Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 174. Sitzung Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 Inhalt: Zusatztagesordnungspunkt 4: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Integrationsgesetzes Drucksache 18/8615 17185 A Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI 17185 B Sevim Dağdelen (DIE LINKE) 17187 B Andrea Nahles, Bundesministerin BMAS 17189 A Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17190 D Daniela Kolbe (SPD) 17191 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17192 C Karl Schiewerling (CDU/CSU) 17193 C Kerstin Griese (SPD) 17195 C Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) 17196 B Sebastian Hartmann (SPD) 17197 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17198 A Tagesordnungspunkt 27: Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Omid Nouripour, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Eine Menschheit, gemeinsame Verantwortung – Für eine flexible, wirksame und zuverlässige humanitäre Hilfe Drucksache 18/8619 17199 C Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17199 C Erika Steinbach (CDU/CSU) 17201 B Inge Höger (DIE LINKE) 17202 B Michael Roth, Staatsminister AA 17203 D Michael Brand (CDU/CSU) 17205 A Frank Schwabe (SPD) 17206 D Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 17208 A Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD) 17209 B Tagesordnungspunkt 28: Vereinbarte Debatte: Weiterentwicklung der Exzellenzinitiative und Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin BMBF 17210 A Nicole Gohlke (DIE LINKE) 17212 A Tankred Schipanski (CDU/CSU) 17214 A Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) 17214 D Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17216 D Albert Rupprecht (CDU/CSU) 17218 C Dr. Simone Raatz (SPD) 17220 A Alexandra Dinges-Dierig (CDU/CSU) 17221 C Oliver Kaczmarek (SPD) 17222 C Patricia Lips (CDU/CSU) 17223 D Tagesordnungspunkt 29: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen zur Förderung des deutschen Films (Filmförderungsgesetz – FFG) Drucksachen 18/8592, 18/8627 17225 A Monika Grütters, Staatsministerin BK 17225 A Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) 17226 C Burkhard Blienert (SPD) 17227 D Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17229 D Johannes Selle (CDU/CSU) 17231 A Tagesordnungspunkt 30: a) Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Matthias W. Birkwald, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Altersarmut von Ost-Krankenschwestern – Gerechte Renten für Beschäftigte im DDR-Gesundheits- und Sozialwesen schaffen Drucksache 18/8612 17232 A b) Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Matthias W. Birkwald, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Kumpel zweiter Klasse – Rentenansprüche der Bergleute aus der DDR-Braunkohleveredlung wahren Drucksache 18/7903 17232 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Dr. Gregor Gysi, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ungerechtigkeiten bei Mütterrente in Ostdeutschland und beim Übergangszuschlag beheben Drucksachen 18/4972, 18/6706 17232 B Katja Kipping (DIE LINKE) 17232 C Jana Schimke (CDU/CSU) 17233 C Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17235 B Daniela Kolbe (SPD) 17236 B Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) 17236 D Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) 17238 B Katja Kipping (DIE LINKE) 17239 D Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) 17239 D Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) 17240 B Nächste Sitzung 17241 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 17243 A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 17243 D 174. Sitzung Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle zu unserer Plenarsitzung. Wir beginnen heute Morgen mit dem Zusatzpunkt 4: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Integrationsgesetzes Drucksache 18/8615 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Dagegen gibt es offenkundig keine Einwände. Also können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst für die Bundesregierung dem Innenminister Thomas de Maizière. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unser Land steht beim Thema Integration vor einer gewaltigen Aufgabe. Die Bewältigung dieser Aufgabe ist nicht getan mit schönen Worten, sondern beginnt mit Einsichten über gelungene und misslungene Integration und mit Entscheidungen über den Weg, den wir als Gesellschaft gehen wollen. In Deutschland leben über 16 Millionen Menschen, die selbst oder ihre Eltern oder ihre Großeltern Wurzeln im Ausland haben. Zur Wahrheit gehört, wenn es um gelingende Integration geht, zwei Realitäten zu beschreiben. Erstens. Unter ihnen sind viele Menschen, die ihre Chancen genutzt haben. Sie haben eine Ausbildung gemacht oder ein Handwerk gelernt. Sie studieren oder haben studiert. Sie haben Betriebe gegründet. Sie geben Menschen Arbeit und bringen unser Land voran. Viele Eltern, die als junge Menschen ihre Heimat verließen, erziehen ihre Kinder gut und ermöglichen ihnen eine Ausbildung, oft eine bessere, als sie selbst genossen haben. Alle diese Menschen sind Teil unseres Landes. Diese Menschen bereichern unser Land, und das sollten wir auch immer klar aussprechen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Zweitens. Es gibt aber auch eine andere Realität: An einigen Stellen in Deutschland leben Menschen mit ausländischen Wurzeln, die sich kaum oder gar nicht in unser Land einbringen. Sie leben ein Leben unter sich, fast ohne Kontakte zu Deutschen und ohne Einbindungen in unsere Gesellschaft. Sie sprechen kaum Deutsch oder wollen es nicht und haben auch keinen ordentlichen Arbeitsplatz. Manche junge Männer unter ihnen begehen auffällig häufig Straftaten. Viele grenzen sich ab, manche über die Religion, andere über abwegige Vorstellungen von Ehre oder über beides. Die Lehrer in den Schulen der entsprechenden Gegenden schaffen es oft nicht, die fehlenden Deutschkenntnisse der Kinder aufzufangen, von Wertevermittlung und Bildungsperspektive ganz zu schweigen. Solche Einsichten über beide Realitäten in unserem Land tun weh, auch weil Teile dieser Entwicklung mit Fehlern unserer eigenen Vergangenheit zu tun haben: verträumte Blicke auf schwierige Integrationsaufgaben, Ghettobildungen in Städten und Gemeinden, zu viele lose Wünsche und zu wenige klare Erwartungen. Tun wir gemeinsam alles dafür, dass sich solche Fehler nicht wiederholen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Heute geht es nicht um die Zuwanderer der vergangenen Jahrzehnte. Es geht übrigens auch nicht um Einwanderer. Insofern geht die Debatte um ein Einwanderungsgesetz – jedenfalls heute – am Thema vorbei. (Thomas Oppermann [SPD]: Wir kommen darauf zurück! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja, in der nächsten Legislaturperiode!) Denn heute geht es um die Integration von Menschen, die als Flüchtlinge zu uns gekommen sind, die hier Schutz suchen und bleiben dürfen. Welchen Weg wollen wir als Gesellschaft gehen? Was erwarten wir von diesen Menschen? Unsere Bevölkerung hat den Willen, diejenigen, die Schutz brauchen und eine Bleibeperspektive haben, hier zu integrieren. Diesen Willen wollen wir bewahren. Dafür brauchen wir Integrationsmaßnahmen. Dafür brauchen wir aber auch ihr Vertrauen, dass der Rechtsstaat das bestehende Recht auch durchsetzt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das bedeutet Aufnahme und Integration der Menschen mit Bleibeperspektive einerseits, konsequente Ausreise, notfalls Abschiebung der Menschen ohne Bleiberecht andererseits. Ich lege heute zusammen mit meiner Kollegin Andrea Nahles das erste Integrationsgesetz für Deutschland vor. Das ist eine entscheidende Zäsur für unser Land. Frau Nahles und ich haben eine gemeinsame Federführung. Das ist kein Kompromiss, sondern sachgerecht. Aufenthaltsrecht, Unterbringung, Sprache, Werte und Arbeit, das sind die Maßstäbe für gelingende Integration, und das geht nur gemeinsam. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Mit diesem Gesetzentwurf machen wir den Menschen mit Bleibeperspektive ein Angebot: Wir ermöglichen ihnen Ausbildung, Spracherwerb und Einbindung in das wirtschaftliche, kulturelle und rechtliche Gefüge unseres Landes. Dafür erwarten wir Einsatzbereitschaft, Interesse am Leben in Deutschland und Respekt für die gewachsenen Grundlagen unseres Miteinanders. Wer dazu bereit ist, hat hier alle Chancen. Wer dazu nicht bereit ist, dem wird es in Deutschland nicht gut gehen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir wollen, dass die, die hierbleiben, Neubürger unseres Landes werden, also Menschen, die sich für unser Recht, unsere Sprache und unsere Kultur öffnen – auch wenn sie nicht oder noch nicht deutsche Staatsbürger werden sollen. Mit dem Integrationsgesetz machen wir die Erbringung von Integrationsleistungen für alle Menschen mit Bleibeperspektive sozusagen zu einer Neubürgerpflicht. Wir verpflichten mehr als bisher zur Teilnahme an Integrationskursen, bieten gleichzeitig mehr Plätze an. Wir erhöhen die Stundenzahl. Wir vertiefen die Wertevermittlung. Wir erhöhen die Vergütung für Integrationslehrkräfte, und wir sagen auch: Integration braucht Regeln, braucht Vorgaben. Das geht nicht von selbst. Den Rechten stehen Pflichten gegenüber. Das ist nicht hart, sondern das ist fair und ganz normal in unserer Gesellschaft. Das machen wir unbestritten auch sonst überall. Wir wollen nicht, dass sich anerkannte Flüchtlinge ausschließlich dort niederlassen, wo ihre Sprache, ihre Herkunft oder ihre Religion vorherrscht. Das schadet eher der Integration, als dass es ihr nützt. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Warum denn?) Jeder muss seine Chance zum Aufstieg und zur Integration dort suchen, wo sie sich bietet, nicht dort, wo er die meisten Leute kennt. Mit dem Gesetz können – können, nicht müssen – die Länder anerkannten Flüchtlingen einen Wohnort zuweisen oder ihnen den Zuzug in einen bestimmten Ort verwehren, solange sie keine feste Arbeit haben. Wenn sie eine feste Arbeit haben, dann können sie selbstverständlich dorthin gehen, wo ihr Arbeitsplatz ist. Aber wir wollen keine Ghettos für Menschen, die von Sozialleistungen abhängig sind, weil diese Integration nicht oder jedenfalls nicht so leicht möglich machen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir ändern außerdem die Voraussetzungen für ein unbefristetes Aufenthaltsrecht in Deutschland. Wer als anerkannter Flüchtling ein solches Recht haben will, muss Sprachkenntnisse vorweisen und seinen Lebensunterhalt überwiegend sichern können, wie übrigens alle anderen Ausländer auch, die hier dauerhaft leben wollen. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, all das hat auch zu Kritik geführt. Warum auch nicht? Einige behaupten, das Gesetz sei vom Geist des Misstrauens geprägt, Integration gelinge nicht unter Druck. Richtig ist aber etwas anderes: Hinter diesen Maßnahmen steht ein Prinzip, das in unzähligen Bereichen unseres Alltages selbstverständlich ist. Wir haben in Deutschland zum Beispiel die allgemeine Schulpflicht, auch mit Sanktionen bei Verstößen. Niemand würde auf die Idee kommen, dieses System an Schulen führe zu einem Geist des Misstrauens und nehme den Schülern die Freude am Lernen. Wir haben die Pflicht zur elterlichen Sorge in Deutschland. Niemand würde auf die Idee kommen, das führe zu der Unterstellung, es gäbe überwiegend schlechte Väter oder schlechte Mütter in Deutschland. „Fördern und Fordern“ ist das richtige Prinzip in nahezu allen Bereichen unserer Gesellschaft. Auch für die Integration ist es deswegen ein richtiges Prinzip. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss noch ein Wort zur Atmosphäre in unserer Gesellschaft sagen, die die Integration begleitet oder begleiten sollte. Wir brauchen ein Klima der gegenseitigen Aufgeschlossenheit und anständiger Beziehungen zwischen den Menschen, die hier leben. Wenn wir uns unserer Stärken bewusst sind, wenn wir an die Kraft der Freiheit glauben, dann brauchen wir keine Angst vor Überfremdung unserer Gesellschaft zu haben. Wir müssen uns zusammen gegen jene stellen, die offene oder verdeckte Fremdenfeindlichkeit als soziale Politik etablieren wollen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Populisten haben unser Land noch nie auch nur einen Zentimeter weitergebracht. Sie sind das Gegenteil von der Kultur, auf der unsere politische und menschliche Orientierung beruhen sollte. Die Integration der Menschen, die bleiben dürfen, liegt in unserem eigenen, ich sage: in unserem nationalen Interesse. Am Rande zu stehen und Noten zu vergeben reicht nicht aus. Bei dieser gewaltigen Aufgabe müssen alle mitmachen. Das tun wir nicht nur für die Menschen mit Bleibeperspektive; das tun wir auch für uns, das tun wir für Deutschland. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Bevor ich die nächste Rednerin aufrufe, möchte ich auf der Besuchertribüne über 300 Stipendiatinnen und Stipendiaten aus unserem Parlamentarischen Patenschafts-Programm begrüßen, die in diesen Tagen ihren Berlin-Besuch absolvieren. Herzlich willkommen im Wohn- und Arbeitszimmer des deutschen Parlamentarismus. (Beifall) Ich nutze die Gelegenheit gerne, um mich bei all den Kolleginnen und Kollegen zu bedanken, die zum Teil seit vielen Jahren als Patinnen und Paten die jungen Stipendiatinnen und Stipendiaten betreuen. Dies ist eines der ehrgeizigsten, sicher aber auch eines der wirkungsvollsten Programme, die der Deutsche Bundestag jemals aufgelegt hat. (Beifall) Nun hat die Kollegin Dağdelen für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister de Maizière! Frau Ministerin Nahles! „Integration“ steht zwar auf Ihrem Gesetzentwurf, aber in Ihrem Gesetzentwurf ist genau das Gegenteil enthalten. Deshalb haben zu Recht beide großen Kirchen, das Deutsche Institut für Menschenrechte, viele verschiedene Flüchtlingsverbände, Organisationen und Initiativen Ihren Gesetzentwurf in der Luft zerrissen, weil es der Entwurf eines Integrationsverhinderungsgesetzes ist. (Beifall bei der LINKEN) Integration soll ausgeschlossene soziale Gruppen in die Gesellschaft hereinholen, doch hier geschieht genau das Gegenteil: Ausgeschlossene Gruppen sollen gegeneinander ausgespielt werden. Denn zahlreiche Maßnahmen in diesem Gesetzentwurf sehen beispielsweise vor, hier einen neuen Billiglohnsektor zu schaffen. (Daniela Kolbe [SPD]: Lächerlich!) Unter dem Deckmantel der Menschenfreundlichkeit will SPD-Arbeitsministerin Nahles hier ein neues Werkzeug zum Lohndumping etablieren. (Thomas Oppermann [SPD]: Wo leben Sie eigentlich?) Allein für 100 000 Flüchtlinge soll Arbeit zu Stundenlöhnen von 80 Cent geschaffen werden. Denn gegenüber den ohnehin schon miesen 1-Euro-Jobs wird der Lohn bei den Flüchtlingen noch um 20 Prozent gekürzt. Die Begründung ist, Flüchtlingen entstünden ja keine Mehraufwendungen für Arbeitskleidung oder Fahrtkosten, wenn sie in Sammelunterkünften tätig würden. Ich finde, das ist unerträglich, Frau Ministerin. (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]) So geht die Lohnspirale nämlich nach unten, und Flüchtlinge werden in Konkurrenz zu Einheimischen gesetzt. (Thomas Oppermann [SPD]: Maßlos übertrieben!) Hier wird nicht integriert, sondern gespalten, meine Damen und Herren. Hier werden keine Menschen integriert, sondern es wird direkt darauf gezielt, Armutslöhner im Niedriglohnbereich auch noch gegeneinander auszuspielen. (Kerstin Griese [SPD]: Völliger Quatsch!) Das, meine Damen und Herren von der Union und von der SPD, kann doch nicht wirklich Ihr Ernst sein. Das, was Sie da bauen, ist ein regelrechter Rassismusmotor. (Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD) – Wir brauchen in diesem Land eine soziale Offensive für alle und keine Spaltung gerade im Niedriglohnbereich, die diejenigen betrifft, welche sowieso zu wenig verdienen, meine Damen und Herren. (Thomas Oppermann [SPD]: Sie haben doch eine Meise! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Damit beleidigen Sie den Vogel! Bei der lässt sich noch nicht einmal eine Meise nieder!) Sie fördern nicht die Solidarität der Beschäftigten, sondern Sie etablieren eine Schmutzkonkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Das hat nichts mehr mit Integration zu tun. (Volker Kauder [CDU/CSU]: So etwas ist unerträglich! Unerträglich!) Genau das hat auch der Deutsche Gewerkschaftsbund in seiner Stellungnahme zu diesem Gesetzentwurf gesagt, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie. Er hat den Gesetzentwurf in der Luft zerrissen – insbesondere die Regelungen zur Einführung von Arbeitsgelegenheiten, die vor allem von privatwirtschaftlich tätigen Trägern von Erstaufnahmeeinrichtungen und auch Gemeinschaftsunterkünften genutzt werden können. Die Möglichkeiten des Einsetzens von Asylbewerbern in der Leiharbeit wurden vom DGB massiv kritisiert. Ich finde, diese Kritik des DGB ist mehr als berechtigt, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN – Thomas Oppermann [SPD]: Lauer Beifall bei der Linkenfraktion!) Das müsste Ihnen doch wirklich zu denken geben. Die Linke fordert jedenfalls, dass dieses Lohndumpingprojekt sofort eingestellt wird. Wir brauchen das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) Wir brauchen auch – das gilt eben auch für Flüchtlinge und alle anderen, die sich im Niedriglohnbereich befinden – einen flächendeckenden Mindestlohn in Höhe von 12 Euro. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nur? – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das wird wöchentlich mehr!) Denn nur dann stellen wir sicher, dass es nicht wieder einen Armutslohn gibt, der dann auch noch von der Gesellschaft – ob im Arbeitsleben oder bei der Rente – subventioniert wird. Eine weitere Maßnahme dieses Gesetzes setzt ebenso auf Desintegration, meine Damen und Herren. Mit der Forderung nach einer Wohnsitzauflage wird eine Integration nämlich regelrecht hintertrieben. Denn was bedeutet eigentlich eine Wohnsitzauflage? Sie bedeutet, dass Flüchtlinge in Regionen angesiedelt werden sollen, welche von den Menschen dort mangels Perspektive bzw. Arbeitsmöglichkeiten reihenweise verlassen werden. So etwas kann doch wirklich nicht funktionieren. Durch solche absurden Forderungen verhindern Sie doch die Förderung dieser Menschen. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Haben Sie mal mit den Kommunen gesprochen?) Dies bedeutet auch, dass Menschen private Netzwerke dort nicht benutzen können, wo sie Familie, Verwandte und Freunde haben, was für die Arbeitsuche und die Förderung von Arbeitsmöglichkeiten wichtig ist. Das behindern Sie eben mit dieser Wohnsitzauflage. Sie handeln hier ganz nach dem zaristischen Entwicklungsmodell für Sibirien, meine Damen und Herren. (Lachen bei der CDU/CSU und der SPD – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das ist doch lächerlich!) Das hat nichts mehr mit Entwicklung und Arbeitsmarktförderung zu tun. Ich finde, Integration heißt doch nicht, Menschen lediglich in leerstehende Wohnblöcke zu pferchen. Was glauben Sie denn, was los ist? Sie und ich würden ja auch nicht irgendwohin ziehen, wo es vielleicht Wohnungen, aber keine Arbeitsmöglichkeiten bzw. Perspektiven für unsere Familien gibt. Deshalb sagen wir: Wir sind – wie auch viele Verbände – gegen eine Wohnsitzauflage, die ganz nebenbei auch gegen ein Dutzend Menschenrechtskonventionen verstößt. (Beifall bei der LINKEN) Ein weiterer Punkt wurde von Herrn Minister de Maizière kurz angesprochen. Pro Asyl, Herr Minister de Maizière, hat gesagt, dass Ihr Gesetzentwurf rechte Stimmung in Deutschland bedient, indem suggeriert wird, dass sich Flüchtlinge nicht integrieren wollen. Genau das ist seit Jahren auch die Beobachtung der Linksfraktion hier. Seit längerem schon agitieren Sie in der Öffentlichkeit bezüglich vermeintlicher Integrationsverweigerer. Auf beständiges Nachfragen meiner Fraktion aber haben Sie selbst gesagt, dass Ihnen keine Daten beispielsweise darüber vorliegen, wer aus welchem Grund Integrationskurse verweigert und um wie viele Menschen es sich dabei handelt. Sie können nicht sagen, ob die Menschen vielleicht eine Arbeit gefunden haben, krank geworden oder umgezogen sind oder ob eine Frau ein Kind bekommen hat. Sie wissen es nicht, und trotzdem propagieren Sie hier ständig, dass sich Flüchtlinge weigern würden, die Kurse zu besuchen. Dabei hat der ehemalige Chef des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Herr Schmidt, gesagt, dass Ihnen Daten vorliegen, die besagen, dass nur 1 Prozent der Flüchtlinge die Kurse nicht besucht. Wegen 1 Prozent machen Sie seit Jahren eine Stimmung gegen Flüchtlinge und sagen, diese würden sich den Kursen und anderen Angeboten verweigern. Dabei sieht die Realität doch ganz anders aus. Die Wahrheit ist: Seit zehn Jahren gibt es diese Integrationskurse, und seit zehn Jahren werden es immer weniger Kurse, dabei steigen der Bedarf und die Nachfrage aufgrund der Flüchtlinge. Ich finde es schändlich, dass Sie immer noch Stimmung gegen vermeintliche Integrationsverweigerer machen. Schaffen Sie endlich die Kurse! Schaffen Sie so viele, wie verlangt werden! Dann sprechen wir über die Kurse. (Beifall bei der LINKEN) Lassen Sie mich zum Schluss noch kurz einen weiteren Punkt ansprechen. Laut Deutschem Institut für Menschenrechte ist der vorliegende Gesetzentwurf weder mit dem Recht auf Asyl gemäß Artikel 16a des Grundgesetzes noch mit flüchtlings- und menschenrechtlichen Vorgängen in Einklang zu bringen; denn Sie wollen versteckt § 29 des Asylgesetzes ändern. Demnach sind Asylantragsteller künftig abzuschieben, und zwar ohne inhaltliche Prüfung vor Ort, wenn ein Drittstaat sich bereit erklärt, diese Flüchtlinge aufzunehmen. Das ist der größte Angriff auf das Grundrecht auf Asyl seit 1992. Das Grundgesetz garantiert die ergebnisoffene Einzelfallprüfung. Mit Ihrem Gesetz können noch mehr Flüchtlinge ohne inhaltliche Prüfung in andere Staaten abgeschoben werden, in denen ihr Schutz vor Abschiebung in den Verfolgerstaat und ihr Zugang zu einem fairen Asylverfahren eben nicht mehr garantiert sind. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen. Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Das ist wirklich schäbig. Das ist ein Angriff auf unser Grundgesetz. Deshalb werden wir sowie die Verbände, die das massiv kritisiert haben, gegen diesen Gesetzentwurf Widerstand leisten. (Zuruf der Abg. Katja Mast [SPD]) Hören Sie mit dem Unfug auf. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Genau! Hören Sie mit dem Unfug auf!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin! Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Machen Sie das Grundgesetz nicht noch einmal zum Steinbruch. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Bitte Arbeit!“ – ich habe in den letzten Monaten auch persönlich erleben dürfen, mit wie viel Energie, mit wie viel Willen die Menschen, die zu uns gekommen sind, versuchen, sich eine neue Zukunft aufzubauen, und das nach einschneidenden Erlebnissen, nach Erfahrung von Gewalt, Krieg, langer Flucht und Verlust. „Bitte Arbeit!“ – das sind oft die ersten deutschen Worte, die viele lernen und auch lernen wollen, weil sie gar nicht abhängig sein wollen, weil sie es hassen, nicht arbeiten zu können, weil ihnen vielleicht noch Voraussetzungen wie Sprache oder zum Beispiel der Status fehlen, die sie brauchen, um arbeiten zu können. Vielleicht sind die ersten Worte auch deswegen „Bitte Arbeit!“, weil sie wissen, weil auch wir wissen: Der beste Weg zu Integration ist der Weg in Arbeit. Der heute hier vorliegende Entwurf eines Integrationsgesetzes ist so wichtig, weil wir damit die klare Botschaft aussenden: Wir wollen es gemeinsam mit diesen Menschen schaffen, dass sie den Weg in den deutschen Arbeitsmarkt erfolgreich gehen können, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Kollege de Maizière hat es sehr deutlich gesagt: Das ist keine Kleinigkeit, das geht auch nicht mal eben so nebenher. Das wird eine große Anstrengung werden: für die, die zu uns kommen, genauso wie für uns, weil wir die Bringschuld haben, Angebote zu machen. Umgekehrt stehe ich voll hinter dem Gesetz, wenn es um die Mitwirkungspflichten geht, die es geben muss. Angebote machen, Chancen geben, das heißt auf der anderen Seite auch: Mitwirken. Ehrlich gesagt: Das halte ich für einen fairen Deal. Ich kann nicht nachvollziehen, dass sich an dieser Stelle so viel Kritik entzündet hat. Wie sollten wir es denn anders machen als genau auf diese Weise? (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die Menschen, die zu uns gekommen sind, haben Hoffnungen, Fähigkeiten, Potenzial, Kreativität und Ehrgeiz. Und dass sie zu uns kommen, das war weiß Gott nicht so geplant, es war überhaupt nicht geplant. Aber wir können doch jetzt feststellen: Es ist auch eine Riesenchance. Und es ist keine Alternative für Deutschland, diese Menschen auszugrenzen, zu diffamieren, anzugreifen und zu verletzen. Es ist auch keine Alternative für Deutschland, dass wir an dieser Stelle Vorurteile und Ängste schüren. Die einzige Sache, die wir machen müssen, ist Integration, Integration, Integration. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die Situation ist sehr gut; denn 70 Prozent derjenigen, die zu uns gekommen sind, sind unter 30 Jahren. Das heißt für mich, dass sie von Leistungsempfängern, die sie vielleicht eine Weile sein werden, ohne Weiteres mit der Hilfe, die wir ihnen hiermit geben, zu Leistungsträgern unserer Gesellschaft werden können, wenn die Integration gelingt. Das ist eine gute Nachricht für unser Land. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir beginnen mit diesem Integrationsgesetz nicht bei null. Wir haben eine ganze Reihe gesetzlicher Veränderungen schnell auf den Weg gebracht, um auf die neue Situation zu reagieren. Als Beispiel nenne ich, dass wir dafür gesorgt haben, dass schon nach drei Monaten, also sehr schnell, ein Zugang zum Arbeitsmarkt besteht. Der Entwurf des Integrationsgesetzes, den Herr de Maizière und ich heute hier vorlegen, geht aber einen Schritt weiter. Er nimmt den ganzen Prozess der Integration in den Blick, hat eine längere Perspektive – nicht Sprint, sondern Langstrecke –, und die werden wir auch brauchen. Wir stecken Wegmarken für die Flüchtlinge. Das beginnt in der Erstaufnahmeeinrichtung, wo wir für die Menschen, die bisher keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben – sie sind ausgeschlossen von jeder sinnvollen Betätigung, solange sie nicht den entsprechenden Status haben und im SGB-II-Bezug sind –, Arbeitsgelegenheiten schaffen. Ich darf Ihnen versichern, dass es bei diesen Menschen hochwillkommen ist, dass sie sich endlich einbringen können in diese Gesellschaft. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vielerorts helfen die Flüchtlinge in den Unterkünften, in der Küche oder der Wäscherei. Aber wir wollen, dass sie auch rauskommen, dass sie erste Kontakte mit der Arbeitswelt machen können. In Tübingen beispielsweise helfen sie in der Stadtbücherei oder kümmern sich bei der Feuerwehr um die Autos – das hilft im Übrigen auch den Kommunen –, und nachmittags geht es dann zum Deutschkurs. So kann man lernen und ankommen in dieser Gesellschaft. Deshalb ist das, was wir hier heute auf den Weg bringen, eine wichtige und gute Maßnahme. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich stehe im Übrigen zur Wohnsitzauflage. Auch als Arbeitsministerin stehe ich zur Wohnsitzauflage, um das einmal ganz klar zu sagen; denn Ghettobildungen kann nun wirklich niemand wollen. Aber es gibt Tendenzen in diese Richtung. Man braucht eine Wohnung, aber man braucht auch einen Arbeitsplatz, und das ist nicht dasselbe. Deswegen brauchen wir diese Regulierungen. Deswegen stehe ich in vollem Umfang dazu. Wir haben einen guten Kompromiss gefunden, der beide Aspekte gleichrangig berücksichtigt. Warum nicht? Ich kann Ihnen aus der Erfahrung der BA berichten: Im Siegerland bieten wir Kurse mit 70 Plätzen an, aber über Nacht ziehen die Teilnehmer nach Gelsenkirchen, weil sie da jemanden kennen. Dazu kann ich als Arbeitsministerin nur sagen: Schlechte Entscheidung! Deswegen machen wir die Wohnsitzauflage und passgenaue Angebote, um den Menschen eine Perspektive zu geben. Wer eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung hat, der kann selbstverständlich umziehen. Wer woanders einen Ausbildungsplatz hat, kann umziehen. Wir kasernieren die Leute doch nicht, sondern wir wollen ihnen helfen, Arbeit zu finden und nicht nur eine Wohnung, was am Ende des Tages eben nicht reicht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir machen hier einen wirklich substanziellen Fortschritt in Sachen Ausbildung. Es gab bisher eine Regelung, nach der man als Flüchtling bzw. Geduldeter nach dem 21. Lebensjahr nicht in eine Ausbildung gehen durfte. Das ist eine mir nicht ganz verständliche Regel; die gab es aber. Diese Regel haben wir jetzt abgeschafft. Wir schaffen Planungssicherheit für die Betriebe und für die Betroffenen, indem wir ihnen eine Duldung geben für die ganze Zeit der Ausbildung. Danach können sie ein halbes Jahr suchen, und dann bekommen sie für zwei Jahre einen Aufenthaltstitel. Kurzum: Sie können sich hier auf eine Ausbildung einlassen; sie und die Betriebe haben Rechtssicherheit. Das ist der goldene Weg: Diese 70 Prozent derjenigen, die zu uns gekommen sind, die unter 30-Jährigen, sind in Ausbildung zu bringen. Hey, die Leute können wir in diesem Land gut gebrauchen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich habe gestern mit Frau Wanka das Spitzentreffen der Partner der Allianz für Aus- und Weiterbildung geleitet. Es gibt 41 000 offene Ausbildungsplätze. Viele Handwerker suchen Auszubildende. – Wunderbar, es gibt Chancen in unserem Land. Lassen Sie uns diese Chancen zusammen ergreifen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich denke, wir haben eine große Aufgabe vor uns, aber wir haben auch viele motivierte Leute, sowohl bei der Bundesagentur für Arbeit als auch bei den einzelnen Anbietern, bei den Volkshochschulen, bei vielen anderen Trägern, die sich wirklich kümmern, und bei den Wohlfahrtsverbänden. Wir haben diese Situation nicht nur am Anfang erlebt, als so viele kamen, sondern es wird sich weiter mit großer Anstrengung und großer Offenherzigkeit gekümmert und bemüht, und vor diesem Hintergrund bin ich zuversichtlich, dass wir mit diesem Gesetz die Grundlage legen für passende Integration. Dass wir darüber hinaus mehr brauchen, ein Einwanderungsgesetz, steht auf einem anderen Blatt. Das ist auch wichtig, darüber debattieren wir ein anderes Mal. Heute haben wir das Integrationsgesetz auf dem Tisch. Und in diesem Sinne: Wir wollen es anpacken. Bitte, bitte schauen Sie einfach auch mal in das Gesetz rein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dann wird man nämlich feststellen, dass vieles, was es in der Öffentlichkeit, mit Verlaub, an Diskussionen dazu gegeben hat, haarscharf daneben geht. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Empfehlung, in Gesetzestexte reinzugucken, die zur Beratung und Verabschiedung anstehen, empfiehlt sich eigentlich fast immer, dieses Mal aber ganz besonders. (Heiterkeit – Christine Lambrecht [SPD]: Leider folgt dem nicht jeder! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Weiß das auch Frau Dağdelen?) Nächste Rednerin ist die Kollegin Brigitte Pothmer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr de Maizière, Frau Nahles, ja, Sie haben recht: Die Integration Hunderttausender Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt ist trotz guter Voraussetzungen eine riesige Herausforderung, die Jahre in Anspruch nehmen wird. Aber wenn das gelingen soll, dann müssen wir wirklich konsequent auf Integration setzen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und genau das tut dieses Gesetz nicht. Ich will es einmal mit den Worten meines Ministerpräsidenten Stephan Weil aus Niedersachsen – in Klammern: SPD – sagen – ich zitiere –: Mit diesem Gesetz wird die Integration in den Arbeitsmarkt Stückwerk bleiben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thomas Oppermann [SPD]: Das hat er schon korrigiert!) Ich fürchte, dass mein Ministerpräsident wieder mehr recht hat, als uns allen lieb sein kann. Ja, es gibt positive Elemente in diesem Gesetz. Frau Nahles, Sie haben es gesagt, dass Flüchtlinge jetzt eine Duldung erhalten, die in Ausbildung sind. Das ist ein Fortschritt, aber, Frau Nahles, Sie wissen auch: Eine Duldung ist keine sichere Bleibeperspektive, sondern sie ist lediglich die Aussetzung einer Abschiebung, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und bei Abbruch einer Ausbildung findet sofort diese Abschiebung statt. Dazu muss man allerdings wissen, dass 25 Prozent der deutschen Auszubildenden ihre Ausbildung abbrechen und sich während der Ausbildung neu orientieren. Für die Flüchtlinge bedeutet das, dass das Damoklesschwert der Abschiebung weiterhin über ihren Köpfen hängt. Frau Nahles, das ist keine gute Entscheidung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich finde, auch die Aussetzung der Vorrangprüfung ist ein Schritt in die richtige Richtung, und positiv finde ich im Prinzip ebenfalls, dass die Ausbildungsförderung geöffnet werden soll. Aber, Frau Nahles, sagen Sie mir mal ehrlich: Für Geduldete gilt die Berufsausbildungshilfe erst nach sechs Jahren? Da ist das Kind doch längst in den Brunnen gefallen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Diese wenigen Beispiele zeigen, dass dieses Gesetz nicht konsequent auf Integration setzt, sondern durchzogen ist von dem Geist der Ausgrenzung, und damit lässt sich wirklich keine konsistente Integrationspolitik betreiben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Meine Damen und Herren, wenn Herr Gabriel dann vor die Presse tritt und sagt, das Gesetz sende die Botschaft aus: „Wer sich reinhängt, aus dem wird hier auch was“, dann frage ich: Meint er die Afghanen? Meint er die Somalier? Meint er die Sudanesen? Meint er diese vielen, vielen Menschen, die sich noch so reinhängen können und noch nicht mal einen Integrationskurs kriegen, von Arbeitsförderung ganz zu schweigen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist das Hauptproblem Ihres Gesetzentwurfes: Sie bleiben bei der realitätsfernen Einteilung nach vermeintlich guter oder schlechter Bleibeperspektive und schließen damit mehr als die Hälfte aller Asylbewerberinnen und Asylbewerber aus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir hier von Fördern und Fordern sprechen, dann sage ich: Das ist Integrationsverweigerung. Dafür sollte es Sanktionen geben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Mit dieser Ausgrenzung schaffen Sie genau die Probleme, die die Rechtspopulisten mit ihren Äußerungen heraufbeschwören. Sie treiben damit die Spaltung in der Gesellschaft voran. Liebe Frau Nahles, 100 000  1-Euro-Jobs werden dieses Problem nun wirklich nicht lösen. (Beifall der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) Sie wissen genau, dass 1-Euro-Jobs qua Definition arbeitsmarktfern sind. Wie Sie damit die Integration in Arbeit gestalten wollen, müssen Sie uns allen mal erklären. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Katja Mast [SPD]: In die Gesellschaft!) Nein, die Flüchtlinge müssen in die Betriebe. Sie müssen den betrieblichen Alltag in Deutschland kennenlernen. Deswegen fordern wir nicht 100 000  1-Euro-Jobs, sondern 100 000 Einstiegsqualifizierungen, die übrigens auch ein sehr gutes Konzept dafür sind, Flüchtlinge für eine duale Ausbildung zu interessieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir Grüne wollen Integration. Wir wollen, dass sie gelingt. Dafür gibt es in diesem Gesetzentwurf noch verdammt viel Luft nach oben. Je länger Sie auf der Bremse stehen, liebe Ministerin, desto höher wird der Preis, und zwar in jeder Hinsicht, sowohl für die Flüchtlinge als auch für uns. Lassen Sie uns diesen Gesetzentwurf in den Beratungen korrigieren. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Daniela Kolbe ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Daniela Kolbe (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Asyl ist ein humanitäres Grundrecht. Da geht es erst einmal darum, ob jemand Schutz braucht oder nicht, und nicht darum, ob er die deutsche Sprache kann oder was für eine Ausbildung er oder sie hat. Aber wenn diese vielen Menschen nun schon einmal hier sind und überwiegend hier bleiben, dann wären wir doch mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn wir es ihnen nicht ermöglichen würden, sich möglichst schnell in diese Gesellschaft einzubringen und in ihr zurechtzufinden. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Karl Schiewerling [CDU/CSU]) Das ist jedenfalls die Grundposition und Haltung der Sozialdemokraten. Wir haben jetzt die Chance, aus dieser gigantischen Herausforderung eine Win-win-Situation zu machen. Das tun wir mit diesem Integrationsgesetz. Ich schaue noch einmal zur Kollegin Dağdelen. Ich erwarte ja von der Opposition Kritik – das ist auch richtig so; dafür sind Sie Opposition –, ich erwarte aber genauso, dass Sie sich das Gesetz einmal anschauen, durchlesen und sich genau ansehen, was dort steht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Das habe ich doch am Mittwoch gemacht!) In dem Gesetzentwurf schreiben wir, was wir erwarten, aber vor allem eröffnen wir Chancen auf Teilhabe, zum Beispiel am Arbeitsmarkt. Die bürokratische Vorrangprüfung wird an vielen Stellen der Bundesrepublik ausgesetzt werden. Wir öffnen die Ausbildungsförderungen, etwa die Berufsvorbereitung oder die Assistierte Ausbildung und auch die Berufsausbildungsbeihilfe, weiter. Ich möchte vor allen Dingen noch einmal auf die sogenannte Drei-plus-zwei-Regelung eingehen. Viele Unternehmer, viele Unternehmerinnen wollen Flüchtlingen gerne einen Ausbildungsplatz organisieren. Sie schrecken dann aber zurück, weil sie nicht wissen können, was in einem halben Jahr ist, ob der Flüchtling dann noch da ist oder schon wieder abgeschoben worden ist. Dem setzen wir jetzt eine sehr sinnvolle Regelung entgegen. Wer eine Ausbildung beginnt, erhält eine Duldung für die gesamte Dauer der Ausbildung, und zwar nicht vielleicht oder unter Umständen, sondern er oder sie bekommt diese Duldung. Das gibt Rechtssicherheit für die betroffenen jungen Leute, aber eben auch für die Unternehmen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Danach gibt es die Möglichkeit, eine Aufenthaltserlaubnis für zwei Jahre zu bekommen, um weiter zu arbeiten. Wenn keine Weiterbeschäftigung im Ausbildungsbetrieb erfolgt, wird die Duldung um sechs Monate verlängert, um nach einem Arbeitsplatz suchen zu können. Das ist ein grandioser Schritt für die Unternehmen und auch für die Menschen. 70 Prozent der zu uns Gekommenen sind unter 30 Jahre alt. Das wird die duale Ausbildung in Deutschland weiter stärken. Das wünschen wir uns doch alle. Es ist ein guter Gesetzentwurf, über den wir hier sprechen. Aber es gibt sicherlich auch den einen oder anderen Punkt, an dem er noch besser werden kann. Viele in meiner Fraktion fragen sich beispielsweise, warum eine gute Bleibeperspektive bei einer strikten Schutzquote ab 50 Prozent festgemacht wird, sie also nicht für Menschen zutrifft, die etwa aus Afghanistan kommen, wo die Schutzquote derzeit bei knapp 50 Prozent liegt. Das ist eine spannende Frage, über die wir sprechen sollten. (Beifall der Abg. Kerstin Griese [SPD]) Aber auch bei der Ausbildungsförderung und der Drei-plus-zwei-Regelung sollten wir vielleicht noch einmal ins Gespräch kommen. Ich verweise da, auch in Richtung des Koalitionspartners, auf eine Stellungnahme der BDA, (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: BDA? Ich bin CDA!) die beispielsweise die Frage stellt, ob es denn wirklich sinnvoll ist, Ausbildungsbetrieben unter Androhung sehr hoher Bußgelder eine Meldepflicht aufzuerlegen, wenn ein Azubi eine Ausbildung abbricht. Sie spricht davon, dass dies das pädagogisch-kollegiale Verhältnis belasten und Betriebe abschrecken würde. Ich muss an dieser Stelle sagen: Die BDA hat vollkommen recht. Lassen Sie uns darüber sprechen! Lassen Sie uns aus einem wegweisenden Gesetzentwurf einen noch wegweisenderen Gesetzentwurf machen! Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Volker Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Integrationsgesetz wäre fürwahr nötig. Aber das, was hier auf dem Tisch des Hauses liegt, verdient diesen Namen nicht wirklich. Das ist im besten Fall Stückwerk, in vielen Elementen kontraproduktiv, in manchen Punkten schlicht sachfremd. Deshalb würde ich Ihnen raten, in den Ausschussberatungen noch einmal sehr, sehr gründlich nachzudenken. Viele Themenfelder und Probleme werden überhaupt nicht angegangen. Was ist mit den Flüchtlingen, die hierherkommen, die wegen der Flucht und des Bürgerkrieges jahrelang keine Schule besucht haben und aus der Schulpflicht herausgefallen sind? Wie bringen wir diese Leute dahin, dass sie ausbildungsfähig sind? Die Handwerksbetriebe in Deutschland sind durchaus bereit, solche Menschen aufzunehmen; aber sie fordern ein gewisses Grundwissen, das diese Menschen nicht mitbringen. Auf solche Fragen, Frau Nahles, gibt Ihr Gesetzentwurf leider überhaupt keine Antwort. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ganz merkwürdig ist meines Erachtens eine Regelung, die vor dem Kabinettsbeschluss unter Umgehung der Beratung mit dem Bundesrat und einer Verbändeanhörung über Nacht in den Gesetzentwurf aufgenommen wurde; sie macht mich hellhörig. Ist der neue § 29 Asylgesetz der Versuch, den Türkei-Deal in dieses Integrationsgesetz einzuführen, und zwar mit dem Effekt, dass Menschen in Deutschland in Zukunft keinen Anspruch mehr auf eine rechtliche Prüfung ihres Verfolgungsstatus haben? Sie haben hier hineingeschrieben, dass mit Blick auf Länder außerhalb der Europäischen Union, die wir für sicher halten, ein Antrag bei uns unzulässig ist. Früher war er „unbeachtlich“. Was diese semantische Veränderung bedeutet, konnte uns zumindest Ihr Haus im Gespräch mit dem Forum Menschenrechte nicht sagen. Vielleicht wissen ja Sie, Herr Minister, was gemeint ist. Und: Wohin ist der § 29 Absatz 2 des Asylgesetzes verschwunden? Auch das wussten Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht. Versehen? Vorsatz? Unbeachtlich? Unzulässig? Wir wissen es nicht. Darin steht nämlich, dass dann, wenn ein Flüchtling aus einem solchen sogenannten sicheren Drittstaat zu uns kommt und nach drei Monaten immer noch nicht in diesen sicheren Drittstaat zurückgebracht werden konnte, in Deutschland das Verfahren über die Anerkennung als Flüchtling wiederaufgenommen werden muss. Diese Regelung finde ich in Ihrem Gesetzentwurf nicht mehr; sie ist aber geltendes Recht. Das ist eine massive Verkürzung des Rechts von Flüchtlingen auf Anerkennung und Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Zweiter Punkt: Wohnsitzauflage. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Beck, ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass es – – Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Doch. Präsident Dr. Norbert Lammert: Zwei Sekunden, ja. – Da Sie zum zweiten Punkt ansetzen, wollte ich nur darauf aufmerksam machen, dass es natürliche Grenzen für den weiteren Vortrag gibt. (Vereinzelt Heiterkeit und Beifall) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Diese natürlichen Grenzen akzeptiere ich. – Noch zwei Sätze. Wir alle sind gegen Ghettoisierungen. Aber mit diesem administrativen Monster werden wir sie nicht verhindern. Ich finde, die heute-show hat es in einem Satz wunderbar zusammengefasst – für mehr reicht es jetzt aufgrund der Redezeit nicht mehr –: Das neue Integrationsgesetz mit seiner Wohnsitzauflage will: Flüchtlinge sollen eine Sprache lernen, für die es keine Kurse gibt, in Regionen leben, in denen keiner Deutsch spricht, und Jobs finden, die es dort nicht gibt. Das ist der falsche Ansatz. Wir müssen angebotsorientiert arbeiten und dürfen nicht versuchen, die Integrationspolitik mit administrativen Monstern zu vergiften. (Zurufe von der CDU/CSU) – Da ich eine so lebhafte Reaktion auf meine Rede erreicht habe, scheint es Sie ja getroffen zu haben. Dann ist ja alles gut. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wenn man sich schon auf die heute-show beziehen muss, um zu überzeugen, hat man ein Argumentationsproblem!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Karl Schiewerling erhält nun das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Karl Schiewerling (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Dağdelen, ich habe mir lange überlegt, ob ich überhaupt auf Ihre Rede reagieren soll, weil ich nicht wusste, ob ich lachen oder weinen sollte. Wenn ich es gut mit Ihnen meine, dann sage ich Ihnen: Sie können ganz schön Spaß machen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn ich Ihnen aber die Wahrheit sage, dann sage ich Ihnen: Ich habe selten eine Rede gehört, in der die Lebenssituation der Menschen so menschenverachtend betrachtet wird, wie Ihre. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Ja!) Wie können Sie sagen, die Wohnsitzauflage und all die anderen Dinge dürfe man nicht einführen? Wissen Sie, was das für meine Region im Kreis Coesfeld im Münsterland – das ist ländliches Gebiet, und wir suchen händeringend Arbeitskräfte – bedeuten würde? Sie lassen die Flüchtlinge alleine, dann gehen sie zu Ihnen in den Duisburger Norden und damit in die Arbeitslosigkeit, während sie bei uns Arbeit finden würden. Wenn wir dies nicht regeln, haben sie keine Perspektive. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wie können Sie sagen, wir würden hier Lohndumping betreiben? Wissen Sie denn überhaupt nicht, welche Bedingungen die Unternehmen erfüllen müssen, damit die Menschen arbeiten können? Sie tun dies mit großer Bereitwilligkeit, aber dazu brauchen sie auch die entsprechenden Rahmenbedingungen. Wollen Sie eigentlich, dass sie in Beschäftigung kommen, oder wollen Sie aufgrund Ihrer hohen und hehren Ziele, dass sie arbeitslos bleiben? Wir wollen, dass sie in Beschäftigung kommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Bravo! So ist das! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Bravo! Volltreffer! Versenkt!) Frau Kollegin Pothmer, einen Satz zu Ihnen: Wir stehen nicht auf der Bremse, (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Leider!) sondern wir stellen uns mit diesem Gesetzentwurf einer Entwicklung, die uns neu herausgefordert hat. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben doch selber erklärt, dass dieser Gesetzentwurf zu kurz springt!) Wir leben in einer Situation, in der wir uns zunächst einmal auf die neuen Herausforderungen einstellen müssen. Seit 2014 – das ist richtig – kommen in zunehmender Zahl Flüchtlinge zu uns. Aber die meisten sind vor etwa zwölf Monaten gekommen, und in dieser Situation mussten sich die deutschen Behörden, die deutschen Institutionen, die Kommunen und alle, die dafür Verantwortung tragen, ja zunächst einmal darauf einstellen. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das bestreitet auch keiner!) Ich verstehe überhaupt nicht, wie Sie von einer Regierung, die vor diese völlig neuen Herausforderungen gestellt wird, erwarten, dass sie über Nacht alle Probleme löst. Das hätten Sie nicht geschafft, das schafft Ihr Herr Weil nicht, und das schaffen andere auch nicht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Deswegen sage ich Ihnen: Das vorgelegte Integrationsgesetz – und das gilt auch für dessen Bestandteile zur Arbeitsmarktpolitik – bietet eine vernünftige Herangehensweise; denn hier wird zunächst einmal das getan, was wir heute tun können. Kein Mensch in der Koalition sagt: Danach passiert nichts Weiteres mehr. – Wenn sich die Dinge anders entwickeln, werden wir darauf reagieren müssen. Dann werden wir das auch tun. Das ist so sicher wie nur irgendetwas. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Meine Damen und Herren, Deutschland ist ein weltoffenes Land. Viele Menschen aus fast allen Ländern der Welt sind zu uns gekommen. Sie leben, arbeiten und wohnen hier und tragen zum Wohlstand bei. 12 Prozent aller Mitglieder der Deutschen Rentenversicherung haben einen ausländischen Pass. Sie tragen dazu bei, dass der Wohlstand erhalten bleibt. Das ist uns allen sehr wohl bewusst, und deswegen integrieren wir die Menschen. Wir sagen, sie sollen zu uns kommen und hier eine Heimat finden können. Zuwanderung ist ein Gewinn, wenn Integration denn gelingt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Meine Damen und Herren, in der Vergangenheit wurde dies nicht immer beachtet. Parallelgesellschaften sind entstanden; der Innenminister hat ausdrücklich und präzise darauf hingewiesen. Das darf sich nicht wiederholen. Der guten Ordnung halber will ich an dieser Stelle an alle im Hohen Haus sagen: Angela Merkel war die erste Kanzlerin, die mit Maria Böhmer eine Integrationsministerin berufen hat, nämlich 2005, (Michaela Noll [CDU/CSU]: Genau!) und Jürgen Rüttgers war in Nordrhein-Westfalen der erste Ministerpräsident, der einen Integrationsminister berufen hat. Diese Fragen zur Notwendigkeit der Integration sind für uns nichts Neues. Da brauchen wir keine Nachhilfe, sondern wir sind dabei, unsere Aufgaben zu erfüllen. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, ich will an dieser Stelle einmal einen riesigen Dank an die unglaublich vielen Menschen aussprechen, die sich in den Flüchtlingsinitiativen ehrenamtlich engagieren. Ohne diese Menschen hätten wir viele Aufgaben nicht lösen können. Diese vielen Ehrenamtlichen sind auch heute noch notwendig. Sie begleiten viele Flüchtlinge. Sie helfen ihnen dabei, sich auf dem Arbeitsmarkt zu orientieren. Sie engagieren sich für sie, indem sie Kinder begleiten, helfen damit, dass sie eine Wohnung finden. Ihnen gebührt ein riesiges Dankeschön für das, was sie heute für unser Land und in unserem Land leisten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) An dieser Stelle wird sehr deutlich: Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, diese Menschen in unserem Land zu integrieren. Zu dieser wichtigen Aufgabe gehört in der Tat die Integration in den Arbeitsmarkt. Bildung, Sprache, Schule und Ausbildung gehören zusammen. Ich will Ihnen sehr deutlich sagen: Schulfragen sind Ländersache. Wir wollen uns aber als Bund natürlich nicht verschließen, wenn neue Ideen kommen, wie man das machen kann. Aber ich bin nicht bereit, alle Zuständigkeiten nur dem Bund zuzuweisen. Kommunen, Länder und der Bund – lassen Sie mich an dieser Stelle der Vollständigkeit halber noch sagen: sowie Europa – müssen zusammenwirken. Deswegen haben wir in dieser Frage eine gemeinsame Aufgabe. Was wir nicht gebrauchen können, ist Kästchendenken, Schubladendenken und Abschottungsdenken. Wer glaubt, er könnte sich die Decke über den Kopf ziehen, sich dort hineinkuscheln und glauben, das sei das Deutschland der Zukunft, der hat sich vertan. Wir liefern Produkte in alle Welt. Wir haben Internet. Wir haben diverse Kommunikationsmittel. Ja glauben wir denn im Ernst, wir könnten uns zurückziehen und könnten uns eine heile Welt unter der schützenden Bettdecke aufbauen? Wir sind ein weltoffenes Land. Die Menschen sollen zu uns kommen. Aber sie müssen wissen, unter welchen Bedingungen und mit welchen Erwartungen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir erwarten, meine Damen und Herren, dass sich diese Menschen integrieren. Das tun sie. Ganz viele wollen das; darauf ist zu Recht hingewiesen worden. Aber wir sagen auch: Wir wollen die Menschen fordern und fördern, wobei die Förderung an erster Stelle steht. Wir wollen den Menschen helfen: mit unseren arbeitsmarktpolitischen Möglichkeiten, die wir ihnen eröffnen, und mit dem breiten Instrumentarium, das im Gesetzentwurf steht und das später gewiss noch einmal erweitert wird. Frau Nahles hat vorhin zu Recht auf die 100 000 Arbeitsgelegenheiten verwiesen. Ich will an dieser Stelle der Vollständigkeit halber nur sagen, wie sie in den Gesetzentwurf gekommen sind. Diese Arbeitsgelegenheiten müssen nach dem Asylgesetz normalerweise von den Kommunen angeboten werden. Die Kommunen haben dafür aber kein Geld mehr. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann geben Sie ihnen doch das Geld!) Deswegen wird diese Aufgabe hilfsweise vom Bund übernommen. Sie wird nach den derzeitigen Plänen von der Bundesagentur für Arbeit hilfsweise abgewickelt. Ich erwarte aber, dass die Kommunen die Entscheidung darüber haben, wo die Mittel eingesetzt werden und für wen sie dort eingesetzt werden – und nicht die Bundesagentur für Arbeit. Sie wird diese Aufgabe zu administrieren haben. Sollte es dann noch Unklarheiten im Gesetzentwurf geben, werden wir diesen Punkt nachbessern müssen. Ich bin mir in dieser Frage nicht ganz sicher, aber das ist keine Grundsatzfrage. Es ist eine Abwicklungsfrage, wie wir an diese Dinge herangehen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, gezielte Integration in unser Land ist eine wichtige Aufgabe. Ich will deutlich sagen, dass wir im Hinblick auf die Arbeitsmarktpolitik noch lernen können. Ich habe in meiner Region, im Kreis Coesfeld, mit dem Kreis, mit den Berufsschulen und mit der Kreishandwerkerschaft ein sehr innovatives Projekt entwickelt, bei dem es darum geht, Jugendlichen Deutsch beizubringen und sie in Arbeit zu bringen. Die Vermittlung ist mehr als erfolgreich: 80 Prozent sind über diesen Weg mittlerweile in Betrieben untergekommen. Ich glaube, dass es gut ist, wenn wir solche Initiativen betrachten, aufgreifen und schauen, wie wir diese Instrumente nutzen und umsetzen und sie anderen verfügbar machen können. Ich halte es für geboten, dass wir das tun, was wir als Deutsche können, nämlich nicht nur zu erwarten, dass sich die Menschen in unserem Land integrieren, sondern auch unsere eigene Kultur zu leben und für unsere eigene Kultur zu werben. Integration in unsere Gesellschaft heißt nicht nur das Erlernen der deutschen Sprache, sondern es heißt auch ganz schlicht und einfach das Erleben von Heimat, das Erleben von Bräuchen, Festen und Feiern. Es heißt auch, dass diese Menschen erfahren, dass es Geborgenheit in Familien gibt. Viele von ihnen kommen aus geschützten familiären Strukturen. Das müssen wir ihnen bei uns bieten, entweder über Familien oder über Verbände und Gemeinschaften. Sie müssen lernen, dass es zu unserer Kultur gehört, sich anzustrengen, Bildung zu erwerben und in die Erwerbsarbeit zu gehen. Ich bin ganz sicher, dass die allermeisten von ihnen das wollen. Frau Pothmer, Sie haben gesagt: Das ist ja ganz furchtbar, wenn ihr da von Sanktionen redet. – Die Sanktionen stehen aber nicht im Mittelpunkt. Sanktionen sind das letzte Mittel, das der Staat hat, um sich selbst zu schützen. Die Sanktionen stehen dafür, dass wir den Menschen Orientierung geben und ihnen auf diese Art und Weise vermitteln, was wir erwarten. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Karl Schiewerling (CDU/CSU): Aber in den allermeisten Fällen brauchen wir sie nicht. Letztlich geht es um unsere gemeinsame Zukunft in unserem Land, und mit diesem Integrationsgesetz schaffen wir den Rahmen dazu. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort nun der Kollegin Kerstin Griese für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kerstin Griese (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich heute Morgen die Reden der Opposition verfolgt habe, habe ich gedacht, es wäre gut, Sie einmal mit der echten Stimmungslage in unserem Land zu konfrontieren. Im ARD-Deutschlandtrend haben heute früh 82 Prozent gesagt: Das Integrationsgesetz geht in die richtige Richtung. Es gibt eine große Zustimmung dazu. Bei den Grünen sind es sogar 86 Prozent. Bei den Linken sind es etwas weniger. Das heißt, die Gesellschaft will, dass wir jetzt endlich aktiv etwas für Integration machen. Das packen wir an. Das Integrationsgesetz wird ein Meilenstein für gelingende Integration. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir gestalten Integration aktiv. Wir ermöglichen einen besseren Zugang zu Ausbildung, Arbeit und Sprachkursen. Eines ist mir ganz wichtig: Integration ist ein Prozess auf Gegenseitigkeit. Wir erwarten die Bereitschaft zur Integration; wir bieten aber auch Möglichkeiten zur Integration an. Wer sich anstrengt, die Sprache lernt und den Einstieg in Arbeit schafft, der kann bei uns den Neustart schaffen, und wir wollen alles dafür tun, die Menschen zu unterstützen. Aber auch der Staat hat eine Bringschuld, nämlich die, Integration zu ermöglichen. Dazu gehört zum Beispiel, genügend Integrations- und Sprachkurse anzubieten, bevor man über Sanktionen spricht. Der Staat will ebenso wie die Gesellschaft dieses Integrationsangebot machen. Deshalb werden wir gemeinsam aktiv daran arbeiten. Der Gesetzentwurf beinhaltet das: Wir wollen eine offene Gesellschaft sein. Wir erwarten aber auch von den Menschen, die zu uns kommen, dass sie sich an unsere Regeln und an unser Grundgesetz halten. Dann geht es gut mit der Integration. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir schaffen neue Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen. Der Kollege Karl Schiewerling hat schon darauf hingewiesen. Es ist sehr wichtig, dass man Flüchtlingen die Möglichkeit gibt, sich in unsere Gesellschaft einzubringen, zu arbeiten und soziale Kontakte zu haben, statt immer nur zu warten, zu warten, ohne zu wissen, was passiert. Deshalb vielen Dank an Arbeitsministerin Andrea Nahles für die gute Idee der 100 000 zusätzlichen Arbeitsgelegenheiten. Das wird den Kommunen viel bringen, und es wird auch in der Bevölkerung wahrgenommen werden, dass Flüchtlinge sich engagieren und dass sie mitarbeiten. Auch das ist ein ganz wichtiger Effekt. (Beifall bei der SPD) Wir wollen die Vorrangprüfung aussetzen – das ist arbeitsmarktpolitisch wichtig –, und zwar zunächst für drei Jahre. Die Länder sollen selber gucken, in welchen Regionen sie sie aussetzen. Denn sehr häufig endet die Vorrangprüfung, die feststellt, ob es einen Einheimischen gibt, der den Arbeitsplatz haben kann, so, dass der Flüchtling ihn bekommt. Das ist daher auch ein wichtiger Schritt zur Entbürokratisierung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wünschen uns für die Beratung noch ein paar Punkte, zum Beispiel bei der Wohnsitzauflage auch die Belange von Menschen mit Behinderung zu berücksichtigen. Denn häufig gibt es Örtlichkeiten, wo sie nicht barrierefrei leben können. Das sollten wir in der Beratung prüfen. Ich wünsche mir auch, dass wir im Bereich des ehrenamtlichen Engagements von Flüchtlingen darüber nachdenken, was wir tun können. Uns hat ein Hilferuf der großen Sportvereine erreicht, dass die Ehrenamtspauschale auch für Flüchtlinge gelten soll. Denn häufig sind Flüchtlinge als Übungsleiter oder Trainer in Sportvereinen tätig. Das ist ein Beispiel für gelungene Integration. Das sollten wir unterstützen und die Ehrenamtspauschale nicht von den Leistungen abziehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich freue mich auf die Beratungen, die wir im Arbeits- und Sozialausschuss ganz intensiv zusammen mit dem Innenausschuss durchführen werden. Wir werden das gut zusammen hinbekommen. Es gibt sowohl Kritik als auch Zustimmung zum Gesetzentwurf. Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration hat ganz klar gesagt, das Gesetz sei – ich zitiere – „ein wichtiger Schritt hin zu Gleichbehandlung und früher Integration. Die hierfür aufgewandten erheblichen finanziellen Mittel sind eine gute und notwendige Investition …“. Wenn viele Verbände, darunter die Wohlfahrtsverbände, noch mehr fordern, dann ist das ein Zeichen dafür, dass endlich Bewegung in die Integrationsdebatte gekommen ist, dass wir weiter vorangehen wollen und dass wir die Integration jetzt aktiv gestalten. Ich hoffe, dass wir alle daran mitwirken – zum Wohle unseres Landes und zum Wohle der Menschen, die aus Not und Gewalt zu uns geflohen sind. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die CDU/CSU-Fraktion erhält der Kollege Stephan Mayer das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Es wäre aus meiner Sicht verfehlt, anzunehmen, dass die Flüchtlingskrise beendet oder gemeistert ist. Ich glaube, es ist genauso naiv, anzunehmen, dass es schon jetzt Anlass gibt, Entwarnung zu geben. Wir stecken aus meiner Sicht nach wie vor mitten in der Flüchtlingskrise. Aber die Zahlen sind deutlich zurückgegangen. Die Westbalkanroute ist geschlossen. Das ist ein erfreuliches Signal. Eines aber muss uns bewusst sein: Selbst wenn die Zahlen auf diesem niedrigen Niveau bleiben, wird uns in den nächsten Monaten und Jahren eine epochale Herausforderung bevorstehen, wenn es um die Integration von Hunderttausenden von Migranten und Flüchtlingen in die deutsche Gesellschaft geht. Deswegen ist es gut, dass dieses Integrationsgesetz jetzt in erster Lesung beraten wird. Ich habe etwas Zweifel, ob ich wirklich von einem Paradigmenwechsel sprechen möchte, (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lassen Sie es lieber!) ich weiß auch nicht, ob es wirklich ein historischer Meilenstein ist, den wir mit diesem Gesetz setzen; aber ich bin mir sicher, dass wir mit diesem Integrationsgesetz – ich möchte es Integrationspflichtgesetz nennen – einen deutlichen Fortschritt machen, wenn es darum geht, Hunderttausenden von Migranten und Flüchtlingen Angebote zu unterbreiten, sich aktiv in die deutsche Gesellschaft einzubringen, sich aktiv in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Ich sage in aller Deutlichkeit, dass der Staat die Verpflichtung hat, ausreichende Angebote zu unterbreiten. Aber es gibt auch die berechtigte Erwartungshaltung gegenüber den Flüchtlingen und den Migranten, von diesen Angeboten dann bitte schön auch Gebrauch zu machen. Ich möchte auch dem Eindruck entgegenwirken, dass wir erst heute mit Beratungen zum Thema Integration beginnen. Dieses Thema steht seit 2005 auf der Agenda der Bundesregierung. Seit Angela Merkel Bundeskanzlerin ist, seit die Union wieder in der Bundesregierung ist, hat das Thema Integration die Bedeutung in der Bundespolitik erhalten, die es verdient. Es gibt seit 2005 einen Staatsminister für Integration, einen Nationalen Integrationsplan, einen jährlichen Integrationsgipfel. Aber zur Wahrheit gehört auch – das hat sich insbesondere in den letzten Monaten herausgestellt –, dass es aufgrund der deutlichen Zunahme der Zahl an Flüchtlingen, die zu uns gekommen sind, einen deutlich weiteren Bedarf gibt. Der große Vorteil dieses Gesetzes, das uns im Entwurf vorliegt, ist der, dass erstmals das sehr weite Themenfeld der Integration auf die jeweiligen Gruppierungen spezifisch zugeschnitten wird. Es bedarf unterschiedlicher Angebote, je nachdem, ob jemand eine dauerhafte Bleibeperspektive hat oder ob er sich nur kurzfristig in unserem Land aufhält. Jemand, der eine langfristige bzw. dauerhafte Bleibeperspektive hat, muss Maßnahmen angeboten bekommen, die es ihm ermöglichen, sich aktiv in den deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Aber auch Personen, die kein Recht auf Asyl zugestanden bekommen, denen kein Flüchtlingsstatus zuerkannt werden kann, müssen in unserem Land human behandelt werden. Sie haben aus meiner Sicht das Recht, solange sie sich in unserem Land aufhalten, Angebote unterbreitet zu bekommen, die es ihnen ermöglichen, zum einen die Zeit sinnvoll zu nutzen und zum anderen für ihr späteres Leben in ihrem Heimatland oder anderswo Fähigkeiten vermittelt zu bekommen, die ihnen die Chance bieten, in ihrem neuen Aufenthaltsland Fuß zu fassen. Diese spezifischen Angebote, die mit diesem Gesetz ermöglicht werden, sind wirklich ein sehr erheblicher und auch erfreulicher Fortschritt. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist auch eine deutliche Verbesserung, dass wir jetzt die klare Vorgabe machen, dass, wenn Deutschkurse angeboten werden, diese auch innerhalb eines Jahres begonnen werden müssen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass viele, die einen solchen Anspruch hatten, innerhalb des ersten Jahres keinen Gebrauch davon gemacht haben. Wir haben aber keine Zeit zu verlieren. Wir sind hier als Bund unserer Verantwortung gerecht geworden und haben allein vom letzten Jahr auf dieses Jahr die Mittel für Integrations- und Deutschkurse von 269 Millionen Euro auf 558 Millionen Euro mehr als verdoppelt. Allein in diesem Jahr gibt es 300 000 neue Teilnehmer an Integrations- und Deutschkursen. Es werden 5 000 zusätzliche Deutschlehrer zertifiziert. Wir als Bund tun hier das Unsrige. Ich füge ganz offen hinzu: Auch die Länder sind beim Thema Integration gefordert und können nicht einseitig auf uns, den Bund, verweisen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ein erheblicher Fortschritt ist, dass wir die Niederlassungserlaubnis neu regeln. In Zukunft werden Asylbewerber und Flüchtlinge nicht automatisch voraussetzungs- und bedingungslos nach drei Jahren ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht bekommen. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich unserem bisherigen Kollegen Thomas Strobl, der heute sein Bundestagsmandat zurückgibt, danken. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Inge Höger [DIE LINKE]) Er war der Erste, der darauf hingewiesen hat, dass es nicht angehen kann, dass Flüchtlinge und Asylbewerber gegenüber anderen Ausländern privilegiert werden. Es ist ein erheblicher Fortschritt, dass wir nun deutlich machen: Ein dauerhaftes, unbefristetes Aufenthaltsrecht für Asylbewerber und Flüchtlinge kann es nur geben, wenn ausreichende Deutschkenntnisse nachgewiesen werden und wenn für den eigenen Lebensunterhalt überwiegend selbst gesorgt wird. (Beifall bei der CDU/CSU) Zur Wohnsitzauflage ist schon einiges gesagt worden. Es gehört zur Wahrheit – das haben insbesondere die letzten Monate gezeigt –, dass sich viele Flüchtlinge und Asylbewerber auf einige wenige Ballungszentren und Großstädte konzentrieren, zum Beispiel die Afghanen schwerpunktmäßig auf Hamburg oder das Rhein-Main-Gebiet. Das ist vollkommen nachvollziehbar und menschlich verständlich. Schließlich wohnen dort in der Regel viele afghanische Verwandte, Bekannte und Freunde. Aber dort sind leider Gottes nicht immer Arbeitsplätze in ausreichender Zahl vorhanden. Deshalb ist es aus meiner Sicht richtig, dass wir den Ländern die Möglichkeit geben – das ist keine Verpflichtung –, eine Wohnsitzauflage für zumindest drei Jahre anzuordnen, wenn sie der Auffassung sind, dass das aufgrund integrationspolitischer Erwägungen sinnvoll und erforderlich ist. Ich glaube, das wird den berechtigten Wünschen der betroffenen Kommunen und Länder in ausreichendem Maß gerecht. (Beifall bei der CDU/CSU) Ein insbesondere in der Wirtschaft langgehegter Wunsch ist die sogenannte Drei-plus-zwei-Regelung. Sie wird nun in dieses Gesetz implementiert. Um den Wirtschafts- und Handwerksbetrieben, aber auch den betroffenen Flüchtlingen Rechts- und Planungssicherheit zu geben, wird nun klargestellt, dass zumindest für drei Jahre eine Duldung ausgesprochen werden kann, wenn die Ausbildung ernsthaft betrieben wird. Das ist im Sinne aller Beteiligten. Es ist auch richtig, dass dann, wenn die Ausbildung erfolgreich abgeschlossen wird – das ist wohlgemerkt die Voraussetzung –, die Möglichkeit besteht, sich in einem Zeitrahmen von sechs Monaten einen Anschlussarbeitsvertrag zu suchen, um dann eine Anschlussduldung für weitere zwei Jahre zu erhalten. Wir stehen zu dieser Regelung. Sie ist gut und ist insbesondere im Sinne junger, heranwachsender Flüchtlinge, die die Zeit in Deutschland nutzen sollen, um eine Berufsausbildung zu absolvieren. Wir müssen aber nun im parlamentarischen Verfahren darauf achten, dass es insbesondere bei der Drei-plus-zwei-Regelung nicht zu missbräuchlichen Gestaltungen kommt. Wenn eine Überstellung in ein anderes EU-Land oder eine Abschiebung angeordnet und konkret erwogen wird, dann darf nicht schnell ein Anstellungs- oder Ausbildungsvertrag vorgelegt werden, nur um die Überstellung oder die Abschiebung zu verhindern. Nach meiner Auffassung wird es eine Aufgabe im parlamentarischen Verfahren sein, insbesondere in § 60a des Aufenthaltsgesetzes darauf zu achten, dass es nicht zu einer missbräuchlichen Inanspruchnahme dieser an sich richtigen Regelung kommen kann. Ich glaube, dass dieser Gesetzentwurf einen erheblichen Fortschritt darstellt, wenn es darum geht, mit den epochalen Herausforderungen der Flüchtlingskrise und der Integration von Hunderttausenden Flüchtlingen in Deutschland zurechtzukommen. Deshalb sollten wir diesen Gesetzentwurf positiv annehmen und die nun erfolgenden parlamentarischen Verhandlungen in der gebotenen Seriosität, aber auch Zügigkeit führen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Zum Schluss dieser Debatte erhält der Kollege Sebastian Hartmann das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sebastian Hartmann (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon einiges zur Einordnung des ersten Integrationsgesetzes in Deutschland gesagt worden. Ich halte mich mit der historischen Einordnung zurück. Etwas kritisch ist die Opposition. Ich sage Ihnen: Seien Sie nicht so kritisch! Schauen Sie sich das Gesetz zuerst genau an. Das ist die dringende Empfehlung, die ich nur unterstreichen kann. Es gibt zwei Vergleichsmöglichkeiten. Einerseits kann man ganz klar auf das Einwanderungsgesetz verweisen. Das ist in der Debatte geschehen. Der zweite ganz wesentliche Punkt ist aber, dass wir, wenn wir den Zeitrahmen vergleichen, doch viel schneller sind als bei den Beratungen des Zuwanderungsgesetzes, die sich immerhin von 2001 bis 2005 hingezogen haben. Mit dem Integrationsgesetz 2016 machen wir einen ganz großen Schritt, und das kann man nicht hoch genug einschätzen. (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Hartmann, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck zu? Sebastian Hartmann (SPD): Ja, gerne. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie haben die Opposition aufgefordert, ins Gesetz zu schauen. Das habe ich mir zu Herzen genommen. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Endlich! – Zurufe von der SPD: Erst jetzt?) Ich möchte Sie fragen, weil das Bundesinnenministerium uns das am Mittwoch nicht beantworten konnte: Wo ist die Regelung des § 29 Absatz 2 Asylgesetz, nach der ein Asylbewerber, der aus einem sicheren Drittstaat kommt, nach drei Monaten den Anspruch hat, dass sein Asylverfahren hier in Deutschland betrieben wird, wenn er bis dahin nicht aus dem Land geschafft werden konnte? Ist die Regelung weg? Ist das gewollt? (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Wenn sie nicht mehr drin ist, ist sie weg!) Oder habe ich sie einfach nicht gefunden? Sebastian Hartmann (SPD): Lieber Herr Kollege Beck, vielen Dank für Ihre Frage. Ich habe sehr lange an dem Forum Menschenrechte teilgenommen, an dem auch Sie zeitweilig teilgenommen haben. (Zurufe von Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) – Diese Bemerkung muss dann aber auch erlaubt sein. – Danke, dass Sie die Frage aufwerfen. So kann man das in der parlamentarischen Beratung für alle Beteiligten deutlich machen. Sie haben die Frage an die Bundesregierung gerichtet, weil Pro Asyl diese Frage aufgeworfen hatte. Die Bundesregierung hat Ausführungen über die Unbeachtlichkeit eines Antrages, die Unzulässigkeit eines Antrages und über die rechtssystematische Gleichstellung gemacht und dargelegt, dass es aus Sicht der Bundesregierung – der Innenminister nickt an dieser Stelle – um eine Rechtsklarstellung geht. Das hat die Regierung deutlich gesagt. Ich habe mir eine Notiz gemacht. Wir beginnen heute mit den Beratungen des Integrationsgesetzes. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war nicht meine Frage!) – Ich beantworte Ihre Frage. Sie müssen aber auch zuhören, Herr Beck. Ich glaube, das ist die minimale Anforderung an jeden, der an der parlamentarischen Beratung teilnimmt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich verlasse mich auf die Aussage – da spreche ich für viele Kolleginnen und Kollegen –, dass es um eine Rechtsklarstellung geht und nicht um einen Abbau von Rechten von Menschen, die in einem Asylverfahren auf den Rechtsstaat vertrauen. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war aber nicht die Frage! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Frage war: Wo ist § 29 Absatz 2?) Wir werden darauf achten, dass es eine Rechtsklarstellung ist. Messen Sie uns doch an der Aussage, die vom Innenministerium getroffen worden ist. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann ja nicht sein, wenn die Regelung fort ist!) – Wieso kann das nicht sein, Herr Beck, wenn es eine Angleichung an andere Verfahren ist? – Sie haben das im Zusammenhang mit dem EU-Türkei-Abkommen gesagt. Es geht uns darum, dass der Rechtsstand, den wir vor der Einbringung des Entwurfes hatten, erhalten bleibt. Das ist der Punkt. Das war der Diskussionsstand. Wir beginnen heute mit den Beratungen. Ich schlage vor, dass wir dann, wenn wir den Gesetzentwurf abschließend beraten, genau diese Frage beantworten. Es wäre schön, wenn Sie sich dann dem anschließen könnten, was wir hier gerade gesagt haben. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die SPD hat sich erfolgreich in den Verhandlungen dafür eingesetzt, dass Rechte und Pflichten miteinander im Einklang stehen. Das eine bedingt untrennbar das andere. Das Integrationsgesetz ist ein ganz wesentlicher Schritt, um für die Integration einen klaren rechtlichen Rahmen zu schaffen. Aber wir wissen auch, dass eine erfolgreiche Integration eine klare Orientierung und ein klares Leitbild braucht. Dieses Leitbild müssen wir gemeinsam entwerfen. Das ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen. Deswegen geht mein Dank insbesondere an die Kommunen, in denen ein großes ehrenamtliches Engagement zu finden ist. Ich erinnere auch an die Katastrophenfälle durch die Unwetter, die wir jetzt in unserem Land haben. Auch da sehen wir das ehrenamtliche Engagement, das unser Land vorangebracht hat. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir werden dem auf Bundesebene auch gerecht. Wir tragen unseren Teil bei, indem wir nationale und europäische Lösungen anbieten. Wir steuern die Verfahren über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, und wir übernehmen die finanzielle Verantwortung für diese Aufgabe. Einen ganz zentralen Schritt aber gehen wir heute, indem wir gute Rahmenbedingungen für die Integration auf Bundesebene setzen, und zwar mit diesem Gesetz. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Einen Punkt möchte ich besonders herausstreichen. Ich komme aus Nordrhein-Westfalen. Kollegen der Linken und der Grünen, da kann man nur klatschen, wenn man aus NRW kommt. (Beifall des Abg. Mahmut Özdemir [Duisburg] [SPD]) – Danke, Herr Kollege Mahmut Özdemir. – Nordrhein-Westfalen wurde von der Financial Times Deutschland zur Zukunftsregion Nummer 1 gewählt. In Nordrhein-Westfalen gibt es mehr Investitionen – die Statistik der Bundesbank weist das aus – als in Baden-Württemberg und Bayern zusammen. Nordrhein-Westfalen ist auch ein beliebtes Ziel der EU-Binnenwanderung. Genau darum nehmen wir eine Wohnsitzzuweisung auf Zeit vor. Wir wollen den Prozess steuern, damit in Metropolräumen, zum Beispiel an Rhein und Ruhr, Luft geholt werden kann, um Wohnen und Arbeiten zusammenzubringen. Ich komme aus dem ländlichen Raum Nordrhein-Westfalens. Auch dort kann man gut leben und arbeiten. Darum brauchen wir in Abstimmung mit den Ländern und den Kommunen diese wichtige Wohnsitzauflage. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lassen Sie mich abschließend sagen: Wir schaffen ein faires Angebot. Wir gehen einen weiteren Schritt und setzen die Rahmenbedingungen für gelingende Integration, indem wir Rechte und Pflichten im Integrationsprozess miteinander in Einklang bringen. Wir bieten allen Integrationswilligen und Integrationsbegierigen in unserem Land ein faires und gerechtes Verfahren im Integrationsprozess und schaffen so ein gemeinsames Fundament für Erfolg – nicht nur für die integrationswilligen und integrationsbegierigen Flüchtlinge, sondern auch für uns Deutsche. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf der Drucksache 18/8615 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann stelle ich Ihr Einverständnis fest, und die Überweisung ist so beschlossen. Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 27: Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom Koenigs, Omid Nouripour, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Eine Menschheit, gemeinsame Verantwortung – Für eine flexible, wirksame und zuverlässige humanitäre Hilfe Drucksache 18/8619 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f) Auswärtiger Ausschuss Auch zu dieser Debatte ist nach einer interfraktionellen Vereinbarung eine 60-minütige Aussprache vorgesehen. – Offenkundig ist das einvernehmlich. Dann verfahren wir so. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Tom Koenigs für die Antragstellerin. Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Herausforderungen an die humanitäre Hilfe sind exponentiell gestiegen. Der weltweite Bedarf an humanitären Hilfsleistungen ist zwischen 2005 und 2016 um das Vierfache gestiegen. Die Summe aller koordinierten Appelle der Vereinten Nationen in diesem Jahr für 88 Millionen Menschen in 38 Ländern ist auf 20,1 Milliarden Dollar gestiegen. Gleichzeitig gibt es für 2015 die größte Finanzierungslücke mit 8,7 Milliarden Dollar. 42 Prozent der ärmsten Menschen leben heute in konfliktbetroffenen, fragilen Staaten. 80 Prozent aller Krisen, die internationale Hilfe erfordern, sind bewaffnete Konflikte oder komplexe Notlagen. Das heißt, wir können nicht mit denselben Antworten auf diese immens gewachsenen Probleme reagieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Martin Patzelt [CDU/CSU]) Dem haben sich die Vereinten Nationen gestellt. Der Humanitäre Weltgipfel kam genau im richtigen Moment. 9 000 Teilnehmer aus 173 Staaten, 55 Staats- und Regierungschefs waren dort; es gab Tausende von Teilnehmern aus der Zivilgesellschaft. Das war das größte Zusammentreffen von Staaten und NGOs in den 70 Jahren des Bestehens der Vereinten Nationen. Die Debatte wurde eröffnet durch das vorbereitende Papier des Generalsekretärs „One Humanity: Shared Responsibility“. Schon dieses Papier hat Zeichen gesetzt. Humanitäre Hilfe heißt heute nicht nur humanitäre Nothilfe; es heißt immer mehr Führung, Gestaltung, Initiative und Investitionen in die Menschen. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen hat Fortschritte in fünf Bereichen angemahnt: Krisenprävention, humanitäres Völkerrecht und Menschenrechte, Flüchtlingspolitik, Wirksamkeit der Hilfe und finanzielles Engagement. Die humanitären Katastrophen sind heute in der Regel menschengemacht: durch Kriege und Konflikte, krasse Missachtung von humanitärem Völkerrecht, direkte und geplante Angriffe auf Zivilisten, fehlende Einigkeit der internationalen Gemeinschaft in der Flüchtlingsfrage – nicht solche Petitessen wie der Streit zwischen Bayern und der Kanzlerin – und Maßnahmen gegen den Klimawandel. Im Zentrum der Bemühungen dürfen nicht Organisationen und Staaten, sondern müssen die Betroffenen, die Notleidenden stehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es zeigt sich, dass Zelte und Nahrungsmittel zwar im ersten Moment notwendig sind, Flüchtlinge bleiben aber im Durchschnitt 17 Jahre in den Ländern, wo sie dann landen. Das heißt, diese allererste, sicher wichtige Nothilfe reicht nicht aus. Es muss eine Verzahnung geben zwischen schneller Nothilfe und nachhaltigen Rehabilitations- und Entwicklungsmaßnahmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Erkenntnis, dass die Aufnahme größerer Flüchtlingskontingente ein „common public good“ ist, das Anerkennung sowie politische und finanzielle Unterstützung verdient, wächst nur langsam. Wir lernen das beim Libanon, bei Jordanien, aber auch bei Pakistan, Kenia, Tansania. Das sind die Länder, die die meisten Flüchtlinge aufnehmen. Wir machen gerade unsere Erfahrungen mit der Türkei, ebenfalls einem der größten Aufnahmeländer von Flüchtlingen. Was wir in Europa machen, wird natürlich von diesen Ländern ganz genau beobachtet. Und wenn ein kleines oder großes Land die Grenzen schließt, muss man sich überlegen, was das dann als Symbol für Länder, die Millionen von Flüchtlingen aufnehmen, heißt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das wird Nachahmer finden. Deshalb muss Deutschland mehr als ein verlässlicher Geber sein. Wir müssen die internationale humanitäre Politik aktiv mitgestalten, Reformen anstoßen und auch voranbringen. Der Humanitäre Weltgipfel hat Anstöße gegeben durch Anregungen, Versprechungen und Initiativen. Aber es braucht die Langfristigkeit, die Nachhaltigkeit und den Gestaltungswillen führender Staaten und führender Politikerinnen und Politiker. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Frank Schwabe [SPD]) Bei diesem Gipfel war Deutschland prominent vertreten. Der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses hat teilgenommen, die Bundeskanzlerin, der Bundesaußenminister und der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sind sogar heute hier!) Das ist bemerkt und auch gelobt worden, bis hin zur New York Times. Wir dürfen aber nicht nur einer der größten Zahler sein. Vielmehr müssen wir immer mehr auch zu einem der Gestalter werden. Das ist noch nicht so richtig angekommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Botschaften des Humanitären Gipfels waren: Humanitäre Hilfe darf nicht länger Antwort auf weltweite politische Passivität und Substitut für fehlende politische Entscheidungen sein. Die notleidenden Menschen müssen im Mittelpunkt stehen; die Instrumente zur Behebung der Not müssen verzahnt werden, man muss auf gemeinsame Ziele hinweisen. Die Weltgemeinschaft steht diesbezüglich erst am Beginn. Das heißt, auch die Debatte braucht Nachhaltigkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 42 Prozent aller Menschen in Not leben in fragilen Staaten. Das heißt, die Konfliktprävention bedarf eines viel größeren Impulses. Wir müssen mehr auf die lokalen Systeme setzen, statt sie zu ersetzen. (Michael Brand [CDU/CSU]: So ist das!) Ich glaube, es ist richtig, wenn die Vereinten Nationen anfangen und ihre acht größten Organisationen in einer gemeinsamen Anstrengung zusammenbringen, um die Planung, die Umsetzung und die Instrumente gemeinsam zu diskutieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Diese Reformen müssen auch in den Mitgliedsländern erfolgen. Auch wir müssen besser planen und eine gemeinsame kohärente, mehrjährige, ressortübergreifende Nutzung der Instrumente finden. Die Einhaltung des internationalen humanitären Völkerrechts ist keine Selbstverständlichkeit. Allein in Syrien sind in der letzten Zeit 370 Angriffe auf Krankenhäuser und Gesundheitsstationen erfolgt. 650 medizinische Helfer sind dem zum Opfer gefallen. Aber wir müssen auch dieses Recht weiter gestalten. Einige Staaten, geführt von Österreich, haben auf dem Gipfel eine Initiative lanciert, um die Verwendung von explosiven Waffen in dichtbesiedelten Gebieten zu stoppen. Diese Waffen sind die Pest in Aleppo bzw. in Syrien insgesamt. Das muss aufhören. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Martin Patzelt [CDU/CSU]) Es gab eine Initiative dazu. Deutschland hat sie nicht unterstützt. Ich frage, warum. Das wäre ein Beitrag zum humanitären Völkerrecht gewesen. Ein Follow-up – und wir haben viele Follow-ups in unserem Antrag – könnte auch sein, dass wir im institutionellen Bereich unsere Expertise, unsere Kapazität im Hinblick auf Diskussion, Innovation und Reform verbessern. Business as usual kann es nicht sein. Im Bereich der Menschenrechte haben wir das Deutsche Institut für Menschenrechte, eine sehr segensreiche, unabhängige Institution. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Frank Schwabe [SPD]) Im Bereich der humanitären Hilfe haben wir nichts Vergleichbares. Wir sollten darüber nachdenken, ob hier nicht ein Thinktank, ein Laboratorium der Ideen, das die humanitäre Hilfe inspiriert, evaluiert und verstärkt, an der Zeit ist. Ob es nun Institut für humanitäre Hilfe oder Institut für humanitäre Angelegenheiten – also weiter gedacht – heißen soll, kann man diskutieren. Aber es muss in europäische Strukturen eingebunden sein, Debatten in die Öffentlichkeit tragen, aber auch Debatten aus der Öffentlichkeit aufnehmen, wie es das Deutsche Institut für Menschenrechte tut. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich glaube, auch die deutsche humanitäre Hilfe verträgt eine regelmäßige Evaluation und eine intensive und dauernde hochrangige Diskussion im Menschenrechtsausschuss. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Martin Patzelt [CDU/CSU]) Es ist an der Zeit, über ein solches Institut, eine Institutionalisierung der Innovation, der Innovationsfähigkeit und auch der Einmischung, in der Folge des Humanitären Weltgipfels ernsthaft nachzudenken. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Erika Steinbach ist die nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Erika Steinbach (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor drei Jahren waren 40 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht oder als Migranten unterwegs. Vor zwei Jahren waren es schon 50 Millionen Menschen. Heute sind es bereits 60 Millionen, manche sprechen sogar schon von 70 Millionen. Die Zahl der bedrängten Menschen, die ihre Heimat aus den unterschiedlichsten Gründen verlassen mussten oder in existenzbedrohenden Situationen in der Heimat leben, steigt und steigt deutlich erkennbar weiter an. Der Bedarf an humanitärer Hilfe, um überhaupt die ärgste Not zu lindern – da geht es nicht um Luxushilfe, sondern um Überlebenshilfe –, hat sich von 2012 bis 2015 auf 20 Milliarden USDollar verdoppelt. Immer wieder erleben wir aber, dass die nötigen Mittel, die zur Hilfe gebraucht werden, nicht rechtzeitig oder auch nicht ausreichend zur Verfügung gestellt werden. Darum war es gut – ich glaube, es war sogar überfällig; aber die Vorbereitung dauerte drei Jahre –, dass der Humanitäre Weltgipfel stattgefunden hat in einer Zeit, in der jeder die Probleme sehen kann – wie auch wir tagtäglich auf den Bildschirmen. Angesichts der Vielzahl an Krisen und Konflikten und angesichts der Tatsache, dass über die Flüchtlinge hinaus weitere Menschen in ihrer Heimat dringend auf Hilfe der Vereinten Nationen angewiesen sind, war die Initiative des Weltgipfels dringend erforderlich. Man geht insgesamt von 125 Millionen Menschen aus, die zum nackten Überleben Hilfe benötigen. Staaten und Zivilgesellschaften sind bei diesem ersten Humanitären Weltgipfel zusammengekommen, um Wege und Möglichkeiten zu finden, den humanitären Bedürfnissen in einer sich rasch verändernden Welt besser und auch schneller gerecht zu werden. Unsere Bundesregierung – das war sehr erfreulich – war im Gegensatz zu den fünf Vetomächten des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen hochrangigst vertreten: Die Bundeskanzlerin war da, ebenso der Bundesaußenminister, der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, und Kollegen waren auch dabei. Das war ein deutliches Signal, zu zeigen, für wie brisant wir aus deutscher Perspektive dieses Thema halten. Es war gut, dass wir so hervorragend vertreten waren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dieser Gipfel war keine Geberkonferenz, in der ausschließlich über finanzielle Hilfen verhandelt wurde. Es ging um ganz Grundsätzliches. Aber Deutschland hat dennoch zugesagt, seinen Beitrag für den Nothilfefonds der Vereinten Nationen um 10 Millionen Euro auf 50 Millionen Euro anzuheben. Der Fonds soll, ja er muss sogar – das betrifft alle Staaten – dringend auf insgesamt 1 Milliarde Dollar verdoppelt werden, um überhaupt allen Menschen helfen zu können. Deutschland ist in diesem Jahr mit einem Beitrag von rund 1,3 Milliarden Euro der drittgrößte internationale Geber und hat als Vorreiter für innovative humanitäre Hilfe den Weltgipfel von Beginn an auch inhaltlich mitgeprägt. Obgleich die Summe der international bereitgestellten und zugesagten Hilfen seit Jahren steigt, decken die Mittel bei weitem nicht den Bedarf; denn im Schnitt kommen jährlich nur rund zwei Drittel der von den Vereinten Nationen benötigten Gelder tatsächlich zusammen und herein. Viele der Länder, die zugesagt haben, etwas zu leisten, zahlen ganz einfach nicht. Noch nie war die Finanzierungslücke für Nothilfe so groß wie im vergangenen Jahr. 2015 kamen nur 55 Prozent des benötigten und seitens der Staaten auch zugesagten Geldes zusammen. Auch in den ersten fünf Monaten dieses Jahres ging erst ein Fünftel des Budgets ein. Für die Bedürftigen bedeutet weniger Geld im Gesamttopf ganz konkret natürlich auch weniger Hilfe. So mussten 2015 die Lebensmittelhilfen für syrische Flüchtlinge im Nahen Osten deutlich gekürzt werden. Am Ende blieben Flüchtlingen zum Beispiel in Jordanien zeitweise umgerechnet nur etwa 50 Cent pro Tag für Nahrung. 50 Cent pro Tag! Dies war eine wesentliche Ursache dafür, dass sich im vergangenen Jahr über 1 Million Menschen auf den Weg nach Deutschland und Europa gemacht haben. Das darf sich so nicht wiederholen. Deutschland stellt sich seiner internationalen Verantwortung und geht mit gutem Beispiel voran. Aber wir müssen erreichen, dass auch die anderen Staaten ihre Verpflichtungen am Ende erfüllen. Diese Zusagen müssen eingehalten werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Das ist letztendlich auch im Interesse aller – der Betroffenen, die Hilfe brauchen, aber auch der Länder, die Hilfe geben; denn man kann von vornherein Flüchtlingsströme vermeiden und den Menschen die Heimatnähe besser erhalten. Deutschland setzt sich ja seit langem für einen Paradigmenwechsel in der humanitären Hilfe ein. Wir wollen eine vorausschauende Hilfe, die Betroffenen, wo immer möglich, in den Krisengebieten stärken, damit sie dort verbleiben können und es ihnen möglich ist, in der Nähe ihrer Heimat zu bleiben, und dass sie sich eben nicht auf lebensgefährliche Fluchtwege begeben müssen. Wir sehen ja Tag für Tag, dass im Mittelmeer Menschen ertrinken – auch in den letzten Tagen wieder. Wie das große Engagement der Bundesregierung zur Bewältigung der humanitären Krise infolge der Gewalt in Syrien und im Irak zeigt, findet bereits heute eine enge Verzahnung von humanitärer Hilfe mit Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit statt. Die Ministerien arbeiten sehr gut zusammen. Grundsätzlich muss es, liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Ziel sein, den Opfern von Flucht und Vertreibung und den Migranten möglichst heimatnah zu helfen. Das ist der richtige Weg sowohl für die betroffenen Menschen als auch für unseren Kontinent. Denn eines wissen wir auch: Die weltweiten Migrationsströme, die Flüchtlingsbewegungen können weder in der Europäischen Union noch in ganz Europa noch in Deutschland geheilt werden. Vor diesem Hintergrund war es eine hervorragende Sache, dass der Humanitäre Weltgipfel gerade jetzt, in dieser Zeit, mit einem intensiven deutschen Engagement stattgefunden hat. Dass sich Deutschland so hochrangig dort hinbegeben hat, ist ein Zeichen, dass wir dieses Thema auch ernst nehmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Inge Höger ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Inge Höger (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 1 500 Zusagen und Selbstverpflichtungen präsentierte UN-Generalsekretär Ban Ki-moon am Ende des Humanitären Weltgipfels in Istanbul vor gut einer Woche. Neben zahlreichen finanziellen Versprechungen kündeten die unterzeichnenden Staaten und Organisationen an, zukünftig der Achtung des humanitären Völkerrechts mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Das klingt gut und ist dringend notwendig. Doch kein einziger dieser zahllosen Merkposten wurde verbindlich beschlossen. Es handelt sich bei allem um Absichtserklärungen, um Papier, um teures Papier. Der Gipfel in Istanbul war eine Chance, den aktuellen humanitären Krisen entschieden zu begegnen. Diese Chance wurde jedoch weitgehend verspielt. Angesichts der Notlagen in den Flüchtlingscamps, des Sterbens an den Grenzen Europas, der andauernden Kriege und der zunehmend dramatischeren Folgen des Klimawandels sind die Antworten des Gipfels beschämend unkonkret. (Beifall bei der LINKEN) Das Wichtigste wären verbindliche Absprachen darüber, dass humanitäre Hilfe in Notlagen unparteiisch und neutral bei all den Menschen ankommt, die Hilfe brauchen. Doch bereits der Ort des Gipfels, Istanbul, war ein politisches Problem. Präsident Erdogan setzt seine autoritäre Politik immer ungenierter durch. Er bekämpft seine politischen Gegner mit aller Brutalität. In den kurdischen Gebieten sind schon Tausende Menschen ums Leben gekommen, überwiegend Angehörige der Zivilbevölkerung; genaue Angaben haben wir nicht, da auch die Presse mit aller Härte bekämpft wird. In zwei Wahlen hat Erdogan versucht, die linke Opposition aus dem Parlament zu drängen. Da dies nicht funktionierte, hat er wenige Tage vor dem Gipfel die Immunität der HDP-Abgeordneten aufheben lassen. Nun kann er sie mit willkürlichen Verfahren ebenso ins Gefängnis schicken wie bereits zahllose Journalistinnen und Journalisten sowie weitere Oppositionelle. Erdogan lässt an den Grenzen auf Flüchtlinge schießen und zerstört die Demokratie im eigenen Land. Er schafft fortwährend neue Fluchtgründe. Und was macht die deutsche Regierung? Sie versucht, den Streit in der Koalition über die Flüchtlingspolitik dadurch zu lösen, dass sie Erdogan für die Abschottung der Außengrenzen der EU Milliarden in den Rachen wirft. Diese Politik ist eine Schande. (Beifall bei der LINKEN) Ein glaubwürdiger Gastgeber für ehrlich gemeinte humanitäre Politik ist Erdogan, der Flüchtlinge zwischenzeitlich sogar ins Kriegsgebiet zurückschicken lässt, bestimmt nicht. Doch zurück zu den weltweiten humanitären Herausforderungen. Laut Angaben des Gipfelsprechers stammen 92 Prozent aller Kriegsopfer aus der Zivilbevölkerung und sind mindestens 125 Millionen Menschen weltweit auf humanitäre Hilfe angewiesen. Wenn nicht bald die Weichen hin zu zivilen Ansätzen für Konfliktbearbeitung, für eine verantwortungsvolle Klimapolitik und für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung gestellt werden, dann könnte die Zahl der Hilfsbedürftigen noch deutlich größer werden. Das ist keine Zeit für unverbindliche Ankündigungen. (Beifall bei der LINKEN) 37 Millionen Kinder aus Konfliktgebieten haben keinen Zugang zu Bildung. Nimmt man die Kinder dazu, die nur sporadisch Bildungsangebote erhalten, kommt man zu dem Ergebnis, dass etwa 75 Millionen keinen ausreichenden Zugang zu Bildung haben. Nicht einmal die Hälfte der Flüchtlingskinder in den Lagern rund um Syrien erhalten Schulunterricht. Es ist wichtig, diesen jungen Menschen, die eine unerträgliche Gegenwart durchleben, wenigstens eine Chance für die Zukunft zu geben. (Beifall bei der LINKEN) Zum Glück wurde das in Istanbul diskutiert. Auf dem Gipfel wurde ein Bildungsfonds mit dem passenden Titel „Bildung kann nicht warten“ beschlossen. Er soll mit einer Summe von 3,8 Milliarden Dollar in den kommenden fünf Jahren etwa 13 Millionen Kindern helfen. Das ist ein Anfang, aber es reicht bei weitem nicht. Wenn es dabei bleibt, dann muss der größte Teil der betroffenen Kinder nach wie vor auf Bildung warten. Das ist nicht zufriedenstellend. (Beifall bei der LINKEN) Es sind etwa 2 Milliarden Dollar pro Jahr für Bildungsprogramme notwendig. Für den Bildungsfonds ist nur ein Drittel dieser Summe zugesagt, aber nicht eingezahlt worden. Verschiedene Länder verquicken diese Zusage mit privaten Spendengeldern. So gibt etwa die britische Regierung eine Anschubfinanzierung von 30 Millionen Pfund. Weitere 100 Millionen Pfund sollen durch private Spenden kommen. Private Spendenbereitschaft ist schön, Hilfe darf aber nicht von dieser Bereitschaft abhängig sein. (Beifall bei der LINKEN) Die reichen Staaten sind in der Pflicht, die Strukturen der Hilfe so zu gestalten, dass sie zuverlässig und auch längerfristig zur Verfügung steht. Es geht hier tatsächlich um ein grundlegendes Problem der humanitären Hilfe. Es gibt zwar private Spendenbereitschaft, aber sie ist meistens nur kurzfristig für Themen und Regionen mobilisierbar, die gerade besonders im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Ein zuverlässiges Hilfesystem lässt sich so kaum organisieren. Ein anderes Thema: Kanzlerin Merkel lobte es als gutes Zeichen, dass viele Unternehmen an dem Gipfel teilnahmen. Die Bilder von dem Gipfel wirkten teilweise wie die einer großen Messe, auf der unterschiedlichste Unternehmen ihre Dienstleistungen auf dem wachsenden Markt der organisierten Hilfe anboten. Aus humanitärer Sicht kann dies jedoch problematisch sein. Wenn Hilfe zum Geschäft wird, dann kann es schnell passieren, dass nicht mehr die Bedürfnisse der Menschen im Mittelpunkt stehen, sondern die Rentabilität die Entscheidung beeinflusst. (Beifall bei der LINKEN) Unser Fokus muss auf der Menschlichkeit und dem Recht der Menschen auf ein würdiges Leben und Überleben liegen. Lassen Sie mich angesichts der unsäglichen Äußerungen aus dem rechten Lager in diesem Land auch Folgendes sagen: Wir sehen Kinderaugen nicht als Erpressung, sondern als Verpflichtung. (Beifall bei der LINKEN) Auch Vereinbarungen zum Schutz von Helferinnen und Helfern sind dringend notwendig. Die Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ blieb dem Gipfel fern, weil dieses Thema nicht genügend ernst genommen wird. Es hilft auch nicht, wie Frau Merkel in ihrer Rede in Istanbul sagte, nur auf verschiedene Bürgerkriegsfraktionen zu zeigen, wenn gleichzeitig NATO-Verbündete, zum Beispiel in Afghanistan, Kliniken bombardieren. Vergleichbares passierte auch im Jemen, wo saudische Streitkräfte, gut ausgestattet mit westlichen Waffen, wiederholt Krankenhäuser bombardiert haben. Notwendig sind also klare Absprachen, das Völkerrecht einzuhalten und keine humanitären oder UN-Einrichtungen anzugreifen. (Beifall bei der LINKEN) Die Kriegspolitik der NATO-Staaten muss beendet werden. Sie sind lange genug mit schlechtem Beispiel vorangegangen. Wichtig ist auch ein Stopp von Waffenlieferungen in Krisen- und Konfliktregionen. Waffenlieferungen sind keine Lösung, sondern Teil des Problems. Jede Waffe findet ihren Krieg. Notwendig sind ernsthafte Bemühungen um politische Lösungen zur Beendigung von Kriegen und Konflikten. Notwendig ist zivile Krisenprävention. (Beifall bei der LINKEN) Wie bereits erwähnt, sind weltweit etwa 129 Millionen Menschen auf die Hilfe der UN und ihrer Partner angewiesen. Von denen für humanitäre Hilfe nötigen 20 Milliarden Dollar für dieses Jahr ist höchstens ein Fünftel bei den UN angekommen. Es darf nicht sein, dass bis Ende des Jahres 2015 nur etwa die Hälfte der benötigten Gelder eintrifft. Es darf nicht sein, dass das Welternährungsprogramm kein Geld für die Hungernden im Jemen oder in Somalia hat, dass der Weltgesundheitsorganisation die Mittel zur rechtzeitigen Hilfe bei Gelbfieberepidemien in Zentralafrika fehlen oder die Lebensmittelrationen für die Flüchtlinge aus Syrien reduziert werden. All dies ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Armutszeugnis. Der Hinweis, dass Deutschland bereits zu den Ländern gehört, die sehr viel Geld für humanitäre Hilfe zur Verfügung stellen, lenkt da nur ein wenig ab. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt lag Deutschland im letzten Jahr hinter den skandinavischen Ländern. Schweden und Norwegen haben 0,13 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts gegeben und damit viermal so viel wie die Bundesrepublik, die etwa 0,03 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung gegeben hat. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen. Inge Höger (DIE LINKE): Ich stelle mir vor, dass man sich auf dem nächsten Humanitären Weltgipfel eindeutig darauf verpflichtet, dass die Weltgemeinschaft alle Ressourcen zur Verfügung stellt, die nötig sind, um die Not aller Menschen zu lindern, die Hilfe brauchen, ausnahmslos. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Bundesregierung erhält nun der Staatsminister Michael Roth das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 1,5 Milliarden Menschen leben in Krisengebieten. 125 Millionen Menschen sind auf akute Nothilfe angewiesen, und mehr als 60 Millionen Menschen sind auf der Flucht. Das sind erschreckende Zahlen. Sie erschrecken nicht nur uns hier im Bundestag, sie erschrecken viele Menschen, aber es darf nicht beim Erschrecken bleiben. Deshalb danke ich Ihnen allen auch dafür, dass es uns nicht zuletzt mit Ihrer Unterstützung gelungen ist, dem Thema Menschenrechte und humanitäre Hilfe mehr Bedeutung beizumessen. Sie haben dazu beigetragen, dass Deutschland zwischenzeitlich zum drittgrößten Geber im Bereich der humanitären Hilfe zählt. Wir werden in diesem Jahr 1,3 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Und wir alle wissen, liebe Kolleginnen und Kollegen, es reicht am Ende des Tages nicht. Die beschämende Situation des vergangenen Jahres ist schon beschrieben worden. Meine Zahlen, Herr Kollege Koenigs, sind noch schlimmer als die Ihrigen. Wir hatten im vergangenen Jahr eine Unterdeckung im Bereich der humanitären Hilfe von 15 Milliarden US-Dollar. Aber trotz aller Krisen, nicht nur der von Menschen gemachten Krisen, wie das Herr Koenigs eben sagte, sondern auch der Naturkatastrophen und des Klimawandels, von dem wir heute noch gar nicht wissen, was dieser für Menschen wirklich bedeutet, die in noch stärkerem Maße von Naturkatastrophen betroffen sein werden, ist mir wichtig, eines noch einmal zu unterstreichen: Unsere Menschenrechts- und Entwicklungspolitiker, diejenigen, die sich der internationalen Arbeit verpflichtet fühlen, die sich der Humanität verpflichtet fühlen, hatten in den vergangenen Jahren oftmals ein Akzeptanzproblem. Aber nicht zuletzt seitdem die Tragödien der Welt ein Gesicht bekommen haben und die Menschen zu uns kommen und uns an ihren tragischen Geschichten teilhaben lassen, ist das Bewusstsein der einen Welt gewachsen. Das Geld, die Hilfe, die Kreativität, der Mut und die Leistung, die wir außerhalb Europas investieren im Mittleren und Nahen Osten, in Afrika, in vielen leidgeplagten Regionen der Welt, sind gut angelegt. Deshalb freue ich mich, dass wir nicht nur hier im Bundestag eine politische Mehrheit für diese Politik haben. Nein, wir haben eine breite gesellschaftliche Mehrheit. Ich darf hinzufügen: Wenn das nur in anderen Politikbereichen genauso der Fall wäre. (Beifall bei der SPD) Als jemand, der selbst an einer Reihe von Geberkonferenzen teilgenommen hat, kann ich den Eindruck der Kolleginnen und Kollegen nur bestätigen: Auf Gipfeln etwas zuzusagen, ist relativ einfach. Es dann aber auch wirklich umzusetzen und die Mittel zur Verfügung zu stellen, ist ungleich schwieriger. Ich darf Ihnen aber auch versichern – ich bin mir ziemlich sicher, die meisten von Ihnen werden das bestätigen –, dass Deutschland als ein zuverlässiger Partner in der Welt gilt. (Beifall des Abg. Charles M. Huber [CDU/CSU] – Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) Unser Wort hat Gewicht, weil wir zu unseren Zusagen stehen. Eben ist deutlich gemacht worden, dass wir mehr tun müssen für Bildung. Genau darum geht es doch bei dem Abkommen mit der Türkei. Darum geht es im Libanon, wo wir in diesem Jahr etwa 330 Millionen Euro zur Verfügung stellen wollen. Wir haben uns nicht nur in Istanbul, sondern bereits auf der Geberkonferenz in London darauf verpflichtet, dass ab dem Schuljahr 2016/2017 jedes Flüchtlingskind die Chance auf ein Schulangebot erhält. Dafür wird das Geld investiert, und es ist deshalb auch dort gut angelegtes Geld, ob in der Türkei, im Libanon, in Jordanien oder auch in vielen anderen Ländern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Botschaft dieses Gipfels in Istanbul ist: Wir müssen raus aus dem permanenten Krisenmodus, bei dem wir immer nur von einer Katastrophe zur nächsten eilen. Unser Ziel für die Zukunft ist ein System, das auf längerfristiger Planung, vorausschauendem Handeln und solider Finanzierung beruht. Zur soliden Finanzierung habe ich schon etwas gesagt, und zur längerfristigen Planung vermag ich auch etwas zu sagen. Wir haben den gesamten Bereich der humanitären Hilfe auf Mehrjährigkeit ausgelegt. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir ergänzen das auch im Bereich der Stabilisierung. Wir haben vor allem die Mittel für Gemeinschaftsfonds ausgeweitet, um auch den Initiativen vor Ort die Planungssicherheit zu geben, die sie dringend brauchen. Also auch hier, finde ich, haben wir in Istanbul durchaus über die 170 Selbstverpflichtungen hinaus deutlich gemacht: Man darf nicht nur reden, sondern man kann auch konkret etwas tun. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lassen Sie mich noch einen weiteren Punkt benennen, der mich vermutlich am meisten umtreibt; auch da stehe ich nicht alleine. Istanbul hat auch ein klares Signal dafür gesetzt, dass es absolut inakzeptabel ist, die humanitären Prinzipien des Völkerrechts weiter mit Füßen zu treten. Es ist grauenhaft, zu erleben, dass – in Syrien und andernorts – Hilfsorganisationen nicht den Zugang haben, um Menschen mit dem Lebensnotwendigsten zu versorgen, dass Krankenhäuser und Schulen beschossen werden, dass Menschen, Kinder verhungern müssen, weil dem Deutschen Roten Kreuz, dem Roten Halbmond und vielen anderen Organisationen das Geld zwar zur Verfügung steht, aber das Geld eben nicht dort ankommt, wo es dringend gebraucht wird. Deshalb muss es uns tagtäglich darum gehen, das klare Signal von Istanbul immer wieder zu realisieren. Der humanitäre Zugang von Vertretern von Hilfsorganisationen in zivile Einrichtungen muss von allen gewährleistet und garantiert werden. So viel Grundverantwortung und so viel Mindestkonsens muss in dieser Welt doch möglich sein, um dafür zu sorgen, dass nicht am Ende noch die Kranken, die Kinder, die Schwachen, die, die sowieso schon den größten Preis zu zahlen haben, sterben und die Belasteten sind. Ich hoffe, dass in Istanbul wirklich alle diese Signale verstanden haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zum Schluss: Ja, es geht nicht nur um humanitäre Hilfe. Sie kann die politischen Lösungen nicht ersetzen. Aber auch hier stelle ich mich sehr selbstbewusst vor sie. Denn ob es nun Syrien ist, ob es die Ukraine ist, ob es Libyen ist, wir bemühen uns überall – nicht nur aus der Ferne, sondern in aktiver Teilnahme an den Verhandlungen – darum, dass Frieden und Stabilität nicht nur ein abstraktes Hoffnungsversprechen, sondern baldmöglichst wieder eine konkrete Zusage für viele Menschen auf dem Globus sein werden. Ich danke Ihnen dafür, dass Sie uns in dieser Politik entschieden und auch mit mancher konstruktiven Kritik unterstützen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Michael Brand erhält nun das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Michael Brand (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist mir heute bei dieser Debatte ein Anliegen, meine Rede anders zu beginnen und einen Mann zu würdigen, der es verdient hat, der nicht bloß von humanitärer Hilfe gesprochen, sondern konkret geholfen hat, und zwar den Bedürftigsten, denjenigen, die ums nackte Überleben kämpfen mussten. Er war unabhängig, er war unbequem. Er war auch umstritten, rastlos, oft unkonventionell und kompromisslos, aber immer hatte er den einzelnen Menschen im Blick. Es waren vermutlich gerade diese Eigenschaften, die auch notwendig waren, dass er dort helfen konnte, wo noch niemand oder nie ein Helfer war. Es waren sein Charakter und seine Haltung, die es tatsächlich geschafft haben, den öffentlichen Fokus auf weggeblendete Orte zu werfen und – das ist das Wichtigste – Menschenleben zu retten. Rupert Neudeck, der vor drei Tagen gestorben ist, war ein humanitärer Kämpfer. Er war ein Kämpfer für die Schwachen, ein kompromissloser Menschenfreund, ein Überzeugungstäter der guten Taten. Ich erinnere mich gut daran, als ich ihn mit Anfang 20 kennenlernte. Ich war damals bei einer Menschenrechtsorganisation in Bosnien-Herzegowina engagiert. Ich lernte ihn in Flüchtlingslagern in Albanien und in Mazedonien kennen. Ich erinnere mich an ein Ereignis. Es muss kurz vor Ostern 1999 in der Grenzstadt Blace in Mazedonien gewesen sein, als Hunderttausende von Flüchtlingen aus dem Kosovo dorthin vertrieben wurden. Der UNHCR hatte gesagt: Wir legen nach Ostern richtig los, weil jetzt die Feiertage sind. Rupert Neudeck stand dort fassungslos im Schlamm und sagte: Das darf alles nicht wahr sein. – Das war gleichzeitig der Antrieb, zu sagen: Wir packen jetzt hier an. Wir können es uns doch nicht ernsthaft leisten, jetzt in Urlaub zu gehen, wenn die Not am größten ist. Rupert Neudeck hat auf konkrete Vorschläge, wenn zum Beispiel, was oft geschieht, gesagt wurde: „Man müsste mal dies tun“ oder: „Man sollte mal jenes tun“, meist geantwortet: Warum fangen wir nicht einfach damit an? (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, er hat sich auch in die aktuelle Flüchtlingsdebatte eingemischt, manchmal auch alle politischen Lager überrascht. Das war auch der Fall, als er kürzlich sagte: Ich möchte nicht, dass Menschen für die Reinheit meines pazifistischen Gewissens sterben. Auch das hat manche irritiert. Sicher hätte er auch zu der heutigen Debatte manches zu sagen – wahrscheinlich auch manches Kopfschütteln. Lieber Rupert: Für alles, was du getan hast, ein herzliches „Vergelts Gott“! (Beifall im ganzen Hause) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Humanitäre Weltgipfel war – ich zitiere – „irgendwie doch mehr als Blabla“. So hat das Ereignis ein deutscher Journalist in Istanbul kommentiert. Er hat recht: Man darf den Gipfel nicht überhöhen, aber man darf ihn eben auch nicht kleinreden. Über 170 Staaten und rund 600 NGOs sind dem Ruf des UN-Generalsekretärs Ban Ki-moon in der letzten Woche gefolgt. Auch ich durfte als Vorsitzender des für humanitäre Hilfe zuständigen Bundestagsausschusses der deutschen Delegation angehören. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr gut!) Der Humanitäre Weltgipfel war eine Premiere. Und: Ja, er war auch bitter nötig. Nie gab es mehr Menschen, die Hilfe zum Überleben brauchen, nämlich 125 Millionen Menschen, davon 60 Millionen, die auf der Flucht sind. Das ist die größte Zahl seit dem Zweiten Weltkrieg. Angesichts zahlreicher und vor allen Dingen – lieber Herr Koenigs, Sie haben das gesagt – langandauernder Krisen und Katastrophen verzeichnen wir einen stark anwachsenden Bedarf bei der Finanzierung humanitärer Hilfe. Beim Umgang mit dieser Katastrophe geht es um nicht weniger als um einen Paradigmenwechsel. Die Perspektive der humanitären Hilfe muss sich künftig noch viel stärker verändern: von einer rein reaktiven Hilfeleistung nach einer Krise zu einem vorausschauenden Handeln zur Vermeidung von Krisen. Wir begrüßen sehr, dass die Bundesregierung hier wichtige Schritte getan hat, um sich auf diese Zäsur einzustellen. Der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe hat in dieser Wahlperiode vielfache Initiativen ergriffen – in öffentlichen Anhörungen und Expertengesprächen, national und international –, zu den Qualitätsstandards für die humanitäre Hilfe und auch jetzt zum Humanitären Weltgipfel und seinen Folgen. Dass Deutschland in Istanbul mit der Bundeskanzlerin, dem Außenminister und dem Entwicklungsminister hochrangig vertreten war, unterstreicht, dass die Dringlichkeit der Herausforderungen jedenfalls dort inzwischen angekommen ist. Dass aber die erste Reihe der anderen europäischen Regierungen durch Abwesenheit geglänzt hat – und das, obwohl wir in Europa eigentlich alle gemeinsam das größte Interesse haben sollten, zu gemeinsamen Lösungen zu kommen –, genauso wie die Vetomächte, kann ich nur als kurzsichtig und ignorant bezeichnen. Die Initiative für diesen Gipfel war und ist richtig, weil er bereits in der Vorbereitung einen dringend notwendigen Prozess der Veränderung in einer sich dynamisch verändernden Welt angestoßen hat. Gelöst ist nichts. Umso mehr kommt es jetzt, nach Istanbul, darauf an, gemeinsam konkrete Schritt umzusetzen. VENRO, der Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe deutscher Nichtregierungsorganisationen, hat recht: Das humanitäre System ist in seiner derzeitigen Struktur den gewaltigen Herausforderungen nicht gewachsen. Es ist unterfinanziert, agiert zu schwerfällig und zentralisiert. Wir brauchen deshalb – da stimme ich mit dem Kollegen Koenigs wieder überein – eine stärkere Dezentralisierung und Lokalisierung humanitärer Hilfe. Liebe Kolleginnen und Kollegen, was muss eigentlich noch passieren, dass nach großspurigen Ankündigungen auf internationalen Geberkonferenzen das zugesagte Geld auch dort ankommt, wo es am nötigsten gebraucht wird? Ich glaube, der Humanitäre Weltgipfel muss als Ausgangspunkt für eine konkrete und umfassende Reform des humanitären Systems genutzt werden. Wir alle müssen die Krise zum Wendepunkt machen und sie auch als Chance sehen, die Ursachen nicht länger und konsequent zu ignorieren. Niemand sollte sich einbilden, dass sich die Krisen von allein erledigen, dass man sie aussitzen könnte und es möglich wäre, so weiterzumachen wie bisher. Dass es so weit kommen konnte, zeigt auch, wo die Versäumnisse liegen. Jeder erinnert sich an den Dezember 2014 – der frühere UN-Flüchtlingskommissar Guterres hat es ja erwähnt –: Die Einstellung des World-Food-Programms für 1,7 Millionen Flüchtlinge war der eigentliche Auslöser für die Fluchtwelle. Wahr ist doch: Massenhaft Chancen, gnadenlos vergeigt! Viel zu lange haben wir alle akzeptiert, dass man Fakten einfach ignoriert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, niemand sollte heute – das ist eine andere Seite – unterschätzen, wie groß auch die Chancen sind, etwas zu bewirken, wenn diese Ursachen für Armut, Perspektivlosigkeit und Flucht aktiv, rechtzeitig und mit den richtigen Mitteln bekämpft werden. Der globale Bildungsfonds für Kinderflüchtlinge ist ein wichtiger Start. Eine verlorene Generation dürfen wir einfach nicht akzeptieren. Das hieße, sich an den jungen Menschen zu versündigen. Auch das wird eine Riesenherausforderung werden. Wir dürfen die Augen vor den Realitäten nicht verschließen, und wir müssen nach Istanbul zäh, aber auch mit Tempo für Veränderungen arbeiten. Ich nenne hier nur drei Punkte: Erstens. Es braucht mehr Geld, eine bessere Organisation, Qualität und Effizienz. Zweitens. Wir müssen raus aus dem permanenten Krisenmodus und zu einer vorausschauenden Hilfe kommen, die auch neue Akteure, wie die Privatwirtschaft, einbindet. Drittens. Gerade diejenigen, die die Hilfe am nötigsten brauchen, erreicht sie oftmals nicht – ich denke an die Menschen in Syrien, im Jemen und im Südsudan –, weil es keinen sicheren Zugang gibt. Das darf bei aller Gipfelrhetorik nicht verdrängt werden. Der EU-Kommissar für humanitäre Hilfe und Krisenmanagement, Christos Stylianides, hat mir gestern im Gespräch hier im Deutschen Bundestag gesagt, dass es in Istanbul über 1 000 Selbstverpflichtungen gegeben hat. Versprochen wurde in der Vergangenheit genug. Jetzt ist endlich Umsetzung angesagt. Auch deshalb wäre es richtig und notwendig, dass es einen Überprüfungsmechanismus gibt, zum Beispiel ein internationales Monitoring-System mit Berichtspflichten. Auch das ist für mich eine Konsequenz aus diesem Gipfel in Istanbul. Jeder muss erfahren, wer seine Zusagen eben nicht eingehalten und gebrochen hat, und jeder muss es wissen, wenn außer Worten nichts geblieben ist und die nächste Katastrophe mit einem Achselzucken zur Kenntnis genommen wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn aus Worten Taten werden, dann wird der Humanitäre Weltgipfel ein großer Erfolg. Um es mit Rupert Neudeck zu sagen: Warum fangen wir nicht einfach damit an? (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege Frank Schwabe spricht als Nächster für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Frank Schwabe (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren! Ich glaube in der Tat, man muss zunächst einmal mit einem Lob anfangen. Ich kann nämlich die Kritik daran, wer alles aus Deutschland nach Istanbul gereist ist, nicht nachvollziehen. Es wurde gesagt, das wäre zu viel der Würde. Wie wäre es denn eigentlich andersherum gewesen? Was wäre denn gewesen, wenn die Bundeskanzlerin, der Außenminister und der Entwicklungsminister bei einem solch zentralen Thema nicht nach Istanbul gefahren wären? Dann wäre die Kritik wahrscheinlich genau andersherum gewesen. Sie wissen ganz genau: Die Vorbereitung begann vor drei Jahren und mehr. Damals war nicht absehbar, welche Debatten wir heute rund um die Türkei und um Istanbul führen werden. Insofern war es richtig – das ist auch wahrgenommen worden –, dass Deutschland dort hochrangig vertreten war. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Darauf können wir uns nicht ausruhen, aber es ist gut, dass Deutschland weltweit der drittgrößte Geber ist, und wir werden uns bemühen – Frau Steinbach und ich haben darüber schon geredet –, dass wir das Ganze auch haushalterisch entsprechend absichern. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Es ist auch gut, dass Deutschland – so nehme ich das jedenfalls wahr; das ist ja gerade auch gewürdigt worden – im internationalen Konzert der Impulsgeber dafür war, das humanitäre Hilfssystem auf eine andere Grundlage, eine qualifizierte Basis, zu stellen. Es war keine Geberkonferenz, über die wir hier reden. Trotzdem muss man über Finanzen sprechen. Das will ich gleich auch noch tun. Vorab will ich aber das unterstreichen, was viele Kolleginnen und Kollegen hier gesagt haben: In allem Schlechten – gemeint ist die schwierige weltweite humanitäre Lage – liegt auch etwas Gutes. Es ist die Chance – wir haben ein neues Momentum –, ganz anders über die humanitäre Hilfe für die 60 Millionen Flüchtlinge, von denen Sie gesprochen haben, und für die 100 bis 200 Millionen Menschen – je nachdem, wie man das sieht –, die auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, zu reden. Sich um die humanitäre Hilfe zu kümmern, ist eben nicht „Nice to have“, also irgendetwas, was man auch noch einmal machen kann, sondern es geht um das Leben und die Würde von Menschen. Das allein wäre schon Grund genug. Es geht aber eben auch um knallharte Außen- und Sicherheitspolitik. Es geht darum, ob bestimmte Regionen der Welt dauerhaft stabilisiert oder destabilisiert werden. Darüber reden wir bei der humanitären Hilfe im Kern. Wir reden auch über Fluchtbewegungen, die ausgelöst werden, wenn es keine ausreichende humanitäre Hilfe gibt, und wir reden darüber, was eigentlich mit den Kindern passiert, die zur Schule gehen müssen, das zurzeit aber nicht können. Sie sind doch wirklich das Futter für diejenigen, die sich terroristische Vorhaben auf der ganzen Welt vorgenommen haben. Auch das muss mit humanitärer Hilfe unterbunden werden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Humanitäre Weltgipfel kann nur ein erster Auftakt für eine solche intensivierte Debatte sein. Er funktioniert eben nicht wie Klimakonferenzen, bei denen wir am Ende einen Mechanismus haben und Dinge völkerrechtlich verbindlich verabredet werden, sondern der Gipfel funktioniert im Moment nur über Einzelverabredungen, die hier aufgezählt worden sind, und darüber, dass man sich eine Liste von Themen vornimmt, über die man reden will. Dazu ist auch ein Papier verabschiedet worden, das sogenannte Grand Bargain, also der große Deal oder wie auch immer man das übersetzen will, in dem die Dinge, die Sie gerade benannt haben, stehen. Die Fragen sind: Wie kann man humanitäre Hilfe mit Entwicklungszusammenarbeit verzahnen, nicht verschmelzen? Verschmelzen funktioniert nicht, weil die Prinzipien unterschiedlich sind. Wie kann man dabei helfen, dass Akteure, zum Beispiel die Geflüchteten, in die Entscheidungsstrukturen eines Systems humanitärer Hilfe hineingenommen werden? Wie können wir lokale Organisationen stärken? Wie können wir eine mehrjährige Finanzierung organisieren? Wie können wir Konfliktprävention entsprechend stärken? Das Entscheidende wird sein, dass auf diesen Gipfel etwas folgt und es entsprechend weitergeht. Die Struktur, wie das weitergehen soll, ist noch nicht klar. Das muss aber im Laufe dieses Jahres klar werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, was mich immer wieder fassungslos macht, ist die Tatsache, wie stark dieses humanitäre Hilfssystem unterfinanziert ist. Trotz allen Lobs über die London-Konferenz haben wir im Rahmen der Hilfe für Flüchtlinge und für geflüchtete Menschen aus Syrien eine Unterfinanzierung. Wir haben eine dramatische Unterfinanzierung bei der humanitären Hilfe im Südsudan, im Jemen und bei dem El-Niño-Phänomen. Wir haben bei der Finanzierung ein Loch von mindestens 15 Milliarden US-Dollar. Das ist mehr als die Hälfte dessen, was wir in der humanitären Hilfe brauchen. Ich will die letzten Sekunden meiner Redezeit, die ich noch habe, dafür nutzen, klarzumachen, wie wenig Geld das am Ende ist. Man muss wirklich mit dem Begriff „Peanuts“ aufpassen, aber das sind Peanuts. Dieses Geld ist ein Zwanzigstel von dem, was die weltweit 100 größten Rüstungsfirmen jedes Jahr mit Waffenverkäufen umsetzen. Es ist weniger als das, was Großbritannien und die Türkei für den Bau eines neuen Atomkraftwerks planen. Es ist nur die Hälfte dessen, was zum Beispiel Herr Zuckerberg besitzt, der sich immer wieder wohltätig geriert. Es ist eben – das müssen wir uns klarmachen – bei allem Lob über die deutsche Rolle weniger als die Hälfte dessen, was für den Verteidigungsetat dieses Landes zur Verfügung steht. Deswegen haben wir als Bundestag die Aufgabe, uns zum einen für das zu loben, was wir in die Haushalte eingestellt haben, aber zum anderen bei den Haushaltsberatungen darauf zu achten, dass es zumindest dabei bleibt und dass wir weitere Impulse finanzieller Art in das internationale System geben können, damit wir den unerträglichen Zustand der Unterfinanzierung beenden und dafür sorgen, dass Terroristen die Nahrung entzogen wird. Das ist unsere gemeinsame Verantwortung. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Inge Höger [DIE LINKE]) Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege Dr. Volker Ullrich spricht als Nächster für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kriegerische Auseinandersetzungen und Naturkatastrophen verursachen großes menschliches Leid. Der Konflikt in Syrien und im Nord-Irak hat Millionen von Menschen zu heimatlosen Flüchtlingen gemacht. Naturkatastrophen wie Erdbeben in Haiti und Nepal verlangen nach schneller Hilfe. Hungernde Menschen in der Sahelzone benötigen Nahrung und sauberes Wasser. Über 130 Millionen Menschen sind derzeit unmittelbar auf humanitäre Hilfe angewiesen. Das Leid und die Verzweiflung dieser Menschen sind durch die Bilder spürbar, die uns täglich erreichen. Die Antwort darauf, wie wir mit dieser Situation umzugehen haben, hat uns der in dieser Woche verstorbene Rupert Neudeck gegeben, an den auch ich im Rahmen dieser Rede erinnern möchte. Er sagte: ... wir dürfen uns keine Verzweiflung leisten. Verzweiflung ist eine Luxushaltung für einen Humanitären. Wir müssen immer überlegen, wie wir Wege zu den Menschen finden. Diese Wege zu Menschen in der Not ist die humanitäre Hilfe. Wir leisten sie, weil unser Menschenbild uns verpflichtet, solidarisch zu sein. Wir leisten sie gerne, weil wir überzeugt sind, dass Mitmenschlichkeit ein Schlüssel zu einer besseren Welt ist. Der Bedarf an humanitärer Hilfe beträgt derzeit etwa 20 Milliarden Euro pro Jahr. Dieses Geld wird dringend benötigt: für Nahrung, sauberes Wasser, ein Dach über dem Kopf, Babynahrung und Medikamente. Es steht aber nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung. Allein 2015 blieb ein Betrag von 7 Milliarden Euro ungedeckt. Meine Damen und Herren, es ist nicht hinnehmbar, wie Leid noch vergrößert wird, weil die Finanzierung der elementaren humanitären Hilfe nicht sichergestellt werden kann. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wir blicken auf die Flüchtlingslage in Jordanien. Die Menschen dort haben erfahren, was es bedeutet, wenn Gelder für Essensrationen drastisch gekürzt werden. Ich formuliere klar und deutlich: Dieses Beispiel muss uns vor Augen führen: So etwas darf und soll nicht mehr vorkommen. Die Frage, die sich die wohlhabenden Staaten dieser Welt stellen müssen, ist eine ganz einfache: Wie kann es sein, dass für viele Dinge Geld vorhanden ist, sich aber oftmals der Eindruck erschließt, dass die Not von Menschen nicht die oberste Priorität hat? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wie kann es sein, dass Hilfsgelder erst zugesagt und dann entgegen der Abrede nicht ausgezahlt werden? Meine Damen und Herren, welchen Eindruck macht das auf Hilfsorganisationen, die sich mit ihren Freiwilligen in die Krisengebiete der Welt bewegen und dann feststellen, dass ihre elementare Finanzierung nicht sichergestellt werden kann? Wir brauchen deswegen eine Reform der humanitären Hilfe mit folgenden Eckpunkten: Erstens. Die Gelder müssen deutlich erhöht und im vollen zugesagten Umfang unmittelbar zur Verfügung stehen. Zweitens. Wir brauchen funktionierende Mechanismen der humanitären Hilfe, welche eng mit langfristigen Projekten der Entwicklungszusammenarbeit verknüpft sind. Unser Land geht, wie ich meine, mit gutem Beispiel voran. Auf der Geberkonferenz in London sind bis 2018  2,3 Milliarden Euro anvisiert worden. Für das Welternährungsprogramm werden wir über 500 Millionen Euro beisteuern. Auf dem Gipfel in Istanbul hat Deutschland einen Betrag von 50 Millionen Euro für den UN-Nothilfefonds zugesagt. Es gab noch keinen Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wie Gerd Müller, der so intensiv und nachhaltig für die Erhöhung der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit geworben hat. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat er heute Geburtstag?) Das ist gelebte Verantwortung. Dafür sagen wir herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für den Personenkult! – Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Franz Josef Strauß!) Wir brauchen neben der Stärkung der humanitären Hilfe auch eine Stärkung des Rechts. Wir erleben derzeit einen Zustand der Krise des humanitären Völkerrechts. Ein elementarer Grundsatz des humanitären Völkerrechts besteht darin, dass jedem geholfen werden muss und kann, unabhängig von Kultur, Religion, Herkunft oder einer etwaigen Angehörigkeit zu einer Konfliktpartei, und dass die Helfer ungefährdet ihre Arbeit verrichten können. Leider wird dieses Prinzip zunehmend gebrochen. Wir müssen erleben, dass Krankenhäuser bombardiert und Ärzte und Pflegepersonal angegriffen und verletzt werden oder gar ihr Leben verlieren. Wir müssen erleben, dass Kriegsflüchtlinge zur Zielscheibe werden und selbst ihre Zufluchtsorte nicht verschont bleiben. Am 28. April dieses Jahres sind mindestens 30 Menschen bei der Bombardierung einer Klinik im syrischen Aleppo ums Leben gekommen. Am 5. Mai ist ein Flüchtlingslager in der Provinz Idlib bombardiert worden. Mehr als 28 Menschen verloren dabei ihr Leben. Diese Angriffe sind als das zu bezeichnen, was sie sind: Es sind Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Täter müssen der Rechenschaft zugeführt werden. Es wäre auch notwendig gewesen, dass die Weltgemeinschaft auf diesen Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht eine noch deutlichere Antwort gefunden hätte. Diese Antwort wäre notwendig, um eine Geltung und Wiederherstellung des Rechts zu ermöglichen. Meine Damen und Herren, wir werden die Ergebnisse von Istanbul wohlwollend und konstruktiv begleiten. Wir wissen, dass dieser Gipfel nicht das Ende oder das Ergebnis einer langen Wegstrecke ist. Er ist vielmehr der Anfang, um durch unsere Generation Menschlichkeit und Hilfe für die Schwachen zu erreichen. Ich darf zum Schluss dieser Debatte noch einmal an Rupert Neudeck erinnern, der unlängst gefragt wurde, wie er denn die Kraft aufbringe, zu helfen. Da antwortete er – ich zitiere ihn –: Es ist ein Geschenk, in einer so freien Gesellschaft zu leben. Ich will den Menschen etwas zurückgeben. Inspiriert habe ihn dabei das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Diese Geschichte – so sagte er – trete ihm immer wieder in den Bauch, und sagt: Du bist zuständig für die Not anderer Menschen, jetzt und sofort. In diesem Sinne, meine Damen und Herren, lassen Sie uns das Bewusstsein schaffen, und lassen Sie uns handeln! Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Zum Abschluss dieser Aussprache spricht die Kollegin Dr. Ute Finckh-Krämer für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer oben auf den Tribünen! Die letzte Rednerin in der Debatte hat immer die Chance, auf das einzugehen, was die Vorrednerinnen und Vorredner gesagt haben, und hat die Möglichkeit, auf das hinzuweisen, was jetzt nach der Debatte kommt. Das will ich gerne tun. Das eine ist – das muss hier, glaube ich, noch einmal gesagt werden –, dass ein so großer Gipfel mit einem so langen Vorlauf, wie er in Istanbul stattgefunden hat, nicht aufgrund aktueller politischer Entwicklungen in eine andere Stadt umgelegt werden kann. Das heißt, die Alternative wäre gewesen, den Humanitären Weltgipfel abzusagen. Ich glaube, wir sind alle froh, dass er stattgefunden hat: wegen der vielen Tausend Menschen, die sich darauf vorbereitet haben, wegen der Vereinbarungen, die dort getroffen wurden, wegen der 170 Verpflichtungen, die Deutschland eingegangen ist, von denen uns vorgestern der Vertreter des Auswärtigen Amtes im Menschenrechtsausschuss berichtet hat und die wir im Menschenrechtsausschuss zusammen mit dem Antrag, der heute vorgelegt und diskutiert worden ist, natürlich analysieren und diskutieren werden. Insofern ist es richtig und wichtig, dass der Gipfel stattgefunden hat, auch wenn man rückblickend sagen würde, angesichts der aktuellen Entwicklungen wäre vielleicht ein anderer Ort besser gewesen. Es kommt aber noch der Flüchtlingsgipfel in New York am 19. September. Ich hoffe, dass bis dahin in New York nichts passiert, was dann diesen Tagungsort auch irgendwie infrage stellt. Insofern: Es geht weiter. Es geht auch hier im Bundestag weiter. Es wurde schon gesagt, dass wir sehen müssen, dass wir weiterhin so viel Geld für humanitäre Hilfe zur Verfügung stellen, wie wir es in diesem Jahr getan haben. Darauf können wir in den Beratungen des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe achten, und da sind vor allem auch unsere Haushälter gefragt. Wir werden als Bundestag natürlich darauf achten, dass die Milliarden Euro, die von der EU der Türkei zugesagt wurden, nicht irgendwo von der türkischen Regierung vereinnahmt werden, sondern dass diese Milliarden Euro in konkrete Projekte für die 2,7 Millionen Flüchtlinge, die in der Türkei sind, eingesetzt werden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir können auch weiterhin, wie wir das bisher zum Teil schon getan haben, die Arbeit des Koordinierungsausschusses Humanitäre Hilfe begleiten, der ja eine fast einmalige Organisation ist, in der staatliche und nichtstaatliche Akteure der humanitären Hilfe in Deutschland zusammenarbeiten. Wir können natürlich immer wieder die Bundesregierung befragen, was denn aus den Verpflichtungen, die sie in Istanbul und auf anderen Konferenzen eingegangen ist, geworden ist. Und wir können den einen Punkt weiterverfolgen, der im Chair’s Summary des Humanitären Weltgipfels vorkommt und der mich sehr gefreut hat, nämlich: Wie können eigentlich Konflikte, die zu Not, zu Bedarf an humanitärer Hilfe führen, friedlich beigelegt werden? Wie kann die Eskalation von Konflikten zu Krieg und Bürgerkrieg verhindert werden? Wie können Friedensprozesse in Ländern, wo es schon bewaffnete Konflikte gibt, unterstützt werden mit diplomatischen Mitteln, aber auch mit Mitteln der Mediation? Wie können die Vereinten Nationen unterstützt werden, die über eine nicht übermäßig gut ausgestattete Mediation Support Unit verfügen? Wie können die Friedensprozesse unterstützt werden, an denen Deutschland im Augenblick beteiligt ist, etwa in Libyen oder in Syrien? Wie können lokale Organisationen einbezogen werden, um Friedensprozesse zu unterstützen? In diesem Jahr haben wir im Rahmen der OSZE-Präsidentschaft die Chance, ein Land zu unterstützen, das noch gar nicht genannt wurde, nämlich die Ukraine, wo es insgesamt 1,7 Millionen Flüchtlinge und Binnenvertriebene gibt, die zwar nicht alle, aber teilweise auf humanitäre Hilfe, Mittel der Übergangshilfe oder Mittel der Entwicklungszusammenarbeit angewiesen sind. Wir können zudem versuchen, langanhaltende Konflikte zu beenden, bei denen noch immer Menschen als Vertriebene oder Flüchtlinge gelten, etwa den in Berg-Karabach. Wir haben also noch eine Menge zu tun und umzusetzen. Die Arbeit hat erst begonnen. Wir werden uns ihr stellen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/8619 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Kein Widerspruch erhebt sich. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 28 auf: Vereinbarte Debatte Weiterentwicklung der Exzellenzinitiative und Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Widerspruch höre ich keinen. Dann ist diese Redezeit so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort für die Bundesregierung Bundesministerin Dr. Johanna Wanka. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren in Deutschland über viele Dinge, zum Beispiel sehr oft über das Thema Rente. Wie wird sie sich entwickeln? In welchem Alter kann man in Rente gehen? Wie sieht es in 10 oder 15 Jahren aus? Können wir uns toll positionieren? Können wir Beschlüsse fassen? Aber das alles ist Makulatur, wenn wir es nicht schaffen, zu diesem Zeitpunkt wirtschaftlich leistungsfähig zu sein; denn es handelt sich um eine umlageorientierte Rente. Momentan sind wir in einer sehr guten Situation. Wir sind die viertstärkste Industrienation der Welt. Aber das bleibt nicht automatisch so. Deswegen muss man vorausschauend denken. Was bzw. wer sind die Basis für unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit? Das sind Innovationskraft und Fachkräfte. Die Hochschulen, das Herzstück des Wissenschaftssystems, sind für akademische Fachkräfte und Innovationen in herausragendem Maße verantwortlich. Man kann nicht einfach sagen: Es läuft gut, und das lassen wir so. – Vielmehr müssen wir überlegen, welches die Herausforderungen der Zukunft sind und was man ändern und strategisch bedenken muss. Genau das haben wir getan. Unsere Ergebnisse, über die wir heute diskutieren, liegen Ihnen als Gesamtpaket vor. Da ist zum einen die Exzellenzinitiative. Wir hatten schon vor 20 Jahren, als viele Wirtschaftsführer das anders gesehen haben, eine starke, leistungsfähige Hochschullandschaft. Aber wir brauchten und brauchen internationale Spitzenforschung; denn eine sichtbare Spitzenforschung ist für die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes entscheidend. Wir brauchen nicht nur Breite, sondern auch Spitze. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Damals, als wir vor rund zehn Jahren zum ersten Mal über eine Exzellenzinitiative geredet haben, war ich ein intensiver Verfechter in der KMK, Herr Rossmann, nicht nur aufzulisten, welche Universitäten gut und spitze sind, sondern auch wissenschaftsadäquat zu entscheiden. Wir alle wissen, dass es eine Hochschule geben kann, die in einem Bereich spitze ist, aber nicht in allen. Deswegen sind Exzellenzcluster für uns – damit haben wir uns damals auch durchgesetzt – das Wissenschaftsadäquate; man kann ihre Ergebnisse gut messen. Man kann sehr gut einschätzen, ob die Hochschule zum Beispiel im Bereich der Biotechnologie Weltspitze ist oder etwas anderes. Deswegen ist es für mich folgerichtig, dass wir in der Nachfolge der Exzellenzinitiative jetzt den Exzellenzclustern den größten finanziellen Betrag einräumen. Von den 533 Millionen Euro jährlich gehen 385 Millionen Euro an die Exzellenzcluster. Es wird 45 bis 50 Exzellenzcluster geben. Man kann sich fragen: Sind das nicht zu viel? Wir haben eine unwahrscheinliche Breite in vielen Fächern. Deswegen glaube ich, dass das eine gut Zahl ist, auch was die Finanzen betrifft. Wir haben eine Empfehlung der Imboden-Kommission, für die ich große Sympathie hatte, umgesetzt. Das heißt, wenn eine Hochschule einen Cluster einwirbt, dann bekommt die Hochschulleitung 1 Million Euro jährlich, für das zweite 750 000 Euro und für das dritte 500 000 Euro. Die Hochschulleitung kann diese Mittel zur strategischen Profilierung nicht nur des Clusters, sondern der Hochschule insgesamt einsetzen. Wir wollen dezidiert auch kleine Cluster. Das war auch bisher möglich. Das betrifft zum Beispiel die Geisteswissenschaften. Es müssen nicht immer die großen Klopper sein. Der universitäre Zuschlag ist völlig unabhängig vom Finanzvolumen des Clusters, das man einwirbt. Das Besondere ist, dass wir nicht nur für sieben Jahre, sondern dauerhaft Spitzenforschung in Deutschland fördern. (Beifall bei der CDU/CSU) Das heißt, dass es nach sieben Jahren einen neuen Wettbewerb gibt. Alle Cluster müssen sich neu orientieren und neu bewerben. Die Exzellenzuniversitäten müssen als notwendige Voraussetzung zwei Exzellenzcluster haben, im Verbund, der möglich ist, drei. Wir haben neue Möglichkeiten geschaffen und sind bereit, als Bund dauerhaft institutionell zu fördern. Wir binden diese Förderung aber an strikte Voraussetzungen. Eine Voraussetzung ist, dass man wieder zwei Cluster einwirbt. Wenn man dieses nicht tut, ist man klar aus der Riege heraus. Wenn man es aber schafft und zwei Cluster einwirbt, ist man nicht automatisch weiter im Geschäft, sondern dann wird evaluiert, ob das, was die Hochschule in den letzten Jahren geleistet hat, wirklich höchste wissenschaftliche Exzellenz ist. Das ist das Prinzip, nach dem wir bei der Max-Planck-Gesellschaft vorgehen. Die deutsche Wissenschaftsinstitution, die im Ranking am höchsten steht – zweiter Platz nach Harvard –, ist die Max-Planck-Gesellschaft. Wir wollen aber erreichen, dass es nicht nur als Qualitätskriterium gilt, aus den USA oder anderen Teilen der Welt zur Max-Planck-Gesellschaft zu gehen, sondern auch zu einigen deutschen Universitäten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Man kann noch so viele Programme auflegen, aber wenn es keine Wissenschaftler, gerade junge Leute, gibt, die sich engagieren, die Ideen haben und gerne in dem System arbeiten, dann wird unsere Strategie nicht effektiv umgesetzt werden. Deswegen ist es wichtig, gute Arbeitsbedingungen und gute Karrierechancen im Wissenschaftssystem zu bieten. Wir haben einen ersten Schritt dazu getan, indem wir die BAföG-Mittel zu 100 Prozent übernommen haben. Das sind 1,17 Milliarden Euro jährlich, die jetzt den Ländern zur Verfügung stehen. Daraus kann man mehr als 10 000 Stellen finanzieren, je nachdem, wie man sie ausstattet. Der Wissenschaftsrat hat seinerzeit gefordert, bis 2023 einige Tausend Stellen zu schaffen. Wir haben Mittel zur Verfügung gestellt, mit denen wesentlich mehr Stellen geschaffen werden können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD] – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für Schule und Hochschule!) Die Mittel werden unterschiedlich genutzt, aber man kann beruhigt sein: Das Geld gibt es unbefristet. Wenn ein Land in dieser Richtung noch nicht gut entschieden hat, kann es sich noch im nächsten Jahr oder in zwei Jahren entscheiden. Das ist ohne Weiteres möglich. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Dazulernen!) Dieser Part ist von uns geleistet worden. Jetzt kommt ein nächster Schritt, um Planungssicherheit zu schaffen und Karrierechancen berechenbar zu machen. Das ist das Tenure-Track-Programm. Ich bin den Koalitionären sehr dankbar (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Wir auch!) – genau –, dass sie sich entschieden haben, das mit einem Koalitionsbeschluss zu bekräftigen. Wir kommen darauf zurück, wenn es ums Geld geht. Aber ich bin sehr froh, dass wir da an einem Strang ziehen. Als damals die Juniorprofessur eingeführt wurde, gab es viele Widerstände, gerade auch aus der Parteirichtung, aus der ich komme. Ich war von Anfang an ein Verfechter der Juniorprofessur. Die hat sich auch bewährt. Gerade junge Frauen haben bei der Juniorprofessur bessere Chancen als anderswo. Aber das Tenure-Track-Programm ist etwas anderes. Bei einer Juniorprofessur hat man sechs Jahre Zeit, um unabhängig und selbstständig zu forschen und damit alle Voraussetzungen zu erwerben, um sich auf eine Professorenstelle zu bewerben. Man hat zwar beste Voraussetzungen, aber ansonsten keine Sicherheit. Bei Tenure Track ist es so: Es gibt ein Ausschreibungsverfahren. Man bewirbt sich. Nach sechs Jahren hat man Rechtssicherheit; da hat man eine unbefristete Stelle, falls man die nötige Leistung erbringt. Das ist also ein anderes System. Weil es planbar ist, wird das dazu führen, dass junge Leute, die jetzt woanders sind, zum Teil auf schlechter dotierten, aber unbefristeten Stellen, zurückkommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das ist ein wichtiger Schritt. Wir haben daran eine Bedingung geknüpft. Das war zwingend notwendig; denn keiner hier im Saal hat Lust, 1 Milliarde Euro für die Finanzierung eines Vorhabens auszugeben, wenn am Ende der Stand wie zuvor ist. Deswegen unsere klare Forderung – berechenbar und genau quantifiziert –: Durch Tenure Track muss es zusätzlich 1 000 Stellen geben. Berücksichtigt wurde dabei, dass die Situation zum Beispiel in Sachsen und in Thüringen etwas schwieriger ist. Trotzdem: Es muss 1 000 zusätzliche Stellen geben. Nachhaltigkeit kommt darin zum Ausdruck, dass es nicht reicht, eine Tenure-Track-Stelle auszuschreiben, das nötige Geld für sechs plus zwei Jahre zu nehmen und dann alles wie vorher laufen zu lassen; vielmehr müssen diese 1 000 Stellen immer wieder ausgeschrieben werden, sodass wir flächendeckend in das Tenure-Track-System hereinkommen. Damit werden wir einen Strukturwandel – wieder ist der Bund der Impulsgeber – auslösen. Das, glaube ich, ist wichtig. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wenn die Forschungsergebnisse in den Hochschulen gut sind und etwas Anwendungsorientiertes entstanden ist, dann gelingt es auch, diese Ergebnisse in die Praxis zu transferieren. Aber es gelingt nicht immer, und wir verlieren noch an dieser Stelle. Deswegen ist es wichtig, den Transfergedanken in den Hochschulen zu fördern. Das Programm „Innovative Hochschule“ setzt genau darauf. Da geht es um technologische, aber auch um gesellschaftliche Innovationen. Da geht es nicht darum, einen Transferbeauftragten zu haben – einen solchen Beauftragten haben mittlerweile alle; und die machen ihre Arbeit auch gut –, sondern es geht um neue Ideen, ganzheitliche Konzepte, strategische Partnerschaften. Wir wollen die Besten im innovativen Bereich. Dieses Programm richtet sich insbesondere an Fachhochschulen und an kleinere Universitäten. Auch diese Zielstellung ist wichtig. Wir haben ja Hochschulen mit unterschiedlichen Aufgaben. Ich glaube, dass das Gesamtpaket, das wir vorgelegt haben, kohärent ist. Es ist ein Paket, über das wir naturgemäß intensiv, das wir aber auch schnell diskutiert haben, ein Paket, dem kein Wissenschaftsminister und keine Wissenschaftsministerin widersprochen haben. Es liegt jetzt auf dem Tisch der Ministerpräsidenten und der Bundeskanzlerin, und dann, falls sie so entscheiden, wie wir es uns wünschen, dann geht es los. Dann gibt es zwei Monate später eine Ausschreibung für das Projekt „Innovative Hochschule“, dann stehen für alle, die jetzt in der Exzellenzinitiative erfolgreich waren, Übergangsfinanzierungen für zwei Jahre zur Verfügung; das gilt auch für die Graduiertenschulen. Und Ende 2019 startet dann die Förderung der Exzellenzuniversitäten. Ich denke, es ist insgesamt ein Signal, dass wir nicht nur die außeruniversitären Einrichtungen und vieles andere schätzen, sondern dass wir auch den Hochschulen wirklich ganz andere Möglichkeiten geben. Ich hoffe auf Erfolg. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Nicole Gohlke, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Nicole Gohlke (DIE LINKE): Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Heute geht es also um die Pakte, die Bund und Länder zur Finanzierung von Vorhaben an den Hochschulen geplant haben. Die Opposition hätte sich gerne einzeln und intensiver mit den verschiedenen Ansätzen auseinandergesetzt; denn diese Wissenschaftspakte sind ja keine Fußnoten und auch keine Kleinigkeit, sondern es geht um Milliardenbeträge und darum, wie sie verteilt werden. Wenn wir jetzt aber über alles zusammen diskutieren, dann möchte ich gerne mit der Frage der Verhältnismäßigkeit beginnen; denn da hat die Bundesregierung aus unserer Sicht wirklich den größten Nachholbedarf. Man hat das Gefühl, die Regierung hat jedes Gespür für das Verhältnis von Spitzen- und Breitenförderung verloren. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Sie kennen die Zahlen überhaupt nicht! 2,2 Milliarden Euro für den Hochschulpakt! Sie können nicht rechnen!) Sie macht Milliarden für die Elitenförderung locker, und der große Rest wird am Katzentisch mit ein paar Almosen abgespeist. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ist ja unglaublich!) Sie nennen das dann Elite und Exzellenz. Ich nenne das verantwortungslos; denn es wird den Herausforderungen, vor denen die Hochschulen stehen, einfach nicht gerecht. Das ist das große Problem dieser Regierung. (Beifall bei der LINKEN – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Das ist faktisch falsch! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Sie wissen, dass wir eigentlich gar nicht zuständig sind?) Das große und ungelöste Problem an den Hochschulen heißt Unterfinanzierung, chronische und dauerhafte Unterfinanzierung. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Deswegen haben wir 1,2 Milliarden Euro für das BAföG bereitgestellt!) Ich gebe Ihnen gerne auch noch einmal einen Einblick in die Situation vor Ort, falls die Regierung das jetzt gerade aus den Augen verloren haben sollte. Da ist zum einen die völlig prekäre soziale Infrastruktur. Der BAföG-Satz, der zum Oktober endlich einmal erhöht wird, ist bereits zum Zeitpunkt seiner Erhöhung wieder überholt und unzureichend. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Von der BAföG-Höhe träumen viele Auszubildende!) Die Studierenden lernen in völlig überfüllten Seminaren, Bibliotheken müssen ihre Öffnungszeiten einschränken, und die Mensen sind so unterfinanziert, dass sie das Essen verteuern. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Studieren Sie in Moskau oder in Berlin?) Das ist doch die Situation vor Ort. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: So ein Blödsinn!) Das zweite, seit Jahren ungelöste Problem ist die schlechte Situation für die Beschäftigten und für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Ändern wird sich daran erst etwas, wenn wirklich Geld in die Hand genommen wird, um verlässliche Karrierewege und Dauerstellen in der Wissenschaft zu schaffen (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Genau! Tenure Track! Wissenschaftszeitvertragsgesetz! 1,2 Milliarden Euro für das BAföG! All das machen wir!) durch die Einrichtung von zusätzlichen Professuren, aber vor allem doch durch dauerhafte Stellen im Mittelbau. (Beifall bei der LINKEN) Und was macht die Bundesregierung? Ehrlich gesagt, Ihre Taktik ist: Scheuklappen an und weiter so, ein einfaches Weiter-so mit der Politik der befristeten Pakte statt endlich ein Einstieg in eine verlässliche Grundfinanzierung. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jetzt gibt es also drei Pakte: die Exzellenzinitiative zur Förderung von wenigen Spitzenunis, einen Pakt zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses an Universitäten und das Programm „Innovative Hochschule“ unter anderem für Fachhochschulen. Wenn Sie sich auch noch so sehr bemühen, das jetzt als ausgewogenes Gesamtpaket zu verkaufen: Es ist das Gegenteil von ausgewogen. Es ist völlig aus dem Lot geraten. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das ist ein Triple A!) 5,4 Milliarden Euro für die Spitze, davon 30 Prozent für nur zehn Eliteunis, und gerade einmal ein Fünftel dessen, was Sie für die Spitzenförderung mobilisieren, für die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses: (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Unser Gesamtetat hat 17 Milliarden Euro, Madame!) Weniger als ein Zehntel der Summe bleibt dann für die Forschung an Fachhochschulen. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist alles zu wenig? Dann machen wir am besten alles zu!) Wer das als ausgewogen bezeichnet, der hat wirklich den Schuss nicht gehört. (Beifall bei der LINKEN) Ihre Milliarden, die Sie für die Exzellenzinitiative ausgeben, gehen auf Kosten der Breite, und das ist das Problem. (Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Sie haben das Prinzip nicht verstanden!) Der Bericht der Imboden-Kommission hat gerade sehr differenziert deutlich gemacht, was so ein einseitiges Förderprogramm wie die Exzellenzinitiative bedeutet. Es wäre schön, wenn man sich mit den Befunden auch einmal etwas detaillierter auseinandersetzen würde. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das haben Sie aber nicht getan!) Es bedeutet nämlich – das steht alles in diesem Bericht – eine Zunahme von befristeten Beschäftigungsverhältnissen. Es bedeutet eine Verschlechterung von Studienbedingungen, und das übrigens auch und gerade an den sogenannten Exzellenzstandorten. Daneben hat der Bericht auch aufgezeigt, dass es nie eine Chancengleichheit für Hochschulen im Bewerbungsverfahren gegeben hat. Dieses Prinzip treiben Sie jetzt noch auf die Spitze, wenn Sie die kleinen und mittleren Universitäten gleich ganz vom Wettbewerb ausschließen. Das ist wirklich der völlig falsche Weg. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das macht doch niemand!) Auch das ohnehin sehr krude Argument, das Sie immer bemüht haben, dass durch die wettbewerbliche Spitzenförderung auch die Breite gestärkt würde, wurde von der Imboden-Kommission als reine Chimäre entlarvt. Noch einmal zum Mitschreiben: Eine Breitenförderung ist durch die Exzellenzinitiative nicht eingetreten. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Dafür ist sie auch nicht da! Exzellenzinitiative heißt Exzellenz und nicht Breite!) Stattdessen hat sich die Spaltung in der Hochschullandschaft vertieft. Das politische Verständnis dieser Regierung, dass sich Exzellenz immer nur auf besonders wenige beziehen soll, ist, ehrlich gesagt, weder fortschrittlich noch besonders ambitioniert. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist beste Wissenschaftspolitik!) Ich sage Ihnen, was wirklich exzellent wäre: Exzellent wäre es, wenn man von guten Studienbedingungen und hervorragenden wissenschaftlichen Bedingungen in der Breite und für alle sprechen könnte. Das muss doch das Ziel von Wissenschaftspolitik sein. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Ihre Spitze ist zu breit!) Kolleginnen und Kollegen, wenn es so weit ist, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler berichten, dass die Antragstellung für das Einwerben von Drittmitteln den größten Teil ihrer Tätigkeit ausmacht, (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Dann machen die was verkehrt!) wenn um des Publizierens willen publiziert wird, weil die entsprechende Kennzahl für das Einwerben von Exzellenzmitteln wichtig ist, oder wenn es so weit ist, dass Forschungsfragen eher danach ausgesucht werden, was förderfähig ist, (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: So ein Quatsch! Niemand macht das!) als danach, was die größte wissenschaftliche Erkenntnis bringt, dann kann man ja wohl behaupten, dass da etwas aus dem Lot geraten ist. (Beifall bei der LINKEN) Das ist eine Meinung, die gerade aus den Reihen der Wissenschaft selbst kommt. Das zeigt doch die Petition, die von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, von Professorinnen und Professoren gestartet wurde und die den Stopp der Exzellenzinitiative fordert. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ein paar Verirrte gibt es immer!) Auch beim Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs fehlt der Bundesregierung der Blick für die Probleme vor Ort. Wir reden davon, dass sich 90 Prozent der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von einem prekären Kurzzeitvertrag zum nächsten hangeln. Wir reden von 160 000 wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Mittelbau, und wir reden von einer Betreuungssituation, in der auf einen Professor 70 Studierende kommen. Da kann man nur zu dem Schluss kommen, dass die von der Regierung geplanten 1 000 Tenure-Track-Stellen an den Bedarfen vorbeigehen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Prekär bezieht sich jetzt aber nicht auf das gleiche!) Heruntergebrochen auf die einzelne Hochschule bedeutet das gerade einmal zwei bis drei neue Stellen. Damit ist doch an eine tatsächliche Verbesserung des Betreuungsverhältnisses für die Studierenden wirklich nicht zu denken. Die Idee, sich an den Hochschulen endlich einmal um die Entwicklung neuer Personalstrukturen, neuer Personalkategorien zu kümmern, taucht in Ihrem Konzept eigentlich gar nicht mehr auf. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ist doch Sache der Hochschulen! – Zuruf der Abg. Dr. Simone Raatz [SPD]) Dabei wäre das doch der entscheidende Punkt, wenn man wirklich von einem Kulturwandel an den Hochschulen sprechen möchte. (Beifall bei der LINKEN) Denn nicht alle, die in der Wissenschaft arbeiten, wollen oder müssen das auf einer Professur tun. Es ist höchste Zeit, auch in Deutschland im 21. Jahrhundert anzukommen und anzuerkennen, dass es nicht nur die Professur und darunter den Nachwuchs gibt, (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Hausmeister! Es gibt auch Hausmeister, Köche, alles! Steht auch nicht im Papier drin!) sondern dass selbstständige Wissenschaft schon die ganze Zeit von den vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern geleistet wird und dass dieser Bereich endlich einmal als dauerhafte Personalkategorie gefördert und honoriert gehört. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Gohlke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schipanski? Nicole Gohlke (DIE LINKE): Ja. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Cool! Dann hat sie länger Redezeit!) Tankred Schipanski (CDU/CSU): Frau Gohlke, ganz herzlichen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Bei den drei Pakten, die Sie dargestellt haben, geht es ja jetzt um eine Vereinbarung, die in der GWK beschlossen wurde. Jetzt wundere ich mich, wenn das alles so furchtbar ist, dass sogar die rot-rot-grüne Landesregierung in Thüringen, sprich die Linke, da zustimmt, wenn es so schlimm ist, (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Was ist denn da los?) wie Sie es hier erzählen. Wie kommt es denn dazu? Nicole Gohlke (DIE LINKE): Das kann ich Ihnen erklären. Wir haben Rücksprache gehalten. Ich habe im Übrigen auch gerade mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Professorinnen und Professoren gesprochen, die den Stopp der Exzellenzinitiative fordern. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Um die geht’s jetzt nicht!) – Nein, aber sie haben sozusagen auf einen Mechanismus hingewiesen: Es gibt eine derart gravierende Unterfinanzierung, dass sich viele Leute nicht trauen, sich öffentlich gegen die Exzellenzinitiative auszusprechen. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) Und auch die Länder sagen bei aller Kritik in der Tat: Wir können in der jetzigen Situation nicht auf Gelder verzichten. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist Dialektik!) Das ist die Situation. Trotzdem würden sich viele einen Einstieg in eine andere Finanzierung wünschen. Ich glaube, es wäre höchste Zeit, dass man einmal eine Debatte darüber ermöglichen würde. Aber sie kann offenbar selten transparent geführt werden, nicht einmal hier im Deutschen Bundestag. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Was macht denn Thüringen mit den BAföG-Millionen?) Einigermaßen vorsintflutlich finde ich, ehrlich gesagt, auch, dass Gleichstellung in Ihren Pakten gar nicht auftaucht. Auch hier sage ich: Von Kulturwandel dürfte die Regierung erst reden, wenn aktive Gleichstellungspolitik und Familienfreundlichkeit in ihren Konzepten einmal eine wirkliche Rolle spielen würden. 50 Prozent der Tenure-Track-Stellen müssten eigentlich mit qualifizierten Frauen besetzt werden. Alles andere ist wirklich ein schlechter Witz. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Und was ist mit den Transgendern? Die kommen gar nicht vor!) Kolleginnen und Kollegen, für die Linke stellt sich die Situation so dar: Die Hochschulen, und zwar alle, brauchen zwei Dinge, nämlich eine Finanzierung nach Bedarfen sowie Planungssicherheit. Wir brauchen nicht noch einen Wettbewerb und noch einen Pakt und noch ein Programm. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Dann machen wir den Pakt zu! Sie wollen die Pakte abschaffen! Das ist ja tragisch!) Die Hochschulen brauchen eine solide Grundfinanzierung, verlässliche Studienplätze, unbefristete Stellen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und eine neue Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau. Das wären die richtigen Prioritäten und die richtigen politischen Botschaften in dieser Zeit. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Dann klappern Sie mal die Landtage ab, Frau Gohlke!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege Dr. Ernst Dieter Rossmann spricht jetzt für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Gohlke, Sie haben eine gewisse Zweiweltenlehre aufgemacht. Ich will mich nur mit einem kleinen Satz darauf einlassen: Dass der Kollege Ramelow, der Ministerpräsident von Thüringen, sich nichts traut, das werden Sie ihm erklären müssen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich möchte gerne auf das zurückkommen, was hier relevant ist und was von der Ministerin in Bezug auf eine Weiterentwicklung und große Verbesserung der Hochschul-, der Wissenschafts- und der Forschungslandschaft in Deutschland vorgestellt worden ist. Nachdem ich eben ein bisschen bärbeißig war, will ich jetzt ganz charmant etwas zu bedenken geben – Herr Riesenhuber, ich habe Sie im Blick; aber ich muss es trotzdem so sagen –: Das, was jetzt von Frau Wanka fortgesetzt wird, hat eine Vorgeschichte, aus der hervorgeht, dass die Wissenschafts- und Forschungspolitik der letzten 20 Jahre im Wesentlichen von Frauen – Frau Bulmahn, Frau Schavan, Frau Wanka, jede auf ihre Art, aber immer aufeinander aufbauend – sehr hervorragend gestaltet worden ist. Vielleicht darf man das auch einmal hier feststellen. Die vier anderen Minister zwischen Herrn Riesenhuber und Frau Bulmahn sind leider wenig in Erinnerung geblieben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Wieso „leider“?) Frau Bulmahn hat damals mit folgenden Fragen eine neue Dimension aufgemacht: Wie erfüllen wir den Auftrag, den Wissenschaft hat, nämlich Wahrheitssuche und Erkenntnisvermittlung? Und wie bekommen wir das einerseits in die Welt hinein, damit es angewendet werden kann, um ein besseres Leben für die Menschen zu ermöglichen bzw. eine bessere und nachhaltige Umwelt zu schaffen, und wie bekommen wir das andererseits auch wieder an die Hochschulen? Denn die Hochschulen sind ja die eigentlichen Träger der Vermittlung, die Hochschulen sind die Breitenorganisationen, bei denen sich Exzellenz in der Breite und in der Spitze entwickelt, und die Hochschulen sind auch das Pfund, auf das wir in Deutschland – neben den guten Wissenschaftsorganisationen – zentral setzen können. Dass dieser breite Horizont, der von Frau Bulmahn aufgemacht und von Frau Schavan fortgesetzt wurde – Frau Wanka führt das mit neuen Akzenten jetzt erfolgreich weiter –, auch weiterhin in einem größeren Zusammenhang gesehen wird, zeigt sich auch bei dem, was heute zur Diskussion gestellt worden ist in Form eines neuen Dreiklangs. Dieser beinhaltet das Programm „Innovative Hochschule“, den Nachwuchspakt und die Exzellenzinitiative. Nur eine kleine Bemerkung zum Programm „Innovative Hochschule“: Ja, Frau Wanka, wir finden es gut, dass Sie sich zusammen mit den Ländern entschieden haben, das nicht in einer Exzellenzinitiative aufgehen zu lassen, sondern dass sie ihm als ein besonderes Programm einen besonderen Stellenwert gegeben haben. Denn darüber wird auch einem ganz wichtigen Träger von Wissenschaft und Forschung, nämlich den Fachhochschulen, vermittelt, dass sie ein eigenes Gewicht haben und dass sie in diesem Rahmen auch weiter auszugestalten sind. Darauf wollen wir gerne – auch über die 50-Prozent-Quote hinaus – weiter hinarbeiten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Aber das darf ja Zukunftsmusik sein. Wenn es um den Nachwuchspakt geht, wird hier jeder verstehen, dass die SPD besonders stolz darauf ist. Aber auch die Fraktionen können es sein; denn das hat ja noch nicht einmal im Koalitionsvertrag gestanden, Herr Rupprecht. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da schien ja einiges vergessen!) Wir haben außerhalb des Koalitionsvertrages während der glorreichen Tage von Göttingen mit den geschäftsführenden Fraktionsvorständen vielmehr noch etwas Gutes darüber hinaus angestoßen. Deshalb sage ich einen ausdrücklichen Dank an den Kollegen Kretschmer. Auch Hubertus Heil, der heute erkrankt ist, soll hören, dass ich ihm Dank dafür übermittle, was er da mit den geschäftsführenden Fraktionsvorständen zusammengebracht hat. Dass 1 Milliarde Euro für den wissenschaftlichen Nachwuchs zur Verfügung gestellt werden, zeigt, dass wir nicht nur von der Gesetzgebung her – mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz –, sondern auch im Hinblick auf die Aufstiegs- und Karriereperspektiven – dabei geht es um die Lebensplanung junger Wissenschaftler – dem Gedanken der Exzellenz und der Vermittlung gefolgt sind und ihn in eine größere Personalausstattung haben münden lassen. Wir haben auch aufgenommen, dass sich dieses inhaltlich weiterentwickeln muss. Denn über die Details der Beschlüsse zum Hochschulpakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs hinaus können wir schon jetzt sagen, dass sich auch hier noch einige Zukunftsfragen – auch als Aufgaben für die nächste Legislaturperiode – stellen. Dabei geht es einmal darum, dass alle wissen, dass sich an den Hochschulen nicht nur die Qualitäten, sondern auch die Aufgaben differenzieren, weshalb wir neue Personalkategorien brauchen. Hier ist ein Einstieg gefunden, dass sich dieses mitentwickeln kann. Zweitens geht es darum, dass wir grundsätzlich anerkennen müssen, dass es auch bei den Fachhochschulen eine explizite Exzellenz gibt. Frau Kollegin De Ridder, es ist auch einmal darüber zu diskutieren, ob es auch dort Tenure-Track-Systeme oder andere Personalaufbausysteme gehen sollte. Auch das ist uns mit dem jetzigen Nachwuchspakt aufgegeben. Die dritte und wichtigste Dimension betrifft die Exzellenzinitiative, die jetzt über die Hochschulen als Motor unseres Innovationssystems ausgebaut wird. Es war für uns immer selbstverständlich, dass wir Spitzenforschung brauchen, dass wir sie an den Hochschulen brauchen und dass sich diese über die Jahre hinweg entwickeln darf, es aber klar strukturierte Linien geben muss, die sich jetzt mit den Exzellenzclustern bzw. Exzellenzuniversitäten abbilden, und dass diese Linien nicht nur auf drei bis fünf Exzellenzuniversitäten reduziert werden können. Vielmehr fühlen wir uns durch die verdienstvolle Arbeit der Imboden-Kommission bestätigt, dass es mehr Potenzial in Bezug auf Exzellenz in Deutschland gibt und dass dieses in eine Kontinuität hineinkommen muss. Dabei geht es nicht um Kontinuität in Form von immer neuen und aufwendigen Wettbewerben, sondern es muss um Kontinuität in den Grundgedanken bzw. in Bezug auf die Absicherung über das Grundgesetz gehen, also Verlässlichkeit hinsichtlich der Fortschreibung in Richtung auf eine unbestimmte Dauer. An der Stelle – vielleicht ist das nur Semantik; aber wir glauben, dass das mehr ist –: Wir haben bisher immer von Exzellenzinitiative gesprochen. Das klingt ein bisschen nach Projekt. Stattdessen können wir jetzt sagen, nachdem es in Deutschland schon eine Hightech-Strategie gibt, dass es mit dem, was jetzt zwischen Bund und Ländern offensichtlich verhandelt worden ist, auch eine Exzellenzstrategie geben wird. (Beifall bei der SPD) Damit hätten wir eine dauerhafte Perspektive für die beiden großen Gewichte der außeruniversitären und der universitären exzellenten Spitzenangebote, die Deutschland strategisch in eine gute Zukunftsposition bringen. Dies führt mich zu zwei Schlussgedanken. Zunächst möchte ich auf Frau Gohlke zurückkommen, die am Anfang ihrer Rede mit Zahlen herumgewirbelt hat; Kollege Rupprecht, Sie werden das gleich sicherlich mit Schmackes klarstellen. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Glauben Sie?) Man darf nicht vergessen, dass wir 20 Milliarden Euro in die Exzellenz der Breite – Hochschulpakt, Programmpauschalen, gute Lehre und anderes – gegeben haben. Sie, Frau Gohlke, tun das so ab, als wären diese 20 Milliarden Euro „nothing“. Auch da halten wir eine Balance zwischen der Breitenförderung und der Spitzenförderung. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Mit Blick auf die nächste Legislaturperiode stellen wir fest: Es stehen große Entscheidungen an, da faktisch Jahr für Jahr Mittel in Höhe von 3 bis 5 Milliarden Euro frei werden. Ich will zumindest für die SPD sagen: Sie dürfen sicher sein – in der Tradition der großen Forschungsministerinnen werden wir dafür kämpfen müssen –, dass die Mittel im System bleiben. Es kann nicht sein, dass 2019/2020 auf einmal eine Reduzierung stattfindet, sondern die Mittel müssen im System bleiben. Aber dass sie im System bleiben, setzt voraus, dass wir die Dinge, die wir jetzt machen, gut machen. Sie müssen jetzt gut umgesetzt werden; denn nur wenn sie gut und wirksam sind, wird die breite Öffentlichkeit es akzeptieren, wenn die zusätzlichen Mittel weiter verstetigt und ausgebaut werden. Mein zweiter Schlussgedanke – Herr Präsident, erlauben Sie das noch? – Vizepräsident Johannes Singhammer: Ich erlaube es, wenn Sie noch im Rahmen der Redezeit zum Ende kommen. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): – richtet sich nach außen. Ich beziehe mich auf das, was heute von der Hochschulrektorenkonferenz, auf der man sich mit dem Brexit, Europas Zukunft und anderen Themen auseinandergesetzt hat, verlautbart wurde. Wir glauben, dass diese Exzellenzinitiative, das gute Entwickeln von bester Wissenschaft in Deutschland, ein Bindeglied sein kann, das wir erhalten müssen, wenn wir gute Perspektiven für Europa schaffen wollen. Die europäische Zusammenarbeit, die Struktur von besten Hochschulen in Europa wird nämlich durch diese Exzellenzinitiative mitbefördert. Professor Kleiner, der Präsident der Leibniz-Gemeinschaft, sagte einmal: Das ist die beste Antwort auf diesen unseligen Populismus, auf diese unselige Denkungsart, es gäbe keine Wahrheit, es gäbe neben der Lügenpresse auch noch eine Lügenwissenschaft. Wenn wir unsere Vorhaben entsprechend umsetzen können, – Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Rossmann, jetzt ist die Redezeit schon sehr großzügig bemessen. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): – dann machen wir nicht nur Wissenschaftspolitik, sondern auch Gesellschaftspolitik. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Kai Gehring für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fakt ist, der Bund bewegt für die Hochschulen und die außeruniversitären Forschungseinrichtungen in dieser Republik Milliarden: durch den Pakt für Forschung und Innovation, durch den Hochschulpakt und durch den Qualitätspakt Lehre. Heute debattieren wir über zwei weitere zentrale Weichenstellungen für unsere Universitäten in den nächsten Jahren und Jahrzehnten. Ob neue Exzellenzinitiative oder das Nachwuchsprogramm: Beide Bund-Länder-Vereinbarungen sind klassische politische Kompromisse. Weder Jubelarien noch Meckerecke sind daher heute adäquat. (Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD]) Der Beschluss der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz zur Exzellenzinitiative ist ambivalent und ambitioniert zugleich. Gut ist, dass es auch künftig ein Förderprogramm für Spitzenforschung an Universitäten gibt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Die bisherigen Runden haben an den Universitäten neue Kooperationen initiiert und eine Vielzahl innovativer Projekte hervorgebracht. Davon ist jeder überzeugt, der, wie ich, Exzellenzcluster besichtigt und sich mit Spitzenwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern über ihre faszinierende Forschung austauscht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich freue mich daher, dass die Überbrückungsfinanzierung für laufende Exzellenzprojekte endlich beschlossene Sache ist. Damit können Cluster weiter wirken. Diese Verlässlichkeit war überfällig. Sie ist ein wichtiges Signal an die Spitzenforschung in Deutschland. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Es macht Sinn, die Spitzenförderung auf die beiden Säulen Exzellenzcluster und Exzellenzuniversitäten zu fokussieren; denn Graduiertenkollegs gehören künftig zum professionellen Selbstverständnis jeder Universität. (Beifall des Abg. Albert Rupprecht [CDU/CSU]) Es macht auch Sinn, mehr Mittel in die 45 bis 50 Cluster zu investieren als in die Spitzenstandorte. Und es macht Sinn, die Förderhöhe pro Cluster zu variieren, da auch die Kosten variieren. Allerdings ist die Voraussetzung, zwei Cluster vorweisen zu müssen, um sich als Exzellenzuniversität überhaupt bewerben zu können, eine zu hohe Hürde. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Für viele kleine, mittelgroße und aufholende Universitäten wird sich die Bedingung, zwei Cluster vorweisen zu müssen, als Knock-out-Kriterium entpuppen, und das halten wir für falsch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Erfreulich ist, dass von der zweiten Förderlinie künftig – das ist einer der zentralen Verhandlungserfolge unserer drei grünen Wissenschaftsministerinnen in der GWK – acht bis elf sogenannte Förderfälle profitieren können, also mehr Universitäten als bisher; denn das passt viel besser zu unserer vielfältigen und facettenreichen Universitätsstruktur und erhöht die Chancen für exzellente Verbundanträge. Die Förderfantasien der Union von drei deutschen Harvards sind damit vom Tisch, und das ist auch gut so; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) denn eine breite Spitze an Unileuchttürmen strahlt weltweit heller als ein einsames Licht. An einer Stelle hakt es jedoch gewaltig. Exzellenzuniversitäten in eine Dauerförderung gemäß Artikel 91b Grundgesetz zu überführen, sehen wir sehr, sehr kritisch. Eine exklusive Bundesliga mit Ewigkeitsperspektive nimmt der Exzellenzinitiative den wettbewerblichen Charakter und raubt ihre Dynamik. Das ist geradezu widersinnig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Diese Kritik ist keine exklusive der Grünen im Bundestag, sondern sie wird von mehreren Wissenschaftsministerinnen und -ministern der Länder geteilt. Hamburg hat sich deswegen in der GWK bei der Verabschiedung der Exzellenzinitiative enthalten. Ich habe den Eindruck, dass Ministerin Wanka diese Kritik nicht hinreichend ernst genommen hat. Dabei wissen wir doch alle miteinander: Dem Wissenschaftspakt müssen am Ende alle Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten einstimmig zustimmen, (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Die waren monatelang dabei und haben nichts gesagt!) von Kretschmann über Kraft bis Ramelow und Scholz. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Hamburg isoliert sich im Augenblick!) Beim Nachverhandeln ist jetzt Eile geboten, damit der enge Zeitplan nicht ins Wanken gerät. Eine Lösung muss her. Derzeit werden ja auch Kompromisse ausgelotet. Eine Lösung könnte aus meiner Sicht sein, die Exzellenzuniversitäten nach sieben Jahren neu auszuschreiben. Das motiviert und honoriert dann auch in Zukunft die Spitzenleistungen aller Universitäten und erhöht die Chancen, überhaupt reinzukommen. Das hält das System offener und durchlässiger. Wir brauchen keinen geschlossenen Uniklub, sondern Auf- und Abstiege plus dauerhaft mehr Engagement für Exzellenz in Forschung und in Lehre. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, inwieweit die Exzellenzinitiative und das neue Nachwuchsprogramm unsere Universitätslandschaft bereichern und weiterentwickeln werden, werden wir wahrscheinlich erst in 10 bis 20 Jahren reflektieren können. Entscheidend für den Erfolg ist, wie weit ein solcher Impuls wirklich trägt. Das gilt vor allem für das neue Nachwuchsprogramm. Gemessen an dem, was auf dem Papier vereinbart ist, droht das nur ein kurzer Kick zu werden; denn die 1 000 Tenure-Track-Professuren, die das Programm bundesweit an Universitäten bringen soll, sind angesichts von rund 24 000 Professuren einfach eine kleine Hausnummer. Für Nordrhein-Westfalen sind das etwas mehr als 200 Tenure-Track-Professuren, für Bremen 10, für das Saarland, glaube ich, 1,7. Der Bedarf bleibt dank der Rekorde bei den Studierendenzahlen weiter groß, übrigens nicht nur an Universitäten, sondern auch an Fachhochschulen, die beim Programm leider außen vor bleiben. Ich erinnere exemplarisch an den Wissenschaftsrat, der unlängst 7 500 zusätzliche Professuren bundesweit gefordert hat. Vom Umfang her hat das Programm also keine Wucht, und das bedauern wir. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Nachwuchsprogramm bringt auch insgesamt zu wenig für Modernisierungen bei Personalstrukturen und bei Personalentwicklung. Es gibt zwar einen 15-prozentigen Strategieaufschlag, den Universitäten auch – Zitat – zur „Weiterentwicklung der Personalstruktur des wissenschaftlichen Personals“ nutzen können, von einem großen Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs mit verbindlichen und klaren Karriereperspektiven für deutlich mehr kann aber keine Rede sein. Unklare Perspektiven und wenig Planbarkeit bleiben für viel zu viele leider Alltag. Das ist problematisch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es wird jetzt übrigens sehr darauf ankommen, die Tenure-Track-Professuren gut auszustatten. Sie sollen ja nicht auf einem Klappstühlchen sitzen; vielmehr sollen sie entsprechende wissenschaftliche Mitarbeiter haben und ihre wissenschaftlichen Leistungen entfalten können. Da müssen die Länder mit ran, sonst zahlen die Unis zu viel drauf. Schade ist, dass dem Programm eine explizite Förderung von Frauen fehlt. In Gesamtkonzepten darzulegen, was eine Uni für die Verbesserung der Chancengleichheit zu tun gedenkt, ist im Vergleich zu harten Gleichstellungszielen und -kriterien an anderen Stellen einfach zu schwammig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Trotz dieser kritischen Punkte kann das Nachwuchsprogramm eine nachhaltige Weichenstellung bringen, wenn es einen auf Dauer planbaren Pfad in Richtung Professur etabliert; denn die Mechanismen in der Vereinbarung sind ganz klug, und das Kriterium der Zusätzlichkeit, auf das wir auch immer gepocht haben, überzeugt. Es geht uns ja nicht nur um eine neue Personalkategorie. Es müssen auch deutlich mehr Stellen on top vor Ort dabei herausspringen, und darauf werden wir gemeinsam achten müssen. Genau in diesem Sinne lohnt es sich weiterzudenken. Ich meine, das Nachwuchsprogramm wird noch nachhaltiger wirken, wenn wir es mit einer besseren Grundfinanzierung der Hochschulen insgesamt verbinden; denn auch nach 2020 werden mehr Erstsemester kommen, die nicht nur einen Studienplatz, sondern auch Personalaufwüchse brauchen. Die Betreuungsrelationen in Deutschland sind jetzt schon alles andere als ein Ruhmesblatt, und das müssen wir dringend verbessern. Wir brauchen bessere Betreuungsrelationen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Mehr Studienplätze und mehr Professuren durch eine höhere Grundfinanzierung unserer Hochschulen durch Länder und Bund – beides wollen und müssen wir angehen. Nur so lässt der Tenure-Track-Plan sich zu einem echten Strukturimpuls entwickeln. Die Wissenschaftspakte entfalten nur dann ihre volle Wirkung, wenn endlich die mangelnde Grundfinanzierung aller Hochschulen gesteigert wird, um mehr Chancen, mehr Personal und bessere Wissenschaft für alle zu erreichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Albert Rupprecht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Albert Rupprecht (CDU/CSU): Liebe Kollegin Gohlke, Sie sind schnell im Denken, schnell im Reden. Es macht eigentlich Spaß, mit Ihnen zu diskutieren. Nur manchmal diskutieren Sie dramatisch ideologisch verbohrt. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Niemals! – Gegenruf des Abg. Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das sagt der Richtige!) – Doch, das ist leider so. – Dieses penetrante Gleichmachen, Nivellieren, mit der Gießkanne in die Breite gehen und jeglichen Ansatz von Leistung, Exzellenz und Elite ablehnen: Das ist einfach schrecklich. Wenn es nach Ihnen gehen würde, dann würden Sie auch die Fußballeuropameisterschaft und die Fußballweltmeisterschaft abschaffen, weil Sie Spitzenleistung schlichtweg nicht ertragen können. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das ist alles billig!) Da haben wir eine vollkommen andere Position. Wir glauben, dass man in Deutschland auch Spitzenleistung braucht, um bei Wohlstand und sozialer Sicherheit auch zukünftig in der Spitze mit dabei zu sein. Frau Ministerin Wanka, Sie haben drei Pakete verhandelt. Diese drei Pakete sind ein Meilenstein für die Wissenschaftsarchitektur in Deutschland. Ich würde sagen: Sie sind ein großer Wurf. Ich gratuliere Ihnen dazu. Die Rede des Kollegen Gehring ist als Oppositionsrede durchaus beachtlich gewesen. Es gab andere Einschätzungen bei einzelnen Details; das ist bei einer Debatte zu so komplexen Themen durchaus normal und üblich. Aber ich glaube, insgesamt ist die Stimmung im Haus so, dass das, was Sie, Frau Ministerin, hier vorgelegt haben, in der Tat ein großer Wurf ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Aus der zeitlich befristeten Exzellenzinitiative wird eine dauerhafte unbefristete Exzellenzstrategie. Herr Rossmann, diesen Begriff hat Frau Wanka im Vorfeld schon eingeführt. Darauf hat man sich geeinigt, weil es wirklich eine neue Qualität hat, statt kurzfristiger Projekteritis eine langfristige und dauerhafte Exzellenzkultur in unserem Land aufzubauen. Dazu braucht es auch die dauerhafte, langfristige Finanzierung auf Basis des Artikels 91b unserer Verfassung. Wieder einmal ist der Bund – wie auch schon in den letzten zehn Jahren – Architekt, Impulsgeber, Verhandlungsführer und letztendlich Hauptfinanzier dieser immens wichtigen Weiterentwicklung des deutschen Wissenschaftssystems. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Unionsfraktion hat von Anfang an – und ich sage: als einzige Fraktion – ein klares und deutliches Bekenntnis zur Exzellenz abgegeben. Herr Rossmann, unsere Aussage war stets: Wo Exzellenz draufsteht, muss auch Exzellenz drin sein. Exzellenz draufzuschreiben, um dann mit dem Paket das Prinzip Gießkanne anzuwenden, war nicht das, was wir wollten. Dagegen haben wir uns auch gewehrt. Das, was vorliegt, ist die Umsetzung dessen, was wir wollten. Wenn man vergleicht, was wir uns vorgenommen haben und was jetzt im Endergebnis bei den Verhandlungen herausgekommen ist, dann würde ich sagen: Zu 98 Prozent sind unsere Punkte umgesetzt. Einen Punkt gibt es in der Tat, der nicht dazu gehört: Wir hätten uns durchaus vorstellen können, nicht acht bis elf Spitzenuniversitäten zu haben, sondern vier bis fünf, weil wir glauben, dass wir dadurch dem Ziel, international mehr wettbewerbsfähig zu werden, eher ein Stück näher gekommen wären. Nichtsdestotrotz sagen wir: Wir sind insgesamt mit diesem Paket sehr zufrieden. Es ist zu 98 Prozent Unionspolitik. (Lachen bei Abgeordneten der SPD – Dr. Simone Raatz [SPD]: Oi! Oi!) – Vergleichen Sie unsere Positionen mit dem, was herausgekommen ist. Dann werden Sie es sehen. Wir brauchen eine gesunde Breite, aber wir brauchen auch die absolute Spitze. Frau Gohlke, noch einmal: Der mit Abstand größte Teil der Mittel aus dem Bundeshaushalt geht in die Breitenförderung. Über die gesamte Laufzeit werden 22 Milliarden Euro für den Hochschulpakt, den Qualitätspakt Lehre und viele weitere Maßnahmen aufgewendet. Der Gesamthaushalt beträgt 17 Milliarden Euro. Da können Sie doch nicht ernsthaft glauben oder den Eindruck erwecken wollen, dass der überwiegende Teil der 17 Milliarden Euro für die Exzellenz zur Verfügung gestellt wird. Der überwiegende Teil geht in die Breitenförderung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Nichtsdestotrotz sind wir der Überzeugung, dass wir wissenschaftliche Elite in Deutschland brauchen. Wir haben zum Glück die Max-Planck-Gesellschaft, die in der internationalen Liga vorne dabei ist. Aber die Realität ist, dass es an den Universitäten, und zwar trotz der letzten zehn Jahre Exzellenzinitiative, immer noch einiges zu tun gibt. Vor zehn Jahren lag die beste deutsche Uni beim Shanghai-Ranking auf Platz 51. Nach zehn Jahren großer Kraftanstrengungen ist die beste Uni, die Uni Heidelberg, auf Platz 46. Die anderen Länder schlafen nicht, während wir hier in Deutschland große Anstrengungen unternehmen. Wir können uns damit nicht zufriedengeben. Statt kurzfristiger Projektdenke brauchen wir den Aufbau einer langfristigen Exzellenzkultur, die in die Hochschulen hineingetragen wird. Dazu braucht es strukturelle Änderungen. Dazu braucht es natürlich eine kräftige Finanzausstattung. Aber es braucht vor allem eine Kulturänderung. Die Kulturänderung wird in Deutschland natürlich einen anderen Weg nehmen als in Harvard oder in Stanford. Wir werden unseren deutschen, unseren eigenen Weg gehen, weil wir spezifische Gegebenheiten haben und weil wir in der Breite sehr gut und gesund aufgestellt sind. Entscheidend für den Erfolg sind Menschen, Menschen im Wissenschaftssystem. Seit 2005, seit wir in Berlin regieren, hat sich die Zahl der wissenschaftlichen Mitarbeiter an den Hochschulen um 60 Prozent gesteigert. (Beifall des Abg. Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]) Das wurde im Wesentlichen durch Gelder des Bundes mitfinanziert. Das Problem ist aber, dass mehr Geld und mehr Personal nicht dazu führen, dass die Mitarbeiter ausreichende Karriereperspektiven haben. Deswegen haben wir im ersten Schritt das Wissenschaftszeitvertragsgesetz geändert. Wir haben im zweiten Schritt die Länder beim BAföG um 1,2 Milliarden Euro entlastet, damit sie sich stärker in der Grundfinanzierung engagieren können. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schulen und Hochschulen!) Frau Ministerin Wanka hat es gesagt: Über 10 000 Stellen für Mitarbeiter im Mittelbau des Wissenschaftssystems können damit finanziert werden. Deswegen hat Ministerin Wanka das Tenure-Track-Programm vorgeschlagen, initiiert und verhandelt. Es umfasst 1 Milliarde Euro für 1 000 zusätzliche Tenure-Track-Professuren für die besten Köpfe in unserem Land. In der Tat, auch dies ist ein Meilenstein. Jahrelang wurde darüber geredet. Wir machen es jetzt. Ich finde, das ist großartig. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Der letzte Punkt in aller Kürze; meine Redezeit ist vorbei. Die Fachhochschulen – das ist der dritte Bereich – haben aus unserer Sicht eine eigenständige, eine wertvolle Rolle für das Wissenschaftssystem, insbesondere in der regionalen Vernetzung und im Wissenschaftstransfer. Deswegen ist das Programm „Innovative Hochschule“, von dem vor allem die Fachhochschulen profitieren sollen, ein weiterer Meilenstein. Auch da können wir sagen: 550 Millionen Euro in zehn Jahren sind kein Pappenstiel. So etwas gab es bis dato noch nie. So etwas hat es vonseiten des Bundes bis dato noch nicht gegeben. Wir geben in den nächsten zehn Jahren für diese drei Pakete vonseiten des Bundes insgesamt 5 Milliarden Euro aus. Die Länder ergänzen dies um weitere 1,4 Milliarden Euro. Vizepräsident Johannes Singhammer: Lieber Kollege Rupprecht, auch bei einer großzügigen Auslegung der Redezeit ist sie jetzt schon sehr stark zum Ende gekommen. Albert Rupprecht (CDU/CSU): Frau Ministerin Wanka, das ist ein großzügiger Aufschlag. Gratulation! Frau Ministerin, ich erhebe das Glas auf Sie. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist für die SPD die Kollegin Dr. Simone Raatz. (Beifall bei der SPD) Dr. Simone Raatz (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zwischenzeitlich habe ich mich über die Worte von Herrn Rupprecht gefreut. Ich hatte in den Diskussionen, die wir immer wieder geführt haben, zwar nicht den Eindruck, dass in den Projekten, die insbesondere wir favorisiert haben, zu 98 Prozent die Politik der Union zum Ausdruck kommt. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Das war Verhandlungstaktik!) Aber ich freue mich, dass wir uns in der Koalition mittlerweile so nahe sind, dass Sie derart auf SPD-Linie einschwenken. Wenn Sie von 98 Prozent sprechen, muss ich sagen: Hut ab! Das hätte ich nicht gedacht. Herr Gehring, Sie haben heute sehr staatstragend gesprochen. Man merkt, die Verantwortung in Baden-Württemberg geht auch an Ihnen nicht spurlos vorbei; das finde ich gut. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In zehn Bundesländern!) Klar, die Projekte sind Kompromisse; das ist einfach so. Aber es sind ja nicht nur Kompromisse zwischen den Koalitionsfraktionen, sondern auch Kompromisse zwischen dem Bund bzw. der Regierung und den Ländern. Ich muss sagen: Das macht es im Wissenschaftsbereich nicht in jedem Fall leichter. Aber ich denke, das Ergebnis kann sich sehen lassen. Darum, Frau Gohlke, finde ich die Zusammenfassung aller Kritikpunkte der letzten zweieinhalb Jahre in Ihrem heutigen Beitrag ein bisschen unangemessen. Sicherlich, viele Dinge sind noch zu tun; wir wollen sie auch in Angriff nehmen. Aber es wäre schön gewesen, wenn Sie ein bisschen näher auf die GWK-Beschlüsse eingegangen wären und zur Kenntnis genommen hätten, was Ernst Dieter Rossmann gesagt hat. Heute ist nämlich ein bemerkenswerter Tag. Denn beim Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs reden wir über ein Projekt, das nicht im Koalitionsvertrag enthalten ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dass wir ihn gemeinsam auf den Weg gebracht haben, finde ich gut. Es wäre schön gewesen, wenn Sie auch das eingestreut und somit auch ein positives Wort gesagt hätten. Kritik zu üben, ist nun einmal Aufgabe der Opposition. Es ist sicherlich auch sinnvoll, den einen oder anderen Aspekt entsprechend zu thematisieren. Auch bei uns, den Mitgliedern der Regierungsfraktionen, kommt es ab und zu vor, dass wir ganz tolle Ideen haben und diese in den parlamentarischen Prozess einbringen wollen. Dann wird häufig gesagt: Nein, das steht nicht im Koalitionsvertrag. – Diese Ideen sind dann nur ganz schwer umzusetzen. Darum sage ich noch einmal: Es ist wirklich toll, dass wir die Bund-Länder-Vereinbarung zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses gemeinsam auf den Weg gebracht haben und sie hier und heute debattieren. Dieser Nachwuchspakt wurde erstmalig im Januar 2015 von unserem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Hubertus Heil öffentlich gefordert. Sie haben zwar die Themen, die CDU und CSU wichtig sind, eingebracht. Aber ich glaube, was diesen Pakt betrifft, waren wir diejenigen, die ihn als Erste gefordert haben. Hubertus Heil hat ihn, wie gesagt, in die öffentliche Debatte eingebracht. (Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD]) Bei diesem Pakt war es nicht schwer, gemeinsam einen Weg zu finden. Auch unser Koalitionspartner war relativ schnell von seiner Sinnhaftigkeit überzeugt. Denn dem wissenschaftlichen Nachwuchs kommt in unserem Innovationssystem eine Schlüsselrolle zu. Ich denke, dass wir unseren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern attraktive Karriereoptionen bieten müssen, um sie im Land zu halten. Das ist natürlich auch im Interesse der Koalitionsfraktionen. So gab es im April 2015 einen Beschluss der Fraktionsvorstände von Union und SPD. Der Betrag von 1 Milliarde Euro, den wir für den wissenschaftlichen Nachwuchs zur Verfügung gestellt bekommen haben, war damals schon im Gespräch. An dieser Stelle möchte ich den Dank, den Frau Wanka den Fraktionen ausgesprochen hat, gerne an Frau Wissenschaftsministerin Wanka zurückgeben. Danke, dass Sie die Anregungen unserer Fraktion aufgegriffen und den Beschluss der Koalitionsfraktionen letztendlich umgesetzt haben! Das ist nicht selbstverständlich; aber da waren Sie offen. Vielen Dank dafür, dass wir das gemeinsam hinbekommen haben! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Ergebnis kann sich, wie ich schon sagte, sehen lassen. Es gibt 1 000 zusätzliche Tenure-Track-Professuren und immerhin eine Bezahlung nach W 2. Das macht die Stellen für Männer und Frauen attraktiv. Ich denke, dass wir den sogenannten Flaschenhals beim Übergang auf eine Professur damit etwas geweitet haben. Es braucht dazu natürlich noch mehr. Aber ich denke, das ist ein guter Schritt in die richtige Richtung, der jungen Wissenschaftlern frühzeitig planbarere und verlässlichere Karriereperspektiven ermöglicht. Und: Wir haben eine familienpolitische Komponente eingeführt. Herr Gehring, Sie sagten, Sie würden sich mehr Gleichstellung wünschen. Aber ich denke, dass wir den Vertrag bei Tenure-Track-Professuren im Falle der Geburt oder Adoption eines Kindes um zwei Jahre verlängern, ist schon eine gute Option. Wir hoffen, dadurch insbesondere junge Frauen im Wissenschaftssystem zu halten. Denn es sind Frauen, die in überdurchschnittlichem Maße aus unserem Wissenschaftssystem aussteigen, weil sie feststellen: Familie und Beruf sind schwer zu vereinbaren. – Darum denke ich, die familienpolitische Komponente ist ein wichtiges Zeichen in die richtige Richtung. Über die familienfreundlichen Tenure-Track-Professuren hinaus konnten wir, die SPD, gemeinsam mit den Ländern einen Strategieaufschlag von 15 Prozent durchsetzen. Ich hoffe natürlich sehr, dass dieser Strategiezuschlag wirklich genutzt wird, um moderne Personalstrukturkonzepte an unseren Universitäten zu etablieren. Da es in den Bund-Länder-Verhandlungen zwischenzeitlich so aussah, als würde der Strategieaufschlag nicht kommen, freue ich mich, dass wir ihn als wichtiges Element im Hinblick auf die Nachhaltigkeit des Programms auf den Weg gebracht haben. (Beifall bei der SPD) Sie sehen also: Es ist ein gutes Programm, das Bund und Länder am 20. Mai 2016 in der GWK vereinbart haben. Nein, es wird nicht so sein – ich greife kurz einen Beitrag von Ihnen, Frau Gohlke, auf; Sie haben das nur indirekt erwähnt –, dass die zusätzlichen Stellen nach vielleicht zehn Jahren von den Ländern gestrichen werden. Die Länder haben hier eine Verstetigungszusage gemacht, und diese Zusage dient dazu, dass das Programm hoffentlich wirklich nachhaltig ist, im Gegensatz zu dem Juniorprofessuren-Programm, das heute hier schon besprochen wurde. Nur 50 Prozent der Juniorprofessuren befinden sich heute nämlich noch im System. Ich denke und hoffe, dass wir mit dem Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs hier etwas Nachhaltigeres schaffen. Eines sei noch bemerkt: Wenn selbst die GEW den Nachwuchspakt als weiteren Teilerfolg würdigt, können wir, so denke ich, nicht alles falsch, sondern vieles richtig gemacht haben. Ich denke, hier können wir uns gegenseitig auch ein bisschen auf die Schultern klopfen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Für die SPD-Bundestagsfraktion kann ich sagen, dass gute Arbeitsbedingungen und planbare Karriereperspektiven eine Herzensangelegenheit für uns sind. Die von uns auf den Weg gebrachte Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, der Nachwuchspakt und die Selbstverpflichtungen vieler Wissenschaftsorganisationen sind wichtige Bausteine für das Thema „Gute Arbeit in der Wissenschaft“. Lassen Sie uns gemeinsam an diesem Thema dranbleiben. Ich bin nach den Worten von Herrn Rupprecht ganz optimistisch, dass wir in dieser Legislaturperiode noch weitere Bausteine hinzufügen können. In diesem Sinne: Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf einmal den Hinweis geben, dass es sich bei den Redezeiten nicht um ungefähre Richtwerte und Trendanzeigen handelt, sondern um zwischen den Geschäftsführern präzise vereinbarte Redeminuten. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ich bitte, das zu beachten. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor allem die Regierungsfraktionen!) Jetzt hat die Kollegin Alexandra Dinges-Dierig für die CDU/CSU das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Alexandra Dinges-Dierig (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt auf Dauer keinen wirtschaftlichen Fortschritt, ohne dass die Wissenschaft auch gepflegt wird. Diesen Satz sagte Konrad Adenauer vor sehr vielen Jahrzehnten, und er ist für uns heute noch genauso aktuell, wie er damals erschien. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir wollen darauf achten – das werde ich gleich an vielen Beispielen zeigen können –, dass wir nicht nur fördern und fordern – diese Wortpaarung haben wir heute schon in mehreren Debatten gehört –, sondern dass die Maßnahmen in unserem Bereich auch nachhaltig sind. Dieser Begriff „Nachhaltigkeit“ ist manchmal vielleicht ein bisschen abgegriffen, aber ich möchte jetzt auf den eigentlichen Wortsinn zurückkommen. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Er kommt aus Sachsen!) Der eigentliche Wortsinn ist: Wir wollen etwas schaffen, das auch in Zukunft Wirkung entfaltet, und zwar über die heutige direkte finanzielle Förderung hinaus. Das ist ganz wichtig. Nur dann entsteht das, was wir alle wollen, nämlich eine Dynamik im Wissenschaftssystem. In den vorgelegten Programmen und auch in den Bund-Länder-Vereinbarungen der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz finden wir eine ganze Reihe dieser Nachhaltigkeitsmerkmale. Ich möchte das an drei Punkten zeigen. Erstens. Im Rahmen der neuen Exzellenzstrategie fördern wir die Exzellenzuniversitäten auf der Grundlage von Artikel 91 Grundgesetz langfristiger. Mit dieser langfristigen Planungssicherheit werden natürlich auch langfristig wirkende Veränderungen ermöglicht. Zweitens. Schauen Sie sich die Exzellenzcluster an. In Bezug auf die Exzellenzcluster haben wir eine zusätzliche Strategiepauschale eingeführt, die heute auch schon erwähnt wurde. Was können wir dadurch erreichen? Diese Strategiepauschale ermöglicht es den Universitäten zum Beispiel, strategische Veränderungen vorzunehmen. Sie können Profilbildungen finanzieren, Schwerpunkte setzen und etwas schaffen, was der gesamten Universität nicht nur heute, sondern vor allem morgen zugutekommt. Ich denke, auch das ist ein ganz wesentlicher Punkt und weist auf die Nachhaltigkeit der Förderung der Exzellenzcluster hin. Drittens. Nehmen wir schließlich das Tenure-Track-Programm, das Kernstück der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses in der jetzt vorliegenden Bund-Länder-Vereinbarung. Es geht über die bloße Schaffung der zusätzlichen Stellen hinaus, die für sich ja schon langfristig wirken. Wie geschieht das? Bund und Länder werden im Gegenzug dafür, dass es hier zusätzliche Stellen gibt, von den Universitäten auch etwas fordern. Das müsste Frau Gohlke eigentlich besonders gut gefallen. Leider hat sie allerdings gemeint, dies fehle. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist der linke Tunnelblick!) Wir verlangen nämlich ganz klar eine Personalentwicklungsplanung. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Eine Personalentwicklungsplanung ist der übergeordnete Begriff für eine Personalstrukturplanung, und das, was Sie an Gleichstellung einfordern, ist Teil ebendieser Personalstrukturplanung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Genau das ist eine Eingangsvoraussetzung für die Förderung, und das wollen wir. Wir alle – ob wir über Mentoring, Coaching, fachliche Weiterbildung oder Gleichstellungsziele, die wir haben, sprechen – wissen: Mit einer guten Personalentwicklungsplanung kann man langfristig viel mehr erreichen als mit irgendeinem Gesetz oder irgendeinem Sonderprogramm. Erst diese Planung erzeugt nämlich einen Bewusstseinswandel in den Einrichtungen. Diesen brauchen wir dringend. Das gehen wir jetzt an. (Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD]) Wir setzen gleichzeitig mit den neuen Bedingungen das klare Signal, dass Kinder eben kein Hinderungsgrund für die Karriere sind; Simone Raatz hat es eben schon ausgeführt. Mit diesem Signal sagen wir: Die Karriere kann zusammen mit einer Familiengründung erfolgreich sein. Die persönliche Lebensplanung kann so gemeinsam mit dem Beruf vereinbart werden. Das ist ein klares Bekenntnis zu der Lebensplanung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, aber auch ein klares Bekenntnis, dass eine Gesellschaft Kinder braucht. Auch das ist ein Signal von Nachhaltigkeit, möchte ich sagen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir als Wirtschaftsnation auch in Zukunft Bestand haben wollen, dann müssen wir – das zeigen auch diese drei Programme und Vereinbarungen ganz deutlich – unsere Wissenschaft nachhaltig pflegen. Die vorgelegten Programme, die wir heute debattiert haben – diese Debatte wird sicherlich nur ein Zwischenschritt sein –, sind auf jeden Fall aus meiner Sicht ein weiterer, extrem wichtiger Meilenstein auf unserem Weg zu einer nachhaltigen Weiterentwicklung des Hochschulsystems und damit gleichzeitig zur Sicherung einer dynamischen Wirtschaftsentwicklung. Ich bedanke mich recht herzlich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Danke auch für die präzise Einhaltung der Redezeit. – Nächster Redner ist der Kollege Oliver Kaczmarek für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]) Oliver Kaczmarek (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte einige Punkte der Debatte über Exzellenzförderung und über das entsprechende Paket, wie sie öffentlich hier im Plenarsaal geführt worden ist, aufgreifen, weil ich finde, dass an einigen Stellen ideologisch ein bisschen verengt argumentiert wurde. Die einen sagen: „Exzellenzförderung lehnen wir im Grunde ganz ab“, und andere sagen: „Wir möchten diese Förderung noch stärker konzentrieren.“ Deswegen möchte ich dazu drei Anmerkungen machen. Erste Anmerkung. Es ist nicht in Ordnung, wenn ein Gegensatz zwischen Exzellenzförderung und guter Lehre oder Breitenförderung aufgemacht wird. Wer sich einmal ganz konkret Cluster und Spitzenstandorte angeguckt und mit den Hochschulleitungen gesprochen hat, der weiß, dass gerade die Einbindung forschungsorientierter Lehre ein wichtiger Punkt in der gesamten Hochschul-Governance ist, sowohl bei den Hochschulen mit Clustern als auch bei den Spitzenstandorten. Genau deshalb haben Bund und Länder in der Verwaltungsvereinbarung, die jetzt zur Beschlussfassung vorliegt, den Aspekt der forschungsorientierten Lehre gestärkt. Die Lehre ist eine Fördervoraussetzung und muss in den Anträgen nachgewiesen werden. Sie ist eine Bewertungsgrundlage für das Expertengremium. Ich sage daher nicht, dass wir bei der Qualität der Lehre nicht noch mehr tun müssen. Wir dürfen auch nicht so tun, als würde der Bund nichts machen. Immerhin nehmen 156 Hochschulen an der zweiten Phase des Qualitätspakts Lehre teil. Das ist nun nicht gerade nichts. Das ist ein schöner Bestandteil in der Förderung der Qualität der Lehre. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Unsere Bitte an die Bundesregierung ist, wenn der Beschluss durch die Ministerpräsidenten und die Bundeskanzlerin gefasst worden ist, klarzumachen: Das ist ein wichtiger Teil. – Aber in der Exzellenzinitiative muss noch mehr aufscheinen: Wer eine exzellente Universität werden will, der muss auch eine exzellente und forschungsorientierte Lehre anbieten. Ohne das geht es aus unserer Sicht nicht. (Beifall bei der SPD) Zweite Anmerkung. Es ist und bleibt richtig, in der Spitze breit zu fördern. Ich will jetzt gar nicht auf den Dissens zwischen drei bis fünf bzw. acht bis elf Spitzenstandorten im Detail zu sprechen kommen. Es hat auch in der Community wenig Widerhall gefunden, die Zahl der Spitzenstandorte zu verringern. Aber ich will einfach sagen – das ist unser Bekenntnis zur Exzellenzförderung –: Wir verstehen das Wissenschaftssystem in Deutschland anders. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Wir haben mehr als Harvard zu bieten. Wir wollen die Stärken dieses Wissenschaftssystems weiterentwickeln und fördern die Vielfalt. All das ist ein einzigartiger Schwerpunkt der deutschen Wissenschaftslandschaft im internationalen Konzert. Deswegen wäre es für die SPD nicht akzeptabel, auf weniger als diese acht bis elf Spitzenstandorte zu gehen; denn dies würde unserem Wissenschaftssystem und seiner internationalen Sichtbarkeit nicht gerecht werden. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Tankred Schipanski [CDU/CSU]) Dritte Anmerkung. Wir glauben, dass die „Innovative Hochschule“ das Portfolio der Wissenschaftsfinanzierung sinnvoll ergänzt. Die „Innovative Hochschule“ ist kein Trostpflaster für Fachhochschulen und kleine Universitäten, und sie ist auch keine Exzellenzstrategie für sie. Sie konzentriert sich vielmehr auf zwei besondere Förderdimensionen, die auch besondere Schwerpunkte und markante Merkmale insbesondere von Fachhochschulen in unserem Wissenschaftssystem sind. Deswegen sollen jeweils 50 Prozent der Förderfälle und der Fördersumme auf Fachhochschulen entfallen. Es geht um Transfer und um die Vernetzung in der Region. Deswegen glauben wir, dass es auch an dieser Stelle ein gutes, richtiges und wichtiges Förderprogramm ist. Aber wir räumen gerne ein: Trotz vieler Anstrengungen, die wir unternommen haben, um die Forschung an Fachhochschulen zu stärken und mit diesem Programm voranzukommen, halten wir den Mitteleinsatz für die Förderung und Stärkung der Fachhochschulen insgesamt noch nicht für zufriedenstellend. Deshalb würden wir gerne in dieser Wahlperiode, aber auch in den folgenden Wahlperioden noch eine Schippe drauflegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, wenn wir zum jetzigen Zeitpunkt der Wahlperiode in der Wissenschaftsfinanzierung einen Strich ziehen, dann muss man sagen: Es ist viel erreicht worden. Stichworte dazu wurden bereits genannt. Der Hochschulpakt ist ausfinanziert. Der Aufwuchs für den Pakt für Forschung und Innovation ist bundesseitig finanziert worden. Beim Qualitätspakt Lehre ist die zweite Phase gesichert. Die Exzellenzinitiative wird zur Strategie. Die Forschung an Fachhochschulen wird gestärkt. Das ganze Paket wird jetzt um den Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs und um die „Innovative Hochschule“ ergänzt. Das ist eine stolze Leistung. Wir haben schon eine Menge erreicht. Aber wenn wir einen Strich ziehen, dann muss man auch sagen: Wir haben viel erreicht, aber es gibt noch viel zu tun. Der Kollege Rossmann hat gerade auf die nächste Wahlperiode hingewiesen. Dann laufen einige Pakte aus. Wir müssen sie dann einer Überprüfung unterziehen und überlegen, wie wir mit diesen Pakten umgehen. Die SPD will die Vielfalt der deutschen Wissenschaftslandschaft weiter fördern, und zwar in der Spitze wie in der Breite. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Wir wollen die Universität im Zentrum sehen. Wir wollen Sicherheit für die außeruniversitäre Forschung, und wir wollen den besonderen Beitrag, den die Fachhochschulen in unserem Wissenschaftssystem leisten, noch deutlicher zur Geltung kommen lassen. Deswegen ist es, glauben wir, richtig, die Mittel im System zu halten, zielgerichtet zu überprüfen, die Pakte weiterzuentwickeln und einen wirksamen Beitrag zur Grundfinanzierung zu leisten. Auch das gehört in diese Debatte; es spielt keine Nebenrolle. Wenn wir die Exzellenzförderung für gut halten und fortsetzen wollen, dann gehört dazu auch, dass wir die Grundfinanzierung in den Blick nehmen und in der nächsten Wahlperiode die Mittel für den Hochschulpakt verstetigen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Zum Schluss dieser Vereinbarten Debatte spricht die Kollegin Patricia Lips für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Patricia Lips (CDU/CSU): Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Vor allem in den letzten zehn Jahren hat der Wissenschaftsstandort Deutschland einen großen Sprung nach vorne gemacht. Unsere Hochschulen – die Ministerin hat darauf hingewiesen – bilden hierbei zu Recht mit ihren Forschungseinrichtungen die Herzkammer des Systems. Darauf wollen wir uns nicht ausruhen. Wir schreiten weiter voran, und wir sind der Überzeugung, dass wir mit dem, was heute bereits vorgestellt wurde, weitere wichtige Meilensteine setzen, um unseren Standort an dieser Stelle zu stärken. Die Exzellenzinitiative war und ist eine Erfolgsgeschichte. Sie hat die Wissenschafts- und Forschungslandschaft bereits in weiten Teilen nachhaltig zum Vorteil verändert und einen dynamischen Prozess eingeleitet. Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir sind alle stolz darauf, dass Deutschland auf dieser Basis seine wichtige Rolle in der Forschungslandschaft weiter ausbauen konnte. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wichtigste Grundlage hierfür war und ist – das wurde bereits mehrfach erwähnt –, die Grundsätzlichkeit, die Förderung von Spitzenforschung als schlichte Notwendigkeit anzuerkennen. Ja, es ist ein wissenschaftsgeleiteter Wettbewerb. Es ist ein Ringen um Leistung. Es ist aber vor allem auch ein Bekenntnis, Exzellenz in Verantwortung für das Ganze zuzulassen, weil sie sich am Ende für das Ganze als erfolgreich erweist. Es geht ja nicht nur um einen Prozess im Inneren oder einen Wettbewerb der hiesigen Einrichtungen. Deutschland steht in einem globalen Wettbewerb, und hierfür ist es wichtig, dass wir uns diesem Wettbewerb zunehmend stellen und die geeigneten Instrumente einsetzen. Durch Spitzenforschung und die Förderung der Exzellenz werden wir an dieser Stelle sichtbar. Umso mehr begrüßen wir das Ergebnis zur neuen Exzellenzstrategie aus der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz. Auch ich möchte mich heute ganz herzlich bei der Bundesforschungsministerin Johanna Wanka für ihre erfolgreiche Verhandlungsführung bedanken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Neben den Förderlinien – sie wurden ja zu den jeweiligen Einzelmaßnahmen im Detail genannt – liegt jedoch diesmal, bei dieser Neuauflage, die ganz große Chance in der erhöhten Planungssicherheit – deshalb möchte ich das an dieser Stelle auch noch einmal hervorheben –, die einen dauerhaften Aufwuchs zulässt. Es ist die ganz neue Qualität mitsamt dieser ganzen Förderlinien und Einzelelemente, die diese neue Exzellenzstrategie auszeichnet und damit die Erfolgsgeschichte ganz sicher fortschreiben lässt. Sie ist das Kernstück dieser drei Elemente. Aber auch ich möchte hier erwähnen, dass das ganze Paket, dass das stabile Gerüst erst aus dem Zusammenspiel der drei Elemente entsteht und dass sich daraus die Stärkung des Wissenschaftsstandorts entfaltet: Das ist zum einen das Thema Exzellenzstrategie, zum anderen die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und zum Dritten das Thema „Innovative Hochschule“. Es wird zu Recht an verschiedenen Stellen darauf aufmerksam gemacht, dass Größe natürlich nicht immer automatisch mit Qualität gleichzusetzen ist. Die besondere Stärke in diesem Land ist die Vielfalt der Hochschullandschaft, ausgestattet mit jeweils spezifischen Aufgaben oder – besser – Verantwortung in diesem System. Dies gilt insbesondere für die Fachhochschulen und kleineren Hochschulen, deren Vorteil sowohl in einer hohen Innovationsfähigkeit wie auch in einem schnelleren Wissenstransfer besteht. (Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD]) Hinzu kommen – ich glaube, der Herr Kollege Kaczmarek hat das schon erwähnt – eine flächendeckende und enge Anbindung an die Region, beispielsweise in Form von Kooperationen mit mittelständisch geprägter Wirtschaft. Sie decken damit ein wichtiges Spektrum ab, sie sind bei weitem nicht nur ein Ableger oder ein Anhängsel anderer Einrichtungen. Diese Fähigkeiten wollen wir parallel ebenfalls mit einem ganz neuen Element, dem Programm „Innovative Hochschule“, aufwerten und unterstützen. (Beifall bei der CDU/CSU) Lassen Sie mich auch noch etwas anderes erwähnen – die Steilvorlage war an dieser Stelle einfach zu verlockend; dabei komme ich sogar noch zu höheren Zahlen als Herr Rossmann –: Wenn ich zusammenrechne, was in den Hochschulpakt geflossen ist und fließt, in den Qualitätspakt Lehre, in die Übernahme des BAföG-Anteils der Länder durch den Bund – damit wären Tausende von Stellen dauerhaft zu finanzieren –, in die Förderung von Programmpauschalen und in die bereits vorhandenen Fördermittel für Fachhochschulen, komme ich da auf mehr als 25 Milliarden Euro allein vonseiten des Bundes und stelle fest: Das geht in die Breite. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Insofern kann man auch nicht davon sprechen, dass wir uns einseitig auf etwas konzentrieren. Ich hoffe doch, dass Sie Ihre kritische Haltung gegenüber dem Auswahlcharakter auch einer Exzellenzinitiative hier noch einmal überdenken können. Das zweite Element zusätzlich zur Exzellenzstrategie – wir hörten es bereits – bildet ein weiteres Programm zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Es geht um die klugen, es geht um die klügsten Köpfe in unserem Land wie auch darüber hinaus. Es geht nicht allein darum, sie zu gewinnen, es geht vor allen Dingen darum, sie auch perspektivisch zu halten. In Verbindung mit den Maßnahmen aus früheren Gesetzen geben wir dem wissenschaftlichen Nachwuchs Planungssicherheit, eröffnen auch nachfolgenden Generationen immer wieder Chancen, bieten jetzt den Universitäten auch einmal ganz neue Wege bei ihrer Personalplanung und erhalten gleichzeitig die Dynamik und die Flexibilität in unseren Einrichtungen. Kolleginnen und Kollegen, wir sind davon überzeugt, dass wir mit den nun drei neuen Programmen, diesem Gesamtpaket, weitere wichtige Weichen gestellt haben und stellen werden, um das Wissenschaftssystem voranzubringen, Deutschland an der Spitze zu halten, und zwar sichtbar und auf Dauer. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Abstimmungen oder Überweisungen sind für diesen Tagesordnungspunkt nicht vorgesehen. Deshalb kann ich sofort den Tagesordnungspunkt 29 aufrufen: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen zur Förderung des deutschen Films (Filmförderungsgesetz – FFG) Drucksachen 18/8592, 18/8627 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das somit beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile zuerst für die Bundesregierung der Frau Staatsministerin Professor Monika Grütters das Wort. Monika Grütters, Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Entwurf unseres neuen Filmförderungsgesetzes rollen wir quasi künftigen Filmerfolgen den roten Teppich aus. Qualitative Spitzenförderung zu ermöglichen und dazu die deutsche Filmwirtschaft im internationalen Wettbewerb zu stärken, das sind die Ziele der Gesetzesnovelle, über die wir heute in erster Lesung beraten. Sie soll dem deutschen Film, den man als eine Art Aushängeschild unserer Kulturnation bezeichnen kann – im Ausland wird er sehr viel gesehen –, nationale und internationale Strahlkraft verleihen. An Strahlkraft hat es zumindest in den vergangenen Wochen und Monaten nicht gefehlt. Mit ihrem Film Toni Erdmann, übrigens gefördert mit Mitteln der Filmförderungsanstalt, des DFFF und der kulturellen Filmförderung meines Hauses, war Maren Ade bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes der echte Liebling der Filmkritik, und zwar der internationalen. Manche haben sie auch als „Siegerin der Herzen“ bezeichnet. Mit 27,5 Prozent Marktanteil hat der deutsche Film 2015 das beste Ergebnis seit Erfassung der Besucherzahlen erzielt. Solche Erfolge zeigen immerhin: Wir sind mit unserer Filmförderung auf dem richtigen Weg. Damit künstlerische und wirtschaftliche Wagnisse auch in Zukunft möglich bleiben, sieht der Regierungsentwurf des Filmförderungsgesetzes unter anderem vor, ein hohes Niveau des Abgabeaufkommens zu sichern, die Filmförderung effizienter zu machen, die Drehbuchförderung deutlich auszubauen, die Leistung der Produzenten noch stärker zu honorieren, Kinos als Kulturorte vor allem in der Fläche, also jenseits der Metropolen, zu stärken und – daran hänge ich sehr – Kurzfilme mehr als bisher zu fördern. Wir wollen zudem die Entscheidungsstrukturen effizienter gestalten und dabei nicht zuletzt – ich glaube, das ist die Voraussetzung für ein gutes Ergebnis – den Frauenanteil in den FFA-Gremien signifikant erhöhen. Lassen Sie mich ganz kurz auf diese Punkte eingehen, zuerst auf das Abgabeaufkommen. Wenn das neue FFG qualitative Spitzenförderung ermöglichen soll, dann brauchen wir deutlich mehr Mittel aus der Branche selbst. Insbesondere die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten werden deshalb künftig zu einem Abgabesatz von 3 Prozent verpflichtet. Aber ARD und ZDF haben darüber hinaus sogar ihre Bereitschaft erklärt, freiwillig 4 Prozent zu leisten, also aufzustocken; das war nicht immer so. Das ist ein echter Erfolg. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Auch die Abgaben der anderen Einzahler werden moderat angepasst, sodass wir eine gute Balance zwischen den Abgabezahlern erreichen. An der Abgabepflicht der ausländischen VoDAnbieter halten wir natürlich fest. Ich habe am Dienstag an der Kulturministerratssitzung in Brüssel teilgenommen. Dort hat die Kommission ihren ersten Entwurf einer AVMD-Richtlinie vorgelegt, in der erstmals dieses Prinzip implementiert wird. So weit waren wir noch nie. Ich habe Kommissar Oettinger, der daran maßgeblich mitgewirkt hat, gedankt. Es ist nicht nur für den deutschen Filmstandort wichtig, dass es keine Abgabeoasen mehr gibt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Gleichzeitig wollen wir die Förderung effizienter gestalten, indem wir uns bei der Vergabe der Fördermittel auf wenige, aber vielversprechendere Projekte konzentrieren, um diese mit höheren Summen zu fördern. Der Gesetzentwurf sieht deshalb für die Auswahl der Projekte im Rahmen der Projektfilmförderung detailliertere Vorgaben als bisher und eine gesetzliche Mindestförderquote vor. Außerdem sollen durch die Abschaffung der sogenannten Erfolgsdarlehen künftig mehr Mittel für die erneute Vergabe durch die jeweiligen Kommissionen zur Verfügung stehen. Es gibt also künftig auch mehr Begünstigte. Um Spitzenqualität geht es auch beim Ausbau der Drehbuchförderung. Mit der neuen Drehbuchfortentwicklungsförderung, die nicht nur am Anfang greift, sondern auch dann, wenn ein Stoff weiterentwickelt wird, und der Erhöhung der Mittel wollen wir dafür sorgen, dass gute Stoffe tatsächlich bis zur Filmreife gelangen. Das ist leider nicht immer so. Wir glauben, dass wir mit diesem mittleren Förderschritt deutlich mehr Drehbüchern dazu verhelfen, zum echten Film zu werden. Die Drehbücher gelten zu Recht als DNA eines hohen deutschen Marktanteils. So haben es zumindest die Drehbuchautoren selber einmal formuliert. Stärker honorieren wollen wir künftig auch die Leistung der Produzenten, wie ich eingangs gesagt habe, zum Beispiel mit Erleichterungen beim vom Produzenten zu erbringenden Eigenanteil und mit der Einführung des 25Prozent-Bonus, der wirksam wird, wenn der Film erfolgreich ist und die Einnahmen an der Kinokasse die Herstellungskosten übersteigen. Ein weiterer Punkt ist die Förderung des Kurzfilms. Von seiner kompositionellen Raffinesse, von den anspruchsvollen Dramaturgien, von der knappen, präzisen Erzählweise – das sind die Charakteristika eines Kurzfilms – profitiert die Filmkunst insgesamt. Deshalb sieht die FFG-Novelle vor, dass künftig auch Kurzfilme von unter einer Minute und bis zu 30 Minuten – das war bisher die Eingrenzung – Fördermittel bekommen können. Es wäre doch zu schade, Experimentierfreude in ein zu starkes Minutenkorsett zu zwingen. Deshalb weiten wir die Kurzfilmförderung deutlich aus. Weil Filmkunst nicht nur Leinwand oder Bildschirm, sondern auch eine Bühne braucht, wollen wir Kinos als Kulturorte deutlich stärken, gerade abseits der großen Städte. Kinos profitieren von der Anhebung der für den konkreten Abgabesatz maßgeblichen Umsatzschwellen. Außerdem soll es bei den bisherigen Sperrfristen bleiben. Die garantieren – das System der Sperrfristen wird immer wieder diskutiert –, dass ein Film zumindest in der Regel sechs Monate exklusiv dem Kino vorbehalten bleibt, bevor er zum Beispiel auf DVD zu haben ist. Auch das finde ich wichtig. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Es gibt diesbezüglich immer wieder die eine oder andere Erwägung, aber ich glaube, das ist wirklich im Interesse der Kinos. Das betrifft vor allen Dingen die Kinos jenseits der großen Städte. Für die ist das ein wichtiger Punkt. Ein letzter Punkt. Wir wollen die Gremien der FFA verschlanken und professionalisieren. Dass das dringend nötig war, können alle die bestätigen, die die bisherige Zusammensetzung kennen. Künftig soll es nur noch drei Förderkommissionen mit maximal fünf Mitgliedern aus einem Pool von Experten geben, die in wechselnder Besetzung tagen. Auf diese Weise können sich die Kommissionsmitglieder die Projekte bzw. die Filme genauer anschauen, sodass herausragende Ideen nicht in der Masse der Antragsteller untergehen. Im Rahmen der Gremienbesetzung will ich für mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Filmbranche sorgen. Man kann das im künstlerischen Bereich nicht erzwingen. Das Potenzial ist aber da. Wie wir in diesem Jahr gesehen haben, waren drei ganz tolle Regisseurinnen unter den Gewinnern des Deutschen Filmpreises. Aber in den Gremien, wo wir ausdrücklich Einfluss ausüben können, war das nicht gegeben. Es kann nicht sein, dass zwar unser höchstdotierter Filmpreis einen Frauennamen trägt – die Lola –, unsere hochdekorierten Filmemacher in der Regel aber nicht. Künftig werden mindestens zwei Frauen in den Fünferkommissionen an den Förderentscheidungen beteiligt sein. Ich bin zuversichtlich, dass sich damit auch mehr von Frauen geprägte Projekte durchsetzen können. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Der aktuelle Entwurf des Filmförderungsgesetzes ist das Ergebnis mehrfacher Branchenanhörungen, großer runder Tische – viele von Ihnen haben daran teilgenommen – und unzähliger Gespräche auch und gerade mit Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Für den konstruktiven Austausch – das war bei dem Filmförderungsgesetz wirklich wohltuend – bin ich allen Beteiligten sehr dankbar. Es freut mich vor allem, dass wir gemeinsam Wege gefunden haben, um künstlerische Aspekte bei der wirtschaftlichen Filmförderung doch noch ein bisschen stärker zu betonen. Wie der Beifall klingt, wenn deutsche Filmkunst überzeugt, haben wir in den vergangenen Wochen dank Toni Erdmann gehört. Dieser Film erreicht die Sterne, vermerkte Le Figaro. Oder: Originell bis ins Absurde, kommentierte Deutschlandradio Kultur. Ein Werk von großer Schönheit, großen Gefühlen und großes Kino, hat die New York Times diesen Film genannt. Er kommt im Juli in die Kinos. Solche Zeilen wünschen wir, die wir die Filme lieben, uns doch alle. Wir würden sie gerne öfter hören und lesen. In diesem Sinne hoffe ich auf Ihre Unterstützung für den Entwurf unseres neuen Filmförderungsgesetzes. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Harald Petzold, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf der Besuchertribüne! Es ist zwar noch nicht ganz Freitag nach eins, aber fast. Freitag nach eins macht bekanntlich jeder seins. Wir sehen das leider auch hier im Plenarsaal. Die Behandlung dieses Gesetzesanliegens ist so wichtig, dass das Filmförderungsgesetz das Dasein in einer Randzone eigentlich nicht verdient hat. Dass die Bundesregierung beantragt hat, die Debatte über diesen Tagesordnungspunkt erst jetzt stattfinden zu lassen, spricht Bände in Bezug darauf, welche Wichtigkeit sie diesem Gegenstand tatsächlich beimisst. Nach diesem Tagesordnungspunkt werden übrigens nur noch die Ostrenten behandelt. Auch das spricht Bände hinsichtlich der Wichtigkeit, die die Große Koalition bestimmten Themen hier offensichtlich zubilligt. Ich bin sehr froh, dass meine Fraktion einen eigenen Antrag eingebracht hat, der bereits im April dieses Jahres in der Kernzeit auf der Tagesordnung stand. Bereits zu diesem Zeitpunkt haben wir beantragt, das Filmförderungsgesetz sozial ausgewogen und geschlechtergerecht zu ändern. Wir haben uns für Genrevielfalt und für den Erhalt von Kino als Kulturort ausgesprochen. Damit wurde wenigstens einmal in dieser Legislaturperiode zu einer zugänglicheren Zeit, in der auch mehr Abgeordnete im Plenarsaal sind, dieser wichtige Gegenstand – für die Koalition ist es ja in dieser Wahlperiode eines der wichtigsten Projekte der Medienpolitik überhaupt – öffentlich diskutiert. Das hat in der Öffentlichkeit übrigens ein sehr positives Echo gefunden. Ich finde, das ist gut so. (Beifall bei der LINKEN) Ich bin darüber hinaus sehr froh, dass sich der Bundesrat in seiner Stellungnahme sehr deutlich dafür ausgesprochen hat, dass das „in der Filmwirtschaft eingesetzte Personal zu sozialverträglichen Bedingungen beschäftigt wird“. Es soll nach Auffassung der Bundesländer eine neue Aufgabe der Filmförderungsanstalt werden – ich zitiere –, „auch die Belange der Beschäftigten in der Filmwirtschaft zu unterstützen“. Ein ganz herzliches Dankeschön an die Bundesländer für diese Stellungnahme und ein ganz herzliches Dankeschön besonders an die Bundesländer mit linker Regierungsbeteiligung, nämlich Thüringen und Brandenburg, die sich besonders intensiv für diesen Punkt in der Stellungnahme der Bundesländer eingesetzt haben. Denn angesichts zu einem großen Teil prekärer Arbeits- und Produktionsbedingungen vieler Filmschaffender ist die Forderung aktueller denn je, dass sich die Filmförderung für Tariftreue, für faire und angemessene Vertragsbedingungen zwischen Produktionsunternehmen und den Beschäftigten einsetzt. Ich wiederhole in diesem Zusammenhang den Vorschlag meiner Fraktion, der Linken, aus unserem Antrag zur sozialverträglichen Änderung des Filmförderungsgesetzes: Produzenten, die nachweislich einkalkulierte Tarif- bzw. Mindestlöhne nicht ausgezahlt haben, sollten für drei Jahre von der Förderung ausgeschlossen werden. Ich sage: Mit der Novelle zum Filmförderungsgesetz böte sich eine gute Chance, dies ein für alle Mal zu ermöglichen. (Beifall bei der LINKEN) Im Übrigen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Union: Die Stellungnahme des Bundesrates müsste für Sie wie eine schallende Ohrfeige gewirkt haben, da Sie uns ja wieder sozialistische Planwirtschaft im Zusammenhang mit unserem Antrag und der Debatte darüber unterstellt haben. Ich kann Ihnen versichern: Wir werden mit unseren Änderungsanträgen genau diese ursozialistische Forderung, nämlich „Gute Löhne für gute Arbeit“, einbringen und thematisieren, und wir werden auf eine Änderung des vorliegenden Gesetzentwurfs drängen, zumal Sie als Große Koalition nicht einmal bereit sind, bei den Regelungen zur Arbeitslosenversicherung die Belange von kurzfristig Beschäftigten – dazu zählen die Beschäftigten der Filmwirtschaft – besonders zu berücksichtigen und diese zu verändern. Das ist ein klarer Bruch Ihres Versprechens aus dem Koalitionsvertrag, wo Sie zugesagt haben, dass noch in dieser Wahlperiode für eine Reform der Arbeitslosengeld-I-Regelung für Kulturschaffende gesorgt werden soll. Da nützt es auch gar nichts, wenn die Staatssekretärin Kramme hier Krokodilstränen verdrückt und sagt: Es ist leider nicht gelungen, für die kurzfristig Beschäftigten eine Verbesserung zu erreichen. Ich kann nur sagen: Das war der Großen Koalition offensichtlich einfach nicht wichtig genug, ähnlich wie möglicherweise die gesamte Filmförderung. Ich kann nur die Forderung meiner Fraktionskollegin Zimmermann von gestern wiederholen, die gesagt hat, dass mindestens vier Monate ausreichen müssen, um Anwartschaften für das Arbeitslosengeld I zu erwerben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Redezeit ist leider nur kurz bemessen. Deswegen kann ich nicht weiter in die Tiefe gehen, um darzustellen, was Ihrem Gesetz noch alles fehlt. Sie haben keine Vorstellung von der Zukunft des deutschen Films. Sie haben keine Idee von den gesellschaftlichen, kulturellen und sozialen Wirkungen des Films. Sie betrachten Film zuallererst als Standortpolitik, dann als Verschiebebahnhof für Fördermittel – wobei Sie auch noch knauserig sind –, und Sie konzentrieren sich dann im Wesentlichen auf Gremienbesetzungen, wobei Sie immer ordentlich darauf achten, dass vor allen Dingen die Verwerterseite in den Gremien ordentlich präsentiert ist, was dann dazu führt, dass von dieser Seite Einfluss auf Filmgeschichten und Drehbücher genommen wird, was wir für unangemessen halten. Sie reden davon, dass eine Frauenquote mehr Geschlechtergerechtigkeit bringt. Fragen Sie einmal unsere europäischen Nachbarn, wie sie mit diesem Thema umgehen. Da haben wir ein Vorbild. Auch dazu haben wir Ihnen in unserem Antrag einen entsprechenden Vorschlag vorgelegt. Wir sagen: Der Gesetzentwurf enthält keine Regelung dazu, wie Kinos flächendeckend erhalten und gefördert werden können. Ihre Vorschläge hinsichtlich des Abgabeaufkommens berücksichtigen die Entwicklungen, zum Beispiel den Rückgang beim Verkauf von DVDs, überhaupt nicht. Wir werden also nicht mehr Einnahmen in diesem Bereich haben, sondern weniger. Meine sehr verehrten Damen und Herren, für die Linke hat Filmförderungspolitik vor allen Dingen zum Ziel, den Film als eine für die Gesellschaft unverzichtbare kulturelle Ausdrucksform in der öffentlichen und politischen Wahrnehmung zu verankern und das Filmförderungssystem entsprechend neu auszurichten und am Ende zu stärken. In diesem Sinne werden wir uns in die Debatte einbringen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und Ihnen, Herr Präsident, dass Sie etwas großzügig mit mir umgegangen sind, was die Redezeit anbelangt. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Das ist die Großzügigkeit für alle, die der Debatte um diese Zeit hier intensiv folgen. – Als Nächster spricht der Kollege Burkhard Blienert für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Burkhard Blienert (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident, an Ihre Großzügigkeit kann ich hoffentlich auch appellieren. (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Elf Minuten!) Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor einer Woche wurde der Deutsche Filmpreis vergeben. Wir konnten einen starken Jahrgang feiern, der noch einmal die breite Vielfalt des kreativen Filmschaffens deutlich gemacht hat. Von dieser Stelle sage ich – es ist erst eine Woche her –: Herzlichen Glückwunsch allen Preisträgerinnen und Preisträgern! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vor wenigen Wochen haben wir Maren Ade feiern können mit dem Film Toni Erdmann. Wir haben lange warten müssen, bis wieder eine deutsche Produktion in Cannes dabei war. Besonders erfreulich dabei vor dem Hintergrund der überfälligen Genderdiskussion: Produziert hat das Projekt nämlich auch eine Frau, Janine Jackowski. Es ist ein schönes Beispiel dafür, was das deutsche Fördersystem im besten Fall mit bewirken kann: die Begünstigung von künstlerischem und wirtschaftlichem Erfolg, und zwar auch im Ausland. Toni Erdmann hat sich nämlich schon in 55 Länder weiterverkauft. Die Liste der Förderer reicht dabei von der FFA über den DFFF bis hin zur kulturellen Filmförderung des BKM und der Länder. Auch drei öffentlich-rechtliche Sender haben Toni Erdmann koproduziert. Deshalb nur am Rande bemerkt: Das Mitwirken von Fernsehredaktionen muss also einem Projekt nicht zwangsläufig schaden. Keine Frage: Toni Erdmann ist ein Glücksfall für den deutschen Film. Aber ich wünsche mir, dass unsere Förderung mehr solcher Filme möglich machen kann, Filme, die die Kritiker genauso wie die Kinozuschauer im In- und Ausland begeistern. Genau das haben wir uns mit der Novelle des FFG auch vorgenommen. Dabei ist das FFG nur ein, wenn auch zentraler Pfeiler der deutschen Filmförderung. Ich möchte einen anderen kurz streifen: den DFFF. Er war zuletzt genauso überzeichnet wie der neue German Motion Picture Fund aus dem BMWi. Gleichzeitig haben die Konkurrenten im globalen Standortwettbewerb um internationale Großproduktionen ihre Anreizsysteme massiv ausgebaut. Im Ergebnis ist der Glanz des ehemaligen Vorzeigemodells DFFF inzwischen stark verblasst. Wenn wir also die Attraktivität des Filmstandorts Deutschlands erhalten wollen, müssen wir uns demnächst auch grundsätzliche Gedanken zum DFFF machen und das Konzept gegebenenfalls neu ausrichten. (Beifall bei der SPD) Zurück zum FFG. Die Bundesregierung hat nun einen Gesetzentwurf vorgelegt, dem es gelingt, sowohl die Strukturen der Förderung als auch die Förderung selbst zu verbessern. Das ist das Ergebnis eines intensiven und aufwendigen Dialogs mit der gesamten Branche. Dafür meinen Dank an das Haus der BKM und an die FFA. Ich greife nun noch einige Punkte heraus: Mit der Anpassung der Abgabesätze, mit der Verstärkung der Rückflüsse in den Fördertopf, mit der Heranziehung werbefinanzierter Abrufdienste und der VoDAnbieter mit Sitz im Ausland werden wir die Einnahmeseite des FFA-Haushalts nachhaltig stabilisieren können. Der letzte Punkt ist zwar noch nicht ganz in trockenen Tüchern, aber die neue AVMD-Richtlinie gibt begründete Hoffnung auf grünes Licht aus Brüssel. Gute Lösungen sind bei den Bestimmungen zur geschlechterparitätischen Besetzung der Gremien gefunden worden. Darüber hinaus ist jetzt das Bemühen um Gendergerechtigkeit im Aufgabenkatalog der FFA festgeschrieben. Zu begrüßen sind auch die Neuerungen bei der Förderung selbst. Ein breites Bündel von Maßnahmen, insbesondere in der Projektfilm- und der Drehbuchförderung, zielt darauf, die Qualität der Projekte konsequent zu verbessern. Wir sollten aber auch nicht die Augen davor verschließen, dass mit der neuen Förderphilosophie deutlich weniger Projekte und vor allem weniger kleine Projekte in die FFAFörderung kommen werden. Deshalb bin ich auch froh, dass die Mittel für die kulturelle Filmförderung bei der BKM aufgestockt wurden. Sehr gut ist es, dass bei der Tilgung von Projektfilmdarlehen jetzt sichergestellt ist, dass vorrangig die Erlösbeteiligungen der Urheber gemäß dem Urhebervertragsrecht zu bedienen sind. Das trägt zur Verbesserung der sozialen Lage der Urheber bei. Noch besser wäre es gewesen, wenn der Regierungsentwurf zugleich den Vorschlag eines Erlöskorridors für die Produzenten aufgegriffen hätte. Ehrlich gesagt verwundert es mich, dass da nichts geschehen ist. Denn die damit verbundenen Vorteile sind offensichtlich: Die Urheber kämen früher in den Genuss der eben angesprochenen Beteiligungen. Es würde ein klarer Anreiz dafür gesetzt, dass die Produzenten Projekte verfolgen, die auch wirtschaftlich erfolgreich sind. Wir hätten damit eine gute Möglichkeit zur wichtigen Stärkung des Eigenkapitals der Produzenten. Zudem würde es der viel beklagten Filmschwemme entgegenwirken. Insgesamt könnten wir in unserem Bemühen um mehr Qualität im deutschen Film davon nur profitieren. Den Vorbehalten der um ihre Rückflüsse besorgten Verleiher könnten wir dadurch begegnen, dass wir einen solchen Korridor zunächst nur für die verleihgeförderten Projekte vorsehen. Ich denke jedenfalls, die Idee eines Korridors ist es allemal wert, dass wir zumindest in den nächsten fünf Jahren, die dieses Gesetz in Kraft sein wird, austesten, wie sich dies auswirkt. (Beifall bei der SPD) Weiterhin erfreulich im Gesetzentwurf: Die Förderung der Digitalisierung alter Filme steht nun erstmals als eigener Förderbereich im Gesetz. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin der Auffassung, mit dem FFG soll nicht nur der deutsche Film gefördert werden, sondern auch der Kulturort Kino, für den diese Filme gemacht sind, geschützt werden. Da ist der Vorschlag des Bundesrates, das Auswertungsfenster der Kinos weiter zu verkürzen, eher kontraproduktiv. Gerade die Kinos in den kleineren Städten und die Programmkinos wären die Leidtragenden. Sie sind auf die bestehenden Fenster angewiesen. Gerade der Dokumentarfilm, auf den der Bundesrat abhebt, ist doch im Kino eher ein Langläufer. Sicherlich müssen wir berücksichtigen, dass sich das Nutzerverhalten weiter verändert. Deshalb sieht der Regierungsentwurf weitere Maßnahmen zur behutsamen Flexibilisierung vor. Ich denke, dieser Weg ist richtig, und wir sollten beobachten, was er bewirkt. Auf jeden Fall plädiere ich dafür, keine generelle Verkürzung der Fristen vorzunehmen, da es nur um bestimmte Filme geht. Der absehbare Schaden für viele Kinos verbietet das. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Marco Wanderwitz [CDU/CSU]) Ich denke, dem Anliegen kann man auch untergesetzlich im Rahmen der Entscheidungspraxis der FFA über Verkürzungsanträge entsprechen. Ein ganz anderes Anliegen der Dokumentarfilmer findet jedoch meine Zustimmung. Wir halten es für sinnvoll, dass die Zuschauer nichtgewerblicher Vorführungen bei der Referenzfilmförderung weiterhin mit berücksichtigt werden. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Johannes Selle [CDU/CSU] und Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Aus dem Gesetzentwurf wurde das gestrichen. Auch das werden wir bei der Anhörung im Ausschuss ansprechen müssen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei allem Lob für den Regierungsentwurf ist auch ein klares Versäumnis festzustellen: Der Entwurf enthält keinen konkreten Vorschlag, wie die Einhaltung von sozialen Mindeststandards bei der Filmproduktion sichergestellt werden kann. Die Liste der Verstöße ist lang, und es handelt sich nicht nur um wenige Einzelfälle. Insgesamt scheint es in den vergangenen Jahren zwar weniger Probleme mit der Einhaltung der maximalen Arbeitszeit zu geben. Allerdings häufen sich die Klagen, dass geleistete Überstunden ohne die festgelegten Zuschläge vergütet werden oder dass vereinbarte Zeitkonten nicht zur Anwendung kommen. Nicht selten wird mit Pauschalverträgen der Tarifvertrag umgangen. Mir liegt es fern, hier die Produktionsbranche unter einen Generalverdacht zu stellen. Aber jeder einzelne Fall ist aus meiner Sicht ein Fall zu viel. Deshalb tritt die SPD-Fraktion entschieden dafür ein, dass Missstände bei öffentlich geförderten Filmproduktionen nicht hingenommen werden. Wir reden nicht zum ersten Mal über dieses Thema. Anlässlich der letzten Novelle hat der Bundestag in seiner Beschlussempfehlung festgestellt, dass ihm die soziale Lage der Filmschaffenden ein besonderes Anliegen ist. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Merkt man!) Zugleich wurde die Bundesregierung aufgefordert, darauf hinzuwirken, durch die FFA – ich zitiere – „die Einhaltung sozialer Mindeststandards bei der Produktion geförderter Projekte nachweislich und nachhaltig sicherzustellen“. Wie hat die Bundesregierung diese Aufforderung nun im vorliegenden Entwurf umgesetzt? Herausgekommen ist eine Formulierung, die sich leider nur im Begründungstext wiederfindet. Wir brauchen jedoch eine präzise Aufgabenbeschreibung. Solange sie aber nur in den Begründungsteil abgeschoben ist, wird alles beim Alten bleiben. Diese Formulierung gehört in den Gesetzestext selbst, und zwar genau dorthin, wo die Aufgaben der FFA aufgezählt werden. § 2 kennt acht Aufgaben. Die Mitverantwortung für sozialverträgliche Bedingungen muss die neunte Aufgabe werden. (Beifall bei der SPD) Dass der Bundesrat in seiner Stellungnahme genau diese Forderung aufgegriffen hat, hat mich gefreut. Das geschah fast einstimmig über alle Parteigrenzen hinweg. 15 von 16 Bundesländern haben die Notwendigkeit erkannt, dass mit dem FFG an dieser Stelle mehr für die Beschäftigten getan werden muss. Seit vorgestern wissen wir: Die Bundesregierung will diesem Anliegen entsprechen. Das können wir nur begrüßen, aber damit sind wir noch nicht am Ende der Strecke. Denn das wäre nur der erste Schritt, und der zweite muss folgen. Nach unserer Auffassung ist im Gesetz zu präzisieren, auf welche Weise die FFA diese Aufgabe erfüllen kann. Die FFA sollte nach unserer Meinung bei den antragstellenden Unternehmen erheben, ob bei der Produktion eine Tarifbindung vorliegt und ob die Einhaltung der entsprechenden Regelungen gewährleistet ist. Wir wollen die FFA nicht zur Tarifpolizei machen. Dazu hat sie keine Befugnis und auch nicht die personellen Kapazitäten. Ich möchte betonen: Nach unserem Vorschlag ist nicht die Einhaltung sozialer Mindeststandards selbst Voraussetzung für die Förderung. Denn wir wissen, dass nicht zuletzt die EU-Entsenderichtlinie dem entgegensteht. Fördervoraussetzung soll allein die Angabe sein, ob der Tarifvertrag für die jeweilige Produktion gilt oder nicht. Ich denke, das ist der richtige Weg. Darüber sollten wir auch in der Anhörung noch einmal reden. Ich appelliere an Sie: Lassen Sie uns dieses Mal gemeinsam das ungelöste Problem anpacken, das wir bisher von Novelle zu Novelle immer vor uns her geschoben haben. Denn das zentrale Anliegen dieses Gesetzes ist die Qualitätssicherung beim deutschen Film. Dazu finden sich viele gute Maßnahmen im Regierungsentwurf. Wir können das aber noch besser machen, wenn wir uns für faire und sozialverträgliche Bedingungen am Set einsetzen. Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Tabea Rößner von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Warum hat Toni Erdmann, der gefeierte Film von Maren Ade, in Cannes keinen Preis gewonnen? Ich wage einmal eine steile These: weil dieser Film von Frauen gemacht wurde. Die Einladung nach Cannes war allerdings schon ein Riesenerfolg. Sieben Jahre lang gab es keinen deutschen Beitrag. Vielleicht fehlt dem deutschen Film nichts so sehr wie Frauen – Produzentinnen, Regisseurinnen und Autorinnen. Toni Erdmann hat den Weg nach Cannes nicht wegen, sondern trotz unseres Filmförderungssystems geschafft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dass Frauen in der Filmbranche benachteiligt sind, ist hinlänglich bekannt. Wer welche Förderung bekommt, entscheiden überwiegend Männer. Und es sind überwiegend Männer, deren Projekte dann auch gefördert werden. Frau Staatsministerin Grütters, Sie haben immer gesagt, dass Sie diesen Missstand beheben wollen. Das ist gut und zwingend notwendig; denn Frauen haben andere Sichtweisen und tragen zu mehr Vielfalt in der Filmlandschaft bei. Wir brauchen also mehr Produzentinnen, mehr Drehbuchautorinnen und mehr Regisseurinnen. Daher müssen wir ihnen bessere Chancen auf Förderung einräumen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Davon ist in Ihrem Gesetzentwurf nur leider nichts zu sehen. Sie werden mir jetzt entgegenhalten: Es soll mehr Frauen in den Gremien der Filmförderungsanstalt geben. Daraus folgt aber doch nicht automatisch, dass mehr Frauen gefördert werden. Wäre es da nicht besser, eine klare Zielvorgabe zu machen, wie viele der bewilligten Projekte in den nächsten Jahren unter Beteiligung von Frauen bei Regie, Produktion und Drehbuch entstehen sollen? Da geht also deutlich mehr. Wir brauchen mehr Mut, zu einer gesetzlichen Regelung zu kommen, die dieses Problem auch wirklich angeht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) „Mut“ ist ein gutes Stichwort. Daran fehlt es bei den Entscheidern leider viel zu oft. Es fehlt an Mut, den Filmschaffenden mehr Vertrauen entgegenzubringen. Sie müssen mit ihren Projekten durch so viele Türen gehen, und das Drehbuch muss durch so viele Hände gehen, dass dabei am Ende nicht immer der beste Film herauskommt. Dazu findet sich leider nichts in Ihrem Gesetzentwurf. Wie wäre es zum Beispiel mit einem Fast Track? Die Filmförderungsanstalt vergibt einen bestimmten Prozentsatz des Fördertopfes an erfolgreiche Filmemacherinnen und Filmemacher in einem vereinfachten und automatisierten Verfahren. Dafür müsste man den Kreativen mehr vertrauen, es würde aber größtmögliche künstlerische Freiheit ermöglichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Johannes Selle [CDU/CSU]: Das gibt es doch schon!) Wir alle wollen gute Filme sehen, aber ob die Ausgestaltung der Vergabegremien zu besseren Filmen führt, wage ich zu bezweifeln. In den Kommissionen, die deutlich kleiner werden sollen – was ich richtig finde –, soll zukünftig immer eine Mehrheit von Verwertern sitzen, auch wenn es um die Förderung von Drehbüchern und Filmen geht. (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Skandalös!) Das zementiert doch die bisherigen Machtverhältnisse, und die Macht liegt leider nicht bei den Kreativen. An dieser Stelle sollten Sie den Entwurf dringend überarbeiten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Auch die Besetzung des Verwaltungsrats verfestigt Machtstrukturen. Von den 36 Mitgliedern hat die Produzentenallianz auch künftig drei Sitze, der Verband Deutscher Filmproduzenten aber nur einen. Da frage ich mich: Auf welcher Grundlage erfolgt diese Sitzverteilung? Apropos Transparenz. Auch hier fehlt der Mut. Es muss für öffentliche Anstalten Pflicht sein, Rechenschaft abzulegen. Dafür braucht man aber Zahlen über Herstellungskosten, die Beteiligung der Fernsehsender, Rückzahlungen und den Anteil an Frauen in den Bereichen Regie, Produktion und Drehbuch. Nur so kann man die Förderentscheidung evaluieren. Dazu könnte zum Beispiel ein zentrales Filmregister wie in Frankreich dienen. Ich denke, es würde der FFA gut zu Gesicht stehen, Transparenz zum Aushängeschild zu machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Das könnte auch bei der Bewertung helfen, wann ein Film erfolgreich ist, was sich wiederum auf die Referenzförderung auswirkt. Ist ein Film nur dann erfolgreich, wenn er in absoluten Zahlen die meisten Kinobesucher zählt? Oder ist nicht auch ein Film erfolgreich, der zwar weniger Zuschauer hat, aber bei wesentlich geringeren Produktionskosten im Verhältnis deutlich mehr? Warum trauen Sie sich nicht, die Herstellungskosten in das Verhältnis zu den Zuschauerzahlen zu setzen? Das wäre eine sinnvolle politische Steuerung im Sinne des kreativen Films. Sie würde gewährleisten, dass die Referenzförderung teure Produktionen nicht einseitig besserstellt, während erfolgreiche, aber günstigere Filme hinten runterfallen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Es gäbe noch vieles zu sagen über die sozialen Standards, die ökologischen Standards, die Selbstverpflichtung, die Sperrfristen oder die Stärkung des Kinos als sozialer und kultureller Ort. Ich will noch eine letzte Anmerkung machen. Es ist unsere Aufgabe, den Kreativen ein Umfeld zu schaffen, in dem sich Kreativität auch entfalten kann, damit wir den nächsten deutschen Beitrag in Cannes nicht erst im Jahr 2023 haben. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Johannes Selle von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Siegmund Ehrmann [SPD]) Johannes Selle (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für 1,167 Milliarden Euro wurden im Jahr 2015 Kinokarten verkauft. Das ist ein Rekord in der deutschen Kinogeschichte. Es gab über 139 Millionen Besucher; auch das ist ein Rekord. Das Spannendste ist: Von denen, die 2013 und 2014 nicht im Kino waren, konnten 2015 ein Drittel ins Kino gelockt werden. (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Haben die sich deutsche Filme angesehen?) Unter den 31 Filmen, die 2015 mindestens 1 Million Zuschauer hatten, waren 9 deutsche Filmproduktionen; das ist ebenfalls ein Rekord. Kino hat Attraktivität behalten und konnte Attraktivität ausbauen. Über diese Erfolge dürfen wir uns freuen, ganz besonders darüber, dass der Anteil der deutschen Filme gewachsen ist, die das Gefallen der Zuschauer finden. Da darf man den Schluss ziehen, dass die filmpolitischen Rahmenbedingungen gut gesetzt waren. An dieser Stelle wollen wir mit dem neuen Filmförderungsgesetz weitermachen. (Beifall der Abg. Dr. Astrid Freudenstein [CDU/CSU]) Unser Anliegen ist es, die Qualität im deutschen Film zu fördern, beim Kurzfilm, beim Kinderfilm, der uns besonders am Herzen liegt, beim Dokumentarfilm und natürlich auch beim Spielfilm. Film ist Kultur- und Wirtschaftsgut zugleich. Eine erfolgreiche Filmförderung muss daher wirtschaftliche und künstlerische Faktoren berücksichtigen. Genau diesen Elementen widmet sich der Gesetzentwurf. Alle Entwicklungsstufen werden in den Blick genommen, vom Drehbuch über die Projektförderung und die Vermarktung bis hin zur Kinoförderung. Die Kunst des Filmschaffens kann aus einem guten Drehbuch einen guten Film machen; aber am Anfang steht das gute Drehbuch, und deshalb konzentrieren wir die Fördermittel auf Investitionen in die Qualität der Drehbücher. Es liegt in der Natur des Filmschaffens, dass künstlerischer Anspruch und begrenzte Mittel, geplante Drehzeiträume, Wetter und Ähnliches zur Selbstausbeutung führen können. Mit diesem Gesetz führen wir eine Mindestförderquote von 200 000 Euro ein. Wir wollen mit der angemessenen Beteiligung der Filmförderung an den Herstellungskosten dafür sorgen, dass die Finanzierung nicht am Förderbetrag scheitert. Der Verwaltungsrat erhält Spielraum, um die Beteiligung in angemessenem Maße nachzujustieren. Das ist ein Beitrag zur sozialen Absicherung. Wir tun das alles als Mittler und Moderatoren für die Filmwirtschaft. Die Gelder, die wir nach den Regeln des Filmförderungsgesetzes ausgeben, sind nämlich keine Steuermittel, sondern sie stammen zum großen Teil aus Anteilen an verkauften Eintrittskarten. Auch das muss immer wieder gesagt werden. In diesem Prozess kollidieren die Interessen der einen Gruppe mit Interessen von anderen Gruppen. Deshalb haben wir die ehrenvolle Aufgabe, einen akzeptablen Weg zu finden und die für alle verbindlichen Regeln zu beschließen. In der letzten Legislaturperiode konnten wir nur marginal handeln, weil vor dem Bundesverfassungsgericht grundsätzlich über die Förderung beraten wurde. Im Januar 2014 ist Klarheit geschaffen worden. Deshalb können wir nun versuchen, mit einem grundsätzlich neuen Ansatz Strukturen für eine bessere und effektivere Arbeit zu schaffen. Dazu gehören die drei Entscheidungsgremien, die sich auf Drehbuch- und Produktionsförderung, Verleih-, Vertriebs- und Videoförderung sowie Kinoförderung konzentrieren können. Statt eines 13köpfigen Vergabegremiums, das bisher alle Anträge bearbeitet hat, sollen nun 3- bis 5köpfige Förderkommissionen gebildet werden, die sich auf einzelne Bereiche konzentrieren können. Außerdem wird deren Arbeitsbelastung verkleinert. Mit diesem Ansatz wollen wir auch das Augenmerk auf die Beteiligung von Frauen richten. Um die Einnahmen zu verstetigen und gerecht auf die Einzahlergruppen zu verteilen, wird es zu Erhöhungen kommen. Hierzu stellen wir glücklicherweise in der Tendenz mehr Akzeptanz als Kritik fest. Noch nicht ganz geklärt ist, wie wir mit Video-on-Demand-Anbietern aus dem Ausland verfahren wollen, damit sie gerecht beteiligt werden. Bei Fragen der Globalisierung und der Digitalisierung stehen wir generell wie bei den Steuern unter Druck. Dieser Druck, zu Lösungen zu kommen, ist, glaube ich, stark gewachsen. Erste Signale von der Europäischen Kommission gehen in diese Richtung. Das Kino, das seinen Platz im kulturellen Leben behauptet, wollen wir weiter stärken und schützen, vor allem im ländlichen Raum. Das heißt, die erste Verwertungsstufe soll das Kino bleiben, und es soll weiterhin Sperrfristen geben. Das heißt aber auch, dass wir mit diesem Instrument flexibler werden wollen. Bei innovativen Crossstrategien oder mangelndem Interesse an einer Kinoauswertung wollen wir schneller zu den nachfolgenden Auswertungsstufen kommen. Das ist zeitgemäß und resultiert aus den Erfahrungen der letzten Jahre. Auch in unserer Fraktion gibt es Ideen, die wir in den Diskussionsprozess einbringen wollen. Dazu gehört das Erfolgsdarlehen, mit dem wir uns noch einmal befassen wollen, weil wir es nach wie vor für richtig halten, die Erfolgreichen zu stärken und zu neuen Projekten zu motivieren. Über die Idee aus der Branche, von Anfang an einen Erlöskorridor für Produzenten zu ermöglichen, wollen wir auch diskutieren. Wir wollen auch den Kinderfilm stärken. Als Thüringer Kulturpolitiker liegt mir der Kinderfilm besonders am Herzen; denn Thüringen ist Kinderfilmland. Vielleicht kann man bei der Besetzung der Gremien des FFA-Verwaltungsrates etwas bewirken. Wenn einer der vorgesehenen Produzenten sich für den Kinderfilm engagiert, wäre das schon etwas. Ich freue mich auf den Diskussionsprozess. Genügend Stoff gibt es. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf den Drucksachen 18/8592 und 18/8627 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 a bis 30 c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Roland Claus, Matthias W. Birkwald, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Keine Altersarmut von Ost-Krankenschwestern – Gerechte Renten für Beschäftigte im DDR-Gesundheits- und Sozialwesen schaffen Drucksache 18/8612 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Roland Claus, Matthias W. Birkwald, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Keine Kumpel zweiter Klasse – Rentenansprüche der Bergleute aus der DDR-Braunkohleveredlung wahren Drucksache 18/7903 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Dr. Gregor Gysi, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Ungerechtigkeiten bei Mütterrente in Ostdeutschland und beim Übergangszuschlag beheben Drucksachen 18/4972, 18/6706 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre auch dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen, und ich kann die Aussprache eröffnen. Als erste Rednerin in der Aussprache hat Katja Kipping von der Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Katja Kipping (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir schreiben das Jahr 26 nach der Wende, und leider sind wir noch weit entfernt von einer wirklichen Rentengerechtigkeit zwischen Ost und West. Noch immer ist der Rentenwert Ost niedriger als der Rentenwert West, noch immer gibt es vielfältige Benachteiligungen bestimmter Gruppen infolge der Rentenüberleitung. Mit all den vielfältigen Benachteiligungen von ostdeutschen Biografien in der Rente werden wir als Linke uns niemals zufriedengeben. Hier lassen wir nicht locker. (Beifall bei der LINKEN) Auch die Mütterrente ist so geregelt, dass Menschen im Osten weniger davon profitieren. Der Begriff „Mütterrente“ hat sich umgangssprachlich eingebürgert, insofern werde auch ich ihn verwenden, auch wenn wir wissen, dass sehr wohl auch Väter besondere Rentenpunkte für Kindererziehung bekommen können. Da der Rentenwert Ost niedriger ist als der Rentenwert West, gibt es für die Erziehung eines im Osten geborenen Kindes niedrigere Rentenansprüche, und zwar 1,79 Euro weniger je Rentenpunkt. Kindererziehungszeiten im Osten werden also in der Rente geringer entlohnt als Kindererziehungszeiten im Westen. Die Teilung zwischen Ost und West lebt damit in der Rente fort; wirkliche Einheit sieht anders aus. (Beifall bei der LINKEN) Gemeinsam mit einem breiten Bündnis für eine gerechte Mütterrente, also mit Verdi, der Volkssolidarität, dem Sozialverband und dem Frauenrat fordern wir: Machen Sie Schluss mit dieser Ungleichbehandlung der Erziehungszeiten in Ost und West. Jedes Kind sollte uns gleich viel wert sein. (Beifall bei der LINKEN) Neben dem niedrigeren Rentenwert Ost gibt es eine weitere Benachteiligung: Frauen, deren Rente einen Übergangszuschlag beinhaltet, bekommen den zusätzlichen Mütterrentenpunkt darauf angerechnet. Diese Regelung kann dazu führen, dass ostdeutsche Mütter bei der Verbesserung der Mütterrente leer ausgehen, so beispielsweise geschehen bei einer fast 80jährigen Frau, die sechs Kinder geboren hat und 1996 in Rente gegangen ist. Eigentlich hätte ihr bei sechs Kindern eine Erhöhung um 158 Euro zugestanden, doch ihre bisherige Rente beinhaltet eben jenen Übergangszuschlag, und damit sieht sie von den Verbesserungen in der Mütterrente 0 Euro. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Voll daneben! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Das ist doch absurd!) Insgesamt sind 6 500 hochbetagte Frauen davon betroffen, 6 500 hochbetagte Frauen von Dresden bis Schwerin, die wegen Gesetzesformulierungen aus dem Jahre 1993 in ihrem Portemonnaie wirklich nichts davon sehen, was wir bei der Mütterrente verbessert haben. Ich finde, es ist beschämend, dass Sie von der CDU und von der SPD nicht in der Lage sind, für diese 6 500 Frauen schnell eine Lösung zu finden. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wohl wahr!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich frage mich wirklich, warum Sie so verbissen auf die Benachteiligung von ostdeutschen Frauen in der Mütterrente bestehen. Sind Sie so verbohrt, dass Sie denen rentenpolitisch unbedingt noch eins mitgeben wollen, nur weil sie in der DDR gelebt haben, oder liegt es daran, dass diejenigen, die die Probleme des Ostens kennen, bei SPD und CDU nichts zu sagen haben? Ja, ganz offensichtlich hat der Osten bei Ihnen nichts zu melden. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke legt heute auch noch zwei Anträge vor, die besondere Rentenungerechtigkeiten für Bergleute in der Braunkohleveredelung und Benachteiligungen der Ostkrankenschwestern, also den Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen der DDR, ansprechen. Beide Berufsgruppen waren besonderen Härten ausgesetzt. Deswegen gab es für sie im Rentensystem der DDR besondere Regelungen. Die in der Braunkohleveredelung Beschäftigten waren den Bergleuten unter Tage gleichgestellt. Als Ausgleich für ihre gesundheitsgefährdende Arbeit konnten sie früher in Rente gehen. Die Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen der DDR erhielten als Würdigung für ihre besonders anspruchsvolle Arbeit einen entsprechenden Steigerungsbetrag bei der Rente. Beide Regelungen sind bei der Rentenüberleitung nicht berücksichtigt worden bzw. nach einer Übergangszeit weggefallen. Deshalb müssen heute viele der Ostkrankenschwestern mit einer Rente nur knapp über dem Hartz-IV-Niveau auskommen, und das nach einem wirklich aufopferungsvollen Arbeitsleben. Da muss doch etwas drin sein. (Beifall bei der LINKEN) Zu den in der Braunkohleveredelung Beschäftigten. Viele Kumpel, die dort gearbeitet haben, mussten infolge von gesundheitlichen Schäden eher in Rente gehen. Dafür müssen sie nun nach dem jetzigen Rentenrecht lebenslang Abschläge in der Rente in Kauf nehmen. Hier muss doch etwas geschehen, und zwar schnell. (Beifall bei der LINKEN) Denn den Betroffenen läuft die Zeit, ja die Lebenszeit davon. Um das einmal zu verdeutlichen: Im Jahr 1996 hat im Raum Borna/Espenhain eine Gruppe die Kämpfe für die ihnen zustehenden Rentenansprüche aufgenommen. Damals waren sie über 1 000. Heute sind es nur noch rund 350. Die Fehlenden haben nicht einfach aufgegeben, nein, sie sind schlichtweg weggestorben. Hier auf Zeit zu spielen, ist einfach nur zynisch. (Beifall bei der LINKEN) Wir haben Ihnen im Oktober letzten Jahres einen umfassenden Antrag vorgelegt, in dem wir alle Berufsgruppen aufgeführt haben, die infolge der Rentenüberleitung benachteiligt werden. In der Debatte damals haben die jeweiligen Redner aus beiden Koalitionsfraktionen gesagt, dass sie es gerade bei den in der Braunkohleveredelung Beschäftigten wie bei den Ostkrankenschwestern wirklich sehr bedauern, dass man da nichts machen kann. Mit unseren Anträgen erinnern wir Sie an Ihr Bedauern von damals. Nehmen Sie sich wenigstens dieser zwei Beschäftigtengruppen an. Gesetzliche Regelungen sind doch kein Naturgesetz. Sie lassen sich ändern, wenn man den politischen Willen hat. Also bringen Sie endlich den politischen Willen auf, und helfen Sie wenigstens diesen beiden Beschäftigtengruppen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Jana Schimke von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Jana Schimke (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren hier im Deutschen Bundestag ja regelmäßig über die Entscheidungen der DDR-Rentenüberleitung und damit auch über die Besonderheiten des DDR-Rentenrechts. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Dann ändert doch mal was!) Mir wird dabei immer wieder klar, wie schwer es für die Mütter und Väter der Wiedervereinigung gewesen sein muss, das DDR-Rentensystem in das Rentensystem der BRD zu überführen, zumal das Rentenrecht in der DDR einer Systematik folgte, die weit von dem Selbstverständnis unseres heutigen Rentenrechts entfernt war. Das bundesdeutsche Rentenrecht betrachtet in der Regel allein die gezahlten Beiträge und die geleisteten Arbeitsjahre. Will man darüber hinaus vorsorgen, kann man dafür private oder betriebliche Vorsorgeformen wählen. In der DDR waren nicht allein die gezahlten Beiträge und die Arbeitsjahre ausschlaggebend, sondern es wurde auch nach Berufsgruppen unterschieden. In bestimmten Berufsgruppen war man in der DDR allein durch die Zugehörigkeit gegenüber anderen Berufsgruppen von vornherein bessergestellt. Aus diesem und anderen Gründen diskutieren wir hier in aller Regelmäßigkeit über bis zu 20 verschiedene Sonderregelungen des DDR-Rentenrechts. Nun kann man nicht behaupten, dass diese Unterschiede bei der Rentenüberleitung nicht anerkannt worden wären. Durch Übergangsregelungen wurden die Besonderheiten des DDR-Rentenrechts bis weit in die 90erJahre übernommen. Dann aber galt es, die Einheit auch in der Rente Stück für Stück umzusetzen. Das Renten-Überleitungsgesetz zielte deshalb ganz bewusst auf eine einheitliche Alterssicherung der Menschen in der DDR ab. Bis heute steht es für eine großartige Solidarleistung aller Versicherten und ermöglicht heute den ehemaligen Bürgern der DDR eine gute Alterssicherung. (Beifall bei der CDU/CSU) Lassen Sie mich noch einen weiteren Punkt aufgreifen. Die politische und soziale Einheit zweier wiedervereinter Staaten herzustellen, kann schlichtweg nicht bedeuten, Unterschiede fortzuführen. Und: Ja, die politische und soziale Einheit herzustellen, bedeutet auch, dass jeder für sich nicht nur mit Veränderungen, sondern auch mit Entbehrungen zurechtkommen musste. Viele verloren ihre Arbeitsstelle – eine Erfahrung, die man so vorher noch nie gemacht hat. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Das sind nur salbungsvolle Worte!) Viele fanden sich in einer Zeit wieder, in der es galt, neue Regeln und neue Werte anzuerkennen. Die Welt war sozusagen aus den Fugen geraten. Obwohl man erwachsen war, bereits Kinder hatte, verheiratet und im Beruf etabliert war, musste man sich einen neuen Platz in einer neuen Gesellschaft suchen. Vielleicht lässt dies erahnen, wie schwer es war, eine Einheit herzustellen und dabei auch diese Besonderheiten zu berücksichtigen. Vor diesen Herausforderungen stehen wir bis heute. Jedes Gesetz erhebt den Anspruch, Gerechtigkeit bestmöglich abzubilden. Doch wir alle, die wir Politik machen und somit täglich Entscheidungen zu treffen haben, wissen eines: Notwendige Entscheidungen stellen in den seltensten Fällen für alle eine zufriedenstellende Lösung dar. Besonders bei der Rentenüberleitung war und ist es schwer, alle Härte- und Einzelfälle sowie die entstandenen Ansprüche eines nicht mehr bestehenden Systems abzubilden. Dennoch: Wir nehmen die Anliegen der Betroffenen sehr ernst. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!) Wir haben uns in dieser und in der vergangenen Legislatur in Expertengesprächen, in den Ausschüssen und in Beratungen ausführlich mit vielen dieser Sonderfälle befasst. Alle Gespräche haben gezeigt, dass die Gefahr weiterer Ungerechtigkeiten vor allem dann besteht, wenn wir das beschließen, was in den Anträgen steht, die uns hier und heute vorliegen. Ein Beispiel. Nach einer mindestens zehnjährigen Tätigkeit erhielten Beschäftigte des Gesundheits- und Sozialwesens in der DDR für jedes Beschäftigungsjahr den 1,5fachen Satz des maßgeblichen Durchschnittsverdienstes angerechnet. Vergleichbare Regelungen gab es auch für andere Berufsgruppen. In der DDR sollten damit bestimmte Tätigkeiten, die körperlich anstrengend oder gesellschaftlich bedeutsam waren, in der Altersvorsorge bessergestellt werden. Auch ging es darum, einen Ausgleich für das oftmals niedrige Einkommen während der Erwerbstätigkeit zu schaffen. In der Bundesrepublik aber erfahren alle Berufe dieselbe gesellschaftliche Bedeutung, sei es im gewerblichen, im sozialen oder im kaufmännischen Bereich. Hinzu kommt, dass die Rente keinen Ausgleich für geringes Einkommen bildet. Die Rente ist Ausdruck dessen, was war, und nicht dessen, was hätte sein sollen. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Aber was war, war ein aufopferungsvolles Arbeitsleben!) Deshalb ist Ziel unserer Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, die Aussichten auf die spätere Rente durch Qualifikation, eine gesunde Wirtschaft und auch durch eine gesunde und funktionierende Sozialpartnerschaft zu stärken. Deshalb kennt unser bestehendes Rentensystem solch eine Regelung nicht. So ist es auch logisch und konsequent, dass man sich seinerzeit gegen eine Übernahme dieser Sonderregelung ins SGB VI entschieden hat. Mit den Grundsätzen des lohn- und beitragsbezogenen Rentenrechts ist diese Regelung nicht vereinbar. Einen weiteren Sonderfall des DDR-Rentensystems bilden die Personen, die in der DDR-Braunkohleveredelung tätig waren. Diese wurden aufgrund ihrer anspruchsvollen Arbeit mit gesundheitsgefährdenden Chemikalien wie Bergleute unter Tage behandelt. Genau dies, liebe Kolleginnen und Kollegen, offenbart natürlich auch die oftmals schlechten Arbeitsbedingungen in vielen Bereichen der Wirtschaft der DDR. (Beifall bei der CDU/CSU) Auch hier entschied sich der Gesetzgeber, eine Übergangsregelung zu treffen. Nach 1996 wurde diese Regelung nicht mehr angewandt, und die Beschäftigten im Bereich der Braunkohleveredelung wurden nicht mehr wie Bergleute unter Tage behandelt. Aber diese Entscheidung, diese politische Entscheidung, hat nichts damit zu tun und führt auch nicht dazu, dass die betreffenden Personen wie Kumpel zweiter Klasse behandelt werden. Lassen Sie mich abschließend noch ein paar Worte zur Mütterrente sagen. Bei der Einführung der Mütterrente haben wir uns schlichtweg an geltendes Recht gehalten und dieses angewandt. Es stimmt, dass eine Rentnerin im Osten Mütterrente in Höhe des Rentenwertes Ost erhält. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist doch schlecht!) Die Entwicklung der letzten 25 Jahre zeigt aber, dass sich die Rentenwerte in Ost und West zunehmend annähern; darüber diskutieren wir heute ja nicht zum ersten Mal hier im Deutschen Bundestag. Seit der Wiedervereinigung – das erwähne ich auch immer wieder sehr gerne – haben wir bei der Angleichung der Renten sehr große Fortschritte erzielt. (Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!) Das sollte an dieser Stelle auch noch einmal gesagt sein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD]) Die Renten stiegen in den neuen Bundesländern seit der Wende um weit mehr als 100 Prozent. In Westdeutschland betrug der Anstieg lediglich 25 Prozent. Der Rentenwert Ost wächst weiter, und noch in diesem Jahr wird es eine ordentliche Rentenerhöhung geben, die sich auch in den Portemonnaies der betreffenden Personen deutlich bemerkbar machen wird. (Zurufe von der LINKEN) Nur 2,1 Prozent der Menschen in Ostdeutschland beziehen die Grundsicherung im Alter; im Westen sind es hingegen 3,2 Prozent, und die durchschnittliche Rente von Frauen ist in den neuen Bundesländern um 44 Prozent höher als in den alten Bundesländern. Die vollständige Angleichung des Rentenrechts in Ost und West rückt in greifbare Nähe. Wir und unser Koalitionspartner haben uns auf einen gemeinsamen Fahrplan zur Erreichung dieses Ziels verständigt. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Aber die Ostkinder sind immer noch weniger wert!) Auf der Grundlage des anstehenden Sachstandberichts der Bundesregierung werden wir entscheiden, ob mit Wirkung ab 2017 eine Teilangleichung notwendig ist oder eben nicht. Es kommt aber auch darauf an, die tatsächlichen Herausforderungen für die Zukunft unseres Rentensystems insgesamt in den Blick zu nehmen. Die Bundesregierung sieht die Herausforderung des demografischen Wandels und will die zweite und dritte Säule der Altersvorsorge stärken. Die private und die betriebliche Vorsorge sollten für jeden Menschen in unserem Land selbstverständlich sein und eine auskömmliche Rente für jeden ermöglichen. Dies ist unser Ziel und bestimmt unser Handeln. Ich freue mich sehr auf die Diskussion zur anstehenden Rentenreform in den kommenden Beratungen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Markus Kurth von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Schimke, wie oft vonseiten der Union schon die Angleichung der Rentenwerte Ost und West angekündigt worden und dann wieder und wieder nichts passiert ist, kann ich kaum noch zählen. Ihren Ankündigungen dazu kann man wirklich kaum noch Glauben schenken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich glaube, man muss den Zuhörerinnen und Zuhörern, die sich nicht jeden Tag mit Renten befassen, sagen: Selbst die Partei Die Linke fordert keine sofortige Angleichung der Rentenwerte Ost und West, sondern einen langwierigen Prozess. Die einzige Fraktion, die sagt, dass man da jetzt einen Schnitt machen und die Rentenwerte Ost und West angleichen muss, ist Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bevor ich gleich wieder eine Zwischenfrage des Kollegen Matthias W. Birkwald bekomme, verschweige ich auch nicht, dass wir im Gegenzug natürlich sagen, dass die sogenannte Höherwertung der Ostrentenpunkte für die Erwerbstätigen dann entfällt. (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Aha!) Diejenigen Rentnerinnen und Rentner, deren Rentenpunkte in der Vergangenheit höhergewertet wurden, genießen hier allerdings natürlich Bestandsschutz. Insofern ist das, was Bündnis 90/Die Grünen zur Angleichung der Rentenwerte Ost und West vorschlagen, schnell möglich und gerecht. Das ist auch ein Punkt, wodurch sich die Ungleichbehandlung der Mütterrenten – darauf bezieht sich ein Antrag der Fraktion Die Linke – erledigt hätte. (Katja Kipping [DIE LINKE]: 6 000!) Beim Punkt „Mütterrente“ bliebe dann in der Tat noch die Frage der sogenannten Zuschlagsregelung. Diesem Teilbereich – Sie haben gesagt: es handelt sich um eine Gruppe von 6 000 überwiegend hochbetagten Frauen – können wir zustimmen, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) sodass wir bei diesem Antrag insgesamt zu einer Enthaltung kommen. Auf der einen Seite stimmen wir der Zuschlagsregelung zu, auf der anderen Seite geht uns die Angleichung der Rentenwerte Ost und West zu langsam. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich komme jetzt zu den verschiedenen Berufsgruppen, die Sie ansprechen, und den rentenrechtlichen Sonderregelungen der DDR. Man muss grundsätzlich sagen, dass es beim Renten-Überleitungsgesetz und bei der Vereinigung der Rentensysteme im Wesentlichen zu einer Angleichung an das westliche Recht kam. Das westliche Recht – das war die Systematik des Beitritts damals – war sozusagen die Leitwährung, unter der die Vereinigung auch der Sozialsysteme stattgefunden hat. Das ist damals von der Bevölkerung – auch der Bevölkerung der DDR – auch ausdrücklich so gewollt und per Wahlen abgestimmt worden. Man muss sich genau angucken, wo es wenigstens qualitativ entsprechende Regelungen auch im westdeutschen Rentenrecht gab. Bei den Bergleuten ist genau das der Fall. Auch die westdeutschen Bergleute, die unter Tage und unter gesundheitlich belastenden Bedingungen gearbeitet haben, bekamen einen rentenrechtlichen Ausgleich. Insofern finde ich, dass Sie in Ihrem Antrag, den Sie zu den Rentenansprüchen der Bergleute aus der Braunkohleverarbeitung gestellt haben, im Prinzip eine richtige Argumentation verfolgen und dass man diese Bergleute mit einer besonderen rentenrechtlichen Regelung versehen kann. Anders verhält es sich allerdings bei den Beschäftigten im DDR-Gesundheits- und Sozialwesen. Das ist übrigens so wie bei vielen anderen von Ihnen genannten Gruppen, die zwar in diesen Anträgen nicht auftauchen, die Sie aber regelmäßig, meistens im Jahresrhythmus, besserstellen wollen. Da geht es etwa um Spitzensportler und andere Personengruppen oder auch um Ehepartner von Auslandsentsandten der DDR. (Zurufe von der LINKEN) Alle haben bestimmte rentenrechtliche Sonderregelungen bekommen. Für diese rentenrechtlichen Sonderregelungen wie auch die für die Beschäftigten im Gesundheitswesen, die Sie heute ansprechen, gibt es keine Entsprechung im westdeutschen Rentenrecht. Es ist nicht so gewesen, dass die Beitrittsverhandlungen und die Überleitung eine Fusion gewesen wären, sondern das westdeutsche Rentenrecht war, wie gesagt, der Maßstab. Wenn wir Sonderregelungen übernehmen wollten – an diesem Punkt war die Argumentation von Frau Schimke nicht ganz unstimmig –, würde man wiederum im Westen neue Ungleichbehandlungen schaffen. Das würde dazu führen, dass auch im Westen bestimmte Berufsgruppen mit Ausfallzeiten fragen könnten: Warum bekommen wir denn keinen rentenrechtlichen Ausgleich? Natürlich ist das individuell für die Betroffenen teilweise schwer zu verstehen. Aber man kann bei einem solchen historischen Umbruch nicht jedem Detail gerecht werden, wenn man sich politisch auf ein bestimmtes Überleitungsprinzip geeinigt und verständigt hat. Darum plädiere ich bei den Berufsgruppen für eine differenzierte Betrachtung. Bei den Balletttänzerinnen folgen wir Ihrem Antrag. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Hier gibt es entsprechende tarifvertragliche Regelungen, bei anderen Gruppen aber nicht. Ich glaube, dass man damit dieser schwierigen Umbruchsituation annähernd gerecht wird. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen der Anträge. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Daniela Kolbe von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Klaus-Peter Schulze [CDU/CSU]) Daniela Kolbe (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Abschluss der Sitzungswoche diskutieren wir drei Anträge der Fraktion Die Linke. Deren Inhalt war bereits mehrfach Thema hier im Plenum. Nichtsdestotrotz freue ich mich, dass wir dieses Thema erneut diskutieren. Es ist ja für viele Menschen von großer Bedeutung. Sie haben einen Antrag zum Thema Mütterrente in Ostdeutschland und zum niedrigeren Rentenwert eingebracht. In den zwei anderen Anträgen geht es um Gruppen, die durch die Rentenüberleitung, also die Zusammenführung der beiden Rentensysteme in Ost und West, Regelungen verloren haben, mit denen sie im DDR-Rentenrecht bessergestellt worden waren, und zwar aus nachvollziehbaren Gründen, nämlich wegen der Gesundheitsgefährdung und der Belastungen der Betroffenen bei der Arbeit. Zum einen sind das die Bergleute in der Braunkohleveredlung und zum anderen die Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen der DDR. Viele hier im Plenum, die an diesem Freitagnachmittag noch da sind, haben schon zahlreiche Gespräche mit Betroffenen geführt. Auch ich habe das getan und werde das weiterhin tun. Bei aller Sympathie für die Anliegen plädiere ich für eine sehr ehrliche Debatte. Diese ehrliche Debatte führt für uns als Sozialdemokraten dazu, dass wir den drei Anträgen in der vorliegenden Form nicht zustimmen können, sondern sie ablehnen werden. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Und in einer anderen Form?) Das will ich kurz ausführen, zunächst zur Mütterrente. Die Verbesserungen bei der Mütterrente, also die Einführung des zusätzlichen Rentenpunktes, war für diese Große Koalition ein Riesenerfolg. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Katja Kipping [DIE LINKE]: Aber nicht für die 6 500 Frauen!) Gut, wir als SPD hätten diese Maßnahme gerne anders finanziert; das sei auch jetzt bei diesem Thema noch einmal erwähnt. Aber es bleibt ein großer Erfolg. Der von der Linken beschriebene Unterschied kommt dadurch zustande, dass wir nach wie vor unterschiedliche Rentenwerte haben: Der Rentenwert in Westdeutschland liegt höher als der in Ostdeutschland. In Ostdeutschland haben wir dafür einen Höherwertungsfaktor; damit ist ein Rentenpunkt leichter zu erwerben. Wir sagen deshalb: Wir wollen die pauschal bewerteten Versicherungszeiten jetzt nicht unmittelbar höher bewerten. Wir hatten das in unserem Regierungsprogramm stehen, haben uns damit aber nicht durchsetzen können. Vielmehr wollen wir jetzt den Weg gehen – darauf konnten wir uns mit unserem Koalitionspartner verständigen –, die Rentenwerte weiter anzunähern, also die Angleichung der Rentensysteme zu erreichen. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Birkwald zu, Frau Kolbe? Daniela Kolbe (SPD): Aber natürlich, wenn es schnell geht. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Drei Minuten! – Katja Kipping [DIE LINKE]: Wenn es mit der Angleichung genauso schnell geht!) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Vielen herzlichen Dank. – Frau Kollegin Kolbe, weil Sie das selber schon erwähnt haben, sage ich vorneweg: Vor zwei Tagen sind 110 000 Unterschriften für eine gerechte Mütterrente vom Sozialverband Deutschland, von der Volkssolidarität, vom Deutschen Frauenrat und von Verdi übergeben worden. Die 110 000 Unterzeichner können nämlich alle nicht verstehen, dass ein Kind im Osten, zum Beispiel in Leipzig, wo Sie herkommen, in der Rente weniger wert sein soll als ein Kind im Westen, wie in Köln, wo ich herkomme. 110 000 Unterschriften! Ich darf Ihnen sagen: Von meiner Fraktion mit 64 Abgeordneten haben 62 Abgeordnete unterschrieben. Der Bundesgeschäftsführer unserer Partei und unser Parteivorsitzender haben ebenfalls unterschrieben. Jetzt frage ich Sie: Wie viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen von der SPD haben diesen Aufruf unterschrieben? Dazu will ich Ihnen einen kurzen Text vorlesen. Denn Sie, Frau Kolbe, Frau Staatssekretärin Kramme und fünf weitere Abgeordnete, die heute im Hohen Haus anwesend sind, haben vor nicht allzu langer Zeit den Deutschen Bundestag aufgefordert, bei Versicherungszeiten, die im Rahmen eines sozialen Ausgleichs bzw. als Anerkennung für gesellschaftliche Leistungen bewertet werden, die rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass künftig für – jetzt kommt es – Kindererziehungszeiten, aber auch für Versicherungszeiten für pflegende Angehörige, Zeiten des Wehr- und Zivildienstes und Zeiten der Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen der aktuelle Rentenwert zugrunde gelegt wird. Das war in der vergangenen Legislaturperiode. Warum verfolgen Sie das nicht weiter? Wenn Sie sich schon nicht gegen die Union, die noch nie etwas für Mütter im Osten übrig hatte, (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht! Grundgesetz! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja übel!) durchsetzen können, haben Sie dann wenigstens dafür gesorgt, dass viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen bei dieser guten Unterschriftenaktion mitgemacht haben? (Beifall bei der LINKEN) Daniela Kolbe (SPD): Danke für die Zwischenfrage. – Erstens will ich klarstellen: Für uns als SPD ist die Erziehung von Kindern gleich viel wert, egal ob im Osten, Westen, Norden oder Süden dieses Landes. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: In der Praxis nicht!) Deswegen wollen wir diese Angleichung hinbekommen. Zweitens. Iris Gleicke hat meines Wissens die Unterschriften entgegengenommen. Wir als SPD sind als Regierungsfraktion Adressat dieser Forderung und fühlen uns auch verpflichtet, uns dafür einzusetzen. Wir hatten das in unser Regierungsprogramm aufgenommen. Wir hatten vorgeschlagen, die pauschal bewerteten Versicherungszeiten sofort anzugleichen, haben uns aber damit nicht durchsetzen können. Das ist in einer parlamentarischen Demokratie manchmal so. Wir gehen deswegen einen anderen Weg, nämlich den der Angleichung der Rentensysteme. An dieser Stelle will ich das mit Blick auf die Union ein bisschen deutlicher formulieren: Da auch unser Koalitionspartner gute Mütter und Väter in seinen Reihen hat, haben wir uns darauf verständigt, die Angleichung der Rentensysteme in Ost und West hinzubekommen. Genau das werden wir auch tun. Dieses Jahr geht es los. In diesem Sinne werden wir genau die Forderung erfüllen, dass die Erziehungszeiten in Ost und West gleich viel wert sein müssen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie haben einen zweiten Aspekt zum Thema Mütterrenten angesprochen, und zwar den Übergangszuschlag bei den sehr hochbetagten Frauen, der dazu führt, dass diese Frauen sowohl von den Änderungen bei der Mütterrente nicht unbedingt profitieren – je nachdem, wie hoch der Zuschlag ist – und sie auch so lange nicht von Rentenerhöhungen profitieren, wie der Zuschlag diese Erhöhungen übersteigt. Wir haben die Rentenreform 2014 ganz bewusst im Rahmen des bestehenden Rentenrechts gestaltet. Das führt an der einen oder anderen Stelle tatsächlich dazu, dass Menschen, die sich etwas von der Mütterrente erhofft haben, nicht so massiv in ihren Genuss kommen wie erwartet. Aber es war eine bewusste Entscheidung. Entweder erkennt man die Wirkungsweise des Rentensystems an, oder man macht für alles und jedes eine Ausnahme. Wir haben uns an der Stelle dazu entschieden, in der Rentensystematik zu bleiben und eine ehrliche Debatte zu führen. Was die Anträge zu den Bergleuten und den Beschäftigten im Gesundheitswesen angeht, sind die Hintergründe schon ausgeführt worden. Wie bei den meisten anderen Fällen ist es so, dass die Sachverhalte vor Gerichten ausverhandelt sind. Aber Sie haben natürlich recht: Politische Lösungen sind möglich. Da gibt es unterschiedliche Ansätze. Die Linke sagt: Wir regeln jede Gruppe einzeln und geben den Forderungen nach. – Das hat den Nachteil, dass man an verschiedenen Stellen zu Ungerechtigkeiten gegenüber bestimmten westdeutschen Gruppen oder auch anderen ostdeutschen Gruppen kommt. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir hatten einen Antrag, wo alle drin waren! Den haben Sie als SPD abgelehnt!) Wir als SPD haben einen anderen Ansatz. Wir wollen einen Härtefallfonds auflegen. Denn – da bin ich, glaube ich, anderer Auffassung als Kollegin Schimke – es sind reale Ungerechtigkeiten entstanden; es sind massive Härtefälle entstanden, weil sich Menschen auf das DDR-Rentenrecht verlassen haben und dann durch Wegfall von Regelungen sozial wirklich heruntergefallen sind. Wir wollen deswegen einen steuerfinanzierten Härtefallfonds auflegen für diejenigen, für die durch die Rentenüberleitung besondere soziale Härten entstanden sind. Das wird einige Bergleute betreffen, aber noch mehr die Krankenschwestern oder die in der DDR geschiedenen Frauen, die alle davon profitieren können. Das ist ein Ansatz, der sozialen Frieden schafft und der vor allen Dingen keine neuen Ungerechtigkeiten hervorruft. Für diesen Fonds streiten wir. Abschließend will ich noch einmal sagen: Wir als SPD stehen zu unserer Verantwortung. Wir stellen uns auch immer wieder der Debatte mit Betroffenen und auch hier im Plenum. Wir wollen – das ist Punkt eins – die zügige Rentenangleichung in Ost und West. Das steht im Koalitionsvertrag, und das wissen wir als SPD auch. Darauf werden wir pochen, und das werden wir ganz genau begleiten. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bald ist die Koalition zu Ende!) – Aber im Koalitionsvertrag steht ein Datum, das noch in der Zukunft liegt. Das werden Sie zugestehen, Herr Kurth, dass wir an der Stelle noch nicht im Verzug sind. Richtig? Und wir wollen – Punkt zwei – einen Härtefallfonds für die Gruppen, die durch die Rentenüberleitung gravierende Nachteile erfahren haben. Das steht nicht im Koalitionsvertrag. Da konnten wir uns nicht durchsetzen. Für uns bleibt das Thema dennoch auf der Agenda, und wir werden weiter dafür kämpfen und streiten, auch streiten, dass wir dafür Mehrheiten gewinnen können. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Peter Weiß von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Wenn man diese Debatte richtig verstehen will, muss man einfach einmal zurückgehen zur Rentenüberleitung. Es ist so gewesen, wie es der Kollege Kurth von den Grünen erklärt hat: Man hat das westdeutsche Rentenrecht dem gesamtdeutschen Rentenrecht zugrunde gelegt, ein Rentenrecht, das bekanntermaßen so ausgestaltet ist: Es ist lohn- und beitragsbezogen. Für das, was ich in die Rente einzahle, bekomme ich eines Tages ein entsprechendes Äquivalent als Rente ausgezahlt. Das ist auch das, was die Bürgerinnen und Bürger, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als gerecht empfinden, nämlich dass ihre Rente, wenn sie viel eingezahlt haben, höher ist, als wenn sie weniger eingezahlt haben. Das DDR-Rentenrecht war im Gegensatz dazu etwas ganz, ganz anderes, nämlich ein Rentenrecht mit vielerlei Sonderregelungen, Zusatzversorgungssystemen, Zuschlägen, Abschlägen usw. usf. Es ist aufgehoben worden in dem gesamtdeutschen Rentenrecht, das so funktioniert, wie ich es erklärt habe. Der Effekt war – deswegen ist es so gemacht worden –, dass die Rentnerinnen und Renten im Osten nicht benachteiligt werden. Hätte man das alte Recht beibehalten – um es einmal klar und deutlich zu sagen –, würde die große Masse der Rentnerinnen und Rentner im Osten Deutschlands Hunger leiden und wäre auf staatliche Unterstützung angewiesen, weil diese Minirente im Osten niemals zum Leben ausreichen würde. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Darum geht es doch gar nicht!) Es war das Beste, was den Rentnerinnen und Rentnern im Osten geschehen konnte, dass sie in dieses gesamtdeutsche Rentenrecht übergeleitet worden sind, das eben beitragsbezogen ist und das sich an der Lohnentwicklung orientiert und dynamisch ausgestaltet ist. Deswegen sind, wenn man es sich genau anschaut, die Rentnerinnen und Rentner im Osten die eigentlichen Gewinner der deutschen Einheit. (Beifall bei der CDU/CSU) Das ist möglich geworden durch eine großartige Solidarleistung der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler. Letztlich – um es einmal klar und deutlich zu sagen – haben die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler im Westen mit ihren Beiträgen mitgeholfen, dass wir diese Renten auszahlen konnten, die nach der deutschen Einheit im Osten möglich geworden sind. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich finde, in einer solchen Debatte sollten wir als Politiker als Allererstes ein herzliches Dankeschön für diese großartigen Solidarleistungen der Rentenbeitragszahlerinnen und -beitragszahler in Deutschland sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) In ganz Deutschland, auch im Westen, gibt es Berufe mit unterschiedlichen Anforderungen, unterschiedlichen Gefährdungsstufen und unterschiedlicher körperlicher Belastung. Aber jeder weiß: Es gibt keine Sonderrechte, kein gesondertes Rentenrecht für jeden einzelnen Beruf, sondern ein solidarisches und soziales Rentenrecht für alle. Daran sollten wir festhalten. Die Linke will das ändern. Sie will das gesamtdeutsche Rentenrecht zerschießen und wieder Sonderregelungen für einzelne Berufsgruppen einführen. (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Beim Schießen kennen Sie sich aus! Ich war nicht bei der Bundeswehr! – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das war wieder ein ganz sachlicher Beitrag!) Da man das Schicksal der Mütter und der Frauen beklagt, gibt es – das muss man ganz ehrlich sagen – aus westdeutscher Sicht auch etwas anzumerken. Die durchschnittliche Rente der Frauen im Westen liegt bei 44 Prozent der durchschnittlichen Rente der Frauen im Osten. Klar, das hat Gründe: Im Westen wurde ein anderes Familienmodell praktiziert. Die Frauen im Westen sind aus dem Beruf ausgestiegen, wenn sie Kinder bekommen haben. Das alles ist vollkommen richtig. Die Rente ist nun einmal lohn- und beitragsbezogen. Wenn man aber hier das Hohelied der Erziehungsleistungen der Frauen anstimmt, dann könnte man auch über eine Sonderregelung für Frauen im Westen nachdenken, um deren Nachteile heutzutage auszugleichen. Wenn Sie so argumentieren, dann sollten Sie einen entsprechenden Antrag stellen. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Dann können Sie ja einen Vorschlag machen!) Das machen Sie natürlich nicht, weil Sie eine reine Ostpartei sind und Sie deswegen das Schicksal der Frauen im Westen gar nicht interessiert. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Herr Weiß, Sie waren schon gestern unterirdisch! Aber heute wissen Sie, dass Sie richtig lügen!) Nun zur Mütterrente. Es waren Helmut Kohl und Norbert Blüm, die im Jahr 1986 dafür gesorgt haben, dass es zum ersten Mal im deutschen Rentenrecht für Erziehungsleistungen einen zusätzlichen Entgeltpunkt, also einen zusätzlichen Rentenpunkt, gibt. Im Osten, in der DDR, ist zu dem Thema überhaupt nichts passiert. Es war die Union, die in ihrem Wahlprogramm 2013 gesagt hat: Wir wollen als prioritäres Anliegen im Fall der erneuten Regierungsübernahme dafür sorgen, dass aus diesem einen Entgeltpunkt zwei Entgeltpunkte für all die Mütter werden, deren Kinder vor 1992 geboren sind. Wir haben das auch durchgesetzt. Nun wissen die Frauen in ganz Deutschland: Mütterrente ist eine Regelung, die sie in erster Linie der Union verdanken, weil die Union für diese Lösung gekämpft hat. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Und die Erde ist eine Scheibe!) Ich will mich natürlich bei den sozialdemokratischen Kolleginnen und Kollegen bedanken, dass wir das gemeinsam in der Koalitionsvereinbarung festgelegt und auch prompt umgesetzt haben. Natürlich lässt sich das Problem der Mütterrente – wie dargelegt – am ehesten lösen, wenn wir, was den Rentenwert und die Bemessung der Renten angeht, zu einem einheitlichen System in ganz Deutschland übergehen; das ist vollkommen richtig. Deswegen haben wir das so im Koalitionsvertrag festgelegt. Aber ich will noch einmal darauf hinweisen, wo das Problem besteht. Derzeit werden die von einem Erwerbstätigen im Osten Deutschlands während des Arbeitslebens erreichten Entgeltpunkte, also seine Rentenansprüche, um 16 Prozent hochgewertet. Diese Höherwertung der Entgeltpunkte bringt denjenigen, die demnächst im Osten Deutschlands in Rente gehen, mehr Rente als das von Herrn Kurth vorgeschlagene System, das vorsieht, diese Höherbewertung zu beenden und dafür den Rentenwert anzugleichen. Die Differenz zwischen dem Rentenwert Ost und dem Rentenwert West ist deutlich geringer als die 16-prozentige Höherwertung. Hier besteht das eigentliche Problem. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn wir – mutig, wie wir sind – im Bundestag kurzerhand beschließen würden, die Höherwertung zu beenden und die Rentenwerte in Ost und West anzugleichen, sodass der Zahlbetrag für jeden Arbeitnehmer in Ost und West gleich wäre, wäre dies für viele Mitbürgerinnen und Mitbürger im Osten, die in den kommenden Jahren in Rente gehen, ein Minusgeschäft. Deswegen haben wir uns bisher an diese Problematik nur vorsichtig herangewagt. Man muss jedenfalls den Bürgerinnen und Bürgern die Wahrheit sagen, was solche Vorschläge für sie finanziell konkret bedeuten. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tun wir!) Wir wollen ein gemeinsames Rentenrecht in Ost und West. Wir wollen die Diskussion darüber, ob ein Kind im Osten uns weniger wert ist als eines im Westen, beenden und alle gleich behandeln. Aber das muss so geschehen, dass es dabei keine große Zahl an Verliererinnen und Verlierern gibt. Wir wollen deswegen einen vernünftigen Übergang und kein Hauruckverfahren, das sich manche wünschen, dessen Konsequenzen sie aber nicht bedenken. Zum Schluss: Es bleibt ein großartiges historisches Verdienst unserer damaligen Bundestagskolleginnen und -kollegen, diese Rentenüberleitung geschafft zu haben und ein Rentenrecht geschaffen zu haben, von dem vor allem die Mitbürgerinnen und Mitbürger, die Rentnerinnen und Rentner im Osten Deutschlands profitieren. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Frau Kipping erhält das Wort zu einer Kurzintervention. Katja Kipping (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Weiß hat den Eindruck erweckt, wir würden nur Vorschläge für Rentnerinnen und Rentner im Osten unterbreiten. Deswegen möchte ich das richtigstellen. Von unserem rentenpolitischen Vorschlag, dass das gesetzliche Rentenniveau wieder erhöht wird, profitieren Menschen in Ost wie West gleichermaßen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Auch von unserem Vorschlag, eine solidarische Mindestrente von mindestens 1 050 Euro einzuführen, profitieren Männer wie Frauen in Ost und West gleichermaßen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Weiß, Sie haben die Möglichkeit zu einer Erwiderung. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Verehrte Frau Kollegin Kipping, ich finde es doch beachtlich, dass Sie jetzt, zum Schluss der Debatte, nachdem Sie die erste Rednerin in dieser Debatte waren, von dem, was Sie vorgetragen haben – ich rede von den Sonderregelungen, die Sie haben wollen –, abweichen und darauf verweisen, dass wir ein gesamtdeutsches Rentenkonzept brauchen. Das ist doch sehr bemerkenswert. Das schlechte Gewissen steckt Ihnen offenbar in den Knochen. Das muss ich jetzt einmal feststellen. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Herr Weiß, Sie sind eine peinliche Nummer!) Das Zweite ist: Eine gute Rente ist zuallererst das Ergebnis einer guten Beschäftigungslage und einer guten wirtschaftlichen Entwicklung. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Ja, aber nicht bei 1-Euro-Jobs!) Das Schöne ist, dass wir am 1. Juli dieses Jahres gerade für die Rentnerinnen und Rentner im Osten Deutschlands eine deutlich stärkere Steigerung ihrer Renten erreichen werden als für die im Westen. Das zeigt: Dynamik am Arbeitsmarkt, Wachstum und Beschäftigung sind die Grundlagen für eine gute Rente. Das haben wir mit unserer Politik geschaffen, auch mit der Politik der Großen Koalition. Darauf sind wir stolz. Das ist eine gute Nachricht für die Rentnerinnen und Rentner in Ost wie West. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das geht nur mit Doping!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Frau Wolff, jetzt haben Sie das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren auf den Zuschauertribünen! Wenn wir über Rente sprechen, dann schauen wir natürlich in die Vergangenheit, wir schauen auch ein bisschen in die Gegenwart, aber wir vergessen oft, in die Zukunft zu schauen. Ich will am Schluss dieser Debatte sowohl in die Vergangenheit als auch in die Gegenwart und die Zukunft schauen. Wir diskutieren seit Jahren – ich bin seit 1998 Mitglied dieses Hauses – jährlich über das Thema der Überleitung des Rentensystems Ost in das gesamtdeutsche Rentensystem. Dabei sind natürlich auch die Sondersysteme immer wieder im Fokus der Diskussion der Linken. Ja, mit den gesetzlichen Regelungen von 1992 wurde nicht alles so bedacht, wie es hätte sein müssen, und, ja, es ist zu Ungerechtigkeiten gekommen, und, noch einmal ja, ich verstehe, wenn sich Menschen an dieser Stelle ungerecht behandelt fühlen. Aber – auch das sage ich zum wiederholten Male; wir haben am 2. Oktober letzten Jahres zum letzten Mal über dieses Thema gesprochen, nur unter einer anderen Überschrift; da habe ich das gesagt, was mein Kollege Weiß und andere Vorredner, unter anderem Herr Kurth, gesagt haben –: Die Rentensystematik, die gewählt wurde, kann diese besonderen, schwerwiegenden Härtefälle nicht auffangen. Genau darum sagt die SPD doch immer wieder: Wir wollen eine Lösung für Menschen, die besonders betroffen sind. Darum brauchen wir den Härtefallfonds. Davon gehen wir nicht ab. (Beifall bei der SPD) Ich möchte als letzte Rednerin in dieser Debatte den Blickwinkel etwas weiten. In der Gegenwart erleben wir immer wieder, dass der niedrigere Rentenwert im Osten einfach da ist. Für viele Menschen im Osten der Republik ist das das Symbol dafür, dass ihre Lebensleistung im vereinten Deutschland nicht so wertgeschätzt wird, wie es sein sollte. Ganz deutlich ist das in dieser Debatte in Bezug auf die Mütterrente geworden. Ich wiederhole es zum Schluss: Die Große Koalition hat gesagt, dass sie jetzt den Fahrplan für ein einheitliches Rentensystem vorlegt. Dazu stehen wir. Dann hat diese Diskussion endlich ein Ende. Bislang steht dem niedrigen Rentenwert der Höherwertungsfaktor zur Seite; das hat auch Kollege Weiß gesagt. Auf diese Weise werden die niedrigeren Einkommen Ost höher bewertet als die Einkommen West. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Bleibt immer noch eine Lücke!) Diese Höherwertung ist immer noch absolut notwendig. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Schaut man sich einen Vergleich der Löhne in den Bundesländern an, dann stellt man fest, dass Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern ganz hinten liegen. In Brandenburg, dem Land, in dem die höchsten Einkommen im Osten erzielt werden, waren es 2015  446 Euro weniger als in Schleswig-Holstein, dem Land mit den niedrigsten Einkommen im Westen. Wer sich die Gegenwart im Osten anschaut, der bekommt einen klaren Blick für die Zukunft. Die Lage auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt hat einen Preis: niedrigere Renten in der Zukunft. Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigung, niedrige Löhne, all das schlägt sich in niedrigeren Rentenbeiträgen und später natürlich auch in niedrigen Renten nieder – niedrige Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung, die im Osten eben nicht mit Betriebsrenten oder privaten Lebensversicherungen aufgestockt werden. Darum sage ich ganz deutlich: Die Gegenwart macht mir nicht so viel Sorge wie die Zukunft. Während die Armutsgefährdungsquote der heute 50- bis 64Jährigen in allen westdeutschen Flächenländern sinkt, steigt sie in den Stadtstaaten und in allen östlichen Bundesländern. In Sachsen wird sie am dritthöchsten sein. Während die Renten im Westen stabil bleiben, sinken die Renten im Osten. Für die Menschen, die zwischen 1962 und 1971 geboren wurden, werden die Renten mit ungefähr 600 Euro im Bereich der Grundsicherung liegen. Diese abzusehende Entwicklung bei den Renten im Osten ist dramatisch, und sie wird sich fortschreiben, wenn wir es nicht schaffen, auch im Osten angemessene Löhne zu zahlen. An dieser Stelle möchte ich noch einmal darauf hinweisen: Da, wo Gewerkschaften stark sind, werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gut vertreten. Da gibt es eine bessere Unterstützung. Da verdienen Arbeitnehmer meist mehr. (Beifall bei der SPD) Das heißt, jeder Arbeitnehmer ist dazu aufgerufen, sich selber zu vertreten oder vertreten zu lassen. (Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Die Folgen dieser Entwicklung sind – das ist meine feste Überzeugung – nur innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung abzufangen. Daran müssen wir arbeiten. Darum sagen wir: Die Einführung der Solidarrente wird unser nächster Schritt sein. (Beifall bei der SPD) Der eine oder andere mag vielleicht sagen, ich hätte heute das Thema verfehlt. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Zeit überzogen haben Sie!) Ich sage seit Jahren, dass die Ungerechtigkeiten, die bei der Rentenüberleitung entstanden sind, nur mit einer Härtefallregelung beseitigt werden können. Die Zukunft der Renten in den neuen Bundesländern sollte uns allen hier viel mehr Anlass zur Diskussion im Hohen Hause geben. (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Ja!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. Ich bin seit 1998 Mitglied dieses Hauses, habe es aber noch nie geschafft, freitags die letzte Rednerin zu sein. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Jetzt haben Sie es aber geschafft, Frau Wolff. – Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/8612 und 18/7903 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir haben noch eine Abstimmung durchzuführen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Sie müssen noch bleiben. – Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Ungerechtigkeiten bei Mütterrente in Ostdeutschland und beim Übergangszuschlag beheben“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6706, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4972 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 8. Juni 2016, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Jetzt darf auch ich Ihnen ein schönes Wochenende wünschen. (Schluss: 14.05 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Aken, Jan van DIE LINKE 03.06.2016 Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 03.06.2016 Beck (Bremen), Marieluise BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 03.06.2016 Brandl, Dr. Reinhard CDU/CSU 03.06.2016 Daldrup, Bernhard SPD 03.06.2016 Fabritius, Dr. Bernd CDU/CSU 03.06.2016 Gysi, Dr. Gregor DIE LINKE 03.06.2016 Hänsel, Heike DIE LINKE 03.06.2016 Heil (Peine), Hubertus SPD 03.06.2016 Hendricks, Dr. Barbara SPD 03.06.2016 Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 03.06.2016 Lämmel, Andreas G. CDU/CSU 03.06.2016 Leidig, Sabine DIE LINKE 03.06.2016 Leikert, Dr. Katja CDU/CSU 03.06.2016 Lerchenfeld, Philipp Graf CDU/CSU 03.06.2016 Leyen, Dr. Ursula von der CDU/CSU 03.06.2016 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 03.06.2016 Marwitz, Hans-Georg von der CDU/CSU 03.06.2016 Metzler, Jan CDU/CSU 03.06.2016 Michelbach, Dr. h. c. Hans CDU/CSU 03.06.2016 Müller (Chemnitz), Detlef SPD 03.06.2016 Müller, Bettina SPD 03.06.2016 Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 03.06.2016 Oßner, Florian CDU/CSU 03.06.2016 Petry, Christian SPD 03.06.2016 Petzold, Ulrich CDU/CSU 03.06.2016 Pflugradt, Jeannine SPD 03.06.2016 Raabe, Dr. Sascha SPD 03.06.2016 Roth (Augsburg), Claudia BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 03.06.2016 Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU 03.06.2016 Scho-Antwerpes, Elfi SPD 03.06.2016 Schröder (Wiesbaden), Dr. Kristina CDU/CSU 03.06.2016 Stegemann, Albert CDU/CSU 03.06.2016 Steinmeier, Dr. Frank-Walter SPD 03.06.2016 Strothmann, Lena CDU/CSU 03.06.2016 Veit, Rüdiger SPD 03.06.2016 Wagenknecht, Dr. Sahra DIE LINKE 03.06.2016 Wawzyniak, Halina DIE LINKE 03.06.2016 Wellmann, Karl-Georg CDU/CSU 03.06.2016 Wicklein, Andrea SPD 03.06.2016 Wöhrl, Dagmar G. CDU/CSU 03.06.2016 Zech, Tobias CDU/CSU 03.06.2016 Anlage 2 Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Der Bundesrat hat in seiner 945. Sitzung am 13. Mai 2016 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Erstes Gesetz zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte (Erstes Finanzmarktnovellierungsgesetz – 1. FiMaNoG) – Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen Der Bundesrat hat hierzu ferner folgende Entschließung gefasst: a) Der Bundesrat begrüßt, dass der Deutsche Bundestag mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen eine rechtliche Grundlage zur Bekämpfung von korruptivem Handeln durch Angehörige der Heilberufe schafft und damit eine nicht hinzunehmende Gesetzeslücke schließt. b) Der Bundesrat hält es jedoch für nicht sachgerecht, dass der Gesetzesbeschluss – anders als noch in der dem Bundesrat seinerzeit zur Stellungnahme zugeleiteten Fassung (BR-Drucksache 360/15) – allein wettbewerbsbezogene Handlungen erfasst, die patientenschutzbezogene Handlungsmodalität des „Verstoßes gegen berufsrechtliche Pflichten“ hingegen ausspart und damit wesentliche Inhalte und Schutzzwecke des Gesetzes wegfallen. c) Eine wirksame Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen muss gleichermaßen zwei Ziele verfolgen: Zum einen muss sie einen funktionierenden Leistungswettbewerb auf Seiten der Anbieter sichern, da nur dieser eine qualitative Weiterentwicklung von Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln sowie Medizinprodukten bei gleichzeitig vertretbarer Kostenentwicklung im Gesundheitssektor gewährleisten kann (Wettbewerbsschutz). Zum anderen muss sie aber auch das Vertrauen der Patienten in eine von unlauteren Geldzahlungen unbeeinflusste Gesundheitsversorgung und damit die Akzeptanz des – von ihnen solidarisch finanzierten – Gesundheitssystems aufrechterhalten (Patientenschutz). Dadurch, dass der Gesetzesbeschluss ausschließlich auf den Wettbewerbsschutz abstellt und den Patientenschutz weitgehend ausblendet, könnten eine Reihe von Fallkonstellationen straffrei bleiben, in denen medizinische Entscheidungen primär an wirtschaftlichen Interessen, nicht aber am Wohl des individuellen Patienten orientiert getroffen werden. Dergestalt entstehende Schutzlücken wären geeignet, das Vertrauen der Patienten in das von ihnen getragene Gesundheitssystem erheblich zu beeinträchtigen. Entsprechende Schutzlücken könnten zukünftig insbesondere in Fällen auftreten, in denen eine wettbewerbsbezogene Bevorzugung bestimmter Anbieter gerade nicht gegeben ist, also etwa – bei der Verordnung patentgeschützter (und damit in Monopolstellung) angebotener Arznei-, Heil- oder Hilfsmittel oder Medizinprodukte, – bei der allgemeinen – und gegebenenfalls medizinisch gar nicht indizierten – Steigerung von Bezugs-, Verordnungs- oder Zuweisungsmengen sowie – bei Arzneimittelverordnungen, die sich allein auf den Wirkstoff beziehen, vgl. hierzu schon BR-Drucksache 451/13 (Beschluss), S. 17. d) Der Bundesrat weist zudem darauf hin, dass die jetzt vorgenommene Beschränkung des Gesetzes auf den Bezug und die Verordnung von Arznei- und Heilmitteln sowie Medizinprodukten dazu führt, dass ganze Berufsgruppen, vor allem die der Apothekerinnen und Apotheker, aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes herausfallen. Vor dem Hintergrund der Bedeutung, die diese Berufsgruppen innerhalb des Gesundheitswesens haben, können auch insoweit nicht zu rechtfertigende Strafbarkeitslücken entstehen. e) Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung zu beobachten, ob zukünftig in der Praxis die vorbeschriebenen Strafverfolgungslücken in einem Umfang auftreten, der geeignet ist, das Vertrauen der Patienten in das Gesundheitssystem zu beeinträchtigen. Sollte dies der Fall sein, müssten die notwendigen gesetzlichen Änderungen im Sinne dieser Entschließung vorgenommen werden. – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2014/26/EU über die kollektive Wahrnehmung von Urheber- und verwandten Schutzrechten und die Vergabe von Mehrgebietslizenzen für Rechte an Musikwerken für die Online-Nutzung im Binnenmarkt sowie zur Änderung des Verfahrens betreffend die Geräte- und Speichermedienvergütung (VGRichtlinie-Umsetzungsgesetz) – Fünfzehntes Gesetz zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes Zudem hat der Bundesrat in seiner 945. Sitzung am 13. Mai 2016 gemäß § 3 Absatz 1 Satz 2 Nummer 3, Satz 4 und 6 des Standortauswahlgesetzes Ministerin Prof. Dr. Claudia Dalbert (Sachsen-Anhalt) als Nachfolgerin des ausscheidenden Ministers a. D. Dr. Hermann Onko Aeikens (Sachsen-Anhalt) zum Mitglied der „Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ gewählt. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit hat mitgeteilt, dass er gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Unterrichtung durch die Bundesregierung Klimaschutzbericht 2015 Drucksache 18/6840 Unterrichtung durch die Bundesregierung Fortschrittsbericht zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel Drucksachen 18/7111, 18/7276 Nr. 7 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 18/8470 Nr. A.1 Ratsdokument 7984/16 Drucksache 18/8470 Nr. A.2 Ratsdokument 7998/16 Finanzausschuss Drucksache 18/8293 Nr. A.4 Ratsdokument 6918/16 Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksache 18/7127 Nr. A.4 Ratsdokument 14015/15 Drucksache 18/7612 Nr. A.26 Ratsdokument 5187/16 Drucksache 18/7934 Nr. A.16 Ratsdokument 6225/16 Drucksache 18/7934 Nr. A.17 Ratsdokument 6226/16 Drucksache 18/8293 Nr. A.6 Ratsdokument 7115/16 Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 18/8293 Nr. A.12 Ratsdokument 7489/16 Drucksache 18/8470 Nr. A.20 EP P8_TA-PROV(2016)0119 Drucksache 18/8470 Nr. A.22 Ratsdokument 7781/16 Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Drucksache 18/7733 Nr. A.19 Ratsdokument 5814/16 II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung, Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung, Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 17185 Plenarprotokoll 18/174