilen wir, und das seit Jahren. Wir wissen, wie schlecht es um Ganztagsplätze im Bereich der Kinderbetreuung bestellt ist, und zwar bundesweit und am allermeisten im Westen. Ich erinnere mich an die Topmeldung der Bundesregierung zu Beginn dieses Jahres: Bundesprogramm „KitaPlus“. Ich finde, es ist das falsche Signal. Möglicherweise wird es manchen Eltern und Familien als eine Lösung erscheinen, dass nun Betreuung in Randzeiten, Wochenendbetreuung und notfalls auch eine 24-Stunden-Betreuung in Kitas möglich sind. Aber können Sie sich ernsthaft vorstellen, Ihr Kind zum Schlafen in die Kita zu bringen? Ich nicht! (Beifall bei der LINKEN – Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Also, ich habe in der Kita immer geschlafen!) Wieso eigentlich soll sich der Lebensrhythmus der Kinder an den Arbeitszeiten der Eltern orientieren? Eine kinderfreundliche Gesellschaft würde das genau andersherum machen. Deshalb hätte ich es gut gefunden, wenn Sie statt dieses Programmes einen Rechtsanspruch auf ganztägige Betreuung im Gesetz verankert hätten – diese Möglichkeit besteht –, wie es die Länder Sachsen-Anhalt und Thüringen getan haben. Dort gibt es einen Anspruch auf zumindest bis zu zehn Stunden; in anderen Ländern gibt es das nicht. Dies wäre das richtige Signal gewesen, um die Randbetreuungszeiten besser abzudecken und damit auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern. Das ist der Weg, den wir gehen müssen. Man sollte seine Kinder nicht dann abgegeben müssen, wenn man gerade im Schichtdienst ist. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Was sollen denn die machen, die im Schichtdienst arbeiten?) – Hören Sie bis zum Ende zu! – Des Weiteren muss man einen Rechtsanspruch verankern, wonach Eltern, die Kinder in einem gewissen Alter erziehen, das Recht haben, ihre Arbeitszeit entsprechend zu gestalten. Damit könnten Sie die allermeisten Fälle tatsächlich lösen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Aber welche? Da muss man auch konkret werden! – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Was ist mit Krankenhäusern? – Weiterer Zuruf von der SPD: Polizei?) – In einigen wenigen Fällen geht das nicht. Da findet man dann andere Lösungen. – Mit dem, was Sie jetzt machen, senden Sie das Signal aus: Wir sorgen dafür, dass Eltern verfügbar sind, wann immer das Unternehmen sie benötigt, und die Kinder entsprechend betreut werden. – Das halten wir für grundsätzlich falsch. Ich glaube, dass wir an dieser Stelle noch viel zu diskutieren haben. Gerade an diesem Punkt wird deutlich, dass es noch nicht im Bewusstsein ist, dass der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz ein Rechtsanspruch auf frühkindliche Bildung ist und nicht auf die Aufsicht in Abwesenheit der Eltern. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Karamba Diaby von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Karamba Diaby (SPD): Werte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herkunft darf nicht über Zukunft bestimmen. Weder der elterliche Geldbeutel noch die vielfältigen eigenen oder familiären Wurzeln dürfen zu Fesseln werden. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herkunft darf kein Stigma sein. Die sozialdemokratische Idee hat sich immer am emanzipatorischen Wert von Bildung orientiert: Bildung zur Entfaltung der Persönlichkeit und Aufstieg durch Bildung. Dieser Weg soll für alle offen sein. (Beifall bei der SPD) Wir sind ein Einwanderungsland. Wir sind vielfältig. Das ist gut so. Da wir eine Einwanderungsgesellschaft sind, muss diese Alltagsrealität von allen gesellschaftlichen Einrichtungen nachvollzogen werden, auch von unseren Bildungseinrichtungen. Es hat sich schon viel in diesem Land bewegt – die Grünen haben das wahrscheinlich nicht mitbekommen –: (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Die haben in der Kita geschlafen! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bisher fand ich Sie ja sympathisch!) mehrsprachige Kitas und Schulen; Lernbegleiter, die Geflüchteten beim Spracherwerb helfen; Schulsozialarbeiter; interkulturelle Öffnung der Bildungseinrichtungen und mehr vielfältiges Lehrpersonal. – Frau Präsidentin, die Lampe für die Zeit blinkt. Das irritiert mich ein bisschen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sechs Minuten sind um!) In dieser Debatte ist mir Folgendes wichtig: Hierzulande gilt die Schulpflicht für jedes Kind, gleichwohl ob es in einem Krankenhaus in Halle-Neustadt oder in Palmyra geboren wurde. Deswegen ist es gut, dass viele Kommunen und Länder die Beschulung aus den Notunterkünften heraus stemmen. Lassen Sie uns nicht die gleichen Fehler wie mit der sogenannten Gastarbeitergeneration und ihren Familien wiederholen. (Beifall bei der SPD) Viele, die zu uns geflüchtet sind, bleiben erst einmal hier. Wir müssen die Weichen stellen, damit die Kinder zur Schule gehen, ihre Ausbildung absolvieren oder ihr Studium aufnehmen können. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Weichen stellt denn die Regierung?) – Die Regierung hat sehr viele Weichen gestellt – das wissen Sie ja auch –, (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erzählen Sie mal! Ich kenne die nicht!) die Weichen dafür, dass die geflüchteten Frauen und Männer schnell in Arbeit kommen. An dieser Stelle appelliere ich auch an meine Kolleginnen und Kollegen der CSU: Kehren Sie bitte zurück zur Sacharbeit! Lassen Sie uns das Asylpaket II umsetzen, und stellen Sie Ihren Überbietungswettbewerb in irreführenden Forderungen ein! Gestern haben sich die Parteichefs geeinigt. Die Menschen in diesem Land erwarten von uns, dass wir jetzt das umsetzen, was wir beschlossen haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und nicht nur reden!) Nun zu Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen. Mich stört, dass Sie in Ihrem Antrag den Eindruck erwecken, als müsste das Rad neu erfunden werden. Dabei leistet diese Bundesregierung schon sehr viel. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glaubst du doch selber nicht, was du da sagst!) Im Antrag fordern Sie zum Beispiel die Verbesserung der frühkindlichen Bildung. Ja, das ist eine sehr gute Idee. Dabei übersehen Sie aber, was unsere Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig bereits alles in Gang gebracht hat. Der Bund investiert weiter sehr stark in Infrastruktur und Qualität der Kitas. Allein 2015 haben wir knapp 1 Milliarde Euro ausgegeben. Hinzu kommen künftig noch die Mittel aus dem Betreuungsgeld, die wir auch in diesem Bereich einsetzen. Diese Maßnahmen sind gut für die Kinder. (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren, darüber hinaus will die SPD die Länder und Kommunen dabei unterstützen, weitere 80 000 Kitaplätze und 20 000 zusätzliche Stellen für Erzieherinnen und Erzieher zu schaffen. Sie sehen, liebe Grüne: Allein in diesem Bereich passiert schon so viel. Oder schauen Sie doch einmal in den Hochschulbereich. Bereits im Dezember hat das Bundesbildungsministerium viele Maßnahmen auf den Weg gebracht, um potenziellen Studierenden den Hochschulzugang zu erleichtern. Der DAAD unterstützt die Hochschulen dabei, vorhandene Kompetenzen und Qualifikationen festzustellen oder auch die Sprachkenntnisse dieser Menschen zu verbessern. Und nicht zuletzt: Wir unterstützen studentische Initiativen, die sich für die Geflüchteten engagieren. Allein in diesem Jahr stehen für diese Maßnahmen im Hochschulbereich sage und schreibe 27 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lassen Sie mich kurz auf das Thema Kooperationsverbot eingehen. Die SPD steht bekanntermaßen dafür ein, dass das Kooperationsverbot aufzuheben ist. Das ist ein langfristiges Ziel. Das würde einiges vereinfachen, und der Bund könnte die Länder und Kommunen besser im Bildungsbereich unterstützen. Das ist unsere Meinung. Kurzfristig setzen wir aber darauf, in Abstimmung mit den Ländern gezielt einzelne Bereiche zu fördern. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir Schulsozialarbeit oder Integrationsarbeit an Schulen über ein Programm stärken. (Beifall bei der SPD) Wir plädieren deshalb für einen Aktionsplan „Bildung“. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bildung zur Entfaltung der Persönlichkeit und Aufstieg durch Bildung: Dieser Weg soll für alle offen bleiben. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten! Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann stimmen Sie unserem Antrag zu!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Uda Heller von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Uda Heller (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren vom Bündnis 90/Die Grünen, Ihr Antrag ist ein breit gefächertes Potpourri von unspezifischen Forderungen, zahlreichen Vorschriften und vor allem von dem Verlangen nach mehr Geld. Hier werden Sie Ihrem Ruf als „Vorschriftenpartei“ erneut gerecht. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch unglaublich!) Im Gegensatz zu Ihnen setzt die CDU/CSU-Fraktion nach wie vor auf das Vertrauen in eine eigenverantwortliche Gesellschaft. Am meisten wundere ich mich über Ihre Aussage, dass Deutschland es angeblich jahrelang versäumt hat, Geld in Bildung zu investieren. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Völlig falsch!) Ich frage mich, ob Sie unsere Haushaltsdebatten vom November schon wieder vergessen haben. Ich kann Ihnen die Zahlen noch einmal in Erinnerung rufen: Für 2016 haben wir den Bildungs- und Forschungsetat nochmals um weitere 1,13 Milliarden Euro auf insgesamt 16,4 Milliarden Euro erhöht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Rekordausgabe!) Das zeigt doch eindrücklich, welchen besonderen Stellenwert Bildung für uns hat. Doch ich gebe zu, es gibt auch Punkte, bei denen wir übereinstimmen. Deutschland ist ein Einwanderungsland. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat lange gedauert, bis Sie das erkannt haben!) Und ja – das haben viele Kolleginnen und Kollegen vorher auch gesagt –, die Integration erfolgt am besten über Bildung. Es ist richtig, dass der Spracherwerb ein wichtiger Schlüssel für eine erfolgreiche Integration ist. Wir alle sind uns darüber einig, dass die Flüchtlingsbewegung für Deutschland und Europa zahlreiche Herausforderungen mit sich bringt. Aber sie birgt auch Chancen, und die sollten wir nutzen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erzählen Sie das mal Ihrer Fraktion!) Es ist unsere Aufgabe als Bildungspolitiker, Rahmenbedingungen zur Deckung des Fachkräftebedarfs zu schaffen. Daher sollten wir die Potenziale der Zuwanderung nutzen und eine erfolgreiche Integration über Bildung und Beschäftigung unterstützen. (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Richtig!) Aber das haben wir schon lange vor Ihrem Antrag erkannt, Herr Mutlu. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach so! Nur nicht gehandelt!) Daher werden wir in den nächsten Jahren rund 130 Millionen Euro zusätzlich investieren, um die zentralen Ziele umzusetzen. Erstens: Spracherwerb. Zweitens: Anerkennung von Kompetenzen und Potenzialen. Drittens: Integration in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. Ich kenne so viele Kooperationspartner aus allen Bereichen, die sich gemeinsam für den Erfolg dieser Ziele starkmachen, beispielsweise die Volkshochschulen, die Stiftung Lesen mit ihren Sprachprogrammen, die Servicestelle Bildungsketten, das KAUSA-Netzwerk, das Programm „Kultur macht stark“ in den Kommunen, die Transferagenturen mit den Bildungskoordinatoren, aber auch die Bildungszentren, die Hochschulen mit den Studienkollegs oder auch die Wirtschafts- und Handwerkskammern mit ihrem Aktionsprogramm „Ankommen in Deutschland – Gemeinsam unterstützen wir Integration!“. Nicht zuletzt sollten wir die vielen ehrenamtlichen Engagierten nicht vergessen, die beispielsweise im Rahmen des Programms „Menschen stärken Menschen“ unbegleitete minderjährige Flüchtlinge unterstützen. Ich weiß das, weil ich in engem Kontakt zu Kooperationspartnern in meiner Region stehe. Beispielsweise war ich im Bildungs- und Technologiezentrum der Handwerkskammer Halle. Das ist eines der größten und vielseitigsten Bildungszentren des Handwerks mit 15 000 kammerzugehörigen Betrieben und mehr als 700 Plätzen für eine gewerblich-technische Ausbildung. Das BTZ nimmt als einziges Bildungszentrum in den neuen Bundesländern an einem Pilotprojekt für junge Flüchtlinge teil. Aktuell werden dort junge Menschen aus Syrien und Eritrea mithilfe einer Sozialpädagogin und eines Ausbilders auf das Erwerbsleben vorbereitet. Nach der Kompetenzfeststellung und einer dreimonatigen Schulung im Bildungszentrum konnten bereits alle in ein Praktikum vermittelt werden – bitte hören Sie zu! –, (Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir hören zu!) um dann fit genug zu sein, im August dieses Jahres eine Berufsausbildung zu beginnen. Die Schulungen wurden bereits begonnen, als der Sprachunterricht noch nicht abgeschlossen war. Denn man hat schnell festgestellt, dass sich innerhalb kürzester Zeit die Sprachkenntnisse durch den alltäglichen Austausch mit deutschen Jugendlichen deutlich verbessert haben. Machen diese Beispiele und die vielen anderen Programme, die es bereits überall gibt, nicht deutlich, dass die Integration von Flüchtlingen durchaus eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist und auch so wahrgenommen wird? (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn das Gegenteil behauptet?) Meine Damen und Herren, ich finde, all diese Anstrengungen haben unsere Anerkennung und unseren Respekt verdient. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig! Unsere Rede!) Glauben Sie wirklich – hören Sie bitte zu! –, dass es der richtige Weg ist, wenn Sie in Ihrem Antrag fordern, dass jeder, der nach Deutschland kommt, ganz unabhängig vom Herkunftsland und vom Aufenthaltsstatus, einen gesetzlichen Anspruch auf eine Ausbildung, auf ausbildungsbegleitende Hilfen sowie ein Bleiberecht während der Ausbildung und danach hat? (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie einmal den Antrag!) Da frage mich, Herr Mutlu, ob Sie sich über die Konsequenzen Ihrer Forderungen bewusst sind und einmal über die finanziellen Folgen nachgedacht haben. Was wollen Sie denn noch alles auf den Steuerzahler abwälzen? (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen! Haben Sie nicht zugehört?) Ich sage Nein. Das ist nicht im Sinne unserer Bürger und auch nicht im Sinne einer verantwortungsvollen Bildungspolitik. Gern möchte ich Sie an dieser Stelle auch darauf aufmerksam machen, dass wir einige Ihrer Forderungen längst umgesetzt haben – das hat auch Frau Giousouf schon gesagt –, beispielsweise mit dem Anerkennungsgesetz oder dem Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts, allerdings für junge Menschen mit einer Bleibeperspektive in Deutschland. Ich sehe es auch als großen Erfolg, dass das Anerkennungsgesetz als weltweit einziges seiner Art bereits im April 2012 in Kraft getreten ist. Damit ermöglichen wir einen einfacheren Zugang zur Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufsqualifikationen, schnellere Verfahren, einen barrierefreien Wechsel innerhalb der EU und hohe Mobilität. Das Ziel von uns Unionspolitikern ist es, Zuwanderer präventiv zu unterstützen und ihnen neue Perspektiven aufzuzeigen, wie sie selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen können und nicht auf Sozialleistungen angewiesen sind. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, ich denke, zusammenfassend kann man sagen, dass die Koalition ihren Aufgaben verantwortungsvoll nachkommt. Deutschland genießt mit seiner dualen Ausbildung weltweit Anerkennung. Lassen Sie uns diese Erfahrung auch für die Einwanderungsgesellschaft nutzen. Geredet wird viel. Lassen Sie uns gemeinsam handeln. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fangen Sie erst mal bei sich selbst an!) – Herr Mutlu, hat man Ihnen in der Schule nicht beigebracht, dass man auch einmal ruhig ist, wenn jemand anderes spricht? (Lachen und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zwischenrufe gehören zum Parlamentarismus! Haben Sie das schon mal gehört? Wir sind im Parlament hier!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat Elfi Scho-Antwerpes von der SPD-Fraktion jetzt das Wort. (Beifall bei der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt zurück zur Sachlichkeit!) Elfi Scho-Antwerpes (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! In der BRD leben Menschen aus 194 Nationen. Wir sind schon lange ein Einwanderungsland, ein Land kultureller Vielfalt, und das ist gut so – (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nicht erst seit dem großen Zustrom von Flüchtlingen in den letzten Monaten. Dass wir auch international als weltoffen und gastfreundlich wahrgenommen werden, das ist ein hohes Gut – ein sehr hohes Gut. (Beifall bei der SPD) Ich sage das hier durchaus auch mit Blick auf die Gedenkstunde, die wir vorgestern in diesem Hohen Hause erleben durften und in der wir der Opfer des Nationalsozialismus gedacht haben. (Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD]) Umso wichtiger ist es, dass wir unsere teuer bezahlte Freiheit schützen. Das schaffen wir nur, indem wir den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken. Niemand darf sich alleingelassen oder vernachlässigt fühlen. Die Grundlage dafür sind zweifelsfrei eine umfassende und solide Bildung und ein Höchstmaß an Bildungsgerechtigkeit für jedes Kind, jeden Jugendlichen und jeden Erwachsenen in unserem Land. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) So ist Ihr Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, grundsätzlich natürlich zu begrüßen. – Ich fände es gut, wenn Sie zuhören würden. – (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Die hören gar nicht zu!) Wir bezweifeln nicht ernsthaft, dass Bildung ein wichtiger gesellschaftlicher Schlüssel ist und dass es beim Zugang zur Bildung gerecht zugehen muss. Das gilt übrigens auch für Kinder ohne Migrationshintergrund, die aus anderen Gründen eine schwierige Bildungsbiografie haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es wäre indes noch begrüßenswerter gewesen, wenn Sie einen zustimmungsfähigen Antrag formuliert hätten, der unserer Einwanderungsgesellschaft wirklich helfen würde. (Martin Rabanus [SPD]: Das war aber nicht zu erwarten!) Vieles von dem, was dort angesprochen wird, ist ohnehin schon auf den Weg gebracht, wie wir ja eben gehört haben. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was da steht, steht in Ihrem Programm!) Anderes vergessen Sie leider völlig, und ich frage mich, warum. (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Die wollen das gar nicht! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lest doch mal das SPD-Programm!) Ich vermisse beispielsweise die politische Bildung. Wir können doch nur dann eine gefestigte, bunte Gesellschaft sein, wenn wir uns selbst und den anderen kennen, wenn wir nicht von Ressentiments geleitet werden, sondern von gegenseitigem Respekt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich spreche hier nicht nur von den Zugewanderten, die politische Bildung benötigen und in unsere Gesellschaft hineinwachsen müssen; ich spreche auch und vor allem von der aufnehmenden Bevölkerung in Deutschland. Meine Heimat ist Köln. Natürlich bin ich seit der Silvesternacht viel vor Ort gewesen, habe mit den Menschen gesprochen. Seit jeher sind wir eine weltoffene, tolerante Stadt. (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Das soll Köln auch bleiben!) Gleichwohl mehren sich – und das ist ein bundesweites Problem, kein kölsches und kein ostdeutsches – die Stimmen derer, die scheinbar kein Wissen über politische Zusammenhänge in unserem Land haben. Es gibt immer mehr Menschen, die glauben, wir könnten uns abschotten, und die über das so wichtige Asylrecht und über die Flucht und deren Ursachen keinerlei oder zu wenig Kenntnisse haben. Das geht so nicht. Das ist gesellschaftlicher Sprengstoff, liebe Kollegen und Kolleginnen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir müssen Bildung ganzheitlich denken. Die politische Bildung kann und darf da nicht außen vor bleiben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN) Lassen Sie uns überlegen, wie weit wir beispielsweise die Bundeszentrale für politische Bildung noch stärker unterstützen und einbinden können. Dort wird auf hervorragende Art und Weise informiert und aufgeklärt. Unsere Gesellschaft muss für die Situation der geflüchteten Menschen sensibilisiert werden. Wir müssen die Zusammenhänge verstehen. Aber wir müssen uns auch unserer eigenen Kultur und Werte bewusst werden – ich will jetzt nicht wieder auf Silvester eingehen; Sie alle wissen, was ich meine –; immerhin verlangen wir das auch von den zugezogenen Menschen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und von denen in Hoyerswerda und in Dresden!) Überhaupt tauchen Mittlerorganisationen in Ihrem Antrag gar nicht auf. Was ist zum Beispiel mit dem Goethe-Institut, mit den politischen Stiftungen? Was ist mit der Alexander-von-Humboldt-Stiftung? Diese Organisationen erfüllen eine wichtige Funktion bei der Integration von Zugewanderten in unser Bildungs- und Wissenschaftssystem, damit die Menschen, die zu uns kommen, eine gerechte Chance haben. Exemplarisch erwähne ich hier auch Projekte wie RheinFlanke in Köln und in Berlin oder Arrivo Berlin, die sich schon länger aktiv für die Integration einsetzen, und das tun sie gut. Lassen Sie uns gemeinsam an einem Strang ziehen! Herr Mutlu hat das eben schon gesagt; wir haben es jetzt dreimal gehört. Lassen Sie es uns aber auch tun, und schauen wir, wie wir entsprechenden Einrichtungen finanziell oder personell helfen und sie unterstützen können. (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bildungsgerechtigkeit ist ein sehr wichtiges Thema, bei dem wir, vor allem mit Blick auf die Flüchtlingssituation, alle – – Sie wissen, was ich meine. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Karamba Diaby [SPD]: Richtig! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich weiß es nicht!) – Ich zeige es dir nachher. – Wir alle sollten nicht drohen, sondern tun! Lassen Sie uns alle guten Ideen bündeln, auch Ihre! Der hier vorgelegte Antrag allerdings greift zu kurz, – Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Frau Kollegin, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss kommen. Elfi Scho-Antwerpes (SPD): – und wir werden ihn daher ablehnen. Danke schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber ich habe Ihre Zeichensprache wirklich nicht verstanden!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/7049 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 24 a und 24 b sowie zu Zusatzpunkt 7: 24.   a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Strommarktes (Strommarktgesetz) Drucksache 18/7317 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Deutscher Beitrag zu den UN-Klimaverhandlungen – Kohlendioxid als Umweltschadstoff definieren, Betriebszeiten von Kohlekraftwerken begrenzen Drucksachen 18/3313, 18/7277 ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver Krischer, Annalena Baerbock, Dr. Julia Verlinden, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zukunft des Strommarktes – Mit ökologischem Flexibilitätsmarkt klimafreundliche Kapazitäten anreizen und Kohleausstieg einleiten Drucksache 18/7369 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das auch so beschlossen. Ich eröffne die Debatte. Als erster Redner in dieser Debatte hat der Parlamentarische Staatssekretär Uwe Beckmeyer für die Bundesregierung das Wort. (Beifall bei der SPD) Uwe Beckmeyer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten heute das Strommarktgesetz in erster Lesung. Es geht aus unserer Sicht um die wichtigste und grundlegendste Reform des Strommarktes seit der Liberalisierung der Energiemärkte. Mit gutem Grund: Der Umbau der Stromversorgung ist eine der größten Herausforderungen dieser Zeit. Wir brauchen deshalb ein neues System, das dazu passt. Schon heute wird rund ein Drittel unseres Stroms aus erneuerbaren Energien erzeugt. Wir wissen, dass der Volatilität, also den Schwankungen bei der Einspeisung ins Netz, natürlich begegnet werden muss. Insofern ist mit dem Strommarkt 2.0 auch ein Instrument geschaffen worden, ebendieser Aufgabe gerecht zu werden. Mit ihm soll bei hohen Anteilen von erneuerbaren Energien eine sichere, kostengünstige und vor allen Dingen umweltverträgliche Versorgung mit Strom gewährleistet werden. Drei Punkte sind für uns dabei sehr wichtig. Erstens. Wir wollen wieder mehr Markt in der Stromwirtschaft. Das ist ein klares ordnungspolitisches Bekenntnis. Wie erreichen wir das? Wir wollen mit dem Strommarkt 2.0 sicherstellen, dass sich die Anbieter über den Markt refinanzieren. Dazu setzt auch dieser Strommarkt 2.0 auf eine freie Preisbildung. Der Abbau von Überkapazitäten und der Ausbau der Erneuerbaren werden dazu führen, dass die Preisbildung für Investitionen auch die richtigen Signale setzt. Darum ist uns dieses Thema der freien Preisbildung am Großhandelsmarkt außerordentlich wichtig. Wir möchten diese auch garantieren. So können Verkäufer von Strom in Zeiten von Knappheit echte Knappheitspreise verlangen. Aber auch für die Käufer von Strom gibt es verstärkte Anreize, sich gegen hohe Preise durch langfristige Verträge abzusichern. Diese Verträge wiederum sind die Grundlage für Investitionen im Strommarkt. Somit werden nicht allein Niedrigpreise am Spotmarkt das Investitionsverhalten bestimmen. Wir sind überzeugt, dass sich hierdurch auch Investitionen in benötigte Kapazitäten refinanzieren lassen. Zweitens. Wir wollen Stromerzeugung und Stromnachfrage kosteneffizient miteinander verbinden; denn in einem modernen Strommarkt brauchen wir flexible Stromerzeugung, aber auch eine flexible Nachfrage. Dazu setzen wir auf einen offenen Wettbewerb dieser Flexibilitätsoptionen. Wir werden erleben, dass sich neue Geschäftsmodelle, ob bei Stadtwerken oder anderswo, ob auf der Erzeuger- oder auch auf der Nachfrageseite, entwickeln. Dieser Strommarkt 2.0 sorgt dafür, dass sich die effizientesten Lösungen durchsetzen, ohne den Wettbewerb durch neue Subventionen zu verzerren. Zugleich werden wir mit den neuen Geschäftsmodellen aber auch Anbieter am Markt haben. Akteursvielfalt ist unser Ziel. Drittens. Wir wollen Versorgungssicherheit auf hohem Niveau gewährleisten. Ein in einen europäischen Binnenmarkt eingebetteter Strommarkt trägt dazu bei; denn auch hier sind finanzielle Vorteile zu finden. Wir müssen weniger Kapazität vorhalten. Versorgungssicherheit ist nicht mehr rein national buchstabiert. Zusätzlich können so auch Extremsituationen abgesichert werden. Sie sehen: Mit diesem Gesetz sind wir auf einem guten Weg, und wir haben ein gutes Instrument, das auch funktioniert. Ein Wort zu den Grünen: Der von Ihnen vorgeschlagene ökologische Flexibilitätsmarkt wird wenig helfen. Er würde das Preissignal der Märkte stören (Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Hört! Hört!) und so den Strommarkt 2.0 und damit auch die Versorgungssicherheit untergraben. (Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Genau! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind Ihre ganzen Reserven?) Das vorliegende Strommarktgesetz, meine sehr geehrten Damen und Herren, schafft einen stabilen Rechtsrahmen mit einem klar marktwirtschaftlich und europäisch ausgerichteten Blick. Die Stromversorgung wird kosteneffizient umgebaut, zugleich Versorgungssicherheit geschaffen und ein Mindestmaß an Regulierung auf hohem Niveau gewährleistet. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Eva Bulling-Schröter von der Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Gabriel sagt dieser Tage gerne, der Welpenschutz für erneuerbare Energien sei beendet, man müsse die Erneuerbaren jetzt durch Ausschreibungen in einen Wettbewerb bringen. Wir haben es ja gerade gehört. Ich sage Ihnen: So wird das Fördersystem im EEG umgekrempelt und nebenbei die Bürgerenergie totgemacht. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Es geht längst um die Frage, wer die Energiewende übernimmt. Sind es hauptsächlich große Investoren, die nur am Profit orientiert sind, oder sind es dezentrale kleine Akteure, die nah an den Menschen vor Ort sind? Das müssen wir den Menschen sagen: Es geht wieder um die großen Konzerne und um Profit. Nach Gabriels Plan ist die Bürgerenergie bald raus, so viel ist klar. (Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! – Zuruf von der SPD: Wo steht das denn?) Ich sage Ihnen: Die Befürworter der Bürgerenergie werden es Ihnen nicht vergessen. Zudem muss ich mich schon wundern: Welpenschutz für Erneuerbare wird abgeschafft, stattdessen pampern Sie die Dinosaurier der Stromerzeugung. Für einige Kohlekraftwerke sollen künftig unter dem Deckmantel einer Sicherheitsreserve 230 Millionen Euro jährlich gezahlt werden. Das zum Thema Preise und dazu, wer das bezahlt. Eine solche Reserve brauchen wir nicht. Diese sogenannte Sicherheitsreserve ist nichts anderes als eine Luxusalimentierung für Kohlekraftwerke. Man muss sich immer wieder vor Augen halten: Zehn Tage braucht ein Kohlekraftwerk in Sicherheitsreserve, um hochzufahren und im Ernstfall Strom zu liefern. Einen solchen Fall hatten wir in der Bundesrepublik bisher noch nie, und er wird voraussichtlich auch nicht eintreffen. Sie halten – ich meine das wirklich ernst – die Stromkundinnen und kunden wahrscheinlich für bescheuert und lassen sie für diesen Unsinn blechen. Ich sage Ihnen: Das ist unerhört. Das wissen die Leute vor Ort auch. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zur Wahrheit gehört auch, dass wir bereits im vergangenen Jahr einen Anteil des Ökostroms an der Stromerzeugung in Höhe von einem Drittel hatten. Super. Das ist nicht schlecht. Aber leider: Unserer Klimabilanz nützt dies gar nichts; denn die Braunkohlemeiler reduzieren ihre Produktion eben nicht aufgrund des Mehr an Ökostrom. Sie qualmen munter wie nie und exportieren mehr denn je. Kohlestrom ist viel zu billig und überschwemmt das europäische Ausland. Wenn die Bundesregierung jetzt den Strommarkt neu ordnen will, müsste sie diese Fehlentwicklung eigentlich im Blick haben. Wir wissen alle, dass die Dekarbonisierung des Stromsektors in Deutschland seit Paris im Hausaufgabenheft der Bundesregierung steht. Frau Hendricks weiß dies. Deshalb war sie diese Woche auch schon in der Lausitz. Herr Gabriel lenkt momentan noch von seinen unerledigten Hausaufgaben ab, indem er sagt, auch andere hätten noch nachzuarbeiten, wie der Verkehrs- oder der Agrarsektor. Das stimmt zwar, aber auch er muss seine Hausaufgaben machen. Als Linke schlagen wir vor, der Realität ins Auge zu blicken und als ersten Schritt CO2 wie in den USA als Schadstoff zu deklarieren (Beifall bei der LINKEN) und dann ein Kohleausstiegsgesetz auf den Weg zu bringen. Das kluge Elf-Punkte-Programm zur Dekarbonisierung der Agora Energiewende geht übrigens ebenfalls in diese Richtung. Wir finden das gut. Dies hat den Vorteil, dass alle sich auf ein Enddatum, zum Beispiel 2040 oder besser noch 2035, einstellen können. Beschäftigte in den Kraftwerken und Bürgermeister wüssten, welche Meiler beispielsweise 2020 vom Netz gehen und welche 2030. Ein solcher schrittweiser Ausstiegsplan bietet Rechtssicherheit und Planbarkeit. Genau das brauchen die Beteiligten endlich. (Beifall bei der LINKEN) Eine Neuordnung des Strommarkts, die der Energiewende dienen soll, müsste aus unserer Sicht dafür sorgen, dass nicht wieder zentralistische Großstrukturen aufgebaut und große Player gestärkt werden. Sie müsste vielmehr die Stadtwerke als Vertriebsakteure stärken, die das Zusammenspiel von fossilen und regenerativen Energien vor Ort koordinieren. (Beifall bei der LINKEN) Stadtwerke könnten auch wunderbar Manager für Lastmanagement sein, weil sie den direkten Draht zu den großen Verbrauchern vor Ort haben. Bürgerenergie und kleinere kommunale Versorger zu wollen, ist kein Selbstzweck, sondern notwendig für die Akzeptanz der Energiewende. (Beifall bei der LINKEN) Doch die Bundesregierung tut leider alles, um die Bürgerenergie zu killen. Ich sage: Das ist der falsche Weg. Wir setzen uns dafür ein, die Bürgerenergie und kommunale Versorger zu stärken. Das wäre der richtige Weg. Danke. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Thomas Bareiß für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Thomas Bareiß (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen! Meine Herren! Liebe Frau Bulling-Schröter, so sieht keine in sich konsistente Energiepolitik aus. Hier kämpfen Sie immer für den Braunkohleausstieg, vor Ort sind Sie dagegen. Hier kämpfen Sie für den Netzausbau, vor Ort sind Sie dagegen. (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Ich komme aus Bayern!) So ist keine konsistente Energiepolitik zu machen. Unsere Energiepolitik ist aus einem Guss und geht auch in die richtige Richtung. (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da müssen die eigenen Leute lachen! – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Ausguss!) So ist auch das Strommarktpaket, das auf dem Tisch liegt, zu verstehen. Wir sorgen dafür, dass diese Umwälzung, die in den nächsten Jahren vor uns liegt, auch bewerkstelligt wird. Es kam in den Reden schon zum Ausdruck: Wir haben einen enormen Umbruch in unserer Energielandschaft, und wir haben auch schon sehr große Erfolge vorzuweisen. Wir haben einen Anstieg des Anteils der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung, der so gar nicht vorhersehbar war und den wir vor drei oder vier Jahren in dem Umfang noch gar nicht vorhergesehen hatten. Wir sind schon bei einem Anteil von 33 Prozent. Ein Drittel unserer Stromversorgung geht auf erneuerbare Energien zurück. Das heißt, wir sind schon vier Jahre früher an unserem Ziel und können große Erfolge vorweisen. Auf der anderen Seite schrumpft der Kraftwerkspark der konventionellen Kraftwerke Stück für Stück. Wir haben in den letzten Jahren acht Kernkraftwerke vom Netz genommen, und es werden in den nächsten vier bis fünf Jahren noch weitere acht Kernkraftwerke vom Netz gehen. Auch Kohlekraftwerke – sie sind teilweise ineffizient, das ist richtig, Frau Bulling-Schröter – gehen vom Netz. Als Ersatz dafür brauchen wir aber flexible und saubere Kraftwerke. Auch deshalb machen wir jetzt dieses Strommarktgesetz und bringen damit die Grundlage für neue Investitionen auf den Weg. Trotz all dieser Umbrüche haben wir einen enormen Grad an Versorgungssicherheit. Das ist wichtig; denn unsere Industrie braucht Stromsicherheit. Sie braucht Verlässlichkeit und stabile Netze. In den letzten zwei Jahren haben wir die Stromunterbrechungen noch einmal reduziert. Das heißt, wir haben uns in puncto Verlässlichkeit noch einmal gesteigert. Nur zum Vergleich, damit man einmal sieht, was Stromverlässlichkeit bedeutet: Ein Stromausfall in Berlin würde pro Stunde 23 Millionen Euro kosten. Diese Summe wurde vor kurzem berechnet. Das macht deutlich, wie wichtig Strom tagtäglich ist. Deshalb hat Versorgungssicherheit für uns oberste Priorität. Trotz all dieser Erfolge, die ich gerade beschrieben habe, gibt es Dinge, bei denen wir nachsteuern müssen. Ein Thema ist die hohe umlagefinanzierte Vergütung für die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien, was unsere Strommärkte, die Strombörsen durcheinanderbringt, sodass die Strombörsen nicht mehr die Impulse bringen, die wir dringend für Neuinvestitionen brauchen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Die Überkapazität bei der Braunkohle macht das!) Allein in den letzten vier Jahren ist der Strompreis auf 22 Euro gefallen. Wir sind derzeit bei knapp über 22 Euro je Megawattstunde. Das führt dazu, dass Gas- und Kohlekraftwerke enorm unter Druck geraten, die in den nächsten Jahren aber dringend gebraucht werden, um unsere Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Das heute vorliegende Strommarktgesetz ist deshalb ein wichtiger Schritt zur Sicherung unserer zukünftigen Stromversorgung. Grundlage des Gesetzespakets ist – der Herr Staatssekretär hat es schon angesprochen – dass Markt und Wettbewerb die Impulse für die nächsten Investitionen auslösen müssen. Es müssen auch Überkapazitäten abgebaut werden. Wir brauchen eine bessere freie Preisbildung, und wir brauchen ausreichend Signale für notwendige Investitionen in Kraftwerke der Zukunft und Investitionen für mehr Flexibilität. Denn eines ist klar: Auch in Zukunft, auch dann, wenn der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung auf 40, 50, 60 oder 70 Prozent steigt, brauchen wir noch effiziente und saubere Kraftwerke in Deutschland. Mit dem vorliegenden Strommarktgesetz wollen wir uns zum Markt bekennen. Der Markt ist der richtige Ort, um Preise zu bilden, die dann auch Investitionsentscheidungen beeinflussen. Allerdings sind dazu – auch das wurde schon vom Herrn Staatssekretär gesagt – dringend regulative Maßnahmen notwendig, die dann vorgeschaltet werden und quasi als Sicherheit für den Strommarkt dienen. Ein Argument ist die Kapazitätsreserve. Diese soll mögliche Kapazitätslücken decken. Die Braunkohlereserve soll die Klimalücke schließen (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da musst du ja selber lachen! Das ist unglaublich!) und die Netzreserve, als bereits bestehendes Instrument temporärer Netzanpassung, vor allem in Süddeutschland, abgesichert werden. Alle Kraftwerkreserven, die ich gerade beschrieben habe, werden eine ungefähre Größe von 15 Gigawatt erreichen. Das ist rund ein Fünftel unserer Jahreshöchstlast. Diese Reserven dienen zukünftig der Gewährleistung der Versorgungssicherheit. Das ist ein starker Eingriff; aber dieser starke Eingriff ist notwendig. Denn Märkte können auch einmal versagen, und niemand möchte, dass dieses Versagen dann zu größeren Stromausfällen führt. Aber ich sage auch, dass das Instrument der Kapazitätsreserve, dieser große Eingriff, den wir vornehmen werden, noch einmal genauestens im parlamentarischen Verfahren angeschaut werden muss. Wir brauchen Verlässlichkeit. Es ist notwendig, dafür zu sorgen, dass die Kosten und auch die Synergieeffekte, die im Markt wirken, nicht über Gebühr strapaziert werden. Deshalb werden wir uns die Gesetze im parlamentarischen Verfahren noch einmal genau anschauen. (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum klatscht die SPD da nicht?) Ich nehme auch die Sorgen vieler Experten sehr ernst, die davor warnen, dass die neuen Kapazitätsreserven zur Regulierungsfalle werden und zu mehr Verstaatlichung führen. Deshalb braucht das Instrument der Kapazitätsreserve klare Grenzen. Die Reserven dürfen nicht zum eigentlichen Strommarkt werden. Das wäre ein Schritt in die Planwirtschaft, was wir definitiv nicht wollen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb werden wir darauf drängen, dass der Bundestag auch zukünftig angemessen an der Ausgestaltung der Reserve beteiligt wird. Im Übrigen ist ein wichtiger Schritt zu mehr Markt und mehr Verlässlichkeit im Markt, dass wir die Bilanzkreisverantwortung stärken und dafür sorgen, dass die Bilanzkreisverantwortlichen den Strom, den sie gehandelt haben, auch anbieten. Auch dadurch sollen in Zukunft mehr Markt und mehr Wettbewerb entstehen. Meine Damen und Herren, ein weiterer Aspekt ist mir zum Schluss noch wichtig. Ich glaube, wir brauchen auch im Strommarkt einen stärkeren europäischen Ansatz. Das bringt nicht nur Effizienzvorteile, sondern auch Verlässlichkeit und Sicherheit für unsere Stromversorger. Wir haben hier in den letzten Jahren viele Alleingänge gesehen, nicht nur in Deutschland, sondern auch in unseren Nachbarländern. Das muss sich in den nächsten Jahren wieder ändern. Wir brauchen einen starken, abgestimmten Rahmen in Europa. Denn wenn Dinge wie die Kapazitätsreserve im Alleingang implementiert werden, kann das auch negative Einflüsse auf uns haben. Instrumente werden möglicherweise ausgehebelt oder laufen unseren Vorstellungen sogar entgegen. Das wäre ein Schritt in die falsche Richtung. Wir brauchen im Bereich des Strommarktes mehr europäische Ansätze. Das gilt auch für andere Bereiche der Klimapolitik; auch hier sollten wir mehr auf Europa setzen statt auf nationale Alleingänge. Deshalb halten wir das Braunkohlegesetz, das Sie hier vorschlagen, für einen Weg in die falsche Richtung. Meine Damen und Herren, vor uns liegen wichtige intensive Beratungen des vorliegenden Gesetzentwurfs. Der Zeitplan ist sehr ambitioniert. Wir wollten eigentlich im März fertig werden; aber das schaffen wir nicht. Wir brauchen etwas mehr Zeit; das zeigt die Erfahrung der letzten Jahre. Aber ich glaube, wir gehen den Weg in die richtige Richtung, indem wir den Strommarkt verlässlich mit guten Rahmenbedingungen ausstatten im Sinne einer sicheren und auch wirtschaftlichen Energieversorgung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Oliver Krischer hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bereits zu Beginn der Legislaturperiode, bei der Gründung der Großen Koalition, wurde die Reform des Strommarktes als das große Meisterwerk von Sigmar Gabriel gefeiert. Es gab dann Grünbücher, Weißbücher, Blaubücher, Violettbücher, und der Berg kreißte immer schneller – und nun haben wir das hier vorliegen. Was jetzt herausgekommen ist, hätte ich – das muss ich ehrlich sagen – nicht einmal von einer Großen Koalition erwartet, obwohl wir da schon einiges gewohnt sind. Das Ergebnis Ihrer Reform des Strommarktes ist der Einstieg in die subventionierte Braunkohle. Das ist unglaublich vor dem Hintergrund von Paris und dem überfälligen Kohleausstieg, den wir eigentlich im Konsens machen müssten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Herr Minister Gabriel hat zu Beginn der Debatte den Satz geprägt – als Grüner, und das gilt wahrscheinlich auch für die Linken, käme mir ein solcher Satz gar nicht über die Lippen –: Es darf kein Hartz IV für Kohlekraftwerke geben. – Ich würde solche Vergleiche nicht ziehen. Aber wenn man in seinem Bild bleibt, dann macht die Große Koalition jetzt genau das: Sie gibt Hartz IV für Kohlekraftwerke. Es wäre ja schön, wenn es nur der Regelsatz von 404 Euro wäre. Es sind aber 1,6 Milliarden Euro, die Sie den Kohlekonzernen hinterherwerfen für Kraftwerke, die niemand braucht und die die Konzerne teilweise selber stilllegen wollten, und für eine Reserve, die nicht erforderlich ist. Meine Damen und Herren, das ist unglaublich. Das hat mit Markt nichts zu tun. Das ist Planwirtschaft für Kohlekonzerne. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wie Ihre Planwirtschaft aussieht – Herr Bareiß, Herr Beckmeyer, Sie haben eben so viel von Markt geredet –, das können Sie sich im Gesetzentwurf angucken. Meine Damen und Herren, ich zeige Ihnen hier die Formel, (Der Redner hält ein Schaubild hoch) nach der die Vergütung von RWE und Vattenfall berechnet wird. Das Verrückte an dieser Formel ist: Die Konzerne können in weiten Teilen selber bestimmen, wie viel sie bekommen. Das ist ein Vorgang, der absolut unglaublich ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hubertus Zdebel [DIE LINKE]) Jetzt erzählen Sie – das haben wir gerade wieder gehört –: Das Kernelement der Strommarktreform soll sein, dass die Preisspitzen an der Börse für die nötigen Signale für Investitionen in Erzeugungsleistungen, Speicherlastmanagement und anderes sorgen. Zu der Überzeugung kann man kommen, dann muss man aber konsequent handeln wie zum Beispiel der Staat Texas in den USA. Der macht das. Sie sagen: Der Markt soll es regeln, die Preisspitzen sollen Anreize setzen. Das heißt dann in der Konsequenz aber auch, dass der Strom auch einmal ausfallen kann, wenn Angebot und Nachfrage nicht in Einklang zu bringen sind. Sie schaffen jetzt eine Netzreserve, eine Kapazitätsreserve, eine Sicherheitsreserve, eine Braunkohlereserve und eine Lastabschaltreserve. Meine Damen und Herren, erklären Sie mir, was das mit Markt zu tun hat! Das ist Planwirtschaft in der Energiewirtschaft par excellence, an der Kohlekonzerne verdienen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hubertus Zdebel [DIE LINKE]) Ich sage Ihnen eines: Wenn sich dann an der Strombörse tatsächlich die hohen Preise zeigen sollten, dann werden wir von Herrn Pfeiffer, Herrn Bareiß, Herrn Fuchs, Herrn Seehofer und allen anderen aus der energiepolitischen Todeszone doch wieder hören: Das kann die Industrie nicht zahlen, die Strompreise sind zu hoch. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) Und was wird dann passieren? Dann werden wir die mit Milliarden subventionierten Reservekraftwerke anwerfen, und dann hat sich das mit Ihrem Strommarkt erledigt. Das ist doch die Realität: Sie wollen gar keinen Strommarkt! Das eigentliche Problem an diesem Gesetzentwurf ist alles das, was nicht drinsteht. Was drinsteht, ist schon schlimm genug. Aber das, was nicht drinsteht, ist das große Problem; denn eigentlich müssten Sie sich jetzt auf ein Energiesystem einstellen, in das zu 60 oder 70 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien eingespeist wird. Das würde eine wirkliche Strukturreform bedeuten. Dann müsste man aber über neue Finanzierungsmechanismen jenseits der Börse reden. Das alles tun Sie aber nicht. Ich sage Ihnen auch, warum Sie es nicht tun: Sie wollen nämlich gar nicht in die Größenordnung von 60, 70 oder am Ende 100 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien kommen. Wir haben vor ein paar Tagen einen Brief bekommen, aus dem hervorgeht, dass es darauf hinausläuft, dass nach Photovoltaik und Biogas auch der Ausbau von Windenergie an Land bei null ankommen soll. Das ist das Ziel Ihrer Politik. Das ist keine Energiewende, das ist das exakte Gegenteil davon. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen ein Strommarktgesetz, in dem Flexibilität wirklich die neue Währung ist. Wir brauchen eine Reform der Netzentgelte. Wir brauchen vor allen Dingen endlich Anreize für den Ausbau von Energiespeichern, Herr Bareiß. Wir brauchen eine Speicherdefinition. (Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Haben wir doch!) Von alldem ist in dem vorliegenden Gesetzentwurf nichts zu finden. Sie haben dazu allerdings ein paar schlaue Vorschläge gemacht; das war einer der wenigen Lichtblicke, die aus der Unionsfraktion kamen. Aber dann sorgen Sie jetzt bitte schön dafür, dass in den Gesetzentwurf aufgenommen wird, dass Speicher im Strommarkt eine Zukunft haben, dass eine Entwicklung nicht weiter blockiert wird. Es kann doch nicht sein, dass im Moment die Speicher, die wir in Zukunft brauchen werden, abgeschaltet bzw. stillgelegt werden, dass selbst Pumpspeicherkraftwerke stillgelegt werden. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Vielleicht wird es in den parlamentarischen Beratungen dazu kommen, dass Sie aus diesem völlig vermurksten Strommarktgesetz wenigstens in Teilen etwas machen, das uns in Zukunft voranbringt, das Speicherung, Lastmanagement und Flexibilität in einem Energiesystem mit Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien statt aus Kohle und Atom ermöglicht. Bisher ist das noch nicht der Fall. Vielleicht wird es, wenn wir den Gesetzentwurf verabschieden, besser sein. Angesichts der Erfahrungen, die wir in der Vergangenheit gemacht haben, habe ich allerdings wenig Hoffnung. Aber wie gesagt: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Johann Saathoff für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Johann Saathoff (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute die erste Lesung. Wenn ich höre, dass dies der Einstieg in die subventionierte Braunkohleindustrie sei und Hartz IV für Kraftwerke realisiert sei, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sigmar Gabriel!) dann frage ich mich: Wie glaubwürdig ist das? Wie ist es möglich, dass die Grünen in NRW, wo sie an der Regierung beteiligt sind, das anders sehen als die Grünen, die heute hier gesprochen haben? (Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Genau! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja Quatsch!) Und mit Blick auf die Linken frage ich mich: Wie ist das eigentlich in Brandenburg? Dort wird das auch ganz anders gesehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN) Letzten Endes können Sie über diese Reservekraftwerke schimpfen, wie Sie wollen. Im Saldo – das müssen Sie zugeben – wird weniger CO2 emittiert, und das ist eine gute Maßnahme. Statistisch gesehen haben wir in Deutschland weniger als zwölf Minuten Stromausfall pro Jahr. Wir verfügen also über eine enorm hohe Versorgungssicherheit, die den internationalen Vergleich nicht zu scheuen braucht, die durchaus als Eckpfeiler für den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands definiert werden kann. Diesen Wettbewerbsvorteil wollen wir natürlich erhalten. In einem sich aufgrund der Energiewende schnell und radikal ändernden Marktumfeld wollen wir die Versorgungssicherheit auch für die Zukunft gewährleisten. Menschen sollen sich darauf verlassen können: Der Strom kommt immer aus der Steckdose – immer! Langfristig wollen wir für den Strommarkt Möglichkeiten schaffen, den Verbrauch an die Erzeugung anpassen zu können. Bislang folgte die Erzeugung von Strom durch den fossilen Kraftwerkspark im Wesentlichen der Verbrauchskurve. Im Zeitalter der Erneuerbaren mit einer umweltfreundlichen, aber eben auch fluktuierenden Einspeisung soll sich die Verbrauchskurve auch an der Stromproduktionskurve orientieren können. Wir produzieren insgesamt mehr Energie, als wir in Deutschland verbrauchen, und auf dem Papier haben wir mehr Kraftwerke, als wir eigentlich brauchen; aber daraus lässt sich nicht einfach schließen, dass damit die Versorgungssicherheit automatisch gewährleistet ist. Wir bilden einen Stromverbund mit unseren europäischen Nachbarstaaten. Der Strom bewegt sich frei zwischen diesen Ländern. Zum Teil haben Kraftwerke in Deutschland Verträge mit dem Ausland, produzieren also gar nicht mehr für deutsche Kunden. Deshalb müssen wir Versorgungssicherheit europäisch denken. Das ist einer der Leitgedanken dieses Gesetzentwurfs. Mit der heutigen ersten Lesung stehen wir zwar erst am Anfang des Gesetzgebungsverfahrens, aber nicht am Anfang des Prozesses. Wir sind längst mitten im Prozess. Das Bundeswirtschaftsministerium hat im vergangenen Jahr zunächst das Grünbuch mit den ersten Überlegungen vorgestellt. Aus den Ergebnissen der Konsultationen entstand dann das Weißbuch, an das sich eine abschließende Konsultationsphase anschloss. Von einem „Blaubuch“ oder einem „Lilabuch“ ist mir nichts bekannt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo sind denn die Ergebnisse? Die sind aber nicht im Gesetzentwurf! Die sind alle nicht drin! Was ist mit Speichern? Was ist mit Flexibilität? Was ist mit Netzentgelten?) Man kann also sagen, dass alle am Entscheidungsprozess Beteiligten mehrfach die Möglichkeit hatten, ihre Anregungen einzubringen. Ergebnis des Prozesses war die Entscheidung, den Weg in Richtung Strommarkt 2.0 einzuschlagen. Dabei wird davon ausgegangen, dass sich die notwendigen Kraftwerke auf dem Markt refinanzieren können. Die Alternative wäre gewesen, den Betreibern von Kraftwerken Geld dafür zu geben, dass sie einfach da sind und im Notfall einspringen können. Das wollen wir nicht. Am Beispiel Großbritannien sehen wir die Folgen eines solchen Kapazitätsmarktes: Es wird überwiegend Braunkohle verstromt, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Großbritannien? Da gibt es überhaupt keine Braunkohle!) und der Strom ist deutlich teurer als gedacht. Die gewählte Variante „Strommarkt 2.0“ ist quasi ein Flexibilitätsmarkt und aus unserer Sicht deutlich besser. Das entspricht auch den Erfahrungen, die im Ausland gemacht wurden, zum Beispiel in Texas. Der Markt soll das mit möglichst wenigen regulatorischen Eingriffen regeln. Wenn es um die Preisbildung geht, regeln wir also im Grunde, dass wir nichts regeln. Nebenbei wollen wir mit dem Gesetz auch einen Beitrag zur Erreichung unserer Klimaziele leisten. Unter der Überschrift „Sicherheitsbereitschaft“ werden Braunkohlekraftwerke faktisch stillgelegt. Dadurch kommt es natürlich zu CO2-Einsparungen, die dazu beitragen, dass wir unsere Klimaziele erreichen können. Außerdem wollen wir für mehr Transparenz sorgen. Im Grunde soll sich jeder Interessierte zu Hause an seinem Computer über Stromproduktion, Stromverbrauch und jede Menge andere Daten in Echtzeit informieren können, also quasi ein aktiver Verbraucher werden können. Ein weiteres Ziel ist es, die Bilanzkreistreue der Stromvertriebe zu stärken. Im Grunde sollen die Vertriebe durch die Bilanzkreistreue die Einspeisungen und Entnahmen in und aus dem Stromkreis stets ausgleichen. Das gilt auch jetzt schon, ist aber unter anderem wegen der in zunehmendem Maße fluktuierenden Einspeisung nicht ganz einfach. Der Gesetzentwurf hebt das vorhandene Verbesserungspotenzial. Differenzen zwischen Einspeisungen und Entnahmen werden minimiert. Insbesondere soll durch höhere Strafen ein Anreiz für mehr Bilanzkreistreue geschaffen werden. Über die obligatorische Bilanzkreistreue wird bereits jetzt stark diskutiert. Ich möchte klarstellen, dass die Bilanzkreisverantwortlichen in Extremsituationen nicht für Abweichungen haften sollen, für die sie nichts können. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da geht es schon wieder los!) Zum Beispiel bei dem Stromausfall im November 2006, als die Papenburger Meyer-Werft ein Kreuzfahrtschiff über die Ems in die Nordsee überführt hat und durch die Abschaltung der Hochspannungsleitung in großen Teilen Westeuropas der Strom ausfiel, mussten die ÜNBs, die Übertragungsnetzbetreiber, die Bilanzkreise nicht abrechnen. Nach Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs müssen sie das; denn dann ist das verpflichtend. Durch die verpflichtende Abrechnung der Bilanzkreise soll vermieden werden, dass ein Anreiz geschaffen wird, solche Extremsituationen erst herbeizuführen. Also noch einmal: Die Bilanzkreise müssen auch in Extremsituationen künftig verpflichtend abgerechnet werden, aber die Bilanzkreisverantwortlichen sollen nicht für Abweichungen haften, für die sie nichts können. Mit dem Strommarktgesetz, der Digitalisierung und dem EEG 2016 haben wir eine ganze Menge Aufgaben vor uns. Wir haben viel vor. Bei mir zu Hause sagt man: Gifft keen Flees, wor neet ok bunken in sitten. – Es gibt kein Fleisch ohne Knochen. Anders ausgedrückt: Nichts ist ohne Haken. Im Rahmen der parlamentarischen Debatten werden wir gemeinsam sicher die Knochen vom Fleisch trennen können. Ich freue mich auf konstruktive Diskussionen diesbezüglich. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Karl Holmeier hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Karl Holmeier (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Energiewende ist eines unserer größten energiepolitischen Projekte der Gegenwart und zurzeit natürlich eine große Herausforderung. Wir gehen den Weg in ein neues Energiezeitalter, und dieser Weg ist richtig. Wir haben uns vor Jahren auf den Weg gemacht, die Stromversorgung in Deutschland komplett zu verändern. Wir gehen weg von Großkraftanlagen hin zu deutschlandweit verteilten Kleinanlagen. Wind, Sonne, Wasser, Biomasse und Geothermie sind künftig die Hauptquellen unserer Energie von morgen. Dies dient auch einem umfassenden Klimaschutz. Bei unseren Entscheidungen lassen wir uns insgesamt von einem Zieldreieck leiten: Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit und vor allem – es wurde schon einige Male angesprochen – Versorgungssicherheit. Allein mit erneuerbaren Energien schaffen wir das nicht. Wir brauchen Energie, die auch dann verfügbar ist, wenn der Wind nicht weht. Wir brauchen Energie auch dann, wenn die Sonne nicht scheint. Der Erfolg der Energiewende hängt ganz wesentlich davon ab, ob wir Energie jederzeit liefern und damit stets Versorgungssicherheit gewährleisten können. Der Freistaat Bayern wird in den nächsten Jahren weiter erhebliche Kernkraftwerkskapazitäten verlieren. Bis 2022 werden durch den Ausstieg aus der Kernenergie deutschlandweit Kapazitäten in Höhe von etwa 10 Gigawatt stillgelegt. Diese verlorenen Kapazitäten gilt es sinnvoll zu ersetzen. Es ist daher ein zentrales Anliegen der Union und vor allem auch von uns Bayern, dass die Versorgungssicherheit stets gewährleistet ist. Was zum Beispiel ein Stromausfall von einer Stunde kostet, haben wir vorhin schon gehört. Die Versorgungssicherheit hat für uns also oberste Priorität. CDU, CSU und SPD haben mit den energiepolitischen Grundsatzentscheidungen am 1. Juli des letzten Jahres den Weg in ein neues Energiezeitalter weiter abgesichert. Durch das Strommarktgesetz, das wir heute in die Beratung einbringen, werden die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen. Die Stromversorgung wird volkswirtschaftlich, kosteneffizient und umweltverträglich weiterentwickelt. Mit dieser größten Reform des Strommarktes seit der Liberalisierung des Energiemarktes vor 20 Jahren machen wir den Strommarkt fit für die kommenden Generationen. Das Strommarktgesetz hat im Wesentlichen folgende Schwerpunkte – auch das wurde bereits angesprochen –: Die bestehenden Mechanismen des Strommarktes werden gestärkt. Kern eines weiterentwickelten Strommarktes und entscheidendes Marktinstrument ist das Preissignal. Benötigte Kapazitäten können sich am Strommarkt refinanzieren. Marktpreissignale sollen künftig möglichst unverzerrt wirken. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie verhindern doch die Leitungen! Dann können die nicht wirken!) Dazu werden die Ziele und Grundprinzipien des weiterentwickelten Strommarktes in das Energiewirtschaftsgesetz aufgenommen. Wir sichern eine faire und freie wettbewerbliche Preisbildung. Generell gilt: Nur wenn die Akteure dem Markt trauen, wird das Projekt gelingen. Wir müssen einen Markt mit so wenig Regulation wie nötig und so viel Wettbewerb wie erforderlich schaffen. Wir bauen Eintrittsbarrieren für Anbieter von Lastmanagementmaßnahmen und EEG-Anlagen im Regelleistungsmarkt ab. So können bestehende Kapazitäten kosteneffizienter und umweltverträglicher eingesetzt werden. Der Einsatz von Flexibilitätsoptionen wird damit erleichtert. Wir reduzieren die Kosten des Netzausbaus durch effiziente Netzplanung. Durch eine Anpassung des Energiewirtschaftsgesetzes und des Erneuerbare-Energien-Gesetzes 2014 kann die Abregelung von Erneuerbare-Energien-Anlagen in Zeiten hoher Stromeinspeisung bei der Netzausbauplanung berücksichtigt werden. Wir erhöhen die Transparenz am Strommarkt. Transparente und aktuelle Strommarktdaten können künftig effiziente Erzeugungs-, Verbrauchs- und Handelsentscheidungen fördern. Ganz wichtig ist: Wir gewährleisten die Versorgungssicherheit. Auch gerade wegen der veränderten Bedingungen am Markt soll der Strommarkt 2.0 mit einer Kapazitätsreserve abgesichert werden. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Netzreserve! Sicherheitsreserve! Kapazitätsreserve!) Dies ist ein wichtiger Schritt hin zu einer sicheren und wirtschaftlichen Stromversorgung in einem zunehmend von erneuerbaren Energien geprägten europäischen Markt. Die Reserve kommt zum Einsatz, wenn trotz freier Preisbildung an der Strombörse kein ausreichendes Angebot existiert, um einen Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage zu ermöglichen. Dazu werden wir Erzeugungskapazitäten außerhalb des Strommarktes vorhalten und bei Bedarf einsetzen. Die Regelungen der Netzreserve werden über den 31. Dezember 2017 hinaus verlängert. In der Netzreserve werden seitens der Betreiber zur Stilllegung vorgesehene, aber systemrelevante Kraftwerke zur Überbrückung von Netzengpässen außerhalb des Strommarktes vorgehalten. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass der am 1. Juli 2015 vereinbarte Bedarf von weiteren 2 Gigawatt gerade in Süddeutschland, der durch neue Kraftwerke gedeckt werden soll, verankert wird. Diese Kraftwerke sind für Süddeutschland vorgesehen. Dabei ist wichtig, dass das Gaskraftwerk in Irsching weiter betrieben wird. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das, was interessiert!) Wir müssen bei der Fortentwicklung des Strommarktes und dem neuen EEG 2016 die Chancen nutzen, die Biogas für die Grundlast bietet. Biogas muss eine Zukunft haben. Dies gilt insbesondere für den Bestand, da die 20-jährige Förderung in den nächsten Jahren ausläuft. (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Dazu steht da aber nichts!) Weiter wollen wir das nationale Klimaschutzziel für 2020 erreichen. Dazu werden wir beginnend ab 2016 bestimmte Braunkohlekraftwerke schrittweise aus dem Markt nehmen und auch vorläufig stilllegen. Das betrifft Braunkohlekraftwerke mit einer Leistung von 2,7 Gigawatt. Das sind etwa 13 Prozent der in Deutschland installierten Braunkohlekraftwerkskapazität. Schließlich verbessern wir das Monitoring der Versorgungssicherheit. Der Bericht zur Versorgungssicherheit an den Strommärkten soll künftig mindestens alle zwei Jahre erscheinen. Vor allem soll er Deutschland im Kontext der europäischen Strommärkte betrachten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Umsetzung der Energiewende ist das bedeutendste energiepolitische Großprojekt der Gegenwart. Es ist eine Herausforderung für uns alle, und wir werden es packen. Ich freue mich auf die anstehenden Beratungen. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Nachmittag und ein schönes Wochenende und bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/7317 und 18/7369 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Deutscher Beitrag zu den UN-Klimaverhandlungen – Kohlendioxid als Umweltschadstoff definieren, Betriebszeiten von Kohlekraftwerken begrenzen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7277, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3313 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Innovative Arbeitsforschung für eine Humanisierung unserer Arbeitswelt und mehr Beschäftigung Drucksache 18/7363 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Stefan Kaufmann für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Im Oktober 2014 titelte die Welt: „Eltern bereitet die Digitalisierung große Sorgen“. Die Digitalisierung werde die Arbeitswelt radikal verändern. Eltern fürchteten daher um sichere Jobs für ihre Kinder. So das Ergebnis einer Umfrage des Allensbach-Instituts. Damit sind wir auch schon mitten im Thema unserer heutigen Debatte, meine Damen und Herren, nämlich beim Antrag der Koalitionsfraktionen zur innovativen Arbeitsforschung. Drei Viertel aller Eltern rechnen mit zunehmendem Leistungsdruck, 70 Prozent mit steigenden Anforderungen für die Arbeitnehmer im Zuge der Digitalisierung. Doch wird es tatsächlich auch so kommen? Wie wirkt sich die Digitalisierung, aber auch der Trend zur Individualisierung und zur Flexibilisierung auf die Arbeitswelt von morgen konkret aus? Wie können wir die Prozesse positiv beeinflussen? Mit diesen wichtigen Fragen beschäftigt sich schon von jeher die Arbeitsforschung. Ein erstes Programm der Bundesregierung gab es bereits 1974. Damals hieß das „Humanisierung des Arbeitslebens“. Das Programm wurde 1989 abgelöst durch das Programm „Arbeit und Technik“. 2001 folgte das Programm „Innovative Arbeitsgestaltung – Zukunft der Arbeit“. 2007 folgte „Arbeiten – Lernen – Kompetenzen entwickeln“. Bestimmendes Element für die tiefgreifenden Veränderungen der nächsten Jahre ist ohne Zweifel die Digitalisierung. Wie lassen sich zum Beispiel angesichts von Arbeitsprozessen rund um die Uhr familienfreundliche Arbeitszeiten sichern oder gute Weiterbildung organisieren? Stichwort „lebenslanges Lernen“. Gerade global agierende Unternehmen haben oft den Bedarf, dass die Beschäftigten über die Kernarbeitszeit „nine to five“ hinaus verfügbar sind, beispielsweise um die Kommunikation mit Zulieferern und Kunden in anderen Zeitzonen zu gewährleisten. Information, Feedback und Kommunikation erfolgen also zunehmend in Echtzeit. Andererseits wollen aber auch immer mehr Menschen nicht mehr zu den üblichen Zeiten arbeiten, zum Beispiel um sich ihrer Kinder anzunehmen oder sich um ihre Angehörigen zu kümmern. Die zeitliche Entgrenzung der Arbeit hat also viele Motive. Klar ist: Hinter allen neuen Techniken steht letztlich ein Mensch, der sich verändern möchte oder muss, der Neues erdenkt und entwickelt, der nutzt, fühlt und entscheidet. Neben der Digitalisierung ist daher die Individualisierung ein zentraler Trend. Biografien sind Multigrafien geworden. Lineare Lebensstile und -wege verschwinden zunehmend. Individualität ersetzt Uniformität. Dies zeigt sich nicht zuletzt auch in der rasanten Zunahme der Zahl individualisierter Produkte und Dienstleistungen in der virtuellen, aber natürlich auch in der realen Welt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Auch Unternehmensstrukturen und Arbeitsräume verändern sich. Wissens- und Kreativarbeiter rücken immer mehr ins Zentrum des Wirtschaftens. Wir werden zunehmend selbstständig, auch wenn wir fest angestellt sind. Der Mitarbeiter wird zum Kunden, zum Partner oder auch zum Mitgestalter. Traditionelle Strukturen von Hierarchie lösen sich auf. Damit sind beispielsweise auch die Entwicklung offener Arbeitsstrukturen und Managementkonzepte, die Automatisierung von immer komplexeren Arbeitsaufgaben und flexible Modelle für Führung und Bindung gefragt. Der Trend „New Work“ hebt den Arbeitsbegriff auf eine ganz neue Ebene. Diese neue Arbeitswelt der Zukunft verunsichert und fasziniert die Menschen gleichermaßen. Diese Unsicherheit gilt es zu überwinden und überholte Geschäftsmodelle loszulassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, interessanterweise werden dabei Start-up-Kulturen zu Vorbildern für etablierte Unternehmen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) All diese Themen fokussieren wir in dem Antrag, den wir vorgelegt haben. Die fünf zentralen Punkte will ich kurz herausgreifen. Erstens. Wir unterstützen ausdrücklich das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im September 2014 angekündigte Rahmenprogramm „Innovationen für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen“. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Zweitens. Wir wollen den Wissenstransfer aus dem Arbeitsforschungsprogramm gerade zu den kleinen und mittleren Unternehmen sicherstellen; denn diese sind von ganz besonderer Bedeutung beim Wandel zur digitalen Gesellschaft. Drittens. Wir wollen im Rahmen der Förderung von Projekten zu Industrie 4.0 Wissenslücken und Erkenntnisbedarfe im Bereich der Arbeitsgestaltung und auch der Anforderungen an Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten identifizieren. Viertens. Wir wollen, dass auch bei der Umsetzung der Hightech-Strategie der Bundesregierung Fragen der Arbeitswelt der Zukunft und der Arbeitsbedingungen, beispielsweise eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf, stärker berücksichtigt werden. Fünftens. Wir wollen die Fragen im Zusammenhang mit der Arbeitsforschung auch europäisch adressieren, das heißt, darauf hinwirken, dass sie in der EU-Forschungsförderung stärker Berücksichtigung finden; denn schließlich haben wir mit Horizon 2020 das nach wie vor größte Rahmenprogramm für die Forschungsförderung auf EU-Ebene aller Zeiten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. René Röspel [SPD]) Meine Damen und Herren, der Antrag trägt mit diesen wichtigen Fragestellungen auch dazu bei, die Innovations- und damit auch die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes zu sichern. Apropos Wettbewerbsfähigkeit: Aus aktuellem Anlass möchte ich noch drei Anmerkungen zur Exzellenzinitiative und zu dem heute Morgen vorgestellten Imboden-Bericht machen: Erstens. Der Bericht hat nochmals klar bestätigt, was Exzellenz bedeutet. Exzellenz besitzen in Deutschland bisher nur einige wenige Universitätsstandorte, die international von Bedeutung sind und als Aushängeschild Deutschlands weltweite Bekanntheit haben. Zweitens. Entscheidend für den Erfolg von Exzellenzkonzepten ist eine starke Governance an den Hochschulen. Das hat Herr Imboden heute noch einmal ausdrücklich bestätigt. Diese ist nicht überall vorhanden. Das hat er auch ausdrücklich so gesagt. Drittens. Bei der Bildung von Forschungs- oder Zukunftsclustern sollten wir auch darüber nachdenken, dass mehrere Unis gemeinsam antragsberechtigt sind. Im Lichte dieser Ergebnisse und auch der Diskussion auf Bund-Länder-Ebene sollten wir uns hier im Parlament rasch auf Eckpunkte für eine Neuausrichtung der Exzellenzinitiative einigen. Eines sollte uns aber auch klar sein – und das sollten wir auch kommunizieren –: 4 Milliarden Euro für diese Exzellenzinitiative sind ein klares Signal dafür, dass wir, wenn es um die Exzellenz geht, nicht nur kleckern, sondern auch in Zukunft weiter klotzen wollen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich darf noch einmal zur Arbeitsforschung zurückkommen. Mit der Gesamtausstattung des neuen Arbeitsforschungsprogramms von immerhin 1 Milliarde Euro setzen wir hier international Maßstäbe; das muss ich auch einmal sagen. Wir sind hier wirklich mehr als ordentlich aufgestellt, und ich finde, dazu dürfen wir uns als Parlamentarier auch einmal alle selbst beglückwünschen. Abschließend noch ein ausdrückliches Lob für die sehr gute Zusammenarbeit an Sie, Kollege René Röspel. Man möchte sich fast wünschen, dass das häufiger so gut funktioniert. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Kein Wort zu dem Haushalt!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Ralph Lenkert für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ralph Lenkert (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es geschehen Wunder bei der Großen Koalition. Ihr Antrag „Innovative Arbeitsforschung für eine Humanisierung unserer Arbeitswelt und mehr Beschäftigung“ benennt richtige und notwendige Schwerpunkte für die Forschung im Bereich Arbeit und Beschäftigung. (Zuruf von der CDU/CSU: Ist es zu glauben!) Sie folgen damit endlich den Vorschlägen der Linksfraktion, (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dr. Karamba Diaby [SPD]: Seit wann? – Uwe Schummer [CDU/CSU]: Was haben wir falsch gemacht?) die beispielsweise in dem Antrag „Soziale Innovationen und Dienstleistungen erforschen und fördern“ und in dem Antrag „Europäische Forschungsförderung in den Dienst der sozialen und ökologischen Erneuerung stellen“ eingebracht wurden. Opposition wirkt also. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Tata, Tata, Tata!) Hut ab! Nach dem Motto: „Überholen ohne Einzuholen“ gehen Sie in Ihrem Antrag weiter, als ich es Ihnen je zugetraut hätte. (René Röspel [SPD]: Siehst du!) Dass Sie von der Union über Ihren Schatten springen und sogar die Frage, wie Mitbestimmung bei Heimarbeit und Industrie 4.0 erfolgen soll, als Forschungsthema benennen, überrascht. (Rudolf Henke [CDU/CSU]: Kernthema der Union!) Endlich auch eine Bestandsaufnahme zu starten, welche Auswirkungen die Digitalisierung auf die Arbeitswelt und verschiedene Berufe und Branchen haben wird, was längst überfällig war, findet unsere Fraktion auch gut. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Ja! Wir sind immer an der Spitze des Fortschritts, Herr Lenkert!) Allerdings vergessen Sie einen Bereich der Arbeitswelt nach wie vor völlig. (Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Machen Sie das doch nicht schon wieder madig!) Zu einem innovativen und menschlichen Standort gehört eben auch eine innovative und menschliche Verwaltung. (Beifall bei der LINKEN) Forschungsvorhaben bezüglich der Frage, wie die Digitalisierung in Behörden und in der Verwaltung effizient, mitarbeiter- und bürgerfreundlich umgesetzt werden kann, fehlen völlig, und auch die Forschung darüber, wie sich die Digitalisierung auf die Arbeitsbedingungen, die Mitbestimmung und die Arbeitsabläufe in Ämtern und Ministerien auswirkt, haben Sie schlichtweg vergessen. Betrachte ich also diesen Antrag für sich allein, könnte ich jetzt die Rede mit einem „Befriedigend“ und dem Hinweis zur Überarbeitung zum öffentlichen Sektor beenden. (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Immerhin! – Gegenruf des Abg. Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Ja, wir sind konstruktiv!) Aber es reicht leider nicht, die richtigen Fragen zu stellen, und es reicht auch nicht, nur die richtigen Forschungen in Auftrag zu geben. Entscheidend ist, wie die Ergebnisse der Forschung dann in Form von Taten umgesetzt werden. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Da versagt diese Koalition komplett. (Dagmar Ziegler [SPD]: Die Forschung ist ja noch gar nicht!) So ist der Wissenschaft längst bekannt, dass Armut zu Konflikten, zu Krieg, Vertreibung und Flucht führt. Was macht diese Bundesregierung? Sie ignoriert das und verfehlt das Ziel, 0,7 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt für Entwicklungshilfe bereitzustellen – (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Seit Jahren!) – seit Jahren –, konstant und klar mit 0,4 Prozentpunkten. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Jetzt kommen Sie mal zum Thema, Herr Lenkert! – Gegenruf des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich glaube, er ist nur sehr gut vernetzt!) Damit verursacht diese Regierung letztlich weitere Flüchtlingsbewegungen. Aus der Friedensforschung ist längst bekannt, dass Diskriminierung zu schweren Konflikten führt. (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Genau!) Trotzdem schweigt diese Regierung zur Diskriminierung der Kurden in der Türkei. (Dagmar Ziegler [SPD]: Was ist das denn jetzt? Falscher Zettel?) Es ist schon erstaunlich, wie sich die Koalition hier feiert und gleichzeitig die Ergebnisse ihrer Forschung locker ignoriert. Schauen wir auf das Thema Arbeit und Bildung. (Dagmar Ziegler [SPD]: Ach, jetzt wieder?) Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin und das Bundesinstitut für Berufsbildung ermittelten, dass häufige Wochenendarbeit körperlich und emotional stärker erschöpft, zu höherem Stresslevel und Schlafstörungen führt und damit Gesundheitsrisiken wie Herzinfarkte und Depressionen steigen. Doch statt Wochenendarbeit einzuschränken, fordert die Union in meinem Heimatland Thüringen, das Gesetz, welches Beschäftigten im Einzelhandel zwei freie Samstage je Monat garantiert, wieder abzuschaffen. (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Pfui!) So ignoriert die Union die Ergebnisse der Wissenschaft. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Hat das der Landtag verabschiedet?) Aber unsere linke Landesregierung wird den Beschäftigten das Recht auf freie Samstage erhalten; (Beifall bei der LINKEN) denn wir berücksichtigen in unserem Handeln die Forschungsresultate zum Wohle der Menschen. Ein zweites Beispiel. Seit Jahren stapeln sich die Belege, dass das Kooperationsverbot im Bildungsbereich, (Dr. Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Ah!) also das Verbot, dass der Bund Gelder für Bildung an die Länder zahlt, für unseren Nachwuchs schädlich ist. (Ute Bertram [CDU/CSU]: Gut, dass der Begriff wieder kam!) Trotzdem hat die Koalition dieses Verbot nur im Hochschulbereich aufgehoben. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sinnvollerweise!) Warum Sie erneut Erkenntnisse ignorieren, müssen Sie einmal nachvollziehbar erklären. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Vergeben Sie doch mal einen Forschungsauftrag! – Mechthild Rawert [SPD]: Das stimmt so nicht!) Wir Linke sind für die Aufhebung des Kooperationsverbotes in allen Bildungsbereichen. (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Wir auch!) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, den Antrag werden wir im Ausschuss wohlwollend begleiten. Sie können sich auf die starke Opposition verlassen. Wir werden Sie an Ihre Vorhaben erinnern und zur Umsetzung der Forschungsergebnisse treiben. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege René Röspel für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) René Röspel (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, dass uns gerade ein sehr bunter Strauß unterschiedlichster Themen, die mit dem eigentlichen Thema sehr wenig zu tun haben, präsentiert wurde. Das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass Sie schlicht neidisch darauf sind, dass wir im Bereich Arbeits-, Dienstleistungs- und Produktionsforschung wirklich ein Stück weitergekommen sind. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Anders als die Linken warten wir nicht auf Wunder, sondern wir krempeln die Ärmel hoch und setzen uns zusammen, was in einer Koalition nicht immer einfach ist. Aber, Herr Kaufmann, Ihr Lob kann ich Ihnen zurückgeben. Wir haben das geschafft. Wir sind auf dem Weg hin zu einer guten Arbeitsforschung in den letzten Monaten ein großes Stück weitergekommen. Das wird ein neuer Impuls werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Schaffung menschengerechter Arbeitsbedingungen: ein Ziel staatlicher Forschungsförderung. – Diesen Satz hat vor 40 Jahren – ich will auf das Urheberrecht hinweisen – der damalige Forschungsminister Hans Matthöfer gesagt, als er das wirklich wegweisende Projekt – Kollege Kaufmann hat es erwähnt – „Humanisierung des Arbeitslebens“ auf den Weg gebracht hat. Dabei ging es um die Frage: Wie gehen wir mit diesem technologischen Wandel, den wir erleben, um? Damals bezog sich das Programm eher darauf, den Arbeits- und Gesundheitsschutz für Arbeitnehmer tatsächlich zu verbessern oder überhaupt erst herzustellen und den Jugendarbeitsschutz zu berücksichtigen. Man war noch nicht so weit, dem technologischen Wandel wirklich vorauszugehen. Aber vielleicht war damals der technologische Wandel spürbarer als heute. Ich erinnere mich – einige von Ihnen vielleicht auch –: Meine Familie hat gegenüber einer Kohlenhandlung gewohnt. Als Kind habe ich jeden Tag gesehen, wie zwei oder drei starke, kräftige Kerle – wahrscheinlich Männer ohne Ausbildungsberuf – jeden Tag Zentner von Kohlen bewegt haben. Ich habe manchmal meiner Großmutter Kohlen bis unter das Dach im fünften Stock geschleppt, weil sie einen Kohlenofen hatte. Was war ich froh, als endlich die Zentralheizung kam! Das bedeutete aber, dass die Kohlenhandlung irgendwann verschwunden war, weil keiner mehr Kohlen brauchte. Das hatte einen großen Strukturwandel zur Folge. Ich komme aus dem Ruhrgebiet, wo wir in den 50erJahren 500 000 Bergleute hatten. Heute sind es knapp über 5 000. Es hat also dramatische gesellschaftliche Auswirkungen, wenn man das nicht vernünftig begleitet. Den Kohlenhändler gibt es nicht mehr. Aber im Bereich des Sanitär-, Klempner- und Heizungswesens hat es einen richtigen Schub an Technologie gegeben. Das heißt, Arbeitsbedingungen und Technologie wandeln sich. Darauf muss sich die Gesellschaft vorbereiten. Es ist übrigens richtig: Nachdem von 1974 bis 1980 das wichtige Programm „Humanisierung des Arbeitslebens“ gelaufen ist, wurde es in den 80erJahren, von 1984 bis 1989, von einem Forschungsminister fortgesetzt, der dann das Programm „Arbeit und Technik“ auf den Weg brachte, dem sogar ein breiter Innovationsbegriff zugrunde lag und das nicht nur die Technik im Blick hatte. Wenn er anwesend wäre, würde ich Heinz Riesenhuber jetzt persönlich dafür loben. Aber er kann es im Protokoll nachlesen. Es war ein sehr weitsichtiger Schritt, Arbeits- und Dienstleistungsforschung fortzusetzen. Er hat damals gesagt – ich zitiere –: Wer immer nur an Technik denkt, wenn von Innovationen die Rede ist, braucht sich über Misserfolge nicht zu wundern. Das heißt, der Innovationsbegriff ist beim Technologiewandel viel breiter zu sehen als nur unter dem Gesichtspunkt, welche neuen Technologien wir haben. (Beifall der Abg. Dagmar Ziegler [SPD]) Leider ist das in den 90erJahren in der Arbeitsforschung in den Hintergrund gerückt und hat an Bedeutung verloren. Deswegen bin ich sehr froh, dass es uns gemeinsam in der Koalition gelungen ist, in den Koalitionsvertrag aufzunehmen, dass wir in enger Abstimmung mit den Sozialpartnern, weil Arbeitgeber und Gewerkschaften wichtig sind und sich sehr gut damit auskennen, ein neues Programm für Arbeits-, Dienstleistungs- und Produktionsforschung auf den Weg bringen werden, und das machen wir. Mein Dank gilt dem BMBF, dass bis 2020  1 Milliarde Euro zur Verfügung gestellt werden, damit wir erforschen können, wie sich Arbeit und Produktion verändern werden und wie der Technologiewandel möglicherweise dazu beitragen wird, dass auch Lebenskonzepte sich verändern, weil bestimmte Berufe vielleicht nicht mehr gebraucht werden. Herr Kaufmann hat auf die Ängste hingewiesen, die damit verbunden sind, und einige Beispiele genannt. Den Kohlenhändler gibt es nicht mehr, und wir werden sehen, was sich noch alles verändern wird. Wir werden drei Ebenen im Blick behalten, die betroffen sind: den Menschen – den Arbeitnehmer wie auch den Arbeitgeber –, die Gesellschaft und den Staat. Wir müssen uns anschauen, wie sich die veränderten Produktionsbedingungen jeweils auf sie auswirken. Wichtig für den Menschen ist: Wie geht er mit einer Digitalisierung des Arbeitsplatzes um? Wie ist es, wenn auf einmal die Vorstellung einer menschenleeren Fabrik aufkommt? Von der Fraunhofer-Gesellschaft gibt es schon ein Pilotprojekt zur menschenleeren Fabrik. Sind dann nur noch Roboter am Werk? Was braucht man für Qualifizierungen, um in einer solchen Arbeitswelt einen Arbeitsplatz zu finden oder behalten zu können? Vor allen Dingen ist es auch wichtig, zu beachten, welche Veränderungen das bei den Arbeitsbedingungen mit sich bringt. Die Kohlenzentner brauchen nicht mehr geschleppt zu werden, aber die Auswirkungen von großem Stress und die Folgen der Digitalisierung können auch sehr negativ sein. Das bekommen wir im täglichen Leben zu spüren. Genau da setzen wir mit den Programmen an. Wichtig ist es auch für Unternehmer, zu wissen, wie Arbeitsbedingungen aussehen müssen. Was bedeutet es, wenn dem Erfahrungswissen eines gut ausgebildeten Facharbeiters die Algorithmen des Roboters gegenüberstehen? Wie muss man das vernünftig vernetzen, damit gute Produkte dabei herauskommen Am Ende ist die Frage – das mag das Beispiel der Steinkohle im Ruhrgebiet zeigen –: Was bedeuten diese Veränderungen in der digitalen Welt, in der Technisierung, bei neuen Technologien bis hin dazu, dass man mit einem dreidimensionalen Drucker Unikate ausdrucken kann und die große Fabrik, die Tausende von Produkten herstellt, vielleicht nicht mehr gebraucht wird, für eine Gesellschaft, und welche Antwort werden wir geben müssen? Deswegen ist es, glaube ich, ein großer Fortschritt, dass wir das jetzt mit dem Programm „Innovationen für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen“ auf den Weg gebracht haben. Wir werden selbstverständlich auch die Fragen von Partizipation, Teilhabe an Entscheidungen und Mitbestimmung beleuchten. Das gehört nämlich dazu. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich darf zum Schluss meiner Rede Hans Matthöfer zitieren. Er hat 1976 gesagt: Der Kampf um menschengerechte Arbeitsbedingungen, um die Behauptung der Würde des Menschen in der industriellen Arbeitswelt wurde nicht erst heute begonnen und wird morgen nicht beendet sein. Er begleitet den gesamten Prozess der wirtschaftlich-technischen Entwicklung. Heute würde man das vielleicht ein bisschen anders formulieren. Aber recht hat er gehabt. Diese Mahnung nehmen wir mit als Auftrag. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Kai Gehring für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn Digitalisierung zu Umbrüchen in der Arbeitswelt führt, dann muss sich auch die Arbeitsforschung wandeln. Der vorliegende Antrag der Koalition stellt hierzu eine sinnvolle Diskussionsgrundlage dar, die jedoch ein paar blinde Flecken aufweist. Ihre Beschreibung der arbeitspolitischen Chancen und Herausforderungen ist leider recht selektiv. Deshalb möchte ich Sie auf einige blinde Flecken hinweisen. Erstens. Es findet sich kein Wort zur zunehmenden Diversität und Vielfalt der Belegschaften. Dies ist gerade angesichts unserer modernen Einwanderungsgesellschaft und der Debatten über Flucht und Integration mehr als erstaunlich. Zweitens. Das Thema Gleichstellung von Frauen und Männern taucht nur indirekt auf, und zwar wieder im Zusammenhang mit der so wichtigen Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Es ist schade, dass die Koalition diese wichtigen Felder von Arbeitsforschung – Diversity und Gleichstellung – nicht als Forschungsgegenstand klar benennt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dabei könnten Sie gerade hier Ratschläge der Wissenschaft dringend brauchen; denn eine gerechtere Arbeitswelt und gute Arbeit für alle wird es nur geben, wenn wir Benachteiligungen gezielt abbauen und Forschungskonzepte dies noch stärker berücksichtigen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Drittens. Neue Smart Services sind nur dann nachhaltig, wenn sie neben effizientem Ressourceneinsatz faire Beschäftigungsbedingungen bieten. Digitalisierung droht sich genderspezifisch auszuwirken: Es ist auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos festgestellt worden, dass besonders Arbeitsplätze von Frauen gefährdet sind. Es kann also durchaus dazu kommen, dass es nicht, wie es der Titel Ihres Antrags proklamiert, mehr Beschäftigung geben wird, sondern weniger und anders verteilte. Wissenschaft muss solche vielschichtigen Entwicklungen analysieren, Empfehlungen entwickeln und in den gesellschaftlichen Diskurs einspeisen. Sie müssen dann Konsequenzen ziehen in Ihrer Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Viertens. Wir teilen den Ansatz, die Forschungsagenden gemeinsam mit den Sozialpartnern zu entwickeln. Das ist ein durchaus wichtiger Punkt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Aber dabei dürfen Sie nicht diejenigen Betriebe und Branchen vernachlässigen, in denen es keine oder kaum Mitbestimmung gibt. Genau dort bleibt das Risiko, dass die Digitalisierung nicht zur Humanisierung der Arbeit führt, sondern zu Arbeitsverdichtung sowie zu Problemen mit ständiger Erreichbarkeit und beim Datenschutz. Das ist ein wichtiger Punkt der Arbeitsforschung und offensichtlich ein blinder Fleck bei Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zur Realität gehört auch, dass es weiterhin Jobs mit geringen Qualifikationsanforderungen gibt, häufig dann als prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Die Arbeitsbedingungen dieser Beschäftigten dürfen nicht ignoriert werden, sondern müssen intensiver erforscht werden, um Lösungen zu finden, ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Fünftens. Für den Transfer der Arbeitsforschungsergebnisse nennen Sie als wichtige Zielgruppe kleine und mittlere Unternehmen. Das teilen wir. Leider führen Sie nicht aus, wie die KMUs erreicht werden können. Es wäre hochgradig spannend, zu erfahren, wie das gelingen soll. Im Forschungsausschuss haben uns Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von der Schwerfälligkeit der Antragsverfahren berichtet. Es wäre erfreulich, wenn offenere Programmstrukturen zu schnelleren Fördermöglichkeiten führen würden. Nicht vernachlässigt werden darf bei aller Praxisorientierung der Arbeitsforschung die Grundlagenforschung an sich, die Sie ebenfalls in Ihrem Antrag nicht adressieren. Deren Förderung ist vor allem unsere staatliche Aufgabe, weil einzelne Unternehmen diese in der Regel so breit nicht leisten. Bei der Suche nach kreativen Reaktionen auf epochale Veränderungen in der Arbeitswelt können wir darauf nicht verzichten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sechstens. Betrachtet man allein unsere Verpflichtung nach der Pariser Klimakonferenz, wird deutlich, dass wir unsere Produktionsweisen, Konsumgewohnheiten und Arbeitsweisen grundlegend verändern müssen. Das Forschen für den Wandel und die Schaffung arbeitsökologischer Innovationen sind deshalb ein Gebot der Stunde. Plakativ gesagt: Wir brauchen auch mehr Arbeitsforschung für eine Green Economy, damit wir den Wandel schaffen. Siebtens. Gerade bei der Technisierung personenbezogener Dienstleistungen stellen sich verstärkt ethische und soziale Fragen, zum Beispiel bei den Branchen Pflege und Medizin, Stichwort „Pflegerobotik“. Diese Chancen und Risiken müssen in unserer Gesellschaft breit und fundiert diskutiert werden. Deshalb bedarf es gerade auch bei der Arbeitsforschung ethischer und sozialer Fragestellungen. Da kann sie einen wichtigen Beitrag leisten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Es ist insgesamt, meine Damen und Herren, eine interessante Initiative der Koalitionsfraktionen, die wir jetzt hier im Plenum diskutiert haben. Wir sind gespannt, wie die Bundesregierung die Ergebnisse der Arbeitsforschung in ihrem politischen Handeln aufgreifen wird. Ich freue mich auf die Debatte in den Ausschüssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Ein versöhnliches Ende!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Rachel. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland ist eine der führenden Wirtschaftsnationen der Welt und ohne Zweifel ein sehr innovatives Land. Wir möchten, dass das so bleibt. Aber unsere Art, zu wirtschaften, verändert sich – tiefgreifend, schnell. 70 Prozent des Bruttoinlandsproduktes werden in Deutschland mit Dienstleistungen erarbeitet, rund 25 Prozent an den Produktionsstandorten. Die nun stattfindende Zusammenführung von Produktion auf der einen Seite und Dienstleistung auf der anderen Seite führt zu einer neuen Art der Wertschöpfung, übrigens über Regionen und Kontinente hinweg. Durch höhere Informationsflüsse und Vernetzung übernehmen Maschinen immer komplexere Aufgaben in den Unternehmen. Wirtschaftliche Transaktionen können praktisch in Echtzeit geschehen. Zusammen mit den neuen Fertigungsmethoden wie dem 3D-Druck führt dies auch zu einer stärkeren Flexibilisierung der Produktion hin zur Individualisierung der Produkte. Ja, unser Standort ist stark. Innovationsfähigkeit, Sozialpartnerschaft, sozialer Zusammenhalt – all dies zeichnet unser Land aus. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir möchten gern, dass der Produktionsstandort, aber auch der Dienstleistungsstandort Deutschland stark bleibt. Manche befürchten aber den Verlust von Arbeitsplätzen durch die Digitalisierung der Arbeitswelt. Ja, es werden auch Arbeitsplätze wegfallen, aber es werden auch viele neue entstehen. Wir können und wir wollen genau diese Entwicklung mitgestalten. Wir müssen die Chancen der Digitalisierung durch kluge Innovationen nutzen und gleichzeitig die Veränderungen so gestalten, dass wir am Ende mehr Arbeitsplätze erhalten und diese sogar noch menschengerechter gestalten können. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir haben mit dem großen Forschungsprogramm „Innovation für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen“ bis 2020 eine Investition von 1 Milliarde Euro vorgesehen. Das ist wahrlich ein großer Aufschlag. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Mit unserer Forschungsförderung waren wir übrigens die Ersten, die „Arbeiten – Lernen – Kompetenzen entwickeln“ integrativ gedacht haben. Ich denke an die Frage des Verhältnisses von Stabilität und Wandel, die heute im Kontext von Industrie 4.0 gestellt wird, aber schon 2009 untersucht wurde, oder an die Rolle des präventiven Arbeits- und Gesundheitsschutzes, die heute in aller Munde ist, die wir aber schon 2006 in unserer Forschungsförderung bearbeitet haben. Die nunmehr anstehende Veröffentlichung des Forschungsprogramms „Zukunft der Arbeit“ greift die neuen Herausforderungen am Arbeitsmarkt auf; denn für uns steht der einzelne Mensch im Mittelpunkt – und das auch in der digitalisiert veränderten Welt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir haben das Programm in enger Abstimmung mit dem Arbeitsministerium, mit den Sozialpartnern, den Gewerkschaften und den Arbeitgebern entwickelt und konzipiert – ein neuer, ein qualitativer Schritt. Ziel der Arbeitsforschung ist es, mit wissenschaftlichen Ergebnissen einen Beitrag zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Deutschland zu leisten und gleichzeitig beschäftigungsfördernd zu sein. Das Forschungsprogramm „Zukunft der Arbeit“ zielt darauf ab, technologische und soziale Innovationen gleichermaßen voranzubringen. Wir haben einen Gestaltungsanspruch, nämlich neue Methoden der Qualifizierung, der Gesundheitsprävention, der Arbeitsgestaltung und -organisation in und mit den Unternehmen und den Beschäftigten zu entwickeln und sie in pilothafter Umsetzung in die Praxis zu überführen – und dies möglichst branchenübergreifend. Qualifizierung und Kompetenzentwicklung sind nach meiner festen Überzeugung die entscheidenden Schlüssel, um sowohl die wirtschaftlichen als auch die sozialen Potenziale, die in der Digitalisierung stecken, zu heben. Die Kernfrage lautet deshalb: Welche Kompetenzen benötigen Beschäftigte und Unternehmen, um den Strukturwandel für gute Arbeit und für wettbewerbsfähige Produkte und Dienstleistungen zu nutzen? Wir verstehen dies als Gestaltungsauftrag. Unsere Forschungsförderung will eben nicht nur das Phänomen „Industrie 4.0“ beschreiben oder neue technologische Entwicklungen ermöglichen, nein, wir wollen gleichzeitig den Wandel gesellschaftsverträglich mitgestalten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) So werden wir eine Industrienation sein, die an der Spitze des Fortschritts steht, ein humanes Miteinander erhält und gleichzeitig ihre Wettbewerbsfähigkeit stärkt. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Dr. Ernst Dieter Rossmann hat für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Kaufmann, Kollege Röspel, Sie haben Hans Matthöfer erwähnt. Ich will das insoweit vertiefen, als man von Hans Matthöfer wissen muss, dass er ausgewiesener IG-Metall-Gewerkschafter war und zuletzt die Bildungsabteilung der IG Metall geleitet hat. Deshalb würde er sich gefreut haben, wenn er gewusst hätte, dass es in dem jetzigen Forschungsprogramm zu Dienstleistung und Arbeit ein ausdrückliches Kapitel gibt – Staatssekretär Rachel hat es eben angesprochen –, das den Titel trägt: „Arbeiten – Lernen – Kompetenzen entwickeln“. Nun muss man dazu sagen: Das steht zunächst auf dem Papier. Auch Hans Matthöfer würde kritisiert haben: Wenn das die Auffassung der Sozialpartner und der Bundesregierung ist, weshalb war es dann, verdammt noch einmal, möglich, dass die IG Metall in ihrem letzten großen Tarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie die Qualifizierung nicht so durchsetzen konnte, wie es für die Zukunft nötig gewesen wäre? Wir müssen auch den Schritt von der Forschung in die Wirklichkeit schaffen. Das ist der Auftrag, auch vorgegeben durch das Forschungskonzept. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hans Matthöfer wäre im Übrigen auch jemand, der auf der Basis der Mitbestimmung ein Konzept der Humanisierung der Arbeitswelt mitentwickelt hätte. Uns fällt auf, dass das Parlament hier präziser sein kann, als es die Regierung wollte oder durfte; denn in dem Regierungsprogramm steht neben sehr vielem Guten als Adressat immer die Wirtschaft. In unserem Antrag sprechen wir von Sozialpartnern und Mitbestimmung. Das ist präziser. (Beifall bei der SPD) Das stellt einen Auftrag dar und ist eine Prämisse, unter der wir dieses Programm mitentwickeln wollen. Ich will allerdings der Regierung auch ausdrücklich Anerkennung zollen. Das Programm ist zusammen mit den Sozialpartnern entwickelt worden, es ist mit den Gewerkschaftsvorsitzenden zusammen vorgestellt worden. Aber der Geist, dass es keine nebulöse Wirtschaft gibt, sondern dass auch Interessengegensätze im Bereich der Entwicklung von Arbeit auszutragen sind und man nach besten Wegen für gute Arbeit zu suchen hat, ist in unserem Antrag stärker ausgeprägt. Hier wurde viel Lob ausgesprochen. Der Kollege Schulz wartet schon die ganze Zeit auf ein Lob für die Haushälter. Ich muss das Lob für die Haushälter mit einer kleinen Kritik verbinden. Schauen wir uns die Entwicklung von 1974 bis 2016 an. Da hat es eine Phase gegeben, in der die Arbeits- und Dienstleistungsforschung nicht so etatisiert worden ist, wie sie es verdient gehabt hätte. Es hat dann einen neuen Einstieg mit einem neuen Rahmenprogramm in der Regierungszeit von SPD und Grünen gegeben. Wir dürfen auch feststellen, dass dann, wenn die SPD zusammen mit der CDU regiert, es besser für die Arbeits- und Dienstleistungsforschung ist, als wenn die CDU mit der FDP regiert. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: FDP war auch nicht schlecht!) Wir haben jetzt wieder ein hohes Niveau mit Tendenz nach oben. Das wollen wir gerne anerkennen. Wir wollen gar nicht darüber sprechen, dass das noch weiter verstetigt werden muss, weil sich auch dieser Bereich durch neue Fragestellungen erweitern wird. Kollege Gehring, Sie haben vieles angesprochen, und wenn die Opposition einen Fachantrag derart behandelt, dann zeugt das schon von viel Zustimmung. Ich finde, wir vergeben uns auch nichts, wenn wir akzeptieren, dass Sie und Herr Lenkert darauf hinweisen, dass man die Verwaltung mit einbeziehen könnte; denn die Produktivitätssteigerung in Bezug auf die Dienstleistungen – ich nenne die neuen Strukturen, neue Kommunikationssysteme, technologische Systeme, Arbeit, Entwicklung, Reparatur, Vermittlung und Vernetzung – betrifft auch die Verwaltung. Wenn wir eine leistungsfähige und moderne Verwaltung haben wollen, dann muss dies auch in der Arbeitsforschung auftauchen. Das ist eine gute parlamentarische Aufgabe. Das ist im Übrigen eine Aufgabe, die auch die gesamte Regierung angeht. Ich will dazu nur noch einen kleinen Hinweis geben. Frau Staatssekretärin Lösekrug-Möller, Sie sitzen dort, weil auch das Arbeitsministerium unter anderem mit dem Grünbuch Industrie 4.0 Wesentliches mit entwickelt hat, und das wird auch in diesem Konzept angesprochen. Die Botschaft kann also eigentlich nur sein: Was die Regierung vorgelegt hat, wird jetzt vom Parlament so ernst genommen, dass es über einen differenzierteren Antrag weiter begleitet wird. Ich will dazu nur sagen: Das hätte auch Hans Matthöfer gefreut. Im Übrigen gibt es einen wirklichen Wandel. Damals, in den 1970er-, 1980erJahren – Kollege Röspel hat es schon angesprochen –, ging es faktisch um Automatisierung; jetzt geht es um Vernetzung. Damals, in den 1970erJahren, als diese Programme aufgelegt wurden, konnte man vom Technologischen her noch gar nicht an Vernetzungsstrukturen denken, wie sie jetzt allgegenwärtig sind. Insoweit geht es darum, den Ball aufzunehmen und die Humanisierung der Arbeit in der Industriegesellschaft sowie in der Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft voranzutreiben. Das ist die Botschaft dieser gemeinsamen Initiative. Danke schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang Stefinger für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Wolfgang Stefinger (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Digitalisierung und Vernetzung, mobile Endgeräte, selbstfahrende Autos, ständige Erreichbarkeit, Nachrichten und Informationen in Sekundenschnelle weltweit, Roboterproduktionsstraßen – wir haben in den vergangenen Jahren durch die zunehmende Digitalisierung einen rasanten Wandel erlebt, einen Wandel, der alle Lebensbereiche umfasst. Schauen wir nur in unser direktes Umfeld: Die Kommunikation verändert sich durch E-Mails und Kurznachrichten, auch wenn, zugegeben, in den vergangenen Wochen doch wieder der Brief an Bedeutung gewonnen hat. (Dagmar Ziegler [SPD]: Der war gut! – Mechthild Rawert [SPD]: Aber das war ja nur einer! – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Der wurde elektronisch verteilt!) Die Kommunikation hat sich auf jeden Fall verändert. Über Mobiltelefone können wir Wohnungen steuern. Während man früher von Geschäft zu Geschäft laufen musste, um Preise zu vergleichen, schaut man heute ins Internet und bestellt vielleicht auch online. Die Digitalisierung macht vor Fabrik- und Firmentoren selbstverständlich nicht halt, und das ist auch gut so; denn die Digitalisierung, die Vernetzung von Wirtschaft und Industrie bieten viele Chancen. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Fertigungsprozesse werden flexibler, effizienter, nachhaltiger; sie lassen sich besser auf die Bedürfnisse der Kunden abstimmen. Neue Tätigkeitsfelder und innovative Geschäftsmodelle entstehen. Prozesse laufen in einer nie dagewesenen Präzision und Geschwindigkeit fast in Echtzeit ab. Für unser Land ist die Digitalisierung von herausragender Bedeutung. Wir müssen die Chancen nutzen, und wir können es auch. Wer, wenn nicht wir? Viele fragen sich nun: Wie weit geht diese Digitalisierung? Wie sieht der Arbeitsplatz von morgen, die Fabrik von übermorgen aus? Das sind sehr berechtigte Fragen, wie ich finde; denn schließlich sind fast 43 Millionen Menschen in Deutschland erwerbstätig, so viele wie noch nie in der Geschichte unseres Landes. Zwei Drittel von ihnen erleben bereits heute den Wandel der Arbeitswelt durch Digitalisierung. Selbstverständlich erzeugen diese Veränderungen Unsicherheiten, Fragen, Ängste: Werden durch den Einsatz von intelligenten Robotern massenhaft Arbeitsplätze vernichtet? Wird es in Zukunft menschenleere Fabriken geben? Wird der Mensch vielleicht sogar überflüssig in der Produktion? Gerade deshalb ist es mir wichtig, zu betonen: Wir wissen, dass der digitale Wandel nicht nur eine technologische Dimension hat, sondern eben auch eine soziale. Wir sehen aber auch, dass die Digitalisierung viele Chancen und Verbesserungen gerade auch für den Menschen bietet. Der Mensch wird auch weiterhin gebraucht werden – davon bin ich überzeugt –, nur eben anders als heute. Es werden neue Berufsbilder und Anforderungen entstehen. Hier müssen wir vonseiten der Politik flexibel reagieren und auch unterstützen. Gerade deshalb ist der vorliegende Antrag zur Arbeitsforschung wichtig, nämlich um die Frage nach dem Wie zu beantworten: Wie sieht die Arbeit in Zukunft aus? (Beifall des Abg. Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]) Dabei ist es nicht so – das möchte ich betonen; es ist auch schon angesprochen worden –, dass wir neu im Feld der Arbeitsforschung sind. 1974 wurde das erste Programm dazu auf den Weg gebracht. Jetzt stehen dem Bildungs- und Forschungsministerium 1 Milliarde Euro – auch der Staatssekretär hat es angesprochen – für das Programm „Innovationen für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen“ zur Verfügung. Im Haushalt 2016 sind für die Forschung für Produktion, Dienstleistung und Arbeit 89 Millionen Euro vorgesehen. Das sind nur zwei Zahlen aus dem Bildungsministerium. Andere Projekte sind bereits angesprochen worden. Auch das Arbeitsministerium hat hierzu Programme. Mit unserem heute vorliegenden Antrag zur Arbeitsforschung führen wir also konsequent fort, was wir uns schon im Rahmen der Digitalen Agenda selbst ins Hausaufgabenheft geschrieben haben. Wir wollen die neuen Herausforderungen gemeinsam mit Wirtschaft, Wissenschaft und Sozialpartnern angehen. Den digitalen Wandel, den Wandel in der Arbeitswelt, können wir nur gemeinsam schaffen. Ich bin davon überzeugt: Wir werden die Megatrends der Arbeit wie Digitalisierung und Vernetzung, Globalisierung, Flexibilisierung der Arbeit, der Arbeitszeit und der Arbeitsabläufe, demografische Entwicklung, Qualifizierung und Qualitätssicherung, Beschleunigung, Ökologie, Gesundheit und Kreativität der Mitarbeiter, um nur einige Punkte zu nennen, hinbekommen. Wer, wenn nicht wir? (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Der vorliegende Antrag trägt wesentlich dazu bei. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/7363 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Eva Bulling-Schröter, Kerstin Kassner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Energienetze zurück in die öffentliche Hand – Rechtssicherheit bei der Rekommunalisierung schaffen Drucksachen 18/4323, 18/5274 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Florian Post für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Florian Post (SPD): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Viele Kommunen stehen vor der Frage, ob sie ihre Netze einem privaten Netzbetreiber oder einem kommunalen Betrieb anvertrauen oder ob sie, als dritte Option, dazu eine öffentlich-private Partnerschaft eingehen. Die SPD glaubt, dass gut durchgeführte Rekommunalisierungen von Stromnetzen den Bürgern, den Kommunen und nicht zuletzt dem Wettbewerb dienen. Allein in Bayern laufen 2017 circa 200 Konzessionsverträge aus. Es gilt, eine effiziente und sichere Stromversorgung auch in der Zukunft zu sichern. Grundsätzlich können dies Kommunen genauso gut wie Private. Seit 2007 haben 80 Kommunen eigene Stadtwerke neu gegründet und haben bereits 200 Gemeinden eine Konzession für das Stromnetz wieder selbst übernommen. Es gibt aber auch noch eine dritte Möglichkeit; ich habe es eingangs angesprochen. Ich nenne die bayerische Mittelstadt Weiden in der Oberpfalz mit 42 000 Einwohnern. Dort hat der SPD-Oberbürgermeister Kurt Seggewiß den Weg gewählt, eine Kooperation mit der privaten Bayernwerk AG einzugehen, wobei die Aufteilung so ist, dass die kommunale Gesellschaft die kaufmännische Verantwortung trägt, aber die technische Betriebsführung dem privaten Partner übertragen wurde, wodurch der Wunsch nach öffentlicher Kontrolle und der Wunsch nach Expertise privatwirtschaftlicher Unternehmen am besten zusammengeführt werden konnten. Die Rahmenbedingungen für Rekommunalisierungen müssen klar geregelt sein. Ganz klar ist, dass wir gegen eine bedingungslose Rekommunalisierung sind. Hier gilt es, objektive und damit nachprüfbare Kriterien einzuhalten. Die von den Linken in ihrem Antrag geforderten Klarstellungen wird es geben. Schikanen von Altkonzessionären – zum Beispiel zu hoch angesetzte Kaufpreise, zu hohe Entflechtungskosten – werden von der SPD nicht akzeptiert werden. Die Konsequenz wären jahrelange Rechtsstreitigkeiten, die die Kommunen natürlich vermeiden wollen, weshalb sie oftmals von einer Rekommunalisierung Abstand nehmen. Auch werden wir regeln, dass künftig für die Kaufpreisermittlung grundsätzlich der Ertragswert maßgeblich sein muss. Es geht um den optimalen Netzbetrieb in Städten und Gemeinden. Mit „optimal“ meine ich: Die Kriterien Effizienz, Verbraucherfreundlichkeit und Umweltverträglichkeit müssen im Mittelpunkt stehen und gleichermaßen erfüllt werden. Einen Blankoscheck allerdings, wie ihn die Linke in ihrem Antrag fordert, können und werden wir nicht ausstellen. Das Einzige, was nach unserem Dafürhalten von den Kommunen verlangt werden soll, ist, dass sie, wie gesagt, die Kriterien Effizienz, Umweltverträglichkeit und Verbraucherfreundlichkeit einhalten. Die Kommunen erhalten nach unserem Vorschlag sogar die Möglichkeit, diese Ziele frei zu gewichten und darüber hinaus als Nebenkriterium kommunale Eigeninteressen vorzusehen. Aber das kann kein Selbstzweck sein. Sollte sich herausstellen, dass eine Kommune diese Kriterien für eine Rekommunalisierung schlechter erfüllen kann als ein Privater, gibt es keine Rechtfertigung, warum trotzdem die Kommune automatisch den Vorzug erhalten soll; denn das wäre nicht im Interesse der Bürgerinnen und Bürger. Wir sind für einen gesunden, offenen und diskriminierungsfreien Wettbewerb, der keine Gräben zwischen öffentlicher und privater Wirtschaft aufreißt. Die Gemeinde- und Stadtwerke sorgen überall in Deutschland für hohe Versorgungsqualität in vielen effizient geführten Netzen. Damit das so bleibt, müssen wir den Antrag der Linken ablehnen. Wir werben natürlich für unseren Vorschlag, der hier noch beraten werden wird. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Caren Lay hat für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Caren Lay (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erst gestern konnten wir in der Zeitung lesen, was passieren kann, wenn private Konzerne die Energienetze in der Hand haben: In Berlin steht Vattenfall im Verdacht, mit einem simplen Buchhaltungstrick den Bürgerinnen und Bürgern zu hohe Netzentgelte abgeknöpft zu haben. Hier wird offenbar „geschummelt“. Das ist ein Beleg dafür, dass „Strom- und Gasnetze besser in öffentlicher als in privater Hand aufgehoben sind.“ (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, an dieser Stelle hätte ich nicht nur Zwischenrufe von der CDU erwartet, sondern auch Applaus von der SPD. Denn das war gar nicht meine Wortwahl, sondern die des SPD-Kollegen aus dem Berliner Abgeordnetenhaus, Nikolaus Karsten. (Florian Post [SPD]: Das müssen wir erst prüfen! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Da gibt es auch Irrläufer!) Da hat er recht; denn Netze in öffentlicher Hand haben viele Vorteile: Sie sichern den Verbrauchern bezahlbaren Strom, den Kommunen eine gute Einnahmequelle. Wir als Linke wollen ökologische, demokratische Stadtwerke als zentrale Akteure der Energiewende. Das ist der Weg. (Beifall bei der LINKEN) Das Beste ist: Viele Kommunen wollen ihre Netze zurückhaben, auch Kommunen, deren Bürgermeister ein CDU-Parteibuch haben; das möchte ich an dieser Stelle explizit sagen, bevor Sie uns, wie bei den letzten Debatten zu diesem Thema, wieder die Zwangskollektivierung der Energienetze vorwerfen. Viele Kommunen wollen ihre Netze zurück, und sie sollen sie auch rechtssicher zurückbekommen können. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Sie wollen die verstaatlichen!) Vielen Kommunen bietet sich gerade jetzt eine große Chance dafür. Die Konzessionen laufen aus. Bisher scheitert es an der Rechtssicherheit, die sie bei der Rekommunalisierung nicht haben. Sie haben sie nicht, weil die alte Bundesregierung unter Beteiligung der Union das Gesetz ganz bewusst so geändert hat, dass den Privaten die Möglichkeit eröffnet wurde, immer wieder vor den Gerichten gegen die Kommunen zu klagen. Das tun sie häufig mit Erfolg. (Florian Post [SPD]: Deswegen ändern wir das ja!) Das muss geändert werden. Das steht auch im Koalitionsvertrag. Das finde ich gut. Aber ehrlich gesagt: Bisher haben Sie diese wichtige Chance verpasst. Wir als Linke stellen jetzt schon zum dritten Mal dieses Thema hier zur Abstimmung. Ich selber frage seit eineinhalb Jahren bei der Regierung nach, wo denn die Novelle des Gesetzes bleibt. Man wurde vertröstet. Wenn ich die Antworten ernst nehme, dann komme ich zu dem Schluss: Es hätte hier schon vor einem Jahr ein Gesetzentwurf vorliegen sollen. Alles, was wir bisher haben, ist ein Referentenentwurf, der irgendwo herumliegt, aber noch nicht hier eingebracht ist und noch nicht einmal innerhalb der Regierung fertig abgestimmt ist. So geht es nicht, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich glaube inzwischen, dass diese Verbummelungsstrategie nicht Unfähigkeit ist, sondern Absicht. Es scheint ja Teile in der Koalition zu geben, die einfach nicht wollen, dass die Kommunen in dieser Frage Rechtssicherheit haben. So sieht es doch aus. Es stand schon vor ein paar Monaten in der Zeitung – ganz konkret: im Spiegel, wo genau darüber berichtet wurde –, dass selbst Minister Gabriel möglicherweise ein Interesse hat, auf die Bremse zu drücken, (Florian Post [SPD]: Nicht alles glauben, was in der Zeitung steht!) um den privaten Energiekonzernen ihre lukrative Einnahmequelle nicht zu nehmen. Die Netzentgelte sind nämlich ein schöner Goldesel, mit einer sicheren Rendite von 9 Prozent. Das sind die Interessen, die dahinterstehen. Der Referentenentwurf, den Sie erwähnt haben und der auch mir bekannt ist, wird nach meiner Lesart nicht helfen. Die Inhousevergabe wird dort explizit abgelehnt. Nun ehrt es mich und meine Fraktion, dass wir in der Begründung des Gesetzentwurfs mit unseren parlamentarischen Initiativen auch erwähnt sind. Besser hätte ich es natürlich gefunden, die Argumente von uns und den kommunalen Spitzenverbänden hätten Sie überzeugt. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Inhousevergabe ist nach EU-Vergaberecht möglich. Und das ist auch kein Blankoscheck, Herr Kollege, das ist kommunale Selbstverwaltung – kommunale Selbstverwaltung, wie sie das Grundgesetz garantiert. Und genau die wollen wir stärken. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Florian Post [SPD]: Planwirtschaft!) Es ist richtig, dass kommunale Belange berücksichtigt werden sollen, aber auch nur dann, wenn sie den marktfreundlichen Zielen nicht widersprechen. Im Ergebnis bleibt es für die Kommunen unklar; im Ergebnis wird das weiter vor den Gerichten ausgetragen. Ich kann die große Verbesserung für die Kommunen an dieser Stelle beim besten Willen nicht erkennen. Anderswo – ich komme zum Schluss – ist die Debatte schon weiter. Zum Beispiel hat das Land Berlin beschlossen, das Land möge im Bundesrat für klarere rechtliche Regelungen einschließlich der Möglichkeit der Inhousevergabe eintreten. Dieser Empfehlung einer Enquete-Kommission haben alle Fraktionen zugestimmt, außer der Union, aber auch der SPD, die in Berlin wie im Bund mit der CDU gemeinsam regiert. Also: Fassen Sie sich bitte ein Herz: Stimmen Sie heute unserem Antrag zu! Die Kommunen werden es auch Ihnen danken. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Matthias Heider für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Matthias Heider (CDU/CSU): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In fünf Minuten ist so viel durcheinandergeraten, dass wir das erst einmal sortieren müssen. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Wir haben Ihre Rede doch noch gar nicht gehört!) Um es vorweg zu sagen: 750 Stadtwerke in Deutschland sind ein verlässlicher Partner. Sie sind verlässlich beim Netzbetrieb, bei der Energielieferung, beim Stromsparen oder bei Energiedienstleistungen. Stadtwerke spielen in der Gemeindewirtschaft eine große Rolle. Das tun sie seit vielen Jahrzehnten: Etwa seit Mitte des 19. Jahrhunderts sind Energieversorgungsdienstleistungen auch von der öffentlichen Hand selbst angeboten worden. Nur, die Rahmenbedingungen haben sich im Laufe der Jahrzehnte, insbesondere mit der Liberalisierung des Strommarktes in Europa, verändert. Das unserer Wirtschaftsordnung zugrundeliegende Leitbild ist das der sozialen Markwirtschaft. Es umfasst insbesondere die Idee des Wettbewerbs auf den Märkten. Seit den 90erJahren haben wir in Deutschland einen liberalisierten Strommarkt. Hier gibt es einen funktionierenden, wenn auch regulierten Wettbewerb. Die Linken wollen mit Ihrem Antrag diesen Wettbewerb beseitigen. Sie wollen mal eben das Grundprinzip unserer Wirtschaftsordnung beseitigen und auf dem Energiesektor einfach außer Kraft setzten. (Zurufe von der LINKEN) Das Prinzip „fairer Wettbewerb“ muss jedoch auch bei der Konzessionsvergabe gelten. Es muss oberste Priorität haben. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das steht aber nicht im Grundgesetz!) Auch die kommunalen Unternehmen müssen sich diesem Wettbewerb stellen. Das Europäische Parlament hat eine Systementscheidung getroffen: Netze müssen im Wettbewerb vergeben werden. Das gilt auch bei uns in Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU) Liebe Kollegen von der Linken: Haben Sie aus dem Verfahren des Bundeskartellamtes gar nichts gelernt? Das Bundeskartellamt musste mehrfach wegen Wettbewerbsbeschränkungen der Kommunen zulasten Dritter in die Vergabepraxis bei den Kommunen eingreifen. Die Kommunen sollten daher bei der Vergabe der Wegenutzungsrechte nicht ausschließlich zugunsten ihres eigenen Stadtwerkes handeln. Schauen wir uns einmal an, was zwei Jahre vor Vergabe eines Konzessionsvertrages passiert. Die Vergabe wird zunächst einmal bekannt gemacht. Es werden Ausschreibungen gemacht, es wird verhandelt, verschiedene Anbieter werben für ihr Angebot. Meine Damen und Herren, da findet Wettbewerb statt. Da wird nicht einfach einer ausgeguckt, der dort zu Hause ist, nämlich das eigene Stadtwerk, sondern es wird derjenige ausgesucht, der das wirtschaftlichste Angebot macht. Das erwarten die Verbraucherinnen und Verbraucher, nämlich dass ein wirtschaftliches Angebot zum Zuge kommt. (Beifall bei der CDU/CSU) Das hat auch der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom Dezember 2013 so gesehen. Er hat entschieden, dass eine Gemeinde, die den Netzbetrieb an einen Eigenbetrieb übertragen möchte, sich gerade nicht auf die Grundsätze der Inhousevergabe berufen kann. Nach Auffassung der Kartellbehörden und des Bundesgerichtshofes ist die Kommune bei der Vergabe der Konzession in ihrer Stellung marktbeherrschend, da nur sie die Wegerechte hat und diese an einen Netzwerkbetreiber vergeben kann. In einem solchen Fall ist es daher zwingend, dass wir das Verfahren der Vergabe diskriminierungsfrei ausgestalten. Sie haben eben die Inhousevergabe genannt. Was heißt das eigentlich, Inhousevergabe? Da gibt es zwei Kriterien: Es gibt zum einen die Kontrolle: Sie müssen über ein Netzversorgungsunternehmen die Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle haben. Jetzt frage ich Sie: Welcher Bürger möchte das denn schon, dass seine Energielieferung wie eine Dienststelle behandelt wird? Und es gibt zum anderen das Wesentlichkeitskriterium: Der Auftraggeber muss über den Auftragnehmer ganz wesentlich die Kontrolle behalten können. Auch das ist mit Wettbewerb so nicht zu vereinbaren. Die Einbeziehung der Grundsätze der Inhousevergabe an dieser Stelle ist nicht nur risikoreich, sie ist auch europarechtlich nicht möglich, weil das energierechtliche Regime in Europa dort gerade diese Maßgabe nicht zulässt. Unser Bestreben ist es, zu einer wettbewerbsgemäßen Vergabe zu kommen. Die Kommunen sollen nach Ihrer Auffassung weitere Ziele, weitere gemeindewirtschaftliche Ziele bei der Vergabe berücksichtigen können. Maßstab bei der Netzübergabe müssen aber gerade objektive Kriterien sein, wie sie der Kollege Post gerade angesprochen hat. Diese sind im § 1 des Energiewirtschaftsgesetzes festgelegt: Versorgungssicherheit, Preisgünstigkeit, Verbraucherfreundlichkeit und Umweltverträglichkeit. Es sind Kriterien, die im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher sind. Die gehören in ein solches Gesetz hinein. Im Übrigen sieht das auch der Referentenentwurf des Bundeswirtschaftsministeriums zur Änderung des § 46 EnWG vor, und die Frage ist, welche Interessen darüber hinaus noch als kommunale Belange Berücksichtigung finden können. Nun, das können ganz einfache Dinge sein, etwa beim Straßenbau: Wer hat sich als Bürger nicht schon mal darüber aufgeregt, dass achtmal die Straße aufgerissen wird, um eine Gasleitung, eine Stromleitung, eine Wasserleitung und auch noch ein Kabel zu verlegen? All diese Dinge können bei einer Vergabe Berücksichtigung finden. Auch deshalb wird es an dieser Stelle etwas mehr Rechtssicherheit geben. Zum wettbewerbsrechtlichen Aspekt. Sie, die Linken, suggerieren durch Ihren Antrag, die Rechtssicherheit könne den Wettbewerb übertrumpfen, ja geradezu ausschalten. Dazu ist zu sagen: Es findet auch beim Netzbetrieb Wettbewerb statt. Stromlieferung und Netzbetrieb sind schon getrennt. Es werden sich jedenfalls keine weiteren Vorteile durch eine Inhousevergabe ergeben. Der Netzbetrieb ist an Regulierungsvorschriften gebunden: Um die Netzentgeltverordnung und die Anreizregulierungsverordnung kommt auch eine Gemeinde nicht herum. Als weiteres Moment nennen Sie die Investitionen in die Netze. Wir werden in den nächsten Jahren, bis 2030, 23 Milliarden Euro in Netze investieren müssen. Da wünsche ich mir als Bürger, dass solche Entscheidungen im Wettbewerb getroffen werden und dass bei einer Inhousevergabe nicht etwa nur die eigene Gemeinde zum Zuge kommt. Das ist auch im Interesse niedriger Netzentgelte. Denn sie wirken sich auf den Gesamtpreis aus, zu dem der Haushalt mit Strom versorgt werden kann. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, es ist letztendlich auch eine grundsätzliche Frage, wie weit die Gemeindewirtschaft ausgeweitet werden kann – gerade vor dem Hintergrund, welche Züge das heute Morgen im Bundesrat angenommen hat. Die Entsorgungswirtschaft stand da in Rede. Die Mehrheit der Bundesratsvertreter forderte einfach einmal eben die Verstaatlichung aller dualen Systeme in Deutschland. Sie wissen: Das sind diejenigen, die im Rahmen der Verpackungsverordnung die Systemdienstleistungen gewähren. (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Armes Deutschland!) Wir brauchen nicht mehr Staat im Wettbewerb, wir brauchen weniger Staat im Wettbewerb, damit diese Leistungen günstiger werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ralph Lenkert [DIE LINKE]: So ein Quatsch! Sie haben keine Ahnung von Abfallwirtschaft! – Caren Lay [DIE LINKE]: Sie beten da wirklich einen Götzen an!) – Ich freue mich, dass Sie das Thema auch als wichtig erkannt haben und Sie sich noch einmal zu Wort melden wollen. Im anstehenden Gesetzgebungsverfahren – da komme ich gerne zur Regelung des § 46 EnWG zurück – werden wir keine Verstaatlichung der Netze weiter vorantreiben, sondern werden die kommunalen Belange, die vertretbar sind, mit einer besonderen Positionierung versehen. Es kann nur um Regelungen gehen, die auf Kosteneffizienz, auf Versorgungssicherheit gerichtet sind – jedenfalls keine anderen. Wir werden als Koalition dazu beitragen, dass es mehr Rechtssicherheit bei der Übergabe und Übernahme von Netzen gibt. So haben wir es im Koalitionsvertrag vereinbart. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Dr. Julia Verlinden das Wort. Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dieses Jahr droht die Energiewende zum Stillstand zu kommen; denn dreckige Kohlekraftwerke kriegen Milliardensubventionen und die erneuerbaren Energien eine Obergrenze. Wenn es nach den Plänen der Union geht, dann sollte am besten gar kein Windrad und gar keine Solaranlage mehr gebaut werden. Was für ein herber Rückschlag, und was für eine wirtschafts- und klimapolitische Kurzsichtigkeit! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Heute beraten wir einen Antrag zur Rekommunalisierung der Energienetze. Es existiert nach wie vor eine große Rechtsunsicherheit für Kommunen bei der Übernahme der Verteilnetze. Das Engagement der Bürgerinnen und Bürger und auch der Kommunen vor Ort ist enorm wichtig für die Akzeptanz und auch für den Antrieb der Energiewende. Das hört eben nicht bei den Versorgungsanlagen für erneuerbare Energien auf; die Menschen wollen auch Mitbestimmung hinsichtlich der Infrastruktur für die Energiewende erhalten. Das wollen wir Grüne mit ermöglichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Volksbegehren in Hamburg im Jahr 2013 zum Beispiel hat gezeigt: Die Hamburger wollen die Strom-, Fernwärme- und Gasleitungsnetze wieder vollständig in öffentlicher Hand sehen. Das Ziel einer sozial gerechten, klimaverträglichen und demokratisch kontrollierten Energieversorgung aus erneuerbaren Energien bekam die Mehrheit. So viel zu dem, was Sie eben gefragt haben: Wer von den Menschen will das denn? Sehr viele Menschen wollen das offenbar, wie das Hamburger Ergebnis gezeigt hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das überrascht mich in Zeiten von Handelsabkommen wie TTIP und CETA auch gar nicht, in denen sich Kommunen vermehrt zu Wort melden und fordern, dass ihre wirtschaftliche Betätigung im Bereich der Daseinsvorsorge und der kommunalen Infrastruktur nicht weiter eingeschränkt wird und so zentrale Dinge wie die Trinkwasserversorgung nicht liberalisiert werden. Manche Kommunen arbeiten bezüglich der Energienetze gut mit privaten Betreibern zusammen. Andere wollen es lieber selbst machen. Wieder dritte sehen in einer gemeinsamen Partnerschaft das beste Modell. Wichtig ist uns Grünen, dass a) die Kommunen selbst entscheiden können, welchen Weg sie gehen möchten, und b) dieser Weg dann auch rechtssicher ist. Denn das gehört zu unserem Verständnis von verantwortungsbewusster öffentlicher Daseinsvorsorge. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nach unserer hitzigen Debatte vor knapp einem Jahr sind wir bis heute nicht weitergekommen. Die Bundesregierung hat die Rechtsunsicherheit, die sich für Kommunen bei der Übernahme der Verteilnetze aus dem § 46 Energiewirtschaftsgesetz ergibt, immer noch nicht beseitigt. Im Übrigen sind diese Rechtsunsicherheiten auch für Genossenschaften und private Unternehmen wenig hilfreich. Staatssekretär Beckmeyer hat uns im letzten März versprochen, dass es bis zur Sommerpause einen Entwurf der Bundesregierung und dann auch ein parlamentarisches Verfahren geben soll. Damals dachte ich, er meine die Sommerpause 2015. Da habe ich mich offenbar getäuscht. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das kann passieren!) Inzwischen liegt zwar ein Entwurf vor, der vielleicht nächsten Monat vom Kabinett beschlossen wird, aber wann das parlamentarische Verfahren startet und wann die neuen Regelungen in Kraft treten können, das steht in den Sternen. (Florian Post [SPD]: Vor dem Sommer!) – Ja, ich bin gespannt, Herr Post. – Aber das ist doch kein Zustand. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Die Koalition scheint in der Energiepolitik ausgebrannt und zerstritten zu sein. Auch andere energiepolitische Vorhaben werden immer weiter nach hinten verschoben. Sie sollen aber doch die anstehenden Aufgaben lösen und nicht ständig alles vertagen. Sie von der Bundesregierung scheinen den Kommunen nicht zuzutrauen, selbst zu entscheiden, ob Sie die wichtige Aufgabe des Netzbetriebs übernehmen wollen. Denn eine Inhousevergabe wollen Sie in Ihrem Entwurf nicht zulassen. Darüber hinaus schaffen Sie neue Rechtsunsicherheiten. Zum Beispiel heißt es im Referentenentwurf zu § 46 Absatz 4 EnWG: Bei der Gewichtung der einzelnen Auswahlkriterien ist die Gemeinde berechtigt, den Anforderungen des jeweiligen Netzgebietes Rechnung zu tragen. Das wird in der Praxis zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit führen, weil dann in jedem Einzelfall eingewandt werden kann, dass die Gewichtung den Anforderungen des Netzgebiets womöglich nicht Rechnung getragen hat. Ich frage Sie: Soll das die neue Rechtssicherheit sein? Das ist nicht Ihr Ernst! Dass Sie die Rekommunalisierung der Verteilnetze nicht erleichtern wollen, das haben Sie von den Koalitionsfraktionen ja schon in der ersten Lesung zu diesem Antrag im März letzten Jahres mehrfach angemerkt. Aber mehr Rechtssicherheit schaffen Sie mit diesem Gesetzentwurf auch nicht. (Beifall der Abg. Caren Lay [DIE LINKE]) Wir setzen uns seit Jahren dafür ein, dass endlich eine Rechtslage herbeigeführt wird, die Klarheit für die Kommunen schafft, die die Stromnetze selbst betreiben wollen. Denn Energiewende, sei es bei den erneuerbaren Energien, bei der Energieeffizienz oder bei den Energienetzen, geht nur zusammen mit den Bürgerinnen und Bürgern und gemeinsam mit den Kommunen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Johann Saathoff hat für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Johann Saathoff (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im vergangenen Jahr haben wir an dieser Stelle oft über die Verfahren zur Konzessionsvergabe gesprochen. Wir Koalitionsabgeordnete haben betont, dass wir das, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, bald umsetzen wollen. Wir sind jetzt auf der Zielgeraden, man kann auch sagen: quasi einen Wimpernschlag vom Ziel entfernt. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schauen wir mal!) Der Referentenentwurf aus dem Ministerium ist Ihnen nicht nur vermutlich, sondern, wie wir heute in der Debatte gehört haben, allen bestens bekannt. Die Länder- und Verbändeanhörung ist abgeschlossen, und jetzt laufen die Arbeiten für einen Kabinettsbeschluss. Das ist sehr wichtig für uns; denn es kann für die Legislative kein befriedigender Zustand sein, wenn die Gesetzgebung der Rechtsprechung hinterherhinkt. Deshalb bin ich froh, dass wir diesen Zustand in diesem Jahr beenden werden. „De Driever un de Esel denken selten gliek“ – der Treiber und der Esel denken selten gleich –, das gilt auch für das Verhältnis von Alt- zu Neukonzessionär. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Ich dachte, von CDU und SPD! – Heiterkeit bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen, dass es in vielen Bereichen der Konzessionsvergabe mehr Rechtssicherheit geben wird, sei es beim Auskunftsanspruch von Gemeinden, bei der Vergütung beim Netzübergang oder bei den Rügeobliegenheiten. Außerdem muss die Konzessionsabgabe bei einer Verzögerung des Netzübergangs vom Altkonzessionär unbefristet weitergezahlt werden. Hier einfach zu behaupten, es sei keine Rechtssicherheit eingetreten, finde ich gerade in diesem Punkt nicht angemessen und nicht fair. Damit wären viele Streitpunkte in dem Entwurf und die rechtlichen Unsicherheiten entschärft. Beim Bewertungsverfahren – das gebe ich zu – sehe ich dringenden Handlungsbedarf, gerade im Fall einer Rekommunalisierung. Egal ob die Kommune einen viel zu hohen Betrag an den Altkonzessionär zahlen muss oder ob sie wegen des vermeintlich zu geringen Betrages verklagt wird: Beide Fälle bedeuten für Städte und Gemeinden ein enormes finanzielles Risiko. Von diesem Damoklesschwert wollen wir sie befreien. Gerade in Zeiten, in denen die Kommunen ohnehin schon vor enormen Herausforderungen stehen, haben es die Kommunen verdient, dass wir sie in solchen Verfahren vor Unsicherheiten schützen. Beim Netzübergang vom Alt- auf den Neukonzessionär besteht der Streit meist darin, dass sich Ersterer auf den Sachzeitwert beruft. Vereinfacht dargestellt bleibt das Netz Eigentum der Gemeinde; denn diese entscheidet am Ende des Konzessionszeitraums darüber, wie es weitergeht. Der Neukonzessionär wird zwar formal Netzeigentümer, es ist ihm aber eben nicht möglich, das Netz zu verkaufen und so den Sachzeitwert auch tatsächlich zu erlösen. Daher ist es für einen Konzessionär maßgeblich, welchen Gewinn er im Konzessionszeitraum erzielen kann, und deswegen wollen wir den objektiven Ertragswert als Richtschnur für den Netzübergang vorgeben. Davon unberührt bleiben sollen natürlich einvernehmlich Regelungen zwischen dem Alt- und dem Neukonzessionär. Dass Altkonzessionäre die Zahlungen einstellen können, obwohl sie selbst der Bremsklotz sind, das halte ich für falsch. Auch hier wollen wir die Stellung der Städte und Gemeinden verbessern. Manchmal waren die Altkonzessionäre auch deshalb ein Bremsklotz, weil sie sich geweigert haben, Kommunen, die die Absicht hatten, ihre Netze neu auszuschreiben, die notwendigen Daten über das Gas- und das Stromnetz zur Verfügung zu stellen. Ich habe diese Erfahrung selbst gemacht. Als ich vor einigen Jahren als Bürgermeister die Konzession neu ausschreiben wollte, haben wir vom Altkonzessionär über Jahre hinweg keine Daten über das Netz erhalten. Wir mussten uns behelfen und anhand der Straßen die Länge der Leitungen abschätzen. Das ist aber zum Beispiel in einer Fehngemeinde äußerst kompliziert, wo auf beiden Seiten der Kanäle Straßen verlaufen. Das ist fast nicht möglich, zumindest mit enormen Unsicherheiten verbunden. Rechtssicherheit im Sinne der Kommunen herzustellen, ist also dringend geboten. Es kann nicht sein, dass Kommunen durch die Vorenthaltung der Daten und die damit verbundenen Unsicherheiten davon abgehalten werden, ihr Netz tatsächlich zu rekommunalisieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Energieversorgung ist Daseinsvorsorge; darüber sind wir uns einig. Auch in ländlichen Regionen, wo die Landschaft zwar toll, die Menschen aber rar sind, sollen alle mit Strom und Gas versorgt werden, und zwar möglichst störungsfrei. Ich habe das eben in meiner Rede zum Strommarktgesetz schon einmal gesagt: Strom muss aus der Steckdose kommen – immer. Dazu muss das Netz in einem guten Zustand sein, und die Frequenz muss stimmen. Aber einem ökologischen Anspruch, den Sie im vergangenen Jahr auch schon gefordert haben, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, kann man mit dem Netzbetrieb nicht gerecht werden; denn den Fluss des Stroms kann man nicht beeinflussen. Einem ökologischen Anspruch kann man nur durch den Ausbau der erneuerbaren Energien gerecht werden. (Caren Lay [DIE LINKE]: Wir sind auch dafür!) Das soll aber nicht bedeuten, dass die Kommunen bei der Ausschreibung keine weiteren Kriterien berücksichtigen können oder sollen als die fünf Ziele in § 1 EnWG: möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche Energieversorgung. Das können sie sehr wohl. Es kommt aber auf die Art und die Gewichtung der Kriterien an. Hier herrscht meiner Meinung nach erhebliche Unklarheit. Mit dieser Frage müssen wir uns im weiteren Verfahren noch beschäftigen. Hier halte ich eine Klarstellung für dringend notwendig. Nachdem wir im vergangenen Jahr mehrfach über den § 46 EnWG gesprochen haben, werden wir das auch in diesem Jahr wieder tun, allerdings mit einem Gesetzentwurf als Gesprächsgrundlage. Ich freue mich auf konstruktive Diskussionen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Andreas Lenz für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dem Antrag der Linken geht es um eine Bevorzugung der Kommunen bei der Vergabe von Netzen. Die Linken wollen wieder einmal den Wettbewerb einschränken, ja aushebeln. Dabei schafft Wettbewerb Wohlstand. (Caren Lay [DIE LINKE]: Ja, für die Energiekonzerne!) Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Ich habe überhaupt nichts gegen Rekommunalisierung, aber nur dann, wenn sich die Kommunen bzw. die kommunalen Unternehmen dem Wettbewerb mit den privaten Unternehmen stellen. Sie fordern in Ihrem Antrag eine grundsätzliche Rekommunalisierung der Energienetze, konkret sollen etwa Direktvergaben ohne Auswahlverfahren an kommunale Unternehmen zulässig sein, die sogenannten Inhousevergaben. Das würde zu einer Einschränkung des Wettbewerbs um die Strom- und Gasnetze führen. Es entstünde so die Gefahr steigender Nutzungsentgelte, also steigender Strompreise für die Letztverbraucher. Anders gesagt: Sie wollen Staatswirtschaft, wir wollen Marktwirtschaft. So schaut es doch aus. (Beifall bei der CDU/CSU) Bei der Auswahlentscheidung ist die Gemeinde den Zielen des § 1 Energiewirtschaftsgesetz verpflichtet; wir hörten es gerade. Ziel ist eine möglichst sichere, preisgünstige, effiziente und umweltverträgliche Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas. Das schließt wirksame Klimaschutzkonzepte überhaupt nicht aus. Schon jetzt haben die Kommunen bei der Vergabe nach § 46 EnWG Spielraum bei der Formulierung von Auswahlkriterien. Sie können natürlich auch selbst per Eigenbetrieb oder durch ein kommunales Unternehmen an der Vergabe teilnehmen. Letztlich geht es darum, dass nicht die Kommune von der Ausschreibung profitiert, sondern der Kunde. Zweifelsohne gibt es einen Trend zur Rekommunalisierung. Über 120 neue Energieversorgungsunternehmen wurden seit 2005 gegründet, mehr als 200 Konzessionen von kommunalen Unternehmen übernommen. Das ist überhaupt nicht schlecht, das ist sogar sehr oft sehr gut. Rekommunalisierung muss möglich sein und wird auch möglich bleiben. Aber es ist immer eine Einzelfallentscheidung. Die Kommune muss immer prüfen, ob sie ein Netz übernehmen kann, die Mittel und das Know-how dazu hat. Das ist eben nicht immer der Fall. Ich möchte noch auf Ihren Vorwurf der Missachtung der kommunalen Selbstverwaltung eingehen. Kommunale Selbstverwaltung heißt nicht, dass eine Rekommunalisierung erfolgen muss. Ziel muss es sein, den Regulierungsrahmen so zu setzen, dass eine sichere, preiswerte und umweltverträgliche Energieversorgung gewährleistet wird. Der Bundesgerichtshof hat in mehreren Urteilen – Kollege Heider hat darauf hingewiesen – klargestellt, dass sowohl die Pflicht der Gemeinden zur Durchführung eines Vergabeverfahrens wie auch die Bindung an die Ziele des § 1 Energiewirtschaftsgesetz mit der kommunalen Selbstverwaltung in Einklang stehen. Es ist nicht so, dass der Netzbetrieb eine kommunale oder eine hoheitliche Aufgabe wäre. Die aktuelle gesetzliche Regelung beschränkt also die Gemeinden nicht, sondern stellt sie mit privaten Unternehmen gleich. Jede Kommune kann mit einem eigenen Unternehmen oder einem Eigenbetrieb am Wettbewerb teilnehmen und den Netzbetrieb gegebenenfalls selbst übernehmen. Im Koalitionsvertrag ist vorgesehen, die Vergabe und den Netzübergang hinsichtlich der Verteilnetze eindeutig und rechtssicher zu regeln. Das Bundeswirtschaftsministerium hat hierzu einen Referentenentwurf vorgelegt. Im Rahmen der parlamentarischen Behandlung des Gesetzentwurfes können wir hierzu gerne noch einmal diskutieren. Es gibt durchaus bei der einen oder anderen Stelle Diskussionsbedarf. Der Entwurf sieht insgesamt eine Konkretisierung der Vorschriften zur Vergabe von Wegenutzungsverträgen vor. So werden für die beteiligten Unternehmen und Gemeinden die Rechts- und auch die Planungssicherheit beim Netzübergang verbessert. Außerdem wird dadurch die für die Energiewende notwendige Modernisierung der Verteilnetze beschleunigt. Wir stehen also für Wettbewerb, Sie für Zwangsverwaltung. Wettbewerb hat eine heilsame Wirkung; denn er zwingt zu Effizienz und Kostendisziplin und sichert dadurch den Verbrauchern die beste Leistung zum besten Preis. So ist das in der Marktwirtschaft. Ihren Antrag lehnen wir deshalb ab. Schönes Wochenende und herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Energienetze zurück in die öffentliche Hand – Rechtssicherheit bei der Rekommunalisierung schaffen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5274, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4323 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 17. Februar 2016, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen alles Gute bis dahin. (Schluss: 14.48 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Albsteiger, Katrin CDU/CSU 29.01.2016 Feiler, Uwe CDU/CSU 29.01.2016 Fischer (Karlsruhe-Land), Axel E. CDU/CSU 29.01.2016 Freudenstein, Dr. Astrid CDU/CSU 29.01.2016 Gabriel, Sigmar SPD 29.01.2016 Gädechens, Ingo CDU/CSU 29.01.2016 Gohlke, Nicole DIE LINKE 29.01.2016 Groth, Annette DIE LINKE 29.01.2016 Hardt, Jürgen CDU/CSU 29.01.2016 Hitschler, Thomas SPD 29.01.2016 Holzenkamp, Franz-Josef CDU/CSU 29.01.2016 Hübinger, Anette CDU/CSU 29.01.2016 Jantz, Christina SPD 29.01.2016 Jung, Xaver CDU/CSU 29.01.2016 Karawanskij, Susanna DIE LINKE 29.01.2016 Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 29.01.2016 Kühn (Tübingen), Christian BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 29.01.2016 Launert, Dr. Silke CDU/CSU 29.01.2016 Lühmann, Kirsten SPD 29.01.2016 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 29.01.2016 Mattfeldt, Andreas CDU/CSU 29.01.2016 Möring, Karsten CDU/CSU 29.01.2016 Müller, Dr. Gerd CDU/CSU 29.01.2016 Murmann, Dr. Philipp CDU/CSU 29.01.2016 Notz, Dr. Konstantin von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 29.01.2016 Özdemir, Cem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 29.01.2016 Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 29.01.2016 Rebmann, Stefan SPD 29.01.2016 Röring, Johannes CDU/CSU 29.01.2016 Rosemann, Dr. Martin SPD 29.01.2016 Scheuer, Andreas CDU/CSU 29.01.2016 Schlecht, Michael DIE LINKE 29.01.2016 Schwartze, Stefan SPD 29.01.2016 Silberhorn, Thomas CDU/CSU 29.01.2016 Spinrath, Norbert SPD 29.01.2016 Steinbach, Erika CDU/CSU 29.01.2016 Steinke, Kersten DIE LINKE 29.01.2016 Tank, Azize DIE LINKE 29.01.2016 Timmermann-Fechter, Astrid CDU/CSU 29.01.2016 Ulrich, Alexander DIE LINKE 29.01.2016 Veit, Rüdiger SPD 29.01.2016 Vogt, Ute SPD 29.01.2016 Wagner, Doris BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 29.01.2016 Warken, Nina CDU/CSU 29.01.2016 Wicklein, Andrea SPD 29.01.2016 Woltmann, Barbara CDU/CSU 29.01.2016 Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede des Abgeordneten Christian Petry (SPD) zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/91/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 zur Änderung der Richtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) im Hinblick auf die Aufgaben der Verwahrstelle, die Vergütungspolitik und Sanktionen (152. Sitzung, Tagesordnungspunkt 14) Christian Petry (SPD): Mit den umfangreichen Gesetzen, die wir bislang im Bereich des Finanzmarktes in dieser Legislaturperiode umgesetzt haben, tragen wir den krisenhaften Entwicklungen der vergangenen Jahre im Finanzmarktbereich Rechnung. Dabei liegt unser Fokus primär auf dem Schutz der Anlegerinnen und Anleger. Bereits bestehende Regelungen im Bereich des Finanzmarktes gilt es dabei kontinuierlich zu hinterfragen, wo angebracht zu harmonisieren und gegebenenfalls anzupassen. Mit dem vorliegenden Umsetzungsgesetz tun wir heute genau dies und überarbeiten das seit nunmehr drei Jahrzehnten geltende europäische OGAW-Regelwerk. Durch Änderungen im Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) und im Kreditwesengesetz (KWG) stellen wir einen einheitlichen Standard beim Anlegerschutz im Bereich des Fondswesens sicher und fördern zeitgleich die Marktintegrität. Dabei kommt es insbesondere mit Blick auf die Vergütungspolitik von Fonds und die Sanktionsmöglichkeiten der BaFin als nationaler Aufsichtsbehörde zu umfassenden Neuerungen. Darüber hinaus werden die Vorgaben für bislang verschiedenartig regulierte Investmentvermögen vereinheitlicht. Mit der immer stärker werdenden Rolle der Investmentfondsbranche steigt deren systemische Relevanz für die Finanzstabilität – nicht nur in Europa, sondern auch in Deutschland. Der Investmentfondssektor stellt in der Bundesrepublik mittlerweile den größten Akteur im Schattenbankensektor dar. Im vergangenen Jahr konnten die deutschen Fondsverbände neue Rekordstände vermelden. Dabei belief sich das von der Fondsindustrie verwaltete Vermögen auf über 2,6 Billionen Euro. Nicht erst seit den jüngsten Warnungen der EBA und der Bundesbank wissen wir um die Gefahren, die für Finanzstabilität und Realwirtschaft von Schattenbankenaktivitäten außerhalb des etablierten Bankensystems ausgehen können. Wir haben diesen sehr wichtigen Punkt kontrovers und offen diskutiert. Einen besonderen Dank an dieser Stelle an meinen Kollegen Fritz Güntzler für die guten und kollegialen Beratungen. Es ging uns bei den Gesprächen darum, sicherzustellen, dass Beteiligungskapital auch zukünftig in der Bundesrepublik für den Wagniskapitalbereich generiert werden kann. Dabei war uns jedoch immer klar, dass der Anlegerschutz Priorität haben muss. Mit dem nun vorliegenden Gesetz haben wir einen guten Kompromiss erreicht. Zukünftigen europarechtlichen Regelungen im Fondsbereich ebnen wir mit dem OGAW-V-Umsetzungsgesetz an entscheidenden Stellen den Weg. So wird erstmalig die Kreditvergabemöglichkeit für Fonds rechtlich verbindlich geregelt und kontrolliert. Offene bzw. geschlossene Fonds können zukünftig 30 bzw. 50 Prozent ihres Kapitals an Gesellschafter und „Nichtverbraucher“ in Form von Gelddarlehen vergeben. Aufgrund der umfangreichen regulatorischen Maßnahmen werden hierbei potenzielle Risiken der kreditvergebenden Fonds minimiert. Der gestiegenen ökonomischen Bedeutung, die Investmentfonds einnehmen, stehen somit umfangreiche Anforderungen gegenüber, die einen umfassenden Schutz der Anleger sicherstellen. Daneben haben wir für bestimmte Investmentvermögen Bestandschutzregeln geschaffen und sind in einem wichtigen Punkt einer Forderung der Fondsindustrie und der Anlegerschützer entgegengekommen: Die BaFin muss zukünftig verbindlich innerhalb von acht Wochen die Übertragung eines Fonds von einer Kapitalverwaltungsgesellschaft auf eine andere Kapitalverwaltungsgesellschaft regeln. Diese Frist ist im Interesse aller beteiligten Akteure. Sie schafft Rechtssicherheit. Basierend auf der BaFin-Verwaltungspraxis ist es seit Mai 2015 geschlossenen und offenen Fonds gleichermaßen möglich, Darlehensforderungen durch Prolongation oder Restrukturierung zu verwalten. Wir haben uns darauf geeinigt, dass dies auch weiterhin offenen Spezial-AIF möglich sein soll. Insbesondere in ökonomischen Krisensituationen ist es auch im Interesse der Fondsanleger, dass der Fonds seinen Fortbestand durch eine Änderung seiner Modalitäten sicherstellen kann. Die Sanktionsmöglichkeiten der BaFin als national zuständiger Aufsichtsbehörde haben wir im Sinne des Anlegerschutzes in drei Bereichen ausgeweitet und verschärft: Erstens. Den Bußgeldrahmen bei Verstößen haben wir neu strukturiert. Zukünftig kann die BaFin die Höhe zu zahlender Strafen an die Umsätze eines Fonds koppeln. Zweitens. Daneben kann die BaFin beim Vorliegen schwerwiegender Verstöße einem Fonds die Geschäftserlaubnis entziehen und Berufsverbote aussprechen. Drittens. Maßnahmen der Bundesanstalt müssen im Internet publik gemacht werden und können dort bis zu fünf Jahre öffentlich einsehbar sein. Mit dieser umfangreichen Ausweitung der Sanktionsmöglichkeiten durch die BaFin stellen wir auch weiterhin eine umfassende Transparenz für Anlegerinnen und Anleger sicher. Für die innerhalb der parlamentarischen Beratungen aufgeworfene Kritik der Grünen, der Zertifikatemarkt sei nach wie vor nicht ausreichend reguliert, habe ich persönlich sehr viel Verständnis. Da Zertifikate dem KAGB aber nicht unterfallen, waren solche Maßnahmen innerhalb dieses Gesetzesvorhabens nicht möglich. Wir werden die Kritik aber aufnehmen. Darüber hinaus werden wir zusammen mit der BaFin und dem Bundesfinanzministerium die Entwicklung darlehensaufkaufender Fonds analysieren. Durch die Regulierung der Bank, die innerhalb dieses Vertriebsweges Darlehen vergibt, wurde die Regulierung darlehensaufkaufender Fonds im aktuellen Gesetz nicht verfolgt. Da wir um die potenziellen Risiken wissen, die von solchen Investmentstrukturen für Anlegerinnen und Anleger ausgehen, werden wir diese Fonds kritisch im Auge behalten. Eine wichtige Änderung, die der vorliegende Gesetzentwurf formuliert, will ich an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen: Aufgrund europäischer Regelungen unterfielen eingetragene Genossenschaften bislang den gleichen bürokratischen Anforderungen, die beispielsweise Investmentfonds zu erfüllen haben. Dies führte zu einer immensen Belastung bürgerschaftlichen Engagements in der Bundesrepublik. Als zuständige nationale Aufsichtsbehörde hat die BaFin bereits im März des letzten Jahres ihre Verwaltungspraxis bezüglich eingetragener Genossenschaften grundlegend geändert: Seitdem obliegt es den genossenschaftlichen Prüfverbänden, Genossenschaften zu überprüfen und zuzulassen. Genossenschaften unterfallen seitdem nicht mehr den Anforderungen, die beispielsweise Hedgefonds erfüllen müssen. Mit dem OGAW-V-Umsetzungsgesetz wird die bisherige Verwaltungspraxis der BaFin nun in Gesetzesform gegossen. Für die rund 8 000 eingetragenen Genossenschaften in Deutschland ist dies ein wichtiger Punkt; denn für das gesellschaftliche Engagement in unserem Land bedeutet dies Rechtssicherheit. Somit enthält das sehr technische Umsetzungsgesetz einen ganz praktischen Aspekt, der genossenschaftlich organisierte Bündnisse stärkt, die sich zusammenschließen und mit großem Engagement ökonomische, gesellschaftliche, aber auch umweltpolitische Ziele verfolgen. Die Arbeit der genossenschaftlichen Prüfverbände werden wir aufmerksam begleiten. Die Verbände müssen sicherstellen, dass die Rechtsform der eingetragenen Genossenschaften nicht gezielt von schwarzen Schafen zur Umgehung gesetzlicher Anforderungen genutzt wird. Im Sinne eines einheitlichen europäischen Anlegerschutzes werden Anforderungen und Pflichten von Investmentgesellschaften mit dem vorliegenden Gesetz spürbar erhöht. Der Sanktionsrahmen bei Verstößen gegen Transparenzvorschriften wird dabei umfassend ausgeweitet. Differenzen zwischen unterschiedlichen Fondskategorien werden beseitigt, rechtliche Regelungen einander angepasst. Kurz: Die Produktstandards werden im Sinne des Anlegerschutzes innerhalb Europas vereinheitlicht. Die europaeinheitliche, kohärente Regelung im Bereich der Investmentvermögen ist folgerichtig und nur zu begrüßen. Denn einheitliche Anforderungen dienen sowohl der Rechtssicherheit der Investmentfonds als auch dem Schutz der Anlegerinnen und Anleger. Zudem ist es ausdrücklich zu begrüßen, dass eingetragene Genossenschaften zukünftig nicht mehr den gleichen bürokratischen Anforderungen unterliegen wie Investmentvermögen. Hierdurch unterstützen wir Genossenschaften nachhaltig und stärken das gesellschaftliche Engagement in Deutschland. Glück auf! Anlage 3 Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parlamentarischen Versammlung der OSZE 23. Jahrestagung der Parlamentarischen Versammlung der OSZE vom 28. Juni bis 2. Juli 2014 in Baku, Aserbaidschan Drucksachen 18/6733, 18/6847 Nr. 2 – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parlamentarischen Versammlung der OSZE 24. Jahrestagung der Parlamentarischen Versammlung der OSZE vom 5. bis 9. Juli 2015 in Helsinki, Finnland Drucksachen 18/6734, 18/6847 Nr. 3 – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Interparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik Tagung der Interparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik am 5. und 6. September 2015 in Luxemburg Drucksachen 18/6899, 18/7276 Nr. 1 – Unterrichtung durch die Delegation des Deutschen Bundestages in der Ostseeparlamentarierkonferenz 24. Jahrestagung der Ostseeparlamentarierkonferenz vom 30. August bis 1. September 2015 in Rostock-Warnemünde, Deutschland Drucksachen 18/7033, 18/7276 Nr. 6 – Unterrichtung durch die Delegation der Bundesrepublik Deutschland in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 21. bis 25. Januar 2013 in Straßburg Drucksachen 18/7128, 18/7276 Nr. 9 – Unterrichtung durch die Delegation der Bundesrepublik Deutschland in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 22. bis 26. April 2013 in Straßburg Drucksachen 18/7129, 18/7276 Nr. 10 – Unterrichtung durch die Delegation der Bundesrepublik Deutschland in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 24. bis 28. Juni 2013 in Straßburg Drucksachen 18/7130, 18/7276 Nr. 11 – Unterrichtung durch die Delegation der Bundesrepublik Deutschland in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 30. September bis 4. Oktober 2013 in Straßburg Drucksachen 18/7131, 18/7276 Nr. 12 Haushaltsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2015 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaushaltsordnung über die Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 11 02 Titel 636 85 – Zuschüsse zu den Beiträgen zur Rentenversicherung der in Werkstätten und Integrationsprojekten beschäftigten Menschen – bis zu einer Höhe von 30,428 Mio. Euro Drucksachen 18/6323, 18/6605 Nr. 1.2 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2015 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaushaltsordnung über die Einwilligung in eine außerplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 06 28 Titel 532 06 – Unterstützungsleistungen des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe bei der Verteilung von Flüchtlingen – bis zur Höhe von 32,7 Mio. Euro Drucksachen 18/6324, 18/6605 Nr. 1.3 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2015 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaushaltsordnung über die Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 06 25 Titel 532 06 – Verwendung, Einsätze und Maßnahmen der Bundespolizei zur Bewältigung der Flüchtlingslage in Deutschland – bis zur Höhe von 42,981 Mio. Euro Drucksachen 18/6523, 18/6605 Nr. 1.10 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2015 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaushaltsordnung über die Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 05 01 Titel 687 10 – Beitrag an die Vereinten Nationen – bis zur Höhe von 39,540 Mio. Euro Drucksachen 18/6524, 18/6605 Nr. 1.11 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2015 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaushaltsordnung über die Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 08 01 Titel 699 31 – Abschließende Leistungen zur Abgeltung von Härten in Einzelfällen – bis zur Höhe von 48,6 Mio. Euro Drucksachen 18/6953, 18/7116 Nr. 4 Ausschuss für Wirtschaft und Energie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im ersten Halbjahr 2015 Drucksachen 18/6460, 18/6605 Nr. 1.6 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 18/7127 Nr. A.1 Ratsdokument 14315/15 Finanzausschuss Drucksache 18/6855 Nr. A.3 Ratsdokument 13481/15 Haushaltsausschuss Drucksache 18/6855 Nr. A.4 Ratsdokument 13332/15 Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksache 18/6607 Nr. A.17 Ratsdokument 13111/15 Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 18/7286 Nr. A.14 Ratsdokument 14867/15 Verteidigungsausschuss Drucksache 18/6855 Nr. A.6 Ratsdokument 13143/15 Drucksache 18/6939 Nr. A.2 Ratsdokument 13725/15 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Drucksache 18/7127 Nr. A.6 Ratsdokument 14381/15 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 18/6855 Nr. A.16 Ratsdokument 13486/15 II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 153. Sitzung, Berlin, Freitag, den 29. Januar 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 153. Sitzung, Berlin, Freitag, den 29. Januar 2016 15123 Plenarprotokoll 18/153