Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 156. Sitzung Berlin, Freitag, den 19. Februar 2016 Inhalt: Zusatztagesordnungspunkt 5: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren Drucksache 18/7538 15343 A in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 17: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern Drucksache 18/7537 15343 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Luise Amtsberg, Dr. Franziska Brantner, Beate Walter-Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rechte von Kindern im Asylverfahren stärken Drucksache 18/7549 15343 B Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI 15343 C Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE) 15346 A Dr. Eva Högl (SPD) 15348 A Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 15349 C Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU) 15350 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 15352 A Ulla Jelpke (DIE LINKE) 15353 B Heiko Maas, Bundesminister BMJV 15354 D Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 15355 D Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 15357 A Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) 15358 D Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 15359 C Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 15362 A Ralf Jäger, Minister (Nordrhein-Westfalen) 15363 A Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU) 15364 B Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 15365 A Nina Warken (CDU/CSU) 15366 B Burkhard Lischka (SPD) 15367 D Andrea Lindholz (CDU/CSU) 15368 C Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 15369 B Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 15370 C Tagesordnungspunkt 18: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe: zu dem Entwurf des EU-Jahresberichts 2014 über Menschenrechte und Demokratie in der Welt – Ratsdok. 9593/15 Drucksachen 18/5982 Nr. A.47, 18/7552 15371 A Michael Roth, Staatsminister AA 15371 B Annette Groth (DIE LINKE) 15372 C Erika Steinbach (CDU/CSU) 15374 A Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 15375 C Angelika Glöckner (SPD) 15377 A Thorsten Frei (CDU/CSU) 15378 C Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU) 15379 D Tagesordnungspunkt 19: a) Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, Susanna Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Schutzfunktion der Arbeitslosenversicherung stärken Drucksache 18/7425 15382 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Jutta Krellmann, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Programm für gute öffentlich geförderte Beschäftigung auflegen Drucksachen 18/4449, 18/5158 15382 A Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) 15382 A Albert Weiler (CDU/CSU) 15383 C Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 15384 D Markus Paschke (SPD) 15385 D Kai Whittaker (CDU/CSU) 15387 B Dr. Matthias Bartke (SPD) 15388 C Matthäus Strebl (CDU/CSU) 15390 A Tagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Abgeordneten Ulle Schauws, Tabea Rößner, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Grundlagen für Gleichstellung im Kulturbetrieb schaffen Drucksachen 18/2881, 18/7351 15391 A Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU) 15391 A Sigrid Hupach (DIE LINKE) 15393 C Hiltrud Lotze (SPD) 15394 C Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 15396 A Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) 15397 C Burkhard Blienert (SPD) 15399 A Tagesordnungspunkt 21: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Richard Pitterle, Dr. Gerhard Schick, Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch, Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter, Jan van Aken, Luise Amtsberg und weiterer Abgeordneter: Einsetzung eines Untersuchungsausschusses Drucksachen 18/6839, 18/7601 15400 A Richard Pitterle (DIE LINKE) 15400 A Christian Hirte (CDU/CSU) 15401 A Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 15402 A Andreas Schwarz (SPD) 15403 A Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU) 15404 B Nächste Sitzung 15405 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 15407 A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 15407 D 156. Sitzung Berlin, Freitag, den 19. Februar 2016 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich und rufe unseren Zusatzpunkt 5, den Tagesordnungspunkt 17 sowie den Zusatzpunkt 6 auf: ZP 5 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren Drucksache 18/7538 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit 17. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern Drucksache 18/7537 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Haushaltsausschuss ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Luise Amtsberg, Dr. Franziska Brantner, Beate Walter-Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rechte von Kindern im Asylverfahren stärken Drucksache 18/7549 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist hierfür eine Aussprache von 96 Minuten vorgesehen. – Dazu stelle ich Ihr Einvernehmen fest. Dann verfahren wir so. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Bundesinnenminister Thomas de Maizière. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Beim Thema Flüchtlinge erleben wir in unserem Land eine breite, tiefe Bandbreite von Stimmungen und Gefühlen, ja vielleicht eine Spaltung zwischen Optimismus und Ernüchterung, Tatendrang und Müdigkeit, Mit- und Gegeneinander, Akzeptanz und Ablehnung, Gewalt und Versöhnung, schwierigem Abwägen und einfachen Parolen, Hoffnung auf Europa und Enttäuschung über Europa. All das ist kein bloßes Beiwerk zu der großen Aufgabe, an deren Lösung wir seit Monaten beharrlich arbeiten; es ist für uns alle Anstoß und Mahnung. Wir werden unsere Verantwortung nach außen nur wahrnehmen können, wenn wir in unserem Land und in unserer Gesellschaft den Zusammenhalt nach innen erhalten. Die Bundesregierung tut alles dafür, diese Situation national, europäisch und international zu bewältigen – unter Achtung unserer eigenen Interessen und mit Achtung gegenüber den zu uns kommenden Menschen. Lassen Sie mich ein paar Beispiele von vielen nennen. Allein in den vier Monaten seit Oktober haben wir die Zugangszahlen der Menschen aus dem Westbalkan drastisch reduziert. Insgesamt sind die Zahlen der Flüchtlinge zurückgegangen. Das reicht noch nicht; aber die Richtung stimmt. Wir haben die Digitalisierung des Asylverfahrens geschaffen und geben seit kurzem einheitliche Ankunftsausweise aus. Damit erhalten wir Klarheit über die, die zu uns kommen, wo sie hingehören und was sie können. Doppelzählungen hören auf und Selbstzuweisungen an einen Ort eigener Wahl auch. All das ist auch für die Sicherheit unseres Landes wichtig. Wir haben über den Bundeshaushalt massiv in Integration investiert. Auch hier ein Beispiel: In kürzester Zeit haben wir 8 000 weitere Lehrkräfte für Integrationskurse zugesagt. Wir haben das Personal beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aufgestockt. Seit Oktober wurden dort 300 000 Nachregistrierungen durchgeführt sowie Rückstände aus rund 130 000 Altverfahren abgebaut. Mit fast 50 000 Entscheidungen im BAMF allein im Januar wurde eine neue Rekordzahl erreicht. Ich weiß, auch hier ist noch viel zu tun und zu verbessern, aber auch hier stimmt die Richtung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Meine Damen und Herren, mit dem heute vorliegenden Gesetzespaket verbinde ich drei Botschaften: Die erste richtet sich direkt an die Menschen in unserem Land. Ihnen sage ich heute Folgendes: Wir arbeiten hart dafür, den Flüchtlingszustrom in unser Land zu begrenzen und zu verringern, vorneweg die Bundeskanzlerin. Die Wahrnehmung von internationaler Verantwortung und das Eintreten für eine europäische Lösung liegen in unserem nationalen Interesse. Wir wissen, dass Ihre Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen auch davon abhängt, wie schnell über Straftäter, Wirtschaftsflüchtlinge und andere Nichtschutzbedürftige entschieden wird und dass diese wieder in ihre Heimat zurückgeführt werden. Ja, wir werden mit den Menschen härter umgehen, die nur behaupten, Schutz zu brauchen, aber in Wahrheit aus anderen Gründen nach Deutschland kommen oder mit Tricks oder falschen Angaben ihren Aufenthalt in Deutschland zu verlängern versuchen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir begegnen allen Menschen, die zu uns kommen, mit Respekt, aber ohne Naivität. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Hat sich ja gerade gezeigt!) Wir regeln ein faires Asylverfahren und eine schnellere Abschiebung der Menschen, die keinen Anspruch auf Schutz haben. Die vorliegenden Maßnahmen bilden einen gerechten Ausgleich zwischen dem berechtigten Interesse an Begrenzung und unseren selbstverständlichen Verpflichtungen gegenüber Menschen, die Schutz brauchen. Es liegt in der Verantwortung und im Interesse unseres Landes, so lange wie möglich an Schengen festzuhalten. Das heißt: Schutz der Außengrenzen und möglichst wenige Kontrollen innerhalb Europas. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir werden weiterhin für einen europäischen Weg aus der Flüchtlingskrise kämpfen, solange er auch bei der Verringerung der Flüchtlingszahlen Erfolg verspricht. Falls aber einige Länder versuchen sollten, das gemeinsame Problem einseitig und zusätzlich auf den Rücken Deutschlands zu verlagern, so wäre das inakzeptabel und würde von uns auf Dauer nicht ohne Folgen hingenommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine zweite Botschaft richtet sich an die Menschen, die in den letzten Monaten in unser Land gekommen sind. Auch an Sie wende ich mich direkt. Für die große Mehrheit von Ihnen ist es selbstverständlich, sich in Deutschland, in dem Land, das Sie aufnimmt, anständig und rechtstreu zu verhalten. Das ist gut, und das müssen wir alle auch laut gemeinsam sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Sie erhalten hier ein faires Asylverfahren, und die Behörden werden so schnell wie möglich prüfen, ob Sie in unserem Land bleiben können. Wenn Sie aber aus asylfremden Gründen nach Deutschland kommen oder versuchen, ohne Aussicht auf Erfolg einen Aufenthalt zu begründen oder zu verlängern, werden Sie dieses Ziel nicht erreichen. Wenn Sie versuchen, sich einem geregelten Verfahren an dem Ort zu entziehen, wohin Sie verteilt werden, oder wenn Sie Ihre Chancen durch Täuschung verbessern wollen, wird Ihnen das nicht gelingen. Wenn Sie im Asylverfahren nicht mitwirkungsbereit sind, führt das zu Nachteilen in Ihren Verfahren. Für diejenigen unter Ihnen, die aus sicheren Herkunftsstaaten kommen oder sich einem ordentlichen Verfahren verweigern, führen wir ein beschleunigtes Verfahren ein, das mit weiteren Auflagen verbunden ist und nach Ablehnung Ihres Antrags in einer raschen Rückführung enden wird. Die vollen Asylbewerberleistungen erhalten Sie künftig nur dann, wenn Sie registriert sind und in der Ihnen zugewiesenen Unterkunft wohnen. Wer sich an die Regeln hält, hat das schnell erreicht. Das gilt – ich wiederhole es – für die große Mehrheit der Asylsuchenden in unserem Land. Für Sie ändert sich durch das neue Gesetz eigentlich ziemlich wenig. Wenn Ihr Asylantrag aber rechtskräftig abgelehnt worden ist und es keinen wirklichen Duldungsgrund gibt, müssen Sie unser Land verlassen. Gehen Sie nicht freiwillig, werden die Behörden Ihre Ausreisepflicht durchsetzen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, Rückführungsversuche scheitern oft daran, dass medizinische Gründe vorgebracht werden. Häufig wird geltend gemacht, dass die medizinische Versorgung im Herkunftsland eine Rückführung ausschließt, weil sie nicht dem deutschen Standard entspricht. Auch manche medizinischen Atteste scheinen nicht wirklich begründet zu sein, vor allem sogenannte Vorratsatteste. Wir regeln jetzt, dass es für eine Abschiebung eine solide medizinische Versorgung im Zielstaat geben muss, ausreichend und angemessen. (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) Das hohe Niveau der medizinischen Versorgung in Deutschland muss aber nicht erfüllt werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Die medizinischen Standards in den Herkunftsländern müssen so sein, dass den Menschen auch nach der Rückkehr gut geholfen werden kann. Gleichheit mit deutschen Standards können und werden wir aber nicht gewährleisten. Das ist ehrlich, und das ist auch angemessen. (Zurufe von der LINKEN: Das sind doch Nebelkerzen! – Ein Pappkamerad!) Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf sieht außerdem eine Änderung beim Recht auf den Familiennachzug vor; darüber haben wir ja seit einigen Wochen sehr heftig diskutiert. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Seit Monaten!) Die Einschränkung des Familiennachzugs mag hart erscheinen. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie ist hart! – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Sie ist hart!) – Sie ist hart, einverstanden. – Sie ist aber notwendig, um eine Überlastung der Aufnahmesysteme in unserem Land zu verhindern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Oppermann [SPD] – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das wird ein riesiges Sicherheitsproblem! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Hören Sie gut zu! Der nächste Satz wird Sie vielleicht noch mehr ärgern; aber ich halte ihn trotzdem für richtig. – Wir wollen nicht, dass Eltern ihre Kinder vorschicken, teilweise einer Lebensgefahr aussetzen, um anschließend selbst nachzukommen. Das wollen wir nicht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Andrej Hunko [DIE LINKE]: Zyniker! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Trotzdem gilt: Wenn es Härtefälle gibt, dann werden wir sie auch weiterhin besonders berücksichtigen. Das war ein wesentliches Ergebnis der Gespräche, die der Kollege Maas und ich, um das Asylpaket II insgesamt auf den Weg zu bringen, geführt haben. Das Außenministerium und das Innenministerium werden im Einvernehmen die entsprechenden Entscheidungen treffen. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Haben Sie schon mal die UN-Kinderrechtskonvention gelesen?) Mit der dritten Botschaft richte ich mich an die Straftäter der Silvesternacht, die Asylbewerber sind. Ihnen sage ich heute klipp und klar: Für Sie ist kein Platz in Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es gibt keinen dauerhaften Schutz in unserem Land für die, die hier erhebliche Straftaten oder bestimmte Straftaten in Serie begehen. Ich sage Ihnen auch: Sie haben Ihre eigenen Landsleute und Ihre wunderbaren Herkunftsländer in Misskredit gebracht. Sie haben dem Ansehen der Flüchtlinge geschadet. Sie haben auch die in Deutschland schon lange lebenden Zuwanderer insgesamt der Gefahr eines Generalverdachts ausgesetzt, was wir jeden Tag auf den Straßen erleben. (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Sie schüren den Verdacht, Herr Minister!) Und Sie haben den Populisten, Demagogen und anderen Scharfmachern Futter für ihre einfachen Denkmuster gegeben. All das haben diese Straftäter erreicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir haben Ihre Taten jetzt zum Anlass genommen, das Ausweisungs- und Asylrecht gegenüber kriminellen Ausländern zu verschärfen. Wir begründen ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse früher als bisher. Wir werden auch die Anerkennung als Flüchtling, den Flüchtlingsstatus, bei der Erreichung bestimmter Strafbarkeitsschwellen leichter versagen als bisher. All das ist eine deutliche Botschaft, nicht nur an die Straftäter in der Silvesternacht, sondern das ist auch für all die Menschen mit ausländischen Wurzeln und die vielen Flüchtlinge wichtig, die sich hier anständig verhalten und die sich nichts haben zu Schulden kommen lassen. Auch diese Menschen sind mittelbar Opfer der Neujahrsnacht. Auch ihnen gegenüber tragen wir eine Verantwortung, die wir mit diesem Gesetzespaket jetzt übernehmen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, das Asylpaket II und der vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur erleichterten Ausweisung sind ein harter und wichtiger Schritt eines langen Weges. Ja, es ist eine Verschärfung des Asylrechts; da muss man gar nicht darum herumreden. Aber diese Verschärfung ist nötig, und sie ist angemessen. Dieser Gesetzentwurf löst nicht alle Probleme – das hat auch niemand behauptet –, aber einige wichtige. Vor uns liegen weitere Aufgaben, vor allem die Reduzierung der Flüchtlingszahlen. Wir brauchen dafür Zusammenhalt, Ausdauer und Augenmaß. Deutschland bleibt ein Land mit Herz und ein Land mit Regeln. Vielen Dank. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE] erhebt sich und wartet auf die Worterteilung) Präsident Dr. Norbert Lammert: So viel Antrittsapplaus hatten Sie selten, Herr Kollege Bartsch. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beifall bei der LINKEN) Das geht auch nicht von Ihrer Redezeit ab. – Der Kollege Bartsch hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke. Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kauder hat in dieser Woche nach der Regierungserklärung festgestellt: Das Jahr 2016 wird zu einem Schicksalsjahr für Europa und damit auch zu einem Schicksalsjahr für unser Land. Im Jahr 2016 entscheidet sich wie noch in keinem ... Jahr zuvor, ob die Europäische Union in Zukunft in der Lage ist, große Herausforderungen zu bewältigen ... Ich glaube, angesichts der vielen Krisen – die Euro-Krise, das Erstarken nationalistischer Bewegungen und insbesondere die Herausforderungen durch die Flüchtenden – hat Herr Kauder hier recht. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Wie meistens!) Diese Herausforderungen – das ist auch völlig klar – sind alles andere als leicht, und nicht auf alle Fragen wissen wir hier die besten Antworten. Eine Aufgabe sollte für uns alle aber klar sein: Keinesfalls dürfen wir das vielfältige, ungebrochene Engagement – Herr de Maizière hat von „Tatendrang“ gesprochen – der Tausenden durch Entscheidungen des Deutschen Bundestages in irgendeiner Weise konterkarieren. (Beifall bei der LINKEN) Das Engagement der Ehrenamtlichen und auch der Menschen in Behörden müssen und sollten wir unterstützen. In dieser Situation ist eine Politik gefordert, die sich durch Gradlinigkeit, Entschlossenheit und Sachlichkeit auszeichnet und nicht von Stimmungsschwankungen oder Stammtischen bestimmt wird. Von der Erfüllung genau dieser Anforderung ist die Bundesregierung meilenweit entfernt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In großer Hektik taumeln Sie mit Ihrer Politik durch das Land und beschließen Sie ein Asylpaket nach dem anderen. Heute erfolgt die erste Lesung des zweiten Asylpakets, welches in einer Wahnsinnsgeschwindigkeit ganz schnell vorgelegt worden ist. Das erste ist bereits beschlossen, das dritte und das vierte werden folgen. Nahezu wöchentlich gibt es von der Bundesregierung neue Ideen und Vorschläge. Chaos in der Bundesregierung! (Volkmar Klein [CDU/CSU]: Von euch kommt nichts!) Sie produzieren damit Zweifel und Ängste, und das ist der Nährboden für rechtspopulistische Kräfte. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Offensichtlich ist einigen die humanistische Haltung abhandengekommen. Ich will das einmal konkret für das Asylpaket II darstellen: Im November haben die Vorsitzenden Merkel, Seehofer und Gabriel etwas beschlossen. Dem Vizekanzler musste dann dreimal gesagt werden, was er beschlossen hat. Danach gab es 27 verschiedene Pirouetten. Am Ende liegt nun mehr oder weniger unverändert das auf dem Tisch, was im November behandelt worden ist, und auf einmal muss es diese wahnsinnige Geschwindigkeit geben. Aus der SPD wurde zehnmal Nein gerufen, und am Ende haben Sie Ja gesagt. Das ist so nicht zu akzeptieren. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) Bei all diesem Chaos gibt es dann noch die besondere Partei CSU, deren Vorsitzender von „Herrschaft des Unrechts“ spricht, Ultimaten stellt und mit dem Bundesverfassungsgericht droht. Das alles ist doch bundespolitischer Wahnsinn! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Offenbar haben in der CSU einige nicht begriffen, dass es ein Grundrecht auf Asyl gibt. Frau Merkel, obwohl Sie jetzt nicht hier sind, fordere ich Sie auf: Schicken Sie die CSU in ihr Herkunftsland zurück! (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, wir haben genug von denen! Wir brauchen die auch nicht!) – Toni, du musst da durch. Ich weiß, das ist hart für dich. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das lehnen wir rundweg ab! Wir machen die Grenze dicht!) Meine Damen und Herren, für uns alle muss der Satz gelten: „Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.“ Dieser Satz sollte für uns alle und immer gelten. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber mit dem Asylpaket II bewegen Sie sich davon weit weg. Herr de Maizière, das stimmt eben nicht, dass Sie Probleme lösen. Die wirklichen Lösungen wären schnelle Integration und Teilhabe, rechtsstaatliche und zügige Verfahren. Ja, tun Sie das! Aber nehmen Sie vor allen Dingen auch eine Korrektur der Fehlentwicklungen beim Wohnungsbau, im Bildungswesen usw. und insbesondere bei der Finanzierung vor. Ihr Petitum ist: Verschärfung, Verschärfung, Verschärfung. Das kann nicht sein. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Ergebnis wird sein, dass wir unzählige Rechtsstreitverfahren produzieren, dass Behörden und Gerichte zusätzlich belastet werden – von den Belastungen der betroffenen Menschen einmal ganz zu schweigen. Ganz konkret wollen Sie handeln, indem Sie die Zuzugsbeschränkungen für Familienangehörige, sprich: für Angehörige der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, verschärfen. Nach unserer Auffassung ist das rechtswidrig. Aber vor allen Dingen ist das doch unchristlich, und es ist auch unmoralisch. (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Sie haben von Respekt gesprochen. Was ist denn aus der Familienpartei CDU und aus der Familienpartei CSU geworden, meine Damen und Herren? (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wenn wir von den Linken christliche Belehrungen bekommen, wird es immer spannend!) Und wo ist der Aufschrei von der SPD geblieben? (Dr. Eva Högl [SPD]: Den hat es ja wohl gegeben!) Ich vermute, dass jeder hier im Haus schon mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen gesprochen hat. Auch ich habe das unlängst in Dargelütz, einem kleinen Dorf in meinem Wahlkreis, gemacht. Das sind erschütternde Gespräche. Da gibt es einerseits Zufriedenheit, dass die Menschen hier sein können, aber andererseits eben auch ganz viele Tränen. Da frage ich mich: Was war denn da in den Kabinettssitzungen? Offensichtlich haben die SPD-Minister zuerst gepennt und dann doch der inhumanen Regelung der CDU/CSU zugestimmt. Härtefälle, Herr de Maizière? Jedes Flüchtlingskind in Deutschland, das auf seine Eltern wartet, ist ein humanitärer Härtefall und nichts anderes. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Verweigerung des Flüchtlingsnachzugs bleibt grundgesetz- und menschenrechtswidrig. Ein besonderer Skandal ist der Umgang mit kranken Flüchtlingen. Das ist eine Schande und unseres Rechtsstaates unwürdig, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Künftig soll, ungeachtet der Gefahren für Leib und Leben, abgeschoben werden, wenn ein ärztliches Attest nicht unverzüglich vorgelegt wurde. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!) Das ist allein objektiv an vielen Stellen schlicht unmöglich. Aber noch schlimmer: Fachliche Gutachten und Stellungnahmen von Psychologinnen und Psychologen über vorliegende Traumatisierungen sollen im Gegensatz zu ärztlichen Attests überhaupt nicht mehr berücksichtigt werden. Ja, im Gesetz steht künftig eine Regelvermutung, nämlich dass keine gesundheitsbedingten Abschiebungshindernisse vorliegen. Die Verschärfungen sind ein in Paragrafen gegossenes, pauschales behördliches Misstrauen, sowohl gegen die erkrankten und traumatisierten Flüchtlinge als auch im Übrigen gegen die behandelnden Ärzte. Hierfür gibt es überhaupt keine Rechtfertigung. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Alle Studien zeigen, dass 40 Prozent der Asylsuchenden Opfer traumatischer Erlebnisse wurden. Wenn wir in die Länder schauen, zum Beispiel nach Syrien, werden die Gründe dafür doch deutlich sichtbar. Lassen Sie mich – obwohl ich weiß, dass das heute hier nicht behandelt wird – noch eine Bemerkung zu den sicheren Herkunftsstaaten machen. Es ist doch sehr bezeichnend, dass Sie dieses Thema jetzt hier ausklammern und warten wollen, bis es vielleicht wieder einen grünen Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg gibt. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ja nicht schlecht wäre!) – Es gibt schlechtere Varianten; sagen wir es einmal so. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Beste, was dem Land passieren kann! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hätten Sie gerne jemanden von der CSU?) Meine lieben grünen Kolleginnen und Kollegen, ich finde es trotzdem inakzeptabel, so zu tun, als ob eine Altfallregelung das aufwiegen könnte. Das geht überhaupt nicht. Entweder man hat eine Haltung, oder man hat keine Haltung. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie sich um unsere Haltung mal keine Sorgen!) Die drei Länder, um die es geht, sind nun einmal keine sicheren Herkunftsländer. In allen dreien gibt es die Todesstrafe. In Marokko und Algerien steht Homosexualität unter Strafe. Schwule und Lesben kommen vor Gericht und müssen sogar ins Gefängnis. Diskriminierung ist in diesen Ländern Gesetz. Ich würde sogar die These wagen, dass das verfassungswidrig sein könnte. Meine Damen und Herren, wir brauchen ein anderes Agieren. Wir dürfen nicht zulassen, dass in unserem Land die Schwachen gegen die Schwächsten ausgespielt werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wirksame Maßnahmen zur Integration und Bekämpfung von Fluchtursachen, das darf nicht nur eine Überschrift bleiben. Eine soziale Offensive, mit der wir die Zukunft in diesem Land gestalten, wäre notwendig. In diese Richtung sollten Sie handeln, statt hier falsche Aktivitäten vorzugaukeln. Deshalb werden wir als Linke diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Eva Högl für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Eva Högl (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 27. Januar dieses Jahres hat die Schriftstellerin Ruth Klüger in diesem Haus eine bemerkenswerte Rede gehalten. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Stimmt!) Sicherlich erinnern sich viele von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch an den Schluss ihrer Rede. Mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, möchte ich gerne zitieren: ... dieses Land, das vor 80 Jahren für die schlimmsten Verbrechen des Jahrhunderts verantwortlich war, hat heute den Beifall der Welt gewonnen, dank seiner geöffneten Grenzen und der Großzügigkeit, mit der Sie syrische und andere Flüchtlinge aufgenommen haben und noch aufnehmen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle hier im Land können gemeinsam sehr stolz auf die Willkommenskultur, auf die Hilfsbereitschaft und auf den gemeinsamen Willen sein, dass wir Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten, weil sie durch Krieg bedroht sind, weil sie vor Folter und Verfolgung fliehen, hier in unserem Land Schutz bieten. Das Asylrecht und auch die Genfer Flüchtlingskonvention sind für uns kein Blatt Papier, sondern sie sind eine gemeinsame Verpflichtung, die wir aus Überzeugung eingegangen sind. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es richtig, dass wir unsere gemeinsamen Anstrengungen darauf konzentrieren, die Fluchtursachen zu bekämpfen und zu verringern und eine gemeinsame Asylpolitik in Europa zu gestalten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir reden heute über das Asylpaket II. Aber ich möchte ein paar Bemerkungen zu Europa machen. Es erschüttert uns alle gemeinsam, glaube ich, dass die 28 Mitgliedstaaten in der EU zurzeit weder den Willen noch die Kraft haben, eine gemeinsame Asylpolitik zu gestalten und das Thema Flüchtlinge gemeinsam anzugehen. Ich finde, es kann doch wohl nicht sein, dass eine so reiche, so wohlhabende und so starke Region wie Europa mit über 500 Millionen Menschen sich so schwertut, Menschen Schutz zu bieten, und zwar überall in Europa: in London, in Riga, in Prag und in Lissabon. Das finde ich wirklich erschütternd. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Ich möchte einen weiteren Punkt erwähnen, weil er auch für unsere Politik in Deutschland wichtig ist. Die allgemeine Lage gefährdet gegenwärtig das, was Europa ausmacht und was es so wertvoll macht, nämlich unsere offenen Grenzen. Das ist das Beste und das Wertvollste, was Europa hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns alle gemeinsam daran arbeiten, dass wir diese offenen Grenzen nicht aufs Spiel setzen. Das erfordert unsere gemeinsame Energie und unsere ganze Anstrengung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich habe diese Vorbemerkungen extra deshalb gemacht, weil das der Rahmen ist, in dem wir heute über das Asylpaket II diskutieren. Wir müssen hier in Deutschland dafür sorgen, dass die Menschen, die zu uns kommen, registriert werden, dass sie ordentlich untergebracht werden und dass sie versorgt werden. Wir müssen dafür sorgen, dass die Verfahren zügig geführt werden; (Beifall der Abg. Elfi Scho-Antwerpes [SPD]) denn wir wissen – das gehört zur Wahrheit dazu –: Nicht alle können bleiben, nicht alle können Schutz bekommen. Deswegen – das ist das A und O – müssen wir schnell darüber entscheiden, ob Menschen hierbleiben können, ob sie hier Schutz erhalten können oder ob sie unser Land wieder verlassen müssen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die beschleunigten Verfahren sind der Kernpunkt des Asylpakets II; denn wir wissen auch: Viele Menschen kommen zu uns, die leider keine Bleibeperspektive haben. Sie warten zurzeit monatelang darauf, ihr Anliegen beim BAMF überhaupt vortragen zu können. Sie warten dann wieder monatelang auf eine Entscheidung. Dieser lange Zeitraum liegt an der hohen Arbeitsbelastung des BAMF, auch an dem enormen Rückstand bei den unbearbeiteten Verfahren. Er liegt auch daran, dass das BAMF auf diese Vielzahl von Menschen, die in kurzer Zeit zu uns gekommen sind, nicht vorbereitet war. Deswegen stelle ich fest: Diese Situation – ich denke, das sehen wir alle so – ist nicht tragbar. Deshalb brauchen wir Änderungen in den Verfahren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Schnelle Entscheidungen sind nicht unmenschlich. Schnelle Entscheidungen sind richtig und wichtig. Schnelle Entscheidungen sind nicht das Ende unserer Willkommenskultur, sondern sie sind die Voraussetzung für eine Willkommenskultur und die Voraussetzung für ein Gelingen der Integration. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Natürlich ist es für uns alle hier im Haus, wie ich denke, keine einfache Entscheidung, den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte für zwei Jahre auszusetzen. Darüber haben wir auch intensiv diskutiert; denn wir alle miteinander wissen – das hat insbesondere die SPD hervorgehoben –, dass Familie die Voraussetzung für ein Gelingen der Integration in Deutschland ist. (Beifall bei der SPD – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Um Gottes willen! Warum macht ihr es denn dann?) Diese Entscheidung ist uns schwergefallen. Wir setzen den Nachzug nur für subsidiär Schutzberechtigte für zwei Jahre aus. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur zwei Jahre!) Wir erlauben eine Härtefallregelung. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Jedes Kind ist ein Härtefall!) Ich denke, dass das eine maßvolle Regelung ist, die man hier auch verabschieden kann. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr habt es nicht mal auf die Reihe gekriegt, den Gesetzentwurf richtig zu lesen, Frau Högl! Das ist doch peinlich!) Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass wir die Rückführung erleichtern müssen. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist peinlich!) Auch das gehört dazu. Diejenigen, die nicht hierbleiben können, müssen unser Land schneller verlassen. Auch das gehört zur Wahrheit dazu. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Deswegen schaffen wir mit dem Asylpaket II die Voraussetzungen, dass diese Rückführung wirksamer und schneller erfolgen kann. Dazu gehört auch, kriminelle Ausländer schneller auszuweisen. Auch das ist Bestandteil der Vorschläge, die heute beraten werden. Dann, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich noch etwas sagen, das mir sehr wichtig ist und worüber wir, denke ich, gemeinsam nachdenken sollten. Wir haben in dieser Legislaturperiode viel auf den Weg gebracht. Wir haben im Asylrecht viel geändert und im Aufenthaltsrecht die Verfahren verbessert (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Verwässert!) und hoffentlich optimiert. Ich finde, wir sollten jetzt alle gemeinsam dazu übergehen, diese Veränderungen wirken zu lassen. (Beifall bei der SPD) Sie müssen jetzt erst einmal in Kraft treten und ihre Wirkung entfalten. Die Verwaltung muss sich darauf einstellen, und ich gehe davon aus, dass sie auch die richtige Wirkung entfalten werden. Dann sollten wir uns alle gemeinsam in den nächsten Beratungen voll und ganz, mit unserer ganzen Energie nicht nur auf die Fluchtursachen und die Asylpolitik in Europa, sondern vor allen Dingen auch auf die Integration konzentrieren. (Beifall bei der SPD) Zu den nächsten Schritten, die wir gemeinsam verabreden, muss ein gutes Integrationskonzept gehören. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Konstantin von Notz das Wort. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es sind zweifellos ernste und herausfordernde Zeiten für unsere Gesellschaft, für Europa und für unsere Demokratie. Krieg und Not in der Welt lassen so viele Menschen flüchten wie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr. Von diesen Geflüchteten kommt ein Teil nach Europa und auch zu uns nach Deutschland. Die Herausforderungen sind gigantisch. Das verlangt von uns im Deutschen Bundestag eine seriöse, verantwortungsvolle und ernsthafte Debatte. Das, was heute vorliegt, das sogenannte Asylpaket II, entspricht erneut diesen Anforderungen leider nicht. Deswegen werden wir es ablehnen, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Längst wissen wir doch, was es dringend zu tun gäbe. Wir brauchen schnellere Asylverfahren, eine Stärkung der Haupt- und Ehrenamtlichen und eine entschlossene Bekämpfung der Fluchtursachen. Und vor allen Dingen brauchen wir ein klares Bekenntnis zur Integration mit Wort und Tat. Letzteres vermisst man heute ganz besonders, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Mit diesem überhastet erarbeiteten und sowohl parlamentarisch als auch mit den Verbänden vollkommen ungenügend beratenen Entwurf kommen wir nicht weiter. Er ist aller Voraussicht nach verfassungswidrig, geht an den tatsächlichen Problemen vorbei und leistet Populismus und Ressentiments Vorschub. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Während die Bundeskanzlerin – wie auch gerade heute wieder – echte Lösungen sucht, ergehen Sie sich seit Monaten in Scheindebatten um Obergrenzen, Grenzschließungen, Verabschiedungskultur, vermeintlich sichere Herkunftsländer und, ganz neu im Programm, nationale Abschiebepläne. Der Familiennachzug nach frühestens zwei Jahren fügt sich nahtlos ein. Dieses Vorgehen wird noch mehr Frauen und Kinder auf die Schlauchboote treiben, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. Das ist Ihr Verständnis vom Schutz der Familie. Das ist Ihr Bild, wie man der Familie mit Achtung begegnet. Ich sage Ihnen: Es ist zynisch und schäbig, dass Sie das so machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Mit einer Verschärfung der Residenzpflicht bürokratisieren Sie weiter. Zusätzlich erleichtern Sie die Abschiebung von kranken und schwerkranken Flüchtlingen. Dabei nehmen Sie billigend in Kauf, dass traumatisierte Menschen, zum Beispiel Frauen, die Opfer von Vergewaltigungen wurden, schutzlos gestellt werden. Das ist weder human, noch ist es christlich. Ich empfehle die Tageslosung vom heutigen Tag. Es ist Populismus, und es ist hilflos sowie kontraproduktiv, und wir lehnen es aufs Schärfste ab, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bei den weiteren Einschränkungen der Leistungen für Asylsuchende ignorieren Sie erneut die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Dabei wissen Sie – so sagt es das Bundesverfassungsgericht –: Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht relativierbar. Schließlich versagen Sie beim ausreichenden Schutz für Kinder, Jugendliche, Frauen und andere Personengruppen mit erhöhtem Diskriminierungsrisiko. Der eigens von der Bundesregierung Beauftragte mahnt dies so verzweifelt wie erfolglos an. Das ist ein unhaltbarer Zustand. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was ist eigentlich, liebe SPD, mit den versprochenen Verbesserungen des letzten Pakets, gerade noch einmal von Sigmar Gabriel öffentlich zugesagt? Wo befinden sie sich? Nicht in diesem Paket! Klar ist doch: Menschen, die über Jahre fliehen, alles zurücklassen und ihr Leben vielfach riskieren, entscheiden sich bestimmt nicht, umzukehren, wenn sie für einen Sprachkurs, der nach Ihren Worten, Herr Innenminister, oft gar nicht angeboten werden kann, zukünftig 10 Euro mehr zahlen müssen. Das ist naive, träumerische, realitätsferne Politik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zusätzlich legen Sie heute einen Gesetzentwurf vor – im Ministerium bezeichnenderweise Köln-Gesetz genannt –, mit dem Sie lediglich suggerieren, dass Sie zukünftig mehr und schneller abschieben. Faktisch ist eine Abschiebung oft aber gar nicht möglich, weil zum Beispiel die Herkunftsstaaten nicht kooperieren und keine Papiere ausstellen. Das wissen Sie, trauen sich aber nicht, eine offene und ehrliche Debatte hierüber zu führen. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!) Stattdessen Abschiebepopulismus und komplettes Irrlichtern, leider besonders bei der CSU, Herr Mayer! Jetzt wird es traurig: Orban und Putin, das sind nun die politischen Partner bzw. Koalitionspartner der CSU. Die eigene Bundeskanzlerin, die eigene Regierung inklusive Ihrer CSU-Minister, das ist die Herrschaft des Unrechts. Das ist die Welt des Horst Seehofer im Jahr 2016. Der unlängst verstorbene Helmut Schmidt hat gesagt: „In der Krise beweist sich der Charakter.“ Die Flüchtlingskrise hat diesen Effekt im Guten wie im Schlechten. Wir erleben bis heute eine unfassbare Solidarität und Hilfsbereitschaft gegenüber den zu uns Kommenden. Aber das, was die CSU hier seit Monaten abliefert, ist zum Schämen, und es ist Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremisten in diesem Land. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Statt sich weiterhin in Scheindebatten und im wahrsten Sinne des Wortes in brandgefährlichem Populismus zu ergehen, lassen Sie uns gemeinsam an tatsächlichen Lösungen arbeiten. Herr Innenminister, wir bieten Ihnen das wirklich an. Lassen Sie uns Integration gestalten! Wir haben immer wieder Vorschläge gemacht. Lassen Sie uns gemeinsam mit der Kanzlerin für Europa kämpfen, bevor es zu spät ist. Wenn Sie dafür bereit sind, dann sind wir an Ihrer Seite. Bis dahin sind wir es aber nicht. Ganz herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Thomas Strobl für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit allen Entscheidungen und Maßnahmen, die wir in den letzten Monaten getroffen oder ergriffen haben, verfolgen wir ein einziges Ziel: eine spürbare und nachhaltige Reduzierung des Flüchtlingszustroms. Die Gesetze, über deren Entwürfe wir heute beraten, sind nicht der einzige, wohl aber ein weiterer wichtiger Schritt auf diesem Weg. Zur Reduzierung der Zahl gehört, dass wir beim Flüchtlingszustrom konsequent unterscheiden zwischen denen, die schutzbedürftig sind und hier Schutz bekommen sollen, und denen, die offensichtlich nicht schutzbedürftig sind und deswegen möglichst unverzüglich in ihre Heimat zurückkehren müssen. (Beifall bei der CDU/CSU) Dieser Gedanke hat uns beim ersten Asylpaket geleitet und führt uns auch heute die Feder. Mit der Schaffung besonderer Aufnahmeeinrichtungen, der Schaffung eines zusätzlich beschleunigten Asylverfahrens für Migranten aus sicheren Herkunftsstaaten und der Einführung verschärfter Sanktionen bei Verstößen gegen die Residenzpflicht werden wir die Anreize für eine Antragstellung von offenkundig Nichtschutzbedürftigen noch einmal deutlich reduzieren und nunmehr auf nahe null senken. Hinzu treten die Einschränkungen beim Familiennachzug für neu ankommende subsidiär Schutzberechtigte. Diese Einschränkungen beim Familiennachzug sind unvermeidlich. (Zuruf von der LINKEN: Warum? – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: So ein Quatsch! – Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Gegenruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie können sich hier nicht so benehmen wie zu Hause!) – Ich will Ihnen auf diesen Zwischenruf mit dem „Quatsch“ einmal ein Zitat vorhalten. Ich zitiere: ‚Es ist nicht die unbedingte Voraussetzung, dass der Familienclan aus Kabul oder Kandahar dann hierher nachkommt‘, (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Es geht um Kinder und Frauen! Das ist geistige Brandstiftung, Herr Strobl!) … Alle seien sich bewusst, dass Flüchtlingszahlen begrenzt werden müssten. Dazu gebe es jedoch nur ganz wenige Möglichkeiten. Ich zitiere weiter: ‚Eine davon ist die Begrenzung des Familiennachzugs für unbegleitete Minderjährige.‘ Wenn die Politik das nicht tue, müsse sie dem Volk sagen, dass die Flüchtlingszahlen in den nächsten Monaten nicht zurückgehen würden. (Zurufe von der LINKEN) Die Schlepperbanden wüssten sehr genau von den Diskussionen in Deutschland. Sie sammelten unbegleitete Kinder von 12 bis 18 Jahren ‚und schaffen damit ein neues großes Kontingent, das zu uns kommt‘. Es sei eine Realität, dass Familien Kinder losschickten in der Hoffnung, später nachkommen zu können. So sei es auch vor 36 Jahren in Vietnam gewesen. Dieser „Brandstifter“ – um Ihren Zwischenruf aufzugreifen – ist Rupert Neudeck, der 1979 mit Unterstützung des Schriftstellers Heinrich Böll – vielleicht sagt Ihnen das noch etwas – das deutsche Komitee „Ein Schiff für Vietnam“ gegründet hat, das im Rahmen der späteren Flüchtlingsorganisation „Cap Anamur“ allein 11 000 Flüchtlinge vor der Küste Vietnams gerettet hat. Ich finde, Rupert Neudeck ist unverdächtig. (Beifall bei der CDU/CSU) Und das ist kein „Quatsch“ und das ist auch kein „Brandstifter“, sondern das ist eine Notwendigkeit im Interesse der Flüchtlinge, die bei uns leben. (Widerspruch bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir schränken den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte im Übrigen nicht aus Hartherzigkeit ein, sondern aus der Einsicht in die Grenzen unserer Möglichkeiten. Bis 2015 sind mehrere Hunderttausend Syrer nach Deutschland geflohen, denen bereits heute oder in Kürze das Recht auf vollen Familiennachzug zusteht. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Peinlich! Wir haben mehr Vertrauen in Deutschland als Sie, Herr Strobl!) Niemand weiß, wie viele Menschen in den Anrainerstaaten oder in Syrien selbst auf den Familiennachzug warten und ihn geltend machen. Wir können jetzt bei einem hohen Flüchtlingszustrom die Zahlen nicht auch noch einmal durch Familiennachzug verdoppeln oder verdreifachen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist durch nichts belegt, Herr Strobl!) Das ist der Kern: Wir brauchen eine Atempause. Wir müssen auch einmal Luft holen können. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine schreckliche Art von Sprache! Haben Sie denn gerade ein Problem? Kriegen Sie gar keine Luft? Was ist das denn für eine Sprache bezüglich Menschen? Das ist einfach unanständig!) – Herr Hofreiter, da Sie in Ihren Interviews die Einschränkung des Familiennachzugs (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist einfach unanständig!) als ein Integrationshindernis bezeichnen, (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In der Tat! Genau! – Zuruf von der LINKEN) will ich Ihnen einmal sagen, was ein Integrationshindernis ist. Das ist eine Regelung aus dem Jahr 2004, die Sie mit dem damaligen Zuwanderungsgesetz geschaffen haben, eine Regelung, die heute dafür sorgt, dass nach bestehender Gesetzeslage anerkannte Flüchtlinge ein unbefristetes Daueraufenthaltsrecht voraussetzungslos nach dem Ablauf von drei Jahren erhalten. Gleichviel, ob man sich auch nur irgendwie um Integration bemüht hat, gleichviel, ob man sich auch nur ein bisschen bemüht hat, die deutsche Sprache zu lernen, (Unruhe bei der LINKEN) gleichviel, ob man sich nur ein bisschen bemüht hat, für seinen Lebensunterhalt aus eigener Kraft zu sorgen, gleichviel, ob man straffällig geworden ist: Es gibt automatisch nach drei Jahren ein Daueraufenthaltsrecht. Eine solche Regelung schafft keine Integrationsanreize, sie ist ein Integrationshindernis. Und das sollten wir aus dem Weg räumen. (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Strobl, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck zu? Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Bitte. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Strobl, grundsätzlich ist natürlich die Aufnahme von Flüchtlingen etwas anderes als die Aufnahme von Arbeitsmigranten. Deshalb wurde bis zum jetzigen Zeitpunkt vom Gesetzgeber von den Flüchtlingen, weil sie ohnehin aufgrund ihres Schutzstatus dauerhaft bleiben können, nichts zusätzlich verlangt. Man kann natürlich diese Frage anders sehen und sagen: Wir verlangen von Flüchtlingen und Migranten bei der Integration das Gleiche. Aber wenn man das tut, müsste man auch bei der Frage des Charakters der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis rechtlich das Gleiche verlangen. Das unbefristete Aufenthaltsrecht eines Flüchtlings ist nämlich durch Wegfall des Asylgrunds jederzeit widerrufbar; das ist bei Migranten nicht der Fall. Wollen Sie die Gleichstellung bei den Integrationsanforderungen damit verbinden, dass Flüchtlinge in Zukunft nicht mehr das Damoklesschwert über sich spüren, selbst bei einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, dass womöglich zum Zeitpunkt der Einbürgerung vom BAMF die Flüchtlingseigenschaft wieder aberkannt wird? Das wäre vielleicht ein konsistenter Vorschlag, dem man zumindest etwas abgewinnen könnte. Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Herr Kollege Beck, es gibt möglicherweise einen grundsätzlichen Unterschied in der Betrachtungsweise. (Zuruf des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Sie haben die Frage doch gestellt; jetzt müssen Sie schon die Geduld haben, sich auch die Antwort anzuhören. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Für uns bedeuten Flüchtlingsschutz und die Gewährung von Asyl zunächst einmal ein Bleiberecht auf Zeit. Wenn die Fluchtursachen beseitigt sind, wenn der Asylgrund wegfällt, dann ist es nach unserer Vorstellung so, dass der Flüchtling wieder in seine Heimat zurückgeht und beispielsweise beim Aufbau in seiner Heimat hilft. Flüchtlingsschutz ist zunächst einmal ein Recht auf Zeit. Deswegen ist eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland auch befristet. Wenn wir nun dazu übergehen, dem Flüchtling ein Daueraufenthaltsrecht zu geben, dann muss das doch sinnvollerweise zumindest an eine Integrationsbemühung geknüpft sein. Sonst macht das doch keinen Sinn. (Beifall bei der CDU/CSU) Jede Integrationspflicht läuft ins Leere, wenn wir das nicht so machen. Deswegen müssen wir dieses Gesetz zwingend ändern. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich verstehe, warum die CDU in Baden-Württemberg keinen guten Trend hat, sondern die Grünen! Sie haben einfach keine Ahnung! Das ist kein Strom! Das sind Menschen!) Mit Blick auf die Reduzierung des Flüchtlingsstroms – das hat auch etwas mit der Grünenfraktion zu tun – (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind Menschen und keine Ströme! Das ist keine Naturkatastrophe!) bedauere ich sehr, dass wir heute die Erweiterung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten nicht im Deutschen Bundestag beraten können. Es sind ganz überwiegend ökonomische Motive, die Migranten aus Marokko, aus Algerien und aus Tunesien zur Stellung eines Asylantrags in Deutschland veranlassen. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das ist selbst bei Leuten, die aus Vorpommern nach Bayern gehen, so!) Die Anerkennungsquoten sind verschwindend gering. Sie betrugen im Jahr 2015 für Marokko 2,29 Prozent, für Algerien 0,98 Prozent und für die Tunesische Republik 0,00 Prozent. Mit der raschen Einstufung dieser Staaten als sichere Herkunftsstaaten hätten wir frühzeitig auf die seit kurzem stark steigenden Zahlen reagieren können. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn auch immer und immer wieder anderes behauptet wird, auch wenn insbesondere Sie, meine Damen und Herren von den Grünen, es nicht wahrhaben wollen – die Erfahrung, die wir im Zusammenhang mit den Balkanstaaten gesammelt haben, macht eines ganz deutlich: Eine Einstufung als sicheres Herkunftsland zeitigt unmittelbar Konsequenzen. Seit der Aufnahme der Westbalkan-Staaten in die Liste der sicheren Herkunftsstaaten sind die Asylbewerberzahlen aus dieser Region drastisch zurückgegangen. Heute kommen monatlich nur noch wenige Hundert Menschen von dort. Anfang 2015 waren es noch 25 000 im Monat. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben echt keine Ahnung! Sie verstehen den Unterschied noch nicht mal!) Wir hätten den Kreis der sicheren Herkunftsstaaten, was den Westbalkan angeht, im Übrigen besser ein Jahr früher erweitert. Doch das im Bundesrat zustimmungspflichtige Gesetz ist von Ihnen blockiert worden. Sie waren dagegen. (Beifall bei der CDU/CSU) Das hatte im Übrigen eine unmittelbare Folge: Im vergangenen Jahr kamen 150 000 Migranten aus dem Westbalkan nach Deutschland, um hier einen Asylantrag zu stellen. Den allergrößten Teil von ihnen werden wir in einem komplizierten Verfahren zurückführen müssen. Die Entwicklung, die wir im Zusammenhang mit dem Westbalkan erleben, darf sich im Hinblick auf die Maghreb-Staaten und Nordafrika nicht wiederholen. Der Maghreb darf kein zweiter Westbalkan werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen müssen wir in dieser Frage schnell handeln. Es war schon ein bemerkenswerter Vorgang – Herr Innenminister Jäger kann gleich etwas dazu sagen –: Das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz war noch nicht beschlossen, da kündigten einige Länder bereits an, dass sie wesentliche Teile dieses Gesetzes gar nicht umzusetzen gedenken: die dauerhafte Unterbringung von Asylbewerbern ohne Bleibeperspektive in den Erstaufnahmeeinrichtungen, Sachleistungen statt Bargeld. „Mit uns ist das nicht zu machen“, erklärten einige Bundesländer. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aus gutem Grund!) Ich kann an dieser Stelle nur an die Länder appellieren, alle Teile der Asylgesetzgebung konsequent und auch streng umzusetzen. (Beifall bei der CDU/CSU) Dies gilt insbesondere für die schärferen Regeln der Abschiebung, wie sie im Asylpaket II festgelegt sind. Alle gesetzlichen Regelungen laufen nämlich ins Leere, wenn es an dem Willen fehlt, das geltende Recht anzuwenden und ablehnende Bescheide konsequent durchzusetzen. Ich weiß: Abschiebungen sind nicht einfach; sie sind auch nicht populär. Doch erst mit der konsequenten Durchsetzung negativer Bescheide können wir das eindeutige Signal senden: Wer keines Schutzes bedarf, der hat keine Bleibeperspektive in Deutschland und der muss in seine Heimat zurückkehren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Kollegin Jelpke hat nun das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ulla Jelpke (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Strobl, es ist wirklich zynisch, wenn man hier immer wieder den Eindruck erweckt, als wenn Menschen, die Schutz suchen, ob vor Krieg oder vor Armut, einfach so herkommen, um hier unsere Sozialstrukturen in Anspruch zu nehmen. Damit wird hier immer wieder Misstrauen geschürt. (Beifall bei der LINKEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Die gibt es aber auch!) Das ist einfach unerträglich. Meine Damen und Herren, ich möchte zunächst einmal sagen: Dies ist wirklich keine Sternstunde des Parlaments. Heute wird das Asylpaket II eingebracht, und innerhalb von wenigen Tagen, nämlich schon nächste Woche, soll es hier verabschiedet werden. Ich halte es für einen ausgesprochen undemokratischen Vorgang, (Max Straubinger [CDU/CSU]: Dass die Mehrheit entscheidet, oder?) dass sich die Regierung monatelang Zeit nimmt und ihren Showkampf und ihre Streitereien austrägt, während dieses Parlament überhaupt keine Zeit haben soll, demokratisch und sorgfältig darüber zu beraten, was wirklich nötig ist. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist wirklich eine Frechheit in der Demokratie, dass die Mehrheit entscheidet!) Das ist wirklich ein Skandal. Es wird hier nur noch über Fragen diskutiert wie: Wie können wir am schnellsten abschieben? Wie können wir uns am besten abschotten? Wie können wir am besten abschrecken? Genau dem entspricht der Inhalt dieses Pakets: Das Asylrecht wird bis zum Gehtnichtmehr ausgehöhlt. Beispielsweise werden EU-Richtlinien einfach zur Seite gelegt. Mitmenschlichkeit spielt hier überhaupt keine Rolle mehr. Integrationsvorschläge gibt es von Ihrer Seite überhaupt nicht. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Mit Lesen haben Sie es nicht so, oder?) Das ist wirklich ein Schlag ins Gesicht all derjenigen Menschen, die sich in diesem Land um Flüchtlinge bemühen. Schauen Sie sich die vielen Stellungnahmen an – von den Wohlfahrtsverbänden, von den Kirchen, von den Flüchtlingsorganisationen. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Haben Sie bei dem Zitat von Rupert Neudeck zugehört?) Sie gehen von einer Willkommenskultur zu einer Willkommensunkultur über. Das machen wir nicht mit. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Beschleunigte Verfahren: Was passiert hier eigentlich? Ganz schnell werden weitere Staaten als sichere Herkunftsstaaten eingestuft. Sonderlager mit 3 000 Plätzen und mehr werden eingerichtet. (Thomas Oppermann [SPD]: „Sonderlager“?) Dann werden Menschen dorthin verbracht. Innerhalb von drei Wochen soll das Asylverfahren einschließlich gerichtlichem Verfahren abgeschlossen sein. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Genau!) Diese Sonderlager, meine Damen und Herren, sind einfach nur ein Grauen. Dass ein Land wie Deutschland sich so etwas wieder leistet, kann man einfach nur zurückweisen; (Beifall bei der LINKEN) denn das individuelle Asylrecht haben auch diese Menschen, und das muss vernünftig geprüft werden. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Wird es auch!) Nicht weniger perfide ist beispielsweise, dass schon ein zweimaliger Verstoß gegen die Residenzpflicht – ein solcher Verstoß liegt vor, wenn jemand zum Beispiel ohne Genehmigung einfach mal von Berlin nach Brandenburg fährt – dazu führen kann, dass ein Asylantrag für nichtig erklärt wird. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Bei uns gibt es Regeln, und die muss man beachten! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Dann soll er es nicht machen!) Wo sind wir denn, dass ein Grundrecht einfach mal eben so ausgehebelt wird, nur weil ein Mensch vielleicht Freunde besuchen will? Das kann ja wohl nicht wahr sein! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Gleichzeitig haben Sie vor, die Standards für Abschiebungshindernisse zu senken, wenn es um den Gesundheitszustand geht. Sie gehen sogar so weit, festzulegen, dass es demnächst kein Abschiebungshindernis mehr sein soll, wenn Menschen von Bürgerkrieg und Flucht traumatisiert sind. Das kann ja wohl nicht wahr sein! Wissen Sie eigentlich, was es bedeutet, wenn das Gesetz fordert, innerhalb von zwei Wochen ein fachärztliches Gutachten beizubringen? Wie soll jemand, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist, in zwei Wochen ein solches Fachgutachten beibringen? Auch der Psychologenverband kritisiert es ganz scharf, dass im Grunde genommen Menschen, die schwer krank sind, in Zukunft einfach abgeschoben werden sollen. Diese Regelung ist ein Skandal. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Was den Familiennachzug angeht: Sie haben immer wieder versprochen, legale Wege zu schaffen, auf denen Menschen hierherkommen können, nach Europa, nach Deutschland kommen können. Und was machen Sie? Sie betreiben hier wieder das Geschäft der Schleuser, indem Sie die Menschen genau zu diesen Schleusern treiben, weil die Menschen sonst überhaupt keine Möglichkeit haben, hierherzukommen. Wir sehen tagtäglich, wie Frauen und Kinder im Mittelmeer ertrinken. Auch hier muss man wirklich fragen: Was ist das eigentlich für ein Zynismus? Sie haben ein Gesetz zum Beispiel mit den Kölner Ereignissen begründet. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Zu Recht werden die Kölner Ereignisse kritisiert. Und was machen Sie jetzt? Den Schutz von Frauen und Kindern finden wir in diesem Gesetzentwurf heute nicht wieder, obwohl das versprochen wurde, sowohl von der SPD als auch von der Union. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, es ist hier schon gesagt worden: Jedes Kind, das aus einem Land flüchtet, ist ein Härtefall. Was haben Sie eigentlich für eine Vorstellung von der Situation, wenn Eltern ihre Kinder losschicken? In Afghanistan zum Beispiel ist es so, dass die Warlords und andere Kriegstreiber Jugendliche einkassieren und ausbilden, um sie für den Krieg fit zu machen. Es kann ja wohl nicht sein, dass wir so etwas mittragen bzw. dass hier die UN-Kinderrechts-konvention einfach außer Kraft gesetzt wird! Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Ich komme zum letzten Satz. Das Asylpaket ist ein Paket von Grausamkeiten. Wir werden es auf gar keinen Fall mittragen, und wir werden den Widerstand in der Bevölkerung unterstützen. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Bundesminister der Justiz, Heiko Maas. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich sitze regelmäßig mit dem Kollegen de Maizière in Brüssel im JI-Rat. Dort vertreten wir die Flüchtlingspolitik der deutschen Bundesregierung. Ich würde Ihnen wünschen, dass Sie sich einmal das anhören müssen, was wir uns dort anhören müssen. (Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Nächste Legislaturperiode!) Sie sagen hier zur Flüchtlingspolitik der Bundesregierung: schäbig, inhuman, unchristlich, Skandal, Zynismus, Grausamkeiten. Schauen Sie sich mal in Europa um! Es gibt kein anderes Land, das seiner humanitären Verpflichtung gegenwärtig so gerecht wird wie Deutschland. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die beiden Gesetzentwürfe, die heute vorliegen, haben ein gemeinsames großes Ziel: (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Familien spalten, das ist das Ziel!) Sie stärken die Handlungsfähigkeit des Staates. Das ist, finde ich, ein ganz grundlegendes Problem geworden. Wenn in Deutschland zu viele Menschen den Eindruck gewonnen haben, dass der Staat die Kontrolle über die Flüchtlingspolitik verloren hat, wenn zu viele Menschen den Eindruck gewonnen haben, dass nach den Ereignissen in Köln der Staat nicht mehr handlungsfähig ist, weil er seine Gesetze dort nicht durchgesetzt hat, dann geht es hier nicht mehr um eine Angelegenheit zwischen Regierung und Opposition. Glauben Sie im Ernst, dass die Bürgerinnen und Bürger zwischen Ihnen und uns unterscheiden? Jede der hier vertretenen Parteien ist in der Verantwortung, entweder irgendwo in den Ländern oder hier. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb ist es ja so peinlich!) Es geht um die Handlungsfähigkeit des Staates. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich will nicht dafür in Haftung genommen werden, dass Sie Familien spalten!) Wenn Menschen den Glauben daran verloren haben, dann ist es ihnen egal, welche Antworten sie von uns oder von Ihnen bekommen. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür lasse ich mich nicht in Haftung nehmen!) Deshalb müssen wir mit dem, was wir hier vorlegen, vor allen Dingen eins dokumentieren: Der Staat ist handlungsfähig, und er ist in der Lage, auf Herausforderungen zu reagieren. Genau das tun wir. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir stellen sicher, dass unsere Behörden die Aufnahme der geflüchteten Menschen besser bewältigen können, als das bisher der Fall gewesen ist. Mit Blick auf die Silvestervorfälle in Köln senden wir auch eine klare Botschaft aus, und zwar an alle – egal ob mit oder ohne Pass; egal was für einen Pass sie haben –: Wer vor Verfolgung, Krieg und Terror flieht, der findet bei uns Schutz. Aber wer hierherkommt und dabei diesen Schutz ausnutzt, um schwere Straftaten zu begehen, für den ist bei uns kein Platz. Wir sind hilfsbereit, aber nicht blind. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Was die Veränderungen im Ausweisungsrecht angeht, sage ich: Ja, sie sind eine Reaktion auf die Ereignisse in Köln. Für sexuelle Übergriffe auf Frauen gibt es keine Rechtfertigung und auch keine Entschuldigung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich sage aber auch: Ein besserer Schutz für Frauen vor sexueller Gewalt ist bitter nötig. Das hat mit Köln überhaupt nichts zu tun. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn der Gesetzentwurf dazu?) Dieses Bedürfnis gibt es nicht erst seit den Ereignissen in Köln. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist der Gesetzentwurf dazu, Herr Maas?) Das, was wir im Ausweisungsrecht verändert haben, ist: (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sexualstrafrecht!) Wer schwere Straftaten begeht, wer vorsätzlich Straftaten gegen Leib und Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung oder gegen Ordnungskräfte begeht, wer als Serientäter Eigentumsdelikte begeht, wird in Zukunft leichter ausgewiesen werden können, und das ist auch richtig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben die Voraussetzungen dafür herabgesetzt: In Zukunft kann bei der Abwägung der Frage – es ist nicht die Entscheidung –, ob eine Ausweisungsverfügung ergeht, bereits die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe auch auf Bewährung als ein schweres Ausweisungsinteresse zu einer Ausweisungsverfügung führen. Ich sage das nicht nur mit Blick auf die Straftaten, für die wir das qualifiziert haben, sondern auch mit Blick darauf, dass in Deutschland niemand wegen Bagatelldelikten zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wird. Deshalb ist es auch gerechtfertigt, daran anzuknüpfen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Herr von Notz, ja, die Ausweisungsverfügung hat noch nichts mit der Abschiebung zu tun. Aber es ist nicht so, dass wir die Probleme, die es dort gibt, einfach bestehen lassen. Wir reden mit den Staaten, die nicht bereit sind, ihre Staatsangehörigen zurückzunehmen, weil sie ihre Papiere weggeworfen haben. Wir wollen Laissez-passer-Abkommen, wie wir sie mit anderen Staaten, etwa auf dem Balkan, geschlossen haben, auch mit nordafrikanischen Staaten schließen. Natürlich muss eine Ausweisungsverfügung auch umgesetzt werden. Wir arbeiten daran genauso intensiv wie an diesem Gesetzentwurf, weil wir nicht nur Verfügungen erlassen wollen, sondern weil wir die Verfügungen auch durchsetzen wollen. Das gehört dazu. Meine Damen und Herren, die vorgeschlagenen Änderungen sind, wie ich finde, nicht nur verhältnismäßig, sondern sie sind richtig, notwendig und maßvoll. Aber ich sage auch: Das Gleiche kann ich nicht von allen Wortmeldungen behaupten, die es in jüngster Zeit zu diesem Thema gegeben hat. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Keul? Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Gerne. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank für die Zulassung der Zwischenfrage. – Herr Maas, Sie haben uns gerade erklärt, wie sinnvoll und notwendig die Änderungen im Ausweisungsrecht sind. Wir hatten ja eine Rechtsänderung gehabt, die gerade erst, zum 1. Januar 2016, in Kraft getreten ist und bereits ganz deutlich die Ausweisungsmöglichkeiten bei Straftaten erhöht hat. Nur wenige Tage nach dem Inkrafttreten dieser Norm ändern wir diese Norm noch einmal. Ich frage Sie daher: Haben Sie Erkenntnisse darüber, dass die Rechtslage, wie sie ab dem 1. Januar 2016 in Deutschland gilt, in irgendeiner Weise zur Anwendung gekommen wäre und sich gezeigt hätte, dass es dort Defizite gibt? Die Änderung eines Gesetzes wenige Tage nach seinem Inkrafttreten scheint mir doch nicht wirklich die Handlungsfähigkeit des Staates zu belegen, sondern das scheint mir vielmehr die Simulation von Handlungsfähigkeit zu sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Doch, ich finde schon. Und ich mache auch gar keinen Hehl daraus, dass diese Gesetzesänderung eine Reaktion auf die Ereignisse in Köln gewesen ist. Es gibt Situationen, in denen der Staat – auch aus übergeordneten Motiven heraus – in der Lage sein muss, schnell zu reagieren und Gesetze, die noch nicht lange in Kraft sind, noch einmal zu verändern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir haben das getan. Ich bitte, das nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, weil wir nach diesen Ereignissen eine schwierige Debatte, eine sehr emotionale Debatte in Deutschland geführt haben. Es wurde von uns getan, weil ich es für richtig halte, dass ein großes Ausweisungsinteresse schon vorliegen kann, wenn in Deutschland jemand zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wird. Im Übrigen sage ich auch das: Wir wollen damit nicht nur mögliche Opfer – sie hat es in Köln gegeben – besser vor Straftätern schützen, sondern wir wollen auch die Hunderttausende von Flüchtlingen, die in diesem Land angekommen sind und hier unbescholten leben, davor schützen, dass sie mit solchen Kriminellen in einen Topf geworfen werden. Deshalb mussten wir schnell reagieren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Haßelmann? Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Nein, ich würde jetzt erst gerne selbst noch ein bisschen erzählen. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie mal was zum Sexualstrafrecht, Herr Maas! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Ja, ich komme auch schon zum Schluss. Über das Sexualstrafrecht werden wir hier, glaube ich, bei anderer Gelegenheit noch einmal reden können. Darauf bin ich schon sehr gespannt. Meine Damen und Herren, ich will noch Folgendes sagen: Über den richtigen Weg in der Flüchtlingspolitik können wir alle lebhaft streiten. Auch das gehört zur Demokratie. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Genau!) Ich finde es, ehrlich gesagt, gar nicht so schlecht, dass in Deutschland wieder über Werte und nicht nur über Wohlstand und Wohlfahrt – das war in der letzten Zeit immer so – diskutiert wird. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Natürlich: Diese Diskussion kann und soll auch leidenschaftlich geführt werden. Wenn man über Werte und Überzeugungen redet, dann geht das nur mit Leidenschaft. Aber der Tonfall, mit dem das in der letzten Zeit teilweise geschehen ist, bereitet mir auch als Justizminister Sorgen. Wenn es um die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung geht, dann greifen manche Kritiker zu einer Rhetorik, die jedes Maß verloren hat. „Notstand“, „Rechtsbruch des Staates“, „Herrschaft des Unrechts“: Diese Parolen sind nicht nur juristisch hanebüchen, sie sind politisch brandgefährlich. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) In der Flüchtlingspolitik wird zu Recht Realismus eingefordert. Zu diesem Realismus gehört für mich aber auch, dass man eben nicht in hysterische Krisenrhetorik verfällt. Solche Dinge, die dabei in den Raum gestellt werden, lösen kein einziges Problem, sie schüren dagegen viele, viele Ängste. Vor allen Dingen: Wer mit solchen Worten die Legalität des Staates permanent infrage stellt, der stärkt Recht und Gesetz nicht, sondern er schwächt sie. (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren, auch da haben wir als politisch Verantwortliche eine besondere Verantwortung für das, was wir in der Diskussion in Deutschland – die ich für notwendig halte – sagen. Ich halte es für gut, dass in Deutschland wieder über Werte diskutiert wird und nicht nur über Wachstumsprognosen. Aber wir alle, die wir uns an dieser Debatte beteiligen, haben auch eine besondere Verantwortung, mit den Worten, mit denen wir uns beteiligen, nicht dafür zu sorgen, dass die Spaltung größer wird, sondern dafür zu sorgen, dass das, was in diesem Land zurzeit geschieht, dazu führt, dass Menschen friedlich und gut zusammenleben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Luise Amtsberg für Bündnis 90/Die Grünen. Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Zu den zwingend erforderlichen Reformen im Sexualstrafrecht haben Sie jetzt leider nichts gesagt. Insofern fällt es mir nach wie vor schwer, zu glauben, dass im Fokus dieser ganzen Initiativen tatsächlich der Schutz von Frauen vor sexueller Gewalt steht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Aber kommen wir zu dem vorliegenden Entwurf. Ein Gesetzentwurf, der den Wert der Familie infrage stellt, der die Rechte und den Schutz von Kindern hintanstellt, der Integration wissentlich auf Jahre behindert, der die Betroffenen über ihre Zukunft in Deutschland verunsichert – auf einen solchen Gesetzentwurf kennt meine Fraktion nur eine Antwort, und die ist Nein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nein, weil Humanität eben nicht für ein paar Monate oder zwei Jahre mal pausieren kann, nur weil es innenpolitisch etwas unbequemer wird, nein, weil es nicht sein darf, dass Grundrechte gerade dann, wenn sie gebraucht werden, wenn sie sich beweisen müssen, preisgegeben werden. Das Recht auf Familienleben ist nicht nur im Grundgesetz, sondern auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention und zahlreichen weiteren Vereinbarungen, wie zum Beispiel der UN-Kinderrechtskonvention, verbrieft. Und trotzdem: Mit Ihrem Gesetz verweigern Sie Menschen, die aufgrund von Lebensgefahr, von drohender Folter, Todesstrafe oder infolge von Bürgerkriegen nicht in ihre Heimat zurückkehren können, das Zusammenleben mit ihren Familien. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine Fraktion findet, dass das Recht darauf, mit seiner Familie zusammenzuleben, ausnahmslos für alle Menschen gilt, auch für Flüchtlinge, allem voran für Kinder. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Denn Kinder – darüber wurde hier wenig gesagt – sind die Hauptopfer von Krieg. Sie sind besonders verletzlich, sie brauchen besonderen Schutz, in bewaffneten Konflikten, aber auch auf der Flucht. Sie brauchen besonderen Schutz und unsere ungeteilte Aufmerksamkeit, auch hier in Deutschland. Kinder haben Kriege nicht zu verantworten. Deshalb ist Ihr Plan, gerade bei Kindern, die alleine nach Deutschland gekommen sind, den Nachzug der Verwandten einzuschränken bzw. nicht zu erlauben, nichts anderes als gemein und verantwortungslos. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Auf Ihrem Weg, die Zahl der Flüchtlinge in Deutschland zu reduzieren, setzen Sie bei den Schwächsten an, ohne Wenn und Aber. Das kann einen eigentlich nur sprachlos machen; denn wir wissen, dass die Folge ist, dass insbesondere Frauen und Kinder – die Abgeordneten, die derzeit vor Ort sind, werden das bestätigen können – auf die Boote über das Mittelmeer gehen. Das ist auch logisch. Ich finde es wirklich bigott, wenn man sich am Anfang der Debatte hinstellt und sagt: „Hier kommen nur junge Männer nach Deutschland. Was ist denn eigentlich los?“, und später, wenn sich sozusagen der Wind dreht und viele Kinder kommen, auf einmal sagt: „Die Eltern in den Kriegs- und Krisengebieten, die ihre Kinder losschickten, sind verantwortungslos“, vor allen Dingen, wenn man weiß – Frau Jelpke hat darauf hingewiesen –, dass es manchmal der einzige Weg ist, sein Kind zu schützen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Es ist falsch, Frau Högl, zu sagen, dass es nur zwei Jahre sind. Für geflüchtete Erwachsene bedeutet der ausgesetzte Familiennachzug, dass sie im schlimmsten Fall bis zu fünf Jahre von ihren Familien getrennt werden, was nach meiner Auffassung einer dauerhaften Trennung gleichkommt. Das Asylverfahren dauert ab Stellung des Asylgesuchs meist mehr als zwölf Monate. Zwei Jahre beträgt die Wartefrist für Familienangehörige. Zudem müssen die Nachzugsberechtigten häufig länger als ein Jahr auf einen Termin bei der jeweiligen deutschen Botschaft warten. Das macht am Ende vier bis fünf Jahre, und deshalb müssen wir hier von einer dauerhaften Trennung von Familien sprechen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vielleicht noch mal zu den Zahlen. Ich habe dazu ja eine Kleine Anfrage gestellt, Herr Strobl. Deshalb weiß ich: Das Szenario, das Sie hier zeichnen, dass Millionen von Familien nachkommen, ist einfach falsch. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bedauerlicherweise ist es so, dass lediglich gut 18 000 Menschen im vergangenen Jahr von diesem Recht Gebrauch machen konnten. Es ist doch nicht so, dass wir überrannt werden von einer Situation, mit der wir nicht umgehen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: 500 000 Syrer haben das Recht auf sofortigen Familiennachzug!) Integration ist ein Familienprojekt. Wer keine Hoffnung hat, seine Kinder und Partner zügig in Sicherheit zu bringen, der wird sich in Deutschland nicht integrieren, der wird nicht glücklich, der wird hier auch nicht wirklich ankommen können. Von daher sind Einschränkungen beim Familiennachzug nicht nur menschenrechtlich verantwortungslos, sondern auch mit Blick auf die Integration und den gesellschaftlichen Zusammenhalt verantwortungslos und kurzsichtig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das gilt im Übrigen auch für eine weitere Regelung in Ihrem Gesetzentwurf: Sie möchten künftig pauschal von allen Flüchtlingen Geld einbehalten, um Sprachkurse zu finanzieren – wohlgemerkt von allen, sogar von denen, die überhaupt gar kein Anrecht auf Sprachkurse haben. Das heißt, obwohl das Bundesverfassungsgericht unmissverständlich klargemacht hat, dass die Menschenwürde migrationspolitisch nicht zu relativieren ist, verlangen Sie künftig sogar Geld für etwas, was gar nicht allen zusteht. Dazu möchte ich sagen: Die Unterscheidung bezieht sich eben nicht auf „schutzberechtigt“ und „nicht schutzberechtigt“, sondern auf die Schutzquote. Das zeigt sich ganz wunderbar bei den Sprachkursen, auf die nur Syrer, Iraner, Iraker und Eritreer ein Anrecht haben, zum Beispiel Afghanen aber nicht. Herr Strobl, Sie können mir sicherlich beispringen, wenn ich sage, dass ein großer Teil dieser Menschen durchaus schutzberechtigt ist, hier für immer bleiben wird, also hier eine Zukunft haben muss und deswegen an den Sprachkursen partizipieren muss. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Lassen Sie mich zum Schluss – weil das in der Debatte traurigerweise umgeht – die verschärfte Regelung für jene Flüchtlinge ansprechen, die aufgrund einer Erkrankung aus humanitären Gründen eigentlich nicht zurückgeschickt werden können. Man beruft sich dabei auf innerstaatliche bzw. inländische Gesundheitsalternativen und darauf, dass Behandlungen von schweren Krankheiten grundsätzlich in dem betreffenden Land möglich sind. Fragen, ob kranke Menschen die Gesundheitsversorgung vor Ort überhaupt erreichen können, ob sie genügend Mittel zur Verfügung haben, wenn sie zurückgeschickt werden, ob es überhaupt die Möglichkeit gibt, sich innerhalb des Landes ohne Gefahr zu bewegen, um die Gesundheitsversorgung in Anspruch zu nehmen, haben überhaupt keinen Platz. Genauso befremdlich ist es, dass es in Ihrem vorliegenden Gesetzentwurf heißt, dass posttraumatische Belastungsstörungen keine schwerwiegenden Erkrankungen darstellen, wenn sie medikamentös behandelt werden können. Ich weiß nicht, wie viele Ärzte und Therapeuten heute im Parlament anwesend sind: Ich habe mir sagen lassen, dass das mit der Realität sehr wenig zu tun hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Kurzum: Auch diese geplante Regelung wird zu einer Ausweitung der Abschiebungen von kranken Menschen führen. Das kritisieren wir aufs Schärfste. Ich würde mir wirklich wünschen, Herr Strobl, dass Sie an dieser Stelle vielleicht auch ein paar Menschenrechtler zitieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sie haben wenigstens zugehört, im Gegensatz zu anderen!) Man kann sich das nicht immer aussuchen, und es geht nicht, dass man nur zitiert, wenn es gerade passt, an anderer Stelle jedoch gar nicht hinhört bzw. Verfahren im Parlament durchführt, in denen wir nur eine Woche Zeit haben, um uns mit Experten auszutauschen. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Zwei Wochen!) Ich komme zum Schluss. Neue Gesetze, die nicht einmal einen Tag die Luft der Inkraftsetzung atmen, bevor sie durch ein neues ersetzt werden sollen, durchnummerierte Sammelpakete, die in Eilverfahren durch die parlamentarischen Beratungen gejagt werden, das kategorische Ignorieren der Bedenken aus der Zivilgesellschaft und der Experten und auch das notorische Abwehren von Vorschlägen, die wir durchaus vorgelegt haben – all das wird Sie nicht zu Ihrem Ziel bringen, (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Wir haben ja noch die Ausschussberatungen!) dass Asylverfahren beschleunigt werden, dass geordnete Verfahren stattfinden und dass wir wissen – das ist ja Ihr Hauptanliegen –, wer sich hier in unserem Land befindet. All das wird dazu nicht beitragen. Ihr Vorhaben ist einseitig und gegen die Rechte von Schutzsuchenden. Das lehnen wir entschieden ab. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Stephan Mayer. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Burkhard Lischka [SPD]) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Ich bin der festen Überzeugung, dass unser Land derzeit vor einer der größten Herausforderungen seit Bestehen der Bundesrepublik steht. Es geht aus meiner Sicht so stark wie schon lange nicht mehr darum, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um die „Herrschaft des Unrechts“!) dass wir alle an den Stellen, an denen wir Verantwortung tragen, dazu beitragen, dass der innere Zusammenhalt unseres Landes nicht verloren geht. Ich sehe die große Gefahr einer zunehmenden Polarisierung unserer Gesellschaft, einer Stärkung der Zentrifugalkräfte und eines Auseinanderdiffundierens unserer Gesellschaft. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil Sie sie teilen mit der „Herrschaft des Unrechts“!) Das kann nicht in unserem Interesse sein. Das kann nicht im Interesse der hier vertretenen Parteien sein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, insbesondere Herr Kollege Bartsch und Herr Kollege von Notz, Sie können die CSU verunglimpfen, Sie können die CSU und den bayerischen Ministerpräsidenten beschimpfen. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Nicht verunglimpfen, beschreiben! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Verunglimpfen? Das war Herr Seehofer!) Ich sehe das sehr gelassen – das sage ich Ihnen ganz ehrlich –; denn das hilft uns in Bayern. Je mehr Sie uns beschimpfen, desto mehr profitiert die CSU in Bayern davon. Aber ich sage auch – und das meine ich ganz ernsthaft –: Wenn Sie dazu auffordern, nicht die Probleme zu benennen, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn das gesagt?) die sich in unserem Land stellen, wenn Sie dazu auffordern, die Ängste und Bedenken unserer Bevölkerung zu ignorieren, (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das macht doch keiner!) dann machen Sie genau das Gegenteil dessen, was wir eigentlich wollen. Sie leiten Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten, (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Herrschaft des Unrechts“!) und Sie tragen mit dazu bei, dass sich unsere Bevölkerung weiter von der Politik abgrenzt. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die „Herrschaft des Unrechts“ in Bayern!) Herr Bartsch, Sie fordern dazu auf, dass die CSU wieder in ihr Herkunftsland zurückkehren soll. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Genau!) Ich bin der festen Überzeugung: Deutschland fährt gut damit, dass Bayern ein fester Bestandteil Deutschlands ist. Das meine ich ernst. Seit der Wiedervereinigung sind über 2 Millionen Bundesbürger nach Bayern gezogen. Also, so schlecht können die Bedingungen in Bayern nicht sein. Bayern zahlt über die Hälfte des Länderfinanzausgleiches. (Beifall bei der CDU/CSU) Herr Bartsch, was Sie mehr besorgen sollte – das meine ich auch ernst – als die CSU, ist, dass offenbar ein Fraktionskollege von Ihnen einen ehemaligen RAF-Terroristen als Angestellten beschäftigen will, der wegen neunfachen Mordes und elffachen Mordversuches verurteilt wurde. (Zurufe von der CDU/CSU: Oh! Oh!) Das ist schäbig. Das ist schändlich. Herr Bartsch, kümmern Sie sich um diese Angelegenheit und nicht um die Befindlichkeiten der CSU! (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, ich sage Ihnen ganz klar: Es wird Ihnen nicht gelingen – so sehr Sie hier auch über die CSU und über die Haltung der bayerischen Staatsregierung schwadronieren –, (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir schwadronieren nicht! Wir setzen uns mit dem Dreck auseinander, den Sie verbreiten!) die CDU und die CSU auseinanderzudividieren. CDU und CSU sind die Taktgeber, wenn es darum geht, die Asylgesetzgebung sachgerecht und angemessen voranzubringen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Mayer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. von Notz? Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr gerne. Selbstverständlich. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Na ja, „sehr gerne“ nicht gerade!) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Mayer, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Weil Sie mich direkt angesprochen haben, will ich Sie etwas fragen. Man kann die Linke ja immer kritisieren, für Praktikanten und so; (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Mitarbeiter!) aber in Zeiten, in denen Ihr Ministerpräsident zu Wladimir Putin reist und mit ihm auf enge Kooperation macht, sollte man sich zurückhalten. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deswegen erwarte ich von Ihnen als innenpolitischer Sprecher von der CSU eine Interpretation, ein klares Statement, wie denn bitte die Aussage von Herrn Seehofer – „Herrschaft des Unrechts“ – zu interpretieren ist. Legen Sie mir das einmal aus, damit ich das verstehe! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Vielen Dank, sehr geehrter Herr Kollege von Notz. – Um auf Ihre erste Einlassung einzugehen: Ich sehe das beileibe nicht so lapidar. Wenn ein ehemaliger RAF-Terrorist, der sich des neunfachen Mordes schuldig gemacht hat, von einem Kollegen in diesem Haus als Angestellter beschäftigt werden soll, (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Wird!) dann ist das aus meiner Sicht ein Skandal. Sonst zitieren Sie ja doch immer so gerne Skandale. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Jetzt zu Ihren beiden konkreten Fragen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Putin!) Der russische Präsident Putin ist mit Sicherheit kein einfacher Verhandlungspartner. (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?) Ich sage auch ganz offen: Er hat zutiefst völkerrechtswidrig gehandelt, als die Krim annektiert wurde. Aber eines gehört aus meiner Sicht auch mit zur Wahrheit: Wir haben derzeit derart viele globale Konfliktherde, (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und da brauchen wir Herrn Seehofer, der hier von einem Unrechtsstaat redet, oder was?) und wir werden die Russen bei der Lösung dieser Konflikte brauchen, ob wir wollen oder nicht. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie klingen wie Sahra Wagenknecht! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind wir ein Unrechtsstaat? Ja oder nein?) Man muss mit den Russen und auch mit dem russischen Präsidenten sprechen, wenn es darum geht, die Situation im Mittleren und im Nahen Osten in den Griff zu bekommen. Auch wenn es darum geht, den Ukraine-Russland-Konflikt zu lösen, muss man den Gesprächsfaden mit den Russen wieder aufnehmen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht Herr Seehofer?) Herr Kollege von Notz, ich glaube nicht, dass in der Weltgemeinschaft und zwischen den Staats- und Regierungschefs momentan zu viel gesprochen wird, sondern ich glaube, dass zu wenig gesprochen wird, um das klar zu sagen. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind wir ein Unrechtsstaat oder nicht?) Der bayerische Ministerpräsident hat die Punkte, die es anzusprechen gilt, bei seinem Besuch in Moskau sehr wohl kritisch angesprochen. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind wir ein Unrechtsstaat? Ja oder nein?) Aber eines muss klar sein: Man muss miteinander reden. Nur wenn wir miteinander reden, kommen wir bei der Lösung dieser Konflikte weiter. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit dem Unrechtsstaat?) Zu Ihrer zweiten Frage, Herr Kollege von Notz, zum Thema „Herrschaft des Unrechts“. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, sehr gut!) Es ist nun einmal so – das ist auch die abgestimmte Rechtsposition der Bundesregierung –, dass die Vorgänge an den deutschen Außengrenzen, insbesondere an der bayerisch-österreichischen Grenze, derzeit so sind, dass Zurückweisungen rechtlich möglich wären. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach so, Bayern ist ein Unrechtsstaat! Jetzt verstehe ich das!) Es ist eine politische Frage, ob man zu dieser Maßnahme greift. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz dünnes Eis!) Ich würde nicht zuallererst zu dieser Maßnahme greifen; aber der Hinweis darauf, dass diese größtenteils unkontrollierte und unregistrierte Zuwanderung, insbesondere Ende letzten Jahres, (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz dünnes Eis, Herr Mayer!) nicht im Einklang mit deutschem Recht war, ist aus meiner Sicht vollkommen richtig und legitim. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, CDU und CSU sind gemeinsam Taktgeber, wenn es darum geht, diese große Herausforderung in den Griff zu bekommen. Vieles von dem, was jetzt im Rahmen des Asylpakets II ansteht, hätten wir gerne – auch das sage ich hier ganz offen – schon weitaus früher verabschiedet. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nun hat es etwas länger gedauert; aber was lange währt, wird endlich gut. Wir verfolgen ganz deutlich drei Ziele: Zum einen geht es darum, falsche Anreize zu reduzieren – mit Blick auf diejenigen, die kein Recht haben, in Deutschland Asyl zu bekommen oder als Flüchtling anerkannt zu werden. Wir haben dazu – dies ist auch einmal klar zu sagen – im letzten Jahr weitreichende Maßnahmen ergriffen. Ich bin der festen Überzeugung, wir sollten alle stärker über das reden, was wir im vergangenen Jahr an gesetzlichen Maßnahmen verabschiedet haben, zum Beispiel darüber, dass der gesamte Westbalkan jetzt eine sichere Herkunftsregion ist, was dazu geführt hat, dass kaum mehr ein Bewerber aus den sechs Ländern des westlichen Balkans kommt; dass wir wieder zum Sachleistungsprinzip zurückgekehrt sind – das Sachleistungsprinzip hat Vorrang vor dem Geldleistungsprinzip –; dass es die Möglichkeit gibt, Sozialleistungen für diejenigen zu reduzieren, die ausreisepflichtig sind, unser Land aber nicht verlassen. Das meine ich mit Reduzierung falscher Anreize. Das ist ein elementares Ziel. (Beifall bei der CDU/CSU) Des Weiteren geht es darum, die Verfahren zu beschleunigen. Auch hier haben wir durchaus sehr weitreichende und auch sehr zielgerichtete Maßnahmen vorangebracht. Wir haben im letzten Monat das Datenaustauschverbesserungsgesetz verabschiedet. Das führt dazu, dass jetzt eine lückenlose Registrierung ermöglicht wird – unmittelbar nach dem Eintritt in das Bundesgebiet. Wir reichen ab Beginn des Februars einen Ankunftsnachweis an alle Flüchtlinge aus, die neu zu uns kommen. Auch dies ist ein wichtiger Bestandteil im Maßnahmenkatalog der Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen. Das dritte Ziel ist – das gehört auch zur Wahrheit mit dazu –, dass wir natürlich alles dafür tun müssen, dass die hohe Zahl derjenigen, die nach wie vor unser Land erreichen, deutlich, drastisch und schnell reduziert wird. Ich sage auch ganz offen: Natürlich ist mir eine europäische und internationale Lösung lieber, als es mir nationale Maßnahmen sind. Ich unterstütze nachdrücklich unsere Bundeskanzlerin, wenn es darum geht, in Europa und gegenüber vielen europäischen Hauptstädten dafür zu werben, dass wir einen konzertierten gemeinsamen Ansatz an den Tag legen, wenn es darum geht, diese epochale Herausforderung, die auch Europa in die größte Krise seit seinem Bestehen gestürzt hat, in den Griff zu bekommen. Nur – das gehört zur Wahrheit eben auch dazu –: Die europäische Lösung lässt auf sich warten. Das liegt nicht am fehlenden Einsatz und am fehlenden Engagement der Bundeskanzlerin, sondern das liegt bedauerlicherweise daran, dass immer mehr nationale Egoismen in vielen Hauptstädten der Europäischen Union um sich greifen. Deshalb – das sage ich ganz deutlich – müssen wir auch als Nationalstaat weiterhin handeln. Das Asylpaket II ist ein wichtiger und maßvoller Bestandteil in diesem Maßnahmenkatalog. Noch eines zum Thema „Aussetzung des Familiennachzugs“, weil das von Ihnen vielmals als inhuman und skandalös diskreditiert wurde. (Zustimmung des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das sind Brandstifter!) Bis zum 1. August letzten Jahres war der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte ausgesetzt. Wir kehren schlichtweg nur zu dem Rechtszustand zurück, der bis zum 1. August 2015 gegolten hat, (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Genauso ist das!) an dem Sie auch nie irgendeinen Anstoß genommen haben. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Jetzt plötzlich sagen Sie, alles wäre unheimlich unmenschlich und skandalös. Bis zum 1. August haben Sie daran überhaupt keine Kritik geübt. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist überhaupt nicht wahr!) Um das auch zu sagen: Es ist bedauerlicherweise ein häufig praktiziertes Geschäftsmodell der Schlepper und Schleuser, dass sie minderjährige Kinder voranschicken, um damit zu erreichen, dass diese ihre Eltern nachziehen lassen können. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür bestrafen Sie jetzt die Kinder in Deutschland!) Wir dürfen dieses Geschäftsmodell der Schlepper und Schleuser hier nicht zum Tragen kommen lassen. Ganz im Gegenteil: Wir müssen ihnen einen Strich durch die Rechnung machen. (Beifall bei der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das erklären Sie den Kindern mal! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie schon mal mit einem solchen Kind geredet, Herr Mayer? Haben Sie schon mal mit einem solchen Kind geredet? – Zuruf von der CDU/CSU: Dieses Geschäftsmodell zerstören wir! – Weitere Zurufe) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden mit diesem Gesetzespaket auch die Abschiebungen erleichtern. Gestatten Sie einige Bemerkungen zum Thema Abschiebungen. Die Abschiebungen haben sich vom Jahr 2014 auf das Jahr 2015 verdoppelt. Das ist gut, aber ich sage ganz offen: Da sind alle Länder aufgefordert, sich noch mehr nach der Decke zu strecken und mehr zu tun. 15 Bundesländer haben es geschafft, die Abschiebezahlen zu erhöhen. Bayern zum Beispiel hat sie vervierfacht. Ein einziges Bundesland war so erfolgreich – in Anführungszeichen – und hat es geschafft, im Jahr 2015 weniger Personen abzuschieben als im Jahr 2014. Das war, Herr Bartsch, ausgerechnet das Bundesland, in dem ein Linker Ministerpräsident ist – Gratulation! (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn dann dieser linke Ministerpräsident noch dazu ankündigt, dass er nicht bereit ist, der Aufforderung des Bundesinnenministers zu folgen, ausreisepflichte afghanische Staatsbürger zu melden und diese in ihr Heimatland abzuschieben, halte ich das für skandalös; das sage ich klar, Herr Bartsch. (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN) Meine sehr verehrten Damen und Herren, noch eine letzte kurze Bemerkung zum Ausweisungsrecht. Die jetzt beabsichtigte Verschärfung des Ausweisungsrechts ist sachgerecht, weil auch eines zur Wahrheit gehört: Wer sich ein derart schädliches und schäbiges Verbrechen hat zuschulden kommen lassen – – Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Mayer, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin Brantner? Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Selbstverständlich, sehr gerne. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Mayer, ich wollte Sie fragen zu den Abschiebungen, die Sie erwähnt haben – vierfach höhere Abschiebungszahlen in Bayern –, und zur Statistik. Ist Ihnen bewusst, dass die Bayern als einzige alle, die sie nicht mehr auffinden, mit zu denjenigen zählen, die freiwillig ausgereist sind? Wenn man diese Zahlen herausrechnet – alle anderen Bundesländer sagen nicht, dass diejenigen, die sie nicht mehr auffinden, offensichtlich ausgereist sind –, ist der Unterschied zwischen Bayern und den anderen Bundesländern gar nicht mehr so groß. Sind Sie auch dafür, dass man das harmonisiert und sich darauf einigt, dass nur noch die, von denen man sicher ist, dass sie ausgereist sind, auch als Ausgereiste zählen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schummelnummer!) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Kollegin Brantner, mir geht es ja gar nicht darum, Bayern zu glorifizieren. (Lachen bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh nein! Wie kann man das nur denken? – Burkhard Lischka [SPD]: Eigentlich schade!) – Nein, das meine ich wirklich sehr ernst. – Ich habe zu Beginn meiner Rede wirklich ernsthaft darauf hingewiesen, dass wir alle ein Interesse daran haben müssen, dass der innere Zusammenhalt unseres Landes so bleibt, wie er jetzt ist. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, Gott sei Dank! Das ist ja auch der Bundestag hier!) Ich sehe die große Gefahr, dass nicht nur Parteien auseinanderdiffundieren, sondern dass wir momentan auch unser Land auf einen Weg bringen, auf dem es sich eher auseinanderentwickelt als beieinanderbleibt. Aber um eines klar zu sagen: Es ist nun einmal so, dass die Abschiebepolitik in Bayern konsequenter und effektiver ist als in vielen anderen Bundesländern. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das stimmt!) Es gibt manche Bundesländer, die nicht einmal mehr über entsprechende Möglichkeiten verfügen, abzuschiebende Personen in Gewahrsam zu nehmen. Manche Bundesländer wie Schleswig-Holstein machen es sich ganz einfach: Sie haben überhaupt kein Abschiebegefängnis. In der Konsequenz werden natürlich auch deutlich weniger Abschiebungen durchgeführt als in anderen Bundesländern. (Widerspruch bei der LINKEN – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie schummeln bei Ihrer Statistik, Herr Mayer!) Bayern und vor allem der bayerische Innenminister machen eine sehr konsequente Abschiebepolitik. Um auch dies klar zu sagen: Nur durch konsequente und effektive Abschiebungen wird auch das richtige Signal an die Länder gesetzt, in denen sich potenzielle Flüchtlinge aufhalten – dass es unter diesen Gegebenheiten keinen Sinn mehr macht, sich auf diesen gefahrvollen, für viele bedauerlicherweise sogar tödlichen Weg nach Europa zu machen –, weil dadurch festgestellt wird: Wenn eine Person ausreisepflichtig ist, dann muss sie unser Land in der Konsequenz schnell und zügig verlassen. (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war keine Antwort auf die Frage!) Natürlich sind mir freiwillige Ausreisen lieber als zwangsweise Abschiebungen. Natürlich wäre es schön, wenn mehr Personen der Aufforderung nachkämen, unser Land freiwillig zu verlassen. Aber in der letzten Konsequenz muss der Staat natürlich handlungsfähig bleiben und die Personen, die nicht bereit sind, freiwillig die Rückreise anzutreten, zwangsweise in ihr Heimatland zurückführen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das war nicht die Frage, Herr Mayer! – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Frage war eine andere!) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, eine letzte Bemerkung zum Thema Ausweisungsrecht. Die vorgeschlagene gesetzliche Regelung zur Verschärfung des Ausweisungsrechts ist alles andere als Symbolpolitik oder Aktionismus. Sie ist aus meiner Sicht eine sehr maßvolle, sachgerechte Ergänzung des bisherigen Ausweisungsrechts, weil klargemacht wird: Wenn sich jemand ein schändliches Verbrechen gegen die sexuelle Integrität, gegen die körperliche Unversehrtheit, gegen das Leben oder gegen das Eigentum hat zuschulden kommen lassen, dann hat er damit auch sein Bleiberecht in Deutschland verwirkt und muss unser Land zügig verlassen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Burkhard Lischka [SPD]) In diesem Sinne: Ich glaube, das Gesetzespaket, das heute eingebracht wird – das Asylpaket II und die Verschärfung des Ausweisungsrechts –, ist sachgerecht und maßvoll. An diesem Gesetzespaket wird auch deutlich: Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen sind handlungsfähig. Wir stehen vor einer großen Herausforderung. Wir haben noch weitere große Herausforderungen und Probleme vor uns. Aber mit diesem Paket werden wir konsequent reagieren. Deshalb bitte ich um eine zügige Behandlung in den Ausschüssen und dann auch um eine zügige Verabschiedung hier im Deutschen Bundestag. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist Herr Landesinnenminister Ralf Jäger. (Beifall bei der SPD) Ralf Jäger, Minister (Nordrhein-Westfalen): Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Satz „Wir schaffen das“ wird irgendwann vermutlich in die Geschichtsbücher eingehen. Dieser Satz beinhaltet zunächst ein Versprechen, ein Versprechen an die Flüchtlinge, die nach Deutschland fliehen. Er ist zugleich aber auch eine Verpflichtung für diejenigen, die ihn umsetzen sollen und müssen. Wer ist eigentlich „wir“? Ein Dach über dem Kopf organisieren, die Versorgung sicherstellen, die Flüchtlinge registrieren, sie medizinisch betreuen, die Sprachvermittlung organisieren, Kindergartenplätze zur Verfügung stellen, die Beschulung organisieren, schlichtweg Integration leisten, das ist die Leistung der Länder, aber vor allem der Kommunen. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Richtig!) Der Bund hat eine wichtige Aufgabe: Asylanträge zu bearbeiten. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Und die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, die die Länder umsetzen sollen!) Meine Damen und Herren, die Länder und ich selbst erkennen die besonderen Bemühungen der Kanzlerin, von Außenminister Steinmeier und auch von Herrn Bundesinnenminister de Maizière, eine europäische Lösung im Hinblick auf den Flüchtlingsstrom nach Europa und nach Deutschland zu suchen, ausdrücklich an. Aber in der Zeit dieser Bemühungen geht das Tagesgeschäft für Länder und Kommunen weiter. Das bedeutet, dass sie jeden Tag weitere, zusätzliche Menschen unterzubringen haben – jeden Tag zusätzliche. Von einer entspannten Lage kann definitiv nicht gesprochen werden, auch wenn die Zahlen jetzt etwas zurückgegangen sind. Allein in Nordrhein-Westfalen haben wir nur im Januar 19 000 Menschen nach dem Königsteiner Schlüssel untergebracht. Tatsächlich sind übrigens 27 000 angekommen. All diese müssen registriert, geröntgt und untergebracht bzw. beherbergt werden. Mit dem „wir“ im Satz „Wir schaffen das“ sind auch unsere Kommunen gemeint, die Unglaubliches leisten. (Beifall im ganzen Hause) Der Alltag in den Städten und Gemeinden ist zurzeit 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche, Obdachlosigkeit zu vermeiden. Das ist im letzten Jahr gelungen – im Übrigen auch durch unzählige Freiwillige, die zum Teil ihren Jahresurlaub genommen oder mit ihrem Arbeitgeber das Agreement getroffen haben, statt zu arbeiten, in der Flüchtlingsunterbringung tätig zu sein. Nach meinem Eindruck lässt das auch nicht nach. Das alles ist in den Kommunen dieses Landes geleistet worden. In denselben Kommunen finden aktuell aber auch Diskussionen darüber statt, die Grundsteuer B oder die Gewerbesteuer erhöhen und Bibliotheken oder Jugendzentren schließen zu müssen, weil die Kosten der Flüchtlingsunterbringung so hoch geworden sind. Deshalb meine Anregung: Man kann Haushaltsüberschüsse auch dafür nutzen, die Kommunen in diesem Land zu entlasten. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Haben wir ja auch gemacht!) Die Kommunen haben die größte Last zu tragen; sie müssen die Menschen unterbringen und ihnen das vor Ort auch erklären. Das Asylpaket II ist wichtig. Das gilt auch in Bezug auf das Thema Rückführung; denn ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es die große Akzeptanz, diese Willkommenskultur, die in Deutschland herrscht – allein im letzten Jahr wurden 1 Million Flüchtlinge aufgenommen –, nur dann weiterhin geben wird, wenn der Rechtsstaat deutlich macht, dass diejenigen, die keinen Schutz brauchen, zurückkehren müssen, und zwar so schnell wie möglich, weil das nur fair ist, bevor Integrationsprozesse beginnen und später abgebrochen werden müssen. (Beifall bei der SPD – Michaela Noll [CDU/CSU]: Das können Sie doch machen! Wer hindert Sie denn daran? – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Dann legen Sie los!) Das, was heute hier zum Asylpaket II und zur Rückführung beraten wird, kann nur der erste Schritt sein. Auch wenn es zukünftig leichter sein soll, schneller zurückzuführen, steht die Rückführung immer nur am Ende eines Asylverfahrens, und die Asylverfahren in Deutschland dauern trotz aller Anstrengungen und trotz aller Bemühungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nach wie vor viel zu lange. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Herr Strobl, die durchschnittliche Bearbeitungsdauer des Asylantrags eines Asylsuchenden aus den Maghreb-Staaten dauert ganz konkret 14,7 Monate nach Antragstellung. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Deshalb wäre es gut, wir machen sie zu sicheren Herkunftsländern! – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Sicheres Herkunftsland, und alles ist gut! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Dann machen wir sie zu sicheren Drittstaaten!) Bis zur Antragstellung hat dieser Mensch acht Monate zu warten. Das heißt, weil diese Verfahren zu lange dauern, sind Menschen, die eigentlich keinen Anspruch auf Schutz haben, fast zwei Jahre hier. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Wenn es sichere Herkunftsländer sind, geht das viel schneller! Auch das Verwaltungsgerichtsverfahren geht dann übrigens schneller!) Um auch das deutlich zu sagen, Herr Strobl: Ihre Argumentation, dass die Aufnahme der Westbalkanstaaten in die Liste der sicheren Herkunftsstaaten zu einem Rückgang der Asylbewerber aus diesen Staaten geführt hat, ist falsch. (Beifall der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Nicht dadurch, dass diese Staaten zu sicheren Herkunftsländern erklärt wurden, sondern lange davor – durch Maßnahmen des Bundesinnenministers, des Bundesaußenministers und vieler anderer Beteiligte – ist es insbesondere in Albanien gelungen, die Menschen davor zu bewahren, ihre eigene Existenz aufzugeben, Hab und Gut zu verkaufen und die Schleuser zu finanzieren, um sich dann irgendwann vor dem Nichts dort wiederzufinden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Exakt mit dem Gesetzgebungsverfahren zu den sicheren Herkunftsländern sind die Zahlen zurückgegangen! Exakt mit dem Inkrafttreten! Schauen Sie sich doch mal die Zahlen an und wann sie zurückgegangen sind! Genau mit der Gesetzgebung!) – Herr Strobl, wenn Sie sich die Zahlen anschauen, werden Sie feststellen, dass diese Zahlen, lange bevor der Deutsche Bundestag die Liste der sicheren Herkunftsstaaten erweitert hat, deutlich gesunken sind. Herr Strobl, Ihre Argumentation hält einem Realitätscheck nicht stand. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, die Ausweisung ist nicht zugleich die Abschiebung. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Strobl? (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die Große Koalition bei uns im Bund!) Ralf Jäger, Minister (Nordrhein-Westfalen): Von Herrn Strobl immer. Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Verehrter Herr Minister Jäger, sind Sie bereit, Folgendes zur Kenntnis zu nehmen: Natürlich hat es viele flankierende Maßnahmen – durch den Bundesinnenminister, durch den Bundesaußenminister – in den Westbalkanstaaten gegeben. Gleichwohl hatten wir die Situation, dass über das gesamte Jahr 2014 knapp die Hälfte aller Flüchtlinge, die nach Deutschland gekommen sind, vom Westbalkan kamen – Schutzquote: null. Das ging noch bis zum August des Jahres 2015 so. Im Herbst ist dann unsere Gesetzgebung in Kraft getreten, mit der wir den gesamten Westbalkan zu einer sicheren Herkunftsregion gemacht haben, und exakt ab diesem Zeitpunkt sind die Zahlen (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hochgegangen!) auf nahezu null zurückgegangen. Allein aufgrund dieses zeitlichen Zusammenhangs finde ich, dass es eine gute Gesetzgebung gewesen ist, die SPD und CDU/CSU im Deutschen Bundestag gemacht haben und der verschiedene Länder mit SPD-Regierungsbeteiligung zu Recht im Bundesrat zugestimmt haben. Diese gute Gesetzgebung sollten wir aus den von Ihnen zu Recht genannten Gründen schnellstmöglich auch auf die Maghreb-Staaten übertragen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ralf Jäger, Minister (Nordrhein-Westfalen): Herr Strobl, Sie haben mich gefragt, ob ich bereit bin, das zur Kenntnis zu nehmen: eindeutig nein, weil es falsch ist. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Herr Strobl, Sie bekommen als Bundestagsabgeordneter monatlich die statistischen Daten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Schauen Sie rein! (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Ich schaue sogar täglich rein!) Dann werden Sie feststellen, dass im Februar 2015 – exakt zur Zeit des rheinischen Karnevals – die Zahl der Asylsuchenden aus dem Kosovo extrem gestiegen ist (Burkhard Lischka [SPD]: 1 500 am Tag!) – in der Tat: 1 500 am Tag, allein in Nordrhein-Westfalen 300 bis 400 pro Tag – und dass es durch Maßnahmen im Kosovo, durch Kommunikation, durch Gespräche, die Bundesminister und Landesminister im Kosovo geführt haben, gelungen ist, diese Zahlen bis April/Anfang Mai deutlich zu senken. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Und was ist mit den Zahlen aus Albanien gewesen?) – Herr Strobl, Sie haben doch eine Frage gestellt und wollen die beantwortet bekommen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In der Zwischenzeit stiegen die Zahlen aus Albanien ab April/Mai extrem an, über den ganzen Sommer. Es hat uns wirklich vor eine extreme Herausforderung gestellt, für diese Menschen Betten und ein Dach über dem Kopf zu organisieren. Aber Tatsache ist: Als der Deutsche Bundestag das Gesetz über sichere Herkunftsstaaten beschlossen hat, waren diese Zahlen schon längst wieder unten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich will damit ja nicht sagen, dass dieses Gesetz falsch ist. Ich will damit nur sagen: Allein ein Land in die Liste der sicheren Herkunftsländer aufzunehmen, führt nicht dazu, dass die Menschen dieses Land nicht verlassen wollen, Herr Strobl. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das müssen Sie jetzt bitte einmal zur Kenntnis nehmen. Wir waren bei der Debatte an dem Punkt – – Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Minister, der Kollege Beck möchte ebenfalls eine Frage an Sie richten. Ralf Jäger, Minister (Nordrhein-Westfalen): Selbstverständlich. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Einen Teil meiner Frage haben Sie schon durch die Frage von Herrn Strobl beantwortet. Ich wollte Sie fragen, ob Sie sich mit mir gemeinsam auch daran erinnern, dass zum Jahresanfang, nach der Erweiterung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten um drei Länder, einerseits im Fall des Kosovo die Zahlen drastisch zurückgegangen sind – (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Wegen der Gesetzgebung!) das haben Sie gerade bestätigt – und andererseits im Fall von Serbien, obwohl es zu diesem Zeitpunkt ein sicherer Herkunftsstaat war, die Zahlen praktisch stabil geblieben sind, was zeigt, dass es offensichtlich mehr auf die Informationspolitik in den Ländern ankommt als auf die Einstufung als sicherer Herkunftsstaat, wenn man verhindern will, dass Menschen, die keinen Schutzanspruch haben, sich auf die Reise machen. (Peter Wichtel [CDU/CSU]: Beides brauchen wir!) Ralf Jäger, Minister (Nordrhein-Westfalen): Herr Beck, das ist präzise zutreffend. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, ich bin bei dem Punkt, dass Ausweisung noch keine Abschiebung ist. Wenn die Heimatstaaten ihre Staatsbürger nämlich nicht zurücknehmen – weil sie unkooperativ sind, weil sie sich verweigern, Passersatzpapiere, die für die Rückführung zwingend erforderlich sind, auszustellen –, dann helfen auch im Gesetz verankerte leichtere Ausweisungen nicht weiter. Im Gegenteil: Im Ergebnis werden die Zahlen der Geduldeten in den Bundesländern steigen. Ich weiß, dass der Bundesinnenminister und der Bundesaußenminister zurzeit viele Flugmeilen leisten, um in dieser Frage Lösungen zu finden. Aber wir brauchen auch Ergebnisse. Diskussionen über leichtere Rückführungen in sichere Herkunftsstaaten, Herr Strobl, sind nur Makulatur, wenn am Ende eine Abschiebung nicht durchgeführt werden kann. Meine Damen und Herren, all das sind Probleme, mit deren Folgen die Länder, aber vor allem unsere Kommunen umgehen müssen, die sie aber selbst nicht lösen können. Deshalb eine Bitte: Wir brauchen wirkliche Lösungen. Wir brauchen eine Aufrichtigkeit in der Flüchtlingspolitik. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Oh ja!) Wir brauchen die Solidarität der Verantwortlichen. Zu dieser Solidarität gehört auch, dass die Europäische Union keine Arbeitsgemeinschaft zur Verteilung von Fördermitteln ist, sondern auf Grundlage von Werten wie Humanität und Solidarität gegründet wurde. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Keine Vorschläge!) Dieses Land verändert sich durch den Zustrom von 1 Million Flüchtlinge – wir wissen nicht, wie viele es dieses Jahr sein werden – rasant. Dieses unglaubliche Tempo gehen viele in diesem Land mit, manche sogar mit Begeisterung. Manche Menschen in diesem Land haben Skepsis, andere machen sich Sorgen, manche haben sogar Angst. Ich glaube, wenn man Menschen, die Angst haben, nicht aus unserem gemeinsamen demokratischen und politischen Koordinatensystem treiben will, dann sollte man polternde Stammtischparolen und narkotisierende Scheinlösungen unterlassen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das gilt auch, Herr Strobl, für die Politik. Das bedeutet, bei diesem Thema nicht gegenseitig mit dem Finger auf sich zu zeigen. Vielmehr erwarten die Bürgerinnen und Bürger von uns gemeinsame Lösungen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wer mit den Ängsten der Menschen spielt und glaubt, dass man damit politische Geländegewinne erzielen kann, der wird sich nach dem 13. März dieses Jahres vielleicht darüber wundern, dass davon ganz andere profitiert (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Schauen Sie lieber auf die Domplatte!) und Geländegewinne gemacht haben, obwohl wir doch gemeinsam wollen, dass diese in einem demokratischen Parlament nicht vertreten sind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, zu dieser Sachlichkeit und Ehrlichkeit gehört auch, zu sagen, dass es eine schnelle Lösung für den Flüchtlingsstrom nach Deutschland nicht geben wird, sondern dass wir weiterhin einen langen Atem brauchen, dass wir aber im Rahmen dieser Sachlichkeit zugleich das wahrnehmen, was draußen passiert, Herr Strobl, und gelegentlich einen Realitätscheck durchführen. Es war für Länder und Kommunen ein hartes Jahr 2015. Die Länder haben inzwischen fast durchweg stabile Aufnahmesysteme. Das kriegen wir hin. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Sagen Sie doch etwas zu Köln und zu Ihrem Versagen!) Aber daran, ob unsere Kommunen ein solches Jahr noch einmal schaffen, gibt es wirklich Zweifel. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da müssen die Länder helfen! Die Kommunen sind ein Teil der Länder!) Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Nina Warken. (Beifall bei der CDU/CSU) Nina Warken (CDU/CSU): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! In den letzten Tagen war viel Kritik bezüglich der Gesetzentwürfe, die wir heute beraten, zu hören; auch in der Debatte wurde damit nicht gespart. Wir hörten, das Asylpaket II sei gesetzeswidrig, eine ungerechte Verschärfung – von einer Gängelung der Flüchtlinge und einer Aushöhlung des Asylrechts war die Rede; „Populismus“, „hilflos“ und „schäbig“ waren die Worte – und dass das alles nichts bringen würde. Wenn man aber so argumentiert, darf man sich folgenden Tatsachen nicht versperren: Tausende Menschen kommen täglich zu uns, obwohl sie bereits in einem anderen Land Schutz gefunden haben oder Schutz finden könnten. (Annette Groth [DIE LINKE]: Wo denn?) Unter den Asylbewerbern sind auch Kriminelle, die bei uns Straftaten begehen. In manchen Fällen wird ein Asylantrag nur gestellt, um Sozialleistungen zu bekommen. Kinder und Jugendliche werden auf eine lebensgefährliche Reise geschickt, damit dann auch ihre Eltern nach Deutschland kommen dürfen. Abgelehnte Asylbewerber werden vor allem in rot-grün regierten Bundesländern nur unzureichend abgeschoben. – All das ist inzwischen Alltag in Deutschland geworden und findet deshalb kein Verständnis in der Bevölkerung. Die Bürger erwarten von uns, dass wir gegen Missbrauch und Fehlentwicklungen vorgehen, die mit dem Schutz vor Verfolgung rein gar nichts zu tun haben. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Wir brauchen mehr Bildung! Wir brauchen den Bundesrat!) Genau das tun wir mit den Gesetzentwürfen, die wir heute hier beraten. Was Sie, werte Kollegen von der Opposition, wollen, um die Lage zu bewältigen, ist auch heute offengeblieben. Außer Kritik war nicht viel zu hören. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben Anträge dazu eingereicht!) Herr Jäger hat zwar Lösungen angesprochen, aber keine Lösungen präsentiert. Kritisieren ist einfacher als konstruktive Mitarbeit, hilft uns aber kein Stück weiter. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, betrachten wir das Ganze doch einmal vom Ende her: Wie würde es ohne die Maßnahmen weitergehen, die wir heute beschließen wollen? Fangen wir mit dem beschleunigten Verfahren für Asylbewerber an, die keine Bleibeaussicht haben. 2015 sind 1,1 Millionen Menschen nach Deutschland gekommen, die sich auf das Asylrecht berufen. Das sind aber nicht nur Flüchtlinge, die Anspruch auf Schutz haben. Nur 49 Prozent der 2015 gestellten Asylanträge wurden positiv entschieden. Das heißt, dass bei mehr als der Hälfte keine Schutzbedürftigkeit festgestellt werden konnte. Wenn wir bei Asylbewerbern, bei denen schon bei der Ankunft absehbar ist, dass sie keine Bleibeaussicht haben, nicht in kürzester Zeit entscheiden und sie in ihre Herkunftsländer zurückführen, werden wir noch mehr Anreize schaffen, ohne berechtigten Grund nach Deutschland zu kommen. Deshalb ist es wichtig, dass Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten, Folgeantragsteller und diejenigen, die gegen ihre Mitwirkungspflichten verstoßen oder die betrügen, für die Dauer des Verfahrens in speziellen Einrichtungen – idealerweise in Grenznähe – bleiben müssen. Das ist nicht nur ein klares Signal im Sinne von „Wir nehmen nur wirklich Schutzbedürftige auf“, sondern entlastet auch deutlich unsere Kommunen bei der Unterbringung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Man kann dabei auch nicht von Gängelung oder Aushöhlung des Asylrechts sprechen. Nein, das sind wirkungsvolle Maßnahmen, die im Übrigen mit EU-Recht vereinbar sind. Kommen wir zur Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzbedürftige. Bei diesem Thema haben sich Grüne und Linke mit ihrer Kritik ja fast schon überschlagen. Schauen wir uns aber einmal die Fakten an: Seit Anfang des Jahres kommen weiterhin 2 000 bis 5 000 Menschen täglich bei uns an. Wir müssen davon ausgehen, dass die Zahl der subsidiär Schutzbedürftigen steigen wird. Wenn dann noch jeder ein Recht auf Familiennachzug hat, werden wir am Jahresende 2 Millionen Flüchtlinge oder noch mehr haben. Die Aussetzung des Familiennachzugs bei subsidiär Schutzbedürftigen ist daher in der jetzigen Situation notwendig. Europarechtlich ist der Familiennachzug für diese Gruppe nicht geboten. Wir sind das einzige Land in Europa, das subsidiär Schutzbedürftigen das Recht auf Familiennachzug gewährt, und es hat sich gezeigt, dass dies ein Grund ist, warum Schutzsuchende unbedingt nach Deutschland wollen. (Dr. Eva Högl [SPD]: Das ist ja wohl zynisch!) Aus unserer Sicht ist es daher geboten, die im Übrigen – auch das darf ich noch einmal klar sagen – erst zum 1. August 2015 geschaffene Rechtslage wieder auszusetzen. Lassen Sie mich im Zusammenhang mit dem Familiennachzug auch klarstellen: Unter optimalen Umständen ist es natürlich wünschenswert und das Beste, wenn eine Familie zusammenbleiben kann. Da bin ich ganz bei Ihnen. Die Forderung, dass wir beim Familiennachzug für unbegleitete Minderjährige mit subsidiärem Schutz eine Ausnahme machen und sie alle ihre Familien nachholen können, wäre aber ein verheerendes Signal und unverantwortlich. Wir würden die falschen Anreize setzen, die dazu führen, dass künftig noch mehr Kinder und Jugendliche alleine auf eine gefährliche Reise geschickt werden, damit sie dann ihre Eltern nachholen können. Neue Schleppergeschäftsmodelle, die sich darauf konzentrieren, wären vorprogrammiert. Das sagt auch der schon erwähnte Experte Rupert Neudeck. Es ist auch schlichtweg falsch, zu behaupten, dass die Aussetzung des Familiennachzugs für unbegleitete Minderjährige gegen das Grundgesetz, die UN-Kinderrechtskonvention oder die europäische Grundrechtecharta verstößt. Die UN-Kinderrechtskonvention zum Beispiel schreibt nicht vor, dass die Familienzusammenführung in Deutschland erfolgen muss, und gewährt auch nicht unmittelbar einen Anspruch darauf. Sie hat das Wohl der Kinder und Jugendlichen im Blick, und das ist in Deutschland gegeben. Kinder und Jugendliche werden in Obhut genommen, betreut und versorgt und haben hier eine Chance auf eine gute Ausbildung. Liebe Kollegen, wenn auch Sie den Schutz und das Wohl der Kinder und Jugendlichen im Blick haben, können Sie nicht ernsthaft eine solche Gefährdung der Kinder und Jugendlichen in Kauf nehmen wollen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, betrachten wir schließlich noch die geplanten Maßnahmen zur Beseitigung von Rückführungshindernissen. Es leben zurzeit rund 200 000 Menschen in Deutschland, die eigentlich ausreisen müssten. Es mag in vielen Fällen zutreffen, dass eine Ausreise, zum Beispiel aus gesundheitlichen Gründen, nicht möglich ist. Aber wir müssen leider feststellen, dass in vielen Fällen Krankheiten vorgetäuscht werden, nur um nicht abgeschoben zu werden. Das ist gegenüber denjenigen, die tatsächlich unseren Schutz brauchen, nicht gerecht. Wir müssen diesen Missbrauch dringend abstellen. Das tun wir mit klaren gesetzlichen Anforderungen an ärztliche Atteste und der Regelung, dass Abschiebungshindernisse aus gesundheitlichen Gründen nur noch bei lebensbedrohlichen Krankheiten bestehen. Letzten Endes kommt es aber auf den politischen Willen der Landesregierungen an, die Ausreisepflichtigen tatsächlich abzuschieben. Wenn dort der Wille fehlt – auch das sage ich ganz deutlich –, können wir auf Bundesebene noch so viel regeln. Meine Damen und Herren, Sie sehen, wie wichtig und gleichermaßen wirksam die Maßnahmen sind, über die wir hier heute diskutieren, und dass sie auch rechtmäßig sind. Kaum ein Land auf der Welt hat das Recht auf Asyl in seiner Verfassung festgeschrieben wie wir in unserem Grundgesetz. Wir behandeln die Menschen, die zu uns kommen und Schutz suchen, anständig und haben die höchsten Standards bei der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen. Damit wir das alles aufrechterhalten können, müssen wir noch stärker differenzieren, wer tatsächlich auf unseren Schutz angewiesen ist. Wir müssen Missstände und Fehlentwicklungen korrigieren. Lassen Sie uns deshalb die vorliegenden Gesetzentwürfe in den Ausschüssen zügig beraten und beschließen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Burkhard Lischka für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]) Burkhard Lischka (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es sind nicht die ersten und werden wohl auch nicht die letzten Gesetzentwürfe zum Thema „Asyl und Flüchtlinge“ sein, über die wir im Deutschen Bundestag beraten. Dafür ist das Thema zu beherrschend. Das Thema polarisiert und verunsichert viele. Es stellt aber auch sehr grundlegende Fragen an uns: Was hält uns in Deutschland eigentlich zusammen? Was verbindet uns in Europa? Welche Regeln müssen wir alle, egal ob Einheimische oder Einwanderer, akzeptieren? Was ist wünschenswert, und wo setzt uns die Realität Grenzen? Es gibt in diesen Tagen – genauso wie in anderen besonders schwierigen Debatten – Protagonisten, die die Illusion nähren, es gebe auf all diese Fragen eine ganz einfache Antwort: Grenzen dicht und, wenn nötig, auch Schusswaffengebrauch. Das ist die Alternative für Deutschland, die in diesen Tagen aufgezeigt wird. Ausgerechnet Deutschland, ein Land, in dem bis vor gut 25 Jahren Schusswaffengebrauch und Schießbefehl traurige und menschenverachtende Realität an einem Teil seiner Grenzen waren! Gerade dieses Land sollte sich darin einig sein, nie wieder über Schüsse an der deutschen Grenze zu reden. Eine erbärmliche Alternative für Deutschland wäre das sonst. (Beifall im ganzen Hause) Nein, es sind viele Mosaiksteine, die wir in diesen Tagen und Wochen für eine Lösung zusammensetzen müssen, indem wir beispielsweise für eine zügige Registrierung der hier Ankommenden sorgen, für schnelle Asylverfahren und Entscheidungen. Wer vor Krieg und Bürgerkrieg flieht, genießt Schutz. Die anderen werden wir zurückführen. Für all das präzisieren wir im Asylpaket II unsere gesetzlichen Grundlagen und Instrumente; das ist auch richtig so. Aber es liegt jetzt am zuständigen Bundesinnenminister, all das, was wir in den vergangenen Wochen und Monaten beschlossen haben, konsequent umzusetzen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das erwarten wir von Ihnen, Herr de Maizière, und daran werden wir Sie in den nächsten Monaten auch messen. (Beifall bei der SPD) Ein weiteres Signal geht von den heutigen Gesetzentwürfen insbesondere beim Ausweisungsrecht aus. Eine freie Gesellschaft muss nicht homogen sein. Sie hat Platz für unterschiedliche Ethnien, Religionen und auch Meinungen. Aber es muss klar sein, welche Regeln gelten. Dazu gehört: Wer hier nach Deutschland kommt, muss unsere Gesetze respektieren. Wenn er grob dagegen verstößt, indem er schwere Straftaten begeht, muss er unser Land wieder verlassen. Ja, Einwanderung bietet viele Chancen für eine Gesellschaft, die älter wird und der in den nächsten Jahren Millionen Fachkräfte fehlen werden. Aber eine Einwanderungsgesellschaft ist auch anstrengend. Wir müssen uns darauf einlassen, denjenigen, die zu uns kommen, unsere Regeln zu erklären. Andersherum müssen sich die Einwanderer darauf einlassen, ihre neue Heimat zu verstehen und unsere Gesetze zu respektieren. Beides gehört zusammen, und beides wird uns noch viel Mühe kosten. Eines ist aber auch klar: Wer das Flüchtlingsproblem nicht als europäisches Problem sieht, belügt in diesen Tagen sein Publikum. Natürlich können wir Grenzen schließen und ignorieren, dass Millionen Flüchtlinge unter erbärmlichen Bedingungen leben. Klar geht das. Augen zu und durch. Die Frage ist nur: Und dann? Wie lange geht das gut? Wie lange geht es uns gut? Deutschland ist ein Land, das gut dasteht. Das hat viel mit offenen Grenzen, mit offenen Handelswegen, mit einem freien Reise- und Warenverkehr zu tun, mit stabilen Nachbarländern. Da steht in diesen Tagen verdammt viel auf dem Spiel. Deshalb war und ist es richtig, dass gerade die deutsche Bundesregierung immer und immer wieder versucht, zumindest in Ansätzen zu einer europäischen Lösung zu kommen. Reden, verhandeln, streiten, wieder reden und verhandeln – alles ohne Erfolgsgarantie, wohl wissend, dass dieses Europa gerade in der Flüchtlingsfrage auch krachend scheitern kann. Aber ist das wirklich schwache Politik, ist das naive Politik, oder ist es nicht naiv, zu glauben, bei einem Europa der geschlossenen Grenzen und der Grenzzäune wären alle Probleme gelöst? (Beifall bei der SPD) Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, es zeichnet gerade demokratische Politik aus, dass sie die Fähigkeit besitzt, Dinge, auch wenn sie schwierig sind, zum Guten zu wenden. Ich finde, dieses Bemühen hat gerade in diesen Tagen jedwede Unterstützung verdient. Recht herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Abschließende Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Andrea Lindholz für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Integration der vielen Schutzbedürftigen in Deutschland kann nur funktionieren, wenn wir die viel zu hohen Zuwanderungszahlen spürbar und dauerhaft senken; denn nur eine kontrollierte Migration ermöglicht auch eine vernünftige Integration. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir müssen aber auch unsere demokratischen Grundwerte wie die Religionsfreiheit, die Meinungsfreiheit, aber auch die Gleichberechtigung von Mann und Frau kompromisslos vertreten und einfordern. Die Übergriffe in der Silvesternacht in Köln und anderen Städten waren ein gezielter Angriff auf die Würde der betroffenen Frauen. Sehr geehrter Herr Minister Jäger, ich hätte mir heute von Ihnen gewünscht und es auch erwartet, dass Sie hier zwei, drei Sätze zu den Übergriffen in Köln sagen, (Beifall bei der CDU/CSU) vielleicht auch etwas zu den Frauen und zu dem, was ihnen dort passiert ist. Stattdessen ergießen Sie sich in einem Zahlenspiel, was die Frage der Rückführungen oder des Rückgangs der Zahlen aus dem Westbalkan angeht. Ich will Ihnen eines sagen: Sie haben sicherlich recht, wenn viele Maßnahmen dazu beigetragen haben, aber eine Maßnahme ist die Einordnung als sichere Herkunftsstaaten, (Zurufe von der CDU/CSU: So ist es!) weil sie zu einer Beweislastumkehr führt und weil sie – das sage ich Ihnen als Juristin, aber das haben uns auch Sachverständige bestätigt – natürlich zu schnelleren Verfahren, zu kürzeren Zeiten bei den Bescheiden und damit auch zu einer gewissen – – (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Realitätscheck, Herr Jäger! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Märchenstunde!) – Das ist überhaupt keine Märchenstunde, Herr Kollege Notz. Sie sind, glaube ich, auch Jurist, und Sie wissen, dass es genauso ist, dass es zu einer Beweislastumkehr führt. (Zuruf der Abg. Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das alles zusammen genommen führt zu einem Rückgang. Es ist richtig und wichtig, dass wir bei einer Anerkennungsquote von noch nicht einmal 1 Prozent, von unter 1 Prozent, diese Schritte gegangen sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Lindholz, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Brantner? Andrea Lindholz (CDU/CSU): Ich lege diesen einen Gedanken noch zu Ende dar. Ein weiterer Hinweis: In keiner Weise sind Sie darauf eingegangen, wie die Abschiebungen in Nordrhein-Westfalen vorgenommen werden. Dort kommt auf zwölf Ausreisepflichtige eine Abschiebung. In Bayern liegt das Verhältnis bei eins zu vier. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Hört! Hört! Realitätscheck, Herr Jäger!) Auch dazu haben Sie heute nichts gesagt. Ich würde hier von Ihnen auch erwarten, dass Sie Vorschläge an die Bundesregierung machen, die hier seit Monaten verschiedenste Gesetzespakete, die auch gewirkt haben und wirken werden, auf den Weg gebracht hat. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unfassbar kleingeistig, was Sie hier machen, Frau Lindholz!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Jetzt kann die Kollegin Brantner die Zwischenfrage stellen. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Über die Zahlen und über die Statistikbildung der Bayern haben wir schon gesprochen. Aber ich möchte, weil Sie die Frauenrechte und den Schutz von Frauen angesprochen haben, von Ihnen gern noch einmal hören, warum es die CDU wirklich verhindert hat, dass es zum Schutz von Frauen und Kindern in Flüchtlingsunterkünften kommt, dass dort das Bundeskinderschutzgesetz gilt, wenn Sie doch die Frauenrechte so hochhalten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Frau Kollegin, bei uns in Deutschland gilt das Kindeswohl nach dem Gesetz überall und in allen Einrichtungen in Bayern und in Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben nicht!) Ich erwarte von Ihnen einen Blick ins Gesetz; da können Sie es nämlich nachlesen. Ich muss Ihnen das hier also nicht noch erklären. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können Sie mal die Vorschriften nennen?) – Schauen Sie doch in das SGB; da steht es drin. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum ist der Kinderschutzbund anderer Meinung? – Max Straubinger [CDU/CSU]: Ein Blick in das Gesetzbuch …!) – Ich habe Ihnen die Frage beantwortet. In der Debatte, so auch heute, wird oft über die Täter geredet, und es gab schnell auch Forderungen nach mehr Integrationshilfen. Was wir aber brauchen, sind Signale an die Frauen, sind Signale an die Opfer und klare Signale des Gesetzgebers. Wer die deutsche Gastfreundschaft derartig missbraucht, der hat keine Hilfe verdient, sondern der muss gehen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich kann Ihnen als Fachanwältin für Familienrecht, die zwölf Jahre lang auch viele Frauen vertreten hat, nur sagen: Solche Übergriffe auf Frauen haben für diese Betroffenen ganz gravierende Folgen. Sexuelle Gewalt ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Ich begrüße es ausdrücklich, dass der Bundesjustizminister mit uns gemeinsam an einer Verschärfung des Sexualstrafrechts arbeitet. Ich hoffe und wünsche mir auch, dass wir das zeitnah umsetzen können und in diesem Zusammenhang auch unsere Asylgesetze entsprechend anpassen und auch noch verschärfen, weil nur dann Übergriffe wie die von Köln im Wiederholungsfall zur Ausweisung führen können. Ich bitte, das nicht zu vergessen. Fast alle der bisher ermittelten Tatverdächtigen aus der Silvesternacht haben Migrationshintergrund. Straftaten wie diese sind Gift für die Aufnahme- und Hilfsbereitschaft in Deutschland. Sie schaffen ein Gefühl der Unsicherheit im öffentlichen Raum, und sie gefährden den sozialen Frieden und die Akzeptanz. Die Mehrheit der Migrantinnen und Migranten und der Flüchtlinge in Deutschland – ich will das ausdrücklich sagen – lebt hier friedlich und ist um Integration bemüht. Sie ist genauso wie die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland daran interessiert, dass wir klare Ausweisungen von Straftätern aus Deutschland fordern und auch durchführen. Wir dürfen solch kriminelles Verhalten gegen das Eigentum, das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung und die Angriffe auf Vollzugsbeamte nicht einfach dulden. Es ist daher richtig, dass wir in Zukunft auch solche Verurteilungen immer als schweres Ausweisungsinteresse gewichten oder dass die Verurteilung zu einem Jahr, auch wenn die Strafe zur Bewährung ausgesetzt wird, künftig ein besonders schweres Ausweisungsinteresse darstellt. Das ist ein wichtiges Signal. Ich habe für keinen Verständnis, der jetzt schon wieder in den Raum wirft, unsere Gesetze seien verfassungswidrig. Wir müssen den Opfern erklären, wie wir als Rechtsstaat damit umgehen wollen, und das muss im Vordergrund stehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Betonung liegt auf „Rechtsstaat“!) Sehr geehrter Herr Kollege Beck, ich will Ihnen eines sagen: Ich erwarte von den Menschen, die hierherkommen und die vor Flucht und Verfolgung fliehen oder aus anderen Gründen zu uns kommen, dass sie sich integrieren und an unsere Gesetze halten. Das ist kein Widerspruch, sondern das ist ein Zweiklang. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Selbstverständlichkeit! – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und auch Realität!) Daher muss ich auch keine Asylgesetze ändern, wenn ich Integration einfordere. (Beifall bei der CDU/CSU) Unsere Gesetze, alles, was wir hier beschließen, werden nur wirken, wenn sich auch die Abschiebepraxis in den Ländern verbessern wird und wenn die zuständigen Behörden rechtzeitig – auch in dem Fall der Verschärfung – über Ermittlungsverfahren informiert werden. Wir regeln jetzt aktuell, dass erst die Einleitung eines Strafverfahrens dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gemeldet wird. Wir haben aber jetzt schon in § 72 des Aufenthaltsgesetzes geregelt, dass die Ausländerbehörde über ein Ermittlungsverfahren zu informieren ist. Es ist daher ein Widerspruch, wenn die Ermittlungsverfahren den Ausländerbehörden praktisch sofort gemeldet werden müssen, aber das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Kenntnis erst mit Einleitung eines Strafverfahrens erhält. Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin, gestatten Sie noch zum Schluss Ihrer Redezeit eine Zwischenfrage des Kollegen Beck? Andrea Lindholz (CDU/CSU): Ich wäre dafür, dass wir an dieser Stelle nochmals eine Änderung erwägen. Zum Abschluss: Ich begrüße ganz ausdrücklich die verschärften Regelungen im Asylpaket II. Es ist wichtig, dass wir klarmachen, dass wir Schnellverfahren einleiten und Abschiebehindernisse beseitigen. Auch das haben wir in den letzten Monaten genügend ermittelt. Wir müssen jetzt endlich die Ergebnisse umsetzen. Das tun wir hiermit. Ich gestatte nun die Zwischenfrage des Herrn Kollegen Beck. (Heiterkeit) Vizepräsident Johannes Singhammer: Das war jetzt besonders klug, weil es somit die Möglichkeit der Erwiderung gibt. – Herr Kollege Beck, Sie haben das Wort. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Obwohl Frau Lindholz so eindeutig für die Einhaltung von Regeln ist, scheint sie selber sie besonders leger auszulegen. Frau Lindholz, Sie haben gerade gesagt, Sie wollten von den Flüchtlingen jetzt auch ein bisschen mehr Integrationsbereitschaft verlangen. Wären Sie bereit, jedem Geflüchteten und nicht nur den Geflüchteten aus vier Ländern einen Rechtsanspruch auf einen Integrationskurs einzuräumen? (Beifall der Abg. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das Entscheidende ist doch, dass sich die Leute integrieren wollen, wir aber die Integrationskapazitäten nicht zur Verfügung stellen. Deshalb ist es doch politischer Klamauk für den Stammtisch und für das AfD-Publikum, wenn Sie hier neue Pflichten gerieren, statt den Leuten die Chance zu geben, sich zu integrieren, Deutsch zu lernen und unsere Werte kennenzulernen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Ich bedanke mich ausdrücklich für diese Zwischenfrage; ich kann Ihnen damit ausführlicher antworten. Sehen Sie, das ist genau der Unterschied zwischen Ihnen und uns. Sie würden am liebsten jedem, der hierherkommt, von Anfang an das volle Integrationsprogramm zubilligen. (Beifall bei der LINKEN – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deutsch zu lernen, hat noch niemandem geschadet! Die deutsche Sprache wird weltweit unterbewertet! Da bin ich Patriot!) Wir sagen: Wir müssen klar unterscheiden zwischen denjenigen, die einen Schutzanspruch haben, Herr Kollege Beck, und denjenigen, die keinen Schutzanspruch haben. Dazwischen werden wir auch weiterhin unterscheiden müssen, weil nach wie vor ungefähr jeder dritte Asylantrag unberechtigt ist. Ich möchte den Menschen nicht das Signal geben, sie könnten dauerhaft hierbleiben, (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist es schlecht, wenn sie Deutsch können, wenn sie nach Hause zurückkehren? Sie können deutsche Gebrauchsanweisungen lesen!) sondern ich will ihnen das Signal geben, dass sie zurückmüssen. Deutschland kann nicht alle Flüchtlinge dieser Welt aufnehmen, erst recht nicht die ohne einen Anspruch nach dem Asylgesetz und nach der Genfer Flüchtlingskonvention. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alle 5 Milliarden nehmen wir auf!) Herr Kollege Beck, sagen Sie doch einfach, Sie würden gern die Türen aufmachen und alle hereinlassen! (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alle!) Dann erklären Sie den Bürgerinnen und Bürgern, wie wir Millionen von Menschen in diesem Land integrieren wollen! Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache in dieser Debatte. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/7538, 18/7537 und 18/7549 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 18: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Entwurf des EU-Jahresberichts 2014 über Menschenrechte und Demokratie in der Welt Ratsdok. 9593/15 Drucksachen 18/5982 Nr. A.47, 18/7552 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Daher gehe ich auch hier davon aus, dass Sie alle damit einverstanden sind. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die Bundesregierung Herrn Staatsminister Michael Roth das Wort. Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Guten Morgen, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Jahresbericht der Europäischen Union über Menschenrechte und Demokratie in der Welt sagt schon eine ganze Menge über das Selbstverständnis der EU aus. Wir verstehen uns eben nicht als ein reiner Binnenmarkt, sondern wir sind vor allem eine Wertegemeinschaft. Grundwerte wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, kulturelle und religiöse Vielfalt sowie vor allem Minderheitenschutz müssen wir nicht nur bei uns in Europa vorleben, sondern wir setzen uns auch dafür ein, dass diese Werte weltweit Bestand haben. Auch wenn der Bericht nicht mehr ganz druckfrisch ist, so ist er doch in vielen Teilen unvermindert aktuell. Dass Menschenrechte an vielen Orten dieser Welt missachtet, gebrochen, verletzt werden, ist leider auch in diesem Jahr, in diesen Stunden traurige Realität. Unser gemeinsames Engagement, liebe Kolleginnen und Kollegen, bleibt also weiterhin dringend geboten. Deshalb setzen wir uns mit unseren europäischen Partnern auf vielfältige Art und Weise für die Menschenrechte ein. Wir tun dies bilateral in politischen Gesprächen, in Menschenrechtsdialogen und in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit vielen Nichtregierungsorganisationen in aller Welt. Wir tun dies aber auch in den multilateralen Gremien: in den Vereinten Nationen, im Europarat und – in diesem Jahr möchte ich das ganz besonders erwähnen – in der OSZE. Wir nutzen bei unserer Menschenrechtspolitik den ganzen Instrumentenkasten: mal mit deutlichen, offenen Worten, beispielsweise in Resolutionen des Menschenrechtsrats, die Missstände klar benennen und notfalls auch Sanktionen nach sich ziehen, und in anderen Fällen suchen wir eher das direkte Gespräch hinter verschlossenen Türen. Wir gehen dabei stets so vor, wie es die besondere Lage erfordert und wie wir den Betroffenen am besten helfen können; denn unser oberster Leitsatz ist: Wir wollen denjenigen, die wir vor Menschenrechtsverletzungen schützen wollen, keinen Schaden zufügen. Das Auswärtige Amt ist das Menschenrechtsministerium. Aber eines ist auch klar: Wir sind keine Nichtregierungsorganisation wie Amnesty International. Uns darf es nicht darum gehen, mit plakativen Kampagnen möglichst viel öffentliche Aufmerksamkeit zu erreichen; auch das ist wichtig. Opfern von Menschenrechtsverletzungen nachhaltig zu helfen, gelingt aber nur selten mit dem Lautsprecher, sondern eher im vertraulichen Gespräch. Dafür müssen wir auch mit den schwierigen Partnern reden: mit China, Russland, Iran, Saudi-Arabien und derzeit auch mit der Türkei. Beziehungen abbrechen, Reisen absagen, Belehrungen über die heimischen Medien erteilen, ja, das ist einfach. Aber wer glaubt, dass Außenpolitik so funktioniert, der irrt. Wenn wir wirklich etwas bewirken wollen, wenn wir tatsächlich politische Prozesse anstoßen wollen, dann gelingt das nur, wenn wir miteinander reden. Das gemeinsame Auftreten und Handeln mit unseren Partnern und Freunden in der Europäischen Union und durch den Europäischen Auswärtigen Dienst ist sehr wichtig; denn nur, wenn wir geschlossen auftreten, können wir etwas erreichen und werden wir auch ernst genommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, im vergangenen Jahr hatte unser Botschafter Rücker in Genf den Vorsitz im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen. Wir haben damit an sehr sichtbarer Stelle Verantwortung übernommen und in einem zunehmend polarisierten Umfeld unseren Ruf als Brückenbauer gefestigt. Einer unserer Schwerpunkte war dabei die engere Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Arbeit des Menschenrechtsrats. Ich weiß, dass das unsere Menschenrechtspolitiker und -politikerinnen hier in besonderer Weise umtreibt; denn weltweit werden zivilgesellschaftliches Engagement zunehmend eingeschränkt und Menschenrechtsverteidiger eingeschüchtert. Die Mittel sind perfide, und sie sind teilweise erbärmlich. Sie fangen bei restriktiver Gesetzgebung zur Finanzierung von Nichtregierungsorganisationen an und reichen bis zu willkürlichen Inhaftierungen oder gar Entführungen im Ausland. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Thema möchte ich hier erwähnen, das nicht nur mir, sondern auch vielen anderen besonders am Herzen liegt; es taucht auch im Bericht der EU prononciert auf. Es ist die Lage der LGBTI, der Schwulen und Lesben. Es ist beschämend: In mehr als 70 Staaten auf der Welt werden Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender-Personen und Intersexuelle immer noch strafrechtlich verfolgt. Häufig drohen ihnen lange Haftstrafen – und in einigen Staaten in Afrika und in der arabischen Welt sogar das Todesurteil. Doch lassen wir uns von diesen furchtbaren Nachrichten nicht entmutigen! Über die vergangenen Jahrzehnte gab es in vielen Ländern beeindruckende Fortschritte bei der Durchsetzung der Menschenrechte von LGBTI. Wer hätte denn vor ein paar Jahren wirklich gedacht, dass Länder wie Brasilien, Argentinien oder Südafrika mit den skandinavischen Ländern gleichziehen und die gleichgeschlechtliche Ehe einführen? Die Bundesregierung setzt sich weltweit für LGBTI-Rechte ein, mit öffentlichkeitswirksamen Projekten ebenso wie in Gesprächen mit Regierungen und vor allem mit der Zivilgesellschaft. Auf vielen meiner Reisen begegne ich Vertreterinnen und Vertretern der LGBTI-Gruppen, die mir von Gewalt, Verfolgung und einem Leben in dauerhafter Angst berichten. Das erlebe ich gerade dort, wo sexuelle Minderheiten noch viel stärker unter Druck stehen als hierzulande, wie in der Türkei, in Bulgarien oder auf dem westlichen Balkan. Meine sehr geehrten Damen und Herren, nicht zuletzt angesichts der politischen Entwicklung der vergangenen Jahre, insbesondere des wachsenden islamistischen Terrors, aber auch der wachsenden Islamfeindlichkeit in Europa, werden wir uns der Religions- und Weltanschauungsfreiheit weiter annehmen müssen. Die Bundesregierung wird dem Bundestag im Sommer einen Bericht dazu vorlegen. Die Formen der Unterdrückung des Rechts auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit sind vielfältig. Dabei ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte doch ganz eindeutig: Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Dieses Recht schließt eben auch die Freiheit ein, seine Religion bzw. Weltanschauung zu wechseln oder auch gar keiner Religion mehr angehören zu wollen. Diese Freiheit gilt für Christen, Juden, Muslime genauso wie für andere Menschen, und sie gilt eben auch weltweit. Wir können die Werte im Ausland nur dann glaubwürdig einfordern, wenn wir sie auch zu Hause strikt achten. Es reicht eben nicht, wenn Menschenrechte nur auf dem Papier Bestand haben. Sie müssen im täglichen Miteinander gepflegt und verteidigt werden. In einer offenen, liberalen Gesellschaft ist das nicht nur die Kür, sondern auch die Pflicht für jeden von uns. Menschenrechte sind eben kein generöses Geschenk, das man irgendjemandem einmal so mit auf den Weg geben kann. Menschenrechte sind eine unverhandelbare Grundlage unseres Zusammenlebens. Dafür stehen wir ein. Ich gebe zu: Das ist nicht immer ganz einfach. Aber es ist vor allem auch für die Europäische Union unerlässlich, wenn wir das bleiben wollen, was wir immer waren: eine Wertegemeinschaft. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Annette Groth für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Annette Groth (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen auf der Tribüne! Herr Roth, Sie haben leider vergessen, die Europäische Menschenrechtskonvention zu erwähnen; denn die EU ist vertraglich verpflichtet, dieser Europäischen Menschenrechtskonvention beizutreten. Aber der Prozess wird blockiert – erst von den Mitgliedstaaten und jetzt vom Europäischen Gerichtshof. Was heißt das? Es gibt derzeit und auch in absehbarer Zukunft keinen individuellen Rechtsschutz gegen Menschenrechtsverletzungen durch EU-Organe. Das muss wirklich dringend korrigiert werden. Ich bitte Sie: Setzen Sie sich dafür ein! (Beifall bei der LINKEN) Es ist nicht neu, dass der EU-Menschenrechtsbericht insbesondere die Menschenrechtsverletzungen außerhalb der EU anprangert. Dagegen werden die Menschenrechtsverletzungen in den EU-Mitgliedstaaten weithin unter den Tisch gekehrt. Das nenne ich heuchlerisch. Heute sind in nahezu allen EU-Staaten Armut, Ausgrenzung und Arbeitslosigkeit für viele Menschen Realität. Allein in Griechenland sind mehr als 3,5 Millionen Menschen direkt von Armut bedroht. Über 20 Prozent der Kinder und älteren Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze. Das ist doch ein Skandal im reichen Europa. (Beifall bei der LINKEN) Die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer, weil das neoliberale Wirtschaftssystem einige wenige bevorteilt – zum Beispiel Banken und Großkonzerne – und andere – die Mehrheit, wie Kleinbäuerinnen, Rentnerinnen und Arbeitnehmerinnen – stark benachteiligt. Auch das muss geändert werden. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, an mehreren Stellen des Menschenrechtsberichts ist von Flüchtlingen die Rede – wir hatten gerade die Debatte dazu –, aber kein Wort davon, dass 2014 über 3 400 Menschen im Mittelmeer ertrunken sind, weil sie in die EU wollten. Das ist doch der große Skandal vor unserer eigenen Tür, der sich seit der Zeit immer weiter verschlimmert hat. Seit dem Jahr 2000 sind mindestens 25 000 Menschen im Mittelmeer gestorben. Das ist entsetzlich. Es wird so weitergehen, wenn wir keine legalen Einreisemöglichkeiten in die EU schaffen. (Beifall bei der LINKEN) Das Dublin-System muss endlich durch eine solidarische Flüchtlingspolitik ersetzt werden. Stattdessen werden immer neue Polizei- und Militäreinsätze zur Flüchtlingsbekämpfung beschlossen, als könnte die Bekämpfung von Schleppern oder die Zerstörung von Booten die Flüchtlinge davon abhalten, über das Meer zu uns zu kommen. Wir brauchen legale und sichere Fluchtwege und Einreisemöglichkeiten. Das ist eine Forderung, die die Linke schon lange stellt. (Beifall bei der LINKEN) Jetzt werden an den EU-Außengrenzen „Hotspots“ eingerichtet. In ihnen wird eine Klassifizierung der Geflüchteten in „gute“ und „schlechte“ Flüchtlinge vorgenommen. Ziel dieser Klassifizierung ist, viele daran zu hindern, überhaupt zu uns zu kommen. Aber wohin sollen sie denn gehen? In meiner Funktion als Berichterstatterin für den Europarat war ich letzte Woche im Libanon und in Jordanien. Diese beiden Länder haben, wie allgemein bekannt, die meisten Geflüchteten aus Syrien aufgenommen. Viele Flüchtlinge leiden an Hunger, weil die Nahrungsmittelversorgung aufgrund fehlender Gelder nicht ausreicht. Ich habe gerade viele Frauen getroffen, die sichtlich unterernährt waren. In den letzten beiden Wochen eines Monats reicht das Geld von der internationalen Gemeinschaft nur noch für Brot. „Wir haben Hunger“, haben mir viele gesagt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es um die sogenannte Abwehr der Flüchtlinge geht, scheint für die EU die Einhaltung der Menschenrechte keine Rolle zu spielen. Das zeigt sich insbesondere an der unerträglichen Taktiererei mit dem türkischen Ministerpräsidenten Erdogan. Jetzt soll die deutsche Polizei sogar mit der türkischen bei der Fluchtabwehr zusammenarbeiten. Skandalös! Erdogan führt einen furchtbaren Krieg gegen die eigene Bevölkerung, insbesondere gegen die Kurdinnen und Kurden, und er schiebt sogar Flüchtlinge nach Syrien ab. Wissen Sie, dass in etlichen kurdischen Gebieten seit Wochen ein 24-stündiges Ausgehverbot besteht? Das heißt, Menschen erhalten keine medizinische Versorgung, können nicht einkaufen. Teilweise ist die Wasser- und Stromversorgung unterbrochen. Das ist ein Verbrechen, das wir wirklich lautstark anprangern müssen! (Beifall bei der LINKEN) Darum empfinde ich es mehr als schändlich, dass der Türkei Visaerleichterungen für türkische Staatsangehörige und 3 Milliarden Euro als Belohnung für die Flüchtlingsabwehr versprochen wurden. Stattdessen sollten wir Druck auf die türkische Regierung ausüben und sie nachdrücklich auffordern, die Kampfhandlungen und die extralegalen Hinrichtungen, die es auch gibt, sofort einzustellen und den Dialog mit den Kurdinnen und Kurden wieder aufzunehmen. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie bei der Türkei werden die Menschenrechtsverletzungen, die auch von anderen EU-Partnern begangen werden, teilweise schweigend hingenommen. So werden im aktuellen EU-Forschungsrahmenprogramm Horizon 2020 Projekte der EU-Sicherheitsforschung gemeinsam mit Israel betrieben und finanziert, obwohl Israel massiv Menschenrechtsverletzungen in den palästinensischen Gebieten begeht. Israelische Rüstungsunternehmen, die von der Besatzungspolitik im großen Stil profitieren und dazu beitragen, werden im Rahmen von Horizon 2020 gefördert. So sind auch wir mit unseren europäischen Steuergeldern an den Menschenrechtsverletzungen in der Region beteiligt. Viele NGOs und kirchliche Organisationen fordern darum schon seit Jahren die Aussetzung des EU-Israel-Assoziierungsabkommens, das in Artikel 2 alle Vertragspartner zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet. Wir machen uns mitschuldig, wenn wir zu diesen Menschenrechtsverletzungen in Israel/Palästina schweigen. Wir sollten wirklich alles versuchen, dieses EU-Assoziierungsabkommen mit Israel auszusetzen. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist das völlig falsche Signal!) – Das wäre das richtige Signal! Das hatten wir schon einmal bei Sri Lanka. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir unterstützen ausdrücklich die Aussagen im Bericht zur Todesstrafe. Die Linke fordert seit vielen Jahren die Bundesregierung auf, sich in allen Gesprächen mit Staaten, die die Todesstrafe verhängen, klar für ihre Abschaffung einzusetzen. Doch stattdessen scheinen wirtschaftliche Interessen immer mehr vor Menschenrechte gestellt zu werden. Die Waffenlieferungen an Saudi-Arabien sind dafür ein besonders krasses Beispiel; sie sollten sofort aufhören. (Beifall bei der LINKEN) Nicht erwähnt wird der völkerrechtswidrige Einsatz von Kampfdrohnen zur Tötung von Menschen. Seit vielen Jahren verletzen die USA die Souveränität anderer Staaten und bringen Menschen durch Kampfdrohnen um, ohne Anklage, ohne Gerichtsurteil und ohne den Betroffenen die Möglichkeit zu geben, sich zu verteidigen. Besonders skandalös ist, dass für dieses Morden die US-amerikanischen Stützpunkte in Deutschland missbraucht werden. Die US-Basis in Ramstein spielt dabei eine besonders große Rolle. Nicht genug: Jetzt will die Bundesregierung auch noch waffenfähige Drohnen anschaffen. Will sie sich an diesen völkerrechtswidrigen Morden beteiligen, oder wozu brauchen wir überhaupt Kampfdrohnen? (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist eine üble Unterstellung, die Sie hier machen, Frau Kollegin!) Das ist eine echte Frage, auf die ich eine Antwort haben möchte. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir fordern seit langem die Bundesregierung auf, sich für eine grundlegende Weiterentwicklung des EU-Menschenrechtsberichts einzusetzen. Wir erwarten, dass in einem solchen Bericht auch die Menschenrechtsverletzungen aufgrund der EU-Handels- und Finanzpolitik sowie der Waffenexporte der EU-Mitgliedstaaten klar benannt werden. Solange aber mit zweierlei Maß gemessen wird und unsere geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen im Vordergrund stehen, ist es um die Menschenrechte nicht gut bestellt. Das müssen wir alle zusammen ändern. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Erika Steinbach. (Beifall bei der CDU/CSU) Erika Steinbach (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Groth, Ihre einseitige Sicht auf den Staat Israel hat schon etwas Unanständiges. (Annette Groth [DIE LINKE]: Einer muss es ja machen! Sonst wird ja nicht darüber geredet!) Man mag nicht alles für richtig halten; aber Ihre Kritik ist zu plakativ und zu einseitig. Das möchte ich einmal ganz deutlich sagen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Der EU-Jahresbericht 2014 über Menschenrechte und Demokratie in der Welt zeigt das Engagement der Europäischen Union für Menschenrechte auch außerhalb unserer eigenen Grenzen und macht auch die Fülle von Initiativen und das Engagement deutlich, mit denen die Europäische Union für Menschenrechte eintritt. Aber der Bericht zeigt auch – das ist für den, der es sehen will, deutlich erkennbar –, dass sich die menschenrechtspolitischen Herausforderungen, was Fluchtbewegungen in Richtung EU anbelangt, bereits im Berichtszeitraum 2014 abgezeichnet haben. Diese Erkenntnisse haben leider seitens der Europäischen Union nicht dazu geführt, rechtzeitig politisch darauf zu reagieren und Vorsorgemaßnahmen zu ergreifen. Man hat weggeschaut. Heute haben wir – die vorangegangene Debatte hat das deutlich gemacht – mit den Folgen dieser Unterlassung der Europäischen Union in Form der Flüchtlingsströme zu tun und müssen in einer Situation, in der man dem fast ausgeliefert ist, damit umgehen. Man hätte das verhindern können. Da stellt sich schon die Frage, warum die Europäische Union weltweit agiert, aber nicht die für sie selbst wichtigen, elementaren Schlüsse aus ihren Erkenntnissen zieht, um diesen Kontinent, diese Europäische Union letzten Endes zu schützen. In Deutschland und auch in Europa ist die politische Debatte in den vergangenen Monaten – das zeigt jede Plenardebatte – von keinem anderen Thema so geprägt worden wie von der aktuellen Flüchtlingskrise. Nach den Zahlen des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen sind weltweit inzwischen mehr als 60 Millionen Menschen auf der Flucht vor Gewalt, vor Krieg, vor Armut und massiven Menschenrechtsverletzungen wie zum Beispiel den Terroraktionen des sogenannten „Islamischen Staates“. Aber wir wissen auch – das zeigen Studien –, dass bei 400 Millionen Menschen der Wunsch vorhanden ist, sich auf den Weg zu machen. Sie sitzen geistig sozusagen auf gepackten Koffern. (Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn sie welche haben!) Wir wissen das, und darauf muss man auch reagieren. Noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden so viele Menschen Opfer von Flucht, Vertreibung und Armut wie in diesen Jahren. Über 1 Million dieser Migranten sind im vergangenen Jahr allein zu uns nach Deutschland gekommen. Die Aufnahme und Unterbringung so vieler Menschen in so kurzer Zeit stellt unsere gesamte Gesellschaft vor gigantische Herausforderungen. Wir können den vielen ehrenamtlichen Helfern immer wieder nur ganz herzlich danken. Sie leisten Hervorragendes. (Beifall der Abg. Anette Hübinger [CDU/CSU]) Die Integration all derer, die eine Bleibeperspektive haben, wird eine ungleich noch größere Aufgabe sein als das pure Unterbringen. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist wohl wahr!) Essen, Trinken, ein Dach über dem Kopf, das ist der einfachere Teil der Situation. Hätte die Europäische Union die Kenntnisse, die im vorliegenden Bericht nachzulesen sind, rechtzeitig in Handlungen und konkrete Maßnahmen umgesetzt, wäre die jetzige akute Massenwanderung in Richtung Europa wahrscheinlich so gar nicht nötig gewesen. Man hätte den Menschen vor Ort Essen und Trinken in ausreichendem Maße geben können. Sie haben recht, Frau Groth, wenn Sie darauf hinweisen, dass die Mittel nicht bereitgestellt worden sind. Viele der Ankommenden sind in autoritären, patriarchalischen Gesellschaften aufgewachsen und geprägt worden. Die massiven Menschenrechtsverletzungen, mit denen wir uns im Menschenrechtsausschuss permanent, immer und immer wieder auseinandersetzen müssen – sie spiegeln sich auch im EU-Menschenrechtsbericht wider –, haben das Leben und den Alltag dieser Menschen in ihren jeweiligen Herkunftsländern bestimmt und geprägt. Gerade vor diesem Hintergrund muss der Wertekanon unseres Grundgesetzes die unverhandelbare Grundlage für jede Integration sein. Zentrale Freiheitsrechte wie die Religions- und die Meinungsfreiheit, die Rechte Homosexueller, aber auch die Gleichstellung von Mann und Frau, das muss den Ankommenden vermittelt werden. Wir müssen das am Ende durchsetzen, auch durchsetzen wollen und nicht – laissez faire – sagen: Jeder soll so leben, wie er es aus seinem Herkunftsland gewohnt ist. Das ist keine einfache Aufgabe. Wir müssen heute selbstkritisch feststellen, dass es in den vergangenen Jahrzehnten leider nicht ausreichend gelungen ist, eine wirkliche Integration aller bisherigen Zuwanderer in unsere deutsche Gesellschaft zu erreichen. Gerade in der zweiten und dritten Generation muslimischer Familien zeichnen sich aktuell sogar Rückschritte ab, was man eigentlich nicht für möglich hält. Das hat eine repräsentative Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung unter der Leitung des Soziologen Ruud Koopmans ergeben. Er hat einen Forschungsbericht über religiösen Fundamentalismus in sechs westeuropäischen Ländern, darunter auch Deutschland, erstellt. Nach diesem Bericht ist fast die Hälfte der Muslime, die in diesen sechs europäischen Ländern leben, der Auffassung, dass es nur eine gültige Auslegung des Korans gibt, dass Muslime zu den Wurzeln ihrer Religion zurückkehren sollen und dass religiöse Gesetze wichtiger sind als weltliche. Diesen Befund für Europa halte ich für besorgniserregend. Deutliche Integrationsdefizite zeigen sich hier bei uns in Deutschland auch in der Zunahme einer gewachsenen Paralleljustiz. Sie entsteht überall dort, wo auf Stammes- und Clanstrukturen zurückgegriffen werden kann, nicht nur im Bereich des Zivil- und Strafrechts, sondern vermehrt auch im Bereich der Familiengerichtsbarkeit. Das steht in weiten Teilen im Widerspruch zu unserem Grundgesetz und zu unserem Familienrecht. Die krassesten Abweichungen sind hier die Missachtung des Heiratsfähigkeitsalters bei Kinderehen, die es hier in Deutschland gibt – sie werden abseits unserer normalen Regularien geschlossen –, die Vielehen und die Duldung von Zwangsehen. Experten schätzen den Anteil sogenannter Imam-Ehen hier in Deutschland auf mindestens 10 bis 20 Prozent. Die zusätzliche Aufnahme von 1 Million Zuwanderern aus stark autoritären, patriarchal geprägten muslimischen Staaten stellt unsere Gesellschaft vor eine umso größere integrationspolitische Herausforderung. Wichtig ist gerade vor dem Hintergrund dieser starken Zuwanderung aus diesen Kulturkreisen – das sind ja sehr unterschiedlich strukturierte Gegenden – die offensive Einforderung der Anerkennung und Befolgung deutscher Gesetze. Das ist eine zentrale Integrationsherausforderung. Mit Blick auf die aktuelle Flüchtlingskrise muss uns allen eines bewusst sein: Integration kann jetzt nur dann erfolgreich sein, wenn es gelingt, die Zahl der ankommenden Flüchtlinge und Migranten deutlich zu reduzieren. Nur dann besteht auch eine Chance, die bislang Angekommenen in unsere Gesellschaft zu integrieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Warum sage ich das? An die Europäische Union müssen wir die Forderung richten, weitsichtiger und verantwortungsvoller als bislang gewonnene Erkenntnisse in politisches Handeln umzusetzen. Die Europäische Union muss, um diese Zuwanderung zu bewältigen – sie ist schwer zu bewältigen, auch bei allerbestem Willen; und der gute Wille ist in Deutschland ja erkennbar –, jetzt mit der Afrikanischen Union in einen permanenten, dauerhaften Dialog eintreten. Sie muss das tun, um den Menschen in Afrika eine Zukunftsperspektive zu geben und die Afrikanische Union nicht aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Das ist ein Defizit der Europäischen Union. Dieses Defizit hat auch dazu geführt, dass wir in der heutigen Lage sind. Im Interesse Europas, aber auch Afrikas, aber insbesondere im Interesse der Menschen – die meisten möchten ja gerne in ihrer Heimat bleiben – braucht es diesen offensiven Dialog. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Tom Koenigs für Bündnis 90/Die Grünen. Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist Freitagmittag. Da kann man über alles reden: Europäische Union, Afrikanische Union, Paralleljustiz. Das zeigt ein bisschen, wie beliebig das Thema genommen wird. Der Bericht, der der Diskussion heute zugrunde liegt, ist auch relativ beliebig. Das Unbehagen, das man in einer solchen Diskussion hat, liegt daran, dass der Entschließungsantrag eigentlich auch beliebig ist. Da wird von allem ein bisschen geredet, über das, was wirklich ist, wird aber nicht geredet. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Oberlehrerhafte Abqualifikation!) Ich fand es interessant, dass der Staatsminister sagt: „Das Auswärtige Amt ist das Menschenrechtsministerium.“ Wie eine menschenrechtsgeleitete Außenpolitik eigentlich aussehen sollte, könnte und müsste, steht aber leider weder in dem Bericht der Kommission von 2014 noch in dem Entschließungsantrag. Auch in Ihrer Rede haben Sie nicht gesagt, ob es wirklich eine Perspektive für die deutsche auswärtige Politik ist, das in den Mittelpunkt zu stellen. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Jetzt sagen Sie einmal etwas mit Substanz, Herr Kollege!) Der Bericht befasst sich leider nicht mit den Staaten der Europäischen Gemeinschaft selbst, sondern richtet sich nur nach außen. Gut, das kann man machen; aber man muss dann auch der Kohärenz wegen sagen: Passt das denn zu dem, was wir in unseren Mitgliedstaaten machen, was die Europäische Kommission den Mitgliedstaaten abfordert? Oder wird irgendetwas über die Performance, über den Umgang mit früheren Empfehlungen gesagt? Dazu gibt es eigentlich nichts. In dem Antrag, den Sie vorgelegt haben, wird behauptet, Menschenrechte gewinnen ein immer größeres Gewicht in der Europäischen Gemeinschaft. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist unsere Auffassung, Herr Kollege!) Stimmt das eigentlich? (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Na klar, stimmt das!) Stimmt das eigentlich, dass wir da als Menschenrechtler sozusagen auf dem Vormarsch sind? Wenn man sich ansieht, dass es auf der Welt Organisationen wie Boko Haram oder ISIS gibt, die sich explizit auf ihre schwarzen Fahnen geschrieben haben: „Wir sind gegen Menschenrechte; wir kämpfen gegen die Menschenrechte“, dann kann man eigentlich nicht sagen, dass man Fortschritte gemacht hätte. Ich glaube eher, dass wir in einer Abwehrschlacht sind – wenn man das so militärisch sieht. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist eine zutreffende Analyse! Dass die Einsicht auch bei Ihnen eintritt, ist gut!) Gegen Boko Haram und ISIS ist bisher übrigens nur etwas Militärisches erfunden worden. Wie man damit menschenrechtlich umgeht? Ich weiß es nicht. Im Antrag steht, die Menschenrechtspolitik der EU sei „kohärenter und effizienter“ geworden. Es wäre schön, wenn das so wäre. (Zuruf von der CDU/CSU: Auch zutreffend!) Wenn Sie die Effizienz überhaupt prüfen würden, müssten Sie die Instrumente mit dem, was erreicht worden ist, vergleichen. Ein Instrument, auf das Sie sich auch in Ihrem Antrag intensiv beziehen, sind die 37 Menschenrechtsdialoge. Helfen sie eigentlich etwas? Hat einmal jemand eine Analyse gemacht, was diese Menschenrechtsdialoge wirklich bringen? (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Staatssekretär hat gesagt, man verhandele lieber hinter geschlossenen Türen. Die Menschenrechtsdialoge sind öffentlich. Bringen sie irgendetwas? (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sind Sie nun gegen die Menschenrechtsdialoge, oder sind sie ein gutes Instrument? Ich verstehe Ihre Position nicht!) Haben andererseits die ganz starken Mittel, die Sanktionen, jemals etwas gebracht für die Menschenrechte, oder bringen sie wirklich etwas? Was ist da erreicht worden? Der Bericht bringt leider auch keine Projektevaluierung. Die Europäische Gemeinschaft hat auch keine Institution, um Menschenrechtsprojekte zu evaluieren. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Die EU ist insbesondere eine Menschenrechtsorganisation – Freiheit, Frieden!) Aber ist es nicht eigentlich so, dass die wirklich harten Instrumente der Menschenrechtspolitik, Sanktionen, immer nur genutzt worden sind, wenn es um geostrategische Machtpositionen ging, etwa in der Ukraine, in Syrien, aber auch beim gemeinsamen Standpunkt Kuba? Ich frage mich auch: Ist bei der Kampagne gegen die Todesstrafe das, was wir da machen, eigentlich effektiv? Bringt das irgendetwas? Denken wir darüber nach, welche Auswirkungen das eigentlich hat? Das Europaparlament hat in seiner Entschließung – in Ihrer ist das leider nicht der Fall – zu Recht gesagt, eine bessere Übersicht über die Auswirkungen der EU-Maßnahmen sowie über die erzielten Fortschritte wäre sinnvoll. Übrigens: Die Entschließung des Europaparlaments ist sehr viel gehaltvoller als das, was hier gesagt wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schließlich zur Kohärenz: Ist die europäische Politik kohärent mit dem, was über Menschenrechte gesagt wird, (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Noch eine Frage! Sagen Sie doch mal, was Sie machen wollen!) zum Beispiel die Fischereipolitik mit dem Kampf gegen den Hunger? Oder die Handels- und Freihandelspolitik mit dem Transparenzgebot? Nehmen wir nur einmal TTIP: Ist das eigentlich ein kohärentes Verfahren? Oder sind die Menschenrechte vielleicht nur Zierrat von einer anderen, sehr viel wichtigeren Politik? Ich sehe bei der Europäischen Gemeinschaft, bei der gemeinsamen europäischen Außenpolitik, leider nicht diese Kohärenz, auch nicht die Leitfunktion, die bei der Wertedebatte immer wieder genannt wird. Wenn man dann nach innen schaut, sieht man – da bröckelt es an allen Stellen; das ist wirklich des Berichtes wert – das Vordringen von menschenrechtsfeindlichen Gruppen und von nationalistischen Parteien. Wo findet sich noch das Diskriminierungsverbot in Ungarn oder bei Parteien wie der Le-Pen-Partei, Front National? Das ist eine Partei, die sich auf Diskriminierungen aufbaut, die AfD ebenfalls. Diese Bewegungen entstehen gegen das Diskriminierungsverbot. Es geht aber auch um solche Tendenzen wie in Großbritannien, das nicht nur irgendwann vielleicht aus der EU austreten will, sondern sich auch nicht mehr den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte unterwerfen will. Auch das sind Tendenzen, die die Europäische Kommission in ihrem Bericht eigentlich betrachten würde. Deshalb würde ich mir wünschen, dass der nächste Bericht den Blick nach innen und nach außen wendet, auf Effizienz und Kohärenz wirklich Wert legt und sich darüber Gedanken macht, kritisch bei den Ursachen und Wirkungen ist, Maßnahmen evaluiert und die Mitgliedstaaten in die Pflicht nimmt. Das wäre ein Bericht, der dann auch der breiteren Diskussion an einem schönen Donnerstagmittag mit einer Beteiligung von mehr als 36 Kolleginnen und Kollegen wert wäre. Ich hoffe, dass wir bei das beim nächsten Bericht über 2015 haben werden. Dass der Bericht die gesamte Flüchtlingsfrage überhaupt nicht erwähnt, ist bedauerlich. Anderseits: Ihr Entschließungsantrag, den Sie vorlegen, ist so „motherly love and apple pie“, dass man gar nicht dagegen sein kann. (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE] – Erika Steinbach [CDU/CSU]: Apple Pie ist süß!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Angelika Glöckner, SPD. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Angelika Glöckner (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Menschenrechtsverletzungen von heute sind die Flüchtlingsströme von morgen; das waren vor wenigen Wochen meine Worte in diesem Hohen Hause. Vor dem Hintergrund der aktuellen Flüchtlingsbewegungen, glaube ich, hat dieser Satz an Aktualität nichts verloren. (Beifall bei der SPD) Nach wie vor sind 60 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Freiheitsrechte haben in den letzten Jahren weltweit stetig abgenommen. Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt noch immer unterdrückt und in undemokratischen Regimen. Terror, Kriege und Gewalt nehmen weltweit zu. Dies alles zeigt uns: Eine umfassende Menschenrechtspolitik sowie der Einsatz für mehr Demokratie in der Welt sind wichtiger denn je. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Die grundlegenden Menschen- und Freiheitsrechte bilden das Fundament einer Gesellschaft. Die EU muss daher ihre Außenbeziehungen und ihre gesamte Politik nach diesen Werten ausrichten. Deutschland hat sich zudem in Artikel 21 des Vertrages über die Europäische Union dazu verpflichtet. Ich befürworte es außerordentlich, dass wir heute über den uns vorgelegten EU-Jahresbericht aus dem Jahr 2014 debattieren – den Blick nach vorne gerichtet, Herr Koenigs – und dass wir auch erkennen, wo Handlungsbedarfe sind. Ich glaube, niemand hat heute gesagt, dass alles, was bisher getan wurde, in Ordnung ist. Ich habe eher das Gefühl, dass viele versucht sind, einzuschätzen, wo wir etwas zum Besseren verändern können. Der Rechenschaftsbericht zeigt zunächst die vielen Aktivitäten der Europäischen Union im Bereich der Menschenrechtspolitik auf. Er schafft Transparenz. Er vergleicht den Istzustand mit den gesteckten Zielen. Vor allem aber bietet er eine sehr gute Diskussionsgrundlage für die zukünftige Ausrichtung unserer Menschenrechtspolitik. Die EU hat für Menschenrechte und Demokratieentwicklung vieles getan. Zu nennen ist beispielsweise das große Engagement der Hohen Vertreterin Frau Federica Mogherini in der Außenpolitik. Sie hat eigens einen Sonderbeauftragten für die Europäische Union installiert, der die Aufgabe hat, die Menschenrechtspolitik nach außen hin spürbarer und sichtbarer zu machen. Auch der Ausbau der Menschenrechtsdialoge und der vielfältigen Konsultationen sind Beispiele, die belegen, dass vieles unternommen wird. Was der Bericht aber auch zeigt, ist, dass wir uns noch stärker auf die Umsetzung konkreter Ziele konzentrieren müssen. Ziele zu beschreiben, ist ein erster wichtiger Schritt. Die Ziele auch zu erreichen, wird ein weiterer wesentlicher Schritt sein, den wir machen müssen. Zielgerichtetes Agieren ist wichtig. Denn noch immer sind viel zu viele Menschen von Hunger und größter Armut betroffen. Noch immer werden Kinder gezwungen, mit Waffen zu kämpfen oder als Kindersklaven zu arbeiten. Noch immer werden Frauen unterdrückt; sie sind wehrlos Willkür und Gewalt ausgesetzt. Hier muss die EU mit ihrer Menschenrechtspolitik vorankommen. Daher muss sie die Menschenrechte in ihre gesamten Wirtschafts- und Handelsbeziehungen stärker einbeziehen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Frank Heinrich [Chemnitz] [CDU/CSU]) Es ist zum Beispiel sehr wichtig, im Vorfeld von Handels- und Investitionsabkommen Folgeabschätzungen für die Menschenrechte vorzunehmen; das gilt auch mit Blick auf TTIP. Natürlich erwarten wir für unsere Union auch immer positive Wachstumseffekte durch unsere Handels- und Wirtschaftsaktivitäten mit Ländern außerhalb der EU. Dies muss aber eng einhergehen mit der Verbesserung der menschenrechtlichen Situation in anderen Ländern. Handelsabkommen sind und bleiben ein wichtiges Instrument, das Armut und Unterdrückung in einer globalisierten Welt zurückdrängen kann, wenn diese für die Ärmsten in der Welt positive Effekte hervorrufen. Wichtig für ein effektives Handeln ist auch, dass sich die Mitgliedstaaten und die EU in ihrem Handeln miteinander abstimmen. Deshalb ist es gut, dass die EU ihren Mitgliedstaaten verbindlich vorgibt, nationale Aktionspläne zu erstellen. Diese sind ein ganz wesentliches Instrument zur Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, die von allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union garantiert werden. Neben diesen nationalen Aktionsplänen gibt es weitere Instrumente, zum Beispiel die Europäische Nachbarschaftspolitik und die Entwicklungszusammenarbeit. Nach dem Prinzip „Mehr für mehr“ werden hier Anreize geschaffen. Wenn sich Partnerländer menschenrechtskonform verhalten, werden sie bevorzugt behandelt. Ich finde, es ist ein guter Ansatz, Anreizsysteme zu schaffen, anstatt in der Hoffnung, dass irgendwo ein zartes Pflänzchen wächst, mit der Gießkanne zu verteilen. Daneben muss das wirtschaftliche Betätigungsfeld in der globalisierten Welt mehr auf faire und rechtsbasierte Grundlagen gestellt werden. Doch nicht nur die Nationalparlamente und die EU tragen Verantwortung für die Entwicklung der Menschenrechte in der Welt, sondern gerade auch die weltweit agierenden Unternehmen können und müssen bei ihrem globalen Handeln entscheidende Akzente setzen. Das Europäische Parlament hat nunmehr die CSR-Richtlinie zur sozialen Verantwortung von Unternehmen verabschiedet. Mit der Umsetzung in nationales Recht in allen EU-Mitgliedstaaten wird hier ein erster wichtiger Schritt hin zu mehr Unternehmensverantwortung vollzogen. Es kann nicht angehen, dass Unternehmen in fernen Ländern Kinder für einen Hungerlohn arbeiten und Menschen in baufälligen Gebäuden produzieren lassen sowie auf Kosten der Umwelt und der Gesundheit der Menschen produzieren. Die Unternehmen werden sich mit ihren Lieferketten auseinandersetzen müssen und können sich nicht mehr hinter ihrer Unwissenheit verstecken. Sie müssen in die Pflicht genommen werden, Verantwortung für die Menschenrechte zu übernehmen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Instrumente für die Stärkung von Menschenrechten stehen bereit. Es gilt jedoch, sie auszubauen, aufeinander abzustimmen und vor allem mit hinreichenden Ressourcen auszustatten und intelligent zu nutzen. Wenn uns das gelingt, dann haben wir für die Zukunft eine Chance, Hunger und mangelnder Gesundheitsversorgung, krankmachenden und lebensbedrohenden Umwelteinflüssen und einem Leben ohne Bildung und in Perspektivlosigkeit entgegenzuwirken. Genau diese Umstände fördern fragile Gesellschaften und Strukturen und sind letztlich auch geeignet, weitere Menschenrechtsverletzungen hervorzurufen und im schlimmsten Fall sogar neue Flüchtlingsbewegungen in Gang zu setzen, und das darf die EU und dürfen wir nicht zulassen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass wir selbst mit gutem Beispiel vorangehen müssen, wenn wir nach außen etwas vorgeben. Wer die Befolgung von Freiheitsrechten im Ausland fordert, der muss sie auch selbst einhalten. Hier haben wir in einigen Mitgliedstaaten der EU in den letzten Jahren einen deutlichen Nachholbedarf gesehen. Wenn man die Diskussionen in den letzten Tagen und Wochen verfolgt hat – auch die aktuelle Diskussion über den möglichen Austritt Großbritanniens aus der EU –, dann hat man teilweise schon den Eindruck gewonnen, dass die EU nichts anderes als eine Wirtschaftsgemeinschaft ist. Die Europäische Union ist aber eben nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft, sondern auch ein gemeinsames Wertegebilde. Zusammenhalt, Offenheit und Toleranz gegenüber Neuem haben die Europäische Union stark gemacht. Genau das sind die Werte, die uns nun auch helfen können, die schwierigen Zeiten zu überwinden. Eine erfolgreiche europäische Außenpolitik für mehr Menschenrechte und Demokratie in der Welt hilft den Menschen in der Welt und auch der EU und ihren Mitgliedstaaten, den Zusammenhalt zu stärken. Abschottung und Intoleranz, wie von der AfD immer wieder propagiert, haben weder unser Land noch die EU erfolgreicher gemacht. Eine Welt mit mehr Menschenrechten und Demokratie gibt es nur mit einer starken EU. (Beifall des Abg. Steffen Kampeter [CDU/CSU]) Ich bitte Sie deshalb um Ihre Zustimmung zur Beschlussempfehlung der Koalition. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ihre Anregung werden wir gerne aufnehmen!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Thorsten Frei. (Beifall bei der CDU/CSU) Thorsten Frei (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass wir heute den EU-Jahresbericht 2014 über Menschenrechte und Demokratie in der Welt diskutieren, mag in einer schnelllebigen und digitalisierten Welt geradezu seltsam anmuten. Vieles davon ist ja Geschichte. Andererseits, Herr Staatsminister, ist das aber eben tatsächlich auch ein starkes Dokument und ein starker Ausdruck dafür, dass Europa eben nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft ist, sondern ganz im Gegenteil auch eine wertegeleitete Gemeinschaft, in deren Mitgliedstaaten die Menschenrechte nicht nur Verfassungsrang haben, sondern in der auch der Anspruch besteht, ein Mindestmaß an Menschenrechten über den Kontinent hinaus in der gesamten Welt durchzusetzen. Das ist der wesentliche Punkt, um den es geht. Wenn man sich den Bericht anschaut, findet man eindrücklich dargelegt, wie mit ausdifferenzierten Instrumentarien versucht wird, auf die unterschiedlichen Verhältnisse einzugehen: Dialogformen, Fördermöglichkeiten, institutionelle Möglichkeiten, Aktionen und Aktionspläne, die passgenau auf die einzelnen Erfordernisse zugeschnitten sind. Das aus meiner Sicht Stärkste und Überzeugendste ist, dass wir in Europa starke, aufgeklärte und auch selbstbewusste Zivilgesellschaften haben, die die Basis dafür bilden, dass das letztlich passieren kann. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Ich glaube, dass das der Exportschlager für Menschenrechte in der Welt schlechthin ist, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Anders als der Defätismus von den Grünen!) Für die Politik ist natürlich auch entscheidend, dass sie Menschenrechte nicht bloß als schmückendes Beiwerk betrachtet, sondern als essenzielle Prämisse für die Durchsetzung der eigenen Politik. Wenn wir uns dazu drei Beispiele anschauen, wird, glaube ich, deutlich, dass das auch so praktiziert wird: etwa gegenüber Russland, wo man aufgrund der Lage den institutionalisierten Menschenrechtsdialog aussetzen musste; etwa gegenüber Eritrea, wo man seit 2008 die Entwicklungszusammenarbeit eingestellt hat, weil ansonsten die Gefahr bestanden hätte, dass der dortige Diktator, Isayas Afewerki, diese Mittel für Repressionen gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt hätte. Und es gibt auch das umgekehrte Beispiel, etwa gegenüber Weißrussland, wo man aufgrund der Verbesserung der Lage Sanktionen wieder aufheben konnte. Ich bin wirklich davon überzeugt, dass ein dauerhafter, konzentrierter Dialog letztlich dazu führt, dass man nach und nach deutliche Verbesserungen erreicht. Mir ist natürlich klar, dass man immer wieder auch an Grenzen stoßen wird. Beispielsweise in Syrien, wo wir Menschenrechtsverletzungen von ganz unterschiedlicher Seite haben, sowohl vom Assad-Regime wie auch vom sogenannten „Islamischen Staat“. Natürlich darf man die Menschen dort in dieser Situation nicht im Stich lassen, auch wenn die klassischen Dialogformen und Dialogforen der Menschenrechtspolitik dort nichts mehr ausrichten können. Ich glaube, dass gerade an dieser Stelle deutlich wird, dass Menschenrechtspolitik immer auch Bestandteil eines ganzen Instrumentenkastens der Außenpolitik ist, dass es immer auch um Diplomatie geht, dass es um wirtschaftliche Zusammenarbeit geht – und dass es manchmal auch notwendig ist, an einzelnen Stellen mit militärischen Mitteln einzugreifen. Ich will das an drei Beispielen verdeutlichen: Menschenrechtspolitik in diesem Sinne ist es dann eben auch, wenn man den IS militärisch bekämpft. Menschenrechtspolitik ist es auch, wenn man Pufferzonen schafft, in denen die Zivilbevölkerung sicher leben kann. Und Menschenrechtspolitik ist es auch, wenn man gerade in dieser Region die Anrainerstaaten so unterstützt, dass Flüchtlinge möglichst in der Region bleiben können. Wenn man sich die Debatte darüber anschaut, dann wird deutlich – Frau Kollegin Steinbach hat das in ihrer Rede ja ventiliert –, dass wir die Schwerpunkte vielleicht nicht immer ganz richtig setzen. Wir könnten mit unserer Politik sehr viel mehr erreichen, wenn wir die Schwerpunkte so setzten, dass die Menschen in der Region blieben, anstatt dass sie sich nach Europa und nach Deutschland aufmachten. Anfang des Monats war in der Tageszeitung Die Welt zu lesen, dass wir in Deutschland für dieses und für das kommende Jahr für die Flüchtlingsunterbringung gesamtstaatlich etwa 50 Milliarden Euro aufwenden müssen. Schauen wir uns einmal an, was man mit diesen Mitteln in den Herkunftsländern erreichen könnte. Ich will da einfach nur die Zahl erwähnen, die der Bundesminister Müller immer wieder nennt; er sagte: Wenn die Europäische Union die Kraft hätte, 10 Milliarden Euro aufzuwenden, dann bestünde die Chance, 8 Millionen Menschen ein ganzes Jahr lang nicht nur zu ernähren, sondern auch für Gesundheitsversorgung und Bildungsperspektiven zu sorgen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Frank Schwabe [SPD]) Was würde es denn bedeuten, die Menschen in der Region zu unterstützen? Da gelänge es, mit 350 Euro ein ganzes Jahr lang die Ernährung für einen Flüchtling sicherzustellen, mit 150 Euro ein Zelt mit entsprechender Infrastruktur zur Verfügung zu stellen und mit weiteren 500 Euro jedem Flüchtling Perspektiven in Bildung und Arbeit aufzuzeigen. Daran wird deutlich, dass man schon mit 1 000 Euro ein ganzes Jahr lang alle grundlegenden menschenrechtlichen Bedürfnissen eines Flüchtlings zufriedenstellen könnte. Deshalb müssen wir, glaube ich, in diesem Bereich noch deutlich mehr tun, als wir es heute machen. Wenn ich demgegenüber die genannten 50 Milliarden Euro zugrunde lege, dann bedeutet das in Wahrheit nichts anderes, als dass man alle 60 Millionen Menschen, die weltweit auf der Flucht sind, tatsächlich in den Herkunftsländern und -regionen angemessen versorgen und unterbringen könnte. Vor dieser Wahrheit darf man doch den Blick nicht verschließen. Deswegen muss auch klar sein, dass wir für die Menschen mit Geld viel mehr in den Herkunftsregionen erreichen können, als wenn sie als Flüchtlinge zu uns kommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Frank Schwabe [SPD]) Vor diesem Hintergrund möchte ich noch zwei Bemerkungen machen. Ich glaube, dass es ein schönes Ergebnis der Londoner Geberkonferenz am 4. Februar war, knapp 10 Milliarden Euro zusammenzutragen. Es war ein starkes Zeichen der Bundesregierung, dazu 2,3 Milliarden Euro beizusteuern. Es ist eher beschämend, andere Beiträge zu sehen, etwa den der USA in Höhe von 850 Millionen Euro, etwa den Beitrag Russlands – nämlich gar nichts. Auch der Beitrag der Europäischen Union insgesamt könnte deutlich höher sein. Im europäischen Kontext müssen wir uns verstärkt darüber Gedanken machen, ob wir mit unserer Politik eigentlich die richtigen Schwerpunkte setzen. Wir machen doch letztlich weiter so wie gehabt, als ob nichts gewesen wäre. Es kann doch nicht sein, dass sich beispielsweise in den Strukturfonds der Europäischen Union weiter 80 Milliarden Euro befinden, die letztlich für die Optimierung von Rad- und Wanderwegen ausgegeben werden, anstatt dass das Geld dort konzentriert wird, wo wir tatsächlich etwas erreichen könnten, wo wir tatsächlich etwas zur Bewältigung der Flüchtlingskrise unternehmen könnten, die eben keine deutsche ist, sondern eine europäische. Deshalb erwarte ich auch, dass Deutschland in diesem Fall die Probleme und die Lasten, die sich daraus ergeben, nicht alleine schultern und tragen muss, sondern dass wir dafür die notwendige europäische Solidarität finden. Das täte hier not. Auch das gehört zum Kontext, wenn wir über den Menschenrechtsbericht 2014 sprechen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Frank Heinrich hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt Themen, die sind von großer Bedeutung, und doch führen sie politisch ein Schattendasein; der eine oder andere Kollege hat darauf schon hingewiesen. Menschenrechte gehören sehr oft dazu. Auch wenn wir die Bedeutung der Menschenrechte als ein Querschnittsthema, das alle Politikfelder durchzieht , in unserem Parlament begreifen und als solches formuliert haben – machen wir uns da doch nichts vor –: Debatten zu Menschenrechtsthemen finden oft vor leeren Rängen statt – (Zuruf von der LINKEN: So ist es!) Sie haben hier vorhin 36 Abgeordnete im Saal gezählt; ich weiß nicht, ob es inzwischen ein paar mehr geworden sind – und oft zu Zeiten, die nicht unbedingt zentral am Tag liegen. Die humanitäre Hilfe oder auch die Entwicklungszusammenarbeit sind im Ranking der politischen Bedeutsamkeit ebenfalls ziemlich weit unten angesiedelt. Doch dann – plötzlich! – stehen ebendiese Themen direkt vor unseren Augen, im Zentrum der politischen Debatte. Man möchte fast sagen: im Auge des Sturms. Auch heute ist das so, nicht nur allein wegen des Menschenrechtsberichts, den wir heute behandeln und anlässlich dessen wir heute reden. Im Februar 2016 findet diese Debatte freilich unter einem neuen Namen statt, nämlich unter dem Begriff „Fluchtursachen bekämpfen“. Fluchtursachenbekämpfung ist das Gebot der Stunde; mein Kollege Thorsten Frei hat das eben sehr deutlich gemacht. Ich möchte daran hautnah anknüpfen. Wir debattieren den Entwurf des EU-Jahresberichts 2014 über Menschenrechte und Demokratie in der Welt. Deshalb stimmt natürlich, dass wir sowohl die ganze Welt als auch uns selbst in Augenschein nehmen müssen. Die Welt hat sich seither aber gravierend verändert. Der Sommer 2015 war eine Zäsur für die Flüchtlingspolitik. Aber schon 2014 hat der Bericht festgestellt – ich zitiere –, dass die verschiedenen Formen von Migration eine bedeutende Herausforderung für die Außenpolitik der EU darstellen, für die sofortige, wirksame und dauerhafte Lösungen erforderlich sind, damit sichergestellt werden kann, dass die Menschenrechte von Menschen in Not, wie etwa denjenigen, die vor Krieg und Gewalt fliehen, entsprechend den europäischen Werten und internationalen Menschenrechtsnormen geachtet werden. Deshalb bekundet der Bericht seine große Besorgnis und seine Solidarität mit den zahlreichen Flüchtlingen und Migranten, die als Opfer von Konflikten, Verfolgung, Versäumnissen der Regierungen, Schleusernetzen, Menschenhandel, extremistischen Gruppen und kriminellen Vereinigungen gravierenden Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind; – insofern kommt das in dem Bericht doch vor; denn daran wird erinnert – bekundet zudem tiefe Trauer angesichts der tragischen Todesfälle unter den Menschen, die versucht haben, die Außengrenzen der EU zu erreichen; … Auch entsprechende Forderungen wurden in dem Bericht aufgestellt, nämlich – ich zitiere weiter - dass es dringend notwendig ist, die Ursachen der Migrationsflüsse zu beseitigen und dazu die externen Aspekte der Flüchtlingskrise anzugehen … Damit sind wir genau an dem Punkt, den mein Vorredner genannt hat. Wie gesagt, die Feststellungen und die Forderungen, die daraus abgeleitet wurden, sind schon im Rückblick auf das Jahr 2014 formuliert worden. Schauen wir uns heute um, stellen wir uns die Frage: Wie steht die Welt an diesem Tag im Jahr 2016 da? Menschen ertrinken auf dem Weg über das Mittelmeer. Menschen werden auf der Balkanroute missbraucht und gedemütigt. Menschen sterben im Kugel- und Granatenhagel von Islamisten. Menschen verhungern als Folge von Bürgerkriegen und Umweltkatastrophen. Menschen flüchten, weil sie die Hoffnung auf eine Zukunft für ihre Kinder verloren haben. – Das kann und darf uns nicht kaltlassen, und – das zeigt auch unsere Debatte – das tut es auch nicht. Sowohl die Zivilgesellschaft als auch die Politik lässt das nicht kalt. Ich kann mich erinnern: Im vergangenen Jahr – noch vor dem Sommer – haben wir darüber gesprochen, und zwar kurz nach der Katastrophe mit den 700 Toten auf dem Mittelmeer. Ich erinnere mich, dass ich damals meine emotionalste Rede gehalten habe. Ich habe davon gesprochen, dass die Propheten des Alten Testaments in einem solchen Fall von Trauer und Elend ihren Mantel zerrissen haben, um auch anderen deutlich zu machen, was in ihnen vorgeht. Wir müssen handeln. An dieser Stelle kann ich der Frau Bundeskanzlerin nur zustimmen, die gesagt hat: Wenn wir jetzt noch anfangen müssen, uns dafür zu entschuldigen, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land. Schön ist, dass wir uns eben nicht zu entschuldigen brauchen. Um es klar zu sagen: Deutschland zeigt ein freundliches Gesicht. Die Welt schaut auf uns. Wir haben Verantwortung übernommen. Ich bin stolz auf das, was vor allem Bürger des Landes, aber inzwischen auch Verwaltungen bzw. viele Menschen an den Schaltstellen und auch die Politik auf den Weg gebracht haben. Navid Kermani hat es an dieser Stelle zu uns als Parlamentarier gesagt: „Danke, Deutschland.“ Dabei dürfen wir aber nicht naiv sein. Wir müssen die Befürchtungen ernst nehmen. Wir müssen unsere Ressourcen im Blick behalten. Wir müssen den sozialen Frieden im Inneren und in Europa sichern. Und wir müssen den Rechtsstaat ertüchtigen, um ihn handlungsfähig zu erhalten. Dazu gehört auch, dass wir am Schluss nur wirklich Schutzbedürftige aufnehmen. Joachim Gauck hat es am Tag der Deutschen Einheit in einen, wie ich finde, prägnanten Satz gefasst: „Unser Herz ist weit. Aber unsere Möglichkeiten sind endlich.“ Darum hat der Deutsche Bundestag Asylpakete auf den Weg gebracht; wir haben ja unter anderem auch heute Morgen darüber diskutiert. Wir werden weiterhin Maßnahmen ergreifen, damit unsere Hilfe wirklich bei denen ankommt, die sie am dringendsten brauchen, bzw. da, wo die Menschenrechtsverletzungen gravierendst sind. Darum müssen und werden wir alles tun, soweit es in unserer Macht steht, um die Fluchtursachen konkret und nachhaltig zu bekämpfen. Der EU-Jahresbericht weist dabei an vielen Stellen den richtigen Weg. Es steht zugleich außer Zweifel: An vielen Stellen bleibt er zu weich, und an anderen Stellen legt er da, wo noch kräftig etwas zu bearbeiten ist, den Finger in die Wunde. Dieser Bericht sagt auch, dass wir diesen Weg mit viel Elan und der nötigen finanziellen Ausstattung weitergehen müssen. Es sei daran erinnert, dass jeder Euro, den wir in die Fluchtursachenbekämpfung vor Ort investieren, ein Vielfaches an Geld spart gegenüber dem, was wir für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen in der EU investieren müssen. Noch einmal – die vom Kollegen Frei genannten Zahlen waren einprägsam –: Die 1 000 Euro, mit denen wir jedem vor Ort nach allen Maßstäben der europäischen Menschenrechtswahrnehmung Sicherheit und Versorgung bieten können, reichen hier bei uns möglicherweise nur für einen Monat. Jeder Euro verringert menschliches Leid. Im Bericht wird deutlich, dass die EU und die Weltgemeinschaft einheitlich handeln und zusammenarbeiten müssen. Deshalb drängt Deutschland auf eine gemeinsame Lösung. Der Bericht erinnert daran, dass die EU „verpflichtet ist, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ... zu entwickeln“. Gefordert werden „eine verstärkte Kohärenz“ – das Wort fiel mehrfach; da stimme ich laut zu – „zwischen der Innen- und Außenpolitik der EU“ – ich denke, das gilt auch für unser Land –, der „Ausbau der Zusammenarbeit und Partnerschaften mit den betroffenen Drittländern“ und eine engere Zusammenarbeit „mit den Vereinten Nationen und ihren Organisationen“, also denen, die auch daran arbeiten. Dafür muss sichergestellt werden, dass „die EU und ihre Mitgliedstaaten ... mit einer Stimme sprechen“, sodass man deren Botschaft dann auch tatsächlich hört. Während wir hier debattieren und ich hier spreche, tagt der Europäische Rat. Bundeskanzlerin Angela Merkel wird dort genau diese Position vertreten; sie hat uns das hier vor zwei Tagen deutlich gemacht. Wir brauchen eine gemeinsame europäische Strategie zur Verteilung der Flüchtlinge, zur Sicherung der EU-Außengrenzen und zur Bekämpfung der genannten Fluchtursachen. Was heißt das konkret? Das Hauptwerkzeug ist und bleibt der Menschenrechtsdialog; mehrere meiner Vorredner, auch der Staatsminister Roth, haben genau das erwähnt. Ein zentraler Gesprächspartner muss die Zivilgesellschaft sein. Doch wir müssen auch grundsätzlicher denken: Damit eine Zivilgesellschaft überhaupt Menschenrechtsverteidiger, Initiativen und NGOs hervorbringen kann, müssen die Grundbedürfnisse gestillt und die Grundmenschenrechte gewahrt sein, ohne das eine gegen das andere aufzuwiegen. Ich stimme vollkommen mit dem Entwicklungsminister überein, der die Schwerpunkte der EZ bei der Grundversorgung setzt. Der Gründer der Heilsarmee, William Booth, hat einmal gesagt: Einem hungrigen Magen kann man nicht predigen. – Übersetzt auf unser heutiges Thema bedeutet das: Von einem Menschen, der täglich um seine Existenz kämpft, kann ich nicht erwarten, dass er seine demokratischen Grundrechte wahrnimmt und eine veränderte Gesellschaft mitgestaltet. Das sind die drei Themen: Leben, Nahrung, Grundversorgung. Es ist keine Relativierung, wenn wir das eine und das andere fordern. Es ist sicherlich richtig, dass in einem solchen wertenden Bericht mehrere Staaten, beispielsweise China, wegen Verletzung von Menschenrechten, die uns sehr wichtig sind, kritisiert werden. Aber wir müssen auch würdigen, dass in China in demselben Jahrzehnt, über das wir da reden, mehr als 100 Millionen Menschen aus extremer Armut herausgekommen sind. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Heinrich, kommen Sie bitte zum Schluss. Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): Ich komme zum letzten Absatz. Danke schön. Um die elementaren Bedürfnisse wirklich zu erfassen und wirksam zu helfen, müssen wir die Schnittstelle zwischen humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit neu und eleganter definieren; das ist eine spannende Herausforderung. In der Anhörung am vergangenen Mittwoch waren sich alle Experten darin einig. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Heinrich, Sie haben zwar nichts über die Länge des Absatzes gesagt. Aber Sie müssen jetzt einen Punkt setzen. Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): Wir dürfen nicht nur Brände löschen, sondern müssen auch Brandursachen beseitigen. Ich schließe mich der Forderung an, dass wir das im Zusammenspiel von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft tun müssen und diese nicht gegeneinander ausspielen dürfen. Nur dann werden wir Fluchtursachen wirklich wirksam beseitigen. Ich danke Ihnen für Geduld und Aufmerksamkeit. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe auf Drucksache 18/7552 zu dem Entwurf des EU-Jahresberichts 2014 über Menschenrechte und Demokratie in der Welt. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, Susanna Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Schutzfunktion der Arbeitslosenversicherung stärken Drucksache 18/7425 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Jutta Krellmann, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Programm für gute öffentlich geförderte Beschäftigung auflegen Drucksachen 18/4449, 18/5158 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Sabine Zimmermann für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erinnern Sie sich noch: Vor zwölf Jahren bekam ein Facharbeiter, wenn er arbeitslos wurde, erst Arbeitslosengeld und dann Arbeitslosenhilfe. Sie hatten alle in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt und konnten sich auf die Solidarleistung im Fall von Arbeitslosigkeit verlassen. Und dann kamen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen (Bernd Rützel [SPD]: Jetzt kommt das wieder!) – die CDU/CSU hat zugestimmt –, mit Ihren unsäglichen Hartz-IV-Gesetzen. Ich muss das hier so deutlich sagen: mit diesen unsäglichen Hartz-IV-Gesetzen. (Beifall bei der LINKEN – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Das habt ihr noch nie gesagt! – Bernd Rützel [SPD]: Ja, das habt ihr das erste Mal heute hier gesagt! Ich bin überrascht!) – Warten Sie einmal, Herr Whittaker, was ich dazu zu sagen habe. Ein Facharbeiter, ein Ingenieur oder jeder, der heute arbeitslos wird, geht im Regelfall nach zwölf Monaten gnadenlos in Hartz IV, obwohl er nach wie vor mitunter Jahrzehnte in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat. Dazu, meine Damen und Herren, sagt die Linke: Das ist ungerecht, und vor allen Dingen stürzt es viele Leute in Armut. (Beifall bei der LINKEN) Soll ich Ihnen einmal sagen, wie ich das nenne? Ich nenne das eine der wirklich größten politischen Fehlleistungen der letzten zwölf Jahre mit katastrophalen Auswirkungen auf den Sozialstaat. (Lachen des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD]) – Ja, Sie können da lachen, Kollege Bartke, (Dr. Matthias Bartke [SPD]: Sie haben dem Mindestlohn nicht zugestimmt! So war es! – Gegenrufe des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) aber diejenigen, die in diesem Hartz-IV-System gefangen sind, können nicht mehr lachen. Ihre unsozialen Gesetze haben auch zur Folge, dass mittlerweile über zwei Drittel der Erwerbslosen nicht im Bereich der Arbeitslosenversicherung betreut werden, sondern im Hartz-IV-System. Sie brauchen sich doch bloß die Zahlen anzuschauen. So ist es doch. – Ich weiß, dass Sie das nicht hören wollen. (Dr. Matthias Bartke [SPD]: Nein, es ist falsch!) Aber wer die Geister rief ... – es ist einfach so. (Beifall bei der LINKEN) Fast ein Viertel der Beschäftigten, die erwerbslos werden, bekommen direkt Hartz IV. Immer mehr Erwerbslose können nämlich keine Ansprüche auf Arbeitslosengeld erwerben, oder das Arbeitslosengeld ist so niedrig, dass sie zusätzlich noch mit Hartz-IV-Leistungen aufstocken müssen. Ich möchte Sie wirklich einmal fragen, meine Damen und Herren von der SPD und vom Bündnis 90/Die Grünen: Wie können Sie das eigentlich mit Ihrem Gewissen vereinbaren? Das würde mich wirklich einmal interessieren. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe Schlafstörungen! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie haben die Rahmenfrist, in der Ansprüche auf Arbeitslosengeld erworben werden können, von drei auf zwei Jahre verkürzt, die Arbeitslosenhilfe abgeschafft und prekäre Beschäftigung wie Leiharbeit und Minijobs ausgeweitet. Und wir haben den größten Niedriglohnsektor in ganz Europa. Auch wenn Sie es nicht hören wollen: Ich muss es an dieser Stelle sagen. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Als Einzige!) Mittlerweile ist für jeden – egal ob hoch qualifiziert, jahrelang studiert oder Facharbeiter – jede Arbeit zumutbar. Arbeit zu jedem Preis ist angesagt, und das ist auf der Tagesordnung, meine Damen und Herren. Wenn einer nicht spurt – das kommt ja noch dazu; da haben Sie sich ja noch etwas „Gutes“ einfallen lassen –, dann kommen noch Sperrzeiten und Sanktionen darauf, damit noch richtig Druck auf die Menschen gemacht werden kann. Und dann werden sie unter dem Strich noch drangsaliert. Das ist das Monster, das Sie hier in Deutschland installiert haben, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) Hier wurden und werden Qualifikationen in Größenordnungen vernichtet, Menschen werden regelrecht gebrochen. Ich weiß nicht, ob Sie fern von der Realität sind, aber ich weiß das von sehr vielen Menschen. Dieses Monster, dieses Geschwür Hartz IV schwächt dauerhaft das soziale Immunsystem unseres Landes, und Sie geben immer noch die falsche Medizin darauf. (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie können die Langzeitarbeitslosigkeit nicht bekämpfen, wir haben immer noch mehr als 3 Millionen Menschen, die einen Zweitjob und einen Drittjob brauchen. Und da sagen Sie: „Die Welt ist in Ordnung“? Nein, die Welt ist eben nicht in Ordnung. (Beifall bei der LINKEN) Durch das enorme Schleifen der Arbeitslosenversicherung wurde eine gewaltige Lohnspirale in Gang gesetzt. Das führte dazu, dass wir einen der größten Niedriglohnsektoren in Europa haben. Das, meine Damen und Herren – das muss ich Ihnen so deutlich sagen –, ist nicht unsere Vorstellung von einer guten Arbeitsmarktpolitik. (Beifall bei der LINKEN) Stellen Sie sich vor, Sie selbst würden in diese Situation kommen. Wie unwürdig ist es doch eigentlich, dass Menschen von ihrem Lohn nicht leben können. Ich finde das unanständig. Wenn man darüber nachdenkt, erkennt man, dass das auch noch verdeckte Wirtschaftsförderung ist. Ich habe mir die Zahlen herausgesucht: Jährlich werden 10 Milliarden Euro an Steuergeldern für Lohnsubventionierung gezahlt. Das ist eine verdeckte Wirtschaftsförderung. Das können Sie doch nicht gutheißen. Ich finde, das ist ein Skandal. (Beifall bei der LINKEN) Die Arbeitslosenversicherung muss wieder gestärkt werden, und sie muss auch zum Hauptinstrument der sozialen Sicherung bei Erwerbslosigkeit werden. Dazu will ich Ihnen einige unserer Vorschläge nennen: Erweiterung der Rahmenfrist von zwei auf drei Jahre, Anspruch auf Arbeitslosengeld bereits nach vier Monaten Beitragszeit, für langjährige Beitragszahlerinnen und -zahler wird die Anspruchsdauer auf Arbeitslosengeld erweitert, ebenso für ältere Erwerbslose und auch für Menschen mit Behinderungen, und zur Vermeidung von ergänzendem Hartz-IV-Bezug wird ein Mindestarbeitslosengeld eingeführt. Gerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt gilt selbstverständlich auch für Flüchtlinge. Nun suchen Sie wieder einmal nach Wegen, um bei Flüchtlingen durch die Hintertür den Mindestlohn zu unterlaufen. (Bernd Rützel [SPD]: Wer ist „Sie“?) – Die CDU zum Beispiel. (Bernd Rützel [SPD]: Okay! Danke!) – Ja, aber es wird trotzdem nicht besser. Das, was Sie vorhaben, wird ja schlimmer; es heißt ja, sie sollen jetzt erst Praktika machen, und da bekommen sie noch nicht einmal Lohn, sondern nur eine Praktikumsvergütung. Das ist doch die Schweinerei dabei. Es ist doch blanker Populismus, was Sie hier machen. (Beifall bei der LINKEN – Zurufe der Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD] und Bernd Rützel [SPD]) Eine starke Arbeitslosenversicherung und eine gute Arbeitsförderung – das sind die Hauptpfeiler eines Sozialstaates, wie wir ihn uns vorstellen. Wie der Rest des Hauses dieses sieht und wie er zum Sozialstaat steht, werden wir sehen und hören. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Das ist ja wie bei Pippi Langstrumpf, wo es eine Goldkiste gibt, woraus sie schöpfen kann!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Albert Weiler für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Albert Weiler (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren auf der Tribüne! Liebe Fernsehzuschauer! Bevor ich inhaltlich starte, muss ich hier meine Bestürzung und Ablehnung zum Ausdruck bringen: Der Abgeordnete Diether Dehm, Linkspartei, beschäftigt seit einigen Jahren aus Steuermitteln den Ex-RAF-Terroristen und verurteilten Mörder Christian Klar. Dieser sollte uneingeschränkt Zugang zum Bundestag bekommen. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das stand in einer rechten Zeitung!) Der Feind der Demokratie hat nichts im Herzstück unserer Demokratie zu suchen, meine Damen und Herren! (Beifall bei der CDU/CSU) Die Linkspartei sollte sich gut überlegen, wen sie auf Ihre Listenplätze setzt. Herr Dehm sollte sich überlegen, ob er hier im Deutschen Bundestag an der richtigen Stelle ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nun zum eigentlichen Thema. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, unter dem Deckmantel Ihres Antrags zur Stärkung der Schutzfunktion der Arbeitslosenversicherung steckt mal wieder jede Menge düstere Wahlkampfpolemik, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Kennen Sie wohl gar nicht, oder?) die nicht widerspruchslos hingenommen werden kann. (Widerspruch bei der LINKEN) Ihre Antragsbegründung ist derart widersprüchlich und – Märchenhaftigkeit – teilweise realitätsfern, dass es einem die Socken auszieht. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Lieber nicht! Keine Drohungen!) In Ihrem Antrag monieren Sie, dass die Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge von 6,5 Prozent im Jahr 2006 auf heute 3 Prozent die Arbeitgeber in Deutschland entlastet habe. Das stimmt. Allerdings sind die vielen Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ebenso Nutznießer dieser Senkung. Ich sage da nur: mehr Netto vom Brutto. Dass diese Beitragssenkung natürlich auch mit der enormen Reduzierung der Arbeitslosigkeit in Deutschland zu tun hatte, verschweigen Sie. Ebenso verschweigen Sie, dass die Unternehmen in Deutschland die eingesparten Gelder investiert und Arbeitsplätze geschaffen haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Der aktuelle Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung bestätigt dies eindrucksvoll. 43,3 Millionen Erwerbstätige, eine solche Zahl gab es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie, und die Tendenz ist steigend. Ihre Mär von der Zunahme unsicherer Arbeitsverhältnisse ist schlichtweg falsch. Das Gegenteil ist aktuell der Fall. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Richtig ist – hier muss ich mich wiederholen –: Es gibt immer mehr Normalarbeitszeitverhältnisse. Seit 2010 gab es eine Zunahme regulärer Arbeitsverhältnisse um 1,5 Millionen. Dagegen sind die Zahlen bei befristeter und geringfügiger Beschäftigung sowie bei der Zeitarbeit gesunken. Das bestätigt das Statistische Bundesamt. Wenn Sie in Ihrem Antrag davon schreiben, dass ein Viertel aller Beschäftigten, die nach einer sozialversicherten Arbeit arbeitslos werden, direkt in das Hartz-IV-System fallen, dann heißt das doch im Umkehrschluss, dass die Arbeitslosenversicherung für drei Viertel aller Beschäftigten funktioniert. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und das reicht Ihnen aus, ja?) Die Schutzfunktion der Arbeitslosenversicherung ist also stark. Sie argumentieren in Ihrem Antrag vom Januar 2016 mit Zahlen von 2014. Damit verblenden Sie die Wahrheit, weil Sie anscheinend der Bundesregierung den Erfolg nicht gönnen. (Beifall der Abg. Antje Lezius [CDU/CSU]) Durch unsere gute und stabile Politik hat sich auch die Zahl der ALG-I-Bezieher mit zusätzlichem Hartz-IV-Bezug verringert. Die Zahlen der BA belegen das deutlich. Aktuell sind 85 500 ALG-I-Bezieher auf zusätzliche Leistungen aus dem SGB II angewiesen. Es sind also nicht, wie Sie mit Ihrer veralteten Zahl von 2014 vortäuschen wollen, 96 593. Aktuell sind es zwar immer noch zu viele ALG-I-Bezieher, aber die Tendenz geht deutlich nach unten. Man muss stark bezweifeln, dass mit Ihren Vorschlägen die Arbeitslosenversicherung gestärkt wird. Sie fordern unter anderem ein Recht auf Arbeit. (Beifall bei der LINKEN) Aber wo bleibt die Pflicht zur Arbeit? Sie wollen Sperrzeiten und Sanktionen abschaffen; (Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) entsprechende Vorlagen bringen Sie immer wieder in den Bundestag ein. Jeder Arbeitnehmer – und auch jeder Bundestagsabgeordnete – wird sanktioniert, wenn er seiner Arbeit nicht nachkommt oder die Arbeit ablehnt. Sie fordern das generelle Recht für Arbeitslose, sanktionslos auch gute Arbeit ablehnen zu dürfen. Das kann nach meinem gesellschaftlichen Verständnis nicht richtig sein, und es ist beschämend für jeden, der arbeitet. (Zurufe von der LINKEN) Zudem wollen Sie die Arbeit in Deutschland teurer machen, indem Sie die – in Anführungszeichen – „kapitalistischen Arbeitgeber“ Sonderabgaben zahlen lassen wollen. Die Absenkung der Hürden für den Bezug von Arbeitslosengeld wäre mit Kosten in dreistelliger Millionenhöhe verbunden. Ihre Vorschläge zur Änderung der Rahmenfristen würden der Agentur für Arbeit zwischen 300 Millionen und 450 Millionen Euro Mehrkosten auferlegen. Diese Vorschläge schaden der Arbeitslosenversicherung. Deshalb müssen wir den Antrag ablehnen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir sollten aber gemeinsam unsere Bemühungen darauf konzentrieren – das gebe ich Ihnen als Rat mit –, dass wir die Menschen aus der Arbeitslosigkeit in Arbeit bringen. Deshalb ist es gut und richtig, dass die Bundesregierung mit dem Arbeitslosenversicherungsschutz- und Weiterbildungsstärkungsgesetz den Zugang zur beruflichen Weiterbildung insbesondere für Geringverdiener, für Geringqualifizierte, für Langzeitarbeitslose und für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verbessern will und wird. (Beifall bei der CDU/CSU) Das macht den entscheidenden Unterschied aus: Sie wollen möglichst viele Menschen in die Arbeitslosenversicherung hineinziehen. Wir wollen den Menschen Wege aus der Arbeitslosigkeit ermöglichen und sie in Arbeit bringen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Brigitte Pothmer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auf dem roten Teppich hat die Berlinale gerade die glamouröse Seite des Films präsentiert. Aber der Film und übrigens auch andere Bereiche der Kunst und Kultur haben eine überaus dunkle Seite. Nicht alle gehen mit Gagen wie George Clooney nach Hause. Viele arbeiten unter höchst prekären Bedingungen am Rande der Armutsgrenze. Über diese Schattenseite des Films habe ich in dieser Woche mit zwei Vertretern des Berufsverbandes Kinematografie gesprochen. Sie haben mir erzählt, dass Filmschaffende im Regelfall Höchstbeträge in die Arbeitslosenversicherung einzahlen und im Falle der Arbeitslosigkeit keinen Cent herausbekommen. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Skandal!) Das hat damit zu tun, dass diese Leute befristet arbeiten und die Befristungen sogar nur von sehr kurzer Dauer sind. Filmschaffende, aber nicht nur die, sondern auch andere in der Kunst und Kultur, brauchen dringend eine bessere Absicherung bei Arbeitslosigkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Die, meine Damen und Herren, haben Sie von der GroKo ihnen auch versprochen, und zwar bereits für Ende 2014. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Versprochen – gebrochen!) Passiert ist nichts. Es gibt diese unwirksame Regelung, mit der Sie 0,7 Prozent – in Worten: null Komma sieben Prozent – derjenigen erreichen, die Sie selber als betroffen definiert haben. Herr Weiler, wenn man eine solche Bilanz vorgelegt hat, dann sollte man sich mit Kritik an denjenigen etwas zurückhalten, die hier konkrete Vorschläge machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Noch nichts gehört, Frau Pothmer!) Jetzt haben Sie vor der Lösung des Problems, das Sie selber identifiziert haben – deswegen haben Sie im Koalitionsvertrag eine Vereinbarung dazu getroffen –, endgültig kapituliert. Lieber Herr Weiler, wissen Sie, was das in einem normalen Betrieb bedeuten würde? Das wäre Arbeitsverweigerung! Ich wünschte mir, Sie bekämen dafür endlich mal eine Sanktion. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Markus Paschke – du redest gleich nach mir –, was ich besonders peinlich finde, ist: Ihr habt zu diesem Thema eine Pressemitteilung gemacht, und in dieser Pressemitteilung rühmt ihr euch tatsächlich, die Phase der Unsicherheit für diese Menschen beendet zu haben. Meine Damen und Herren, da muss ich noch einmal die lachende Koralle bemühen. (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ihr habt nicht Unsicherheit beendet, ihr habt die letzte Hoffnung begraben, und zwar nicht nur für die Filmschaffenden. Film- und Kulturschaffende sind in diesem Bereich eine negative Avantgarde. Ihr alle wisst selber, dass solche Beschäftigungsverhältnisse zunehmen. Befristungen, Projektarbeit, Selbstständigkeit, das sind keine Zukunftsszenarien, die man gemütlich unter dem Stichwort „Arbeiten 4.0“ diskutiert; das ist gesellschaftliche Realität für sehr viele Menschen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sabine Zimmermann hat es gesagt: Ein Viertel derjenigen, die in die Arbeitslosenversicherung einzahlen, bekommen keinen Cent heraus. Das ist nicht nur eine große Gerechtigkeitslücke, Herr Weiler; das delegitimiert das System der Arbeitslosenversicherung. Jeder, der nichts herausbekommt, wird sich doch überlegen, ob er nicht Wege findet, in Zukunft nicht mehr einzahlen zu müssen. Frau Nahles hat den Dialogprozess „Arbeiten 4.0“ gestartet. Im Rahmen dieses Dialogprozesses hat sie auch ein eigenes kleines Filmfestival zum Thema „Zukunft der Arbeit“ veranstaltet. Ich kritisiere das gar nicht; ich gehe gern ins Kino, und das ist mal wieder eine Gelegenheit. Aber ihr solltet euch bewusst sein, dass jede und jeder, die in dem Abspann genannt wird, prekär arbeitet, in die Arbeitslosenversicherung einzahlt und keinen Cent herausbekommt. Ich finde, es ist einer Arbeitsministerin unwürdig, sich mit diesen Themen zu schmücken, aber für die Filmschaffenden nichts, aber auch gar nichts zu tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]) Sie werden nicht nur dafür bezahlt, dass Sie hier über Zukunftsprobleme reden; Sie werden auch dafür bezahlt, dass Sie heutige Probleme lösen. Wir haben Ihnen schon 2015 einen Vorschlag vorgelegt, wie diese Probleme zu lösen sind. Übernehmen Sie diese Vorschläge! Und ich verspreche Ihnen: Ich werde keine Urheberrechte geltend machen. Ich bitte Sie: Tun Sie endlich was, in Gottes Namen! Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Markus Paschke für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Markus Paschke (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kollegin Zimmermann, das einzige Monster hier in Deutschland ist das, das Sie immer wieder an die Wand malen. (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Hartz IV!) Ich würde vorschlagen: Lassen Sie uns doch lieber schauen, wo wir etwas verbessern können, und darüber diskutieren, statt immer die Monster an die Wand zu malen, die es eigentlich gar nicht gibt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh Markus! Das ist ja ein Lacher!) Ich habe auch etwas zu loben. In dem Antrag gibt es einige Punkte, die sich ganz gut anhören, und Sie benennen auch einige wichtige Baustellen. Damit hatte Ihre Rede aber leider nicht ganz so viel zu tun. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Verlängerung der Rahmenfrist zum Beispiel oder auch generell die Idee eines erweiterten Zugangs zur Arbeitslosenversicherung finden unsere Zustimmung; das ist kein Geheimnis. Dazu gehört für mich noch ein ganz zentraler Punkt, nämlich eine Antwort auf die Frage: Was machen wir mit denen, die den Anforderungen auf dem ersten Arbeitsmarkt zurzeit nicht gewachsen sind? Auch diesen Menschen müssen wir eine Chance zur gesellschaftlichen Teilhabe bieten; denn das Gefühl, gebraucht zu werden und seinen Beitrag leisten zu können, ist ein wesentlicher Bestandteil unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens. (Beifall bei der SPD) Dabei geht es manchmal einfach nur um Teilhabe oder darum, einen sinnvollen Beitrag für diese Gesellschaft zu leisten. Ich finde, da gibt es eine kluge Idee: Statt Arbeitslosigkeit finanzieren wir einfach Arbeit. Passiv-Aktiv-Tausch nennt sich das. (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Wann denn? – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sag mal, bist du in der Opposition?) Es ist ein ganzheitliches Konzept, bei dem wir die Menschen in den Mittelpunkt stellen. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das jetzt hier eine Oppositionsrede?) Das wird auch in einem Ihrer Anträge gefordert. Aber ich sage an dieser Stelle noch einmal: Es ist ein bisschen zu einfach, 200 000 Plätze für ein Förderprogramm, wie es in Ihrem Antrag steht, zu fordern, und dies völlig ohne Kriterien, die zum Beispiel Mitnahmeeffekte ausschließen. Zum Passiv-Aktiv-Tausch gilt es hier noch dicke Bretter zu bohren, auch und insbesondere bei unserem Koalitionspartner. In einer idealen Welt wäre es ja ganz einfach: Die Fachpolitiker sind sich weitgehend einig, dass das ein gutes Instrument ist, und wir brauchen eigentlich nur noch den Bundesfinanzminister an unserer Seite. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Paschke, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Zimmermann? Markus Paschke (SPD): Ich würde das gerne erst zu Ende führen. (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Die Redezeit war zu kurz! – Gegenruf der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und eure ist zu lang!) Natürlich muss man ehrlich sein und feststellen: Der Passiv-Aktiv-Tausch kostet erst einmal Geld. (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Wann macht ihr das?) Daran, den Bundesfinanzminister vom langfristigen Nutzen einer so klugen Investition zu überzeugen, arbeiten wir unermüdlich. (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Wann denn? Wann macht ihr das?) Lasst es uns doch einfach einmal tun, und dann werden wir auch feststellen – davon bin ich überzeugt –, dass es langfristig volkswirtschaftlich günstiger ist, Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Denn wir verhindern damit auch die Spaltung unserer Gesellschaft in die, die viel arbeiten, und in die, die nicht arbeiten dürfen. Kommen wir zurück zu Ihrem Antrag zur Arbeitslosenversicherung. Wirklich zukunftsorientiert sind die Vorschläge in Gänze dann leider doch nicht. Oder anders ausgedrückt: Sie beschäftigen sich eher mit der Frage „Wie können wir die Asche bewahren?“, während die SPD mehr die Frage stellt: Wie können wir das Feuer weitertragen? (Beifall bei der SPD – Bernd Rützel [SPD]: Ein schönes Bild!) Für mich ist klar: Wir stärken die Arbeitslosenversicherung nur, wenn wir sie zu einer Arbeitsversicherung weiterentwickeln und so Schritt halten mit den Anforderungen unserer Zeit. Die Gefahr einer Dequalifikation wächst für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die immer schneller fortschreitende Entwicklung von Technik, Maschinen und Arbeitsprozessen verlangt nach erweiterten und teilweise auch völlig neuen Kenntnissen. Hier gilt es anzusetzen und die Menschen aktiv dabei zu unterstützen, ihre Qualifikationen zu halten und zu erweitern. Das sehe ich – neben der Absicherung im Falle von Arbeitslosigkeit – als zentrale Aufgabe einer zukunftsorientierten Arbeitsversicherung. Das Feuer weitertragen – das machen wir. Mit dem von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles vorgelegten Gesetzentwurf zur Stärkung der beruflichen Weiterbildung und des Versicherungsschutzes in der Arbeitslosenversicherung tun wir nämlich genau das: Wir investieren in eine berufliche Weiterentwicklung und Weiterbildung. Wir öffnen die Aus- und Weiterbildung auch für Menschen, die bisher nicht so viele Erfolge in unserem Bildungssystem hatten. Außerdem belohnen wir Grund- und Weiterbildung und motivieren zum Weitermachen bis zu einem erfolgreichen Abschluss. Außerdem verbessern wir die Möglichkeit einer freiwilligen Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung, damit wir gerade die Menschen, die sich selbstständig gemacht haben oder Verwandte pflegen, davor schützen, ihre Ansprüche zu verlieren. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Beiträge sind viel zu hoch! Die sind gar nicht mehr drin in der Arbeitslosenversicherung!) Das sind nur einige Punkte, Brigitte, die mit diesem Gesetz umgesetzt werden. Damit machen wir einen ersten Schritt in Richtung einer zukünftigen Arbeitsversicherung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Rolle der Opposition ist da ein wenig einfacher. Sie kann immer sagen: Der Schritt ist zu kurz. Oder: Es ist zu wenig bzw. zu viel. – Ich bin da ganz pragmatisch: Lieber viele kleine Schritte in die richtige Richtung als ein großer Schritt zurück. Daher werden wir den Antrag heute ablehnen. Danke. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Kai Whittaker hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Kai Whittaker (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Wenn man Ihnen, Frau Kollegin Zimmermann, in dieser Debatte zugehört hat – das gilt aber auch für andere Debatten –, kann man sagen, dass Mark Twain mit folgender Feststellung doch recht hatte: Das Problem mit der Linken ist, daß die meisten aus Haß gegen die Reichen Kommunisten geworden sind und nicht aus Liebe zu den Armen. Denn nur so ist es zu erklären, warum Sie eine so lieblose Idee haben, Arbeitslose in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen parken zu wollen. 200 000 Menschen sollen nach Ihren Vorstellungen Bauklötzchen stapeln oder Supermarkt spielen. (Widerspruch bei der LINKEN) In Ihrem Antrag steht aber kein Wort, wie Sie die Wirtschaft stärken und Arbeitsplätze schaffen wollen. Aber das wundert mich, ehrlich gesagt, nicht wirklich. Die Linke hat es noch nie verstanden, in diesem Land Arbeitsplätze zu schaffen. Deshalb konzentrieren Sie sich auch darauf, Arbeitslosigkeit in Ihrer Wahrnehmung erträglicher zu machen. So erleichtern Sie Ihr Gewissen. Das ist alles, was Sie tun. Sie wollen Geld sozusagen auf das Problem schmeißen. Das hilft aber, ehrlich gesagt, nicht. (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Sie stellen die Leute ins Abseits!) Ich bin nicht der Einzige, der das so sieht. Schauen wir uns ein paar Studien an: Das ifo-Institut hat 2009 – ich zitiere – Folgendes festgestellt: Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass negative Effekte aus öffentlich geförderter Beschäftigung ... insbesondere in Ostdeutschland zu verzeichnen sind. Auch die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung hat 2012 festgehalten: Die bisherigen Evaluationsergebnisse geben Anlass zur Skepsis, ob öffentlich geförderte Beschäftigung in großem Umfang zum Marktersatz dienen kann. Und für die letzten Zweifler hier im Plenum habe ich auch noch eine Studie vom IAB aus dem Jahr 2012. In ihr wurde festgestellt: Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen haben nachweislich keine Beschäftigungswirkung, sind also wirkungslos. Ich halte fest: Sie, die Linken, wollen Menschen in Arbeitslosigkeit parken, anstatt ihnen Chancen zu bieten. (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Sie parken Sie in Arbeitslosigkeit – zu Hause!) Wir als Union haben, Frau Kollegin Pothmer, 2015 ebenfalls Vorschläge gemacht, wie wir mit diesem Thema umgehen wollen. Wir sind felsenfest davon überzeugt, dass wir noch einmal an den Instrumentenkasten herangehen müssen. Ich möchte ein paar Beispiele bringen. Die freie Förderung ist immer noch zu starr. Gute Ideen vor Ort in den Jobcentern werden durch Paragrafenreiter sozusagen aus dem Sattel gehoben. Echte Begleitungen fehlen. Nicht jeder Langzeitarbeitslose, der zwei, drei oder vier schwerwiegende persönliche Probleme hat, schafft allein den Weg zurück in den Arbeitsmarkt. Er braucht Hilfe, Begleitung, Assistenz und Beratung. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich möchte noch einen weiteren Aspekt ansprechen. Die Hälfte der Langzeitarbeitslosen hat keine Berufsausbildung. Deshalb treten wir dafür ein, dass Langzeitarbeitslose eine Ausbildung machen können. Denn die Alternative dazu wäre doch, dass sie einen perspektivlosen Aushilfsjob annehmen. Es ist nicht mein Anspruch, es ist nicht der Anspruch der Unionsfraktion, Perspektivlosigkeit zu verwalten; wir wollen Perspektiven schaffen. (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Ja wo denn? – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ihr seid an der Regierung! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Dann fangt mal an!) Auch die schwersten Fälle geben wir nicht so schnell auf wie Sie. Wir haben vorgeschlagen, die Integrationsbetriebe für Langzeitarbeitslose zu öffnen, ihnen einen geschützten Raum anzubieten, in dem sie echte Arbeit am ersten Arbeitsmarkt haben, (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Was?) anstatt geparkt zu werden, wie in Ihrem Antrag vorgeschlagen. (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Was ist denn das für ein Thema? Ich glaube, Sie sind beim falschen Thema!) Ich finde, auch ein anderes Thema müssen wir einmal grundsätzlicher ansprechen. Die Frage, die sich mir stellt, ist folgende: Ist es wirklich sinnvoll, dass die Hälfte der Jobcentermitarbeiter ihre Zeit damit verbringt, exakt auszurechnen, wer wie viel Geld bekommt? Wäre es nicht viel besser, wenn sie Arbeitslose tatsächlich in Jobs vermitteln würden? (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Warum macht ihr es denn nicht?) Ich finde, diese Frage ist nicht trivial, gerade vor dem Hintergrund der vielen Flüchtlinge, die jetzt in dieses Land kommen und bald in den Jobcentern aufschlagen werden. Die Logik des SGB II war es doch, jedem arbeitslosen Bürger eine pauschale Leistung zu zahlen; aber die Bilanz nach zehn Jahren ist doch etwas ernüchternd, wie ich kurz an einem Beispiel zeigen möchte: Bei der Warmwasserzuschlagsberechnung wird geschaut, ob ein Hartz-IV-Empfänger das Warmwasser in seiner Wohnung mit einem Boiler erhitzt oder nicht. Wenn er es tut, dann wird nachgeschaut, ob sich mit diesem Warmwasser nur ein Erwachsener oder noch ein Jugendlicher oder ein Kind duscht, weil es dann Zuschläge gibt. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie mal, Herr Whittaker, zu welchem Antrag reden Sie gerade?) Vor kurzem hat das Jobcenter im Unstrut-Hainich-Kreis wegen einer nicht geleisteten Nachzahlung von 10 Cent darüber nachgedacht, das Bundessozialgericht anzurufen. (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Worüber reden Sie denn? Das ist doch gar nicht das Thema! Es geht um die Arbeitslosenversicherung!) Das muss man sich einmal vorstellen: Wegen 10 Cent werden Gerichte angerufen, weil uns Einzelgerechtigkeit wichtiger erscheint und weil es im Gesetz steht, aber nicht, weil irgendwelche wild gewordenen Jobcentermitarbeiter Arbeitslose drangsalieren wollen. Ich weiß, das ist ein Extrembeispiel – gar keine Frage –, aber es zeigt, dass wir oft mit Hartz-IV-Empfängern um Kleinstbeträge ringen. Es macht deutlich, dass wir mehr Pauschalierungen im Hartz-IV-System brauchen. Es macht auch deutlich, dass wir aufhören müssen, uns bei Hartz IV um Kleinigkeiten zu kümmern. Dazu gehören eben solche Placeboprogramme, wie Sie sie in Ihrem Antrag vorschlagen. Wir müssen die Jobcenter in Deutschland endlich in die Lage versetzen, sich um die Menschen zu kümmern anstatt um sich selbst. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Machen Sie es doch! – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind doch an der Regierung! Was erzählen Sie denn da?) Denn es ist nicht so entscheidend, wie viel Geld wir in einen Menschen investieren, sondern, wie viel Zeit wir uns für ihn nehmen. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Dr. Matthias Bartke hat für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Matthias Bartke (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Whittaker, es ist nicht richtig, dass Beschäftigungsmaßnahmen im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik ein Parken von Arbeitslosen sind. (Beifall bei der LINKEN) Das ist es mit Sicherheit nicht. Da muss ich direkt die Linke in Schutz nehmen. Angesichts der Kritik, die Sie an den teilweise nicht vorhandenen Pauschalierungen und Bagatellgrenzen geäußert haben, möchte ich sagen: Nach meiner Kenntnis war es insbesondere die CDU im Bundesrat, die diese Regelung verhindert hat. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Bevor ich jetzt zu viel Beifall von Ihnen kriege, möchte ich ganz grundsätzlich etwas zur Agenda 2010 sagen. Das, was Sie, Frau Zimmermann, hier gesagt haben, ist in meinen Augen völlig geschichtsvergessen. (Beifall des Abg. Dr. Martin Rosemann [SPD]) Als Gerhard Schröder die Agenda 2010 eingeführt hat, war Deutschland der kranke Mann Europas. Heute sind wir der prosperierendste Sozialstaat auf dem ganzen Kontinent. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das ist unweigerlich mit dem Namen Gerhard Schröder verbunden. Ich sage Ihnen auch: Es hat bei der Agenda 2010 zwei Fehlentwicklungen gegeben. Die erste Fehlentwicklung war, dass wir den Niedriglohnsektor deutlich zu groß gemacht haben. (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Ah!) Um dem entgegenzuwirken, haben wir den Mindestlohn eingeführt. (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Jetzt!) In Deutschland verdient jetzt jeder mindestens 8,50 Euro pro Stunde. Da gab es eine Partei, die dem nicht zugestimmt hat, und das war Ihre Partei. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN) Die zweite Fehlentwicklung war, dass die Leiharbeit deutlich ausgebaut wurde, dass da zu viel passiert ist. Um dem entgegenzuwirken, werden wir jetzt eine völlig neue Regelung im Bereich des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes vorlegen. Da sollten Sie sich nicht schon wieder enthalten; denn dann würde die Geschichte schon wieder gegen Sie sein. (Beifall bei der SPD) Frau Zimmermann, Ihr Antrag ist deutlich besser als das, was Sie hier gesagt haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Auch ich sage: Menschen in prekären und flexiblen Beschäftigungsformen brauchen natürlich eine Absicherung. Auch wir glauben: Wenn wir diese Menschen schützen wollen, dann muss die Arbeitslosenversicherung völlig neu aufgestellt werden. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber dann machen Sie was!) Besonderen Bedarf sehe ich bei den überwiegend kurzfristig Beschäftigten. Im letzten Jahr hat mich eine Schauspielerin aus meinem Wahlkreis Hamburg-Altona angeschrieben. Ich kann ihren Unmut absolut nachvollziehen: Sie wird für einzelne Theaterstücke engagiert, führt dafür hohe Beiträge an die Arbeitslosenversicherung ab und erhält nach Ende des Engagements trotzdem nur Hartz IV. Das ist frustrierend. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie Frau Pothmer schon richtig sagte!) – Das, was Frau Pothmer dazu gesagt hat, stimmt ja auch. (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Im Koalitionsvertrag haben wir daher vereinbart, dass wir für die Sonderregelung für überwiegend kurzfristig Beschäftigte eine Anschlussregelung finden. Geplant war zum Beispiel eine Verlängerung der Rahmenfrist auf drei Jahre. Leider haben wir mit unserem Koalitionspartner in diesem Punkt keine Einigung erreicht. Stattdessen hat das Bundeskabinett die Sonderregelung bis 2018 verlängert. Das ist besser als nichts – das muss man auch einmal sagen –, (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh doch! Das ist nichts!) aber das hilft natürlich nur der Gruppe, bei der die Sonderregelung auch greift. Der Schauspielerin aus Altona hilft das leider nicht. Eine weiter gehende Nachfolgeregelung ist daher unbedingt notwendig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir werden zu Ihrem Antrag und zu einem Antrag der Grünen im April eine Anhörung im Ausschuss durchführen. Dabei werden wir uns mit den Details befassen und überlegen, wo wirklich Handlungsbedarf besteht. Unsere Aufgabe ist es, Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Unser Ziel ist es daher, die Arbeitslosenversicherung zu einer Arbeitsversicherung weiterzuentwickeln. Qualifizierung und Weiterbildung, das sind die Stichworte. Sie sind für den gesamten Verlauf des Erwerbslebens zentral. Sie sorgen für den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit. Nach unserer Vorstellung geht es zum einen um den sozialrechtlichen Anspruch auf Qualifizierung im Fall von Arbeitslosigkeit, es geht aber auch um den arbeitsrechtlichen Anspruch gegenüber dem Arbeitgeber, um Qualifikation zu sichern und zu erhalten. Wir haben schon in der letzten Legislatur einen entsprechenden Vorschlag gemacht. Ministerin Nahles verfolgt ihn mit dem Dialogprozess „Arbeiten 4.0“ weiter. Sie will die Arbeitslosenversicherung um Elemente ergänzen, die einen Anspruch auf Qualifikations- und Weiterbildungsberatung für Arbeitnehmer schaffen. Sie sagt: „Die Kunst wird darin bestehen, im Wandel alle an Bord zu behalten.“ Wir müssen die Risiken von beruflichen Übergängen und Erwerbsunterbrechung besser absichern. Gleichzeitig wollen wir Chancen für Neuanfänge und berufliches Fortkommen eröffnen; denn immer seltener üben Menschen denselben Beruf ein Leben lang am selben Ort für dasselbe Unternehmen aus. Nur ein präventiver Ansatz kann daher diesen Risiken ausreichend entgegenwirken. Aber im Dialogprozess „Arbeiten 4.0“ denken wir noch viel weiter. Wir stellen nicht nur die Frage der Absicherung, sondern auch die Frage: Wie wollen wir morgen arbeiten? Inwiefern wird Technik die Arbeit verändern und wie den Bedarf an Berufen und Qualifikationen? Wir wollen mit unseren Antworten die Chancen, nicht die Ängste in den Vordergrund stellen. Der Dialogprozess ist im vergangenen Jahr gestartet und soll dieses Jahr abgeschlossen werden. Das Arbeitsministerium hat dafür unter anderem einen Beraterkreis mit Experten aus Wissenschaft und betrieblicher Praxis zusammengestellt. Die Sozialpartner und alle Bürger sind eingeladen, sich einzubringen. Meine Bitte am Schluss: Beteiligen auch Sie sich dabei. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Und was machen wir mit den 1 Million Langzeitarbeitslosen?) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Matthäus Strebl das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Matthäus Strebl (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im vierten Quartal 2015 gab es einen kräftigen Zuwachs der Erwerbstätigenzahl. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung verzeichnete sowohl in Westdeutschland wie auch in Ostdeutschland ein erhebliches Wachstum. Die Arbeitslosenquote ist zum Anfang des Jahres erneut gesunken. Zum Vergleich: Im Januar 2015 lag die Zahl der Arbeitslosen bei 3,03 Millionen, ein Jahr später, also im Januar dieses Jahres, reduzierte sich die Zahl auf rund 2,9 Millionen. Diese Zahlen sprechen für eine gute, erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik dieser Koalition. Die Arbeitslosenversicherung und ihre Finanzierung sind gut aufgestellt. Deshalb erkenne ich keinen Änderungsbedarf. Es bestätigt sich auch – wie schon gesagt wurde –, dass die Reformen aus früheren Jahren sinnvoll und richtig waren. Natürlich gibt es auch eine Stagnation bei der Zahl der Langzeitarbeitslosen. Wir müssen deshalb weiterhin für Langzeitarbeitslose und hinzukommend verstärkt auch für Flüchtlinge geeignete Programme entwickeln und anbieten. Allein im Januar 2016 haben 791 000 Personen an einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme teilgenommen. Öffentlich geförderte Beschäftigung ist eines der klassischen Instrumente der Arbeitsmarktpolitik. Der Anteil der öffentlich geförderten Beschäftigung ist in den letzten Jahren jedoch rückläufig. (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Ja, weil kein Geld mehr da ist!) Während der Anteil der öffentlich geförderten Beschäftigung im August 2012 noch bei etwa 129 000 Stellen lag, lag er im August 2015 bei etwa 98 000. Diese rückläufige Tendenz lässt sich auf einen Rückgang der Arbeitslosenzahlen und auf Maßnahmen nach § 45 SGB III zurückführen. Über den Nutzen dieser Beschäftigung außerhalb des ersten Arbeitsmarktes gibt es die unterschiedlichsten Auffassungen. Ich halte öffentlich geförderte Beschäftigung nicht für ein Allheilmittel gegen Langzeitarbeitslosigkeit. Aufgrund der niedrigen Integrationsquoten und der hohen Kosten hätte ich bei einem Ausbau der öffentlich geförderten Beschäftigung Bedenken. Es bestünde die Gefahr, dass Langzeitarbeitslose dauerhaft in subventionierten Beschäftigungsverhältnissen gelassen würden, ohne dass neue Perspektiven in Betracht gezogen würden. Öffentlich geförderte Beschäftigung sollte nur als Ultima Ratio in Betracht kommen, nämlich dann, wenn eine Integration in den ersten Arbeitsmarkt nach mehrfachen Versuchen unmöglich erscheint. Ich halte es für äußerst zielführend, dass für junge Erwachsene unter 25 Jahren die öffentlich geförderte Beschäftigung nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt. Gerade für diese Altersklasse kommen durchaus effektivere Arbeitsmarktinstrumente infrage. Bei der Integration von Langzeitarbeitslosen in den ersten Arbeitsmarkt müssen wir uns stärker auf folgende Fragen konzentrieren und individuelle Antworten geben: Was können wir tun, damit eine Integration in den ersten Arbeitsmarkt gelingt? Welche Stärken müssen wir fördern, und welche Arbeitsmarktinstrumente sind vielleicht sinnvoll? Werte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich einige Sätze zu den Veränderungen der Arbeitslosenzahlen sagen. Uns allen ist bewusst, dass sich durch den Zuzug von vielen Flüchtlingen die Anzahl der SGB-II-Leistungsbezieher erheblich erhöhen wird. Wir müssen verschiedene Instrumente für Menschen mit einer Bleiberechtperspektive anbieten. Arbeitsgelegenheiten können für sie ein erster Einstieg sein. Gleichwohl sollten andere Möglichkeiten wie Sprachkurse, Anerkennung von Zeugnissen und Praktika nicht vernachlässigt werden. Ein Arbeitsplatz ist und bleibt der Schlüssel für eine erfolgreiche Integration. (Beifall bei der CDU/CSU) Mit dem Gesetz zur Stärkung der beruflichen Weiterbildung und des Versicherungsschutzes in der Arbeitslosenversicherung werden wir die Instrumente der beruflichen Weiterbildung weiter stärken. Zu den Förderungsprogrammen zählen insbesondere umschulungsbegleitende Maßnahmen, die Förderung von Grundkompetenzen in den Bereichen Lesen, Schreiben und Mathematik, Weiterbildungsprämien und Weiterbildungsförderung in kleineren und mittleren Unternehmen. Gerade geringqualifizierte Menschen ohne Schul- oder Berufsabschluss haben damit die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten zu erweitern. Auch die zeitliche Verlängerung von Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung bei einem Arbeitgeber halte ich für Menschen mit mehreren Vermittlungshemmnissen für besonders sinnvoll. Ich bin davon überzeugt, dass wir mit unserem Gesetzentwurf gut aufgestellt sind. Wir werden die beiden Anträge der Fraktion Die Linke deshalb ablehnen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Erst einmal muss einer überwiesen und beraten werden!) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/7425 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Programm für gute öffentlich geförderte Beschäftigung auflegen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5158, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4449 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien (22. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulle Schauws, Tabea Rößner, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Grundlagen für Gleichstellung im Kulturbetrieb schaffen Drucksachen 18/2881, 18/7351 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Ursula Groden-Kranich für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Das Thema Gleichstellung – ob im Kulturbetrieb oder ganz allgemein – beschäftigt dieses Parlament und andere Parlamente schon seit vielen Jahren. In der letzten Wahlperiode gab es schon einmal einen fast wortgleichen Antrag der Grünen, und am 27. Juni 2012 gab es auch schon einmal eine öffentliche Anhörung mit ganz ähnlichen Leitfragen und Experten, wie wir sie im letzten Jahr, am 11. November, erlebten. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht ihn nicht schlechter!) Um es gleich vorwegzunehmen: Auch in dieser letzten Anhörung gab es keine bahnbrechenden neuen Erkenntnisse, und auch die wirklich namhaften Sachverständigen konnten uns keine konkreten Rezepte für neue Gesetzesmaßnahmen nennen. Genau das aber war mit Blick auf unsere Rechtssituation auch zu erwarten. Denn wir haben schließlich schon das Allgemeine Gleichstellungsgesetz, wir haben ein Grundgesetz, das Diskriminierung verbietet, und wir haben ein Bundesgremienbesetzungsgesetz. Woran liegt es also, dass Gleichstellung immer noch ein Problem ist? (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine gute Frage!) – Ich komme gleich auf Rheinland-Pfalz zu sprechen, Frau Rößner. Das kommt gleich. – Wurden die bestehenden Gesetze nicht konsequent angewendet? Oder reichen selbst die besten Gesetze bei bestmöglicher Anwendung allein noch nicht aus? Ich denke, beides ist der Fall. Wir müssen die bereits vorhandenen Gesetze besser anwenden, und wir müssen darüber hinausgehen und dürfen uns nicht oder zumindest nicht ausschließlich auf eine Bundesgesetzgebung verlassen. Um wirkliche Gleichstellung zu erreichen, müssen wir außerdem eine gesamtgesellschaftliche Debatte führen, nicht nur eine politische. Dabei will ich in aller Deutlichkeit sagen, dass dies natürlich keine Entschuldigung für politische Versäumnisse sein darf. Aber nochmals: Gleichstellung ist nicht nur Aufgabe des Gesetzgebers, sondern der gesamten Gesellschaft, genauso wie im Übrigen Gleichstellung nicht nur Frauensache ist, sondern die Männer mindestens ebenso stark fordert und im Idealfall ebenso gewinnen lässt. Gerade deshalb bin ich – vermutlich nicht nur ich – immer wieder erstaunt, dass insbesondere im Kulturbetrieb das Thema Gleichstellung noch derart optimierungsbedürftig ist. Gerade bei den Kulturschaffenden, die sich doch selbst gern als die Vorreiter einer modernen Gesellschaft und eines emanzipierten Frauenbildes verstehen, sollte man doch den höchsten Grad an real existierender Gleichberechtigung vermuten. (Beifall bei der CDU/CSU) Nicht nur die scheinbar aufmüpfigen Schauspielerinnen in Hollywood weisen in den letzten Jahren vermehrt darauf hin, dass Rückständigkeit, Chauvinismus und patriarchalische Strukturen keineswegs auf konservative Berufsbranchen beschränkt sind, wo man dies erwarte. (Ulrich Petzold [CDU/CSU]: So ist das!) Was können und sollten wir als Politikerinnen also konkret tun, um die Gleichstellung nicht nur im Kulturbetrieb voranzubringen? (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dem Antrag zustimmen!) Lassen Sie mich dazu, liebe Kolleginnen und Kollegen, etwas genauer auf den vorliegenden Antrag der Grünen eingehen. Die erste und vielleicht wichtigste Forderung nach validem Datenmaterial zur Situation weiblicher Kulturschaffender wird, so denke ich, von allen Fraktionen unterstützt. Zu diesem Zweck hatte der Deutsche Kulturrat bereits für die Jahre 1994 bis 2014 in der Untersuchung „Frauen im Kultur- und Medienbetrieb“ den Anteil von Frauen in Führungspositionen betrachtet. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 2014? Nein, das ist schon länger her!) Die Forderung nach aktuellem Datenmaterial ist ebenfalls so gut wie erfüllt; denn die Studie wird vom Deutschen Kulturrat fortgesetzt. Wir erwarten die Ergebnisse noch in diesem Quartal. Bemerkenswert ist allerdings Folgendes: Als der Kulturrat 2005 wegen der Fortsetzung der Studie „Frauen in Kunst und Kultur“ auf die Kultusministerkonferenz zugegangen ist, hatte diese zunächst kein Interesse. Nur dank der Initiative der Kulturstaatsministerin Professor Grütters (Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Aha!) wurde die Studie nun doch umfänglich fortgesetzt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Länder, gerade auch die rot-grün regierten, leider auch im Kulturbetrieb oftmals ihrer eigenen Verantwortung nicht nachkommen, gleichzeitig aber den Bund zum Handeln auffordern. Wie dem auch sei: Die Ergebnisse der Studie „Frauen im Kultur- und Medienbetrieb“ werden in den nächsten Wochen erwartet. Insofern war der vorliegende Antrag zum jetzigen Zeitpunkt ohnehin nicht zielführend. Dennoch sind wir uns, denke ich, alle einig, dass die Gleichstellung im Kulturbetrieb zügig und drastisch verbessert werden muss. Denn schon die heute verfügbaren Statistiken, zum Beispiel die der Künstlersozialkasse, zeigen deutlich, dass sich die Situation von Frauen im Kunstbetrieb zumindest in einigen Sparten zwar durchaus verbessert hat, dass es aber noch längst keinen Anlass zur Entwarnung gibt. (Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Ja, leider!) Hier wie auch in anderen Bereichen sollten vor allem zwei Ziele angestrebt werden: Erstens sollte der Bund mit gutem Beispiel vorangehen und die Umsetzung des Bundesgremienbesetzungsgesetzes sehr viel strenger als bisher kontrollieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Zweitens ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie – mit längeren Öffnungszeiten von Behörden, flexibleren Arbeitszeiten und hochwertiger Kinderbetreuung – gerade für Frauen in Kunst und Medien von essenzieller Bedeutung. Denn ähnlich wie in der Politik sind auch in diesen Branchen per definitionem höchst familienunfreundliche Arbeitszeiten Fakt; das war übrigens auch in der öffentlichen Anhörung ein Thema. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steht auch im Antrag!) Auch die Forderung der Grünen, mehr Frauen in Jurys zu entsenden, ist absolut nachvollziehbar. Dies würde endlich der Tatsache Rechnung tragen, dass Frauen einen Großteil der Produzenten und Konsumenten ausmachen. Nicht nachvollziehbar ist dagegen der Ruf nach einer paritätischen Vergabe von Preisen und Förderprojekten. Der Garant künstlerischer Freiheit sollte hier immer Vorrang haben. (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Männer sind automatisch besser, ja?) Für mich steht fest: Frauen dürfen nicht dafür bestraft werden, dass sie Frauen sind. Sich aber nur durch das Frausein für ein Stipendium oder einen Preis zu qualifizieren (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Ja, genau! Nur wegen des Frauseins! Na, das ist ja klasse!) – das gilt übrigens genauso umgekehrt –, das haben die hervorragenden Künstlerinnen in unserem Land ganz bestimmt nicht nötig. (Beifall bei der CDU/CSU – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, das hatten wir doch alles schon zigmal!) Dazu passt ein Erlebnis, das ich genau heute vor einer Woche in Aachen hatte. Dort wurde der Deutsch-Französische Parlamentspreis verlieren. Es hat mich besonders gefreut, dass alle drei Preise an Frauen gingen. Wie unser Bundestagspräsident Professor Lammert so schön sagte: Dieser Fall ist im Statut nicht vorgesehen. – Er ist aber auch nicht ausgeschlossen und von daher umso erfreulicher. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hätte er das bei Männern wohl auch so gesagt?) Genau diese Offenheit im Ergebnis wünsche ich mir an ganz vielen Stellen. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das sieht man aber nicht an Ihrer Rede!) Dass es leider auch die Länder mit grüner Regierungsbeteiligung versäumen, mehr an Frauen zu denken, zeigt die Verleihung der Carl-Zuckmayer-Medaille des Landes Rheinland-Pfalz. (Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Aha!) In den letzten drei Jahren wurden ausschließlich Männer damit geehrt. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ist eine Jury, die das entscheidet!) – Ja, sorry; aber es ist ein Landespreis, Frau Rößner. Da sind Sie durchaus beteiligt. Es liegt also nicht immer nur am Bund. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das spricht ja dann doch für eine Quote!) Sinnvoll finde ich beispielsweise die Forderung der Initiative „Pro Quote Regie“ nach einer Erhöhung des Frauenanteils bei Regisseuren (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Regisseurinnen!) bis 2020 auf 42 Prozent. Ein solches Quorum ist im Gegensatz zur starren Quote eine durchaus vernünftige und realitätsnahe Forderung, die ich, ebenso, wie es auch Staatsministerin Grütters tut, nur unterstützen kann. (Zuruf des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Die Beauftragte für Kultur und Medien geht übrigens auch im eigenen Haus mit gutem Beispiel voran. Von den Führungspositionen in ihren 27 Fachreferaten sind inzwischen 12 mit Frauen und 15 mit Männern besetzt, (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch so viele!) was immerhin einem Frauenanteil von 44 Prozent entspricht. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!) Mit diesem guten Beispiel sollten eigentlich alle Ministerien und alle Häuser in öffentlicher Hand auf allen Ebenen vorangehen. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die CDU/CSU-Fraktion auch!) – Ich schließe doch niemanden aus. Das ist doch völlig entspannt. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe Sie ja nur ergänzt!) – Das ist auch schön. Mir bleibt also Folgendes festzuhalten: Gesetzliche Maßnahmen und vor allen Dingen ihre konsequente Umsetzung auf Bundesebene sind sicherlich sinnvoll. Gerade im Kulturbetrieb unterliegen viele wichtige Entscheidungen aber der Länderhoheit. Hier kann der Bund gar nicht alles regeln, selbst dann nicht, wenn es gewollt oder wünschenswert wäre. Von daher appelliere ich ausdrücklich auch an die Oppositionsparteien, Forderungen, wie die aus dem heutigen Antrag, vehement auch in den eigenen Reihen und in den von Ihnen mitregierten Ländern zu vertreten; (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen wir immer!) denn egal ob im Bund oder in den Ländern: Die Gleichstellung von Männern und Frauen muss eine Selbstverständlichkeit werden. Dazu können wir alle beitragen: (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) als Politikerinnen, als Mütter, als Töchter, als Arbeitgeberinnen, als Erzieherinnen und in jeder anderen Rolle, die wir unserem Privat- und Berufsleben ausfüllen. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was war jetzt mit den Männern?) Als Mentorinnen müssen wir Frauen auch dazu animieren, eine mögliche Niederlage in Kauf zu nehmen, sich aber auf jeden Fall dem Wettbewerb zu stellen. Den vorliegenden Antrag der Grünen lehnen wir ab. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir mit einer konsequenten Umsetzung der vorhandenen Rechtsmittel, mit einer breit geführten Gleichstellungsdebatte und mit einem kritischen Blick bei der Gremienbesetzung noch einiges für die Gleichstellung im Kulturbetrieb erreichen können. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Sigrid Hupach für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sigrid Hupach (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie Sie alle wissen, ist derzeit Berlinale. Letzten Montag war ich in der Bubble der Initiative Pro Quote Regie am Potsdamer Platz. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch!) Diese Initiative hatte zu Gesprächen, Diskussionen und Statements rund um die Gleichstellung eingeladen. Im vergangenen Jahr hat sie für viel Aufregung gesorgt, indem sie einfach pure Fakten zur Benachteiligung von Frauen im Filmbereich in die breite Öffentlichkeit getragen hat. Seit dem Wochenende liegt nun auch der zweite Diversitätsbericht des Bundesverbandes Regie vor. Danach sind die Zahlen für 2014 noch schlimmer als die der Jahre 2010 bis 2013. 2014 führten Frauen bei der ARD nur bei 11,2 Prozent aller Filme und Serien in der Primetime Regie. Beim ZDF waren es sogar nur 8,4 Prozent. Eine Ursache dafür liegt unter anderem in der ungleichen Verteilung der Fördermittel. 83 Prozent aller Filmfördermittel gehen in Deutschland an Männer, und nur 17 Prozent werden für Filme bereitgestellt, bei denen Frauen Regie führen. Bei Filmen mit einem Budget von über 5 Millionen Euro hat 2014 übrigens keine einzige Frau Regie geführt, und das liegt nicht daran, dass es zu wenige Frauen in diesem Bereich gibt; denn 42 Prozent der Absolventinnen und Absolventen der Filmhochschulen sind Frauen. Keineswegs büßen diese sehr gut ausgebildeten Absolventinnen kurz nach dem Diplom auf geheimnisvolle Weise einen Großteil ihres Könnens und ihrer Kreativität ein. Nein, es liegt daran, dass die Gremien und die Jurys, die über die Vergabe von Projekten und Fördermitteln entscheiden, männlich dominiert sind. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Peinlich!) Das belegen auch die Zahlen einer Studie der Filmuniversität Babelsberg: Fünf Jahre nach Studienabschluss arbeiteten 100 Prozent der Regisseure in ihrem Beruf, aber nur 25 Prozent der Frauen. Die Aufträge bekamen die Männer, so ihre Angabe in der Studie, auf Empfehlung. Diese Zahlen sollten uns vor allem deswegen alarmieren, weil es hier um die Vergabe von öffentlichen Geldern geht. In Kürze wird, wie meine Kollegin schon sagte, der Deutsche Kulturrat eine Studie vorlegen, die wohl auch die strukturellen Hürden aufzeigen wird, mit denen die Frauen im Kultur- und Medienbereich zu kämpfen haben. Als wir im Ausschuss den vorliegenden Antrag der Grünen beraten haben, hat die CDU/CSU-Fraktion ihre Ablehnung damit begründet, dass man erst einmal das Zahlenmaterial abwarten müsse, um dann konkrete Schlussfolgerungen ziehen zu können. Und um wirklich nichts verändern zu müssen, fügte sie noch hinzu, dass man nicht in den künstlerischen Wettbewerb eingreifen dürfe – ein altbekanntes Totschlagargument: Der Bessere setzt sich durch. Aber wenn man sich nur etwas mit der Situation von Frauen im Kultur- und Medienbetrieb auseinandergesetzt hätte, wüsste man schon längst, was zu tun ist. Wir Linke sagen deshalb: Wir brauchen verbindliche Vorgaben für die Vergabe von Fördergeldern, Preisen und Stipendien und für die Zusammensetzung der Auswahlgremien. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Unter den 15 Nominierungen für den Preis der Leipziger Buchmesse sind übrigens auch nur fünf Frauen, im Bereich Sachbuch/Essayistik keine einzige. Wir brauchen außerdem die Aufhebung von Altersgrenzen bei Stipendien und Preisen. Denn Frauen über 35 und mit Kindern haben es besonders schwer. Wir brauchen ein regelmäßiges Gender-Monitoring, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) auch, um den Erfolg oder das Nichtwirksamwerden von Maßnahmen transparent nachverfolgen und gegebenenfalls korrigieren zu können. Weiterhin brauchen wir kluge Ideen wie zum Beispiel das Vorspielen hinter dem Vorhang. Denn findet das Probespiel von Orchestermusikerinnen und -musikern hinter dem Vorhang statt, erhöht sich die Chance für Frauen, in den Vorrunden weiterzukommen, um 50 Prozent, in der Finalrunde sogar um 300 Prozent. Wir brauchen auch wirksame Mittel gegen prekäre Lebens- und Arbeitsverhältnisse im Kultur- und Medienbereich; (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) denn Frauen sind wie immer auch da stärker betroffen. Helfen könnten da gleiche Löhne, Ausstellungsvergütungen, Mindesthonorare oder auch neue Arbeitszeitmodelle. Und ja: Vor allem brauchen wir die Quote bei der Besetzung von Leitungsfunktionen, Gremien und Jurys und vor allen Dingen wirksame Sanktionen bei deren Nichteinhaltung. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Filmemacherin Maria Mohr sagte bei der Anhörung zum vorliegenden Antrag den aufschlussreichen Satz: „Kunst ist immer Training und Talent.“ Frauen wird die Gelegenheit zum Training jedoch systematisch genommen. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, bei der anstehenden Novelle des Filmförderungsgesetzes bietet sich nun eine gute Chance, mit ganz konkreten Maßnahmen die festgefahrenen Strukturen endlich aufzubrechen und damit für mehr Gleichstellung und mehr Gerechtigkeit zu sorgen. Dazu gehört auch eine Quotenregelung, die keineswegs einen vermeintlich freien Wettbewerb verzerrt, sondern einen verzerrten Wettbewerb korrigiert. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Denn Qualität entsteht durch Vielfalt. Eine Quote gewährleistet diese Vielfalt und damit eben auch die Qualität. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Hiltrud Lotze hat für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hiltrud Lotze (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren auf der Besuchertribüne! Ich sehe auch eine Menge junger Frauen, die dieses Thema vielleicht ganz besonders interessiert. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ältere aber auch!) Vor 115 Jahren, 1901, hat der Karikaturist Bruno Paul in einer Satirezeitschrift geschrieben: Sehen Sie, Fräulein, es giebt zwei Arten von Malerinnen, die einen möchten heiraten und die anderen haben auch kein Talent. (Heiterkeit) Damals war die Überzeugung weit verbreitet, dass es gegen die Natur der Frau ist, künstlerisch tätig zu sein. Das hat sich Gott sei Dank geändert. Damals gab es tolle Künstlerinnen, und auch heute gibt es viele großartige Künstlerinnen und einflussreiche Frauen in der Kunst- und Kulturszene. 2012 dann fragte die Wochenzeitung Die Zeit in einem Artikel: „Haben Frauen die Macht im Kunstbetrieb übernommen?“ Nun, wenn das so wäre, dann würden wir heute nicht hier stehen, sondern könnten uns zufrieden zurücklehnen. Stattdessen debattieren wir heute zu Recht den Antrag der Grünen zum Thema „Gleichstellung im Kulturbetrieb“. Man könnte denken, dass der moderne und auch experimentierfreudige Kunst- und Kulturbereich die tradierten Rollenbilder längst abgestreift hat und dass es in diesem Bereich allein auf Kompetenz, Kreativität und Ideenreichtum ankommt, wenn es ums Weiterkommen geht. Schön wär’s! Noch heute sind viele Frauen im Kunst- und Kulturbereich strukturell benachteiligt. Gerade im Kunstbereich bleibt Erfolg männlich. Öffentliche Museen und private Sammler kaufen mehrheitlich Werke männlicher Künstler. Die Arbeiten männlicher Künstler erzielen höhere Verkaufspreise. Männliche Künstler sind bekannter. Die Künstlerin Sibylle Zeh hat sich einmal das Künstlerlexikon von Reclam zur Hand genommen und den Status quo festgestellt. Sie hat alle Namen männlicher Künstler übertüncht. Am Ende blieb eine Handvoll Namen weiblicher Künstler übrig. In unserer Fachanhörung im November 2015 im Ausschuss haben wir Erkenntnisse gewonnen, mit denen wir jetzt weiterarbeiten können. Die Grünen fordern in ihrem Antrag eine verbesserte und vor allem aktuelle Datengrundlage zu Frauen im Kunst- und Kulturbereich; das haben wir hier eben schon gehört. Das können wir im Prinzip abhaken, weil wir in Kürze die Studie des Deutschen Kulturrates erwarten, die von der BKM mitfinanziert wurde. Viele der Punkte, die von den Expertinnen angesprochen worden sind, kennen wir auch aus anderen Berufssparten: die Unvereinbarkeit von Beruf und Familie, der Karriereknick wegen der Familie, die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern und die berühmte gläserne Decke. All das sind Symptome, die in unserer Berufsgesellschaft branchenübergreifend vorkommen. Ein Beispiel ist die Buchbranche. Sie ist weiblich. Über 80 Prozent der Beschäftigten in dieser Branche sind Frauen. Aber auf der Leitungsebene sind es nur 16 Prozent Frauen. Der Gender Pay Gap ist in der Buchbranche sogar noch größer als in anderen Bereichen. Für uns von der SPD ist Geschlechtergerechtigkeit keine Worthülse. Mit der Frauenquote für die Wirtschaft haben wir einen Meilenstein gesetzt. Ein Entgeltgleichheitsgesetz wurde von der Familienministerin Manuela Schwesig auf den Weg gebracht. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Aber die CDU will es nicht!) Die beiden Ministerinnen Andrea Nahles und Manuela Schwesig haben mit dem Programm „Kita Plus“ ein überzeugendes Konzept vorgelegt, mit dem es Eltern erleichtert werden soll, in den Randzeiten eine Betreuung für ihr Kind zu bekommen. Sie sehen also: Wir drehen an den Stellschrauben, die die Situation auch für die Frauen im Kunst- und Kulturbereich verbessern werden. Nun wissen wir: Kunst und Kultur haben für unsere Gesellschaft eine enorme Bedeutung. Sie hinterfragen gesellschaftliche Entwicklungen kritisch. Sie begleiten sie. Sie provozieren oder befördern sie. Sie schaffen auf jeden Fall ein Bewusstsein, unter anderem auch in der Geschlechterdebatte. Es ist doch klar: Es würde etwas Wichtiges fehlen, nämlich die Hälfte der Welt, wenn dieser Prozess nur alleine durch die männliche Sichtweise geprägt wäre. Wir müssen es Frauen ermöglichen, in die Schlüssel- und Leitungspositionen zu kommen, damit eben in Kunst und Kultur auch die weibliche Sicht vertreten wird und zum Ausdruck kommt. Während ich hier stehe und darüber rede, merke ich, dass ich ein Unbehagen dabei verspüre, dass wir auch im Jahr 2016 immer noch begründen müssen, warum und wieso Frauen in allen Bereichen gleichberechtigt vertreten sein müssen. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Eigentlich müssten wir diesen Zustand doch irgendwann hinter uns lassen. Wir sind die Hälfte der Welt. Deswegen müssen wir auch überall zur Hälfte repräsentiert sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Gleichzeitig sind der Kultur- und auch der Medienbetrieb, den ich immer mit einschließe, sehr heterogen. Genauso heterogen und so differenziert muss man ihn betrachten und untersuchen. Die Frage ist nämlich: Reden wir von öffentlichen Kultureinrichtungen, von kulturwirtschaftlichen Betrieben oder von freiberuflicher Tätigkeit? Der Antrag der Grünen benennt zu Recht einzelne Missstände. In ihm werden auch analog einzelne Maßnahmen vorgeschlagen. Diese gehen in die richtige Richtung, aber sie erfassen eben nicht das Bild in seiner Gesamtheit. Ich habe schon aufgezählt, was die Knackpunkte sind: Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch Betreuungsmöglichkeiten außerhalb der gängigen Zeiten, transparente Kostenstrukturen usw. Auch die Altersarmut von Künstlerinnen der ersten Stunde und prekäre Arbeitsbedingungen bleiben unerwähnt. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können Sie gerne mit einem Antrag! – Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Das hätten wir alles ergänzen können!) Auch diese Kriterien können und müssen bei den vom Bund finanzierten und bezuschussten Institutionen, Förderprogrammen und Projekten berücksichtigt werden. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ganz kleiner Änderungsantrag hätte gereicht! – Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Niemand wäre dagegen gewesen!) Für den Medienbereich seien beispielhaft eine Anpassung des Urheberrechtsvertrages mit dem Ziel der angemessenen Vergütung und die Zahlung von Mindesthonoraren bei der Fördermittelvergabe zu nennen. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie doch einen Antrag!) Wir haben daher im Ausschuss aus den eben genannten Gründen den Antrag abgelehnt (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber keinen eigenen Antrag gemacht!) und haben uns vorgenommen, sobald die Studie des Deutschen Kulturrates vorliegt, in der die Thematik umfassend analysiert und aufbereitet wird, zielgerichtetere Maßnahmen zu formulieren. Wir haben uns im Koalitionsvertrag klar zum Grundsatz „Kultur für alle“ bekannt. Geschlechtergerechtigkeit gehört ebenso dazu wie Inklusion und die kulturelle Öffnung. Jede und jeder Einzelne soll ohne Barrieren, seien es die in den Köpfen oder die tatsächlich vorhandenen, an der Kultur teilhaben können. Ich habe es schon gesagt und wiederhole es gerne: Natürlich müssen Frauen auch in Kunst und Kultur gleichberechtigt vertreten sein und auch die guten Jobs erreichen können. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Ulle Schauws hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. (Beifall des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, Herr Kollege. – Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, wer von Ihnen schon den Film „Suffragette“ gesehen hat. (Burkhard Blienert [SPD]: Ich habe ihn schon gesehen!) Er ist gerade Anfang Februar angelaufen. Darin geht es um den erbitterten Kampf für das Wahlrecht von Frauen in England. Die Suffragetten haben etwas sehr Richtiges gefordert, und zwar Taten statt Worte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Und sie waren damit am Ende erfolgreich. Das wissen wir. Genau darum geht es. Wenn es um die Gleichstellung von Frauen geht – auch im Kulturbetrieb –, dann braucht es Taten. Dann braucht es auch die Taten dieser Bundesregierung. Frau Grütters, Sie haben genau vor einem Jahr in Ihrer Eröffnungsrede zur 65. Berlinale gesagt, der Anteil von Frauen dürfe gerne höher sein. Darin stimme ich Ihnen voll und ganz zu. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Doch wie steht es aktuell um die Präsenz von Frauen im deutschen Film? Die aktuellen Zahlen vom Bundesverband Regie sind ziemlich niederschmetternd – die Kollegin hat es schon erwähnt –: Die Benachteiligung von Frauen hat weiter zugenommen. Der Anteil von Regisseurinnen bei deutschen Kinofilmen ist von 22 Prozent auf 19 Prozent gesunken. Weiterhin führt nur bei einem von fünf Kinofilmen eine Frau Regie. Im High-Budget-Bereich, also bei Filmen mit einem Budget ab 5 Millionen Euro, saß 2014 keine einzige Frau mehr auf dem Regiestuhl, und das alles, obwohl 42 Prozent derjenigen, die an den Filmhochschulen ihren Abschluss machen, Frauen sind. Das macht das Ausmaß der Benachteiligung noch deutlicher. Ich finde, so geht es nicht weiter. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Meine Damen und Herren, der Tagesspiegel fragt in einem Artikel ganz aktuell zu Recht: „Wo sind eigentlich die Regisseurinnen?“ Gute Frage. Ich gebe sie weiter an die zuständige Ministerin: Was hat die Bundesregierung bisher getan, um die Situation von Frauen im Kulturbetrieb zu verbessern? An der Stelle möchte ich Frau Groden-Kranich korrigieren: Die Studie des Kulturates erfasste den Zeitraum von 1995 bis 2000, das heißt, auch die letzten Jahre der Regierung der CDU/CSU. An der Stelle ist nichts passiert. Deswegen ist es mehr als überfällig, dass die Beauftragte für Kultur und Medien nach diesem langen Zeitraum endlich die Ursachen für diese Schieflage mit neuen Zahlen angeht, auch damit nicht der Eindruck erweckt wird, hier würde ein Automatismus weitergeführt. Das müssen wir klarstellen, weil Sie sich eben auf 2014 bezogen haben. Es war ein kürzerer Zeitraum, und in den elf Jahren der CDU/CSU-Regierung ist nicht viel passiert. Auch die aktuellen Zahlen aus anderen Bereichen der Kultur zeigen kein positives Bild. Insbesondere an Theatern und in Orchestern sind Frauen in Führungspositionen ebenfalls stark unterrepräsentiert. Ein aktueller Blick nach NRW zeigt: Nur 7 Prozent der Intendantenstellen an kommunalen Theatern waren 2009 bis 2011 mit Frauen besetzt. Was glauben Sie, wie hoch der Anteil bei den Philharmonien war? Ich sage es Ihnen: Es gab keine einzige Generalmusikdirektorin. Chancengleichheit sieht anders aus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Fakt ist, dass Frauen in vielen Kultursparten, insbesondere in den Leitungspositionen – also da, wo es um Macht und Entscheidungsbefugnisse geht –, stark unterrepräsentiert sind. Das haben übrigens alle Sachverständigen im Ausschuss bestätigt. Da steht die Kultur der Wirtschaft in nichts nach. Deswegen haben wir Grünen den Antrag von 2014 mit entsprechenden Änderungen und weiter gehenden Forderungen noch einmal eingebracht, damit sich endlich etwas ändert. Wir fordern Sie noch einmal eindrücklich auf: Verteilen Sie öffentliche Gelder endlich geschlechtergerecht! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dafür müssen die Kriterien für den Etat der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien so angepasst werden, dass sie Frauen und Männer gleichermaßen berücksichtigen. Wir brauchen auch eine paritätische Besetzung von Führungspositionen und Intendanzen in Kultureinrichtungen, die vom BKM gefördert werden. Schließlich ist auch bei der Vergabe von Preisen und Förderprojekten eine geschlechtergerechte Verteilung notwendig. Nur so kann mehr künstlerische Freiheit für Frauen entstehen und damit logischerweise auch mehr kulturelle Vielfalt. Auch wenn ich es angesichts der Unterrepräsentanz von Frauen im Kulturbetrieb und der fehlenden Taten der Bundesregierung unangebracht finde, immer wieder darüber sprechen zu müssen, ob eine Quote zu Wettbewerbsverzerrungen oder Qualitätsverlusten führt, möchte ich noch einmal deutlich sagen: Nein, führt sie nicht, im Gegenteil. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Denn gerade die Tatsache, dass Frauen in allen Sparten fast nur 10 Prozent des Etats der Männer haben, ist etwas, was doch offenkundig nichts mit Qualität zu tun hat, rein gar nichts. Ein Beispiel sind preisvergebende Jurys. Beim ECHO Jazz 2016 wurden 4 Frauen, aber 52 Männer nominiert. Erzählen Sie mir nichts von Qualität! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich wiederhole es: Die Schieflage besteht trotz einer steigenden Zahl von Absolventinnen in den künstlerischen und filmischen Studiengängen. Es mangelt auch nicht an gut ausgebildeten und talentierten Frauen. Die Regisseurin Maria Mohr von Pro Quote Regie – diese Gleichstellungsinitiative muss man explizit hervorheben; sie leistet hervorragende Arbeit, auch auf der Berlinale – hat es in unserer Anhörung im Ausschuss treffend auf den Punkt gebracht: „Die Quote ist nicht wettbewerbsverzerrend. Sie korrigiert einen verzerrten Wettbewerb.“ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Es kann nicht sein, dass uns die künstlerische Qualität und Kreativität von Frauen verloren geht, weil strukturelle Hürden beim Zugang und im weiteren Verlauf des Berufslebens nicht beseitigt werden. Diskriminierung von Frauen kann und darf nicht unter dem Scheinargument der künstlerischen Freiheit gerechtfertigt werden. Sorgen Sie also mit gezielten Maßnahmen endlich für Chancengleichheit für Frauen im Filmbereich, in der Musikbranche, an den Theatern und bei den Philharmonien. Die Zeit ist mehr als reif dafür. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Frau Kollegin Schauws, das Wort „Zeit“ war ein gutes Stichwort. Sie müssen jetzt einen Punkt setzen. Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme jetzt zum Schluss. Das Frauenwahlrecht wurde aus vielen Gründen lange verhindert. Ein Grund war sicherlich Angst vor Veränderungen. Ich sage Ihnen allen dazu nur: Seien Sie doch ein bisschen mutig, und bringen Sie zusammen mit uns gerechte Strukturen im Kulturbetrieb auf den Weg. In zweieinhalb Jahren wird das Frauenwahlrecht 100 Jahre alt. Es wäre schön, wenn wir uns bis dahin auf den Weg gemacht hätten, die Lage für Frauen zu verbessern und den Kulturbetrieb vielfältiger zu machen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Dr. Astrid Freudenstein für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unser Thema kommt komisch daher. Ausgerechnet im Kulturbereich sollen es Frauen besonders schwer haben. Ausgerechnet im Kulturbereich gibt es weniger weibliche als männliche Führungskräfte. Ausgerechnet im Kulturbereich verdienen Frauen schlechter als Männer. Ausgerechnet im Kulturbereich – so überschreiben Sie Ihren Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen – müssen die Grundlagen für die Gleichstellung von Männern und Frauen überhaupt erst geschaffen werden, und das im Jahre 2016. Ich finde das seltsam, und viele, mit denen ich über dieses Thema gesprochen habe, finden das ebenfalls seltsam, vermutlich deshalb, weil wir der Kultur eigentlich das Anderssein zuschreiben, weil wir dort keine Hierarchien, keine gläsernen Decken und keine Männerbünde vermuten, (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Nein! Gar nicht!) weil wir männliche Strukturen immer sehr stark in der Wirtschaft und auch in der Politik ansiedeln, aber eigentlich nicht so sehr im Bereich des Kulturellen. Und dann so etwas: Sie zeichnen das Bild einer Kulturszene, die sich quer durch alle Sparten als rückständige Machozone entpuppt. Dafür werden Zahlen bemüht und Statistiken herangezogen. Das kommt für mich komisch daher und ist auch unglaubwürdig. Auf jeden Fall ist es das Thema wert, sich genauer damit zu befassen. Denn fest steht, dass Frauen Karriereprobleme haben. Sie haben Probleme, an Aufträge zu kommen, und sie haben Probleme, richtig gutes Geld zu verdienen. (Zuruf von der LINKEN: Aber? – Dr. Eva Högl [SPD]: Da müssen wir noch was tun!) Welche Gründe kann es dafür geben? Mir fallen mehrere ein. Ein Grund kann sein, dass diejenigen, die entscheiden, die Drehbücher, die Kunstwerke oder die Bewerberin schlichtweg nicht gut finden. Sie meinen, dass das, was angeboten wird, den Publikumsgeschmack nicht trifft, dass es nicht spannend genug ist, dass es sich nicht gut verkauft, dass die Bewerberin nicht die notwendige Qualifikation mitbringt. Das ist zunächst ein ganz normaler Vorgang und keine Ungerechtigkeit. Das passiert jeden Tag in Personalabteilungen in dieser Republik, das läuft dann auch in der Kultur unter dem Begriff der „Freiheit der Kunst“. Denn über Geschmack kann man streiten – auch über den Geschmack von Redaktionen und Findungskommissionen. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das stimmt! – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um strukturelle Probleme!) Es gibt auch eine zweite Möglichkeit, warum Frauen im Kulturbereich nicht zum Zuge kommen: Die Drehbücher, die Kunstwerke, die Bewerberinnen sind gut, aber die, die entscheiden, haben schlichtweg keine Ahnung, (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das stimmt!) oder es sind durchgängig Frauenhasser, Frauenhasserinnen; sie geben den Zuschlag der Bewerberin deswegen nicht, weil sie eine Frau ist. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben sie das gesagt?) Dafür fehlt mir zugegebenermaßen so ein bisschen die Fantasie. Das wäre auch verboten, und das wäre strafbewehrt – Gott sei Dank. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat das denn behauptet? Das hat niemand behauptet, Frau Kollegin! Sie verzerren doch das Bild!) Oder es sind einfach nur zu viele Männer in den Entscheidungsgremien. An dem Punkt wollen Sie ja ansetzen. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Genau!) Sie unterstellen nämlich, dass mehr Frauen in die Jurys und Gremien müssten, weil die sich dann wiederum öfter für Frauen entscheiden würden. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen wir gar nicht!) Ich muss Ihnen sagen, dass es dafür bisher keinen Anhaltspunkt gibt. Zum Beispiel sind die Redaktionen der großen Fernsehanstalten, von denen Sie sprachen – ARD und ZDF –, überwiegend schon weiblich besetzt. Ob sich das auswirkt, das zeigt uns vielleicht die neue Studie, auf die wir alle warten. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Überwiegend“ kann man nicht sagen! Die müssen ja erst neu besetzt werden!) Möglichkeit drei, warum Frauen nicht so sehr zum Zuge kommen, ist, dass es vielleicht tatsächlich so ist, dass das, was Frauen anbieten, nicht passt. Die Frage, ob die Unterrepräsentanz von Frauen im Kulturbereich damit zu tun hat, dass Frauen öfter als Männer am Publikumsgeschmack vorbeiproduzieren, darf man zumindest stellen, meine ich. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Eine Studie der Uni Rostock hat zum Beispiel ergeben, dass Frauen besonders häufig Dramen inszenieren, Männer sich hingegen lieber mit Komödien beschäftigen. Das sagt natürlich nichts über die Qualität der Arbeit von Frauen aus, aber fest steht, dass Komödien beim Publikum besser ankommen. Daran werden wir allerdings mit Quoten auch nichts ändern können. Dann gibt es noch eine vierte Möglichkeit: Die Frauen können gar nicht so sehr zum Zuge kommen wie Männer, weil sie sich nämlich nicht so oft bewerben wie Männer. (Johannes Selle [CDU/CSU]: Ganz richtig!) Das ist ein Punkt, der mir tatsächlich wichtig ist. Ich sitze seit acht Jahren im Personalausschuss meiner Heimatstadt, in Regensburg. Und eine Konstante gibt es dort, und zwar quer durch alle Bereiche der öffentlichen Verwaltung und durch den gesamten Kulturbereich: Wo auch immer eine Führungsposition ausgeschrieben ist, bewerben sich deutlich weniger Frauen als Männer. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Woran liegt das denn? – Zuruf von der LINKEN: Warum?) Selbstzweifel sind offenbar zunächst einmal eine weibliche Eigenschaft. Ich meine aber schon, dass wir erst dann eine paritätische Besetzung einfordern können, wenn sich auf die Positionen, für die großen Projekte auch wirklich so viele Frauen wie Männer bewerben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bis dahin müssen wir Frauen immer und immer wieder ermutigen, ihren Hut auch wirklich in den Ring zu werfen. (Beifall bei der CDU/CSU – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie schieben es wirklich den einzelnen Frauen zu! Unglaublich! Sie verstehen die Strukturen nicht!) Ich meine tatsächlich, dass die Frauen an dem Punkt an sich arbeiten müssen, sie müssen sich bewerben. Das glaube ich tatsächlich. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen die Struktur verbessern!) Im Kulturbereich kommt erschwerend hinzu, dass die Arbeitszeiten alles andere als familienfreundlich sind. Film, Tanz, Theater – all das findet abends statt. Das Museum hat am Montag zu, ist aber am Wochenende offen. Und zur Vernissage kann man auch nicht am Dienstagmittag einladen, wenn der Sohn im Kindergarten ist. Mütter von kleinen Kindern haben es in der Kultur ausgesprochen schwer. Und an diesen zeitlich ungünstigen Rahmenbedingungen können auch alle Quoten nichts ändern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich meine, dass wir bei dem Thema in erster Linie dort ansetzen müssen, wo wir der Branche und dann auch den Frauen wirklich helfen können: Wir brauchen höhere Produktionsetats bei den Fernsehanstalten und bessere Honorarvereinbarungen, wir brauchen im Sozialversicherungsrecht Regelungen, die dem freien Dasein der Künstler gerecht werden, und wir brauchen vor allem eine dauerhaft gute finanzielle Ausstattung der Kommunen, die nämlich einen Großteil der Kulturförderung in unserem Land tragen. Und das schaut in den Bundesländern sehr unterschiedlich gut aus. Geschlechterquoten können hilfreich sein, um Prozesse anzustoßen. Bei der Vergabe von Aufträgen sind sie jedoch mit Sicherheit nicht hilfreich. Wir vergeben nämlich auch öffentliche Bauaufträge nicht paritätisch an Frauen und Männer, sondern an die Firma, die die geforderte Qualität zum besten Preis anbietet. Wir lassen bei öffentlichen Architektenwettbewerben auch nicht gleich viele Frauen und Männer gewinnen. Ich finde das im Übrigen richtig, und ich würde mir wünschen, dass auch in der Kultur die Qualität das entscheidende Kriterium bleibt. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Burkhard Blienert für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Burkhard Blienert (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Bemühen um Gleichberechtigung von Frauen und Männern ist ein ursozialdemokratisches Anliegen, das sich wie ein roter Faden durch die Geschichte meiner Partei und deren Politik zieht. Aktuell ist das auch durch die Arbeit von Ministerin Manuela Schwesig wieder sehr deutlich geworden. Dass dieses Feld immer noch beackert werden muss, zeigt uns aber auch, wie zäh und tief verwurzelt die Widerstände sind, mit denen wir es hier zu tun haben. In Politik und Parteien, in Verwaltung, Wirtschaft und im gesellschaftlichen Zusammenleben hat sich in den vergangenen Jahrzehnten in der Genderfrage vieles zum Besseren entwickelt. Aber – keine Frage – es gibt immer noch jede Menge zu tun, auch im Kultur- und Medienbereich. Als filmpolitischer Sprecher richte ich den Blick speziell auf den Filmbereich, weil das ein Bereich ist, den wir uns in Kürze genauer anschauen werden. Am Sonntag werden bei der Berlinale die Silbernen und Goldenen Bären verliehen. Die Chance, dass eine Regisseurin geehrt wird, ist auch in diesem Jahr wiederum nicht sehr groß; denn von 23 Filmen im Wettbewerb sind nur 2 von Frauen gemacht. Das hat jetzt aber nichts mit der Auswahl von Dieter Kosslick zu tun. Er war Pressesprecher der Leitstelle für die Gleichstellung der Frau, wie es in seiner Biografie heißt, und ist daher über jeden Verdacht erhaben. Er setzt sich sehr stark für die Gleichstellung ein. Das zeigt auch die Besetzung der Berlinale-Jury: Vier Frauen und drei Männer entscheiden über die Preise, und Meryl Streep hat den Vorsitz. Es zeigt sich aber auch, dass die internationale Situation von Filmemacherinnen sehr schwierig ist. Auch bei der Oscar-Verleihung werden wir das gleiche Bild haben. Es ist nicht nur so, dass schwarze Filmemacher dort kaum vertreten sind – dieses Mal gar nicht –, sondern dass es auch zu wenige Frauen gibt. Auch dort ist es kein Wunder, wenn 77 Prozent der Stimmberechtigten in der Academy Männer sind. Die deutsche Film- und TV-Branche befindet sich daher leider Gottes in bester Gesellschaft, wenn es um fehlende Gleichstellung geht. Das haben die Zahlen deutlich gemacht, die hier schon präsentiert worden sind. Sowohl bei den Produktionen von ARD und ZDF als auch im Kinobereich ist der Anteil der Regisseurinnen 2014 sogar von 22 auf 19 Prozent zurückgegangen. Bei den Filmen mit Budgets über 5 Millionen Euro sinkt ihr Anteil tatsächlich auf null. Das heißt, man kann nicht verneinen, dass wir da noch eine Menge zu tun haben. Das sind Hausaufgaben, die wir machen müssen. Wir haben eine gute Anhörung im Ausschuss gehabt. Darüber bin ich froh. Es hat eine sehr interessante und ausgewogene Diskussion stattgefunden. Meine Kollegin Hiltrud Lotze ist eben in ihrem Redebeitrag darauf eingegangen. In der Debatte über die Novellierung des Filmförderungsgesetzes werden wir entsprechende Maßnahmen ergreifen. Im ersten Diskussionsentwurf ist enthalten, dass die Fördergremien paritätisch besetzt werden sollen. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Immerhin!) Auch der Verwaltungsrat und das Präsidium der FFA sollen sich analog zum Bundesgremienbesetzungsgesetz am Gleichstellungsgebot orientieren. Dann werden wir den Blick noch auf andere Instrumente richten müssen, zum Beispiel auf die Gleichstellung im Aufgabenkatalog der FFA sowie auf ein regelmäßiges Monitoring, das an der Stelle zwingend geboten ist. Einiges ist schon passiert, und das sollte man auch erwähnen, zum Beispiel der Maßnahmenkatalog der ARD. Auch bei der Degeto gibt es nun eine Selbstverpflichtung; sie will 20 Prozent der Regiestühle mit Regisseurinnen besetzen – ein erster Ansatz, um die Gleichstellung voranzubringen. Das Thema wird uns noch weiter verfolgen. Es ist auch mit der Ablehnung des Antrags hier noch nicht beendet. Ich glaube, dass wir bei der Novellierung des FFG notwendige und sinnvolle Ergänzungen parlamentarisch umsetzen können. Die Argumente sind auf der Seite der Gleichstellung, und das werden wir auch nutzen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Grundlagen für Gleichstellung im Kulturbetrieb schaffen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7351, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/2881 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Richard Pitterle, Dr. Gerhard Schick, Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch, Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter, Jan van Aken, Luise Amtsberg und weiterer Abgeordneter Einsetzung eines Untersuchungsausschusses Drucksachen 18/6839, 18/7601 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Richard Pitterle für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Richard Pitterle (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Cumex, das klingt nicht nur suspekt, sondern ist, drastisch gesagt, schlicht eine Schweinerei. Heute setzen wir auf gemeinsamen Antrag von Linken und Bündnis 90/Die Grünen einen Untersuchungsausschuss zu den Cum-ex-Geschäften ein. Cum-ex-Geschäfte waren Aktiengeschäfte schwerreicher Investoren, die im Zeitraum von 1999 bis 2012 praktiziert wurden. Aktien wurden um den Dividendenstichtag kurz hintereinander einmal mit – „cum“ – und einmal ohne – „ex“ – Dividende gehandelt. Das führte dazu, dass am Ende der Transaktionen zwei Personen jeweils eine Bescheinigung über die auf die Dividende gezahlte Kapitalertragsteuer erhielten, obwohl diese nur einmal gezahlt worden war. Beide konnten sich diese Zahlung dann jeweils erstatten oder anrechnen lassen. Im Klartext: Einmal in die Staatskasse einzahlen, zweimal aus der Staatskasse kassieren. Der dadurch entstandene Schaden für den Fiskus und damit für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler dürfte sich nach bisherigen Schätzungen auf 12 Milliarden Euro belaufen. Erst 2012 wurden diese Geschäfte durch eine Gesetzesänderung unterbunden. Die wichtigsten Fragen, die der Untersuchungsausschuss zu klären haben wird, sind folgende: Wie kann es sein, dass die Bundesregierung, allem voran das Bundesfinanzministerium, jahrelang keine wirksamen Maßnahmen gegen diese Machenschaften getroffen hat, obwohl das Ministerium schon 2002 in einem Schreiben des Bankenverbandes auf die Cum-ex-Geschäfte hingewiesen wurde? (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Was haben die zuständigen Finanzminister Steinbrück und Eichel davon gewusst? (Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Das fragen wir auch!) Für mich geht es nicht nur darum, subjektives Versagen der einzelnen Akteure herauszuarbeiten, sondern auch darum – das ist viel wichtiger –, die Mechanismen aufzuspüren, die einen Fehler so lange fortwirken ließen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es geht nicht allein um die Aufarbeitung der Vergangenheit, sondern auch um die Lehren für heute und für die Zukunft. Denn aus der Branche wird mir zugeflüstert, dass die Cum-cum-Geschäfte, die zurzeit laufen, auch nicht besser seien als Cum-ex. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Bei Cum-ex sollen mehr als 100 Finanzdienstleister im In- und Ausland in diese Machenschaften verwickelt gewesen sein. Nach und nach kommt die Lawine ins Rollen. Die DZ Bank, das Zentralinstitut der Genossenschaftsbanken, will sich von Mitarbeitern trennen, die in Cum-ex-Geschäfte verstrickt waren. Sie musste bereits 100 Millionen Euro an das Finanzamt nachzahlen. Die HypoVereinsbank musste ebenfalls bereits 1 Million Euro Bußgeld zahlen. Der Maple Bank sind die Cum-ex-Geschäfte nun vollends zum Verhängnis geworden. Sie musste wegen hoher Steuerrückforderungen von der BaFin, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, geschlossen werden. Wir Linke können übrigens stolz darauf sein, dass wir einen großen Anteil daran haben, dass diese Geschichte überhaupt aufgearbeitet wird. Bereits in der letzten Legislaturperiode haben wir durch unsere Fragen zu dem Thema die Bundesregierung ins Schwitzen gebracht, und es zeigt sich immer mehr, dass wir den Nagel auf den Kopf getroffen haben. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, den von uns geforderten Sonderermittler zur Aufarbeitung der Cum-ex-Geschäfte haben Sie leider verhindert und stattdessen selbst einen Untersuchungsausschuss vorgeschlagen. In der ersten Lesung des Antrags haben Sie dann mehrfach betont, dass Sie an der Aufklärung konstruktiv mitarbeiten wollen. (Philipp Graf Lerchenfeld [CDU/CSU]: Das tun wir auch!) Es hat mich gefreut, dass die SPD entgegen ihrer ursprünglichen Ankündigung einer Enthaltung gestern im GO-Ausschuss für den Antrag in der heute vorliegenden Fassung gestimmt hat. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Auch die CDU sollte sich hier einen Ruck geben; (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) denn es geht um eine Aufklärung im Interesse der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Christian Hirte für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Christian Hirte (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 30 Millionen Euro – so viel soll Uli Hoeneß an Steuern hinterzogen haben; ein hübsches Sümmchen. (Zuruf von der LINKEN) Der Fall des einstigen Präsidenten des FC Bayern löste in Deutschland eine polarisierende Debatte über Steuerbetrug und Steuerflucht aus. Doch angesichts möglicher Enthüllungen rund um die sogenannten Cum-ex-Geschäfte sind Uli Hoeneß und andere Steuersünder wahrlich ganz kleine Fische. Heute entscheiden wir über die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu Cum-ex-Aktiengeschäften. Der GO-Ausschuss hat die notwendigen Vorarbeiten geleistet, sodass wir nun über einen kompetenz- und verfassungskonformen Einsetzungsantrag entscheiden können. Dank an die Kollegen aus dem GO-Ausschuss, namentlich vor allem an den Kollegen Dr. Stefan Heck, der für uns dort Berichterstatter war und darauf verzichtet hat, hier zu sprechen, sodass ich das heute tun darf. (Beifall bei der CDU/CSU) Was sich gelegentlich wie ein Trinkspruch anhört – cum und ex –, könnte sich durchaus zu einem der spannendsten Wirtschaftskrimis der Bundesrepublik entwickeln. Es sollen Banken aus dem In- und Ausland den deutschen Fiskus jahrelang mit dubiosen Aktiengeschäften um Milliarden von Euro gebracht haben, indem sie sich durch Finanztransaktionen um den Dividendenstichtag herum eine einmal entrichtete Kapitalertragsteuer vom Finanzamt gleich mehrfach erstatten ließen. Weil Aktien so schnell gehandelt werden, dass offenbar nicht alle hinterherkommen, ist bei solchen Geschäften gelegentlich unklar, wem die Aktien am Dividendenstichtag eigentlich gehören, sodass wirtschaftliches und rechtliches Eigentum auseinanderfallen können. So können gleich zwei Handelspartner von ihren Banken in den Genuss einer Steuerbescheinigung kommen, die bares Geld wert ist. Als erste deutsche Bank hat im Dezember letzten Jahres – wir haben es gerade schon gehört – die HypoVereinsbank aus München einen Bußgeldbescheid wegen Cum-ex-Geschäften akzeptiert. Die von der HVB eigentlich erhoffte Erstattung blieb aus, weil das Bundeszentralamt für Steuern zu ermitteln begann und Steuerfahnder hinter den gewaltigen Summen der Aktientransfers illegale Cum-ex-Geschäfte witterten. Nun musste die Bank nicht nur die Steuern zurückzahlen, sondern auch eine Geldbuße in Höhe von knapp 10 Millionen Euro zahlen. Wegen zweifelhafter Steuergeschäfte mit Dividendentiteln stehen für Banken und andere Investoren Millionenbeträge auf dem Spiel. Nicht nur die HypoVereinsbank, auch die Commerzbank bzw. Dresdner Bank, die HSH Nordbank und die Schweizer Bank Sarasin haben sogenannte Cum-ex-Geschäfte mittlerweile eingeräumt. In der letzten Woche setzte die BaFin – auch das haben wir gehört – wegen Steuerrückforderungen in dreistelliger Millionenhöhe und der damit einhergehenden bilanziellen Überschuldung sogar den Handel der Maple Bank aus. Eine Reihe früherer Bankenvorstände muss sich auf Regressforderungen einstellen. Nicht zuletzt die WestLB und viele andere Institute und Beteiligte sind im Fokus der Ermittler. Die Kreditinstitute und Beteiligten stellen sich auf hohe Steuernachzahlungen ein. Das wird wohl auch nötig sein, wie die Causa HVB zeigt. Liegen nämlich Umgehungstatbestände mit Verschleierungscharakter und kollusiven Absprachen vor, sind diese Cum-ex-Deals nicht nur illegal, sondern auch steuer- und strafbar. Hier sind bislang die Steuer- und Strafermittlungsbehörden aber genau ihren Aufgaben nachgekommen. Darüber hinaus sollen jetzt neben den genauen tatsächlichen und rechtlichen Umständen mit dem neu zu bildendenden Untersuchungsausschuss auch die Verantwortlichkeiten von Politik und anderen Beteiligten aufgeklärt werden. Das Wort „Skandal“ wird ja meist inflationär benutzt, und auch die Kollegen Schick und Pitterle nutzen dieses Wort sehr gern – vielleicht etwas zu gern. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist kein Skandal, oder was?) Und wer weiß: Möglicherweise werden wir im Laufe unserer Untersuchungen noch so manches finden, was uns mit dem Kopf schütteln lässt. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist nur ein Krimi! Es ist kein Skandal!) Wir sollten daher die Arbeit des Untersuchungsausschusses nicht mit allzu großen Tönen, Superlativen und Pathos belasten. Wir sind hier nämlich nicht auf Skalpjagd, sondern wir sollten versuchen, unvoreingenommen Sachverhalte, Rechtslage und Verantwortlichkeiten aufzuklären. (Beifall bei der CDU/CSU – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann mal los!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen vor einer schwierigen Aufgabe, die sich anders als bei Uli Hoeneß vielleicht nicht im allergrellsten Scheinwerferlicht der Presse und der Medien abspielen wird. Deshalb möchte ich dringend davor warnen, dass Linke und Grüne Vorverurteilungen in skandalisierender Weise vornehmen. Das soll der Ausschuss ja eigentlich erst aufklären. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was meinen Sie damit eigentlich genau?) Wer dies tut, weil es ihm in den politischen Kram passt, kann der Arbeit des Untersuchungsausschusses nicht gerecht werden. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil wir Fragen stellen?) Der Themenkomplex ist schwierig, die Aktenlage unübersichtlich, und die Rechtslage lässt Raum für mancherlei Interpretationen, vielleicht auch für Überraschungen. Gerade deshalb sollten wir sehr sorgfältig prüfen. In diesem Sinn werden wir als Union konstruktiv an der Aufarbeitung mitarbeiten. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Dann gucken wir mal!) Ich persönlich freue mich darauf. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Gerhard Schick für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ab kommender Woche werden wir den wohl größten Steuerskandal untersuchen, (Christian Hirte [CDU/CSU]: Skandal!) den die Bundesrepublik Deutschland bislang erlebt hat und hoffentlich je erleben wird. Unser Ziel ist, dass wir endlich aufhören, unsere Steuergelder an Trickser und Betrüger am Finanzmarkt zu verschleudern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Es ist zahlreichen Millionären und über 120 Finanzinstituten gelungen, uns Steuerzahlern und Steuerzahlerinnen zwischen 2002 und 2012 geschätzte 12 Milliarden Euro aus der Tasche zu ziehen. 12 Milliarden Euro: Damit hätten wir in diesen zehn Jahren 24 000 Lehrerinnen und Lehrer kontinuierlich beschäftigen und bezahlen können. Das ging nicht, weil einige Leute eine große Umverteilungsmaschine von Bürgern zu Banken und Millionären in Gang gesetzt haben, die sozusagen kontinuierlich Geld von unten nach oben pumpt. Wir Grünen wollen, dass diese Umverteilungsmaschine gestoppt wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Denn das Problem ist ja – das hat der Kollege Pitterle angesprochen –, dass diese damalige Umverteilungsmaschine leider in wohl nur leicht veränderter Form heute weiter arbeitet und weiter viel Steuergeld von uns allen verloren geht an Leute, die am Finanzmarkt tricksen. Ich will, dass der Staat seine redlichen Bürgerinnen und Bürger vor solchen Betrügereien schützt; denn diese skrupellosen Banker, Steuerberater und Investoren gefährden den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg. Andreas Schwarz [SPD]) Doch wir als Abgeordnete dürfen uns nicht damit begnügen, die Missetäter zu verurteilen, sondern wir müssen uns fragen, was alles schiefgelaufen ist, damit diese über zehn Jahre ungeschoren ihr Unwesen treiben konnten. Genau dies soll im Untersuchungsausschuss geschehen. Wir wollen untersuchen, und zwar ohne Vorverurteilungen, vielmehr Fragen stellen, warum das Bundesministerium der Finanzen über zehn Jahre brauchte, dem Treiben ein Ende zu gebieten, obwohl es an Hinweisen nicht mangelte. Warum hat auch die Bankenaufsicht nur zugesehen, obwohl Banken solch hohe Risiken eingegangen sind, dass eine erste jetzt schon deswegen geschlossen wurde? Wieso wurde eigentlich die Steuerverwaltung so spät aktiv, obschon Steuererstattungen beansprucht wurden, die an Höhe überhaupt keinen Sinn mehr ergaben? Und warum haben wir eigentlich Landesbanken im öffentlichen Eigentum, wenn auch diese die Öffentlichkeit ausplündern? Das sind keine Vorverurteilungen, sondern das sind ganz konkrete Fragen. Herr Hirte, den Begriff „Schweinereien“ für all dies hat Ihr eigener Kollege Olav Gutting – und nicht ich – in einer der früheren Debatten, die wir zu diesem Thema beantragt hatten, genannt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Zustimmung des Abg. Andreas Schwarz [SPD]) Aber ich finde, recht hat er. Eine Schweinerei ist es. Deshalb soll man es auch so benennen. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Nichts gegen Schweine! – Heiterkeit) Leider wird die Koalition unserem Antrag zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses heute nicht zustimmen. Sie haben, Herr Hirte, keinerlei Begründung dafür genannt, warum Sie meinen, dass man diese Fragen nicht aufklären sollte. Ich würde mich freuen, wenn die Vertreterinnen und Vertreter der Koalition uns mal erklären würden, warum sie nicht mit uns zustimmen. Ich hoffe, dass Sie – nachdem Sie unseren Antrag auf Einsetzung eines Sonderermittlers abgelehnt haben und auch andere Wege der gemeinsamen Aufarbeitung mit uns nicht gehen wollten – jetzt trotzdem konstruktiv die gemeinsame Aufarbeitung im Ausschuss mittragen werden. So habe ich Sie verstanden. Ich hoffe, dass das in der Praxis dann auch so sein wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Denn diese Aufarbeitung ist zentral. Noch immer wissen viele Bürgerinnen und Bürger nichts von dem, was da passiert ist. Und immer, wenn ich davon spreche, fragen mich Menschen erschüttert, warum sie eigentlich noch nichts davon erfahren haben. Ich meine, Politik und Medien dürfen sich nicht immer nur mit den einfachen Dingen beschäftigen. Wir müssen die großen Probleme angehen, auch wenn es kompliziert wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wie gesagt, diese Geschäfte gehen in einer etwas anderen Form weiter. Und es gibt immer noch Leute an den Finanzmärkten, die skrupellos genug sind, die Allgemeinheit zu schädigen und jede Schwäche, die es da gibt, zu nutzen. Dieses ewige Hase-und-Igel-Spiel zwischen einigen Experten am Finanzmarkt und uns als Gesellschaft muss endlich beendet werden. Für uns Grüne geht es bei dieser ungewollten Umverteilung von unten nach oben um Fairness und Gerechtigkeit, aber letztlich auch um die Verlässlichkeit unseres Staates. Für diese Werte treten wir ein. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Andreas Schwarz für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Andreas Schwarz (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir werden noch heute die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu den sogenannten Cum-ex-Geschäften beschließen. Dabei handelt es sich um Geschäftsmodelle von Banken und Anlageberatern, deren Renditeversprechen allein auf einer mehrfachen Erstattung und Anrechnung von Kapitalertragsteuern beruhte. Der Gesetzgeber hat diesen Gestaltungen der Finanzindustrie durch eine Umstellung der Kapitalertragsteuererhebung ab 2012 faktisch den Boden entzogen. Dies bedeutet aber nicht, dass sie bis dahin legal waren. Im Gegenteil: Auch der Direktor des Max-Planck-Instituts für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen, Wolfgang Schön, bezeichnet diese Geschäfte als illegal. Er geht sogar – ich zitiere – noch weiter: Hier wurde nicht nur versucht, Steuern zu sparen, sondern man hat den Fiskus sogar systematisch gemolken. Es ist für mich völlig unverständlich, dass findige Finanzberater noch immer der Auffassung sind, diese Art von Betrug sei legal. Nein, das ist es nicht. Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen: Wie kann man es für legal halten, sich die Kapitalertragsteuer zum Teil gleich mehrfach erstatten zu lassen, obwohl sie nur einmal gezahlt wurde und folglich die Finanzämter – auf Kosten der Allgemeinheit – mehr Steuern erstatteten, als sie einnahmen? Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist nicht legal, das ist kriminell. Richtig ist, dass die steuerfachliche Bewertung der fraglichen Cum-ex-Geschäfte im Schrifttum umstritten ist. Auch steht höchstrichterliche Rechtsprechung hierzu noch aus. Inzwischen liegen uns aber Urteile zweier Kölner Gerichte vor, die den Anfangsverdacht der Steuerhinterziehung von Banken bei Cum-ex-Geschäften bestätigen. Norbert Walter-Bojans hat vollkommen Recht, wenn er laut FAZ vom 15. Dezember 2015 – ich zitiere – sagt: Die Banken können sich nach eindeutigen Gerichtsurteilen jetzt nicht mehr mit unklarer Rechtslage herausreden. Die Cum-ex-Geschäfte sind mit tatkräftiger Unterstützung der Banken allesamt von sehr wohlhabenden Menschen getätigt worden, die sich gerne zur Elite unseres Landes zählen. Ich frage: Was ist daran Elite, sein Vermögen auf Kosten der Allgemeinheit auf solch dreiste Art und Weise unrechtmäßig zu vermehren? Es ist an der Zeit, dass diese Leute endlich zur Besinnung kommen. Um eines klarzustellen: Niemand möchte es vermögenden Menschen verwehren, ihr Geld gewinnbringend anzulegen. Gleichwohl gilt aber auch, dass sie ihren Pflichten nachkommen und ihre Steuern zahlen müssen und nicht der Allgemeinheit die Mittel beispielsweise für die Finanzierung wichtiger Infrastrukturprojekte vorenthalten dürfen. Gern zitiere ich hierzu noch einmal Norbert Walter- Borjans: Banken und Investoren, die sich einmal gezahlte Steuern trickreich mehrfach vom Staat erstatten lassen, begehen keine lässliche Sünde, sondern unternehmen einen systematischen Raubzug in Milliardenhöhe bei öffentlichen Kassen, in die ehrliche Steuerzahler zuvor eingezahlt haben. Er sagte weiter: Ich kann nur dazu raten, dass die Täter jetzt ihre Lehren daraus ziehen, für die Vergangenheit reinen Tisch machen und sich von kriminellen Geschäftsmodellen zum Schaden der Allgemeinheit verabschieden. Aus dem Ankauf der letzten Steuer-CD durch das Land NRW haben sich Anhaltspunkte gegen 129 Banken und Finanzdienstleister ergeben. Dies wird die bereits laufenden umfangreichen Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden natürlich nochmals forcieren. Dafür gilt dem Land NRW ausdrücklich Dank. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der ursprüngliche Antrag der Opposition auf Einsetzung des Untersuchungsausschusses wies diverse verfassungsrechtliche Probleme auf. Diese haben die Abgeordneten des 1. Ausschusses intensiv diskutiert und mit der vorgelegten Neufassung behoben. Insbesondere musste die Untersuchung auf den Kompetenzbereich des Bundes beschränkt werden. Für uns als SPD war es zudem wichtig, nicht nur die Rolle der öffentlichen Banken, sondern auch die der privaten Banken und Finanzdienstleister zum Gegenstand der Aufklärung zu machen. Wenn man ein Bild interpretieren und bewerten möchte, muss man das Gesamtbild betrachten und nicht nur einzelne Facetten. Nur so können wir dem Untersuchungsauftrag auch wirklich gerecht werden. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und warum stimmen Sie dann jetzt nicht zu?) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hegen Zweifel, ob wir das parlamentarische Instrument des Untersuchungsausschusses hier tatsächlich brauchen; denn wir haben Strafverfolgungsbehörden, die inzwischen die Arbeit sehr intensiv aufgenommen haben. Dieser Auffassung sind nicht nur wir in der Politik, sondern ist auch beispielsweise Klaus Ott, der als Redakteur der Süddeutschen Zeitung auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes Zugang zu den Akten des BMF erhielt. Dennoch gilt: Unter Vorsitz unseres Kollegen Dr. Hans-Ulrich Krüger werden wir die Aufklärungsaufgabe, die uns das Parlament heute übertragen wird, mit großem Engagement verfolgen und vorantreiben. Wir haben in dieser Legislaturperiode bei der Bekämpfung der Steuerkriminalität schon viele wichtige Erfolge erzielt – gemeinsame Erfolge dieses Hauses. Wir haben die Regelungen zur strafbefreienden Selbstanzeige deutlich verschärft und den internationalen Datenaustausch durch die Implementierung der OECD-Standards deutlich verbessert, erfreulicherweise auch mit den Stimmen der Grünen. Sogar die Linken haben diese Gesetzesverschärfungen nicht abgeschreckt; sie haben sie zum Teil mitgetragen. Es gibt also in diesem Haus offenkundig eine sehr gute Chance auf breite Mehrheiten für Maßnahmen gegen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug. Da kann man ja schon fast von einem Konsens sprechen. Meine Bitte: Lassen Sie uns doch in der bevorstehenden Ausschussarbeit daran anknüpfen und die Aufklärungsarbeit gemeinsam vorantreiben. Wer weiß – womöglich ergeben sich auch noch Ideen für künftige gemeinsame Gesetzesinitiativen. Denn eines ist klar: Wer gegen Steuerkriminalität vorgeht, hat die SPD-Bundestagsfraktion immer an seiner Seite. (Beifall des Abg. Bernhard Daldrup [SPD]) Ich komme zum Schluss. Sehr geehrter Herr Kollege Hirte, Herr Kollege Pitterle, Herr Kollege Dr. Schick, wir freuen uns auf die gemeinsame Arbeit und bieten allen Beteiligten unsere gute Zusammenarbeit an. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Philipp Graf Lerchenfeld für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU): Verehrte Frau Präsidentin! Hohes Haus! Mit dem Untersuchungsausschuss, den wir heute einsetzen und der sich in der kommenden Woche konstituieren wird, werden wir uns auf eine Zeitreise begeben. Die Zeitreise beginnt im Jahr 1998, als Steuergesetze geändert wurden, die dazu geführt haben, dass Türen geöffnet wurden für diese Machenschaften. Kollege Schick, es war der von Ihnen gestützte Finanzminister Eichel, der diese Sachen vorbereitet hat. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 1998? Eichel?) Sie waren an der Regierung beteiligt. Insofern kann ich Ihnen nur sagen: Hätten Sie damals ein bisschen weiter vorausgeschaut, dann hätten Sie vielleicht auch erkannt, welche unsäglichen Tätigkeiten Sie ausgelöst haben. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das schauen wir uns noch einmal genau an! Das war nämlich anders!) Lassen Sie mich zurückkommen zum Cum-ex-Geschäft und zur Änderung des Einkommensteuergesetzes in den 90er-Jahren, die, wie gesagt, diesen dubiosen Geschäften die Tür geöffnet hat. Im Jahr 2002 – damit sind wir beim nächsten Punkt unserer Zeitreise – wurden dem Bundesfinanzministerium erste Hinweise gegeben, dass ungerechtfertigte Erstattungen von Banken in großem Umfang vorgenommen wurden. Es wurde aber nichts gemacht. Man hat nicht reagiert. Nun, man kann vielleicht sagen, dass es immer eine Zeit dauert, bis Steuererklärungen abgegeben, Steuerbescheide erlassen und die notwendigen Betriebsprüfungen bei den Steuerpflichtigen durchgeführt werden; dann gibt es eventuell noch Gerichtsverfahren vor Finanzgerichten. Alles das zieht sich hin. Finanzbehörden haben nur eine verzögerte Möglichkeit, gesicherte Kenntnisse über Steuergestaltungen zu erlangen. Ich denke, es ist wirklich an der Zeit, dass wir uns mit diesem Thema beschäftigen. Ich freue mich, im Untersuchungsausschuss die Gelegenheit zu haben, diese hochkomplizierte Materie zu durchleuchten. So einfach, wie es den Anschein hat und wie derzeit auch immer berichtet wird, ist der Sachverhalt doch nicht; denn es gab immer wieder höchstgerichtliche Urteile, die deutlich gemacht haben, dass eben kein Fall gemäß § 42 AO vorliegt. Der BFH hat unter Berufung auf § 50 c Einkommensteuergesetz, der inzwischen weggefallen ist, festgestellt, dass kein missbräuchlicher Tatbestand beim Dividendenstripping vorlag. Insofern wird es interessant werden, sich auch mit den Finanzgerichtsurteilen – heute ist wieder eines vom Hessischen Finanzgericht in der FAZ veröffentlicht worden – zu beschäftigen, um festzustellen: Was ist denn der Hintergrund? Was ist die rechtliche Frage? Ich denke, dass wir in den Finanzgerichtsurteilen durchaus Erhellendes für unseren Untersuchungsausschuss finden werden. Es wurde schon gesagt, dass inzwischen Geldbußen verhängt wurden. Die HVB hat – lieber Kollege Pitterle, das zur Korrektur – 9,8 Millionen Euro Geldbuße bezahlt und nicht 1 Million Euro, wie Sie vorhin gesagt haben. Die Maple Bank ist, wie gesagt, inzwischen unter Moratorium gestellt worden, weil sie die Rückstellungen nicht bilden konnte, die notwendig wären für die entsprechenden Rückerstattungen der Steuern. Spektakuläre Fälle wie der des Unternehmers Müller, der die Bank Sarasin in der Schweiz verklagt hat und damit deutlich machen wollte, dass er von der Bank falsch beraten wurde, haben öffentliche Aufmerksamkeit erregt. Ich denke, wir haben eine große Aufgabe vor uns, um die Sachverhalte, die im Fragenkatalog aufgeführt sind, aufzuklären. Ich wünsche uns dazu gute Beratungen. Ich hoffe, dass wir mit den Erkenntnissen, die wir gewinnen werden, dazu beitragen, in Zukunft kriminelle Machenschaften bei missbräuchlicher Steuergestaltung zu verhindern. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Andreas Schwarz [SPD]) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Richard Pitterle, Dr. Gerhard Schick, Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch, Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter, Jan van Aken, Luise Amtsberg und weiterer Abgeordneter zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7601, den Antrag auf Drucksache 18/6839 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Koalitionsfraktionen angenommen. (Beifall des Abg. Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Damit ist der 4. Untersuchungsausschuss der 18. Wahlperiode eingesetzt. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 24. Februar 2016, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen alles Gute bis dahin. (Schluss: 14.19 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Albsteiger, Katrin CDU/CSU 19.02.2016 Bär, Dorothee CDU/CSU 19.02.2016 Beck (Bremen), Marieluise BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 19.02.2016 Diaby, Dr. Karamba SPD 19.02.2016 Ferner, Elke SPD 19.02.2016 Gastel, Matthias BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 19.02.2016 Gehring, Kai BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 19.02.2016 Gohlke, Nicole DIE LINKE 19.02.2016 Grindel, Reinhard CDU/CSU 19.02.2016 Hampel, Ulrich SPD 19.02.2016 Hein, Dr. Rosemarie DIE LINKE 19.02.2016 Heinrich, Gabriela SPD 19.02.2016 Held, Marcus SPD 19.02.2016 Hoffmann, Alexander CDU/CSU 19.02.2016 Holzenkamp, Franz-Josef CDU/CSU 19.02.2016 Irlstorfer, Erich CDU/CSU 19.02.2016 Jantz, Christina SPD 19.02.2016 Karawanskij, Susanna DIE LINKE 19.02.2016 Kolbe, Daniela SPD 19.02.2016 Kühn (Dresden), Stephan BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 19.02.2016 Kühn-Mengel, Helga SPD 19.02.2016 Leutert, Michael DIE LINKE 19.02.2016 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 19.02.2016 Mast, Katja SPD 19.02.2016 Merkel, Dr. Angela CDU/CSU 19.02.2016 Möhring, Cornelia DIE LINKE 19.02.2016 Nahles, Andrea SPD 19.02.2016 Röring, Johannes CDU/CSU 19.02.2016 Rüffer, Corinna BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 19.02.2016 Schlecht, Michael DIE LINKE 19.02.2016 Schön (St. Wendel), Nadine CDU/CSU 19.02.2016 Ulrich, Alexander DIE LINKE 19.02.2016 Veit, Rüdiger SPD 19.02.2016 Wagenknecht, Dr. Sahra DIE LINKE 19.02.2016 Wagner, Doris BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 19.02.2016 Weber, Gabi SPD 19.02.2016 Wicklein, Andrea SPD 19.02.2016 Wittke, Oliver CDU/CSU 19.02.2016 Zdebel, Hubertus DIE LINKE 19.02.2016 Zimmer, Dr. Matthias CDU/CSU 19.02.2016 Anlage 2 Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parlamentarischen Versammlung der OSZE 23. Jahrestagung der Parlamentarischen Versammlung der OSZE vom 28. Juni bis 2. Juli 2014 in Baku, Aserbaidschan Drucksachen 18/6733, 18/6847 Nr. 2 – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parlamentarischen Versammlung der OSZE 24. Jahrestagung der Parlamentarischen Versammlung der OSZE vom 5. bis 9. Juli 2015 in Helsinki, Finnland Drucksachen 18/6734, 18/6847 Nr. 3 – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Interparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik Tagung der Interparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik am 5. und 6. September 2015 in Luxemburg Drucksachen 18/6899, 18/7276 Nr. 1 – Unterrichtung durch die Delegation des Deutschen Bundestages in der Ostseeparlamentarierkonferenz 24. Jahrestagung der Ostseeparlamentarierkonferenz vom 30. August bis 1. September 2015 in Rostock-Warnemünde, Deutschland Drucksachen 18/7033, 18/7276 Nr. 6 – Unterrichtung durch die Delegation der Bundesrepublik Deutschland in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 21. bis 25. Januar 2013 in Straßburg Drucksachen 18/7128, 18/7276 Nr. 9 – Unterrichtung durch die Delegation der Bundesrepublik Deutschland in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 22. bis 26. April 2013 in Straßburg Drucksachen 18/7129, 18/7276 Nr. 10 – Unterrichtung durch die Delegation der Bundesrepublik Deutschland in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 24. bis 28. Juni 2013 in Straßburg Drucksachen 18/7130, 18/7276 Nr. 11 – Unterrichtung durch die Delegation der Bundesrepublik Deutschland in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 30. September bis 4. Oktober 2013 in Straßburg Drucksachen 18/7131, 18/7276 Nr. 12 Haushaltsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2015 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaushaltsordnung über die Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 11  02 Titel 636  85 – Zuschüsse zu den Beiträgen zur Rentenversicherung der in Werkstätten und Integrationsprojekten beschäftigten Menschen – bis zu einer Höhe von 30,428 Mio. Euro Drucksachen 18/6323, 18/6605 Nr. 1.2 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2015 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaushaltsordnung über die Einwilligung in eine außerplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 06  28 Titel 532  06 – Unterstützungsleistungen des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe bei der Verteilung von Flüchtlingen – bis zur Höhe von 32,7 Mio. Euro Drucksachen 18/6324, 18/6605 Nr. 1.3 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2015 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaushaltsordnung über die Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 06  25 Titel 532  06 – Verwendung, Einsätze und Maßnahmen der Bundespolizei zur Bewältigung der Flüchtlingslage in Deutschland – bis zur Höhe von 42,981 Mio. Euro Drucksachen 18/6523, 18/6605 Nr. 1.10 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2015 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaushaltsordnung über die Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 05  01 Titel 687  10 – Beitrag an die Vereinten Nationen – bis zur Höhe von 39,540 Mio. Euro Drucksachen 18/6524, 18/6605 Nr. 1.11 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2015 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaushaltsordnung über die Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 08  01 Titel 699  31 – Abschließende Leistungen zur Abgeltung von Härten in Einzelfällen – bis zur Höhe von 48,6 Mio. Euro Drucksachen 18/6953, 18/7116 Nr. 4 Ausschuss für Wirtschaft und Energie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im ersten Halbjahr 2015 Drucksachen 18/6460, 18/6605 Nr. 1.6 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Drucksache 18/419 Nr. A.48 Ratsdokument 16749/13 Drucksache 18/419 Nr. C.3 Ratsdokument 6580/12 Drucksache 18/419 Nr. C.7 Ratsdokument 7708/13 Drucksache 18/419 Nr. C.8 Ratsdokument 7710/13 Drucksache 18/419 Nr. C.14 Ratsdokument 8638/13 Drucksache 18/419 Nr. C.27 Ratsdokument 17876/12 Drucksache 18/419 Nr. C.28 Ratsdokument 17883/12 Drucksache 18/1393 Nr. A.25 Ratsdokument 7859/14 Drucksache 18/5982 Nr. A.13 Ratsdokument 9969/15 Drucksache 18/5982 Nr. A.14 Ratsdokument 9975/15 Drucksache 18/6711 Nr. A.4 Ratsdokument 13106/15 Drucksache 18/7286 Nr. A.10 Ratsdokument 15264/15 Ausschuss für Gesundheit Drucksache 18/419 Nr. C.40 Ratsdokument 7452/13 Drucksache 18/4857 Nr. A.7 Ratsdokument 7682/15 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Drucksache 18/6607 Nr. A.24 Ratsdokument 12683/15 Drucksache 18/7127 Nr. A.5 Ratsdokument 14337/15 In der Amtlichen Mitteilung ohne Verlesung, 150. Sitzung, Seite 14831 (C), ist „Ratsdokument 12683/15“ zu streichen. II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 156. Sitzung, Berlin, Freitag, den 19. Februar 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 156. Sitzung, Berlin, Freitag, den 19. Februar 2016 15343 Plenarprotokoll 18/156