Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 159. Sitzung Berlin, Freitag, den 26. Februar 2016 Inhalt: Zur Geschäftsordnung Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU) 15665 B Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 15666 A Zusatztagesordnungspunkt 4: Wahl der vom Deutschen Bundestag zu benennenden Mitglieder des Kuratoriums des Deutschen Instituts für Menschenrechte gemäß § 6 Absatz 2 Nummer 4 und 5 des Gesetzes über die Rechtsstellung und Aufgaben des Deutschen Instituts für Menschenrechte – DIMRG Drucksache 18/7703 15667 C Tagesordnungspunkt 19: a)   – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes Drucksachen 18/7055, 18/7676 15667 C       – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/7677 15667 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Durchlässigkeit in der Bildung sichern, Förderlücken zwischen beruflicher Bildung und Studium schließen – zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Kai Gehring, Özcan Mutlu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bildungszeit PLUS – Weiterbildung für alle ermöglichen, lebenslanges Lernen fördern Drucksachen 18/7234, 18/7239, 18/7676 15667 D Dr. Thomas Feist (CDU/CSU) 15668 A Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) 15669 A Martin Rabanus (SPD) 15671 A Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 15672 B Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin BMBF 15674 C Hubertus Heil (Peine) (SPD) 15676 C Lena Strothmann (CDU/CSU) 15677 D Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) 15679 A Dr. Wolfgang Stefinger (CDU/CSU) 15680 C Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Roland Claus, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Finanzierung der Wissenschaft auf eine arbeitsfähige Basis stellen – Bildung und Forschung in förderbedürftigen Regionen solide ausstatten Drucksache 18/7643 15682 A Ralph Lenkert (DIE LINKE) 15682 A Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU) 15683 C Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 15685 D Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) 15687 A Alexandra Dinges-Dierig (CDU/CSU) 15688 D Ralph Lenkert (DIE LINKE) 15690 C Alexandra Dinges-Dierig (CDU/CSU) 15691 A Roland Claus (DIE LINKE) 15691 B Dr. Simone Raatz (SPD) 15692 C Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 15694 A Tankred Schipanski (CDU/CSU) 15695 A Elfi Scho-Antwerpes (SPD) 15697 A Stephan Albani (CDU/CSU) 15698 A Martin Rabanus (SPD) 15699 D Tagesordnungspunkt 21: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Kombinierter siebter und achter Bericht der Bundesrepublik Deutschland zum Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) Drucksache 18/5100 15701 A Elke Ferner, Parl. Staatssekretärin BMFSFJ 15701 B Cornelia Möhring (DIE LINKE) 15702 C Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU) 15704 B Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 15706 B Dr. Carola Reimann (SPD) 15707 B Christina Schwarzer (CDU/CSU) 15708 B Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 15710 A Sönke Rix (SPD) 15711 A Dr. Silke Launert (CDU/CSU) 15712 B Tagesordnungspunkt 22: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens Drucksache 18/7457 15714 A Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär BMF 15714 B Richard Pitterle (DIE LINKE) 15715 D Frank Junge (SPD) 15716 C Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 15717 D Margaret Horb (CDU/CSU) 15719 A Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) 15720 B Tagesordnungspunkt 23: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Julia Verlinden, Annalena Baerbock, Peter Meiwald, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesberggesetzes zur Untersagung der Fracking-Technik Drucksache 18/7551 15721 B Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 15721 C Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU) 15722 D Hubertus Zdebel (DIE LINKE) 15725 A Bernd Westphal (SPD) 15726 A Karsten Möring (CDU/CSU) 15727 A Hiltrud Lotze (SPD) 15729 B Johann Saathoff (SPD) 15730 B Tagesordnungspunkt 24: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Digitalisierung der Energiewende Drucksache 18/7555 15731 B Iris Gleicke, Parl. Staatssekretärin BMWi 15731 B Ralph Lenkert (DIE LINKE) 15732 A Jens Koeppen (CDU/CSU) 15733 A Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 15734 C Ralph Lenkert (DIE LINKE) 15735 A Florian Post (SPD) 15736 A Hansjörg Durz (CDU/CSU) 15736 D Johann Saathoff (SPD) 15738 B Nächste Sitzung 15739 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 15741 A Anlage 2 Neudruck: Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Petra Rode-Bosse (SPD) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren (158. Sitzung, Tagesordnungspunkt 3 a, Anlage 7) 15742 A Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 15742 C 159. Sitzung Berlin, Freitag, den 26. Februar 2016 Beginn: 9.01 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie herzlich und freue mich, dass wir die heutige Debatte mit einer Geschäftsordnungskontroverse beginnen können. (Heiterkeit des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU] – Christine Lambrecht [SPD]: Endlich mal wieder!) Das bringt doch den Blutdruck auf den üblichen Stand. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD haben fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung um die Wahl der vom Deutschen Bundestag zu benennenden Mitglieder des Kuratoriums des Deutschen Instituts für Menschenrechte zu erweitern und als Zusatzpunkt 4 gleich zu Beginn der Tagesordnung aufzurufen. Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Kollege Grosse-Brömer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So spannend ist das Thema ja nun nicht. Aber es ist auch nicht unwichtig; die Grünen würden ja sonst nicht widersprechen. Das machen sie ja nur bei wichtigen Angelegenheiten. Wer an die letzte Geschäftsordnungsdebatte zurückdenkt, wird sich daran erinnern, dass die Opposition schon damals ziemlich schlecht aussah. Ich glaube, heute wird es noch schlimmer. (Widerspruch bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist folgendermaßen: Schon damals hatten Sie keinen rechtlichen, keinen inhaltlichen und keinen verfahrensrechtlichen Grund, irgendetwas zu vertagen. Heute kommt es noch schlimmer: Sie können nicht nur keinen der genannten Gründe anführen, Sie als Grüne haben sogar dem Verfahren, wie wir es heute ablaufen lassen wollen, vollständig zugestimmt. Sie haben dem Gesetz, auf dessen Basis wir die Wahlen heute durchführen wollen, im Juni letzten Jahres zugestimmt. Das Verteilverfahren – die inhaltliche Basis des heutigen Verfahrens – haben Sie noch im Juni letzten Jahres völlig richtig gefunden. Nicht nur das: Sie haben zuvor selbst einen vollkommen identischen Gesetzentwurf eingebracht. Der Name der Kollegin Haßelmann, die gleich sprechen wird, steht an prominenter Stelle darauf. Sie war also dafür, es so zu machen, wie wir es heute machen wollen. Ich freue mich auf Ihre Erwiderung gleich. Insofern macht es wirklich Spaß, mit einer Geschäftsordnungsdebatte zu beginnen. Man kann es also kurz so zusammenfassen: Sie kritisieren heute ein Verfahren, dem Sie nicht nur zugestimmt, sondern das Sie selber vorgeschlagen haben. Peter Lustig hätte dazu gesagt: Das ist komisch von den Grünen, ist aber so. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber so lustig ist es ja vielleicht auch nicht. In der Sache sollten Sie wirklich überlegen, ob wir über Themen, bei denen Sie die verfahrensrechtliche Vorgehensweise selbst vorschlagen und sie auch in einem eigenen Gesetzentwurf verankert haben, dann, wenn es ernst wird, tatsächlich eine Geschäftsordnungsdebatte führen sollen. Es geht in der Tat um das Kuratorium des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Wenn ich es richtig verstanden habe, haben Sie jetzt sogar noch nicht einmal irgendwelche Bedenken gegen die vorgeschlagenen Personen – es sei denn, ich werde gleich eines Besseren belehrt. Man kann letztendlich zusammenfassen: Die Personen finden Sie richtig, das Verfahren haben Sie selbst vorgeschlagen, Sie haben einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht – und heute sind Sie dagegen. Ich bin auf Ihre Erklärung gespannt, warum das so ist. Wir sagen einfach: Sie haben uns von etwas, was Sie selbst früher für richtig befunden haben, überzeugt, und wir finden das auch richtig. Lassen Sie uns abstimmen! Es ist gut. Es sind die richtigen Personen. Es ist das richtige Verfahren. Jedenfalls haben auch Sie selbst das vor wenigen Wochen noch so gesehen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Haßelmann, bitte. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Ja, in der Tat widersprechen wir heute dem Aufsetzungswunsch; denn die rechtliche Absicherung des Deutschen Instituts für Menschenrechte hat sehr lange gedauert. Dazu gab es hier im Parlament ein sehr langes und zum Teil sehr unwürdiges Verfahren. Einige in der Koalition hätten sogar fast riskiert, dass dieses hoch anerkannte Institut für Menschenrechte abgestuft worden wäre im internationalen Kontext, indem Sie das nämlich einfach so heruntergemacht und so ignoriert haben. Deshalb haben wir gerne, Herr Grosse-Brömer, im allerletzten Moment – es war wirklich die allerletzte Möglichkeit vor Fristsetzung – dem Gesetz zugestimmt, damit das Deutsche Institut für Menschenrechte abgesichert werden konnte, damit die gesetzliche Grundlage geschaffen wurde und wir damit als Parlament auch gemeinsam ein Zeichen setzen für Wertschätzung der Arbeit des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Und das war richtig und gut. Wir würden das heute jederzeit wieder so tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr gut!) Nachdem das Ganze aber so lange gedauert hat, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Soll es heute nicht entschieden werden?) ein solches Hin und Her bestanden hat, auch solche Diffamierungen gegen die Arbeit des Deutschen Instituts für Menschenrechte erfolgten, wir nur in allerletzter Sekunde die Kurve gekriegt haben – (Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt mal zum heutigen Tag!) wir haben ja fast ein Jahr lang darüber diskutiert –, wird uns dann heute, am Dienstag, gesagt: (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Heute ist Freitag!) So, da gibt es jetzt einen Vorschlag für das Kuratorium. – Wir haben dann gesagt: Nennen Sie uns doch bitte einmal die Namen. – Da hieß es: Ja, die haben wir gerade noch nicht parat, aber die haben wir, und die kriegen Sie dann. – Am Dienstag dieser Woche! Bis dato war das Thema „Benennung der Kuratoriumsmitglieder“ noch nicht einmal auf Wunsch der Koalitionsfraktionen auf der Tagesordnung. Meine Damen und Herren, ich finde, das sind genug Gründe, um zu sagen: Wir widersprechen der Aufsetzung. Schauen wir uns dann einmal die Sachlage an: Ja, das Verfahren ist so. Wir haben dem Gesetz zugestimmt. Zwei Mitglieder für das Kuratorium werden aus den Reihen der MdBs bestimmt. Dass wir als kleinste Oppositionsfraktion kein Benennungsrecht für diese beiden MdBs haben, ist nie und an keiner Stelle von uns infrage gestellt worden. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Weil es logisch war! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was läuft denn jetzt falsch?) Das ist doch sowieso klar angesichts der Verteilung der Stimmenanteile hier im Deutschen Bundestag. Dass Sie aber nicht die Größe und auch nicht das parlamentarische Verständnis hatten, bei den sechs Mitgliedern für das Kuratorium, die vom Parlament aus den Reihen von Wissenschaft und Zivilgesellschaft zu benennen sind, zu sagen: „Das macht das Parlament gemeinsam. Hier kommen wir konsensual zu einem gemeinsamen Vorschlag, wen das deutsche Parlament in das Kuratorium als Fachexpertin oder als Fachexperten benennt“, (Max Straubinger [CDU/CSU]: Aus der Wissenschaft!) ist doch unvorstellbar angesichts der Thematik und angesichts der Breite, die abgebildet werden soll. Schließlich soll das Deutsche Institut für Menschenrechte auch diese Regierung kontrollieren. Wie ist denn jetzt das Signal nach außen? Die Große Koalition, die die Regierung stellt, setzt alles daran, sich nicht mit den beiden kleineren Fraktionen im Deutschen Bundestag darauf zu einigen, welche sechs Personen man aus Zivilgesellschaft und Wissenschaft benennt. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Entweder es gibt eine Geschäftsordnung, oder es gibt keine!) Das finde ich, ehrlich gesagt, ziemlich armselig, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dass Sie diese Größe nicht hatten. Es ist auch nicht gut für das Kuratorium und für die Außenwirkung des Kuratoriums. (Zuruf von der CDU/CSU: Wie armselig!) Jetzt noch ein abschließender Punkt: Wenn man Ihre einseitige, monothematische Besetzung ansieht, (Max Straubinger [CDU/CSU]: Was?) dann kommt man zu der Auffassung, dass die auch nicht gut für das Institut für Menschenrechte ist. Wo sind denn Initiativen wie Pro Asyl, wo sind denn die Anliegen von Human Rights Watch und von Amnesty International thematisch vertreten? (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist wohl nicht monothematisch, oder? – Zuruf des Abg. Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]) Und die SPD duckt sich bei der Frage am liebsten ganz weg, weil sie genau weiß, dass wir recht haben mit unserer Kritik (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Karamba Diaby [SPD]: Na, na! So ist das nicht!) an dieser so einseitigen Besetzung und an dieser monothematischen Besetzung im Hinblick auf Religionsfreiheit. Damit tun Sie dem Institut und dem Kuratorium keinen Gefallen. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Es geht um Menschenrechte! Nicht um Verbandsvertreter!) Das wissen wir alle, und das wissen die Fachverbände ganz besonders. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Unsere Ablehnung, die wir gleich bei der Wahl bekunden werden – ich muss ja davon ausgehen, dass Sie für Ihren Aufsetzungsantrag eine Mehrheit bekommen –, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!) hat allerdings nichts mit einzelnen Personen, die hier zur Wahl stehen, zu tun. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Aha!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir kritisieren das Verfahren. Wir halten die monothematische Besetzung für falsch und auch den Weg, den Sie gewählt haben, indem Sie nicht alle Fraktionen des Deutschen Bundestages einbezogen haben, um zu einem konsensualen Vorschlag zu kommen. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Noch unlogischer geht nicht!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Können wir jetzt abstimmen? – Das ist gut so. Dann lasse ich über den Aufsetzungsantrag der Koalitionsfraktionen abstimmen. Wer stimmt der Aufsetzung dieses Tagesordnungspunktes zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dem Aufsetzungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition stattgegeben worden. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Also, geht doch!) Ich rufe damit diesen gerade aufgesetzten Zusatzpunkt 4 auf: Wahl der vom Deutschen Bundestag zu benennenden Mitglieder des Kuratoriums des Deutschen Instituts für Menschenrechte gemäß § 6 Absatz 2 Nummer 4 und 5 des Gesetzes über die Rechtsstellung und Aufgaben des Deutschen Instituts für Menschenrechte – DIMRG Drucksache 18/7703 Hierzu gibt es einen Wahlvorschlag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD auf der Drucksache 18/7703. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Wahlvorschlag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 19 a und 19 b: a)   – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes Drucksache 18/7055 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) Drucksache 18/7676 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/7677 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Durchlässigkeit in der Bildung sichern, Förderlücken zwischen beruflicher Bildung und Studium schließen – zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Kai Gehring, Özcan Mutlu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bildungszeit PLUS – Weiterbildung für alle ermöglichen, lebenslanges Lernen fördern Drucksachen 18/7234, 18/7239, 18/7676 Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Aussprache 60 Minuten dauern. – Auch dazu gibt es offenkundig keine Meinungsverschiedenheiten. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Thomas Feist für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): Guten Morgen, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute in abschließender Lesung die Neufassung des Gesetzes zum Meister-BAföG. Das Meister-BAföG ist außer an Handwerker auch an andere adressiert, die im Rahmen der beruflichen Fortbildung ihren weiteren Lebensweg gehen wollen, ob das Techniker, Betriebswirte oder andere sind. Ich möchte Ihnen, Frau Ministerin, sehr herzlich danken, dass Sie dafür gesorgt haben, dass aus Ihrem Haus schon ein sehr ambitionierter Gesetzentwurf kam, den wir in der parlamentarischen Beratung noch verbessern konnten. Ich möchte an dieser Stelle auch besonders unseren Haushältern danken; denn die Gesetzesänderungen, die wir jetzt auf den Weg bringen, werden in den nächsten Jahren über 100 Millionen Euro kosten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wahrscheinlich war es hilfreich, dass das erste Gesetz zur Aufstiegsfortbildungsförderung die Unterschrift von Wolfgang Schäuble trug. Insofern war er wahrscheinlich von Anfang an nicht ganz dagegen. Also vielen Dank, Frau Ministerin, und vielen Dank an die Haushälterinnen und Haushälter, dass wir heute so ein schönes Gesetz vorlegen können. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Was machen wir mit dem vielen Geld? Das ist ja schon eine ganze Menge. Obwohl: Wenn ich mir anschaue, was wir im Bereich der Wissenschaft investieren, ist auch da vielleicht noch Luft nach oben. Aber wir wollen ja nicht klagen. Es ist ein schöner Tag. Zurück also zur Frage, was wir mit dem Geld machen. Zunächst statten wir dieses Programm besser aus. Es wird familienfreundlicher gestaltet. Es wird einen höheren Zuschussbetrag geben. Wir werden die Grenze, bis zu der die Kosten einer Maßnahme geltend gemacht werden können, erhöhen, und wir werden auch bei der Förderung für das Meisterstück eine ganze Menge Geld drauflegen. Die beste Nachricht für mich ist allerdings, dass diejenigen, die eine solche Aufstiegsfortbildung erfolgreich gemeistert haben, als Belohnung einen Erlass bekommen, und zwar nicht mehr in Höhe von 25 Prozent, wie es bisher im Gesetz stand, sondern von 40 Prozent. Leistung lohnt sich, gerade im Bereich der beruflichen Aus- und Fortbildung! Deswegen ist das, was wir heute beschließen, gut. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich habe mich auch sehr gefreut über die konstruktiven Beratungen, die wir dazu im Ausschuss hatten. Wir hatten eine Anhörung, bei der die Experten alle der Meinung waren – Herr Gehring wird mir hier zustimmen –, dass das, was wir tun, gut ist. Deswegen, glaube ich, werden Sie heute diesem Gesetzentwurf auch zustimmen können. Ich glaube, auch die Fundamentalopposition hier auf der linken Seite wird heute zumindest – eventuell mit einer Enthaltung, wenn Sie dabei bleiben – dazu beitragen, dass wir für die berufliche Bildung etwas Wichtiges machen. Wir hatten ja in dieser Woche wegen der fremdenfeindlichen Ausschreitungen die Gelegenheit, ein paar Orte in Sachsen kennenzulernen, von denen einige im Haus bisher gar nicht wussten, dass sie existieren. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bautzen zum Beispiel!) Diesen Orten würde ich heute gerne ein paar weitere hinzufügen, einfach um zu zeigen, dass das, was Sachsen ausmacht, etwas völlig anderes ist. Die Orte, die ich Ihnen heute näherbringen möchte, sind: Königswalde, Ehrenfriedersdorf, Aue und Leipzig. Den Namen der letztgenannten Stadt haben vielleicht die einen oder anderen schon einmal gehört. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir waren sogar schon da!) In Königswalde wurde ein junger Mann geboren, der Nathanael Liebergeld heißt. Er wohnt jetzt in Aue – übrigens auch eine schöne Stadt. Er hat einen Gesellenbrief im Bereich Heizungs- und Sanitärinstallation erworben. Nun war das für ihn aber nicht der Endpunkt, sondern er hat gesagt: Ich möchte mich gerne weiterqualifizieren, richtig gut werden im Beruf. Seine Firma hat ihn dabei unterstützt. Das ist auch gar nicht so einfach. Wenn man besonders ambitionierte junge Leute hat, haben die auch andere Möglichkeiten, werden vielleicht auch abgeworben. Deswegen ist es wichtig, dass die Wirtschaft so etwas unterstützt. Er hat das große Glück gehabt, dass er nicht nur sehr ambitioniert, sehr gut und fleißig in seinem Beruf war, sondern er hatte auch die Gelegenheit, einen Leipziger Installateurmeister kennenzulernen, dessen Name André Schnabel ist. Dieser Installateurmeister arbeitet ehrenamtlich als Trainer für die Berufsweltmeisterschaften, die WorldSkills. Dieses Gespann hat es doch tatsächlich geschafft, mit Unterstützung der Firma von Nathanael Liebergeld aus Ehrenfriedersdorf – die Unternehmen müssen natürlich solche jungen Leute bei Wettkämpfen freistellen; auch hier investieren die Unternehmen –, dass das Team Germany im letzten Jahr in São Paulo bei einem Bewerberfeld aus mehr als 50 Nationen als bestes eine Goldmedaille errang. An solche Personen wie diesen jungen Mann und auch an andere besonders begabte und fleißige junge Frauen und Männer denke ich, wenn wir heute diesen Gesetzentwurf verabschieden. „Beste Förderung für die Besten in unserem Land“ – das ist unser Motto. Genau das setzen wir auch heute um. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vielleicht noch etwas Positives über Sachsen: Dort hat die Große Koalition verabredet, einen Meisterbonus einzuführen für alle, die ein Meisterstudium erfolgreich abgeschlossen haben. Das heißt, das wird jetzt noch viel einfacher. Auch der junge Mann, von dem ich gerade berichtet habe, wird im August, also genau zu dem Zeitpunkt, wenn das Gesetz in Kraft treten soll, sein Meisterstudium beginnen. In Sachsen werden wir also einen Meisterbonus einführen. Und das ist Politik, wie ich sie verstehe: Werbung und Unterstützung für die berufliche Bildung sowie für die berufliche Fort- und Aufstiegsbildung. Das ist Politik für die Besten in unserem Land, für die Leistungsträger unserer Gesellschaft. Deswegen bitte ich Sie, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Rosemarie Hein ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Feist, ich werde einmal Ihre Arbeit übernehmen und nicht über Sachsen, sondern über das Gesetz und die hier vorliegenden Anträge reden. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In der Tat ist dieses, kurz als Meister-BAföG bezeichnete Gesetz ein wichtiges Instrument für berufliches Fortkommen, vor allen Dingen für jene Menschen, die ihren Berufsweg im Rahmen der dualen Berufsausbildung begonnen haben; (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Habe ich gesagt!) denn dies ist in der Regel Voraussetzung, nach diesem Gesetz gefördert zu werden. Es war hohe Zeit, die Förderhöhen aufzustocken und die Förderbedingungen zu verbessern. Dem wird das Gesetz allerdings, trotz der Nachbesserungen im Ausschuss, die wir überhaupt nicht geringschätzen wollen, nur teilweise gerecht. Wie schon in der Debatte zum Studierenden-BAföG müssen wir Ihnen sagen, dass die Anpassungen einfach nicht reichen. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ach, Quatsch!) Sie nehmen nicht hinreichend Bezug auf die veränderten, gestiegenen Lebenshaltungskosten, und das muss sich ändern. (Beifall bei der LINKEN) Mit der Gesetzesnovelle – das will ich einräumen – haben Sie versucht, den veränderten Berufsbiografien gerecht zu werden, und das ist auch notwendig. Berufswege verlaufen heute mitunter anders, sind nicht mehr ganz so geradlinig: Schule, Ausbildung, Beruf, eventuell später eine Weiterbildung. Darum ist es richtig, über die Formen der Weiterbildung auch eine Neu- oder Umorientierung im beruflichen Werdegang durch Aufstiegsfortbildung möglich zu machen. Die Öffnung des Meister-BAföG für eine Ausbildung nach dem Bachelorstudium ist ein solcher Weg. Aber warum nur dieser eine, und warum nur in diese Richtung? Warum kann ein Meister für ein späteres Bachelorstudium in der Regel keine Förderung bekommen? Warum können nicht auch Masterabsolventen eine Förderung nach diesem Gesetz erhalten? Dass dies nicht möglich ist, wurde auch in der Anhörung im Ausschuss kritisiert. Wir brauchen viel mehr Flexibilität auch in der Bildungsförderung, wenn der berühmte Slogan von der Durchlässigkeit im Bildungssystem, die so sehr sinnvoll ist, nicht zu Makulatur verkommen soll. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Also, das ist ja nun wirklich unfassbar!) – Regen Sie sich nicht so auf! Ich habe schon recht. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das stimmt nicht, Frau Hein!) Das war auch der Grund, warum wir zu dem Gesetzentwurf einen Antrag gestellt haben: Uns ist es wichtig, die Durchlässigkeit in der Bildung zu sichern und die bestehenden Förderlücken zwischen beruflicher Bildung und Studium zu schließen. Das heißt eben, dass die Förderung gleichwertiger Bildungsgänge sich nicht wechselseitig ausschließen darf. Das heißt auch, dass die Förderbedingungen, zum Beispiel zwischen Studierenden-BAföG und Meister-BAföG, angepasst werden müssen. Studierende an einer Hochschule und Lernende an Technikerschulen befinden sich doch oft in vergleichbaren Lebenssituationen. Wieso sollen sie unterschiedlich behandelt werden? (Beifall bei der LINKEN) Ich will Ihnen ein Beispiel dafür nennen. Wieso ist ein Kind in beiden Systemen unterschiedlich viel wert? Studierende erhalten nur einen Kinderzuschlag von 130 Euro. Wer Meister-BAföG erhält, bekommt 235 Euro Kinderzuschlag (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das sind zwei unterschiedliche Systeme, Frau Hein!) – genau das ist ja das Problem – (Beifall bei der LINKEN) und noch 130 Euro für Betreuungskosten. Da wird mit zweierlei Maß gemessen, und das ist nicht richtig. Wir fordern, dass auch für Studierende mit Kind gleiche Bedingungen gelten. Noch einmal etwas zur Durchlässigkeit: Wenn jemand nach einer Ausbildung an einer Fachschule oder im Rahmen eines Meisterlehrgangs keine Förderung nach Studierenden-BAföG mehr bekommt – das ist im Moment so –, ist ein Masterstudiengang in der Regel auch nicht möglich; denn da wird der Bachelor vorausgesetzt. Diese Fördersystematik ist unlogisch, und das muss sich ändern. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Die Begründung des Ministeriums, die ich kürzlich erhielt, dass es sich hier schließlich um zwei gleichwertige Bildungsgänge handele und man nicht zwei gleichwertige Bildungsgänge gleichzeitig oder nacheinander fördern möchte, ist eigentlich obsolet geworden; (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ja, genau!) denn mit diesem Gesetz öffnen Sie das. Sie schaffen nämlich die Möglichkeit, Meister-BAföG nach einem Bachelorstudium zu erhalten. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist doch auch gut!) – Ja, sicher. Wir müssen es bloß auch in umgekehrter Richtung möglich machen. (Beifall bei der LINKEN) Ich weiß, dass diese Probleme nicht mit diesem Gesetz zu lösen sind; (Martin Rabanus [SPD]: Voilà!) aber ich finde, wir müssen hier grundsätzlich neu nachdenken. Dann die Sache mit der Erzieherinnen- bzw. Erzieherausbildung. Für die Erzieherinnen- bzw. Erzieherausbildung und im Übrigen auch für die Altenpflegeausbildung wurde das Gesetz, über das wir heute diskutieren, vor einigen Jahren geöffnet. Das war durchaus sinnvoll, aber nicht zu Ende gedacht. Wir alle hatten die Petition eines jungen Mannes auf dem Tisch, der Erzieher werden wollte. Diese Ausbildung dauert drei Jahre. Anders als bei den sonstigen Ausbildungen nach diesem Gesetz, gehört ein beträchtlicher Teil Praxis zur Ausbildung. Insgesamt umfasst die praktische Ausbildung den Zeitwert eines ganzen Ausbildungsjahres, und das muss auch so bleiben; doch diese Zeit war nicht förderfähig. Nun hoffte der Petitionsausschuss, wir würden das mit diesem Gesetz ändern. – Das ist nicht geschehen. Praktika sind immer noch nicht förderfähig. Ich will das kurz erklären: Erziehungsfachkräfte werden für die Arbeit mit jungen Menschen im Alter von 0 bis 27 Jahren ausgebildet. Um da annähernd die nötige Praxis zu erhalten, sind praktische Erfahrungen in mindestens zwei Tätigkeitsfeldern oder zwei Aufgabengebieten oder zwei Einsatzstellen notwendig. Mit einem bezahlten Anerkennungsjahr, das es in einigen Bundesländern gibt, kann man das eigentlich nicht erreichen. Sie haben nun das Gesetz für einen Ausbildungsweg geöffnet, für das es eigentlich nicht vorgesehen war. Nun müssen Sie aber auch die Bedingungen so gestalten, dass die Unterschiede nicht zulasten der Auszubildenden gehen, dass sie dieses Risiko nicht alleine tragen müssen. (Beifall bei der LINKEN) Sie machen die Tür zwar ein wenig auf, aber nicht ganz. Sie ermöglichen die Förderung, wenn eine Ausbildungsdichte in Vollzeitform von 70 Prozent erreicht wird, also 70 Prozent der Unterrichtsstunden müssen Präsenzstunden sein. Das reicht aber doch nicht, wenn mindestens ein Drittel der Ausbildung Praxis sein soll; das sagt uns die Prozentrechnung. Das können auch die Länder nicht lösen, wie Sie sich das so vorstellen. Bei aller Unterschiedlichkeit der Ausbildungswege in den Ländern: Dort haben sie erst im vergangenen Jahr eine Vereinbarung getroffen, an die sich jedes Bundesland hält. In der Vereinbarung wurde festgehalten, dass ein Drittel praktische Ausbildung sein muss. Das ist vorgeschrieben, man kann es sich nicht aussuchen. Man bekommt dafür in der Regel auch bei integrierten Ausbildungen kein Geld. Dort werden die Praxisabschnitte nämlich in die anderen Abschnitte einbezogen. Wir haben Ihnen nun einen Vorschlag gemacht, dessen Umsetzung niemandem wehgetan hätte. Damit hätte man aber das Problem für die Auszubildenden gelöst. Man kann pflichtig vorgeschriebene Praktika einfach dem Vollzeitunterricht gleichstellen, und schon wäre die Kuh vom Eis. (Beifall bei der LINKEN) Man muss auch keine Angst haben, dass damit irgendwelche Lücken oder Schlupflöcher geschaffen würden, die andere ausnutzen. Man kann in dieser Zeit etwaige Einkommen gegenrechnen. Man kann das bezahlte Praktikumsjahr von der Regelung ausnehmen; da braucht man ja auch keine Unterstützung. Mit den von uns vorgeschlagen Änderungen wäre eine Lösung möglich gewesen. Wir haben im Vorfeld versucht, das mit Ihnen zu klären. Das hat leider nicht geklappt. Ich gebe zu, die Gewerkschaften waren da auch nicht gerade hilfreich. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ja!) Die haben nur die duale Ausbildung im Blick und wissen offensichtlich nicht, wie eine Erzieherinnen- bzw. Erzieherausbildung tatsächlich funktioniert. Ich finde, dass das ein bisschen schade und auch schwierig ist, weil wir gerade in diesem Bereich einen sehr hohen Fachkräftebedarf haben. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Aber das können doch die Länder regeln, wenn sie wollen!) – Nein, sie können das nicht regeln. Sie haben es geregelt. Sie sagen: Ein Drittel der Ausbildung ist praktische Ausbildung, und Punkt. – Wir aber sagen: Das ist euer Pech, dann bekommen die keine Förderung. – Das ist doch das Problem. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Ach was!) Geben Sie endlich Ihren Tunnelblick auf! Achten Sie darauf, was um Sie herum passiert. Wir geben Ihnen heute noch einmal die Gelegenheit, das entsprechend zu korrigieren. Wir haben einen Änderungsantrag eingebracht. Sie haben also noch einmal eine Chance. Stimmen Sie also unserem Antrag zu, dann sind wir fast rundum glücklich! (Beifall bei der LINKEN) Eine abschließende Bemerkung möchte ich zum Antrag der Grünen machen: Ein Instrument, das für die berufliche Weiterbildung – und nur für diese – gedacht ist, (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: So ist es!) kann die Probleme der allgemeinen Weiterbildung nicht lösen, so wichtig eine Lösung wäre. Sie verweisen auf die Bildungszeit PLUS, aber damit lösen wir die Probleme auch nicht. Wir brauchen ein Weiterbildungsfördergesetz und ein umfassendes Bildungsfreistellungsgesetz. Beide scheitern bislang an den Grenzen der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern. Darum werden wir uns bei Ihrem Antrag der Stimme enthalten. Das Meister-BAföG werden wir nicht blockieren, (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD] – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist schön von Ihnen! Das ist sehr schön!) weil wir finden: Es ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Unsere Forderungen halten wir aber aufrecht. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Martin Rabanus erhält nun das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Martin Rabanus (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren auf den Besuchertribünen! Frau Dr. Hein, herzlichen Dank für Ihren Beitrag und für den versöhnlichen Schluss. Sie haben ja deutlich gemacht, dass die Neuregelungen zum Meister-BAföG, die wir heute beschließen können, etwas hervorbringen, was selten passiert. Nach Lage der Dinge werden wir den vorliegenden Gesetzentwurf hier im Deutschen Bundestag nämlich einstimmig – bei Ihrer Enthaltung – beschließen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU], an die LINKE gewandt: Ja, Mensch, was ist eine Enthaltung? Das ist nicht Fisch und nicht Fleisch!) Das ist in der Tat ein Adelsschlag für den Gesetzentwurf, den die Regierung vorgelegt hat. Die Fraktion der Grünen wird sich sicherlich auch da einreihen können; jedenfalls wenn Sie das nachvollziehen, worauf wir uns in der letzten Beratung im Ausschuss verständigt haben. Die AFBG-Novelle ist eine große Novelle; der Kollege Feist hat darauf hingewiesen. Wir können ein Volumen von 90 bis 100 Millionen Euro jahresbezogen für die Stärkung der Meisterausbildung bewegen, sozusagen für die Stärkung des oberen Endes der beruflichen Ausbildung. Das ist ein großer, ein wichtiger Schritt in Richtung Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung. Deswegen ist heute in der Tat ein guter Tag für die berufliche Bildung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir können – das will ich schon noch einmal erwähnen – nicht nur die Förderung deutlich ausweiten – die maximal förderfähigen Lehrgangs- und Prüfungsgebühren steigen von rund 10 000 auf 15 000 Euro –; wir erhöhen auch den Zuschuss für das Meisterstück deutlich. Wir erhöhen die Vermögensfreibeträge deutlich. Wir erhöhen die Familienkomponente deutlich. Wir erhöhen den Zuschuss zum Unterhalt auf 50 Prozent und den Zuschuss zum Maßnahmebeitrag auf 40 Prozent. Wir erhöhen den Belohnerlass von 25 Prozent auf 40 Prozent. Es sind großartige Zahlen, die wir vorweisen können; da brauchen wir uns nicht zu verstecken. Wir öffnen das Meister-BAföG für Bachelorabsolventen. Wir modernisieren das Gesetz insgesamt. Wir machen damit einen großen Schritt und vollziehen das nach, was wir in der BAföG-Novelle, deren substanzielle Teile zum Wintersemester in Kraft treten, für die Schülerinnen und Schüler sowie die Studierenden bereits beschlossen haben. Dazu kommt – darauf will ich in diesem Zusammenhang auch hinweisen – eine neue Gesetzesinitiative, die im April den Deutschen Bundestag erreichen wird, nämlich das Gesetz zur Weiterbildungsstärkung, das das Kabinett Anfang Februar beschlossen hat. Damit schließt sich sozusagen der Kreis. Dieses Gesetz, das Frau Nahles vorgelegt hat, bezieht sich auf die Schwächeren, die Geringqualifizierten, diejenigen, die älter sind und eine längere Arbeitslosigkeit hinter sich haben. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sehr gut!) Die BAföG-Novelle haben wir bereits beschlossen. Die Novelle zum Meister-BAföG beschließen wir heute. Damit ist der Bogen gespannt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Große Koalition schaut nicht mit einem Tunnelblick – es ist interessant, wenn man den Tunnelblick von denjenigen vorgeworfen bekommt, die gern mit Scheuklappen unterwegs sind –, (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) sondern wir schauen auf die gesamte Bandbreite der Menschen in der beruflichen Bildung, für die wir etwas tun können und tun wollen. Ich möchte gern noch auf Ihren Hinweis zu den Praktika und der Erzieherinnenausbildung eingehen, Frau Dr. Hein. Ich finde, man kann sich das nicht so einfach machen. Die Expertinnen und Experten in der Anhörung haben uns gesagt: Der Bund hat seine Hausaufgaben gemacht. – Wir haben präzise nachgefragt. Sie aber sagen nun: Die Gewerkschaften kennen sich damit nicht aus; ich weiß es doch besser. – Ich frage mich, wofür wir Expertinnen und Experten einladen und anhören, wenn wir ihnen anschließend erklären: Ihr wisst das sowieso nicht so gut wie wir; deswegen machen wir einfach weiter wie bisher. Wir haben als Große Koalition gesagt: Wir prüfen das. Es ist uns ein Anliegen, an dieser Stelle Lösungen herbeizuführen. Wir wollen es aber da machen, wo es hingehört. Weil uns die Expertinnen und Experten gesagt haben: „Der Bund hat seine Hausaufgaben gemacht; die Länder müssen da tätig werden“, müssen wir das freundliche Angebot von Ihnen, Ihrem Änderungsantrag zuzustimmen, leider noch einmal ausschlagen. Wir bleiben bei der Regelung, die wir im Gesetz angelegt haben. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Es war einen Versuch wert!) – In der Tat. Zu den begleitenden Anträgen von Bündnis 90/Die Grünen und von der Linken will ich jetzt nichts weiter sagen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schade! Starker Antrag!) Dazu habe ich schon in der ersten Lesung des Gesetzes Stellung genommen. Dem ist nichts weiter hinzuzufügen. Ich glaube, dass wir mit dem AFBG, dem Gesetz mit dem etwas sperrigen Namen „Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz“ (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Es gibt schlimmere Gesetzesnamen! – Gegenruf des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Es gibt vor allen Dingen schlimmere Gesetze! – Gegenruf des Abg. Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das auch! – Gegenruf des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie viel Erfahrung!) – ja, es gibt schlimmere Gesetzesnamen –, wirklich einen tollen Beitrag leisten: für die berufliche Bildung, für die Chancen der Menschen in diesem Land, für diejenigen, die etwas leisten wollen und das auch können. Es ist eine große Novelle. Ich darf allen herzlich danken, die daran mitgewirkt haben, etwa den Expertinnen und Experten, die uns nicht nur in der Anhörung zur Verfügung standen. Ich darf natürlich auch den Haushälterinnen und Haushältern ganz herzlich danken, die maßgeblich dieses Volumen ermöglicht haben. Ich darf mit einem freundlichen Blick auf die leider verwaiste Länderbank (Volker Kauder [CDU/CSU]: Die haben Bundesrat!) noch einmal an die Länder appellieren, im Bundesrat diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. Ich gehe davon aus, dass sie das auch tun, damit auch sie stolz darauf sein können, einen großen und guten Beitrag zur Stärkung der Meisterausbildung in unserem Land geleistet zu haben. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Kollegin Walter-Rosenheimer erhält nun das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Wir haben bereits vor einigen Wochen hier im Bundestag über das Meister-BAföG diskutiert. In dieser Debatte haben Sie, sehr geehrte Frau Ministerin, etwas ganz Bemerkenswertes gesagt. Ich wiederhole es hier einmal. Sie haben sinngemäß gesagt, es sei richtig, die Weiterbildungssituation und gegebenenfalls auch die Schreckensszenarien auf diesem Gebiet zu analysieren, entscheidend in der Politik sei aber, dass man handle, dass man etwas mache. Ich finde, damit haben Sie total recht. Politik bedeutet entscheiden und damit im Idealfall entschiedenes Handeln. Wenn diesem politischen Handeln aber keine fundierte Analyse vorausgeht, was es zu ändern gilt, dann hat man ganz offensichtlich ein Problem; denn wer die Herausforderungen nicht kennt, handelt manchmal am Problem vorbei. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will mich an dieser Stelle aber gar nicht in Fundamentalopposition bringen. Die Reform des Meister-BAföGs ist in unseren Augen nicht der ganz große Wurf – das wissen Sie inzwischen; das haben wir oft genug gesagt –, trotzdem finden wir – das will ich in aller Deutlichkeit sagen –, dass das ein Schritt in die richtige Richtung ist, wie man so schön sagt. Es stimmt ja auch: Sie haben mit der Öffnung des Meister-BAföGs überfällige Anpassungen vollzogen. Und ja, es ist höchste Zeit, dass in Zukunft auch Bachelorabsolventinnen und Studienabbrecher bei Aufstiegsfortbildungen gefördert werden können. Auch die Erhöhung von Leistungen und Freibeträgen finden wir richtig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Thomas Feist [CDU/CSU] und Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) – Herr Feist, Sie klatschen. Das ist ja gut. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ja, wenn Sie einmal etwas richtig finden! Dass ich das noch erleben darf!) Sie wissen, dass wir es schade finden, dass die Reform nicht weiter gefasst ist. Ich denke, dass der eine oder andere Bildungsinteressierte in Zukunft ein paar Euro mehr in der klammen Kasse hat. Das finden wir gut, weil wir jeden zusätzlichen Euro für Bildung richtig finden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Es ist eine ganze Menge, was es mehr gibt!) – Ja. Wer aber behauptet, mit diesen Anpassungen eine echte Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung herzustellen, hat nicht recht. Da muss man, glaube ich, schon mehr bieten. Genau das haben übrigens – vielleicht erinnern Sie sich daran – auch alle Experten in unserem Fachgespräch, in der Anhörung im Bildungsausschuss bestätigt. Diese Reform gibt eben nicht das notwendige Signal dafür, dass lebenslanges Lernen endlich für alle Menschen möglich wird. Daran müssen Sie etwas ändern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Aber darum geht es bei dem Gesetz nicht!) – Wir sprechen jetzt aber über das Thema, auch wenn es nur um dieses eine Gesetz geht. Wir kritisieren ja gerade, dass das kein größerer Wurf ist. Wer nimmt an Weiterbildungen nicht oder viel zu selten teil? Das sind vor allem Alleinerziehende, das sind vor allem Frauen in den typischen Frauenberufen, die schlechter bezahlt werden, das sind Menschen mit Migrationshintergrund, das sind ausländische Menschen, das sind aber auch Menschen mit geringerer Berufsqualifizierung. All denen hilft die vorgelegte Änderung beim Meister-BAföG herzlich wenig, aber auch für diese Menschen tragen wir hier Verantwortung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vermutlich entgegnen Sie jetzt – das haben Sie ja schon gesagt, Herr Feist –, dass es dafür andere Instrumente gibt: die Bildungsprämie, Bildungsgutscheine, Bildungskredite, (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das sind alles Renner! Tolle Sachen!) Bildungsurlaub, Weiterbildungssparen, verschiedene Länderprogramme. Das gibt es alles. Es stimmt natürlich, dass das Meister-BAföG nicht das einzige Förderinstrument ist; aber glauben Sie denn wirklich, dass die Menschen bei dieser Vielzahl von Programmen und angesichts dieser Unübersichtlichkeit noch den Überblick behalten? Die Weiterbildungsbeteiligung ist in Deutschland doch auch deshalb so gering, weil kaum jemand weiß, was für Fördermöglichkeiten es gibt. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Die Weiterbildungsprämie ist immer überbucht! Ein Renner!) Ich sage: Schaffen Sie doch endlich Transparenz in diesem undurchsichtigen Dschungel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vereinfachen Sie die Zugänge, damit auch die vorhin genannten Menschen am lebenslangen Lernen teilhaben können. (Beifall des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Dazu gehören natürlich auch transparente, niedrigschwellige, qualitativ hochwertige und flächendeckende Beratungsangebote vor Ort. Sehr geehrte Damen und Herren, es ist doch kein Zufall, dass in der reichen Industrienation Deutschland so wenig Menschen am lebenslangen Lernen teilnehmen. Das hat strukturelle Gründe. Ganz offensichtlich reichen die derzeit bestehenden Förderinstrumente nicht aus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist Ihre Aufgabe, diese Ungerechtigkeit zu beseitigen. Frau Ministerin Wanka, Sie haben gesagt, das Meister-BAföG sei ein entscheidender Beitrag zur Fachkräftesicherung, aber es sei kein Beitrag, der die gesamte Weiterbildungsthematik von A bis Z regle. Aber warum eigentlich nicht? Trauen Sie es sich doch zu, die deutsche Weiterbildung vom Kopf auf die Füße zu stellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Lassen Sie mich ein paar Feststellungen treffen. Sie haben eine parlamentarische 80-Prozent-Mehrheit. Sie sind gemeinsam mit Arbeitgebern und Gewerkschaften Partner der großen Allianz für Aus- und Weiterbildung. Der Bund hat im Jahr 2015 einen Haushaltsüberschuss in Höhe von 12 Milliarden Euro erwirtschaftet. Bessere Voraussetzungen für eine umfassende Strukturreform von A bis Z kann es nicht geben. Diese Chance hätten Sie doch nutzen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Spätestens heute erfahren wir leider einmal mehr, dass Ihrer Koalition trotz kräftigen Rückenwinds schnell einmal die Puste ausgeht. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Nein, wir sind atemlos! – Zurufe von der SPD: Na, na!) – Ja. – Wie eine sozial gerechte Weiterbildungsförderung aussehen kann, haben wir in unserem grünen Antrag zur Bildungszeit Plus vorgelegt. (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Atemlos durch die Nacht!) – „Atemlos durch die Nacht“? Das muss man auch als Politikerin in diesen Tagen manchmal machen. Wir wollen das Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz so umbauen, dass es diesen Namen auch verdient. Mit einem individuellen Mix aus Zuschuss und Darlehen können wir echte Zugangsgerechtigkeit in der Weiterbildung schaffen. Dabei wollen wir die Lebens- und Einkommenssituation berücksichtigen und gerade die Schwächeren fördern. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau das tun wir!) Damit auch Berufstätige breiten Zugang zu Fort- und Weiterbildung haben, müssen endlich auch die Möglichkeiten der Arbeitszeitreduzierung ausgebaut und vereinfacht werden. Unser Konzept ist sozial gerecht. Denn es gilt der Grundsatz: Wer weniger hat, bekommt mehr – und umgekehrt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das ist das BAföG-Prinzip!) Anders als beim Meister-BAföG sollen bei uns alle Menschen die Möglichkeit erhalten, beruflich aufzusteigen und sich persönlich weiterzuentwickeln; denn das ist zukunftsfähig. Auch Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, scheint ja langsam zu dämmern, dass diese Bundesregierung zu wenig tut, um Geringqualifizierte zu fördern. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Also wirklich!) Ich habe Ihren Artikel in der Frankfurter Rundschau vom 12. Februar dieses Jahres gelesen, Herr Kollege Rossmann, in dem es darum geht, wie eine sozial gerechte Weiterbildungsförderung aussehen könnte. Ich finde die Ideen gut. Daran sieht man: Auch eine Zeitung kann ein guter Ort sein, eigene Ideen darzustellen und zu kommentieren. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Aber das kommt doch auch ins Parlament, Kollegin!) Aber Sie sind Teil dieser Bundesregierung, (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Was? Das ist mir neu!) und Sie tragen Verantwortung, die Dinge hier zu verändern; denn entscheidend ist, was hier verändert und im Bundestag beschlossen wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es tut mir leid, aber allein von Gastbeiträgen und vom Fingerzeig auf einen unwilligen Koalitionspartner wird kein einziger Mensch mit schlechteren Startchancen besser gefördert werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will abschließend die Seite 24 des Koalitionsvertrages zitieren: Angesichts des demografischen Wandels ist das lebenslange Lernen so wichtig wie nie. Diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe wollen wir im Rahmen der „Allianz für Aus- und Weiterbildung“ bewältigen. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ja! Wir tun nichts anderes! – Martin Rabanus [SPD]: Das passiert auch!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, stellen Sie sich dieser Aufgabe! Drehen Sie nicht nur an den kleinen Stellschrauben! Nutzen Sie die breite Allianz für Aus- und Weiterbildung! Bei den Gewerkschaften stoßen Sie doch sicher auf offene Ohren. (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: In der Tat!) Wir stimmen Ihrem Gesetzentwurf heute zu. Aber wir finden, bei der Weiterbildung bleibt noch einiges zu tun. Wir geben die Hoffnung nicht auf, (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Wir auch nicht!) dass lebenslanges Lernen auch in der Großen Koalition ankommt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Wir haben ja noch ein bisschen Zeit bis zum Ende der Legislaturperiode!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Bundesregierung hat nun die Bundesministerin Johanna Wanka das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 724, das ist für mich heute die Zahl des Tages, weil das Gesetz, über das wir heute befinden, bei der Vorbereitung auf sage und schreibe 724 verschiedene Fortbildungsziele in Anspruch genommen werden kann. Das tun in dieser Republik im Moment im Schnitt 170 000 Menschen in jedem Jahr. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Hört! Hört!) Das Meister-BAföG gibt es seit fast 20 Jahren, und es ist gut. Wir hatten mehrere Novellen. Mit der jetzt vorliegenden Novelle sorgen wir dafür, dass es ein echtes Aufstiegs-BAföG ist, dass es familienfreundlich, attraktiv und vor allen Dingen fit für zukünftige Herausforderungen ist. Das müssen wir in diesem Parlament immer bedenken. Meine Damen und Herren, es freut mich, dass – – (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Es freut mich – – (Beifall des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD] – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie haben zwei Fans! – Heiterkeit) Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Ministerin, genießen Sie diese Szene in vollen Zügen. Es kommt ganz selten vor, dass die schlichte Ankündigung, dass man sich als Mitglied der Bundesregierung freue, zu einer solch spontanen Sympathiebekundung führt. (Heiterkeit) Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung: Ich freue mich sehr, dass der Präsident diese Debatte leitet, weil er einmal an unserem Gesetz herumgenörgelt hat. (Heiterkeit) – Meine Damen und Herren, lachen Sie nicht so lange; das geht von meiner Zeit ab. Ich freue mich, dass es aus den Kreisen der Koalitionsfraktionen in Bezug auf den Gesetzentwurf Lob gibt, dass er ihnen so gut gefallen hat und dass sie ihn noch besser gemacht haben. Auch setze ich darauf, dass die zusätzlichen notwendigen Finanzmittel bereitgestellt werden. Schauen wir uns einmal – wir haben jetzt mehrfach darüber geredet – das Gesetz an. In ihm sind zum Beispiel Leistungsverbesserungen enthalten. Sie betreffen – ich dekliniere das einmal herunter – den Zuschussanteil, die Familienaufschläge, den Förderbetrag für das Meisterstück und weitere Dinge. Alles wird erhöht. Es gibt weniger Bürokratie. Das Problem mit der Bürokratie spielt hier also keine Rolle. Man kann den Förderantrag online stellen. Vor allen Dingen wird in Bezug auf die Teilnahmenachweise – das ist auch für die Länder sehr wichtig – der Bürokratieaufwand im Schnitt um die Hälfte reduziert. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das Gesetz schafft – das sage ich jetzt auch in Richtung der Grünen – vor allen Dingen für den Einzelnen mehr Transparenz. Bisher war es deutlich komplizierter. Das Meister-BAföG hing bislang davon ab, wie die Klassenzusammensetzung war, wie vielen es zustand et cetera. Ab jetzt – mit Wirksamwerden dieses Gesetzes – hängt es nur noch von den individuellen Voraussetzungen des Einzelnen ab, ob er Meister-BAföG bekommt. Das ist, glaube ich, für ihn – er kann ja nicht über die Klassenzusammensetzung oder anderes entscheiden – außerordentlich wichtig. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Jetzt etwas Prinzipielles, Frau Hein; da gibt es, glaube ich, einen ideologischen Unterschied. Wenn man gerecht handeln will, muss man berücksichtigen, ob die Voraussetzungen bei denen, die man beurteilt oder bedenkt, gleich oder unterschiedlich sind. Wenn quasi Äpfel und Birnen gleich gefördert werden, dann ist das nach meiner Auffassung nicht gerecht. Wir sagen, dass es für Alleinerziehende mit Kindern schwerer ist, eine Meisterfortbildung zu machen. Deswegen bekommen diese dezidiert einen besonderen Zuschlag für die Betreuungskosten – das ist mir sehr wichtig –, der jetzt 130 Euro beträgt, um der besonderen Lebenssituation gerecht zu werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wenn ich ausgerechnet an der Stelle höre, dass alle das Gleiche bekommen müssen, kann ich nur sagen, dass sich eine Familie mit eventuell sogar zwei Verdienern in einer anderen Situation befindet. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Warum nicht auch Studierende mit Kindern? Ich rede von Studierenden an einer Hochschule!) – Ja, klar. Ich habe es kapiert. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Offensichtlich nicht!) Bei Studierenden und denen, die das Meister-BAföG bekommen, gibt es denselben Zuschussanteil in Höhe von 130 Euro für die Kinder. Das andere ist der zusätzliche Darlehensanteil im AFBG. Es gibt also – das war uns wichtig – genau denselben Zuschussanteil, mit Ausnahme der Alleinerziehenden. Meine Damen und Herren, dies ist ein sehr gutes Gesetz. Es hat aber Grenzen. Zum Beispiel regelt es nicht, wer einen Kurs zur Alphabetisierung besuchen kann und wie man einen zweiten Schulabschluss nachholt. Auch regelt es nicht die Anpassungsqualifizierung für Menschen mit einer Qualifikation aus dem Ausland. Weiterhin regelt es auch nicht Dinge, die die Funktion der allgemeinen beruflichen Weiterbildung betreffen. Das wird – Gott sei Dank! – bei uns zu 70 Prozent von den Betrieben geleistet. Und das soll an der Stelle auch so bleiben. Es wird vieles über die Bildungsprämie und über andere Maßnahmen geregelt. Das ist aber nicht Aufgabe dieses Gesetzes. Dieses Gesetz betrifft dezidiert die Aufstiegsfortbildung für eine bestimmte Gruppe von Menschen aus dem dualen System oder auch – da gibt es jetzt eine entsprechende Erweiterung – aus dem Hochschulsystem. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir schaffen nicht nur ein attraktives Aufstiegs-BAföG für diejenigen, die wir in den Handwerksbetrieben oder in den großen Firmen brauchen – also für die Fach- und Führungskräfte –, sondern auch für Pflegekräfte, für Erzieherinnen und Erzieher. Frau Hein, wir haben hier schon einmal darüber diskutiert: Wir brauchen eine Regelung bezüglich dieses Anteils von 70 Prozent. Das bedeutet aber, dass jemand, der einen entsprechenden Kurs besucht, bei förderfähiger Verteilung der praktischen Zeiten noch Anspruch auf acht Wochen Urlaub im Jahr hat. Ich finde, das ist vertretbar. Dann kann voll durchgefördert werden. Es ist möglich, die gesamte Förderkette in Anspruch zu nehmen. Auch Praktika können eingebaut werden. Es gibt da also keine Förderlücke. Ich finde es überhaupt nicht in Ordnung, dass man vorgebildete Kräfte als Erzieherinnen einsetzt und dann erwartet, dass sie ihre Tätigkeit nicht im Rahmen der regulären Praktika finanziert bekommen, sondern über einen längeren Zeitraum mithilfe von Darlehen. Hier erwarte ich, dass dann für sie von den Kommunen – oder wer auch immer sie anstellt – sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze geschaffen werden. Das ist entscheidend. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Das ist doch gar nicht ausgeschlossen! Das kann man doch trotzdem alles machen!) – Nein, kann man nicht. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Natürlich!) – Nein! Die dritte Novelle, über die wir heute sprechen, ist, was das Leistungsvolumen betrifft, mit Abstand die größte Novelle, die wir je hatten. (Beifall bei der CDU/CSU) Was Prozentsätze anbelangt, will ich nur ein Beispiel eines Ehepaares anführen. Die Ehefrau, die an einem Meisterkurs teilnimmt, bekommt jetzt gut 140 Euro mehr im Monat. Das Entscheidende ist aber: Sie bekommt auch 263 Euro mehr als Zuschuss ohne Rückzahlungspflicht. Das ist wichtig für die Betreffenden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Meine Damen und Herren, ich glaube, dieser Gesetzentwurf macht Ernst mit der Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung, und darüber reden wir ja ständig. Jemand, der sich nach der Schule dazu entschließt – auch mit Abitur –, eine duale Ausbildung zu machen, begibt sich nicht in eine Sackgasse. Aufgrund der praktischen Erfahrungen kann er später studieren – auch dann, wenn er kein Abitur hat. Wenn ihm das Studium nicht gefällt oder seine Erwartungen nicht erfüllt werden, dann kann er in die duale Ausbildung gehen und sich, je nach Voraussetzung, auch zum Meister ausbilden lassen. Jemand, der einen Bachelor hat, kann jetzt nach diesem Gesetzentwurf auch einen Handwerksbetrieb leiten, wenn er seinen Meister nachmacht. Diese Dinge beeinflussen die Attraktivität des beruflichen Systems ganz entscheidend, und wir reden nicht nur darüber, sondern wir handeln auch und stellen viel Geld dafür zur Verfügung. Allein in den nächsten Jahren wird dafür fast eine Viertelmilliarde Euro zusätzlich ausgegeben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Meine Damen und Herren, die Attraktivität des Aufstiegs-BAföG wurde bereits erwähnt, aber es ist klar: Das Gesetz muss auch durch den Bundesrat. Deswegen sage ich – ich glaube aber, darin bin ich mir mit den Kollegen von der A-Seite, die hier sind, einig –, dass wir die A-Länder vielleicht noch ein Stück gemeinsam davon überzeugen müssen. (Martin Rabanus [SPD]: Die A-Länder sind nicht das Problem!) – Die A-Länder sind das Problem an dieser Stelle. (Martin Rabanus [SPD]: Die A-Länder sind immer gut!) Aber wir werden sie überzeugen. Das wird nicht das Problem sein. Ich denke, wir kriegen das im Bundesrat hin. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das glaube ich auch!) Ich finde es interessant, dass immer wieder gefordert wird, der Bund müsse hier tätig werden. Vielleicht war ich zu lange an anderer Stelle im föderalen System aktiv, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann sein!) aber für mich ist Bildung immer noch in einem großen Maße Ländersache, und daran wollen wir vonseiten des Bundes nichts ändern, sondern wir wollen Dinge gemeinsam machen. Diese Änderung der Aufstiegsfortbildungsförderung machen wir gemeinsam – mit einer Verteilung von 78 zu 22 Prozent. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch angesichts der Redebeiträge der Oppositionsfraktionen glaube ich, dass wir auf dieses Gesetz, wenn es im Bundesgesetzblatt steht, gemeinsam stolz sein können, und wir sollten das auch vertreten. Wenn Sie entsprechend abstimmen, können wir hier an dieser Stelle sagen, dass es uns in diesem Parlament gelungen ist, das erfolgreichste, wichtigste und bedeutendste Förderinstrument, das wir im Bereich der Ausbildung haben, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!) weiter zu stärken und zu verbessern. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Hubertus Heil von der SPD ist nun der nächste Redner. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hubertus Heil (Peine) (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Leistung und nicht Herkunft soll zählen. Mit diesem Gesetzentwurf machen wir deutlich, dass wir in diesem Land auch Aufstieg durch Fortbildung wollen und dass wir Menschen, die sich anstrengen, die sich im Job weiterbilden und vorankommen wollen, unterstützen und Hürden aus dem Weg räumen. Deshalb ist das ein guter Gesetzentwurf. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Das reiht sich ein – die Ministerin, der Kollege Rabanus und Herr Dr. Feist haben Details des Gesetzentwurfes schon referiert – in eine ganze Kette von Maßnahmen, die wir auf den Weg gebracht haben, um die berufliche Bildung in diesem Land voranzubringen. Ich will auch noch einmal daran erinnern, was wir mit diesem Gesetzentwurf insgesamt auf den Weg bringen: die Öffnung der Förderung für die Bachelorabsolventen, die Anhebung der Unterhaltsbeträge, den einkommensunabhängigen Kinderbetreuungszuschlag für Alleinerziehende, das Attraktivitätspaket Meisterstück, die Erhöhung des maximalen Maßnahmenbeitrages und die Erhöhung des Vermögensfreibetrages. Daneben ist mir ganz wichtig – das ist uns im Gesetzgebungsverfahren gelungen –, dass wir auch dafür gesorgt haben, dass der Zuschuss für Maßnahmen auf 40 Prozent erhöht wird. Überall wird über Gebührenfreiheit in der Bildung geredet. Das finden wir Sozialdemokraten auch richtig. Ich denke beispielsweise an die Abschaffung der Studiengebühren, die bundesweit gelungen ist. Wir sorgen nun dafür, dass auch die Meistergebühren für die betroffenen Menschen gesenkt werden. Das ist ein ganz wesentlicher Schritt. (Beifall bei der SPD) Gemeinsam haben wir als Koalitionsfraktionen aus einem guten Gesetzentwurf einen noch besseren Gesetzentwurf gemacht. Frau Wanka, deshalb sind wir nicht nur diejenigen, die Sie auf diesem Weg unterstützen, sondern wir selbst sind ein bisschen stolz darauf, dass wir das gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen geschafft haben. Den Haushältern und den Berichterstattern, Herrn Dr. Feist und Herrn Rabanus, ist zu Recht gedankt worden. Das ist ein richtig guter Gesetzentwurf geworden. Damit können wir uns wirklich sehen lassen. Dafür ganz herzlichen Dank! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber ich habe es schon gesagt: Das ist eine ganz zentrale Maßnahme, die wir heute mit der zweiten und dritten Lesung abschließen. Frau Ministerin, ich bin mir sicher, dass das Signal, das Sie an alle Länder gegeben haben, unser gemeinsames Signal ist. Wir stehen gemeinsam in der Verantwortung für das Meister-BAföG; auch das sagen wir sehr deutlich. Wie gesagt: Es ist eine zentrale Maßnahme, um Hürden tatsächlich wegzuräumen und gleichzeitig für die Attraktivität der beruflichen Ausbildung in diesem Land zu sorgen. Wir geben auch denjenigen eine Perspektive, die sich im Beruf fortbilden wollen. Damit sorgen wir für Durchlässigkeit. Das Ganze reiht sich in ein größeres Maßnahmenpaket der gesamten Bundesregierung ein. Mit der Allianz für Aus- und Weiterbildung – das ist mir ganz wichtig – ist es dieser Regierung gemeinsam mit den Sozialpartnern gelungen, einem Trend entgegenzuwirken, der in den letzten Jahren leider um sich gegriffen hat, dass nämlich fast alle nach Fachkräften rufen, aber die Zahl der beruflichen Ausbildungsplätze in den letzten Jahren eher zurückgegangen ist. Wir haben im Rahmen der Allianz für Aus- und Weiterbildung – dafür hat sich federführend Minister Gabriel eingesetzt – gemeinsam mit den Sozialpartnern, der Wirtschaft und den Gewerkschaften dafür gesorgt, dass es eine Trendumkehr gegeben hat. Es gibt wieder mehr Ausbildungsplätze in Deutschland. Das ist die erste gute Nachricht für junge Menschen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die zweite gute Nachricht ist, dass wir im Rahmen der Allianz für Aus- und Weiterbildung über öffentliche Unterstützung vor allen Dingen etwas für die jungen Menschen getan haben, die es besonders schwer haben. Wir unterstützen zum Beispiel benachteiligte junge Menschen mit Maßnahmen der Assistierten Ausbildung. Damit machen wir deutlich: Wir lassen kein Kind und keinen Jugendlichen zurück. Wir wollen nicht länger zusehen, dass noch immer 1,5 Millionen Menschen zwischen 20 und 30 Jahren ohne jede Form von beruflicher Erstausbildung dastehen. Wir können nicht über Fachkräftemangel jammern und diesen jungen Menschen keine zweite Chance geben. Auch da haben wir uns auf den Weg gemacht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Jetzt kommt, wie gesagt, das Meister-BAföG für diejenigen, die schon qualifiziert sind und nach vorne wollen. Das hat noch einen weiteren Effekt: Wenn diese Menschen Meister werden, sind das auch mögliche Ausbilder. Insofern ist das eine richtig gute Tat. Wir haben auch für Durchlässigkeit im Bereich des Bachelors gesorgt. Wir werden mit dem BBiG die Strukturen im Bereich der beruflichen Bildung noch in dieser Legislaturperiode weiter zu modernisieren haben. Warum erwähne ich das alles? Weil mir angesichts bestimmter Debatten, die unter dem Stichwort „Akademisierungswahn“ geführt werden, ein bisschen bange ist. Es ist richtig: Es ist der Öffentlichkeit und uns allen in den letzten Jahren zu wenig bewusst gewesen – das stand zu wenig in den Zeitungen –, welchen Wert wir in Deutschland mit unserer speziellen beruflichen Ausbildung im dualen System, aber auch im berufsfachlichen Bereich im Vergleich zu anderen Ländern haben. Da sind OECD-Studien falsch gelesen worden, als es die Diskussion über die Akademisierung gegeben hat. Wir sind mit Portugal und Spanien verglichen worden. Heute wissen wir: In diesen Ländern gibt es unsere Form der Ausbildung nicht. Das ist ein Grund für die hohe Jugendarbeitslosigkeit in diesen Ländern. Wir müssen nur ein bisschen aufpassen, dass das Pendel jetzt nicht in die falsche Richtung ausschlägt. Es geht nicht an, dass wir akademische und berufliche Bildung gegeneinander ausspielen. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das macht doch keiner!) Das tun einige in der öffentlichen Debatte. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Wer?) Darunter ist auch jemand, den ich persönlich gerne mag und der diesen Begriff mit erfunden hat – ein Philosoph aus München. Ich sage an dieser Stelle: Das ist kein Nullsummenspiel. Wir setzen auf Gleichwertigkeit und auf Durchlässigkeit, weil wir alle Potenziale und Talente in diesem Land zur Entfaltung bringen wollen. Mit dem Meister-BAföG öffnen wir dafür Wege. Deshalb ist das ein guter Tag für die berufliche Bildung und für das Bildungssystem insgesamt. Es ist ein guter Tag für viele Menschen in Deutschland, die demnächst eine Chance haben werden, die sie bisher nicht gehabt haben. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Lena Strothmann für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Lena Strothmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das deutsche Handwerk begrüßt die Verbesserungen zum Meister-BAföG sehr. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich will jetzt nicht alle Punkte noch einmal aufzählen; vieles ist schon gesagt. Aber mir als Handwerksmeisterin sind drei Punkte besonders wichtig. Der erste Punkt ist die Verbesserung der Unterhaltsförderung inklusive der Förderelemente, damit auch Familienangehörige einbezogen werden können. Im Handwerk nehmen traditionell sehr viele an den Vollzeitlehrgängen teil. Die Absicherung des Familieneinkommens ist oft ausschlaggebend, damit junge Menschen überhaupt an einem Lehrgang teilnehmen. Zweiter Punkt. Wichtig ist auch die Erhöhung des Zuschusses zu den Unterhaltskosten auf 50 Prozent wie bei den Studenten. Die Gleichwertigkeit der beruflichen und akademischen Bildung muss eben auch gelten, wenn es um die finanzielle Förderung geht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Der dritte Punkt ist die Erhöhung des maximalen Förderbeitrages für das Meisterstück. Denn das Meisterstück ist oft nicht nur sehr teuer in seiner Anfertigung; es ist auch für jeden Meister von hohem ideellen Wert. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Bei so manchem Tischler steht heute noch sein Meisterstück im Wohnzimmer. Ich muss gestehen: Auch ich habe mein Meisterstück voller Stolz viele Jahre getragen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Was war es denn? – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jetzt wird es aber spannend!) – Das erzähle ich Ihnen später. Meine Damen und Herren, heute ist ein guter Tag für das Handwerk. Denn wir verbessern heute nicht nur das Meister-BAföG; wir stärken auch die duale Ausbildung. Sie verbindet die Theorie mit der Praxis und erleichtert so den jungen Menschen den Einstieg in den Arbeitsmarkt. Die duale Ausbildung ist damit auch der Garant für unsere niedrige Jugendarbeitslosigkeit im europäischen Vergleich. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich kann deswegen das Vorgehen der EU-Kommission überhaupt nicht nachvollziehen. Auf der einen Seite bewertet sie das duale System als Best Practice und empfiehlt es den südeuropäischen Ländern zur Bekämpfung der hohen Jugendarbeitslosigkeit. Auf der anderen Seite stuft sie den Meisterbrief aber als Hemmnis für den Berufszugang und für den Binnenmarkt ein. Meine Damen und Herren, zur dualen Ausbildung in Deutschland gehört der Meisterbrief. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Er ist und bleibt die Krönung der beruflichen Ausbildung. Das muss auch Brüssel begreifen. Im deutschen Handwerk werden 371 000 junge Menschen von Meistern ausgebildet. Deswegen müssen wir auch weiterhin für den Meisterbrief kämpfen. Ich bin froh, dass wir uns in diesem Hohen Haus einig sind. Ich erinnere an unseren gemeinsamen Antrag zum Meisterbrief, den Antrag zur Transparenzinitiative und den Antrag zur Binnenmarktstrategie. Aber, meine Damen und Herren, wir müssen auch im eigenen Land noch ein bisschen mehr für die duale Ausbildung tun. Ich finde es fatal: In Europa wird unser System hoch gelobt. Aber im eigenen Land verliert es an gesellschaftlicher Akzeptanz, ganz nach dem Motto „Der Prophet gilt nichts im eigenen Land“. Denn für viele Schulabgänger und Eltern ist die duale Ausbildung leider nur noch zweite Wahl. Fast 60 Prozent der jungen Menschen eines Jahrgangs streben ein Hochschulstudium an, Tendenz steigend. Wir rechnen damit, dass es 2020 ungefähr 80 Prozent sind. Darum fehlen uns im Handwerk geeignete Auszubildende, während die Unis unter dem großen Andrang stöhnen. Bachelor und Meister sind auf dem Papier gleichgestellt. Dafür haben wir hart gekämpft. Aber das muss noch in den Köpfen von Lehrern, Eltern und Schülern ankommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Der akademische Berufsweg ist eben nicht immer der Königsweg. Gerade in den technischen Studiengängen haben wir hohe Abbrecherquoten. Zur Wahrheit gehört auch – und das muss auch einmal gesagt werden –, dass ein Meister oder Facharbeiter oft mehr verdient als manch junger Akademiker. Was mich noch mehr erschüttert, ist, dass viele jungen Menschen in unserem Land die unterschiedlichen Berufsbilder und Karrieremöglichkeiten im Handwerk nicht kennen. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Ja, das stimmt!) Das Handwerk bietet mehr als 130 Ausbildungsberufe. Das Handwerk ist innovativ. Das Handwerk ist kreativ, und das Handwerk ist vor allem Hightech. Da ist für jeden etwas dabei. Es gibt viele individuelle Karrieremöglichkeiten von der Ausbildung bis hin zum Studium oder zu der Chance, ein eigenes Unternehmen zu gründen, Stichwort: „Karriere mit Lehre“. Hier muss die Berufsorientierung unbedingt noch mehr leisten, vor allen Dingen an den Gymnasien. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Meine Damen und Herren, wir fördern mit den Verbesserungen beim Meister-BAföG auch den Weg in die Selbstständigkeit. Das ist für das Handwerk, aber auch für die gesamte deutsche Wirtschaft von großer Bedeutung. Denn leider ist die Neigung der jungen Menschen zur Selbstständigkeit in den letzten Jahren stark rückläufig. Das Handwerk braucht nicht nur Auszubildende und Fachkräfte, sondern auch junge Unternehmer, die zum Beispiel einen Betrieb übernehmen. Denn sonst brechen uns mit jeder Betriebsaufgabe Arbeits- und Ausbildungsplätze weg. Das hat dramatische Folgen. Denn nach einer Umfrage des Zentralverbands des Deutschen Handwerks aus dem vergangenen Jahr stehen bis zum Jahr 2020 hochgerechnet 180 000 Unternehmen zur Übergabe an, weil die Unternehmer in den Ruhestand gehen. Deswegen ist es so wichtig, dass wir heute das Meister-BAföG verbessern. Wir brauchen mehr junge Menschen, die den Schritt in die Selbstständigkeit wagen. Mein Fazit: Wir können mit diesem Gesetz sehr zufrieden sein. Es ist ein großer Schritt in die richtige Richtung, ein deutlicher Beitrag zur Gleichstellung von beruflicher und akademischer Bildung. Unser nächstes gemeinsames Ziel sollte dann die vollständige finanzielle Gleichstellung sein. Darüber sollten wir in Zukunft reden. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort dem Kollegen Ernst Dieter Rossmann für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Feist hat aktuelle Beispiele aus Sachsen genannt. Nun müssen Sie verstehen, dass ich, der ich als Sozialdemokrat zum Meister-BAföG spreche, in diesem Zusammenhang auf August Bebel aus Sachsen als den Urvater aller Sozialdemokraten hinweise. 14 Jahre alt war er, als er die Lehre zum Drechsler begann. 18 Jahre alt war er, als er auf Wanderschaft ging. 24 Jahre alt war er, als er einen gutgehenden Drechslermeisterbetrieb gegründet hat. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Da hätte er bleiben sollen! – Gegenruf des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kauderwelsch!) Lassen Sie uns aber nicht zu tief in die Eingeweide des Parlamentarismus eintauchen. Nur noch so viel: Dem ersten Reichspräsidenten Friedrich Ebert wurde von konservativ-bürgerlicher Seite immer vorgeworfen, er sei ja nur Sattlergeselle. Hieran sieht man gut, was sich im Hinblick auf die Gleichwertigkeit von handwerklicher und akademischer Ausbildung verändert hat. Ich komme in die Gegenwart zurück. Frau Strothmann hat in ihrer Rede aufgezeigt, dass es aktuell wichtig ist, nicht nur diejenigen, die ihre Leistungsfähigkeit weiterentwickeln wollen, zu fördern, nicht nur Qualität zu sichern und Ausbildung zu ermöglichen, sondern auch für Nachwuchs für das kleine und mittlere Gewerbe im Handwerk, aber auch für andere Bereiche zu sorgen. Dafür brauchen wir dieses Gesetz. Frau Strothmann, Sie haben prägnante Zahlen genannt. Ich möchte noch welche hinzufügen. Jedes Jahr machen rund 540 000 Menschen einen Ausbildungsabschluss. Aber nur rund 110 000 Menschen machen einen Aufstiegsabschluss. Diese Lücke zu schließen und dafür zu sorgen, dass mehr Menschen einen Aufstiegsabschluss machen, ist wichtig; denn erst diejenigen, die einen solchen Abschluss machen, können in eine Betriebsnachfolge eintreten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Um noch mehr erklärende Zahlen zu nennen: Die Frau Ministerin hat darauf hingewiesen, dass das Meister-BAföG gut angenommen und mittlerweile von 170 000 Menschen genutzt wird. Aber von diesen 170 000 Menschen absolvieren nur 50 000 eine handwerkliche Meisterausbildung. 80 000 befinden sich in einer Techniker- oder Fachwirteausbildung. Hinzu kommen die Restgrößen in Pflege und Erziehung. Nicht, dass Sie das falsch verstehen, aber das sind die kleinsten Gruppen. Die Zahl derjenigen, die eine handwerkliche Meisterausbildung absolvieren, muss erhöht werden. Sonst bleibt die Lücke zu groß und haben wir nicht den Hintergrund für das, was wir in Europa verteidigen wollen, nämlich den leistungsfähigen handwerklichen Mittelstand, der für Ausbildung, Qualität und wirtschaftliche Entwicklung wichtig ist. Frau Walter-Rosenheimer, Sie haben die Transparenz angesprochen. Ich möchte in diesem Zusammenhang eine Aufgabe ansprechen, die wir als Parlamentarier, egal von welcher Fraktion, bei einer einstimmigen Beschlussfassung zu diesem Fördergesetz haben. Wir selber müssen für dieses Gesetz werben. Wir können damit unvergleichlich besser werben als mit dem, was wir bisher hatten, allein schon von den Kerndaten her. Wie Sie wissen, gab es früher einen Zuschuss von 44 Prozent. Nun liegt er bei 50 Prozent. Bislang lag der Zuschuss zum Maßnahmebeitrag bei 30,5 Prozent. Nun sind es 40 Prozent. Bisher lag der Bestehenserlass, der sogenannte Erfolgsbonus, bei 25 Prozent. Jetzt werden es 40 Prozent sein. Wir können sehr gut damit werben und allen sagen: 50, 40, 40, das ist eine klare, transparente Förderleistung. Wenn du das umrechnest, dann stellst du fest, dass das mehrere Tausend Euro mehr sind, die du als Entlastung erhältst, wenn du dich auf den beschwerlichen und engagierten Weg einer Aufstiegsfortbildung machst. – Das müssen die Menschen wissen, damit sie es Kollegen und in der Verwandtschaft erzählen können. Dann kann ein Sog entstehen, sodass in Zukunft möglichst nicht nur 50 000, sondern 70 000 oder 80 000 Menschen eine handwerkliche Meisterausbildung und sogar 100 000 Menschen in der Industrie eine Technikerausbildung bzw. eine Ausbildung als Fachwirt absolvieren. Auch in den Pflege- und Erziehungsberufen sollte es einen ähnlichen Anstieg geben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das Gesetz schafft eine positive Stimmung und eröffnet uns entsprechende Chancen. Frau Ministerin, ein weiterer wichtiger Punkt ist im Hinblick auf die Gleichwertigkeit von handwerklicher und akademischer Ausbildung, dass wir nun den Umstieg vom akademischen Bachelor auf den beruflichen Meister erstmals in die Förderfähigkeit einbeziehen. Das Gegenstück mit aufzunehmen, was die Linke hier anspricht, wird Aufgabe zukünftiger Reformen sein. Nun hatte die Kollegin Walter-Rosenheimer die Förderung der zweiten Chance angesprochen, zum Beispiel mit Blick auf solche, die bisher keinen Berufsabschluss hatten, sich aber noch in höherem Alter anstrengen, einen solchen Berufsabschluss zu machen. Das ist nicht nur ein Zeitungsartikel in der Frankfurter Rundschau gewesen, sondern viel wichtiger ist: Wir haben schon den entsprechenden Kabinettsbeschluss dazu. Dies wird als Weiterbildungsförderungsgesetz vom Kabinett der Großen Koalition so eingebracht. (Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!) Diejenigen, die zu einem späteren Zeitpunkt als zweite Chance eine Berufsausbildung abschließen wollen, bekommen zur Zwischenprüfung 1 000 Euro und zur Endprüfung 1 500 Euro als materielle Belohnung. Die Große Koalition hat dies im Kabinett auf den Weg gebracht, um den Ausgleich in Bezug auf die Anstrengungen auf allen Wegen zu schaffen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Herr Kauder, das ist wunderbar: Frau von der Leyen hat es noch abgelehnt; in der Großen Koalition kann Frau Nahles das ins Kabinett und ins Parlament einbringen. Das macht uns glücklich. (Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Es freut mich, wenn Sie glücklich sind!) Vielen ist gedankt worden, etwa der Ministerin, den Haushältern und den Berichterstattern. Ich möchte einen besonderen Dank an die Fachkräfte auf der letzten Reihe der Regierungsbank richten. Denn sie haben uns bis ins letzte Detail bei diesem Gesetzesvorhaben beraten können. Ich will noch etwas aus dem persönlichen Bereich aus Schleswig-Holstein erzählen. Wir Abgeordnete aus Schleswig-Holstein haben traditionell nicht nur Wirtschaftsjunioren und Gewerkschaftsvertreter als Praktikanten im Parlament. Wir haben Jahr für Jahr gestandene Handwerksmeisterinnen und -meister zu einem einwöchigen Praktikum bei uns im Bundestag. Das ist wunderbar. Schon zwei Meister für Heizung, Sanitär, Klimatechnik, ein Schmiedemeister und ein Maurermeister konnten bei mir im Parlament auch die Gleichwertigkeit von parlamentarischer und handwerklicher Arbeit kennenlernen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Ich möchte an dieser Stelle alle ermutigen: Holen Sie sich das Handwerk, holen Sie sich die Meister in die Büros. Das ist für beide Seiten wichtig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich persönlich möchte dieses Gesetz den Meistern, die bei mir waren, widmen. Ich kann sagen: Sie haben genügend Druck für ein gutes Gesetz gemacht, und sie werden jetzt erfahren, dass dieser überzeugende Druck auch dazu geführt hat, dass das ganze Parlament einstimmig einem solchen Gesetzentwurf zustimmt. Danke schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Wolfgang Stefinger ist der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Wolfgang Stefinger (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland ist wirtschaftlich stark. Das liegt auch daran, dass wir ein starkes Berufsausbildungssystem haben. Unser betriebliches Ausbildungssystem ist jedem anderen überlegen. Nicht Länder mit hohen Akademikerquoten verfügen über eine hohe Wirtschaftskraft und eine geringe Jugendarbeitslosigkeit, sondern Länder mit einem betrieblichen Berufsausbildungssystem wie die Bundesrepublik Deutschland. Deutschland hat die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in Europa. Die Vorteile unseres Systems liegen auf der Hand; das ist schon gesagt worden. Die Ausbildungsinhalte richten sich nämlich nach dem betrieblichen Bedarf. Das heißt: Was gebraucht wird, wird auch vermittelt. Praxis und Theorie stehen gleichermaßen im Mittelpunkt der Ausbildung. Unser Ziel ist es, junge Menschen für eine betriebliche Berufsausbildung zu begeistern. Wir wollen motivieren, unterstützen und vor allem aufzeigen, dass mit einer Berufsausbildung alle Wege offenstehen. Bei uns gibt es keinen Abschluss ohne Anschluss. Das ist die Realität in Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU) Vor wenigen Wochen habe ich wieder als Gastdozent an der Hochschule München ein Seminar im Studiengang Unternehmensführung gehalten. Der Studiengang ist gemeinsam mit der Handwerkskammer für München und Oberbayern entwickelt worden. 25 hochmotivierte Handwerker aus allen Bereichen, Techniker und Fachwirte, bilden sich fort. Sie studieren ohne Abitur. Ich muss Ihnen sagen: Ich finde es großartig – von der Werkbank in den Hörsaal, in Deutschland alles möglich. Wir sprechen von der Gleichwertigkeit der beruflichen und akademischen Bildung. Wir haben bereits eine BAföG-Reform für Schüler und Studenten beschlossen. Jetzt ist die berufliche Bildung an der Reihe. Die Aufstiegsfortbildungsförderung, kurz: das Meister-BAföG, wird verbessert, angehoben und entbürokratisiert. Wir halten damit Wort: Die berufliche Aus- und Weiterbildung ist uns genauso wichtig wie die Hochschulbildung. (Beifall bei der CDU/CSU) Das unterstreicht nicht nur der heute vorliegende Gesetzentwurf, sondern auch der fast parallel zu dieser Debatte stattfindende Besuch der Bundeskanzlerin auf der Internationalen Handwerksmesse in meinem Münchener Wahlkreis, auf der sich über 1 000 Aussteller aus über 60 Gewerken präsentieren und die nicht nur über ihre teils innovativen Produkte, sondern auch über mögliche Berufe und Karrierewege informieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Das Meister-BAföG ist eine beeindruckende Erfolgsgeschichte. In den letzten 20 Jahren wurden 1,7 Millionen Menschen mit rund 7 Milliarden Euro gefördert. Ohne diese Förderung hätten wir heute zigtausend weniger Techniker und Meister in unserem Land und damit niemanden, der unsere kleinen und mittelständischen Betriebe führen könnte. Wir wollen diesen Erfolg fortsetzen. Deshalb ist die vorliegende Reform so wichtig. Durch den Geburtenrückgang und die gestiegene Studienneigung kommt das Berufsausbildungssystem immer stärker unter Druck. Wir müssen deshalb weg von dem Bild, dass in erster Linie akademische Abschlüsse anzustreben sind. Es muss das Motto gelten: Lieber eine ordentliche Berufsausbildung als ein schlechtes Studium. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen aber nicht das Studium schlechtreden, oder?) Wir erleben bereits heute, dass Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben. Unternehmen bekommen teilweise nicht eine einzige Bewerbung auf ausgeschriebene Lehrstellen. Gleichzeitig arbeitet jeder fünfte europäische Akademiker in einem Beruf, für den kein Studium notwendig wäre. Bis 2020 fehlen bis zu 1,4 Millionen Fachkräfte im technischen Bereich. Deswegen stärken wir mit dieser Reform das Berufsausbildungssystem. Wir motivieren, wir setzen Anreize, wir schaffen Erleichterungen durch Flexibilisierung, wir geben mehr Unterstützung, wir erhöhen die Förderung für das Meisterstück, und wir setzen Anreize durch einen Erfolgsbonus bei Bestehen der Prüfung. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir erhöhen auch den Unterhaltsbetrag und den Zuschuss für die Kinderbetreuung und berücksichtigen die Pflege von Angehörigen. Die beruflichen Aussichten für Lehrberufe sind gut, sie sind sogar sehr gut. Tausende Betriebe suchen in den nächsten Jahren einen Nachfolger. Wenn wir die Einkommensentwicklung bei Handwerksmeistern anschauen, dann stellen wir fest, dass der alte Satz stimmt: Das Handwerk hat goldenen Boden. Heute ist ein guter Tag für unser Land, ein guter Tag für die berufliche Ausbildung in Deutschland. Wir stärken die berufliche Bildung und sorgen dafür, dass Deutschland stark bleibt. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes. Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/7676, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf der Drucksache 18/7055 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/7695 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Änderungsantrag mehrheitlich abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Bei Enthaltung der Fraktion Die Linke ist der Gesetzentwurf damit in zweiter Beratung mit den übrigen Stimmen des Hauses angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Das wird reichen. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Auch das reicht. Damit ist der Gesetzentwurf mit dem gerade genannten Stimmenverhältnis, also mit Zustimmung der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke, angenommen. Ich schließe mich den mehrfach vorgetragenen Glückwünschen an alle Beteiligten gerne an. Unter Buchstabe b der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses auf der Drucksache 18/7676 empfiehlt dieser, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist bei Stimmenthaltung der Oppositionsfraktionen diese Beschlussempfehlung angenommen. Wir setzen die Abstimmungen zu den Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf der Drucksache 18/7676 fort und kommen unter dem Tagesordnungspunkt 19 b zu der Beschlussempfehlung unter Buchstabe c, die Ablehnung des Antrages der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/7234 zu beschließen; hier geht es um einen Antrag mit dem Titel „Durchlässigkeit in der Bildung sichern, Förderlücken zwischen beruflicher Bildung und Studium schließen“. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/7239 mit dem Titel „Bildungszeit PLUS – Weiterbildung für alle ermöglichen, lebenslanges Lernen fördern“. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist auch diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen. Damit kommen wir nun zum Tagesordnungspunkt 20: Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole Gohlke, Roland Claus, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Finanzierung der Wissenschaft auf eine arbeitsfähige Basis stellen – Bildung und Forschung in förderbedürftigen Regionen solide ausstatten Drucksache 18/7643 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 77 Minuten vorgesehen. – Auch dazu sehe ich keinen Widerspruch. Also können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Ralph Lenkert für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ralph Lenkert (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Linke beantragt, das gesamte Wissenschafts- und Forschungssystem, insbesondere in förderbedürftigen Regionen, auf solide Füße zu stellen. (Beifall bei der LINKEN) Das ist erforderlich, weil die Regierung von Union und SPD im Exzellenzwahn feststeckt. (Lachen bei der CDU/CSU) Ja, Spitzenforschung aus Deutschland wurde weltweit sichtbarer; das haben Sie erreicht. Aber dafür zehrt die Forschungsbasis von ihrer Substanz, und dieser Preis ist zu hoch. (Beifall bei der LINKEN) Lehrkräfte fehlen an Schulen und Hochschulen. Bibliotheken können neue Technik und Literatur, auch Onlineausgaben, nicht im notwendigen Umfang bereitstellen. Unser Wissenschafts- und Forschungsnachwuchs lernt in überfüllten Hörsälen und Laboren. Sie von der Koalition vernachlässigen die Basis, und damit gefährden Sie perspektivisch auch die Leistungen der Spitze. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Linke fordert in ihrem Antrag, die Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen insgesamt zu stärken. Ein gravierendes Problem ist die mangelnde Finanzkraft vieler Bundesländer. Das Kooperationsverbot im Bildungsbereich behindert die Beteiligung des Bundes bei der Schulfinanzierung. Das Kooperationsverbot gehört abgeschafft. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Simone Raatz [SPD]: Das stimmt!) Der bis 2020 befristete Hochschulpakt muss dauerhaft fortgesetzt werden. Die für 2017 geplante Erhöhung der Bundeszuschüsse zum Hochschulpakt begrüßt die Linke und fordert ab 2018 eine jährliche Steigerung um 3 Prozent. In Thüringen werden 2016 über 800 neue Lehrerinnen und Lehrer in die Schulen kommen. Bundesweit stellen die Länder Pädagogen ein. Aber es fehlt inzwischen massiv an Nachwuchskräften. Deshalb will die Linke 50 000 Studienplätze für die Ausbildung von Lehrkräften mit Bundesmitteln schaffen. (Beifall bei der LINKEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Aber wie wollen Sie das finanzieren?) Sie von der Union reden immer gern von der Industrie 4.0. Doch Sie vergessen: Industrie 4.0 verlangt einen höheren Anteil an bestausgebildeten Spezialisten. Warum schaffen Sie nicht die notwendigen Studienplätze? Die Linke weiß, dass im Sozialbereich, in der Verwaltung und auch bei der Integration deutlich mehr Fachkräfte benötigt werden. Deshalb wollen wir zusätzliche 80 000 Studienplätze für Fachkräfte im Sozialbereich, für kleine und mittlere Unternehmen, für Verwaltungen, für die Wissenschaft, für die Industrie und auch für die Integration ausländischer Studentinnen und Studenten schaffen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das ist ja ein 20-Jahres-Plan, den Sie hier auflegen!) Vor wenigen Wochen, Mitte Dezember, hatte die Koalition eine Verbesserung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes in der Größenordnung einer homöopathischen Dosis beschlossen. Sie haben versagt. Der Befristungswahnsinn mit sechs Einjahresverträgen eines Wissenschaftlers, der aber stets im gleichen Labor arbeitet, der Mangel an Dauerstellen, all das droht weiterzugehen, und das will die Linke verändern. (Beifall bei der LINKEN – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch!) Von unseren jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erwarten wir, dass sie die kulturelle und technologische Zukunft unseres Landes mitgestalten und entwickeln. Sie von der Union speisen 80 Prozent mit befristeten Verträgen ab und verhindern planbare Lebenswege. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist unwürdig und gefährlich. Wie sollen unter diesen Bedingungen unsere Hochschulen und Forschungsinstitute die klügsten Köpfe halten gegen die verlockenden Angebote aus Wirtschaft, Industrie und dem Ausland? (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Korrekt!) Hunderttausende Wissenschaftlerinnen und Doktoranden warten bisher vergeblich auf eine Verbesserung ihrer Zukunftschancen in Deutschland. Deshalb fordert die Linke ein zehnjähriges Anreizprogramm mit 100 000 unbefristeten Stellen an Hochschulen und Forschungseinrichtungen. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Kein Problem, Herr Lenkert! Machen wir!) – Schön. Ich freue mich darauf. Ein weiterer Punkt. Der Hochschulbau war bis 2006 eine im Grundgesetz verankerte Gemeinschaftsaufgabe. Sie wurde 2006 mit der Föderalismusreform abgeschafft. In drei Jahren laufen die als Ausgleich vereinbarten Kompensationsmittel des Bundes endgültig aus. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das wollten die Länder so!) Sollen dann die Bildungschancen von der Finanzkraft der Länder abhängen? Machen wir den Hochschulbau wieder zur Gemeinschaftsaufgabe, verankert im Grundgesetz. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Wettbewerbsförderalismus!) Anders kommt keine Chancengleichheit zwischen den Regionen zustande. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die rot-rot-grüne Landesregierung in Thüringen hat die Hochschulausstattung bereits 2015 um 40 Millionen Euro erhöht. Im Jahr 2017 wird die Linke in Thüringen zusammen mit SPD und Grünen den Hochschuletat um weitere 60 Millionen Euro – das sind 10 Prozent mehr – auf insgesamt 640 Millionen Euro steigern. (Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Und wie ist es in Brandenburg? – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Dann geht es den Ländern doch gar nicht so schlecht! Was jammern Sie denn!) In der Summe wachsen in Thüringen im Jahr 2017 die Bildungsausgaben um fast 300 Millionen Euro im Vergleich zu den Ausgaben der letzten CDU-geführten Landesregierung. Mehr kann der Freistaat Thüringen für unseren Fortschritt nicht stemmen, und anderen Bundesländern geht es ähnlich. Deshalb: Arbeiten Sie in den Ausschüssen mit an unserem Antrag. Die Bundesregierung muss endlich Verhandlungen mit den Bundesländern starten, um die Grundfinanzierung an Hochschulen und Forschungseinrichtungen solide und dauerhaft zu finanzieren. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Zukunft von Forschung und Wissenschaft in unserem Land und um eine Zukunft für den wissenschaftlichen Nachwuchs in der Bundesrepublik. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Stefan Kaufmann für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Simone Raatz [SPD]) Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag der Fraktion Die Linke, Herr Lenkert, ist für mich ein gutes Beispiel dafür, wie Wissenschaftspolitik nicht funktionieren kann. (Beifall bei der CDU/CSU) Der Bund soll unendlich große Milliardensummen zahlen; aber die Länder entscheiden. Für mich ist dieser Antrag deshalb einfach nur eine dreiste Wunschliste, nach dem Motto: Bezahlt mal alles, und wir machen das schon. – So geht es sicherlich nicht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Unter Punkt 4 wird beispielsweise – Sie haben es gesagt – ein Anreizprogramm für zehn Jahre für die Einrichtung von 100 000 unbefristeten Stellen an den Hochschulen gefordert. Ich habe einmal nachgerechnet: Bei angenommenen 50 000 Euro Personalkosten pro Stelle und pro Jahr inklusive Steuern und Sozialabgaben würden die Kosten bei sage und schreibe 5 Milliarden Euro pro Jahr liegen. Über zehn Jahre gerechnet würde die Umsetzung Ihrer Forderung Kosten in Höhe von 50 Milliarden Euro bedeuten. 50 Milliarden Euro – Herr Lenkert, ich glaube, Sie sehen selber, dass das keine seriöse und keine konstruktive Opposition sein kann. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Haben die noch nie gemacht!) Ich darf noch zwei andere Punkte aus Ihren Forderungen herausgreifen. Erstens. Sie fordern einmal mehr die Aufhebung des Kooperationsverbotes im Bildungsbereich. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Diese Forderung ist ja nun altbekannt; (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber richtig!) aber sie ist mit Blick auf die Kulturhoheit der Länder sowie der von Ihnen selbst angestrebten einseitigen finanziellen Mehrbelastung des Bundes zugunsten der Länder schlicht und einfach abzulehnen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Dekade Bildungsblockade! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gute Forderung!) – Herr Mutlu, Sie können noch so viel schreien, daran ändert sich nichts. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Dekade Bildungsblockade! – Zuruf des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Können wir uns darauf verständigen, dass im Augenblick der Kollege Kaufmann das Wort hat und die anderen nachher zu Wort kommen? (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat mich angesprochen, Herr Präsident!) Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU): Herr Mutlu, Herr Lenkert, zum Kooperationsverbot: Wer umfassende Mitfinanzierung fordert, übersieht, dass er sich damit auch gegen die Zuordnung von Verantwortlichkeiten stellt. Unklare Zuständigkeiten führen dazu, dass die Verantwortung abgeschoben wird und am Ende keiner das Problem löst, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Im Übrigen: Schon heute engagiert sich der Bund finanziell in der Bildung so stark und umfassend wie nie zuvor. Ich darf den Hochschulpakt, die Qualitätsoffensive Lehrerausbildung, den Qualitätspakt Lehre, den Pakt für Forschung und Innovation, die Exzellenzinitiative, auch die vollständige Übernahme der BAföG-Finanzierung durch den Bund, das Programm für Fachhochschulen usw. nennen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Angesichts der aktuellen Situation engagiert sich das BMBF in den nächsten Jahren außerdem mit rund 130 Millionen Euro zusätzlich für eine schnelle Integration von Flüchtlingen durch Bildung. Ich darf die Kompetenzfeststellungen, Lern-Apps und Lernbegleiter sowie die Förderung von Studienkollegs an Hochschulen nennen. Eine Änderung des Grundgesetzes wäre im Übrigen auch länderseitig gar nicht mehrheitsfähig. Die KMK-Präsidentin, die Bremer SPD-Senatorin Bogedan, hat sich anlässlich des Beginns ihrer Amtszeit öffentlich skeptisch zur Aufhebung des Kooperationsverbots geäußert, und ein Mitregieren des Bundes in der Schulpolitik will letztlich – das wissen Sie selber, Herr Lenkert – kein Land. Eine Zustimmung für reine Transferaktionen von Bundessteuereinnahmen zu den Bundesländern wird es mit uns jedenfalls nicht geben. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn wir Gelder für Schulen geben, dann nur, wenn wir auch die Schulpolitik mitgestalten können. Ich sehe nicht, Herr Lenkert, dass auch nur ein einziges Bundesland dazu seine Einwilligung gibt. Ich darf auch für den Hochschulbereich noch einmal klarstellen: Die Länder sind und bleiben auch nach Inkrafttreten der Änderung des Artikels 91 b des Grundgesetzes zu Beginn letzten Jahres für die Grundfinanzierung der Hochschulen zuständig. Bei dieser Aufgabe werden sie vom Bund bereits in erheblichem Umfang unterstützt. Um Ihnen einmal eine Größenordnung zu nennen: Im Rahmen des Hochschulpakts haben wir gemeinsam mit den Ländern notwendige zusätzliche Studienplätze geschaffen. Das sind über die gesamte Laufzeit des Paktes von 2007 bis 2023 immerhin 20,2 Milliarden Euro, die der Bund hier investiert. Vor diesem Hintergrund möchte ich noch einmal ausdrücklich sagen: Unsere Aufgabe als Bund ist es, über den Artikel 91 b des Grundgesetzes Strukturen unserer Wissenschaftslandschaft in Deutschland zukunftsfest zu machen und nicht etwa Strukturpolitik zu betreiben und strukturschwache Regionen über Bundesmittel zu fördern, lieber Herr Kollege Lenkert. (Beifall bei der CDU/CSU) Sollen die Länder doch bitte erst einmal ihre Hausaufgaben selber machen. Wir haben es hier schon mehrmals debattiert: Seit dem letzten Jahr entlasten wir, entlastet der Bund die Länder durch die vollständige Übernahme der BAföG-Kosten jährlich und dauerhaft um immerhin 1,2 Milliarden Euro – Mittel, die sie gemäß der politischen Vereinbarung insbesondere auch für die Hochschulen einsetzen sollen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Selten eine so schlechte Vereinbarung gesehen!) Dass das nicht immer so klappt, haben wir am Beispiel Niedersachsen gesehen. Weitere neue Spielräume – auch das darf ich heute noch einmal sagen – entstehen bei den Ländern, weil der Bund seit Beginn des Jahres 2016 im Rahmen des Pakts für Forschung und Innovation III den jährlichen Aufwuchs in den Haushalten der außeruniversitären Forschungseinrichtungen allein trägt. Die Länder haben also langfristig erhebliche zusätzliche Mittel zur Verfügung, die insbesondere auch den Hochschulen zugutekommen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU) Gleichzeitig, meine Damen und Herren, stehen die Länder finanziell so gut da wie selten zuvor. Im neuen Monatsbericht des Finanzministeriums von letzter Woche – ganz aktuell – können wir nachlesen, dass die Länder für 2015 zwar mit einem Gesamtdefizit von 6,8 Milliarden Euro gerechnet haben, aber tatsächlich – und jetzt bitte genau zuhören – zu einem Haushaltsüberschuss von 2,8 Milliarden Euro gekommen sind. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Oi, oi!) Das heißt, wenn die Länder ihre Prioritäten richtig setzen würden, müssten die Hochschulen eigentlich im Geld schwimmen. Das Geld jedenfalls ist da, wenn man die richtigen Prioritäten setzt, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU) Der zweite Punkt – das haben Sie gerade angesprochen, lieber Herr Lenkert – ist: Sie fordern allen Ernstes die Beendigung der erfolgreichen und international vielfach nachgeahmten Exzellenzinitiative. Dazu möchte ich Ihnen einmal Folgendes sagen. Die Exzellenzinitiative hat – das hat jüngst ja auch der Imboden-Bericht der internationalen Expertenkommission festgestellt – (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen Sie eigentlich damit?) in sehr erfolgreicher Art und Weise eine neue Dynamik in das deutsche Wissenschaftssystem gebracht. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was folgt für Sie daraus?) Die Weiterentwicklung der Exzellenzinitiative, über die wir ja derzeit verhandeln – wir hoffen, dass wir sie im Juni abschließen können –, soll nun die Voraussetzungen dafür schaffen, ausgewählte deutsche wissenschaftliche Spitzenzentren in der internationalen Champions League langfristig ganz nach vorn zu bringen. Das schaffen wir aus Sicht der Unionsfraktion eben nicht mit einer Förderung nach Proporz oder gar nach dem Gießkannenprinzip – wie es andere Parteien hier im Haus ja gern fordern –, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meinen Sie die SPD? – Gegenruf des Abg. Dr. Karamba Diaby [SPD]: Nein, das hat er nicht gesagt!) sondern nur mit einem klaren Bekenntnis zur Exzellenzförderung. Selbst der von Ihnen gerne angeführte OECD-Bildungsdirektor Schleicher sagte in einem Interview auf die Frage: „Braucht Deutschland Elite-Universitäten?“ – ich darf zitieren –: Darüber kann kein Zweifel bestehen. Jeder Staat braucht Spitzenleistungen, die entsprechend gefördert werden müssen. Diese werden den Erfolg der Staaten entscheidend bestimmen. Kein Industriestaat kann sich darauf ausruhen, bei Produktion oder Optimierung gut zu sein, das werden andere Staaten übernehmen. Ich darf an dieser Stelle auch noch einmal Jan-Hendrik Olbertz, den ehemaligen Präsidenten der Humboldt-Universität, zitieren. Er hat es jüngst in einer Podiumsdiskussion richtig auf den Punkt gebracht. Er hat nämlich gesagt: „Exzellenz für alle wäre eine Parodie.“ Aber vielleicht, lieber Herr Lenkert, wollen Sie ja zurück zu alten DDR-Zeiten. Dort sagte man ja voller Überzeugung: In der Breite sind wir Spitze. – Auch das ist letztlich eine Parodie, und das machen wir nicht mit, lieber Herr Kollege Lenkert. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, wer von den anderen immer nur Wein fordert und selbst nur Wasser gibt, ist wenig glaubhaft. Deshalb habe ich mir einmal die Daten zu Brandenburg – nicht Thüringen, das Sie gerade als Beispiel zitiert haben, sondern Brandenburg –, einem Land, in dem Sie immerhin den Finanzminister stellen, im Bildungsfinanzbericht des Statistischen Bundesamtes angeschaut. Von allen ostdeutschen Bundesländern hat Brandenburg die geringste Grundfinanzierung pro Studierenden, nämlich nur ungefähr 5 600 Euro jährlich. Selbst das finanzschwache Sachsen-Anhalt gibt 7 100 Euro pro Studierenden jährlich aus. Also: Schauen Sie einmal nach Brandenburg und nicht nur nach Thüringen. (Beifall bei der CDU/CSU) Im Rahmen der öffentlichen Bildungsausgaben gibt Brandenburg im Übrigen den geringsten Prozentsatz, nämlich nur etwa 10 Prozent, für die Hochschulen aus. Alle anderen Länder geben hier zum Teil doppelt so viel für ihre Hochschulen aus. Und vor gar nicht allzu langer Zeit – auch darauf möchte ich noch einmal hinweisen – wollte die rot-rote Landesregierung in Brandenburg ihren Hochschulen auch noch die eingesparten Rücklagen in Höhe von 10 Millionen Euro wieder wegnehmen, die die Hochschulen mühsam aufgebaut hatten, um langfristige Projekte zu finanzieren. Das ist die Politik, für die Sie hier stehen, Herr Lenkert, und das sollten Sie auch einmal ehrlich sagen. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Wer hat denn die Brandenburger Hochschulen so schlecht vorbereitet?) Meine Damen und Herren, kommen Sie also von Ihrem hohen Ross herunter, und kehren Sie erst einmal vor der eigenen Haustür. Das ist meine Bitte, meine Aufforderung an Sie. Beenden Sie Ihre Traumtänzerei, und hören Sie endlich damit auf, zwei- oder dreistellige Milliardensummen hier im Haus zu fordern, die dann nach dem Gießkannenprinzip auf die Länder verteilt werden sollen. Meine Damen und Herren, so geht ernsthafte Opposition im Bund nicht. Deshalb bitte ich Sie herzlich, diesem Antrag nicht zuzustimmen. Danke sehr. (Beifall bei der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Okay! Dann machen wir das nicht!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Kai Gehring für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Ich vermute einmal, er wird jetzt vorführen, wie Opposition richtig geht. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mal schauen. – Danke, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Wissenschaftsfinanzierung in Deutschland braucht ein Upgrade für mehr Zukunfts- und Innovationsfähigkeit. Die Linke hat Vorschläge gemacht, wir Grünen haben Vorschläge gemacht. Wenn Sie von Union und SPD damit nicht einverstanden sind, dann legen Sie doch einfach eigene Vorschläge für eine neue Gesamtarchitektur der Wissenschaftsfinanzierung in Deutschland vor. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) So lang ist die Legislatur ja nicht mehr. Langsam wird es höchste Zeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Da fehlt denen die Exzellenz!) Seit Monaten dreht sich die Wissenschaftsdebatte um die Frage, wie die Exzellenzinitiative weitergeht. Vor vier Wochen hatte die Imboden-Kommission einen hervorragenden Bauplan dafür vorgelegt. Auf die zwei Förderlinien Exzellenzcluster und Exzellenzprämie zu fokussieren, ist eine wegweisende Grundlage für Bund und Länder; da sind wir uns mit unseren drei grünen Wissenschaftsministerinnen einig. Der Zeitdruck für die Einigung ist groß. Heute in acht Wochen muss die Vereinbarung stehen. Umso unverständlicher ist doch, dass Bundesministerin Wanka zu ihrem Exzellenzplan komplett schweigt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich kann mir kaum vorstellen, dass sie keinen hat. Wenn Frau Wanka den Unis das Exzellenzkrönchen selbst aufsetzen will, anstatt die Wissenschaft entscheiden zu lassen, dann soll sie das doch wenigstens sagen. Aber zu schmollen, den sehr guten Imboden-Bauplan in die Schublade zu legen (Zuruf von der CDU/CSU: Das macht doch keiner!) und zur drängenden Überbrückungsfinanzierung für die bisher geförderten Unis und Cluster zu schweigen, ist einfach ein Unding. Frau Wanka muss raus aus dem Hinterzimmer und muss ihre Exzellenzpläne im Parlament vorstellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Spitzenförderung ist aber nur ein Aspekt der Wissenschaftsfinanzierung von Bund und Ländern. Eine neue Architektur ist seit Jahren überfällig; denn das Verhältnis zwischen Grundfinanzierung der Hochschulen und Drittmittelförderung ist immer weiter aus der Balance geraten. Als größter Drittmittelgeber hat der Bund daran einen Löwenanteil. Obwohl der Bund die Hochschulen seit der Verfassungsänderung zum 1. Januar 2015 dauerhaft finanzieren könnte, setzen Union und SPD vorrangig auf Wettbewerb und auf Projektförderung. Dass das nicht gut ist, wissen Union und SPD sogar. Der Erkenntnis muss aber auch konkretes politisches Handeln folgen. Genau das verlangt die linke und grüne Opposition von Bundesregierung und Koalitionsfraktionen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Worum muss es bei der neuen Wissenschaftsfinanzierung gehen? Erstens um den Hochschulpakt. Die Bund-Länder-Vereinbarung dazu läuft bis 2020. Auch künftig werden viele junge Leute aus dem In- und Ausland in Deutschland studieren, und das ist klasse. Deswegen wollen wir den Hochschulpakt verstetigen und die Ausgaben pro Studienplatz auf OECD-Durchschnitt anheben. Das stärkt die Grundfinanzierung der Hochschulen, das sichert Studienplätze und Arbeitsplätze, das bringt bessere Lehre und Studienbedingungen, eine höhere Finanzierungssicherheit und Planbarkeit für Universitäten und Fachhochschulen in strukturschwachen wie in strukturstarken Regionen. Also: Nicht zögern, sondern machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Zweitens: Ausbau und Modernisierung der Infrastrukturen des Wissens. Bröckelnde Bauten und marode Labore passen nicht zu einer Innovationsnation Deutschland. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schon jetzt gibt es einen erheblichen Sanierungsstau an den Hochschulen. Den müssen wir beheben und einem weiteren Substanzverlust vorbeugen. Wir sagen ganz klar: Bauten und Ausstattung an Universitäten und Fachhochschulen müssen auf die Höhe der Zeit gebracht werden: von den Hörsälen bis zu den Bibliotheken, von den digitalen Infrastrukturen über Forschungsgeräte bis hin zu den Wohnheimplätzen. Also: Nicht zögern, sondern machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Drittens: Entlastung der Länder bei der Forschungsfinanzierung. Wir wollen den Finanzierungsschlüssel der Leibniz-Gemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft ändern. Statt fifty-fifty soll der Bund künftig 70 Prozent (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) und das jeweilige Land 30 Prozent der Finanzierung übernehmen. (Beifall bei der LINKEN) Im Gegenzug müssen sich die Länder verbindlich verpflichten, die gewonnenen Spielräume eins zu eins für die Grundfinanzierung der Hochschulen zu nutzen. Hier wäre es angebracht, eine gute Vereinbarung zu treffen; das haben sie bei den BAföG-Mitteln nicht geschafft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zudem müssen die Programmpauschalen im Hochschulpakt und für die Forschungsförderung durch die Bundesressorts erhöht werden. Also: Nicht zögern, sondern machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wir haben in Deutschland eine unheimlich vielfältige Forschungs- und Hochschullandschaft mit vielen großartigen kreativen Köpfen. Diese kreativen Köpfe wollen unsere Gesellschaft voranbringen. Sie wollen Lösungen für die großen gesellschaftlichen Herausforderungen entwickeln, und sie wollen mit Sicherheit gut forschen. Deswegen warten die Wissenschaftler aller Generationen genauso sehnsüchtig wie wir in der Opposition auf den mehrmals von Frau Wanka angekündigten Nachwuchspakt für neue Stellen an den Hochschulen. Davon hört man seit Monaten nichts mehr. Man braucht ihn aber dringend; denn es braucht dringend mehr Dauerstellen, vom Mittelbau bis zur Tenure-Track-Professur. Also: Nicht zögern, sondern machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bund und Länder müssen einen klugen Rahmen für gute Wissenschaft setzen und eine neue schlüssige Gesamtarchitektur für die Wissenschaftsfinanzierung in Deutschland auf den Weg bringen, und das am besten noch in dieser Wahlperiode. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Der Kollege Ernst Dieter Rossmann hat für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dem Antrag der Grünen darf man nicht vorwerfen, dass er nicht sehr ausschweifend sei. (Dr. Simone Raatz [SPD]: Der Linken!) – Entschuldigung, der Linken. – Er ist wirklich zu ausschweifend. Ich glaube, Herr Kaufmann, Sie sind in Ihrer Kritik sehr präzise auf vieles eingegangen. Wenn ich nur mit einer Hand geklatscht habe – das ist nicht so gut zu hören –, dann nur, weil Sie an vielen anderen Stellen Positionen eingenommen haben, die wir Sozialdemokraten nicht teilen können. In Bezug auf die Grünen fällt uns auf: Ja, Opposition darf drängeln, aber Opposition muss nicht alles verdrängen; denn tatsächlich gibt es einen Hochschulpakt, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, bis 2020!) der sehr gut dotiert ist, der von Bund und Ländern gemeinsam finanziert wird. Es gibt einen Beschluss der Koalitionsfraktionen, 1 Milliarde Euro zusätzlich für den wissenschaftlichen Nachwuchs zu mobilisieren. Wir haben das Wissenschaftszeitvertragsgesetz in einer Weise novelliert, die viel Resonanz, auch in der jungen Wissenschaft, findet. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Auch die BAföG-Reform – einschließlich des zusätzlich mobilisierten Volumens – ist ja nicht die schlechteste Reform gewesen. Insofern möchte ich in dieser Situation mit den Kolleginnen und Kollegen in einen Dialog eintreten, anstatt wechselseitig draufzuhauen, und ein paar Schwerpunkte setzen. Kollege Kaufmann, ja, man kann in Bezug auf die Bund-Länder-Zusammenarbeit und das Kooperationsverbot verschiedener Auffassung sein. Aber man muss natürlich aufpassen, in welche Widersprüche man sich verwickeln kann, wenn man sagt, dass es doch immer am besten ist, wenn es klare Verantwortlichkeiten gibt. Denn gleichzeitig sind wir stolz darauf, dass wir zum Beispiel bei der Absicherung der außeruniversitären Forschungseinrichtungen eine gemeinsame Verantwortlichkeit bis in die Finanzierung hinein haben, dass Bund und Länder zu jeweils 50 Prozent am Hochschulpakt beteiligt sind und es funktioniert, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo Herr Rossmann recht hat, hat er recht!) dass auch an anderen Stellen, zurzeit beim Gesamtkonzept zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, Bund und Länder zusammenkommen. Es ist ja auch nicht so, dass es keine gemeinsame Verantwortung von Bund und Ländern in Bezug auf den Strukturausgleich gäbe. Er ist vielleicht nicht in Artikel 91 b des Grundgesetzes angesiedelt; aber in Artikel 104 b des Grundgesetzes ist er ausdrücklich angesiedelt. Das entspricht der Linie, von der die Sozialdemokratie Sie gerne weiter überzeugen möchte, vielleicht auch in Bezug auf die aktuell und langfristig wichtige Zukunftsaufgabe der Integration; hier könnte man eine neue Gemeinschaftsaufgabe schaffen. Umgekehrt sind wir ganz bei Ihnen, wenn Sie sich dagegen wehren, vom Prinzip des Wettbewerbs abzuweichen. Die Linken haben irgendwie ein ungeklärtes Verhältnis zum Prinzip des Wettbewerbs in der Wissenschaft; sie haben es nicht aufgearbeitet. Die wichtigste gemeinsame Institution von Bund und Ländern in der Wissenschaft ist die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die DFG. Aber die DFG organisiert nichts anderes als ein wettbewerbsgeleitetes Auswahlverfahren bei der Suche nach Wahrheit. Dazu müssten sich die Vertreterinnen und Vertreter der Linken einmal im Grundsatz erklären. Sie müssten erklären, ob sie glauben, dass Wahrheitssuche außerhalb eines wissenschaftsgeleiteten Wettbewerbs zu besseren Ergebnissen führt als eine Suche nach der besten Wahrheit im Wettbewerb, im Rahmen einer Auseinandersetzung in verschiedenen Projekten, über Peer Reviews und anderes. Ich finde, da müssen Sie langsam bei Ihrem eigenen Denken – bis hinein in Ihre Anträge – zu einer Frontbegradigung kommen. (Zuruf von der LINKEN) Denn Sie können nicht in drei Landesregierungen – früher Mecklenburg-Vorpommern, jetzt Thüringen und Brandenburg – all dies mittragen, auch das wettbewerbsgeleitete Prinzip der Deutschen Forschungsgemeinschaft – Sie stellen es nicht infrage –, aber in Bezug auf die Exzellenzinitiative Scheuklappen haben, als ob das, was bei der DFG gut ist, bei der Exzellenzinitiative auf einmal schlecht ist. Diese Begradigung sollten Sie erst recht vornehmen, wenn Sie aufmerksam einer guten Anhörung zur Imboden-Kommission in Sachen Exzellenz gefolgt sind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Man darf sich doch nicht selbst in der Wissenschaft in Deutschland unmöglich machen. Aber Sie sind leider auf dem besten Weg dorthin, sich als Partner in der deutschen Wissenschaft unmöglich zu machen. Das bekommt Ihrer Sache nicht gut. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die Exzellenzinitiative ist angesprochen worden; darauf möchte ich mich konzentrieren. Die Vorbereitung eines gemeinsamen Pakts zwischen Bund und Ländern – auch dort stehen wieder beide zusammen in der Verantwortung; es gibt dort keine geteilte Verantwortung, Herr Kaufmann – ist jetzt in einem entscheidenden Stadium. Ich will zumindest für die sozialdemokratische Seite sagen, was wir den guten Ergebnissen der Imboden-Kommission in Bezug auf das Instrument der Exzellenzinitiative, die Edelgard Bulmahn mit anderen zusammen seinerzeit für Rot-Grün auf den Weg gebracht hat, entnehmen. Wir entnehmen, dass es wichtig ist, ein wissenschaftsgeleitetes Verfahren beizubehalten. Wir entnehmen, dass es wichtig ist, den Wettbewerb weiterhin in einem wissenschaftsgeleiteten Verfahren zu organisieren. Wir entnehmen, dass es wichtig ist, die Exzellenzcluster auszubauen, die das Fundament besonderer Exzellenz an den vielen Hochschulen quer durch die Republik stärken sollen. Wir entnehmen auch, dass es gut ist, wenn wir erkennbare Spitzenuniversitäten haben. Dabei unterscheidet sich unser Ansatz von dem, was bisher von den Grünen in die Diskussion gebracht worden ist. Auch Professor Imboden geht von einem einzigen Indikator aus. Dies ist aber unterkomplex. Wir können hier aus der Anhörung den hoch anerkannten Vorsitzenden des Deutschen Wissenschaftsrates, Professor Prenzel, zitieren, der von den Institutionen, die als Leuchttürme nach Deutschland und Europa ausstrahlen wollen, strategische Konzepte und vor allem auch eine Perspektive geradezu einfordert, weil diese mit Blick auf die Zukunft die Leistungsfähigkeit und die Attraktivität der Wissenschaft an den deutschen Hochschulen erhöhen. Nur aus dem Ex-post, also aus dem, was man früher an Förderung bekommen hat, leitet sich nicht automatisch eine Perspektive ab, auch wenn es natürlich ein Kriterium unter mehreren sein kann, genauso wie die Verankerung von Exzellenzclustern ein Kriterium werden muss. Wichtig ist jedenfalls: Wir müssen in diesem Zusammenhang komplexer denken. Wir sollten uns auch nicht klein machen. Professor Imboden hat gemeinsam mit seiner hoch ehrenwerten Kommission ausdrücklich festgestellt, dass es bei uns mehr als sehr wenige spitzenleistungsfähige Universitäten gibt. Deshalb sagen wir: 10 Universitäten plus x – das ist das Maß, aus dem in Deutschland Strahlkraft gewonnen werden kann, aus dem weitere Perspektiven gewonnen werden können. Natürlich soll es Maßnahmen der Überleitung geben. Es soll Anerkennung für diejenigen geben, die bisher in einer ersten Wettbewerbsphase waren. Wir wünschen uns und wir sind uns ziemlich sicher, dass wir an dieser Stelle ein sehr gutes Ergebnis erzielen werden. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wissen Sie denn, was Frau Wanka will? – Gegenruf der Abg. Dr. Simone Raatz [SPD]: Das ist geheim!) – Kollege Gehring, Sie fragen danach, was die Ministerin will. Man darf in jedem Fall sagen: Die Ministerin will ein sehr gutes Ergebnis. (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Genau!) Ich darf für die Sozialdemokratie sagen: Die Strukturen, innerhalb derer wir uns das Ergebnis wünschen, haben wir immer transparent gemacht. Am Ende werden wir uns umso mehr freuen, wenn das Ergebnis zügig vorliegen wird (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir verhandeln konstruktiv!) und in dem Ergebnis viel von dem enthalten ist, was Professor Imboden vorgeschlagen hat; denn es gibt hier eine große Übereinstimmung mit dem, was wir vorgeschlagen haben. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Wir können uns nicht vorstellen, dass das Ergebnis ein ganz anderes sein könnte. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach!) Wir glauben: Wenn wir hier gemeinsam zügig zu einem Ergebnis gekommen sind, dann werden wir auch beim Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs zügig vorankommen; denn das ist ein weiterer Baustein. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Rossmann. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Mein letzter Punkt an die Abgeordneten der CDU/CSU. Dies wird gewiss nicht die allerletzte Diskussion über das Kooperationsverbot sein. Wir werden diese aber sehr sachlich, konstruktiv und hoffentlich sehr überzeugend und gewinnend weiterführen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Kollegin Alexandra Dinges-Dierig hat nun das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Simone Raatz [SPD]) Alexandra Dinges-Dierig (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste auf den Tribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, ich kann es Ihnen nicht ersparen, dass Sie das eine oder andere jetzt noch einmal hören werden. Mit Blick auf die Zukunft sage ich: Das wird bestimmt auch nicht das letzte Mal sein. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Das sind wir von Ihnen gewohnt, dass nichts Neues kommt! – Gegenruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wer nichts Neues bringt, kriegt keine neuen Antworten!) Als ich Ihren Antrag gelesen habe und noch einmal gelesen habe, hat es mir ehrlich gesagt – ich sage das so salopp – fast die Schuhe ausgezogen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Nicht nur Ihnen, Frau Kollegin!) Ich könnte auf viele Einzelforderungen aus Ihrem Antrag eingehen, ich könnte Ihnen gewichtige Argumente entgegenbringen. Herr Rossmann hat gesagt, er glaubt an eine Weiterentwicklung der Linken. Ich bin mir nicht mehr ganz so sicher; denn durch Ihren gesamten Antrag zieht sich – deshalb glaube ich, dass einzelne Argumente Sie nicht überzeugen werden – ein Staatsbild, das ich persönlich als zentralistisch beschreiben würde. Sie wollen – das haben Sie nicht nur an einer Stelle deutlich gemacht – den übermächtigen Bund, Sie wollen die schwachen und machtlosen Länder. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Stärken!) In Ihrem Antrag bezeichnen Sie die Länder – wie haben Sie es geschrieben? – als eine Art Getriebene einer gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, die Sie nicht nur für das Wissenschaftssystem als schädlich ansehen. Aus eigener Erfahrung kann ich Ihnen sagen: So verstehen sich die Länder nicht, so haben sie sich nie verstanden, und so werden sie sich auch nie verstehen. (Zuruf der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]) Vor circa zehn Jahren gab es sehr lange Diskussionen über die Föderalismusreform. Gerade den Ländern war es wichtig, zwischen ihnen und dem Bund klare Regelungen zu Entscheidungsgewalt und Verantwortung zu treffen; der Kollege Stefan Kaufmann hat es schon ausgeführt. Warum war ihnen das so wichtig? Das war ihnen so wichtig, weil sie schneller und besser eigene politische Akzente setzen wollten. Sie wollten in ihren Haushalten Schwerpunkte setzen, ohne dass der Bund ihnen sagt, wo die Schwerpunkte liegen sollen. Sie wollten durch kluge politische Entscheidungen in den Wettbewerb eintreten und sich dort durchsetzen, und zwar nicht nur in einen Wettbewerb mit anderen Ländern – sonst hätten wir PISA ohnehin nicht gemacht –, sondern in einen Wettbewerb mit anderen Regionen Europas und der Welt. Betrachte ich die Ergebnisse der letzten zehn Jahren, kann ich sagen: Sie können sich im Durchschnitt sehen lassen. Schauen Sie sich die Ergebnisse an, die wir im Schulbereich haben, ob es nun PISA oder PISA-E ist! Schauen Sie sich die internationale Sichtbarkeit unseres Wissenschaftssystems an! Schauen Sie sich die Berichte an: „Bildung auf einen Blick“ – selbst die OECD hat es inzwischen verstanden – oder den Bildungsmonitor. Im Schnitt sehen Sie überall eine dynamische, wirklich recht gute Entwicklung. (Beifall bei der CDU/CSU) Aber ich sage auch: Wir haben noch Luft nach oben. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr viel Luft nach oben!) – Wir nutzen sie, lieber Kollege Mutlu. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hoffentlich werden Sie nicht atemlos!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Wettbewerb – das ist auch so ein Reizwort für Sie – ist für Sie von der Linken offensichtlich kein Anreizsystem. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Wenn es falsche Anreizsysteme sind! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das hängt mit dem Sozialismus zusammen!) Sie gehen davon aus, dass Sie durch die gleiche Verteilung von Finanzen in ein differenziertes Bildungs- und Wissenschaftssystem gute Perspektiven für die Generation von morgen schaffen. Sie gehen zum Beispiel auch davon aus, dass durch die nahezu vollständige Umwandlung befristeter Stellen in feste Stellen die Chancen für den wissenschaftlichen Nachwuchs steigen. (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Können Sie mal etwas zu Ihrer Position sagen?) Das, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, ist nachweisbar falsch. Das zeigt uns nicht nur die Geschichte. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Nur weil es nicht Ihr Weltbild ist, ist es nicht falsch!) Ich sage Ihnen, was Sie mit der Umverteilung und der Beseitigung von Wettbewerb schaffen: (Zuruf von der LINKEN: Von Ihnen lassen wir uns gar nichts sagen!) Statt dynamischer Spitzenentwicklung schaffen Sie überregionale Mittelmäßigkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Statt Internationalität schaffen Sie Nationalität – verbunden mit dem Verlust der besten Köpfe. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Die guten Leute gehen ins Ausland! Das wissen Sie doch!) Sie schaffen Starrheit im Forschungssystem; denn die Stellen sind dann über 30 Jahre besetzt. Sie schaffen einen Rückgang der Innovationen. Ich kann Ihnen sagen, was die Folge ist: Arbeitsplatzverlust, Wohlstandsverlust, Schwächung der Gesellschaft und der Wirtschaft – genug Material, um eine Horrorgeschichte zu schreiben. Ich sage Ihnen eines: Das werden Sie mit der CDU/CSU nicht schaffen. (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin, darf der Kollege Lenkert eine Zwischenfrage stellen? Alexandra Dinges-Dierig (CDU/CSU): Heute ausnahmsweise nein, lieber Kollege. Sehr geehrte Damen und Herren, das Grundgesetz ist, glaube ich, überdeutlich. Aufgaben der Länder sind all jene, die das Grundgesetz nicht dem Bund zuschreibt. Dazu stehen wir als CDU/CSU heute und auch morgen. Bildung und Wissenschaft sind dabei im Grundsatz ganz klar, so wie es die Länder wollten, Aufgabe der Länder. Ich sage ganz eindeutig: Wer für die Verantwortung für Bildung und Wissenschaft gekämpft hat, muss sich jetzt auch um eine auskömmliche Grundfinanzierung kümmern. Darauf werden wir achten. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Da sind wir so froh gewesen, den Artikel 91 b geändert zu haben!) Meine Damen und Herren, bei ausgewählten Zielen arbeiten und finanzieren Bund und Länder im Bewusstsein der klaren Verfassungslage gemeinsam. Es gibt kein Verbot der Zusammenarbeit, wie Sie uns immer glauben machen wollen; wir haben es an vielen Stellen gehört. Ja, es knirscht manchmal in der Zusammenarbeit. Ja, wir streiten uns auch. Aber sicher, ganz sicher wird die Zusammenarbeit an der einen oder anderen Stelle verbessert werden, auch wenn wir uns weiter vehement für gegensätzliche Positionen einsetzen. Ich halte das übrigens für eine sehr gute Sache, wenn es darum geht, den wahren Weg zu finden. Eines aber geht nicht. Damit, denke ich, Herr Lenkert und liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir uns vielleicht doch noch einmal viel intensiver auseinandersetzen müssen. Mir ist bis heute wirklich nicht klar, warum Sie unbedingt – Sie sehen darin den Schlüssel zur Besserung – Aufgabenbereiche der Länder in die Zuständigkeit des Bundes ziehen wollen. Ich sehe darin überhaupt keinen Schritt in Richtung Fortschritt. Gerade im Bildungs- und Wissenschaftsbereich müssen Entscheidungen nah an den Orten gefällt werden, an denen Bildung und Wissenschaft entstehen, und nicht weit weg davon. Deshalb haben die Diskussionen vor zehn Jahren genau dieses Ergebnis gehabt. Man wollte die Dezentralisierung ganz bewusst. Das hat sich bis heute nicht geändert. Sprechen Sie mit Ihren Kollegen aus Brandenburg und Thüringen! (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Es geht um die Finanzierung! Das ist doch nicht so kompliziert!) Es ist völlig außer Frage, dass es irgendwie in eine andere Richtung geht. Jetzt schauen Sie sich doch einmal den Haushaltsplan des Bundes an! Was ist in den letzten zehn Jahren passiert? Es wurden Prioritäten gesetzt. Es wurden Schwerpunkte gebildet. Das müssen auch die Länder tun, und das können sie tun. Schauen Sie sich die im Bereich Bildung und Wissenschaft erfolgreichen Länder an! Die kämpfen in den Haushaltsberatungen für die Priorität von Bildung und Wissenschaft. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das können wir von den Ländern verlangen. Gepaart mit der Prioritätensetzung des Bundes wird das zu einer Ausstattung aller Regionen führen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Anträge bieten immer wieder die Gelegenheit, gewisse Dinge gebetsmühlenartig zu wiederholen. Deshalb sage ich es an dieser Stelle noch einmal: Wir als CDU/CSU-Fraktion wollen starke und selbstbewusste Länder; wir wollen starke und selbstbewusste Wissenschaftseinrichtungen; wir wollen, dass diese auch in Zukunft ihre Entscheidungen eigenverantwortlich treffen, im Wettbewerb mit allen anderen. Wenn diese Rahmenbedingungen gegeben sind, dann werden wir als Bund in Zukunft immer als Partner für sie zur Verfügung stehen, und wir werden noch stärker werden, als wir es jetzt schon sind. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Simone Raatz [SPD]) Vizepräsident Johannes Singhammer: Das Wort hat nun der Kollege Lenkert für eine Kurzintervention. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Kollegin Dinges-Dierig, warum wir die Länder stärken wollen, liegt auf der Hand: Ihnen fehlen einfach die finanziellen Mittel, um mehr zu leisten, als sie im Moment leisten. (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Da hat er leider recht!) Das ist so. Wenn man sich das Gefeilsche ansieht, wenn es um die Regionalisierungsmittel geht – das ist ein anderes Thema – und wenn es um den Bund-Länder-Finanzausgleich geht, dann sieht man ganz deutlich – das sehen auch Ihre Länder –, dass die Gelder für alle Aufgaben nicht reichen. Deswegen brauchen die Länder Unterstützung. (Beifall bei der LINKEN) Warum fordern wir vehement eine Förderung in der Breite? Ich komme aus der Industrie. Kennen Sie noch die vielen Fernsehhersteller, die es in den 60er- und 70er-Jahren in der Bundesrepublik gab? Die sind nicht mehr da. Warum? Die haben sich irgendwann festgelegt, dass sie nur noch für die Spitze produzieren wollen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich dachte immer, dass man im Internet Fernsehen guckt!) Dann sind sie von den anderen über die Breite weggerollt worden. Es gibt eine Branche, die nach wie vor erfolgreich ist: Das ist die Automobilindustrie. Die hat niemals die Masse aufgegeben, sie hat die Basis gehalten. Damit Sie diesen Fehler in der Wissenschaftslandschaft nicht wiederholen, fordern wir von Ihnen, die Basis zu stärken, und zwar umgehend, damit wir weiterhin einen guten Forschungsstandort haben. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Dinges-Dierig, wollen Sie darauf erwidern? (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber bitte nicht zum Thema TV! – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sprich zum Thema Trabant, warum der endlich weg ist vom Markt!) Alexandra Dinges-Dierig (CDU/CSU): Lieber Kollege Lenkert, ich widerspreche eindeutig Ihrer Aussage, dass die Länder nicht die finanziellen Mittel haben. (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Karamba Diaby [SPD]: Haben sie aber nicht, Frau Kollegin!) Sie müssen sie nur nutzen. Ich nenne ein Stichwort: BAföG. Wir haben gesehen, wie die Länder mit Geldern umgehen, die eigentlich dem Bereich Wissenschaft und Forschung gehören. Ich erwarte, dass sie in Zukunft diese Priorität setzen. Dann werden wir sie unterstützen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Das Wort hat jetzt der Kollege Roland Claus für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Roland Claus (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erneut nehme ich von der Union ein Feindbildgebaren wahr, nach dem Motto: Der Hauptfeind steht in 16 Ländern. – So geht es wohl nicht, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) Deutschland lebt sich auseinander, nicht nur im Hochschul- und Bildungsbereich, aber in diesem ganz besonders. Da wächst schon lange nicht mehr zusammen, was zusammengehört. Die sozialen Unterschiede wachsen. Ballungszentren und ländliche Räume erscheinen nicht mehr als Teile einer gesamten, konsistenten Entwicklungslogik. Auch in der Wissenschaft driften Spitzenunis und der Fachhochschulsektor auseinander. Gerade in förderbedürftigen Regionen sind Hochschulen aber Motoren für eine positive Entwicklung. Ich nutze die Gelegenheit, auf diesen kleinen Unterschied aufmerksam zu machen: In der alten Tagesordnung werden diese Regionen als „strukturschwache“ Regionen bezeichnet. Das klingt ein bisschen nach: Nur schnell weg von dort! Wir haben jetzt den Begriff „förderbedürftig“ eingeführt, weil das für Werbung, für Werbung für Veränderungen steht. (Beifall bei der LINKEN) Wer Deutschland zusammenhalten will, wer ein solches Auseinanderdriften nicht einfach hinnehmen kann – man kann das politisch natürlich machen und sagen: das ist jetzt mal so –, wer das überwinden will, sollte sich diesem Ansatz nicht verschließen. Das ist genau der Kern unseres heutigen Antrags. Weil Sie hier die Finanzierungsfrage hervorgehoben haben: Der Bund hat 2015 das Fünffache des Überschusses aller Bundesländer erzielt. Diese Tatsache können Sie doch nicht ausblenden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es ist ganz klar: Wissenschaft und Bildung kommen nicht ohne Leistungsvergleich und Wettbewerb aus. Eine staatliche Wissenschaftspolitik, die nur der Konkurrenz dient, ist unseres Erachtens aber falsch. Ein Staat, der dem Starken hilft, gegen den Schwachen zu siegen, ist für uns ein schlechter Staat. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Simone Raatz [SPD]: Das ist jetzt auch so eine Plattitüde!) Da Sie den Wettbewerb preisen: Das Problem Ihrer Hochschulpolitik ist doch, dass Sie viele gar nicht erst an den Start zu diesem Wettbewerb lassen. Das nenne ich Zentralismus, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Simone Raatz [SPD]: Das stimmt nicht!) Nur wenige Fakten. Unter der Überschrift „Exzellenzinitiative“ gibt die Bundesregierung den besten Unis das meiste Geld. Das Ergebnis ist dann: Ostdeutsche Universitäten mit Ausnahme von Berlin bekommen gerade einmal 5 Prozent des Gesamtetats; (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Vergessen Sie die Dresdner nicht!) davon entfallen 4,7 Prozent auf Sachsen und 0,3 Prozent auf Thüringen. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das ist wider besseres Wissen falsch!) Die richtige Übersetzung von „Exzellenz“ aus dem Lateinischen lautet im Übrigen „Erhabenheit“ oder „Herrlichkeit“. Und dann wundern Sie sich, wenn diese herrliche Erhabenheit bei Benachteiligten, insbesondere im Osten, zu Protest und Frust führt? Ich wundere mich da nicht. (Beifall bei der LINKEN) Die Deutsche Forschungsgemeinschaft ist dazu angelegt, sogenannte Drittmittel, also private Gelder, für Hochschulen einzuwerben. Auch hier sind unter den 40 sogenannten Besten nur 4 ostdeutsche Universitäten. Vereinigungspolitik, sagen wir Ihnen, geht anders. Zur Lage der Beschäftigten. Allgemein gilt ja der Irrglaube, dass jemand mit einem Doktortitel sozial fein raus sei. Aber das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung rechnet Ihnen vor: Von 2004 bis 2014 ist der Anteil befristeter Arbeitsverhältnisse in der Wissenschaft von 25 auf 37 Prozent gestiegen. Im Osten ist er immer noch doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Meine Damen und Herren, das kann man doch nicht hinnehmen. Diesem Problem wird auch Ihre Gesetzesnovelle nicht im Geringsten gerecht. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Karamba Diaby [SPD]: Doch!) Von allen Beschäftigten im wissenschaftlichen Dienst, also ohne Beamte, waren 2014  49 Prozent in Befristung. Deutschland – ein Staat der Dichter und Denker? Allenfalls der Teilzeitdenker. Bekanntlich ist die Linke nicht nur kritisch, sondern auch konstruktiv. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Karamba Diaby [SPD]: Ach was!) Genau deshalb machen wir heute diese Vorschläge zur besseren Hochschulfinanzierung, vor allem – ich sage es noch einmal – im Hinblick auf förderbedürftige Regionen. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Aber vergesst nicht Potsdam, Erfurt, Halle, Dresden und Greifswald!) In Sachsen-Anhalt gibt es die Hochschule Anhalt mit den drei Standorten in Bernburg, Dessau und Köthen. Die wissenschaftliche Bilanz der Ingenieurwissenschaften ist beeindruckend. Gleiches gilt für die Kooperation mit der Stiftung Bauhaus, auch für die Agrarforschung. Noch spannender aber ist, dass der Status dieser Hochschule als Impulsgeber für die gesamte Region inzwischen anerkannt wurde. Die vom Campus sind Repräsentanten ihrer Städte geworden; das geht bis hin zu einer weltoffenen Charmeoffensive, die ansteckend wirkt. Und nun? Nun besagt die Zielvereinbarung zwischen dieser Hochschule und dem Land Sachsen-Anhalt: Der Mindestzuschuss bis 2019 bleibt gleich. Darüber kann man sich freuen und sagen: Das ist besser, als wenn er geringer ausfällt oder unsicher ist. Wir sagen: Das ist unzureichend, weil diese neuen Stärken nicht annähernd ausreichend gefördert werden. In unserem Antrag finden Sie viele weitere Vorschläge; sie sind Ihnen ja auch schon erläutert worden. Sie haben jetzt zwei Möglichkeiten: ein Weiter-so mit Ihrer verfehlten Politik oder eine zukunftsfähige Hochschulpolitik. Beides zusammen geht nicht. Ich denke, Sie sollten neue Wege beschreiten. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Karamba Diaby [SPD]: Das haben wir schon!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Simone Raatz für die SPD. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dr. Simone Raatz (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Lenkert, sosehr ich Sie in manchen Bereichen fachlich schätze, (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Nur in manchen? Ich dachte, in vielen!) denke ich, der Antrag, den Sie hier vorgelegt haben – er wird ja hauptsächlich aus Ihrer Feder stammen –, ist einfach nur ein buntes Potpourri von „Wünsch dir was“. (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Genau so ist es!) Meine Vorredner haben das schon deutlich gemacht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Es fällt schwer, einen roten Faden zu erkennen. Auch wenn Sie mit Vehemenz Themen ansprechen, bei denen wir als Koalition schon einiges geleistet und viel Gutes getan haben, fällt es mir schwer, das, was Sie hier fordern, ernst zu nehmen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Deswegen – das nur mal so als Anregung – wäre es sehr schön, wenn Sie da auch noch Inhalte mit einbringen und selbst Vorschläge machen würden, wie Sie Ihre Wünsche verwirklichen wollen. Sie haben hier ein Anreizprogramm erwähnt – darauf ist, denke ich, mein Kollege Herr Kaufmann schon eingegangen –: Dabei geht es um die Einrichtung von 100 000 unbefristeten Wissenschaftlerstellen mit einem Umfang von 5 Milliarden Euro pro Jahr. Dazu fällt mir jetzt nur die Frage ein: Ist das Ihrer Ansicht nach eine realistische bzw. eine sinnvolle Forderung? Ich denke, wir haben mit der Verbesserung der Stellensituation – allein mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz – einen ersten Schritt in die richtige Richtung getan. Einen zweiten Schritt werden wir mit dem Hochschulpakt machen. Darüber werden wir demnächst debattieren. Natürlich werden weitere Bausteine folgen. So werden wir sukzessive, denke ich, auch in dem Bereich einiges hinkriegen. Ich will nun auf den zweiten Teil der Überschrift Ihres Antrags eingehen und mich darauf konzentrieren: Bildung und Forschung in strukturschwachen Regionen solide ausstatten. – Herr Claus sagte, „förderbedürftig“ würde besser klingen. Ich bin mir nicht sicher, ob das so ist. Ich denke, bei „strukturschwach“ weiß man, um was es geht. Es ist erst einmal prinzipiell nichts dagegen einzuwenden, dass wir Bildung und Forschung in strukturschwachen Regionen unterstützen wollen. Dagegen hat keiner etwas. Ihr Ausgangspunkt dabei ist, dass das deutsche Wissenschaftssystem seit 15 Jahren eine rasante Umstellung erlebt. Warum es gerade 15 Jahre sein sollen, erschließt sich mir jetzt so nicht. Für mich stellt eher die Wende einen erheblichen Einschnitt in das Wissenschaftssystem des Ostens dar. Das ist jetzt 26 Jahre her. Man könnte da jetzt also genauso gut von 26 Jahren sprechen. Viele Wissenschaftseinrichtungen mussten sich 1990 schnellstens umorientieren. Sie wurden geschlossen, wenn sie das nicht schafften. Mit zwei Beispielen aus Freiberg will ich das kurz dokumentieren bzw. klarmachen: Das Forschungsinstitut für Aufbereitung – es gehörte damals zur Akademie der Wissenschaften der DDR – schaffte den Absprung nicht. 1992 wurde es abgewickelt. Einen Sozialplan oder etwas Ähnliches gab es damals für die 400 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht. Dagegen hat das Forschungsinstitut Leder- und Kunststoffbahnen den Strukturwandel gut bewältigt. Seit 1992 ist dieses Institut privatisiert. Es ist jetzt als gemeinnützige GmbH erfolgreich tätig. Ich nehme an, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, dass Sie mit dem Punkt 8 Ihres Antrags vielleicht auf genau solche Einrichtungen wie dieses Forschungsinstitut Leder und Kunststoffbahnen fokussieren wollten. Es war Ihnen jedoch nur zwei Zeilen wert, dieses Thema – ein bisschen schnell – zu beschreiben. Ich hätte mir dazu, muss ich sagen, ein bisschen mehr gewünscht. Sie haben in Punkt 8 Ihres Antrags geschrieben, dass Sie – jetzt zitiere ich aus Ihrem Antrag – „gemeinnützige, unabhängige Forschungseinrichtungen als Stützen von Forschung und Innovation für Kleine und Mittlere Unternehmen (KMU)“ stärken wollen. Ja prima! Das finde ich gut. Und wie? Wie wollen Sie die stärken? Darüber steht dort nichts. Wir als Koalition haben aber Vorschläge dafür. Ich werde sie jetzt ganz kurz aufführen. In einen solchen Antrag gehört meines Erachtens hinein, wie Sie solche Unternehmen stärken wollen. Dass die Unterstützung von Forschung und Entwicklung in strukturschwachen Regionen wie Ostdeutschland Sinn macht, ist unbestritten. Dagegen wird keiner etwas sagen. Ich möchte drei Punkte anführen, warum das so ist: Erstens. Die ostdeutsche Wirtschaft ist nach wie vor sehr kleinteilig strukturiert und wächst seit vielen Jahren nicht. Man muss einmal genauer hingucken, warum das so ist. Zweitens. Die Unternehmen verfügen meist nicht über eigene Forschungskapazitäten. Das führt drittens natürlich dazu, dass sie seltener Produkt- und Verfahrensinnovationen einführen. Genau an dieser Stelle setzt zum Beispiel die Deutsche Industrieforschungsgemeinschaft Konrad Zuse an. Die hat mit ihren derzeit 74 gemeinnützigen außeruniversitären Forschungseinrichtungen und über 5 000 Mitarbeitern die sogenannte dritte Säule in unserer Forschungslandschaft kreiert. Ich glaube, es lohnt sich, darauf auch einmal einzugehen. (Beifall bei der SPD – Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Welche Förderung geben Sie denen? Genau die sollen von unserem Antrag profitieren! Genau die sollen Geld kriegen!) Denn neben unseren großen Forschungsverbünden – die sind ja schon häufig erwähnt worden – und unseren Hochschulen ist es eben genau diese dritte Säule, die wir in den strukturschwachen Regionen unterstützen sollten und auch fördern wollen. Das machen wir, denke ich, als Koalition. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Ja, „sollten“! Machen Sie nicht!) Die Deutsche Industrieforschungsgemeinschaft Konrad Zuse, die im Januar 2015 in Berlin gegründet wurde, hat eben gerade zum Ziel, passgenaue Forschungsunterstützung für den Mittelstand – hierbei geht es insbesondere um die KMUs – zu leisten und ihn durch marktvorbereitende Forschung zu unterstützen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, Sie sehen: Wir müssen das Rad nicht neu erfinden. Wir können auf etablierte Strukturen zurückgreifen. Aber es ist natürlich wichtig, die Arbeit dieser Einrichtungen auch von politischer Seite aus zu unterstützen bzw. ein stabiles finanzielles Fundament dafür zur Verfügung zu stellen. Genau da setzen wir als Regierungskoalition auch an. Uns ist das wichtig. Ich finde, es ist sehr schade, dass Ihnen das bisher entgangen ist. Darum möchte ich am Ende meines kurzen Statements drei Haushaltstitel nennen, die für die strukturschwachen Regionen einfach wichtig sind: Der erste – er steht im Haushalt des BMBF – lautet „Innovationsförderung in den neuen Ländern“. Hierfür stellen wir 2016  159 Millionen Euro zur Verfügung. Das sind immerhin 13 Millionen Euro mehr als 2015. Der zweite Haushaltstitel lautet „Industrieforschung“. Hier geht es um Programme wie „Industrielle Gemeinschaftsforschung“ und „INNO-KOM-Ost“. Dafür stellen wir 2016  138,5 Millionen Euro zur Verfügung. Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Raatz, Sie denken an die vereinbarte Redezeit? Dr. Simone Raatz (SPD): Ja, einige wenige Sätze noch. – Der dritte Haushaltstitel lautet „Förderung des Mittelstandes“. Dabei geht es auch um das ZIM. Hierfür stellen wir 2016 543,5 Millionen Euro zur Verfügung. Am Ende meines Vortrags muss ich an dieser Stelle sagen: Danke an unsere Minister, Herrn Gabriel und Frau Wanka, und natürlich auch ein Dankeschön an unsere Haushälter. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, anstatt uns hier ein buntes Potpourri auf den Tisch zu legen, wäre es schön, wenn Sie uns demnächst etwas Aussagekräftigeres präsentieren würden. Dann können wir an dieser Stelle auch gerne wieder mit Ihnen ins Gespräch kommen. Danke. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Dörner für Bündnis 90/Die Grünen. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Gäste! Für die Lobhudelei, die wir uns hier seitens der Regierungsfraktionen für die eigenen Leistungen anhören mussten, gibt es nun wirklich keinen Grund, und ich will Ihnen auch erklären, warum das so ist. Seit mehr als einem Jahr ist jetzt das Kooperationsverbot im Hochschulbereich gelockert. Dafür wurde das Grundgesetz geändert, und das Grundgesetz ändert man ja nicht einfach mal so. Uns ging das damals nicht weit genug; das wissen Sie. Wir hätten dieses unsinnige Kooperationsverbot gerne komplett rückgängig gemacht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wenigstens für den Bereich von Hochschule und Wissenschaft haben wir aber gedacht: Da geht jetzt was. Da tut sich jetzt eine Tür auf für eine neue Zusammenarbeit zwischen den Bundesländern und dem Bund, für Innovationen und für die eine oder andere pfiffige Idee aus dem Wanka-Ministerium. – Das ist jetzt ein Jahr her, und gekommen ist gar nichts. Das ist wirklich ein Armutszeugnis, und deshalb läuft das Eigenlob der Koalition hier auch ins Leere. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir diskutieren einen Antrag der Linken mit dem Titel „Finanzierung der Wissenschaft auf eine arbeitsfähige Basis stellen ...“. „Eine arbeitsfähige Basis“: Das klingt für die Kolleginnen und Kollegen der Linken regelrecht bescheiden. Ja, eine arbeitsfähige Basis ist wirklich mehr als überfällig. Aus unserer Sicht wäre als ein erster, sehr zentraler Schritt die Aufstockung und Verstetigung des Hochschulpakts dringend nötig; denn ohne eine gesicherte Grundfinanzierung bleibt die Hochschullandschaft in Deutschland Mittelmaß. Da hilft auch keine Exzellenzinitiative. Frau Ministerin Wanka, wann packen Sie diese Herausforderung endlich an? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wir brauchen Investitionen in Hörsäle, in moderne Technik und in die Infrastruktur des Wissens, aber wir brauchen natürlich auch Investitionen in Köpfe. Wir haben gerade den Imboden-Bericht zur Exzellenzinitiative bekommen, (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Also doch: Exzellenzinitiative!) und ich will zur Frage des wissenschaftlichen Nachwuchses kurz daraus zitieren. Im Bericht heißt es: Hingegen ist die Wirkung auf die Baustelle „Akademischer Nachwuchs“ nach Ansicht der Kommission ambivalent. Die Exzellenzinitiative wurde nicht als Nachwuchsprogramm konzipiert, kann die Problematik des akademischen Nachwuchses in ihrer Gesamtheit nicht lösen und sogar kontraproduktiv wirken ... Ich fasse zusammen, was über den wissenschaftlichen Nachwuchs im Bericht steht: „Baustelle“, „ambivalent“, „kontraproduktiv“. Hier besteht also ganz dringender Handlungsbedarf. Auch deshalb kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, dass wir noch immer auf den Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs warten müssen, den Ministerin Wanka schon wiederholt angekündigt hat. Es ist Zeit, dass auch in dieser Frage den Worten Taten folgen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Wird kommen! – Gegenruf des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wann?) Insgesamt macht der Imboden-Bericht gute Vorschläge für den Bauplan der nächsten Exzellenzinitiative. Es ist aus unserer Sicht richtig, die Spitze in der Breite des deutschen Hochschulsystems zu erhalten. Wir brauchen auch ganz dringend den Befreiungsschlag, wie es im Bericht heißt, im Sinne einer Überbrückungsfinanzierung für die Geförderten der zweiten Runde. Ich muss sagen: Ich finde es wirklich unverantwortlich, dass die Universitäten und die Cluster so lange hängen gelassen wurden und nicht wussten, wie sie planen sollten und konnten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich weiß auch aus Gesprächen mit dem Exzellenzcluster Mathematik an der Universität in meiner Heimatstadt Bonn, wie schwierig es angesichts dieser Unsicherheit war, die Spitzenforscher, die dort sind, zu halten und insbesondere auch neue Spitzenforscher zu gewinnen. Diese Unsicherheit muss dringend ein Ende haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich will abschließend diese Debatte dafür nutzen, um unserer grünen Wissenschaftsministerin aus Baden-Württemberg, Theresia Bauer, zum Hattrick zu gratulieren. Sie wurde dreimal in Folge zur Wissenschaftsministerin des Jahres gewählt: Das ist eine herausragende Leistung. Diese Auszeichnung bekommt Theresia Bauer zu Recht. Um es auf die Themen unserer heutigen Debatte zu beziehen: Theresia Bauer hat in Baden-Württemberg 1,7 Milliarden Euro für die Grundfinanzierung der Hochschulen und den Hochschulbau zusätzlich in die Hand genommen. Damit setzt Baden-Württemberg die Empfehlungen des Wissenschaftsrates um, die Grundfinanzierung der Hochschulen um 3 Prozent zu erhöhen. Ich finde, das ist eine besondere Erwähnung wert. So geht zukunftsfähige Wissenschaftspolitik, von der sich diese Bundesregierung wirklich eine Scheibe abschneiden könnte. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Präzise auf den Punkt!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Tankred Schipanski. (Beifall bei der CDU/CSU) Tankred Schipanski (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich sorge mich. Ich sorge mich um die Linkspartei. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Oh Gott! – Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie hat ein Stadium des Realitätsverlustes erreicht, an dem nunmehr Grenzen überschritten werden. (Beifall bei der CDU/CSU) In der letzten Haushaltsdebatte kam der Antrag, 8,14 Milliarden Euro zusätzlich in den Geschäftsbereich des BMBF zu geben. Dafür schlug man eine Gegenfinanzierung von gerade einmal 600 Millionen Euro vor. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Quatsch!) Es war ein Antrag, der schon damals zeigte, dass die Linkspartei der Wirklichkeit völlig entrückt war. Ich glaubte nicht, dass eine Steigerung von so viel Irrsinn möglich ist. Ich dachte, die Linke hätte aus der letzten Haushaltsdebatte etwas gelernt, aber nein. Frau Raatz hat es angesprochen: Am Montag kam in unser Büro ein Antrag der Linksfraktion mit dem vielversprechenden Titel: „Finanzierung der Wissenschaft auf eine arbeitsfähige Basis stellen – Bildung und Forschung in förderbedürftigen Regionen solide ausstatten“. – Dieses Ziel verfolgen wir seit vielen Jahren mit vielen Förderprogrammen, nicht nur des BMBF, erfolgreich. Aber bereits die ersten Sätze und Worte dieses Antrags zeigen, dass es bei diesem Antrag um keine sachlich-konstruktive Auseinandersetzung mit nationaler Wissenschaftspolitik geht, sondern um reine Ideologie. Der Antrag zeigt das ganze Dilemma der Linken, die sich von Ideologie leiten lässt und eben nicht von der Sache. Dieses Grundproblem haben wir nicht nur im Bereich der Wissenschaftspolitik, sondern auch in vielen anderen Bereichen. Gestern haben wir das hier etwa zur gleichen Zeit zur Flüchtlingspolitik erlebt. Da hilft es auch nichts, dass die Linke ihre Galionsfigur Bodo Ramelow heute nach Rom zum Papst schickt, damit er dort Geist empfängt. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur kein Neid! – Zurufe von der LINKEN) Ihr Geist ist und bleibt die Ideologie. Das ist auch Ihr Problem. Daher können Sie auch keine Sachpolitik für die Menschen in unserem Lande machen. Meine Damen und Herren, was müssen wir im Antrag der Linken für Propaganda und Populismus lesen? Ich zitiere das mal: Das deutsche Hochschul- und Wissenschaftssystem erlebte in den vergangenen fünfzehn Jahren im Zuge des neoliberalen Umbaus der Gesellschaft eine rasante Umgestaltung ... (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Ja! Stimmen Sie zu?) Es geht weiter: Leidtragende dieser Situation sind die Studierenden, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie die Wissenschaft selbst. Negative Auswirkungen erfährt auch die strukturelle Entwicklung der verschiedenen Regionen und einzelnen Bundesländer. Sie können sich denken: Gemeint sind hier selbstverständlich die neuen Bundesländer. Man muss nicht lange weiterlesen: Da wird der Südwesten Deutschlands verbal beschimpft, die Stadt Frankfurt als „Finanzplatz“ verteufelt, die Stadt München wird auf den Standort für die gefährliche Versicherungswirtschaft reduziert. Natürlich wird auch der Automobilbau in Stuttgart dämonisiert, und im Freistaat Bayern wird ein „Trittbrettfahrerverhalten“ beobachtet. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Stimmt!) Berlin wird nicht einfach Hauptstadt genannt, sondern man spricht vom „Status der Bundeshauptstadt“. Was jeder Deutsche als Instrumente erfolgreicher Forschungspolitik bezeichnet, etwa die Exzellenzinitiative oder den Hochschulpakt, nennt die Linke in ihrem Antrag „Steuerungs- und Finanzierungselemente“. Was wir „Wissenschaftssystem“ nennen, bezeichnet die Linke in ihrem Antrag als ein „Gesamtsystem wettbewerblicher Bestenauslese“. Liebe Kolleginnen und Kollegen, allein dieser kurze Auszug der Wortwahl zeigt, dass es hier nicht um eine Auseinandersetzung in der Sache geht, sondern um Populismus. (Beifall bei der CDU/CSU) „Populismus“ ist das treffende Wort. Sie werden es kaum glauben, aber es steht in einem angeblichen Antrag zur Wissenschaftspolitik die Forderung nach – ich zitiere – „Wiedererhebung der Vermögenssteuer“ sowie die „Ausschöpfung des Aufkommenspotentials der Erbschaftssteuer“ und natürlich die Forderung nach einer ganz umfassenden Steuerreform. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Meine Damen und Herren, das hat mit solider Wissenschaftspolitik nichts zu tun. Wie perfide solche Anträge instrumentalisiert werden, um die Realpolitiker in Deutschland zu schmähen, zeigt die letzte Debatte in diesem Hohen Hause zum Kooperationsverbot. Die Linke fordert auch in diesem Antrag wieder eine Verfassungsänderung, um die Kooperationskultur zwischen dem Bund und den Ländern im Bildungsbereich auszubauen. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Dringend notwendig!) Nach der Debatte am 14. Januar dieses Jahres hat der Linken-Abgeordnete Ralph Lenkert eine Pressemitteilung veröffentlicht, in der er die Thüringer CDU bezichtigt, sie blockiere zusätzliche Bundesgelder für den Freistaat. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Richtig! Haben sie gefordert!) Dies unterlegte er mit dem Fakt, dass CDU/CSU hier den Antrag der Linken auf eine Verfassungsänderung abgelehnt haben; Sie können das im Internet nachlesen. Herr Lenkert, populistischer geht es nicht. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Doch! Wenn Sie reden! – Gegenruf des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der war gut! – Beifall der Abg. Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das hat System. Wahrscheinlich sind die Pressemitteilungen für diese Debatte schon geschrieben. Diesmal haben Sie statt einem Wunsch neun Wünsche formuliert. Ich sage Ihnen: Wir werden diese neun unsinnigen Wünsche wieder ablehnen. Ich finde es unredlich, wie Sie mit solch realitätsfernen Anträgen politisch agieren, agitieren und die Menschen in unserem Land mit solchen Forderungen in die Irre führen. „Irreführung“ ist der richtige Begriff für diesen Antrag. Denn schauen wir uns doch einmal gemeinsam an, wie die Heimat des Linken-Abgeordneten Ralph Lenkert von der hier so gescholtenen deutschen Förderpolitik profitiert. Es geht um die Forschungsregion Jena in Thüringen. Wir erinnern uns: Thüringen ist ein neues Bundesland, das laut dem Linken-Antrag eine Armutsregion darstellt, die von Erwerbslosigkeit geprägt ist und nicht von den Förderinstrumenten der Exzellenzinitiative, des Hochschulpakts oder des Pakts für Forschung und Innovation in irgendeiner Art und Weise profitiert – so die Sichtweise der Linken. Nun ein Blick auf die Realität in Jena: eine Arbeitslosenquote von 6,9 Prozent, Bevölkerungswachstum, die Friedrich-Schiller-Universität mit 18 400 Studenten plus eine Fachhochschule mit 4 700 Studenten. (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Es gibt noch Leipzig und Dresden!) Alle profitieren von dem Hochschulpakt. Was die Forschungsförderung angeht, gibt es vier DFG-Schwerpunktprogramme, neun DFG-Forschergruppen, vier DFG-Graduiertenkollegs, fünf DFG-Sonderforschungsbereiche und ein DFG-Forschungszentrum. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Von so vielen DFG-Mitteln träumen andere Regionen, lieber Herr Lenkert. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Und Sie wollen uns weismachen, die neuen Länder profitieren nicht von DFG-Mitteln! Das ist schlichtweg falsch. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Schipanski. Tankred Schipanski (CDU/CSU): Nein, ich gestatte es nicht. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Weil Sie die richtigen Zahlen nicht hören wollen! Sie sind feige!) Es geht weiter im schönen Jena: Drei Max-Planck-Institute, ein Fraunhofer-Institut, drei Leibniz-Institute, ein Helmholtz-Institut und sechs außeruniversitäre Forschungseinrichtungen gibt es in Jena. All diese profitieren vom Pakt für Forschung und Innovation, dessen Aufwuchs um 3 Prozent wir selber finanzieren. (Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Drehen Sie das Mikro etwas leiser! Wir sind nicht taub! Aber nach Ihrer Rede sind wir es!) – Es geht darum, dass es der Kollege versteht. Es geht noch weiter: Jeder dritte Doktorand an einer dieser Einrichtungen kommt aus dem Ausland. Wenn das deutsche Wissenschaftssystem so furchtbar ist, dann frage ich mich, warum diese Wissenschaftler überhaupt zu uns kommen. Jena hat zudem eine Graduiertenschule aus der Exzellenzinitiative sowie eine Ressortforschungseinrichtung des Bundes. In Jena haben wir mannigfache industrienahe Forschungseinrichtungen – Zuse wurde eben angesprochen – mit Mitteln aus ZIM und INNO-KOM. Diese Aufzählung ließe sich fortsetzen und auf den gesamten Freistaat Thüringen ausdehnen. Ihre so gescholtene Exzellenzinitiative hat der Freistaat Thüringen sogar zum Vorbild genommen, liebe Kollegen der Linkspartei, und eine landeseigene Initiative gestartet. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind Sie eigentlich Bundestagsabgeordneter oder Thüringer?) Diese wird sogar unter einem linken Ministerpräsidenten fortgesetzt und ausgebaut. (Beifall bei der CDU/CSU) Das ist anscheinend Exzellenzwahn in Thüringen – ganz erstaunlich. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Ihr habt einfach zu viel Redezeit!) Herr Kollege Rossmann, noch eine Bemerkung zu Ihnen: Sie haben das Zuständigkeitsgefüge und die Ausführungen von Herrn Kaufmann ein Stück weit kritisiert. Ich glaube, das Grundgesetz sagt uns eines ganz deutlich: Bund und Länder haben eine Verantwortung für das Gesamtsystem Wissenschaft. Das ist, glaube ich, ganz unstreitig. Innerhalb dieses Gesamtsystems haben wir klare Zuständigkeiten. Wir brauchen auch klare Zuständigkeiten und Verantwortungsbereiche. Das Grundgesetz und auch die Union lassen sich vom Gedanken des Mehrwerts leiten. Wir sagen: Zusätzliches Geld des Bundes muss einen zusätzlichen Nutzen stiften. Wir freuen uns, wenn uns die SPD-Fraktion bei diesem Gedanken unterstützt. Ich darf schließen, meine Damen und Herren. Dieser populistische Antrag bringt unser Land nicht voran. Er verunsichert die Menschen. Er führt in die Irre. Er ist ein Spiegelbild der Ideologie der Linkspartei. Er ist ein Zeugnis ihrer Realitätsverweigerung. Von daher lehnt die CDU/CSU-Fraktion diesen Antrag zum Wohle von Deutschland und zum Wohle von Europa ab. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Simone Raatz [SPD]: Der Welt!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Das Wort hat jetzt die Kollegin Elfi Scho-Antwerpes, SPD. (Beifall bei der SPD) Elfi Scho-Antwerpes (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue mich, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, dass Sie Ihren Antrag mit der Lockerung des Kooperationsverbotes im Wissenschafts- und Hochschulbereich aus dem Jahre 2014 einleiten. Das war eine nötige Korrektur der ersten Föderalismusreform. Wenn man weiterliest, wird einem allerdings angst und bange. Alles ist schlecht, alles ist negativ. Der Süden ist besser als der Norden. Im Osten ist es ganz schlecht. Eigentlich ist alles ganz schlecht. Angereichert wird Ihr Schwanengesang mit allerlei Zahlen, die Sie gleichsam kunstvoll und morbide miteinander verbinden. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Sie müssen uns nicht loben. Sie sollten sich allerdings etwas realitätsnäher bewegen und konstruktiv mitarbeiten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir haben im Koalitionsvertrag immerhin 5 Milliarden Euro zusätzlich für die Hochschulen durchgesetzt. Bund und Länder haben entscheidende Impulse über den Hochschulpakt 2020 gegeben, mit dem wir nicht zuletzt die Zukunftsfähigkeit Deutschlands sicherstellen. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Damit ist übrigens bewiesen, dass wir auch vor der Lockerung des Kooperationsverbotes handlungsfähig waren. Bund und Länder haben über alle drei Förderphasen hinweg bisher Gesamtfinanzierungszusagen von über 38 Milliarden Euro für die Hochschulen gegeben. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Hört! Hört!) – Hört! Hört! (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Mit dem Hochschulpakt reagieren wir auf den demografischen Wandel und stellen sicher, dass auch in Zeiten erhöhter Nachfrage nach Studienplätzen ein entsprechendes Angebot vorhanden ist. Ermöglicht wird das unter anderem durch zusätzliches Personal, das aus den Mitteln des Hochschulpakts finanziert wird. Wir belohnen damit vor allem die Universitäten, die viel in die Lehre investieren. Ab 2016, in der dritten Phase des Hochschulpakts, setzen Bund und Länder 10 Prozent der Bundes- und Landesmittel ein, um an den Hochschulen qualitativ wertvolle Abschlüsse für immer mehr Studierende sicherzustellen. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Diese Mittel fließen übrigens in die gesamte Breite der deutschen Hochschullandschaft ein, wie wir eben gehört haben. Ich weiß gar nicht, warum Sie immer auf der Exzellenzinitiative herumhacken. Weder ist sie der Weisheit letzter Schluss, noch ist sie die Achillesferse der deutschen Wissenschaft. (Beifall bei der SPD) Sie ist nur ein Element einer ganzheitlichen Wissenschaftspolitik, nicht mehr und nicht weniger. Ganz abgesehen davon, ist Wissenschaft Motor für soziale und technische Innovationen, für gesellschaftliche Entwicklungen und kein Programm zur Regionalförderung. Nachhaltige Wissenschaftspolitik braucht einen verantwortlichen Umgang mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs. (Beifall des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir haben hier gemeinsam das Wissenschaftszeitvertragsgesetz reformiert und damit unter anderem nicht hinnehmbaren Kurzbefristungen in den Arbeitsverhältnissen junger Akademiker ein Ende gesetzt, Herr Lenkert, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird sich noch zeigen müssen!) und das ist gut so. Die Menschen brauchen eine Perspektive, und die darf nicht prekär sein. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Tankred Schipanski [CDU/CSU]) Auch in den Ländern gibt es gute Ansätze und Initiativen zur Verbesserung der Beschäftigungsverhältnisse an den Hochschulen. Nehmen Sie mein Bundesland Nordrhein-Westfalen als Beispiel. Dort wurde bereits im Juni letzten Jahres der Rahmenkodex „Gute Beschäftigungsbedingungen für das Hochschulpersonal“ beschlossen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wissenschaftsministerin Svenja Schulze hat damit sehr wichtige Fortschritte für die Hochschulbeschäftigten erreicht, etwa beim Abbau befristeter Verträge, bei den Verbesserungen für wissenschaftliche und studentische Hilfskräfte oder für familiengerechte und gesundheitsfördernde Arbeitsbedingungen. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) So stellen wir gute Arbeit an Wissenschaftsstandorten sicher. Das ist übrigens für alle Hochschulen in Nordrhein-Westfalen ein nationaler und internationaler Wettbewerbsvorteil, auch für die mutmaßlich „kleinen“. Apropos Wettbewerb: Sie lehnen die wettbewerbliche Vergabe von Fördermitteln in Ihrem Antrag ab, bieten aber keine Alternative an. Machen Sie doch einmal einen konstruktiven Vorschlag, aus dem hervorgeht, wie Sie Förderentscheidungen treffen wollen. Da kommt von Ihnen nichts. Wissenschaft muss in ganz Deutschland solide ausgestattet sein und nicht nur, wie Sie es formulieren, in den „förderbedürftigen Regionen“. Mit der Milliardenhilfe von Bund und Ländern und den entsprechenden Programmen schaffen wir eine arbeitsfähige Basis für die Hochschulen in Deutschland. Mit Ihrer Schwarzmalerei schaffen wir das nicht. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Stephan Albani. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Stephan Albani (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was für ein Tag, was für eine Debatte! Wenn der Kollege Schipanski sich schon lauthals Sorgen um die Linken macht, dann brennt, ehrlich gesagt, die Hütte. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer schreit, hat in der Regel nicht recht!) 77 Minuten Haue – Sie haben es so gewollt; das wird von mir aber nicht fortgesetzt, keine Sorge. Aber als ich am Mittwochabend den Antrag endlich vor mir liegen hatte, war meine Assoziation: Mensch, das ist ja mal ein bildungspolitischer Schrotschuss. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Beifall des Abg. Tankred Schipanski [CDU/CSU]) Unter Punkt 9 laden wir die Flinte mit dem Geld der Exzellenzinitiative, und unter den Punkten 1 bis 8 feuern wir einfach so in alle Himmelsrichtungen und hoffen, dass etwas umfällt. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Mit solider Politik hat das aus meiner Sicht nicht allzu viel zu tun. Wir haben in den vergangenen Jahren mit solider Politik die Wissenschaft auf eine arbeitsfähige Basis gestellt und auch förderfähige Regionen gefördert. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schon wieder politischer Aschermittwoch?) Diese Ergebnisse haben wir auch und insbesondere der Unionspolitik zu verdanken. (Lachen des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Liebe Fraktion Die Linke, die Erfolge im Bereich „Forschung und Entwicklung“ in Deutschland sprechen für sich. Lassen Sie sich daher ein weiteres Mal davon überzeugen, dass unser klares Bekenntnis zur Spitzenforschung in Deutschland die Forschung insgesamt deutlich gestärkt hat und auch weiterhin stärken wird. (Zuruf von der LINKEN: So rum hat das noch nie funktioniert!) – Doch, selbstverständlich. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bekenntnisse gehören an andere Orte!) Nur durch Forschung über das Gewöhnliche, das Normale, den Standard hinaus – man braucht ihn, muss aber darüber hinausgehen – kommen wir wirklich zu einer exzellenten Forschung. Forschung funktioniert nur, wenn nicht nur in der Breite unterstützt, sondern eben auch in der Spitze gefördert wird. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Aber nicht nur in der Spitze!) – Das habe ich doch gesagt. Wiederholen Sie mich doch nicht, aber herzlichen Dank. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Nein! Das war Konsens!) Wir haben in Deutschland einen langen Prozess hinter uns, in dem wir die Leitlinien des Wissenschaftssystems in den vergangenen Jahren deutlich weiterentwickelt haben. Dies war ein langer Prozess hin zu einer höheren Leistungs- und Innovationskraft in der Forschung und damit auch zu einer besseren internationalen Sichtbarkeit. Seit vielen Jahren gehört zu diesem System auch der Grundgedanke genau dieser Arbeitsteilung innerhalb des Wissenschaftssystems. Der Bund stellt Mittel für unterschiedliche Einrichtungen zur Verfügung. Dies sind im Wesentlichen Forschungseinrichtungen und Förderorganisationen, die das BMBF allein, gemeinsam oder mit anderen Partnern trägt. Nach dem Grundgesetz sind die Zuständigkeiten im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland nur in begrenzten Fällen dem Bund alleine zugeordnet. Das ist wahrlich eine Gemeinschaftsaufgabe aller, von Bund und Ländern, und daran halten wir fest. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Gut!) Nicht zuletzt auch aus diesem Grund begrüßen wir die Arbeit der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz, die aufgrund von gemeinsamen Entscheidungen seit Beginn 2008 ihre Arbeit im Sinne einer ausgewogenen Forschungslandschaft zwischen Bund und Ländern angetreten hat. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Auch gut!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in Deutschland eine solide Grundlage für eine angemessene Bund-Länder-Förderung und Grundausrichtung im Sinne der Hochschulen und Wissenschaft geschaffen. Auch das Inkrafttreten der Änderungen von Artikel 91 b Grundgesetz zu Beginn des vergangenen Jahres zeigt deutlich, dass diese Gemeinschaftsaufgabe gestaltet werden muss, und zwar mit genau dem Tenor, wie es dort steht, nämlich mit überregionaler Bedeutung. Wie kommt es zum Beispiel, dass in Ländern wie Brandenburg die Ausgaben für Bildung und Forschung sogar zurückgefahren worden sind, wie wir den Ergebnissen des Statistischen Bundesamtes entnehmen dürfen? Stellen wir also fest: Unter Federführung der Union wurde die Forschungsförderung der öffentlichen Hand kontinuierlich gesteigert. (Beifall bei der CDU/CSU) Entsprechend dem EFI-Gutachten sind wir heute mit 83,6 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung auf einem Höchststand angekommen. Wir lehnen eine einseitige Mehrbelastung des Bundes, die durch die Aufhebung des Kooperationsverbotes gefordert wird, klar ab. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht nur eine ausgewogene Finanzierung der Wissenschaftslandschaft in Deutschland beschäftigt uns hier; auch der strukturelle Aufbau des deutschen Wissenschaftssystems mit seiner Institutslandschaft zeigt seine besondere Stärke. Er öffnet Räume für die Bearbeitung unterschiedlichster wissenschaftlicher Aufgaben in Form und Inhalt und ermöglicht eine Arbeitsteiligkeit und funktionale Komplementarität. Er ist also Voraussetzung für die aufs Ganze gesehen bemerkenswerte Leistungshöhe und Leistungsdichte der Wissenschaft in Deutschland, für ihren Ideenreichtum sowie für ihre Innovationskraft. In diesem strukturellen Aufbau entfaltet sich der Weg hin zu Spitzenforschung und Exzellenz. Darin werden wir nicht erst durch das Evaluationsergebnis der Imboden-Kommission aus den vergangenen Wochen bestätigt. In der nächsten Sitzung der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz im April wird eine neue Bund-Länder-Vereinbarung in Nachfolge der Exzellenzinitiative beschlossen. Die Bundeskanzlerin und die Regierungschefs werden gemeinsame Signale geben; davon können wir ausgehen. Das ist eine dauerhafte Perspektive. Es besteht also ein breiter Konsens in Wissenschaft und Politik darüber, dass unser Weg zu Spitzenforschung und Exzellenz der richtige ist. Nun zu Ihrer immer wiederkehrenden Forderung nach solider Ausstattung förderbedürftiger Regionen. Seit über 25 Jahren werden auch und insbesondere die neuen Bundesländer mit Strukturfördermaßnahmen und Programmen unterstützt, die in der Fläche Strukturen geschaffen haben. In Kenntnis der Wissenschaftler, die dort arbeiten, möchte ich sagen: Wenn man dies missachtet, tut man denen wirklich Unrecht. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Das BMBF fördert dies seit 1989 mit dem Inno-Regio-Programm, seit 1999 mit der Förderfamilie „Unternehmen Region“ und von 1991 bis 1996 mit dem Hochschulerneuerungsprogramm mit insgesamt 3,2 Milliarden Euro in erheblichem Maße. Das ist eine gute Leistung, die Früchte getragen hat, wie hier schon ausgeführt worden ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Leistungsfähigkeit des deutschen Forschungs- und Wissenschaftssystems wird uns durch nationale wie internationale Sichtbarkeit bestätigt. Wir geben mittlerweile 2,87 Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes für Forschung und Entwicklung aus, also fast 1 Prozent mehr als im europäischen Durchschnitt. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also immer noch keine 3 Prozent! Die sollte es schon 2010 geben!) Wir sind gut aufgestellt mit einem Weltmarktanteil an forschungsintensiven Waren von ungefähr 12 Prozent, was im Zusammenhang mit China Weltspitze ist. Wir sind bei den Publikationsindizes in einer führenden Position in Europa und weltweit unter den Top fünf. Wir wollen eine national wie international sichtbare Spitzenleistung in der Forschung auch zukünftig nicht dem Zufall überlassen, weder durch Förderung nach dem Gießkannenprinzip noch nach Proporz. Das kommt nicht infrage, daher auch immer wieder unsere Betonung eines rein wissenschaftlich geleiteten Auswahlverfahrens innerhalb der Wettbewerber. (Beifall bei der CDU/CSU) Um die großen Herausforderungen unserer Tage von der Globalisierung über die Digitalisierung bis hin zur Integration zu bewältigen, brauchen und haben wir eine solide, leistungsorientierte und stets dynamische Forschungsförderung. Dazu gehört auch ein klares Bekenntnis zu exzellenter Forschung. Ihren Antrag betreffend möchte ich frei nach Goethe schließen: 77 Minuten getretener Quark ist breit, nicht stark. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Meinen Sie Ihre eigene Rede?) Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der Kollege Martin Rabanus für die SPD. (Beifall bei der SPD) Martin Rabanus (SPD): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren auf den Besuchertribünen! Das war jetzt eine schöne Plenardebatte, die wir hier erlebt haben. Das war sicherlich kein wissenschaftliches Symposion, aber eine parlamentarische Debatte, die davon lebt, rhetorische Stilmittel einzusetzen, die ein bisschen origineller sind und die Spaß und Leben in dieses Parlament bringen. Es haben schon einige betont, dass wir, als wir diesen Antrag bekommen haben – ich glaube, es war am Mittwochabend –, ein Sammelsurium von wohlfeilen Forderungen vorgefunden haben. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Viele gute Vorschläge!) Den einen oder anderen Vorschlag – das will ich gar nicht wegdiskutieren – finde ich persönlich auch sinnvoll. Sie kennen die Position der SPD-Bundestagsfraktion zum Kooperationsverbot. Auch die Forderung, die Forschungsmittel für Fachhochschulen auf 100 Millionen Euro zu erhöhen, ist gut und richtig. Das gefällt mir ausgesprochen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Ich darf darauf hinweisen, dass wir diesen Posten in den letzten zwei Jahren von 38 Millionen Euro auf inzwischen 48 Millionen Euro aufgestockt haben; die Große Koalition ist also auch diesbezüglich auf einem guten Weg. Der Rest allerdings ist eine Mischung zwischen „Wünsch dir was“ und dem Negieren des Kulturföderalismus. Letzteres tut die SPD nicht. Wir wollen zwar das Kooperationsverbot für den Bildungsbereich aufheben. Aber ebenso wollen wir, dass es beim Kulturföderalismus bleibt und die Länder ihre eigenen Aufgaben haben, die sie im Übrigen – ich komme später noch darauf – in hervorragender Weise wahrnehmen. Auch das muss man an dieser Stelle einmal betonen. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Man kann zu dem Sammelsurium, das Sie aufgeschrieben haben, noch ein paar Punkte hinzufügen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Muss man aber nicht!) Herr Schipanski hat das mit einem Punkt schon getan. Ich habe mir die Mühe gemacht, noch einmal in die Haushaltsänderungsanträge hineinzuschauen, die Sie im Herbst gestellt haben. Diese komplettieren die Liste Ihrer Vorschläge: Es kommen noch 1,3 Milliarden Euro für BAföG hinzu, und knapp 500 Millionen Euro haben Sie damals für den Hochschulbau beantragt. Im jetzt vorliegenden Antrag sind es nur noch 300 Millionen Euro; da muss sich die Linke erst einmal einig werden, was sie will. Jedenfalls kann man das munter draufsummieren. Das Ganze soll dann – das ist schon gesagt worden – durch die Exzellenzinitiative bezahlt werden. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Das stimmt so nicht!) So findet es sich in der neunten Ziffer des Antrags. Auch das ist nicht unbedingt etwas, was von besonderer Solidität geprägt ist. Man kann das so machen. Man kann als Opposition erst einmal alles fordern. Auch die Grünen haben sich gelegentlich ein bisschen dazu hinreißen lassen, mehr zu fordern. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie wäre es denn, wenn Sie jetzt mal zur Substanz kämen und eigene Vorschläge brächten?) Mit Verantwortung hat das allerdings nichts zu tun. Zwei große, die Regierung tragende Fraktionen müssen eben Verantwortung übernehmen; das müssen Sie in der Tat nicht. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, da tragen Sie schwer dran! Das sieht man!) – Da tragen wir durchaus nicht schwer dran, lieber Kollege Gehring, sondern wir machen das gerne, wie im Übrigen auch die Länder gerne Verantwortung für die Bildung in ihrem Bereich tragen. Ich will das am Beispiel Thüringen unterstreichen. Da ist ein Wissenschaftsminister, der hochkompetent ist – wir kennen ihn alle: Wolfgang Tiefensee, ehemaliger Kollege in diesem Haus – und eine hervorragende Wissenschaftspolitik für Thüringen macht; selbstverständlich. (Beifall bei der SPD – Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Er hat da auch gute Unterstützung!) Ich finde, das kann man für die meisten Länder sagen. Ich will das am Beispiel meines Nachbarlandes Rheinland-Pfalz deutlich machen – ich komme aus Hessen –, das eine hervorragende Politik macht. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, in Hessen läuft es auch super! Überall, wo die Grünen mitregieren, läuft es super!) Die Studierendenzahlen sind in den letzten zehn Jahren von 100 000 auf 120 000 gestiegen. Die Grundfinanzierung der Hochschulen dort ist nicht um 20 Prozent, sondern um 40 Prozent gestiegen; damit liegt Rheinland-Pfalz sogar über dem bundesdeutschen Durchschnitt. Wir sehen, dass die BAföG-Mittel vernünftig eingesetzt werden. Das gilt übrigens ebenso für mein Bundesland Hessen und alle anderen. Das ist auch richtig und gut so. Es ist sogar festzustellen, dass, völlig gegen den Trend, in Rheinland-Pfalz die Betreuungsrelationen in den Hochschulen stabil bleiben und sogar besser werden. Das alles wird gemacht in den Ländern. Ich finde, das muss man auch ganz klar benennen. Das ist eine Leistung, die auch von der Linken in Zukunft ein bisschen deutlicher gewürdigt werden könnte. (Beifall bei der SPD) In diesem Sinne, glaube ich, sind wir in der Bundesrepublik Deutschland bei alldem, was wir noch zu besorgen haben, bei alldem, was wir uns noch vornehmen, auf einem guten Weg. Das gilt für die Länder auf der einen Seite und für diese Koalition auf der anderen Seite gleichermaßen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/7643 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Widerspruch erhebt sich nicht. Dann ist die Überweisung somit beschlossen. Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 21 auf: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Kombinierter siebter und achter Bericht der Bundesrepublik Deutschland zum Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) Drucksache 18/5100 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Debatte 60 Minuten vorgesehen. – Auch dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das somit beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin für die Bundesregierung der Parlamentarischen Staatssekretärin Elke Ferner das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Elke Ferner, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Der kombinierte siebte und achte CEDAW-Bericht erstreckt sich auf die Jahre 2007 bis 2014. Angesichts der Tatsache, dass noch in keinem Land der Welt die vollständige Gleichstellung von Frauen und Männern erreicht ist, hat dieser Bericht naturgemäß Licht, aber auch Schatten. Ich freue mich sehr, dass wir jetzt, gut zwei Wochen vor der nächsten Sitzung der Frauenrechtskommission der Vereinten Nationen, die Gelegenheit haben, über diesen Bericht im Deutschen Bundestag zu diskutieren. In den letzten zwei Jahren hat das Thema Gleichstellung wieder Fahrt aufgenommen. Auch deshalb bin ich mir ganz sicher, dass im nächsten CEDAW-Bericht die Schatten geringer und das Licht mehr werden wird. Für die Durchsetzung der Gleichstellung von Frauen und Männern gibt es aus meiner Sicht drei zentrale Handlungsfelder: die Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt, die gleichberechtigte Partizipation in allen gesellschaftlichen Bereichen und der Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt, insbesondere vor sexueller Gewalt. Wo stehen wir im Jahr 2016? Bei der Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt gibt es Fortschritte. Die Frauenerwerbsquote ist auf dem höchsten Stand. Mütter kehren nach der Geburt ihrer Kinder früher in den Beruf zurück als vorher. Immer mehr Männer, gerade der jüngeren Generation, möchten sich gerne Beruf und Familie partnerschaftlich teilen, also auch ihren Teil der Familienarbeit übernehmen. Das gelingt zunehmend, aber immer noch auf zu niedrigem Niveau. Immer mehr Männer nehmen Elterngeld in Anspruch. In diesem Bereich haben wir Fortschritte erzielt, weil die Rahmenbedingungen verändert worden sind. Wir haben in der letzten Großen Koalition das Elterngeld und den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz ab dem ersten Geburtstag eingeführt. In dieser Wahlperiode verbessern wir die Rahmenbedingungen weiter. Der Bund stellt auch in dieser Wahlperiode Ländern und Kommunen zusätzliche Mittel für den Kitaausbau zur Verfügung. Wir haben beispielsweise das Programm „KitaPlus“ aufgelegt, bei dem es darum geht, Beschäftigten mit unnormalen Arbeitszeiten, also Personen, die im Schichtdienst arbeiten, etwa Krankenschwestern und Polizisten, die Möglichkeit einer guten Kinderbetreuung zu geben, auch wenn sie alleinerziehend sind oder der Partner bzw. die Partnerin die Kinderbetreuung nicht übernehmen kann. Mit dem Elterngeld Plus ermöglichen wir eine bessere Partnerschaftlichkeit. Wir setzen Anreize für eine frühere Rückkehr in den Beruf und haben mit dem Pflegezeit- und dem Familienpflegezeitgesetz Verbesserungen für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf geschaffen. – Das alles sind erste Schritte hin zur Familienarbeitszeit. Ich bin mir sicher: Wenn nicht in dieser Wahlperiode, werden wir spätestens in der nächsten Wahlperiode gesetzgeberische Maßnahmen dazu ergreifen. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ingrid Pahlmann [CDU/CSU]) Im CEDAW-Bericht wird gewürdigt, dass wir die Erwerbstätigkeit von Frauen, ihre ökonomische Unabhängigkeit und damit ihre tatsächliche Gleichstellung unterstützen. Wir sind aber noch längst nicht am Ziel. Die Frauenerwerbsquote ist zwar so hoch wie noch nie; aber wenn man hinter die Kulissen schaut, sieht man, dass mehr als die Hälfte aller erwerbstätigen Frauen in Teilzeit beschäftigt sind, mit all den damit verbundenen Folgen wie Lohnersatzleistungen. Die Lohnlücke von 22 Prozent führt am Ende des Erwerbslebens zu einer Rentenlücke von fast 60 Prozent. Es ist daher notwendig, dass es auch im Bereich der Erwerbsarbeit zu einer besseren Gleichstellung von Frauen und Männern kommt. Wir müssen die Lohnlücke, die Zeitlücke und die Rentenlücke schließen; dann sind wir der Gleichstellung von Frauen und Männern deutlich näher gekommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir gehen in dieser Wahlperiode das Vorhaben „Lohngerechtigkeit“ an. Wir werden darüber mit Sicherheit nicht nur am diesjährigen Equal-Pay-Tag zu diskutieren haben, sondern auch im weiteren Verlauf des Jahres. Die Lohnlücke liegt in Deutschland bei 22 Prozent. Damit sind wir so ziemlich am unteren Ende der Skala, was die Lohngerechtigkeit angeht. Das hat viele Ursachen. Deshalb brauchen wir auch viele Maßnahmen, um der Lohnlücke beizukommen. Das geht los bei der Teilzeitarbeit. Wir wissen, dass Teilzeitarbeit in der beruflichen Sackgasse endet, wenn sie dauerhaft ausgeübt wird. Deshalb wollen wir den Rückkehranspruch auf die alte Arbeitszeit noch in dieser Wahlperiode angehen. Durch den Mindestlohn haben wir bereits einen Baustein zum Schließen der Lohnlücke gesetzt. Laut Untersuchungen wird die Lohnlücke allein durch den Mindestlohn um 2 Prozent geringer. Wenn dann auch noch von der Möglichkeit einer besseren Tarifbindung in größerem Umfang Gebrauch gemacht wird, wird sie sich weiter schließen. Es geht aber auch um den Wert der Arbeit, und um mehr Transparenz. Auch in dieses Thema werden wir in dieser Wahlperiode einsteigen. Nächster Punkt ist das Thema „Frauen in Führungspositionen“. Dazu haben wir bereits ein Gesetz verabschiedet, das seit dem 1. Januar dieses Jahres vollständig gilt. Wir werden hoffentlich zur Mitte des Jahres oder bis zum Herbst erste belastbare Zahlen haben, denen eine größere Anzahl von Unternehmen zugrunde liegt. Die Opposition hatte bei der Verabschiedung dieses Gesetzes gesagt, das reiche alles nicht aus. Ich möchte daran erinnern, dass wir im letzten Jahr gemeinsam bei der FRK in New York waren. Es ist doch erstaunlich, welch positive Resonanz dieses Gesetz auf internationaler Ebene, sowohl bei der FRK als auch beim Global Summit of Women, gefunden hat. Natürlich ist das noch steigerungsfähig (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz klar! Gut erkannt!) – überhaupt keine Frage –; aber der Einstieg ist gemacht. (Beifall bei der SPD) Letzter Punkt ist das Thema „Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt“. Da, denke ich, gibt es mehr Licht als Schatten, aber eben auch noch den einen oder anderen Schatten. Wir haben in der Bundesrepublik ein sehr gut ausgebautes Hilfesystem. Wir haben auch Gesetze, die allerdings noch verbessert werden müssen – das Sexualstrafrecht ist nur eines –, und das nicht erst seit Köln, um das hier noch einmal deutlich zu sagen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nach den Statistiken hat jede vierte Frau mit ihrem bisherigen oder vorherigen Partner wenigstens einmal körperliche oder sexuelle Gewalt in ihrem Leben erfahren, und jede siebte Frau in Deutschland hat auf die eine oder andere Weise sexualisierte Gewalt erfahren. Diese Zahlen sind viel zu hoch. Deshalb müssen wir an den gesetzlichen Normen etwas verändern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir müssen uns aber auch noch einmal über den Alltagssexismus in unserer Gesellschaft unterhalten. Der fängt bei sexistischer Werbung an und endet am Ende des Tages in Rollenzuschreibungen, die nicht gut sind, und auch in entsprechenden Frauenbildern, die dann zu Übergriffen führen, wie wir sie in Köln, aber auch anderswo, zum Beispiel auf dem Oktoberfest in München, sehen konnten. Ich glaube, dass wir auf gutem Weg sind. Es ist leider noch nicht alles getan. Wir werden uns auch beim nächsten CEDAW-Bericht mit Sicherheit noch über ein paar Schattenseiten zu unterhalten haben. Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass wir beim nächsten Mal eine deutlich bessere Bilanz vorlegen können; denn wir akzeptieren nicht, dass Frauen in unserer Gesellschaft direkte oder indirekte Nachteile haben. Dafür arbeiten wir hier in großen Teilen zusammen; das möchte ich hier auch noch einmal deutlich sagen. Dafür Ihnen allen ein herzliches Dankeschön! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Cornelia Möhring für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Cornelia Möhring (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, es ist zu Beginn der Debatte nicht verkehrt, wenn ich noch etwas zur Bedeutung dieses Übereinkommens sage. Das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, kurz CEDAW genannt, ist das wichtigste völkerrechtliche Instrument für die Gleichstellung von Frauen. Alle Staaten, die diesen Vertrag der Vereinten Nationen unterzeichnet haben, sind zur rechtlichen und faktischen Gleichstellung von Frauen in allen Lebensbereichen verpflichtet. Was heißt das? Das ist eigentlich ganz einfach: Erstens darf der Staat selbst nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen. Zweitens muss er auch aktiv dafür sorgen, dass Chancengleichheit nicht nur auf dem Papier steht, sondern gesellschaftliche Realität wird. (Beifall bei der LINKEN) Der Staat ist außerdem verpflichtet, diese Politik proaktiv zu verfolgen. „Proaktiv“ bedeutet im ursprünglichen Sinne übrigens „ohne abzuwarten“, sogar „unverzüglich und mit eigenen Initiativen“. Daran hapert es dann schon ein bisschen. Vor 30 Jahren ist dieses Übereinkommen in nationales Recht übergegangen, und seitdem überprüft der CEDAW-Ausschuss regelmäßig die Einhaltung dieses Abkommens und gibt konkrete Empfehlungen zu allen 16 Artikeln. Deutschland hat sich mit der Ratifizierung im Übrigen auch verpflichtet, diese Empfehlungen umzusetzen und mindestens ernst zu nehmen. Liebe Frau Ferner, Ihnen persönlich nehme ich das alles ab. Wir haben ja gemeinsam direkt bei der UN dafür gestritten. Ich habe aber nicht so gute Hoffnungen in die Gesamt-GroKo wie in Sie. Auf dieser kleinen Karte, die ich hier habe, sind alle 16 Artikel des CEDAW-Abkommens verzeichnet. Vielleicht nehmen Sie die einmal mit und verteilen sie im Kabinett und in den Koalitionsfraktionen sozusagen als Leitschnur für die Gleichstellungspolitik. Das wäre doch mal etwas. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In dem hier vorliegenden kombinierten siebten und achten Bericht der Bundesrepublik Deutschland macht es nämlich mitnichten den Eindruck, als würde die Bundesregierung das CEDAW-Abkommen wirklich ernst nehmen. Der Bericht liest sich eher wie ein schlechtes Entschuldigungsheft. In weiten Teilen wird gar nicht auf die Empfehlungen geantwortet, sondern einfach der Status quo beschrieben, gerechtfertigt und beschönigt. Wir wissen schon länger – das ist, denke ich, übereinstimmende Meinung in diesem Haus –, dass die vorherige Bundesregierung – Sie haben auf den langen Berichtszeitraum hingewiesen – gleichstellungspolitisch nicht sonderlich interessiert war. Aber der Bericht zeigt auch: Die GroKo hat keinen Plan. (Beifall bei der LINKEN) Sie haben kein Konzept, um die Diskriminierung von Frauen wirklich grundlegend und umfassend zu bekämpfen, und Sie verstecken Ihre Planlosigkeit lediglich hinter ein paar gleichstellungspolitischen Trippelschritten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich mache das einmal exemplarisch an Artikel 11 des Abkommens fest. Inhalt von Artikel 11 sind unter anderem die Beseitigung jeder Form von Diskriminierung im Erwerbsleben, das Recht auf Arbeit sowie das Recht auf gleiches Entgelt und gleiche Sozialleistungen. Gleichstellung ist immer auch eine soziale Frage. Solange Frauen in der Armutsfalle stecken, ist Gleichstellung nicht zu erreichen, und solange Frauen ökonomisch nicht unabhängig von Ehemännern oder wem auch immer sind, ist Gleichstellung ebenfalls nicht zu erreichen. Damit sage ich nicht, dass, wenn wir ökonomisch selbstständig agierende Frauen haben, damit die Gleichstellung erreicht ist. Der CEDAW-Ausschuss ist zu Recht besorgt über die Situation von Frauen im Erwerbsleben. Frauen sind zwar vermehrt erwerbstätig – das hat Frau Ferner eben auch bestätigt; die Erwerbsquote ist gestiegen –, aber das hat nicht zu einem Anstieg des Anteils der Erwerbsarbeit von Frauen am Gesamtarbeitsvolumen geführt. Das heißt schlicht und ergreifend: Frauen sind nur stärker in Teilzeit beschäftigt, also weniger in Vollzeit. Die Quote ist also zurückgegangen, und dafür gibt es mehr Jobs in Teilzeit. Und nicht nur das: Frauen arbeiten vorwiegend in befristeten und gering bezahlten Beschäftigungsverhältnissen. Hinzu kommen die 5,3 Millionen Minijobs, in denen zu zwei Dritteln Frauen arbeiten. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Alles schlecht für die Rente!) Wie antwortet die Bundesregierung im Bericht auf dieses Problem? Sie behauptet einfach, dass Frauen zum größten Teil in Normalarbeitsverhältnisse eingestiegen sind. Der Trick dabei ist: Sie rechnet alles zu Normalarbeitsverhältnissen, was über einer Wochenarbeitszeit von 21 Stunden liegt. Ehrlich gestanden, liebe Kolleginnen und Kollegen, das grenzt an Verarschung. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ein Normalarbeitsverhältnis sollte sich perspektivisch, meiner Meinung nach, im Rahmen einer 30-Stunden-Woche bewegen, und zwar für beide Geschlechter, und zu einem Gehalt, von dem man auch gut leben kann. (Beifall bei der LINKEN) Der CEDAW-Ausschuss sieht ebenfalls mit Besorgnis die seit langem bestehende Lohn- und Entgeltlücke. Er hat recht damit. Die Entgeltlücke zwischen den Geschlechtern liegt konstant bei 22 Prozent. Falls Ihr Gesetz das Bundeskanzleramt jemals wieder verlässt, wird das darin vorgesehene Auskunftsrecht leider weder diese Lücke schließen noch die Aufwertung von Frauenarbeit bewirken. Auch in den Führungsetagen sind Frauen eine Seltenheit. Auch in den Bundesbehörden und Bundesministerien gibt es etliche patriarchale Hochburgen. Im Bundesrechnungshof sind gerade einmal miserable 18,92 Prozent Frauen in Führungspositionen. Auch Minister Schäuble scheint weibliches Führungsvolk eher zu scheuen: Bei ihm sind von den 202 Führungskräften gerade einmal ein Fünftel weiblich. Nur im Bundesrat ist jede zweite Führungskraft eine Frau. Das zeigt aber: Wenn die Hausleitung es wirklich will, dann geht es auch. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frauen in Deutschland bekommen weniger Geld und haben weniger Chancen, aber Frauen arbeiten nicht weniger. Das stellt auch der CEDAW-Ausschuss fest und bemängelt die Folgen, zum Beispiel für die Altersversorgung von Frauen. Frauen arbeiten mit 45,5 Stunden pro Woche im Durchschnitt eine Stunde länger als Männer. Zwei Drittel dieser Zeit leisten sie unbezahlt; das sind immerhin 29,5 Stunden. Diese unbezahlte Arbeit umfasst etliches: Haushaltsführung, aber auch die Betreuung und Pflege von Kindern und anderen Haushaltsmitgliedern, Unterstützung für Personen, die nicht im Haushalt leben, und noch einiges mehr. Frauen schaffen also den Löwenanteil der Tätigkeiten weg, ohne die unsere Gesellschaft überhaupt nicht existieren könnte. Was bekommen sie dafür? Eine schlechtere Bezahlung, und wenn sie erwerbslos werden, haben sie nicht einmal einen eigenen Anspruch auf Sozialleistungen, weil sie in Bedarfsgemeinschaften gepresst werden. Für die Alterssicherung hat das alles schwerwiegende Folgen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wohl wahr!) In Deutschland beziehen Frauen nur 60,6 Prozent der Alterseinkommen der Männer, oder anders ausgedrückt 39,4 Prozent weniger. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine der heftigsten Diskriminierungen ist Armut. Die Schere zwischen Arm und Reich hat mittlerweile völlig absurde Ausmaße erreicht. Im Jahr 2014 waren rund 12,5 Millionen Menschen in Deutschland arm oder armutsgefährdet. Auch hier finden wir mehr Frauen als Männer. Alleinerziehende – das sind auch zu 90 Prozent Frauen – tragen ein besonders hohes Armutsrisiko. 40 Prozent von ihnen sind einkommensarm. Wie antwortet die Bundesregierung? Sie spart Fragen der Arbeitsteilung fast aus und meint, das Problem sei mit der Elternzeit und dem Elterngeld Plus fast erledigt. Sie hält weiter daran fest, dass Frauen sich eine dauerhafte und gut bezahlte Erwerbsarbeit suchen sollten, trotz der vorgetragenen Fakten und Daten. Ich finde das geradezu unerträglich. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Alle Frauen – wirklich alle Frauen! – haben eine eigenständige Perspektive verdient, und zwar nicht nur als Sahnebonbon, sondern als Menschenrecht. Der gesamte Bericht zu allen Artikeln liest sich leider so wie beschrieben. Entschlossenes Handeln wäre jetzt aber angemessener, damit die zahlreichen Frauen nicht länger diskriminiert werden und endlich ökonomisch unabhängig leben können. Die Linke will gerechte und gleiche Löhne, die Aufwertung von Frauenarbeit, endlich mehr Personal in der Pflege, eine sanktionsfreie Mindestsicherung, die Abschaffung von Bedarfsgemeinschaften und nicht zuletzt eine armutsfeste gesetzliche Rente. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke meint gleichstellungspolitisch und darüber hinaus: Das muss drin sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Die Kollegin Ursula Groden-Kranich spricht als Nächste für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Vor einer Woche habe ich hier zum Thema „Gleichstellung im Kulturbetrieb“ gesprochen. Auch die heutige Unterrichtung durch die Bundesregierung zeigt, dass uns alle das Thema „Diskriminierung von Frauen“ umtreibt; man möchte sagen: uns leider noch immer umtreibt. Die politische Arbeit an dieser Thematik ist – darin sind wir uns sicherlich alle einig – überaus mühsam, oft kleinteilig und geht deprimierend langsam vonstatten. Dennoch ist es wichtig, sich ab und zu vor Augen zu führen, dass es in unserem Land auch gute Fortschritte im Kampf gegen Diskriminierung gibt. Auch wenn es an der konsequenten Anwendung der bestehenden Gesetze zum Teil noch aus für mich unverständlichen Gründen hapert, gibt es viele Gesetze, um die uns Frauen anderer Nationen beneiden und auf die wir hierzulande stolz sein können; denn wir haben ein Allgemeines Gleichstellungsgesetz, und wir haben ein Grundgesetz, das in Artikel 3 die Diskriminierung von Frauen verbietet. Die jetzige Regierung hat in den letzten Jahren einige Vorhaben zum Abbau der Diskriminierung von Frauen umsetzen können. Ich nenne hier exemplarisch nur das Gesetz zur Frauenquote. Auch den Abbau von Entgeltungleichheit zwischen Männern und Frauen haben wir im Koalitionsvertrag gemeinsam festgeschrieben. Wie Sie wissen, befindet sich derzeit ein Gesetzentwurf zur Umsetzung eben dieser Pläne im Bundeskanzleramt. Also auch hier sind wir aktiv. Die Entgeltlücke als eine spezielle Form der Geschlechterdiskriminierung scheint mir in mancher Hinsicht symptomatisch zu sein; denn nicht nur beim Gender Pay Gap gilt: Das Problem, seine Ursachen und die möglichen Instrumente zur Behebung sind hinlänglich bekannt, die messbaren Fortschritte aber selbst nach jahrelangen Anstrengungen des Gesetzgebers immer noch eher dürftig. Woran liegt es also, dass Frauen in unserer Gesellschaft immer noch diskriminiert werden? An einem Mangel an Gesetzen liegt es meiner Meinung nach jedenfalls nicht. Ich habe es an dieser Stelle schon mehrfach gesagt und betone es gerne nochmals: Um Diskriminierung nachhaltig zu bekämpfen, dürfen wir uns nicht allein auf den Gesetzgeber verlassen – auf ihn natürlich auch –, sondern wir müssen der Diskriminierung auf allen politischen Ebenen und in allen gesellschaftlichen Kontexten entgegenwirken. (Beifall bei der CDU/CSU) Eine ganz wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang der Zugang zur Bildung, auf den meine Kollegin Christina Schwarzer noch eingehen wird. Ein grundsätzliches Problem beim Kampf gegen die Diskriminierung von Frauen ist sicherlich, dass sie in so unterschiedlichen Ausformungen daherkommt. Sie fängt bei vermeintlich harmlosen und oftmals sogar unbewussten Verletzungen wie dem sexistischen Sprachgebrauch an, und sie reicht bis zur grauenvollen körperlichen und seelischen Verletzung der Menschenwürde in Form von Zwangsprostitution und Genitalverstümmelung. Meine Damen und Herren, bei der Beschäftigung mit den verschiedenen Formen von Diskriminierung stoße ich in letzter Zeit immer wieder auf eine Gruppe betroffener Frauen, die für meine Begriffe noch viel zu wenig im Fokus unserer Aufmerksamkeit steht. Diese Frauen haben selbst leider oft nicht die Mittel oder die Kraft, stärker in Erscheinung zu treten: Ich denke an die Migrantinnen in diesem Land. Damit meine ich nicht nur die Frauen, die mit der aktuellen Flüchtlingswelle zu uns kommen und hier Schutz suchen. Nein, ich denke vor allem an die Migrantinnen der zweiten und dritten Generation, an Frauen, die oftmals sogar einen deutschen Pass besitzen und dennoch hier, mitten unter uns, in Parallelgesellschaften leben, die Lichtjahre von Artikel 3 unseres Grundgesetzes entfernt sind. Die ganz alltägliche und von uns allen mehr oder weniger stillschweigend geduldete Diskriminierung dieser Mädchen und Frauen aus muslimischen Familien reicht von vermeintlich banalen Dingen wie dem Verbot der Teilnahme am Sportunterricht oder am Unterricht an weiterführenden Schulen – von Universitäten ganz zu schweigen – bis hin zur Zwangsverheiratung minderjähriger Mädchen, die oft noch Jahre nach ihrer Ankunft in Deutschland unserer Sprache kaum mächtig sind und die ihren Ehemännern in jeder Hinsicht – körperlich, moralisch und wirtschaftlich – ausgeliefert sind. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir feststellen, dass Migrantinnen oft doppelt diskriminiert werden: einmal in der eigenen Community, und dann noch einmal von uns, indem wir für diese Art der Diskriminierung blind sind oder sie zumindest oft als Diskriminierung zweiter Klasse behandeln. Übrigens ist dieses Phänomen nicht nur in Großstädten zu beobachten. Ich selber wurde in den letzten Jahren bei Begegnungen in meiner Heimatstadt immer wieder damit konfrontiert. Bei „öffentlichen“ Terminen waren Frauen mit größter Selbstverständlichkeit einfach ausgeschlossen. Während des Ramadans beispielsweise war ich sowohl bei türkischen Familien als auch in Moscheen zum täglichen Fastenbrechen eingeladen. Vor Ort wurde ich jedoch fast ausschließlich von Männern empfangen; die Frauen durften nicht an den Begegnungen teilnehmen. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen Sie eigentlich für die Integration? Sie machen doch nichts!) Oder: Beim Besuch von Flüchtlingseinrichtungen in meinem Wahlkreis war ich erfreut, zu hören, dass es noch freie Plätze in Deutschkursen gibt. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie doch nicht immer über „die“ und „wir“!) – Ach, lassen Sie es doch, Frau Schauws, ehrlich! Bei dem Thema sind nämlich auch Sie auf einem Auge blind. (Beifall bei der CDU/CSU – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, sind wir nicht!) Vor Ort sagte mir dann aber beispielsweise eine tschetschenische Frau, ihr Mann wünsche nicht, dass sie an einem solchen Kurs teilnimmt, weil dort auch Männer sind. Dies trifft nicht nur Frauen in Flüchtlingsheimen, sondern es trifft auch Frauen, die bereits seit vielen Jahren in unserem Land sind. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gab zwei Verabschiedungen, durch die die Schutzbedürftigen schlechtergestellt wurden!) Ich sage Ihnen ganz offen: Vorfälle wie diese lassen mich besorgt, wütend und leider auch regelrecht hilflos zurück. Sie bringen mich argumentativ in Bedrängnis. Denn wie soll ich meiner Tochter – – (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat eigentlich die Deutschkurse, die Integrationskurse eingeführt? Wir, gegen Ihren Widerstand! – Zuruf des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU]) – Noch gilt es, dass jeder eine eigene Meinung haben darf und diese auch hier im Bundestag frei äußern darf. Insofern hat das auch mit Diskriminierung zu tun. (Beifall bei der CDU/CSU) Vorfälle wie diese lassen mich besorgt, wütend und auch regelrecht hilflos zurück. Denn wie soll ich meiner Tochter im Anschluss an solche Begegnungen erklären, dass sich Männer dieses Verhalten herausnehmen dürfen, ohne bestraft zu werden, und Frauen dies ertragen müssen? Da frage ich manchmal auch, Frau Künast: Wo ist der Aufschrei der grünen Feministinnen? (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach Gott! Jetzt schlägt’s aber 13! – Mechthild Rawert [SPD]: Deswegen wollen wir ja die Istanbul-Konvention durchsetzen!) Warum konnten über Jahrzehnte hinweg Parallelgesellschaften entstehen, in denen Frauen und Mädchen einem chauvinistischen Diktat unterworfen werden, das nicht einmal ansatzweise mit unserer Rechtsordnung vereinbar ist, sondern diese bewusst und schamlos verachtet? (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir fragen beim § 177 noch mal, ob Sie uns unterstützen! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gleich sagen Sie noch, Sie sind Feministin!) Ist das unsere Vorstellung von Toleranz und kultureller Freiheit? Kann sie das wirklich sein? Ich denke: nein. Im vergangenen Jahr konnte ich an der UN-Frauenrechtskonferenz in New York teilnehmen. Die Ziele der Resolution „Peking + 20“, die unter anderem den Abbau von Diskriminierung zum Ziel hat, sind aktueller und notwendiger denn je. In meinen Gesprächen mit Politikerinnen und Aktivistinnen verschiedenster Herkunft hat sich ein Punkt immer wieder herauskristallisiert, den ich absolut einleuchtend und enorm wichtig finde: Der Kampf um Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung ist eben nicht eine reine „Frauensache“. Genau da setzen internationale Kampagnen, zum Beispiel „HeForShe“ der UN Women, an. Denn von einer aufgeklärten, emanzipierten und diskriminierungsfreien Gesellschaft profitieren am Ende alle: Männer und Frauen. Das haben einschlägige Untersuchungen bereits für verschiedene Länder gezeigt. Auch ein Bericht der Weltbank kommt zu dem Schluss, dass eine starke Wirtschaft, kulturelle Innovation und soziale Gerechtigkeit fast automatisch dort entstehen, wo besonders viel für die Geschlechtergerechtigkeit getan wird. Wir Frauen sollten also nicht den Fehler machen, Männer beim Thema Diskriminierung immer nur als potenzielle Gegner zu betrachten. Im Gegenteil: Wir brauchen Männer dringend als Mitstreiter der Frauen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Mechthild Rawert [SPD]: Wenn sie an meiner Seite sind: Ja!) und vor allem als positive Rollenvorbilder und Korrektive für die Generation unserer Söhne, Neffen und Enkel. (Zurufe von der LINKEN) – Ich glaube, im Moment sind mehr Männer von der CDU/CSU da als von den Linken. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Wir machen manchmal auch Anmerkungen, die für alle gelten!) Väter können und müssen ebenso wie Mütter dazu beitragen, dass ihre Töchter starke Persönlichkeiten werden, die sich ihrer Rechte als Frauen bewusst sind. Oder wie es kürzlich in einem Artikel auf Zeit Online so schön auf den Punkt gebracht wurde: „Deutschland braucht mehr Feministen!“ Die Diskriminierung von Frauen muss geächtet werden, und zwar von allen Menschen, die in diesem Land leben, völlig unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit, ihrer Religion, ihrer kulturellen Herkunft und ihrer politischen und privaten Überzeugung. Ich wäre sehr glücklich, wenn ich in einer der nächsten Reden zu dieser Thematik den Satz der US-amerikanischen Sozialreformerin Alice Hamilton zitieren könnte: Für mich liegt die Befriedigung darin, dass die Dinge jetzt besser sind und dass ich daran Anteil hatte. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Ulle Schauws. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Ulle, erklär es noch mal! – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der Linken) Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat 1979 das wichtige Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau beschlossen. CEDAW gilt bis heute als wichtigstes Menschenrechtsinstrument für Frauen weltweit. Das BMFSFJ misst dem Staatenbericht von CEDAW hohe Bedeutung bei. Das begrüßen meine Fraktion und ich ausdrücklich; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) denn das war in der letzten Wahlperiode unter CDU-Führung deutlich anders. Kollegin Groden-Kranich, wenn Sie hier heute mit Verve eine Rede für die Frauenrechte halten, sage ich Ihnen ganz klar: Gestern wurde ein Asylpaket II verabschiedet, in dem das Gewaltschutzkonzept für Frauen gekippt worden ist. Das ist die Wahrheit, und auch die müssen Sie sich anhören. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Was Sie hier gestern verabschiedet haben, bietet Frauen keinen Schutz, ganz im Gegenteil. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nächstes Jahr ist Kauder Feminist!) Ich frage mich, warum Sie vom Ministerium und auch Sie von den Fraktionen der Großen Koalition bei der Debatte zum Internationalen Frauentag auf eine Rückschau setzen. Der Bericht weist doch klar auf die drängenden Aufgaben hin, zum Beispiel auf das überfällige Entgeltgleichheitsgesetz. Der Staatenbericht kritisiert die Situation seit Jahren. Es wäre meines Erachtens das richtige Signal gewesen, wenn Sie als Bundesregierung heute einen Gesetzentwurf für ein wirksames Entgeltgleichheitsgesetz vorgelegt hätten. Ich hätte das als ein gutes Signal gefunden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Aber bis auf Ankündigungen hat diese Regierung nichts vorzuweisen. Frauen bekommen nach wie vor 22 Prozent weniger Lohn. Das ist und bleibt ein Skandal! Ich habe die Befürchtung – ich bin da nicht alleine –, dass der von Ihnen angekündigte Gesetzentwurf wenig wirksam sein wird, dass er den Frauen am Ende wenig bringt. Mit Ihrer geplanten Transparenzoffensive für Unternehmen mit mehr als 500 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern werden Sie nur wenige Frauen erreichen. Ohne ein Verbandsklagerecht – das sage ich ganz klar – stärken Sie die Unternehmen, aber nicht die Frauen. Und was ist das bitte für ein Signal an Frauen? Der Bericht der Kommission der Antidiskriminierungsstelle – das war in dieser Woche Thema im Ausschuss – hat das sehr klar kritisiert. Ihre Koalition knickt bereits jetzt vor der Wirtschaft und vor der Industrie ein, die gegen dieses Gesetz schon Sturm laufen. Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: Alle Frauen- und Sozialverbände werden Sie daran messen, was am Ende des Tages von einem Entgeltgleichheitsgesetz übrig bleibt. Gegen jede Diskriminierung von Frauen ist ein Gesetz nur dann gut, wenn es auch Wirkung zeigt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Ich will noch auf einen weiteren Punkt eingehen. Beim Kampf gegen Sexismus und bei der Suche nach Lösungen zur verbesserten Finanzierung von Frauenhäusern bleiben Sie im Ministerium komplett untätig. Erfolgreiche Regierungsarbeit, aber auch Gesetze, die gegen die Diskriminierung von Frauen wirken, müssen Sie umsetzen. Meine Damen und Herren, die CEDAW-Empfehlung zu Prostitution kritisiert scharf – ich zitiere –, „dass die gesteckten Ziele durch das Gesetz nur in sehr geringem Umfang erreicht wurden“. Konkret heißt das: keine Verbesserung der sozialen Lage, keine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und keine Verringerung der Kriminalität für Prostituierte. Daran wird auch Ihr geplantes Prostitutionsgesetz nichts ändern. Ganz im Gegenteil: Mit Ihrem Gesetzesvorschlag treiben Sie Prostituierte geradezu in die Illegalität. Mit der Anmeldepflicht müssen sich diese für jede sexuelle Dienstleistung anmelden – auch wenn sie nur gelegentlich stattfindet. Es geht Ihnen in der Union und in der SPD nicht um den Schutz der Prostituierten. Nein, im Gegenteil: Es geht um Kontrolle. Anstatt endlich die Richtlinie zum Schutz der Opfer von Menschenhandel umzusetzen, laufen Sie Gefahr, ein Bürokratiemonster zu schaffen, das die Länder und Kommunen nicht wollen. Da frage ich ganz klar: Wie wirken Ihre Gesetze eigentlich? Der CEDAW-Ausschuss ist besorgt darüber, dass die Bundesregierung Rollenstereotype nicht proaktiv bekämpft. Auch wird Besorgnis über sexistische Werbung geäußert. Ein Vorschlag des CEDAW-Ausschusses liegt längst auf dem Tisch: Mit einer unabhängigen Stelle könnte sexistische Werbung wirksam geprüft werden. – Dazu habe ich von Ihnen nichts gehört. Ich bin auch gespannt, wie weit Sie am Ende des Tages beim Sexualstrafrecht wirklich gehen, ob wir am Ende des Tages ein Gesetz haben, nach dem das Nein auch ein Nein ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist noch viel zu tun. Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, dieses Jahr 2016 zum Jahr der Frauen ausrufen, dann dürfen wir wirklich mehr von Ihnen erwarten, nämlich Ankündigungen, die dann auch wirklich umgesetzt werden, Gesetze, die ihren Namen wirklich verdienen, und Maßnahmen, die gegen Diskriminierung von Frauen wirksam sind. Beherzigen Sie doch das, was schon die Vorkämpferinnen für das Frauenwahlrecht forderten. Ihr Motto hieß: „Taten statt Worte“. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und uns allen einen guten Frauentag. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Carola Reimann für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Carola Reimann (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für gleiche oder gleichwertige Arbeit darf nicht wegen des Geschlechts ein geringerer Lohn gezahlt werden. So steht es in etwas holprigem Deutsch auf Seite 35 des CEDAW-Berichts aus dem Jahr 1988. Das war der erste Bericht, den die Bundesregierung nach der Ratifizierung des Übereinkommens vorgelegt hat. Heute, 28 Jahre und etliche CEDAW-Berichte später, äußert sich der zuständige UN-Fachausschuss besorgt über die bestehenden Lohn- und Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern in unserem Land. Fast drei Jahrzehnte sind vergangen, und wir sind von dem Ziel „gleicher Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit“ noch immer meilenweit entfernt. Wer immer noch glaubt, diese Lücke werde sich schon irgendwann irgendwie von selbst schließen, der sollte einmal einen Blick in die Berichte der vergangenen Jahre werfen. Da steht schwarz auf weiß: Wenn wir als Gesetzgeber jetzt nicht tätig werden, dann wird sich auch in den nächsten 30 Jahren nichts bewegen. Kolleginnen und Kollegen, dank der Initiativen der Ministerinnen Schwesig und Nahles kommen wir bei der Entgeltgleichheit in dieser Legislaturperiode aber endlich voran. Vom Mindestlohn profitieren Millionen Beschäftigte, insbesondere Frauen, vor allem Frauen im Dienstleistungssektor. (Beifall bei der SPD) Damit ist der Mindestlohn ein wichtiger Baustein zur Verringerung der bestehenden Lohnlücke. Zu diesen Bausteinen gehören natürlich auch der weitere Ausbau der Kindertagesbetreuung, das neue Elterngeld Plus und das geplante Pflegeberufegesetz, das zu einer Aufwertung der sozialen Berufe führen wird. Kernstück unserer Strategie zur Bekämpfung der Lohnlücke ist aber das Gesetz für mehr Lohngerechtigkeit; den Gesetzentwurf hat Ministerin Schwesig zurzeit in Arbeit. Es setzt auf neue Instrumente wie den individuellen Auskunftsanspruch für Beschäftigte, die betrieblichen Verfahren und die Berichtspflichten. Vor allem setzt es auf Transparenz; denn die Frage des Gehalts – darüber sind wir uns hier im Raum doch alle einig – ist in Deutschland eines der letzten großen Tabus. Dieses Tabu schadet vor allem den Frauen; denn viele wissen schlichtweg nicht, ob sie überhaupt fair bezahlt werden. Das muss sich ändern; denn nur dann können Frauen sich auch gegen Lohnungerechtigkeit zur Wehr setzen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Bevölkerung ist bei der Frage der Transparenz und Vergleichbarkeit von Gehältern längst weiter: Knapp 70 Prozent sind laut einer Studie des DELTA-Instituts dafür, dass Gehaltsstatistiken im Betrieb offengelegt werden. Das zeigt: Die Leute wollen Transparenz über Gehaltsfragen. Deshalb muss Schluss sein mit der Geheimniskrämerei auf Kosten der Frauen. (Beifall bei der SPD) Kolleginnen und Kollegen, die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern – die Staatssekretärin hat das ausgeführt – hat viele Ursachen. Eine ist die Position von Frauen in der Unternehmenshierarchie. Mit der Frauenquote haben wir nicht nur einen wichtigen, ja historischen Schritt für mehr Gleichberechtigung geschafft, sondern wir haben auch die Weichen für mehr Vielfalt in den Führungsetagen gestellt. (Beifall bei der SPD) Zugegeben, heute ist es für eine umfassende Bilanz noch zu früh. Das Gesetz ist gerade erst in Kraft getreten und wirksam. Man kann aber doch festhalten, dass durch die Quote einiges in Bewegung gekommen ist, nicht nur durch die gesetzlichen Vorgaben, sondern auch durch die öffentliche Debatte über Frauenanteile in Spitzengremien. Es gibt einige Unternehmen, die mit positiven Zahlen wirklich punkten können, andere müssen sich aber der öffentlichen Kritik stellen. Wenn man immer nur hinterherhechelt, gibt man in der Öffentlichkeit natürlich kein gutes Bild ab. Ich kann diesen Unternehmen nur raten: Wer die Quote ignoriert, schadet am Ende vor allem sich selbst. (Beifall bei der SPD) Kolleginnen und Kollegen, der aktuelle CEDAW-Bericht zeigt, dass wir bei der Gleichstellung vor allem in den letzten zwei Jahren ein gutes Stück vorangekommen sind. Vieles baut auf Errungenschaften auf, die von Frauen, auch von Frauen hier im Haus, von allen, über Jahrzehnte hinweg hart erkämpft wurden, oft gegen ganz erhebliche Widerstände. In den letzten Wochen und Monaten preisen auch diejenigen diese Errungenschaften, die bislang nicht als die eifrigsten Leser der CEDAW-Berichte in Erscheinung getreten sind. Ich will an dieser Stelle nicht über die Beweggründe und die Motive der neuen Kämpfer für Gleichstellung und Frauenrechte spekulieren. Ich will an dieser Stelle aber darauf hinweisen, dass es schon bald die Gelegenheit gibt, hier im Parlament dafür zu sorgen, dass Gleichstellung und Frauenrechte in diesem Land weiter gestärkt werden, zum Beispiel mit dem Gesetz für mehr Lohngerechtigkeit und mit einer grundlegenden Reform des Sexualstrafrechts. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Mechthild Rawert [SPD]: Großer Beifall bei der Union!) Es sind alle herzlich eingeladen, mitzuhelfen. Danke. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Mechthild Rawert [SPD]: Ich sage es ja: Großer Beifall!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Christina Schwarzer, CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Christina Schwarzer (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau definiert diese in Artikel 1 wie folgt: ... jede mit dem Geschlecht begründete Unterscheidung, Ausschließung oder Beschränkung, die zur Folge oder zum Ziel hat, dass die auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau gegründete Anerkennung, Inanspruchnahme oder Ausübung der Menschenrechte und Grundfreiheiten durch die Frau – ungeachtet ihres Familienstands – im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, staatsbürgerlichen oder jedem sonstigen Bereich beeinträchtigt oder vereitelt wird. Schaue ich mir diesen Artikel Stück für Stück an, wird zumindest deutlich: Vom gesetzlichen Standpunkt her haben wir in Deutschland eine Gleichberechtigung von Mann und Frau. Das ist eine gute Nachricht, eine wichtige Grundlage, aber damit allein wird absolut keine Aussage über die tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter in unserem Land getroffen. Das Übereinkommen geht mit gutem Recht noch einen Schritt weiter. Es verpflichtet die Vertragsstaaten zur Durchführung von Maßnahmen, die nicht nur die juristische, sondern auch die tatsächliche Gleichberechtigung von Frau und Mann herbeiführen sollen. Diese Zielstellung ist richtig und wichtig, macht es für den Vertragsstaat aber selbstverständlich ungleich schwieriger, die gemeinsam angestrebten Ziele zu erreichen. Die Gleichberechtigung in der Wirtschaft, in den Medien, in der Öffentlichkeit, ja sogar in der Familie selbst kann durch einzelne Regelungen oder Gesetze, Projekte oder Kampagnen forciert und gefördert, nie jedoch gänzlich herbeigeführt werden. Auch wird eine Diskriminierung im Zweifel unterschiedlich empfunden. Der UN-Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau berücksichtigt diese beiden Faktoren auch in seinen Stellungnahmen zum Bericht, zum Beispiel, wenn es um die Geschlechtsstereotypen in der Öffentlichkeit, vor allem in den Medien, geht. Der Bericht erkennt hier klar an, dass die Bundesrepublik Deutschland, in der die Unabhängigkeit der Medien ein wichtiges Element der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist, die Vermittlung eines positiven Frauenbildes nicht verlangen kann. Als Gesellschaft können wir dies einfordern – das sollten wir auch dringend tun –, und die Politik kann dies durch viele Maßnahmen unterstützen. (Beifall bei der CDU/CSU) Die tatsächliche Gleichberechtigung von Mann und Frau ist ein wichtiges politisches und gesellschaftliches Ziel. Es ist in unserer Gesellschaft allgemein anerkannt, von traurigen Ausnahmen abgesehen. Wenn wir, die wir hier sitzen, auf die Straße gehen und ein paar Menschen fragen würden, ob sie die Gleichstellung der Geschlechter für wichtig und richtig halten, dann – da bin ich mir sicher – würden die meisten mit Ja antworten. Ich bin aber auch von Folgendem überzeugt: Würden wir die Menschen draußen fragen, ob sie in ihrem persönlichen Umfeld Frauen diskriminieren oder sich als Frau diskriminiert fühlen, würde ein nicht unbeachtlicher Teil mit Nein antworten. Das hat auch damit zu tun, wie wir ganz persönlich die Dinge einschätzen. Der Chef eines kleinen IT-Unternehmens, der den männlichen einem gleichqualifizierten weiblichen Bewerber vorzieht, tut dies nicht mit dem erklärten Ziel, die Bewerberin zu diskriminieren, sondern vielmehr nur aus einem gefühlten Vorteil des Mannes heraus, den der Chef gar nicht so recht erklären kann, aber so empfindet. Die junge Mutter, die sich die familiären Aufgaben mit ihrem Partner so aufteilt, dass sie in den ersten Jahren die hauptsächliche Arbeit bei der Umsorgung der Kinder trägt, fühlt sich dadurch nicht zwingend diskriminiert. (Zuruf der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) Doch summieren sich viele kleine solcher Beispiele, Frau Rawert, trägt dies auch dazu bei, dass der Bericht bei uns in Deutschland natürlich eine strukturelle Benachteiligung der Frauen feststellt. Hinzu kommen die wirklich schlimmen Ausnahmen der Benachteiligung von Frauen, wenn diese beispielsweise aufgrund ihres Geschlechts im Beruf ganz offen und gezielt benachteiligt werden oder zum Beispiel häusliche Gewalt erfahren. Dazu muss man aber auch Folgendes feststellen: Wenn ein Mann seine Frau verprügelt, dann haben wir es nicht mit einer strukturellen oder gar gesetzlichen Benachteiligung der Frauen zu tun, sondern wir haben es schlichtweg mit einem miesen Typen zu tun, der eher ein Fall für den Staatsanwalt und nicht für die Gleichstellungsbeauftragte ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Sönke Rix [SPD]) Die heute schon vielfach angesprochene Lohndiskrepanz zwischen Männern und Frauen – mag man nun die unbereinigte Zahl von 22 Prozent, den bereinigten Wert von 7 bis 8 Prozent oder gar die umstrittenen 2 Prozent des Instituts der deutschen Wirtschaft heranziehen – ist ohne Zweifel ein Thema, dessen wir uns annehmen müssen. Wir tun dies schon seit Jahren. Viele Maßnahmen wurden heute auch schon genannt, zum Beispiel das ElterngeldPlus, die Frauenquote in der Wirtschaft oder der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz. Warum wirkt das ElterngeldPlus so gut? Ein Teil des Gender Pay Gap lässt sich darauf zurückführen, dass Frauen, gesamtgesellschaftlich betrachtet, die Hauptaufgabe bei der Kinderbetreuung stemmen. Wir sind hier auf einem sehr guten Weg, die partnerschaftliche Aufteilung bei der Kinderbetreuung stärker den Wünschen junger Familien anzupassen. Väter wollen nämlich mehr für ihre Kinder da sein; zahlreiche Studien belegen dies. Mit dem ElterngeldPlus unterstützen wir sie dabei. Das hat selbstverständlich auch positive Auswirkungen für Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Um es etwas salopp zu sagen: Wenn der Chef nicht einschätzen kann, ob eine potenzielle junge Mutter oder ein potenzieller junger Vater das Ausfallrisiko im Fall einer Familiengründung ist, wird er womöglich bei der Besetzung eines neuen Postens kein Geschlecht bevorzugen oder benachteiligen. Der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz sowie der maßgeblich vom Bund finanzierte Ausbau der Kinderbetreuungsplätze sind ebenfalls dazu geeignet, eine schnelle Rückkehr von Frauen ins Erwerbsleben zu fördern, so sie denn wollen. Wenn wir also konstatieren, dass bereits viele Schritte getan sind, es noch ein gutes Stück Weg hin ist bis zu einer reellen Gleichberechtigung von Mann und Frau, viele in unserer Gesellschaft dies aber in ihrer täglichen Lebensrealität nicht empfinden oder zumindest als weniger dringlich einstufen, ist es mir wichtig, die Problematik noch aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Der Bericht bezieht eindeutig auch Deutschlands föderale Struktur – seine 16 Bundesländer mit rund 11 000 Kommunen – und die sich daraus ergebenden Aufgabenstrukturen ein. Stellen wir folgende Überlegung an: Ein nicht zu vernachlässigender Faktor für die Lohnlücke ist die Berufswahl. Wir finden Frauen häufig – Frau Dr. Reimann, Sie erwähnten das – in schlechter bezahlten Dienstleistungsberufen in der Pflege, im Einzelhandel oder in der Kinderbetreuung. Männer dominieren in besser bezahlten Berufen und bei Vorstandsposten. Die Grundlage hierfür legen wir in der Schule, in der Ausbildung und im Studium. Lassen Sie uns einen Blick in die Klassenräume und die Hörsäle werfen. In Deutsch-Leistungskursen gibt es mehr Mädchen, bei der Informatik als Wahlfach mehr Jungen. Auch in den Klassen, in denen zum Fachinformatiker ausgebildet wird, sind die Jungen in der Überzahl. Der Anteil der Frauen in Maschinenbaustudiengängen steigt; aber auch hier liegen die Frauen immer noch zurück. Bei den Sozialwissenschaften hingegen dominieren die Frauen. Dass wir im Bereich IT ein Bildungs- und Ausbildungsproblem haben, stelle ich immer wieder fest, wenn ich Schülergruppen zu Besuch habe. Bei den Mädchen – aber auch Jungen erzählen das oft – hält sich die Begeisterung für den Informatikunterricht arg in Grenzen. Es scheint, als müsse man schon eine große Begeisterung für diese vermeintlich langweiligen Dinge mitbringen, um eine Leidenschaft für dieses Thema zu entwickeln. Was ich damit sagen will: Eine wichtige Grundlage für weniger Diskriminierung am Arbeitsmarkt – und damit bei den Löhnen – legen wir mit unseren Lehrplänen bzw. mit unserem Bildungssystem. Damit sind wir beim Föderalismus und bei den Ländern. Wenn wir wollen, dass sich diese Form von Männer- bzw. Frauenüberhang in bestimmten Berufsgruppen ausgleicht, müssen wir unseren Kindern verschiedene Themen von Anfang an strukturiert beibringen. Aber das allein reicht noch nicht aus. Wir müssen unseren Schülern die Dinge auch richtig – soll heißen: kindgerecht – beibringen. Einige Menschen müssen aufhören, zu verneinen, dass Mädchen und Jungen unterschiedlich lernen. Diese Tatsache wird von ihnen als unsäglich gebrandmarkt. Tatsächlich ist das aber so. Das heißt, dass vor allem MINT-Unterricht nicht nur kindgerechter, sondern auch individueller werden muss. (Beifall bei der CDU/CSU) Das ist nicht nur für die Jungen und Mädchen selbst, sondern auch für die Wirtschaft wichtig. Die Studienergebnisse im Rahmen des „trendence Schülerbarometers“ 2015 zeigen, dass sich mit knapp 30 Prozent besonders Jungen eine Ausbildung im technischen oder mechanischen Bereich wünschen und nur 11,9 Prozent eine Ausbildung in der Informatik anstreben. Nur 2 Prozent der befragten Mädchen interessieren sich hingegen für eine entsprechende Ausbildung. Auch bei angestrebten Studienrichtungen lassen sich Unterschiede bei der Beliebtheit seitens der Geschlechter feststellen. Während rund 11 Prozent der befragten Jungen ein Informatikstudium beginnen wollen, sind nur 0,8 Prozent der Schülerinnen daran interessiert. Klar ist: Die IT-Berufsgruppen brauchen Mädchen und Frauen. Die reelle Gleichberechtigung am Arbeitsmarkt ist nicht nur ein Instrument der Frauenförderung, sondern auch der Wirtschaftsförderung. Neben den heute schon vielfach angesprochenen Schritten beim Elterngeld, bei der Quote, bei der Rückkehr von Teilzeitarbeit in Vollzeitarbeit und bei vielem mehr ist das diesbezügliche Fitmachen unseres Bildungssystems meines Erachtens eine der wichtigsten Maßnahmen, um das gemeinsame Ziel, die Lohnlücke zu schließen – darüber wurde heute schon vielfach gesprochen –, zu erreichen, damit wir, liebe Ulle Schauws, den Equal Pay Day künftig auch an Silvester feiern können. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Katja Dörner. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Gäste! Dass wir über eine konkrete frauenpolitische Initiative dieser Bundesregierung gesprochen haben, ist ziemlich genau ein Jahr her. Damals wurde nämlich das „Quötchen“ verabschiedet. Das ist sicherlich eine gute Sache, aber nicht wirklich der ganz große Wurf. Das war vor einem Jahr. Heute diskutieren wir über den CEDAW-Bericht. Es ist klar: Der CEDAW-Bericht – er ist das wichtigste Menschenrechtsinstrument für Frauen – ist ohne Frage eine Debatte wert. Ich will aber doch feststellen: Dass zum 8. März, dem Internationalen Frauentag, so gar keine konkrete Initiative von der Bundesregierung ausgeht, enttäuscht mich und erschreckt mich auch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Denn das zeigt, dass der Bundesregierung in der Frauenpolitik die Puste ausgegangen ist, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen. Dabei gibt es wirklich genug zu tun, um das anzugehen, was CEDAW einfordert, nämlich die Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau. Der aktuelle Bericht gibt auch ganz klare Hinweise, was für die Bundesrepublik ansteht. Einen Punkt will ich hier noch einmal ganz stark betonen: – Stichwort „Entgeltgleichheit“. Deutschland besetzt seit Jahren den traurigen Spitzenplatz in der Europäischen Union, wenn es um die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern geht. In keinem anderen europäischen Land gilt der Leitsatz „Gleicher Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit“ so wenig wie bei uns. Das ist einfach beschämend und ein Ärgernis, dessen Beseitigung wir wirklich umgehend in Angriff nehmen sollten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das immer wieder angekündigte Entgeltgleichheitsgesetz liegt uns bis heute noch immer nicht vor. Da die Spatzen von den Dächern pfeifen, wie massiv Teile der Bundesregierung schon jetzt auf die Bremse drücken, dürfen wir leider nicht viel Gutes für dieses Gesetz erwarten. Wenn das Entgeltgleichheitsgesetz der Großen Koalition tatsächlich nur für Betriebe mit mehr als 500 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen gelten soll, wie es wohl geplant ist, dann ist der zahnlose Tiger doch schon vorprogrammiert. Wir Grüne wollen ein Entgeltgleichheitsgesetz, das tatsächlich wirkt und seinen Namen auch verdient. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Da ich schon einmal bei nicht umgesetzten Ankündigungen bin: Wo steckt eigentlich das Recht auf Rückkehr in Vollzeit? Frau Ferner hat es heute auch wieder angekündigt. Ich habe das gestern einmal flott gegoogelt: Manuela Schwesig hat es am 9. Januar 2014 und am 7. Januar 2015 angekündigt, Andrea Nahles hat es am 18. Dezember 2013, am 15. März 2014 und am 7. Januar 2015 angekündigt. Das ist noch nicht einmal eine vollständige Auflistung. Für 2015 wurde es uns dann konkret versprochen. Wo steckt der entsprechende Gesetzentwurf? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das Recht auf Rückkehr in Vollzeit ist zentral, um Frauen den Weg aus der erzwungenen Teilzeit zu ebnen, aber eben auch, um Teilzeit für Männer attraktiver zu machen. Deshalb muss es unbedingt kommen. Wir fordern die Bundesregierung auf, endlich einen Gesetzentwurf zu diesem Thema vorzulegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die autonomen Frauenhäuser haben vor einer Woche eine Bustour durch die Bundesländer gestartet. Sie machen damit auf die schwierige finanzielle Situation der Frauenhäuser aufmerksam. Ich bin der Initiative sehr dankbar, dass sie so hartnäckig an diesem Thema dranbleibt. Dieses Thema wird auch im CEDAW-Bericht ganz zentral aufgegriffen. Der Ausschuss zeigt sich sehr besorgt über die fehlende nachhaltige Finanzierung der Frauenhäuser und den mangelnden Zugang für Frauen mit Behinderung, für Ausländerinnen und für einkommensschwache Frauen. Hier besteht auch ganz klar Handlungsbedarf. Die Zuständigkeit für die Finanzierung der Frauenhäuser darf nicht einfach lapidar auf die Länder und auf die Kommunen abgeschoben werden. Wir sehen hier den Bund weiterhin in der Pflicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Ich konnte nur einige Beispiele nennen, aber es gibt frauenpolitisch nun wirklich genug zu tun. Es wird Zeit, dass sich die Bundesregierung wieder aufrafft, hier konkrete Initiativen vorzulegen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als erster Kollege in dieser Debatte hat jetzt Sönke Rix für die SPD das Wort. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU ) Sönke Rix (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal zur Frage, ob in der Frauenpolitik die Luft raus ist: Ich kann zumindest für den linken Lungenflügel der Koalition sagen, dass dort noch genug Luft drin ist, Frau Kollegin. (Beifall bei der SPD – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Im rechten auch!) Gemeinsam mit dem rechten Lungenflügel werden wir hier auch noch zu weiteren Maßnahmen kommen. (Zuruf von der LINKEN: Wann denn?) Eine weitere Vorbemerkung, weil es immer wieder auch darum geht, welche Verantwortung die Länder in vielen Fragen haben. Es nützt ja nichts – Sie haben das gerade am Beispiel der Frauenhäuser noch einmal getan –, wenn wir uns hier immer wieder sagen, der Bund müsse stärker Verantwortung übernehmen, (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!) wenn die Länder das nun einmal nicht wollen. In den Ländern regieren auch Sie mit, liebe Grünen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Cornelia Möhring [DIE LINKE]: Das ist doch nicht so!) – natürlich ist es so: auch dort regieren Sie mit, liebe Grünen –, und von daher: Lassen Sie uns einmal die Kirche im Dorf lassen und die Verantwortung dort belassen, wo sie gerade ist, und lassen Sie uns auch einmal unsere eigenen Landesregierungen auffordern, dort etwas zu tun. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Im Übrigen geht Schleswig-Holstein hier mit sehr gutem Beispiel voran und ist vorbildlich. Das wird – zumindest im Vergleich zu den anderen Ländern – auch die Kollegin Möhring zugeben müssen. Wir in Schleswig-Holstein haben das schon schneller erkannt. (Cornelia Möhring [DIE LINKE]: Das entlässt uns aber nicht aus der Verantwortung!) Gerade in der Debatte und auch insgesamt wird, wenn man über Gleichstellungspolitik diskutiert, häufiger die Frage gestellt: Brauchen wir da eigentlich noch Gesetze? Wir haben doch die Gleichstellung im Grundgesetz festgeschrieben. Wo werden denn Frauen durch welche Maßnahmen tatsächlich benachteiligt oder diskriminiert? Auch hier in der Debatte hat das am Rande eine Rolle gespielt. Es wurde erklärt, es gebe doch so viele Gesetze, und eigentlich brauche man doch keine gesetzlichen Regelungen mehr. Wer so etwas sagt, der redet unverantwortlich angesichts dessen, was wir über Diskriminierung von Frauen in diesem Lande wissen. (Beifall bei der SPD) Der Lohnunterschied beträgt über 20 Prozent. Frauen sind immer noch stärker von Armut betroffen als Männer. Frauen sind noch immer stärker von Gewalt betroffen als Männer. Frauen haben noch immer schlechtere Aufstiegschancen als Männer. Diese Liste ließe sich noch fortführen. Wer an dieser Stelle behauptet, das sei nur ein gesellschaftliches Problem, man brauche keine gesetzlichen Regelungen, der liegt falsch, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Silke Launert [CDU/CSU]) Wir haben in dieser Koalition schon gesetzliche Regelungen auf den Weg gebracht, und wir haben auch noch weitere vor uns. Ich erinnere an die Einführung der Quote. Und ich erinnere an die Maßnahmen, die wir, federführend beim Justizressort, zur Verschärfung des Sexualstrafrechts vor uns haben. (Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) Ich erinnere an das Gesetz zur Lohngerechtigkeit. Also, wir regeln Dinge gesetzlich. Das haben wir uns als Koalition gemeinsam auf die Fahnen geschrieben. Das sollten wir nicht kleinreden. Ein Wort zur Lohngerechtigkeit, weil auch Sie, Frau Dörner, in Ihrer Rede darauf hingewiesen haben, dass die Regelung hierzu kein zahnloser Tiger werden dürfe. Ich kann Ihnen für die SPD-Fraktion versichern: Einer Regelung, die einem zahnlosen Tiger gleicht, werden wir nicht zustimmen. Ein Gesetz nur um des Gesetzes willen brauchen wir nicht. Wir brauchen ein Gesetz um der Wirkung willen. Daran arbeiten wir, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD) Wir wissen, dass wir eigentlich noch viel mehr Biss haben müssten und könnten. Leider lässt uns der Koalitionsvertrag nicht so viel Spielraum, wie wir ihn vielleicht mit anderen Mehrheiten in diesem Hause hätten. Aber er lässt uns Spielraum. Ich appelliere an die Koalitionskolleginnen und -kollegen von der Union, diesen Spielraum zu nutzen, damit es ein wirksames Gesetz wird. (Beifall bei der SPD – Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Alles, was vernünftig ist!) Lassen Sie mich noch kurz über Rollenbilder sprechen, weil auch das ein Thema ist, an dem wir arbeiten müssen. Ich habe mich vorhin an das Lied Männer, von Herbert Grönemeyer, erinnert gefühlt. Er singt: Männer haben Muskeln. (Dagmar Ziegler [SPD]: Wenn sie mal welche hätten!) Männer sind furchtbar stark ... Männer kriegen ‚nen Herzinfarkt. Die meisten Männer, die das auf dem Oktoberfest zur bayerischen Blasmusik mitgrölen, wissen gar nicht, wie ironisch dieses Lied gemeint ist. (Beifall der Abg. Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Nichtsdestotrotz macht es ein besonderes Männerbild deutlich, an dem noch viele hängen. Zum Glück hat sich dieses Männerbild verändert, auch mit Hilfe von gesetzlichen Maßnahmen, zum Beispiel dem Elterngeld Plus. Das Elterngeld ist gerade schon erwähnt worden. Hiermit stärken wir die Partnerschaftlichkeit. Wir wissen aus Studien, dass Männer noch viel mehr Zeit für Familie und für Partnerschaft haben wollen. Deshalb ist es gut und richtig, dass wir beim Elterngeld Plus nicht stehen bleiben, sondern noch weiter diskutieren, nämlich das Thema Familienarbeitszeit, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD) Zu Rollenbildern gehört leider immer noch ein sehr antiquiertes Frauenbild. Wenn man sich die Werbung einmal ansieht, ist man häufig sehr geschockt. Es gibt den Spruch eines Arzneimittelherstellers: Mütter nehmen nicht frei, Mütter nehmen XY. Gemeint ist ein bestimmtes Medikament. Das Bild, das dahintersteckt, was also Mütter für eine Funktion haben und welche Rolle sie spielen sollen, wird dabei sehr deutlich. Deshalb glaube ich: Auch wenn wir sehr viele gesetzliche Regelungen brauchen, so brauchen wir nichtsdestotrotz auch eine gesellschaftliche Debatte. Wir brauchen einen gesellschaftlichen Auftrieb für die Gleichstellung von Männern und Frauen. Wir brauchen beides: gesetzliche Regelungen und gesellschaftliche Debatte. Diese führen wir. Danke schön, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Abschließende Rednerin in dieser Aussprache ist die Kollegin Dr. Silke Launert für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Silke Launert (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! 0800 0116 016: (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Frauennotrufnummer!) Alles Mögliche haben wir heutzutage in unseren Smartphones gespeichert. Aber welche Frau verfügt in ihrem Telefonbuch über diese Nummer? Wer von uns kennt diese Nummer überhaupt? Normalerweise müssten sie mindestens 40 Prozent der in Deutschland lebenden Frauen kennen und auf ihrem Handy unter „H“ wie Hilfetelefon abgespeichert haben. Denn – das zeigt auch der Bericht – laut Studien sind etwa 40 Prozent der Frauen seit ihrem 16. Lebensjahr mindestens einmal psychischer und/oder sexueller Gewalt ausgesetzt gewesen. Die Nummer, die ich gerade genannt habe, ist die Nummer des Hilfetelefons, das seit März 2013 zur Verfügung steht und in dem Bericht ausdrücklich lobend angesprochen wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Die Bundesregierung hat damit eine wichtige Lücke im Hilfesystem geschlossen. Denn das Telefon ist ein kostenloses, bundesweites und anonymes Erstberatungsangebot bei allen Formen von Gewalt. Es bietet Betroffenen, Angehörigen oder sonstigen Personen unkomplizierte Hilfe rund um die Uhr und in 15 Sprachen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir brauchen Angebote wie dieses für alle, und damit meine ich wirklich: für alle. Denn jedem muss klar sein, dass Gewalt gegen Frauen überall stattfindet, jederzeit und in allen Schichten. Ich teile die hier angesprochene Ansicht, dass es nichts mit Diskriminierung zu tun hat, wenn ein Mann seine Frau verprügelt, leider nicht. Das zeigt nicht nur ein großer Teil des Berichts. Wenn Frauen körperlich oder sexuell Gewalt erfahren, hat das häufig etwas mit Macht und mit Kleinhalten zu tun. Auch das ist für mich eine Form von Diskriminierung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diese Erkenntnis kommt aber spät!) Spätestens mit den Vorfällen in der Silvesternacht in Köln haben wir erlebt, dass sexuelle und körperliche Gewalt auch öffentlich passiert. Körperliche oder sexuelle Gewalt gegen Frauen kommt überall vor: auf öffentlichen Plätzen und Straßen, am Arbeitsplatz und oft zu Hause in den eigenen vier Wänden. Es ist erschreckend, wenn man hört, dass Frauen von häuslicher Gewalt mehr bedroht sind als durch andere Gewaltdelikte wie Körperverletzung mit Waffen, Wohnungseinbrüche oder Raub. Sexuelle oder körperliche Gewalt gegen Frauen reicht von einfachen Belästigungen wie anzüglichen Bemerkungen oder einem Klaps auf den Po über Schläge, Verprügeln, Stalking und Vergewaltigung bis hin zu Tötungsdelikten, nicht selten innerhalb von partnerschaftlichen oder familiären Beziehungen. Diese Übergriffe steigern sich dann im Hinblick auf Häufigkeit und Intensität. Mich hat es oft erschreckt, zu erleben, dass Opfer gerade dem Partner gegenüber später im gerichtlichen Verfahren sich selbst die Schuld gegeben und das Verhalten des Partners entschuldigt haben. Sie haben immer mehr das Gespür dafür verloren, was man eigentlich in einer Beziehung akzeptieren sollte und was nicht. So vielfältig diese Formen von Gewalt gegenüber Frauen sind – ich habe gar nicht alle Formen der Gewalt angesprochen –, so vielfältig sind auch die strafrechtlichen Einordnungen. Sie reichen von der einfachen Beleidigung bis hin zu Stalking, Körperverletzung, Vergewaltigung oder auch Tötungsdelikten. Leider bestehen im Strafrecht erhebliche Strafbarkeitslücken. Deshalb – das haben einige Kollegen schon zu Recht gesagt – braucht man beides: die Debatte in der Bevölkerung wie auch in manchen Fällen die Änderung des Rechts. Wir als Gesetzgeber müssen genau da ansetzen. Denn als Bundesgesetzgeber sind wir definitiv für die Reform des Strafrechts zuständig. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ein Beispiel ist die Reform der Straftatbestände bei Menschenhandel und Zwangsprostitution. In den nächsten Wochen und Monaten wird sicherlich ein Gesetzentwurf eingebracht. Denn es ist kein Geheimnis, und es ist auch keine Übertreibung, wenn ich sage, dass junge Mädchen und Frauen mitten in Europa wie Ware gehandelt werden. Sie werden wie Frischfleisch angepriesen und von einem Bordell ins nächste verkauft, benutzt und weggeworfen. Da müssen wir tätig werden – leider hat das gutgemeinte Prostitutionsgesetz zum Teil das Gegenteil bewirkt –; wir müssen die ersten Schritte gehen und werden sehen, wie praxistauglich diese sind. Auch im Bereich des Stalkings hat der Bundesjustizminister vergangene Woche einen Entwurf vorgelegt. Ich freue mich sehr darüber. Denn auch das zeigen die Statistiken: Es wurden 25 000 Fälle zur Anzeige gebracht, und es gab 400 Verurteilungen. Und warum? Ein erheblicher Grund für dieses Missverhältnis besteht in der Fassung des Straftatbestandes. Es ist nicht in Ordnung, zuerst zu verlangen, dass das Opfer wegen der permanenten Belästigungen seinen Arbeitsplatz wechselt oder umzieht. Wir müssen hier früher ansetzen. Ich freue mich, dass Justizminister Maas nun das Thema aktiv angeht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Mechthild Rawert [SPD]: Nein heißt nein!) Das nächste Thema – Sie sprachen es schon an – ist die Reform des Vergewaltigungstatbestandes. Hier wird in den nächsten Wochen ein Entwurf in die Gesetzgebung eingebracht werden. Auch hier gibt es gravierende Schutzlücken, und zwar schon vor den Ereignissen in der Kölner Silvesternacht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Es kann nicht sein, dass die Fälle, in denen sich die Frau nicht wehrt, weil der Täter überlegen ist, oder in denen sich die Mutter nicht wehrt, wenn sie vergewaltigt wird, weil sie ihr Kind nicht aufwecken will, nicht bestraft werden. Die Rechtslage zu verbessern, ist das eine. Ich höre immer wieder, dass die Gesetze nichts bringen. Manchmal ist das so; das räume ich ein. Aber eine frühzeitig eingreifende Strafbarkeit kann vieles verhindern. Ich nenne als Beispiel den Bereich des Stalking. Wenn Opfer zur Polizei oder zur Staatsanwaltschaft gehen und ihnen dort gesagt wird, das sei doch nichts, und sie schließlich weggeschickt werden, dann spricht sich das herum. Die Opfer nehmen das mit. Glauben Sie mir: Gerade im Bereich des Stalking ist es wichtig, die Täter frühzeitig zu erreichen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Nicht wenige von ihnen haben psychische Schäden. Nicht selten führen diese harmlosen Stalking-Delikte zu einer Steigerung, bis hin zur Tötung. Ein weiterer Aspekt ist die Finanzierung. Sie haben recht: Die Finanzierung ist ein Hauptproblem. Dabei sind wir als Bund häufig nicht zuständig. Aber das Thema im Hinblick auf den Bericht anzusprechen, ist völlig richtig. Mir tut es in der Seele weh – dabei läuft in Bayern in diesem Bereich vieles besser als woanders –, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) wenn ich erlebe, dass lokale Einrichtungen wie der Notruf der Diakonie Hochfranken oder die „Schutzhöhle“ ums Überleben kämpfen müssen und dass nur dank der Medien, des Fernsehens und der Zeitungen, Gelder akquiriert werden, die das Überleben solcher Einrichtungen sichern. Jeden Euro, den wir an dieser Stelle sparen, müssen wir hinterher – genauso wie in der Jugendhilfe – mehrfach wieder ausgeben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wenn wir die Opfer gleich zu Beginn alleine lassen und nicht optimal betreuen, tragen viele gesundheitliche Schäden davon. Auch die Kosten sind enorm. Viele Opfer landen in der Erwerbsunfähigkeit, weil sie mit den Belastungen nicht zurechtkommen. Daher kann ich nur sagen: Auch wenn der Bund nicht zuständig ist, sollten wir an einem Strang ziehen und uns eine Strategie überlegen. Hier bin ich sofort bei Ihnen. Das ist ein Bereich, den wir auch im Hinblick auf die Flüchtlingskrise nicht vernachlässigen dürfen. Ganz im Gegenteil: Wir werden ihn sogar ausbauen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wenn wir nicht wollen, dass sich Frauen aus Scham nicht melden, dann müssen wir dieses Thema mitten in die Gesellschaft bringen, und zwar nicht nur einmal am 8. März eines jeden Jahres, sondern immer wieder. Wenn wir wollen, dass Taten zur Anzeige gebracht werden und dass Männer, die zu solchen Taten neigen, therapiert werden, dann müssen sich mutige Nachbarn bei der Polizei melden, wenn sie hören, dass eine Frau zu Hause verprügelt wird. Wir müssen zudem junge Mädchen ermutigen, sich selbst einzugestehen, dass vielleicht in der eigenen Beziehung eine Grenze längst überschritten ist und dass man Hilfe in Anspruch nehmen sollte. Allen Betroffenen sage ich: Das Wählen der 0800 0116 016 kann die Eintrittskarte in ein neues Leben sein. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/5100 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann gehe ich davon aus, dass Sie alle damit einverstanden sind. Die Überweisung ist beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 22 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens Drucksache 18/7457 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Für diese Aussprache sind nach einer interfraktionellen Vereinbarung 38 Minuten vorgesehen. – Ich sehe, dass alle damit einverstanden sind. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die Bundesregierung dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Michael Meister das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beim Gesetzentwurf zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens geht es darum, dass wir moderne IT nutzen, um das Besteuerungsverfahren einfacher, schneller und effizienter zu gestalten. Lassen Sie mich zu diesen drei Zielen etwas sagen. Wir wollen das Ganze so machen, dass wir ein sauberes und sicheres rechtsstaatliches Fundament für diese Veränderung im Besteuerungsverfahren haben. Schneller soll es werden, indem wir die Informationstechnologie nutzen, den Menschen die Möglichkeit geben, auf elektronischer Ebene mit dem Finanzamt zu kommunizieren, und dabei Medienbrüche vermeiden. Das heißt: Wir wollen in Zukunft keine Mischung mehr zwischen Informationstechnologie und Papier. Wir wollen auch dafür sorgen, dass nicht nur die Erklärung selbst, sondern auch die Bearbeitung der Steuererklärung, die Bescheidung und möglicherweise weitere Verfahrensschritte vollautomatisiert erfolgen können. Das ist deshalb wichtig, weil es sich um ein Massenverfahren handelt, bei dem Millionen von Steuererklärungen und Bescheiden zu erstellen sind. Wir gehen davon aus, dass zukünftig die Bescheidung elektronisch erfolgt und der Bescheid per Download heruntergeladen werden kann. Ebenso wollen wir den Weg dafür öffnen, dass die vorausgefüllte Steuererklärung auf elektronischem Weg zum Steuerpflichtigen kommt. Der Steuervollzug selbst soll einfacher werden, weil die Belege nicht mehr wie heute durch die Finanzbehörde angefordert werden, sondern es in Zukunft nur noch eine Aufbewahrungspflicht für den Steuerpflichtigen geben soll. Nur dann, wenn Belege benötigt werden, findet eine Übermittlung an die Finanzbehörde, und zwar auch auf elektronischem Weg, statt. Wir wollen das, was wir bei Elster können, durch ein einfacheres Authentifizierungsverfahren ermöglichen. So wollen wir die Authentifizierung ohne Medienbrüche durchführen; damit wird auch die elektronische Erklärung für den Steuerpflichtigen einfacher. Wir glauben, dass es vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und der knapper werdenden Zahl der Fachkräfte sinnvoll ist, die Mitarbeiter der Steuerverwaltung effizienter zum Einsatz zu bringen, sprich: nicht in den Masseverfahren, die vollautomatisiert bearbeitet werden können, sondern dort, wo es um komplexere Sachverhalte oder um solche Fälle geht, die man nicht vollautomatisiert erfassen kann. Wir werden deshalb ein Risikomanagementsystem implementieren und nach diesem Risikomanagementsystem dafür sorgen, dass auch im automatisieren Verfahren der eine oder andere Fall dennoch einer Prüfung unterzogen wird. Insgesamt hoffen wir, dass sich die Mitarbeiter in Zukunft den komplexen Fällen zuwenden können und wir damit dafür sorgen, dass sie zielgenauer eingesetzt werden können und die Steuerverwaltung insgesamt zielgenauer wird. Ich will an dieser Stelle ausdrücklich sagen: Es ist nicht unsere Absicht, Personalabbau zu betreiben. Unser Ziel ist es vielmehr, von Massen- und Mengenaktivitäten zu einer qualitätsorientierten Steuerverwaltung zu kommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Was sind die wesentlichen Teile, die wir rechtsstaatlich fundieren müssen? Ich will einige Stichworte nennen. Das ist zum einen die elektronische Kommunikation. An der Stelle müssen natürlich die Datensicherheit und der Datenschutz für die Finanzverwaltung, für den Steuerpflichtigen, aber auch für Dritte, die gegebenenfalls Daten zuliefern, gewährleistet sein. Wir wollen die Wirtschaftlichkeit und die Zweckmäßigkeit des Verwaltungshandelns steigern – das habe ich beschrieben – durch die Konzentration der Mitarbeiter auf die komplexen Fälle und die schwierigen Fragen. Wir wollen zum Dritten dazu kommen, dass die einfacheren Fälle vollständig automatisiert bearbeitet werden. Wir wollen dazu kommen, dass die Abgabe der Steuererklärung für den Steuerpflichtigen erleichtert wird, sprich: er soll die vorausgefüllte Steuererklärung bei der Finanzbehörde abrufen können, damit er sozusagen ein elektronisches Formular bereits mit seinen Daten bekommt, in das er gegebenenfalls nur Korrekturen eintragen muss. Wir haben das Thema „elektronische Datenübertragung an Dritte und von Dritten“, bei dem wir auch erhebliche Vereinfachungen erwarten. Ich nenne als Beispiel die Daten der Rentenversicherungsträger, Krankenversicherungsbeiträge und ähnliche Dinge. Bei den Steuererklärungsfristen werden wir in den Fällen, in denen Steuerberater beteiligt sind, eine Ausdehnung vornehmen. Ich glaube, dass das dazu führt, dass wir zu einer gleichmäßigen Belastung der Steuerverwaltung kommen. Das Gesetz soll nach den Beratungen am 1. Januar 2017 in Kraft treten. Allerdings muss man sich darüber klar sein, dass anschließend die organisatorische Umsetzung innerhalb der Steuerverwaltung erfolgen muss. Ich weiß schon, dass Sie, Herr Pitterle, an der Stelle ein bisschen lachen. (Richard Pitterle [DIE LINKE]: Nein, darum ging es nicht!) Ich bin allerdings schon der Meinung, dass man dann, wenn man den Bürger ernst nimmt – wir sind hier die Vertreter der Bürger der Bundesrepublik Deutschland –, (Richard Pitterle [DIE LINKE]: Wir nehmen die auch ernst!) den Versuch, Menschen den Umgang mit Verwaltung zu erleichtern, nicht lächerlich machen, sondern ernsthaft diskutieren sollte. Das würde ich mir an dieser Stelle schon wünschen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU – Richard Pitterle [DIE LINKE]: Ich habe nicht deswegen gelacht! – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das war ein Missverständnis!) – Jeder hat sein Menschen- und Bürgerbild. Da will Ihnen gar nicht widersprechen. Wenn wir das Gesetz zum 1. Januar 2017 in Kraft setzen, dann haben wir eine Grundlage für die organisatorische und inhaltliche Umgestaltung. Es wird allerdings gemeinsam mit den Ländern Zeit brauchen, bis 2022. Das heißt, nach heutigem Stand können wir davon ausgehen, dass nach 2022 das, was ich beschrieben habe, auch im tatsächlichen Leben ankommt. Wir haben in Vorbereitung dieses Gesetzentwurfs versucht, uns nicht einfach etwas am grünen Tisch auszudenken, sondern wir haben einen sehr intensiven Dialog mit den Steuerberatern und mit weiteren Verbänden, die mit diesen Sachfragen zu tun haben, geführt, aber auch mit den Ländern. Wir sind, glaube ich, zu einem Entwurf gekommen, der im ersten Durchgang im Bundesrat durchaus positiv von den Ländern kommentiert worden ist. Natürlich gab es einige Hinweise, die sich hauptsächlich auf technische Fragen beziehen. Wir werden die Bundesratsanliegen, bei denen es um technische Fragen ging, mit Sicherheit im weiteren Gesetzgebungsverfahren prüfen. Für mich war insgesamt jedoch positiv, dass die Länder vom Grundsatz her deutlich gemacht haben, dass sie hinter diesem Ansatz stehen und ihn auch mittragen werden. Was ist also unser Ziel? Wir wollen neue Technologien dafür nutzen, dass der Bürger einfacher, schneller und effizienter zu seiner steuerlichen Beurteilung kommt. Wir wollen weniger Arbeit für die Steuerpflichtigen, wir wollen eine qualitative Steigerung in der Steuerverwaltung, und wir hoffen, dass wir am Ende trotzdem rechtssichere Verfahren haben. Deshalb haben wir auch die dritte Gewalt in unsere Diskussion einbezogen und ausdrücklich Finanzrichter gefragt, wie sie die gesetzlichen Regelungen, die wir hier vorlegen, beurteilen. Auch von dieser Seite war der Diskurs positiv und hat dazu geführt, dass wir einige Hinweise bekommen haben, bei welchen Punkten wir aufpassen sollen. Ich würde mir wünschen, dass Sie diesen Gesetzentwurf entsprechend diskutieren und dass diese Diskussionen, wie vorgesehen, bis zur Sommerpause zu einem positiven Ergebnis führen, damit wir eine gesetzliche Grundlage haben, auf die sich ab 2017 alle einstellen können. Ich glaube, das ist vor dem Hintergrund, dass wir unsere Verwaltung auf eine IT-gestützte Verwaltung umstellen wollen, ein gewaltiger Schritt in Richtung Zukunft. Es ist bedauerlich, dass diese Diskussion am Freitagmittag zu später Stunde stattfindet. Was hier geschieht, ist ein großer Schritt für die Verwaltung, aber auch für die Bürger unseres Landes. Dass die Diskussion zu einer solchen Zeit hier stattfindet, finde ich ein bisschen bedauerlich. Man hätte durchaus eine prominentere Zeit für die Diskussion dieses Vorhabens finden können. Das gilt auch für die Kollegen im Bundestag, die dies zu betreuen haben. Ich glaube, da wird die Bedeutung des Themas nicht von allen draußen wahrgenommen. Ich wünsche mir eine gute Beratung und viel Erfolg. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Richard Pitterle von der Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall des Abg. Dr. André Hahn [DIE LINKE]) Richard Pitterle (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jeder, der schon einmal eine Steuererklärung ohne Steuerberater auszufüllen hatte, weiß: Das ist beileibe kein Spaß. Man verschiebt es gerne auf das nächste Mal, bis das Wochenende vor dem Abgabetermin doch herhalten muss. Daher klingt es zunächst spannend, wenn das Verfahren modernisiert werden soll. In dem über 100 Seiten starken Entwurf, auf dessen Details ich hier aufgrund der Zeit, die mir zur Verfügung steht, nicht eingehen kann, ist eine umfassende Umstellung auf Computernutzung vorgesehen. Salopp gesagt soll also die Steuererklärung in Zukunft bequem übers Internet stattfinden und beim Finanzamt statt durch Finanzbeamte bis auf Ausnahmefälle durch Rechner verarbeitet werden. Steuerberater und Lohnsteuerhilfevereine begrüßen das Vorhaben, und lassen Sie mich eines gleich zu Beginn klarstellen: Als Linke begrüßen wir, wenn Abgabe und Verarbeitung der Steuererklärung vereinfacht werden. Es muss nur sinnvoll sein und die bisherigen Erfahrungen mit einbeziehen. Was sind die bisherigen Erfahrungen? Vor wenigen Jahren haben wir den Unternehmen vorgeschrieben, die Bilanz dürfe nur noch elektronisch beim Finanzamt eingereicht werden. Die Frist für diese Einreichung wurde durch den Gesetzgeber zweimal geschoben. Als die Verpflichtung in Kraft trat, meldete sich das Finanzamt bei einem von mir betreuten Unternehmen, um ihm mitzuteilen, dass es keine E-Bilanzen empfangen könne. Ich finde, das ist blamabel. Oder schauen wir auf die sogenannte ELStAM-Datenbank, in der die elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale gespeichert sind. Letztes Jahr wurden dort aufgrund eines Softwarefehlers Zehntausende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in eine falsche Lohnsteuerklasse eingeordnet, mit dem Ergebnis, dass sie am Ende des Monats deutlich weniger Lohn ausgezahlt bekamen. In einigen Fällen stand sogar tatsächlich ein Minus auf dem Gehaltszettel, und die Betroffenen mussten auch noch Steuern nachzahlen. Das ist ebenfalls blamabel. 2013 hat der Bundestag beschlossen, allen Rechtsanwälten zwingend elektronische Postfächer vorzuschreiben. Am 1. Januar 2016 sollte es Pflicht sein, ein elektronisches Postfach zu nutzen. Vor zwei Monaten wurde uns Rechtsanwälten mitgeteilt, dass die Einführung auf unbestimmte Zeit verschoben wird. Das ist – ich wiederhole mich – blamabel. Werfen wir zuletzt noch einen Blick über die Grenze: Beispiel Schweiz, wo man dem Klischee nach vermuten würde, dass die Abläufe so reibungslos sind wie in dem sprichwörtlichen Schweizer Uhrwerk. Hier hat man sich mit dem sogenannten Insieme-Projekt ebenfalls an einer Modernisierung der IT-Systeme der Schweizer Steuerverwaltung versucht – und ist grandios gescheitert. Nach sieben Jahren und über 100 Millionen Franken hat man das Projekt schließlich eingestellt. Wenn wir uns also die bisherigen Erfahrungen anschauen, dann komme ich zu dem Schluss – das muss ich Ihnen sagen –, dass mir ein Plan fehlt, wie Sie es vermeiden wollen, dass sich solche Pannen wiederholen. Okay, wir wissen, dass sich zumindest die Länder auf eine gemeinsame Software geeinigt haben. Das ist schon die halbe Miete; aber ausreichen tut es keinesfalls. Wie wollen Sie sicherstellen, dass die Länder das im gleichen Umfang umsetzen, damit gewährleistet ist, dass wir es mit gleicher Besteuerung im gesamten Bundesgebiet zu tun haben? Ich möchte von Ihnen hören, wie Sie die Modernisierung des Besteuerungsverfahrens, und zwar mit wie viel Kohle und Manpower bzw. Frau-Power, bewältigen wollen. Mir fehlt schlicht ein genauer Umsetzungsplan. Allein das Ziel zu beschreiben, ist mir nicht genug. Wie ist der Weg dorthin? Seien wir mal ehrlich: Wenn die Bundesregierung wie in dem heute von ihr vorliegenden Gesetzentwurf von Wirtschaftlichkeit und Effizienz spricht, geht es ihr doch meist nur um Stellenabbau und Kosteneinsparung, auch wenn sie im Gesetzentwurf das Gegenteil behauptet. Dabei fehlen laut Beamtenbund in der Finanzverwaltung bereits jetzt 15 000 Beamte. Ich denke, Sie sind schief gewickelt, wenn Sie glauben, Sie könnten an die Modernisierung des Steuerverfahrens mit dem Gedanken herangehen, Personal und Geld einzusparen. Sie müssen meines Erachtens richtig Geld in die Hand nehmen und erst einmal kräftig Personal aufstocken, um diesen Plan umzusetzen. Ich habe Ihnen die negativen Erfahrungen aufgezählt. Auch negative Erfahrungen sind etwas wert – wenn man sie denn berücksichtigt. Aber ich kann nicht erkennen, dass Sie dies tun. Wenn Sie es aber nicht tun, dann werden es nicht nur die Steuerpflichtigen, sondern auch die vielen Beschäftigten in den Finanzämtern auszubaden haben, und das fände ich schade. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner spricht Frank Junge von der SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Frank Junge (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Pitterle, wenn man mit Ihrer Argumentation jedes Gesetzgebungsverfahren von vornherein begleiten würde, dann würden wir nie Fortschritte erzielen, die das Leben der Bürgerinnen und Bürger insgesamt besser machen. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist richtig! – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das stimmt ja nicht!) Der Bund der Steuerzahler Nordrhein-Westfalen bescheinigt den Deutschen in seiner siebten Studie zur Steuerkultur eine hervorragende Steuermoral. Die große Mehrheit der Bürger ist danach steuerehrlich und steht zur Steuerpflicht. Damit rangiert die Moral der deutschen Steuerzahler auf einem selten hohen Niveau. Bei der Steuermentalität, die sich mit einer gewissen Verzögerung auf die Steuermoral auswirkt, ist es leider anders. Sie drückt aus, welche Einstellungen der Bürger ganz allgemein zum Steuersystem, zur Steuerlast und zur Steuergerechtigkeit hat. Hier ist das Ergebnis so schlecht wie lange nicht. Die große Unzufriedenheit ist in hohem Maße mit darauf zurückzuführen, dass der zeitliche und finanzielle Aufwand zur Erfüllung der steuerlichen Pflichten als viel zu hoch angesehen wird. Das sehe ich als klares Indiz für den Wunsch der Bürger nach einem einfacheren Steuersystem und einem viel leichteren und unkomplizierteren Umgang damit. Genau da, liebe Kolleginnen und Kollegen, beim Umgang mit dem Besteuerungsverfahren setzen wir heute an; denn mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden wir die rechtliche Basis dafür schaffen, dass zukünftig neben der herkömmlichen Methode zur Erstellung und Bearbeitung der Steuererklärung das massenhafte vollautomatisierte Steuerverfahren stattfinden kann. Wir werden den Weg bereiten, dass der Einsatz der vollständig maschinellen Bearbeitung von Steuererklärungen deutlich gesteigert wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das wird – Herr Meister hat es gesagt – die Finanzverwaltung entlasten. Das wird aber auch bei den Bürgerinnen und Bürgern in absehbarer Zeit zu einem unkomplizierteren und schnelleren Umgang mit ihrem Steuersystem führen. Damit das gelingt, soll künftig ein wesentlich größerer Anteil der Steuererklärungen vollautomatisch bearbeitet werden; auch das kam zur Sprache. Dazu sind unter anderem automationsgestützte Risikomanagementsysteme erforderlich, die bewerten sollen, ob Steuersachverhalte weiter gehender Ermittlungen und Prüfungen bedürfen oder ob kein Hinderungsgrund für eine vollautomatische Steuerfestsetzung besteht. Neben einer Beschleunigung der Abarbeitung der Standardfälle soll damit auch erreicht werden, dass sich die Finanzbehörden auf tatsächlich prüfungsbedürftige Fälle konzentrieren können, einfach, weil sie dann mehr Kapazitäten dafür haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will eins hervorheben: Seit knapp zwei Jahren arbeiten Bund und Länder an diesem Gesetz Hand in Hand in einem Verfahren, das man meiner Ansicht nach als beispielhaft bezeichnen kann. Herausgekommen ist ein Entwurf, der jetzt bereits schon von einem grundsätzlich positiven öffentlichen Konsens getragen wird. Meine Gespräche mit Vertretern der Branche, wie zum Beispiel den Lohnsteuerhilfevereinen, bestätigen das. Bei aller Zustimmung für diesen Gesetzentwurf will ich für die SPD-Fraktion jedoch deutlich machen, dass wir an einigen Stellen schon noch Klärungs- und Nachbesserungsbedarf sehen. Das will ich an drei Punkten erläutern. Erstens: der Verspätungszuschlag. Verspätungszuschläge sollen in Zukunft gesetzlich geregelt werden und ohne Ermessen eines Finanzbeamten definiert werden können. Das ist aus meiner Sicht völlig in Ordnung; denn damit werden künftig streitanfällige Ermessensentscheidungen komplett vermieden. Allerdings sieht der Gesetzentwurf vor, dass ein Verspätungszuschlag in Höhe von 50 Euro pro Monat bei pflichtigen Jahressteuererklärungen erhoben werden soll. Wenn wir das allen Ernstes so umsetzen, kann bei einem halben Jahr Verspätung – aus welchen Gründen auch immer – nach Adam Ries ein Verspätungszuschlag in Höhe von 300 Euro entstehen. Für Steuerpflichtige, die beispielsweise nur eine geringfügige oder gar keine Erstattung zu erwarten haben, ist eine solche Konstellation absolut unverhältnismäßig. Bei allem Verständnis demnach für Sinn und Zweck eines Verspätungszuschlags: Hier müssen wir nach Ansicht der SPD-Fraktion dringend nachbessern. (Beifall bei der SPD) Zweitens. Die Finanzbehörden sollen ermächtigt werden, bei der Entscheidung über Art und Umfang von Ermittlung und Prüfung – es wurde schon genannt – Wirtschaftlichkeits- und Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte zu berücksichtigen, um damit unvertretbaren Aufwand zu vermeiden. Das ist auch grundsätzlich okay; denn daraus wird am Ende eine Effizienzsteigerung bei der Bearbeitung erwachsen. Gleichwohl ist zurzeit jedoch überhaupt nicht geklärt, wie präzise „wirtschaftlich und zweckmäßig“ definiert ist und wo da Grenzen liegen. Deshalb brauchen wir an dieser Stelle die nötigen Angaben. Wir brauchen mehr Transparenz, wir brauchen mehr Klarheit, um die Auswirkungen auf die steuerpflichtigen Bürgerinnen und Bürger besser beurteilen zu können. Drittens. Vollständig Nutzen aus dem Modernisierungsgesetz wird sich erst dann ziehen lassen, wenn die Implementierung der dafür benötigten Hard- und Software abgeschlossen ist. Dieses komplexe Verfahren soll 2022 beendet sein. Je früher wir aber diesen Prozess umsetzen und einen reibungslosen Betrieb in den Bundesländern sicherstellen können, desto eher profitieren die Finanzverwaltungen und die Bürgerinnen und Bürger von den angestrebten entlastenden und erleichternden Effekten. Darum sollten wir an dieser Stelle – Bund und Länder zusammen – nach Möglichkeiten suchen, diesen Prozess der Einführung der notwendigen IT zu beschleunigen und früher umzusetzen, als bisher geplant. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. Trotz unserer kritischen Punkte halte ich den eingebrachten Gesetzentwurf für ausgewogen und gut. Er beinhaltet nach meinem Dafürhalten zielführende Regelungen, um gute Voraussetzungen für eine Modernisierung des Besteuerungsverfahrens zu schaffen. Damit sichern wir insgesamt nicht nur die Zukunftsfähigkeit, wir stärken damit in gleichem Maße die Serviceorientiertheit der Finanzverwaltung. Am Ende dieses Prozesses – davon bin ich überzeugt – wird der deutsche Steuerzahler profitieren, der zusammengefasst bald wesentlich weniger Aufwand damit haben wird, seinen steuerlichen Pflichten nachzukommen. Mit diesem Anspruch, liebe Kolleginnen und Kollegen, lade ich Sie alle – natürlich auch Sie, Herr Pitterle – dazu ein, den vorgelegten guten Entwurf zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens gemeinsam im parlamentarischen Verfahren zu einem noch besseren zu machen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Ganz herzlichen Dank. – Als nächste Rednerin spricht Lisa Paus von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich teile ausdrücklich alles Positive, was bisher über diesen Gesetzentwurf gesagt wurde. Allerdings, es gibt ein sehr grundsätzliches Problem mit diesem Gesetzentwurf. Wird er so beschlossen, bedeutet das einen Wechsel weg von der bisher geltenden Regel, dass legitimes Verwaltungshandeln durch für jeden Fall gleiche Verfahren hergestellt wird, hin zu einem Verfahren, in dem Verwaltung nach den Ergebnissen beurteilt wird – im Verhältnis zu den damit entstandenen Kosten oder auch – neudeutsch – zu seinem Output. Im Gesetz liest sich das dann wie folgt: Bei der Entscheidung über Art und Umfang der Ermittlungen können … Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit berücksichtigt werden. Auch meine Vorredner hatten darauf an der einen oder anderen Stelle schon hingewiesen. – Und weiter: … Finanzbehörden können … automationsgestützte Systeme einsetzen … Dabei soll auch der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit … berücksichtigt werden. Meine Damen und Herren, ich bin für stärkere Ergebnisorientierung – ganz klar –, nur: Wer Ja sagt zu Ergebnisorientierung, der muss auch Ja sagen zu Ergebniskontrolle; denn sonst wird Willkür Tür und Tor geöffnet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jemand definiert ja, jemand muss entscheiden, was „wirtschaftlich“ bedeutet. Und in einem Rechtsstaat muss dann diese Entscheidung nachvollziehbar und überprüfbar sein. Ich bin überzeugt: Dieser Gesetzentwurf muss in dieser Hinsicht noch dringend überarbeitet werden. Bisher kann ja anhand der Akte und der Vermerke alles nachvollzogen werden; aber dieser Gesetzentwurf erlaubt Risikomanagementsysteme, lässt jedoch die Frage: „Wer überprüft eigentlich zukünftig die Algorithmen der Risikomanagementsysteme, oder wie sind sie überhaupt überprüfbar“, bisher völlig unbeantwortet. Und das geht nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Einzige, was klar ist – das steht im Gesetzentwurf –, ist: Diese Risikomanagementsysteme dürfen nicht öffentlich werden. Damit wird aber genau dieses Verfahren zur vollständigen Blackbox. Und das geht nicht, meine Damen und Herren. (Widerspruch der Abg. Margaret Horb [CDU/CSU]) Es braucht die Kontrolle. Deshalb müssen wir diesen Gesetzentwurf noch ändern. Im Übrigen verweist das Gesetz an verschiedenen Stellen auch auf Urteile des Bundesverfassungsgerichts. Deshalb teile ich in dieser Frage auch die sehr harsche Kritik des Bundesrechnungshofes und auch die des Deutschen Steuerberaterverbandes an der zu großen Unbestimmtheit des Begriffs „Wirtschaftlichkeit“. Auch Herr Junge hat ja bereits darauf hingewiesen, dass es da Nachbesserungsbedarf gibt. Das stimmt. Ich glaube allerdings, dass es mit einer genaueren Begriffsbestimmung in dieser Frage nicht getan ist. Ich finde, wir sollten uns als Parlamentarier noch einmal die Zeit nehmen, um zu überlegen, welche wirksamen Ergebniskontrollmöglichkeiten wir neu einführen sollten. Das schließt parlamentarische Kontrolle explizit mit ein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir wissen, dass seit der letzten Föderalismusreform zur Gewährleistung der Gleichmäßigkeit des Steuervollzuges eigentlich die Pflicht zur Verabschiedung von Zielvereinbarungen zwischen Bund und Ländern existiert. Aber erstens sind diese Zielvereinbarungen für uns Parlamentarier nicht zugänglich. Zweitens zeigte eine erste grobe Übersicht, dass es für die relevanten Bereiche, insbesondere bei den Betriebsprüfungen, mit vielen Bundesländern bis heute immer noch keine gemeinsamen Zielvereinbarungen gibt. Deswegen sage ich: Wir brauchen in dieser Frage Mitspracherechte. Zumindest brauchen wir als Parlamentarier Kontrollrechte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dieses Gesetz ist vollständig auf der Ebene der Exekutive, nämlich zwischen Bundesverwaltung und Länderverwaltungen, entstanden. Dass die ihre Kontrolle nicht automatisch mitdenken, ist nicht überraschend. Deswegen liegt es hier an uns, liebe Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag, dass wir das ändern. Dass es seit Längerem sogar dringenden Handlungsbedarf gibt, den gleichmäßigen Steuervollzug in Deutschland wiederherzustellen, haben wir Grüne schon 2011 deutlich gemacht. Damals haben wir nämlich zusammengestellt, dass die Prüfungsquote von Einkommensmillionären in Deutschland zum Beispiel zwischen 38,7 Prozent in Sachsen und gerade einmal 5 Prozent in der Millionärshauptstadt Hamburg schwankt und dass sich auch die Zahl der Betriebsprüfer in Deutschland sehr stark unterscheidet, nämlich zum Beispiel zwischen Berlin mit acht Prüfern pro 1 Milliarde Euro Bruttoinlandsprodukt und Bayern mit lediglich vier Prüfern. Das muss besser werden und nicht schlechter. Daran müssen wir etwas ändern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Warum wundert mich das nicht?) Wir Grüne fordern deswegen die Einführung eines Bundesfinanzamtes für große Konzerne und Einkommensmillionäre. Aber auch wenn Sie diese Forderung nicht teilen, da noch nicht mitgehen können: Lassen Sie uns trotzdem gemeinsam daran arbeiten. Wir brauchen konkrete, verbindliche, wirksame, nachvollziehbare und vor allen Dingen überprüfbare Zielvereinbarungen, auch vom Parlament, um hier etwas zu bewirken. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Ganz herzlichen Dank. – Als nächste Rednerin hat Margaret Horb von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Margaret Horb (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Machen wir eine kleine Zeitreise ins Jahr 1919: Der Erste Weltkrieg war gerade zu Ende gegangen, auf den Straßen gab es mehr Pferdedroschken als Autos, und noch gab es längst nicht in allen Amtsstuben Telefon oder Schreibmaschine, aber es gab schon Finanzämter. Heute beginnen wir die grundlegendste Reform der Abgabenordnung seit 1977. Und das ist dringend notwendig; denn die Welt hat sich verändert. Demografischer Wandel, Digitalisierung und Globalisierung stellen auch unsere Finanzverwaltung vor neue Herausforderungen. In einer Welt, in der in Sekundenschnelle Milliarden von Euro, Dollar und Yen transferiert werden, in einer Welt, in der die Steuersysteme verschiedener Länder gegeneinander ausgespielt werden, in einer Welt, in der sozusagen Millionen von Daten aus verschiedenen Steuersystemen zugeordnet und ausgewertet werden müssen, in dieser Welt muss auch unsere Finanzverwaltung technisch auf der Höhe der Zeit sein. Die Finanzverwaltung des 21. Jahrhunderts wird eine digitale sein, oder sie wird scheitern. Wir sorgen dafür, dass sie nicht scheitert. Wir sorgen dafür, dass sie funktioniert. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Abgabenordnung ist sozusagen der Werkzeugkasten all derjenigen, die am Besteuerungsverfahren beteiligt sind, also der Steuerzahler, der Finanzverwaltung und der steuerberatenden Berufe. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf legen wir einige neue, modernere Werkzeuge in diesen Werkzeugkasten hinein. Auf die Finanzverwaltung übertragen heißt das zum Beispiel: Die Millionen Steuerbescheide der Arbeitnehmer oder Rentner sollen künftig vollautomatisch erstellt werden können. Dass wir Effizienz und Wirtschaftlichkeit in den Blick nehmen, heißt aber nicht, dass wir Abstriche bei der Rechtssicherheit, bei der Gleichmäßigkeit der Besteuerung oder bei der Steuergerechtigkeit machen. Ganz im Gegenteil: Die Finanzverwaltung soll sich auf die komplizierten, die komplexen Fälle und auf die Bekämpfung von Steuerbetrug konzentrieren können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Sie soll serviceorientierter, effizienter und schneller werden. Der Bund kann dazu neue Werkzeuge in diesen Werkzeugkasten hineinlegen. Aber er ist nicht derjenige, der diese Werkzeuge benutzt. Die Personalhoheit in der Finanzverwaltung liegt aufseiten der Länder. Es geht nicht darum, Finanzpersonal zu ersetzen, sondern es geht darum, Personal effektiver einzusetzen. Selbst die modernsten Werkzeuge nützen nichts, wenn ein gut ausgebildeter Handwerker fehlt, der diese bedienen kann. Und wir machen dieses Gesetz auch nicht allein für die Länder und für die Finanzverwaltung. Ein Steuergesetz ist dann ein gutes Steuergesetz, wenn es die Interessen aller berücksichtigt, die am Besteuerungsverfahren beteiligt sind. Fast die Hälfte aller Steuererklärungen wird nicht von den Steuerpflichtigen selbst gemacht, sondern von den beratenden Berufen. Es geht gerade um diese komplexen Fälle, die auf diese Weise vorstrukturiert und professionell aufbereitet bei der Finanzverwaltung eingehen. Wenn wir die Lohnsteuerhilfevereine und die Steuerberater nicht hätten, dann könnten wir unsere Finanzämter dichtmachen. Das wird sich auch in der Gesetzesberatung widerspiegeln. Das Bundesfinanzministerium ist hier mit sehr gutem Beispiel vorangegangen. Länder, Kammern, Verbände, Gewerkschaft und Finanzrichter sind bei der Formulierung mit einbezogen worden. Das Modernisierungsgesetz ist im Dialog entstanden, und so sieht moderne Regierungsarbeit aus. Zuallererst sind es aber natürlich die Steuerzahler selbst, die im Fokus unserer Arbeit stehen: die Bürgerinnen und Bürger und die Unternehmen. Ein faires und ein einfaches Steuerrecht ist nicht nur eine Frage von Steuersätzen oder der Höhe von Pauschbeträgen, sondern es ist auch eine Verfahrensfrage. Wir geben den Ländern die Werkzeuge in die Hand, Steuererklärungen künftig schneller zu bearbeiten. Daten, die von Versicherungen, Arbeitgebern und vielen mehr an die Finanzverwaltung übermittelt werden, sollen auch den Steuerpflichtigen zur Verfügung stehen. Die vorausgefüllte Steuererklärung werden wir weiter ausbauen. Belege müssen künftig nur noch auf Anfrage eingereicht werden. Am Ende steht auch hier die elektronische Belegübermittlung. Das ist gut, das ist richtig und das ist wichtig. Aber das setzt voraus – das sage ich in aller Klarheit –, dass dafür die notwendige IT vorhanden ist, dass sie schnell eingeführt wird und dass sie vor allem funktioniert. Die Länder müssen die Entwicklung der Steuer-IT mit stärkerem Tempo und mit größerer Entschlossenheit vorantreiben. Es kann nicht sein – da gebe ich Kollegen Pitterle recht –, dass die Unternehmen seit 2013 ihre Bilanzen detailliert aufgeschlüsselt elektronisch einreichen müssen, die Finanzverwaltung aber die Änderung nicht elektronisch zurückübermitteln kann. Die Unternehmen haben ein Recht auf diese Abweichungsanalyse. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Digitalisierung ist und darf keine Einbahnstraße sein. Als Bund können wir die Abgabenordnung anpassen, wo es sinnvoll und notwendig ist. Aber die Länder sind für den Steuervollzug zuständig. Wir, die CDU/CSU, würden gerne das Gesetzgebungsverfahren dazu nutzen, im Bereich der Steuervereinfachung noch weiter voranzukommen. Wir haben der SPD eine Liste mit Vereinfachungsvorschlägen unterbreitet, die wir für finanzierbar und notwendig erachten. Wir sind koalitionsintern noch in den Beratungen. Trotzdem möchte ich zwei der Vorschläge kurz vorstellen. Erstens. Wir wollen die verbindliche Auskunft als Instrument stärken. Deshalb wollen wir in der Abgabenordnung festschreiben, dass über die Anträge auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft innerhalb von sechs Monaten entschieden werden soll. Die Unternehmen sollen damit schneller Rechtssicherheit und Planungssicherheit erhalten. Zweitens. Wir haben vorgeschlagen, den Vollverzinsungssatz von derzeit 6 Prozent im Rahmen des haushalterisch Machbaren befristet abzusenken. Klar ist aber auch: Wir brauchen dafür die Zustimmung unseres Koalitionspartners und die der Länder. Auf eine Änderung wollen wir uns in der Koalition verständigen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht vor, dass es künftig vollautomatische Verspätungszuschläge geben soll. Wir wollen, dass es für Nullbescheide und Steuererstattungen bei der bestehenden Regelung bleibt. Auf dieser Linie wollen wir weitermachen. Ich freue mich auf die Gesetzesberatung mit dir, lieber Frank Junge, aber auch mit den Kollegen der Opposition im Sinne und zum Wohle der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Ganz herzlichen Dank. – Lothar Binding von der SPD-Fraktion hat als letzter Redner in dieser Debatte das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Margaret Horb, bei allen guten Vorschlägen machen wir mit. (Margaret Horb [CDU/CSU]: Super!) Antje Tillmann hat gestern Abend bei der Haarmann-Steuerkonferenz erklärt, dass eine Steuersenkung um 1 Prozent – bezogen auf den von ihr genannten Satz von 6 Prozent – 10 Milliarden Euro kostet. (Antje Tillmann [CDU/CSU]: Nein, das ist ein anderes Thema!) Das ist schon ein besonderes Thema. Richard, du hast vorhin Fehler beschrieben. Die gravierenden Fehler müssen behoben werden; das ist ganz klar. Aber heute geht es um einen systemischen Wechsel. Jetzt kommt es darauf an, das richtige System zu finden. Eines will ich garantieren: Auch im neuen System wird es Fehler geben. Es wird auch Pannen geben. Die Frage ist, wie man damit umgeht. Wie fehlertolerant ist das System? Du hast gesagt, allein das Ziel zu beschreiben, sei nicht genug; es komme darauf an, den Weg zu wissen. – Das stimmt; aber sich ohne Ziel auf den Weg zu machen, ist auch schlecht. Insofern sind wir heute auf einem ganz guten Weg. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es geht heute nicht um Steuervereinfachung. Es geht auch nicht darum, dass die Steuern niedrig und gerecht sein sollen; das sind ja unsere Standardziele. Heute geht es um einen Modernisierungsschub – das ist eine andere Kategorie – durch die Einführung einer länderübergreifend einheitlichen IT. Es geht um Wirtschaftlichkeit und Effizienz, es geht um die Schnittstelle zwischen Finanzamt und Bürger. Dabei geht es darum – das wurde schon gesagt –, dass man die Massenverfahren jemanden machen lässt, der dumm genug ist, das zu können, nämlich den Rechner. Man muss sich auf die prüfungswürdigen Fälle – da geht es meistens um Menschen – konzentrieren; denn das, was prüfungswürdig ist, beschwert den Bürger möglicherweise besonders. Weil man durch das automatisierte Verfahren Zeit gewinnt, kann man sich verstärkt darum kümmern. Dadurch wird die Veranlagung zielgenauer und gerechter. Möglicherweise wird dadurch auch die Prüfdichte in verschiedenen Ländern erhöht, die gedacht haben, sie könnten mit der Frage des Personals so oder so umgehen. Ich glaube, dass da eine gewisse Gleichmäßigkeit erreichbar ist. Aus Sicht der Bürger wird der Service besser. Wir erwarten mehr digitale Auskünfte. Es gibt eine elektronische Erklärung, elektronische Belege, elektronische Meldungen von Dritten – Rentenversicherung, Sozialversicherungen, Zuwendungen, steuererhebliche Meldungen, und das alles automatisch. Das klingt gut, und es ist auch gut, wenn es so kommt. Lisa Paus hat vorhin einen kritischen Punkt angesprochen – den sehen wir auch –: Wird eigentlich der Amtsermittlungsgrundsatz im Spannungsfeld von Wirtschaftlichkeit und Rechtmäßigkeit bei der Entwicklung des automatischen Onlinesystems ordentlich berücksichtigt? Das ist sicherlich eine Sache, über die wir noch sprechen müssen. Du hast von einem Kontrollerfordernis gesprochen. Das sehen wir auch. Wir sind da noch nicht ganz am Ende, aber, wie gesagt, auf einem guten Weg. Wir wissen auch noch nicht genau, wie das mit dem Risikomanagement funktionieren soll und was man eigentlich weglassen soll. Sollen wir zum Beispiel die Steuererklärungen von Leuten mit hohem Einkommen nicht mehr prüfen, weil diese Leute sowieso ehrlich sind? Oder sollen wir viele Steuererklärungen von Leuten mit kleinem Einkommen nicht mehr prüfen, weil es sowieso unerheblich ist? Wir müssen noch ein bisschen über das Risikomanagement nachdenken. Eine Sache vermissen wir noch im Gesetz, allerdings verständlicherweise, nämlich den Aspekt der Datenhoheit, der Hoheit über die Daten des Steuerpflichtigen. Mit der Ausweitung der Nutzung von Kommunikationstechnik und Datenverarbeitung müsste eigentlich auch eine Erweiterung der bereichsspezifischen Regelungen zum Datenschutz und zur Datensicherheit einhergehen. Das fehlt jetzt hier. Allerdings gilt das allgemeine Datenschutzrecht ja trotzdem. Wir wissen aber, warum dieser Aspekt fehlt: weil die Datenschutz-Grundverordnung in Europa noch nicht so weit ist. Wir wissen: Wenn wir da jetzt etwas regeln, dann müssen wir die entsprechende Regelung bald an die Datenschutz-Grundverordnung anpassen. Wir hätten dann zwei Regelungen, die sich möglicherweise widersprechen. Das bedeutet unnötige Arbeit. Also warten wir, bis die Verantwortlichen auf europäischer Ebene damit fertig sind, und passen die Regelungen dann an. Das allgemeine Datenschutzrecht gilt aber. Insofern ist die Lücke erträglich, wenn man auf europäischer Ebene hinreichend schnell arbeitet und sie nur kurze Zeit besteht. Ich habe mir überlegt: Es gibt einen Notanker für einen Steuerbürger, der meint: Ich muss unbedingt an der Bearbeitung meiner Steuererklärung durch den Rechner vorbeikommen und die Aufmerksamkeit eines Menschen wecken, der sich meine Steuererklärung genauer anschauen soll. – Für diesen Fall gibt es ja das Freitextfeld. Wenn man etwas in das Freitextfeld schreibt – das klingt sehr technisch, aber immerhin ist das eine Möglichkeit –, dann erzwingt man damit, dass sich ein Mensch um die Steuererklärung kümmert. Ich finde, das ist ein ganz guter Notanker für den Bürger, der sagt: Ich will mich doch nicht nur vom Rechner veranlagen lassen. Um es zusammenzufassen: Insgesamt haben wir eine gute Diskussionsgrundlage geschaffen, mit der wir sehr schön weiterarbeiten können. – Frau Präsidentin zeigt gerade an, dass ich mit meiner Redezeit schon 43 Sekunden im Minus bin. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Debatte. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/7457 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 23 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Julia Verlinden, Annalena Baerbock, Peter Meiwald, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesberggesetzes zur Untersagung der Fracking-Technik Drucksache 18/7551 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen, und ich kann die Aussprache eröffnen, was ich hiermit auch tue. Als erste Rednerin hat Julia Verlinden von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Letzten Mai stand hier Umweltministerin Hendricks und hat den Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgestellt. Das war ein Fracking-Erlaubnis-Paket. Aber die Menschen wollen ein Verbot von Fracking. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hubertus Zdebel [DIE LINKE]) Ministerin Hendricks sagte damals – das können Sie im Protokoll nachlesen –, das Parlament könne das Gesetz ja auch noch ändern, und zwar gerne in Richtung weiterer Verschärfungen. Die Vertreter der Bundesländer im Bundesrat sahen auch noch ganz erheblichen Änderungsbedarf und wir Grüne auch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der LINKEN: Die Linke auch!) Auch die Experten in den Anhörungen sahen noch zahlreiche Probleme beim Gesetz der Bundesregierung. Sie empfahlen uns Parlamentariern, dringend nachzubessern. Wir Grüne haben nach der Anhörung in den Ausschüssen unsere Hausaufgaben gemacht. Wir haben in unseren Anträgen deutlich gemacht, welche Defizite wir beim Regierungsentwurf sehen. Und wir haben klargemacht: Wir Grüne wollen, dass Fracking verboten wird, und wir wollen, dass neue Regeln auch die Erdgas- und Erdölförderung ohne Fracking sicherer und transparenter machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Und was ist seitdem bei Union und SPD passiert? Nichts! Zumindest haben Sie nicht weiter daran gearbeitet, dass wir bald über ein Gesetz abstimmen können, das dem Wunsch der Mehrheit der Bevölkerung entspricht; denn mehr als zwei Drittel der Menschen wollen laut einer repräsentativen Umfrage ein Fracking-Verbot, und das zu Recht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Diese Menschen sind in bester Gesellschaft. Auch Gewerkschaften, Kirchen und Wirtschaftsverbände kritisieren Fracking. Tausende Kommunen haben Resolutionen gegen Fracking verabschiedet. Ich kenne eigentlich nur eine Einzige, die Fracking wirklich will, und das ist die Erdgasindustrie. Doch zu welchem Preis? Die Erdgasindustrie will es am liebsten so machen, wie es leider lange Tradition in der Energiewirtschaft war: die Gewinne privatisieren und die Risiken und Folgekosten der gesellschaftlichen Allgemeinheit überlassen. Das ist ungerecht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) So wie beim Atommüll: Jahrzehntelang fahren die Energiekonzerne Gewinne ein und schütten hohe Dividenden aus, und jetzt wollen sie am liebsten nichts mehr damit zu tun haben. Oder bei der Braunkohle: den Menschen die Heimat wegbaggern und das Klima auf Kosten der Zukunft kaputtmachen und dann auch noch die Hand aufhalten und Geld dafür haben wollen, dass sie damit aufhören. Das ist doch verrückt! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ständig lesen wir neue Hiobsbotschaften, die auf Risiken für Umwelt und Gesundheit bei der Fracking-Technik und Erdgasförderung hinweisen, und das nicht nur in den USA, wo massiv gefrackt wird. Dort kam es letzte Woche im Fracking-Bundesstaat Oklahoma zu einem der stärksten Erdbeben überhaupt in der Region. Dieses Erdbeben steht unter dringendem Verdacht, von Fracking verursacht worden zu sein. (Bernd Westphal [SPD]: Nur im Verdacht!) Aber wir müssen gar nicht so weit gucken. Auch hier in Deutschland gibt es am laufenden Band Meldungen über mögliche schädliche Folgen der Erdgasförderung. Auch rund um Förderstätten, insbesondere in Niedersachsen, gibt es regelmäßig neue Erdbeben, wie etwa letzte Woche im Heidekreis. Die Liste der Gegenden, in denen Erdöl- und Erdgas gefördert werden und signifikant erhöhte Krebsraten bei Kindern und Erwachsenen gemeldet werden, wird immer länger. Hinzu kommt der hohe Wasser- und Flächenverbrauch beim Fracking und die ungeklärte Frage der Entsorgung giftiger Abwässer. Zu Recht sind die betroffenen Bürgerinnen und Bürger besorgt, und sie erwarten, dass Sie als Regierungsfraktionen endlich handeln. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Erdgas ist kein sauberer und klimafreundlicher fossiler Brennstoff, wie es manche Befürworter gerne behaupten; denn bei der Erdgasförderung und beim Transport entweicht regelmäßig unkontrolliert Methan, und Methan ist klimaschädlicher als CO2 – nicht nur ein bisschen schädlicher, sondern 20-mal mehr als CO2 Ich will Generationengerechtigkeit. Ich will, dass diejenigen zahlen, die Schäden verursacht haben. Ich will, dass die Politik nach dem Vorsorgeprinzip Entscheidungen trifft, dass Alternativen gewählt werden, die die Risiken minimieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Von diesen besseren Alternativen haben wir in der Energiepolitik zahlreiche. Die internationale Gemeinschaft hat im Dezember in Paris beschlossen, dass wir rauswollen aus den fossilen Energieträgern: Weg vom Öl! Raus aus der Kohle! Und wenn wir sagen „Dekarbonisierung“, dann heißt das natürlich auch: perspektivisch ein Ausstieg aus der Erdgasnutzung; denn wir können für Strom, Wärme und Mobilität auf erneuerbare Energien umsteigen und Energie effizienter einsetzen. Das geht nicht von heute auf morgen; klar. Aber wenn wir jetzt schon wissen, dass wir mindestens zwei Drittel der fossilen Rohstoffe eben nicht verbrennen dürfen, dass diese Menge unter der Erde bleiben muss, wenn wir das Klima retten wollen – ja, warum sollen wir denn dann noch die letzten Reste Erdgas aus dem Boden fracken? Das macht doch überhaupt keinen Sinn. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es wäre ein fatales Signal, wenn Deutschland nach Paris wieder einen Schritt rückwärts macht, anstatt auf die Zukunft zu setzen. Die Zukunft heißt: zuverlässige und umweltfreundliche Energie. Jetzt heißt es, Alternativen für unsere Energieversorgung voranzutreiben und Investitionen entsprechend zu lenken: in Richtung Energiesparen, Energieeffizienz, erneuerbare Energien, auch im Wärmemarkt. (Dr. Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Phrasendrescherei!) Fracking widerspricht dem Klimaschutz. Es widerspricht einer klugen Energiepolitik, weil es das fossile Zeitalter verlängert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deswegen sollte die Politik endlich Rechtssicherheit schaffen, und Rechtssicherheit bedeutet: Fracking verbieten. In ihren Wahlkreisen haben im letzten Jahr viele Abgeordnete Besuch bekommen. Viele Abgeordnete haben auf öffentlichen Veranstaltungen oder in der Zeitung erzählt, dass sie ja irgendwie auch ziemlich gegen Fracking seien. Aber warum machen Sie dann nicht endlich ein richtiges Gesetz, das Fracking verbietet? Sie haben doch die Mehrheit im Parlament und stellen die Regierung. Das heißt, es ist Ihre Verantwortung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es ist doch keine Lösung, wenn Sie den Kopf in den Sand stecken und hoffen, dass diese Legislaturperiode schnell vorbeigeht. Dabei geht es ganz einfach: Sie schreiben ein Fracking-Verbot in einen neuen § 49 a des Bundesberggesetzes. Das präsentieren wir Grünen Ihnen hier heute in unserem Gesetzentwurf noch mal auf dem Silbertablett. Wir werden das in den Ausschüssen beraten, und bei der Abstimmung in ein paar Wochen erwarte ich, dass Sie Ernst machen mit dem, was Sie zu Hause in den Wahlkreisen erzählen. Stimmen Sie unserem Fracking-Verbot zu! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin spricht Herlind Gundelach von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass wir heute wieder einmal über Fracking sprechen; denn seit nunmehr fünf Jahren wurde in Deutschland kein Antrag auf konventionelle Gasförderung mit Anwendung der Fracking-Technologie mehr beschieden. Die Gasförderung in unserem Land geht kontinuierlich zurück, und ganze angegliederte Wirtschaftszweige fallen in Deutschland weg. Dadurch verlieren wir Arbeitsplätze in ganz erheblichem Umfang, und qualifizierte Fachkräfte wandern ab. Solche Prozesse können in einer Marktwirtschaft zwar unvermeidlich sein, aber sie sind es nur, wenn ein Produkt nicht mehr konkurrenzfähig ist, und das ist hier ganz entschieden nicht der Fall. Es gibt in der Bevölkerung Bedenken zur Fracking-Technologie – das haben Sie sehr richtig erkannt, Frau Verlinden –, (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und die nehmen wir auch sehr ernst. Wir haben daher in dieser Legislaturperiode an einem Gesetz gearbeitet, das einen neuen ordnungsrechtlichen Rahmen für eine Technologie schafft, die wir 50 Jahre ohne größere Zwischenfälle angewendet haben. Zwischen 1961 und 2011 fanden nämlich rund 300 Fracks im Rahmen der konventionellen Förderung statt. Bei unserem Gesetzentwurf – genauso haben wir es im Koalitionsvertrag festgehalten – stehen der Schutz des Menschen und seiner Gesundheit sowie die Belange der Umwelt im Vordergrund. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Hiltrud Lotze [SPD]) Wir – das unterscheidet uns ganz massiv von Ihnen – wollen einen Gesetzesrahmen, in dem wir Erdgas in Deutschland unter ökologisch verantwortbaren und wirtschaftlich vertretbaren Voraussetzungen fördern können. Wir wollen auch international einen Beitrag leisten, indem wir zeigen, dass die Förderung von Rohstoffen auch unter strengen Umweltauflagen wirtschaftlich ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, wir sind uns einigermaßen einig – zumindest die meisten unter uns –, dass wir bis 2050 in diesem Land nicht ohne fossile Brennstoffe auskommen werden. Anders lautende Aussagen sind meines Erachtens Wunschvorstellungen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Umweltministerin hat in Paris etwas anderes unterschrieben!) – Da täuschen Sie sich. Das müssen Sie etwas genauer lesen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 1,5 Grad wird schwierig!) Unter Umständen können wir vielleicht in nicht allzu weiter Ferne Strom ohne fossile Energieträger herstellen, was aber immer noch nicht heißt, dass das für ein Industrieland wie Deutschland ausreichend ist; denn wir brauchen verlässlich 365 Tage im Jahr und 24 Stunden am Tag Strom. Solange wir nicht ausreichend Speichermöglichkeiten haben, könnten wir zwar rechnerisch ausreichend Strom produzieren, aber deswegen noch lange nicht die Versorgung sicherstellen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Laut der Energieeffizienzstrategie Gebäude, die wir am Mittwoch im Ausschuss behandelt haben, gibt es in Deutschland derzeit 21,3 Millionen Wärmeerzeuger. Davon werden gut 10,5 Millionen mit Gas befeuert. Das bedeutet, dass immer noch die Hälfte aller Heizungen in Deutschland gasbasiert ist. Ein großes Problem im Wärmebereich ist, dass Alternativen wie Biomasse, Geothermie, Solarthermie und Photovoltaik nicht für jedes Gebäude umsetzbar sind bzw. die Umsetzung mit großen Kosten verbunden ist. Bei Gebäuden mit klassischen Radiatorheizungen zum Beispiel sind Wärmepumpen weniger effizient als in Gebäuden mit Flächenheizungen. Bei der Solarthermie gibt es durch die Größe und Ausrichtung der Dachflächen Hemmnisse. Solarthermieanlagen sind übrigens eine ausgeprägte Konkurrenz für Photovoltaikanlagen, die nicht zur Wärmegewinnung genutzt werden können. Bei der Geothermie haben wir zum Teil dasselbe Problem wie beim Erdgas: Auch hier muss gefrackt werden. Jetzt werden viele von den Kolleginnen und Kollegen der Grünen sagen: Wir müssen mit Zwang auf die Nutzung von erneuerbaren Energien im Bereich Wärme umrüsten – siehe Ihr zuletzt vorgelegter Gesetzentwurf –, kostet es, was es wolle. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen den Planeten retten! Sie vielleicht nicht!) Wenn ich einen ersten Blick in die Unterlagen für den Klimaschutzplan 2050 werfe, der von Ihnen nahestehenden Einrichtungen entworfen wurde, denke ich, dass das genau der von Ihnen präferierte Weg ist. Ich sagte soeben, dass wir in Deutschland immer noch sehr viele Gasheizungen haben. In den letzten Jahren wurden circa 600 000 bis 700 000 entsprechende Wärmeerzeuger pro Jahr installiert. Im Neubaubereich ist Gas – auch das müssen wir zur Kenntnis nehmen – noch immer der bedeutendste Energieträger. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie schon einmal etwas von Power-to-X gehört?) – Davon habe ich durchaus schon gehört, ja. Eine solche Anlage werde ich übermorgen wieder besuchen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Am heiligen Sonntag?) Wenn wir in Deutschland kein Erdgas mehr fördern, können wir nur importieren. Wir machen uns dann gänzlich von ausländischen Lieferanten abhängig, die gegebenenfalls unter schlechten ökologischen und übrigens auch schlechten arbeitsrechtlichen Bedingungen fördern. Dass es unter Umständen auch aus außenpolitischer Sicht Vorbehalte und Probleme mit der innerstaatlichen Demokratie in diesen Förderländern geben kann, will ich in diesem Zusammenhang nur kurz ansprechen und gar nicht weiter ausführen. Ein Verbot hätte daher aus meiner Sicht mindestens zur Folge, dass wir kein eigenes Gas für die Verstromung hätten, obwohl Gas unter den grundlastfähigen Energieträgern noch immer die beste CO2-Bilanz hat. Wir müssten für die Hälfte der Heizungen in Deutschland Erdgas aus dem Ausland importieren. Wir würden einem ganzen Wirtschaftszweig die Arbeit verbieten, und das, nachdem er über 50 Jahre in Deutschland eine gute Arbeit geleistet hat. Wir würden indirekt schlechte Arbeitsbedingungen und eine unter ökologischen Aspekten auch nicht nachhaltige Förderung im Ausland unterstützen. Ich weise zum Beispiel auf die Leckagen im Rahmen der Öl- und Gasförderung in Russland hin. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht nur da!) – Aber dort ganz besonders. – Experten sagen, dass bei bis zu 10 Prozent der Förderungen das von Ihnen zu Recht kritisierte Methan in großen Mengen in die Luft entweicht. Wir könnten sagen: Das berührt uns nicht; das ist ja nicht unsere CO2-Bilanz. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Wir können auf Energieeffizienz setzen!) Ich nenne ein solches Verhalten absolut pharisäerhaft. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wie gesagt, das alles wollen wir uns leisten, obwohl Erdgas in Deutschland unter marktwirtschaftlichen Aspekten konkurrenzfähig ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nehmen die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger bezüglich der Fracking-Technologie sehr ernst. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es gibt kein Gesetz von Ihnen!) Es gibt aber nur wenige Themen, die politisch und emotional derart aufgeladen sind – das merkt man auch an Ihren Reaktionen –, dass eine sachliche Diskussion kaum noch möglich ist. Das Produkt Erdgas ist unter strengen Auflagen in Deutschland förderbar und auch konkurrenzfähig. Deshalb wäre es nach unserer Auffassung falsch, Fracking zu verbieten. Ich werbe daher für einen guten gesetzlichen Rahmen mit sinnvollen Regelungen. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist der denn?) – Dazu hören Sie gleich noch etwas. – Daher haben wir in unserem Vorschlag nach intensiven Beratungen, auch mit durchaus kritischen Geistern in unseren eigenen Reihen, wie Sie wissen, festgelegt, dass zum Beispiel nur noch solche Frackfluide zugelassen werden – sie bestehen heute ohnedies schon zu fast 97 Prozent nur noch aus Wasser und Sand –, die die Wassergefährdungsklasse 1 haben. Die meisten Shampoos, mit denen wir uns täglich die Haare waschen, sind schon in Wassergefährdungsklasse 2. Die Gefährlichkeit ist aus meiner Sicht also überschaubar. Ferner wollen wir die Pflichten im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfungen massiv ausweiten, sodass beispielsweise schon vor der Aufsuchung – also beim allerersten Schritt, noch vor der Förderung – eine UVP-Prüfung durchgeführt werden muss. So würde der gesamte Prozess der Förderung überwacht. Zu den wasserrechtlichen Implikationen wird, denke ich, der Kollege Möring nachher sicher noch Stellung nehmen. Deutschland ist in den Augen vieler unserer Nachbarn – auch das möchte ich betonen – inzwischen ein Land geworden, das offensichtlich Innovationen scheut und überall nur noch unbeherrschbare Risiken sieht. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ui, ui, ui!) Das, meine Damen und Herren, ist aber nicht der Geist, mit dem unser Land großgeworden ist, und das ist mit Sicherheit auch nicht der Geist, mit dem wir unsere Spitzenstellung als Industrieland in der Welt halten können. Deshalb trete ich nach wie vor für die Anwendung innovativer Techniken in Deutschland ein. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zum Beispiel?) Dazu gehört für mich auch Fracking, (Lachen der Abg. Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) und zwar – das betone ich noch einmal – unter strengen Umweltauflagen. (Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/CSU] – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht Ihr Ernst! Das soll eine innovative Technik sein?) Gestatten Sie mir zum Schluss noch eine Bemerkung. Der Zeitpunkt, zu dem Sie Ihren Gesetzentwurf vorlegen, riecht ein bisschen arg nach Wahlkampf. Uns in der Koalition ist aber an einer sachlichen Diskussion und an guten, praktikablen Lösungen gelegen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben doch auch etwas eingebracht! – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir warten ja auf Ihren Gesetzentwurf!) – Den bekommen Sie. Sie müssen nur noch ein bisschen warten. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie haben doch auch etwas eingebracht!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Hubertus Zdebel von der Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Hubertus Zdebel (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Fracking ist eine unbeherrschbare Risikotechnik. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist es!) Diese Gasfördermethode ist eine Gefahr für Mensch und Natur. Grundwasserverseuchungen, Erdbeben wie in Niedersachsen, Mondlandschaften, wie sie sich in den USA besichtigen lassen, eine miserable Klimabilanz und eine ungelöste Entsorgungsproblematik sind die Folgen. Der Einsatz der Fracking-Technik ist nicht zu verantworten. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Fraktion Die Linke hat daher bereits im Mai letzten Jahres einen Antrag eingebracht, mit dem sie die Bundesregierung aufgefordert hat, einen Gesetzentwurf für ein Fracking-Verbot ohne Ausnahmen vorzulegen. Wir begrüßen es, dass die Grünen nun ebenfalls auf die Position der Anti-Fracking-Bewegung einschwenken (Lachen des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) und sich dieses Thema zu eigen machen. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schon lange! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da muss er ja selber lachen!) Allerdings muss sich auch das Verhalten der Bundesländer mit grüner Regierungsbeteiligung ändern; das will ich zumindest kurz andeuten. Ein Landesentwicklungsplan, der, wie in NRW, die Tür für Fracking weit offen lässt, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Wer lässt denn da Fracking zu? Hallo?!) zum Beispiel für Erdöl-Fracking, oder das Abtauchen des niedersächsischen Umweltministers Wenzel in der Fracking-Frage – die Vorgänge in Niedersachsen sind ja gerade angesprochen worden – stehen im Widerspruch zu dem heute vorliegenden Gesetzentwurf. Da muss sich auch in den Ländern sicherlich noch das eine oder andere ändern. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nein! Der Bundesrat hat Verschärfungen beim Fracking gefordert!) Aber die Große Koalition beharrt offensichtlich stur auf ihrem Fracking-freundlichen Kurs. Insbesondere die CDU will eine neue Bombe in Sachen fossiler Energiegewinnung zünden. Nach Berichten der Bürgerinitiativen gegen Fracking wollen SPD und CDU/CSU nach den Landtagswahlen im März einen neuen Anlauf für ein Pro-Fracking-Gesetz nehmen. Die Mitte letzten Jahres gescheiterten Verhandlungen sollen so wiederbelebt werden. Damit gibt die Regierungskoalition den Interessen von Lobbygruppen wie dem Wirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasgewinnung, WEG, nach. Der WEG hat in seiner Pressemitteilung vom vergangenen Dienstag die Verabschiedung des Regelungspakets zu Fracking gefordert. Dadurch ist auch die Legende von Umweltministerin Hendricks geplatzt, das geplante Fracking-Recht würde Fracking verhindern. Das Gegenteil ist der Fall: Die Gas- und Öllobby benötigt die Rechtsänderungen, um mit dem gefährlichen Gasbohren beginnen zu können. Nicht anders ist die Lage. Doch es gibt zwingende Gründe, den Vorhaben der Konzerne einen Riegel vorzuschieben. So hat die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, BGR, im Januar ihre überarbeitete Potenzialstudie vorgelegt. Darin musste sie zugeben, dass Erdbeben durch Fracking in geologischen Störungszonen im Vergleich zu anderen geologischen Formationen deutlich stärker sein können. Kleine Störungszonen können aber in der Regel nicht im Vorfeld ermittelt werden. Damit wird erneut deutlich: Fracking ist gerade hinsichtlich der Erdbebengefahr nicht beherrschbar. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Bundesverband Erneuerbare Energie hat gerade zu den aktuellen Szenarien der deutschen Energieversorgung eine Kurzstudie vorgelegt. Ihr Ergebnis: Deutschland wird seine selbstgesteckten Klimaschutzziele bis 2020 deutlich verfehlen. Statt einer Reduktion der Treibhausgase um 40 Prozent werden nur 32 Prozent erreicht werden. Auch vor diesem Hintergrund auf den fossilen Energieträger gefracktes Gas zu setzen, ist verantwortungslos; (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) denn es kommt dabei zu relevanten Emissionen von Treibhausgasen. In diesem Zusammenhang sei nur das Methangas erwähnt. Gerade nach Paris muss aber gelten: Statt die Klimakrise zu verschärfen, muss der Ausbau der erneuerbaren Energien forciert werden. Die BGR hat ferner das Schiefergaspotenzial in Deutschland deutlich nach unten korrigieren müssen. Im Vergleich zur Potenzialstudie aus dem Jahr 2012 wurden die Gasmengen in der Tiefe zwischen 1 000 Metern und 5 000 Metern auf etwa die Hälfte reduziert. Gefracktes Gas hat damit – im Gegensatz zu den Behauptungen von Frau Gundelach – bezüglich der Energieversorgung keine Bedeutung. Lassen Sie mich daraus die Konsequenz ziehen: Es gibt lediglich ein betriebswirtschaftliches Interesse der Gasindustrie an Fracking, aber kein gesellschaftliches. Auch wegen der katastrophalen Klimabilanz hat Fracking nichts mit einer nachhaltigen Energieversorgung zu tun. Fracking ist ein Roll-back zu fossilen Brennstoffen. Wir fordern stattdessen eine Energiepolitik, die den Weg für erneuerbare Energien ebnet. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Linke ruft daher dazu auf, sich in den nächsten Wochen an den Aktionen der Antifracking-Initiativen zu beteiligen. Die Bürgerinnen und Bürger fordern wie wir ein Fracking-Verbot ohne Ausnahmen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner spricht Bernd Westphal von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Bernd Westphal (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine lieben Kollegen von den Grünen, Sie kritisieren in Ihrem Gesetzentwurf, dass in diesem Parlament über die von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwürfe – es sind übrigens zwei – zum Fracking noch keine Entscheidung getroffen wurde. Ich kann dazu nur sagen: Es gibt Themen, bei denen man sich die Details genau anschauen muss. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die Anhörung ist eine Weile her!) Es sind ja eben von meinen Vorgängern durchaus Risiken skizziert worden, die man im Rahmen einer verantwortungsvollen Politik beobachten muss. Nur – wie in Ihrem Gesetzentwurf gefordert – platt abzulehnen, ist nicht der Anspruch verantwortungsvoller Politik der SPD. (Beifall bei der SPD – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Wenn die Risiken groß genug sind, muss man das so machen!) Die Bundesregierung hat, wie ich finde, ein sehr gutes Regelwerk vorgelegt, mit dem die Anforderungen an das konventionelle Fracking deutlich verschärft werden. Es sollen Regelungen geschaffen werden, nach denen das unkonventionelle Fracking erforscht werden soll. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fracking ist Fracking!) – Nein, das ist es eben nicht. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!) – Das ist genau das, Frau Verlinden, was Sie nicht verstehen. Oberstes Ziel ist und bleibt es, eben genau die höchsten Standards zu setzen, um Trinkwasser, Umwelt, Tiere und Menschen zu schützen. Deshalb ist das genau die Überschrift, die über diesem Gesetzentwurf steht. Und darum ist das auch ein Punkt, über den wir weiter diskutieren werden. Wir sprechen uns aber auch – und da unterscheiden wir uns von den Grünen – für eine technologische Weiterentwicklung und Forschung aus. Wir wollen erforschen, ob unkonventionelles Fracking irgendwann überhaupt eine Option sein kann. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wie denn vor dem Hintergrund der Pariser Klimaabkommen? Das macht überhaupt keinen Sinn!) Dies wollen wir aber nur unter weltweit strengsten Rahmenbedingungen machen. Deshalb sind die Beispiele aus dem Ausland, die immer angeführt werden, auch nicht tragfähig. Ich erzähle Ihnen auch kein Geheimnis, wenn ich Ihnen sage, dass wir als SPD in der Feinabstimmung die Details sehr verantwortungsvoll mit unserem Koalitionspartner diskutieren. Deshalb kann das ruhig ein bisschen länger dauern. Bitte hören Sie auch damit auf, in der Debatte zu behaupten, dass Erdgas- und Erdölförderung den Ausbau erneuerbarer Energien behindern. Genau das Gegenteil ist der Fall. Wir brauchen für die Brücke in das Erneuerbare-Energien-Zeitalter genau diese umweltfreundlichen Energieträger wie Erdgas, damit die Energiewende gelingt. Außerdem ist Erdgas auch für die chemische Industrie ein wichtiger Rohstoff. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man kann jeden Euro nur einmal ausgeben!) Es liegen diverse Gutachten vor – einige sind hier eben schon zitiert worden –, die sich mit dem Thema Fracking beschäftigen. Keines der Gutachten – auch nicht die beiden vom Umweltbundesamt – kommt zu dem Ergebnis, dass wir Fracking verbieten sollten. Jedes dieser Gutachten kommt zu der Überzeugung, dass es sicherlich Risiken gibt, die aber nach heutigen Erkenntnissen beherrschbar sind. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber energiepolitisch unsinnig!) Das gilt auch für die aktuelle Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe aus Hannover, der BGR, die mein Vorredner eben einige Male zitiert hat. Ich zitiere: Es erscheint angebracht, dass in einem ersten Schritt Pilotprojekte durchgeführt werden. Dadurch können Unternehmen und Wissenschaft genauere Aussagen zu den Vorkommen und zur Wirtschaftlichkeit einer möglichen Förderung treffen. Gleichzeitig kann Fragen zur Umweltverträglichkeit nachgegangen und Wissen über den Aufbau und Zustand des geologischen Untergrunds vermittelt werden. Und weiter kommt die BGR zu dem Schluss: Aus geowissenschaftlicher Sicht kann daher grundsätzlich, unter Einhaltung der gesetzlichen Regelungen und der erforderlichen technischen Standards, der Einsatz der Fracking-Technologie kontrolliert und sicher erfolgen. – Das ist eine Aussage im BGR-Gutachten, die Sie, glaube ich, überlesen haben. Ich empfehle Ihnen das einfach noch einmal zur Lektüre. Ja, Technologie im Allgemeinen birgt immer Risiken, aber wir werden bei der Fracking-Technologie, die in Niedersachsen im konventionellen Bereich übrigens schon seit den 60er-Jahren angewandt wird, sicherlich auch eine Weiterentwicklung haben. Auch im unkonventionellen Bereich geht es nicht um Fracking um jeden Preis, sondern ganz im Gegenteil: Wir wollen strenge Auflagen und größtmögliche Transparenz, und wir werden jetzt Probebohrungen, die durch eine Expertenkommission begleitet werden, auf den Weg bringen. Erst auf der Grundlage der Ergebnisse dieser Probebohrungen kann dann eine Entscheidung für oder gegen eine kommerzielle Anwendung dieser Technologie gefällt werden. Diese Offenheit gegenüber der Wirtschaft, der Umwelt und auch der sozialen Verantwortung unterscheidet uns von den Grünen, und deshalb lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab. Herzlichen Dank und Glück auf! (Beifall bei der SPD der CDU/CSU – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie erzählen den Wählern also Märchen!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner spricht Karsten Möring von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt wieder die Nase aus dem Rheinland!) Karsten Möring (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Verlinden, ich verstehe nicht, weshalb Sie es so bemängeln, dass wir noch keinen Gesetzentwurf verabschiedet haben, obwohl Sie doch genau wissen, dass wir aufgrund von Vereinbarungen mit den Unternehmen, die fördern, und aufgrund von Vereinbarungen mit den verschiedenen Landesregierungen de facto seit Jahren nicht fracken. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber eine Rechtssicherheit nützt allen!) Noch viel mehr wundert mich Folgendes: Sie haben vorhin sehr ausführlich dargelegt, welche schrecklichen Ereignisse es in der jüngeren Vergangenheit – sprich: in den letzten ein, zwei Jahren – alles gegeben hat, die auf das Fracking zurückzuführen sind. Da frage ich mich: Wie geht das? Seit Jahren wird nicht gefrackt, (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh man!) aber aktuell soll es lauter Probleme geben, die durch das Fracken zustande gekommen sind. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Manche Folgen kommen erst später!) – Nein. Liebe Frau Verlinden, es geht um etwas ganz anderes. Mit diesem Gesetzentwurf betreiben Sie, um es einmal deutlich zu sagen, absoluten Etikettenschwindel, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) und zwar ganz einfach aus folgendem Grund: Sie sagen, Sie folgen den Hauptempfehlungen der Ausschüsse des Bundesrates, und die verlangen ein Fracking-Verbot. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich nicht gesagt!) Der Bundesrat verlangt das aber gar nicht. Er hat differenziert Stellung genommen und gesagt, welche Verbesserungen er sich vorstellen kann. Das werden wir zu einem erheblichen Teil auch berücksichtigen und in den Gesetzentwurf schreiben. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das läuft aber auf ein Fracking-Verbot hinaus!) Wir werden aber kein Verbot regeln. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo sehen Sie dann die Änderungen im Gesetzentwurf von Ihnen? Das, was Sie vorhaben, erzählen Sie den Wählern erst nach der Landtagswahl!) Sie haben dann gesagt, es gebe sehr viele Fragen, die beantwortet werden müssen. Und dann schaffen Sie mit drei wenigen Zeilen alle Probleme aus der Welt! Schauen wir uns das doch einmal genauer an: Erster Punkt. Sie sagen, Sie wollen kein Fracken zur Förderung von Kohlenwasserstoffen, weil Fracken schlimm ist. Fracken für Geothermie kommt bei Ihnen aber nicht vor. Es gibt also gutes und schlechtes Fracken. Das scheint mir nicht besonders konsequent zu sein. Zweiter Punkt. Wenn wir Ihrem Gesetzentwurf zustimmen würden, dann wäre die Folge, dass die Niedersächsische Landesregierung, an der Ihre grünen Parteifreunde beteiligt sind, im Bundesrat dagegenstimmen müsste; (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir dann erst einmal sehen!) denn die Niedersächsische Landesregierung legt größten Wert darauf, dass wir so bald wie möglich wieder mit der bisherigen Form des Frackings – wenn auch unter verschärften Bedingungen – beginnen können, damit die Förderung von Gas nicht mehr auf das halbe Niveau zurückfallen kann, wie das vor ein paar Jahren geschehen ist, und damit der niedersächsische Haushalt einige 100 Millionen Euro mehr an Konzessionsabgaben vereinnahmen kann. Verkaufen die Grünen in Niedersachsen ihre Vorstellungen für höhere Haushaltseinnahmen? (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch!) Oder sind sie wie wir der Meinung, dass die Risiken bei diesem Fracken beherrschbar sind? Ich glaube, das zweite ist der Fall. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie mal die Aussagen der Grünen aus Niedersachsen zu diesem Thema!) Ansonsten müssten Sie Ihren Parteifreunden sagen, dass sie eine unverantwortliche Politik machen. Das tun Sie aber nicht. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen gar keine Politik! Das ist der Unterschied! Wo ist denn der Gesetzentwurf?) – Auch wir machen Politik, Herr Krischer. Warten Sie es ab. Der nächste Punkt in diesem Zusammenhang. Sie schreiben von zahlreichen Übeln und Problemen. Gehen wir sie einmal der Reihe nach durch: Krebsgefahr. In epidemiologischen Studien ist das Krebsrisiko statistisch erfasst. Keiner kann sagen: Gibt es einen Kausalzusammenhang, oder woher kommt dieses Risiko? (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Können Sie das Gegenteil beweisen?) Welche Konsequenz ergibt sich daraus? Das ist genau das, was die niedersächsische Regierung und das Bundesgesundheitsministerium machen. Sie gehen der Frage nach: Gibt es einen Zusammenhang, oder wo ist die Quelle einer solchen statistischen Häufung? Dazu kann man sagen, dass bei den Beschäftigten, die in der Öl- und Gasförderung tätig sind, solche Erkrankungen nicht aufgetreten sind. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Weil sie nicht untersucht werden!) – Hören Sie auf! Natürlich wird das untersucht. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Nein!) Glauben Sie nicht, dass jemand, der in diesem Bereich gearbeitet hat und bei dem Krebs diagnostiziert wird, auf die Idee kommt, einen Zusammenhang herzustellen, wenn das in der Öffentlichkeit diskutiert wird? Pardon, aber das ist blauäugig. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Da klatschen noch nicht mal Ihre eigenen Kollegen! – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Witz ist aber nur: Das hat im Zweifelsfall mit der Gasförderung zu tun, aber nicht mit Fracken. Sie aber sagen: Fracken ist das Übel. Seismische Erschütterungen. Alle seismischen Erschütterungen, die nennenswerte Bedeutung haben, sind entweder aufgetreten, ohne dass ein Frack-Vorgang vorlag, zum Beispiel aufgrund von Druckentlastung in der Lagerstätte, oder weil beim Verpressen von Lagerstättenwasser mit zu hohem Druck gearbeitet worden ist oder Schwachstellen aufgetreten sind. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was wollen Sie jetzt dagegen tun? – Herbert Behrens [DIE LINKE]: Fragen Sie mal Ihre Kollegen!) Daraus aber wollen Sie ein Fracking-Verbot herleiten. Daraus können Sie ein Verbot der Verpressung von Lagerstättenwasser herleiten, wenn Sie wollen, oder ein Verbot der Förderung schlechthin. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo sind denn Ihre Vorschläge?) Aber mit Fracken hat das nichts zu tun. (Hubertus Zdebel [DIE LINKE]: Sicher hat das mit Fracken zu tun!) Nächster Punkt: Lagerstättenwasser. Es gibt belastetes Lagerstättenwasser. Das kommt aber bei jeder Förderung hoch und hat ebenfalls mit Fracken nichts zu tun. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wissen wir doch! Das wollten Sie aber alles letztes Jahr regeln!) Warum sagen Sie denn, Sie wollen Fracken verbieten, wenn das, was Sie hier als Schäden anführen, nichts anderes als das ist, was bei der Förderung schlechthin passiert? (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo sind denn Ihre Vorschläge? – Hubertus Zdebel [DIE LINKE]: Quatsch!) Dann sagen Sie doch gleich: Wir wollen die Gasförderung einstellen. – Das wäre doch wesentlich ehrlicher. Aber auch das funktioniert nicht. Deswegen stürzen Sie sich auf so etwas. Letzter Punkt in diesem Zusammenhang: Verunreinigung von Grundwasser. Frack-Fluid wird in Zukunft nicht giftig sein. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das höre ich schon seit fünf Jahren!) Das haben wir schon mehrfach gesagt, auch bei früheren Diskussionen. Die Problematik der Grundwasserverunreinigung entsteht, wenn überhaupt, durch belastetes Lagerstättenwasser. Wie wir damit umgehen, werden wir in unserem Gesetzentwurf – das ist einer der schwierigsten Punkte – vernünftig regeln. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann sehen wir den denn mal?) – Warten Sie doch noch ein bisschen. Ich will ja nicht den alten Satz bemühen, dass Gründlichkeit vor Schnelligkeit geht. Aber Sie als Opposition haben einen Vorteil. Sie legen einen Antrag mit drei Sätzen vor. Wir aber werden einen Gesetzentwurf mit 20 oder 30 Seiten vorlegen, mit denen Sie sich auseinandersetzen müssen. Darin werden dann nämlich Dinge geregelt, die Sie völlig ausblenden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, die blenden wir nicht aus! Die stehen in unserem Entschließungsantrag, den wir letztes Jahr pünktlich fertig hatten!) Sie benutzen das Thema Fracken, weil das so schön praktisch ist. Darunter subsumieren Sie auch alles andere; denn Fracken passt so gut zu Schrecken. Damit kann man in der Öffentlichkeit richtig Aufregung produzieren. Das tun Sie. Aber die sachlichen Punkte, um die es wirklich geht, kommen bei Ihnen nicht vor. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die stehen in dem Entschließungsantrag vom letzten Jahr!) Wollen Sie vielleicht auch die Gefahrstofftransporte auf den Straßen verbieten? Was ist denn mit einem Tankschiff auf dem Rhein oder auf der Elbe, in dem Tausende von Litern problematischer Flüssigkeiten transportiert werden, die bei einem Unfall ins Grundwasser geraten könnten? Was ist mit Tankwagenunfällen auf der Autobahn? (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie ignorieren die Probleme, die gerade existieren!) Bei diesen Risiken sagen Sie: Okay, das ist Alltag. Das müssen wir hinnehmen. Diese Transporte haben ja auch Vorteile. – Aber beim Thema Fracken heißt es bei Ihnen: Daumen runter. Fracken müssen wir verbieten. – Das ist zu einfach. Das können wir uns als Industrieland überhaupt nicht leisten. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollen sich endlich um die Herausforderungen kümmern! Sie sind an der Regierung!) Sie schreiben am Schluss Ihres Gesetzentwurfs unter Alternativen: „Beibehaltung des unsicheren Zustandes ...“, was Sie natürlich nicht wollen. Da haben Sie recht. Aber Ihre Alternative ist falsch. Denn die Alternative zu Ihrem Gesetzentwurf ist ganz einfach ein ordentliches Gesetz, sorgfältig abgewogen und mit genauen Regelungen, wie wir die Risiken minimieren oder verhindern, und zwar gemäß dem, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Darin heißt es nämlich: Trinkwasser und Gesundheit haben für uns absoluten Vorrang … Den Einsatz umwelttoxischer Substanzen … lehnen wir ab. Genau so werden wir den Gesetzentwurf machen, und das werden Sie dann auch lesen müssen, von der ersten bis zur letzten Seite. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Hiltrud Lotze von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hiltrud Lotze (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Dass der Gesetzentwurf zur Regelung der Fracking-Technologie hängt, ist unbefriedigend. Das sage ich als Umweltpolitikerin ganz deutlich. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Endlich sagt mal jemand was! Endlich kommt mal ein klarer Satz! – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Ihr müsst einfach nur zustimmen!) Es gibt dafür Gründe, aber trotzdem ist es bedauerlich. Denn hätten wir das Gesetz so, wie es im Entwurf vorliegt, schon, dann hätten wir bei Fracking-Vorhaben Umweltverträglichkeitsprüfungen vorgeschrieben, und es gäbe eine ausreichende und gute Beteiligung von Kommunen, Wasserbehörden und vor allen Dingen der Bevölkerung. Das fehlt nämlich im Moment. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) In meiner Heimatregion Lüchow-Dannenberg/Lüneburg sind bergrechtliche Aufsuchungserlaubnisse erteilt, und die Menschen dort machen sich natürlich Sorgen, ob nicht eines Tages vor ihrer Haustür gebohrt oder gefrackt wird. Ich muss ganz deutlich sagen: Dort sind keine Fracking-Genehmigungen erteilt. Es ist zwar in Niedersachsen seit 2011 nicht mehr gefrackt worden, aber in der Region liegt auch Gorleben. Dort sind die Menschen einfach misstrauisch, was neue Technologien angeht. (Ulrich Freese [SPD]: Ja, das stimmt!) Deswegen brauchen wir ein Gesetz, das Fracking streng reguliert oder, wie ich persönlich sage, am besten unmöglich macht. (Bernd Westphal [SPD]: Was?) Mit dem vom Umwelt- und Wirtschaftsministerium vorgelegten Gesetzentwurf soll genau das kommen: eine sehr strenge Regulierung. Das ist auch längst überfällig; denn für uns als SPD steht der Schutz von Mensch und Natur natürlich im Vordergrund. (Beifall bei der SPD – Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Für uns auch!) Der Schutz unseres Trinkwassers muss absoluten Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN – Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Das stellen wir immer in den Vordergrund!) Für mich als niedersächsische Abgeordnete ist es wichtig, dass die seit Jahrzehnten in unserem Bundesland praktizierte Förderung von Erdöl und Erdgas künftig rechtlich streng reguliert wird und unter modernen und hohen Umweltstandards erfolgt. Die vorliegenden Gesetzentwürfe aus den Häusern Hendricks und Gabriel werden diesen Anforderungen gerecht. Fracking bei der sogenannten unkonventionellen Erdgasförderung ist aber mit entsprechenden Risiken verbunden. Deswegen ist es aktuell, ohne dass wir mehr darüber wissen, nicht zu verantworten. Deswegen ist unsere Meinung, dass unkonventionelles Fracking zu wirtschaftlichen Zwecken in Deutschland auf absehbare Zeit nicht stattfinden soll. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Auch aus energiepolitischer Sicht ist Fracking nicht der richtige Weg. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Beifall bei der LINKEN) Wir haben als SPD-Fraktion und als niedersächsische Landesgruppe noch Änderungsbedarf in den vorliegenden Gesetzentwürfen gesehen und entsprechende Forderungen formuliert, unter anderem, dass der Deutsche Bundestag als demokratisch legitimiertes Organ über den kommerziellen Einsatz der Fracking-Technologie entscheiden muss statt eine Expertenkommission. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Union, lehnen wir diese Expertenkommission ab. Das ist bekannt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Weg zu einer Energieversorgung aus erneuerbaren Energien ist vorgezeichnet. Wir wollen diesen Weg konsequent gehen, aber nicht holterdiepolter, wie Sie es mit Ihrem vorliegenden Gesetzesvorschlag vorhaben, sondern wir wollen das planvoll und strukturiert machen und Strukturbrüche in den Regionen vermeiden. Diese würde Ihr Gesetzentwurf nämlich auslösen. Meine Zeit ist um. Ich wünsche allen ein schönes Wochenende. Vielen Dank. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ich hoffe, es ist nur Ihre Redezeit, Frau Kollegin!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Die Redezeit war um, genau. – Als nächster Redner hat jetzt Johann Saathoff von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Johann Saathoff (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Als Niedersachse ist mir wichtig, zu betonen, dass wir seit Jahrzehnten in unserem Bundesland die Förderung von Erdöl und Erdgas erfolgreich praktizieren und dass sie künftig mit modernen und hohen Umweltstandards sowie einer transparenten Bürgerbeteiligung weiterhin erfolgen soll. (Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/CSU]) Bei uns wird seit über 40 Jahren Erdgas gefördert, und das wollen wir auch weiterhin tun, allerdings unter den verschärften Bedingungen der Umweltverträglichkeitsprüfung und sicherlich nicht in Wasserschutz- und Trinkwasserschutzgebieten. Als ehemaliger Bürgermeister einer Gemeinde, in der Erdgas gefördert wird – allerdings konventionell, ohne Fracking –, kann ich nicht verhehlen, dass Erdgasförderung für Gemeinden und damit auch für die Gemeinschaft gewisse finanzielle Vorteile hat. Diese sollen aber in der heutigen Debatte nicht im Zentrum stehen. Von der konventionellen Förderung zu unterscheiden ist die unkonventionelle Förderung; darüber haben wir heute schon gesprochen. Ich kann verstehen, dass Sie mit Ihrem Gesetzentwurf rein ökologische Lösungen anbieten. Aber die Welt ist leider nicht so monokausal. Wir hingegen betrachten immer auch die Lage der Beschäftigten und die notwendige Versorgung. Das bedeutet nicht, dass die Sorgen der Menschen nicht ernst genommen werden. Im Gegenteil: Weil wir die Sorgen um Umwelt und Trinkwasser, aber auch die Sorgen um Versorgungssicherheit und Versorgungsunabhängigkeit sowie die Sorgen um die Umweltauswirkungen in anderen Ländern ernst nehmen, sieht unsere Lösung nicht einfach aus. Aber sie wird eher den Menschen im Land gerecht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir wollen durch höhere Standards und entsprechenden technischen Fortschritt zum Beispiel bei der Lagerstättenwasserproblematik und bei der Entwicklung von Frack-Fluiden ohne Auswirkungen auf die Umwelt die Risiken der weltweiten Erdgasförderung verringern. Bei uns sagt man: De een Tied betahlt de anner ut. – Das bedeutet, dass wir heute Grundlagen schaffen können, von denen unsere Kinder und Enkel profitieren sollen. Das gilt für die Energiewende generell; denn selbst wenn wir Fracking in Deutschland verbieten würden, wird in anderen Teilen der Welt gefrackt, auch wenn es sich momentan vielleicht wirtschaftlich nicht lohnt. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Frankreich ist es schon verboten!) Das so geförderte Gas kommt auch nach Deutschland. Man kann nicht auf Erdgas setzen, für Deutschland unkonventionelles Fracking verbieten und sich nicht darum scheren, wie das importierte Gas produziert wurde. Dass wir noch einige Jahrzehnte auf Erdgas angewiesen sein werden, ist kein Geheimnis. Gas ist bei vielen hier im Hause die bevorzugte fossile Energiequelle, wenn es um den Übergang in das Zeitalter der erneuerbaren Energien geht. Es geht also nicht nur um die Gewinnung von Erdgas in Deutschland oder Europa, sondern weltweit. Wir wollen absolut keinen Freibrief für unkonventionelle Erdgasförderung. Wir wollen zunächst genau untersuchen. Wir wollen Probebohrungen, bei denen wissenschaftliche Begleitung notwendig ist. Dabei können Erkenntnisse gewonnen werden, die weltweit von Bedeutung sind. Um es klar zu sagen: Fracking darf es nur geben, wenn Risiken ausgeschlossen werden können. Somit ist klar, dass es wegen der vorgelagerten Verfahren in den nächsten Jahren kein Fracking geben wird. Ob es irgendwann kommerzielles Fracking geben wird, kann man heute noch nicht verbindlich sagen. Am Ende muss sichergestellt sein, dass der Deutsche Bundestag über den kommerziellen Einsatz der unkonventionellen Förderung entscheidet. (Beifall bei der SPD) Wir wollen also mit einem Gesetz einen Prozess vorgeben, an dessen Ende hier im Deutschen Bundestag aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse eine fundierte Entscheidung getroffen werden kann. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fragen Sie die Klimaforscher!) Dafür brauchen wir ein Gesetz, das einen strengen Rahmen vorgibt. Das ist nicht die einfache Antwort, die Sie gerne haben möchten, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen. Aber eine einfache Antwort ist manchmal nicht diejenige, die man in der Regierungsverantwortung tatsächlich verantworten kann. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Damit schließe ich die Debatte. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/7551 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 24: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Digitalisierung der Energiewende Drucksache 18/7555 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin in der Aussprache hat die Parlamentarische Staatssekretärin Iris Gleicke für die Bundesregierung das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Iris Gleicke, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Unsere Energiewirtschaft befindet sich in einem beispiellosen Wandel. Neben der Reform des Strommarkts und dem Ausbau der erneuerbaren Energien wollen wir rechtzeitig für den Ausbau der notwendigen Infrastruktur sorgen. Mit dem Gesetzentwurf zur Digitalisierung der Energiewende werden wir verlässliche Rahmenbedingungen für den Aufbau einer Kommunikationsinfrastruktur der Zukunft schaffen. Wir wollen standardisierte Kommunikation, und zwar überall dort, wo sie erforderlich ist. Den Datenschutz haben wir dabei konsequent von Beginn an mitgedacht. Zusammen mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik hat das Wirtschaftsministerium in jahrelanger Arbeit und unter Einbindung aller Akteure sehr hohe technische Standards und Vorgaben für Smart Meter Gateways entwickelt. Denn nur über ein Privacy-by-Design-Konzept, wie es jetzt im Gesetzentwurf vorgesehen ist, kann man die notwendige Akzeptanz bei Bürgern und Unternehmen erreichen. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Na!) Nur über echte Standards kann die Digitalisierung der Energiewende zum Treiber für Innovationen werden. Meine Damen und Herren, Kern des Gesetzentwurfs ist ein klares, transparentes Rollout-Konzept. Dabei geht es um den Aufbau einer Infrastruktur und nicht um punktuelle Lösungen. Gesetzlich verankerte strikte Preisobergrenzen sorgen dafür, dass die Kosten beim Verbraucher nicht den Nutzen der neuen Technik übersteigen. Auch das ist ein ganz entscheidender Punkt für uns. Auch das hat etwas mit der Akzeptanz zu tun. Wir nehmen den Datenschutz ernst. (Widerspruch des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Hier werden keine Daten nur zum Spaß gesammelt. Daten erhalten nur ausdrücklich Berechtigte und nur so weit es erforderlich ist, damit das System funktioniert. Das Recht, Daten zu erhalten, folgt der energiewirtschaftlichen Aufgabe – und nicht umgekehrt. Das neue System ist effizient und datensparsam, weil es Daten direkt an Berechtigte verteilt. Auf direktem Weg erhalten in Zukunft Verteilnetzbetreiber und Übertragungsnetzbetreiber alle notwendigen Daten, und sie werden bei allen wichtigen Aufgaben in der Energiewende unterstützt. Daher trifft der Gesetzentwurf keine strukturpolitischen Weichenstellungen zugunsten bestimmter Netzbetreiber. Im Gegenteil: Der Gesetzentwurf verhält sich gegenüber großen und kleinen Verteilnetzbetreibern gleichermaßen neutral. Für den Gesetzentwurf gibt es also keine Netzbetreiber erster und zweiter Klasse. Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Kern geht es darum, die Prozesse und Dienstleistungen weiterzuentwickeln und die Möglichkeiten der Digitalisierung im Interesse der Bürgerinnen und Bürger sowie im Interesse der Energiewende zu nutzen. Lassen Sie uns dieses Gesetzesvorhaben deshalb zügig und intensiv diskutieren und möglichst noch vor der Sommerpause durch das parlamentarische Verfahren bringen. Denn damit entsteht baldmöglichst Planungssicherheit für alle. Ich darf mich herzlich für die Zusammenarbeit bedanken, freue mich auf die Beratungen und wünsche auch Ihnen ein gutes Wochenende. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Ralph Lenkert von der Fraktion Die Linke hat als nächster Redner das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Ralph Lenkert (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der heute diskutierte Gesetzentwurf zur Digitalisierung der Energiewende hat nichts, aber auch gar nichts mit der Umstellung auf erneuerbare Energien zu tun. (Zuruf von der SPD: Das ist Unsinn!) Konkret sollen in den nächsten Jahren bei allen Haushalten intelligente Zähler, Smart Meter genannt, eingebaut werden – zunächst bei denen mit einem Jahresverbrauch von über 6 000 Kilowattstunden, später dann auch bei Haushalten mit geringerem Strombedarf. Diese Zähler erfassen dann 24 Stunden, also rund um die Uhr, wann und wie viel Strom Sie verbrauchen und übermitteln dies sofort dem Netzbetreiber. Wann Sie den PC einschalten, sich Kaffee kochen, den Wecker stellen, den Kühlschrank öffnen – all dies wird übertragen. (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Mehrkosten für die Geräte sollen bei 60 Euro liegen. 20 Euro zahlen Sie jährlich für die Datenauswertung. Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, Sie können dann vielleicht eine momentane Verbrauchsanzeige an Ihrem Zähler bewundern, oder Sie erhalten auf Antrag innerhalb von 24 Stunden vom Netzbetreiber eine Mitteilung über Ihren Stromverbrauch vom vorgestrigen Tag. Genau das soll Sie motivieren, weniger Strom zu verbrauchen. Übrigens, direkt live auf Ihren PC oder Ihr Smartphone erhalten Sie die Verbrauchsdaten nicht. Das ist wohl aus Datenschutzgründen nicht vorgesehen. Wie bei allen Datenerfassungen besteht die Gefahr, dass mit Ihren Daten Schindluder getrieben wird. Neue Geschäftsmodelle werden bereits für Ihre zukünftigen Daten entwickelt, und legaler bis illegaler Datenexport wird explodieren. Zum Beispiel besteht ein gewisses Interesse bei Lebensversicherungen: Da läuft Ihr Fernseher am Samstag zwölf Stunden, und außer den Stromspitzen vom Kühlschrank ändert sich nichts. Schlussfolgerung: Dieser Kunde sitzt essend und trinkend vor dem Fernseher; das gibt höhere Beiträge. Alle, die behaupten, die Daten seien sicher, seien daran erinnert: Das Intranet des Bundestages war zertifiziert, galt als sehr sicher, aber 2015 kamen die Hacker. Es ginge auch anders. In der Schweiz entwickelte man ein besseres System. Da gibt es variable Preise, je nach Stromangebot und -nachfrage. Diese Preise sendet der Stromlieferant an Ihren Zähler zusammen mit der Preisvorschau für die nächsten Stunden. Ihr Zähler schaltet dann entsprechend der Programmierung Ihre Geräte so zu, dass sie den günstigsten Strompreis nutzen können. Das spart wirklich, und vor allem werden keine zusätzlichen Daten von Ihnen erfasst. Solch ein System würde die Linke unterstützen. (Beifall bei der LINKEN) Übrigens, liebe Bürgerinnen und Bürger, irgendwie müssen die Daten natürlich aus den Kellern, aus den Technikräumen und aus den Schaltschränken transportiert werden. Da gibt es drei Varianten: erstens eine neue Funkstation in Ihren vier Wänden. Zweitens. Die Signale werden dem Stromnetz aufmoduliert. Beides erhöht die Belastung durch elektromagnetische Wellen; gesund ist das nicht. Oder sollen wir uns – drittens –, liebe Koalition, unsere private Übertragungsrate des Internets mit dem Messstellenbetreiber teilen? Sie schweigen zu diesem Thema. Die Union argumentiert, wir brauchten jetzt Smart Meter, damit die Versorgungssicherheit gewährleistet bleibe. Wann, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, hatten Sie den letzten Stromausfall? Durchschnittlich nur 2,2 Minuten fiel im Jahr 2015 bei lokalen, meist kommunalen Netzbetreibern der Strom aus. Das ist Weltklasse. Das schafften die Stadtwerke ganz ohne Smart Meter bei ihren Kunden. Warum behauptet dann diese Bundesregierung, nur mit Messen bei Endkunden und nur bei zentraler Erfassung all unserer Daten durch die Übertragungsnetzbetreiber würde das Stromnetz stabil bleiben? Netzstabilität ist der Vorwand, mit dem diese Koalition den Herstellern dieser Geräte ein neues Geschäft vermittelt. Diese Firmen äußern sich bereits zuversichtlich. Über 4 Millionen zusätzlich zu verkaufende Smart Meter pro Jahr bringen einen Umsatz von 240 Millionen Euro zulasten der Stromkunden. Ganz nebenbei nimmt die Koalition den kommunalen Stadtwerken das Geschäft mit der Stromabrechnung weg und schiebt es den großen privaten Netzbetreibern zu. Dass diese Koalition damit den Kommunen dringend benötigtes Geld für Kitas und Infrastruktur stiehlt, ist ungehörig. (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der SPD: Oh!) Ich fasse zusammen. Dieser Gesetzentwurf bringt nichts für die Energiewende, aber alles für neue Profite für Firmen und private Netzbetreiber. Dieser Gesetzentwurf ist ein weiterer Schritt hin zu gläsernen Bürgerinnen und Bürgern. Die Linke schlägt Ihnen folgerichtig vor: Vergessen Sie es. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Jens Koeppen von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Jens Koeppen (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass dieses Thema sehr ambivalent angegangen wird, war klar. Die Staatssekretärin hat versucht, auf Vorteile und Nachteile hinzuweisen. Aber dass bei Ihnen alles falsch war, ist wieder bezeichnend. Ich will einmal versuchen, mich der Sache realistisch zu nähern. Man fragt immer: Können intelligente Systeme alle Probleme lösen? Natürlich können sie nicht alle Probleme lösen. Für die einen ist die Digitalisierung Teufelszeug, und für die anderen ist sie der Heilsbringer. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Beides ist falsch!) Ich muss sagen: Nicht nur null und eins zählen oder schwarz und weiß, sondern wir brauchen die entsprechenden Graustufen. Das ist doch ganz klar. Die einen sagen: Das ist für uns das Thema, um die Energiewende voranzubringen. – Die anderen sagen: Damit ist dem Datenmissbrauch Tür und Tor geöffnet. Die einen sagen, es ist transparent und verbraucherfreundlich; die anderen sagen, es können Profile erstellt werden. Dann wird natürlich gesagt: Es wird eine neue kritische Infrastruktur aufgebaut. Aber es ist nicht wie bei Marc Elsberg in Blackout, sondern hier geht es um eine Technologie, die beherrschbar ist und die kommen soll. Eins muss man auch sagen: Es geht um eine europäische Richtlinie, die vereinbart wurde und in nationales Recht umgesetzt werden muss. Jetzt müssen wir schauen: Wie bekommen wir das am besten hin, mit allen bestehenden Vorteilen? Ich möchte einmal versuchen, mich den Möglichkeiten, den Chancen und dem Nutzen zu nähern, um zu zeigen, was wir von dieser Technologie haben. Zunächst denke ich, dass – da sind wir uns mit allen in der Branche einig, auch mit den Verbraucherschutzverbänden – ein transparenter Energieverbrauch möglich ist, dass eine transparente Abrechnung möglich ist, dass eine Visualisierung – da haben Sie vollkommen unrecht, Herr Lenkert – möglich ist. Dadurch entsteht mehr Energieeffizienz. Ich kann in meinem Haushalt Stromfresser ausfindig machen und dementsprechend ausschalten. Und natürlich habe ich dadurch einen variablen Stromverbrauch. Natürlich habe ich variable Tarife. Natürlich kann kundenbezogen, angebotsbezogen gearbeitet werden. Das ist alles nachgewiesen. Ich darf nur daran erinnern: Wir hatten ja früher die Nachtspeicherheizung; Sie werden sich daran erinnern, wir haben sie eigentlich immer noch. (Zuruf von der SPD: Ich habe die immer noch!) Da gab es eine analoge Uhr. Die hat man von 22 Uhr bis 6 Uhr morgens eingeschaltet, und dann hat man das Nachttal aufgefüllt. Die neue Technologie bietet demgegenüber eine große Chance. In der Uckermark und in Barnim zum Beispiel stehen 700 Windkraftanlagen. Aber es gibt nicht genügend Netze, die den Strom angebotsbezogen zum Verbraucher schaffen. Es könnte doch eine Möglichkeit sein, dass, während ich hier mit Ihnen rede, der intelligente Zähler sagt: Der Strom ist jetzt 20 Prozent günstiger; also ist es jetzt sinnvoll, dass das Haus geheizt wird oder der Supermarkt seine Klimaanlage anschaltet, was auch immer. Das ist immerhin besser, als den Strom abzuschalten und trotzdem zu vergüten, wie es zurzeit bei Redispatch möglich ist. Das wollen wir erreichen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU) Und es ist auch möglich, Überproduktion bei einer geringen Nachfrage in nutzbare Energie zu verwandeln. Natürlich ist die Direktvermarktung von erneuerbaren Energien auch ein Thema bei Smart Metern, bei diesen intelligenten Systemen. Wir bekommen die Volatilität, die wir bei erneuerbaren Energien nun einmal haben, dadurch ein bisschen besser in den Griff, dass der Strom dann, wenn er – bei großer Windstärke oder starker Sonneneinstrahlung – verfügbar ist, angebotsbezogen an die Kunden geleitet wird. Und ich erreiche durch die Spannungsstabilität eine entsprechende Netzstabilität und auch eine bessere Auslastung des Netzes. Wenn wir das flächendeckend haben, können wir eventuell sogar auf das eine oder andere Netz verzichten. Aber wo es Licht gibt, gibt es auch Schatten, und darauf muss man ganz klar eingehen. Die Staatssekretärin hat völlig zu Recht gesagt: Wir haben den weltweit konsequentesten Ansatz bei dieser Technologie; denn wir sagen: Wir lassen nur intelligente Zähler zu, die ein ganz klares Schutzprofil haben, vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik zertifiziert. Ohne dieses Zertifikat darf es keinen Zähler geben. Dieser Schutz der Verbraucherdaten steht für uns an oberster Stelle. Das sehen Sie auch an den Papieren vom Ministerium; erst danach kommen die Vorteile. Ich glaube, das ist der richtige Ansatz. (Beifall bei der CDU/CSU) Eins muss man auch klar sagen: Bis 10 000 Kilowattstunden – der Durchschnitt liegt bei 3 500 bis 4 000 – passiert überhaupt nichts. Da bekommen Sie wie bisher einmal im Jahr eine Abrechnung; einmal im Jahr werden die Daten übermittelt, (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Außer der Messstellenbetreiber will das!) wenn man nicht einen anderen Tarif haben möchte. Wenn man bei dem Tarif bleiben möchte, gibt es eine einmalige Übertragung im Jahr, und damit ist es gut. Das können Sie selbst entscheiden. Es gibt das Opt-in, es gibt das Opt-out; man kann sagen, ob man das möchte oder nicht. Es gibt ganz klare und ganz strenge Löschvorschriften. Es gibt keine detaillierten Nutzerprofile. Sie können keine Profile auslesen. Sie können keine Lebensgewohnheiten, wie es eben gesagt wurde, auslesen. Sie werden nicht von Ihrem Kühlschrank ausspioniert. Denn die Daten werden aggregatisiert und anonymisiert abgegeben. Ich glaube, es ist wichtig, zu wissen, dass man, wenn man keinen anderen Tarif wählt, das nutzen kann. Es gibt – das ist ganz klar – natürlich keinen hundertprozentigen Schutz; den gibt es nirgendwo in der Welt. Aber sich daher zu verstecken und zu sagen: „Wir müssen das Ganze so lange regulieren, dass dieses Geschäftsmodell und die damit verbundenen Chancen nicht mehr möglich sind“, halte ich für falsch. Ich möchte, auch mit Blick auf das Ministerium, noch auf einige Punkte in diesem Gesetzentwurf eingehen. Ich persönlich denke, dass das Rollout in Deutschland zu lange dauert. Der Großteil des Rollouts besteht darin, dass wir erst 2020 mit der Installation der Zähler anfangen. Schon zuvor müssen bei einigen Großverbrauchern die neuen Zähler installiert werden; aber erst ab 2020 geht es so richtig los. Dann werden viele Länder in Europa mit der Installation schon fertig sein. Wir hingegen werden dann erst mit der Installation von 80 Prozent dieser Anlagen beginnen. Ich weiß nicht, ob das so gut und ob das dann noch wirtschaftlich ist. Wenn andere Länder besser sind, verlieren wir auch hier den Anschluss und können das, was wichtig und notwendig ist, nicht nutzen. Vielleicht sollten wir da ein bisschen zügiger vorangehen. Ein weiterer Punkt ist – er bereitet mir ein bisschen Bauchschmerzen –: Im Gesetzentwurf steht, dass die Datenauswertung und die gesamte Bilanzierung bei den vier großen Übertragungsnetzbetreibern angesiedelt sein sollen. Das sollten wir überdenken. (Beifall des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich meine, dass es besser wäre, wenn die Daten ein Stadtwerk auswertet und nicht die vier großen Netzbetreiber. Ich glaube, das Vertrauen der Menschen in die Verteilnetzbetreiber ist größer als das in die Übertragungsnetzbetreiber. Ich stelle einfach einmal zur Überlegung, dass wir in der zweiten und dritten Lesung dieses Gesetzentwurfs da noch eine Änderung zustande bringen. Ich hielte das für besser, insbesondere was die Akzeptanz durch die Menschen angeht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Bei der Auskömmlichkeit sollten wir vielleicht noch ein paar Gedanken darüber verschwenden, ob die Preisobergrenzen den Brutto- oder den Nettowert angeben. Es geht dabei um all das, was eingepreist werden muss. Ich bin für flexible Preisobergrenzen. Viele Anbieter sagen nämlich: Es ist möglich, Preise unter den Preisobergrenzen, die jetzt gesetzt wurden, festzulegen. Vielleicht kann man das Ganze flexibler gestalten. Aber wir müssen überlegen – es wäre gut, bis zur nächsten Lesung diesbezüglich noch ein paar Berechnungen zu bekommen –: Geben die Preisobergrenzen den Brutto- oder den Nettowert an? Wie gestalten sich die Preisobergrenzen ganz genau? Darüber sollten wir in der Anhörung noch einmal miteinander beraten. Meine Damen und Herren, Smart Meter, das ist kein Selbstzweck. Das ist eine große Innovationskraft, die Deutschland nutzen sollte. Wir sind bei der Digitalisierung oft Vorreiter gewesen. Mittlerweile sind wir aus Angst vor der eigenen Courage aber selbst ein bisschen Bremser. Wenn wir die Fragen offen angehen und letztendlich miteinander gut beraten, auch bei unserer bevorstehenden Anhörung, können wir zu einem guten Ergebnis kommen. Das wünsche ich mir. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Oliver Krischer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht sollten wir bei der Debatte über diesen Gesetzentwurf feststellen: Es wäre angemessen gewesen, den Titel eine Nummer kleiner ausfallen zu lassen. Es geht nämlich nicht um die Digitalisierung der Energiewende. Sie findet seit langem statt – trotz dieser Bundesregierung, trotz einer problematischen Gesetzgebung. Da tun sich Unternehmen zusammen, verbinden Anlagen, schaffen virtuelle Kraftwerke. Das läuft alles. Was Sie hier vorlegen, ist der Entwurf eines Gesetzes, das die rechtlichen Grundlagen dafür schafft, dass die durch einen Stromzähler zu einem bestimmten Zeitpunkt erfassten Daten über den Stromverbrauch übermittelt werden. Das ist keineswegs trivial; aber es ist auch keine Weltrevolution. Dergleichen findet in vielen anderen Ländern schon statt. Schon die letzte Große Koalition – ihre Regierungszeit ist schon länger her – hatte sich vorgenommen, einen solchen Gesetzentwurf zu verabschieden. Das ist dann irgendwie gescheitert. Schwarz-Gelb hatte die Verabschiedung eines solchen Gesetzentwurfs großtönend im Koalitionsvertrag angekündigt. Auch das ist gescheitert. Jetzt ist auch diese Koalition schon eher in der Endphase der Wahlperiode, und nun kommt dieser Gesetzentwurf auf den Tisch. Wir haben ja eben in der Debatte über die Fracking-Technik gesehen: Gesetzentwürfe, die das Licht der Welt erblicken, können irgendwie im Bundestag versacken. Insofern ist der vorliegende Gesetzentwurf alles andere als eine Revolution. Kollege Lenkert, Ihre Position habe ich, ehrlich gesagt, ebenfalls nicht verstanden. Dass wir die Technik von vor 100 Jahren beibehalten und an dieser Stelle einfach keine Innovationen wollen, kann auch keine Perspektive sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Man darf jetzt auch nicht so tun, als werde alles am Ende automatisch gut; denn ein Grundproblem, das die Kollegen hier angesprochen haben, lösen Sie mit diesem Gesetzentwurf nicht. Sie wollen den Menschen diesen Zähler vorschreiben, aber Sie können den Menschen keinen wirklichen Benefit bieten. Das liegt einfach daran, dass Sie diesen Gesetzentwurf nicht mit Ihrer sonstigen Gesetzgebung verknüpfen. Wir diskutieren hier auch über ein Strommarktgesetz, aber die Verbindung dieses Gesetzentwurfs zum Strommarktgesetz finde ich überhaupt nicht. Ich habe das Gefühl, Frau Gleicke, dass bei Ihnen im Ministerium unterschiedliche Abteilungen daran geschrieben haben, die gar nicht wussten, dass andere auch daran arbeiten. Da sehe ich ein Riesenproblem, für dessen Lösung wir hoffentlich in der weiteren Debatte die Verknüpfungen hinkriegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Jetzt haben Sie Atem geholt. Ich möchte nämlich die Frage an Sie stellen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber gern. (Zuruf von der SPD: Wir wollen nach Hause!) Ralph Lenkert (DIE LINKE): Kollege Krischer, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage gestatten. – Ich möchte Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass in der Schweiz das System Swiss Meter entwickelt wird, das die heutigen Stromzähler ablösen kann? Diesem intelligenten System werden die Daten der Netzbetreiber und die Strompreise zur Verfügung gestellt. Ihnen wird die Information zur Verfügung gestellt, wie die Preisentwicklung in den nächsten Tagen und Stunden sein wird. Das habe ich vorhin explizit erklärt und habe gesagt, dass wir als Linke dieses System als technischen Fortschritt durchaus begrüßen, weil es energiewirtschaftlich sinnvoll ist und Datenschutz berücksichtigt. (Beifall bei der LINKEN) Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, Herr Kollege Lenkert, das ist ja schön. Aber dann erwarte ich von Ihnen, dass Sie ein solches System vorschlagen und sagen, wie man den vorliegenden Gesetzentwurf an der Stelle tatsächlich verbessern kann. Ich erwarte, dass Sie sich mit den Fragen konkret auseinandersetzen, damit das, was Sie da vielleicht richtigerweise wollen, entsprechend umgesetzt werden kann. Einfach nur zu sagen: „So ist es Mist, aber es gibt da irgendetwas anderes, das wollen wir dann vielleicht irgendwie machen“, ohne zu erklären, wie es gehen soll, das finde ich – ehrlich gesagt – ein bisschen dünn. Da muss man dann schon etwas konkreter werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Aber ich will noch einmal auf den Benefit zurückkommen. Sie können den Verbrauchern einfach keinen Benefit anbieten, weil es überhaupt keine lastabhängigen Tarife gibt, von denen die Verbraucher einen Nutzen hätten. (Jens Koeppen [CDU/CSU]: Selbstverständlich gibt es die! Das ist doch Voraussetzung dafür!) – Nein, die gibt es nicht. Denn Ihr Gesetzentwurf regelt nicht, dass dieser lastabhängige Tarif an den Smart Meter gesendet werden kann. Da schaffen Sie überhaupt keine Regelung. Gucken Sie in Ihren eigenen Gesetzentwurf hinein! Deshalb führt das am Ende dazu, dass Sie alle herausnehmen, die unter 6 000 Kilowattstunden verbrauchen – das finden wir im Prinzip richtig –, womit Sie Ausnahmen von der Ausnahme machen. Herr Koeppen, das, was Sie gesagt haben, stimmt einfach nicht. Der Oliver Krischer als Eigenheimbesitzer im Rheinland braucht nach Ihrem Gesetzentwurf keinen Smart Meter zu nehmen – der kann darauf verzichten; der könnte ihn freiwillig nehmen –, der Oliver Krischer in einer Mietwohnung in Berlin muss den Smart Meter aber nehmen, wenn der Vermieter das will. Das Gleiche gilt, wenn der Netzbetreiber den Smart Meter vorschreibt. – Das ist eine Ungleichbehandlung und eine Zwangsbeglückung. Ich sage Ihnen: Gerade mit Blick auf den Datenschutz wird das nicht funktionieren. Wenn Sie eine Zwangsbeglückung vornehmen, können Sie nicht gleichzeitig auch noch eine Ungleichbehandlung machen. Meine Damen und Herren, das zerstört die Akzeptanz, und dann werden Sie mit diesem Gesetzentwurf scheitern. Das sollten Sie sich im weiteren Verfahren einmal sehr genau überlegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dann gibt es ein weiteres Problem, auf das man hinweisen muss. Das sind Eigenerzeuger, das sind Leute, die Photovoltaik- oder Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen haben. Die müssen dann ab 7 Kilowatt Leistung einen Smart Meter zwangsweise nehmen. Also ganz offen gesagt: Darunter sind viele, die das eher als Minusgeschäft betreiben, die daran überhaupt nichts verdienen, die das aus Engagement für die Energiewende machen. Jetzt bürden wir denen wieder eine Last auf, ohne dass sie nur irgendetwas davon haben. (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Mir kommen ja die Tränen!) Meine Damen und Herren, das gefährdet die Akzeptanz. So kommen wir bei der Photovoltaik und bei der Kraft-Wärme-Kopplung – beides wollen wir ja; Herr Pfeiffer sicherlich nicht, aber viele andere hier im Haus – nicht voran, dabei wollen wir sie ausbauen. Dann der letzte Punkt – da bin ich froh, dass die Kollegen von der Union ihn angesprochen haben –: Ich verstehe überhaupt nicht, warum diese Daten an die Übertragungsnetzbetreiber geschickt werden sollen. Die gehören in den Verteilnetzbetreiber. Denn wenn das Ganze einen Sinn machen soll, dann brauchen wir Regelungen auf der möglichst niedrigsten Ebene. Wir wollen, dass Verbrauch und Erzeugung im Stadtteilbereich, im Bereich der Straße intelligent gesteuert werden können. Wenn die Daten ein Verteilnetzbetreiber wie Tennet bekommt, der ein Netz von Flensburg bis Oberammergau hat, ist es mir ein völliges Rätsel, wie das dezentral gesteuert werden soll. Ich finde also, da gibt es noch einiges nachzuarbeiten. Zusammenfassend: Sie legen einen Gesetzentwurf vor, der vom Thema her seit langem überfällig ist, der aber an vielen Stellen Probleme aufweist, der viele Datenschutzfragen nicht beantwortet, der eine Ungleichbehandlung einführt, der in Teilen eine Zwangsbeglückung zur Folge hat. Ich hoffe, dass wir die Beratungen nutzen können, um diesen Gesetzentwurf – ich habe auch bei Ihnen ja die eine oder andere Kritik gehört – insgesamt zu verbessern, damit nachher etwas Gutes für die Energiewende herauskommt, damit der Verbraucher etwas davon hat und damit die Fragen des Datenschutzes, die ganz wichtig sind, auch vernünftig geklärt werden. Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Florian Post von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Florian Post (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn meiner Rede möchte ich dich, lieber Oliver Krischer, zu der Erkenntnis beglückwünschen, dass die Energiewende trotzdem stattfindet – mit dieser Koalition, mit dieser Bundesregierung. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Worte machen das!) – Da haben wir ja schon ganz andere Worte und Aussagen hier im Plenum gehört. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da habe ich was falsch gemacht!) Das ist aber schon einmal ein Fortschritt. Da muss ich also ausdrücklich zustimmen. Digitalisierung betrifft mittlerweile immer mehr Lebensbereiche, geht vom Musikhören über das Einkaufen, Kommunizieren bis hin zum Sport. Daten sind also längst ein Rohstoff für ganze Industrien geworden. Der Fortschritt bei der digitalen Speicherung und Verarbeitung von Daten birgt auch erhebliche Chancen für die Energiewirtschaft. Da unser Stromsystem zunehmend dezentral und volatil wird, wird natürlich auch eine intelligente Netzsteuerung immer wichtiger, die einen Beitrag zur Versorgungssicherheit und Stabilität dieser Netze leisten kann. Der Einbau von Smart Metern wird hier ein erster Schritt sein. Dabei kann natürlich dann auch der Netzausbau auf Verteilnetzebene reduziert werden. Es gibt aber auch weitere Effekte: Es wird mehr Transparenz auf Verbraucherseite geschaffen und dadurch wiederum die Möglichkeit zum Einsparen eröffnet. In Verbindung mit variablen Tarifen kann darüber hinaus eine Steuerung bzw. Beeinflussung des Verbraucherverhaltens erfolgen. Das mit dem Gesetz geplante Rollout intelligenter Messsysteme ist ein erster Schritt. Wir legen hiermit also lediglich den Grundstein für tiefgreifende Veränderungen in der Prozessorganisation der Energieversorgung. Es gibt allerdings auch Spannungsfelder, die vom Kollegen Koeppen, aber auch vom Kollegen Oliver Krischer zu Recht angesprochen wurden. Wir haben Probleme oder Diskussionspunkte beim Verbraucherschutz, bei den Kosten und auch bei der Definition von Marktrollen, gerade auch das Spannungsfeld Verteilnetzbetreiber/Übertragungsnetzbetreiber, zu berücksichtigen Der vorliegende Gesetzentwurf soll die Marktrollen zwischen Verteilnetzbetreibern und Übertragungsnetzbetreibern verändern. In Zukunft soll demnach für die Datenaggregation nicht mehr der Verteilnetzbetreiber zuständig sein, sondern der Übertragungsnetzbetreiber, der dann auch für die Bilanzierung dieser Daten zuständig wäre. Das würde in der Tat eine Zentralisierung der Datenhoheit bedeuten. Hier muss man sich ganz genau anschauen, ob die Verteilnetzbetreiber in Zukunft die Systemaufgaben, die sie bisher schon haben, überhaupt noch erfüllen können, ob sie auf die Daten, die sie benötigen, auch tatsächlich zugreifen können und ob sie ihrer Systemverantwortung in einem zunehmend dezentral organisierten Markt gerecht werden können. Vor diesem Hintergrund bin ich der Meinung – Kollege Koeppen hat es ja angesprochen –, dass wir uns die Vor- und Nachteile, die mit einer solchen Verlagerung vom Verteilnetzbetreiber zum Übertragungsnetzbetreiber verbunden sind, noch einmal in Ruhe anschauen und uns fragen sollten, ob das wirklich so stattfinden soll. In der Tat – Sie haben das Thema Akzeptanz angesprochen – ist es ja doch so, dass die Bürger vor Ort ihrem lokalen Energieversorger bzw. Verteilnetzbetreiber eine höhere Akzeptanz entgegenbringen als einem anonymen Übertragungsnetzbetreiber. Daher ist es der richtige Weg, wie von Staatssekretärin Gleicke aufgezeigt wurde, wenn in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und der Bundesnetzagentur hier Schutzstandards formuliert werden, die dem hohen Datenschutzanspruch der Bürger gerecht werden. Das ist auch ein Weg hin zu mehr Akzeptanz, und dieser Weg ist von unserer Seite her zu begrüßen. Die anderen Punkte werden wir in den nächsten Wochen und Monaten sicherlich noch ausgiebig miteinander diskutieren. In diesem Zusammenhang wünsche ich auch von meiner Seite ein schönes und erholsames Wochenende. Danke schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Hansjörg Durz hat als Nächster das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Hansjörg Durz (CDU/CSU): Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verschiedene Redner haben unterschiedliche Stellen im Gesetzesentwurf kritisiert und Verbesserungen vorgeschlagen. Das ist auch absolut nachvollziehbar. Herr Lenkert hat gemeint, dass das Thema insgesamt überhaupt nichts mit der Energiewende zu tun hat. Das verwundert mich schon ein klein wenig. Wir sind uns bei der Digitalen Agenda insgesamt absolut einig, dass die Digitalisierung ein ganz zentraler Baustein der Energiewende sein wird. Demnach sind wir uns bei der Digitalen Agenda über alle Fraktionen hinweg einig, dass wir diesen Bereich voranbringen müssen. Ich werde versuchen, einmal zu erläutern, warum es doch einen Zusammenhang zwischen Energiewende und Digitalisierung gibt. Bei der Energiewende, beim Ausbau der erneuerbaren Energien kommen wir stetig voran. Im Jahr 2015 lag der Anteil der Erzeugung – das wissen Sie alle sehr gut – bei etwa einem Drittel des Stromverbrauchs. Wir sind damit über Plan. Damit erreichen die Erneuerbaren im Vergleich zum Jahr 2000, wo es noch ein Anteil von 7 Prozent war, mittlerweile einen Anteil von 33 Prozent. Während der Anteil der konventionellen Erzeugung stetig gesunken ist, hat sich der Anteil der Erneuerbaren mehr als verachtfacht. Ausfluss dessen ist, dass in Deutschland mittlerweile über 1,5 Millionen EEG-Anlagen in das Netz einspeisen. Das zeigt sehr deutlich, dass die Transformation des Energiesektors mit großen Schritten vorankommt. Wir befinden uns in einer gigantischen Umbaumaßnahme des kompletten Energieversorgungssystems. Während in der alten Welt nur in eine Richtung Energie floss, nämlich vom Erzeuger hin zum Verbraucher, ist das dezentrale Energieversorgungssystem der Zukunft durch bilaterale Energie- und damit auch Informationsflüsse gekennzeichnet. Mit der Zunahme der Zahl kleiner und dezentraler Stromerzeuger nimmt auch der Anteil von Erzeugungseinheiten zu, die fluktuierend in das Netz einspeisen. Sonne und Wind stehen im Jahresverlauf nicht immer planbar und verlässlich zur Verfügung. Zudem erfolgt die Einspeisung zumeist regional unterschiedlich und selten über das ganze Land verteilt einheitlich. Diese Volatilität stellt uns vor enorme Herausforderungen. Diesen begegnen wir unter anderem durch den Ausbau der Netze, der Übertragungs- und der Verteilnetze. Wir brauchen aber nicht nur mehr Netze, sondern insbesondere intelligentere Netze. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf bietet uns die Digitalisierung hier enorme Chancen. (Beifall bei der CDU/CSU) Bei den Netzverbrauchern, den Netzbetreibern und den Erzeugern fallen riesige Mengen von Daten an, die bislang weitgehend brachliegen. Ziel des Gesetzentwurfs ist, die Letztverbraucher in Deutschland mit sogenannten intelligenten Messsystemen auszustatten, die zukünftig als Kommunikationsplattform im intelligenten Energienetz dienen. Die intelligenten Messsysteme sind damit ein zentraler Baustein der Energiewende. So werden Stromerzeuger und Verbraucher intelligent miteinander verknüpft, damit Informationen über Erzeugung und Verbrauch ausgetauscht werden können. Damit stehen den Netzbetreibern genauere Daten zur Verfügung, die ihnen helfen, das Netz zu optimieren und den Ausbaubedarf exakter bewerten zu können. Das erhöht die Versorgungssicherheit und spart auch Kosten. Die Digitalisierung der Energiewende hat aber nicht nur Vorteile für die Integration der Erneuerbaren, sie ist nicht nur für die Netzentwicklung von entscheidender Bedeutung, für die Energiewende insgesamt, sondern sie bringt auch große Vorteile für die Bürger, was gelegentlich ein bisschen angezweifelt wird. Zum einen wandelt sich die Rolle des Verbrauchers grundlegend. Der ehemals inaktive Konsument kann sich mit Unterstützung von digitaler Infrastruktur zum – neudeutsch – Prosumer entwickeln. Dieser partizipiert aktiv am Energieversorgungssystem. Im einen Moment kann der Haushaltskunde Konsument sein und Strom von seinem Anbieter beziehen, im nächsten Moment kann er als Produzent von Strom auftreten, indem er durch seine PV-Anlage oder seine Wärmepumpe seine eigene Energie umwandelt und diese in das Netz einspeist. Dies ist einer der Vorteile, der mit der Digitalisierung der Energiewende verbunden ist. Er schafft die technische Voraussetzung, dass der Bürger zum aktiven Akteur der Energiewende werden kann. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Zum Zweiten kann es durch die intelligente Nutzung von Daten außerdem gelingen, über Marktsignale Anreize zu schaffen. Für den Stromkunden wäre es dank innovativer, flexibler Tarife möglich, genau dann Strom nachzufragen, wenn dieser besonders reichlich zur Verfügung steht und entsprechend günstig zu erwerben ist. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber genau dafür schaffen Sie mit dem Gesetz keine Grundlage! Das ist doch das Problem!) Andererseits besteht für Erzeuger die Möglichkeit, ihre Anlagen in Verbindung mit einem Speicher zum Beispiel so zu steuern, dass sie ihren Strom dann anbieten, wenn dieser besonders gefragt und entsprechend teuer ist. Gleichzeitig erhält der Verbraucher eine weitaus bessere Verbrauchsanalyse als heute, mit der er auf Grundlage präziser Informationen sein Verbrauchsverhalten auswerten kann. Praxiserfahrungen zeigen, dass bereits Verbrauchstransparenz zu Verbrauchsreduktion führen kann. Bei allen Vorteilen, die mit der Digitalisierung der Energiewende verbunden sind, werden wir bei der Ausgestaltung auch die Risiken genauer in den Blick nehmen. Im Zuge der Digitalisierung müssen wir uns immer auch die Frage stellen: Was passiert mit den Daten? Mit der zunehmenden Vernetzung müssen die Fragen des Datenschutzes sowie der Datensicherheit mitgedacht werden. Wir brauchen eine hochsichere Kommunikationsinfrastruktur für unser Energiesystem. Das vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik entwickelte Schutzprofil sowie die technischen Richtlinien versprechen ein enorm hohes Schutzniveau; das ist bereits mehrfach bei Kollegen angeklungen. Übrigens sprechen Experten sogar davon, dass wir hier ein Schutzniveau erreichen, das über dem des Onlinebankings liegt. Daran sieht man auch: Sicherheit hat höchste Priorität. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dennoch: Aufgrund des erhöhten Anfalls von Daten, die Aufschluss über das Verbrauchsverhalten von Haushalten geben können, ist der Einbau datenrechtlich sensibel. Daher werden wir Wert darauf legen, dass der Kunde Herr über seine Daten bleibt und der notwendige Schutz sowie die erforderliche Sicherheit bei der Übermittlung der Daten gewährleistet werden. Zudem werden wir eingehend beraten, welcher Akteur wann auf welche Daten Zugriff haben muss. Hier geht es um das Verhältnis zwischen Verteilnetzbetreibern und Übertragungsnetzbetreibern, das bereits mehrfach angesprochen wurde. Ein weiteres Argument, darüber zu reden, ist, dass keine Parallelstrukturen aufgebaut werden sollen. Da nicht alle zum Umstieg auf neue Messinstrumente gezwungen werden sollen, gibt es auch noch die alte Welt, und sie liegt in der Zuständigkeit der Verteilnetzbetreiber. Hier muss man aufpassen, dass keine Parallelstrukturen entstehen. Zudem unterstützen wir nachdrücklich den Ansatz, den Rollout zu angemessenen Kosten voranzutreiben, aber eben keinen Rollout um jeden Preis zu erzwingen. Im Gesetzentwurf ist deshalb vorgeschlagen, dass es bei einem Jahresverbrauch von weniger als 6 000 Kilowattstunden keine Einbaupflicht geben wird. Auf freiwilliger Basis kann aber ein Einbau erfolgen, wenn der Verbrauch darunterliegt; auch das ist bereits angeklungen. Der mit intelligenten Messsystemen verbundene Nutzen wird von Verbraucherschützern gelegentlich in Zweifel gezogen. Hier bedarf es einer noch besseren Kommunikation der vielfältigen Vorteile, die mit der Digitalisierung einhergehen: Die Digitalisierung schafft bessere und effizientere Netze. Die Digitalisierung schafft mehr Transparenz für Verbraucher. Die Digitalisierung schafft die Voraussetzung dafür, dass der Bürger zum aktiven Akteur der Energiewende werden kann. Lassen Sie uns in den nächsten Wochen darüber diskutieren, wie wir einen guten Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren noch besser machen und somit die Energiewende durch sichere Digitalisierung wieder ein ganzes Stück voranbringen können. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er ist noch mit Defiziten behaftet!) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Auch ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Johann Saathoff von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Johann Saathoff (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Ralph Lenkert, ich weiß nicht, wo im Gesetzentwurf stehen soll, dass Nutzer von Smartphones künftig keine Daten bekommen sollen. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Nicht online! Zuhören!) Selbstverständlich bekommen sie diese Daten – das ist überhaupt keine Frage –, und sie bekommen sie auch online. Denn sie sind Herr ihrer Daten und können nach diesem Gesetz entscheiden, wer die Daten wann bekommen soll. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Lesen! Eigenes Gesetz lesen!) Zweitens. Ehrlich gesagt, weiß ich auch nicht, wie ein Kühlschrank aussieht, der in einem Haushalt plötzlich solch eine Last erzeugt, wenn man ihn öffnet. Wenn man 200-Watt-Birnen in seinem Kühlschrank hat, dann sollte man zunächst einmal über die Energiewende im eigenen Kühlschrank nachdenken und erst anschließend über eine Energiewende im ganzen Haus. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Klaus Mindrup [SPD]: Wir machen mal einen Hausbesuch in Thüringen! – Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Da stellen Sie Ihren eigenen Messstellen ein ganz schlechtes Zeugnis aus! Keine Ahnung von Messtechnik!) Worum geht es, meine Damen und Herren? Es geht darum, dass in der Energiewende nicht nur in der Produktion, sondern in der ganzen Welt dieser Energiewende grundlegende Veränderungen notwendig sind, also auch bei den Nutzern, beim Verbraucherverhalten. Früher hatten wir die Situation, dass man die Produktionskurve an die Verbrauchskurve angepasst hat. Künftig werden wir es so einfach nicht mehr regeln können; denn die Produktion ist im Bereich der erneuerbaren Energien kaum regelbar. Das heißt, wir müssen ein Stück weit anstreben, die Verbrauchskurve an die Produktionskurve anzupassen. Darum geht es heute. Ich will an dieser Stelle nur andeuten, dass wir allein im letzten Jahr Redispatch-Kosten in Höhe von 1 Milliarde Euro hatten. Das hat damit zu tun, dass wir die Verbrauchskurve eben nicht an die Produktionskurve anpassen können. Um das zu können, reicht der über 70 Jahre alte Ferraris-Zähler, der zu Hause hängt, längst nicht mehr aus. Dafür brauchen wir Smart Meter. Zunächst geht um die Abnehmer großer Strommengen, also um die „low hanging fruits“ ab 6 000 Kilowattstunden. Damit man versteht, wer eigentlich davon betroffen ist: Ein durchschnittlicher Haushalt verbraucht 3 500 Kilowattstunden. Die Regelung gilt übrigens auch für Mieter; denn meines Wissens gehört der Zähler zur Wohnung und nicht zum Haus. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, aber wenn der Besitzer ihn einbauen will, dann muss man ihn nehmen!) – Darüber reden wir noch einmal miteinander. Es geht um Daten, und es geht um Datenschutz. Wie man in Ostfriesland sagt: „Up’n holten Ambold kannst du keen lesen schkarpen“, mit anderen Worten: Man braucht ein vernünftiges Werkzeug, um hier vorzugehen. Drei Jahre lang hat es eine Projektierung des Datenschutzkonzeptes mit dem BSI gegeben. Das ist eine lange Zeit – finde ich auch –, viele in der Branche finden: viel zu lange. Aber das jetzt vorliegende Konzept ist einmalig in Europa. Die Kritik der Verbraucherschützer, die wir gerade in diesen Tagen den Medien entnehmen können, ist für mich völlig unverständlich. Denn, – grob skizziert, – wird Folgendes geregelt: Die Daten bleiben generell beim Verbraucher. Er entscheidet, wer die Daten bekommt. Nur wer sie unbedingt benötigt, bekommt die Daten automatisch: Das sind die Netzbetreiber, der Energieversorger und der Handel, für den sich der Verbraucher entschieden hat. Das Recht, Daten zu erhalten – das hat Frau Staatssekretärin Gleicke schon gesagt –, folgt der energiewirtschaftlichen Aufgabe, und nur dafür dürfen die Daten auch tatsächlich verwendet werden; also nicht, um nebenbei noch Eis zu verkaufen. Der Kunde entscheidet am Ende, wer die Daten zusätzlich bekommen soll; und wir wissen, wie sich Kunden manchmal verhalten. Der König beim Wettbewerb um die Daten ist also der Kunde, und gemäß diesem Konzept bleibt er das auch. Zur Kritik, dass es keine variablen Tarife gibt. Das ist doch eine klare Henne-Ei-Problematik; denn wenn wir die Infrastruktur nicht haben, haben wir auch die Tarife nicht. Wir brauchen also zunächst erst einmal die Infrastruktur. Insgesamt profitieren alle Verbraucher in Deutschland davon, wenn die Netzbetreiber ihr Netz exakter steuern können, und genau darum geht es. Die Besitzer von Smart Metern mit variablen Tarifen würden doppelt profitieren, und die Kosten für Smart Meter sind klar begrenzt. Es gibt eine Diskussion darüber, ob die Verteilnetzbetreiber oder die Übertragungsnetzbetreiber oder beide anschließend die Smart-Meter-Daten haben sollen. Im Gesetzentwurf steht: Beide sollen die Daten bekommen. – Darüber werden wir noch Gespräche zu führen haben, und zwar mit folgenden Zielen: Erstes Ziel: Kleine VNBs sollen nicht vom Markt gedrängt oder benachteiligt werden. Zweites Ziel: ÜNBs und VNBs sollen ihr Netz optimal betreuen können. Das dritte Ziel ist: Die Netzentgelte sollen gesenkt werden. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende und bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Ich schließe die Aussprache. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie können jetzt noch nicht ins Wochenende gehen, wir müssen nämlich noch die Überweisung beschließen. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/7555 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann haben wir das beschlossen. Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 16. März 2016, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Jetzt kann auch ich Ihnen ein schönes Wochenende wünschen. (Schluss: 15.08 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Aken, Jan van DIE LINKE 26.02.2016 Albsteiger, Katrin CDU/CSU 26.02.2016 Bartol, Sören SPD 26.02.2016 Beckmeyer, Uwe SPD 26.02.2016 Bergner, Dr. Christoph CDU/CSU 26.02.2016 Bilger, Steffen CDU/CSU 26.02.2016 Binder, Karin DIE LINKE 26.02.2016 Brantner, Dr. Franziska BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 26.02.2016 De Ridder, Dr. Daniela SPD 26.02.2016 Dörmann, Martin SPD 26.02.2016 Drobinski-Weiß, Elvira SPD 26.02.2016 Eberl, Iris CDU/CSU 26.02.2016 Engelmeier, Michaela SPD 26.02.2016 Fabritius, Dr. Bernd CDU/CSU 26.02.2016 Gabriel, Sigmar SPD 26.02.2016 Grindel, Reinhard CDU/CSU 26.02.2016 Gröhe, Hermann CDU/CSU 26.02.2016 Gutting, Olav CDU/CSU 26.02.2016 Höger, Inge DIE LINKE 26.02.2016 Holzenkamp, Franz-Josef CDU/CSU 26.02.2016 Jüttner, Dr. Egon CDU/CSU 26.02.2016 Kaczmarek, Oliver SPD 26.02.2016 Karawanskij, Susanna DIE LINKE 26.02.2016 Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 26.02.2016 Klare, Arno SPD 26.02.2016 Kömpel, Birgit SPD 26.02.2016 Mast, Katja SPD 26.02.2016 Merkel, Dr. Angela CDU/CSU 26.02.2016 Müller, Dr. Gerd CDU/CSU 26.02.2016 Nahles, Andrea SPD 26.02.2016 Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 26.02.2016 Özoğuz, Aydan SPD 26.02.2016 Pantel, Sylvia CDU/CSU 26.02.2016 Schäuble, Dr. Wolfgang CDU/CSU 26.02.2016 Scheer, Dr. Nina SPD 26.02.2016 Schlecht, Michael DIE LINKE 26.02.2016 Schmidt (Aachen), Ulla SPD 26.02.2016 Schmidt, Dr. Frithjof BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 26.02.2016 Steffel, Dr. Frank CDU/CSU 26.02.2016 Steinbach, Erika CDU/CSU 26.02.2016 Tank, Azize DIE LINKE 26.02.2016 Terpe, Dr. Harald BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 26.02.2016 Thönnes, Franz SPD 26.02.2016 Ulrich, Alexander DIE LINKE 26.02.2016 Veit, Rüdiger SPD 26.02.2016 Wagenknecht, Dr. Sahra DIE LINKE 26.02.2016 Weinberg, Harald DIE LINKE 26.02.2016 Werner, Katrin DIE LINKE 26.02.2016 Wicklein, Andrea SPD 26.02.2016 Zimmermann (Zwickau), Sabine DIE LINKE 26.02.2016 Anlage 2 Neudruck: Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Petra Rode-Bosse (SPD) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren (158. Sitzung, Tagesordnungspunkt 3 a, Anlage 7) Mit dem Gesetz werden verschiedene Maßnahmen zu Verfahren der Anerkennung, Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbewerbern sowie deren Lebensbedingungen geregelt. Auch wenn ich die Zielsetzung des Gesetzes in wesentlichen Bereichen unterstütze und darin das Ergebnis eines Kompromisses sehe, der weitergehende Verschärfungen wie etwa die Einrichtung von Transitzonen verhindert hat, kommt es jetzt darauf an, dass die Registrierung zügig vorangeht, dass Asylverfahren beschleunigt werden und dass Verfahren optimiert werden. Schnellere Verfahren sind auch Voraussetzung für gute Integration, damit diejenigen, die hier bleiben können, schnell durch Sprachkurse, Bildungsmöglichkeiten und Integration in den Arbeitsmarkt unterstützt werden können. Hier wird Handlungsfähigkeit des Staates erwartet, und darauf haben die Bürgerinnen und Bürger ein Anrecht. In dem vorliegenden „Asylpaket II“ kann ich deshalb den Punkten zustimmen, die die Verfahren beschleunigen und die Registrierung verbessern sowie den Kinderschutz in den Einrichtungen durch die Pflicht eines erweiterten Führungszeugnisses für Helfer und Helferinnen vorsehen. Insbesondere begrüße ich, dass dadurch der unsinnige und inhumane Vorschlag von Transitzonen an den Grenzen vom Tisch ist. Allerdings habe ich erhebliche Bedenken gegen die Wirksamkeit einzelner Regelungen des Gesetzentwurfes. Dies gilt vor allem für die deutliche Verschärfung der medizinischen Gründe, die einer Abschiebung entgegenstehen, sowie die zweijährige Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzbedürftige. Sorgen bereitet mir, dass die Regelung zum Familiennachzug auch für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gelten soll. Ich befürchte, dass durch die Aussetzung des Familiennachzuges die Lebensbedingungen dieser Jugendlichen verschärft werden, Integration erschwert wird und nachziehende Angehörige auf unsichere Wege gedrängt werden.  Auch wenn in der Realität insgesamt nur sehr wenige Personen davon betroffen sein werden – 2015 erhielten nur 0,6 Prozent der Antragssteller, über die entschieden wurde, subsidiären Schutz, und nur 105 Fälle von Familiennachzug fanden statt –, ist das ein Zeichen, das ich aus humanitären Gründen nicht für richtig halte. Ich begrüße deshalb, dass vereinbart wurde, dass für unbegleitete Minderjährige im subsidiären Schutz eine Einzelfallprüfung zum Familiennachzug stattfinden soll. Statt weiterer Verschärfungen beim Asylrecht müssen wir jetzt vorrangig ein Integrationsgesetz zur Verbesserung des Zugangs zu Sprachkursen, Bildung, Ausbildung und Arbeit für Asylsuchende auf den Weg bringen. Das schafft soziale Teilhabe und sorgt dafür, dass die Menschen, die zu uns geflohen sind, so schnell wie möglich ihren Lebensunterhalt selbst verdienen können. Die Stellungnahmen von Verbänden, Hilfswerken, Kirchen und vielen weiteren Organisationen sind in meine Entscheidung mit eingeflossen. Trotz der oben genannten Bedenken werde ich dem Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren – auch unter Einbeziehung meiner politischen Gesamteinschätzung – zustimmen, denn was wir jetzt brauchen, sind schnellere und bessere Verfahren zur Unterbringung und Anerkennung. Zu guter Letzt: Mein besonderer Dank gilt den hauptamtlichen und ehrenamtlichen Kräften, die sich mit großem Engagement in den Unterkünften, in Sprachkursen, bei der Begleitung zu Ämtern, in Integrationsmaßnahmen und in unzähligen weiteren Bereichen betätigen. Anlage 3 Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Innenausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über den Stand der Abwicklung des Fonds für Wiedergutmachungsleistungen an jüdische Verfolgte – Stand 30. Juni 2015 – Drucksachen 18/6735, 18/6847 Nr. 4 Ausschuss für Wirtschaft und Energie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Strategie Intelligente Vernetzung Drucksachen 18/6022, 18/6236 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Energieeffizienzstrategie Gebäude – Wege zu einem nahezu klimaneutralen Gebäudebestand Drucksachen 18/6782, 18/6933 Nr. 1.4 Ausschuss für Kultur und Medien – Unterrichtung durch die Deutsche Welle Entwurf der Fortschreibung der Aufgabenplanung 2014 bis 2017 der Deutschen Welle Drucksachen 18/7124, 18/7276 Nr. 8 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Innenausschuss Drucksache 18/5982 Nr. A.8 Ratsdokument 10321/15 Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksache 18/5165 Nr. A.9 Ratsdokument 8672/15 Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 18/7422 Nr. A.19 EP P8_TA-PROV(2015)0456 Drucksache 18/7422 Nr. A.20 Ratsdokument 13694/15 Drucksache 18/7422 Nr. A.21 Ratsdokument 15262/15 II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 159. Sitzung, Berlin, Freitag, den 26. Februar 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 159. Sitzung, Berlin, Freitag, den 26. Februar 2016 III Plenarprotokoll 18/159