Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 179. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 23. Juni 2016 Inhalt: Wahl der Abgeordneten Nina Warken als ordentliches Mitglied des Gemeinsamen Ausschusses 17575 A Wahl des Abgeordneten Steffen Bilger als ordentliches Mitglied des Vermittlungsausschusses 17575 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 17575 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 14, 15 b und 25 17576 D Begrüßung des Botschafters der Republik Polen, Herrn Jerzy Jozef Marganski 17613 C Tagesordnungspunkt 5: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2016 Drucksache 18/7620 17577 A b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bundesbericht Forschung und Innovation 2016 Drucksache 18/8550 17577 A c) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Mikroelektronik aus Deutschland – Innovationstreiber der Digitalisierung – Rahmenprogramm der Bundesregierung für Forschung und Innovation 2016 bis 2020 Drucksache 18/7729 17577 B d) Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Oliver Krischer, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Innovationspolitik neu ausrichten – Forschen für den Wandel befördern Drucksache 18/8711 17577 B Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU) 17577 C Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) 17578 C René Röspel (SPD) 17579 C Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17580 D Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin BMBF 17581 D Ralph Lenkert (DIE LINKE) 17583 B Hubertus Heil (Peine) (SPD) 17584 B Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17586 A Steffen Kampeter (CDU/CSU) 17587 A Saskia Esken (SPD) 17588 C Dr. Wolfgang Stefinger (CDU/CSU) 17589 C Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU) 17590 C Tagesordnungspunkt 6: a) Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn, Annalena Baerbock, Peter Meiwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Klimaschutzplan 2050 – Echter Klimaschutz beginnt heute Drucksache 18/8876 17592 C b) Antrag der Abgeordneten Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zur Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens – Klimaschutz wirksam verankern und Klimaziele einhalten Drucksache 18/8080 17592 C c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Bärbel Höhn, Annalena Baerbock, Sylvia Kotting-Uhl, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Festlegung nationaler Klimaschutzziele und zur Förderung des Klimaschutzes (Klimaschutzgesetz – KlimaSchG) Drucksachen 18/1612, 18/8770 17592 D d) Antrag der Abgeordneten Stephan Kühn (Dresden), Matthias Gastel, Tabea Rößner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verkehrspolitik auf Klimaschutzziele ausrichten Drucksache 18/7887 17592 D e) Antrag der Abgeordneten Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Dr. Julia Verlinden, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Weichen für die ökologische Modernisierung der Wirtschaft stellen – Chancen des Klimaschutzes nutzen Drucksache 18/8877 17593 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 1: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Annalena Baerbock, Özcan Mutlu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für ein Rahmenprogramm für Klima- und Klimafolgenforschung Drucksachen 18/7048, 18/8873 17593 A Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17593 A Andreas Jung (CDU/CSU) 17594 C Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 17596 B Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin BMUB 17597 A Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17599 A Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU) 17600 A Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17600 C Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17601 D Sabine Leidig (DIE LINKE) 17603 A Frank Schwabe (SPD) 17604 B Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17605 B Matern von Marschall (CDU/CSU) 17605 D Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17606 C Klaus Mindrup (SPD) 17607 B Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU) 17608 C Arno Klare (SPD) 17610 A Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17611 A Arno Klare (SPD) 17611 A Günter Lach (CDU/CSU) 17611 C Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Versöhnung, Partnerschaft, Zusammenarbeit – 25 Jahre deutsch-polnischer Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit Drucksache 18/8861 17613 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Versöhnung, Partnerschaft, Zusammenarbeit – 25 Jahre deutsch-polnischer Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit Drucksache 18/8765 17613 C Axel Schäfer (Bochum) (SPD) 17613 D Thomas Nord (DIE LINKE) 17614 D Dr. Franz Josef Jung (CDU/CSU) 17616 B Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17617 C Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU) 17618 D Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17619 C Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU) 17620 C Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17621 D Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU) 17622 B Dietmar Nietan (SPD) 17622 D Dr. Stefan Heck (CDU/CSU) 17624 B Tagesordnungspunkt 29: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Otto-von-Bismarck-Stiftung Drucksache 18/8497 17625 D b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Integrationsgesetzes Drucksachen 18/8829, 18/8883 17625 D c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 12. November 2015 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Australien zur Beseitigung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie zur Verhinderung der Steuerverkürzung und -umgehung Drucksache 18/8830 17625 D Zusatztagesordnungspunkt 4: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung Drucksache 18/8858 17626 A Tagesordnungspunkt 30: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinien (EU) 2015/566 und (EU) 2015/565 zur Einfuhr und zur Kodierung menschlicher Gewebe und Gewebezubereitungen Drucksachen 18/8580, 18/8840, 18/8906 17626 B b)–g) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 327, 328, 329, 330, 331 und 332 zu Petitionen Drucksachen 18/8727, 18/8728, 18/8729, 18/8730, 18/8731, 18/8732 17626 C Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aussagen von Bundesminister de Maizière zu ärztlichen Attesten in Abschiebeverfahren Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17627 A Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI 17628 C Jan Korte (DIE LINKE) 17630 C Dr. Lars Castellucci (SPD) 17631 D Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU) 17633 B Ulla Jelpke (DIE LINKE) 17634 C Sebastian Hartmann (SPD) 17635 C Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17636 C Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU) 17638 A Hilde Mattheis (SPD) 17639 C Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) 17640 C Andrea Lindholz (CDU/CSU) 17641 D Barbara Woltmann (CDU/CSU) 17643 A Tagesordnungspunkt 7: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Kulturgutschutzrechts Drucksachen 18/7456, 18/8908 17644 B Monika Grütters, Staatsministerin BK 17644 B Sigrid Hupach (DIE LINKE) 17645 D Siegmund Ehrmann (SPD) 17647 C Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17648 D Ansgar Heveling (CDU/CSU) 17650 A Susanne Mittag (SPD) 17651 C Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) 17652 C Martin Dörmann (SPD) 17653 C Tagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Katja Kipping, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Sexismus die Rote Karte zeigen – Für einen bundesweiten Aktionsplan Drucksache 18/8723 17654 D Cornelia Möhring (DIE LINKE) 17655 A Sylvia Pantel (CDU/CSU) 17656 A Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17658 A Dr. Dorothee Schlegel (SPD) 17659 B Paul Lehrieder (CDU/CSU) 17660 B Birgit Kömpel (SPD) 17662 A Tagesordnungspunkt 10: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien (jetzt: Republik Serbien) und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 Drucksachen 18/8623, 18/8760 17663 B – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/8761 17663 B Josip Juratovic (SPD) 17663 C Sevim Dağdelen (DIE LINKE) 17664 D Peter Beyer (CDU/CSU) 17665 C Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 17666 C Julia Obermeier (CDU/CSU) 17667 B Namentliche Abstimmung 17668 B Ergebnis 17669 D Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Kai Gehring, Ulle Schauws, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Jung, queer, glücklich in die Zukunft – Lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Jugendliche stärken Drucksache 18/8874 17668 C Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 17668 C Gudrun Zollner (CDU/CSU) 17672 B Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17674 A Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17674 C Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) 17675 C Susann Rüthrich (SPD) 17676 C Markus Koob (CDU/CSU) 17677 D Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) 17679 B Tagesordnungspunkt 12: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der „United Nations Interim Force in Lebanon“ (UNIFIL) auf Grundlage der Resolution 1701 (2006) und nachfolgender Verlängerungsresolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, zuletzt Resolution 2236 (2015) vom 21. August 2015 Drucksachen 18/8624, 18/8762 17680 B – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/8763 17680 C Dr. Fritz Felgentreu (SPD) 17680 C Inge Höger (DIE LINKE) 17681 D Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) 17682 D Inge Höger (DIE LINKE) 17683 C Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17684 A Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) 17685 A Namentliche Abstimmung 17686 A Ergebnis 17694 C Tagesordnungspunkt 13: a) Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Herbert Behrens, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Mieterinnen und Mieter besser schützen – Zweite Mietrechtsnovelle vorlegen Drucksache 18/8863 17686 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Heidrun Bluhm, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Mietspiegel – Sozial gerecht und mietpreisdämpfend erstellen Drucksachen 18/5230, 18/8754 17686 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Herbert Behrens, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für bezahlbare Mietwohnungen – Modernisierungsumlage reduzieren, Luxusmodernisierungen einschränken Drucksachen 18/7263, 18/8764 17686 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Erste Beratung des von den Abgeordneten Renate Künast, Christian Kühn (Tübingen), Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten durch Streichung der Rügepflicht und die Schaffung eines Auskunftsrechts Drucksache 18/8857 17686 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von den Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Renate Künast, Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten bei umfassenden Modernisierungen Drucksache 18/8856 17686 C Caren Lay (DIE LINKE) 17686 C Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) 17687 D Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 17689 C Michael Groß (SPD) 17690 D Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) 17691 B Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 17692 A Dennis Rohde (SPD) 17693 A Tagesordnungspunkt 8: a)   – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsvereinfachung Drucksachen 18/8041, 18/8909 17697 B – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/8910 17697 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Die Gewährleistung des Existenz- und Teilhabeminimums verbessern – Keine Rechtsvereinfachung auf Kosten der Betroffenen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin Andreae, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Grundsicherung einfacher und gerechter gestalten – Jobcenter entlasten Drucksachen 18/8076, 18/8077, 18/8909 17697 C Anette Kramme, Parl. Staatssekretärin BMAS 17697 D Katja Kipping (DIE LINKE) 17698 D Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) 17699 D Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 17701 B Kerstin Griese (SPD) 17702 B Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) 17703 C Stephan Stracke (CDU/CSU) 17704 B Markus Paschke (SPD) 17705 A Kai Whittaker (CDU/CSU) 17706 A Namentliche Abstimmung 17707 C Ergebnis 17707 D Tagesordnungspunkt 15: a) Antrag der Abgeordneten Tabea Rößner, Katharina Dröge, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mindestqualitätsvorgaben für Internetzugänge einführen Drucksache 18/8573 17710 D Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17710 D Hansjörg Durz (CDU/CSU) 17711 D Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17713 B Herbert Behrens (DIE LINKE) 17713 D Klaus Barthel (SPD) 17714 C Saskia Esken (SPD) 17715 C Thomas Jarzombek (CDU/CSU) 17715 D Tagesordnungspunkt 16: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Digitalisierung der Energiewende Drucksachen 18/7555, 18/8919 17716 C Florian Post (SPD) 17716 C Ralph Lenkert (DIE LINKE) 17717 C Jens Koeppen (CDU/CSU) 17718 C Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17719 C Johann Saathoff (SPD) 17720 D Barbara Lanzinger (CDU/CSU) 17721 C Tagesordnungspunkt 17: Antrag der Abgeordneten Niema Movassat, Katja Kipping, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Rechenschaftspflicht und entwicklungspolitisches Mandat der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft DEG stärken Drucksache 18/8657 17722 C Niema Movassat (DIE LINKE) 17722 D Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMZ 17723 C Niema Movassat (DIE LINKE) 17724 D Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMZ 17725 A Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17725 C Christoph Strässer (SPD) 17726 C Johannes Selle (CDU/CSU) 17727 D Zusatztagesordnungspunkt 8: a)   – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Strommarktes (Strommarktgesetz) Drucksachen 18/7317, 18/8915 17728 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/8920 17728 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer, Annalena Baerbock, Dr. Julia Verlinden, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zukunft des Strommarktes – Mit ökologischem Flexibilitätsmarkt klimafreundliche Kapazitäten anreizen und Kohleausstieg einleiten Drucksachen 18/7369, 18/8915 17728 D Johann Saathoff (SPD) 17729 A Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 17730 A Thomas Bareiß (CDU/CSU) 17730 D Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17732 A Barbara Lanzinger (CDU/CSU) 17733 A Thomas Jurk (SPD) 17733 C Tagesordnungspunkt 19: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Frank Tempel, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Netzneutralität im Rahmen der Vorgaben der EU-Verordnung gesetzlich absichern Drucksachen 18/6876, 18/8813 17734 D Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Den europäischen Binnenmarkt weiter vertiefen – Bewährte Standards erhalten Drucksache 18/8867 17734 D Tagesordnungspunkt 20: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Standortauswahlgesetzes Drucksachen 18/8704, 18/8913 17735 A – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/8914 17735 A Tagesordnungspunkt 21: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Sozialen Basisschutz in Entwicklungsländern schaffen Drucksache 18/8862 17735 B Tagesordnungspunkt 22: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19. Februar 2013 über ein Einheitliches Patentgericht Drucksache 18/8826 17735 C b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung patentrechtlicher Vorschriften auf Grund der europäischen Patentreform Drucksache 18/8827 17735 C Tagesordnungspunkt 23: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung berg-, umweltschadens- und wasserrechtlicher Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 2013/30/EU über die Sicherheit von Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten Drucksachen 18/8703, 18/8902 17735 D Tagesordnungspunkt 27: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Elektromobilität im Straßenverkehr Drucksache 18/8828 17736 A Nächste Sitzung 17736 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 17737 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Thomas Jarzombek (CDU/CSU) zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Kulturgutschutzrechts (Tagesordnungspunkt 7) 17737 C Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien (jetzt: Republik Serbien) und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 (Tagesordnungspunkt 10) 17738 A Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Frank Tempel, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Netzneutralität im Rahmen der Vorgaben der EU-Verordnung gesetzlich absichern (Tagesordnungspunkt 19) 17738 D Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) 17738 D Klaus Barthel (SPD) 17739 D Halina Wawzyniak (DIE LINKE) 17740 D Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17741 C Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Den europäischen Binnenmarkt weiter vertiefen – Bewährte Standards erhalten (Tagesordnungspunkt 18) 17742 B Astrid Grotelüschen (CDU/CSU) 17742 B Barbara Lanzinger (CDU/CSU) 17743 C Matthias Ilgen (SPD) 17744 C Sabine Poschmann (SPD) 17745 A Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) 17745 C Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17746 B Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Standortauswahlgesetzes (Tagesordnungspunkt 20) 17747 A Steffen Kanitz (CDU/CSU) 17747 A Florian Oßner (CDU/CSU) 17747 D Dr. Matthias Miersch (SPD) 17748 D Hubertus Zdebel (DIE LINKE) 17749 C Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17750 B Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin BMUB 17751 A Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Sozialen Basisschutz in Entwicklungsländern schaffen (Tagesordnungspunkt 21) 17752 A Dr. Georg Kippels (CDU/CSU) 17752 A Stefan Rebmann (SPD) 17753 B Niema Movassat (DIE LINKE) 17754 A Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17754 D Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19. Februar 2013 über ein Einheitliches Patentgericht – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung patentrechtlicher Vorschriften auf Grund der europäischen Patentreform (Tagesordnungspunkt 22 a und b) 17755 B Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU) 17755 C Christian Flisek (SPD) 17757 A Klaus Ernst (DIE LINKE) 17757 C Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17758 C Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV 17759 C Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung berg-, umweltschadens- und wasserrechtlicher Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 2013/30/EU über die Sicherheit von Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten (Tagesordnungspunkt 23) 17760 B Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU) 17760 B Johann Saathoff (SPD) 17761 A Hubertus Zdebel (DIE LINKE) 17761 D Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17762 D Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Elektromobilität im Straßenverkehr (Tagesordnungspunkt 27) 17763 B Florian Oßner (CDU/CSU) 17763 B Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD) 17764 B Andreas Schwarz (SPD) 17765 A Richard Pitterle (DIE LINKE) 17765 C Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17766 C Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär BMF 17767 B 179. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 23. Juni 2016 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie herzlich zu unserer 179. Plenarsitzung. Es gibt eine Reihe amtlicher Mitteilungen, mit denen wir beginnen. Wir müssen zwei Wahlen durchführen. Die CDU/CSU-Fraktion schlägt vor, für den ausgeschiedenen Kollegen Thomas Strobl die Kollegin Nina Warken als ordentliches Mitglied des Gemeinsamen Ausschusses gemäß Artikel 53a des Grundgesetzes zu berufen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist die Kollegin als ordentliches Mitglied in ein Gremium gewählt, das wir hoffentlich nie brauchen. Des Weiteren schlägt die CDU/CSU-Fraktion vor, den Kollegen Steffen Bilger für den ausgeschiedenen Kollegen Thomas Strobl als ordentliches Mitglied des Ausschusses nach Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes, also des Vermittlungsausschusses, zu berufen. Sind Sie auch mit diesem Vorschlag einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist der Kollege Bilger als ordentliches Mitglied des Vermittlungsausschusses gewählt. Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Annalena Baerbock, Özcan Mutlu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für ein Rahmenprogramm für Klima- und Klimafolgenforschung Drucksachen 18/7048, 18/8873 ZP 2 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Versöhnung, Partnerschaft, Zusammenarbeit – 25 Jahre deutsch-polnischer Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit Drucksache 18/8861 ZP 3 Beratung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Versöhnung, Partnerschaft, Zusammenarbeit – 25 Jahre deutsch-polnischer Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit Drucksache 18/8765 ZP 4 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren (Ergänzung zu TOP 29) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung Drucksache 18/8858 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) Innenausschuss Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aussagen von Bundesminister de Maizière zu ärztlichen Attesten in Abschiebeverfahren ZP 6 Erste Beratung des von den Abgeordneten Renate Künast, Christian Kühn (Tübingen), Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten durch Streichung der Rügepflicht und die Schaffung eines Auskunftsrechts Drucksache 18/8857 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ZP 7 Erste Beratung des von den Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Renate Künast, Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten bei umfassenden Modernisierungen Drucksache 18/8856 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ZP 8 a)  –   Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Strommarktes (Strommarktgesetz) Drucksache 18/7317 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Drucksache 18/8915 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/8920 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer, Annalena Baerbock, Dr. Julia Verlinden, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zukunft des Strommarktes – Mit ökologischem Flexibilitätsmarkt klimafreundliche Kapazitäten anreizen und Kohleausstieg einleiten Drucksachen 18/7369, 18/8915 ZP 9 –    Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Drucksachen 18/5923, 18/6279, 18/6410 Nr. 4 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Drucksache 18/8911 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/8912 ZP 10 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung wasser- und naturschutzrechtlicher Vorschriften zur Untersagung und zur Risikominimierung bei den Verfahren der Fracking-Technologie Drucksachen 18/4713, 18/4949 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) Drucksache 18/8916 ZP 11 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausdehnung der Bergschadenshaftung auf den Bohrlochbergbau und Kavernen Drucksachen 18/4714, 18/4952 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Drucksache 18/8907 ZP 12 Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an EUNAVFOR MED Operation SOPHIA Drucksache 18/8878 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO Dabei geht es um die Beratung von drei Anträgen, um acht Beschlussempfehlungen und einen Gesetzentwurf, der ohne Debatte aufgesetzt und überwiesen werden soll. Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Der Tagesordnungspunkt 14 – hier geht es um die Beschlussempfehlung zum Gesetzentwurf zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus – soll am heutigen Tag abgesetzt werden. Die Koalitionsfraktionen haben beantragt, diesen Tagesordnungspunkt am Freitag nach dem Tagesordnungspunkt 24 wieder aufzusetzen. Die Tagesordnungspunkte 15 b – hier geht es um einen Antrag mit dem Titel „Interessenkonflikte durch staatsnahe Oligopolisten beenden – Anteile an der Deutschen Telekom AG veräußern und Erlöse in Breitbandausbau investieren“ – und 25 – hier geht es um den Ernährungspolitischen Bericht der Bundesregierung für das Jahr 2016 – sollen ebenfalls abgesetzt werden. Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunkteliste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs. In der sicheren Vermutung, dass Sie das jetzt alles mühelos nachvollzogen haben, frage ich, ob Sie damit einverstanden sind. – Das ist gerade deshalb sicher der Fall. Dann bedanke ich mich, und dann können wir so verfahren. Ich rufe nun unsere Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 d auf: a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2016 Drucksache 18/7620 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Verteidigungsausschuss Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss Digitale Agenda b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bundesbericht Forschung und Innovation 2016 Drucksache 18/8550 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss Digitale Agenda c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Mikroelektronik aus Deutschland – Innovationstreiber der Digitalisierung Rahmenprogramm der Bundesregierung für Forschung und Innovation 2016 bis 2020 Drucksache 18/7729 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss Digitale Agenda d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai Gehring, Oliver Krischer, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Innovationspolitik neu ausrichten – Forschen für den Wandel befördern Drucksache 18/8711 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Nach interfraktioneller Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Das ist offensichtlich unstreitig. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Stefan Kaufmann für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Das diesjährige EFI-Gutachten, über das wir heute im Kern debattieren, und auch der Bundesbericht Forschung und Innovation 2016 beschreiben eine Erfolgsgeschichte: Dieses Jahr liegen die Ausgaben im Bundeshaushalt für Forschung und Entwicklung bei 15,8 Milliarden Euro. Damit sind die Ausgaben des Bundes in diesem Bereich in den letzten zehn Jahren um sage und schreibe 75 Prozent gewachsen. Zusammen mit der Wirtschaft hat der Staat im Jahr 2014 sogar 84 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung ausgegeben. Das ist beeindruckend, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die gestiegenen Investitionen zeigen Wirkung: Die Zahl neuer Arbeitsplätze für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hat zwischen 2005 und 2013 fast um ein Drittel zugenommen. Heute arbeiten sage und schreibe 600 000 Menschen in Deutschland in Forschung und Entwicklung. Die Zahl weltmarktrelevanter Patente pro 1 Million Einwohner liegt in Deutschland um mehr als 240 Prozent über dem EU-Durchschnitt und ist damit doppelt so hoch wie in den USA. Flankiert wird dies durch nachhaltige Investitionen in die Exzellenz. Ich darf in diesem Zusammenhang die Bundesregierung zu der Verabschiedung des Exzellenzpaketes in der letzten Woche beglückwünschen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Die Bundesregierung hat also die Zeichen der Zeit schon seit langem erkannt. Und die Zahlen zeigen: Wir sind auf einem guten Weg, und wir sind in vielen Bereichen international vorne. Doch, meine Damen und Herren, reicht das aus, um im internationalen Wettbewerb, der immer rascher voranschreitet und bei dem immer ehrgeizigere Ziele angestrebt werden, vorne zu bleiben? Dazu sage ich nur: „Sonnenweg“. Wer in den letzten Wochen die internationale Wissenschafts- und Innovationspolitik verfolgt hat, wird etwas mit diesem Wort anfangen können. Denn mit „Sonnenweg“ wird der neueste und schnellste Supercomputer der Welt bezeichnet, den die Chinesen in der letzten Woche vorgestellt haben. Schon der bisher zweitschnellste Rechner der Welt kam aus China. Der Abstand wird immer größer: Jetzt wird eine Leistung von 93 PetaFLOPS erreicht. Das sind 93 Billiarden Rechenoperationen pro Sekunde. Damit ist der neue Supercomputer dreimal schneller als alle bisherigen Rechner auf der Welt. Das Besondere, meine Damen und Herren, an diesem neuen Supercomputer ist: Die Chinesen haben keine importierte Technologie von Intel oder IBM benutzt, sondern die Chips und sogar die Software zur Steuerung der Chips selbst entwickelt. Es handelt sich also um eine chinesische Eigenproduktion. Nur „copy and paste“, das war einmal. Der schnellste Supercomputer Deutschlands steht übrigens in meiner Heimatstadt Stuttgart. Er hat allerdings eine Leistung von nur 5,9 PetaFLOPS. Was zeigt uns das? Die Chinesen sind gewillt, massiv in Zukunftstechnologien zu investieren, und wir drohen in diesem Bereich durchaus etwas abgehängt zu werden. Das aber können wir uns nicht leisten; denn viele wesentliche Erkenntnisse gerade im Bereich der Computer – dabei geht es um Simulationen zum Klimawandel, um Erdbebenvorhersagen usw. – sind nur mit solch unglaublich schnellen Anlagen zu gewinnen. Was wir also brauchen, meine Damen und Herren, sind noch mehr Investitionen in unsere Forschung und Wissenschaft. Wir brauchen eigene Innovationen und dürfen nicht von Innovationen aus den USA und China abhängig werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Deswegen gab es in den letzten Wochen ja auch die Aufregung um den Augsburger Robotikhersteller Kuka. Forschung und Innovation sind eben entscheidende Faktoren für unsere künftige internationale Wettbewerbsfähigkeit. Deshalb war es gut und richtig, dass sich die Bundeskanzlerin letzte Woche in China erfolgreich dafür eingesetzt hat, dass die Mehrheit der Geschäftsanteile von Kuka weiterhin in der Hand europäischer Investoren bleibt. Herzlichen Dank dafür. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Im Übrigen regt das EFI-Gutachten in diesem Kontext eine eigene deutsche Robotikstrategie an, die auch ich hier gerne unterstütze. Doch nicht nur in der Robotik gilt: Die großen FuE-Supermächte USA, Japan, Südkorea, Israel und eben auch China stehen mit Deutschland in unmittelbarem Wettbewerb. Und hier bedeutet Stillstand für uns mehr denn je Rückschritt. Nur zur Erinnerung nenne ich zum Vergleich – bezogen auf den Anteil am Bruttoinlandsprodukt – die FuE-Ausgaben im Jahr 2013: Schweiz 3,0 Prozent, Japan 3,4 Prozent, Südkorea 4,2 Prozent und Baden-Württemberg 5,1 Prozent. Auch das ist eine sehr beeindruckende Zahl! Das müsste eigentlich unsere Benchmark sein. Deshalb frage ich: Warum sind wir nicht mutig und setzen uns für das Jahr 2025 wenigstens einen Anteil von 3,5 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung als Ziel? Das ist – das möchte ich gleich dazusagen – ein ehrgeiziges Ziel, welches natürlich nur gemeinsam mit den Anstrengungen auch der Wirtschaft zu realisieren ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Aber nur so stellen wir sicher, dass Deutschland weiterhin zur internationalen Spitzenklasse gehört. Deshalb lassen Sie uns alle gemeinsam daran arbeiten. Wir hier sind der Haushaltsgesetzgeber, haben es also letztlich auch ein Stück weit selbst in der Hand. Gehen wir also – gemeinsam mit der Regierung, die schon viele Vorleistungen erbracht und wirklich Erfolge vorzuweisen hat, aber auch gemeinsam mit den Unternehmen – mutig voran. Und nutzen wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, dabei vor allem auch das riesige Innovationspotenzial der kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Die Bundesregierung hat dazu ein Programm vorgelegt, das genau in die richtige Richtung weist. Wenn wir dies alles realisieren, mutig und ehrgeizig bleiben, dann, meine Damen und Herren, bleiben wir auch das Land der Ideen und der Innovationen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Gesine Lötzsch ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als Haushaltspolitikerin sehe ich meine Aufgabe darin, dafür zu sorgen, dass unser aller Geld an der richtigen Stelle ankommt. Da ist wirklich noch eine Menge zu tun. (Beifall bei der LINKEN) Die Hochschulen in unserem Land leiden seit Jahren an Geldmangel. Immer mehr Menschen studieren, jedoch häufig in überfüllten Hörsälen, unter schlechten Bedingungen. Was für eine Verschwendung von Kreativität, Potenzial und Lebenszeit. Das können wir uns wirklich nicht leisten. (Beifall bei der LINKEN – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Reden Sie mal mit den Bundesländern!) Die Hochschulen versuchen nun, irgendwie mit der dauerhaften Unterfinanzierung umzugehen. Die Leidtragenden sind in der Regel die Beschäftigten, die immer mehr in prekäre Beschäftigungsverhältnisse gedrängt werden. 80 Prozent – ich wiederhole: 80 Prozent – des hauptamtlich beschäftigten wissenschaftlichen Personals an den Hochschulen und 60 Prozent an den außeruniversitären Forschungseinrichtungen haben befristete Arbeitsverträge. Die Hälfte aller Verträge für die Beschäftigten läuft lediglich zwölf Monate oder gar kürzer. Wenn wir die klügsten Köpfe in der Wissenschaft halten wollen, müssen wir die Arbeitsbedingungen grundlegend verbessern. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir als Linke haben dazu den Antrag „Gute Arbeit in der Wissenschaft“ eingebracht, den Sie leider abgelehnt haben. Aber wir können noch einmal darüber diskutieren. Die Bundesregierung setzt nicht auf gute Arbeit in der Wissenschaft, sondern auf maximale Flexibilisierung der Arbeit auf Kosten der Beschäftigten, aber auch auf Kosten der Wissenschaft selbst. Wer glaubt, dass maximale Flexibilisierung im Wissenschaftsbetrieb die Innovationsfähigkeit fördert, der irrt. Das ist ein gefährlicher Irrglaube. Dem dürfen wir nicht verfallen. (Beifall bei der LINKEN) Wer einen Zwölfmonatsvertrag hat, ist die Hälfte der Zeit mit der Beantragung von neuen Fördermitteln und Stipendien beschäftigt. Aber Wissenschaft braucht Zeit, und gute Wissenschaft braucht mehr Zeit. Wir wären verantwortungslos, wenn wir unseren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern diese Zeit nicht gäben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nun könnten die Wissenschaftspolitiker aller Fraktionen sagen: Soll doch der Haushaltsausschuss einfach höhere Ausgaben für die Wissenschaft beschließen und möglichst noch günstige Kredite aufnehmen. – Das wäre die einfache Lösung. Die bessere Lösung ist aber, dass wir endlich einmal darüber reden, wofür wir eigentlich unser Geld ausgeben und ob wir in diesem Haus wirklich immer die richtigen Prioritäten setzen. An zwei aktuellen Beispielen zeige ich Ihnen, welche falschen Entscheidungen hier getroffen werden. Beispiel eins: Der Haushaltsausschuss hat gestern gegen den Willen der Opposition 85 Millionen Euro für die Subventionierung des Kaufs von Elektrofahrzeugen freigegeben. Diese Kaufprämie führt zu einem reinen Mitnahmeeffekt, es handelt sich keineswegs um Innovationsförderung. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Genau!) Sie werden mir doch alle zustimmen, dass diese 85 Millionen Euro in der Wissenschaft und Forschung wirklich besser angelegt gewesen wären. (Beifall bei der LINKEN) Vorhin gab es schon einen Zwischenruf zu den Ländern. Ja, nicht nur der Bund muss sich in der Wissenschaftsfinanzierung engagieren, auch die Länder sind gefordert. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: So ist es!) Morgen soll der Bundestag eine Erbenverschonungssteuer, eine Geschenkpackung für reiche Erben beschließen. (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Die Einnahmen aus der Erbschaftsteuer gehen direkt in die Haushalte der Bundesländer. Ich frage mich, warum die Bundesländer, insbesondere auch Bayern, so großzügig auf zusätzliche Einnahmen verzichten. In jedem Jahr werden in Deutschland 200 Milliarden Euro vererbt. Ein lächerlicher Bruchteil fließt in die Kassen der Länder. Bundesregierung und Bundesländer verhalten sich so, wie wir es von Steueroasen kennen. Die Linke will aus der Steueroase Deutschland endlich eine Bildungs- und Forschungsoase machen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die SPD-Fraktion erhält nun der Kollege René Röspel das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) René Röspel (SPD): Guten Morgen, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man muss die knapp 360 Seiten des „Bundesberichts Forschung und Innovation 2016“ nicht unbedingt lesen – das ist eine recht anstrengende Aufgabe –, aber das ist ein guter Überblick über die Situation von Forschung und Wissenschaft in Deutschland. Ich finde es sehr lohnenswert, da einmal hineinzuschauen, weil man wirklich feststellen kann, dass sich Deutschland zu einem guten Wissenschaftsstandort entwickelt hat. 1998 – wir dürfen nicht nur die letzten zehn Jahre betrachten – haben wir unter Rot-Grün die Trendwende geschafft und seitdem endlich wieder Bildung und Forschung einen anderen Stellenwert verschafft. Das hat uns alle gemeinsam in den letzten Jahrzehnten nach vorne gebracht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir werden weiterhin nur dann ein guter Standort für Wissenschaft und Forschung sein, wenn es uns gelingt, junge Menschen zu begeistern, Forschung zu betreiben, wenn es uns gelingt, junge Menschen dafür zu interessieren, sich die Fragen zu stellen: Wie entsteht Leben? Wie kann man eine Krankheit bekämpfen und heilen? Wie produzieren wir Strom umweltverträglich? Ich habe den Eindruck, diese Begeisterung bei jungen Menschen erwecken wir nicht mit Reden wie der, die Sie, Frau Kollegin Lötzsch, gerade gehalten haben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Diese, glaube ich, schreckt junge Menschen eher ab, sich der Herausforderung zu stellen, sich ins Wissenschaftssystem zu begeben, das spannend ist und mit dem man viel erreichen kann. Gerade ein guter Forscher – natürlich auch eine Forscherin – zeichnet sich dadurch aus, dass er seine Fehler erkennt. Ein Spitzenforscher zeichnet sich dadurch aus, dass er aus seinen Fehlern lernt und selbstkritisch ist. Diese Kritik zu üben, gilt es immer wieder; das ist gar keine Frage. Sich Kritik von außen einzuholen, das ist die Aufgabe der Expertenkommission Forschung und Innovation, EFI, die jedes Jahr einen Bericht vorlegt, um uns darauf hinzuweisen, wo welche Schwierigkeiten in der technologischen Entwicklung und Zukunft Deutschlands liegen und wie sie zu beheben sind. Aus Zeitgründen kann ich leider nur ein paar Beispiele herausgreifen; Kollege Kaufmann hat in seiner guten Rede gerade schon einiges angesprochen. Ein Kapitel des Bundesberichts befasst sich mit dem Zustand der Robotik in Deutschland. Im Bereich der Industrierobotik, gerade in der Automobilindustrie, sind die deutschen Hersteller, ist die Bundesrepublik Deutschland gut aufgestellt. Aber wir verlieren hier den Anschluss an andere, bzw. es droht uns die Gefahr, von China, Südkorea und anderen überholt zu werden. Das heißt, wir müssen uns da besser aufstellen; wir müssen uns auch anderen Anwendungsbereichen von Robotik, zum Beispiel der Servicerobotik, öffnen. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir da weiterkommen können. Das heißt, wir müssen Fehler erkennen und Kritik annehmen und versuchen, umzubauen. Besonders gefreut hat mich, dass in dem Gutachten der Expertenkommission Forschung und Innovation das Thema „soziale Innovationen“ erstmals ausführlicher angesprochen wird. Es wird ausdrücklich gemahnt, dass wir uns mehr um soziale Innovationen kümmern, sie stärker in unser Blickfeld einbeziehen und dass wir nicht immer nur auf technologische Innovationen und Fortschritte schauen. Es gilt festzustellen, dass zwar zur Bewältigung vieler Probleme des täglichen Lebens oder unserer zukünftigen Gesellschaft Technologie gebraucht wird, dass es aber häufig so ist, dass wir auch soziale und gesellschaftliche Veränderungen brauchen, wenn wir die Probleme wirklich lösen wollen. Beides gehört zusammen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir als Sozialdemokratie sind froh, dass wir in den letzten Jahren über eine veränderte Hightech-Strategie auch in diesem Bereich weitergekommen sind. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nur millimeterweise!) Keine technische Innovation wird letztlich Erfolg haben, wenn es uns nicht gelingt, sie in die gesellschaftlichen Verhältnisse einzupassen und entsprechend zu fördern. Wir haben aus dem letzten Jahr auch die Ankündigung der Expertenkommission mitgenommen, sich einem Problem zu widmen, das auch in diesem Bericht beschrieben wird: der Tatsache, dass die Innovationsintensität der kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland zurückgegangen ist. Der Anteil des Umsatzes, den ein kleines oder mittleres Unternehmen für Innovationen aufwendet, ist im Vergleich zu anderen Ländern also geringer. Gleichzeitig ist festzustellen, dass der Anteil staatlicher Forschungsförderung für kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland deutlich niedriger als in anderen Ländern wie zum Beispiel Österreich oder Italien ist. Diese Länder geben ihren kleinen und mittleren Unternehmen mehr Geld für Forschung und Entwicklung. Trotzdem zählen die deutschen kleinen und mittleren Unternehmen zu den erfolgreichsten weltweit. Ich finde, diesen Punkt muss man in Gesprächen mit dieser Kommission einfach vertiefen: Sind die Befunde eigentlich richtig? Ist es nicht eher gut, dass unsere Unternehmen mit einem relativ geringen Aufwand an Innovationsausgaben große Umsätze erzielen? Liegt die Stärke deutscher Unternehmen vielleicht nicht nur in Innovationsfähigkeit, sondern auch darin, qualitativ hochwertige Produkte herzustellen? Ist es eigentlich schlecht, wenn unser Staat seinen KMUs relativ wenig Forschungsgeld geben muss, weil sie auch ohne zurechtkommen? Ist es nicht eher schlecht, wenn Österreich und Italien mehr Geld für ihre kleinen und mittleren Unternehmen ausgeben müssen, damit sie genauso innovativ wie deutsche sind? (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist ja fast schon eine neoliberale Rede, die Sie da halten!) Das sind eben Fragen, die wir noch beleuchten müssen. Aber ein wichtiges Innovationshemmnis für kleine und mittlere Unternehmen erwähnt der Bericht trotzdem, nämlich den zunehmenden Fachkräftemangel. Damit komme ich zu einer Kritik an diesem Bericht: In den letzten Jahren war der Bericht deutlich stärker im Bereich Bildung und Fachkräftemangel aufgestellt. Da liegen definitiv die zentralen Aufgaben unserer Gesellschaft, und da gibt es Defizite. Wenn man in die Kindergärten und in die Schulen geht, sieht man ganz viele Kinder und junge Menschen, die, wenn man es richtig macht, dafür zu begeistern sind, in die Wissenschaft oder in die Forschung zu gehen. Das ist eine große Aufgabe, gerade in den Großstädten, und das wird immer schwieriger. Wir brauchen Schulsozialarbeit, mehr Investitionen in Bildung, auch vom Bund; denn wir als SPD sind der Überzeugung: Die Zukunft unseres Landes wird nicht nur in den Forschungsinstitutionen gemacht, sondern auch in den Kindergärten und Schulen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Kai Gehring ist der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, wir haben ein starkes und ein kreatives Wissenschaftssystem. Wer aber bei Forschung, Entwicklung und Innovation wirklich vorn mitspielen will, der darf sich nicht auf den Lorbeeren der Vergangenheit ausruhen, liebe Bundesregierung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die EFI hat ein ganz vielschichtiges Bild der deutschen Innovationslandschaft gezeichnet. In dieser Landschaft gibt es durchaus Erfolgsprojekte, aber auch etliche Baustellen, die die Bundesregierung partout nicht angeht. Zu den Baustellen gehört die bessere Finanzierung von Forschung und Entwicklung. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Verdopplung des Etats in den letzten zehn Jahren! Lesen hilft!) Schon für 2010 hatte sich Deutschland verpflichtet, 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Forschung und Entwicklung zu investieren. Dieses Ziel wird seit Jahren systematisch verfehlt. Das muss sich endlich ändern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]) Wir Grüne, die EFI, Wissenschaft und Wirtschaftsverbände fordern längst 3,5 Prozent, um mehr Kreativität zu entfachen und um wieder Anschluss an die internationalen Innovationsspitzenreiter zu finden. Deutschland muss Land für mehr Ideen werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zu den Baustellen gehört auch die fehlende steuerliche Forschungsförderung für kleine und mittlere Unternehmen. In der EU haben nur Estland und Deutschland keine solche Förderung. Wissenschaftler fordern sie seit Jahren. Am letzten Freitag hat Sie auch der Bundesrat aufgefordert, mit diesem Instrument Forschungs- und Entwicklungsanreize für KMU zu setzen. Also legen Sie endlich los, liebe Koalition, oder folgen Sie unserem grünen Gesetzentwurf oder der Entschließung des Bundesrates! Das wäre auch ein großer Gewinn für die Fachkräfteentwicklung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen Forschung mehr Richtung geben. Wie, das beschreiben wir in unserem Antrag „Innovationspolitik neu ausrichten – Forschen für den Wandel befördern“. (René Röspel [SPD]: Der ist gar nicht so schlecht!) Wer unser Land sozial, ökologisch und digital modernisieren will, der muss anders wirtschaften und der muss auch anders forschen. Wissenschaft muss noch stärker dabei helfen, die großen Herausforderungen zu bewältigen und die großen Menschheitsfragen zu lösen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen Forschungsfreiheit einen besseren Rahmen garantieren. Dazu gehören eine auskömmliche Grundfinanzierung der Hochschulen statt Unterfinanzierung, faire statt prekäre Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft und auch die Beteiligung der Zivilgesellschaft; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. René Röspel [SPD]) denn es fehlt an Mut zu unkonventionellen Methoden und Ansätzen. Es fehlen Frauen, junge Forschende, und es gibt unterrepräsentierte Gruppen. All das hemmt Innovation, und das muss sich dringend ändern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mit mehr Vielfalt in der Wissenschaft können wir das ganze Spektrum an Erfahrungen, Ideen und Kreativität ausschöpfen. Daher ist Diversity bei Personal und bei Forschungsansätzen so wichtig. Mehr Beteiligung im Forschungsprozess und Bürgerwissenschaften sind dringender denn je notwendig – dafür sind die Reallabore in Baden-Württemberg ein großartiges Beispiel –; denn Forschung muss den Menschen stärker dienen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Forschungspolitik muss neu gedacht werden. Wir wollen, dass Nachhaltigkeit durchgängiges Prinzip der Forschungsförderung wird und nicht länger ein Ziel unter vielen ist. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Ich glaube, nur so können wir die großen gesellschaftlichen Herausforderungen, ob das die Klimakrise, die Energiefrage, die Ressourcenknappheit, Migration oder Demografie ist, wirklich meistern; nur so gelingen die Modernisierung und Transformation unserer Wirtschaftsweise. Und wir sagen: Die reine Technikfixierung Ihrer Hightechpolitik muss durch ein ganzheitliches Innovationsverständnis abgelöst werden. Denken Sie an Mikrokredite, Energiegenossenschaften, Carsharing, Transition Towns, Foodsharing und Repair Cafés! Solche sozialen und ökologischen Innovationen lösen ungeahnte positive Dynamiken aus. Darauf sollten Sie stärker setzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zaudern Sie daher nicht länger! Lassen Sie uns Deutschland zum Pionierland für nachhaltige Innovationen machen. Dazu braucht es höhere Investitionen, bessere Rahmenbedingungen, gute Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft, eine nachhaltige Forschungsförderung und damit endlich mehr Zukunftsorientierung in diesem Land. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Bundesregierung erhält nun die Bundesministerin Professor Wanka das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Gehring, Sie sagten gerade: Wir müssen den Anschluss schaffen. – Diese Aussage zeigt, dass Sie den Bericht nicht gelesen haben. Wenn Sie sich einmal anschauen, was das Weltwirtschaftsforum und alle Rankings sagen, dann stellen Sie fest: Wir müssen nicht den Anschluss schaffen, wir sind ganz weit vorn. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Herr Gehring muss ihn schaffen!) – Vielleicht. – Wir sind innovationsstark. Wir sind effektiv bei den Innovationen. Herr Röspel hat das auch noch einmal herausgehoben. Aber es gilt das, was Stefan Kaufmann gesagt hat: Sich darauf auszuruhen, geht nicht. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Allein schon bei Robotik!) Wir sind ganz vorn. Aber wir bleiben nicht ganz vorn, wenn wir uns nicht verändern, wenn wir nicht besser werden, wenn wir nicht noch anderes machen und wenn wir nicht noch mehr Geld ausgeben. Das ist die These. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die EFI nimmt sich immer auch Themenbereiche vor, die sie besonders intensiv untersucht. Ein Punkt, den kein Mensch hier erwähnt hat, ist der Bereich Hochschulpolitik. Die EFI hat sich einmal angeschaut, was wir in diesem Bereich machen. Das Urteil der EFI ist grandios, finde ich jedenfalls. Frau Lötzsch, als ich Ihre Rede hörte, dachte ich: Man hat Ihnen das falsche Redemanuskript gegeben. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Total!) Sie haben so geredet, als sei das Wissenschaftszeitvertragsgesetz nicht novelliert worden. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: So ist es!) Sie haben von Zwölfmonatsverträgen geredet. Das ist einfach schon erledigt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird die Evaluation zeigen! – Zurufe von der LINKEN) Ich will aber jetzt nicht die Fakten, die gut sind, nennen, sondern auf die Probleme oder – positiv formuliert – die Herausforderungen hinweisen; denn wir haben in dem Bericht auch Hinweise für unsere Politik bekommen. Ein Punkt, der uns beschäftigt, ist, dass unsere Forschungs- und Entwicklungsausgaben – zwei Drittel kommen aus dem privaten Bereich, ein Drittel aus dem öffentlichen Bereich – sehr stark auf einige wenige Branchen – Automobil, Chemie, Maschinenbau – konzentriert sind. Hier müssen wir die Förderung dringend verbreitern. Das heißt eben auch, mehr Geld für Innovationen in kleinen und mittleren Unternehmen bereitzustellen. Ihre differenzierte Betrachtung, Herr Röspel, mit dem internationalen Vergleich war völlig richtig. Trotzdem muss man sagen: Durch das EFI-Gutachten wissen wir, dass nicht erst seit dem letzten Jahr, sondern schon viel länger das viele Geld, das wir da bereitstellen – allein ZIM hat ja schon ein Volumen von einer halben Milliarde Euro –, nicht reicht bzw. nicht den gewünschten Effekt hat. Allein durch mehr Geld wird das Problem aber nicht gelöst. Vielmehr muss man überlegen, woran es liegt, dass dieses Geld nicht den gewünschten Effekt hat. Das haben wir über einen langen Zeitraum mit den Betroffenen, unter anderem mit Wissenschaftlern, diskutiert und daraus Konsequenzen gezogen mit unserem Zehn-Punkte-Programm „Vorfahrt für den Mittelstand“. Von der Presse wurde es im ersten Moment nicht so begeistert aufgenommen, aber von den Handwerkskammern, den Industrie- und Handelskammern und Managern haben wir viele Reaktionen bekommen. Übernächste Woche wird eine große Konferenz zu diesem Thema stattfinden, damit dieses Programm auch wirklich in der Praxis genutzt wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es wurde so schön gesagt: Junge Leute begeistern. – Partizipation ist für uns ein Thema, und zwar noch viel stärker als vor fünf oder sieben Jahren. Es gibt die Internetseite buergerschaffenwissen.de, wo wir versuchen, das zu aktivieren. Wir unterstützen die Maker-Bewegung und bereiten gerade eine Bekanntmachung zum Thema „Förderung im Bereich Citizen Science“ vor. Das ist ein Thema, das für uns in der Koalition ganz wichtig ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann hat sich unser Druck aber gelohnt! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt sind Sie erst mal baff!) Thema Digitalisierung. Wir brauchen in Deutschland, um die Chancen, die wir haben, zu nutzen, eine Bildungs- und Qualifizierungsinitiative im Bereich der Digitalisierung; da bin ich mir mit meiner Kollegin Nahles sehr einig. Ich denke, dass die Fördermechanismen, die wir diesbezüglich entwickelt haben, zum Beispiel die Programme zur Medizininformatik und Mikroelektronik – eben wurde der Superleistungsrechner in China angesprochen – geeignet sind. Unser Rahmenprogramm zur Mikroelektronik, das hier auch zur Diskussion steht, ist, glaube ich, ein richtiger Schritt. Liebe Haushälter, das muss natürlich auch entsprechend finanziell unterlegt werden. Da können Sie etwas machen. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Weil der Schäuble so gut haushalten kann!) – Hoffe ich. – Aber wir haben durch die Veränderung der EU-Beihilferegelung wirklich eine Chance, um den Standort Europa – nicht unbedingt nur Deutschland – in diesem internationalen Wettbewerb ganz weit nach vorn zu bringen. Dazu zählen natürlich die Dinge, die im Bereich Forschung und Entwicklung getan werden. Wenn ich mir das EFI-Gutachten und anderen Gutachten anschaue, dann ist es so, dass ich viele Empfehlungen teile, aber nicht alle Analysen gleichermaßen richtig finde. Zum Thema Robotik kann ich Ihnen sagen: Es ist immer noch so, dass China und die USA am meisten in Deutschland ordern und kaufen. Natürlich sind wir in der Produktionsrobotik die Stärkeren. Das hat aber auch etwas mit kulturellen Dingen zu tun. Servicerobotik für Ältere, wie zum Beispiel in Japan eingesetzt, werden wir nie so haben, wollen wir auch nicht. Trotzdem haben wir im Hightechforum Schlussfolgerungen gezogen. Wir freuen uns, lieber Stefan Kaufmann, dass das Future Work Lab im Herbst 2016 in Stuttgart eröffnet wird, gemeinsam, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, mit den Gewerkschaften. Es ist eine wichtige Schnittstelle, an der es vor allen Dingen um die sozialen Aspekte der Weiterentwicklung geht. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Steuerliche FuE-Förderung: Dafür bin ich sehr. Das ist ein Punkt, über den wir weiter diskutieren müssen, weil wir das – das muss man ehrlich sagen – in den Koalitionsverhandlungen nicht geschafft haben. Ich sehe hier viele Kollegen, die das genauso sehen; damals ist uns eben nicht alles gleichzeitig gelungen. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Eben!) – Eben nicht. Herr Kampeter, das muss man an der Stelle sagen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Auf den letzten Metern noch frech werden! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Legislatur ist ja noch nicht vorbei!) – Ja, eben. 3 Prozent vom BIP: Hier müssen wir uns natürlich noch steigern; das ist völlig klar. Wir müssen aber auch realistisch sein und schauen, was das für die Wirtschaft heißt. Anzunehmen, dass die Wirtschaft für Forschung und Entwicklung circa 25 Milliarden Euro so schnell zusätzlich zu den 60 Milliarden Euro, die sie bringt, auflegt, ist irreal. Deswegen ist es wichtig, dort realistische Forderungen zu stellen und natürlich von staatlicher Seite, was unser Drittel anbetrifft, vorwegzumarschieren. Ich glaube, da haben wir, wenn ich mir unsere mittelfristige Finanzplanung anschaue, sehr, sehr gute Möglichkeiten (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Eine letzte Bemerkung. Herr Gehring, Sie schauen doch immer auf unsere Seiten, sind da also gut informiert. Dann müssten Sie doch eigentlich gesehen haben, dass wir Ihren Antrag, den Antrag der Grünen, gar nicht schlecht finden, weil wir die darin formulierten Ziele teilen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das findet er jetzt wieder schlecht!) Im Gegensatz zu Ihnen verfolgen wir sie schon und brauchen keine Nachhilfe. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Ralph Lenkert für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sag doch mal was Nettes!) Ralph Lenkert (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kaufmann, wenn China erfolgreich Supercomputer entwickelt, basiert dies auf chinesischer Planwirtschaft. (Lachen bei der SPD) Die Bundesregierung plant folgerichtig auch – (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Immer noch!) leider nur für Spitzenforschung. Die Bundesregierung will bestmögliche Forschungsinfrastrukturen, zumindest behauptet sie das. Ich zitiere aus der Antwort der Bundesregierung auf meine Frage zur Bedeutung der Zentralbibliothek Medizin, ZB MED, in Köln: Die ZB MED hat in ihren Fachbereichen den weltweit größten Bestand an Medien. Und weiter: Im Ausland besitzt die „National Library of Medicine“ in den USA den weltweit größten Bestand zu Medizin und Gesundheitswesen, der allerdings im Bereich der Literatur aus Europa … Lücken aufweist. Das Gleiche gilt für die „National Agricultural Library“ in den USA für deren Fachgebiete. Ansonsten gibt es keine vergleichbaren Bestände an Bibliotheken weltweit. Wow. – Ich gratuliere der Bundesregierung, solch eine weltweit führende Einrichtung finanziert zu haben. Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, die ZB MED wird demnächst abgewickelt. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Unglaublich!) Begründung: Sie hat kein ausreichendes eigenes Forschungspotenzial. Im Februar beschloss das Deutsche Institut für medizinische Dokumentation und Information, seine medizinischen Datenbanken nicht mehr zu betreuen und diese – man höre – an die ZB MED zu übergeben. Dumm, die geplante Schließung war da nicht bekannt. Frau Wanka, wie soll es mit den Beständen weitergehen? Unsere Forscherinnen und Forscher, die kleinen und mittleren Pharmaunternehmen haben dann nur noch einen Weg: Sie müssen ihre Informationen teuer bei ausländischen Bibliotheken oder privaten Onlinediensten einkaufen Ich zitiere den Geschäftsführer des Bundesverbandes der Arzneimittelhersteller: Mit dem Aus der Literaturdatenbanken bricht auch für die Arzneimittel-Hersteller die zentrale Infrastruktur für wissenschaftliche Recherchen weg. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wirtschaftsfeindliche Bundesregierung!) Die Datenbanken des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information und die Bestände der ZB MED sind für die Spitzenforschung unverzichtbar, und deshalb will die Linke sie erhalten. (Beifall bei der LINKEN) Sie von der Union leben von bester Infrastruktur und schauen zu, wie Ihr Ministerium wichtige Infrastruktur vernachlässigt. Stärken Sie die Basis, wie es die Linke fordert: sichere Finanzierung der Forschungsinfrastruktur, auch der Bibliotheken und Datenbanken, bessere Grundfinanzierung von Hochschulen, zusätzliche unbefristete Stellen in Wissenschaft, Forschung und Lehre. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie schwärmen vom Forschungsstandort Deutschland. Aber nicht nur Datenströme und Wirtschaft vernetzen sich, sondern auch die einzelnen Bereiche der Wissenschaft verschmelzen miteinander. Nur wer in vielen Bereichen forscht, kann bestehen. 2015 wurde das Leibniz-Institut für Gemüse und Zierpflanzenbau in Erfurt, das IGZ, von einer Kommission aus internationalen Wissenschaftlern sehr positiv bewertet. Wieso die Vertreter der Bundesregierung im Senat der Leibniz-Gesellschaft der Schließung dieser einzigartigen deutschen Forschungseinrichtung zustimmten, ist nicht nachvollziehbar. Mit der Schließung würde die Bundesregierung die Grundlagenforschung in diesem Bereich vollständig aufgeben. Die rot-rot-grüne Landesregierung in Thüringen schöpft all ihre Möglichkeiten aus, dieses Institut zu erhalten. (Beifall bei der LINKEN) Aber ohne Bundesmittel kann Thüringen dies kaum stemmen. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Wieso nicht?) Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie können morgen bei der gemeinsamen Kultusministerkonferenz die Schließung des Pflanzenforschungsinstituts in Erfurt verhindern und damit diese Forschung erhalten. Und Sie können eine dauerhafte Lösung für die medizinischen Datenbanken und die ZB MED veranlassen. Das ist Ihr Job. Frau Ministerin, Herr Kollege Röspel, statt sich über die sinkenden Forschungsausgaben kleiner und mittlerer Unternehmen zu beschweren, kümmern Sie sich besser um die Infrastruktur, die diese Unternehmen benötigen. (Beifall bei der LINKEN) Schöne Worte wurden genug gewechselt: Handeln Sie! (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege Hubertus Heil. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hubertus Heil (Peine) (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Lenkert, Ihren Hinweis darauf, dass Innovationen aus Planwirtschaften automatisch entspringen würden, können wir nicht vollständig teilen, es sei denn, Sie glauben, dass die Entwicklung des räumlich größten Mikrochips der Welt durch die DDR wirklich ein Sprung war. Das war sie nicht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Auf der anderen Seite nehme ich Ihre Aussage aber sehr ernsthaft auf. Die Wahrheit ist auch nicht, dass reine und freie Marktwirtschaft Innovationen hervorbringt. Nur das Zusammenspiel von Wirtschaft, die frei ist, und Staat, der aktiv ist, bringt Innovationen hervor. Die amerikanisch-italienische Ökonomin Mariana Mazzucato hat dazu ein bemerkenswertes Buch geschrieben, es heißt Das Kapital des Staates. Darin weist sie nach, dass vieles von dem, was vermeintlich aus der Innovation der Wirtschaft kommt – Geräte, die auf den Markt gekommen sind; das iPhone zum Beispiel –, in Wahrheit durch ganz viel öffentliche Grundlagenforschung entstand. Das gilt in vielerlei Hinsicht, nicht nur für das GPS. Nein, es geht nicht um Markt oder Staat, es geht um die Frage, wie Staat und Markt gemeinsam dafür sorgen, dass wir wirtschaftlich, wissenschaftlich und technisch innovativ bleiben. Das ist auch die Aufgabe, die wir in Deutschland haben, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Aber es braucht mehr, meine Damen und Herren. Der amerikanische Ökonom Richard Florida hat 2003 in seinem Buch The Rise of the Creative Class drei Voraussetzungen identifiziert und beschrieben, wie Gesellschaften und Volkswirtschaften innovativ, kreativ und erfolgreich bleiben. Er hat gesagt: Wir bräuchten Technologie, Talente und Toleranz. Meine Damen und Herren, das sage ich auch an diesem besonderen Tag, mit Blick auf eine Abstimmung, die heute in Großbritannien stattfindet. Ich sage an dieser Stelle: Toleranz, Technologie und Talente sind die Dinge, die Europa ausmachen. Wenn Europa nicht weltoffen bleibt, wenn Europa nicht zusammenhält, wenn wir unsere offenen Gesellschaften nicht verteidigen, dann ist das nicht nur eine Herausforderung für die Demokratie, in der wir leben, dann werden wir auch nicht innovativ bleiben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb ist an dieser Stelle der Appell an unsere britischen Freunde, in Europa zu bleiben, gemeinsam an der Zukunft dieses Kontinents zu arbeiten, zum gemeinsamen Nutzen wichtig. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Nur wenn wir wissenschaftlich und technologisch auf der Höhe der Zeit sind, werden wir Wohlstand und sozialen Zusammenhalt sichern können. Nur wenn wir ausgezeichnete Bildung und Ausbildung so gestalten, dass sich alle Talente entfalten können, dass nicht Herkunft zählt, sondern Leistung, dass Menschen selbstbestimmt leben können, werden wir erfolgreich sein. Nur wenn wir freie, weltoffene und tolerante Gesellschaften bleiben, werden wir innovativ bleiben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, werfen wir einen Blick darauf, wo wir stehen. Die Ministerin hat es deutlich gemacht, die Vorredner der Koalition auch: Deutschland steht gut da. Wir nehmen im weltweiten Wettbewerbsfähigkeitsindex des World Economic Forum Platz vier ein. 60 Milliarden Euro investieren Wirtschaft und Staat gemeinsam Jahr für Jahr in Innovationen, in Forschung und Entwicklung. Das Ziel, 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Forschung und Entwicklung zu investieren, ist mit einem Wert von immerhin 2,88 Prozent – gemeinsam von Staat und Wirtschaft – fast erreicht. 600 000 Menschen in diesem Land arbeiten im Bereich Forschung und Entwicklung. Der Bund hat daran in den letzten Jahren einen großen Anteil gehabt. Wir haben seit 2005 die Mittel des Bundes um 75 Prozent gesteigert, sie liegen bei 15,8 Milliarden Euro. Kollege Röspel hat recht: Die Tatsache, dass wir hier so gut dastehen, ist das Ergebnis der Entwicklung nicht nur der letzten elf Jahre, sondern der Entwicklung seit 1998. Seitdem ist es gelungen, vieles auf den Weg zu bringen. Wir haben die Hightech-Strategie zu so etwas wie einer gesamtgesellschaftlichen Innovationsstrategie weiterentwickelt. Wir stellen uns den Herausforderungen der Digitalisierung. Mit den Wissenschaftspakten von Bund und Ländern, mit dem Pakt für Forschung und Innovation, mit dem Hochschulpakt, mit dem Qualitätspakt Lehre, mit der Exzellenzstrategie, mit dem Programm „Innovative Hochschule“, mit dem neuen Pakt für wissenschaftlichen Nachwuchs hat unser Land die besten Rahmenbedingungen in seiner Geschichte, was Wissenschaft und Fortschritt in diesem Land anbelangt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Darauf können wir gemeinsam stolz sein. Es ist richtig: Wir haben keinen Grund, uns selbstzufrieden zurückzulehnen. Denn die Berichte, die wir heute diskutieren, vor allen Dingen das EFI-Gutachten, beleuchten Stärken, aber eben auch Schwächen, die wir haben. Dazu sind vorhin einige Bereiche genannt worden. Ich will deutlich machen, dass wir beispielsweise im Bereich der Digitalisierung aufpassen müssen. Da gilt es, Frau Ministerin, tatsächlich, nicht den Anschluss zu verlieren. Da sind wir nämlich nicht ganz weit vorne; bei digitalen Dienstleistungen, vor allen Dingen bei IT und IT-Anwendungen, gehören wir nicht zur Spitzengruppe. Da müssen wir in vielerlei Hinsicht nachlegen, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) auch wenn wir den Weg in Richtung Industrie 4.0 gehen wollen, also der intelligenten und internetbasierten Vernetzung der modernen Produktion. Im Hinblick auf datengestützte Geschäftsmodelle und Dienstleistungen haben wir da einen großen Aufholbedarf. Das gilt auch für die Frage der Souveränität Deutschlands und Europas im Bereich der Mikroelektronik; die Ministerin hat es deutlich gesagt. Frau Wanka, wir sind gemeinsam der Auffassung, dass wir hier richtig Geld in die Hand nehmen müssen, um den Anschluss nicht zu verlieren. Auch da werbe ich bei Haushältern und Finanzministern aller Couleur, dafür zu sorgen, dass wir diesen Weg gemeinsam gehen können. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich will auch darauf hinweisen: Wenn wir im Bereich von IT und IT-Anwendungen innovativ bleiben wollen, muss der Staat mit besserem Beispiel vorangehen. Kollegin Esken wird sicherlich darauf eingehen, dass wir in diesem Bereich, beim E-Government – das müssen wir unserer Bundesregierung selbstkritisch ins Stammbuch schreiben –, eher einem „NATO“-Prinzip folgen: No Action, Talk Only. Wir quatschen ganz viel über E-Government. Wir haben versäulte Insellösungen. Wir haben bei der Flüchtlingsfrage erlebt, dass wir im Bereich der öffentlichen Verwaltung nicht wirklich gut sind. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beim Hochschulzulassungssystem auch!) Es steckt eine ganze Menge an Potenzial für Innovationen darin, uns in Bund und Ländern, in den verschiedenen Ministerien – ministerienübergreifend, nicht in Ressortegoismen – konsequenter der Modernisierung der IT und der digitalen Dienstleistungen des Staates zuzuwenden. (René Röspel [SPD]: Wobei mir das bei der NATO gefällt, nicht zu handeln!) – Es war jetzt nicht die Verteidigungspolitik gemeint. Es ging nur um die Abkürzung „NATO“: No Action, Talk Only. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Wäre aber mal ein guter Vorschlag!) Die Robotik ist angesprochen worden. Ich bin der Ministerin sehr dankbar, dass sie deutlich gemacht hat: Es geht nicht nur um Industrierobotik; es geht auch um Services im sozialen Bereich, im Bereich Pflege, im Bereich Haushalt, übrigens auch im Bereich Sicherheit, in der Landwirtschaft, in vielen anderen Bereichen. Auch da gibt es eine Menge an Potenzial, das wir noch nicht gehoben haben. Ich will noch einen Bereich hinzufügen. Mit Blick auf die Energiewende, meine Damen und Herren, haben wir uns auf den Weg gemacht, in der Automobilindustrie konsequenter als bisher in Richtung Elektromobilität zu gehen. Wir wissen aber: Wenn wir den Weg im Rahmen einer erfolgreichen Strategie schaffen wollen, dann brauchen wir nicht nur Infrastrukturen im Sinne von Ladeinfrastrukturen sowie Kaufanreize, sondern wir brauchen vor allen Dingen Batteriezellenforschung in diesem Land, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) um die Batteriezellen der Zukunft in Deutschland zu entwickeln und – das füge ich hinzu; es ist auch ein Appell an die Wirtschaft – die Batteriezellenproduktion der Zukunft in Deutschland zu haben. 30 Prozent der Wertschöpfung im Bereich der Elektromobilität entfallen auf die Batteriezellenproduktion. Deshalb ist der Aufruf an die großen Automobilunternehmen, an die chemische Industrie und auch an die Zulieferindustrie: Geht diesen Weg, investiert in Deutschland! Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Heil. Hubertus Heil (Peine) (SPD): Wir setzen bessere Rahmenbedingungen, damit dieser Weg gelingt. Toleranz, Talente und Technologie – das ist unser Verständnis von Innovation. So werden wir Deutschland voranbringen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort der Kollegin Katja Dörner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Zuhörerinnen, liebe Zuhörer auf der Tribüne! Was wäre unsere Welt ohne Johannes Gutenberg, ohne Marie Curie? Wo wären wir alle ohne Steve Jobs? (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Und Katja Dörner!) Penicillin, Urban Gardening, Solarzellen, Mikrokredite, aber auch die großartige Babyphone-App, (Heiterkeit des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD]) das alles wäre ohne Forschung und Wissenschaft überhaupt nicht möglich. (Beifall des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Nur Forschung und Innovation können Antworten auf die zentralen Herausforderungen unserer Zeit geben, bei uns, aber auch weltweit. Deshalb ist die Forschungs- und Wissenschaftspolitik auch so immens wichtig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gerade weil wir vor so drängenden Herausforderungen stehen – Klimakrise, demografischer Wandel, Digitalisierung, um nur einige wenige zu nennen –, reicht es nicht, sich auf die Schulter zu klopfen. Die Ministerin sagt: „Wir klopfen uns nicht auf die Schulter“, dann aber erleben wir zehn Minuten nichts anderes. Es ist natürlich richtig, zu fragen: Wo müssen wir besser werden? Was müssen wir dafür tun? Aber auf diese Fragen habe ich von der Bundesregierung keine Antworten gehört. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das EFI-Gutachten gibt klare Hinweise. Die Hightech-Strategie setzt immer noch zu sehr auf Technik und auf klassische naturwissenschaftliche Herangehensweisen. Unterbelichtet bleiben weiterhin die sozialen Innovationen, aber gerade die brauchen wir doch, um die gesellschaftlichen Herausforderungen bewältigen zu können. Wir Grüne sagen ganz klar: Wir wollen Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Relevanz viel stärker ins Zentrum der Forschungsförderung rücken. Wir wollen, dass technische und soziale Innovationen gleichberechtigt gefördert werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Natürlich sind die Anzahl der Patentanmeldungen und der Anstieg des Exports forschungsintensiver Waren beeindruckend. Der Wachstumsansatz der Hightech-Strategie funktioniert an vielen Punkten, aber das reicht eben nicht. Forschung und Wissenschaft sind mehr als bloßer Input für die Exportindustrie. Vielmehr geht es um nicht weniger als darum, einer wachsenden Weltbevölkerung ein gutes Leben auf diesem Planeten zu ermöglichen. Deshalb wollen wir Grüne eine andere Hightech-Strategie, eine Innovationsstrategie für Nachhaltigkeit oder kurz: mehr Forschung für den Wandel. 600 000 Menschen arbeiten in Wissenschaft und Forschung – das ist eine beeindruckende Zahl –, aber die Forscherinnen und Wissenschaftlerinnen bekommen in der Breite doch eher die Krümel vom Kuchen ab. Wo ist denn der Innovationsgeist der Bundesregierung, wenn es um die Gleichstellung von Frauen im Wissenschaftssystem geht? Nicht einmal 2 Seiten ist Ihnen die Chancengleichheit von Frauen in einem rund 350-seitigen Bericht wert. Wo bleibt das im Koalitionsvertrag angekündigte Kaskadenmodell, wo der Einsatz für eine verstärkte Einhaltung der Gleichstellungsstandards? Wer Weltmeister der Innovation sein möchte, der kann auf die Förderung von klugen Frauen auf keinen Fall verzichten. (René Röspel [SPD]: Das stimmt!) Aber hier bleibt die Bundesregierung weiterhin blank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wer Weltmeister der Innovation sein möchte, kann auf eines ganz bestimmt verzichten – da werde ich ganz konkret –, nämlich darauf, Milliarden in Forschung zur Kernfusion, zur Transmutation und zu neuen Atomreaktoren zu stecken. (René Röspel [SPD]: Wer steckt denn Milliarden rein?) ITER ist hier das beste Beispiel. Laut Schätzungen sind die Kosten von 4,6 auf 20 Milliarden Euro gestiegen. Wenn überhaupt – das ist mittlerweile klar –, dann wird diese Technologie 2050 zum Einsatz kommen. 2050! Wind- und Sonnenstrom werden dann bereits unschlagbar günstig sein. Deshalb ist klar: ITER ist ein Milliardengrab, und deshalb sollten wir diesen Unsinn auch beenden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist wirklich an der Zeit, die Energieforschung für die Zukunft aufzustellen und auf die Energiewende auszurichten. Beim Kampf gegen die Klimakrise brauchen wir mehr Innovationen, mehr Entdeckergeist. Wir haben dafür nicht mehr viel Zeit. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun erteile ich dem Kollegen Kampeter das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. René Röspel [SPD]) Steffen Kampeter (CDU/CSU): Danke. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dieser Debatte geht es im Kern darum, welchen Beitrag technologischer Fortschritt und Innovationen für eine positive wirtschaftliche Entwicklung und damit für den inneren sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft liefern können. Der Vorsitzende des Weltwirtschaftsforums, Klaus Schwab, nennt die technologischen Umbrüche, über die wir derzeit diskutieren, die vierte industrielle Revolution. Ich finde, er hat recht; denn noch nie hat ein technologischer Umbruch Wirtschaft und Gesellschaft so rasch, so global und so grundlegend geändert wie die digitale Transformation. Und wenn das eine industrielle Revolution ist, dann sollte die Bundesrepublik Deutschland, das Land, in dem der Anteil der Industrie an der Wertschöpfung doppelt so hoch ist wie im Durchschnitt der EU-Länder, bei der Förderung von Technologien und Innovationen an der Spitze stehen. Das macht die Bundesregierung, und dabei unterstützen wir als Fraktion sie. Wir sind einen großen Teil des Weges gemeinsam erfolgreich gegangen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Tatsache ist aber auch Folgendes: An die Spitze zu kommen, ist das eine, die Tabellenführung zu verteidigen, das andere. Deswegen wird es in den nächsten Jahren unsere Aufgabe sein, diese Entwicklung als Gesetzgeber und als Bundesregierung weiter positiv zu begleiten. Wir müssen uns vor der Hybris, vor der Selbstüberschätzung, schützen. Wir dürfen nicht die Hände in den Schoß legen, sondern müssen auf hohem Niveau weitermachen. Die Innovationsnation in Europa zu sein, das ist unser Anspruch an uns selbst. Das sollte auch unser Anspruch sein, um unsere Wettbewerbsposition verteidigen zu können. Ich möchte Sie, Frau Bundesministerin, ermutigen, diesen Weg weiterzugehen und dabei eine breit angelegte Strategie zu verfolgen. In meiner Heimatregion ist eines der wenigen industriebasierten Cluster von Ihnen gefördert worden. Das zeigt, dass sich die industrielle Basis Deutschlands durch Innovationen verbessert. Aber es geht nicht nur um Industrieproduktion; denn die digitale Transformation betrifft uns auch in vielen anderen Bereichen. Ich nenne den Bereich der beruflichen Bildung, in dem der Kollege Kretschmer für unsere Fraktion wichtige Initiativen übernommen hat. (Beifall der Abg. Michaela Noll [CDU/CSU]) Dabei geht es beispielsweise darum, wie die Ausbildungsordnungen zukünftig gestaltet werden und wie das Berufsschulwesen organisiert wird. Es ist zu fragen, ob wir unsere Nachwuchskräfte in Berufsschulen an Maschinen, die eher in ein Technikmuseum gehören, ausbilden wollen oder an modernisierten Schulen. (René Röspel [SPD]: Nicht in NRW!) All das sind Aufgaben, die uns als Gesetzgeber, die Kommunen, Länder und Bund erreichen. Das Motto „Lebenslanges Lernen“ ist eine Aufforderung, diese Veränderungen auch im Bereich der beruflichen Bildung kontinuierlich zu berücksichtigen. (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist einiges über E-Government gesagt worden. Ich glaube, dass dieses Hohe Haus, der Deutsche Bundestag, durch die digitale Transformation genauso herausgefordert ist. Das wird deutlich, wenn wir uns vor Augen führen, wie Abstimmungsprozesse vor 10 oder 15 Jahren stattgefunden haben. Durch die digitale Repräsentation ist ein neuer Wettbewerb entstanden, ein Meinungsbildungsprozess, der den Abgeordneten herausfordert. Ich persönlich glaube, dass das Repräsentationsprinzip und die digitale Kommunikation ein bisschen besser miteinander harmonieren müssen. Wir müssen sehen, welchen Beitrag sie für eine lebendige Demokratie liefert und wo Grenzen sind. Was ist beispielsweise mit bezahlten digitalen Kampagnen gegen Freihandelsabkommen, mit denen die repräsentative Demokratie in Teilen ausgehebelt werden soll? Das sind Fragen, über die wir uns Gedanken machen sollten. (Beifall bei der CDU/CSU – René Röspel [SPD]: Die Arbeitgeberverbände machen das geschickter!) Ja, diese digitale Transformation hat auch eine soziale Dimension. Denken wir an diejenigen, die am digitalen Wandel teilhaben, und diejenigen, die davon ausgeschlossen sind. Heiner Geißler, der ehemalige Generalsekretär der CDU, würde hier wahrscheinlich von einer neuen sozialen Frage sprechen, weil die Zukunftschancen der informationsreichen im Vergleich zu den Zukunftschancen der informationsarmen Gesellschaften auch eine soziale Herausforderung darstellen. Im Land der sozialen Marktwirtschaft gehört es, glaube ich, dazu, dass man für ein vernünftiges und sehr solides Maß an Gerechtigkeit und fairer Chancenverteilung sorgt. Das ist nicht nur dem inneren Zusammenhalt einer Gesellschaft zuträglich, sondern sorgt auch für einen langfristigen wirtschaftlichen Erfolg. Das sollten wir in dieser Debatte nicht vergessen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich glaube, dass es dabei auch nicht nur um Tonnenideologie geht, also darum, wie viel Geld wir ausgeben oder welche Quote wir bereits haben. Es geht hier nicht um Quantität, sondern um Qualität. (Beifall des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD]) Darauf müssen wir im Einzelfall immer achten. Ich bin nicht der Auffassung, dass eine Verkomplizierung des Steuerrechts zu mehr Innovation führt. Im Kern geht es vielmehr um einen Bewusstseinswandel in unserer Gesellschaft. Wir als Bundesrepublik Deutschland, die deutsche Nation, die Menschen mit unterschiedlicher kultureller Herkunft, die hier leben, haben in den vergangenen Jahrzehnten erfolgreich Innovation betrieben. Wir müssen das fortsetzen. Technologische Veränderung birgt Risiken, aber wir müssen vor allen Dingen die Chancen nutzen. Dieser Bewusstseinswandel in unserer Gesellschaft ist das Zentrale, was Bildungs- und Forschungspolitik in den nächsten Jahren unterstützen wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Lassen Sie mich mit einer persönlichen Bemerkung schließen. Ich werde nach 25 Jahren und sieben Monaten in den nächsten Tagen beim Präsidenten meinen Verzicht auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erklären. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Recht der Freiheit!) – Ja, ich nehme mein Recht der Freiheit zum Verzicht auf das Mandat nach 25 Jahren wahr. – Heinz Riesenhuber teilte mir gestern mit: Das ist ja fast schon ein Vierteljahrhundert Tätigkeit in diesem Parlament. (Heiterkeit bei der CDU/CSU – René Röspel [SPD]: Also halb so lange wie er!) Ich war gerne Abgeordneter des Deutschen Bundestags. Ich finde, das ist eine formidable und tolle Tätigkeit. Ich habe viel Kameradschaft erlebt, und mich hat auch viel kollegiale Kritik erreicht. In 25 Jahren kommt man auch ein bisschen herum. Ich kann sagen: Der Deutsche Bundestag muss sich im internationalen Vergleich nicht in irgendeiner Art und Weise verstecken. Wir sind ein nobles, wir sind ein effektives und an Arbeit reiches Parlament. Ich war gerne dabei. Ich bin auch ein bisschen stolz, an vielen Entscheidungen mitgewirkt zu haben. Ich möchte einfach Danke sagen, dass Sie mich so lange mitgenommen haben. Ich hoffe, dass uns Entscheidungen wie die zum ausgeglichenen Haushalt oder zu Menschenrechtsfragen, mit denen ich mich im letzten Jahr beschäftigt habe, weiter umtreiben. Der Deutsche Bundestag ist ein Ort, an dem mitzuarbeiten sich lohnt. Ich bin dankbar dafür. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Lieber Kollege Kampeter, ich nutze die Gelegenheit gerne, Ihnen auch im Namen aller Kolleginnen und Kollegen für die gute Zusammenarbeit in diesem Vierteljahrhundert zu danken und Ihnen alles Gute für das neue Amt zu wünschen. Es ist nicht ganz so formidabel wie das Mandat, das Sie jetzt freiwillig aufgeben, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) dafür aber besser bezahlt. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Im Übrigen dürfen wir sicher sein, dass wir Ihnen nicht aus dem Auge geraten. Wir sagen Ihnen das allerdings auch umgekehrt zu. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Möglicherweise empfiehlt sich die Unterscheidung zwischen Quantitäten und Qualitäten in der neuen Aufgabe in ähnlicher Weise, wie Sie uns das hier für unsere weitere Arbeit mit auf den Weg gegeben haben. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Saskia Esken ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Saskia Esken (SPD): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Vorredner haben ja jetzt schon zahlreiche Aspekte des Gutachtens angesprochen. Hubertus Heil hat ganz richtig getippt: Ich will mich auf die zehn Seiten des Berichts konzentrieren, die sich mit dem Sachstand beim E-Government in Deutschland befassen. Das Ergebnis, zu dem das EFI-Gutachten kommt, lautet: Es gibt viel Luft nach oben. Das scheint kein Zufallsbefund zu sein. Auch der Normenkontrollrat kommt in seiner vom Fraunhofer-Institut FOKUS erstellten umfangreichen Studie zu der Wahrnehmung: So etwas wie E-Government gibt es in Deutschland nicht, es existiert hier nicht, zumindest nicht systematisch, nicht durchgehend und deshalb leider nicht wirksam. Auch das EFI-Gutachten schaut genau hin und vergleicht den Digitalisierungsgrad einiger zentraler Verwaltungsverfahren wie der Steuererklärung, der An- und Abmeldung eines Autos oder der Baugenehmigung in Deutschland mit dem in Estland, Finnland, Südkorea und den USA. Gibt es überhaupt einen digitalen Zugang? Ist er bedienerfreundlich? Wird er auch genutzt? Ist nur der Zugang digital, oder liegt dahinter ein durchgängig digitalisierter Verwaltungsprozess ohne Medienbrüche? Anhand dieser Kriterien kommt das Gutachten zu dem Ergebnis: Deutschland hinkt bei vielen Verfahren den genannten Ländern hinterher. Zudem fehlt, so die Expertenkommission, ein zentrales Portal, in dem alle online verfügbaren Verwaltungsvorgänge einheitlich und übersichtlich angeboten werden. Ein solcher sogenannter One-Stop-Shop verlangt dem Nutzer nicht ab, dass er weiß oder zeitaufwendig recherchiert, welches Ressort oder welche Verwaltungsebene für sein Anliegen zuständig ist und ob es dazu überhaupt einen digitalen Zugang gibt. Ich habe ein Anliegen, und ich finde direkt Zugang zum Verfahren – so muss das sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch im Bereich der offenen Verfügbarkeit von Verwaltungsdaten, der Open-Government-Data, kommt das EFI-Gutachten zu keinem guten Ergebnis für Deutschland im Ländervergleich. Immer noch werden in Deutschland Daten der Verwaltung ganz überwiegend nur auf Antrag und, ehrlich gesagt, eher widerwillig bereitgestellt. Dabei sind sich, wenn es nicht um die eigenen Daten geht, doch alle über die spannenden Potenziale mit wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Mehrwert einig. Die Bundesregierung sollte diese Berichte ernst nehmen. Wir haben im Koalitionsvertrag, in der Digitalen Agenda der Bundesregierung und im Regierungsprogramm „Digitale Verwaltung 2020“ wichtige Vorhaben zur Verbesserung der E-Government-Angebote in Deutschland vereinbart. Leider ist davon bisher nur weniges auf den Weg gebracht, und – auch das mahnt das EFI-Gutachten an – es fehlt an der Verbindlichkeit. Die föderale Struktur unseres Landes darf nicht weiterhin als Entschuldigung dafür gelten, dass es hierbei nicht vorangeht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Zudem müssen wir jetzt – das haben wir im Koalitionsvertrag auch vereinbart – ein umfassendes Open-Data-Gesetz auf den Weg bringen, das zumindest die Bundesbehörden dazu verpflichtet, ihre Daten proaktiv zu veröffentlichen, also von sich aus und ohne Antrag. Die Daten sollen frei lizenziert sowie für Mensch und Maschine lesbar sein. Das soll für alle Daten gelten, wenn nicht gewichtige datenschutz- oder sicherheitsrelevante Gründe dagegensprechen. Wir würden uns sehr freuen, einen Open-Data-Gesetzentwurf des Innenministeriums noch in dieser Legislaturperiode beraten und beschließen zu können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich bin der Überzeugung, meine Damen und Herren: Die Offenheit, aber auch die Wirksamkeit des Handelns von Regierung und Verwaltung sind wichtige Grundlagen dafür, dass Bürgerinnen und Bürger diesem staatlichen Handeln vertrauen, dass sie es als notwendig und richtig akzeptieren und womöglich sogar als hilfreich empfinden. Einiges davon hat in jüngerer Zeit gelitten. Der digitale Wandel kann zugleich Motor und Unterstützung für eine moderne, effiziente und transparente Verwaltung und Regierung sein. Also: Machen wir unsere Hausaufgaben aus der Digitalen Agenda. Das EFI-Gutachten ist, wie viele andere, ein guter Hinweisgeber. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Wolfgang Stefinger das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Wolfgang Stefinger (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir neigen dazu, unser Licht unter den Scheffel zu stellen und doch eher das Negative zu betonen. (Zurufe von der SPD: Oh!) Dabei gibt es doch so viele positive Nachrichten in unserem Land. Ich sehe Steffen Kampeter, und das bringt mich dazu: Wir haben einen ausgeglichenen Haushalt im Bund und über 43 Millionen sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was? Wo haben Sie denn die Zahl her?) Die Wirtschaft läuft gut. Wie das heute diskutierte Gutachten zeigt, ist Deutschland in der Spitzengruppe bei Forschung und Innovation. Ich kann nur sagen: Herzlichen Glückwunsch Deutschland! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Laut dem Index des Weltwirtschaftsforums liegt Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit weltweit an vierter Stelle. Vor uns liegen nur die Schweiz, Singapur und die USA. Diese Stärke verdanken wir den vielen fleißigen Menschen in unserem Land und der Innovationskraft von Wissenschaftlern und Unternehmen. Wir gehören zur Weltspitze; wir wissen aber auch: Der Erfolg kommt nicht von allein, und die Konkurrenz schläft nicht. Wenn wir weiterhin zur Weltspitze gehören wollen, müssen wir am Ball bleiben – nicht nur beim Fußball. Wir müssen neue Trends und Herausforderungen frühzeitig aufgreifen und schauen, wo wir nachsteuern müssen. Wir wissen: Die Grundlage für unseren Erfolg ist Bildung und Forschung. Daher investieren wir massiv in diesen Bereich. Staat und Wirtschaft geben jährlich rund 84 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung aus. Damit erreichen wir rund 2,9 Prozent des BIP und damit nahezu das 3-Prozent-Ziel der Strategie „Europa 2020“. Der Bund gibt knapp 16 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung aus. Zwei Drittel der Gesamtausgaben in diesem Bereich kommen von der Wirtschaft – auch dafür vielen Dank. Das Fundament des Forschungssystems sind die Hochschulen. Da möchte ich schon darauf hinweisen, dass Bayern, mein Heimatbundesland, die freien BAföG-Mittel in die Hochschulen und damit in die Zukunftsfähigkeit investiert. (Beifall bei der CDU/CSU – René Röspel [SPD]: Und immer noch weniger Studierende ausbildet im Vergleich zu Nordrhein-Westfalen! Was ist denn da los in Bayern?) Herr Lenkert, Sie haben ZB MED angesprochen. Sie wissen, dass das eine Bund-Länder-Entscheidung ist. Auch Ihr Ministerpräsident ist daran beteiligt. Die Gutachter, meine sehr geehrten Damen und Herren, haben in dem vorgelegten Bericht auch einige Empfehlungen ausgesprochen, unter anderem, die Forschung und Entwicklung in kleinen und mittelständischen Unternehmen zu stärken. Das wollen wir auch weiterhin tun. Hier gibt es eine Vielzahl von Programmen. Bis 2017 wird das Fördervolumen in diesem Bereich alleine vom Forschungsministerium auf 320 Millionen Euro aufgestockt. Es gibt Unterstützung für Unternehmen in den Bereichen Digitalisierung und Industrie 4.0, um nur einige zu nennen. Im Rahmen des Programms „KMU-innovativ“ wurde bereits eine Fördersumme von insgesamt 920 Millionen Euro genehmigt. Auch die Robotik ist angesprochen worden. Dieses Thema haben wir bereits aufgegriffen. Denn wir wissen natürlich: Dieser Trend ist nicht aufzuhalten und für Deutschland als Fabrikausrüster der Welt von entscheidender Bedeutung. Hier müssen wir mithalten. Im April dieses Jahres wurde die Förderlinie „Autonome Roboter für Assistenzfunktionen“ gestartet, und auch die Förderung zur Mensch-Technik-Interaktion läuft bereits. Auch Fraunhofer, gefördert mit viel Geld vom Bund, forscht zur Assistenzrobotik. Als unser Schaufenster zur Welt dient in diesen Tagen die Messe München mit der Automatica, wo auch dieses Thema eine wichtige Rolle spielt. Gäste aus aller Welt kommen dorthin, kommen nach Deutschland, um die Neuheiten kennenzulernen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch die Mikroelektronik ist natürlich wichtig. In fast allen elektronischen Geräten befindet sich Mikroelektronik, ob im Smartphone, Tablet, Auto oder Industrieroboter. Deswegen müssen wir auch diese Technologie weiter stärken. Sie ist unverzichtbar für die Umsetzung der Digitalisierung in der Wirtschaft, unverzichtbar für Industrie 4.0. So darf ich schon sagen – das ist vorhin auch schon vom Kollegen Kaufmann angesprochen worden –: Ich beobachte die Pläne einiger Unternehmen, ihre Forschungs- und Entwicklungsabteilungen ins Ausland zu verlagern, mit Sorge. Die dort entwickelte Technik, zum Beispiel bei Nokia am Standort München, ist gerade für die von uns geförderten Bereiche von extrem hoher Bedeutung. Es ist nicht nur eine Frage der Arbeitsplätze, sondern eben auch eine Frage des Standorts Deutschland, eine Frage der Zukunftstechnologien, die meiner Meinung nach bei uns im Land oder zumindest in Europa bleiben sollten. (Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD]) Neben all den technischen Förderungen vergessen wir aber auch Mensch und Umwelt nicht. Mit Programmen zur Arbeitsforschung oder zu Erde und Umwelt unterstreichen wir, dass diese unionsgeführte Bundesregierung eine zukunftsorientierte Innovationspolitik betreibt und damit Deutschland auf Erfolgskurs hält. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Heinz Riesenhuber. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Mein Lieblingsredner! Meine Erwartungen sind hoch!) Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kollegen! Wir erfreuen uns alle daran, dass Deutschland zurzeit in einem guten Zustand ist. (René Röspel [SPD]: Ja!) Einige sagen: Seit 2005 ist dies durch tatkräftige Leistungen der Bundesregierung erreicht worden. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Falsch! Seit 1998!) – Hubertus Heil korrigiert: seit 1998. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Und ich habe recht!) Es ist unwahrscheinlich, dass man vergessen hat: Es gab auch vorher schon Politik. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – René Röspel [SPD]: Ja, ja! Aber der Rüttgers war nicht so gut! Schlechtes Thema!) Ich nenne nur Gerhard Stoltenberg – Minister ab 1965 –, Matthöfer oder Ehmke. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Oder Riesenhuber!) Auch in den 80er-Jahren hatten wir prächtige Forschungsminister. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: An wen dachten Sie da konkret, Herr Kollege?) Das alles sollte hier in der großen Kontinuität unserer Arbeit gewürdigt werden. (Beifall des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD]) Denn dass wir diese Stärke erreicht haben, liegt daran, dass wir in Kontinuität in jeder Zeit die Akzente gesetzt haben, die notwendig waren, (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Bis auf Rüttgers!) und somit das Ganze zusammengehalten und Deutschland vorangebracht haben. (Beifall bei der CDU/CSU – René Röspel [SPD]: Nach Riesenhuber ging es bergab!) – Dieser Zwischenruf – er findet sich im Protokoll – bleibt unkommentiert. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD) Meine lieben Freunde, gerade wenn es uns gut geht, wenn wir stark sind, ist es gut, dass wir eine intelligente Begleitung, in diesem Fall durch die EFI, haben. Der Expertenrat sucht sich immer Kernpunkte heraus und sagt uns, an welchen Stellen wir noch besser werden könnten. Frau Wanka sagt völlig zu Recht: Wenn wir glauben, dass wir gut sind, dann soll uns das nicht hindern, besser zu werden. Wo stehen wir? Über die kleinen und mittleren Unternehmen hat Kai Gehring gesprochen, und wir haben kürzlich in der Debatte zur steuerlichen Forschungsförderung auch darüber geredet. Das ist ein Schwerpunkt, und das ist richtig. Hier müssen wir noch einiges tun. So ist zum Beispiel die Digitalisierung bei den kleinen und mittleren Unternehmen ein bisschen schwierig. Sie fremdeln noch. Frau Esken hat über E-Government gesprochen. Schon 2010 hatten wir hier ein entsprechendes nationales Konzept, (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja!) und seit 2013 haben wir ein Gesetz. Aber wir haben auch unser föderales System. Wir müssen das so zusammenführen, dass jetzt eine nutzerfreundliche durchgängige Digitalisierung als Dienstleistung angeboten wird. Das hat natürlich auch seine Auswirkungen auf den Rest der Welt – einschließlich des forschenden Mittelstandes. (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: So ist es! In der Tat!) Zur Digitalisierung – dies ist der zweite große Schwerpunkt von EFI – gehören die jungen Unternehmen. Hier setzen wir an vielen Stellen an. Als Beispiele nenne ich die Deutsche Börse mit den Fintechs in Frankfurt und die prächtige Berliner Start-up-Szene mit einer munteren Community, die sich vor allem daran erfreut, dass man in Berlin fröhlich leben kann, aber die darüber hinaus bereit ist, mehr als – man glaubt es nicht – 38 Stunden in der Woche zu arbeiten. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Unglaublich! – Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Hört! Hört!) Daraus entsteht eine dynamische, fröhliche Gemeinschaft. Aber das wächst zu langsam. Wir haben hier mit Wagniskapital durchaus noch die Möglichkeit, zusätzliche Ansätze zu schaffen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich wünsche der Bundesregierung allen Erfolg bei der Arbeit, jetzt mit Unterstützung der Wissenschaft ein beihilferechtlich unbedenkliches Konzept für den Erhalt von Verlustvorträgen bei Wachstumsfinanzierungen junger Technologieunternehmen zu entwickeln. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wo ist der Herr Schäuble denn heute? – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Elf Jahre CDU/CSU-Regierung, und dann wird das gefordert!) Bei der Digitalisierung geht es um den Bereich der Mikroelektronik – hier sind wir stark – und um Industrie 4.0. Anwendungsbeispiele sind die Automatisierung, die Diagnosetechnik, die Automobilindustrie und der Anlagenbau. Es ist eine anspruchsvolle Aufgabe, das hier so zu bündeln, wie es das Mikroelektronik-Programm der Bundesregierung sagt, wonach die Kompetenzen auf europäischer Ebene zur kritischen Masse zu führen sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wir müssen jetzt ein beihilferechtlich sauberes Konzept bekommen. Die EU eröffnet eine Möglichkeit, Projekte zur Förderung der Mikroelektronik von gemeinsamem europäischen Interesse von Beihilfeverfahren freizustellen. In diesen Verfahren haben wir uns auf dem Weg, den die praktische Vernunft weist, manchmal in kompliziertester Weise selber ein Bein gestellt – eine faszinierende Erfahrung. Die Freistellung ist eine Voraussetzung dafür, dass wir das große Mikroelektronik-Projekt hinkriegen. Die Industrie hat es mit der Wissenschaft ausgearbeitet, und wir sind gespannt, wie der Wirtschaftsminister das jetzt mit der leidenschaftlichen Unterstützung des Finanzministers in den Haushalt einpassen wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Bei der Digitalisierung geht es auch um den Weltraum. Das soll jetzt angegangen werden. Der Wirtschaftsminister hat eine Studie zu „NewSpace“ vorgelegt. Die Unternehmen müssen sich jetzt auf diese neue Welt – Stichwort weltraumgestützte Dienstleistungen – einlassen. Die riesigen Datenströme der Satelliten müssen vernünftigen Nutzungen zugeführt werden. Dafür müssen die notwendigen Endgeräte, die Infrastrukturen vorhanden sein. Die Industrie darf dabei nicht alleine auf das schauen, was der Staat hier beschließt und als geniale Ziele vorgibt, sondern auf den Markt, und sie muss das Potential so nutzen, wie das in den USA schon geschieht. In den USA sind im letzten Jahr knapp 2 Milliarden Dollar an Wagniskapital in Space-Start-ups bzw. NewSpace investiert worden. Das müssen wir auch hinkriegen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU): Diese Leidenschaft bauen wir auf. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege, würden Sie freundlicherweise zwischendurch einmal auf die Uhr blicken? Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU): Ich habe das schon einmal gesagt: Das irritiert eher. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Dann mache ich Sie hilfsweise darauf aufmerksam, dass in wenigen Minuten der Parlamentarische Abend, das Sommerfest, beginnt, zu dem Sie rechtzeitig erscheinen sollten. (Heiterkeit und Beifall im ganzen Hause) Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU): Herr Präsident, wenn Sie mir bis dahin Zeit geben, dann werde ich sie gerne nutzen. (Heiterkeit) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir leben in einer digitalen Welt, und sie wächst unter unseren Händen. Das Entscheidende ist, dass wir sie so gestalten, dass die Leute Freude daran haben, und dass sie nutzerfreundlich wird und human bleibt. Die digitale Welt ist zwar prima, aber wir leben analog. Dass wir in unserem analogen Leben Freude an der digitalen Welt haben, wird entscheidend dafür sein, dass sie gelingt. Daran wollen wir in diesem überaus kompetenten Parlament arbeiten (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Und heute Abend feiern!) und die Zukunft freudig angehen. Und heute Abend wollen wir feiern. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich mache nur der guten Ordnung halber darauf aufmerksam, dass die namentlichen Abstimmungen, die für den späteren Nachmittag oder früheren Abend angekündigt sind, nicht drüben, sondern hier stattfinden. (Heiterkeit – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/7620, 18/8550, 18/7729 und 18/8711 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Dann kommen wir jetzt zu den Tagesordnungspunkten 6 a bis 6 e sowie dem Zusatzpunkt 1: 6.   a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bärbel Höhn, Annalena Baerbock, Peter Meiwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Klimaschutzplan 2050 – Echter Klimaschutz beginnt heute Drucksache 18/8876 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zur Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens – Klimaschutz wirksam verankern und Klimaziele einhalten Drucksache 18/8080 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Bärbel Höhn, Annalena Baerbock, Sylvia Kotting-Uhl, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Festlegung nationaler Klimaschutzziele und zur Förderung des Klimaschutzes (Klimaschutzgesetz – KlimaSchG) Drucksache 18/1612 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) Drucksache 18/8770 d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Stephan Kühn (Dresden), Matthias Gastel, Tabea Rößner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verkehrspolitik auf Klimaschutzziele ausrichten Drucksache 18/7887 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Dr. Julia Verlinden, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Weichen für die ökologische Modernisierung der Wirtschaft stellen – Chancen des Klimaschutzes nutzen Drucksache 18/8877 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ZP 1 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Annalena Baerbock, Özcan Mutlu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für ein Rahmenprogramm für Klima- und Klimafolgenforschung Drucksachen 18/7048, 18/8873 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Aussprache dazu 77 Minuten dauern. – Auch das ist offenkundig wieder einvernehmlich so. Also können wir so verfahren. Erster Redner ist der Kollege Anton Hofreiter für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Persönlich empfinde ich es als bitter, dass wir die Bundesregierung mit dieser Debatte schon wieder an die Notwendigkeit des Klimaschutzes erinnern müssen. Wir dachten eigentlich, dass wir weiter wären. Schauen wir uns an, was in der Welt los ist: Extremwetterereignisse in ganz Deutschland, etwa in Niederbayern oder Baden-Württemberg, Hitzewellen in Indien und in anderen Regionen der Welt. Wenn man sich anschaut, welche Auswirkungen die Klimakrise bereits jetzt zeitigt, müssen wir klar sagen: Die Bundesregierung sollte sich endlich an die Arbeit machen und das Klimaschutzabkommen von Paris umsetzen. Die Bundesregierung ist noch immer nicht in der Realität angekommen. Die Bundesregierung ist jetzt dran. Jetzt geht es darum, endlich zu handeln. Handeln Sie endlich im Sinne des Abkommens von Paris! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Bei dem, was hier passiert, hat man den Eindruck, dass der Klimaschutz mal wieder im tristen Ressortdenken dieser Bundesregierung versumpft. Sie führen mal wieder die längst eingeübte und inzwischen ziemlich langweilige Arbeitsteilung vor: Die Frau Bundeskanzlerin glänzt auf internationalen Konferenzen, findet dort warme, zum Teil schöne und zum Teil auch richtige Worte. Das Umweltministerium schreibt schöne Pläne auf. Und das Wirtschaftsministerium, das Verkehrsministerium und das Landwirtschaftsministerium, die diese Pläne in konkrete Politik umsetzen müssten, üben sich darin, diese zu hintertreiben. Schauen wir uns die einzelnen Ministerien an. Herr Gabriel spielt sich als der Schutzpatron der Kohle, insbesondere der Braunkohle, auf, der schmutzigsten Art, Energie zu erzeugen, und bremst gleichzeitig die erneuerbaren Energien aus. Damit schadet er nicht nur dem Klimaschutz. Damit schadet er auch einem der innovativsten und modernsten Teile unserer Wirtschaft. Das kann so nicht weitergehen. Wir erwarten von der SPD, dass sie da endlich Änderungen durchsetzt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Schauen wir uns die Verkehrspolitik an. Dabei habe ich das Bild vor Augen, wie Herr Dobrindt am Steuer eines Diesel-SUV im Stau irgendeiner seiner Umgehungsstraßen ganz gemütlich vor sich hin döst und davon träumt, wie er der Autoindustrie weiterhin helfen kann, den Dieselskandal zu vertuschen. Auch das kann so nicht weitergehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schauen wir uns den Mobilitätsbereich an. Im Mobilitätsbereich passiert gerade derart viel: Digitalisierung, Elektrifizierung. Dort entstehen neue Konzerne wie Tesla. Wer hätte vor wenigen Jahren geahnt, dass ein neuer Konzern innerhalb von fünf Tagen die Zahl von 300 000 Bestellungen für ein Elektroauto, bei dem man sogar noch 1 000 Euro anzahlen muss, erreichen kann. Und was macht unser Verkehrsminister? Unser Verkehrsminister erzählt ein bisschen was; unser Verkehrsminister trauert immer noch seiner Ausländermaut hinterher, und unser Verkehrsminister baut ein paar Umgehungsstraßen. Nein, was wir brauchen, ist eine Gesamtstrategie für den Ausbau des ÖPNV. Wir brauchen eine Gesamtstrategie, um endlich die Bahn flottzumachen, und eine Gesamtstrategie, um die Autoindustrie auf Vordermann zu bringen. Denn wenn die Autoindustrie bei uns hopsgeht, dann haben wir nicht nur ein Problem mit dem Klimaschutz, sondern auch mit den Arbeitsplätzen. Sorgen Sie deswegen endlich dafür, dass dieser Industriezweig versteht, dass nur die Fahrzeuge eine Zukunft haben, die die Gesundheit und das Klima nicht gefährden! Sorgen Sie endlich dafür! Trauen Sie sich endlich da ran! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der dritte Bereich, der in diesem Zusammenhang wichtig ist, ist die Landwirtschaft. Da haben wir einen noch krasseren Fall: Wir haben einen Minister, der sich erst mal schon gar nicht um die Probleme der Bauern kümmert, was ja angesichts der dramatischen Lage der Landwirtschaft und des Milchpreises, der im Keller ist, seine zentrale Aufgabe wäre. Aber er nimmt nicht einmal diese Aufgabe wahr, und man stellt fest: Er erkennt noch nicht einmal, dass der Klimaschutz in seinen Zuständigkeitsbereich fällt, dass Klimaschutz und Landwirtschaft etwas miteinander zu tun haben und dass Landnutzungsänderungen und die Zerstörung von Regenwäldern auch etwas mit der Art und Weise zu tun haben, wie wir hier Fleisch produzieren. Er verleugnet das Problem noch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir hören immer wieder Argumente wie „Der Klimaschutz gefährdet Arbeitsplätze“. Ich glaube, da ist etwas ganz Grundlegendes nicht verstanden worden. Funktionierender Klimaschutz ist die Voraussetzung dafür, dass wir unsere Lebensgrundlagen nicht zerstören. Das heißt, Klimaschutz ist eine Grundlage für erfolgreiches Wirtschaften, Klimaschutz ist eine Grundlage für erfolgreiche Landwirtschaftspolitik, Klimaschutz ist auch eine Grundlage für erfolgreiche Sozialpolitik. Denn die Klimakrise trifft die Ärmsten am härtesten. Insbesondere im globalen Süden sind es die Ärmsten dieser Welt, die als Erste von der Klimakrise betroffen sind und dadurch die größten Schwierigkeiten bekommen. Damit ist die Klimakrise auch ein Turbo für alle Krisen, die wir weltweit haben, weil nämlich schwache Staaten, Staaten, die ohnehin bereits instabil sind, umso härter getroffen werden, wenn es Überschwemmungen, Trockenkatastrophen und daraus folgende Nahrungskrisen gibt. Das heißt, nicht erfolgender Klimaschutz kostet uns erstens sehr, sehr viel Geld und ist zweitens ein Turbo für alle Krisen auf dieser Welt und eine echte Fluchtursache. Wenn Sie also wirklich Fluchtursachen bekämpfen wollen, was die Kanzlerin oft angekündigt hat, dann machen Sie endlich erfolgreichen Klimaschutz! Zeigen Sie endlich der Welt, wie es geht! In Deutschland hätten wir die besten Voraussetzungen dafür. In Deutschland haben wir immer noch eine Industrie, die moderne Lösungen für erneuerbare Energien zeigen und Lösungen für moderne Mobilität bieten kann. Wir haben auch Bereiche in der Landwirtschaft, die zeigen, was moderne und nachhaltige Landwirtschaft ist. Sorgen Sie endlich dafür, dass diese Industrien florieren, und hören Sie auf, diesen modernen Industrien Knüppel zwischen die Beine zu werfen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mit den Anträgen, die wir vorgelegt haben, zeigen wir auf, was notwendig ist: Wir brauchen einen schrittweisen Ausstieg aus der Kohle. Es heißt immer, man kann nicht gleichzeitig aus der Atomkraft und der Kohle aussteigen. Es geht darum, dass wir schrittweise, planbar und im Konsens aus der Kohle aussteigen, damit Wirtschaft, Gewerkschaften und Arbeitnehmer wissen, wann welches Kohlekraftwerk vom Netz geht, und damit wir wissen: „Raus aus der Kohle“ ist der Plan. Das ist im Konsens planbar. Wir brauchen einen Plan für die Regionen, die von einem Strukturwandel betroffen sind. Packen Sie das endlich an, statt weiterhin Geld in die Braunkohle zu stecken! Das ist verlorenes Geld. Stecken Sie lieber Geld in das, was wirklich notwendig ist! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Des Weiteren brauchen wir eine moderne Mobilitätspolitik und eine moderne Landwirtschaftspolitik. Diesen Umbau unserer Wirtschaft sind wir unseren Arbeitsplätzen schuldig, aber wir sind es auch, weil es um den Schutz unserer Lebensgrundlagen geht, vor allem unseren Kindern und Kindeskindern schuldig. Packen Sie es endlich an! Fangen Sie endlich an, zu handeln, statt nur Pläne zu schreiben! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die CDU/CSU-Fraktion erhält der Kollege Andreas Jung das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Frank Schwabe [SPD]) Andreas Jung (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Klimawandel ist die zentrale ökologische Herausforderung in unserer Zeit, in unserem Jahrhundert. Er ist bereits vorangeschritten. Wir können die Auswirkungen in vielen Ländern sehen, in denen sich Dürren ausbreiten – wodurch Menschen ihre Lebensgrundlage verlieren – und in denen es Überschwemmungen gibt. Aber auch in unserem eigenen Land können wir sie – durch eine Häufung extremer Wetterereignisse und Naturkatastrophen – sehen. Das ist uns nicht nur bewusst, es ist uns Auftrag zu konsequentem Handeln. Deshalb müssen wir, Herr Kollege Hofreiter, nicht erst durch Anträge der Grünen an die Herausforderung des Klimaschutzes erinnert werden. Klimaschutz ist eine prioritäre Aufgabe. Er hat hohe Priorität in der Politik der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Eines ist – das haben wir immer deutlich gemacht – klar, dass nämlich Deutschland bei dieser globalen Aufgabe – wir können sie nur global lösen, weil es eben eine internationale, gemeinsame Aufgabe ist – eine besondere Verantwortung hat. Diese Verantwortung besteht im Übrigen nicht darin, Klimaschutz und Arbeitsplätze gegeneinander auszuspielen, sondern darin, dass wir zeigen, dass ambitionierter Klimaschutz und Arbeitsplätze in einem Industrieland zusammengebracht werden können und dass uns das gemeinsam nach vorne bringt. Das ist Ziel und Aufgabe der Bundesregierung und unsere besondere Verantwortung, damit wir erstens unserem Anspruch, Vorreiter zu sein, gerecht werden und zweitens andere dazu bringen, dass sie, weil sie unser Beispiel – das eben nicht zu weniger Wohlstand, sondern mit Innovation und Technologie zu mehr Wohlstand führt – sehen, es attraktiv finden und ihm folgen. Das müssen wir leisten, und das ist die Leitlinie unserer Politik. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dem werden wir in vielfacher Weise gerecht. Deutschland ist Antreiber im internationalen Klimaprozess. Deutschland ist Finanzierer im internationalen Klimaschutz, Deutschland ist Partner von Entwicklungsländern und Schwellenländern bei der Umsetzung von Technologien, aber auch von Anpassungsmaßnahmen. Wir sind Taktgeber innerhalb der Europäischen Union und mit einer ambitionierten Klimapolitik in Deutschland Vorbild. Deshalb ist klar: Deutschland war Vorreiter im Klimaschutz, Deutschland ist Vorreiter im Klimaschutz, und wir werden mit einer ambitionierten Politik auch Vorreiter bleiben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Herr Hofreiter, Sie haben gesagt, die Kanzlerin glänzt auf der internationalen Bühne. Diesem Halbsatz möchte ich ausdrücklich zustimmen und hinzufügen: Das schafft sie eben nicht nur durch Worte, sondern durch konkrete Taten. Das tut die Bundeskanzlerin, das tut die ganze Bundesregierung. Wir sind uns doch einig, dass Paris ein Meilenstein für den internationalen Klimaschutz gewesen ist, (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Aber das muss national umgesetzt werden!) weil wir es nach jahrelangem Ringen endlich geschafft haben, dass nicht nur Deutschland oder Europa, also einige wenige, Vorreiter sind, sondern dass sich alle Staaten der Welt „committed“ und gesagt haben: Wir machen gemeinsam Klimaschutz. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Jetzt!) Warum hat es denn geklappt? Es hat deshalb geklappt, weil die Kanzlerin auf Schloss Elmau mit den internationalen Partnern die Grundlagen gelegt hat, weil Dekarbonisierung vereinbart wurde und man, ausgehend von von Elmau, gerade mit den französischen Partnern als Gastgeber der Konferenz in Paris sowie mit den übrigen europäischen Partnern gearbeitet und überzeugt hat sowie glaubwürdig gewesen ist. Im Übrigen war man im Bereich der Klimafinanzierung Vorbild. Damit hat man gezeigt: Wir nehmen es ernst, wir gehen jetzt voran. Und so ist es gelungen, am Ende alle zusammenzubekommen. Das ist auch ein Erfolg dieser Bundesregierung. Natürlich gilt es jetzt, darauf aufzubauen. Das tun wir national. Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zu unseren Aufgaben in der Europäischen Union. Es war auch gerade Deutschland, das sich mit anderen Partnern dafür eingesetzt hat, dass das 2030-Ziel der EU insofern ambitioniert ausgestaltet wird, als man gesagt hat: Wir wollen bis 2030 – in Deutschland wollen wir das schon zehn Jahre vorher erreichen – mindestens eine CO2-Reduzierung von 40 Prozent. Dieses „mindestens“ hatte eine Voraussetzung, dass es nämlich zu einem internationalen Klimavertrag kommt. Der ist jetzt da. Das soll überprüft werden. Deshalb müssen wir als Europäer da noch ambitionierter vorangehen, um die Lücke, die es nach Paris bei den Reduktionsverpflichtungen im internationalen Klimaschutz gibt, zu schließen. Das müssen wir in Europa erreichen. Dabei müssen wir auch erreichen, dass der Emissionshandel – er ist das Herzstück der europäischen Klimapolitik – gestärkt wird. Der Emissionshandel hat jetzt mit der Marktstabilitätsreserve eine Reform erfahren. Darauf müssen wir in der nächsten Handelsperiode aufbauen. Es muss klargemacht werden: Der Emissionshandel muss so gut sein, dass nationale Ergänzungsmaßnahmen nicht notwendig sind. Er muss funktionieren. Dieses Herz der europäischen Klimaschutzpolitik muss schlagen. Dafür setzen wir uns ein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ute Vogt [SPD]) Die EU muss auch in den anderen Sektoren vorangehen, beim Verkehr, bei der Energieeffizienz und bei den erneuerbaren Energien. Damit komme ich zu unserem Land. Ich will den Eindruck, den Sie zu erwecken versuchen, nämlich dass die Bundesregierung nicht handle, in aller Entschiedenheit und Deutlichkeit zurückweisen. Die Bundesregierung hat das nationale Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 und den Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz auf den Weg gebracht. Wir stellen uns unserer Verantwortung und verpflichten uns, dass bis 2020 die Emissionen um 40 Prozent sinken. Wir wissen, dass dazu noch eine Wegstrecke zu gehen ist. Zu Beginn der Legislaturperiode haben wir eine Lücke von 5 bis 8 Prozent ausgemacht. Mit vielfältigen Maßnahmen in allen Bereichen, die Sie genannt haben, wird angestrebt, diese Lücke zu schließen. Diese Maßnahmen sind nicht etwa nur in der Diskussion, sondern alle in der Umsetzung. Daran werden wir weiter arbeiten. Dieses Ziel ist uns Verpflichtung, weil daran unsere Glaubwürdigkeit hängt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Unsere Glaubwürdigkeit hängt im Übrigen auch an unserem Beitrag – ich hatte das schon angesprochen – zur internationalen Klimafinanzierung. In Paris wurde beschlossen, dass bis 2020 100 Milliarden US-Dollar jährlich für den internationalen Klimaschutz ausgegeben werden sollen. Wir haben unseren Anteil aufgestockt. Wir geben viermal so viel in diesem Bereich aus wie 2005. Wir haben also richtig draufgesattelt in den letzten Jahren. Die Mittel sind im Haushalt des BMZ eingestellt worden. Wenn wir am Ende 10 Prozent von dem tragen, was international vereinbart wurde – so ist die Ansage –, dann kann man schon sagen, dass wir in besonderer Weise der deutschen Verantwortung gerecht werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das gilt auch für die einzelnen Sektoren. Mit dem Klimaschutzplan müssen wir den Weg zur Dekarbonisierung beschreiben. Wir müssen schrittweise aus der Kohle aussteigen, wobei der Ausstieg gesellschaftlich diskutiert werden muss, sozialverträglich sein muss und mit den Regionen auf den Weg gebracht werden muss. Am Ende muss er zu dem Ergebnis führen, dass wir spätestens zur Mitte des Jahrhunderts – besser früher – in Deutschland keine Kohleverstromung mehr haben. Wir müssen weitere Anstrengungen im Bereich Verkehr, den Sie angesprochen haben, unternehmen. Wir haben ein dynamisches Wachstum der Verkehrsleistung und der Verkehrsbewegungen. Der CO2-Ausstoß stagniert. Wir müssen es schaffen, mit weiteren Maßnahmen den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Ich will für die Nationale Plattform Elektromobilität werben. Damit haben wir eine Plattform, in deren Rahmen Maßnahmen nicht nur diskutiert, sondern auch umgesetzt werden; denn unser Ziel ist eine nachhaltige Mobilität, unser Ziel ist es, Vorreiter bei alternativen Antrieben zu werden. Genau das tut die Bundesregierung: Sie ist Taktgeber in Abstimmung mit der Automobilindustrie und anderen Akteuren. Unser Ziel ist, dass wir die effizientesten Autos in Deutschland produzieren, fahren und exportieren und damit über Deutschland hinaus ausstrahlen. (Beifall bei der CDU/CSU) Morgen diskutieren wir über das Erneuerbare-Energien-Gesetz, wir diskutieren auch über dieses Thema, und vielleicht streiten wir darüber. Aber es ist doch unbestreitbar, dass die Förderung der erneuerbaren Energien dazu geführt hat, dass Ökostrom jetzt Tabellenführer im Strommix der Bundesrepublik Deutschland ist. Diesen Weg werden wir weitergehen, damit wir 2050 in Deutschland das erreichen, was in Elmau beschlossen worden ist, nämlich die Dekarbonisierung in den Bereichen Strom, Wärme und Mobilität. Unser Anspruch ist die Einhaltung der ehrgeizigen Klimaziele in Höhe von 80 bis 95 Prozent bis 2050. Daran arbeiten wir mit einer ambitionierten und konsequenten Politik. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Eva Bulling-Schröter für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Echter Klimaschutz braucht einen echten Plan. Dieser Klimaschutzplan 2050, den die Bundesregierung gerade ausarbeitet, ist darum eigentlich eine feine Sache. Wir haben Kritik, vor allem was die fehlende Verbindlichkeit angeht; aber die Grundtendenz stimmt erst einmal. Wir warten jetzt darauf, dass dieser erste Masterplan für Klimaschutz in Deutschland endlich offiziell vorliegt. (Beifall bei der LINKEN) Denn wenn sie gut sind, ist besonders die Linke für Pläne zu haben – das wissen Sie ja –, vor allem dann, wenn der Wirtschaft gezeigt wird, dass private Profite nicht vor Allgemeinwohl gehen. Wer die Pariser Klimabeschlüsse ernst nimmt, der braucht einen Plan. Wer immer noch glaubt, der Umbau einer ganzen Volkswirtschaft auf klimaneutral sei ohne ein starkes Konzept zu schaffen, der meint es mit dem Klimaschutz nicht ernst oder ist ein zukunftsblinder Ignorant. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Linke meint es ernst mit dem Klimaschutz. Darum unterstützen wir die Anträge der Grünen. In weiten Teilen spiegeln sie auch unsere Vorstellungen von nachhaltigem Klimaschutz wider. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Bis 2050 muss Deutschland seinen Treibhausgasausstoß um 100 Prozent gesenkt haben – um 100 Prozent! Das ist das Ziel, hinter dem die Linke steht. Das geht nur mit einem sektorübergreifenden Klimaschutzfahrplan, also über alle Bereiche hinweg. Aber nicht alle politischen Kräfte im Parlament sind für Klimaschutz. Teile der Union schießen weiter gegen jedes Vorhaben. Ganz vorne mit dabei ist der CDU-Wirtschaftsrat. Vorgestern musste sich sogar die Bundeskanzlerin den Kopf waschen lassen: mehr Markt, Steuern runter, alles für die Unternehmen – das ist dort die Devise. Zusammen mit dem BDI trommeln auch einige Kollegen der CDU gegen den Klimaschutzplan. Das Umweltministerium habe die Wirtschaft nicht in den breitangelegten Beteiligungsprozess mit einbezogen. Also wirklich, das ist völliger Unsinn! Alle konnten sich einbringen. Schauen Sie sich einmal die Webseite des Ministeriums an. Da finden Sie Ihren BDI ganz oben auf der Liste. Aber das wissen Sie: Den Kritikern geht es gar nicht um Beteiligung. Sie sind von denen vorgeschickt – das ist mein Eindruck –, die den Schuss von Paris nicht hören wollen. Die großen Bosse glauben eben nicht an eine Welt ohne Kohle und Erdöl. Intern lachen sie sich über die deutschen Klimaschutzziele kaputt. Nach draußen erzählen sie dann immer wieder dieselben Märchen: Klimaschutz schadet dem Wirtschaftsstandort Deutschland. Die anderen Wettbewerber am Weltmarkt sind die heimlichen Gewinner von Energiewende oder Emissionshandel. – Sogar von einem deutschen Sonderweg ist immer wieder die Rede. Ich sage Ihnen: Dahinter steht der alte Abwehrkampf großer Konzerne gegen demokratische Vorgaben der Politik, und das geht einfach nicht. (Beifall bei der LINKEN – Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Hier wird auch jedes Klischee bedient!) Wollen wir aber verhindern, dass Ökosysteme und das Leben von Millionen von Menschen gefährdet werden, dann sind Klimaschutzanstrengungen per Gesetz einfach notwendig, und zwar nicht nur von Alleinerziehenden, von kleinen Bäckern oder Bäckerinnen oder vom Kfz-Mechaniker. Was wir brauchen, ist ein Klimaschutzbeitrag der großen Wirtschaft: (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) vom Stahlwerk zur Automobilindustrie, vom Energieversorger zu Wohnungsbaugesellschaften, von der Airline bis zur Tiermastanlage. Alle Bereiche werden mehr denn je zum Klimaschutz beitragen müssen; das können wir nicht oft genug sagen. Unser Ziel wird erreicht mit Investitionen in mehr Energieeinsparung, mit erneuerbaren Energien, mit Investitionen in Innovationen – darüber wurde schon viel gesagt –, aber auch mit einer Abkehr von Wachstumswahnsinn, Lohndumping und sozialem Kahlschlag. (Beifall bei der LINKEN) Es wird immer wieder die Frage gestellt: Hat Klimaschutz der Wirtschaft bisher geschadet? Natürlich nicht! Deutschland erzielt einen Exportrekord nach dem nächsten. Für die verteufelten Energiekosten hat das der Sachverständigenrat der Bundesregierung für Umweltfragen darum noch einmal aufgeschrieben. Ich zitiere: Durchschnittlich machen in der deutschen Industrie die Energiekosten nur etwa 2 % der Gesamtkosten aus. Für die Mehrzahl der Industriebetriebe wären mithin selbst substanzielle Energiekostensteigerungen verkraftbar. Auch sind die Energiestückkosten (der Anteil der Energiekosten an der Bruttowertschöpfung) der deutschen Industrie als Ganzes im internationalen Vergleich ... geringer als in den meisten europäischen Staaten oder in China. Das sagt der Sachverständigenrat der Bundesregierung für Umweltfragen – und nicht irgendjemand. Da ist also noch Luft für mehr Klimaschutz vorhanden. Der Weg in die Dekarbonisierung liegt vor uns. Also: Packen wir es an! Danke. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Bundesregierung erhält die Bundesministerin Barbara Hendricks das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor einem halben Jahr hat die Weltgemeinschaft in Paris ein historisches Klimaschutzabkommen beschlossen, ein Abkommen, das den Weg in eine treibhausgasneutrale Gesellschaft beschreibt. Das war für uns alle, glaube ich, eine schöne Nachricht, die uns mit Freude erfüllt hat. Wie das mit Abkommen so ist: Wenn sie einmal beschlossen sind, dann müssen sie auch umgesetzt werden; daran denken vielleicht nicht immer alle. Mit den Vorbereitungen für die Ratifizierung sind wir auf einem guten Weg. Ich werde dem Kabinett in Kürze den Gesetzentwurf vorlegen. Mit Unterstützung des Deutschen Bundestages können wir es schaffen, die Ratifizierung noch vor der Klimakonferenz in Marrakesch im November abzuschließen. Um diese Unterstützung will ich Sie schon heute bitten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ab Ende der nächsten Woche haben wir 35 Ministerinnen und Minister und viele Verhandlungsgruppen beim Petersberger Klimadialog hier in Berlin zu Gast. Auch dort wird die Umsetzung des Paris-Abkommens eine zentrale Rolle spielen. „Making the Paris Agreement a Reality“ lautet der Titel der diesjährigen Veranstaltung. Wir unterstützen die Entwicklungsländer dabei, ihre Kapazitäten für den Klimaschutz aufzubauen. Wie im letzten Jahr angekündigt, werden wir unsere internationale Klimafinanzierung bis 2020 von circa 2 Milliarden Euro auf circa 4 Milliarden Euro erhöhen. Aber auch in Deutschland müssen wir unsere Hausaufgaben machen. In Deutschland leisten wir unseren Beitrag, indem wir unsere Klimaschutzziele für 2020, 2030 und 2050 einhalten und indem wir uns auf der Strecke immer wieder fragen, ob wir genug tun, was übrigens mit der globalen Bestandsaufnahme alle fünf Jahre, wie im Paris-Abkommen festgelegt, auch im Einklang ist. Die Bundesregierung verfolgt die Umsetzung der internationalen Klimaschutzverpflichtungen mit zwei wichtigen Instrumenten: mit dem Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 und mit dem Klimaschutzplan 2050. Die meisten Maßnahmen des Aktionsprogramms Klimaschutz 2020 sind bereits umgesetzt bzw. befinden sich in den letzten Zügen der Umsetzung. Das werden Sie dann auch dem Klimaschutzbericht 2016 entnehmen können, den wir Ihnen im November vorlegen werden. Im Klimaschutzplan 2050 beschreiben wir den Pfad der Treibhausgasminderung von 2020 bis 2050. Wir haben unsere Arbeiten an dem Entwurf abgeschlossen und gehen damit in Kürze in die Ressortabstimmung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Aktionsprogramm und der Klimaschutzplan sind notwendig; denn der Klimaschutz braucht langfristige Orientierung und Planungssicherheit – für Wirtschaft und Investoren, für die Beschäftigten in den Unternehmen genauso wie für Verbraucherinnen und Verbraucher. Wir haben uns in der Regierung entschieden, diese langfristige Orientierung nicht normativ, sondern stärker handlungsorientiert zu geben. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Davon ist nichts zu merken!) Denn, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ein Gesetz ist kein Wert an sich; es kommt darauf an, welches Ergebnis am Ende für den Klimaschutz erreicht wird. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Klimaschutzplan wird ein verlässlicher Fahrplan sein, der dennoch flexibel für Änderungen und Innovationen auf der Wegstrecke bis 2050 ist. Er ist vor allem ein Wegweiser für die Richtung, die von allen Sektoren eingeschlagen werden muss. Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns war wichtig, bei einem so grundlegenden Prozess eine breite gesellschaftliche Akzeptanz zu finden. Herausgekommen ist das Leitmotiv einer umfassenden Modernisierungsstrategie. Glauben Sie mir: Der Wandel, der vor uns liegt, bietet große Chancen für unser Land. Der Klimaschutz ist schon heute ein Wachstumsmotor, der uns Beschäftigung über Jahrzehnte sichern kann und wird. Denken Sie an die vielen neuen Technologien, Produktionsprozesse und Infrastrukturen! Ich will auch denjenigen, die in Sorge um den Industriestandort Deutschland sind, eine gute und wichtige Nachricht überbringen: Der Anteil an der industriellen Produktion in Deutschland wird in diesem Prozess weiter steigen. Allein im Bereich Umwelt- und Klimaschutz haben wir schon heute über 2 Millionen Arbeitsplätze. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie sind gerade dabei, das kaputtzumachen!) Unsere Technologien für intelligente Stromnetze zum Beispiel finden weltweit großes Interesse. Sie kennen unseren Weltmarktanteil bei den sogenannten grünen Produkten. Er liegt bei gut 14 Prozent und wird sicherlich noch weiter steigen. In Deutschland haben wir es geschafft, das Wachstum von den Emissionen zu entkoppeln. Von 1990 bis 2014 sind die Emissionen um 27 Prozent gesunken, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zur Feier des Tages steigen sie wieder!) während die Wirtschaft im gleichen Zeitraum um 39 Prozent gewachsen ist. Man könnte auch sagen: Klimaschutz schafft Wachstum. Dieses Wachstum hätten wir nicht ohne die erfolgreiche Umweltpolitik in Deutschland, vom Atomausstieg über das EEG bis zur Energiewende und zu innovativen, ressourcenschonenden und treibhausgasarmen Produktionsprozessen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Vorreiterrolle hat uns genutzt, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch deshalb, weil wir andere Staaten überzeugen konnten, dass der Wandel weg vom Öl und hin zu den Erneuerbaren in einem der größten Industrieländer möglich ist. Diesen Weg, der Deutschland so erfolgreich gemacht hat, werden wir konsequent weiterverfolgen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir ist wichtig, dass wir uns klare Zwischenziele für die einzelnen Handlungsfelder für 2030 vornehmen. Das gilt auch für die Bereiche, die ihre Beiträge zur Treibhausgasminderung noch deutlich steigern müssen, namentlich der Verkehr und die Landwirtschaft. Dazu, dass unsere Emissionen seit 1990, wie eben erwähnt, in der gesamten deutschen Volkswirtschaft um rund 27 Prozent gesunken sind, hat der Verkehr bisher leider nichts beigetragen. Für den Verkehr liegen die Werte noch immer auf dem gleichen Niveau wie damals. Insgesamt macht der Anteil des Verkehrs an den nationalen Treibhausgasemissionen 18 Prozent aus. Das kann natürlich nicht so bleiben, wenn wir unsere Klimaschutzziele erreichen wollen. Wenn wir ernst nehmen, was die Bundeskanzlerin mit den Staats- und Regierungschefs der G-7-Staaten auf Schloss Elmau mit ihrem Dekarbonisierungsbeschluss vereinbart hat und was 195 Staaten gemeinsam in Paris beschlossen haben, dann muss auch der Verkehr im Jahr 2050 nahezu treibhausgasneutral sein. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sagt denn Herr Dobrindt dazu?) Wir brauchen eine Stärkung der klimafreundlichen Verkehrsträger und eine gänzlich andere Energieversorgung des Verkehrs, die dann auf der Nutzung erneuerbarer Energien basieren wird. Das ist technologisch bereits machbar. Die Energiequellen des Verkehrs der Zukunft werden in erster Linie Wind- und Sonnenenergie sein. Damit kann man sich ausrechnen, dass ab 2030 Neuzulassungen über einen Elektroantrieb verfügen oder auf Basis von regenerativ erzeugtem Gas versorgt werden müssen. Auch der Verbrennungsmotor könnte noch eine Zukunft haben, wenn er mit synthetischen Kraftstoffen aus Wind- und Sonnenstrom betrieben wird. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Josef Göppel [CDU/CSU]) Das Jahr 2030 ist für die Welt der Automobilindustrie mit ihren Entwicklungs- und Produktionszyklen nicht mehr weit weg. Ich hoffe, dass dies einem verantwortungsbewussten Management in dieser für Deutschland so wichtigen Branche auch klar ist. Leider scheint es so, dass es erst krisenhafte Entwicklungen braucht, um umdenken zu können. In der Landwirtschaft wird eine Minderung auf null Emissionen auch langfristig nicht möglich sein; denn hier haben wir es ja mit biologischen Prozessen im Pflanzenbau und in der Tierhaltung zu tun. Das heißt aber nicht, dass hier keine Potenziale bestehen. Gegenüber heute müssen und können wir die landwirtschaftlichen Emissionen bis 2050 halbieren. Das ist anspruchsvoll, aber machbar. Dafür müssen wir unsere Stickstoffüberschüsse endlich in den Griff bekommen. Wir kommen aber auch nicht darum herum, uns mit unbequemen Themen wie dem Abbau von Tierbeständen, dem Fleischkonsum und mit der Verschwendung von Lebensmitteln zu befassen. In diesen Bereichen sind Forschung, Entwicklung und Verbraucherinformation besonders wichtig. Eine Landwirtschaft, die ein angemessenes Verhältnis von der Anzahl der Tiere zur Nutzfläche nicht mehr beachtet, die teilweise an den Wünschen und Erwartungen der Verbraucherinnen und Verbraucher vorbei produziert und die eben auch die Umwelt- und Klimafolgen nicht ausreichend mindert, sägt am Ende den sprichwörtlichen Ast ab, auf dem sie selbst sitzt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, welche Herausforderungen wir noch vor uns haben: Verkehr, Automobilindustrie, Landwirtschaft, um beispielhaft nur drei wichtige Bereiche aus unserem gesellschaftlichen Leben und unserer Wirtschaft zu nennen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Ministerin. Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: In allen Bereichen ist das möglich. Dafür ist es aber nötig, sich jetzt auf den Weg zu machen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Bärbel Höhn erhält das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum haben wir diesen Tagesordnungspunkt heute aufgesetzt? Wir haben ihn aufgesetzt, weil es endlich Zeit ist, darüber zu sprechen, weil es endlich Zeit ist, in Deutschland etwas für den Klimaschutz zu tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hiltrud Lotze [SPD]: Machen wir doch!) Das Abkommen von Paris bedeutet eine Riesenherausforderung. Deutlich unter 2 Grad heißt nichts anderes, als dass wir 2050 – bis dahin sind es gerade einmal 34 Jahre – eine klimaneutrale Stromproduktion haben müssen, eine klimaneutrale Wärmeerzeugung, einen klimaneutralen Verkehrssektor und eine klimaneutrale Landwirtschaft. Das werden Sie und diese Bundesregierung mit den Instrumenten, die Sie heute auf den Tisch gelegt haben, nicht erreichen. Deshalb müssen wir hier zu einer Änderung kommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Warum werden wir das Ziel so nicht erreichen? Ich mache das einmal an den Instrumenten klar, die die Ministerin eben dargelegt hat. Sie hat ja gesagt, am Ende sei entscheidend – ich verkürze das jetzt einmal –, was hinten rauskommt. Und das gucken wir uns jetzt einmal an. Das Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 wurde vor anderthalb Jahren auf den Weg gebracht. Darin stand, dass wir einen wichtigen Beitrag der Kohleindustrie brauchen; das wurde sehr deutlich gesagt. Ansonsten erreichen wir unser für 2020 gesetztes Ziel nicht. Und wie wurde dieses Aktionsprogramm im Folgejahr umgesetzt? Es gab keine Abgabe für Kohlekraftanlagen, sondern eine Subvention für Kohlekraftanlagen. Das Gegenteil von dem, was im Aktionsprogramm stand, haben Sie umgesetzt. So funktioniert Klimaschutz nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]) Sehen wir uns doch einmal an, wie man es machen könnte. Machen Sie den Klimaschutz doch endlich einmal verbindlich! Wir haben Ihnen hier einen Entwurf eines Klimaschutzgesetzes vorgelegt. Darin stehen sehr klare Instrumente; dort steht, was Sie machen müssen, wenn Sie in dem einen Jahr Ihre Ziele nicht erreichen, was Sie machen müssen, damit endlich auch hier in Deutschland Klimaschutz stattfindet. Was nicht funktioniert, ist, wenn Sie immer vor Konferenzen ein Klimaaktionsprogramm oder einen Klimaschutzplan machen, sich dort abfeiern lassen und dann hier das Gegenteil von Klimaschutz tun. So funktioniert das nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir sind auf diesem Gebiet gar keine Vorreiter. Wir haben pro Kopf mehr CO2-Ausstoß in Deutschland als der Durchschnitt in der EU. Sind wir damit Vorreiter, Herr Jung? Nein, das sind wir eben nicht. Wir sind Hauptverursacher der Klimakrise. Deutschland hat zu den Emissionen von CO2 und klimaschädlichen Gasen 7,3 Prozent beigetragen. Wir haben also eine Verpflichtung, hier etwas zu tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deshalb sage ich: Nein, es ist viel zu wenig, was hier stattfindet. Gucken wir uns doch einmal den Automobilbereich an. Da ist in den letzten Jahren nichts passiert. 10 Prozent mehr Spritverbrauch seit 2007! Weil die Kanzlerin zur EU gerannt ist und für minimale CO2-Werte, also eine Absenkung der Standards, plädiert hat, hat die Trickserei erst angefangen. Die Unternehmen haben das als Aufforderung zum Tricksen gesehen und nicht mehr zum Einhalten von Grenzwerten. So, meine Damen und Herren, kriegen Sie die Transformation, die notwendig ist, nicht hin. Sie gefährden Arbeitsplätze, anstatt neue zu schaffen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Caren Lay [DIE LINKE]) Sie haben ja auch schon dazu beigetragen, viele Arbeitsplätze abzubauen. Ich nenne den Bereich Photovoltaik. Wir könnten jetzt rein in den Mietmarkt, wir könnten endlich Mieterstrom anbieten. Das verhindern Sie von der CDU. Andere Länder sind doch schon lange an uns vorbei: China, Japan, USA – das sind die Spitzenreiter der Photovoltaik, nicht mehr Deutschland. In Deutschland sind in diesem Bereich mindestens 40 000 Arbeitsplätze wegrationalisiert worden durch eine falsche Politik, für die auch die CDU Verantwortung trägt. (Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Das wird ja immer besser!) – Ja, es wird immer besser. – Wenn Sie eine Landwirtschaft betreiben, bei der wir bei Schweinefleisch und Geflügel 20 Prozent über dem Bedarf liegen, dann bedeutet das mehr Exporte, mehr klimaschädliche Ausgasungen bei uns. Diese Art von Landwirtschaft entspricht nicht dem Klimaschutzplan, den Sie auf den Tisch legen wollen. Wir müssen die Landwirtschaft verändern, um in Deutschland Klimaschutz zu machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich komme zum Schluss. – In den letzten zehn Jahren sind die umwelt- und klimaschädlichen Subventionen von 50 Milliarden Euro auf 60 Milliarden Euro gestiegen. Hören Sie endlich damit auf! Dann würden wir schon etwas für den Klimaschutz tun. Und steigen Sie aus finanziellen Investments in fossile Energieträger aus! Auch das wäre ein guter Beitrag für den Klimaschutz. Es gibt so viel zu tun. Handeln Sie endlich hier, und halten Sie nicht immer Sonntagsreden auf internationalen Konferenzen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Anja Weisgerber ist die nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Pariser Abkommen wurde ein Meilenstein gesetzt. Das sieht man auch daran, dass am 22. April in New York 175 Staaten an der Unterzeichnung teilgenommen und die Ratifizierung eingeleitet haben. Das sind so viele Staaten wie nie zuvor bei einem vergleichbaren multilateralen Abkommen; beim Kioto-Abkommen waren am Ende nur noch 37 Staaten mit an Bord. Alle Staaten der Welt haben klar zum Ausdruck gebracht, dass sie hinter diesem Abkommen stehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Damit ist die Arbeit noch lange nicht abgeschlossen; das ist richtig. Jetzt geht es um die Umsetzung dieser Inhalte in allen Staaten der Welt. Werte Kollegin Höhn, auch in Deutschland arbeiten wir intensiv an der Umsetzung der deutschen und europäischen Klimaziele. Die Bundesregierung hat bereits im Dezember 2014 das Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 vorgelegt, das rund 100 Maßnahmen in allen Sektoren vorsieht. Diese Maßnahmen werden umgesetzt; die Finanzierung der Fördermaßnahmen ist sichergestellt. (Beifall bei der CDU/CSU) Das sind die mittelfristigen Maßnahmen bis 2020. Deutschland geht aber noch darüber hinaus. Ich würde einmal behaupten, dass es wenige Vertragsstaaten gibt, die schon bis 2050 Festlegungen treffen. Derzeit arbeitet das BMUB am Klimaschutzplan bis 2050, basierend auf einem breiten Bürgerdialog. In dem Ziel sind wir uns doch alle einig. Nicht einig sind wir uns über den Weg zu diesem Ziel. Sie schlagen ein Klimaschutzgesetz vor. Dazu möchte ich Folgendes sagen: Nordrhein-Westfalen hat zwei Jahre gebraucht, bis es ein solches Klimaschutzgesetz auf den Weg gebracht hat. In Berlin wurde nach fünfjährigem Ringen erst vor wenigen Tagen ein solches Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben vor zwei Jahren angefragt!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Zeit haben wir nicht; das wissen Sie auch. Wir handeln jetzt, und zwar mit den richtigen Maßnahmen. Wir kümmern uns um die Umsetzung unserer Ziele. Zeit in ein intensives Gesetzgebungsverfahren zu einem Klimaschutzgesetz ohne konkrete Maßnahmen zu investieren, das ist nicht der richtige Weg, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU) Wichtig ist jetzt, die Maßnahmen zur Erreichung der Ziele fortzuführen und weiterzuentwickeln und Entwicklungs- und Schwellenländer mit Projekten und Geldern zu unterstützen, damit sie ihre Wirtschaft von Anfang an klimaneutral aufbauen können. Beides macht die Bundesregierung. Wir haben gestern im Umweltausschuss gehört, was das Entwicklungshilfeministerium alles macht. Über 2 Milliarden Euro jährlich investiert das BMZ in den internationalen Klimaschutz. Der Grüne Klimafonds wird nach und nach immer weiter aufgefüllt. Deutschland ist auch hier Vorreiter. Erste Projekte werden bereits umgesetzt. Die Förderkriterien sind streng ausgerichtet. Die Länder werden unterstützt, ihre selbstgesteckten Klimaziele mit eigenen Projekten zu erreichen. Ich nenne als Beispiel Projekte zu erneuerbaren Energien in Afrika. Aber auch auf nationaler Ebene treffen wir die richtigen Maßnahmen. Ich möchte an dieser Stelle einen Bereich herausgreifen, der ein sehr großes Einsparpotenzial hat: die energetische Gebäudesanierung. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Weisgerber, darf der Kollege Krischer eine Zwischenfrage stellen? Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Ja, gerne. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herzlichen Dank, Frau Weisgerber, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben gesagt, es würde zwei Jahre brauchen, bis ein Klimaschutzgesetz realisiert ist. Nun hat es die Regierung bzw. die Mehrheit des Hauses in der Hand, wie lange Gesetzgebungsprozesse dauern. Wir haben einen Entwurf eines Klimaschutzgesetzes zum ersten Mal vor zwei Jahren eingebracht. Das heißt, es könnte schon beschlossen sein, selbst wenn man einen solch langen Gesetzgebungszeitraum annimmt. Ihre Argumentation, dass Maßnahmen bereits stattfinden, stimmt nicht. Wenn ich der Umweltministerin gerade richtig zugehört habe, hat sie gesagt, im Verkehr seien wir sogar in der falschen Richtung unterwegs. Morgen beschließen wir ein EEG, mit dem der Ausbau den Erneuerbaren reduziert wird. Bei der Gebäudesanierung geht nichts voran; wir sind weit unter dem Ausbaukorridor. In der Landwirtschaft passiert überhaupt nichts; die Emissionen steigen. Man könnte diese Liste fortsetzen. Das heißt, die Maßnahmen, von denen Sie sagen, sie würden ohne Klimaschutzgesetz umgesetzt, finden gar nicht statt. Wäre es nicht Ihrer Meinung nach sinnvoll, dass wir endlich eine gesetzliche Grundlage schaffen, damit hier von Ihnen und von Frau Hendricks nicht nur schön geredet wird, sondern dann auch Herr Dobrindt und andere in ihren Ressorts einmal Klimaschutzpolitik betreiben, was bisher nicht stattfindet? Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Gerne antworte ich auf Ihre Frage und möchte ganz konkret auf Ihren Entwurf eines Klimaschutzgesetzes eingehen. Sie schlagen Zwischenziele und jährliche Zielvorgaben vor. Sie schlagen vor, dass auf nationaler Ebene – zusätzlich zum europäischen Emissionshandel – Auflagen gemacht werden, dass auf nationaler Ebene ständig Steuern auf Emissionshandelszertifikate auf Basis eines Mindestpreises für CO2-Emissionszertifikate neu errechnet werden. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So wie Frankreich und Großbritannien übrigens! Die haben das eingeführt!) Sie sagen, das sorge für Verlässlichkeit und Planbarkeit. Da sage ich ganz klar: Wenn auf nationaler Ebene neue Steuern errechnet werden und neue Auflagen gemacht werden, dann ist das genau das Gegenteil von Verlässlichkeit und Planbarkeit für die Wirtschaft. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Großbritannien und Frankreich machen doch den Mindestpreis!) Zwischenziele jährlich zu berechnen, obwohl Experten sagen, dass die Zwischenergebnisse in den einzelnen Jahren Einflüssen wie der Witterung, dem Mineralölpreis usw. ausgesetzt sind, ist der falsche Weg. Es ist falsch, ein Gesetz zu schaffen, das nicht mit Maßnahmen unterlegt ist und zusätzliche nationale Auflagen vorsieht, das uns im europäischen Wettbewerb eher benachteiligt und dazu führt, dass die Emissionshandelszertifikate, die bei uns freigesetzt werden, in anderen europäischen Ländern verbraucht werden. Das führt letztendlich nicht zu dem Ziel, das wir alle haben, nämlich auf europäischer Ebene den Klimaschutz voranzubringen. (Beifall bei der CDU/CSU – Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin? Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Ich würde jetzt ganz gern mit meiner Rede fortfahren und danach bei Bedarf eventuell auch noch einmal antworten. Vizepräsidentin Claudia Roth: Alles klar. Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Ich möchte noch einmal auf die nationale Ebene eingehen. Ich möchte einen Bereich herausgreifen, der ein großes Einsparpotenzial birgt: die energetische Gebäudesanierung. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das blockiert doch Herr Seehofer! Das ist doch unglaublich!) Im Gebäudebereich fallen 40 Prozent des Energieverbrauchs und ein Drittel der CO2-Emissionen in Deutschland an. Deshalb haben wir hier zahlreiche Programme der KfW aufgelegt, die wir weiterentwickeln und deren Mittel wir immer weiter aufstocken, und das ist auch gut so. Aber – jetzt komme ich gleich auf Ihren Zwischenruf – es muss noch mehr getan werden, ja. Der wirksamste Hebel ist (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seehofer abwählen!) die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat Herr Seehofer verhindert! Herr Seehofer!) Der Unterschied zwischen Ihren Vorschlägen und den Vorschlägen Bayerns ist, dass Bayern sagt: Wir brauchen keine Gegenfinanzierung; wenn dieses steuerliche Instrument kommt, dann wird über die Mehrwertsteuereinnahmen so viel Geld in die Landeskassen hineingespült, (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es ja selber noch nicht verstanden!) dass sich das Projekt letztendlich von selbst amortisiert. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass! Was soll das denn?) Da möchte ich Ihnen zurufen: Statt auf nationaler Ebene, auf Bundesebene, ein Klimaschutzgesetz zu fordern, ohne die entsprechenden Maßnahmen zu treffen, sollten Sie in die Länder mit grüner Regierungsbeteiligung fahren, dort die grünen Politiker ansprechen (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen wir!) und dafür sorgen, dass wir gemeinsam, und zwar ohne diesen parteipolitischen Twist, der uns an der Stelle klimapolitisch nicht voranbringt, die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung auf den Weg bringen, zusammen mit den Bundesländern; denn das ist ein Instrument, das uns wirklich einmal voranbringen würde. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin, erlauben Sie jetzt eine Zwischenfrage von Frau Höhn? Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Ich gestatte die Zwischenfrage, wenn ich dann länger sprechen darf. Vizepräsidentin Claudia Roth: Sie dürfen auf die Frage antworten. Ansonsten bleibt es bei der Redezeit. Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Ja. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Kollegin Weisgerber, Sie haben eben gesagt, das Problem sei, Steuern zu erheben, und deshalb könnten Sie beim Mindestpreis für CO2 nicht mitgehen. Bei CO2-Emissionszertifikaten haben wir momentan in Großbritannien einen Mindestpreis von 23 Euro. Frankreich wird nächstes Jahr einen Mindestpreis einführen, der ungefähr bei 30 Euro pro Zertifikat, also pro Tonne CO2, liegt. Wenn Großbritannien in der EU bliebe – was wir wollen – und wir in Deutschland einen Mindestpreis festlegten, dann hätten die drei Großen – Großbritannien, Frankreich und Deutschland – einen Mindestpreis und könnten ihn damit auch international, auf europäischer Ebene, verankern. Warum sperren Sie von der CDU/CSU sich gegen diesen europäischen Mindestpreis? Mit den beiden anderen Ländern könnten wir es machen. Deutschland ist jetzt beim Mindestpreis auf EU-Ebene der Blockierer und nichts anderes. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Die Herzkammer der europäischen Klimapolitik ist der europäische Emissionshandel. Wir brauchen keine nationalen Mindestpreise, die von den einzelnen Mitgliedstaaten auch noch unterschiedlich hoch festgelegt werden. (Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/CSU]) Wir setzen darauf, dass wir den Emissionshandel durchaus ehrgeizig reformieren. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Emissionshandel haben Sie kaputtgemacht!) Sie wissen, dass momentan in einem Gesetzgebungsverfahren auf europäischer Ebene die Reform des Emissionshandels verhandelt wird. Wir brauchen einen funktionierenden, marktbasierten Emissionshandel, aber wir müssen gleichzeitig dafür sorgen, dass durch Carbon-Leakage-Effekte keine Arbeitsplätze bei uns in Deutschland gefährdet werden. Vielmehr geht es darum, den Klimaschutz auf europäischer Ebene insgesamt voranbringt. Wie gesagt: Wenn man auf nationaler Ebene noch zusätzliche Instrumente schafft, dann führt das zu einer Benachteiligung der Unternehmen in dem jeweiligen Mitgliedsland. Es führt dazu, dass Emissionszertifikate aus Frankreich oder Großbritannien frei werden, die dann von Polen oder Ländern in Südeuropa genutzt werden. Ich frage mich: Was bringt das im Ergebnis dem Klimaschutz? Es bringt dem Klima nichts, es schadet ihm sogar. Deswegen setze ich auf eine Stärkung des Emissionshandels insgesamt, und zwar auf europäischer Ebene. Ich setze darauf, dass sich die Bundesregierung intensiv in den Prozess einbringt und eine eigene Position in Bezug auf faire Carbon-Leakage-Mechanismen entwickelt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Arno Klare [SPD]) So weit meine Antwort auf Ihre Frage. Ich möchte in meiner Rede fortfahren und den Unterschied zwischen einem nationalen Klimaschutzgesetz, wie Sie es wollen, und den Maßnahmen, die wir auf den Weg bringen, darstellen. Wir wollen Klimaschutz, der alle Sektoren mitnimmt. Wir wollen Klimaschutzmaßnahmen, die Umweltinnovationen auslösen und Arbeitsplätze schaffen. Wir möchten die Klimaschutzmaßnahmen nicht durch auf nationaler Ebene verhängtes Ordnungsrecht gefährden. Wir möchten Anreize für den Klimaschutz schaffen. Wir möchten Technologieneutralität. In diesem Sinne bringen wir uns weiterhin in den Prozess ein. Wir brauchen auch einen funktionierenden Emissionshandel. Wir müssen unsere Anlagen, die zu den effizientesten gehören, bei uns behalten. Eine Abwanderung unserer Anlagen ginge Hand in Hand mit der Abwanderung von Forschung und Entwicklung. Das ist kontraproduktiv. Deswegen noch einmal mein Appell: Wir brauchen praxistaugliche und gerechte Carbon-Leakage-Regeln. Wir hoffen, dass sich die Bundesregierung jetzt wirklich konstruktiv in den Prozess auf europäischer Ebene einbringt. (Beifall bei der CDU/CSU) Als Letztes möchte ich in meiner Rede auf eine Reihe von Äußerungen der Opposition der letzten Wochen zum Thema EEG eingehen; auch vorhin ging es um die Energiewende. Da ist von einem Ausbremsen usw. die Rede. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist ja auch so!) Von einem Ausbremsen kann nicht die Rede sein. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!) In den letzten zwei Jahren ist der Anteil der erneuerbaren Energien um 7,4 Prozent gewachsen, so viel wie nie zuvor. Ich frage mich – eben war Kollege Trittin noch hier –, ob Sie Ihre eigenen Ziele, die Sie sich damals gesetzt haben, auch so erreicht haben wie wir. Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin, entschuldigen Sie bitte. Ich wollte Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage oder einen Kommentar von Frau Bulling-Schröter zulassen. Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Ich würde diesen Gedanken zu den erneuerbaren Energien ganz gerne fortführen – Vizepräsidentin Claudia Roth: Gut. Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): – und dann zum Ende meiner Rede kommen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Genau. Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Von einem Ausbremsen kann nicht die Rede sein. Man muss dazusagen: In diesem Jahr liegt die EEG-Umlage bei rund 7,5 Cent, nächstes Jahr soll sie bei rund 8 Cent liegen, mit Mehrwertsteuer entspricht das rund 10 Cent. Das bedeutet für eine vierköpfige Familie Mehrkosten von 500 Euro pro Jahr. Das ist wahrlich kein Pappenstiel. Sie schlagen nun die Abschaffung der Deckelungsregelung und den Erhalt der festen Einspeisevergütung vor. Die Folge wäre letztendlich eine Preisexplosion, und dann käme es – das wollen wir alle nicht; denn wir wollen die Energiewende, und wir wollen die Bürger mitnehmen – zu einem Akzeptanzverlust bei den Bürgerinnen und Bürgern. Das können auch Sie nicht wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich komme zum Schluss meiner Rede. Klimaschutz ist eine der wichtigsten Herausforderungen unseres Jahrhunderts; so möchte ich das als Klimapolitikerin formulieren. Ich sage Ihnen: Wir nehmen diese Herausforderung gerne an. Wir handeln und machen Klimaschutzpolitik mit Augenmaß. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin Weisgerber. – Die nächste Rednerin: Sabine Leidig für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Leidig (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuschauerinnen und Zuschauer! Die Grünen fordern ein verbindliches Klimaschutzgesetz. Das ist sicher richtig. Wir brauchen ein solches Gesetz, weil wir in Sachen Klimaschutz keineswegs Vorreiter sind, wie es hier immer tönt. Es ist auch richtig, dass konkrete Maßnahmen in verschiedenen Politikfeldern verankert werden müssen. Die Debatte hier zeigt aber auch, dass der Klimawandel keineswegs ein Umweltproblem ist, dass es auch nicht um die Zukunft der Erde geht, sondern um die Zukunft unserer Gesellschaft und darum, wer die Folgen und die Lasten des Klimawandels zu tragen hat, und darum, ob wir zulassen, dass immer die Gleichen die Bestimmer und die Gewinner sind. Wir als Linke wollen das nicht. (Beifall bei der LINKEN) Wir wollen, dass es einen sozial-ökologischen Umbau dieser Gesellschaft gibt. Wir wollen, dass über Verteilungsfragen geredet wird, über die Frage, wie Konzerne, die dafür sorgen, dass wir immer noch Braunkohle verbrennen und immer mehr Autos in unseren Städten und immer mehr Lkws auf unseren Autobahnen haben, entmachtet werden können. Wir müssen eine Umkehr organisieren. Das wird nicht mit den Spitzen der Automobilkonzerne gehen. Frau Hendricks, Sie haben von verantwortungsvollem Management in den Automobilkonzernen gesprochen. Ich bitte Sie, wo leben Sie denn? Diese Automobilindustriemanager haben zusammen mit dieser Bundesregierung dafür gesorgt, dass es in Europa keine sinnvollen, deutlich reduzierten CO2-Abgasnormen für Autos gibt. Man kann das in der Süddeutschen nachlesen. Dort ist Schritt für Schritt dokumentiert, wie die Deutsche Umwelthilfe und andere Verbände ausgebootet wurden und wie die Kanzlerin auf europäischer Ebene praktisch dafür gesorgt hat, dass die deutsche Automobilindustrie auch weiterhin große, dicke Autos bauen und exportieren kann. Das ist das Gegenteil von verantwortlicher Mobilitätspolitik. Dagegen muss man ernsthaft Politik machen. (Beifall bei der LINKEN) Jetzt sind Sie auf die glorreiche Idee gekommen, eine Kaufprämie für Elektroautos einzuführen. Das läuft unter der Überschrift „Klimaschutz“. Das ist völlig absurd. Jeder, der sich ein bisschen damit beschäftigt, weiß, dass die Tatsache, dass zusätzlich Elektroautos auf unseren Straßen fahren, überhaupt nichts zum Klimaschutz beiträgt. Man könnte fast sagen: Im Gegenteil. Erstens wissen wir, dass das Zweitwagen sein werden. Es wird also kein einziges normales Auto stattdessen abgemeldet werden. Zweitens wissen wir aus Norwegen, dass die Leute, die ein Elektroauto haben, 80 Prozent weniger den öffentlichen Nahverkehr nutzen. Warum? Weil sie das Gefühl haben: Jetzt ist ja alles öko, jetzt kann ich ja auch mein Auto nehmen. – Das stimmt aber nicht. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Also keine E-Mobilität? Das ist falsch, oder wie? Was denn jetzt?) Für die Produktion von Elektroautos muss mehr Energie aufgewendet werden als für die Produktion von normalen Autos, und wenn man sich anschaut, mit welchem Strommix sie fahren, muss man sagen: Im Endeffekt ist die CO2-Bilanz von Elektroautos nicht besser. Das heißt, das ist ein Riesenplacebo. Sie geben 600 Millionen Euro aus, um eine Automobilindustrie zu pampern, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die auch 600 Millionen zahlen muss!) die wirklich großen Schaden für diese Volkswirtschaft und den sozial-ökologischen Umbau verursacht hat, und Sie sorgen dafür, dass sich einige Besserverdienende ein ökologisches Feigenblatt anschaffen können. Wir sind dagegen. Wir wollen, dass mit diesem Geld wirklich der Umbau der Mobilität für alle finanziert wird. (Michael Donth [CDU/CSU]: Die Linke gegen Elektromobilität! Bravo!) Was könnte man machen? Man könnte mit 600 Millionen Euro beispielsweise 4 300 Kilometer Fahrradwege bauen. (Michael Donth [CDU/CSU]: Oh!) Das Volksbegehren in Berlin hat gezeigt, dass die Leute genau das wollen. Innerhalb von dreieinhalb Wochen haben 105 000 Menschen unterschrieben, dass sie einen sehr systematischen Umbau der Stadt wollen, sodass sowohl Kinder als auch alte Leute sicher und in Ruhe Fahrrad fahren können. Damit tragen sie ungleich viel mehr zum Klimaschutz bei als mit den allertechnokratischsten Modellen, die Sie sich überlegen können. Sie tragen damit übrigens auch dazu bei, dass die Lebensqualität in den Städten besser wird. Sie tragen auch dazu bei, dass es gute Arbeit gibt. Gute Arbeitsplätze in der Verwaltung werden gefordert. Der öffentliche Dienst in Berlin ist kaputtgespart worden. Wenn man vernünftige Strukturen für das Fahrradfahren entwickeln will, wenn man Stadtumbau machen will, braucht man mehr Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Natürlich braucht ein solcher Umbau auch Baufirmen und Unternehmen, die genau das organisieren. Mehr Fahrräder werden auch gebraucht. Wenn es Ihnen wirklich darum gehen würde, die Beschäftigten in der Automobilindustrie zu unterstützen, dann würden Sie einen Umbaufonds einrichten. Dann würden Sie die 7 Milliarden Euro, die Sie nutzen, um Diesel zu subventionieren, dort einzahlen und den Leuten, den Gewerkschaften und den Beschäftigten, sagen: Überlegt euch, wie man das Geld so einsetzen kann, dass niemand arbeitslos wird, dass es vernünftige Perspektiven gibt und dass Arbeitszeitverkürzungsmodelle subventioniert werden. Da gibt es gute Erfahrungen. Aber so weiterzumachen und die Automobilmanager weiter am Ruder zu lassen und ihnen neue Geschäftsfelder zu ermöglichen, das ist der falsche Weg. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Keine Autos, nur Fahrräder!) Wir schlagen Alternativen vor. Ich hoffe, dass wir in dieser Richtung irgendwann einmal einen Schritt weiterkommen. Danke. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollegin Leidig. – Für die SPD: Frank Schwabe. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Frank Schwabe (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren! Ich glaube, es ist in der Debatte deutlich geworden: Wir sind mittendrin in einem Veränderungsprozess von einer unglaublichen Dimension. Diese Dimension haben wir alle wahrscheinlich noch gar nicht verstanden. Wir verändern unsere Art, Energie zu produzieren. Wir werden in der Tat Industrie anders organisieren, nicht weniger, aber wir werden ganz andere Prozesse brauchen und ganz andere Produkte erzeugen. Wir werden uns anders fortbewegen müssen. Der Verkehr wird sich dramatisch verändern müssen. Wir werden auch dramatische Veränderungen in der Landwirtschaft brauchen, um unsere Klimaziele zu erreichen. In all dem liegen Chancen und Risiken. Es ist unsere Aufgabe, dies zu gestalten. Es ist völlig klar: Mit der Klimakonferenz in Paris sind diese Prozesse nicht nur in Deutschland, sondern weltweit unumkehrbar geworden. Wir reden über das Jahr 2050, wenn wir über den Klimaschutzplan oder Klimaschutzgesetze reden. Das ist in 34 Jahren; das ist eine enorme Zeit. In dieser Zeit ist manches möglich. Es gibt manche Technologiesprünge, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. Trotzdem ist es die Verantwortung von uns allen, hier heute die Grundlage für eine solche Politik bis zum Jahr 2050 zu legen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Zwei Dinge sind nach Paris klar geworden. Zwei Prinzipien funktionieren nicht. Das eine ist das Vogel-Strauß-Prinzip, also den Kopf in den Sand zu stecken und zu sagen, dass nichts gewesen ist. Es gibt ein paar, die das so sehen. Ich habe beim Wirtschaftsrat der CDU so etwas gelesen, aber ich nehme an, dass das nicht handlungsleitend für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist. Das Zweite, das nicht funktioniert, ist, zu sagen: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Man kann nicht über das jubeln, was in Paris erreicht wurde, und am Ende nicht bereit sein, die nationalen Konsequenzen zu tragen. Wenn man eine Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 2 Grad Celsius – besser noch 1,5 Grad Celsius – will, dann ist es eine Frage der Mathematik, zu schauen, was das für die einzelnen Nationalstaaten heißt, was das zum Beispiel für die Bundesrepublik Deutschland heißt. Ich kann von dem, was Kollege Jung hier vorhin gesagt hat, alles unterstreichen. An einer Stelle würde ich aber ein Stück wegstreichen. Ich glaube, das hast du aber schon richtig intoniert. Du hast gesagt: Wir brauchen eine Reduktion um 95 Prozent. Dann hast du noch hinterhergeschoben: bis 80 Prozent. – Das sind die Ziele, die wir einmal aufgeschrieben haben. Wenn man aber Paris und die Verantwortung Deutschlands ernst nimmt, dann ist völlig klar, dass es mindestens 95 Prozent sein müssen; denn sonst können wir unseren Verpflichtungen nicht nachkommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In der deutschen Klimapolitik haben wir sozusagen mehrere Phasen gehabt. Wir hatten eigentlich immer ganz gute Ziele. Für diese haben wir gemeinsam gestritten, übrigens auch in allen unterschiedlichen Bundesregierungen. Zum Beispiel ist das Ziel von minus 40 Prozent bis zum Jahr 2020 entstanden. Wir hatten auch entsprechende Programme. Sie waren aber manchmal nur mittelgut. Das hat man erkannt, wenn man sie sich im Detail angesehen hat. Miserabel war aber der Prozess der Überprüfung. Er war miserabel, weil es schwierig ist, sich irgendwann einzugestehen, ob wir auf dem Weg zur Erreichung des Ziels auf Linie sind oder nicht. Deswegen, finde ich, gilt der gesamte Dank des Hauses – ich habe das schon ein paar Mal gesagt; ich kann das nur wiederholen – Ministerin Hendricks, die dafür gesorgt hat, dass wir jetzt endlich Monitoring-Prozesse haben. Ich würde sie Mrs Monitoring nennen. (Beifall bei der SPD) Denn das wird, glaube ich, am Ende von dem übrig bleiben, was sie für die deutsche Klimaschutzpolitik erreicht hat. Jetzt geht es um zwei zentrale Pläne. Das eine ist das Klimaschutzprogramm 2020: minus 40 Prozent. Das andere ist das, was gerade von der Bundesregierung erarbeitet wird: der Klimaschutzplan 2050. Die Sozialdemokratie hätte sich ein Gesetz vorstellen können. Das stand in unserem Wahlprogramm. Am Ende haben wir uns auf einen Plan geeinigt. Das heißt, am Ende wird der Deutsche Bundestag nicht darüber entscheiden, sondern das wird die Bundesregierung tun. Aber es hilft nichts: Am Ende muss es ein Konzept sein, das den nationalen Zielen gerecht wird. Das wird gerade in der Bundesregierung erarbeitet und im Kabinett wahrscheinlich in Kürze beschlossen. Unser gemeinschaftliches Signal aus dem Bundestag muss sein: Wir wollen einen Klimaschutzplan, der in der Tat in einzelnen Bereichen Maßnahmen vorsieht, die vielleicht dem einen oder anderen nicht gefallen. Wir wollen aber, dass er sich am Ende am Reduktionsziel von minus 95 Prozent orientiert. Deswegen sind wir partei- und fraktionsübergreifend der Meinung, dass die Ministerin unsere gesamte Unterstützung hat, wenn ein solcher Plan entsprechend aufgelegt wird. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Herrn Krischer? (Heiterkeit bei der SPD – Zuruf von der SPD: Da freut er sich aber!) Frank Schwabe (SPD): Ah ja. Vizepräsidentin Claudia Roth: Wenn Sie wollen; das ist Ihre Entscheidung. Frank Schwabe (SPD): Ja. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Schwabe, herzlichen Dank für die klaren Aussagen, was 2050 angeht. Sie haben aber zwischendurch in einem Satz gesagt, es gehe auch um das Ziel 2020. Die Große Koalition hat gearbeitet. Wir beschließen jetzt noch ein paar Gesetze, die eher in die falsche Richtung gehen, Stichwort EEG morgen. Mich interessiert: Glauben Sie mit Blick auf die Politik dieser Bundesregierung, dass das Klimaschutzziel 2020 bei der großen Lücke, die Sie beschrieben haben, noch erreichbar ist? Frank Schwabe (SPD): Darüber hätte ich ein bisschen länger reden können. Aber die Ministerin hatte ein bisschen überzogen. Da war eine Minute bei mir weg. Aber danke, dass ich das jetzt nachholen darf. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das ist gar keine Frage des Glaubens, sondern das ist eine Frage der Ziele und der Wege, wie man Ziele erreicht. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erreichen Sie dieses Ziel?) Natürlich ist das schwierig – das weiß jeder –: Wenn ich sage, das alles sei wunderbar und werde mit Leichtigkeit erreicht, ist das völliger Quatsch. Aber wir haben ein nationales Reduktionsziel, das übrigens schon aus dem Jahr 2007 und ziemlich alt ist. Wir hatten lange Zeit, uns sozusagen diesem Ziel zu nähern. Das ist wahnsinnig schwer zu erreichen. Wenn es aber eine Chance gibt, das zu erreichen, liegt sie darin, jedes Jahr nachzuschauen: Wo sind wir auf dem Weg der Zielerreichung? Dann ist die Gelegenheit, das heftig zu diskutieren. Die Opposition wird Vorschläge machen, aber auch die Bundesregierung muss Vorschläge machen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Halten Sie das Ziel für erreichbar mit dieser Politik?) Jedes Jahr muss überprüft werden, ob das Ziel erreicht wird. Wir wollen, dass das Ziel erreicht wird. Wenn wir nicht auf dem Weg der Zielerreichung sind, muss es neue Maßnahmen einer Bundesregierung geben, die hier im Bundestag beschlossen werden müssen. (Beifall bei der SPD – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war noch keine Antwort! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Schwabe glaubt offensichtlich selbst nicht mehr daran!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frank Schwabe. – Der nächste Redner für die CDU/CSU: Matern von Marschall. (Beifall bei der CDU/CSU) Matern von Marschall (CDU/CSU): Verehrte Frau Präsidentin, herzlichen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Grünen haben an sich völlig recht, lieber Kollege Hofreiter, mit dem Inhalt des Antrages, dass echter Klimaschutz heute beginne. Ganz recht haben sie aber nicht; denn er hat schon längst begonnen. Wir haben etwa mit Blick auf die internationale Unterstützung beim Klimaschutz die Mittel in der letzten Dekade auf unterdessen fast 2,5 Milliarden Euro erhöht. Das ist eine Verfünffachung der Mittel für den Klimaschutz in zehn Jahren. Wir sind also nicht erst heute dabei, sondern wir arbeiten schon lange auch im internationalen Bereich am Klimaschutz. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Frank Schwabe [SPD]) Herr Hofreiter hat zu Beginn suggeriert, die Industrie habe Angst um Arbeitsplätze im Zusammenhang mit dem Klimaschutz. Das ist überhaupt nicht zutreffend. Vielmehr werden für Arbeitsplätze sowohl bei uns wie auch in den Ländern, in denen wir mit Unterstützung aus dem BMZ Klimaschutz wirksam durchsetzen, natürlich sehr umfangreiche Mittel eingesetzt. Schauen Sie: Ein besonders gutes Beispiel – das habe ich mir heute Morgen noch angeschaut – ist in Marokko der Solarpark Ouarzazate. Das ist ein unglaubliches Projekt, das Sie sich mal anschauen müssen. Das ist ein sogenanntes Parabolrinnenkraftwerk und nicht zu vergleichen mit den Photovoltaikanlagen, die wir üblicherweise kennen, sondern das sind riesengroße Spiegel, die auf einen zentralen Punkt hin ausgerichtet werden. Dieser zentrale Punkt enthält eine Turbine. Diese Turbine ist von Siemens gebaut. Die 500 000 – stellen Sie sich das einmal vor: 500 000! – Parabolspiegel, die auf diese Turbine ausgerichtet sind und das Licht konzentrieren, kommen aus Bayern, von der Firma Flabeg. (Beifall des Abg. Klaus Mindrup [SPD]) Das ist doch ganz beachtlich. Das ist ein gutes Zusammenspiel zwischen Förderung von Arbeitsplätzen in Deutschland und erfolgreichem Klimaschutz, der dort auch zur Schaffung von Arbeitsplätzen dient. Ich bin ja häufig und mit vielen Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen bei Klimaschutzprojekten – auch mit Frau Kollegin Höhn, aber sie liest gerade; dabei will ich sie nicht stören –, (Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die wir weltweit unterstützen, vor Ort gewesen. Wichtige Fragen waren da immer: Sind diese Dinge nachhaltig? Ist es also nicht einfach nur ein Investment, das nichts bringt, sondern nützt es auch den Menschen vor Ort? Gerade in Bezug auf dieses Solarprojekt in Marokko hören wir von NGOs, etwa von Germanwatch: Jawohl, auch die Menschen dort sind glücklich damit. – Es ist wichtig, dass wir eben nicht nur einfach irgendwo Geld ausgeben, sondern auch wissen, dass das für die örtliche Bevölkerung von einer nachhaltigen Bedeutung ist, dass sie es positiv sieht und mitgenommen wird. Auch das gelingt dort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das heißt, wenn wir diesen Ansatz verfolgen (Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) – Frau Kollegin Baerbock, das will ich noch kurz zu Ende bringen; dann kommt Ihre Frage, aber auch herzlich gerne –, dann haben wir das, was in die Zukunft ausgerichtet die wesentliche Präambel unseres politischen Handelns sein muss, nämlich das Prinzip der Nachhaltigkeit. Denn der Pariser Klimaschutzvertrag ist eben nicht isoliert von dem zu sehen, was wir im September 2015 in New York verabredet haben, nämlich die Sustainable Development Goals. Wir nennen das vielleicht besser – damit ist es etwas griffiger – den Weltzukunftsvertrag. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung der Kollegin Baerbock? (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hatte mir schon das Wort erteilt!) Matern von Marschall (CDU/CSU): Ja, ich hatte an sich schon kurz angedeutet, dass ich das gerne machen würde. Vizepräsidentin Claudia Roth: Aber Sie haben ja geredet. Ich wollte Sie nicht unterbrechen. Matern von Marschall (CDU/CSU): Ja, genau. – Also, bitte schön, Frau Kollegin. Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Er hatte mir ja netterweise schon das Wort erteilt. – Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Sie sind ja explizit auf die nachhaltigen Projekte, die wir alle befürworten, eingegangen. Aber wir wissen, dass es bei der Auslandsfinanzierung nicht so ist, dass das Geld überall sprudelt, sondern dass man Prioritäten setzen muss. Sie sagten, wie wichtig diese nachhaltigen und grünen Projekte sind. Auch Sie wissen ja, dass – dieses Unternehmen haben Sie angesprochen – Siemens, gefördert von der KfW IPEX-Bank, nach wie vor auf der einen Seite einen wunderbaren Solarpark errichtet und auf der anderen Seite zum Beispiel beim Kohlekraftwerk in Südafrika als Zulieferer beteiligt ist. Deswegen meine Frage: Wenn Sie es mit der Nachhaltigkeit in der Auslandsfinanzierung ernst meinen, werden Sie sich dann dafür einsetzen, dass wir zukünftig von der Auslandsfinanzierung fossiler Projekte Abstand nehmen, und wird das auch im Klimaschutzplan der Bundesregierung bzw. des jetzigen Umweltministeriums auftauchen? Denn bisher fehlt das dort ja leider vollends. Matern von Marschall (CDU/CSU): Frau Kollegin Baerbock, ich werde mich bestimmt dafür einsetzen – da können Sie ganz sicher sein und mich daran auch erinnern –, dass wir, soweit es geht und so schnell es geht, auf die Förderung von Projekten, die auch im Sinne des Klimaschutzes nicht nachhaltig sind, verzichten. Wenn es sich um Projekte handelt, die einstweilen in einer auslaufenden Phase gefördert werden, die also nicht vollständig CO2-frei sind, dann wird natürlich auf jeden Fall und vor allen Dingen darauf geachtet werden müssen, dass es sich um Projekte handelt, die ein effizienterer Ersatz für eine vorher schmutzige oder noch schmutzigere Technologie sind. Aber die Zielrichtung ist – da haben Sie vollkommen recht –, die Förderung von Projekten aus Fossilen auslaufen zu lassen und nur noch Erneuerbare zu fördern. Wenn das Ihre Frage beantwortet: Dafür werde ich mich sicher gerne auch künftig starkmachen. (Beifall der Abg. Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich möchte ganz kurz klarmachen, worum es in der Zusammenschau geht. Erinnern wir uns einen Moment daran, wo wir stehen geblieben waren: In Marokko geht es nicht nur um den Einsatz von Mitteln aus dem Bundeshaushalt. Ich hatte ja erwähnt: Unterdessen sind es im Bereich des Klimaschutzes 2,3 Milliarden Euro, die aus dem BMZ kommen. Damit kommen 90 Prozent dessen, was wir international in den Klimaschutz investieren, aus dem BMZ, und wir sind dort übrigens global führend. Das darf man an dieser Stelle auch noch einmal sagen. Das heißt, wir sind gut. Wir müssen und können natürlich noch besser werden, aber wir sind schon auf einem ganz ordentlichen Niveau. Ich glaube, es ist sehr wichtig, zu erkennen, dass die Chancen, die wir mit der Entwicklung der erneuerbaren Energien in Drittstaaten – auch außerhalb der Europäischen Union – eröffnen, in Form von sauberem Strom, der zu uns zurückfließt, auch uns zugutekommen können. Das entsprechende Kraftwerk hat eine Größe von 4 000 Fußballfeldern und eine Leistung von 500 Megawatt und kann den produzierten Strom in die Europäische Union exportieren, sodass erneuerbare Energien von außerhalb der EU in die EU hineinkommen. Dazu muss aber – damit möchte ich als Europapolitiker zum Schluss kommen – vor allen Dingen beim Netzaufbau innerhalb der Europäischen Union auch eine Kohärenz gegeben sein. Das ist unter dem Stichwort „Energieunion“ thematisiert worden. Ich glaube, daran wird im europäischen Kontext sehr stark und schnell zu arbeiten sein, weil wir nur dann den günstig produzierten Strom aus Photovoltaik- oder Parabolanlagen im Süden auch wirklich in den Norden bekommen, und das ist das Beste, was wir für die Arbeitsplätze dort und für marktgerechte und günstige Strompreise bei uns tun können. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner: Klaus Mindrup für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Klaus Mindrup (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es gut, dass wir heute über eine lang angelegte Politik diskutieren. Das ist in diesen hektischen und kurzatmigen Zeiten sehr sinnvoll. Wir brauchen einen ehrgeizigen Klimaschutzplan 2050, und ich bin der Bundesumweltministerin, Frau Dr. Hendricks, dankbar, dass sie Anfang des Jahres einen breiten Bürgerdialog durchgeführt hat. Wir haben die Schwarmintelligenz unserer Bevölkerung genutzt, und ich kann nur sagen: Die Vorschläge, die dort aufgeschrieben wurden, werden uns noch über Jahre begleiten und sind gutes Material für unsere weitere Arbeit. Ich bin auch dankbar, dass es einen Klimaschutzplan 2050 der deutschen Zivilgesellschaft gibt. Organisationen wie Brot für die Welt, Greenpeace, BUND, WWF und FÖS haben super Ideen aufgeschrieben. Das sollten wir als Material für unsere Arbeit nutzen. Ich gehöre nicht zu den Kolleginnen und Kollegen, die der Meinung sind, man brauche in der Politik keine Visionen. Heute Morgen bin ich, wie fast jeden Tag, durch meinen Wahlkreis gejoggt, den Prenzlauer Berg, und ich habe mir überlegt, wie er eigentlich im Jahre 2050 aussehen wird. Was passiert bis dahin? Ich bin ganz fest davon überzeugt, dass wir dann mehr Grün im Stadtteil haben werden, weil Grün die Luft reinigt, weil Grün für Abkühlung in der Stadt sorgt. Es werden vielleicht nicht mehr Grüne sein – das ist aber ein anderes Thema –, aber es werden auch grüne Produktionen in die Stadt ziehen müssen. Wir werden in 2050 keine Autos mehr haben, die mit Benzin oder Diesel betrieben werden. Wir werden Autos zwar nicht verbieten, aber wir werden andere Antriebe haben – das hat die Umweltministerin schon gesagt –, und ich bin der Auffassung, dass wir in der Stadt ein anderes Mobilitätsverhalten haben werden: Carsharing, Ausbau des ÖPNV, natürlich mehr Fahrräder – auch elektrisch betriebene. 2050 werde ich wahrscheinlich ein elektrisch betriebenes Fahrrad brauchen. Es wird in den Städten mehr Eigenerzeugung – Stichworte: Photovoltaik, Brennstoffzellen, Wärme- und Kältespeicher – geben, und wir werden die Produktion in die Städte ziehen, zum Beispiel 3-D-Druck mit umweltfreundlichen Materialien. „Cradle to Cradle“ ist hier ebenfalls ein wichtiges Stichwort. Für mich ist das keine Zukunft, vor der man Angst haben muss. Angst müsste man davor haben, wenn wir jetzt nicht entschieden handeln würden. Die Warnungen der Klimawissenschaftler sind ernst zu nehmen. Wir haben bereits – das ist heute ja auch schon gesagt worden – die ersten empirischen Hinweise darauf, dass der Klimawandel stattfindet und dass wir deswegen energisch handeln müssen. Es gibt planetare Grenzen. Wir sind – das ist hier im Haus schon mehrfach gesagt worden – die letzte Generation, die den Klimawandel begrenzen kann. Deswegen haben wir eine besondere Verantwortung. Wenn wir über Nachhaltigkeit reden, muss klar sein, dass das oberste und wichtigste Ziel der Nachhaltigkeit die Einhaltung der planetaren Grenzen ist. Die Ziele sind nicht gleichrangig; das muss ganz klar sein. Ich muss an dieser Stelle auch an die Verantwortung der Bundeskanzlerin appellieren. Es ist richtig: Sie hat sich an die Spitze des Klubs der Ambitionierten in Paris gestellt. Wir müssen aber tatsächlich handeln und brauchen dafür auch die Unterstützung der großen Volkspartei CDU, deren Vorsitzende sie ist, und keine Schüsse gegen den Klimaschutzplan, die im Augenblick von der Seite kommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die SPD hat ein Klimaschutzgesetz gefordert. In dieser Koalition hat man sich erst einmal auf einen Klimaschutzplan 2050 geeinigt, der durch das Kabinett gehen wird. Aber ich bin auch der Auffassung, dass der Klimaschutz in der nächsten Wahlperiode wieder auf den Tisch gehört; denn Klimaschutz ist eine Aufgabe des Parlaments, und wir müssen das Parlament stärken. Wir stehen vor einem tiefgreifenden Strukturwandel. Der BDI sagt dazu, dass wir uns in diesem Zusammenhang vor Nachteilen fürchten müssen. Ich sage: Wir müssen uns davor nicht fürchten. Im Augenblick geben wir 90 Milliarden Euro für Energie aus, nämlich für Importe von fossilen Energien. Wenn wir dieses Geld im Land für Energieeffizienz und erneuerbare Energien nutzen, schaffen wir mehr Arbeitsplätze vor Ort. Das ist wichtig: Wertschöpfung und Arbeitsplätze vor Ort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die größte Gefahr für den Klimaschutz ist das kurzfristige Denken. Bei Konzernen geschieht das oftmals im Rhythmus von Quartalsberichten, also alle drei Monate. Da sind Familienunternehmen und auch Gewerkschaften wie die IG Metall weiter. Die Konzerne müssen aufpassen, dass sie nicht die Zukunft verschlafen. Es ist eben schon gesagt worden: Nicht die Politik regelt alles, sondern auch der Markt. Wir haben gesehen, wie unsere großen Stromkonzerne in schwieriges Fahrwasser geraten sind. Was passiert, wenn auch die Automobilunternehmen die Zukunft verschlafen? Auch sie müssen handeln, nicht nur durch unsere Gesetze, sondern auch durch die Reaktion der Verbraucher. Wir werden im Jahr 2050 keine fossilen Brennstoffe mehr nutzen können. Öl, Kohle und Gas werden dann in der Erde bleiben müssen. Damit richten wir auch keinen Schaden in der Atmosphäre an. Das ist gut so. Ich finde es gut, dass wir morgen ein Verbot für das Schiefergas-Fracking in Deutschland beschließen werden. Das ist ein wichtiger Schritt und ein wichtiges Signal: Es muss nicht alles aus der Erde geholt werden, was in der Erde ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich komme nun zum Ende. Es gibt das schöne Zitat – ich weiß gar nicht, von wem es kommt –: Die Steinzeit ist nicht aus einem Mangel an Steinen zu Ende gegangen. – Das Ölzeitalter wird auch nicht an einem Mangel an Öl zu Ende gehen. Wir können handeln. Wind und Sonne sind kostengünstig und gehören allen. Diese Energieformen müssen wir nutzen. Dann haben wir eine gute Zukunft. Der Klimaschutz ist dann für alle gut und bezahlbar. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wahnsinnig originell!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Mindrup. – Nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion: Dr. Herlind Gundelach. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Klimaschutz – ich denke, darin sind wir uns einig – gibt es nicht erst seit dem Abkommen von Paris. Seit Jahrzehnten treiben wir den Klimaschutz in Deutschland, in Europa und in der Welt voran. Paris ist allerdings ein Meilenstein – das haben wir heute schon mehrfach gehört –, aber nicht nur für die deutsche Politik. Paris ist ein Zeichen für mehr Klimaschutz in der ganzen Welt. Dieser Umstand und auch diese Erkenntnis sind relevant für die Weiterentwicklung unserer nationalen Klimapolitik. Bei uns macht sich immer wieder – manchmal leicht versteckt, manchmal etwas offener – die Haltung breit – über die Motive will ich jetzt gar nicht spekulieren –, dass Deutschland dem Klimawandel auch alleine begegnen oder als Vorreiter vorangehen könnte, während wenige andere folgen. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer sagt das denn? Niemand sagt das!) – Das kommt immer wieder. – Wenn ich mir den Antrag der Grünen so durchlese, dann kann ich nur sagen: Das ist zum Teil offensichtlich auch ihre Auffassung. Ich bin in der Zwischenzeit seit über drei Jahrzehnten in der Politik und habe zeitweise in dem gleichen Haus gearbeitet, das jetzt den Klimaschutzplan entwickelt. Meine Umweltminister hießen Töpfer und Merkel. Beiden gemein war die Erkenntnis, dass Klimaschutzpolitik nur im internationalen Maßstab wirklich erfolgreich gestaltet werden kann. Wir als schwarz-rote Koalition haben daher aus gutem Grund im Koalitionsvertrag festgehalten, dass wir den Klimaschutz europäisch denken und dass unser zentrales Instrument – der Kollege Jung hat das schon gesagt – im Kampf gegen den Klimawandel der europäische Emissionshandel ist. Deswegen möchte ich hier ausdrücklich mit einer immer wiederkehrenden Fehlinterpretation aufräumen. Der europäische Zertifikatehandel gibt dem klimaschädlichen CO2 einen Preis, zugegebenermaßen im Augenblick nur einen sehr geringen. Das ändert aber nichts daran, dass die Emissionen im vereinbarten Maße zurückgehen, auch wenn der Ertrag für die öffentliche Hand geringer ist als erwartet und deswegen aus Steuergeldern in einem Fonds nachgesteuert werden muss. Insofern entfaltet der europäische Emissionshandel durchaus seine Wirkung für den Bereich, für den er gedacht ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Diese europäische Lösung, der wir alle in diesem Hause zugestimmt haben, führt aber zu einem Problem, wenn wir im gleichen Feld eigene rationale Lösungen einführen wollen. Alles, was wir zusätzlich einsparen, kann an anderer Stelle – auch das ist schon mehrfach gesagt worden – wieder verbraucht werden, direkt oder mit einer gewissen Verzögerung. Das heißt, eine zusätzliche deutsche Maßnahme in Sektoren, in denen der Zerfitikatehandel wirkt, hätte keinen Effekt auf die insgesamt für diesen Bereich zur Verfügung stehende Menge an CO2. Ich glaube, das kann man nicht häufig genug betonen. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die Energiewende, ein wichtiger Baustein in der Klimapolitik, hat noch immer eine große Unterstützung in der Bevölkerung. Aber wenn wir ehrlich sind, stellen wir fest: Diese hat in den vergangenen Monaten durchaus gelitten. Hintergrund ist: Die gestiegene EEG-Umlage, die Kosten für den Netzausbau, der Netzausbau insgesamt, Mangel an Netzanschlüssen, zu wenig Marktwirtschaft und zu viel Planwirtschaft sowie steigende Redispatch-Kosten fordern durch dramatisch gestiegene Kosten ihren Tribut. Ähnliches kann uns auch – darauf möchte ich hinweisen – bei einer falschen und vermeintlich gutgemeinten Klimapolitik passieren. Denn Klimapolitik ist – ich glaube, das zeigen auch viele Diskussionen, die wir vor Ort führen – für die meisten Menschen nach wie vor abstrakt und sehr schwer zu fassen. Theoretisch gefragt, unterstützt jeder die Klimapolitik, vor allem wenn das mit so einfachen Fragen wie „Sind Sie für oder gegen Klimaschutz?“ einhergeht. Die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland leisten bereits ihren Beitrag zum Klimaschutz, und zwar auf sehr unterschiedliche Weise. Denn die Durchführung von energieeffizienten Maßnahmen zum Beispiel ist auch Klimaschutzpolitik. Wir haben dazu in Deutschland eine ganze Menge geleistet: Wir haben heute effizientere Kühlschränke, Energiesparlampen, Null-Energie-Häuser und vieles andere mehr. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Super! Super Konjunkturprogramm!) – Ja, und damit wollen wir auch weitermachen. Wenn Sie aber fragen, ob zum Beispiel Mietsteigerungen aufgrund energetischer Sanierung oder der Wegfall bzw. die Verlagerung von Arbeitsplätzen aufgrund höherer Energiekosten akzeptiert werden, käme vermutlich eher eine negative Antwort. Das sollten wir auch und gerade im Interesse des Klimaschutzes zu vermeiden wissen. Deswegen ist für mich ganz wichtig: Wir müssen die Menschen bei unserer Politik mitnehmen, und sie müssen sie verstehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die CDU hat sich 1994 – das ist schon lange her – in ihrem Grundsatzprogramm nach intensiver Diskussion zur ökologischen und sozialen Marktwirtschaft bekannt. Das heißt, wir haben uns zu marktwirtschaftlichen Strukturen mit ökologischen und sozialen Leitplanken bekannt. Das ist auch heute noch unsere Maxime. Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bulling-Schröter? Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU): Im Prinzip ja, aber ich habe momentan wahnsinnige Probleme mit meiner Stimme, (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Sehr seltsam!) und deswegen bin ich froh, wenn ich gut zum Ende komme. (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Logisch! Bei den Grünen hätten Sie es schon erlaubt!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Okay, dann nicht. (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Sehr seltsam!) Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU): Danke. – Denn wir sind eben nicht davon überzeugt, dass Menschen sich aufgrund von staatlichen Vorgaben ändern. Sie ändern ihr Verhalten aus Überzeugung oder aus Eigeninteresse. Und das ist unser Weg: Wir wollen überzeugen und sie durch Anreize dafür gewinnen, den richtigen Weg zu gehen. Das Stichwort NAPE ist heute schon gefallen. Dabei waren wir durchaus erfolgreich. Von 1990 bis 2015 sank der Treibhausgasausstoß um mehr als 27 Prozent. Zeitgleich ist es uns gelungen – auch das möchte ich betonen –, den Anteil der industriellen Bruttowertschöpfung bei rund 23 Prozent zu halten; in Europa beträgt dieser Anteil 17 Prozent. Daraus resultiert nicht zuletzt unsere Wirtschaftskraft. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Energiewirtschaft und die Industrie setzen heute immer stärker auf eine Verzahnung von Energieumwandlung, Industrie, Mobilität, Gebäude, Wärme und flexible Speicherlösungen. Durch Digitalisierungsmärkte werden die Energieeffizienz und die Flexibilität des Energiesystems gestärkt und neue Wachstumsfelder erschlossen. Die Umstellung auf ein intelligentes, effizientes Energiesystem kann allerdings nur gelingen, wenn Planungssicherheit und ein verlässlicher Ordnungsrahmen mit gemeinsamen Standards geschaffen werden, damit Unternehmen für Innovationen Sorge tragen können. Daher sollten nach unserer Auffassung die in den Klimaschutzplan aufzunehmenden Maßnahmen unter folgenden Prüfkriterien ausgewählt werden: Kosten-Nutzen-Analyse, Auswirkung auf die Wettbewerbsfähigkeit und die Arbeitsplätze, Technologieoffenheit, Rechts- und Investitionssicherheit, EU-Kompatibilität und letztendlich auch die Einbettung in ein globales Regime. Ich bin sicher: Wenn wir so vorgehen, dann wird die Regierung einen guten Klimaschutzplan vorlegen und dann brauchen wir Ihr Klimaschutzgesetz definitiv nicht. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin, und gute Besserung für Ihre Stimme. Der nächste Redner: Arno Klare für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Arno Klare (SPD): Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! In vier Minuten kann ich nicht all das sagen, was ich eigentlich gerne sagen würde. Aber ich werde trotzdem anfangen. Ich will über Placebomaßnahmen reden, weil sich die Kritik am Klimaaktionsplan auch darauf bezieht. Ein Placebo ist, wie wir alle wissen, ein Medikament, eine Pille oder ein Therapeutikum, in dem kein Wirkstoff enthalten ist. Im Klimaaktionsplan wurde gefordert: Wir müssen den öffentlichen Personennahverkehr fördern. Als diese Forderung aufgenommen worden ist, waren im Haushalt an Regionalisierungsmitteln 7,299 Milliarden Euro eingestellt. Jetzt steht da „8,2 Milliarden Euro“. Das ist kein Placebo, es ist Verum, ein Medikament, in dem etwas drin ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Parallel dazu haben wir zweitens eine Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung – das ist in der Tat etwas Kompliziertes, das in der Öffentlichkeit nicht sofort in jedem Kopf ankommt – mit der Bahn verhandelt. Für die nächsten fünf Jahre ist danach ein Investitionsvolumen für die Infrastruktur der Bahn von 28 Milliarden Euro vorgesehen. Auch das ist ein Rekordwert. Drittens – da bin ich völlig anderer Meinung als Frau Leidig – haben wir – das ist auch kein Placebo – 1,2 Milliarden Euro – 600 Millionen Euro von der Automobilindustrie und 600 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt – vorgesehen, um die Elektromobilität wirklich auf die Straße zu bringen. Auch das ist ein Betrag, der Wirkung zeigen wird, und kein Placebo. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dazu kommen 300 Millionen Euro im Haushalt – sie sind übrigens von Herrn Rimkus mit erstritten – für 15 000 Ladestellen, die gebaut und in der Bundesrepublik Deutschland installiert werden sollen. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zehn Jahre zu spät!) Zehn Jahre Kfz-Steuer-Befreiung sind da auch noch mit enthalten. Auch werden wir viertens – das ist ein weiterer wichtiger Punkt – die steuerliche Vergünstigung bei Erdgas und Autogas verlängern, um eine Brückentechnologie zu ermöglichen. Auch das werden wir tun. Das ist ebenfalls kein Placebo. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Im Haushalt sind weitere entsprechende Positionen enthalten. Brigitte Zypries ist für das Luftfahrtforschungsprogramm LuFo verantwortlich. Dafür sind – bitte, korrigieren Sie mich, wenn ich mich vertue – 500 Millionen Euro vorgesehen. Ist das richtig? – Damit wird die Forschung angereizt und unterstützt. Das geschieht zum Beispiel mit der Programmlinie „Ökoeffizientes Fliegen“. Dabei geht es um die Förderung von Spritsparen und Lärmverminderung etc. aus dem Bundeshaushalt. Auch diese 500 Millionen Euro sind kein Placebo. Auch das ist Wirksamkeit! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) – Ich will keine Zwischenfragen, bitte schön. Die Bundesregierung investiert auch in anderen Bereichen in Forschung. Sie investiert zum Beispiel in intelligente Mobilität. Wir als Koalition haben einen Antrag zur intelligenten Mobilität vorgelegt. Das hat etwas mit Ökologie, mit Steuerung von Verkehr und mit Big-Data-Programmen – sie sind notwendig, um Intermodalität möglich zu machen – zu tun. Ich weiß gar nicht, wie Sie von der Opposition sich damals zu dem von uns gestellten Antrag verhalten haben. Ich bin ziemlich sicher: Die Linke hat ihn abgelehnt. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Klare, lassen Sie eine Zwischenfrage zu oder nicht? Arno Klare (SPD): Nein, ich lasse sie nicht zu. – Wir investieren in Power-to-X-Modelle. Da geht richtig viel Geld rein. Wir investieren in Forschung und Entwicklung von autonomem Fahren und nicht zuletzt in den Bereich Logistik 4.0. Das heißt, das Aktionsprogramm, das wir beschlossen haben, wird umgesetzt. Das Klimaschutzprogramm ist – die Ministerin hat es angekündigt – auf dem Weg. Es ist in der Tat das Recht der Opposition, Kritik zu üben. Aber nehmen Sie bitte, bevor Sie anfangen, lauthals Kritik zu üben, endlich einmal die Fakten zur Kenntnis. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Annalena Baerbock. Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Klare, schade, dass Sie die Zwischenfrage nicht zugelassen haben. Sie haben ja gesagt, Sie hätten zu wenig Redezeit. Sie haben uns vorgeworfen, wir hätten von „Placebo“ geredet. Sie haben da vielleicht meiner Kollegin Höhn nicht richtig zugehört. Das haben wir nicht gesagt, sondern wir haben über die Maßnahmen gesprochen, die wirken. Und die Umweltministerin hat ja selber angesprochen, dass wir im Verkehrsbereich leider einen gegenteiligen Effekt haben, dass die Maßnahmen offensichtlich nicht wirken und dass Geld allein – das ist eine richtige Feststellung – hier nicht reicht. Deswegen frage ich: Warum steht nichts über CO2-Grenzwerte im Klimaschutzplan? Man beschreibt lediglich, dass es auf EU-Ebene ja etwas gibt. Das Hauptinstrument jedoch, worüber im Verkehrsbereich derzeit gestritten wird – da gibt es offensichtlich Nachbesserungsbedarf –, taucht in diesem Klimaschutzplan nicht auf. Und mit Geld allein werden Sie dieses Defizit definitiv nicht heilen. So wird der Verkehrsbereich seinen Beitrag zum Klimaschutz in Deutschland nicht leisten können. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege Klare, bitte. Arno Klare (SPD): Meine Antwort lautet wie folgt: Erst einmal muss man zwei Dinge – den Klimaaktionsplan 2020 und den Klimaschutzplan 2050 – auseinanderhalten. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Wir reden über 2050!) Wenn Sie den Klimaschutzplan 2050, der jetzt, wie wir gerade erfahren haben, im November vorgestellt werden soll, bereits im endgültigen Wortlaut kennen, haben Sie einen riesigen Vorsprung. Ich habe ihn noch nicht im endgültigen Wortlaut vorliegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das heißt, Sie reden gerade über etwas, was Sie gar nicht kennen. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, wir kennen den!) Sie reden so über das, was Sie nicht kennen, als sei das, was Sie sagen, definitiv. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, wir kennen den!) Das ist unredlich. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie mit Ihrem Ministerium! – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesepause!) Ich gebe Ihnen völlig recht – da sind wir gar nicht auseinander –, dass wir im Verkehr eine enorme Aufgabe vor uns haben. Ich habe gerade versucht, an wenigen Punkten deutlich zu machen, wie wir es schaffen können, dass wir durch eine Dekarbonisierungsstrategie den Verkehr wirklich sauber bekommen. Es ist schon einiges von dem realisiert worden, was Sie angemahnt haben. (Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] hält ein Papier hoch) Sie haben gefordert, dass es eine Kaufprämie geben möge. Ihr von mir übrigens sehr geschätzter Kollege Stephan Kühn hat am Rednerpult gestanden und eine Prämie für den Kauf eines Elektrofahrzeugs gefordert. Jetzt wird sie gemacht, und Sie kritisieren sie. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) Das ist für mich völlig unbegreiflich. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Der letzte Redner in dieser lebhaften Debatte ist der Kollege Günter Lach für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Günter Lach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! (Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] legt dem Abg. Arno Klare [SPD] ein Papier vor) Vizepräsidentin Claudia Roth: Entschuldigung. – Der Kollege möchte jetzt gerne reden. Günter Lach (CDU/CSU): Ich würde auch gerne mitdiskutieren. Vizepräsidentin Claudia Roth: Nein, Sie reden jetzt. (Heiterkeit) Entschuldigung. – Bitte, Herr Lach. Günter Lach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Der Tagesordnungspunkt 6 a lautet „Klimaschutzplan 2050“ und hat den Untertitel „Echter Klimaschutz beginnt heute“. Ich würde sagen: Wir alle machen mit. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an Abg. Volker Kauder [CDU/CSU] gewandt: Wir haben ihn!) Diese Diskussion hat gezeigt, dass wir uns doch alle einig sind, dass das verbindliche Abkommen der UN-Klimakonferenz von Paris ein großer Durchbruch für den weltweiten Klimaschutz gewesen ist. Es ist das erste Klimaschutzabkommen, das alle Länder in die Pflicht nimmt. Die Weltgemeinschaft bekennt sich völkerrechtlich verbindlich zum Ziel, die Erderwärmung auf unter 2 Kelvin zu begrenzen. Es ist nicht zu leugnen, dass wir noch weitere Anstrengungen unternehmen müssen, um die Ziele von Paris umzusetzen. Das müssen wir unbestreitbar, auch im Verkehrssektor. Hier gilt es vor allen Dingen, die CO2-Emission bei der Kraftstoffverbrennung zu verringern. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat den Antrag gestellt, Verkehrspolitik auf Klimaschutzziele auszurichten. Sie kritisiert darin die bisherigen klimapolitischen Maßnahmen der Bundesregierung im Verkehrssektor und spricht sogar von einem „blinden Fleck“. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich kann Ihre Ansicht nicht teilen. Im Gegenteil: Mit den zahlreichen Programmen und Maßnahmen hat die Bundesregierung ein deutliches Zeichen gesetzt. Ich nenne hier nur das Aktionsprogramm Klimaschutz 2020. Es stärkt zum Beispiel die Schiene und sieht Investitionen in die Wasserstraßen vor. Hier möchte ich ein Beispiel zur Investition in Wasserstraßen nennen. In der Region, aus der ich komme, haben wir den bekannten Mittellandkanal. An diesem Mittellandkanal liegt ein großes Automobilwerk. Wir haben vor zehn Jahren versucht, viele Güter auf diese Wasserstraße zu bringen. Dazu war es erforderlich, die Wasserstraße nach europäischen Normen auszubauen. Als es dann um die Ausbaumaßnahmen ging, nämlich um eine kleine Vertiefung und darum, die Böschung zu erweitern, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Waren die Grünen dagegen!) waren es die Grünen, die diese Ausbaumaßnahmen behindert haben. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aus Naturschutzgründen, ja!) Das kann natürlich keine klimafreundliche Politik sein. Ich nenne ein weiteres Beispiel, nämlich Güter verstärkt auf die Bahn zu bringen. Hier haben wir erhebliche Probleme beim Lärmschutz, gerade in den Ballungsgebieten. Wenn in den Ballungsgebieten Güterzüge im Zehnminutentakt an Wohnbereichen vorbeifahren, müssen wir für ausreichenden Lärmschutz und dergleichen sorgen. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Dafür gibt es Maßnahmen!) Das Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 beinhaltet aber auch eine Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs sowie den Ausbau von Fuß- und Radwegenetzen. Ich komme aus einer Stadt, die Autos baut. Gestern fand eine Sitzung des Rates der Stadt Wolfsburg statt. Es wurden bei dieser Ratssitzung allein zehn neue Fahrradwege mit insgesamt 120 Kilometern auf den Weg gebracht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herzlichen Glückwunsch! – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zehn! Dann ist der Klimaschutz ja gerettet! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Und das in Wolfsburg!) – Und das in Wolfsburg, der Autostadt. Wenn ich schon einmal bei Wolfsburg bin, Frau Leidig: Was Sie vorhin über die Automobilindustrie geäußert haben, ist, meine ich, erschreckend. Dass wir hier in Deutschland diesen Wohlstand haben, ist auch ein großer Verdienst der Automobilindustrie in Deutschland. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn Sie meinen, wir sollten alle nur kleine Autos fahren: Die Zeit des Trabbis ist vorbei. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Linke fährt auch Porsche! Zumindest teilweise!) Wir setzen weiter auf Elektromobilität. Ich bin hier ganz ehrlich – ich bin selbst ein Autobauer, ich war 40 Jahre im Betrieb –, ich gestehe es: Wir haben die Elektromobilität ein bisschen vernachlässigt. Darum bin ich froh, dass gestern bei der Aktionärsversammlung des größten deutschen Automobilherstellers seitens des Vorstands gesagt wurde: Wir setzen verstärkt auf Elektromobilität. – Es ist ein richtiges Zeichen, das hier von der Automobilindustrie gesendet wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Gestatten Sie mir noch ein Wort. Vizepräsidentin Claudia Roth: Ein Wort, ja. Günter Lach (CDU/CSU): Ein Wort muss ich noch sagen. Ich rede so wenig; daher darf ich jetzt ruhig eine Minute nachholen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Das ist jetzt wirklich kein Argument. Das klären Sie bitte mit Herrn Kauder. (Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Günter Lach (CDU/CSU): Ich möchte ein Wort zum Kollegen Hofreiter sagen, der vorhin etwas zur Braunkohle gesagt hat. Ich war am vergangenen Montag bei einer Veranstaltung im Helmstedter Revier, wo es um die Braunkohle ging und um das Braunkohlekraftwerk Buschhaus. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Investor ist der, der Vattenfall kaufen will!) Wenn Sie dort mit den Menschen sprechen, dann stellen Sie fest: Diese Menschen haben eine ganz andere Einstellung. Wir, die Politik, müssen aufpassen, dass wir die Menschen nicht alleinlassen. Es geht nicht an, dass die Firmen, die die Kraftwerke abschalten, das Geld kassieren, und Arbeiter auf der Straße stehen und keinen Sozialplan haben. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Wir müssen dafür sorgen, dass wir die Menschen beim Klimaschutz mitnehmen. Ich danke dafür, dass ich ein bisschen länger sprechen durfte. Ich wünsche Ihnen allen noch einen schönen Tag und hoffe, dass sich das Sitzungsende nicht nach hinten verschiebt. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: In Zukunft vereinbaren Sie die Redezeiten bitte mit Ihrer Fraktionsführung. – Vielen Dank, Herr Kollege Lach. – Damit schließe ich die Aussprache. Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b sowie 6 d und 6 e. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/8876, 18/8080, 18/7887 und 18/8877 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit einverstanden. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Tagesordnungspunkt 6 c. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Festlegung nationaler Klimaschutzziele und zur Förderung des Klimaschutzes. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8770, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1612 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Zustimmung zum Gesetzentwurf: Bündnis 90/Die Grünen und Linke. Ablehnung des Gesetzentwurfes: CDU/CSU und SPD. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Zusatzpunkt 1. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Für ein Rahmenprogramm für Klima- und Klimafolgenforschung“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8873, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7048 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD; dagegengestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Bevor wir in der Tagesordnung fortfahren, bitte ich Sie, die Plätze einzunehmen oder zu tauschen. Ich bitte Sie, das auch zügig zu tun. Ich rufe die Zusatzpunkte 2 und 3 unserer Tagesordnung auf: ZP 2 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Versöhnung, Partnerschaft, Zusammenarbeit – 25 Jahre deutsch-polnischer Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit Drucksache 18/8861 ZP 3 Beratung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Versöhnung, Partnerschaft, Zusammenarbeit – 25 Jahre deutsch-polnischer Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit Drucksache 18/8765 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Lassen Sie mich im Namen des ganzen Bundestages auf der Ehrentribüne herzlich begrüßen Jerzy Jozef Marganski, den Botschafter der Republik Polen. Seien Sie uns willkommen! (Beifall) Dann eröffne ich die Aussprache und gebe das Wort an Axel Schäfer für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]) Axel Schäfer (Bochum) (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Freund Marganski, am 16. April 1945, nach der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald bei Weimar durch amerikanische Soldaten, verfassten demokratische Sozialisten aus acht Nationen ein Manifest. Darin stand: Wir wollen die Vereinigten Staaten von Europa. Für Deutschland ist es nach diesem Krieg das Wichtigste, eine Verständigung und eine Freundschaft mit Frankreich und Polen anzustreben. – Das ist uns gemeinsam gelungen. Vielen Dank. (Beifall im ganzen Hause) Wenn wir heute zum 25. Jahrestag über den polnisch-deutschen Freundschaftsvertrag reden, reden wir auch über das Fundament, auf dem dieser Vertrag steht: Ja, es war die Denkschrift der EKD zur Ostpolitik, ja, es war der Hirtenbrief der katholischen Bischöfe in Polen, ja, es war der Kniefall von Willy Brandt im Warschauer Ghetto 1970, und, ja, es war Solidarnosc ab 1980, die Frieden und Verständigung in Europa und insbesondere die deutsch-polnischen Beziehungen, so wie wir sie heute haben, tatsächlich ermöglicht haben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der deutsch-polnische Vertrag ist ohne die Europapolitik von Helmut Kohl nicht denkbar – ebenso wie das Weimarer Dreieck nicht ohne die damaligen Außenminister Genscher, Skubiszewski und Dumas denkbar ist. Der Beitritt Polens zur Europäischen Union 2004, auch unter den Konditionen, war nur möglich, weil ein deutscher Bundeskanzler, Gerhard Schröder, sich in besonderer Weise im Kreise seiner Kolleginnen und Kollegen der Staats- und Regierungschefs der EU dafür eingesetzt hat. Das ist wichtig zu wissen, das ist wichtig zu erinnern. Denn es ist klar: Das Geheimnis der Versöhnung und der Verständigung ist die Erinnerung. – Das leisten wir heute. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir leisten das in einer Zeit, in der wir vor außergewöhnlichen Herausforderungen stehen, die auch die Beziehung zwischen unseren beiden Ländern betreffen. Deshalb war es gut, dass die Bundeskanzlerin und die polnische Regierungschefin gestern deutlich gemacht haben, dass es morgen von deutscher und polnischer Seite ein klares Signal geben wird – ich glaube, auch ein klares Signal der 27 Staats- und Regierungschefs der EU – für den Zusammenhalt, für den weiteren Integrationsweg innerhalb dieser Gemeinschaft, die wir haben, die wir wollen und an deren Erfolg wir gemeinsam arbeiten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir müssen die Probleme klar benennen und das europäische Selbstverständnis gerade an einem Tag wie heute unterstreichen. Manches Komplizierte ist ja ganz einfach. Erstens. Es kann keinem Land alleine gut gehen, wenn es den Nachbarn schlecht geht. Zweitens. Das wichtigste Interesse jedes Mitgliedslandes in der EU bleibt die Einigung. Drittens. Nationalismus ist Fremdenhass. Das gemeinsame Europa ist auch Nächstenliebe. – Das ist es, was uns alle hier in diesem Hause von denen unterscheidet, die außerhalb dieses Hauses die Zerstörung der Europäischen Union und damit auch die Zerstörung der deutsch-polnischen Zusammenarbeit faktisch voranbringen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade weil wir uns in so vielen Dingen so nahe sind, gerade weil die deutsch-polnische Zusammenarbeit eine Erfolgsgeschichte der letzten 25 Jahre ist, muss auch kritisch miteinander geredet werden. Ja, man braucht auch Tapferkeit vor dem Freund. So etwas wie der Rechtsstaatsmechanismus, den die EU wegen konkreter politischer Kritik an der polnischen Regierung jetzt in Gang gesetzt hat, ist selbstverständlich erlaubt. Es geht in der Politik immer auch um Kritik an bestehenden Regelungen und bestehenden Regierungen. Das heißt aber nicht, dass wir ganze Völker oder unsere Zusammenarbeit kritisieren. Dieses Missverständnis muss von uns unbedingt ausgeräumt werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir machen das, indem wir jeden Tag daran arbeiten, dass dieses deutsch-polnische Gemeinschaftswerk im Alltag gelingt. Ich komme aus Bochum. Dort gab es vor 100 Jahren einen großen Bevölkerungsanteil, der aus unserem östlichen Nachbarland zugewandert war. Heute haben wir dort das im Aufbau befindliche Dokumentationszentrum Porta Polonica. Heute haben wir dort eine Vielzahl von Veranstaltungen, die deutlich machen: Ja, wir wollen das Gemeinsame benennen, ohne Trennendes einfach zu vergessen. Es wird darauf ankommen, dass wir in diesem Jahr das, was beide Länder in Verantwortung in Europa einbringen können, auch umsetzen. Wir wissen, dass die Gefährdung, der Europa heute ausgesetzt ist, nicht mehr darin besteht, dass wir uns politisch über diesen oder jenen Tatbestand inhaltlich streiten. Vielmehr geht es um die Existenz der Europäischen Union. Die Existenz der Europäischen Union werden wir nur gemeinsam sichern, wenn wir auch bilateral in der Lage sind – besonders deutsch-französisch und deutsch-polnisch –, mit Partnerschaften vor Ort, mit Schüleraustausch, mit allen anderen Projekten, die wir gemeinsam vorangebracht haben, immer und immer wieder die Zusammenarbeit und das gemeinsame Europa zu stiften. Wir haben eine klare Ausrichtung. Diese lautet: Nicht mit dem Scheitern drohen, sondern ins Gelingen verliebt sein. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Axel Schäfer. – Der nächste Redner für die Linke: Thomas Nord. (Beifall bei der LINKEN) Thomas Nord (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Botschafter! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Noch vor einem Jahr hätte man annehmen können, die heutige Debatte über den 25. Jahrestag des Vertrags über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen würde eine unaufgeregte Würdigung. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen sind in vielen Bereichen gut und robust. Trotz der aktuellen Differenzen ist es das beste Verhältnis zwischen beiden Staaten seit Jahrhunderten. Zum 20. Jahrestag gab es einen Antrag aller Fraktionen, mit Ausnahme meiner Fraktion. Der 25. Jahrestag des Nachbarschaftsvertrags wäre ein sinnvoller Anlass gewesen, auch meine Partei in die Debatte einzubeziehen. Stattdessen haben wir nun zwei verschiedene Anträge, einen Antrag der Regierungsfraktionen und einen der Grünen. Der Stein des Anstoßes, die Charta der deutschen Heimatvertriebenen, hat hier seit Jahren keine Rolle mehr gespielt. Dass die Union gerade jetzt dieses Thema aus der Mottenkiste holt, ist dem Anlass unangemessen, ist rückwärtsgewandt und nicht auf die wesentlichen Fragen für die deutsch-polnische Zukunft sowie der Europäischen Union ausgerichtet. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Also führen wir erneut die Geschichtsdebatte. Jahrhundertelang waren die Polinnen und Polen Spielball europäischer Großmächte und Opfer machtpolitischer Absprachen – häufig zugunsten Russlands und Preußens bzw. später Deutschlands. Daher kann die Sicht auf den September 1939 hierzulande auch nicht die polnische sein. Die deutsche Perspektive darf nicht hinter die Feststellung Richard von Weizsäckers zurückfallen, nach der der 8. Mai und seine Folgen – also auch der Überfall auf Polen und die Sowjetunion – untrennbar auf den Beginn der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland 1933 zurückzuführen sind. Weiter heißt es: „Die Initiative zum Krieg aber ging von Deutschland aus, nicht von der Sowjetunion.“ (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das waren noch Christdemokraten!) An dieser Verantwortung Deutschlands ändert auch der „Teufelspakt“ – wie ihn der Historiker Sebastian Haffner nannte – zwischen Hitler und Stalin nichts. Aus polnischer Perspektive gehören der Hitler-Stalin-Pakt und sein Vollzug zur vierten Teilung Polens. Es gab nicht nur Millionen Opfer der nationalsozialistischen Blut-und-Boden-Ideologie, sondern auch Hunderttausende Opfer durch stalinistische Säuberungen. Polen hatte im Zweiten Weltkrieg – gemessen an der Bevölkerungszahl – die meisten Opfer zu beklagen. 17 Prozent der Bevölkerung wurden getötet. Himmlers „Generalplan Ost“ hatte nicht nur das Ziel, 50 bis 60 Prozent der Russen, sondern auch 80 bis 85 Prozent der polnischen Bevölkerung zu vernichten und zu vertreiben. Nicht nur Polen als Staat, sondern auch die Polinnen und Polen sollten ausgelöscht werden. „Germanisierung“ nannte sich das in der Sprache der Dichter und Denker. Gemessen daran ist die Aussage in der Charta der deutschen Heimatvertriebenen geradezu zynisch: Die Völker der Welt sollen ihre Mitverantwortung am Schicksal der Heimatvertriebenen als der vom Leid dieser Zeit am schwersten Betroffenen empfinden. Die Polinnen und Polen konnten nach dem Zweiten Weltkrieg keine souveräne Entscheidung über ihre Zukunft treffen. Die Entscheidung über die polnische Nachkriegsexistenz haben die Alliierten in Jalta getroffen, ohne die Polen selbst zu fragen, und das, obwohl Hunderttausende von ihnen auch in den alliierten Armeen zum Sieg über Hitler beigetragen haben. Polen hat sich das Recht, souverän über Gegenwart und Zukunft zu entscheiden, hart erkämpft. Seine Entscheidungen sind gerade von uns Deutschen zu respektieren. Das schließt den demokratischen Diskurs über politische Differenzen mit ein. Aber weder Äußerungen, dass man Polen „unter Aufsicht“ stellen sollte, noch das Drohen mit Sanktionen sind hier hilfreich, im Gegenteil. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Deswegen ist es auch gut, dass die Gestaltung der aktuellen Zusammenarbeit einen großen Teil des Antrags der Regierungsfraktionen ausmacht. Hier gibt es viele gemeinsame Aufgaben und Ziele, auf die wir uns konzentrieren sollten. Aus meiner Arbeit als Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Parlamentariergruppe und als Abgeordneter, dessen Wahlkreis an Polen grenzt, weiß ich, welche große Bedeutung eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern im Alltag vieler Menschen beiderseits der Oder hat. Ohne Zweifel hat diese in der Wirtschaft, beim Ausbau der Infrastruktur, bei der Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit, im Verhältnis zwischen den Kommunen und der Zivilgesellschaft, bei Bildung, Wissenschaft und Kultur große Fortschritte gemacht. Der Antrag zählt dafür viele konkrete Beispiele auf. Selbstverständlich bleibt viel zu tun, kann es besser, intensiver und gründlicher gemacht werden. Die Forderungen an die Bundesregierung in diesem Zusammenhang tragen wir weitgehend mit. Mich persönlich bewegen dabei der bedarfsgerechte Ausbau weiterer grenzüberschreitender Verkehrsverbindungen und die Entwicklung des deutsch-polnischen Grenzgebietes als gemeinsamer Wirtschaftsraum. Das ist für die Oderregion von prioritärer Bedeutung. Wichtig scheint es mir zu sein, Forderungen nach Förderung der in Deutschland lebenden Polinnen und Polen sowie polnischstämmiger Bürgerinnen und Bürger und die Verbreitung der polnischen Sprache verstärkt in konkretes Handeln umzusetzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die deutsch-polnischen Beziehungen waren schon in der Vergangenheit häufig mehr als eine bilaterale Frage. Heute gilt das umso mehr. Die aktuellen Debatten mit der neuen Regierung Polens sind daher auch mehr als eine Debatte zwischen Nachbarn, nämlich eine über die Zukunft der Europäischen Union. Diese Zukunft ist für beide Staaten eine zentrale, vermutlich sogar existenzielle Frage. Umso mehr kommt es in den kommenden Monaten und Jahren darauf an, die gemeinsamen Interessen in den Fokus bilateraler Politik zu stellen. Weimarer Dreieck und Visegradgruppe sind zum Beispiel keine Gegensätze, sondern können sich vorteilhaft ergänzen. Polen ist zweifellos ein Schlüsselstaat für den Erfolg der EU-Osterweiterung. Diese Aufgabe erfordert jedoch weiterhin die Solidarität aller Mitgliedstaaten. Das EU-Rechtsstaatsverfahren und die Kritik der Venedig-Kommission des Europarates müssen ihre Grundlagen ausschließlich in der Mitgliedschaft Polens und den damit eingegangenen rechtlichen Vereinbarungen zwischen souveränen Mitgliedstaaten der EU über unverletzbare Grundstandards zu Rechtsstaatlichkeit, Unabhängigkeit der Justiz sowie Presse-, Kunst- und Medienfreiheit haben. Der humanitäre Umgang mit Flüchtlingen ist eine gemeinsame europäische Herausforderung, die sowohl eine solidarische Grundhaltung gegenüber den Flüchtenden als auch zwischen den Mitgliedstaaten der EU erfordert. Gestern, liebe Kolleginnen und Kollegen, wurde hier im Plenum, am 75. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion, sehr nachdenklich über die Verantwortung Deutschlands für die Gestaltung der gegenwärtigen Beziehungen zu Russland diskutiert. Es gibt keinen Grund, auch nur das Geringste von dem infrage zu stellen, was mein Kollege Gysi hier dazu gesagt hat. Zugleich sollten wir bei dieser Debatte immer in Erinnerung behalten, dass dem Überfall auf die Sowjetunion der auf Polen vorausging. Wer eine Politik der friedlichen und nachhaltigen Koexistenz sowie ein kollektives System für Frieden und Sicherheit in Europa unter Einschluss Russlands anstrebt, kann und darf nicht aus den Augen verlieren, dass diese Sicherheit auch eine für die mittel- und osteuropäischen Staaten sein muss. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Diese lässt sich nicht durch Säbelrasseln und Wettrüsten erreichen und setzt die Bildung von Vertrauen zwischen allen betroffenen Staaten voraus. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die wechselseitige Garantie der bestehenden Grenzen ist dafür unerlässlich. Gerade der 25. Jahrestag des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages ist ein guter Anlass, dies festzustellen. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Thomas Nord. – Nächster Redner ist Dr. Franz Josef Jung für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Franz Josef Jung (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Herr Botschafter! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Unterzeichnung des Vertrages über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen vom 17. Juni 1991 markiert den Beginn einer neuen Ära in der Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen. 25 Jahre deutsch-polnischer Nachbarschaftsvertrag ist eine Erfolgsgeschichte der Versöhnung, der Partnerschaft und der Freundschaft unserer beiden Völker. Deshalb können wir heute dankbar diese Entwicklung zur Kenntnis nehmen. (Beifall im ganzen Hause) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, bei der Unterzeichnung des Vertrages gab es die Hoffnung, dass es so kommen würde. Aber es mussten noch ein paar Hindernisse aus dem Weg geräumt werden. Bundeskanzler Helmut Kohl hat damals wörtlich formuliert – ich zitiere –: Deutsch-polnische Versöhnung kann nicht durch Regierungen verordnet ... werden. Im Gegenteil, das Werk der Versöhnung kann nur gelingen, wenn unsere beiden Völker sich dazu bekennen, wenn jeder Deutsche und jeder Pole es auch als seine persönliche Aufgabe annimmt. Mit dem Vertragswerk haben die Regierungen das Feld bereitet für gute Nachbarschaft, enge Partnerschaft, freundschaftliche Zusammenarbeit. Heute können wir feststellen: Die Erwartungen und Hoffnungen wurden erfüllt. Wir haben eine intensive Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen. Es war ein Akt menschlicher Größe und christlicher Gesinnung, dass Polen jenem Land eine versöhnende Hand gereicht hat, das die Verantwortung für die an Millionen von Polen verübten Verbrechen trägt. Beispielhaft steht dafür der Brief der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder, in dem es heißt: „Wir vergeben und bitten um Vergebung.“ Der Versöhnungsgedanke wurde von vielen Bürgerinnen und Bürgern auf beiden Seiten vorangetrieben. Ich finde, er hat auch in der Charta der deutschen Heimatvertriebenen seinen Niederschlag gefunden. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, ich will es – gerade im Hinblick auf das, was gerade formuliert wurde – so sagen: Wenn man bedenkt, dass 8 Millionen Menschen Vertreibung erlitten haben, ist es schon zu würdigen, dass 1950 der versöhnende Charakter der Charta vonseiten der Heimatvertriebenen unterstrichen worden ist. Meine Damen und Herren, der über Jahrzehnte andauernde Prozess der gesellschaftlichen und politischen Aussöhnung zwischen Polen und Deutschen hat zur Überwindung der Spaltung Europas beigetragen. Wir sind noch heute der Solidarnosc-Bewegung für ihre friedliche Revolution dankbar, die letztendlich die Mauer zwischen Ost und West mit zum Einsturz gebracht hat. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Dr. Jung, erlauben Sie eine Zwischenfrage? Dr. Franz Josef Jung (CDU/CSU): Nein, ich möchte gern im Zusammenhang vortragen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Gut. Danke schön. Dr. Franz Josef Jung (CDU/CSU): In diesem Zusammenhang ist auch das positive Wirken des polnischen Papstes Johannes Paul II. positiv zu würdigen. Die Versöhnungsmesse in Kreisau, die dort stattgefundene Umarmung zwischen Bundeskanzler Helmut Kohl und Ministerpräsident Mazowiecki, hat ein deutliches Zeichen des Miteinanders gesetzt. Heute ist Polen fest in die Europäische Union und in die NATO eingebunden. In ein paar Tagen findet der NATO-Gipfel in Warschau statt. Auch die Einbindung deutscher und polnischer Soldaten in das multinationale Korps in Stettin macht die enge Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern deutlich. Gerade wenn wir in schwierigen Zeiten zum gemeinsamen Handeln aufgefordert sind, ist es wichtig, in Verantwortung, Solidarität und gegenseitigem Verständnis für die Betroffenheit des Partners zusammenzuwirken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dies gilt beispielsweise im Zusammenhang mit der Militärintervention Russlands in der Ukraine, dem Krieg in Syrien, der Bekämpfung des menschenverachtenden IS-Terrors und den Flüchtlingsbewegungen. Polen kommt an der EU-Außengrenze eine besondere Rolle zu. Als Mitinitiator der Östlichen Partnerschaft ist Polen ein bedeutender Brückenbauer der Europäischen Union. Polen engagiert sich beispielsweise bei der Unterstützung der Reformprozesse in der Ukraine. Auch die Zusammenarbeit zwischen Polen und Deutschland im Rahmen der OSZE ist hier besonders hervorzuheben. Polen und Deutsche haben im vereinten Europa zu einer engen Partnerschaft gefunden, die auch in Formaten wie zum Beispiel dem Weimarer Dreieck ihren Ausdruck findet. Europa als der Raum des Friedens, der Demokratie und des Rechtes ist das gemeinsame Zuhause beider Nationen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb ist es auch bedauerlich, dass wegen der Situation betreffend das polnische Verfassungsgericht ein Verfahren des EU-Rechtsstaatsmechanismus eingeleitet worden ist. Ich gebe der Hoffnung Ausdruck, dass es hier alsbald zu einer einvernehmlichen Lösung kommt. Es liegt nach meiner Auffassung im Interesse Polens, hier zu einer Lösung beizutragen, damit seine Gestaltungsfähigkeit in Europa wieder gestärkt wird. Wir brauchen Polen in Europa als Problemlöser, nicht als problembehaftetes Land. Ich denke, die deutsch-polnische Zusammenarbeit wird nicht nur von der Politik auf Bundesebene geprägt. Entscheidend sind auch die Partnerschaften der Länder mit den Woiwodschaften und den Kommunen, aber auch die zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit auf allen Ebenen. Dies bezieht das Deutsch-Polnische Jugendwerk, das Deutsche Polen-Institut und viele andere mehr ein. Dass die kilometerlangen Staus an den Grenzübergängen inzwischen der Vergangenheit angehören, ist für die Bürger mit das augenfälligste Zeichen des Zusammenwachsens unserer Länder. Wir können heute mit Dankbarkeit feststellen: 25 Jahre deutsch-polnischer Vertrag haben zur Versöhnung, zur Partnerschaft und zur Freundschaft zwischen Deutschland und Polen beigetragen. Lassen Sie uns deshalb alles daransetzen, dass wir weiterhin mit Polen in einem vereinten Europa unsere Zukunft gestalten können. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Dr. Jung. – Der nächste Redner für Bündnis 90/Die Grünen: Manuel Sarrazin. Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Exzellenz Marganski! Als ich das erste Mal in den Zug stieg, um nach Polen zu reisen, wusste ich noch nicht, dass mich dieses Land von diesem Zeitpunkt an immer begleiten würde. Es ist für meine Generation – und in meinem Alter kann man anfangen, so zu reden; 1982 geboren, 1999 Schüleraustausch in Warschau – bezeichnend, dass wir die Europaenthusiasten sind, für die die Osterweiterung eines der wichtigsten Ereignisse in ihrem Leben war. Am Tag des Referendums über den Beitritt Polens zur EU war ich zu einem Nachtreffen in Stettin. Die jungen Menschen strömten zur Abstimmung. Am Ende stimmten zwei Drittel der Bevölkerung für Europa. Das zeigt: Man kann Referenden über Europa gewinnen. Das ist heute vielleicht ein gutes Signal. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ich glaube, unsere wichtigsten Partner und Verbündeten in der Welt sind Frankreich, die Vereinigten Staaten von Amerika und Polen. Punkt! Ohne Polen gibt es meiner Ansicht nach keine Zukunft für die europäische Familie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Dass wir dies heute so sagen, liegt auch an dem Vertrag, über den wir heute sprechen. Das Besondere, die Genialität dieses Vertrages, der 1991 unterzeichnet wurde, ging zunächst von polnischer Seite aus. Schon in den 70er-Jahren im Pariser Exil hat die Kultura genauso wie die Solidarnosc in den 80er-Jahren und in der entscheidenden Zeit von 1989 bis 1991 verstanden: Ein freies Polen wird es nur mit einem vereinten Deutschland geben. Mit dem Vertrag von 1991 hat Deutschland ein Versprechen gegeben. Deutschland hat das Versprechen gegeben, Polen in die westlichen Bündnisse NATO und EU zu führen, und es hat dieses Versprechen gehalten. Deutschland war vom Anfang der Verhandlungen bis zu den erfolgreichen Beitritten der Anwalt Polens. Das war wegweisend für eine lange Zeit von mehr als einer Generation. Auch deswegen sollten wir uns an den Vertrag heute erinnern: 1991 waren wir in der Lage, etwas zu formulieren, was 25 Jahre lang wegweisend war, und Versprechen zu geben, die wir 25 Jahre lang einhalten konnten. Abgesehen von der Tatsache, dass ich in Deutschland immer Polen und in Polen immer Deutschland verteidige – genauso wie viele von uns aus anderen Fraktionen –, kam mir der Gedanke, als ich über diese Rede nachgedacht habe: Vielleicht fehlt uns 25 Jahre nach dem Versprechen ein neues Versprechen; vielleicht ist das ein Teil des Problems des Sich-gegenseitig-Verstehens. Hinzu kommt, dass die Osterweiterung, die meine Generation als unglaublich grandiosen Schritt wahrgenommen hat – sie ist vielleicht noch wichtiger als die Einführung des Euro –, viel zu wenig im Bewusstsein Deutschlands als größte Erfolgsgeschichte verankert ist, die Europa zumindest seit der dunklen Zeit des 20. Jahrhunderts zu verzeichnen hat. Die Osterweiterung war in der Lage, einen Systemumbruch herbeizuführen und eine historische Gerechtigkeit – das ist ein schwieriges Wort, aber ich sage es – zumindest teilweise wiederherzustellen. Dabei ist die Osterweiterung, wenn man ab 1991 rechnet, weitestgehend friedlich verlaufen; die 14 Menschen, die beim Sturm des Fernsehturms in Vilnius starben, werden wir niemals vergessen. Diese Osterweiterung war so erfolgreich, weil sie es geschafft hat, Gesellschaften zu verändern, weil sie dabei Stabilität und Frieden geschaffen hat und weil sie es geschafft hat, fast alles zu verbessern, und zwar nicht nur in Polen, sondern auch hier. Der wirtschaftliche Erfolg Deutschlands in den letzten Jahren ist meiner Ansicht nach ohne die Osterweiterung und ohne Polen nicht vollkommen zu verstehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deswegen – das hat Herr Nord gerade schon gesagt; das können Wahlkreisabgeordnete immer wundervoll darlegen – ist die deutsch-polnische Grenze heute immer noch Beweis der Kraft der europäischen Integration. Wenn man die Situation an der deutsch-polnischen Grenze in den letzten Jahrzehnten vergleicht – die Situation zunächst an der ostdeutsch-polnischen und dann an der gesamtdeutsch-polnischen Grenze –, dann muss man sagen, dass das vielleicht das größte Versprechen ist, das Europa abgeben kann. Vielleicht lautet das Versprechen, das wir einander neu geben müssen, dass wir nicht nachlassen in dem Versuch, einander gegenseitig zu verstehen, weil auch 25 Jahre nach dem Vertrag vieles schwer zu verstehen ist, aber vieles auch nicht verstanden werden will. Das ist der Grund, warum wir uns am Ende nicht auf einen gemeinsamen Antrag einigen konnten. Es geht nicht darum, die Leistung von Vertriebenen nicht zu würdigen. Es geht auch nicht darum, nicht darüber zu reden, dass auch die Charta an gewissen Stellen Leistungen erbracht hat. Es geht darum, das zu kontextualisieren, weil die Formulierung des Rechts auf Heimat als Recht auf Rückkehr nach 1950 ein großes Problem für die Versöhnung war. Voraussetzung für die Versöhnung war, dass die Vertriebenenverbände und viele Menschen, die vertrieben worden sind, verstanden haben, dass es in der politischen Realität kein Wiederbekommen des Verlorenen auf Basis eines individuellen Rechtsanspruchs geben kann. Das war hart – das möchte ich würdigen –, aber es war notwendig, um die Aussöhnung möglich zu machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir sehen die Charta in ihrer Gesamtheit, auch aufgrund des wissenschaftlichen Forschungsstands dazu, nicht einseitig als Schritt in die richtige Richtung, sondern, wie Helga Hirsch es sagte, als Dokument von Radikalität und Mäßigung zugleich. Wir waren nicht bereit, darauf zu verzichten, dass der Forschungsstand in diesem Antrag abgebildet wird. Ich mache mir wie die Kollegen Schäfer, Nord und Jung Sorgen, was den Weg Polens unter seiner neuen Regierung angeht. Ich finde es richtig, dass die Europäische Kommission diese Regierung in einen Dialog gebracht hat. Für mich war Polen immer ein Vorbild, wenn es um das Selbstverständnis einer freiheitlichen Demokratie ging. Wenn ich von den Eltern meiner Austauschpartner Geschichten über den Kriegsrechtszustand gehört habe, dann wusste ich, dass in diesem Land Demokratie sehr, sehr viel stärker gelebt wurde als in vielen anderen Ländern. Dieses Vorbild Polen möchte ich nicht verlieren. Das heißt nicht, dass ich mit dem Finger auf Polen zeige. Ich höre von vielen Polen und aus allen Parteien, dass man sich Sorgen über den Weg Deutschlands macht, und zwar aus ganz unterschiedlichen Gründen. Manche Gründe, die ich politisch nicht teile, beziehen sich auf Flucht, Migration und Islam. Andere Gründe teile ich mehr. Dabei geht es um die Frage nach der Solidarität in Zeiten der Bedrohung, um unseren Blick auf die Ukraine und die östliche Nachbarschaft sowie um eine Tendenz zu einem Kerneuropa und das damit verbundene Beiseiteschieben Polens. Ich glaube – ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin –, wenn wir es schaffen, in diesen Zeiten eine neue Idee zu finden, ein neues Versprechen für Deutschland und Polen in Europa, und dabei nicht in neue geschichtspolitische Debatten verfallen, dann ist das das Beste, was wir im Moment für die deutsch-polnische Freundschaft, aber vor allem auch am Tag des Brexit-Referendums für Europa tun könnten. Danke sehr. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Manuel Sarrazin. – Der nächste Redner in der Debatte: Dr. Christoph Bergner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Exzellenz! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit einem Dank an meinen Kollegen Dietmar Nietan und sein Büro beginnen. Wir haben uns in der Arbeit der beiden Büros gemeinsam bemüht, sehr viele Anregungen, Vorschläge und Zuarbeiten, die wir nicht nur aus unseren Fraktionen, sondern auch aus der Zivilgesellschaft von Verbänden und Organisationen zu diesem Antrag erhalten haben, sachgerecht in einen gemeinsamen Antrag einzubinden. Ich erwähne das deshalb, weil die allermeisten dieser Zuschriften ungeachtet gelegentlicher politischer Irritationen, die aktuell in den deutsch-polnischen Beziehungen auftauchen, von dem Wunsch geprägt waren, Erfolge, Fortschritte, Positives der letzten 25 Jahre zu benennen, zu dokumentieren und gemeinsame Zukunftspläne und Projekte für die weitere deutsch-polnische Zusammenarbeit zu entwerfen. Dies scheint mir wesentlich. Denn mir ist bei der Erarbeitung dieses Antrags erneut deutlich geworden: Der deutsch-polnische Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit kennzeichnet eine Erfolgsgeschichte, und das vor dem Hintergrund einer Ausgangslage, die eine solche Entwicklung durchaus nicht selbstverständlich macht. Als der Eiserne Vorhang 1989/90 fiel, gewannen die Appelle – Herr Schäfer hat sie schon verlesen – der unmittelbaren Nachkriegszeit wieder Bedeutung. In den Appellen ging es darum, die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen müssten die gleiche Qualität wie unsere Beziehungen zu Frankreich haben. Was nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen der alten Bundesrepublik und Frankreich an Aussöhnung und Verständigung im Westen möglich war, das müsse nun nach dem Fall des Eisernen Vorhangs auch zwischen dem vereinten Deutschland und Polen möglich werden. Diese Appelle haben gewissermaßen Maßstäbe gesetzt. Aber so richtig und wichtig das darin formulierte Ziel war und bleibt, so unvergleichbar ist doch die Ausgangslage, was unser Verhältnis zu Frankreich und zu Polen betrifft. Auf dem deutsch-polnischen Verhältnis liegen spezifische historische Lasten, die insbesondere mit dem von Deutschland losgebrochenen Zweiten Weltkrieg und seinen Folgen zu tun haben. Ich denke, es ist deshalb unverzichtbar, dass wir uns bewusst machen, dass der Zweite Weltkrieg für Polen nicht nur vom Überfall, sondern auch vom Terror gegen die Zivilbevölkerung im besetzten Polen bestimmt war. Es gab Vertreibungen im Rahmen des Generalplans Ost, bei denen rund 1,5 Millionen Polen zwangsumgesiedelt und 200 000 polnische Kinder zwangsgermanisiert wurden. Rund 600 000 Polen wurden zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reich deportiert. Nicht zu vergessen sind die Schrecken des Holocaust auf polnischem Boden und, weil der Hitler-Stalin-Pakt die Voraussetzung war, auch der Terror im sowjetisch besetzten Ostpolen. Das alles sind Traumata, die spezifische historische Belastungen ausmachen. Es beeindruckt und berührt mich immer wieder, wenn ich in der Warschauer Altstadt durch Straßen gehe, in denen an jedem Haus eine Erinnerungstafel hängt, die von Erschießungen oder Kampfhandlungen der Besatzungszeit zeugen. Aber zu diesen schweren historischen Belastungen gehören auch die Traumata deutscher Betroffenheit: Heimatverlust, Flucht, Vertreibungen Millionen Deutscher und Zwangsassimilation der relativ wenigen in der Heimat verbliebenen Deutschen unter der kommunistischen Herrschaft. Mich wundert nun nicht, dass wir bei der Erarbeitung unseres Antrags gewissermaßen mit den positiven Seiten so schnell fertig waren, aber den Absatz über den Prozess der Nachkriegsaussöhnung am meisten diskutiert, am häufigsten umformuliert haben und mit Manuel Sarrazin zu guter Letzt keine Einigung erreichen konnten. Einigkeit bestand in der Würdigung und beim Dank an die Polen, die nach den schrecklichen Kriegserfahrungen die Hand zur Versöhnung ausgestreckt haben. Wladyslaw Bartoszewski steht beispielhaft dafür. Anerkennung gebührt den Deutschen, die den Weg der Gemeinsamkeit gesucht und gestaltet haben. Wir glauben, dass bei diesem letzten Aspekt zumindest unter den Gesichtspunkten des Gewaltverzichtes und der Mitgliedschaft in der Europäischen Union die Charta der deutschen Heimatvertriebenen nicht unerwähnt bleiben sollte. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Dr. Bergner, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung vom Kollegen Sarrazin? – Bitte schön. Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich möchte nur darauf hinweisen, dass wir in den Verhandlungen immer bereit waren, diese Brücke zu nehmen, obwohl das für uns natürlich auch nicht leicht ist. Wenn Sie die vorliegenden Anträge vergleichen, sehen Sie, dass wir im Textentwurf auch die Charta der deutschen Heimatvertriebenen würdigen. Denn wir würdigen auch diejenigen deutschen Heimatvertriebenen, die sich im Geiste der Versöhnung engagierten und die den in der Charta der deutschen Heimatvertriebenen vom 5. August 1950 geforderten Gewaltverzicht und den Appell für europäische Lösungen zur Richtschnur ihrer Arbeit machten, – und wir fügen hinzu – auch wenn die Charta aufgrund des Postulats eines Rechts auf Heimat im Verständnis eines Rechts auf Rückkehr und aufgrund der Vorgeschichte einige ihrer Unterzeichner in ihrer Versöhnungsleistung historisch nicht unumstritten ist. Dieser Zusatz war der Stein, über den Ihre Fraktion nicht springen wollte. Das gemeinsam festzuhalten, ist vielleicht eine Grundlage für Debatten oder Diskussionen untereinander zu einem späteren Zeitpunkt, die nicht mehr an solchen Steinen hängen bleiben. Aber mir ist trotzdem wichtig, festzuhalten, dass wir nicht die Versöhnungsleistung der Charta insgesamt infrage stellen wollten, obwohl auch diese in Teilen der Historiografie schon sehr umstritten ist. – Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU): Lieber Kollege Sarrazin, ich habe es am meisten bedauert, dass wir uns in diesem Punkte nicht einigen konnten. Ich will als Erwiderung aus meiner Sicht noch einmal deutlich machen, wo der Unterschied liegt und weshalb er mit der nachgeschobenen Formulierung nicht ausreichend berücksichtigt wurde. Das ist dem Umstand geschuldet, dass wir bei der Charta der Heimatvertriebenen eine unterschiedliche Wahrnehmung in Deutschland und in Polen haben. Ich habe nun – du wirst es auch getan haben – genug Gespräche mit polnischen Vertretern und Kollegen geführt. Klar ist, dass im Nachkriegspolen der Verzicht auf Rache und Vergeltung aus polnischer Perspektive seinerzeit als Zynismus betrachtet wurde. Man sagte: Hier ist eine Untäternation, und sie verzichtet großzügig auf Rache und Vergeltung. – In umgekehrter Weise ist die deutsche Perspektive zu betrachten. Man stelle sich nur einmal vor, die Vertriebenen wären 1950 nicht zu diesem Bekenntnis in der Lage gewesen: Welch problematische Entwicklung für die Bundesrepublik Deutschland und für Europa wäre daraus entstanden! Für Deutschland war dieser Verzicht eine ungeheure Leistung. Wenn ich das noch anfügen darf: Unser Bundestagspräsident hat bei seiner Rede zum Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung eine ganz wichtige Bemerkung gemacht. Er sagte: Wenn man angesichts historischer Entwicklungen in beiden Ländern eine unterschiedliche Wahrnehmung hat, sollte man diese Wahrnehmung nicht verschweigen, weil sie unterschiedlich ist, sondern man sollte sich über die unterschiedlichen Wahrnehmungen austauschen. – Das ist das Anliegen, das wir mit unserer Formulierung vertreten, weshalb wir den Gedanken, der der Charta der deutschen Heimatvertriebenen anhaftet, in dieser Weise in den Antrag eingebaut haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, Aussöhnung erreicht man – wenn ich daran anknüpfen darf – also nicht, wenn man unterschiedliche Wahrnehmungen nicht offen und respektvoll austauscht. Das haben wir versucht. Ich darf mit einer persönlichen Bemerkung schließen, anknüpfend an Manuel Sarrazins Erinnerungen an die erste Polen-Reise. Meine erste längere Reise als Student 1969 durch Polen – mit vielen Bekanntschaften und Begegnungen – endete an der Grenzkontrolle in Frankfurt, wo mir als DDR-Bürger der DDR-Zoll Broschüren und Schallplatten, die mir zum Teil von polnischen Bekannten geschenkt worden waren, abnahm, weil sie – so waren die Zollbestimmungen – nicht dem fortschrittlichen Kulturschaffen des besuchten Brudervolkes entsprechen. (Vereinzelt Heiterkeit) Meine Damen und Herren, damals, als mir der Zollbeamte der DDR diese Dinge der polnischen Freunde abnahm, ist mir eines klar geworden: Die ideologischen Gemeinsamkeiten, die zwischen der Regierung der DDR und den Regierungen bzw. Staatsführungen der Volksrepublik Polen bestanden, hatten sehr wenig mit wirklicher deutsch-polnischer Aussöhnung und Freundschaft zu tun. Die wirkliche deutsch-polnische Aussöhnung und Freundschaft hat mit dem Fall des Eisernen Vorhangs richtig beginnen können, und sie hat im europäischen Einigungsprozess eine würdige Fortsetzung gefunden. Dafür bin ich dankbar, und darüber sollten wir uns gemeinsam freuen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Dr. Bergner. – Das Wort hat Dr. Bernd Fabritius für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Exzellenz! Herr Botschafter! Meine Damen und Herren! Vergangenen Freitag jährte sich die Unterzeichnung des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages zum 25. Mal. Deutschland und Polen haben 1991 einen Vertrag ausgehandelt, aus dem viel Gutes erwachsen ist, der Austausch, Verständigung und Freundschaft gefördert und gefestigt hat. Einzelheiten wurden bereits zutreffend gewürdigt. Zweifelsfrei war und ist dieser Vertrag wie auch der bereits erwähnte Hirtenbrief der polnischen Bischöfe, die Ostdenkschrift der EKD und auch die Charta der deutschen Heimatvertriebenen ein Meilenstein der deutsch-polnischen und der europäischen Verständigungsarchitektur und eine der Grundlagen des modernen Europa. Im zivilgesellschaftlichen Prozess zur Festigung gutnachbarschaftlicher Beziehungen sind die deutsche Volksgruppe in Polen, die Polen in Deutschland und auch die deutschen Heimatvertriebenen ganz natürliche Brücken zwischen den Ländern. Gerade die deutschen Vertriebenen haben frühzeitig durch ihre Charta die Hand zur Versöhnung gereicht und den beherzten Willen zum Einsatz für ein Europa in Frieden und Freiheit bekräftigt. (Beifall des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU]) Die Hilfsbereitschaft gegenüber Vertriebenen und Flüchtlingen von heute hat auch den Blick auf die eigenen Opfer der Nachkriegszeit verändert. Es gibt plötzlich einen persönlichen Zugang zur Vertreibungsgeschichte der Eltern und Großeltern, von Nachbarn und Freunden. Bronislaw Komorowski hat bei seiner Rede hier im Deutschen Bundestag mit Verweis auf die eigene Vertreibungserfahrung betont, er könne den Schmerz wegen des erlittenen Leides und des Verlustes der Heimat gut verstehen. Diese Fähigkeit zur Empathie, meine Damen und Herren, ist nicht nur beim damaligen polnischen Staatspräsidenten, sondern auch in der polnischen Bevölkerung vorhanden. Ich ermuntere die Polen mit ähnlichen Vertreibungsbiografien im Geiste bester Nachbarschaft: Fahren Sie zum Beispiel nach Litauen, und suchen Sie nach den Wurzeln Ihrer Familien! In einem vereinten Europa ist die Möglichkeit dazu ein großes Geschenk. Nehmen Sie es an! Genauso fordere ich die Deutschen auf: Besuchen Sie die Orte aus den Erzählungen Ihrer Eltern und Großeltern! Die EU-Osterweiterung hat den Vertriebenen ein Stück weit ihre alte Heimat und ihre ehemaligen Nachbarn zurückgegeben. Eine Begegnung kann für beide Seiten unglaublich heilsam sein. (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Genau davon ist in Artikel 1 des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages die Rede, in dem von dem „Wunsch beider Völker nach dauerhafter Verständigung und Versöhnung“ gesprochen wird. Ich erinnere mich sehr gut an den Moment, als ich mit meinen Eltern das Haus meiner Kindheit in Hermannstadt wiedersah. Die Familie, die mittlerweile dort lebt, bat uns herein, und es entwickelte sich nach anfänglicher Distanz ein gutes Gespräch. Als meine Mutter den guten alten gusseisernen Herd wiedersah, auf dem sie immer für uns gekocht hatte, brach sie in Tränen aus. Die heutigen Bewohner, meine Damen und Herren, haben meinen Eltern dieses Erinnerungsstück spontan überlassen. – Die Familiengeschichten der deutschen Vertriebenen sind voll solcher Gesten der Versöhnung und Verständigung von Mensch zu Mensch. (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Auch zivilgesellschaftlich und kommunalpolitisch ist der Vertrag durch viele überwiegend in den letzten 25 Jahren entstandene Partnerschaften über Grenzen hinweg mit Leben erfüllt worden. Nur der Dialog der höchsten politischen Ebene in Polen mit ihren vertriebenen Deutschen kommt schwer in Gang. Die Ursachen dafür sind vielfältig; das räume ich ein. Zum Teil sind sie auch hier in Berlin, im Deutschen Bundestag, zu suchen. In Zeiten des Rückfalls in nationale Egoismen und anlässlich dieses Jubiläums wäre es mehr als ein motivierendes Signal für vollständige gutnachbarschaftliche Beziehungen gewesen, hätte der Bundestag eine über Koalitionsgrenzen hinweg mehrheitsfähige Entschließung zu diesem wertvollen Verständigungswerk verabschieden können. Umso bedauerlicher ist es, dass die SPD in der letzten Woche für eine gemeinsame Entschließung nicht zu gewinnen war und dass sich die Grünen im Deutschen Bundestag auch heute noch einem gemeinsamen Antrag mit einer aufgrund der schon aus Gründen der Vollständigkeit notwendigen Erwähnung der Charta der deutschen Heimatvertriebenen verweigert haben, damit sie nun in einem eigenen Antrag die Versöhnungsleistung der Charta mit Hinweis auf das darin selbstverständlich enthaltene Recht auf Heimat – natürlich verbunden mit einem prinzipiellen Recht auf Rückkehr nach ethnischen Säuberungen – in Verruf bringen können. (Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) – Ich erlaube keine Zwischenfrage. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Frechheit!) Ich darf Ihnen hierzu Artikel 13 Absatz 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in Erinnerung rufen: Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land zurückzukehren. Das Recht auf Rückkehr in ihre Heimat, welches Sie hier als etwas Umstrittenes und Verwerfliches darstellen, ist für viele der heute weltweit 65 Millionen Vertriebenen eine der wenigen Quellen von Hoffnung. Wie kommen Sie dazu, den Opfern von Flucht und Vertreibung damals und heute genau diese Hoffnung zum Vorwurf zu machen? Die Angst vor dem Verlust viel zu lange gepflegter Feindbilder scheint bei einigen von Ihnen größer zu sein als die Bereitschaft zur Anerkennung gegenseitiger Versöhnungsleistungen. Lassen Sie sich eines sagen: Heimatvertriebene, Zwangsarbeiter und Deportierte haben nach dem Krieg ein Sonderopfer erbringen müssen. Sie haben stellvertretend für die gesamte deutsche Gesellschaft gelitten und oft ihr Leben oder zumindest ihre Heimat verloren – auch für Sie. Dafür haben Sie nur Empathielosigkeit und ideologische Instrumentalisierung übrig. Sie tun damit genau das, was Sie den Heimatvertriebenen vorwerfen. Sie sind damit selbst rückwärtsgewandt. (Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt wäre ich aber mal ganz vorsichtig!) Ich komme mit folgender Feststellung zum Ende: (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die moralische Überheblichkeit gegenüber den eigenen Opfern von Flucht und Vertreibung wird langsam bedenklich. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bedenklich ist Ihre Rede!) Sie sollten sich fragen, ob es das wert war. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten sich fragen, ob Sie eine solche Rede halten sollten!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Annalena Baerbock. Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Fabritius, ich verstehe jetzt, ehrlich gesagt, nicht, was Ihr Angriff soll, und bin maßlos schockiert. Manuel Sarrazin hat sehr deutlich gemacht, weswegen wir eine Kontextualisierung der Charta eingefordert haben. Mit Ihrer Rede haben Sie jetzt noch einmal deutlich gemacht, dass es mehr als nötig war, dass wir diese Kontextualisierung hier eingefordert haben; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) denn offensichtlich ist noch immer nicht erkannt worden, um was es geht. Es geht hier nicht um die polnische oder die deutsche Sicht, sondern es geht um unsere deutsche Sicht auf unsere eigene Vergangenheit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Gestern haben wir gesagt: „Wir müssen aus den Lehren unserer Vergangenheit die Zukunft bauen“, und dabei muss man auch offen darüber reden, wie verschiedene Dinge einzuordnen sind. Wenn Sie erlauben, Frau Präsidentin, möchte ich gerne zitieren aus einem Buch von Andreas Kossert mit dem Titel Kalte Heimat – Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945: Das „Recht auf die Heimat“ verstand der BdV als Recht auf Rückkehr, weshalb er anstrebte, die provisorischen Grenzen von 1945 mit Hilfe des Selbstbestimmungsrechts der Völker zugunsten Deutschlands zu revidieren. Wir haben gehört, dass das von einigen am Anfang als Versöhnung gesehen wurde. Aber es hat bis Mitte der 70er-Jahre gedauert, bis die Revision der deutschen Grenzen nicht weiter eingefordert wurde. Ich möchte gerne weiter zitieren: Mit Kritikern ... ging der BdV äußerst schroff um ... Einer der ersten, die offen gegen den bundesdeutschen Konsens auf eine Rückkehr der Ostgebiete auftraten, war der Leiter des Sozialamts der Evangelischen Kirche in Westfalen und ehemalige pommersche Gutsbesitzer Klaus von Bismarck, der auf dem Leipziger Evangelischen Kirchentag im Juli 1954 ausdrücklich auf seine Güter in Pommern verzichtete ... Das wurde vom BdV-Vizepräsidenten Erich Schellhaus massiv verurteilt. Selbst noch 1962 forderte dieser gar ein Gesetz, das Verzichtsbekundungen in bezug auf „ostdeutsches Land“ mit Gefängnis bestrafen sollte. Das können wir doch nicht einfach leugnen. Deswegen müssen wir diese Passage hier kontextualisieren. Es ist wirklich traurig, dass Sie sich den Vorrednern Ihrer Fraktion nicht anschließen konnten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Bernd Fabritius, bitte schön. Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU): Frau Kollegin, schockierend finde ich, dass Sie es auch heute nicht unterlassen können, die Frage der Grenzen mit der Frage eines Heimatrechtes zu verbinden. Die Grenzen werden deutlich nicht infrage gestellt. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Ich kommentiere, Herr Kollege, nicht mögliche Positionen, die ein halbes Jahrhundert alt sind, wie ich im Übrigen auch nicht Positionen der Grünen kommentiere, die sich in den letzten 20 oder 30 Jahren in anderen Bereichen geändert haben. Ich habe in meiner Rede bedauert, dass bei den Grünen offenkundig nicht die Bereitschaft besteht, gemeinsame Versöhnungsleistung anzuerkennen. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Im Übrigen finde ich es unredlich, dass auch die Grünen regelmäßig die Kritik an der Unterzeichnung der Charta der deutschen Heimatvertriebenen immer wieder wie eine Monstranz vor sich hertragen. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass Menschen, die in ihrer Zusammensetzung die gesamte deutsche Zivilgesellschaft vertreten, vertrieben worden sind, darunter mit Sicherheit auch Menschen, die vorher Schuld auf sich geladen haben; das wird nicht infrage gestellt. Aber die Zusammensetzung des BdV als Verband dieser gesamten vertriebenen Zivilgesellschaft war doch keine andere als zum Beispiel die Zusammensetzung beim ADAC oder bei anderen Verbänden, (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sagt Ihre eigene CDU etwas anderes!) die ich Ihnen alle aufzählen könnte. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der LINKEN: Oh mein Gott!) Ich bedauere sehr, dass bei Ihnen offenkundig nach wie vor die Bereitschaft, eine gemeinsame Versöhnungsleistung anzuerkennen, fehlt. Ich wünschte mir, Sie würden das Wesen des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages selbst verinnerlichen und in die Zukunft tragen. Danke. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN und vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Nächster Redner in der Debatte: Dietmar Nietan für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dietmar Nietan (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir führen die Debatte zur Würdigung des Nachbarschaftsvertrags und seiner 25-jährigen Geschichte an einem für Europa sehr denkwürdigen Tag. Lassen Sie mich so viel sagen: Ob die gerade zu beobachtende innenpolitische deutsche Nabelschau der Bedeutung des Themas „25 Jahre Nachbarschaftsvertrag“ an diesem Tag, an dem die Briten über ihren Verbleib in der EU abstimmen, gerecht wird, muss jeder für sich selber entscheiden. Ich habe dazu meine ganz persönliche Meinung. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte mich ausdrücklich bei Christoph Bergner bedanken. Lieber Christoph, ich gebe das Dankeschön gerne zurück. Ich möchte mich auch bei Manuel Sarrazin bedanken. Wir haben sehr gut zusammengearbeitet. Ich stelle einmal die gewagte These auf: Wenn Sarrazin, Bergner und Nietan die Dinge hätten alleine entscheiden können, hätten wir heute einen gemeinsamen Antrag gehabt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Bernd Fabritius [CDU/CSU]) Ich habe es schon betont: Heute ist ein wichtiger Tag für Europa. Deshalb erlauben Sie mir bitte, nachdem schon so viel zum Nachbarschaftsvertrag gesagt worden ist, ein paar grundsätzliche Anmerkungen. Viele Polen und Deutsche sind heute in dem Hoffen und Bangen miteinander vereint, dass die Bürgerinnen und Bürger Großbritanniens, die sich für den Verbleib Großbritanniens in der EU aussprechen, eine Mehrheit haben. Ich finde, unabhängig davon, wie die Entscheidung in Großbritannien heute ausgeht, sollten uns der Mut und der Freiheitswille der polnischen Nation ein Vorbild sein, morgen unabhängig vom Ausgang dieses Referendums noch härter und noch intensiver daran zu arbeiten, dass Europa zusammenwächst. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf den Tag genau 46 Jahre, nachdem der Warschauer Aufstand von den deutschen Besatzern brutal niedergeschlagen wurde, konnten wir Deutschen unsere Wiedervereinigung feiern. Wir konnten sie auch deshalb feiern, weil das polnische Volk immer schon für die Freiheitsliebe und für die Freiheit in Europa gestanden hat. Ich erinnere an die erste moderne Verfassung, die es in Polen gab. Ich erinnere an die Losung des Novemberaufstands von 1830: „Für unsere und eure Freiheit!“ Ich selber werde den 14. August 1980 nicht vergessen. An jenem Tag konnten wir ein Bild sehen, das um die Welt ging. Damals stand ein Mann mit einem sehr charakteristischen Schnauzbart auf der Mauer der Danziger Lenin-Werft, und man konnte seinem Blick entnehmen, dass er sehr entschlossen war und keine Angst hatte. Lech Walesa stand auf der Mauer und lächelte die Hoffnung zuversichtlich heraus. Dieses Bild werden viele von uns nicht vergessen. Es ist schon etwas ganz Besonderes, dass ausgerechnet das polnische Volk, welches unermesslich unter deutscher Barbarei gelitten hat, einen so herausragenden Beitrag geleistet hat, damit die Deutschen ihre Einheit wiedererlangen konnten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es nötigt einem allen Respekt ab, mit welcher Chuzpe Lech Walesa und seine Freunde es geschafft haben, eine Diktatur ohne Blutvergießen zu stürzen, indem sie sich mutig und kaltschnäuzig mit ihrem Unterdrücker, General Jaruzelski, an einen Tisch gesetzt und einfach das Regime wegverhandelt haben. In einem Staat, in dem zu dieser Zeit über 100 000 sowjetische Soldaten stationiert waren, war das ein unglaubliches Meisterstück. Es ist schon fast ein Treppenwitz der Geschichte, dass die Anhänger und ideologischen Chefdenker der heutigen Regierung ausgerechnet das Lech Walesa vorwerfen: dass er es geschafft hat, ohne Blutvergießen eine Diktatur zu stürzen. Ich finde, Lech Walesa ist derjenige, der in dieser großartigen Freiheitstradition des polnischen Volkes steht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Noch etwas hat die Solidarnosc-Revolution aus meiner Sicht ausgezeichnet. Der große polnische Denker Aleksander Smolar hat das auf den Punkt gebracht, als er sagte: Der Erfolg der Solidarnosc war eine Antirevolution, weil der Bewegung der Solidarnosc das revolutionäre Pathos fehlte, dass sie eine Revolution machen würden, die alle Menschen schlagartig befreie und das Himmelreich auf Erden schaffe. Ich finde, dass es gar nicht genug wertzuschätzen ist, welchen Beitrag die Polen mit dieser, wenn ich es so sagen darf, revolutionären Antirevolution zur europäischen Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts geleistet haben. Ich finde, heute ist ein guter Tag, daran zu erinnern, nicht nur wegen der Abstimmung in Großbritannien, sondern auch, weil wir feststellen müssen, dass die Freiheit in Europa durch innere und äußere Feinde immer mehr unter Druck gerät. Uns gefährdet nicht nur ein Terrorismus, der unsere Werte ablehnt. Es sind gerade die inneren Feinde in unseren Staaten, die glauben, mit autoritärem Gebaren, mit einfachen Lösungen und einem plumpen Nationalismus, der zwischen uns und denen unterscheidet, irgendetwas erreichen zu können, und die die oft berechtigten Ängste der Menschen schamlos ausnutzen für ein Spiel mit der Angst, das am Ende in Europa nicht mehr, sondern weniger Freiheit bringen wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Aus diesem Grund, liebe Kolleginnen und Kollegen, macht es vielleicht Sinn, auch heute noch einmal nach Danzig zu schauen, zu dieser Stadt, in der so vieles anfing. Direkt an der Lenin-Werft steht heute das Europäische Zentrum der Solidarnosc. Und ebenfalls in Danzig entsteht gerade ein großartiges Museum zur Geschichte des Zweiten Weltkrieges. Beide Einrichtungen sorgen dafür, dass die Geschichte der Freiheit und des Kampfes um Freiheit in Europa eben nicht vergessen wird. Sie sorgen weiterhin dafür, dass wir diese Geschichte im Rahmen einer Multiperspektivität in einem europäischen Kontext betrachten können, um durch ein gemeinsames Lernen und Handeln aus der Geschichte heraus zu einem gemeinsamen Europa zu kommen. Das ist ein völlig anderer Ansatz als das engstirnige und ausgrenzende nationalistische Pathos, das gerade diejenigen in Polen vorbringen, denen diese beiden Einrichtungen in Danzig ein Dorn im Auge sind. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Deshalb macht es, finde ich, auch Sinn, heute zu unterstreichen, dass genau solche Einrichtungen in der großen polnischen Tradition der Freiheitsliebe stehen. Das trifft leider nicht auf das zu, was wir von der derzeitigen polnischen Regierung sehen müssen. Vor allen Dingen wird aber die Tradition, sich für die Freiheit einzusetzen, von den vielen Bürgerinnen und Bürgern in Polen fortgesetzt, die sich im Komitee zur Verteidigung der Demokratie zusammengeschlossen haben. Ich finde, diese Bürgerinnen und Bürger sind die wahren europäischen Patrioten, die wir in allen Ländern der Europäischen Union – und nicht nur in Polen – brauchen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zum Schluss noch einmal unterstreichen, dass wir eben diese europäischen Patrioten brauchen, die sich für ein gemeinsames, freies und solidarisches Europa einsetzen, welches den aufkommenden nationalistischen Ideologien die unideologische Idee der so erfolgreichen Antirevolution der Solidarnosc entgegensetzt, die da lautet, einfach mit solidarischem Handeln die Wirklichkeit Schritt für Schritt gemeinsam zum Guten zu verändern, anstatt sich einer Ideologie zu verschreiben. In diesem Sinne möchte ich zum Schluss meinen polnischen Freunden zurufen: Walczmy znow razem za wolnosc wasza i nasza we wspolnej, wolnej i solidarnej Europie! – Lasst uns wieder gemeinsam kämpfen für eure und unsere Freiheit in einem gemeinsamen, freien und solidarischen Europa! Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Stefan Heck für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Stefan Heck (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist ja nie ganz leicht, wenn man der letzte Redner in einer Debatte ist. Es kommt hinzu, dass in dieser Debatte die Europa- und Außenpolitiker die bilateralen Fragestellungen und auch die offenen Fragen umfassender und kenntnisreicher dargestellt haben, als es ein Rechtspolitiker wie ich könnte. (Beifall des Abg. Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Trotzdem freue ich mich sehr, dass ich heute als Vorstandsmitglied der Deutsch-Polnischen Parlamentariergruppe sprechen darf. Mir liegen unser Nachbarland und die deutsch-polnische Freundschaft sehr am Herzen. Der bescheidene Beitrag, den ich am Ende dieser Debatte beisteuern kann, ist zugegebenermaßen eher etwas persönlich gefärbt. Ich hoffe aber, dass meine eigene Geschichte in Bezug auf unser Nachbarland stellvertretend für die Gemeinsamkeiten steht, die es inzwischen gerade in der jungen Generation gibt: von anfänglicher Unkenntnis über ehrliches Interesse hin zu aufrichtiger Zuneigung und Freundschaft. Als während meines Studiums die Entscheidung über ein Auslandssemester anstand, zog es viele nach Frankreich, Italien, Spanien oder England. Ich bin eher zufällig – durch einen Aushang in der Uni – auf einen Studienplatz in Krakau gestoßen. Ich war vorher nie dort. Auch familiär hatte ich keine Bindungen dorthin, und insbesondere kannte ich die polnische Sprache nicht. Vielleicht aber fand ich diese Wahl gerade deshalb so spannend. Die Wahl dieses vermeintlich exotischen Studienortes wurde ein wenig dadurch erleichtert, dass es eine ausgesprochen großzügige Förderung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes gab. So hat sich das, was im deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag niedergelegt ist, auf mein Studium bzw. meine Ausbildung ganz unmittelbar ausgewirkt. Das war im Jahr 2005, ein Jahr nach dem EU-Beitritt von Polen. Das war das Jahr, in dem Papst Johannes Paul II., der frühere Erzbischof von Krakau, starb. Sein Wirken ist hier schon angemessen gewürdigt worden. Ich will hinzufügen: Man darf überhaupt nicht unterschätzen, welcher Beitrag es für das Bild der Deutschen in unserem Nachbarland war, dass auf diesen großen polnischen Papst ein deutscher folgte. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) Ich kann jedenfalls rückblickend sagen, dass die Zeit in Krakau zu den lehrreichsten und sicherlich auch zu den prägendsten Jahren meiner Ausbildung gehörte. Es ist gut, dass Deutschland heute in vielen Bereichen Spitzenpositionen einnimmt. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass Deutschland und Europa auch eine Menge von unseren polnischen Nachbarn lernen können. Es sind zwei Punkte, die mich immer wieder besonders beeindrucken. Dies sind erstens die Freiheitsliebe und die Standfestigkeit des polnischen Volkes. Es gab viele Staaten, in denen die Kommunisten geherrscht haben, aber kein anderes Volk hat sich diesen Herrschern so widersetzt, wie es die Polen getan haben. In keinem anderen Land war die Distanz zwischen diesem Regime und der Gesellschaft so groß, wie sie in Polen war. Vielleicht war das die Voraussetzung dafür, dass in Polen die Grundlage für die Freiheit von Deutschland und Europa gelegt worden ist. Es waren die mutigen Polinnen und Polen der 80er-Jahre, denen wir heute nicht dankbar genug sein können. Ohne sie wäre unsere Freiheit nicht möglich gewesen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es gibt noch einen zweiten Punkt, der mich immer wieder besonders beeindruckt. Das galt 2005, und das gilt nach wie vor. Es ist die große Begeisterung gerade der jungen Generation in Polen für die gemeinsame Idee Europa. Wie oft verlieren wir uns in Deutschland, aber auch in anderen Ländern, in kleinteiligen Debatten über das, was möglicherweise richtig und falsch ist, und verlieren das große Ganze aus den Augen. Ich habe gerade von den jungen Polen gelernt, wie heilsam manchmal der unverstellt optimistische Blick auf dieses große Friedensprojekt sein kann. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich finde, lieber Manuel Sarrazin, es ist eine schöne Fügung, dass nicht nur wir beide 1982 geboren sind, (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gutes Jahr!) sondern auch der neu gewählte Vorsitzende der Polnisch-Deutschen Parlamentariergruppe im Sejm. In den Jahren, als wir zwei uns in unser östliches Nachbarland aufgemacht haben, um zu studieren und um Freundschaften zu pflegen, hat er sich auf den Weg nach Deutschland, nach Osnabrück gemacht, wo er einen Teil seines Studiums verbracht hat. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Über Osnabrück muss man noch mal diskutieren!) Eine gute Freundschaft zwischen Deutschland und Polen ist noch keine hinreichende, aber doch eine zwingend notwendige Voraussetzung für den Zusammenhalt in Europa. Lassen Sie uns weiter gemeinsam daran arbeiten, mit Freude am Erreichten, mit der Betonung von Gemeinsamkeiten und auch mit der offenen Aussprache von Trennendem, so wie es echte Freunde miteinander tun. Lassen Sie uns gemeinsam dafür Sorge tragen, dass auch künftig die jungen Generationen die Erfahrungen machen können, die Manuel Sarrazin, Szymon Szynkowski und ich im letzten Jahrzehnt machen durften. Das ist das Beste, was wir tun können. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/8861 mit dem Titel „Versöhnung, Partnerschaft, Zusammenarbeit – 25 Jahre deutsch-polnischer Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8765 mit dem Titel „Versöhnung, Partnerschaft, Zusammenarbeit – 25 Jahre deutsch-polnischer Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gab auch Enthaltungen in den Reihen der SPD! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Bei der SPD ist alles möglich!) – Es gab einige Enthaltungen in den Reihen der SPD. Das tragen wir jetzt für das Protokoll nach. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 c sowie den Zusatzpunkt 4 auf: 29.   a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Otto-von-Bismarck-Stiftung Drucksache 18/8497 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Integrationsgesetzes Drucksachen 18/8829, 18/8883 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 12. November 2015 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Australien zur Beseitigung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie zur Verhinderung der Steuerverkürzung und -umgehung Drucksache 18/8830 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ZP 4 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung Drucksache 18/8858 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) Innenausschuss Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a bis 30 g auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 30 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinien (EU) 2015/566 und (EU) 2015/565 zur Einfuhr und zur Kodierung menschlicher Gewebe und Gewebezubereitungen Drucksachen 18/8580, 18/8840 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) Drucksache 18/8906 Mit dem Gesetzentwurf werden detaillierte Verfahrensvorschriften für die Einfuhr menschlichen Gewebes, menschlicher Zellen bzw. von Gewebezubereitungen in nationales Recht umgesetzt. Des Weiteren wird die Kodierungsrichtlinie umgesetzt, durch die die verpflichtende Verwendung einer einheitlichen europäischen Kodierung von Geweben und Gewebezubereitungen vorgesehen wird. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8906, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/8580 und 18/8840 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses, Tagesordnungspunkte 30 b bis 30 g. Tagesordnungspunkt 30 b: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 327 zu Petitionen Drucksache 18/8727 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 327 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 30 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 328 zu Petitionen Drucksache 18/8728 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 328 ist ebenfalls einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 30 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 329 zu Petitionen Drucksache 18/8729 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 329 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 30 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 330 zu Petitionen Drucksache 18/8730 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 330 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 30 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 331 zu Petitionen Drucksache 18/8731 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 331 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 30 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 332 zu Petitionen Drucksache 18/8732 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 332 ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aussagen von Bundesminister de Maizière zu ärztlichen Attesten in Abschiebeverfahren Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Katrin Göring-Eckardt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Bundesinnenminister, am Wochenende haben Sie gesagt, 70 Prozent der abschiebepflichtigen Flüchtlinge unter 40 Jahren würden sich Gefälligkeitsatteste beschaffen und damit ihre Abschiebung aussetzen. Sie setzen das in die Welt. Sie können das nicht belegen. Das ist dreist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das ist ein Affront gegen die Ärzteschaft, das ist eine Stigmatisierung von Flüchtlingen, und das ist Brennstoff für den Hass, der unser Land derzeit verzehrt – und das vom Bundesinnenminister. Herr de Maizière, Sie sind für Sicherheit zuständig und nicht für Verunsicherung in eh schwierigen Zeiten durch Lügen und durch Laisser-faire. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das ist nicht die erste Äußerung dieser Art. Erinnern Sie sich noch? Ich zitiere: Sie – die Flüchtlinge – gehen aus Einrichtungen raus, sie bestellen sich ein Taxi, haben erstaunlicherweise das Geld, um Hunderte von Kilometern durch Deutschland zu fahren. Was treibt Sie dazu, Menschen, die Haus und Auto, die ihre Heimat verloren haben und hierhergekommen sind, so zu stigmatisieren? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Sie haben behauptet, 30 Prozent der Flüchtlinge würden sich fälschlich als Syrer ausgeben. In Wahrheit war es, glaube ich, ein halbes Prozent. Sie haben vorgeschlagen, Hilfspolizisten auszubilden, nachdem sich in manchen Teilen dieses Landes Bürgerwehren gegen diesen Staat aufstellen. Das ist unverantwortlich. Wollen Sie das eigentlich noch füttern? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Dann Ihre Aussage: „Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern.“ Man fragt sich: Warum sagt ein Innenminister so etwas? Hat er eigentlich sich und sein Haus wirklich noch unter Kontrolle? (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wohl!) Diese Fragen stelle nicht nur ich mir. Wenn man sich hier im Hause umschaut und umhört, dann stellt man fest: Das geht vielen Kolleginnen und Kollegen der SPD so, ja sogar Teilen der Union. Ich will jetzt keine Spekulationen darüber anstellen, warum sich die Redeliste hier dauernd ändert. Es ist nicht nur so, dass Sie häufig die falschen Worte finden – so wie bei der kleinlichen und peinlichen Attacke auf die wenigen hundert Fälle von Kirchenasyl in Deutschland –; Sie lassen sogar die neuen Überwachungsgesetze ausgerechnet von den Sicherheitsbehörden schreiben, deren Rechte ausgeweitet werden und die Sie eigentlich kontrollieren sollen – nach dem Motto: Das ist ja auch bequemer. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Am Schluss werden diese Schreiber des Gesetzes auch noch als unabhängige Sachverständige eingeladen. Das hat doch mit Parlamentarismus, mit Unabhängigkeit, mit Gewaltenteilung nichts mehr zu tun, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) In genau dem Moment, in dem die Verunsicherung am größten ist und die rechtspopulistischen Angriffe auf unsere Grundwerte, auf unsere Demokratie und auf den friedlichen Zusammenhalt am heftigsten sind, erleben wir einen Innenminister, der ganz offensichtlich Politik aus dem Bauch heraus macht. Meine Damen und Herren, das kann doch nicht sein. Es geht doch hier um Sicherheit. Es geht doch hier um das Sicherheitsgefühl. Es geht doch hier darum, den Zusammenhalt zu stärken und in dieser Situation nicht noch weiter zu spalten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Dabei gäbe es wirklich viel zu tun. Welche Pläne haben Sie eigentlich, um den Berg von fast 500 000 unerledigten Asylanträgen abzutragen? Wie gedenken Sie den Saustall im Bundesamt für Verfassungsschutz eigentlich in den Griff zu kriegen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU – Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Unerhört!) Wir würden gern wissen, was auf den Handys und SIM-Karten von NSU-Zeugen gespeichert ist, die hier im Wochentakt neu auftauchen, meine Damen und Herren. Herr Innenminister, man hat nicht mehr das Gefühl, dass Sie führen und regieren. Sie mussten sich bei der Zuständigkeit für die Flüchtlingskoordinierung vom Bundeskanzleramt jemanden vor die Nase setzen lassen. Ich sage Ihnen eines – das weiß hier auch jeder –: Ich bin mit harten Angriffen und auch mit Rücktrittsforderungen sehr vorsichtig (Max Straubinger [CDU/CSU]: Oh!) – das sollte man übrigens auch sein –, aber nach dieser Latte von Äußerungen, diesem Versagen und nach Ihrer Äußerung vom letzten Wochenende kann ich nur sagen: Sie sind als Innenminister für diese Republik aus meiner Sicht nicht mehr tragbar. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Tun Sie uns und dem Land den Gefallen: Treten Sie zurück! Nehmen Sie Herrn Maaßen gleich mit! Machen Sie jetzt den Weg frei für faktenbasierte Politik, für Sorgfalt! (Erika Steinbach [CDU/CSU]: Das ist der Grund, warum ich aus der Kirche ausgetreten bin!) Machen Sie in diesem Augenblick Platz, damit die Sicherheitspolitik in diesem Land wieder auf vernünftige Füße gestellt werden kann! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Man könnte jetzt sagen: Das Innenministerium ist seit elf Jahren in den Händen von CDU und CSU, und alles ist eigentlich immer schlimmer geworden. Aber was wir jetzt wirklich brauchen, ist jemand, der dafür sorgt, dass sich die Menschen in diesem Land gut aufgehoben fühlen, dass sie sich sicher fühlen und nicht weiter verunsichert werden durch Scheinfakten, durch einen Minister dieser Bundesregierung. Das wird nichts mehr. Auf Sicherheit kommt es doch an, und zwar für jeden und jede, jeden Tag, egal ob jemand einen Tag oder schon sein ganzes Leben in diesem Land lebt, egal ob es gegen den islamistischen Terror geht oder den immer weiter steigenden Rechtsterror. (Erika Steinbach [CDU/CSU]: Und den Linksterror!) Meine Damen und Herren, wir brauchen wieder Sicherheit in diesem Land und einen Minister, der das verkörpert und ausstrahlt. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Bundesminister des Innern Dr. Thomas de Maizière. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Vielleicht wird es einige von Ihnen überraschen, aber ich bin froh und dankbar, dass die Grünen diese Aktuelle Stunde beantragt haben. Warum? Wir diskutieren mit Herz und Kopf über Fragen der Integration. Das tun wir viel, und das tun wir zu Recht. Wir sprechen gern über Förderung, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fakten!) über Fördern und Fordern, (Max Straubinger [CDU/CSU]: Ist besser!) über den Zusammenhalt der Gesellschaft, über Chancen, und wir freuen uns, wenn Integration gelingt. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn mit der erfundenen Statistik?) Nicht so gern sprechen aber einige über die andere Seite derselben Medaille: (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erfundene Statistiken!) über die Durchsetzung von ablehnenden Asylentscheidungen, (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Wir!) über Rückführungen und Abschiebungen und über Probleme, von denen jeder weiß, dass es sie gibt. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir zum Beispiel!) Das haben die Grünen heute beantragt. Deswegen sage ich: Gut so! Reden wir also darüber. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Aber die Wahrheit sagen! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Woher haben Sie denn die Zahlen, die Sie immer verwenden?) – Seien Sie doch einmal ganz ruhig, ich komme ja auf den Punkt zu sprechen. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Was ist denn mit der Statistik?) – Frau Haßelmann, ich komme darauf. Eine Rede entwickelt sich doch. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Wohin?) Als Bundesinnenminister spreche ich seit Monaten mit Länderkollegen, Landräten, Bürgermeistern, freiwilligen Helfern und Praktikern der Ausländerbehörden und der Polizeien, (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch!) zuletzt heute, vor zwei Stunden, mit Vertretern des Deutschen Städtetages. Bei alledem wird mir ein Bild über die wirklichen Probleme vor Ort vermittelt. Sie alle berichten mir das Gleiche: Ja, wir kümmern uns um Integration. Wir wollen das gerne tun. – Aber es gibt in Deutschland auch Probleme bei freiwilligen Rückführungen und erst recht bei Abschiebungen von abgelehnten Asylbewerbern. Einige berichten von merkwürdig hohen Krankenständen unter abgelehnten Asylbewerbern, andere von Menschen, die ihre Pässe wegschmeißen, andere von Menschen, die untertauchen, weil sie ihrer Abschiebung entgehen wollen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich finde Sie nervend!) Viele berichten auch von der mangelnden Bereitschaft mancher Herkunftsländer, ihre eigenen Staatsbürger zurückzunehmen. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Interessant! Was haben Sie da getan?) Alle diese Probleme gibt es. Sie sind real, und wir sind gut beraten, sie nicht zu verschweigen, (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) sondern sie anzusprechen. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und auch nicht zu übertreiben! Nicht verschweigen und nicht übertreiben!) – Das ist wahr. Ende Mai dieses Jahres hielten sich in Deutschland über 220 000 vollziehbar Ausreisepflichtige auf, davon etwa 52 000 sogar ohne eine Duldung. Dieser hohen Zahl stehen zum gleichen Zeitpunkt nur knapp 11 300 Abschiebungen in den ersten fünf Monaten dieses Jahres gegenüber. Hinzu kommen rund 25 000 vom Bund geförderte freiwillige Ausreisen. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das Thema der Aktuellen Stunde ist etwas anders!) Das sind viel mehr als in den vergangenen Jahren – das ist richtig so –, aber es sind angesichts der Größe der Aufgabe immer noch zu wenig. Diese Zahlen haben ihren Grund eben auch in sogenannten medizinischen Abschiebehindernissen, auf die ich hingewiesen habe. Ich habe, Frau Göring-Eckardt, in diesem Zusammenhang in einem Interview eine Zahl genannt, keine offizielle Statistik, sondern einen Erfahrungswert aus den Gesprächen, die ich zu diesem Thema geführt habe. (Lachen bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) Ja, ich hätte diesen Prozentsatz so nicht nennen sollen. Das will ich klar und unmissverständlich sagen. Ich habe bereits vor dieser Aktuellen Stunde diese Aussage zurückgenommen. Tatsache ist aber: Es gibt beim Thema Abschiebung Probleme durch Krankschreibungen und Atteste. Darüber müssen wir öffentlich diskutieren. (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil die Leute krank sind!) Durch Leugnen, Kleinreden oder Wegschmeicheln löst man die Probleme nicht. Wenn wir die Probleme beim Namen nennen, müssen wir auch über Größenordnungen reden. Eine gemeinsame Bund-Länder-Arbeitsgruppe aus Praktikern von Bund und Ländern, die sich tagtäglich um Abschiebungen und Vollzugsdefizite kümmern, hat im April 2015 einen Bericht zu Vollzugsdefiziten bei Rückführungen vorgelegt. Ein Beispiel aus diesem Bericht: Wenn Ausreisepflichtige zur Klärung ihrer Staatsangehörigkeit von den Botschaften zu ihrer Herkunft befragt werden sollen, gibt es zahlreiche Krankmeldungen. Bei einer Stichprobe der Ausländerbehörde Berlin meldeten sich 80 Prozent der Ausreisepflichtigen mit Attest krank – ausgerechnet dann, wenn der Termin für eine Anhörung vorgesehen war. Ein weiteres Beispiel aus diesem gemeinsamen Bericht von Bund und Ländern über Vollzugsdefizite: Eine Evaluierung des Innenministeriums in Nordrhein-Westfalen hat ergeben, dass 70 Prozent der Ausreisepflichtigen psychische Erkrankungen als Vollzugshindernis geltend gemacht haben. (Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Und noch ein Beispiel aus dem Bericht: Die Zentrale Ausländerbehörde in Dortmund hat berichtet, dass dort über 85 Prozent der Menschen, die im Vorfeld einer Abschiebung medizinische Hindernisse geltend gemacht haben, im Anschluss an die Abschiebung einen bereits von hier aus organisierten medizinischen Dienst in ihrem Heimatland gar nicht mehr in Anspruch genommen haben. Nun sage ich Ihnen: Derart hohe Zahlen über Krankenstände und Atteste widersprechen einfach jeder Lebenserfahrung, und das wissen Sie selber auch. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag haben dieses Problem längst erkannt. Im Asylpaket II haben wir die Anforderungen an Qualität und Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung erhöht und uns damit auch der Praxis der Vorratsatteste entgegengestellt. Das haben wir nicht ohne Grund und Anlass gemacht, und wir haben es hier beschlossen. Eines sollte uns allen klar sein: Wer sich an einer Stelle für Integration einsetzt, der muss an anderer Stelle auf der Ausreise abgelehnter Asylbewerber bestehen. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, tun wir!) Selbst die Grünen haben auf ihrer Bundesdelegiertenkonferenz Ende letzten Jahres beschlossen – ich zitiere –: Dabei ist klar, dass nicht alle, die in Deutschland Asyl beantragen, auch bleiben können. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Genau!) Meine Frage ist ja nur: Wie denn, mit welchen Maßnahmen? Finden denn diejenigen irgendwo Unterstützung, (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht durch Unterstellungen! Fahren Sie nach Marokko!) die das machen müssen – die Bundespolizisten –, die eine Ausweisung verfügen, die eine Leistungskürzung vornehmen, von den Grünen? (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, kriegen sie! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie wäre es, wenn Sie mal bei richtigen Zahlen blieben?) Das möchte ich einmal erleben. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, die freiwillige Rückführung von Menschen ohne Bleiberecht und die unfreiwillige Abschiebung sind unbequem. Und ich verstehe, warum. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diese Unterstellungen helfen Ihnen nicht weiter!) Es geht um das Schicksal von Menschen, denen eine zumindest wirtschaftlich ungewisse Zukunft droht. Ich verstehe natürlich Menschen ohne Bleiberecht, die mit sich ringen, wie sie eine drohende Abschiebung möglicherweise noch abwenden können. Ich verstehe nicht alle Rechtsanwälte, die daraus ein Geschäftsmodell machen. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Genau!) Aber all das kann kein Maßstab für einen Rechtsstaat sein. Bei dieser Aufgabe brauchen wir Herz und Verstand. Nicht alle, die in Deutschland Asyl beantragen, können in Deutschland bleiben. Das ist Teil unserer Rechtsordnung. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen und müssen beim Thema Rückführung vorankommen – ohne Vorwürfe, ohne gegenseitige Schuldzuweisungen zwischen Bund und Ländern oder zwischen den Ländern. Bund und Länder handeln gemeinsam. Es ist die Aufgabe des Bundesinnenministers und von uns allen, bestehende Probleme anzusprechen, seien sie auch noch so unangenehm. Und es ist unsere gemeinsame Aufgabe, Lösungen zu entwickeln, ohne zu behaupten, alle Probleme seien sofort oder mit einem Schlage zu lösen. Meine Damen und Herren, ein faires Verfahren für alle, Hilfe, Schutz und Integration für Schutzbedürftige und Rückführung für nicht Schutzbedürftige – am besten freiwillig; da wo es nicht geht, auch durch Abschiebung –: Das ist ein Dreiklang, ein gemeinsamer Auftrag, der uns alle zusammenführen sollte, nicht nur hier im Deutschen Bundestag, sondern auch dort, wo diese schwierige Aufgabe im Alltag erfüllt werden muss. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Jan Korte für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jan Korte (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorab drei Anmerkungen zu Ihren Ausführungen, Herr Innenminister. Erstens. Ich habe zur Kenntnis genommen, dass Sie Ihre Aussage bezüglich der 70 Prozent zurückgenommen haben. Ich will klar sagen: Das kann jedem einmal passieren, aber einem Bundesinnenminister darf das in diesen Zeiten nicht passieren. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zweitens. Es geht heute entgegen Ihren Ausführungen in erster Linie nicht um Integration, sondern es geht um Sie, um Ihre Art, Politik zu machen, und darum, wie Sie Ihr Amt führen. Drittens. Ich will zu Ihrer Rede noch einmal deutlich sagen: Diejenigen vor Ort, die Sie angesprochen haben – Kommunalpolitiker, Vereine, Verbände und viele andere –, leisten reale Integrationsarbeit. Mit Ihrem Gerede konterkarieren Sie dies jeden Tag. Das muss deutlich gesagt werden. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, einige Ältere werden sich noch erinnern: Bundesinnenminister de Maizière galt einmal als möglicher Nachfolger der Bundeskanzlerin Merkel. Davon redet keiner mehr, und zwar zu Recht. Allerdings reden Sie sich jede Woche um Kopf und Kragen. Das hat ja offenbar Methode. Das fällt bei Ihnen besonders auf, weil Sie einmal als jemand gestartet sind, der alles technokratisch und seriös managt. Sie haben eine Methode entwickelt, die umso ausgereifter wird, je weniger Einfluss Sie haben: Zunächst behaupten Sie irgendetwas, am liebsten in Sonntagszeitungen, dann gibt es seriöse Nachfragen von der Opposition oder den Journalisten und Sie können ihre Behauptung nicht belegen, wie ich gleich beweisen werde, anschließend wird eingeräumt, dass die Aussage vielleicht doch nicht richtig gewesen ist. Das Schlimme ist: Drei Wochen später machen Sie schon wieder eine Falschaussage. Das ist die Methode de Maizière, die für einen Innenminister inakzeptabel ist. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Katrin Göring-Eckardt hat dies eben ausgeführt. Ich will Ihnen vorlesen, was Sie behauptet haben und jetzt als falsch eingeräumt haben: Es kann nicht sein, dass 70 Prozent der Männer unter 40 Jahren vor einer Abschiebung für krank und nicht transportfähig erklärt werden. – Ich habe verstanden, dass Sie das nicht richtig finden. Das Problem ist, dass Sie einmal deutlich sagen müssen, dass es reine Fantasiezahlen sind, die Sie in dieser gesellschaftlichen Situation herausfeuern. Das vergiftet das Klima. Ich will eines sagen: Flüchtlinge sind Menschen. Jeder Einzelne hat ein Schicksal, und er hat das Recht, dass nicht in Zahlenkolonnen über ihn geredet wird, wie Sie das machen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Mindeste, was Sie heute tun müssen, ist, sich nicht nur bei den Flüchtlingen für diese Unterstellung zu entschuldigen, sondern auch bei den Ärztinnen und Ärzten. Dass Sie das nicht getan haben, ist wirklich nicht zu fassen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will ein zweites Beispiel nennen, um zu zeigen, was die Methode de Maizière ausmacht. Sie haben vor einiger Zeit von den vielen Integrationsverweigerern gesprochen und behauptet, dass wir massive Sanktionen brauchen, um die Integrationsverweigerer zu bestrafen. Wahr ist – im Gegensatz zu Ihrer Aussage –, dass dies schon immer im Aufenthaltsgesetz stand. Auf Nachfrage von Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages konnten Sie nicht eine wirkliche Zahl nennen, wie viele Integrationsverweigerer es gibt. Das ist die Methode de Maizière, die einzig und allein das Klima vergiftet. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will auch deutlich sagen: Wenn Sie einmal mit Flüchtlingen reden, so werden Sie feststellen, dass der Integrationswille und die Integrationsmotivation von Flüchtlingen deutlich höher sind als die Zahl der Integrationsangebote, die die Bundesregierung macht. Auch das muss einmal deutlich gesagt werden. Das haben Sie vollständig verschlafen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Man kann einmal daran erinnern – die Kollegen von der Union gucken schon ganz betreten –: (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Ob der Qualität Ihrer Rede!) Es war nicht nur die Opposition, sondern es war auch Ihre Bundeskanzlerin, die immer wieder auf die Falschaussagen aufmerksam gemacht hat. Ich möchte daran erinnern, dass sie es war, die auf dem Höhepunkt der Debatte um die Flüchtlinge den dafür eigentlich zuständigen Innenminister politisch erster Klasse beerdigt hat und die Zuständigkeit für das Thema auf ihren Freund Altmaier übertragen hat, weil es der Innenminister nicht hinbekommen hat. Daran darf man doch wohl in diesem Zusammenhang erinnern. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will auch daran erinnern, Herr Innenminister, dass Sie das Parlament schon offen belogen haben. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Hey!) Ich erinnere an den 14. April 2015, als Sie auf Nachfrage, ob es denn eine Wirtschaftsspionage durch die NSA gebe, gesagt haben, das gebe es nicht, obwohl Sie vorher längst darüber informiert gewesen sind. Auch daran muss in diesem Zusammenhang erinnert werden. Zusammenfassend kann man doch nur sagen: Sie, Herr de Maizière, sind in diesen schwierigen Zeiten, in denen wir uns befinden, nun wirklich der denkbar unpassendste Innenminister, den man sich nur vorstellen kann. Über Flüchtlinge wird von Ihnen nur in Form von Zahlen und Problemen geredet. Dies vergiftet das Klima. Die AfD braucht kein Plakat aufzuhängen, solange es solch einen Innenminister gibt – um auch das klar zu sagen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Solange es solche Reden wie Ihre gibt!) Abschließend stelle ich fest: Wenn man einmal zurückschaut, dann erkennt man, dass es schon Minister gab, die wegen bedeutend geringerer Verfehlungen ihr Amt zur Verfügung gestellt haben. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Lars Castellucci für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Heiko Schmelzle [CDU/CSU]) Dr. Lars Castellucci (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, zunächst einmal können wir über Inhalte reden, und dann müssen wir über dieses Interview reden. Bei den Inhalten haben wir im Prinzip kaum einen Dissens. Denn keine Frage: Wir wollen das, was wir hier rechtsstaatlich miteinander vereinbart haben, in diesem Land auch durchsetzen. Wir wollen, dass die Menschen, die zu uns kommen, sich an die Spielregeln halten. Also müssen wir uns auch selbst an die Spielregeln halten. Deswegen gehören auch Rückführungen und Abschiebungen dazu – das ist gar keine Frage. Das macht niemandem Spaß, am wenigsten denen, die zu uns geflohen sind und hier kein Bleiberecht haben; Familien und Kinder sind betroffen. Das macht auch den Verwaltungen keinen Spaß, das macht der Polizei keinen Spaß. Nebenbei: Viel sinnvoller ist es, auf freiwillige Rückkehr zu setzen und Rückkehrhilfen zu geben. Noch viel besser wäre es, wir würden dafür sorgen, dass Menschen, die gar keine Chance haben, hierbleiben zu dürfen, sich gar nicht erst auf den Weg zu uns machen, weil sie die entsprechenden Informationen schon in ihren Herkunftsländern bekommen hätten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es gibt einen Dissenspunkt. Wir sind anders als Sie der Meinung, dass wir dann auch andere, legale Zugangswege nach Deutschland eröffnen müssen. Da geht es um ein Einwanderungsgesetz; es ist bitter nötig. Das gehört in diesem Zusammenhang auch gesagt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber jetzt, Herr Minister, kommen wir zu Ihrem Interview. Ich bin diese Woche mal wieder von meiner Hochschule hierher angereist. Ich kam bei der Vorbereitung auf meine Rede am heutigen Tag nicht umhin, Parallelen zwischen dem, was ich am Montagmorgen gesagt habe, und dem, was ich jetzt sage, festzustellen. Der erste Punkt, den ich am Montagmorgen den Studierenden gesagt habe, war: Wenn ihr Behauptungen aufstellt, dann braucht ihr gute Argumente, dann müsst ihr Belege anführen, dann braucht es seriöse Quellen. Herr Innenminister, das erwarte ich auch von Ihnen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jetzt haben Sie gesagt, Sie hätten diese Zahl nicht nennen sollen. Aber Sie haben in Ihrer Rede deutlich gemacht, dass Sie inhaltlich überhaupt nichts zurücknehmen. Herr Innenminister, das ist nicht ausreichend. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich zitiere Sie: Es kann nicht sein, dass 70 Prozent der Männer unter 40 Jahren vor einer Abschiebung für nicht transportfähig erklärt werden. Genauso gut hätten Sie jetzt sagen können: Ja, genau, ich habe doch gesagt, es kann nicht sein. – Damit hätten Sie auch nichts zurückgenommen. Wenn Sie eine Behauptung aufstellen, dann müssen Sie sie entweder belegen – was Sie nicht können – oder sie richtig zurücknehmen. Das ist meine Erwartung. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zum zweiten Punkt, der am Montag wichtig war. Ich habe den Studierenden gesagt: Fehler dürft ihr machen – dann lernt ihr vielleicht sogar etwas dabei –, aber bitte wiederholt die Fehler nicht; denn wenn ihr Fehler wiederholt, dann ist das ein Zeichen dafür, dass ihr nichts gelernt habt. Da komme ich zu Ihrer Aussage aus dem letzten Herbst, Sie haben gesagt: Ungefähr 30 Prozent der Menschen, die kommen und behaupten, sie seien Syrer, sind gar keine. Es gebe Flüchtlinge, die sich Taxis bestellen und erstaunlicherweise das Geld hätten, um Hunderte von Kilometern durch Deutschland zu fahren. (Zuruf des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Herr Innenminister, auch für diese Punkte hatten Sie keine Belege. Vielleicht erwarten Sie jetzt hier von einem Mitglied einer Koalitionsfraktion Unterstützung und Rückendeckung, aber ich erwarte von meinen Studierenden und am Ende auch von meinem Innenminister, dass sich Fehler nicht wiederholen. Sie laufen immer wieder in die Falle hinein, dass Sie Dinge behaupten, hinter denen Sie am Ende nicht stehen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Ich habe dann von irgendeinem Staatssekretär einen Brief bekommen, in dem stand, dass solche Aussagen zur Darstellung des Gesamtbildes möglich sein müssen. Jetzt frage ich Sie: Wo ist denn hier ein Gesamtbild entstanden? (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Es ist eine Aussage in der Welt, die das soziale Klima in unserem Land vergiftet. Das ist brandgefährlich. Zum dritten Punkt. Die Studierenden kommen manchmal nicht ganz pünktlich; es war dann der böse Verkehr oder ein Zug ist ausgefallen. Meine dritte Botschaft an diesem Montagmorgen war: Leute, bitte übernehmt für euch Verantwortung. Herr Minister, mir fällt auf, dass Sie immer jemanden finden, der schuldig ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) In der Vergangenheit waren es die Flüchtlinge, die sich nicht dankbar für das Essen zeigen, oder die Bundesländer, die nicht kooperieren. In diesem Fall sind es die Ärztinnen und Ärzte, die nicht das tun, was Sie für richtig halten. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Unverschämtheit!) Herr Minister, es war in den letzten Monaten nicht einfach, aber unter der Aufsicht Ihres Ministeriums sind Asylanträge schon liegen geblieben, da hatten wir noch gar keine Flüchtlinge. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich befürchte, dass die Registrierungszentren zu dem Zeitpunkt perfekt funktionieren, wenn wir gar keine Flüchtlinge mehr haben. Darüber könnte man sich amüsieren, wenn es nicht so traurig wäre. (Ute Bertram [CDU/CSU]: Was ist denn mit Ihrem Minister, den Sie in Niedersachsen stellen?) Es gibt derzeit 500 000  – eine halbe Million! – aufgelaufene Verfahren. Menschen sind in unbekannter Zahl über die Grenzen gekommen, ohne dass sie registriert worden sind. Wir verlangen von den Menschen, dass sie sich integrieren, aber wir liefern ihnen nicht die ausreichenden Angebote für Integrationskurse. Das alles liegt in erster Linie in Ihrer Verantwortung. Dafür trägt niemand anders Verantwortung. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Deswegen ist meine Botschaft: Werden Sie Ihrer Verantwortung gerecht. Schieben Sie die Probleme unseres Landes nicht auf Dritte. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Stephan Harbarth für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Göring-Eckardt, Ihr Plädoyer für faktenbasierte Politik hat mich heute mit einer gewissen Verwunderung zurückgelassen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich habe vor wenigen Tagen gelesen, dass die Kölner Journalistenschule einen Faktencheck durchgeführt hat. Wer dort ganz blamabel abgeschnitten hat – zugegebenermaßen noch übertrumpft von Frau Petry –, das waren Sie, Frau Göring-Eckardt. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gucken Sie sich mal die Methoden an!) Deshalb würde ich Ihnen vorschlagen: Wenn Sie für mehr Faktentreue in der Politik plädieren, legen Sie die gleichen Maßstäbe an sich selbst an. (Beifall bei der CDU/CSU) Erlauben Sie mir eine zweite Vorbemerkung an unseren Koalitionspartner. Wenn man in der Koalition der Auffassung ist, dass einzelne Minister keine hinreichende Leistung erbringen, dann rate ich unserem Koalitionspartner, kritisch zu hinterfragen, woran es eigentlich liegt, dass er in den Wahlen und in den Umfragen nicht vor, sondern hinter der Union liegt. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der SPD) Das liegt nicht daran, dass Ihre Minister die besseren sind. Vielmehr liegt es daran, dass wir für Qualität stehen und dass Ihre Minister in den Ressorts, für die sie Verantwortung tragen, die Arbeit nicht so verrichten, wie es sein sollte. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Das ist keine gesicherte Statistik!) Der Bundesminister hat ausgeführt – und dafür bin ich ihm dankbar –: Wir werden die Akzeptanz der deutschen Bevölkerung bei der Aufnahme von Flüchtlingen dauerhaft nur dann erhalten, wenn es uns gelingt, die Menschen, deren Asylgesuch abgelehnt wurde, zurückzuführen. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn mit der Statistik?) Bei den Rückführungen geht es auch um Gerechtigkeit. Es kann nicht sein, dass derjenige, der sich seiner Ausreisepflicht nur lange genug widersetzt, dafür am Ende belohnt wird, womöglich durch eine Altfallregelung der Grünen, (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist so menschenverachtend!) und dass der gesetzestreue Ausländer, der freiwillig und frühzeitig das Land verlässt, am Ende der Dumme ist. Dafür sind wir nicht zu haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Es kann doch überhaupt nicht bestritten werden, dass eine sehr große Zahl von Rückführungen daran scheitert, dass gleichsam in letzter Sekunde medizinische Gründe ins Feld geführt werden, ohne dass diese nachvollzogen werden können. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das entscheiden Ärzte und nicht Sie!) Die angesprochene Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Rückführung“, der auch grün regierte Länder und sozialdemokratisch geführte Länder angehören, hat sich mit dem Themenkreis doch eingehend befasst. Die Arbeitsgruppe, der auch Vertreter von Regierungen, an denen Sie beteiligt sind, angehören, ist zu einer Gesamtbetrachtung gekommen, aus der ich zitieren darf: Oft hält das als Beleg einer Reiseunfähigkeit im Endstadium einer Abschiebung von dem Betroffenen selbst oder von Unterstützern vorgelegte Gutachten der Überprüfung nicht stand. Das sagt nicht die Unionsfraktion, sondern das sagen Vertreter der Regierungen, an denen Sie politisch beteiligt sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Max Straubinger [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Sie nehmen all dies nicht zur Kenntnis. Das hat nichts mit Problemlösung zu tun, sondern das hat etwas zu tun mit Realitätsferne, mit Realitätsverweigerung und mit Realitätsflucht; und das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir könnten Rückführungen vermeiden, wenn wir dafür sorgen würden, dass weniger Menschen ins Land kommen. Deshalb bin ich Ihnen dankbar, dass Sie diese Aktuelle Stunde beantragt haben. Hätten Sie das nicht getan, hätten wir das tun müssen; (Lachen bei der LINKEN) denn es gab in den letzten Tagen in der Tat einen asylpolitischen Skandal. Skandalös waren nicht die Hinweise des Bundesinnenministers, sondern skandalös war Ihr Versuch, über den Bundesrat eine längst überfällige Reform des Asylrechts zu blockieren. (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie haben die Einstufung der Maghreb-Staaten blockiert, obwohl Sie wissen, dass es in erster Linie ökonomische Motive sind, die Migranten aus Marokko, Algerien und Tunesien zur Stellung eines Asylantrags in Deutschland veranlassen. Sie haben diese Entscheidung blockiert, obwohl Sie genau wissen, dass durch die Einstufung kein einziger Asylantrag automatisch abgelehnt wird. Sie haben diese Entscheidung blockiert, obwohl die gemäßigten Kräfte in Ihrer Partei – ich nenne den baden-württembergischen Ministerpräsidenten – bereit sind, diesen Kurs der Vernunft im Bundesrat mitzutragen. Ich möchte Sie auffordern: Kommen Sie bei der Frage der Einstufung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsstaaten endlich zu dem Ergebnis, das wir auch infolge der Ereignisse in Köln der Bevölkerung schulden. Die rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen hat noch im Frühjahr mit Blick auf Migranten aus Nordafrika von einer Problemklientel gesprochen und einen Aufnahmestopp für diese Gruppe erklärt. Halten Sie sich an diese Maßstäbe. Bekennen Sie im Bundesrat endlich Farbe. Wenn wir dafür sorgen, dass weniger Menschen nach Deutschland kommen, dann brauchen wir auch weniger Abschiebungen. Das ist unser aller Ziel. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh, ist das übel! – Jan Korte [DIE LINKE]: Ganz schlecht!) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Ulla Jelpke hat für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Ulla Jelpke (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das, was Sie sich hier gerade geleistet haben, war purer Zynismus (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) vor dem Hintergrund einer sehr wichtigen und traurigen Debatte, die wir hier gerade führen. Herr Minister, ich muss Ihnen sagen: Sie haben heute eigentlich noch einen draufgesetzt. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Erst waren es die Ärzte; jetzt haben die Rechtsanwälte noch einen draufgekriegt. Ich frage Sie: Hat es in Ihrem Ministerium jemals eine Untersuchung darüber gegeben, in welchem psychischen und medizinischen Zustand Flüchtlinge nach Deutschland kommen und welche medizinische Hilfe geleistet werden müsste? (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Hat es eine solche Untersuchung jemals gegeben? Stattdessen beziehen Sie sich hier auf irgendwelche Zahlen, die 2011 in NRW erhoben wurden, und sagen, sie widersprechen jeder Lebenserfahrung. Wissen Sie, was ich glaube? Flüchtlinge, die aus dem Krieg kommen, die jahrelang Gewalt und Verfolgung erlebt haben, sind oft krank und häufig traumatisiert. Man kann sie gar nicht mit uns vergleichen, sondern man muss sie ganz speziell sehen. Man muss ihre Geschichte sehen. Man muss sehen, was sie erlitten und erlebt haben. Wir als Linke fordern, dass Sie das endlich berücksichtigen. Ich will hier noch einmal daran erinnern – viele Menschen wissen das gar nicht –: Flüchtlinge, Schutzsuchende in diesem Land haben nur Anspruch auf eine medizinische Notfallversorgung. Das heißt, sie müssen zur Behörde gehen, um einen Krankenschein zu erhalten und zum Arzt gehen zu können. Das heißt, sie stehen vor hohen bürokratischen Hürden. Die Bundeskanzlerin hat die Gesundheitskarte erst angekündigt und diese Ankündigung dann nicht erfüllt. Das wäre doch das Mindeste: eine Gesundheitskarte für alle Flüchtlinge, damit sie unbürokratisch zum Arzt gehen können (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) und man sie nicht permanent drangsaliert; das ist gerade auch, was ihre Situation angeht, wichtig. Die Dokumentationsstelle der Antirassistischen Initiative hier in Berlin zum Beispiel dokumentiert Jahr für Jahr Abschiebefälle. Ganz aktuell gibt es Fälle, da wird einem angst und bange. Ein Beispiel ist der Fall eines Flüchtlings aus Niger. Er hatte eine Bauchoperation, hatte Schmerzen, seine Wunde war nicht verheilt. Trotzdem hat man ihn 14 Tage später in diesem Zustand abgeschoben. Pro Asyl berichtet über diverse Fälle, zum Beispiel von einer schwer traumatisierten Frau, die in psychotherapeutischer Behandlung war. Der Facharzt hat geraten, sie nicht abzuschieben. Sie wurde trotzdem abgeschoben. Vielleicht sollten wir uns wirklich einmal mit solchen Fragen beschäftigen statt immer nur damit, wie man möglichst schnell, schnell, schnell alle Leute aus diesem Land abschieben kann, Herr Minister. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will noch einmal darauf hinweisen: Gerade mit dem Asylpaket II haben Sie weitere Verschärfungen in diesem Bereich vorgenommen. Zum Beispiel muss innerhalb von zwei Wochen ein fachliches Gutachten von einem Flüchtling oder einem Schutzsuchenden besorgt werden, damit er einen Beleg hat, dass er nicht abgeschoben werden darf. Ich bin fest davon überzeugt, dass weder privilegierte Privatversicherte geschweige denn irgendjemand von den MdBs aus diesem Raum innerhalb von zwei Wochen ein medizinisches Fachgutachten bekommen kann. Ich halte es wirklich für einen Skandal, dass Sie solche Auflagen in Gesetze geschrieben haben. Hier haben Flüchtlinge nicht einmal mehr die Möglichkeit, sich zu wehren. (Beifall des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE]) Bei einem weiteren Punkt sieht es nicht anders aus: Psychologische Gutachten dürfen nicht mehr als Beleg für ein Abschiebehindernis verwendet werden. Dagegen protestieren zum Beispiel Verbände. Das interessiert Sie aber gar nicht. Sie machen weiterhin eine Politik, die unmenschlich ist, die den Bedürfnissen der Flüchtlinge wirklich nicht gerecht wird und die vor allen Dingen nicht in ihrem Interesse ist. Kranke und traumatisierte Flüchtlinge brauchen besonderen Schutz. Das hat die Linke immer wieder gefordert. Wir brauchen endlich eine Gesundheitskarte. Wir brauchen die Standards, die die EU-Aufnahmerichtlinie für kranke und traumatisierte Flüchtlinge festgeschrieben hat. Sie sind oft Opfer von Folter und Gewalt. Herr Minister, ich habe mir jetzt erspart, noch einmal alle Falschmeldungen, die Sie immer wieder herausgegeben haben, aufzuzählen. Das ist in den Reden hier heute vielfach schon geschehen. Aber ich möchte noch einen Punkt deutlich machen: Es hat eine gewisse Systematik. Sie als Innenminister müssen doch wissen – er ist gar nicht mehr da; doch, er steht da hinten –, was für eine Stimmung in diesem Land vorherrscht. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Eine Unverschämtheit, in der Debatte aufzustehen!) Diese Stimmung bedienen Sie im Grunde genommen mit Ihren ständigen Unwahrheiten und Lügen, Sie bedienen im wahrsten Sinne des Wortes rassistische Ressentiments. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Das ist unglaublich! – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Es ist eine Frechheit, was Sie sagen! Eine Riesenfrechheit! Hätten Sie geschwiegen! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Eine Riesenfrechheit!) Sie machen damit auch Kräfte wie AfD und andere Hetzer gegen Flüchtlinge stark. Das muss endlich ein Ende haben. Deswegen ist heute völlig berechtigt die Forderung nach Ihrem Rücktritt aufgetreten. Wir brauchen einen Innenminister, der Feingefühl hat und der vor allen Dingen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit angeht und sie nicht permanent mit anheizt. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine bodenlose Frechheit!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Sebastian Hartmann für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Sebastian Hartmann (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes vertrauen auf einen handlungsfähigen Staat, der auf Basis von Fakten, Erfahrungswerten und vernünftigen Analysen umsichtig handelt. Das verpflichtet uns alle. So ist die Debatte, die wir heute führen, gerade angesichts der öffentlich aufgeheizten Diskussion rund um die Behauptungen, dass man dem Staat nicht vertrauen kann, und in der die Presse in weiten Teilen immer wieder als Lügenpresse bezeichnet wird, eigentlich im Kern völlig unnötig und überflüssig, vor allen Dingen wenn sie auf unbedarften Äußerungen fußt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das ist etwas, das uns gerade auch angesichts der Thematik rund um Flüchtlinge, Menschen, die zu uns kommen, mit Blick auf unsere internationale Verantwortung, die wir im europäischen Verbund wahrnehmen, zur Zurückhaltung mahnt, wenn wir Zahlen aufgreifen. Herr de Maizière, Sie haben als Innenminister eine Zahl aufgegriffen. Sie ist in einem Interview zitiert worden. Sie ist von Ihnen zurückgenommen worden. (Zustimmung des Bundesministers Dr. Thomas de Maizière) Aber so etwas darf nicht die Basis unseres Handelns sein. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja!) Das ist die Verantwortung, die wir haben. Ich kann mich gut an den 13. Mai erinnern, als wir im Plenum darum gerungen haben, Staaten einzuordnen und bestimmte Zahlen zur Grundlage von Entscheidungen zu machen. Ich habe auch in meinen Unterlagen sehr genau geschaut und gesagt: Wie ist die Zahl der Fälle in Nordrhein-Westfalen wirklich? Ist das die Basis unseres Handelns? Es ist doch unsere Verantwortung als Parlamentarierinnen und Parlamentarier, dass wir das nicht aufgrund von gefühlten Wahrnehmungen und Annahmen entscheiden, sondern dass wir eine belastbare Grundlage haben, um vernünftige Entscheidungen zu treffen und vor allen Dingen dann auch zu verantworten, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deswegen sind solche Zahlen immer zu hinterfragen, wenn sie im Raum sind. Ich sage Ihnen in aller Klarheit, weil wir um manche Dinge wirklich sehr gerungen und uns immer wieder an den tatsächlichen Fällen orientiert haben: Auch bei Menschen, die krank sind, bei denen es echte Abschiebehindernisse gibt, bei denen es keine Möglichkeit gibt, vielleicht ein entsprechendes Attest beizubringen, muss das die Grundlage des Handelns sein. Es hat uns erschüttert, und es ist auch von führenden Politikerinnen und Politikern der SPD sehr deutlich an diesem Wochenende gesagt worden, dass dieser Punkt so nicht in Ordnung ist. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Als diejenigen, die die Verantwortung tragen, müssen wir auch – das ist angesprochen worden – ganz klar sagen: Der Präsident der Bundesärztekammer hat sich sehr eindeutig zu der Frage verhalten, ob er auf der einen Seite Erfüllungsgehilfe einer Regierung ist und auf der anderen Seite Gefälligkeitsatteste verfasst. Ich möchte den Ärzten in diesem Land zurufen: Auch Sie bringen wie viele andere Berufe Ihre Verantwortung ein, indem unter anderem Ärzte ehrenamtlich in Einrichtungen arbeiten und sich um Menschen kümmern, (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die tatsächlich krank sind und die nicht in einen Topf mit Menschen geworfen werden dürfen, die nicht krank sind und die das vielleicht als Umgehungstatbestand nutzen. Deswegen dürfen wir diese Debatten nicht miteinander vermischen. Lassen Sie uns vernünftig streiten über die Fragen eines vernünftigen Integrationskonzeptes, über den tatsächlichen Umgang mit kranken Menschen, aber lassen Sie uns das sauber von dem trennen, was unsere eigene Verantwortung und unsere Verpflichtung angesichts der öffentlichen Stimmung in diesem Land ist. Die Menschen in unserem Land vertrauen darauf, dass wir entsprechend umsichtig handeln. Man kann aus dieser Diskussion etwas ableiten. Das wiederhole ich jetzt als Koalitionspartner in aller Klarheit, weil man vielleicht doch noch aus einer wirklich unnötigen Debatte lernen kann, unnötig nicht, weil der Grund nicht gegeben ist, sondern unnötig, weil sie zur Unzeit kommt; wir müssen uns um viel Wichtigeres kümmern. Dass wir selbst in diese Lage gebracht worden sind, ist ärgerlich. Daher erneuere ich unsere Forderung, dass wir das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit einem eigenen ärztlichen Dienst ausstatten sollten, der den Staat in die Lage versetzt, rechtssicher zu prüfen, was in den Raum gestellt worden ist, um vielleicht das zu verbessern, was die Opposition kritisiert hat und was wir als regierungstragende Koalition verantworten, was die Regierung dann entsprechend umzusetzen hat. Diese Forderung möchte ich hier erneuern. (Beifall bei der SPD) Ich komme zu einem letzten Punkt, weil meine Redezeit abläuft. Manche Punkte, die in die öffentliche Diskussion eingebracht worden sind, sind geeignet, uns zu verunsichern. Manche Antworten – auch nicht gegebene Antworten – haben Menschen in diesem Land verunsichert. Lassen Sie uns das aber als Mahnung nehmen, dass wir jetzt an einem Punkt angelangt sind, an dem wir unser Handeln an Fakten orientieren und das zur Grundlage des weiteren Handelns machen müssen. Denn auch wir, Herr Innenminister, haben uns in unseren Beratungen darauf verlassen, dass es belastbare Grundlagen gibt, die die Ausgangslinie der Regierungspolitik bilden. Vielen Dank, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Luise Amtsberg hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Innenminister, das Bedauerliche und Traurige an dieser Debatte ist, dass sie sich an eine Gruppe richtet bzw. dass eine Gruppe Vorwürfe aushalten muss, die sich gerade im vergangenen Jahr an so vielen Stellen ehrenamtlich eingebracht hat, die Überstunden in der eigenen Praxis geschoben hat, die am Nachmittag nach der eigenen Schicht in die Flüchtlingsheime gegangen ist und die Menschen versorgt hat, die auf andere Art und Weise sonst durch das Raster gefallen wären. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Das ist das wirklich Bedauerliche an dieser Debatte: dass Sie nicht nur die Ärzteschaft verprellen, sondern auch diejenigen füttern, die am liebsten das ganze Grundrecht auf Asyl abschaffen wollen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb war es richtig, diese Aktuelle Stunde zu diesem Verhalten und zu dieser Art der Kommunikation jetzt endlich durchzuführen und die größtmögliche Öffentlichkeit dafür zu schaffen, dass die genannte Zahl nicht belastbar ist, sondern auf einem Erfahrungswert, der nur vom Hörensagen bekannt ist, basiert und dass es hierfür keinerlei Quellen gibt. Aber es ist wirklich nicht von der Hand zu weisen, dass das Methode hat; das haben wir in der Vergangenheit gelernt. Es ist wirklich bedauerlich, dass wir, statt uns hier unseren eigentlichen Aufgaben zuzuwenden, immer wieder mit diesen Fragen und Richtigstellungen beschäftigt sind. Als Sie behauptet haben, dass 30 Prozent der Flüchtlinge Passfälscher sind, war es die Opposition, die aufgeklärt hat, dass es sich um lediglich 116 nachweisliche Fälle handelte. 1 Million Flüchtlinge, 116 Fälle: Ich bin nicht gut in Mathe; aber ich weiß, dass das keine 70 Prozent sind. Ich kann nur sagen: Es ist gut, dass es die Opposition gibt, dass sie den Finger in die Wunde legt, genau da nachfragt und die Zahlen richtigstellt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Aber – da spreche ich sicher auch für meine Kolleginnen und Kollegen von den Linken – wir haben eigentlich Besseres zu tun. Wir haben eigentlich die Aufgabe, gemeinsam in diesem Parlament daran zu arbeiten, eine Stimmung und ein Klima zu erzeugen, die den Menschen da draußen die Sicherheit geben, dass wir mit dieser Situation, mit vielen Flüchtlingen in Deutschland, adäquat umgehen, niemanden auf der Strecke lassen und uns um diese Menschen kümmern. Anfang letzter Woche hat das BMI bzw. haben Sie, Herr Innenminister, beklagt, dass es bei Abschiebungen immer wieder zu Protesten aus der Bevölkerung kommt, und darauf hingewiesen, dass es für ein Bleiberecht eben nicht ausreicht, wenn man als Flüchtlingskind der beste Torschütze im dörflichen Fußballverein ist oder wenn eine Familie das Nachbarschaftsleben mit bereichert. Das reicht für ein Bleiberecht, sagen Sie, nicht aus. Ja, da haben Sie recht. Juristisch ist das sicher nicht ausreichend; menschlich aber ist es das. Das ist genau der Punkt, der mir an dieser ganzen Debatte missfällt: Worte des Dankes an die Menschen, die mit Flüchtlingen arbeiten, die sich um Flüchtlinge kümmern, zu adressieren, ist auch die Aufgabe eines Innenministers, und der werden Sie nicht gerecht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich finde das wirklich in vielerlei Hinsicht erstaunlich. Denn Sie sollten eigentlich dankbar sein für die vielen Menschen, die diese Emotionen aufbringen, die an den Menschen, die um sie herum leben, Anteil haben, die sich einbringen, sich ehrenamtlich engagieren. Denn, Herr Innenminister, ohne diese vielen ehrenamtlichen Ärzte, Lehrer und Sozialarbeiter sähe Ihre Bilanz, sähe die Bilanz des Innenministeriums bei der Bewältigung der Aufgaben in der Flüchtlingspolitik noch katastrophaler aus. Wir können froh sein, dass es diese Menschen gibt und dass sie vieles von dem kompensiert haben, was wir nicht schaffen konnten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Lars Castellucci [SPD]) Ein Gutes hat es, dass wir uns über dieses Thema unterhalten – das muss man hinzufügen –: Wir schaffen nämlich ein Bewusstsein für ein ziemlich wichtiges Thema, und zwar dafür, dass in Zeiten einer immer restriktiver werdenden Asylpolitik ärztlichen Attesten, Ärzten und der Fachmeinung von Ärzten eine größere und besondere Bedeutung zukommt. Das ist auch gut so. In Zeiten wie diesen können ärztliche Atteste eine behördliche Entscheidung korrigieren. Im Übrigen kennen wir das hier im Parlament sehr, sehr gut. Wir hatten im Petitionsausschuss vor kurzem einen Dublin-Fall einer schwerbehinderten, pflegebedürftigen jesidischen Irakerin, die trotz Vorliegens eines ärztlichen Gutachtens, das besagt hat, dass sie nicht reisen kann, nach Schweden zurücküberstellt werden sollte. Es war der Staatssekretär Ihres Hauses, Ole Schröder, der dann im Gespräch mit uns davon abgesehen und das Selbsteintrittsrecht der Bundesrepublik erklärt hat. Die Frau ist inzwischen operiert, sie lebt mit ihrer Familie in Bayern und wird dort gepflegt. Also, auch wir korrigieren hier behördliche Entscheidungen und gehen andere Wege. Es ist auch gut so, dass mehrere Menschen draufgucken; denn die Situation ist angespannt. Wir müssen alle Kräfte, die da sind, um menschenwürdig und nach menschenrechtlichen Maßstäben zu entscheiden, nutzen und in Anspruch nehmen. Daraus einen Vorwurf an die Ärzte zu formulieren, ist infam. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Viele Flüchtlinge leiden unter schweren Erkrankungen, nachvollziehbarerweise oft aufgrund der Geschehnisse im Heimatland, aber eben auch aufgrund ihrer Flucht hierher. Auch die Flucht ist eine enorme Belastung für viele Menschen. Diesen Belastungen und dem Erkennen einer Posttraumatischen Belastungsstörung wird im Asylverfahren viel zu wenig Raum gegeben. Das ist ein Problem. Genau darüber sollten wir uns unterhalten, damit nicht am Ende Ärzte dies korrigieren und die Freiräume schaffen müssen, die wir im Vorfeld gesetzlich nicht ermöglicht haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist im Übrigen auch der Grund dafür, dass es so viele Atteste gibt: dass die Menschen, die hierherkommen, diese Umstände und die Brutalität von Krieg und Gewalt erlebt haben. Herr Innenminister, Sie haben mit Ihrer in den Raum geworfenen Zahl nicht nur den Ärztinnen und Ärzten in Deutschland Fehlverhalten unterstellt, sondern auch die Glaubwürdigkeit – das finde ich als Parlamentarierin besonders erwähnenswert und auch traurig –, die ein Innenminister qua Amt hat, benutzt, um mit ausgedachten Zahlen Stimmung zu machen. Ich finde, das ist massiv befremdlich und eigentlich nicht anders als mit „Missbrauch“ zu bezeichnen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb erwarte ich nicht nur gegenüber dem Parlament eine Entschuldigung, sondern vor allen Dingen auch gegenüber denjenigen, gegen die sich dieser Vorwurf gerichtet hat, der nicht gerechtfertigt ist. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg. Rüdiger Veit [SPD]) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Armin Schuster für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Göring-Eckhardt, es wird viel und in alle Richtungen über Ihre Regierungsfähigkeit im Bund spekuliert. Deswegen wünsche ich mir bei jeder innenpolitischen Rede, die Sie oder Ihre Kolleginnen und Kollegen zu halten versuchen, neue Einsichten. Nach dem, was Sie gesagt haben, kann ich eigentlich nur noch eines erkennen: Die Identitätskrise, die Verweigerungshaltung und die völlig ungeklärte Position zum Thema „Innen- und Sicherheitspolitik“ verfestigen sich bei Ihnen zur Blockade, (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) so wie Sie seit Jahren hier jedes Sicherheitsgesetz blockieren, so wie Sie seit Jahren unsere Arbeit zum Thema Antiterror behindern und blockieren. Wie wollen Sie sich eigentlich wegen vielleicht eines Kretschmanns aufschwingen, uns zu erklären, wie Sicherheitspolitik geht? (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Elf Jahre, Herr Schuster!) Es tut mir furchtbar leid, aber wenn einer das nicht darf, dann sind Sie es. (Beifall bei der CDU/CSU) Versuchen Sie, irgendwann einmal einen Innenminister in einem Land zu stellen. Dann traue ich Ihnen auch etwas zu. Aber den Mumm haben Sie ja nicht. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie das doch mal!) Ich traue mich ja noch nicht einmal, das Modell eines Wasserwerfers hierhin mitzubringen. Dann würdet ihr ja eine allergische Reaktion erleiden. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Arroganz bekommt einen Namen! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das nicht verstanden! Das war damals, Herr Schuster!) Frau Jelpke, um das gleich fortzusetzen: Uns eint das Ziel, dass ausgerechnet in diesen Saal hier keine Rechtspopulisten einziehen sollen in 2017. (Jan Korte [DIE LINKE]: Sagen Sie das dem Innenminister!) Aber so, wie Sie argumentieren, legen Sie ihnen praktisch einen roten Teppich in diesen Saal hinein. Wie können Sie einem Innenminister vorwerfen, er hätte rassistische Ressentiments? (Jan Korte [DIE LINKE]: Unfug!) Das ist ein ganz starkes Stück; das ist eine Unverschämtheit. Wenn sich hier jemand entschuldigen muss, dann sind Sie es. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, die Union macht nicht Politik mit einem zentrierten Staatsbild, wie Sie es haben. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, mit Stimmungsmache!) Für uns ist das wichtig, was das Volk denkt. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Sie sind das Volk?) Das Volk hat eine Sprache, in der genau all das vorkommt, was der Innenminister immer wieder zu Recht sagt. „Authentizität“ heißt: Die Menschen da draußen wollen in uns erkennen, dass wir sie verstehen und ihre Sprache sprechen. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das mit den 70 Prozent zu tun? – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Thema verfehlt!) Was Sie machen, meine Damen und Herren von den Grünen, ist nichts anderes, als jeden Tag eine neue missionarische Leistung zu vollbringen mit einem besseren Weltmodell und besseren Weltbild. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das braucht nicht Ihr Problem sein, oder?) Das braucht in diesem Land niemand. Unsere Deutschen sind selber schlau. (Beifall bei der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So schlau, dass sie sich nicht belügen lassen wollen! – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können Sie einmal zum Thema sprechen? Das wäre sehr hilfreich!) Ich sage Ihnen jetzt ganz ehrlich: Wir haben zu geringe Abschiebezahlen – das weiß jeder da draußen –, wir haben konstruierte Abschiebehindernisse – das weiß jeder da draußen –, wir haben Identitätstäuschungen, wir haben zuhauf Asylbewerber, die zwar Zeit haben, ihr Handy mitzunehmen, aber nicht ihren Pass, (Dr. Lars Castellucci [SPD]: Billig! – Jan Korte [DIE LINKE]: Reden Sie nur weiter!) wir haben Mehrfachregistrierungen, wir haben Täuschungsversuche, und wir haben illegale Einreisen, und ich werde nicht aufhören, solche Missstände zu benennen, (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber nicht mit falschen Zahlen!) weil das Vertrauen schafft. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer täuscht, sind Sie! Einen Täuschungsversuch machen Sie doch hier! Reden Sie mal zur Sache!) Der Deutsche liebt es, gut zu sein und bei den Guten zu sein, aber er liebt es auch, wenn wir den Dingen kritisch auf den Grund gehen. Wenn wir diese Probleme im Land haben, dann müssen sie angesprochen werden, weil sie zu Asylpaketen führen, die wir machen. Sie führen zu einem Integrationsgesetz, das wir verabschiedet haben, sie führen zur Benennung von sicheren Herkunftsstaaten. Wer den Dingen kritisch auf den Grund geht und nicht irgendeine grüne Soße nimmt und sie über die Realität kleistert, der kommt auch zu guten Gesetzen, und die hat dieser Innenminister eben gemacht. Das nervt Sie nämlich in Wirklichkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]) Sie hätten gerne unsere Zuwanderungspolitik gemacht und hätten gerne dann auch noch die Kompetenz, das innenpolitisch hinzukriegen. Das fehlt Ihnen. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie denn genommen?) Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Fahren Sie nach Stuttgart, und nehmen Sie dort Nachhilfeunterricht. Da gibt es einen in ganz Deutschland, der vielleicht hilfreich sein könnte. Ich bin dem Innenminister jedenfalls dankbar. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dankbar für falsche Zahlen?) Ich würde mir wünschen, liebe SPD, auf dieser Regierungsbank säßen noch ein paar mehr Regierungsmitglieder, die klar ansprechen würden, was in diesem Land sehr gut läuft, und sich auch nicht davor scheuen, kritisch anzusprechen, was noch nicht gut läuft. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Aber mit wahren Zahlen!) Damit erzeugt man Vertrauen bei den Menschen. Und damit erkennen die Menschen auch, dass es keine AfD braucht, sondern eine Union, (Jan Korte [DIE LINKE]: Weil ihr den Job mitmacht! Genau!) die den Dingen auf den Grund geht. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit dieser Union bereiten Sie der AfD den Weg! – Jan Korte [DIE LINKE]: Das ist das Problem!) Noch eines zum Schluss, Frau Göring-Eckardt. Sie haben darüber gemutmaßt, warum Wolfgang Bosbach plötzlich seine Rede nicht gehalten hat. Wir können politisch streiten. Aber Ihr Menschenbild ist irgendwie merkwürdig. So etwas in seine Rede einzubauen, ist genauso unmöglich wie eine Rücktrittsforderung, die völlig gaga ist. Ich danke der Kollegin Barbara Woltmann, die spontan eingesprungen ist. Ich glaube, es kann passieren, dass man seine Rednerliste ändert. Insofern bitte ich darum, solche Mutmaßungen zu unterlassen. Fazit: Wenn Sie eine Aktuelle Stunde zu einem solchen Thema brauchen, dann müssen Sie von unserer Zuwanderungspolitik schon ziemlich begeistert sein. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Falsche Behauptung!) Wenn Sie so etwas hochziehen müssen, um überhaupt noch parlamentarisch zu streiten, wenn Sie so kniebohrerisch versuchen, die Welt zu missionieren, dann heißt das für uns, dass wir verdammt viel richtig machen. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das niedlich!) Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD] – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich weiß nicht, was Sie genommen haben, aber Sie müssen weniger davon nehmen!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Hilde Mattheis für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Hilde Mattheis (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss schon sagen, Kollege Schuster: Wer hier rechtspopulistische Vorurteile bestärkt, der stärkt rechtspopulistische Parteien. Das ist so. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Hat er doch gar nicht! Das machen Sie!) Ich bin schon einigermaßen entsetzt, auf welchem Niveau hier von Ihrer Seite diskutiert wird. Ich glaube: Es steht uns gut zu Gesicht, das zu unterstreichen, was uns in der parlamentarischen Arbeit miteinander stärkt und gestärkt hat, nämlich zu sagen: Wir sind eine offene Gesellschaft, in der wir die Menschen aufnehmen, die Schutz suchen. Diese Menschen bekommen Schutz bei uns. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist doch unsere Aufgabe, genau das zu dokumentieren und daher Äußerungen zu vermeiden, um nicht das Vorurteil, das so häufig geschürt wird, zu untermauern, dass nämlich Menschen hierherkommen, um unseren Sozialstaat auszunutzen. Wir dürfen diese Vorurteile nicht auch noch stützen. Als Gesundheitspolitikern will ich an dieser Stelle einfach sagen: Wir können stolz sein, dass wir eine solche Gesundheitsversorgung anbieten und wir es uns in unserer großen Solidarität leisten können, Menschen zu versorgen. Mittlerweile hat sich die Einsicht durchgesetzt: Egal ob es um psychische oder somatische Erkrankungen geht: Beides sind Erkrankungen, und beide sind gleichermaßen zu behandeln. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb kann man nicht sagen: Die einen markieren nur und wollen uns ausnutzen. Die anderen, zum Beispiel die mit dem Blinddarmdurchbruch, können noch ein paar Tage bei uns bleiben. – Es hat sich gezeigt: Die Zahlen, die in dem Interview des Bundesinnenministers genannt worden sind, sind nicht gedeckt. Es gibt keinen bundesweiten Durchschnittswert, der diese Behauptung in irgendeiner Weise belegt. In diesem Punkt schließe ich mich gerne meinen Vorrednerinnen und Vorrednern an. Ich habe die Gesundheitsversorgung in Deutschland von Anfang an so erlebt, dass diese Menschen in den Krankenhäusern oder in der Erstaufnahme durch das Rote Kreuz, durch Pflegepersonal, durch Ärztinnen und Ärzte pragmatisch unterstützt wurden. Dabei ging es darum, die Menschen wirklich abzuholen, egal ob es um Krätze oder um Posttraumatische Belastungsstörung ging. „Abholen“ war die Devise. Das hat man pragmatisch gemacht. Nicht pragmatisch ist man dagegen im Innenministerium vorgegangen. Die dortige Taskforce hat es nicht geschafft, das, was wir als SPD in jeder Sitzung gesagt haben, umzusetzen: fahrbare Röntgengeräte zu organisieren oder bereitzustellen und die Länder zu fragen, was sie brauchen. Nein, die Gesundheitsversorgung blieb im Prinzip den pragmatischen Ansätzen vor Ort überlassen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auch das schürt im Prinzip Vorurteile: wenn man etwas nicht tut, was man eigentlich tun sollte. Deshalb rate ich jedem, der in einer Debatte wie dieser, in der es auch um paritätische Finanzierung und um einen möglichen Anstieg der Zusatzbeiträge im nächsten Jahr geht, argumentiert: „Es handelt sich darum, dass wir mehr Geld für Flüchtlinge ausgeben müssen“, sehr davon ab, weil er damit den rechten Rand unterstützt und ihm Argumente liefert. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Man muss sich vielmehr an dieser Stelle auf Fakten berufen: Menschen, die bei uns Schutz suchen, verursachen unterdurchschnittlich hohe Kosten im Gesundheitswesen. Jemand, der die Gesundheitskarte angeboten bekommt, nutzt sie nicht aus. Die Gesundheitskarte entlastet die Verwaltungen der Länder. Hamburg spart durch die Gesundheitskarte jährlich 1,6 Millionen Euro an Verwaltungskosten. Wer diese Fakten negiert und stattdessen Vorurteile schürt, der handelt unverantwortlich. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich meine, liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts dieser Dinge, die jetzt auch in der Öffentlichkeit zu Vorurteilen führen, sollten wir uns, was unsere Gesundheitsversorgung und die Finanzierung unseres Gesundheitssystems anbelangt, darauf konzentrieren: Solidarität ist keine Einbahnstraße; es muss wieder Parität her. Und wir können es uns durchaus leisten, Menschen zu versorgen, die unseren Schutz brauchen. Vielen Dank, liebe Genossinnen und Genossen. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Der SPD-Parteitag ist woanders! Hier ist der Plenarsaal des Bundestages!) Vizepräsidentin Petra Pau: Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Kollege Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Ich möchte den Grünen ausdrücklich dafür danken, dass sie diese Aktuelle Stunde beantragt haben (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Immer gerne!) – und ich hoffe, dass möglichst viele Bürgerinnen und Bürger die Gelegenheit nutzen, dieser Aktuellen Stunde zu folgen –, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) weil aus meiner Sicht im Rahmen dieser Aktuellen Stunde in wunderbarer Weise klar wird, wer auf der einen Seite, wie die Linken und die Grünen, für parteipolitischen Klamauk und unanständige Agitation steht und wer auf der anderen Seite, so wie wir, die CDU/CSU, für seriöse, verantwortungsbewusste Politik steht. (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der LINKEN und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte noch einmal in aller Deutlichkeit sagen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen: Sie haben seitens der Opposition in Ihren Reden inflationär mit Vorwürfen der Lüge und Unwahrheit um sich geworfen. Sie haben mehrmals den Vorwurf gemacht, dass durch den Bundesinnenminister und die CDU/CSU rassistische Ressentiments geschürt und bedient wurden. Das ist unanständig; das ist infam, und dagegen verwahre ich mich in aller Deutlichkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Frau Kollegin Göring-Eckardt, Sie haben in Ihrer Rede in unbotmäßiger Weise den Verfassungsschutz in Bausch und Bogen verunglimpft. Auch so etwas tut man nicht. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Beim Bundesamt für Verfassungsschutz arbeiten über 2 000 Menschen tagtäglich für unser Wohl und unsere Sicherheit, und diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so zu diskreditieren, das ist politisch unanständig. (Beifall bei der CDU/CSU) Beim Thema Abschiebungen geht es um weit mehr als ärztliche Atteste. In den Reden der Opposition wurde auch klar: Sie haben ein grundsätzliches Problem mit dem Rechtsvollzug im Aufenthaltsrecht. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben ein grundsätzliches Problem mit belastbaren Zahlen und Fakten!) Denn zu einem ordnungsgemäßen Rechtsvollzug gehört auch, dass ausreisepflichtige Personen, die unser Land nicht freiwillig verlassen, abgeschoben werden müssen. Wer das negiert, negiert unser deutsches Recht. Es ist nun einmal ein Faktum, dass in den letzten Monaten und Jahren Hunderttausende von Menschen in Deutschland vergeblich, ohne Aussicht auf Erfolg, einen Antrag auf Asyl oder auf Anerkennung des Flüchtlingsstatus gestellt haben und deshalb ausreisepflichtig sind. Wir haben derzeit in unserem Land ungefähr 230 000 ausreisepflichtige Personen. Ich sage ganz bewusst: ausreisepflichtige Personen. Es handelt sich bei ihnen nicht um Flüchtlinge. Denn es wurde immer wieder behauptet, der Bundesinnenminister habe die Flüchtlinge diskreditiert. Es handelt sich eben nicht um Flüchtlinge, sondern um ausreisepflichtige Personen, um Personen also, die an sich unser Land verlassen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU) Das geschieht häufig nicht, weil es sowohl in rechtlicher als auch in praktischer Hinsicht Abschiebehindernisse gibt. Es fehlt häufig an der Rückkehrbereitschaft oder auch an der Rücknahmebereitschaft der jeweiligen Heimatländer. Ich bin unserem Bundesinnenminister sehr dankbar, dass er Ende Februar, Anfang März in Marokko, Tunesien und Algerien war, um auch bei deren Regierungen dafür zu werben, dass sie besser mit uns kooperieren, (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist dabei rausgekommen?) dass sie dazu beitragen, dass die Identitätsfeststellung ihrer Staatsangehörigen schneller erfolgen kann, und diese letzten Endes auch zurücknehmen. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nichts ist dabei rausgekommen!) Ein herzliches Dankeschön dafür an unseren Bundesinnenminister! (Beifall bei der CDU/CSU) Es gehört zur Wahrheit, dass natürlich auch gesundheitliche Gründe in der Praxis häufig ein Abschiebehindernis sind. Der eigentliche Skandal in dieser Angelegenheit ist die Ignoranz der Opposition gegenüber einem tatsächlichen politischen Problem. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann nennen Sie es doch mal!) Mich würde einmal interessieren, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, bei welchem Prozentsatz Sie tatsächlich von einem signifikanten politischen Problem sprechen würden. Sind es 30 Prozent, 40 Prozent, 50 Prozent, 60 Prozent oder 70 Prozent? Es ist aber doch anerkannt und unstreitig, dass gesundheitliche Gründe in signifikanter Größenordnung tatsächlich ein Abschiebehindernis sind. Ich erwarte von unserem Bundesinnenminister, dass er ein derartiges politisches Problem auch adressiert. Deshalb hatte er recht, als er darauf hingewiesen hat, dass in der Praxis gesundheitliche Gründe häufig ein Abschiebehindernis sind. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber falsche Belege! Belege!) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, es gibt immer wieder auch Fälle von willfährig und leichtfertig ausgestellten Attesten. Es war deshalb auch richtig – wir haben doch nicht ohne Grund gehandelt –, dass wir im Asylpaket II festgeschrieben haben, dass es von nun an einer erhöhten Begründungspflicht bedarf, dass Ärzte nicht nur lapidar eine Reiseunfähigkeit wegen der Traumatisierung des Ausreisepflichtigen feststellen dürfen. Vielmehr bedarf es einer substanziierten Begründung. Dieses Attest muss auch zeitnah vorgelegt werden. Und der Umstand, dass im Heimatland nicht gleichwertige gesundheitliche Versorgungsbedingungen herrschen, ist kein Abschiebehindernis mehr. Das ist richtig. Hier hat die Große Koalition auf Druck der CDU/CSU gehandelt. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, es ist wirklich unbotmäßig und fragwürdig, wie Sie von den Grünen, aber auch von den Linken sich der Realität verweigern. Sie verharmlosen hier tatsächlich ein politisches Problem. Wir hatten im letzten Jahr – bei, wie gesagt, 230 000 ausreisepflichtigen Personen; tagtäglich werden es mehr – 20 000 Abschiebungen. Ich bin gespannt. Wir werden ja sehr bald den Lackmustest machen können, wenn am 8. Juli im Bundesrat das Gesetz zu den drei sicheren Herkunftsstaaten Marokko, Tunesien und Algerien zur Disposition steht. Sie von den Grünen fordern immer schnellere Verfahren. Am 8. Juli können Sie ganz konkret mit dazu beitragen, (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben Vorschläge gemacht, die die Menschenrechte nicht mit Füßen treten! Die können Sie sich mal durchlesen!) dass, indem diese drei Länder als sichere Herkunftsstaaten deklariert werden, die Verfahren in Zukunft schneller durchgeführt werden können. Dann kommt es zum Schwur, dann sind Sie gefordert! Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Andrea Lindholz aus der CDU/CSU-Fraktion hat nun das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Um es gleich vorwegzusagen: Selbstverständlich werden wir diejenigen, die in Deutschland berechtigt Schutz suchen, bei uns aufnehmen und ordnungsgemäß integrieren. Das steht auch heute nicht im Fokus der Debatte. Im Fokus der heutigen Debatte steht die Frage nach der Zahl der Rückführungen nicht schutzberechtigter Personen aus Deutschland. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das ist nicht das Thema der Aktuellen Stunde!) Des Weiteren geht es in der heutigen Debatte um eine Aussage des Innenministers, die auf folgender Frage basiert: (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Die falsch war! Die einfach falsch war!) Nordrhein-Westfalen konnte bisher nur 20 der 1 300 abgelehnten Asylbewerber in ihr Land zurückbringen. Macht sich der Staat nicht lächerlich? – Es ging bei dieser Frage also um das Thema der Rückführung abgelehnter Asylbewerber. Der Innenminister hat heute klar zum Ausdruck gebracht, dass er die Zahl „70 Prozent“ nicht hätte nennen dürfen. Darum allein aber geht es nicht. Es geht darum, dass wir die Probleme, die bei der Rückführung abgelehnter Asylbewerber bestehen, nicht ignorieren bzw. kleinreden dürfen. Denn Probleme nicht anzusprechen, ist Wasser auf die Mühlen der Populisten. (Beifall bei der CDU/CSU) In Deutschland wird nach wie vor jeder dritte Asylantrag abgelehnt. Die Schutzquote liegt aktuell bei 61 Prozent. Eine Rückführung wird aber weder in Deutschland noch in Europa in gleichem Maße betrieben. Deswegen haben alle 16 Innenminister der Länder – auch die mit grüner und linker Regierungsbeteiligung – gemeinsam mit dem Bundesinnenminister in ihrer Schengener Erklärung vom 16. Juni wörtlich gefordert: Insbesondere muss für Schutzsuchende eine faire Zuständigkeitsregelung zwischen den Mitgliedsstaaten gefunden werden. Dazu gehört auch, dass die Schengen-Mitgliedsstaaten ein effektives Rückführungsmanagement betreiben. Das ist nicht unmenschlich, sondern notwendig und erforderlich. Die EU-Kommission berichtet, dass weniger als 40 Prozent der ausgewiesenen irregulären Migranten die EU tatsächlich verlassen. Bei uns ist der Wert noch deutlich niedriger. Am 31. Mai 2016 waren im Ausländerzentralregister 224 396 ausreisepflichtige Personen registriert, und von Januar bis Mai wurden gerade einmal 11 294 Personen zurückgeführt. Das heißt also, die Ausreiseverpflichtung wird nur in 5 Prozent aller Fälle zwangsweise durchgesetzt. Selbst wenn ich die freiwilligen Ausreisen mit etwas über 20 000 Personen hinzunehme, komme ich gerade einmal auf 14 Prozent aller Fälle. Hier von einer schnellen und inhumanen Rückführung zu sprechen, wie es heute teilweise angeklungen ist, kann auf gar keinen Fall akzeptiert werden. Die angesprochenen Probleme sind nicht aus der Luft gegriffen, sondern wurden in einer Analyse der Bund-Länder-Arbeitsgruppe identifiziert, die ganz klar festgestellt hat, dass die Rückführung deshalb oft nicht funktioniert, weil die Verwaltung überfordert ist, weil die Identität der Migranten nicht geklärt ist, weil die Reisepapiere fehlen und weil medizinische Gründe vorgeschoben werden, um Abschiebungen zu verhindern. Das ist ein Problem, mit dem wir uns auseinandergesetzt haben. Deswegen haben wir gemeinsam in diesem Haus mit der Koalition mit dem Asylpaket II klare Vorgaben für die Ausgabe und Verwendung ärztlicher Atteste beschlossen. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die gab es vorher auch schon!) Es können nur noch schwerwiegende und lebensbedrohliche Erkrankungen ein Abschiebehindernis darstellen. Warum haben wir das gemacht? Weil es dafür eine Notwendigkeit gibt. Das sind Fakten, Herr Castellucci. Ich bin wirklich enttäuscht darüber, dass Sie heute in Ihrer Rede die Arbeit, die die Koalition in den letzten Monaten gemeinsam im Innenausschuss mit dem Innenminister geleistet hat, nicht gewürdigt haben. Wir haben vieles geregelt, viele Pakete geschnürt und viele Gesetze verabschiedet, was Sie mit nichtssagenden Worten zur Seite geschoben haben, als wären Sie dafür nicht mitverantwortlich gewesen, als würde die Arbeit nicht auch Ihre Handschrift tragen. Man kann nicht auf der eine Seite in der Regierung sein, aber dann heute Opposition spielen. Das funktioniert nicht. (Beifall bei der CDU/CSU) Noch ein Wort zu den Ärzten. Natürlich dürfen Ärzte nicht unter Generalverdacht gestellt werden. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tun Sie aber!) Aber auch diese Unterstellung ist geradezu absurd. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vorgeschoben, haben Sie selber gesagt!) Mir, die ich aus einem Arzthaus komme – ich habe drei Geschwister, die Ärzte sind –, (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, mein Bruder ist auch Arzt!) das zu unterstellen, liegt völlig neben der Sache. Ärzte haben die Pflicht, nach ihrem medizinischen Verständnis Patienten zu behandeln. Das stellt hier überhaupt niemand in Abrede. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Der Minister schon!) Ich glaube, dass wir mit der Neuregelung, die wir im Asylpaket II getroffen haben, auch den Ärzten etwas mehr an die Hand gegeben haben. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, die haben sich richtig doll darüber gefreut!) Die Arbeitsgemeinschaft Rückführung hat diese Probleme aufgezeigt. Damit sage ich nicht, dass die Ärzte falsche Atteste ausstellen. Aber es stellt sich die Frage, welche Erkrankungen für uns so gravierend sind, dass die Rückführung nicht erfolgen kann. Derzeit sind viele Reformvorschläge für ein gemeinsames europäisches Asylsystem auf dem Weg, für einen europäischen Grenzschutz durch Frontex. Auf EU-Ebene arbeitet der Innenminister mit seinen Vorschlägen, die im Übrigen alle im Intranet abrufbar sind, an einer Lösung dieser Flüchtlingskrise mit, unter Beachtung der menschlichen Seite, aber auch unter Beachtung der effektiven Rückführung, die erfolgen muss. Das ist der richtige Weg – und nicht solche polemischen Debatten und Beschimpfungen, wie ich sie hier heute teilweise erlebt habe. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Barbara Woltmann hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Barbara Woltmann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Deutschland leistet seit Monaten wirklich Grandioses. Daran sind viele beteiligt: öffentliche Stellen, Hilfsorganisationen und auch viele ehrenamtlich Tätige; das ist hier heute schon angesprochen worden. Niemand hier im Hause, glaube ich, hat in irgendeiner Weise vor, dieses großartige Engagement der vielen Ehrenamtlichen, seien es Ärzte, sei es das Deutsche Rote Kreuz, zu schmälern. Im Übrigen hat heute Morgen ein Frühstücksgespräch mit dem Deutschen Roten Kreuz stattgefunden, in dem diese Arbeit dargestellt worden ist und geschildert wurde, was da Großartiges geleistet wird. Ich möchte hier nur einmal in die Runde fragen: Welches Land, wenn nicht Deutschland, hätte das bisher so gut geschafft, wie wir es mit diesem großartigen Engagement geschafft haben? (Beifall bei der CDU/CSU) Aber ich sage auch: Bei über 1 Million Menschen, die im letzten Jahr, auch im Winter, nach Deutschland gekommen sind, müssen auch Regeln eingehalten werden. Wir haben gemeinsam mit der SPD mit dem Asylpaket I, mit dem Asylpaket II und mit dem Datenaustauschverbesserungsgesetz viele gute Regelungen auf den Weg gebracht, indem wir im Parlament entsprechende Beschlüsse gefasst haben; auch meine Vorrednerin hat das gesagt. Wir haben gute, richtungsweisende Entscheidungen getroffen. Ich kann mich nur dem Lob und dem Dank an das Innenministerium und an den Innenminister anschließen. Wir sind froh, dass Sie, Herr de Maizière, unser Innenminister sind. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]) Es sind gute Entscheidungen getroffen worden. Wenn wir über Flüchtlinge reden, müssen wir aber auch immer wieder darüber reflektieren, dass nicht alle Flüchtlinge aus Kriegsgebieten kommen, wie Sie es immer glauben machen wollen. Nein, das ist eben nicht so. Viele kommen aus wirtschaftlichen Gründen zu uns. Niemand, wirklich niemand, stellt das Asylrecht der Menschen, die aus Kriegsgebieten kommen, die unseres Schutzes bedürfen, infrage, ganz und gar nicht. Vielmehr haben wir mit den Gesetzen, die wir hier verabschiedet haben, die richtigen Weichen dafür gestellt, dass die Menschen, die unseres Schutzes bedürfen, diesen Schutz auch bekommen. Wenn wir aber nach rechtsstaatlichen Verfahren festgestellt haben, dass jemand keine Bleibeperspektive hat, dann muss er zurück in das Land, aus dem er gekommen ist, oder, nach der Dublin-Verordnung, in das europäische Land, in dem er erstmals auf europäischem Boden war. Ich spreche jetzt ganz bewusst die Opposition an: Wenn es hier um vollziehbar Ausreisepflichtige geht, dann sind das eben keine Flüchtlinge mehr; denn den Flüchtlingsstatus haben sie nur vorher. Wenn durch das Verfahren beim BAMF entschieden worden ist, dass Menschen keine Flüchtlinge sind, gibt es für sie keinen Schutzgrund, weder nach Artikel 16a Grundgesetz noch nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Wenn es so ist, dass sie ausreisen müssen, dann müssen wir das auch umsetzen. (Beifall bei der CDU/CSU) Eines will ich Ihnen sagen: Die Menschen haben ein ganz feines Gespür dafür, was richtig ist. An die Opposition gewandt, frage ich: Reden Sie eigentlich nicht mit den Bürgern in Ihrem Wahlkreis? Was sagen sie Ihnen denn? Das feine Gespür der Menschen lässt sie zu Recht sagen: Schutz – ja, für alle, die ihn benötigen; aber die, die ihn nicht benötigen, müssen dann auch abgeführt werden. – Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, dass sich Menschen – in welcher Zahl auch immer – der Abschiebung dadurch entziehen wollen, dass sie ein Attest vorlegen, das der Wahrheit nicht entspricht. Ich weiß nicht, ob Sie einmal mit Anwälten gesprochen haben, die sich auf diesen Bereich spezialisiert haben. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir auch schon gemacht, ja!) Diese Anwälte sagen: Wir müssen nur dafür sorgen, dass die Menschen so lange wie möglich in Deutschland bleiben; dann wird die Abschiebung immer schwieriger. Was die Atteste, die hier angesprochen worden sind, angeht: Es ist gut, dass wir diesbezüglich eine andere Regelung gefunden haben, dass sie nicht mehr vordatiert werden dürfen, dass sich Amtsärzte die betreffenden Personen anschauen. Wer krank ist, soll entsprechenden Schutz bekommen und ist erst einmal vor Abschiebung geschützt, es sei denn, er soll in ein Land zurückgeführt werden, in dem die ärztliche Versorgung mit der bei uns vergleichbar ist. Frau Göring-Eckardt, mit Verlaub, das Bundesamt für Verfassungsschutz als einen Saustall zu bezeichnen, finde ich unerträglich. (Beifall bei der CDU/CSU) Wie kommen Sie überhaupt dazu? Es mag ein Fehlverhalten einzelner geben; aber dann das gesamte Amt in Bausch und Bogen zu verurteilen und als Saustall zu bezeichnen, das finde ich ganz furchtbar und abenteuerlich. (Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Da ist eine Entschuldigung erforderlich!) Dafür – das kann ich hier nur sagen – könnten Sie sich entschuldigen. (Beifall bei der CDU/CSU) Die sicheren Herkunftsländer sind schon angesprochen worden. Sie sollten sich einen Ruck geben und der Einstufung der drei Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer zustimmen. Ich könnte noch viel sagen, muss aber leider feststellen, dass meine Zeit abgelaufen ist. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Zum Glück! – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das war eine gute Rede!) Herr Minister, Sie haben mein und unser aller Vertrauen. Wir finden, Sie sind ein guter Innenminister, und das soll auch so bleiben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Kulturgutschutzrechts Drucksache 18/7456 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien (22. Ausschuss) Drucksache 18/8908 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Wir warten noch darauf, dass die Kolleginnen und Kollegen, die an dieser gewiss spannenden Debatte nicht teilnehmen können, den Saal verlassen haben. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Staatsministerin Professor Monika Grütters. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Monika Grütters, Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Spätestens heute wissen wir, was Karl Valentin gemeint hat, als er mal seufzte: „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.“ Ja, es war ein steiler und sogar steiniger Weg. Deshalb bin ich umso dankbarer, dass wir nach einem Jahr intensiver Diskussion gemeinsam doch so weit gekommen sind. Union und SPD haben im Koalitionsvertrag für eine Novellierung des Kulturgutschutzgesetzes votiert. Ich hoffe, dass wir heute sagen können: Die erste Etappe ist mit dem Beschluss des Deutschen Bundestages geschafft. Der Kulturgutschutz ist eine im Grundgesetz festgeschriebene Aufgabe. Dahinter steht die Überzeugung, dass Kunst einen Wert hat, nicht nur einen Preis. Als Spiegel unserer Geschichte und Identität darf Kunst staatliche Förderung, aber auch staatlichen Schutz erwarten. Das gilt erstens bei der Einfuhr. Deutschland muss endlich seinen Beitrag zur Eindämmung des illegalen Handels mit Kulturgütern leisten. Hier geht es nämlich um nicht weniger als um den Schutz des kulturellen Erbes der Menschheit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Zweitens gilt das bei der Ausfuhr, beim Schutz unseres eigenen kulturellen Erbes. In den wenigen Fällen, in denen Kulturgüter wirklich emblematisch sind für unsere Geschichte und Identität, muss es meiner Meinung nach möglich sein, sie vor Abwanderung ins Ausland und auch vor Zerstörung zu schützen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass mehr als 130 Staaten dieser Erde die UNESCO-Konvention zum Kulturgutschutz aus dem Jahr 1970 ratifiziert haben. Alle diese Staaten haben ein gemeinsames Grundverständnis vom Schutz von Kulturgütern im Allgemeinen und natürlich von ihrer jeweils eigenen Kunst im Besonderen. Es steht auch Deutschland sehr gut an, sich immer wieder selbst zu vergewissern, was hier national wertvoll ist und sein soll. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Für die wenigen Fälle, in denen Kulturgüter für unsere Geschichte und Identität – sie ist schwierig genug – von herausragender Bedeutung sind, gibt es schon seit 60 Jahren – es handelt sich hier um eine Novelle und nicht um ein neues Gesetz – ein Verfahren, das weitgehend konfliktfrei praktiziert wird. Ich bin sicher, dass das auch in Zukunft gelingen wird, zumal die neuen Regelungen sowohl Museen als auch private Eigentümer, Sammler und Leihgeber in vielen Punkten deutlich besserstellen als die bisherigen Regelungen. Worin bestehen die Verbesserungen? Ich will sie kurz benennen, weil bei vielen Sammlern – das ist Ihnen nicht verborgen geblieben – der Eindruck erweckt wurde, sie könnten künftig nicht mehr frei über ihr Eigentum verfügen. Das ist falsch. Gerade Sammler profitieren sogar von der Novellierung dieses Gesetzes. Erstens. Im aktuell geltenden Kulturgutschutzgesetz aus dem Jahr 1955 gibt es keine Definition dafür, was national wertvoll ist. Anhaltspunkte fanden sich bisher nur in einer Empfehlung der KMK. Nach intensiven Beratungen gerade zu diesem Punkt, nach Konferenzen, nach Anhörungen und nach unzähligen Einzelgesprächen präzisieren wir im Gesetzentwurf erstmals Kriterien für Werke, die in ein Verzeichnis national wertvollen Kulturguts einzutragen sind. Das sorgt für deutlich mehr Rechtssicherheit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Zweitens. Der Entwurf sieht vor, dass die Sachverständigenausschüsse, die diese Prüfung vornehmen – es ist ja nicht die Politik, sondern es sind die Sachverständigenausschüsse, die prüfen müssen, ob ein Kunstwerk als national wertvoll einzustufen ist –, aus Vertretern von Museen, Archiven, Wissenschaft, Handel und Sammlern gestärkt werden. Das Verfahren wird zukünftig deutlich transparenter. Eigentümer von Kulturgütern werden damit viel stärker abgesichert als bisher. Drittens. Leihgaben an öffentliche Museen können – natürlich mit jederzeit widerruflicher Zustimmung des Leihgebers; dass man das anfügen muss, ist schon kurios – vorübergehend vom gesetzlichen Schutz öffentlicher Museen profitieren. Niemand muss seine Bilder abhängen. Falls Leihgaben gestohlen werden und auf illegalem Weg ins Ausland gelangen, bestehen Rückgabeansprüche künftig nicht mehr nur für 30 Jahre, sondern für 75 Jahre. Auch das ist gut für Sammler und für Leihgeber. Viertens. Im Gesetz von 1955 gibt es keine Verfahrensregeln. Diese haben wir nun in die Novelle aufgenommen. Sie schreiben beispielsweise ausdrücklich eine maximale Bearbeitungsfrist von zehn Tagen für die Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung vor. Für den seltenen Fall, dass eine Eintragung als national wertvolles Kulturgut erfolgt, ist dieses Verfahren im Regelfall innerhalb von sechs Monaten von den Sachverständigen abzuschließen. Auch diese Fristen gab es bisher nicht. Ich glaube, dass eine solche Befristung im Wesentlichen Eigentümer und Sammler stärkt. Fünftens. Sammler profitieren künftig beim Kauf des Kunstwerkes davon, dass der gewerbliche Kunsthandel im Rahmen des Zumutbaren die Herkunft und Provenienz eines Werkes prüfen muss, das er verkauft – eigentlich eine Selbstverständlichkeit. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sechstens. Eine Verbesserung speziell für Museen ist, dass sie künftig im internationalen Leihverkehr keine Einzelgenehmigungen mehr brauchen, sondern eine fünf Jahre gültige allgemeine Genehmigung beantragen können. Das reduziert in großem Stil den Verwaltungsaufwand für die Museen, aber natürlich auch für die Länder, die uns gegenüber angegeben haben, dass der Genehmigungsaufwand bisher zu fast 90 Prozent den Leihverkehr betrifft. Wir können den zukünftigen Bürokratieaufwand, über den ja viel gesprochen worden ist – auch die Länder spekulieren zurzeit darüber –, nicht verbindlich beziffern. Deshalb wollen wir ihn auch schon in zwei Jahren evaluieren. Ich bin überzeugt, meine Damen und Herren, dass wir mit der Gesetzesnovelle, über die wir heute abstimmen, dank der intensiven Diskussion der vergangenen Monate jetzt die richtige Balance gefunden haben zwischen unterschiedlichen, jeweils sehr legitimen Interessen. Ich bin dankbar, dass wir einen breiten Konsens all derer erreicht haben, die Kulturgüter vor illegalem Handel und unrechtmäßiger Ausfuhr im Interesse des Gemeinwohls schützen wollen. Zu den Unterstützern zählen unter anderem der Deutsche Museumsbund, der Internationale Museumsrat, der Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler, der Deutsche Kulturrat und viele andere mehr. Zu den Unterstützern zählen insbesondere auch viele Staaten aus dem Nahen Osten und aus Süd- und Mittelamerika, deren Botschafter sich mit einem Besuch bei uns im Kanzleramt ausdrücklich bedankt haben. Sie haben im Übrigen dem Deutschen Bundestag, also Ihnen allen, geschrieben, wie sehr sie auf einen solchen Gesetzentwurf gewartet haben und dass sie ihn ausdrücklich begrüßen. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, die öffentliche Auseinandersetzung und die Kommunikation waren nicht immer einfach; das gehört zur Wahrheit dazu. Aber bei Kunst und Kultur liegt es quasi in der Natur der Sache, dass Leidenschaften den Austausch kühler Sachargumente und Fakten gelegentlich auch einmal überlagern. Die parlamentarischen Beratungen, lieber Siegmund Ehrmann als Vorsitzender des Kulturausschusses – das möchte ich ausdrücklich sagen –, fand ich wohltuend sachorientiert und angesichts dieser komplexen und wirklich sehr sensiblen Materie entsprechend konstruktiv. Mit dem neuen Kulturgutschutzgesetz erkennt Deutschland, wenn auch mit jahrzehntelanger Verspätung, endlich internationale UNESCO- und europäische Standards an, die in fast allen Staaten Europas längst gelten. Herzlichen Dank also an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, an die Berichterstatterinnen und Berichterstatter, dass Sie in vielen, wie ich fand, sehr hilfreichen Diskussionen dazu beigetragen haben. Lassen Sie uns heute auch für Deutschland ein Kulturgutschutzgesetz beschließen, das einer Kulturnation würdig ist. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke die Kollegin Sigrid Hupach. (Beifall bei der LINKEN) Sigrid Hupach (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Staatsministerin, Sie haben eben in Ihrer Rede deutlich gemacht, worum es beim Kulturgutschutz geht und warum dieses Gesetz das vielleicht wichtigste kulturpolitische Vorhaben der Koalition ist. Auch meiner Fraktion ist es wichtig, dass wir endlich zu einer wirksamen Umsetzung der UNESCO-Konvention von 1970 kommen und entschieden gegen den illegalen Handel mit Kulturgütern vorgehen. In der Anhörung im Kulturausschuss haben verschiedene Sachverständige eindrücklich geschildert, wie sehr sich Deutschland zu einem ganz zentralen Standort für den illegalen Handel entwickelt hat. Auch die Berichte von den Kulturzerstörungen im Nahen Osten, die uns gerade im letzten Jahr erschüttert und fassungslos gemacht haben, haben den Handlungsdruck mehr als deutlich gemacht. Es ist also eminent wichtig, dass wir immerhin fast 50 Jahre nach der Pariser UNESCO-Konferenz nun endlich zu gesetzlich fixierten und durch Ermittlungsbehörden auch kontrollierbaren Maßnahmen kommen, (Beifall bei der LINKEN) die den illegalen Handel mit geraubten Kulturgütern unterbinden und die Rückgabe an die Herkunftsstaaten erleichtern. Ihre Initiative, Frau Staatsministerin, haben wir daher sehr begrüßt; wir erkennen auch Ihr Engagement in dieser Sache an. Auch die folgenden Beiträge werden zeigen, wie einig wir uns in diesem Anliegen sind. Daher finde ich es umso ärgerlicher, dass vonseiten der Koalition kein Versuch unternommen worden ist, interfraktionell zu einem überarbeiteten Gesetzentwurf zu kommen. (Beifall bei der LINKEN) Es gab nicht einmal ein Berichterstattergespräch. Sie sind als Große Koalition viele, aber eben nicht das gesamte Parlament. Ich finde schon, dass es eine Zumutung ist, uns am Dienstag um 16 Uhr einen Änderungsantrag mit 97 Seiten zuzusenden, zu dem die ersten mitberatenden Ausschüsse bereits Mittwoch ab 8 Uhr ein Votum abgeben sollten. Ich spreche das nicht an, weil wir nicht bereit wären, abends zu arbeiten, sondern weil ich darin eine Missachtung der parlamentarischen Arbeit der Opposition sehe und dieses Verfahren außerdem dem wichtigen Thema des Kulturgutschutzes nicht angemessen ist. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Der Gesetzentwurf regelt ja nicht nur die Frage, welches Kulturgut unter welchen Bedingungen nach Deutschland eingeführt werden darf, sondern auch, welches Kulturgut wir aufgrund seiner identitätsstiftenden Bedeutung vor der Abwanderung schützen wollen, welche Objekte also in das Verzeichnis national wertvollen Kulturguts eingetragen werden sollen. Damit verbunden sind nicht nur ein besonderer Schutzstatus oder steuerliche Vorteile bei privaten Eigentümern, sondern auch ein Ausfuhrverbot. Lässt man einmal den aufgeregten und in Teilen auch sprachlich unangemessenen Aufschrei mancher Künstler, Rechtsanwälte oder Kunsthändler außen vor, so berührt diese Frage natürlich den Kern unseres Verständnisses als Kulturstaat und die Grundfesten unserer Gesellschaft. Daher sind wir hier zu einer gewissenhaften Diskussion verpflichtet. Die CDU/CSU-Fraktion hat es gestern im federführenden Ausschuss jedoch nicht einmal für nötig erachtet, unsere Vorschläge oder die Vorschläge der Grünen überhaupt zu kommentieren. Der Ausschussvorsitzende hat da anders gehandelt. Daher will ich hier noch einmal auf die Punkte eingehen, die uns wichtig sind. Wir begrüßen, dass mit dem Gesetz die öffentlichen Museen und Sammlungen gestärkt werden und ihre Bestände generell unter Schutz gestellt werden. Ihnen wird im Alltag manches durch das Gesetz erleichtert werden. Gern aber hätten wir die öffentlichen Einrichtungen dahin gehend gestärkt, dass die Bedingungen für die vorübergehende Ein- und Ausfuhr von Kulturgut in den §§ 25 und 73 auf Begutachtungs- und Digitalisierungsvorhaben ausgedehnt worden wären. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Sehr bedauerlich ist auch, dass die Koalition die anderen öffentlichen Sammlungen unberücksichtigt lässt und so zum Beispiel den universitären Forschungssammlungen den Schutzmantel des Gesetzes verwehrt. Dass die Frage der Behandlung von Leihgaben jetzt im Gesetz genau geregelt ist, finden wir richtig. Gleiches gilt für die begriffliche Trennung von archäologischem und paläontologischem Kulturgut in § 2. Gerade für die naturwissenschaftlichen Sammlungen und für ihren engen Kontakt zu Sammlerinnen und Sammlern und den sogenannten Bürgerwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern ist das wichtig. Sie profitieren auch von der Erweiterung der Ausnahmen beim Beschädigungsverbot in § 18, wo nun die Forschungszwecke ausdrücklich erwähnt werden, die ja auch invasiv und destruktiv sein können. Wir hätten an dieser Stelle gern eine Pflicht zum Substanzerhalt im Gesetz festgeschrieben. Auch das Ankaufsangebot in § 23 unterstützen wir. Die Idee dabei ist, dass der Staat identitätsstiftendes Kulturgut, das ausgeführt werden soll, selbst erwirbt und dafür einen fairen und angemessenen Preis anbietet. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Martin Dörmann [SPD]) Ich hoffe sehr, dass sich alle bei den nächsten Haushaltsverhandlungen daran erinnern und die Ankaufetats für Museen und eben auch für die Kulturstiftung der Länder entsprechend aufgestockt werden. Wir begrüßen ausdrücklich, dass der Gesetzentwurf klar regelt, dass NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut bei der Restitution von allen Ausfuhrbeschränkungen ausgenommen ist. Nicht nachvollziehbar ist aber für uns, warum dies nicht auch für ursprüngliche Besitzer oder deren Rechtsnachfolger in Deutschland gelten soll. Die moralische Verpflichtung, die wir hier haben, ist so besonders, dass unseres Erachtens auch besondere Regelungen gerechtfertigt sind. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ganz zentral ist für uns auch, dass die Wertgrenze für archäologische Kulturgüter auf null Euro abgesenkt wurde. Jedoch sind die Sorgfaltspflichten beim gewerblichen Inverkehrbringen in § 42 noch immer an das Kriterium der wirtschaftlichen Zumutbarkeit geknüpft. Ich empfehle, sich noch einmal die öffentliche Anhörung im Kulturausschuss in Erinnerung zu rufen, um zu verstehen, wie absurd das ist. In die gleiche Kerbe schlägt, dass bei der Definition von Inverkehrbringen das Vorrätighalten nicht aufgenommen worden ist. Das aber wäre für die Bekämpfung des illegalen Handels besonders wichtig; denn diese Objekte stehen eben nicht in einem feinen Ladenlokal, sondern in dunklen Hinterzimmern. Wir haben in einem Änderungsantrag die Angleichung der Alters- und Wertgrenzen mit der europäischen Ebene vorgeschlagen, sodass die gleichen Bedingungen gelten, egal ob ein Gemälde zum Beispiel nach Frankreich oder in die Schweiz ausgeführt wird. Wenn aus der Perspektive des Handels die Alters- und Wertgrenzen der EU-Verordnung für zu gering erachtet werden, ist die Bundesregierung angehalten, sich für eine Änderung einzusetzen – aber eben auf europäischer Ebene. (Beifall bei der LINKEN) Richtig ist, dass mit den erhöhten Alters- und Wertgrenzen der bürokratische Aufwand verringert wird. Dieser entsteht ja vor allem in den Ländern; denn bei den dortigen Behörden müssen die Ausfuhrgenehmigungen beantragt werden. Vom Kulturgutschutz aus gedacht, darf dieser Aspekt aber nicht im Zentrum stehen. Der Bund ist hier in der Pflicht, die Länder entsprechend zu unterstützen. Wir finden es gut, dass im Gesetz festgelegt ist, dass gerade der Erfüllungsaufwand bereits zwei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes geprüft werden soll. Wir sind überzeugt, dass manches, was als Belastung empfunden wird, durch ein gutes Internetportal zum Kulturgutschutz abgemildert werden kann. Wir haben uns daher dafür eingesetzt, dass das Internetportal Beispiele für geeignete Unterlagen vorstellt und dass dort alle Ausfuhrbestimmungen der Dritt- und der Vertragsstaaten verbindlich eingestellt sind, bevor das Gesetz in Kraft tritt. Leider ist es vonseiten der Regierung bisher unterblieben, eine breite öffentliche Debatte zu der Frage anzustoßen, was im europäischen und im globalen Kontext national wertvolles und identitätsstiftendes Kulturgut sein kann. Daher ist es umso wichtiger, die größtmögliche Transparenz gerade auch bei der Arbeit der Sachverständigenausschüsse zu gewährleisten. Um nicht missverstanden zu werden: Wir setzen sehr großes Vertrauen in die Arbeit der Sachverständigenausschüsse, so sie denn von den unterschiedlichen Interessen her gerecht zusammengesetzt sind. Da sie aber in jedem Einzelfall entscheiden müssen, was national wertvoll und identitätsstiftend ist, wollen wir, dass diese Entscheidungsfindung auch für die Öffentlichkeit nachvollziehbar ist. Ich bin überzeugt, dass das über eine entsprechende Dokumentation auf dem Internetportal möglich ist, ohne die Persönlichkeitsrechte zu verletzen. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir sollten die kommenden fünf Jahre bis zum Evaluationsbericht nutzen, um für die Notwendigkeit des Kulturgutschutzes noch stärker zu sensibilisieren und eine möglichst breite Debatte in der Wissenschaft, in der Politik und vor allem in der Öffentlichkeit anzuzetteln über die Frage, was wir unter identitätsstiftendem Kulturgut verstehen – vor dem Hintergrund des kulturellen Welterbes und in Anbetracht des doch sehr überholt klingenden Begriffs der Kulturnation in einer Einwanderungsgesellschaft. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin Hupach, kommen Sie jetzt bitte zum Schluss. Sigrid Hupach (DIE LINKE): Ja, ich komme zum Schluss. – Meine Fraktion wird sich bei der Abstimmung enthalten. Wir unterstützen zwar das Anliegen und finden auch manches gut. Der Gesetzentwurf geht uns aber in den zentralen Punkten der Sorgfaltspflichten und der Transparenz nicht weit genug. Deshalb werden wir uns enthalten. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Siegmund Ehrmann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Siegmund Ehrmann (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ja, in der Tat: Seit mehr als einem Jahr tobt eine heftige Debatte über die Frage, ob und in welchem Maße es Aufgabe des Staates ist, besonders bedeutsames und identitätsstiftendes Kulturgut als kulturelles Erbe zu schützen. Auch Kollegin Hupach hat diese Frage gerade, am Schluss ihrer Rede, scharf formuliert. Insofern möchte ich einige grundsätzliche Anmerkungen voranstellen. 1936 hat Walter Benjamin in seinem Werk Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit formuliert: (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich gelesen!) Die Einzigartigkeit des Kunstwerks ist identisch mit seinem Eingebettetsein in den Zusammenhang der Tradition. Dieser Gedanke verweist letztendlich auf eine spezielle Authentizität, auf die Aura von Kunstwerken – Frau Staatsministerin Grütters würde formulieren: auf das Emblematische, also das ganz Besondere. Den Bogen in die Gegenwart schlägt Wolfgang Thierse in einem jüngst veröffentlichten Aufsatz. Ich zitiere: Gerade in Zeiten heftiger Umbrüche, beschleunigter … wirtschaftlicher, sozialer und auch ethnischer Veränderungen ist das individuelle und kollektive Bedürfnis nach Vergewisserung und Verständigung über Gemeinsamkeiten, also nach Identität besonders groß. Dies ist ohne gegenständliche Basis nicht möglich. Dazu gehört unabdingbar das kulturelle Erbe einer Nation, die Hinterlassenschaft der Vorgängergenerationen, also die großen und wichtigen Kunstwerke, in denen sich kollektives Selbstverständnis verdichtet, materialisiert hat. Wie sollte man sich – so Thierse – über das Eigene, das kulturelle Selbst, verständigen können, wenn dieses Erbe nicht mehr zur Verfügung steht, nicht mehr angeschaut werden kann? Diesem grundlegenden Selbstverständnis folgend, schützen nahezu alle Staaten ihre bedeutsamen Kulturgüter. Dies ist im besten Sinne des Wortes internationalistisch und findet Ausdruck im UNESCO-Abkommen gegen illegalen Handel mit Kulturgut aus dem Jahre 1970. Die unterzeichnenden Staaten sind dazu verpflichtet, ebendieses geschützte Kulturgut im Falle illegalen Handels den berechtigten Eigentümern zurückzugeben. Es bedarf deshalb Schutzmechanismen für das eigene Kulturgut und effektiver Rückgaberegelungen im Hinblick auf das Kulturgut anderer Staaten. Insofern sind Ein- und Ausfuhrregelungen zum Schutz von Kulturgut zwei Seiten einer Medaille. Deutschland hat dieses UNESCO-Abkommen 2007 in nationales Recht umgesetzt, doch hat sich das Kulturgüterrückgabegesetz letztendlich als wirkungslos erwiesen. Dazu ein konkretes Beispiel: Da gab und gibt es eine Sammlung von rund 1 200 archäologischen Objekten aus Südamerika, die sich zunächst in Spanien befand. Dort wurden die meisten Objekte peruanischer Herkunft beschlagnahmt und restituiert. Daraufhin wurde die Sammlung nach München verbracht. Das bayerische LKA hat die Sammlung sichergestellt. Straf- und zivilrechtliche Verfahren folgten, liefen weitestgehend ins Leere. Rechtshilfeersuchen von Mexiko, Guatemala, Costa Rica, Kolumbien, Ecuador und Peru blieben erfolglos. Der Hauptgrund: das fehlende Register in den Ursprungsländern, das nach unserem Gesetz vorliegen musste. Das ist kein Einzelfall. Vor wenigen Wochen trafen Mitglieder vieler Ausschüsse Botschafter unterschiedlicher Staaten: Irak, Guatemala, Sudan, Ägypten, Bolivien, Mexiko, Honduras und auch China. Es geht hier also nicht um einen Vorgang, der sich nur auf die arabische Halbinsel bezieht. Die Botschafter beklagten, dass die Rückgabe von Objekten, die unrechtmäßig in den deutschen Handel gelangt sind, ins Leere läuft. Sie verbanden und verbinden Hoffnungen mit der Entscheidung, die wir heute treffen. Wenn wir uns aus guten Gründen dem Schutz des kulturellen Erbes anderer Staaten verpflichtet fühlen, müssen wir uns in gleichem Maße den eigenen Belangen widmen, dem Schutz unseres besonderen Kulturgutes. Insofern haben wir dieses Gesetz auch im parlamentarischen Verfahren weiterentwickelt. Wir übertragen die Genehmigungsvorbehalte, die für den EU-Außenhandel gelten, auf den EU-Binnenmarkt – eine Praxis, die in nahezu allen europäischen Staaten gilt –, und das bei sehr weit und großzügig bemessenen Alters- und Wertgrenzen. Diese Absicht wird nach wie vor und mit Vehemenz bis zum heutigen Tag vom Handel kritisiert. Aber nicht nur vom Handel: Heute formulierte ein nicht mehr aktiv lehrender Hochschullehrer in der Süddeutschen Zeitung, wir würden letztendlich unser Kulturgutschutzrecht „‚völkisch‘ einkäfigen“ – ein unglaublicher Begriff. Ich finde es schon erstaunlich, mit welchen Bandagen und Begriffen da gearbeitet wird. Ich will ausdrücklich hervorheben: Nicht der Marktwert oder das Alter eines Objektes per se ist das entscheidende Kriterium. Es geht um das Besondere, das Einzigartige, das Identitätsstiftende. Es kann insofern immer nur um herausragende Einzelobjekte gehen, die die Schutzwirkung rechtfertigen. Wir haben im vorliegenden Gesetzentwurf einiges modifiziert und vieles geändert. Auf manche Punkte ist die Staatsministerin eingegangen, daher will ich sie nicht weiter hervorheben. Mir bleibt zum Schluss meiner Rede noch, den Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition meinen großen Dank für die Zusammenarbeit auszusprechen, insbesondere Ansgar Heveling. Ich möchte ausdrücklich hervorheben, dass die Zusammenarbeit weit im Vorfeld mit den Akteuren in den Bundesländern und auch im Bundesrat ausgesprochen hilfreich und gut war. Nicht zuletzt gilt mein Dank der Staatsministerin und ihrem Team, insbesondere dem zuständigen Referenten Herrn Dr. Peters, aber auch dem Abteilungsleiter Herrn Dr. Winands. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich denke, dass es ein gutes Gesetz ist. Am Ende des Tages wird sich erweisen: Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Viele Interessen waren abzuwägen. Ich glaube, wir sind damit unserer Aufgabe, die wir hier im Deutschen Bundestag haben, gerecht geworden, nämlich dem Gemeinwohl zu dienen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Ulle Schauws spricht jetzt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kulturelle Güter haben einen Wert, der über das Materielle hinausgeht. Deshalb haben wir uns in Deutschland und Europa immer für einen besonderen Schutz der kulturellen Güter ausgesprochen, nicht zuletzt durch eine UNESCO-Konvention. Es kommt also nicht von ungefähr, dass wir in dieser Legislaturperiode immer wieder darüber sprechen, wie wir die kulturelle Vielfalt bewahren und schützen können. Wir diskutieren dies im Kontext von TTIP, im Kontext der Frage nach der Gleichberechtigung von Frauen im Kulturbetrieb und nun im Rahmen der Novellierung des Kulturgutschutzgesetzes. Im Bereich des Kulturgutschutzes besteht dringender Handlungsbedarf. Wohl auch deshalb hat die Kulturstaatsministerin die Novellierung als eines der wichtigsten kulturpolitischen Vorhaben dieser Legislaturperiode ausgegeben; einmal davon abgesehen, dass die Pflichten zur Umsetzung einer EU-Richtlinie die Regierung in die Verantwortung nehmen. Von Beginn der Debatte an war aber eines klar: Der Widerstand war riesengroß, und bis heute sind weder vorhandene Ängste und Sorgen ganz ausgeräumt, noch sind die Beschwörungen des Szenarios um drohende Abwanderungen von Kunst beendet. Umso erstaunlicher ist daher, dass die endlos diffuse Kommunikation der Bundesregierung verbunden mit einem Krisenmanagement das zusätzliche Misstrauen hat entstehen lassen. Das war weder elegant noch klug. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ein weiterer zentraler und vieldiskutierter Punkt ist die Frage, welche Kulturgüter vor Abwanderung geschützt werden sollen. Es geht also um die Frage: Was ist national wertvoll? Selbst Kanzlerin Merkel hat sich vor 14 Tagen im Rahmen ihrer Rede des von der CDU/CSU-Fraktion veranstalteten Kultursalons diese Frage noch gestellt. Auch von den Expertinnen und Experten wurde schon im letzten Jahr deutlich eine zügige Klärung dieser Frage angemahnt. Es wird also Zeit, einen institutionalisierten Prozess in Gang zu bringen, der eigentlich schon längst hätte begonnen werden können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn der Weg zum Ziel unserer Meinung nach sowohl in der externen als auch in der internen Kommunikation besser hätte gelöst werden können, begrüßen wir Grünen, dass man endlich einen Gesetzentwurf zur abschließenden Beratung vorlegt, vor allem dass jetzt noch viele Anmerkungen und Bedenken vieler Expertinnen und Experten in den Gesetzentwurf eingeflossen sind. Dies betrifft die Wertgrenze, die wieder auf null gesetzt wurde und die so verhindert, dass Objekte zerstückelt werden können, um die Sorgfaltspflicht zu umgehen. Dies betrifft die für die Naturwissenschaften so wichtige Ausweitung der Ausnahmeregelungen zum Beschädigungsverbot für national wertvolles Kulturgut. Schließlich betrifft dies die Wiederaufnahme der Vermutungsregelung hinsichtlich der Herkunft in § 52 des Kulturgutschutzgesetzes. Ein Fehlen dieser Regelung hätte in der Praxis zu einer hohen Hürde hinsichtlich des Rückgabeanspruchs von Herkunftsstaaten geführt, also genau zu dem Gegenteil von dem, was eine zentrale Intention des Gesetzes ist. Hier ist die Kritik unserer Fraktion gehört und entsprechend in diesen Gesetzentwurf eingearbeitet worden. Für die Wirkung des Gesetzes sind das drei zentrale Punkte, deren Aufnahme in den Gesetzestext wir sehr begrüßen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Allerdings lässt der Gesetzentwurf zwei wichtige Aspekte außer Acht, die zu einem besseren Schutz von archäologischen Kulturgütern hätten beitragen können. Erstens. Die Schutzregelungen für den Verkauf von Kulturgütern müssen erweitert werden. Bis jetzt schließt das Gesetz Kulturgüter, die in Nebenräumen lagern und gegebenenfalls für den sogenannten Verkauf unter der Hand vorgesehen sind, von diesen Schutzregelungen aus, und das darf nicht sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Die Ausweitung der Schutzregelung ist ein wesentlicher Schritt, um den illegalen Handel mit illegalen Kulturgütern effektiv zu erschweren. Der zweite Punkt betrifft die Ausweitung der erhöhten Sorgfaltspflichten. Sie sollten zusätzlich für alle archäologischen Kulturgüter gelten, die laut der Roten Liste des Internationalen Museumsrates in eine der Kategorien der gefährdeten Kulturgüter fallen. Nur so kann wirklich ein umfassender Schutz von archäologischem Kulturgut sichergestellt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Darüber hinaus sollten die Begründungen der Sachverständigenausschüsse öffentlich zugänglich gemacht werden. Das ist Transparenz auf allen Ebenen. Das ist für uns bei diesem Gesetz elementar. In der ganzen Diskussion über Ausfuhrgenehmigungen sind die neuen Regelungen der Einfuhr und Rückgabe von Kulturgütern sehr wichtig. Der illegale Handel mit Kulturgütern ist keine kulturelle Randnotiz. Er findet weltweit statt, und nicht nur in den besonders betroffenen Ländern wie Ägypten, Afghanistan, Syrien und Irak. Seit 1990 hat sich der illegale Handel mit diesen Gütern vervielfacht. Mit schätzungsweise 6 bis 8 Milliarden Euro Umsatz jedes Jahr stehen die Gewinne aus diesem illegalen Handel mit Kulturgütern an dritter Stelle aller Einnahmequellen der organisierten Kriminalität, gleich nach Waffen und Drogen. Deutschland darf nicht länger ein Umschlagplatz für geraubte Kulturgüter und Antiquitäten sein, an dem ohne belastbaren Herkunftsnachweis Antiken verkauft werden können. Das Recht von Staaten auf den Besitz ihrer Kulturgüter muss endlich auch von Deutschland akzeptiert werden. Es kann nicht sein, dass bei uns ein lukrativer Marktplatz zur Finanzierung von Terroristen und internationalen Banden weiter existieren kann. Deutschland steht hier international in einer politischen und moralischen Verantwortung und muss jetzt seinen Beitrag leisten. Vor diesem Hintergrund begrüßen wir, dass das bislang geltende ungeeignete Listenprinzip abgeschafft wird. Stattdessen müssen Ausfuhrgenehmigungen des Herkunftslandes vorgelegt werden. Allerdings – das sage ich ganz klar – wird es für den Zoll keine leichte Aufgabe sein, zu entscheiden, ob eine vorgelegte Ausfuhrerlaubnis gültig ist und wirklich das vorgelegte Objekt erfasst. Das wäre schon für manche Kunstexpertin und manchen Kunstexperten eine Herausforderung. Daher stellt sich nach wie vor die Frage: Ist diese Regelung am Ende des Tages wirklich besser als die alte? Ich denke, das ist ein Aspekt, der für den gesamten Gesetzentwurf gilt. Die grundsätzliche Stoßrichtung ist richtig und gut. Aber die Reichweite und Praxistauglichkeit einzelner Details ist zum jetzigen Zeitpunkt in Gänze schwer abschätzbar. Es bleibt daher die Aufgabe für uns als Politik, die Wirkung des Gesetzes weiter zu beobachten, um zu sehen, ob die Neuregelungen wie erhofft wirken. In diesem Sinne vielen Dank fürs Zuhören und einen schönen Tag. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. Das wünschen wir auch. – Nächster Redner ist der Kollege Ansgar Heveling, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ansgar Heveling (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich heute gemeinsam mit Ihnen an Rose Valland erinnern. Sie arbeitete während der Besetzung Frankreichs durch die Deutschen im Zweiten Weltkrieg als Kunsthistorikerin im Pariser Museum Jeu de Paume. Dieses Museum wurde von den Nationalsozialisten als Zwischenlager für Raubkunst missbraucht. Der deutschen Sprache mächtig, verfolgte sie unbemerkt alle Gespräche der deutschen Offiziere und vermerkte jeden Abtransport der Kunstgegenstände sowie ihren jeweiligen Zielort. Aus ihren Aufzeichnungen ließe sich eine beeindruckende Karte für eine atemberaubende Schatzsuche zusammenstellen. Zugute kam ihr Wissen auch einer kleinen Einheit der amerikanischen Streitkräfte, den sogenannten Monuments Men, die sich in den Jahren 1945 bis 1947 daranmachte, versteckte Naziraubkunst aufzuspüren und in Sicherheit zu bringen. Diese Episode aus der Vergangenheit zeigt, dass Kulturgutschutz nicht erst heute ein wichtiges Anliegen ist. So hat Rose Valland nicht nur unschätzbare Dienste dazu geleistet, dass nach dem Zweiten Weltkrieg viele der geraubten Kunstschätze wiedergefunden werden konnten, sondern sie hat sich in den Jahren danach auch intensiv für die Belange des Kulturgutschutzes eingesetzt, unter anderem als Leiterin des französischen Dienstes des Schutzes von Kunstwerken. Auch bei uns wird mit dem heute zu beschließenden Gesetz der Kulturgutschutz nicht neu erfunden. Bisher war unser Kulturgutschutz im Wesentlichen in drei Gesetzen geregelt. Die jetzige Novelle führt diese drei Gesetze mit notwendigen Neuregelungen zu einem Kulturgutschutzgesetz zusammen, dessen Bestimmungen kohärent ineinandergreifen. Damit werden künftig alle Aspekte des Kulturgutschutzes durch ein Gesetz erfasst. Durch geeignete Einfuhrregelungen soll der illegale Handel etwa mit Antiken aus Kriegs- und Krisengebieten unterbunden werden. Mithilfe von Ausfuhrregelungen wird darüber hinaus unserem Land die Möglichkeit gegeben, national wertvolles Kulturgut, das eine einzigartige, herausragende und identitätsstiftende Bedeutung für unser Land hat, vor Abwanderung zu bewahren. Schließlich enthält das Gesetz auch Regelungen für die Rückgabe unrechtmäßig verbrachten Kulturguts. Die Neuregelung des Kulturgutschutzes ist im Übrigen kein deutscher Alleingang, sondern stellt ein Vorgehen im Sinne der Forderung der Vereinten Nationen dar. Wir sind schon vor langer Zeit einem internationalen Übereinkommen beigetreten, das inzwischen von 131 Staaten ratifiziert worden ist. Es ist unser ureigenes Anliegen, die UNESCO-Konvention zum Schutz von Kulturgut von 1970 jetzt endlich wirkungsvoll und vor allem vollständig in deutsches Recht umzusetzen. Die Kulturgüter sind Zeugnis unserer Menschheitsgeschichte und für die Nationen und Völker unserer Welt identitätsstiftend. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Gerade in den letzten Jahren mussten wir mit ansehen, wie im Nahen und Mittleren Osten, in Palmyra, in Nimrud und Mossul, Jahrtausende alte Zeugnisse der Kultur ausgeraubt und dem Erdboden gleichgemacht wurden. Mit Blick auf diese Ausbeutung und Zerstörung sehen wir uns in der Verantwortung, den illegalen Handel weiter zu bekämpfen, international wertvolle Kulturgüter zu schützen und damit auch für unsere nachfolgenden Generationen zu bewahren. Denn jeder Staat hat in zunehmendem Maße die moralische Verpflichtung zur Achtung seines kulturellen Erbes und des Erbes anderer Nationen. Nach engagierten und konstruktiven Debatten entscheiden wir heute über einen, wie ich finde, sehr ausgewogenen und praktikablen Gesetzentwurf, der in den parlamentarischen Beratungen noch vielfältige Veränderungen erfahren hat. Für ganz besonders wichtig halte ich, dass mit der Novelle erstmals gesetzlich geregelt und definiert wird, was national wertvolles Kulturgut ist. Das ist für eine Kulturnation wie die unsrige ein nötiger und überfälliger Akt der demokratischen Legitimation des Kulturgutschutzes. Der Entwurf grenzt nun präzise zwischen archäologischem und paläontologischem Kulturgut ab. Das ist einer der Punkte, die wir aus der Anhörung mitgenommen haben. Er fördert grenzüberschreitenden Kulturaustausch; denn er stellt klar, dass auch ein längerer Aufenthalt von Leihgaben keine besondere Beziehung zum deutschen Kulturgutschutz begründet. Letztlich berücksichtigt die Neuregelung auch die berechtigten Interessen des Kunst- und Kulturhandels in Deutschland. Selbstverständlich sind wir uns hierbei auch des Spannungsverhältnisses zwischen Eigentumsschutz und Kulturgutschutz bewusst. Ich nenne Ihnen drei Beispiele. Mit einem Negativattest kann im Vorhinein der Ausfuhrmöglichkeit rechtsverbindlich geklärt werden, dass keine Eintragung als national wertvolles Kulturgut erfolgt. Für Kulturgut, das sich maximal zwei Jahre in Deutschland befindet, braucht man keine Ausfuhrgenehmigung. Es gilt das sogenannte Laissez-passer-Verfahren. Das ist ein wichtiger Schritt gewesen, den wir innerhalb der parlamentarischen Beratungen gegangen sind. Der Entwurf berücksichtigt auch die Unterschiedlichkeit der verschiedenen Kunsthandelsgewerbe. So sind beispielsweise Sonderregelungen für Münzen in den Gesetzesentwurf eingegangen. Sie gelten nicht als archäologische Kulturgüter, wenn sie in großer Stückzahl vorhanden sind und keinen relevanten Erkenntniswert für die Archäologie haben. Allen Vertragsstaaten der UNESCO-Konvention ist gemein, sich aktiv für einen Abwanderungsschutz einzusetzen und sich gegenseitig darin zu unterstützen. Daher werden bei der Einfuhr von ausländischem nationalem Kulturgut in Zukunft zu Recht hohe Prüfmaßstäbe angelegt. Ist ein Kulturgut in einem Vertragsstaat entsprechend eingestuft, müssen bei der Einfuhr entsprechende Unterlagen des Herkunftsstaates die Rechtmäßigkeit der Ausfuhr belegen. Hierbei haben wir im parlamentarischen Verfahren klargestellt, dass sich die Nachweispflicht nur auf solche Kulturgüter bezieht, die im Herkunftsland als nationales Kulturgut eingetragen oder definiert worden sind. Neben dem Schutz vor Abwanderung geht es auch um die Rückgabe illegal eingeführter Kulturgüter. Nach der bisherigen Rechtslage war dies kaum möglich. Unter anderem flankiert zukünftig eine gesetzliche Vermutung diesen Rückgabeanspruch, sofern sie – wie auch sonst im Verwaltungsrecht – nicht mit Beweismitteln, einschließlich der eidesstattlichen Versicherung, widerlegt werden kann. Wir haben uns in den letzten Monaten sehr intensiv mit dem Entwurf beschäftigt, auch mit einer Vielzahl von Detailfragen, die insbesondere in der Anhörung der Sachverständigen im April an uns herangetragen wurden. In den vergangenen Wochen haben wir diese Fragen eingehend erörtert und dem Entwurf seinen letzten Feinschliff verpasst. Liebe Kolleginnen und Kollegen, einer der Monument Men war auch George Stout, Konservator des Fogg-Museums der Harvard University. Im Ersten Weltkrieg hat er als junger Mann die Zerstörung von Kulturgütern erlebt. Seiner eigenen Forderung nach einer praktischen Umsetzung des Kulturgutschutzes folgend, kämpfte er unter anderem mit Rose Valland in Europa für die Sicherstellung und den Erhalt der von den Nationalsozialisten erbeuteten und versteckten Kunst. Die ihm filmisch nachempfundene Figur des Lieutenants Frank Stokes im Film Monuments Men bringt seine Motivation auf den Punkt: Man kann Menschen einer ganzen Generation auslöschen, ihre Häuser niederbrennen, aber sie werden immer einen Weg zurück finden. Vernichtet man jedoch ihre Geschichte, vernichtet man ihre Errungenschaften, und das ist so, als hätten sie nie existiert. Dass die Geschichte und die Errungenschaften in Erinnerung bleiben, ist eine wesentliche Aufgabe des Kulturgutschutzes. Tragen wir heute unseren Teil dazu bei, die Kultur der Völker für uns und nachfolgende Generationen zu bewahren. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke schön. – Die Kollegin Susanne Mittag ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Susanne Mittag (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Griechenland, Italien, Ägypten, Türkei, Syrien, Irak und Deutschland: Was betrifft all diese Länder? Illegale Ausgrabungen von archäologischem Kulturgut, das ganz einfach nur zu Geld gemacht wird. Archäologische Zeugnisse werden ohne Rücksicht auf Verluste oder Beschädigungen ausgegraben, historische Anlagen gesprengt oder komplette Museen gestürmt und geplündert. Besonders dramatisch ist die Situation seit einiger Zeit in Syrien und dem Irak, aber das wird jeder mitbekommen haben. Der IS verkauft Lizenzen für illegale Grabungen, erhebt Steuern für die Ausfuhr oder handelt selbst – so finanzieren zum Beispiel Terroristen ihren Krieg. Aber auch die organisierte Kriminalität beteiligt sich seit Jahren systematisch an illegalen Grabungen und dem weltweiten Handel von Kulturgütern, und zwar mit großem finanziellem Erfolg. Das ist die eine Seite der Medaille, die der Raubgräber und Grabräuber, die Kulturgüter ausgraben und mit ihrem leider sehr groben Vorgehen eine wissenschaftliche Untersuchung von Fundzusammenhängen eigentlich ausschließen. Die andere Seite der Raubgräbermedaille ist aber auch hier in Deutschland zu finden, und das sind die Händler und Käufer, der Markt für archäologisches Kulturgut, der gerade in Deutschland sehr etabliert ist. Zum Teil wird er bestimmt – das muss man schon sagen – von Skrupellosigkeit und Gewinnorientierung. Die Bedingungen, wie die Güter auf den Markt kommen, werden nicht hinterfragt. Wer vom Fach ist, weiß, woher sie kommen. Damit stelle ich nicht alle Kunst- und Antiquitätenhändler unter einen Generalverdacht. Aber man muss schon sagen: Auch in dieser Szene sind nicht alle edel, hilfreich und gut; die Regeln sind völlig klar. 2003 wurden mit der sogenannten Irak-Verordnung der Europäischen Kommission die Einfuhr, die Ausfuhr und der Handel von irakischem Kulturgut verboten; das müsste in der Szene bekannt sein. Die gleiche Regelung, die für das galt, was nach dem 6. August 1990 aus dem Irak ausgeführt wurde, wurde für syrisches Kulturgut im Dezember 2013 beschlossen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert seit 2015 ein Verbundprojekt mit rund 1,2 Millionen Euro, um das Dunkelfeld des illegalen Handels mit Kulturgut zu erhellen. Es gab einige erhellende Erkenntnisse, und sie sind sehr erschreckend. Seit August 2015 wurden 45 Auktionen und Onlineplattformen gesichtet und über 4 300 archäologische Objekte aus dem östlichen Mittelmeerraum – nur als Beispiel – wissenschaftlich begutachtet. Dabei wurde festgestellt, dass 561 Objekte, also 13 Prozent, aus Irak und Syrien stammen. Davon waren allerdings nur 2 Prozent von einer lückenlosen Provenienz begleitet, also mit einem Herkunftsnachweis ausgestattet und somit nicht zu beanstanden. 2 Prozent! 94 Prozent der Objekte hatten eine lückenhafte oder verschleiernde Provenienz. Bislang reichten irgendwelche handschriftlichen Zettel, auf denen notiert war, dass das Objekt vom Boden oder aus einer Privatsammlung kommt – dass es so viele Böden und Privatsammlungen gibt, ist ja kaum zu glauben –, und auch der Flohmarkt wurde immer wieder gerne zitiert; auch von dort kamen offensichtlich sehr viele dieser Altertümer. 4 Prozent hatten überhaupt gar keine Nachweise. Trotzdem waren sie im Handel. Das Zwischenergebnis zeigt, dass sich in Deutschland ein Markt etabliert hat, auf dem mit Objekten oft fragwürdiger Herkunft viel Geld verdient wird. Deswegen treffen wir mit dem neuen Kulturgüterschutzgesetz allen öffentlichen Beschwerden zum Trotz Regelungen, die hier in Deutschland den Handel mit Kulturobjekten aus den sogenannten Raubgrabungen verhindern sollen. Ganz wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass wir im parlamentarischen Verfahren die Wertgrenze für archäologisches Kulturgut – sie ist schon erwähnt worden – auf null gesetzt haben. Es ist ja nicht zum ersten Mal passiert, dass Teile zerschlagen wurden, und dann wurden sie billiger. Damit ist klar: Unabhängig vom Wert eines einzelnen archäologischen Objektes gelten endlich erweiterte Sorgfaltspflichten für gewerbliche Händler. Sie müssen die Identität des Verkäufers festhalten und eine Beschreibung sowie Abbildungen zur Identitätsfeststellung des Kulturgutes anfertigen. Darüber hinaus muss der Nachweis der Herkunft, der Provenienz des Kulturgutes geführt werden. Notwendig sind auch Dokumente, die die rechtmäßige Ein- und Ausfuhr belegen. Diese Dokumente müssen geprüft und dürfen nicht einfach so entgegengenommen werden. Um diese Angaben in Zweifelsfällen aber überprüfen zu können, müssen Behörden auch auf einen unabhängigen Expertenpool zurückgreifen können; denn das ist nicht einfach, und daran fehlt es uns noch ganz massiv. Darüber hinaus müssen wir bei den anstehenden Haushaltsberatungen, die wir demnächst durchführen, dafür sorgen, dass wir zum Beispiel das Personal beim BKA so stärken, dass es überhaupt über den nötigen Sachverstand auf diesem Gebiet verfügt. Auch die Aus- und Weiterbildung für Zoll, Staatsanwaltschaften, Landesbehörden und Richter, um Verfahren in diesem schwierigen Themenkomplex überhaupt begleiten zu können, sind zu unterstützen. Wir dürfen beim Blick nach Syrien und in den Irak in Bezug auf das Thema der Raubgrabungen nicht vergessen, dass auch unsere Gesellschaft Opfer von Raubgrabungen ist. Die berühmte Himmelsscheibe von Nebra, die 3 600 Jahre alt und die weltweit bekannteste konkrete Darstellung des Kosmos ist, stammt nicht aus einer regulären archäologischen Grabung. Nein, zwei Raubgräber – unterwegs mit einer Metallsonde – fanden dieses Kulturgut und haben den Fund verkauft, nachdem sie es mit Stahlwolle ein bisschen saubergemacht hatten. Das hat bei der Wissenschaft natürlich unheimlich geholfen. (Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nach einigen Verkaufsstationen konnte die Himmelsscheibe im Jahr 2002 bei einem fingierten Ankaufsangebot der Schweizer Polizei sichergestellt werden; sie wäre sonst weg gewesen. Ich bin überzeugt, dass wir mit diesem Gesetz den Schutz von Kulturschätzen, die uns einen Blick zurück in die Vergangenheit erlauben, stärken. Im Rahmen der vorgesehenen Evaluierung werden wir die Schutzwirkung genau beobachten und das Gesetz gegebenenfalls nachschärfen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächste spricht die Kollegin Dr. Astrid Freudenstein für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Heute auf den Tag genau vor 61 Jahren hat der Vermittlungsausschuss sein Ja zum Gesetz zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung gegeben. Im Sommer 1955, also wenig später, ist es dann in Kraft getreten. Das ist natürlich ein historischer Zufall, aber auch eine schöne Gelegenheit, sich anzuschauen, wie die Bundestagsdebatten damals abliefen: Welches Ziel wurde ausgegeben? Wo lagen die Konfliktlinien? Und, meine Damen und Herren, was soll ich Ihnen sagen: Geschichte wiederholt sich doch. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) In der Debatte von 1955 fielen Begriffe – drei im Wesentlichen –, die uns auch heute wieder beschäftigt haben. Es ging schon heute vor 61 Jahren um Enteignung, um einen Ankaufszwang oder ein Vorkaufsrecht des Staates und um die Belastungen für den deutschen Kunsthandel. Lassen Sie mich vorne beginnen, also mit der Enteignung. – Nein, selbstverständlich legt die Novelle des Kulturgutschutzgesetzes nicht die Grundlage für eine Enteignung von Kunsteigentümern oder -sammlern. Jeder, der den Gesetzentwurf gelesen hat, weiß das auch. Der Gesetzentwurf zielt darauf ab, national wertvolles, für uns prägendes und identitätsstiftendes Kulturgut vor Abwanderung zu schützen. Das steht einer Kulturnation, wie wir es sind und worauf wir zu Recht stolz sind, auch gut zu Gesicht. Kulturgüter sind eben nicht nur Wertanlagen, sondern können auch einen ideellen Wert haben. Sie können für unsere Geschichte und für die Gegenwart prägend sein. Das ist gerade in Zeiten, in denen wir gelegentlich den Eindruck haben, dass die Welt aus den Fugen gerät, wichtig. Nehmen Sie etwa die Tagebücher Alexander von Humboldts. Eine Abwanderung wäre für uns Deutsche ein großer Verlust gewesen. Das Eintragungsverfahren wurde mehrmals höchstrichterlich für verhältnismäßig erklärt. Der geltende Kulturgutschutz war „auf einen gerechten Ausgleich der öffentlichen und privaten Interessen angelegt“. So hat das Bundesverwaltungsgericht geurteilt. Dies bleibt er auch mit der vorliegenden Novellierung. Der zweite Punkt von damals, der uns auch heute wieder beschäftigt, ist die Ankaufspflicht oder das Vorkaufsrecht des Staates. Wir führen jetzt ein Angebotsmodell ein. Es soll ein Verfahren geben, durch das national wertvolles Kulturgut, das nicht ins Ausland gelangen soll, durch Museen oder andere Einrichtungen angekauft und damit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden kann. Kommt es dazu nicht, darf dieses Kulturgut das Land trotzdem nicht verlassen. Wir haben uns damit genauso wie unsere Vorgänger vor 61 Jahren aus guten Gründen gegen eine Ankaufspflicht entschieden; denn dort, wo sie praktiziert wird, werden die Nachteile in schlechten Zeiten schnell deutlich, und was wir nicht wollen, ist ein Kulturgutschutz nach Kassenlage. Der dritte Punkt damals wie heute waren die Folgen für den Kunsthandel. Damals, 1955, sprach der bayerische CSU-Abgeordnete Josef Ferdinand Kleindinst aus Augsburg über dieses Gesetz. Er war der Berichterstatter. Er erklärte die Änderungen, die im parlamentarischen Verfahren eingefügt wurden, und stellte dann fest: Der Kunst- und Antiquitätenhandel hat nichts zu befürchten. – Auch damals war der Protest groß, und ich möchte es ihm gleichtun und die Änderungen erwähnen: Das Eintragungsverfahren wird viel transparenter und nachvollziehbarer. Mit einem Negativattest können Eigentümer Rechtssicherheit erhalten. Die Regelung eines Laissez-passer entlastet Kunsthandel und Restauratoren, wenn es um vorübergehend in Deutschland befindliches Kulturgut geht. Etliche Erleichterungen bei der Sorgfalts- und Nachweispflicht sowie die Ausweitung der Altersgrenzen dämmen Bürokratie ein. Der Kunst- und Antiquitätenhandel muss also auch heute nichts befürchten. Er muss sich aber durchaus auf Veränderungen einstellen, und es wird an einigen Punkten auch aufwendiger werden. Zum Schluss möchte ich auf einen Punkt zu sprechen kommen, der damals, vor 61 Jahren, kein Thema war, heute aber ein großes Thema ist, nämlich die Regeln zur Einfuhr von Kulturgütern. Was wir uns selbst herausnehmen und für uns beanspruchen – wir schützen unser national wertvolles Kulturgut –, müssen wir auch den anderen zugestehen und ermöglichen. Ganz abgesehen von internationalen und europäischen Vorgaben werden wir damit auch unserer moralischen, kulturellen und rechtlichen Verpflichtung gerecht. Das hat auch etwas mit der Haltung zu tun, wie man mit fremdem Kulturgut umgeht. Die Regeln, die wir dafür bisher hatten, waren nicht sehr wirksam, und deshalb brauchen wir neue. Den Anlass gab sicher der Handel mit Antiken aus Kriegs- und Krisengebieten. Wir wollen nicht, dass mit dem Handel dieser Antiken Kriege finanziert werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen, meine Herren, der vorliegende Gesetzentwurf ist keine Revolution, sondern eine Weiterentwicklung und Zusammenführung bestehender Regelungen. Er schließt Lücken, die sich aufgetan haben. Wir haben einen Kompromiss gefunden, der die Wirkung des Gesetzes erhält und gleichzeitig den bürokratischen Aufwand eindämmt. Es ist wichtig, dass wir einen wirksamen und vernünftigen Kulturgutschutz in Deutschland haben: für die Bewahrung des kulturellen Erbes für unsere Kinder und Kindeskinder. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Martin Dörmann, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Martin Dörmann (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat: Das geplante Kulturgutschutzgesetz haben von Anfang an kontroverse Debatten in der Kulturszene begleitet. Das hat nicht zuletzt mit der Doppelnatur von Kulturgütern zu tun. Einerseits sind sie Bestandteil der Kultur und damit der Identität einer Gesellschaft. Gerade aus diesem Grund verdienen national besonders wertvolle Kulturgüter Schutz. Andererseits sind sie aber auch Waren, mit denen gehandelt und Geld verdient werden kann. Das ist übrigens gut. Denn letztendlich sichert es dadurch langfristig das Einkommen von Künstlern. Deshalb müssen wir auch die Interessen an einem freien, freilich legalen Handel berücksichtigen. Die Herausforderung bei dem vorliegenden Gesetzgebungsverfahren besteht also gerade darin, dieser Doppelnatur von Kulturgütern gerecht zu werden. In unserer Anhörung hat es eine der Expertinnen, Frau Professor Odendahl, gut auf den Punkt gebracht: Es geht um Kompromisse, die ausgewogen und angemessen sein müssen und letztendlich eine Balance zwischen dem kulturellen und dem finanziellen Wert von Kulturgütern wahren. Es hat sich gezeigt, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung diese Balance noch nicht hinreichend hergestellt hat. Deshalb haben die Koalitionsfraktionen in guter Zusammenarbeit umfangreiche Änderungen verabredet, nämlich an insgesamt 41 Stellen. Lassen Sie mich konkrete Beispiele nennen. Die Naturwissenschaftler haben zu Recht darauf hingewiesen, dass das geplante Beschädigungsverbot für eingetragenes national wertvolles Kulturgut zu weit ging. (Beifall des Abg. Dr. Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]) Denn natürlich muss es möglich sein, einen Archaeopteryx oder die Himmelsscheibe von Nebra wissenschaftlich zu untersuchen. Das leuchtet jedem ein, und das werden wir ermöglichen. Dabei müssen selbstverständlich anerkannte wissenschaftliche Standards gewahrt werden. Ein weiteres Beispiel. Die Eintragung als national wertvolles Kulturgut und die damit verbundene Pflicht zur Genehmigung von Ausfuhren sind ein Eingriff in das Eigentumsrecht. Dieser muss angemessen und verhältnismäßig sein. Nun erweitern wir die bereits bestehende Pflicht zur Genehmigung von Ausfuhren in Drittstaaten um die Staaten der EU, machen also den Schutz effektiver. Von dieser neuen Regelung fühlen sich deshalb insbesondere Sammler und Kunsthändler verunsichert oder nachteilig betroffen. Beiden Gruppen sind wir nun sehr stark entgegengekommen, ohne allerdings die Kernzielrichtung des Gesetzes aufzugeben. Auch dazu einige Beispiele. Die erstmalige gesetzliche Definition national wertvollen Kulturgutes schafft mehr Rechtssicherheit und erhöht übrigens die Schwelle gegenüber der heutigen Rechtslage. Es wird also künftig eher weniger eingetragen als bisher. Jedenfalls schätzen namhafte Experten die jährliche Zahl der Objekte auf unter zehn. Auch das relativiert manche Kritik, die geäußert wurde. Wie bisher gibt es für die betroffenen Eigentümer steuer- und erbrechtliche Vorteile und eine Billigkeitsregelung im Falle der wirtschaftlichen Notlage. Und neu: Als zusätzliche Kompensationsmöglichkeit ist nun auf Initiative der SPD-Bundestagsfraktion hinzugekommen, dass künftig der Staat zugunsten des Eigentümers ein Ankaufsangebot vorlegen kann. Der Eigentümer kann also dann sein neu eingetragenes Kulturgut gegen einen angemessenen Preis an den Staat verkaufen, selbstverständlich nur dann, wenn beide Seiten sich einigen. In den anstehenden Haushaltsberatungen wollen wir dafür sorgen, die hierfür notwendigen Mittel einzustellen. Dadurch wollen wir zugleich ermöglichen, dass national wertvolles Kulturgut der Öffentlichkeit auch tatsächlich zugänglich gemacht wird. Es soll eben nicht im Safe verbleiben, sondern der Allgemeinheit in Museen zur Verfügung gestellt werden. (Beifall bei der SPD) Wir schaffen zudem das Recht auf ein sogenanntes Negativattest, um Unsicherheiten im Kunsthandel auszuräumen. Künftig kann jeder Eigentümer aktiv prüfen lassen, ob sein Kulturgut eintragbar ist. Und – das ist bereits erwähnt worden – mit einer sogenannten Laissez-passer-Regelung wird es möglich sein, Kulturgut zeitlich befristet aus dem Ausland nach Deutschland zu bringen, ohne dass eine Eintragung in die Liste national wertvollen Kulturgutes erfolgt. Diese Regelung sichert den grenzüberschreitenden Handel und ist gerade für Auktionshäuser und Messen relevant. Liebe Kolleginnen und Kollegen, an diesen Beispielen sehen Sie, dass wir berechtigte Forderungen aufgenommen haben und angemessene, praxisnahe Lösungen erarbeitet haben. Wir haben so eine neue, eine bessere Balance hergestellt. Von daher erhoffe ich mir eine breite Zustimmung für dieses so geänderte Gesetz, und zwar nicht nur hier im Hause, sondern auch in der Öffentlichkeit. Denn Kultur ist identitätsstiftend – das ist der Kern unserer heutigen Debatte –, und wir sollten alle gemeinsam dieses Erbe pflegen und unterstützen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank.– Die Aussprache ist damit beendet. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuregelung des Kulturgutschutzrechts. Hierzu liegt eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.1 Der Ausschuss für Kultur und Medien empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8908, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/7456 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Opposition angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8921. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Möhring, Katja Kipping, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Sexismus die Rote Karte zeigen – Für einen bundesweiten Aktionsplan Drucksache 18/8723 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen und die Gespräche außerhalb des Plenarsaals weiterzuführen. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Cornelia Möhring, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Cornelia Möhring (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten zwei Wochen waren die Medien voll mit zwei sehr unterschiedlichen Fällen von Sexismus. Das war zum einen der Gina-Lisa-Lohfink-Prozess. Worum ging es dabei? Eine Frau erstattet wegen Vergewaltigung Anzeige gegen zwei Männer. Sie hatten ein Video online gestellt, in dem die Frau hörbar „Hör auf!“ sagt. Die Männer werden freigesprochen, auch deshalb, weil es nach jetzigem Recht nicht ausreicht, wenn eine Frau „Nein!“ oder „Hör auf!“ sagt. Im Gegenzug wird sie von den beiden Männern wegen angeblicher Falschbeschuldigung angezeigt. Eines hat der Fall noch einmal sehr deutlich gemacht, nämlich wie wichtig die Verankerung des Grundsatzes „Nein heißt nein“ im Sexualstrafrecht ist. Es freut mich wirklich sehr, dass wir das wohl in der nächsten Sitzungswoche im Bundestag gemeinsam beschließen werden. (Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU]) Aber machen wir uns nichts vor: Wenn Frauen sexuelle Belästigung erfahren, wenn Frauen sexuelle Gewalt erleben, dann kommen meist sie in die Situation, sich rechtfertigen zu müssen. Dann müssen meist sie ihr Verhalten hinterfragen lassen, und es wird meist immer noch behauptet, dass ihr Nein gar kein Nein ist. Dahinter steht die sexistische Grundannahme einiger Männer – die übrigens leider auch von vielen Frauen immer wieder reproduziert wird –, sie hätten ein Recht auf Sex, als Gegenleistung für was auch immer, und Frauen denken oft, sie seien selber schuld, warum auch immer. In der öffentlichen Diskussion und in der Rechtsprechung setzt sich diese Grundannahme häufig fort. Das Problem dahinter ist: In solch einem Frauenbild ist für sexuelle Selbstbestimmung zu wenig Platz. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir können aber auch daraus schlussfolgern, dass die richtige Änderung des § 177 Strafgesetzbuch und damit der Grundsatz „Nein heißt nein“ leider nicht ausreicht. Diese Vorstellungen müssen raus aus den Köpfen. Ein Aktionsplan gegen Sexismus, den wir mit unserem Antrag fordern, muss deshalb auch unbedingt die Stärkung sexueller Selbstbestimmung in den Blick nehmen. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein nicht mehr zeitgemäßes Frauenbild zeigt sich auch bei meinem zweiten Beispiel. Hier kommt der Sexismus ganz anders daher. Das erste Mal in der Geschichte der Männer-Europameisterschaft wurde ein Spiel von einer Frau kommentiert. Dass dieses Ereignis erst 2016, Jahre nach Beginn unserer Zeitrechnung, stattfand, ist ja an sich schon ein ziemlich merkwürdiger Fakt. Der sexistische Shitstorm aber, der sich durch die sozialen Netzwerke zog, war schier unglaublich. (Beifall bei der LINKEN und der SPD) Nun kann man zur eigenen Entlastung das Thema damit abtun, dass man sagt: Da waren ein paar sexistische Flachpfeifen am Werk. Das löst dieses Problem aber leider nicht. Beispiele dieser Art machen uns Sexismus als Problem konkret und anschaulich. Ich will aber klar sagen: Nur weil das einzelne Fälle sind, heißt es nicht, dass man das nur auf der Ebene von Einzelfällen behandeln kann. Es geht nicht um individuelle Probleme, sondern um gesellschaftliche Praktiken bzw. verfestigte Einstellungen. Auch geht es um Entscheidungen von Institutionen, die Personen aufgrund ihres Geschlechtes abwerten. Das trifft hauptsächlich Frauen, aber auch trans- und intersexuelle Menschen. Sexismus in unserer Gesellschaft ist nicht immer gleich erkennbar. Er kommt aber in allen Bereichen unserer Gesellschaft vor und sorgt für eine anhaltende Diskriminierung. Frauen werden auf der Straße belästigt oder beleidigt. Ihr Nein wird missachtet. Frauen werden in Jobmeetings nicht ernst genommen und anders – meist schlechter – beurteilt. Sie werden bei der Beförderung übergangen. Frauenarbeit wird systematisch schlechter bezahlt oder gar nicht entlohnt. Frauen werden in den Entscheidungsgremien von Wirtschaft und Politik mit fadenscheinigen Begründungen nicht paritätisch beteiligt. In mancher Werbung werden Frauen auf Körper reduziert und sexualisiert präsentiert. Vorurteile werden verstärkt. Leider, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist diese Liste nicht allumfassend; aber all das gehört zum Sexismus. Die negativen Folgen werden dann noch für diejenigen verstärkt, die mehreren Diskriminierungsformen ausgesetzt sind. Das kann ich an dieser Stelle aber nur erwähnen und nicht länger ausführen. Vor ziemlich genau sechs Monaten haben wir hier in höchster Aufregung über sexistische Übergriffe diskutiert. Zur selben Zeit hat Ministerin Schwesig das Jahr der Frauen ausgerufen. Viel passiert ist bis jetzt leider nicht. Es hatte sich aber, wie ich finde, eine Art Zeitfenster geöffnet, in dem offensichtlich in der Gesellschaft und vielleicht auch hier Bereitschaft und Offenheit für eine Diskussion gegen Sexismus und Gewalt sowie für sexuelle Selbstbestimmung zugenommen haben. Ich finde, liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Diskussion darf auf keinen Fall abbrechen. Wir müssen sie wieder aufnehmen. Vor allem müssen wir sie so aufnehmen, dass auch mehr getan wird. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das komplexe Problem des Sexismus in der Gesellschaft muss endlich mit einem komplexen Lösungsansatz angepackt werden. Deshalb möchten wir Sie gerne dafür gewinnen, einen bundesweiten Aktionsplan gegen Sexismus auf den Weg zu bringen. Unsere Idee dabei ist: Am Anfang steht ein runder Tisch. An diesem runden Tisch sollen sich Expertinnen und Experten aus Theorie und Praxis, Akteurinnen und Akteure, die gegen Sexismus arbeiten, sowie Politikerinnen und Politiker der verschiedensten Felder zusammenfinden. Es sollen ganz konkrete, umsetzbare Maßnahmen erarbeitet werden, um die Folgen von Sexismus und sexualisierter Gewalt zu mindern. Auch sollen Vorschläge erarbeitet werden, mit denen systematisch die Ursachen bekämpft und die Selbstbestimmungsrechte gestärkt werden. Damit die Maßnahmen fruchten und die Debatte nach vorne losgeht, muss eine Kampagne gegen Sexismus eine Kampagne für die sexuelle Selbstbestimmung sein. Ich finde, Peter Weiß hat es einmal in einem anderen Zusammenhang treffend gesagt: Wenn wir uns nicht selbst befreien, bleibt es für uns ohne Folgen. Deswegen lege ich ganz viel Wert darauf, dass diese Diskussion gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt auch mit einem Eintreten für mehr sexuelle Selbstbestimmung verknüpft wird. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Dann können wir eine gesellschaftliche Debatte entfachen, und alte Vorstellungen über die Geschlechter werden das Zeitliche segnen. Zeigen wir gemeinsam Sexismus die rote Karte! Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat die Kollegin Sylvia Pantel, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Sylvia Pantel (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Familienausschuss habe ich für die Unionsfraktion unter anderem die Berichterstatterthemen Prostitution, Menschenhandel, Gewalt gegen Frauen, Genitalverstümmelung und Zwangsverheiratung, also all jene Themen, die sich mit Gewalt gegen Frauen befassen. Das sind Probleme, über die man nicht gerne spricht. Nun wurde ich gebeten, für die Union Stellung zu Ihrem Antrag zu beziehen. Ich habe Ihren Antrag gelesen. Zuerst habe ich mich gewundert. Er hat mich irritiert, und dann habe ich ihn erneut gelesen. Dann habe ich mich richtig geärgert. Was erlauben Sie sich? Was erlauben Sie sich, das Leid der Opfer von sexueller Gewalt zu relativieren und für Ihre Umerziehungspläne auszunutzen? (Beifall bei der CDU/CSU) Ich habe von Ihrem Antrag nun wirklich nichts Konstruktives erwartet, aber das, was ich lesen musste, ist schon sehr oberflächlich. Sie erwecken den Eindruck, als hätten wir gesetzgeberisch in den vergangenen drei Jahren die Hände in den Schoß gelegt. Dabei wissen Sie ganz genau, was diese Regierungskoalition alles auf den Weg gebracht hat, um die Situation für Frauen zu verbessern. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nichts!) Ihr Antrag ist der große Rundumschlag, Sie wollen einen großen Wurf. Dabei vergessen Sie aber, zu erzählen, womit Sie werfen wollen, auf was gezielt werden muss, wen oder was Sie treffen wollen und wer überhaupt der Werfer sein soll. Stattdessen werfen Sie wild mit Ideologie und Worthülsen um sich. Sie relativieren dabei das Leid der Opfer und verschweigen die wirklichen Probleme. Gleich im ersten Punkt Ihres Antrags beginnen Sie damit, die Tatsachen zu verdrehen. Sie schreiben, die Ereignisse der Kölner Silvesternacht hätten ausländerfeindliche Vorurteile geschürt, seien benutzt worden für rassistische Hetze und Stigmatisierung von Muslimen. (Sönke Rix [SPD]: Stimmt leider auch!) Das sind also Ihre Schlüsse und das, was Sie an der Kölner Silvesternacht stört. Mich stört, dass mitten in Deutschland, mitten im pulsierenden Zentrum einer Stadt, die heute für Lebensfreude, Freiheit und rheinische Liberalität steht, Frauen begrapscht, beraubt und vergewaltigt wurden. Mich stört, dass Polizisten hilflos und überfordert waren, als Gruppen von nordafrikanischen Männern junge Frauen genötigt und erniedrigt haben. Die Ergebnisse der Ermittlungen zeigen ganz genau, wer die Tätergruppen waren. Es waren eben nicht deutsche junge Männer, sondern es waren junge Männer aus Nordafrika, die sich zumeist als falsche Flüchtlinge in Deutschland aufhalten. Das heißt natürlich nicht, dass alle Männer aus Nordafrika Vergewaltiger, Grapscher oder Diebe sind. Das sagt auch niemand. Aber wir müssen die Dinge beim Namen nennen und differenzieren. Das heißt, dass wir zielgerichtet Werte vermitteln müssen, und das heißt, dass wir mit allem Nachdruck Grenzen aufzeigen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU) Diese Grenzen gelten für jeden in unserem Land, egal woher er oder sie kommt. Wenn im Jemen eine Frau nicht alleine aus dem Haus darf, in Nigeria Mädchen wie Vieh verkauft werden oder in Syrien und Ostanatolien minderjährige Mädchen von ihren Familien verheiratet werden, dann will ich Protest hören. In vielen Regionen dieser Welt haben Frauen keine Rechte, und niemand sagt etwas, wenn sie geschlagen oder vergewaltigt werden. Niemand sorgt dafür, dass die Mädchen zur Schule gehen und eine angemessene Ausbildung bekommen. Niemand erklärt dort jungen Frauen, dass sie und nur sie allein über ihren Körper bestimmen. Das sind die wirklichen Probleme. Wir müssen genau darauf achten, dass wir diese Probleme nicht in unser Land importieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Gewalt gegen Frauen ist ein Problem, das wir durch Gesetze und Unnachgiebigkeit gegen die Täter lösen müssen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sagen Sie mal was zu unserem Antrag!) Genau deshalb haben wir jetzt eine Lösung gefunden. Das „Nein heißt nein“ gilt ohne Wenn und Aber. Dafür bedanke ich mich im Übrigen auch ausdrücklich bei den SPD-Frauen, (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD] – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch nicht euer Ding!) die mit den Unionsfrauen gemeinsam dafür gekämpft haben, dass Justizminister Maas ein Gesetz abliefert, das Frauen Schutz und Rechtssicherheit bietet. (Zuruf von der LINKEN: Da klatscht nicht einmal die CDU!) Als Nächstes fordern Sie in Ihrem Antrag eine geschlechtersensible Pädagogik, dazu noch ein Kontrollgremium, das Werbung verhindern soll, die spezifische Geschlechterrollen nutzt. Müssen demnächst in der Spülmittelwerbung immer gleichzeitig ein Mann und eine Frau an der Spüle stehen? Ist es schon Sexismus, wenn bei der Grillwürstchenwerbung ein Mann mit Bier am Grill steht und Frauen mit der Flasche Sekt daneben sitzen? Wer entscheidet, ob das eine sexistische Darstellung oder vielleicht auch einfach die Wirklichkeit ist, wie sie in Hunderttausenden Gärten in Deutschland beobachtet werden kann? Der uns hier vorliegende Antrag beklagt den Sexismus und sieht ihn an jeder Ecke in unserer Gesellschaft. Für manche ist die Verwendung des generischen Maskulinums bereits Sexismus, also wenn man „Schüler“, „Studenten“ und „Kollegen“ statt „Schüler und Schülerinnen“, „Studenten und Studentinnen“ und „Kollegen und Kolleginnen“ sagt. Auf die Spitze getrieben wird die Angst, sich dem Vorwurf des Sexismus auszusetzen, wenn zum Beispiel der sprachlich völlig verkorkste Begriff „Studierende“ benutzt wird. Dabei spielen Wortsinn und Grammatik für Sie schon lange keine Rolle mehr. Sprache lebt; aber sie entwickelt sich und darf nicht von oben verordnet werden. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es nicht verstanden! Sie haben einfach nicht verstanden!) Wir alle wissen ja: Linke geben gern das Geld der anderen aus. Aber haben Sie nie darüber nachgedacht, was es die Universitäten kostet, Ihren ideologischen Forderungen gerecht zu werden? (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt reden Sie schon wie die Kerle!) Da werden Schilder, Dokumente und Millionen Seiten Papier neu gedruckt, weil aus dem „Studentenwerk“ ein „Studierendenwerk“ geworden ist. (Zuruf von der LINKEN) – Aus „Studentenwerk“ ist „Studierendenwerk“ geworden, richtig. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stand das nicht auch bei der AfD?) Hat sich dadurch die Situation der Studenten verbessert? Oder haben Sie dadurch etwas für die Forschung getan? Nein. Bekommt auch nur eine einzige Frau eine bessere Ausbildung, einen besseren Job oder mehr Gehalt, weil Sie einen gendersensiblen Sitzkreis mit Unterstrich und Sternchen abgehalten haben? Nein. (Beifall bei der CDU/CSU – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist so billiger Populismus!) Genau das ist das Problem bei dieser Debatte. Es geht Ihnen weder um den Schutz der Opfer noch darum, das Leben der Menschen in unserem Land so zu verbessern, dass sie ihren eigenen Weg finden können. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sagen Sie etwas zu unserem Antrag!) Nein, es geht Ihnen um Ideologie, Bevormundung und Umerziehung. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sagen Sie doch mal was zu unserem Antrag!) – Das ist Ihr Antrag. Den sollten Sie besser lesen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Den haben wir gelesen!) Sie sprechen in der Begründung Ihres Antrages davon, dass in unserem Land Sexismus als eine Strategie zur Absicherung patriarchaler Herrschaft – – (Zurufe von Abgeordneten der LINKEN) – Nun hören Sie doch zu. Ich lese gerade Passagen aus Ihrem Antrag vor. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ich bin ganz Ohr!) Sie sprechen in der Begründung Ihres Antrages davon, dass in unserem Land Sexismus als eine Strategie zur Absicherung patriarchaler Herrschaft alle Politik- und Lebensbereiche durchziehe. (Beifall bei der LINKEN) Ist das Ihr Ernst? Haben Sie einmal einen Blick in das Kanzleramt und an den Kabinettstisch geworfen? (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das heißt Kanzlerinnenamt!) Meinen Sie wirklich, die Bundeskanzlerin oder zum Beispiel die Ministerinnen Nahles, Schwesig oder von der Leyen hätten nicht ganz genau im Blick, wie es um die Rollen der Frauen in unserem Land steht? (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Leider nicht!) Meine Damen und Herren von der Linken, Ihr Antrag will einen bundesweiten Aktionsplan zum Sexismus die Rote Karte zeigen. Ich sage, wir müssen solchen Anträgen wie dem Ihren die Rote Karte zeigen, damit nicht mehr relativiert wird, damit Geld nicht mehr in absurde Gender-Mainstreaming-Projekte fließt, damit vielmehr Opfern geholfen wird, damit Täter verfolgt und damit Frauen gefördert werden. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Schöne Grüße an die AfD!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat die Kollegin Ulle Schauws vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Pantel, Ihre Rede war an Populismus echt nicht zu überbieten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich muss ehrlicherweise sagen: Die Sprüche, die Sie gerade von sich gegeben haben, habe ich in den letzten anderthalb Jahren durchaus auch schon in anderen Papieren gelesen. (Sylvia Pantel [CDU/CSU]: Auch wenn sie jemand anders sagt, sind sie wahr!) Ich will jetzt hier in der Öffentlichkeit keinen Vergleich ziehen; aber Sie müssten sich sehr genau überlegen, wogegen Sie sich abgrenzen wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Dass Sexismus leider nach wie vor in unserer Gesellschaft tief verankert ist, wird niemand ernsthaft bestreiten können. Dank der Initiative der Linken debattieren wir dieses Thema heute hier. Ich finde, das ist mehr als notwendig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ein aktuelles Beispiel ist die Debatte um die ZDF-Moderatorin Claudia Neumann. Hochkompetent kommentierte sie zwei Spiele dieser Fußball-EM der Herren, mit der Konsequenz, dass sie sich einem ungeheuerlichen Shitstorm ausgesetzt sah. Sie wurde auf das Übelste beschimpft und attackiert. Männer spuckten ihre Empörung über sie in der sogenannten Männerdomäne Fußball regelrecht ins Netz. Es geht dabei nicht um Leistung, geschweige denn um Fußball; es geht um das Geschlecht, um einen gefühlten Verrat in einem Ritual, das rein den Männern vorbehalten sein soll. Diese Beleidigungen bis hin zu Verachtung, sexualisierten Drohungen und Hass gegenüber Frauen sind Ausdruck eines tiefverwurzelten Sexismus in unserer Gesellschaft. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Feministinnen erleben gezielte Attacken im Netz regelmäßig. Liebe Kolleginnen und Kollegen, je sichtbarer Frauen in die Öffentlichkeit treten, desto stärker werden sie Ziel von Angriffen und ungefilterten Pöbeleien – bis hin zu Folter- und Gewaltfantasien. Laut einem Bericht aus dem EU-Parlament sind Frauen doppelt so oft Opfer von Cybermobbing. Der Handlungsbedarf für einen breitangelegten und gesamtgesellschaftlichen Ansatz liegt nahezu auf der Hand, und ich begrüße deswegen ausdrücklich die Initiative der Linken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Ringen um politische Lösungen für mehr Geschlechtergerechtigkeit zeigen die Erfahrungen aus jüngster Zeit, dass es wichtig und richtig ist, das Engagement aus Frauenverbänden und auch aus der Zivilgesellschaft einzubeziehen, etwa bei der Initiative für Frauen in die Aufsichtsräte. Die Verbände und die parlamentarische Initiative der Frauen aller Fraktionen mit der Berliner Erklärung haben durch ihr Beharren letztendlich gemeinsam die Quote durchgesetzt. Wir als Grüne wären gerne weiter gegangen; das wissen Sie. Gleiches passiert gerade beim Sexualstrafrecht. Da haben die Frauenverbände den Boden so bereitet, dass wir hier – wir im Parlament – über die Istanbul-Konvention und die Strafrechtslücke im Vergewaltigungsparagrafen debattieren – gegen die Blockade von Minister Maas und auch gegen die Blockade der Bundesregierung. Die Übergriffe auf Frauen an Silvester haben bewirkt, dass das Thema „Gewalt gegen Frauen“ unübersehbar wurde. Es kam darum wieder oben auf die Agenda. Aber im Fokus sind bei alldem immer noch zu wenig die betroffenen Frauen und Maßnahmen zur Prävention und zum Schutz gewesen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, seither ist einiges zum § 177 Strafgesetzbuch passiert, sodass wir kurz davor stehen, „Nein heißt nein“ endlich umsetzen zu können, und zwar fraktionsübergreifend. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Maik Beermann [CDU/CSU]) Das wäre ein großer Erfolg, und zwar wäre es der Erfolg vieler Frauen, die innerhalb und außerhalb des Parlaments hier gemeinsam an einem Strang gezogen haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Übrigens zeigt der Bundesrichter Thomas Fischer in seiner Kolumne in der Zeit jüngst, dass er in die unterste sexistische Schublade greifen muss, um gegen die Reform des § 177 zu wettern, dass er es ebenso wie die männlichen Empörer gegen eine weibliche Fußballreporterin nicht erträgt, dass sich die Welt auch ohne seine Expertise weiterdreht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist nicht nur wichtig, Sexismus die Rote Karte zu zeigen, so wie es im Antrag steht; es ist vielmehr an der Zeit, Sexismus zu disqualifizieren. Deswegen frage ich: Frau Ministerin Schwesig, messen Sie dem Staatenbericht von CEDAW wirklich so hohe Bedeutung bei, wie Sie am Frauentag angekündigt haben? Denn dann könnten Sie einem Aktionsplan gegen Sexismus zustimmen. Wann kommen endlich die wirksamen Maßnahmen, die für fairen Lohn von Frauen sorgen? Wann geben Sie in der Union endlich Ihren Widerstand gegen das Entgeltgleichheitsgesetz auf, Frau Pantel? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Sylvia Pantel [CDU/CSU]: Es muss auch was bringen!) Und wo bleiben die vom Justizminister angekündigten Maßnahmen gegen sexistische Werbung? Ein Artikelchen in der Bild-Zeitung hilft hier null weiter, Herr Maas. Der CEDAW-Bericht legt dazu einen Vorschlag auf den Tisch, den ich für zielführender halte als ein Verbotsgesetz, nämlich die Einrichtung einer unabhängigen Kommission, die sexistische Werbung deutlich neutraler bewerten könnte, als es der von der Werbewirtschaft selbst geschaffene Deutsche Werberat je tun kann. Dazu habe ich von Minister Maas nichts mehr gehört. Und wann lassen Sie, Frau Schwesig, auf Ihre Worte zum Schutz von geflüchteten Frauen und zu ihrer Integration Taten folgen, nachdem unsere Anträge zur Umsetzung konkreter Maßnahmen abgelehnt wurden? Darum am Ende noch einmal ganz klar: Es gibt Instrumente im Kampf gegen Sexismus. Es gibt Instrumente gegen die Diskriminierung von Frauen. Worauf es aber ankommt, ist, dass man sie nicht nur ankündigt, sondern beschließt und dann einsetzt. Auf uns Grüne können Sie dabei zählen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Sönke Rix [SPD]: Da müssen die unionsgeführten Länder mitmachen! Hessen müsste die Blockade aufgeben!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt spricht die Kollegin Dr. Dorothee Schlegel, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Dorothee Schlegel (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Sehr geehrte Herren und Damen! Sie merken schon: Meine Sprache verrät mich möglicherweise. Ich denke, es ist wichtig, auf eine gendergerechte oder nicht sexistische Sprache Wert zu legen. Wir diskutieren heute über einen Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Sexismus die Rote Karte zeigen – Für einen bundesweiten Aktionsplan“. Um es vorwegzusagen: Wir freuen uns, dass Sie dieses Thema überhaupt und dann auch noch in einer nicht nur für Fußballfans verstehbaren Titulierung aufgreifen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie rennen damit bei uns als SPD offene Türen ein. Leider hat die Diskussion über das Geschlechterverhältnis – sprich: Sexismus – in unserer Gesellschaft erst nach den Übergriffen auf Frauen in der Kölner Silvesternacht wieder Fahrt aufgenommen. Die Zuwanderung stellt uns alle vor neue Aufgaben. Für die Frauen- und Gleichstellungspolitik in Deutschland bedeutet dies auch, dass Menschen, die zu uns kommen, von Anfang an erfahren, dass alle Geschlechter hier gleichberechtigt sind. (Beifall bei der SPD) Sexismus und sexualisierte Gewalt sind in Deutschland aber keine neuen Probleme, die von anderen importiert wurden. Meine Damen und Herren, die SPD steht für eine progressive Geschlechter- und Familienpolitik. Wir haben – das wurde schon erwähnt – in einem Vorstandsbeschluss das Jahr 2016 zum Jahr für die Frauen erklärt. Sechs Punkte sind uns dabei besonders wichtig. Erstens: Gerechtigkeit in der Arbeitswelt schaffen. Das heißt, die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen zu schließen und soziale Berufe aufzuwerten. Zweitens: Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern. Bundesfamilienministerin Schwesig hat das Konzept einer Familienarbeitszeit vorgelegt, um mehr Zeit für die Familie zu ermöglichen. Drittens: Frauen im Beruf und in der Wirtschaft stärken. Viertens: Frauen vor Gewalt schützen. Bundesjustizminister Heiko Maas hatte schon vor den Übergriffen in Köln an der Verschärfung des Sexualstrafrechts gearbeitet. Wir alle kennen die Zahlen der europäischen Grundrechteagentur: Jede dritte Frau in der Europäischen Union erlebt sexualisierte oder körperliche Gewalt; mehr als jede zweite erlebt sexuelle Belästigungen. Bislang sind sexuelle Handlungen nur dann strafbar, wenn das Opfer Gegenwehr leistet oder nur darauf verzichtet, weil Gewalt angedroht wird. Wir wollen die konsequente Umsetzung der Istanbul-Konvention mit dem Grundsatz „Nein heißt nein“. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Nun haben wir erfolgreich die Union ins Boot geholt. Wir haben am 1. Juni 2016 ein Eckpunktepapier zur Reform des Sexualstrafrechts vorgelegt. Der Grundsatz „Nein heißt nein“ ist darin verankert. Lassen Sie uns diesen Weg gemeinsam – Männer natürlich inklusive – weitergehen. Meine Damen und Herren, „Respekt im Alltag verschaffen, Geschlechterbild modernisieren“ ist der fünfte Punkt. Die SPD hat beschlossen, sexistische Werbung zu verbieten. Wir begrüßen daher entsprechende Überlegungen des Bundesjustizministers. Wer hier „Bevormundung“ oder „Geschmackspolizei“ schreit, hat nicht verstanden, worum es geht. Denn Werbung beeinflusst nicht nur das Kaufverhalten, sondern auch das Selbstbild von Männern, Frauen und insbesondere von Heranwachsenden. Wir wollen, dass Mädchen und Jungen respektvoll miteinander aufwachsen und umgehen lernen und dass Gleichberechtigung für sie selbstverständlich wird. Auch rassistische Werbung ist ja nicht akzeptabel. Warum also soll sexistische Werbung weiterhin hingenommen werden? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Was zulässig ist und was nicht, wird von Fall zu Fall zu entscheiden sein. Wichtig ist – das wird zu Recht in Ihrem Antrag genannt –, dass es für Beschwerden von Verbraucherinnen und Verbrauchern, Unternehmen und Organisationen künftig eine wirksame rechtliche Grundlage geben wird, und zwar jenseits der nicht besonders wirkungsvollen Selbstregulierung der Branche. Zum letzten Punkt: Frauenrechte international stärken. Hierzu zählt die Neuauflage der EU-Gleichstellungsstrategie, die Ende 2015 ausgelaufen ist und bisher leider nicht erneuert wurde. Am 16. Juni dieses Jahres herrschte auf EU-Ebene Einigkeit über die Schlussfolgerungen des Rates zur Geschlechtergleichstellung. Das lässt hoffen. Unser Sechs-Punkte-Programm ist gleichstellungspolitisch ambitioniert, aber realistisch. Vieles haben wir zudem bereits umgesetzt: Mindestlohn, Frauenquote, das Bundesprogramm „KitaPlus“, das Elterngeld Plus und das Pflegezeitgesetz. All das hilft Frauen wirklich weiter. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bündnisse über politische Lager hinweg konnten erhebliche Fortschritte herbeiführen. Lassen Sie uns daran anknüpfen! Der Oppositionsantrag ist dafür eine gute Grundlage. Ich freue mich daher auf die Beratungen im Familienausschuss. Schließen will ich mit einem Wort in Anlehnung an Simone de Beauvoir. Sie sagte: Wir Menschen sind nur frei, wenn wir einander so, wie wir sind, als Subjekte anerkennen können. – Ich füge hinzu: Subjekt mit dem Prädikat „wertvoll“. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke schön. – Jetzt spricht der Kollege Paul Lehrieder, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Zuschauerinnen! Liebe Zuschauer! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke, herzlichen Dank für Ihren Antrag „Sexismus die Rote Karte zeigen – Für einen bundesweiten Aktionsplan“. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Gern!) Der Antrag betrifft ein Thema – ich denke, da sind wir uns fraktionsübergreifend einig –, das uns alle umtreibt. Die Gleichstellung der Geschlechter und die Stärkung der Rolle der Frauen in unserem Land liegen den Familienpolitikerinnen und Familienpolitikern der Union sehr am Herzen. (Beifall bei der LINKEN – Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich freue mich, dass ich als Mann nach den Reden einer Vielzahl qualifizierter Frauen auch ein paar Sätze zu diesem Thema sagen darf. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Frau Kollegin Möhring, Sie haben ja sicherlich recht, wenn Sie darauf hinweisen, dass die Ankündigung, dass ein Europameisterschaftsspiel von einer Journalistin kommentiert werden soll, im Netz auf Kritik gestoßen ist. (Sönke Rix [SPD]: Auf Kritik? Das ist untertrieben!) Da ist sicherlich noch einiges aufzuarbeiten. Hier ist das Bewusstsein noch zu schärfen. Aber, Frau Kollegin Möhring, achten Sie auch darauf: Seit Jahr und Tag wird die Sportschau am Samstagabend von Frau Katrin Müller-Hohenstein mit viel Erfolg und auf absolut souveräne Art und Weise moderiert. Es gibt also auch das Gegenbeispiel, das zeigt, dass es schon toll funktioniert. Frau Müller-Hohenstein ist sowohl bei Männern als auch bei Frauen anerkannt, weil sie die Sportschau kompetent moderiert. Also auch das gibt es. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir sollten aufpassen, dass wir nicht zu arg schwarz-weiß malen, Frau Schauws, sondern auch die Zwischentöne wahrnehmen und fairerweise auch sagen, was schon erreicht worden ist. Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist im Grundgesetz in Artikel 3 Absatz 2 verankert. Obwohl wir mit Dr. Angela Merkel eine Frau als Bundeskanzlerin, mit Frau Gerda Hasselfeldt eine Landesgruppenchefin für Bayern im Bundestag haben, obwohl immer mehr Väter in Elternzeit gehen und obwohl erfolgreiche Frauen in Führungspositionen zahlreich zu finden sind, ist die Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern in Deutschland noch nicht in allen Bereichen derart verwirklicht, wie wir es uns vielleicht wünschen. Gewalt gegen Frauen beschränkt sich trotz harter Strafen – darauf haben die Vorrednerinnen und Vorredner auch hingewiesen – und Aufklärung in Europa leider nicht auf Einzelfälle. Ebenso verhält es sich leider mit sexueller Gewalt. Laut einer Studie der europäischen Grundrechteagentur aus dem Jahr 2014 gab eine von drei Frauen an, dass sie seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche oder sexuelle Gewalt erfahren hatte. Jede zweite Frau gab an, mit einer oder mehreren Formen der sexuellen Belästigung konfrontiert worden zu sein. Die jüngsten Ereignisse in Köln in der Silvesternacht – auch hierauf wurde bereits von Kollegin Pantel hingewiesen – haben nun die Sexismusdebatte in Deutschland erneut entfacht. Die Übergriffe haben besonders deutlich gezeigt, dass Frauen auch in Deutschland im öffentlichen Raum vor körperlicher und sexualisierter Gewalt nicht sicher sind. Meine Damen und Herren, es gibt hier noch einiges zu tun. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass wir uns dieses Problems – entgegen der Auffassung, die in Ihrem Antrag zum Ausdruck kommt – sehr wohl bewusst sind und in den vergangenen Jahren und Monaten durch die unionsgeführte Bundesregierung bereits einige Maßnahmen und Regelungen auf den Weg gebracht haben, um hier Abhilfe zu schaffen. Herr Kollege Birkwald, Sie monieren immer, wir arbeiteten zu wenig mit Ihren Anträgen. Wenn ich mir aber Buchstabe c auf Seite 3 Ihres Antrags anschaue – Maßnahmen gegen Sexismus, verbindliche Frauenquoten für Entscheidungsgremien –, dann muss ich sagen: Haken! Das hat die Große Koalition erledigt. Buchstabe d – Maßnahmen zur Stärkung und Ausweitung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes –: Das ist in der Großen Koalition in guten Händen. Haken, erledigt! Buchstabe e – Maßnahmen im Bereich Gewalt gegen Frauen wie die Umsetzung des Grundsatzes „Nein heißt nein“ –: Auch das wurde durch die Große Koalition erledigt. Haken! (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Weiter so!) Also, wir sind schneller als Sie. Der Antrag, lieber Kollege Birkwald, datiert vom 8. Juni 2016. Das heißt, Sie hätten schon wissen können, was wir bereits alles umgesetzt haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, wir setzen uns mit aller Kraft für die Gleichstellung von Männern und Frauen ein, um bestehende Ungerechtigkeiten zwischen Frauen und Männern zu beseitigen. Der vorliegende Antrag ist zwar gut gemeint, aber, wie bereits ausgeführt, in vielen Bereichen längst nicht mehr up to date. Im Antrag wird beispielsweise gefordert, den Grundsatz „Nein heißt nein“ im Rahmen der Reform des Sexualstrafrechts umzusetzen. Hier, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Linken, haben wir die entsprechende Reform bereits angestoßen. Das wurde von Frau Kollegin Schlegel und von Frau Kollegin Pantel bereits bestätigt, übrigens auch von Frau Schauws. Ich bedanke mich, dass Sie als Grüne unsere Reform ausdrücklich loben. Hier können wir konstruktiv zusammenarbeiten. Wir werden alle bestehenden Strafrechtslücken schließen und damit jegliche nicht einvernehmliche sexuelle Handlung unter Strafe stellen. Es wird bald ausreichen, wenn eine Frau nur konkludent zum Ausdruck bringt, dass sie nicht will, beispielsweise durch Weinen. Darüber hinaus wollen wir auch das einfache Grapschen unter Strafe stellen; denn Frauen sind kein Selbstbedienungsladen, und Grapschen ist kein Kavaliersdelikt. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Mit diesem Vorstoß stärken wir das sexuelle Selbstbestimmungsrecht auch im Strafrecht, und zwar ohne Einschränkung. In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass wir selbstverständlich auch über das Strafrecht hinaus Maßnahmen ergriffen haben und ergreifen werden. So haben wir beispielsweise bereits im März 2013, also vor über drei Jahren, das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ eingerichtet. Unter der bundesweiten kostenfreien Rufnummer 08000 116 016 gibt es ein anonymes Erstberatungsangebot. Hier wird Hilfe für Betroffene von sexualisierter Gewalt, für Angehörige und sonstige Personen angeboten – unkompliziert, in 15 Sprachen, 24 Stunden am Tag. Ich wiederhole die Nummer noch einmal für die Zuhörerinnen und Zuhörer am Fernseher zum Mitschreiben: 08000 116 016. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hier wird immer mitgeschrieben!) – Ich meine die Damen und Herren an den Fernsehgeräten, Frau Kollegin. Soweit Sie in Ihrem Antrag Maßnahmen gegen Sexismus in der Arbeitswelt fordern, möchte ich Sie daran erinnern, dass wir auch hier bereits tätig geworden sind. Im vergangenen Jahr haben wir das Gesetz zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern in Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst auf den Weg gebracht. Das Gesetz soll dazu beitragen, eine Diskriminierung von Frauen in der Arbeitswelt zu bekämpfen und eine Steigerung des Anteils von weiblichen Führungskräften in Spitzenpositionen in der deutschen Wirtschaft und in der Bundesverwaltung herbeizuführen. Frauen werden künftig öfter Schlüsselstellen besetzen und dann vertreten sein, wo entschieden wird. So können sich auch Frauen für Frauen einsetzen und auf diese Weise einen Wandel in den Unternehmenskulturen herbeiführen. Entscheidend ist aber, dass wir die verschiedenen Bereiche der Arbeitswelt nicht überreglementieren und möglicherweise das Gegenteil bewirken. Vielmehr müssen wir als Politiker die Rahmenbedingungen schaffen, die zu einem Umdenken in den Köpfen unserer Gesellschaft führen. In diesem Zusammenhang möchte ich noch das Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf erwähnen, das wir im letzten Jahr verabschiedet haben. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen der Linken, die in Ihrem Antrag geforderten Maßnahmen für mehr Entgeltgleichheit haben wir bereits im gemeinsamen Koalitionsvertrag mit der SPD verankert. Wir wollen die bestehende Lohnlücke zwischen Männern und Frauen beseitigen; denn auch wir wollen – hier möchte ich meinen geschätzten Kollegen Marcus Weinberg zitieren –, dass unsere Töchter später genauso viel verdienen wie unsere Söhne. Wir werden für mehr Transparenz sorgen und damit Licht ins Dunkel der Gehaltslisten bringen. Gleichzeitig werden wir hierbei dafür Sorge tragen, dass die kleinen und mittleren Unternehmen in unserem Land nicht mit zu hohen bürokratischen Anforderungen belastet werden. (Beifall bei der CDU/CSU – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist genau das Problem! Da sind die meisten Frauen beschäftigt!) Meine Damen und Herren, wir werden den Antrag der Linken sicher nicht positiv begleiten können. Wir werden ihn ablehnen. Aber wir sind dankbar, dass Sie das Thema abermals aufgegriffen haben. Sie haben es in meiner Rede gehört: Wir sind bei den Zielen nicht so weit auseinander, aber der Weg dorthin unterscheidet uns. Herzlichen Dank. Einen schönen Tag noch. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Birgit Kömpel. (Beifall bei der SPD – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Jetzt sagt die SPD: Wir stimmen zu! Und dann?) Birgit Kömpel (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema Sexismus ist nicht erst seit der Kölner Silvesternacht wichtig, aber es ist seither in aller Munde. Leider wurde es vor allem auch für rassistische Hetze und pauschale Stigmatisierung von Flüchtlingen missbraucht. (Beifall bei der SPD – Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: So ist es!) Dabei ist eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen Problem Sexismus gefragt. Nicht nur in Sonntagsreden müssen wir Sexismus entgegentreten, sondern vor allem im Alltag. Ich begrüße daher sehr, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, den Antrag „Sexismus die Rote Karte zeigen“. Denn der Antrag zeigt, wie stark Sexismus in unseren Alltag hineinwirkt und welche negativen Folgen das hat. Ich möchte mich auf drei mir wesentlich erscheinende Punkte konzentrieren: Lohnungleichheit, mangelnde Präsenz von Frauen in Führungspositionen und Sexismus in den Medien. Lohnungleichheit basiert zu einem nicht unerheblichen Teil auf Sexismus. Geschlechterstereotypen schreiben Mädchen und Jungen bereits im jungen Alter ganz bestimmte Eigenschaften und Fähigkeiten zu. Diese frühe Festlegung beeinflusst nachweislich auch die spätere Berufswahl. Während hauptsächlich Jungen MINT-Berufe ergreifen und dann sehr gut verdienen, arbeiten in schlecht entlohnten sozialen Berufen Frauen. Auch der Umstand, dass in Deutschland noch immer eine Lohnlücke von circa 22 Prozent zwischen Männern und Frauen klafft, hilft uns hier nicht weiter. Also wo, meine Damen und Herren, müssen wir ansetzen? Ich sage: in der Pädagogik, bei den Gehältern, bei der Transparenz. Wir müssen bereits bei Kleinkindern im Kindergarten anfangen und Rollenklischees wirksam entgegentreten, Interesse wecken und Begeisterung erkennen – ohne geschlechtliche Scheuklappen. Das heißt für mich, auch Mädchen selbstverständlich für Naturwissenschaften zu begeistern oder unsere Jungen für das Soziale. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Wir müssen an die Gehälter ran. Berufe in den Bereichen Erziehung, Pflege, Lebenshilfe etc. setzen ein hohes Maß an Verantwortungsbereitschaft und eine lange, qualifizierte Ausbildung voraus, und man wird trotzdem schlecht bezahlt. Wir müssen hier dringend zu einer Aufwertung kommen. Ich bin sehr stolz, dass unsere Ministerin Manuela Schwesig sich dafür starkmacht. (Beifall bei der SPD) Ihr Gesetzesvorhaben für mehr Lohngerechtigkeit geht aber noch einen Schritt weiter. Als erste Ministerin traut sie sich an einen ganz heiklen Punkt heran: die Transparenz – Transparenz bei den Gehältern, Transparenz bei der Beförderung, Transparenz bei der Beschreibung von Stellenprofilen und Anforderungen. Erst umfassende Transparenz schafft hier für Frauen die Möglichkeit, sich zu wehren und sexistischer Abwertung wirksam entgegenzutreten. (Beifall bei der SPD) Bereits auf den Weg gebracht haben wir das Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst. Hier gilt: Bei Frauen wird automatisch davon ausgegangen, dass sie sich alleine oder zu einem großen Teil um die Kindererziehung kümmern. Deshalb haben Frauen beim Zugang zu Führungspositionen häufig schlechtere Chancen. Aber damit ist jetzt Schluss. (Beifall bei der SPD) Denn wenn mehr Frauen in Führungspositionen arbeiten, ändert sich die Sicht auf Frauen, ändern sich die Arbeitsbedingungen in den Unternehmen, ändern sich Rollenverhalten und Stereotypen, ändert sich die Sprache in unseren Führungsetagen, (Beifall bei der SPD) wenn auch nicht von heute auf morgen. Aber es nutzt eben nichts, der Dame die Tür aufzuhalten, wenn man sie im anschließenden Teammeeting nicht ernst nimmt, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Josef Rief [CDU/CSU]) Ich komme zum letzten Punkt: Sexismus in den Medien. Solange Frauen durch Sexismus abgewertet werden, als Sexobjekte oder untertänige Gattinnen beschrieben werden, wird sich hier gesellschaftlich nichts ändern. (Beifall bei der SPD) Ich erinnere zum Beispiel an die uns allen bekannten Überschriften einer einschlägigen Tageszeitung und den weitverbreiteten Sexismus in der Werbung. – Meine Damen und Herren, wie Sie sehen, handelt es sich um eine Werbeanzeige mit einer Frau, die nur mit Unterhose bekleidet in eine Waschmaschine hineinkriecht. Ich frage ganz ehrlich: Möchten Sie als Frau auf „halbnackt“ und „Waschmaschine“ reduziert werden, (Ulli Nissen [SPD]: Nein!) als wären Sie zu blöd, so etwas selber zu reparieren, als wären das unsere einzigen Kompetenzen? So etwas macht mich wütend, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD) Wir sehen an diesem Bild deutlich: Sexuelle Belästigungen finden nicht nur körperlich statt, sondern auch optisch und verbal. Dem müssen wir entschieden entgegentreten. Artikel 3 Absatz 2 unseres Grundgesetzes mahnt uns auch hier, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern, und die gibt es nur ohne Sexismus. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet. Zwischen den Fraktionen wurde vereinbart, dass die Vorlage auf Drucksache 18/8723 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen wird. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: – Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien (jetzt: Republik Serbien) und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 Drucksachen 18/8623, 18/8760 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/8761 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich bitte Sie, die Plätze zügig einzunehmen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Josip Juratovic, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Josip Juratovic (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über das Kosovo und über die Mandatsverlängerung des Einsatzes deutscher Soldatinnen und Soldaten im Rahmen der KFOR-Mission. Das Positive an unserer Debatte ist, dass wir die Truppenstärke verringern werden von bisher 1 850 auf jetzt maximal 1 350 Soldatinnen und Soldaten in 12 statt bisher 14 Einsatzkompanien. Der negative Beigeschmack bleibt: Eine Truppenstationierung ist auch 17 Jahre nach dem Kosovo-Krieg noch nötig. Am Anfang meiner Rede ist mir jedoch besonders wichtig: Mein Dank und Respekt gilt zuallererst den Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor wenigen Tagen war ich im Kosovo. Nach mehreren früheren Reisen habe ich ein weiteres Mal erlebt, dass die aktuelle Lage im Kosovo und auf dem Westbalkan im Allgemeinen desolat ist, um nicht zu sagen: verheerend. Am eindrucksvollsten wird dies bestätigt durch jene fast 50 000 Menschen aus dem Kosovo, die in den vergangenen zwei Jahren in Deutschland Asyl beantragt haben. Warum tun sie das? Erstens. Trotz der Bemühungen, wirtschaftlichen Aufschwung in Gang zu setzen, liegt die Arbeitslosigkeit, insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit, bei über 50 Prozent. Bei einem Rückkehrprojekt der Arbeiterwohlfahrt in Pristina wurde mir die Verzweiflung der Menschen vor Ort deutlich vor Augen geführt. Zweitens. Pristina befindet sich seit langem in einer Dauerregierungskrise. Das parlamentarische Selbstverständnis ist schwach oder so radikal, dass der parlamentarische Weg nicht beschritten wird, sei es durch eine Opposition, die im Plenarsaal mit Tränengas wirft, oder schließlich durch Boykott des Parlaments. Die politischen Eliten kranken an drei Symptomen: Korruption, Vetternwirtschaft und Nationalismus. All das führt zu einer immensen Menschenflucht, entweder in Richtung EU oder in Richtung IS. Liebe Kolleginnen und Kollegen, all das passiert, obwohl wir seit Jahren im Kosovo aktiv sind. Deutschland hat seit 1999  450 Millionen Euro aus Töpfen der Entwicklungszusammenarbeit investiert. Die EU allein hat von 2007 bis 2013  635 Millionen Euro an IPA-Mitteln in das Kosovo gelenkt. Die gleiche Summe ist für 2014 bis 2020 veranschlagt. Die Rolle der internationalen Gemeinschaft ist trotzdem alles andere als glücklich. Im Kosovo selbst wird die EU zunehmend mit Skepsis betrachtet. Insbesondere die europäische Rechtsstaatlichkeitsmission EULEX hat in der Bevölkerung den Ruf, eine korrupte Brüderschaft mit den Eliten zu pflegen. Zur Ehrlichkeit gehört aber auch: Wer gezwungen ist, Kompromisse mit Korrupten zu schließen, wird den Verdacht nicht los, selbst korrupt zu sein. Nun könnte man argumentieren, dass wir unser Engagement lieber einstellen und die Kosovaren sich selbst überlassen sollten. Dieser Gedanke mag verführerisch sein, weil er so einfach klingt. Das wäre aber verheerend für die Sicherheit und die Stabilität Europas. Meine Überzeugung ist: Der Westbalkan ist ein wunder Punkt mitten in der Europäischen Union; deshalb muss die EU gerade im Zeitalter globaler Krisen für eine europäische Zukunft des Westbalkans stärker politisch handeln. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Versetzen wir uns einmal in die Lage des Kosovo. Das Kosovo und seine Bevölkerung befinden sich in einem permanenten psychologischen Zustand der Ungleichheit in seiner Region, zum Beispiel bei der Frage der Visaliberalisierung: Als Einzige auf dem Westbalkan müssen Kosovaren für eine Reise in die EU immer noch ein Visum beantragen. Ein anderer Aspekt: Die Nachbarstaaten des Kosovo sind auch nicht gerade vorbildliche Musterbeispiele für Sicherheit und Stabilität. Ganz wichtig für das Kosovo ist die Normalisierung seiner Beziehungen zu Serbien. Aber auch die neueste Entwicklung in Mazedonien kann für den Kosovo zur Bedrohung werden; denn Mazedonien unter der Regierungspartei VMRO ist weder ethnisch noch gesellschaftlich oder politisch ein Sicherheitsfaktor. Kolleginnen und Kollegen, erlauben Sie mir an dieser Stelle noch eine Anmerkung zum Nachbarland Mazedonien. In Skopje und anderen Städten des Landes findet seit Wochen die sogenannte Bunte Revolution gegen die korrupte Regierung Mazedoniens statt. Diese Bürgerinnen und Bürger Mazedoniens verdienen unseren Respekt und unsere Unterstützung; (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) denn diese mutigen Menschen verteidigen mit letzter Kraft die demokratischen Werte in einem immer mehr nach rechts außen kippenden Europa. Blicken wir wieder auf den Kosovo. Die Verlängerung des KFOR-Einsatzes ist leider auch Bestätigung dafür, dass unsere Soldatinnen und Soldaten das Unvermögen der EU, das Thessaloniki-Versprechen von 2003 umzusetzen, ausgleichen müssen. Wir Europäer tragen also eine Mitverantwortung für die desolate Lage auf dem Westbalkan, zum Beispiel weil Mazedonien seit 2008 auf die Eröffnung seiner Verhandlungskapitel wartet, weil Griechenland jeglichen Fortschritt blockiert oder weil im Kosovo mehr als 1 000 juristische Expertinnen und Experten von EULEX es seit Jahren nicht schaffen, eine vernünftige Korruptionsverfolgung aufzubauen. Die Glaubwürdigkeit der Argumente aus Brüssel schwindet bei den Menschen im Kosovo zunehmend. Deshalb sollte die EU jetzt dringend politische Handlungsfähigkeit beweisen: Erstens. Das Kosovo braucht endlich eine gerechte Gleichbehandlung in der Region des Westbalkans. Dazu gehört auch die Umsetzung der Visaliberalisierung. Zweitens. Die EU-Verhandlungskapitel 23 und 24 – Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte – stehen für die fundamentalen Werte der EU. Wenn man es mit EULEX als Rechtsstaatsmission ernst meint, muss man gerade diese Kapitel schleunigst eröffnen, und zwar für alle Westbalkanstaaten. Den Skeptikern unter uns will ich sagen: Eine Kapiteleröffnung bedeutet noch lange nicht die Schließung des Kapitels und auch keinen Automatismus, der zum EU-Beitritt führt. Die Kapiteleröffnung setzt aber gesellschaftliche und politische Kräfte in Gang, die glaubwürdig die notwendigen Reformen umsetzen und unsere demokratischen Werte vor Ort mit Leben füllen können. Kolleginnen und Kollegen, am allerwichtigsten ist aber: Wir müssen als EU endlich entschlossen politisch handeln, damit unsere KFOR-Soldatinnen und -Soldaten ihre Arbeit beenden und nach Hause zurückkehren können. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Bis dahin bitte ich um Ihre Zustimmung zum Antrag der Bundesregierung. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Sevim Dağdelen spricht jetzt für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn wir heute hier gleich namentlich abstimmen, stimmen wir nicht nur über eine erneute Verlängerung des Bundeswehreinsatzes im Kosovo ab. Nein, die heutige Abstimmung ist eigentlich auch eine Abstimmung über die verheerende Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung insgesamt. (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Die Bundesregierung setzt nicht mehr nur auf Militäreinsätze zum Schutz autoritärer – das sagte selbst mein Vorredner – und korrupter Regime im Kosovo. Nein, aus den jüngsten Äußerungen der Bundeskanzlerin muss man schließen, dass die Bundesregierung alles tut, um sich auf einen großen Krieg vorzubereiten. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Bundeskanzlerin Merkel erklärte gestern, dass sie in Zukunft 2 Prozent des deutschen Bruttosozialprodukts für Militär und Rüstung ausgeben möchte. Ich als Linke finde das wirklich skandalös. Das darf nicht hingenommen werden. (Beifall bei der LINKEN) Das passt auch nicht zu den Aussagen des deutschen Außenministers, der vor Säbelrasseln und Kriegsgeheul gewarnt hat. Dialog, Verständigung und Diplomatie in der Außenpolitik sehen anders aus, als in die Rüstung und das Militär zu investieren. (Beifall bei der LINKEN) 2015 gab Deutschland über 35,5 Milliarden Euro für Militär und Rüstung aus. Das waren 1,2 Prozent des Bruttosozialprodukts. Merkel wird jetzt mit ihrer Erhöhung auf 2 Prozent (Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt doch gar nicht!) die deutschen Militärausgaben in Zukunft auf sage und schreibe 63 Milliarden Euro erhöhen. Das ist fast eine Verdoppelung. Diesen Rüstungswahnsinn der Bundeskanzlerin lehnen wir als Linke kategorisch ab. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Es stellt sich die Frage, wer hier wahnsinnig ist!) Wir finden, es ist unverantwortlich, die Sicherheit der Menschen in unserem Land auf diese Art und Weise aufs Spiel zu setzen. Man muss sich fragen, ob sie sich überhaupt noch an ihren Amtseid erinnert, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden, wenn sie die Rüstungsausgaben verdoppeln will. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Kennen Sie den überhaupt?) Jetzt sagen Sie, der Einsatz im Kosovo für die nächsten zwölf Monate koste ja nur rund 46 Millionen Euro; so steht es in Ihrem Antrag. Aber man muss sich auch einmal vor Augen führen, was das eigentlich bedeutet. Seit 17 Jahren steht die Bundeswehr jetzt im Kosovo. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Aha!) Das heißt, Sie haben für diesen Einsatz insgesamt bereits fast 1 Milliarde Euro ausgegeben. Was ist eigentlich Ihre Bilanz? Sie fabulieren in Ihrem Antrag von einem stabilen, einem demokratischen, einem multiethnischen und friedlichen Kosovo. Aber nein, das Kosovo ist nichts von alledem, was Sie in Ihrem Antrag geschrieben haben. Es ist nicht stabil. Die Bevölkerung lebt dort im Elend und stimmt zu Hundertausenden mit den Füßen gegen diese schlimmen Verhältnisse im Land ab. Korrupte Eliten beherrschen Politik und Wirtschaft. Eine Aufarbeitung der Kriegsverbrechen der UCK findet weiterhin nicht statt. Im Kosovo gibt es keinen Rechtsstaat. So lautet der Befund aller internationalen Organisationen. Das US-Außenministerium berichtet von 300 Kämpfern aus dem Kosovo, die sich dem Kampf, dem Krieg des „Islamischen Staates“ angeschlossen haben. Das ist sehr viel für ein solch kleines Land wie das Kosovo. Das wäre übertragen auf die deutsche Bevölkerung so, als würden sich 12 000 Kämpfer aus Deutschland dem IS in Syrien und dem Irak anschließen; aus Deutschland sind es tatsächlich etwa 700. Aber wer Saudi-Arabien auch im Kosovo als Premiumpartner hat, muss sich darüber eigentlich nicht wundern. Nicht zuletzt werden die Minderheiten der Serben und der Roma im Kosovo weiterhin massiv diskriminiert. Aber Sie haben das Kosovo ja erst kürzlich zu einem sicheren Herkunftsstaat erklärt. Ich finde, das ist wirklich eine Farce. (Beifall bei der LINKEN) Ihre Bilanz dieses Bundeswehreinsatzes im Kosovo ist ein Desaster. Ziehen Sie die Konsequenzen. Ziehen Sie die Bundeswehr ab. Beenden Sie den Einsatz dort. Beenden Sie die Unterstützung von korrupten und autoritären Regimen. Frieden und Sicherheit in Europa geht anders. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Jetzt hat der Kollege Peter Beyer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Peter Beyer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich will mit einer Bemerkung direkt auf Ihre Rede, Frau Kollegin Dağdelen, replizieren. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie zur Sache geredet hätten. Stattdessen haben Sie hier mit Zahlen zu irgendwelchen Plänen bezüglich des Verteidigungsbudgets hantiert. Insbesondere – denn das macht mich an dieser Stelle wirklich stinksauer – muss ich sagen: Die Bilanz, die Sie gezogen haben, und die Schlussfolgerung – sie ist natürlich falsch –, dass die Soldaten der Bundeswehr abgezogen werden sollen, sind eine Unverschämtheit gegenüber denjenigen Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr und auch der anderen Nationen, die in den letzten 17 Jahren für Stabilität in der Region gesorgt haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der LINKEN) Aber Teile der Linksfraktion sind leider bis heute geschichtsvergessen. Deswegen möchte ich mich jetzt meiner eigentlichen Rede zuwenden. Meine Damen und Herren, das knüpft aber just an das an, was ich gerade gesagt habe. Denn vergleichen wir doch einmal die noch vor wenigen Jahren herrschende Situation im Norden des Kosovo, also in dem Grenzgebiet zwischen Serbien und Kosovo, mit der heutigen Situation. Da sind wirklich Erfolge – bei allen Problemen, die wir sicherlich nicht negieren – im gesamten Land, in der Region zu verzeichnen. Diese Erfolge lassen sich nachweisen. Zu dem einen oder anderen Erfolg kann ich etwas sagen. Meine Damen und Herren, zunächst einmal möchte ich aber für diese Erfolge den Männern und Frauen, den Soldatinnen und Soldaten danken, die dafür gesorgt haben, dass es in der Grenzregion und in der gesamten Westbalkanregion zu Verbesserungen gekommen ist, dass ethnische Spannungen im Zaum gehalten worden sind und dass auch Reformprozesse möglich gewesen sind. Herzlichen Dank dafür. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Meine Damen und Herren, klar ist aber auch – das sagen wir an dieser Stelle immer wieder, weil es richtig ist –: Eine rein militärische Lösung der vielen Probleme, die es noch gibt, ist nicht möglich. Daher ist es eine richtige und eine gute Politik, die durch die Bundesregierung betrieben wird, dass es flankierende Maßnahmen zur Unterstützung gibt: die EU-Rechtsstaatlichkeitsmission EULEX oder auch die Programme der wirtschaftlichen Zusammenarbeit durch das BMZ. Die lokalen Sicherheitskräfte und Polizeikräfte – wir haben das bei den gewaltsamen Demonstrationen in Pristina verfolgen können – sind mittlerweile selbst in der Lage, ohne dass KFOR zur Seite steht – KFOR steht zwar parat, musste aber nicht mehr eingreifen –, für Ordnung und Stabilität zu sorgen. Auch das ist in der Erfolgsbilanz zu verzeichnen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Was für ein Erfolg nach 17 Jahren!) Des Weiteren sind wichtige Schritte bei der Normalisierung der Beziehungen zwischen Serbien und Kosovo zu verzeichnen. Ich nenne das Abkommen, das Ende August letzten Jahres unterzeichnet worden ist, und auch das Stabilitäts- und Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und Serbien, meine Damen und Herren. Das sind wichtige Dinge. Dieses SAA, wie es abgekürzt heißt, ist übrigens Anfang dieses Jahres in Kraft getreten. Bei allem Fortschritt dürfen wir den Blick nicht nur auf die ethnischen Spannungen im Norden des Kosovo verengen. Vielmehr erlangt Bedeutung – das sollten wir mehr in den Fokus rücken – die sozioökonomische Situation im Kosovo. Da stimme ich dir, Josip Juratovic, der du als Erster geredet hast, durchaus zu – das hattest du auch thematisiert –: Da liegt noch vieles im Argen. Eine Jugendarbeitslosigkeit im Kosovo von 70 Prozent ist ein ganz gefährlicher Nährboden, der zu Spannungen führt und übrigens auch das Feld für eine weitere Islamisierung eröffnet. Islamistische Kräfte agieren dort. Das müssten wir auch unter Beobachtung halten. Wegen vieler schwieriger Dinge, die wir in den vergangenen Monaten im Kosovo beobachten mussten, ist es zu einem Stillstand im Reformprozess gekommen – auch im Dialog über die Normalisierung der Beziehungen mit Serbien. Es herrscht eine Krise im Land Kosovo. Welche Konsequenzen ziehen wir nun daraus? Das müssen wir uns bei unserer Westbalkanpolitik fragen. Können wir sagen: „Die Reduzierung der Truppenobergrenze kann immer weiter gehen“? Wir wünschen uns das. Aber, meine Damen und Herren, wir müssen auch sehen: Die Sicherheits- und Stabilitätslage, die im Moment dank KFOR besteht, ist ein Stück weit auch fragil. Wenn es zu weiteren Ausschreitungen kommt, wenn die Spannungen zu gewaltsamen Ausbrüchen führen, kann es sein, dass KFOR wieder Einsätze durchführen muss. Im letzten Mandatszeitraum, im vergangenen Jahr, mussten die KFOR-Kräfte nicht eingreifen. Wir müssen uns überlegen, ob wir uns nicht um einen gewissen Freiraum bzw. Flexibilität bringen, wenn wir weiter automatisch Jahr für Jahr die Truppenobergrenze reduzieren. Wenn die Sicherheits- und Stabilitätslage im Land und in der Region es erlauben, ist das sicherlich der richtige Schritt, wie es auch jetzt der richtige Schritt ist. Aber ich will darauf hinweisen: Wir müssen die dortige Lage sehr im Auge behalten. Gerade angesichts der sozioökonomischen Situation im Land könnte da etwas passieren, auf das wir vielleicht nicht vorbereitet sind. Deswegen schließe ich mit meinem Appell, das KFOR-Mandat, das völkerrechtlich durch eine Resolution des UN-Sicherheitsrates auf soliden Füßen steht, weiter zu verlängern unter den Konditionen, die im Mandat ausgeführt sind. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Marieluise Beck das Wort. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das KFOR-Mandat geht in das 18. Jahr – das ist eine lange Zeit, länger als wir alle sicherlich erwartet hatten –, und es ist begründungsbedürftig, wenn so ein Mandat Jahr für Jahr verlängert werden muss. – Ich sehe gerade meine Kollegin Frau Keul an, die immer wieder nachgefragt hat, wie es hier weitergehen soll. Es bleibt aber dabei: Diejenigen, die nicht nur das Kosovo, sondern auch den Westbalkan insgesamt in den Blick nehmen und noch in Erinnerung haben, was für blutige Opfer es in dieser Region gegeben hat, kommen zu dem Schluss, dass das Militär offenbar heute in der Lage ist, diejenigen, die mit dem Gedanken spielen könnten, wieder militärisch, also mit Waffengewalt, zu agieren, präventiv davon abzuhalten. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Ist das so, ja?) In diesem Sinne ist dieses präventive Mandat ein Mandat, das Menschen schützt und damit Spielräume für die Veränderungen, die in dem Land unbedingt notwendig sind, eröffnet. Denn es ist richtig, dass die inneren Entwicklungen – die Bekämpfung von Korruption, die Verbesserung der ökonomischen Situation – sehr zu wünschen übrig lassen. Der Blick auf den Westbalkan kann nicht beruhigen. Die Region ist immer noch, auch 20 Jahre nachdem Jugoslawien zerfallen ist, instabil. In Bosnien und Herzegowina verzichten nationalistische Politiker nicht darauf, ethnische Konflikte zu befeuern. Auf diese Weise wollen sie ihre Macht stabilisieren. In der Republika Srpska wird von Ministerpräsident Dodik immer wieder mit einer drohenden Abspaltung hantiert. Ministerpräsident Dodik hat – so etwas ist verheerend – Kriegsverbrecher verherrlicht. In Pale wurde ein Studentenwohnheim nach Karadzic benannt – eine unerträgliche Provokation. Bei den landesweiten Sozialprotesten konnte 2012 in Mostar das Umschlagen in ethnische Gewalt nur knapp verhindert werden. Auch in Mazedonien erleben wir, dass der Friede eher ein kalter ist und dass das Fehlverhalten der politischen Verantwortungsträger das ganze Land in große Fragilität stürzt. Es gab Blutvergießen in Kumanovo, und es ist nicht auszuschließen, dass ein möglicher ethnischer Konflikt zwischen der albanischen Minderheit und der slawischen Mehrheit wieder zu Kettenreaktionen in der gesamten Region führen könnte. Insofern bleibt die politische Aufgabe, alle Kraft auf diese Region zu verwenden. Wir wissen, dass die Perspektive einer EU-Mitgliedschaft der Motor sein kann, um die Blockaden und „bad governance“, was es in vielen dieser Länder gibt, zu überwinden. Wir lernen aber auch – das geht an unsere Adresse –, dass die Transformation von Gesellschaften zu rechtsstaatlichen und demokratischen Verhältnissen offenbar länger dauert, als wir gedacht haben. Insofern ist das auch eine Aufgabe für uns. Ich würde mir wünschen – auch wenn ich weiß, dass der Herr Bundesaußenminister durch die Welt saust und schneller kaum sausen kann –, dass, weil der Westbalkan so nah an Deutschland ist und weil Instabilität dort für uns Flüchtlinge und Schutzsuchende bedeutet, aus der EU und aus Deutschland heraus die diplomatischen Anstrengungen in dieser Region verstärkt werden und wir damit zeigen: Wir wissen, dass ein Westbalkan, der vor unserer Haustür in Unruhe ist, auch Gefahr und Unruhe bei uns bedeutet. Deswegen müssen wir große Anstrengungen unternehmen. Türen auf zur Europäischen Union und Türen auf durch Reisefreiheit für die Menschen von dort, damit sie sehen, wie gut es sich in rechtsstaatlichen und demokratischen Systemen leben lässt. Schönen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat Julia Obermeier von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. Julia Obermeier (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zurzeit findet die Fußballeuropameisterschaft statt. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach ja?) Dieses Jahr treten 24 Mannschaften an, mehr als zuvor. Doch die kosovarische Nationalmannschaft sucht man auf dem Spielplan vergeblich. Der lange Weg des Kosovo in die Normalität und in die internationale Gemeinschaft spiegelt sich also auch im Sport wider. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Holland ist auch nicht dabei!) Die Nationalelf des Kosovo hat erst kürzlich ihr erstes Länderspiel absolviert, nämlich am 3. Juni 2016. Der Weg in die Normalität ist also lang, und Deutschland begleitet diesen Weg seit vielen Jahren. Wie nötig diese Unterstützung in vielen Bereichen ist, ist mir auch auf meiner letzten Reise in den Kosovo noch einmal deutlich geworden. Ich durfte unseren Bundesentwicklungsminister Gerd Müller begleiten. Wir hatten auch die Gelegenheit, mit den Soldatinnen und Soldaten zu sprechen, die dort in der KFOR-Truppe im Einsatz sind. Sie beschrieben die Lage als weitgehend ruhig, jedoch auch als schwer berechenbar. Unsere Männer und Frauen in Uniform stellen das zweitgrößte Kontingent im Kosovo und tragen dort maßgeblich zur Stabilisierung und Normalisierung vor Ort bei. Die Präsenz der KFOR-Truppen ist nach wie vor Garant für die Sicherheit des Landes. Zwar kam es zuletzt teilweise zu gewaltsamen innenpolitischen Auseinandersetzungen, doch die politische Lage hat sich wieder beruhigt. Zwar wird der Normalisierungsprozess immer wieder von ethnischen Spannungen begleitet, doch diese konnten von der kosovarischen Polizei entschärft werden, bevor die Lage eskalierte. Die Polizeikräfte kontrollieren – gut ausgebildet von den KFOR-Truppen – selbstständig die Lage im Land. Unsere Soldatinnen und Soldaten sind jedoch weiterhin wichtige Begleiter und Vermittler vor Ort. Weil sich die Sicherheitslage verbessert hat, unterstützen wir das neue Konzept zur flexibleren Anpassung der Truppenstärke und senken wir die Mandatsobergrenze von 1 850 auf 1 350 Soldatinnen und Soldaten. Dennoch ist die KFOR-Mission nach wie vor eine tragende Säule des umfassenden vernetzten Ansatzes, den wir gemeinsam mit unseren Partnern im Kosovo verfolgen; denn nur in einem sicheren Umfeld sind politische Fortschritte und Entwicklungen möglich. Diese braucht der kleinste der Balkanstaaten dringend. Dementsprechend sind der wirtschaftliche Wiederaufbau und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, gerade auch durch Bildung und Ausbildung, wichtige Ansatzpunkte der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. So werden in Pristina beispielsweise mit deutscher Hilfe Kfz-Mechaniker ausgebildet. Der Besuch in der Berufsschule vor Ort hat uns gezeigt: Durch solche Projekte erhalten die jungen Kosovaren eine Perspektive für eine Zukunft in ihrer Heimat. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Weitere Schwerpunkte des deutschen Engagements sind die Förderung von Demokratie, Zivilgesellschaft und öffentlicher Verwaltung sowie der Aufbau einer nachhaltigen Energieversorgung. Insgesamt haben wir in den vergangenen 15 Jahren etwa 510 Millionen Euro für die Entwicklungszusammenarbeit mit dem Kosovo bereitgestellt. Wir werden bei unseren diplomatischen sowie entwicklungs- und sicherheitspolitischen Bemühungen aber auch weiterhin einen langen Atem brauchen. Um noch einmal auf das Bild des Fußballs zurückzukommen: Die junge kosovarische Fußballmannschaft hat ihr erstes Länderspiel absolviert. Nun wird sie sich auch an der Qualifikation zur Fußballweltmeisterschaft 2018 beteiligen. Das ist sportlich der nächste Schritt. Damit der Kosovo nicht nur sportliche Fortschritte macht, braucht das Land weiterhin unsere Unterstützung, und deshalb bitte ich Sie heute um Ihre Zustimmung zur Verlängerung des KFOR-Mandates. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 18/8760 zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo, KFOR. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 18/8623 anzunehmen. Wir stimmen über diese Beschlussempfehlung namentlich ab.2 Ich möchte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer bitten, ihre Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann die Abstimmung nicht eröffnen, solange die Schriftführer nicht an den Urnen sind. – Sind jetzt alle Urnen mit Schriftführerinnen und Schriftführern besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich jetzt die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später mitgeteilt.3 Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8884. – Ich muss die Kollegen bitten, sich zu setzen; sonst können wir nämlich nicht abstimmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben noch eine lange Tagesordnung vor uns. Von daher bitte ich Sie, sich zu setzen. Ich wiederhole: Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8884. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Das ist niemand. Dann ist dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Kai Gehring, Ulle Schauws, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jung, queer, glücklich in die Zukunft – Lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Jugendliche stärken Drucksache 18/8874 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Innenausschuss Sportausschuss Ausschuss für Gesundheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin in dieser Debatte hat Beate Walter-Rosenheimer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen! Das Massaker von Orlando ist noch nicht einmal zwei Wochen her. Es war der schlimmste Anschlag eines einzelnen Täters in der Geschichte der USA, und 49 Menschen sind gestorben. Wir sind entsetzt und schockiert, und wir trauern. Ich kann heute keinen Antrag zu diesem Thema vorstellen, ohne an diese Menschen zu erinnern. Während der Eiffelturm ziemlich sofort in Regenbogenfarben erstrahlte und in Wien die Trambahnen mit Regenbogenflaggen bestückt wurden, während das britische Parlament die Regenbogenfahne hisste und am Samstag mit einem eigenen Wagen am Pride in London teilnehmen wird, haben sich die deutschen Spitzenpolitiker und Spitzenpolitikerinnen, allen voran die Kanzlerin, schwergetan, die richtigen Worte zu finden, um das Attentat auf Homosexuelle auch als solches zu benennen. Es hat vier Tage gedauert, bis die Kanzlerin reagiert und es beim Namen genannt hat. Da wünsche ich mir mehr Mut, und ich wünsche mir, dass Sie endlich Flagge zeigen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Ich möchte an dieser Stelle die Publizistin Carolin Emcke zitieren, die über das Massaker schreibt: ... wenn Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, Intersexuelle oder queere Menschen etwas miteinander gemein haben, dann die Erfahrung der Verwundbarkeit. ... dieses Gefühl der Verletzbarkeit: immer noch mit herablassenden Blicken betrachtet zu werden, wenn wir auf der Straße Hand in Hand laufen oder uns küssen, immer noch mit Schimpfwörtern bedacht und bedroht zu werden auf dem Schulhof oder in der U-Bahn oder im Netz, ... Und hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir mitten im Thema. Genau das ist der Punkt, warum wir heute unseren grünen Antrag „Jung, queer, glücklich in die Zukunft“ einbringen. Wir wollen, dass queere Menschen nicht mehr dieses Gefühl der Verwundbarkeit haben, dieses Gefühl, nicht dazuzugehören, nur weil man nicht heterosexuell liebt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Nun werden einige von Ihnen, sofern sie zuhören, sagen: Wieso? Es gibt doch in Deutschland mittlerweile die eingetragene Lebenspartnerschaft. Niemand wird mehr benachteiligt. Passt doch alles, betrifft uns nicht. – Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen: Und ob uns das betrifft! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Schwul oder lesbisch leben, queer leben stößt immer noch auf massive Ablehnung, wie wir gerade aus der aktuellen „Mitte“-Studie gehört haben. Lesben, Schwule, Bisexuelle, Intergeschlechtliche und Transgender haben ein Recht darauf, in unserer Gesellschaft selbstverständlich und sichtbar zu sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Im November letzten Jahres veröffentlichte das Deutsche Jugendinstitut eine umfangreiche Studie. Diese Studie lag sehr lange in der Schublade. Es hat viel Anschub gebraucht, um sie voranzubringen. Kai Gehring, mein Kollege, hat sich da sehr eingesetzt. Im November wurden die Ergebnisse zur Lebenssituation queerer Jugendlicher im Alter zwischen 14 und 27 Jahren veröffentlicht. Das Ergebnis ist erschreckend: 82 Prozent der befragten Jugendlichen gaben an, Angst vor Diskriminierung zu haben und/oder bereits schon Opfer von Mobbing und Diskriminierung geworden zu sein. Bei den befragten Transjugendlichen waren es sogar 96 Prozent. Was für eine Zahl, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist alarmierend; denn hinter diesen Zahlen stecken schließlich junge Menschen, die am Beginn ihres Lebens stehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Nun ist die Pubertät, ist die Jugendzeit ohnehin eine vulnerable Zeit, eine Zeit der Umbrüche und voller Selbstfindungs- und Entwicklungsprozesse. Sie ist eine empfindliche Phase. Dazu kommen bei queeren Jugendlichen – so wird es jetzt in dieser Studie beschrieben – noch die Angst, der Druck und die Unsicherheit. Sie fürchten sich davor, ihre Freunde zu verlieren, sowie vor Mobbing in der Schule oder beim Sport. Sie haben Angst vor den Reaktionen von Menschen, die sie lieben. „Schwul“ ist eine der häufigsten Beschimpfungen auf deutschen Schulhöfen. Schule ist immer noch – und sogar wieder vermehrt – ein homophober Ort. Nachdem nun endlich aussagekräftige Zahlen vorliegen, gilt es, die politischen Stellschrauben so zu verändern, dass queere Jugendliche unter den gleichen Bedingungen wie heterosexuelle Gleichaltrige aufwachsen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Das, meine lieben Kolleginnen und Kollegen auch von der Union, ist kein grüner Plan, keine grüne Vision. Nein, dieser Anspruch leitet sich aus den Kinder- und Jugendrechten der UN-Kinderrechtskonvention ab. Und Deutschland hat sich schließlich verpflichtet, sie einzuhalten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Hier muss die Bundesregierung einfach mehr tun. Sie darf nicht so tun, als gäbe es diese Probleme gar nicht. Auch hier braucht es mehr Mut. Wir legen mit unserem Antrag heute konkrete Vorschläge dazu vor. In Deutschland beginnen jetzt in diesen Tagen die CSDs. Viele Menschen machen sich Sorgen über die zunehmende homo- und transphobe Entwicklung. Wir brauchen genau jetzt ein starkes Bündnis aus Politik und Zivilgesellschaft, damit Lesben, Schwule, Bisexuelle, Intergeschlechtliche, Transgender und queere Menschen, damit wir alle offen und frei in der Mitte unserer Gesellschaft leben können. Lassen Sie uns zusammenstehen gegen Homophobie und Transphobie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Bevor ich Gudrun Zollner von der CDU/CSU-Fraktion als nächster Rednerin das Wort erteile, möchte ich das Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt geben. Wir haben über den Antrag der Bundesregierung „Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien (jetzt: Republik Serbien) und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999“ auf den Drucksachen 18/8623 und 18/8760 abgestimmt. Abgegeben wurden 572 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 502 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein haben gestimmt 64, und enthalten haben sich 6 Kolleginnen und Kollegen. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen worden. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 572; davon ja: 502 nein: 64 enthalten: 6 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Norbert Brackmann Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Jutta Eckenbach Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Kordula Kovac Michael Kretschmer Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Alexander Radwan Alois Rainer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Iris Ripsam Johannes Röring Kathrin Rösel Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Ronja Schmitt Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Stritzl Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Kai Wegner Dr. h.c. Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr. h.c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Martin Gerster Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoğuz Markus Paschke Christian Petry Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Dirk Wiese Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Irene Mihalic Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Nein SPD Klaus Barthel Dr. Ute Finckh-Krämer Waltraud Wolff (Wolmirstedt) DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jutta Krellmann Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Michael Schlecht Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Dr. Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Sylvia Kotting-Uhl Hans-Christian Ströbele Enthalten SPD Petra Hinz (Essen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Monika Lazar Peter Meiwald Beate Müller-Gemmeke Lisa Paus Corinna Rüffer Wir fahren in der Debatte fort. Gudrun Zollner hat das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Gudrun Zollner (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf den Tribünen! Jedes Kind ist ein Geschenk Gottes, und Eltern sollten dieses Geschenk freudig annehmen, unabhängig davon, ob das Kind ein Mädchen oder ein Junge ist, ob es gesund oder behindert ist oder mit welcher sexuellen Identität es geboren wird; (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) denn jedes Kind kommt mit dem Recht auf die Welt, angenommen und geliebt zu werden – ohne Beschimpfungen, ohne Mobbing, ohne Gewalt. Meine Generation und zwei, drei Generationen davor sind mit der Gesetzeslage groß geworden, die es ermöglichte, homosexuelle Handlungen von Männern unter Strafe zu stellen. Wir lernten also, dass Schwulsein abzulehnen sei. Dieser Irrglaube ist Gott sei Dank aus der Welt. Weitere Maßnahmen müssen nun folgen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Es ist deshalb wichtig, dass wir Eltern unseren Kindern Werte wie Freiheit, Gleichheit, Respekt, Weltoffenheit, Toleranz und Akzeptanz mitgeben. Schon Augustinus sagte: „Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen.“ Sehr geehrte Damen und Herren, geschockt und entsetzt blicken wir auf die Tat von Orlando, durch die uns eindringlich bewusst wurde, zu was Intoleranz und homophober Hass führen können. Wir als CDU/CSU-Fraktion verurteilen Homophobie und Anschläge dieser Art aufs Schärfste. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir stehen für Chancengleichheit aller Menschen ein, unabhängig von Alter, Geschlecht, Religion, Herkunft oder sexueller Orientierung. Die LSU und die „Wilde 13“ sind der beste Beweis. Unsere eigene Emanzipationsgeschichte zeigt, dass lesbische, schwule, bisexuelle, transgender und intersexuelle Menschen in unserem Land noch nie so frei und selbstbestimmt leben konnten wie jetzt, und das ist auch gut so. Wir alle erinnern uns sicher noch gut an die Zeit unserer eigenen Pubertät, (Michaela Noll [CDU/CSU]: Ist schon lange her!) diese schwierige Zeit der eigenen Persönlichkeitsfindung. Es gibt aber auch Jugendliche, die genau in dieser Zeit der Bewusstwerdung über die tatsächliche geschlechtliche Zugehörigkeit ein Gefühl der Andersheit entwickeln, oft auch schon während der Grundschulzeit. Die Unsicherheit beim inneren Coming-out, das als nicht passendes sexuelles oder geschlechtliches Erleben wahrgenommen wird, führt zu großen Belastungen und Ängsten, leider auch viel zu häufig zu Suizid. Wieder sind es die Eltern, die sich an das Geschenk der Geburt erinnern sollten und ihre Kinder so annehmen sollten, wie sie nun einmal sind: lesbisch, schwul oder transgender. (Beifall im ganzen Hause) Viele sind mit dieser Situation aber regelrecht überfordert. Die Reaktionen reichen leider oft von deutlicher Ablehnung bis hin zum – schlimmstenfalls – Beziehungsbruch. Ich durfte am Fachtag „Homosexualität in der Familie – Angehörige kompetent begleiten“ in Berlin teilnehmen. Hier wurde eine Studie vorgestellt, die von 2011 bis 2014 vom Familienministerium gefördert wurde und die Herausforderungen für familienbezogenes Fachpersonal in Einrichtungen der sozialen Arbeit dokumentierte. Bei der Veranstaltung „Sexualität – Identität – Geschlecht: Akzeptanz von Vielfalt in Bildung und Sport“ im vergangenen November am Pädagogischen Institut in München konnte ich als Podiumsgast das Forschungsprojekt „Coming-out – und dann ...?!“ kennenlernen. Das ist übrigens die Studie, von der die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen berichtet. Die Finanzierung erfolgte überwiegend aus Mitteln des Familienministeriums und der Länder. Projektförderungen kamen auch aus dem Bundesministerium für Bildung und Forschung und von der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld. Die Studie zeigt aber auch, dass ein neues Verständnis und eine neue Normalität sexueller und geschlechtlicher Vielfalt vorhanden sind. Aber ja, es gibt sie leider auch, die Anfeindungen, Beschimpfungen und die Gewalt gegen die LGBTI-Jugendlichen auf den Schulhöfen. Es ist unser aller Aufgabe, dem entschieden entgegenzutreten. Mehr als die Hälfte der Jugendlichen befürchten darüber hinaus, durch ein Coming-out Probleme im Bildungs- und Arbeitsbereich zu bekommen. Sie stehen daher vor der großen Herausforderung, sich in der Gesellschaft zu verorten. Eine große Unterstützung wäre es für diese Schüler, wenn endlich auch mehr Pädagogen den Mut aufbringen würden, sich zu outen. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Denn wie immer im Leben braucht es Vorbilder. Vorbildlich war auch das Outing von Thomas Hitzlsperger; denn die Erzählungen von Jugendlichen zeigen, wie stark Fußball Erwartungen an bestimmte Geschlechterrollen prägt und transportiert. Deshalb freue ich mich sehr, dass DFL-Präsident Dr. Reinhard Rauball jedem Fußballer seine persönliche Unterstützung zugesagt hat, der diesen Schritt gehen möchte – vielleicht sogar jetzt während der EM? (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Vorbilder müssen aber auch wir Politiker sein. Parteipolitische verbale Attacken, besonders zu diesem Thema, bringen uns und die Gesellschaft nicht weiter, ganz im Gegenteil. Deshalb sollte die Diskussion um ein Wort mit drei Buchstaben endlich ein gütliches Ende haben. Wenn zwei sich lieben und heiraten wollen, sollten wir es „Ehe“ auf der einen Seite und zum Beispiel „Lebensbund“ auf der anderen Seite nennen. (Mechthild Rawert [SPD]: „Ehe“ reicht!) Werte Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, ich möchte mich für Ihren Antrag bedanken. Er gibt mir die Möglichkeit, einmal aufzuzeigen, was vonseiten der Regierungskoalition zu diesem Thema alles unternommen wird. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja nicht so viel! Sie haben ja auch nicht mehr so viel Zeit!) Neben den beiden Projekten, die ich bereits erwähnt habe, wurde im Jahr 2014 innerhalb des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend das Referat „Gleichgeschlechtliche Lebensweisen, Geschlechtsidentität“ neu eingerichtet, das zudem koordinierender Ansprechpartner für Länder, Betroffenenorganisationen und Verbände ist. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Frau Zollner, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Künast zu? Gudrun Zollner (CDU/CSU): Ja, gerne. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Kollegin, ich war beeindruckt, als Sie sich gerade gewünscht haben, dass sich jemand von den Fußballern outet, vielleicht noch während der EM. Quer durch den Saal haben daraufhin einige applaudiert. Das fand ich gut. Es erfordert nämlich Mut von einem Sportler, sich auch noch während eines Wettbewerbs zu outen, in dem er sich ja konzentrieren will. Mir wäre auch jeder andere Zeitpunkt recht. Punkt! (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei der Siegerehrung!) – Volker schlägt vor: bei der Siegerehrung. Okay. Ich will auf etwas anderes hinaus. Erst sagen Sie, Sie wünschten sich, dass sich jemand outet, vielleicht noch bei der EM, bei der Siegerehrung oder beim Fest nachher am Brandenburger Tor. Wer weiß es? Aber warum haben Sie, Frau Zollner, dann nicht umgekehrt den Mut, beides „Ehe“ zu nennen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der LINKEN und der SPD) Sie haben erst über den Mut geredet, sich zu outen, und dann haben Sie gesagt, wir sollten den Streit um ein Wort mit drei Buchstaben beenden. Nach Ihnen soll das eine „Ehe“ heißen und das andere „Lebensbund“. Das habe ich jetzt muttechnisch nicht verstanden. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Gudrun Zollner (CDU/CSU): Ich glaube, die Diskussion dreht sich leider immer nur um diesen Begriff. Es geht doch eigentlich um viel mehr. (Dagmar Ziegler [SPD]: Eben! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Diskussion dreht sich immer nur um die Union! – Weitere Zurufe) Es gibt die Gleichstellung, auch wenn man es etwas anders nennt; ich bin fest davon überzeugt. (Beifall des Abg. Martin Patzelt [CDU/CSU]) Wir tun niemandem etwas Böses. Es geht doch darum, dass man den heiraten darf, den man heiraten will. Wie das im Endeffekt heißt, ist doch eigentlich nicht mehr relevant. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn das so egal ist, dann nennen wir es doch „Ehe“!) Ich gebe zu: „Eingetragene Lebenspartnerschaft“ ist ein fürchterliches Wort. Darum war mein Vorschlag, um etwas Druck rauszunehmen: Lebensbund. Das ist, finde ich, ein toller Name. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sönke Rix [SPD]: Das ist immerhin besser als der Rest Ihrer Kollegen! – Zuruf der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Frau Zollner, es gibt die Bitte nach einer zweiten Zwischenfrage. Gudrun Zollner (CDU/CSU): Herr Beck. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Zollner, ich weiß, dass wir da eigentlich gemeinsam in eine Richtung ziehen wollen – im Sinne von Gleichberechtigung und Akzeptanz. Gudrun Zollner (CDU/CSU): Genau. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Trotzdem wollte ich den Satz: „Es ist egal, wie das heißt“, nicht ganz so stehen lassen. Abgesehen davon, dass ich finde: „gleiche Rechte, gleiche Würde, Augenhöhe“ heißt auch „gleicher Name“. (Beifall des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Gudrun Zollner (CDU/CSU): Nein. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist nicht nur ein Streit um Worte in einem Gesetzestext, sondern es hat leider auch praktische Auswirkungen, und zwar dann, wenn es sich um Menschen handelt, die aus dem Ausland herkommen, um hier eine Partnerin oder einen Partner zu heiraten. Gudrun Zollner (CDU/CSU): Heiraten! Genau das ist das Wort: heiraten. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lassen Sie mich kurz ausreden. – Dann steht in allen Dokumenten inklusive Visum zur Einreise in die Bundesrepublik Deutschland: Visumsgrund: Eingehung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. – Das ist eine Zusatzinformation im Pass, die in Verfolgerstaaten nicht irrelevant ist. Ich habe in meinem Büro für jemanden aus München Probleme lösen müssen. Da kam jemand aus dem Jemen, einem Verfolgerland, und es gab Riesenprobleme, die Unterlagen für die Ehe, das Ehefähigkeitszeugnis, zu bekommen. Man muss sagen, wozu man es braucht. Man braucht es hier nicht zu einer Eheschließung. Man hat dann das Problem, dass „eingetragene Lebenspartnerschaft“ im Pass steht, und diese Information kann dazu führen, dass die Person dann am Ende nicht ausreisen kann, weil sie Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt wird. Deshalb ist es keine Lappalie, ob es gleich heißt. Wenn es gleich heißt, ist das auch ein Moment des Datenschutzes. Man muss dann nicht bei jeder Gelegenheit offenbaren, dass man in einer homosexuellen Lebenspartnerschaft lebt – es heißt dann nämlich, dass man in einer Ehe lebt –; das geht, wenn man es nicht will, die Behörden und sonst jemanden einfach nichts an. Deshalb bitte ich, darüber auch noch einmal in praktischer Hinsicht nachzudenken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Gudrun Zollner (CDU/CSU): Ich habe es nie als Lappalie bewertet. Wir haben bereits dieses Gespräch geführt: Verheiratet oder verpartnert? Da sind wir eh schon auf einem guten Weg, das einfach „verheiratet“ zu nennen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich dachte, „Lebensbund“! – Weitere Zurufe) – Ich mache jetzt einfach mal weiter. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Des Weiteren wurde eine interministerielle Arbeitsgruppe zur Situation trans- und intergeschlechtlicher Menschen eingerichtet. Die vielfältigen und für die Betroffenen schwerwiegenden Problembereiche sollen dort angemessen beleuchtet und gegebenenfalls gesetzgeberischen Lösungen zugeführt werden. Darüber hinaus gab es vom Familienministerium den Kongress „Respekt statt Ressentiment – Strategien gegen die neue Welle von Homo- und Transphobie“, der 2015 durchgeführt wurde. Nicht zu vergessen das Modellprojekt „Beratungskompetenz zu Regenbogenfamilien“, das zusammen mit dem LSVD angeboten wird! In diesem Zusammenhang leistet die 2011 errichtete Bundesstiftung Magnus Hirschfeld hervorragende Arbeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich möchte mich an dieser Stelle insbesondere bei den zahlreichen Verbänden bedanken, die besonders zum Erfolg dieser Projekte beigetragen haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Wir alle möchten unsere nächsten Generationen stärken, natürlich auch die lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Jugendlichen. Aber gerade wenn es um den Bereich „Schulen und Lehrpläne“ geht, wie im Antrag aufgeführt, ist es Aufgabe der Länder und nicht Aufgabe des Bundes. (Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir näher ausgeführt!) Von daher können wir uns dem heute vorliegenden Antrag nicht anschließen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr schade!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Harald Petzold von der Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kolleginnen Walter-Rosenheimer und Zollner haben auf das schreckliche Attentat in Orlando hingewiesen, bei dem 49 Menschen umgebracht und 53 schwer verletzt worden sind. Ich möchte zur Reaktion der Kanzlerin nur so viel sagen: Ich bin natürlich sehr berührt davon gewesen, dass sie gesagt hat, ihr Herz sei schwer angesichts der Opfer. Das ging mir ähnlich. Gleichwohl hat sie mich ratlos zurückgelassen, was ihr Bauchgefühl anbelangt, das bislang erfolgreich verhindert hat, dass wir zu einer vollständigen Gleichstellung von queeren Menschen in unserem Land kommen, das bisher leider verhindert hat, dass wir Menschen, die nach 1945 nach § 175 StGB verurteilt worden sind, endlich rehabilitieren und auch entschädigen können, und das eben leider nicht dazu beiträgt, dass wir zu einer vollständigen Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern und intergeschlechtlichen Menschen in der Gesellschaft kommen. So sehr, wie ich bei Ihrer Rede geklatscht habe, liebe Kollegin Zollner: Es ist Ihnen möglicherweise nicht entgangen, dass bei einigen Passagen Ihrer Rede die linke Hälfte des Hauses stärker geklatscht hat als die rechte. Das ist der Punkt, an dem wir noch ganz viel Arbeit zu leisten haben. Es gibt eben leider einen Zusammenhang zwischen der Nichtgewährung gleicher Rechte und solchen Ergebnissen wie dem von der enthemmten Mitte der Gesellschaft, wie wir sie in der Studie der Universität Leipzig, der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Heinrich-Böll-Stiftung präsentiert bekommen haben, und es gibt eben leider auch einen Zusammenhang dazu, dass sich Menschen dann ermutigt fühlen, Gewalt auszuüben, andere zu diskriminieren und Menschen auszugrenzen. Das ist die Herausforderung, vor der wir stehen. Deswegen bin ich den Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen sehr dankbar für diesen Antrag, der uns heute erstens diese Debatte bringt und zweitens auch noch einmal deutlich macht, welche Verantwortung wir gerade für junge Menschen und ihre Zukunft haben. Wenn es von meiner Seite überhaupt einen Punkt der Kritik gibt am Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, dann ist es die Frage, liebe Bündnisgrünen: Warum habt ihr nicht die Größe, auf das ganze Land zu schauen? Ihr zählt nur die vielen hervorragenden Beispiele aus NRW und Rheinland-Pfalz auf. Es war 2010 in Berlin, als die rot-rote Initiative „Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt“ – die Grünen haben parallel dazu einen eigenen Antrag zu einem Aktionsplan gegen Homophobie eingebracht, zu dem es eine gemeinsame Abstimmung gab – (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beispiele sind vom Charakter her immer beispielhaft!) ein wunderbares Aktionsprogramm auf den Weg gebracht hat. (Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) Ich kann nur sagen: Wir sollten den Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtlern des LSVD, von ABqueer, des Jugendnetzwerkes Lambda – die Liste ließe sich fortsetzen – sowie den vielen Initiativen und Projekten dankbar sein, die an der Umsetzung dieses Planes erfolgreich arbeiten. Liebe Mechthild Rawert, wenn du klatschst, freue ich mich natürlich darüber, aber wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass der gegenwärtige Berliner Senat an dieser Stelle noch ein bisschen mehr tun könnte als das, was er im Moment tut, damit die Initiative nicht einschläft. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb haben wir die nicht als Beispiel gewählt!) Es waren auch grüne Abgeordnete in Brandenburg, die mit dazu beigetragen haben, dass es jetzt auch in meinem Bundesland einen Aktionsplan gegen Homophobie und für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt gibt. Man muss auch sagen, dass es seit Mitte der 90er-Jahre eine regenbogenbunte Aufklärungs- und Informationstour „Brandenburg bleibt bunt!“ gibt, die genau das macht, was ihr in eurem Antrag an Aufklärungskampagnen für Jugendliche fordert. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen das jetzt bundesweit! Das ist der Kern des Bundestagsantrags! – Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen das bundesweit! – Sönke Rix [SPD]: Halten wir fest: Bei allen Sachen ist die SPD dabei!) Wir sollten, wenn wir davon sprechen, dass wir uns für die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen starkmachen wollen, durchaus auch die positiven Beispiele, die hier in Berlin oder auch in Brandenburg inzwischen auf den Weg gebracht worden sind, nennen. Wie gesagt, der einzige Kritikpunkt, den ich an diesem Antrag hätte, wäre: Warum nur NRW und Rheinland-Pfalz? Ich bin sehr gespannt auf die Diskussion in den Ausschüssen. Die Rede der Kollegin Zollner hat mich auch ein bisschen ermutigt, dass die Diskussionen in der Unionsfraktion weitergehen. Liebe Kollegin Zollner, gehen Sie zur Bundeskanzlerin und sagen Sie ihr, sie soll ihr schlechtes Bauchgefühl endlich ablegen, damit dieser Antrag nicht das gleiche Schicksal erleidet wie die Gesetzesinitiativen von Linken und Bündnis 90/Die Grünen zur Öffnung der Ehe und in den Ausschüssen verschmort, sondern damit wir hier im Deutschen Bundestag endlich Taten sehen. Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Susann Rüthrich von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Susann Rüthrich (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Politikerinnen, Politiker, Ex-Fußballer, Fernsehstars: Schwules und lesbisches Leben ist in Deutschland zum Glück kein allzu starkes Tabu mehr. Einzelne queere Prominente sind ein wichtiges Zeichen gerade für Jugendliche. Eine noch größere Sichtbarkeit etwa von Trans- und Intermenschen wäre aber nötig; denn für Jugendliche auf der Suche nach der eigenen Lebensform ist es wichtig, auch verschiedene Rollenbilder zu sehen. Frei von Diskriminierung ist das queere Leben leider trotzdem noch nicht – weder in den Medien noch in den Schulbüchern und leider auch nicht in unseren Gesetzen. Das bleibt nicht ohne Folgen für die jungen Menschen. Ja, was bedeutet das für queere junge Menschen? Was wissen wir denn eigentlich von ihnen? Dass die Jugend eine absolut prägende und einzigartige Zeit ist, wissen wir. Deswegen hat sich das Bundesfamilienministerium mit Manuela Schwesig auf die Fahnen geschrieben, eine eigenständige Jugendpolitik zu machen. Wir wissen auch, „die Jugend“ gibt es heute gar nicht, schon gar nicht „die Jugend von heute“. Die Jugendlichen sind sehr vielfältig und haben nicht alle die gleichen Bedürfnisse. Aber was bedeutet das nun wieder für die Jugendlichen? Um die Bedeutung zumindest für die queeren Jugendlichen besser zu verstehen, hat das Bundesfamilienministerium gemeinsam mit der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld die Studie des Jugendinstitutes „Coming-out – und dann …?!“ gefördert. Es wurde schon erwähnt: Die Ergebnisse sind absolut eindrücklich. Sehr viele Jugendliche, die eben nicht hetero lieben oder die sich nicht in der zugewiesenen Kategorie Junge/Mädchen, Mann/Frau selbst erkennen, berichten davon, dass sie aus Angst vor den Reaktionen von Freunden und Familie ihre wahren Gefühle lange verdrängten. Während dieser meist jahrelangen Unterdrückung der tatsächlichen sexuellen und geschlechtlichen Identität entwickeln sich oft psychische oder psychosomatische Symptome. Die Zahl der Suizidversuche und Suizide bei diesen Jugendlichen ist signifikant höher. Vielen Betroffenen ist ja lange klar, was sie eigentlich fühlen und erleben. Die Mutter eines Transkindes hat uns im letzten Jahr in der Kinderkommission berichtet, dass ihr Kind bereits mit vier Jahren gesagt hat: Mama, ich bin ein Junge. – Es wollte nicht als Mädchen angesprochen werden. Das öffentliche Coming-out – das sagt die Studie – gerade bei Transpersonen findet im Durchschnitt mit 18 Jahren statt. Das innere Coming-out liegt oft weit, weit vor dem öffentlichen Coming-out. Was bedeutet es für die Zukunft und Identität von intergeborenen Kindern, wenn sie begreifen, dass Ärzte und Eltern eine irreversible Operation nach der Geburt zur „Anpassung“ des Geschlechts an die optischen Merkmale von Junge oder Mädchen vorgenommen haben? Damit sind nicht selten lebenslange Hormontherapien, Unfruchtbarkeit und Fremdheitsgefühl im eigenen Körper verbunden. Wie geht es denn einem Jugendlichen damit, wenn „schwul“ das verbreitetste Schimpfwort auf einem Schulhof ist? Wem fällt denn dann das eigene Coming-out leicht? Das alles sind Beispiele, die zeigen, unter welchem enormen Druck diese Jugendlichen stehen. Gerade Schule spielt da eine zentrale Rolle. Das ist ein Lebensbereich, dem sich kein Jugendlicher entziehen kann. (Sönke Rix [SPD]: Möchte er aber manchmal!) Und es gibt immer wieder Beispiele, in denen Schulleitungen, Lehrkräfte und dann auch die Mitschülerinnen und Mitschüler völlig überfordert sind von dem Thema. Das ist ja auch kein Wunder: Solange in Schulmaterialien nur heterosexuelle Lebens- und Liebensweisen und eine klare Zweigeschlechtlichkeit reproduziert werden, so lange wird das andere Empfinden als Abweichung empfunden. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Wir haben also noch einen Weg vor uns, damit alle Jugendlichen tatsächlich ihre Persönlichkeit frei entfalten können, wie es das Grundgesetz garantiert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, was ist zum Beispiel zu tun? Klar, das fängt – erstens – an mit Unterstützung, Beratung und Begleitung dieser Jugendlichen, zweitens der Fachkräfte und drittens der Lehrer. Dafür gibt es in Deutschland – Herr Petzold hat das gerade gesagt – hervorragende und spezialisierte Beratungsstellen. Diese müssen eine verlässliche und ausreichende Finanzierung und strukturelle Absicherung haben. Doch diese spezialisierten Beratungsstellen und Initiativen reichen allein nicht; denn sie sind eben nicht überall für jeden Jugendlichen in erreichbarer Nähe. Dafür braucht es mehr: zum einen digitale Informationsangebote, zum anderen die Verankerung der Themen genau dieser Jugendlichen in allen Regelstrukturen, in allen Beratungsstrukturen und in der gesamten Jugendhilfe. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Beratung darf sich aber nicht nur auf die Schule richten, sondern muss sich genauso auf Kita, Arbeitswelt, Vereine und Freizeiteinrichtungen richten. Aber es fängt noch früher an, wie wir in der interfraktionellen Arbeitsgruppe „inter und trans“, zu der ich einlade, festgestellt haben. Wir sind für ein Verbot von geschlechtsanpassenden Operationen an nicht einwilligungsfähigen Interkindern, es sei denn, es bestünde Gefahr für Leib und Leben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die interministerielle Arbeitsgruppe unter Leitung des Familienministeriums prüft derzeit die Notwendigkeit eines Verbots. Ich hoffe auf eine Klarstellung im Sinne der Selbstbestimmung und des Rechts auf eine offene Zukunft für diese betroffenen Kinder. Dabei ist klar: Die Familien dürfen mit der Situation nicht alleingelassen werden und brauchen Beratung und Unterstützung. Diskriminierung, ja sogar Pathologisierung, ist nicht weiter hinnehmbar. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deswegen wollen wir im Nationalen Aktionsplan gegen Diskriminierung klarstellen: Es müssen die Merkmale „sexuelle und geschlechtliche Identität“ enthalten sein. Deshalb muss er erweitert werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, alle Jugendlichen sollen sich zu der Persönlichkeit entwickeln können, die sie selbst in sich wissen. Wir haben die Aufgabe sowohl als Politik als auch als Gesellschaft, sie dabei nach besten Kräften zu unterstützen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Markus Koob von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Markus Koob (CDU/CSU): Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon von meinen Vorrednern heute angesprochen worden: Diese Debatte steht unter dem Vorzeichen der schrecklichen Ereignisse von Orlando, die noch keine zwei Wochen her sind, bei denen 49 junge lesbische, schwule, bi-, trans- und intersexuelle Menschen ihrer Zukunft beraubt wurden und ihr Leben gelassen haben. Dieser menschenverachtende Anschlag hat uns einmal mehr vor Augen geführt, dass freie, tolerante und offene Gesellschaften angreifbar sind, und der Weg, den wir gehen, um homophobe Vorurteile abzubauen, noch nicht zu Ende sein kann. Zwar ist die Dimension dieses homophoben Hassverbrechens von Orlando in der westlichen Welt einzigartig, homophobe Hassverbrechen sind es bedauerlicherweise nicht. 2015 gab es in Deutschland offiziell 220 Straftaten aufgrund sexueller Orientierung. Die Dunkelziffer wird auf ein Vielfaches geschätzt. Erst im vergangenen Monat wurde beispielsweise eine Frau in der Berliner S-Bahn homophob beschimpft und ihr ins Gesicht geschlagen. Die Ausnahme ist hier nicht das Verbrechen, sondern dass das Opfer die Tat zur Anzeige gebracht hat. In Zukunft müssen mehr Opfer diesen Weg gehen, damit die Möglichkeit besteht, diese Täter aus dem Verkehr zu ziehen, damit unsere Kinder und Jugendlichen frei von Hass und Gewalt, unabhängig von der eigenen sexuellen Identität glücklich in die Zukunft gehen können. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In der Leipziger „Mitte“-Studie, die vor zwei Wochen veröffentlicht wurde, erklärten 40,1 Prozent der Befragten, dass es ekelhaft sei, wenn sich Homosexuelle in der Öffentlichkeit küssen. 24,8 Prozent der Befragten halten Homosexualität generell für unmoralisch. Diese Resultate sind schlimm und zeigen zugleich das Gefährdungspotenzial, das es trotz aller Fortschritte der letzten Jahre und Jahrzehnte für unsere homo-, bi-, trans- und intersexuellen Jugendlichen, aber auch Erwachsenen in Deutschland gibt. Die Gesellschaft und wir als Politikerinnen und Politiker dürfen niemals zulassen, dass Liebe und das Zeigen dieser Liebe als ekelhaft bezeichnet werden dürfen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir müssen Homophobie und Transphobie ebenso entschlossen entgegentreten, darüber aufklären und argumentieren, wie wir es bei Rassismus, Xenophobie und Sexismus ebenfalls machen. Menschen werden homo-, hetero- oder bisexuell geboren. Das ist kein Lifestyle, den man sich aussuchen oder wechseln kann, für oder gegen den man sich entscheiden kann. Das ist schlicht und ergreifend die eigene biologische Identität. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Bevor ich mich inhaltlich den Forderungen Ihres Antrags zuwende, möchte ich noch einmal sehr deutlich machen, dass ich, wie auch der überwiegende Teil der deutschen Gesellschaft, jegliche Form der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung aufs Schärfste verurteile. Gesellschaftliche Minderheiten aller Art genießen in Deutschland Schutz und alle Rechte, die das Grundgesetz jedem Menschen zugesteht. Diskriminierung, Gewalt oder Hass gegen Homo-, Bi-, Trans- oder Intersexuelle sind ein Angriff auf die gesamte Gesellschaft, da sie den Boden unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, den Boden unseres Grundgesetzes verlassen. Trotz des Weges, der vor allem auf gesellschaftlicher Ebene noch vor uns liegen mag, dürfen wir nicht vergessen, von wo wir gekommen sind: Bis 1990 galt Homosexualität noch als Krankheit, und sexuelle Handlungen unter Männern waren bis vor 22 Jahren strafbar. In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten wurde ein langer Weg zurückgelegt. Als heterosexueller Mann kann ich mich nur sehr schwer in die Lage versetzen, wie es sein muss, dass das Bekenntnis zur eigenen Sexualität den Frieden und die Harmonie innerhalb einer Familie stören und die eigene Zukunft verändern kann. Für LSBTI-Jugendliche – ich verwende jetzt der Einfachheit halber die Abkürzung; ich habe da auch dazugelernt – muss es eine sehr schwere Entscheidung sein, sich Freunden und Familienmitgliedern anzuvertrauen. Auch heute führen Coming-outs nicht selten zu Spannungen und Zerwürfnissen in den Familien und Freundeskreisen. Auch ein einfaches Händchenhalten führt in der Öffentlichkeit schnell zu Spannungen und Beleidigungen. Die Schulzeit begleitet von homophoben Beschimpfungen zu überstehen, wenn man als Person selbst noch nicht gefestigt ist, ist herausfordernd. Das Leben der eigenen Sexualität ähnelt für Homo-, Bi-, Trans- und Intersexuelle oftmals einem Spießroutenlauf und verlangt von ihnen viel Selbstbewusstsein. Ich ziehe daher meinen Hut vor dem aufrechten Gang so vieler LSBTI. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) In Ihrem Antrag fordern Sie uns auf, bei den Ländern darauf hinzuwirken, die positive Darstellung der Vielfalt der Familienmodelle und Lebensweisen in den Schul- und Lehrbüchern sowie Lehrplänen zu verankern. Liebe Grüne, es tut mir als CDUler durchaus etwas weh, aber Sie sind ja mittlerweile, was die Vertretung in den Landesregierungen angeht, stärker als meine eigene Partei. Die von Ihnen adressierten Themen liegen in der Zuständigkeit der Länder. Ich habe da – vielleicht im Gegensatz zu Ihnen – sehr hohes Vertrauen in die Kolleginnen und Kollegen, die in Ihren Landesregierungen sitzen, dass sie dieses Thema dort ansprechen, wo es eben auch geregelt werden muss. (Beifall der Abg. Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]) Eine Bevormundung durch den Bund benötigen wir sicherlich nicht. Der richtige Ort für eine Koordinierung Ihres Anliegens ist die Kultusministerkonferenz und nicht der Deutsche Bundestag. (Beifall des Abg. Maik Beermann [CDU/CSU] – Dagmar Ziegler [SPD]: Das stimmt! – Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielen Dank für das Vertrauen!) Auch für geeignete Aus- und Weiterbildungsprogramme für Lehrkräfte sind die Kultusminister der Länder verantwortlich. Ich glaube an die Arbeit der Verbände und Vereine, die sich um junge homo-, bi-, trans- und intersexuelle Menschen kümmern. Ich möchte ihnen an dieser Stelle für ihre hervorragende Arbeit danken. In Ihrem Antrag gehen Sie zu Recht auf die gute Arbeit ein, die dort geleistet wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zahlreiche Menschen arbeiten täglich daran, dass die Kinder und Jugendlichen heute unbeschwerter mit ihrer eigenen Sexualität aufwachsen können als alle Generationen vor ihnen. Das ist zuallererst ein Erfolg der Community und ihrer vielen Unterstützerinnen und Unterstützer. Informationsmaterialien, wie Sie sie in Ihrem Antrag fordern, gibt es meines Erachtens von den Vereinen und Verbänden der Community schon heute in ausreichender Zahl. Manchmal erreicht man durch Quantität eher das Gegenteil von dem, was man sich wünscht. Qualitativ hochwertige Informationen findet man bereits heute zahlreich im Internet, ebenso Beratungsangebote, auch zielgruppenspezifische. Zudem frage ich mich, welches Bild Sie von der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland haben, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein sehr positives!) wenn Sie es für nötig erachten, das Sozialgesetzbuch VIII zu ergänzen, um die Grundrichtung der Erziehung der LSBTI sicherzustellen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind doch so gut in die Rede gestartet!) Ihrem Wunsch nach einer alle vier Jahre erscheinenden Studie zur Lebenssituation lesbischer, schwuler, bisexueller, trans- und intergeschlechtlicher Jugendlicher kann ich durchaus etwas abgewinnen. Der Rest Ihres Antrags besteht aus Forderungen nach Aktionsplänen, Pilotprojekten, Kampagnen und Koordinierungsstellen – viele neue Bürokratiestrukturen, anstatt existierende Strukturen einfach zu nutzen und weiterzuentwickeln. Sie haben ein hehres Ziel, für das ich persönlich durchaus viele Sympathien habe. Bei der Erreichung dieses Ziels gehen wir aber getrennte Wege, so auch bei diesem Antrag. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also machen Sie Ihren Aktionsplan gegen Homophobie nicht mehr? – Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Schade, schade, schade!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Dr. Karl-Heinz Brunner von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Die Kollegin Walter-Rosenheimer hat – wie auch die Kollegin Zollner und der Kollege Koob – bereits ausgeführt, dass im sonnenverwöhnten Orlando bei einem sinnlosen, brutalen und selbstzerstörerischen Anschlag 49 Menschen ihr Leben gelassen haben. Aber auch ihre Träume, ihre Sehnsüchte, ihre Lebensplanungen – all das, was sich jeder von uns wünscht, und junge Menschen erst recht – wurden zerstört und zunichtegemacht. Und warum? Aus Hass, vielleicht aus Selbsthass, vielleicht aus Abneigung gegen Schwule, gegen Lesben, Trans und Queere, sicher aber aus Homophobie in seiner widerlichsten Fratze. Aber was geschah nach der Erkenntnis, dass es kein IS-Anschlag war, dass nicht der islamistische Terrorismus dahintersteckte? Eigentlich nichts, weder in der Gesellschaft noch in der Politik. Wo waren denn wie beim Anschlag auf das Magazin Charlie Hebdo die breite Solidarität, die Aufkleber, die Transparente? Ich hätte mir gewünscht, dass es hier in Deutschland ebenfalls Transparente mit der Aufschrift „Je suis gay“ – ich bin schwul, ich bin lesbisch, ich bin queer – gibt. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich hätte mir Solidaritätsbekundungen gegenüber denjenigen gewünscht, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren auf den Tribünen, denen der Angriff galt. Leider Fehlanzeige! Ich sage: Welch fatales Signal! Wie müssen sich junge Menschen in unserem Land in der Phase der Selbstfindung, die die Kollegin Zollner so treffend dargestellt hat, in der Phase der Pubertät in der Schule, im Sport, in Vereinen und in der Familie fühlen? Die jungen Menschen müssen gerade in dieser Lebensphase wissen – das sage ich an uns gerichtet –: Ihr gehört zu uns, wir sind für euch da. Ich würde fast sagen – biblisch gesprochen –: Fürchtet euch nicht in diesem Land. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich bin den Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen außerordentlich dankbar, dass sie das Thema „jung, queer, glücklich“ auf die Agenda gesetzt haben und dabei die gleichen Fragen stellen, die uns bewegen und die wir Sozialdemokraten uns bereits im Frühjahr im Rahmen unseres Dialogforums gestellt haben. Gemeinsam mit Fachleuten sind wir der festen Überzeugung: Wir brauchen in diesem Land ein breites Bündnis gegen Trans- und Homophobie. Wir brauchen Aufklärung statt Angst. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir sind der Auffassung, dass sich der Einsatz – der Staatssekretär ist noch anwesend – unseres Bundesministeriums des Innern deutlich verbessern lässt und freuen uns, wenn diesem Hohen Haus endlich ein beratungsfähiger nationaler Aktionsplan gegen Homophobie vorgelegt wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Denn so steht es im Koalitionsvertrag, und so, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen wir es, wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten erst recht. Eines wollen wir nicht mehr, nämlich dass junge Menschen, wie der Schüler, der mich jüngst in Berlin besuchte, abends an der Bushaltestelle angepöbelt, beleidigt und genötigt werden. Christian, so heißt der junge Mann, hatte den Mut, Anzeige zu erstatten. Er hatte den Mut, sich zu wehren und Öffentlichkeit herzustellen. Hut ab dafür, sage ich, und Danke. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wilfried Lorenz [CDU/CSU]) Und doch: Wir, das deutsche Parlament, wir, die deutsche Gesellschaft, müssen all diejenigen, die noch nicht den Mut aufbringen konnten, sich zu outen, nicht den Mut aufbringen konnten, Anzeige zu erstatten, weil sie wissen, dass sie auf dem entsprechenden Polizeirevier womöglich auch wieder belächelt werden, dazu ermutigen. Wir müssen ihnen unseren besonderen Schutz angedeihen lassen. Jeder in diesem Land muss wissen: Ein Angriff auf Schwule, auf Lesben, Bi, Trans, Queer ist ein Angriff auf unsere Gesellschaft und unsere Freiheit. Es muss endgültig klar sein: Wir sind hetero, wir sind schwul, wir sind lesbisch, bi, trans, queer, transgender, sexuell in gleicher Orientierung, wir sind Deutschland. Das wünsche ich mir. In diesem Sinne: Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/8874 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf: – Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der „United Nations Interim Force in Lebanon“ (UNIFIL) auf Grundlage der Resolution 1701 (2006) und nachfolgender Verlängerungsresolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, zuletzt Resolution 2236 (2015) vom 21. August 2015 Drucksachen 18/8624, 18/8762 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/8763 Über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. Gibt es Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat Dr. Fritz Felgentreu für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir wissen es alle: Der Libanon braucht unsere Hilfe. Aber nicht allen ist klar: Wir brauchen auch die Hilfe des Libanon, und wir nehmen sie reichlich in Anspruch. Dieses kleine Land am Mittelmeer, ein gar nicht so ferner Nachbar, leistet Tag für Tag Unglaubliches. Bei einer Einwohnerzahl von 6 Millionen hat es über 1 Million syrische Flüchtlinge aufgenommen, die größtenteils in Lagern im Norden und Osten des Landes mehr schlecht als recht ihr Dasein fristen. In keinem Land der Welt leben mehr Flüchtlinge im Verhältnis zur angestammten Bevölkerung. Nach den Erfahrungen des vergangenen Jahres kann Europa, kann Deutschland vom Libanon keine größere Hilfe erwarten, als dass es dabei bleibt, haben wir uns doch im vergangenen Jahr als reichstes und größtes Land Europas mit der Aufnahme von in etwa der gleichen Anzahl von Flüchtlingen politisch und administrativ zum Teil überfordert gezeigt. Es grenzt an ein Wunder, dass das kleine Land am Mittelmeer unter dieser großen Verantwortung noch nicht zusammengebrochen ist, zumal der Staat in einer Weise schwach ist, die für uns unvorstellbar wäre: Das Amt des Staatspräsidenten ist seit zwei Jahren vakant. Neben der regulären Armee steht vor allem in Süden des Landes die schiitische Terrormiliz Hisbollah, die mit ihrem politischen Arm auch im Parlament vertreten ist. Die Hisbollah verfügt über eine unbestimmte Anzahl von Kämpfern, schwere Waffen und moderne Raketen mit großer Reichweite, und zwar in großer Zahl. Die Regierung hat weder politisch noch militärisch die Kraft, die Hisbollah zu entwaffnen. Meine Damen und Herren, für die SPD-Fraktion ist unter diesen Rahmenbedingungen nicht nachvollziehbar, wie man überhaupt auf die Idee kommen kann, den deutschen Beitrag zur Libanon-Mission der Vereinten Nationen infrage zu stellen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Alles spricht dafür, dass wir uns hier weiter beteiligen. Seit fast 40 Jahren ist die UNIFIL immer wieder das Einzige, was zwischen Israel und seinen Feinden im Libanon steht und so verhindert, dass punktuelle Gewalt sich zum Krieg ausweitet. Die UNIFIL mit ihren 10 000 Soldaten aus über 20 Ländern ist Garant für den Waffenstillstand. Zugleich stellt sie die Plattform für Abstimmungen israelischer Stellen mit libanesischen Stellen bereit, und sie sichert die notwendige Stabilität, damit die humanitäre Hilfe in der Flüchtlingskrise überhaupt ihre Adressaten erreicht. Gemessen an der Größe der Aufgabe ist der deutsche Beitrag klein. Mit einer Korvette, gegenwärtig der „Braunschweig“, trägt die Bundeswehr zur Aufklärung und zum Küstenschutz bei. Außerdem bilden deutsche Soldaten Personal des libanesischen Küstenschutzes und der libanesischen Radarüberwachung an der Küste aus. Der Wert der deutschen Beteiligung ist dennoch nicht zu unterschätzen. Abgesehen vom unmittelbaren Nutzen, der groß ist, kommt es dabei auch auf die politische Botschaft an. Wir bekennen uns mit der Beteiligung an UNIFIL unmissverständlich zu den Vereinten Nationen als Ordnungsmacht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir zeigen dem Libanon, dass wir ihn nicht im Stich lassen. Wir leisten auch einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit Israels. Dass neben dem militärischen Engagement ein finanziell knapp zehnmal größeres humanitäres Engagement der Bundesrepublik steht, hat zwar mit dem Mandat nicht unmittelbar etwas zu tun, entspringt aber derselben Verantwortung für die Stabilität des Libanon. Wenn wir erreichen wollen, dass sich die Flüchtlinge, die sich zurzeit dort aufhalten, nicht doch noch nach Europa aufmachen, dann brauchen sie und ihre Kinder im Libanon eine Perspektive. Arbeit und Bildung sind dafür entscheidend. Deshalb ist es gut und richtig, dass die Bundesregierung allein im Jahr 2016  300 Millionen Euro für diese Zwecke zur Verfügung stellen will. Der Libanon ist uns näher, als wir denken. Vor zwei Wochen war ich zu Gast in einer Schule in Berlin-Neukölln, um an einer Podiumsdiskussion über Israel und Antisemitismus teilzunehmen. Viele der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, mit denen ich dort diskutiert habe, sind durch ihre Familiengeschichte mit dem Libanon verbunden. Oft haben sie einen palästinensischen Hintergrund. Im Einzelgespräch nach dem Podium waren sich zwei junge Männer, mit denen ich gesprochen habe, ganz sicher: Der Aggressor gegenüber dem Libanon sei immer Israel. Die Hisbollah brauche ihre Raketen nur zur Selbstverteidigung. Sie sei eine reine Verteidigungsarmee. Dass es im Libanon außer der Hisbollah auch reguläre Truppen gibt, spielte für sie gar keine Rolle. Deutschlands Engagement in der Region nehmen sie ausschließlich als einseitige Parteinahme für Israel wahr. Diese Sicht der Dinge ist durchaus repräsentativ für einen gar nicht unwesentlichen Teil der Jugend in unseren Städten. Umso wichtiger scheint es mir, dass wir die Verpflichtungen, die wir für den Libanon eingegangen sind, sehr ernst nehmen. Es geht dabei auch um die Glaubwürdigkeit deutscher Israel-Politik. Es ist möglich, den jungen Leuten, von denen ich gerade erzählt habe, zu erklären, warum das Existenzrecht Israels für Deutschland von elementarer Bedeutung ist und bleiben muss. Aber es ist nicht einfach. Das Misstrauen ist groß. Ein aus den palästinensischen Erfahrungen erwachsener Antisemitismus ist weitverbreitet. Leichter wird es, wenn wir nachweisen können, dass wir uns mit Nachdruck für Stabilität, Sicherheit und Wohlstand in der ganzen Region einsetzen, und wenn wir deutlich machen, dass nach unserem Verständnis ein sicheres Israel ohne stabile Nachbarstaaten, ohne befriedete Nachbargesellschaften gar nicht möglich ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Stabilität des Libanon und die Sicherheit Israels sind zwei Seiten einer Medaille. Deshalb wiederhole ich: Der Libanon ist uns näher, als wir denken. Den Libanon in den Köpfen haben wir mitten in Berlin. Wenn wir also dem Libanon helfen, dann helfen wir immer auch uns selbst. Der deutsche UNIFIL-Einsatz ist dafür weiterhin unverzichtbar. (Beifall des Abg. Dr. Rolf Mützenich [SPD]) Deshalb bitte ich das Hohe Haus um Zustimmung zum Antrag der Bundesregierung. Danke schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Inge Höger von der Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Inge Höger (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Mittelmeer ist auch durch Entscheidungen hier im Bundestag zum Massengrab geworden. Gleichzeitig tummeln sich immer mehr Kriegsschiffe im Mittelmeer. Neben den Schiffen des UNIFIL-Mandats, über das wir hier heute abstimmen, sind 14 Schiffe im Rahmen der EU-Grenzschutzmission Triton unterwegs. Vier italienische Kriegsschiffe einschließlich eines Flugzeugträgers patrouillieren als Operation Mare Sicuro in der Straße von Sizilien. Mit Poseidon schottet eine weitere Frontex-Mission in der Ägäis die EU-Außengrenze gegen Flüchtlinge ab. Auch die Mission Sophia, die angeblich Flüchtlinge schützt, ist Teil des Abschottungsringes rund um Europa. Morgen soll hier im Plenum darüber diskutiert werden, die Befugnisse von Sophia deutlich auszuweiten. Das Operationsgebiet schließt dabei nah an das von UNIFIL an. Abgesehen davon ist im Mittelmeer seit 1992 der ständige Marineverband der NATO unterwegs, der zurzeit ebenfalls mit acht Schiffen die Ägäis gegen Flüchtlinge abschottet. Außerdem sind seit der OAE-Mission immer noch Reste des sogenannten Antiterrorkrieges im Mittelmeer aktiv. Die USA ließen aktuell zwei Flugzeugträger durchs Mittelmeer kreuzen. Sie gelten als Teil des Krieges gegen den sogenannten „Islamischen Staat“. Dazu kommen immer wieder Schiffe im internationalen wie im nationalen Auftrag, etwa die deutschen Flottendienstboote, die nichts anderes als Spionageschiffe sind. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Da ist ja gar kein Platz mehr im Mittelmeer! So viele Kriegsschiffe! – Weitere Zurufe) – Das wollte ich Ihnen gerade klarmachen, dass so viele Kriegsschiffe in diesem Meer operieren. Allein diese Vielzahl von Kriegsschiffen und Militäroperationen zeigt, dass es sich hierbei kaum um eine politische Strategie, sondern vielmehr um gefährlichen Aktionismus handelt. (Beifall bei der LINKEN) Mit Interesse habe ich der Debatte um das UNIFIL-Mandat in der vorletzten Sitzungswoche zugehört. Interessant war, dass die dort angeführten Erfolge eher dürftig waren. Auch ich begrüße, wenn es gelingt, zur Klärung von Konflikten zwischen Libanon und Israel beizutragen. (Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Na, dann stimmen Sie doch zu!) Es erschließt sich aber nicht, weswegen für solche Bemühungen ein bewaffneter Militäreinsatz notwendig ist. (Beifall bei der LINKEN) Herr Staatsminister Roth hat deswegen in seinen Ausführungen überwiegend von den humanitären Herausforderungen im Libanon gesprochen. Er bezeichnete den deutschen UNIFIL-Einsatz als politisches Symbol für die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Recht hat er!) Natürlich ist auch Symbolpolitik manchmal wichtig. (Niels Annen [SPD]: Machen Sie ja nie!) Aber der deutsche UNIFIL-Beitrag ist ein ziemlich nutzloses Symbol. Er wurde deswegen zu Recht von vielen Seiten als überflüssig bezeichnet. In der letzten Legislaturperiode hat auch die SPD-Fraktion UNIFIL noch als überflüssig und als zu beenden bezeichnet. (Beifall bei der LINKEN – Niels Annen [SPD]: Was? – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Da hätten wir gern den Protokollauszug!) Mit dem UNIFIL-Mandat sichert sich die Bundesregierung eine militärische Präsenz in einer geostrategisch umkämpften Region. Die Bundeswehr ist nicht nur mit einer Korvette und Schnellbooten, sondern auch mit Stabs- und Logistikelementen vor Ort. Sie verfügt über einen Schutzzug des Seebataillons in Limassol auf Zypern und über ein Ausbildungskommando im Libanon sowie über einige Soldaten im UN-Hauptquartier in Naqura. All das könnte man durchaus als ein kleines Syrien-Mandat durch die Hintertür sehen – ohne Parlamentsentscheidung. Wir als Linke wollen keine deutsche Macht- oder gar Großmachtpolitik. Verantwortung bedeutet für uns die zivile Unterstützung in realen humanitären Notlagen. Der Libanon mit seinen 4 Millionen Einwohnern beherbergt 1 Million beim UNHCR registrierte Flüchtlinge. Dazu kommen noch etwa 1 Million nichtregistrierte Flüchtlinge. Es wäre ein besseres Symbol, die dort im Jahr 2016 zur Verfügung stehenden 300 Millionen Euro für humanitäre Hilfe aufzustocken. (Beifall bei der LINKEN) Es wäre gut, deutlich mehr Geld für die Verbesserung der Bildungsangebote für Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen. Das wäre ein Signal dafür, in der Region nicht mehr auf Machtpolitik und auf Stellvertreterkriege zu setzen, sondern die Lage der Menschen wirklich ernst zu nehmen. Wir brauchen keine Militäraufmärsche im Mittelmeer. Militär ist keine Lösung, sondern Teil des Problems. (Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Die Linke ist auch Teil des Problems!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Dr. Johann Wadephul von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Michaela Noll [CDU/CSU]: Jetzt kommt etwas Vernünftiges!) Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann an die Rede des Kollegen Felgentreu anknüpfen. Das ist uns heute nicht in jeder Debatte gelungen, aber bei dieser wird es uns gelingen. (Heiterkeit – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Strohfeuer!) Ich will Sie herzlich bitten, dem Mandat zuzustimmen. Frau Höger, was Sie hier abgeliefert haben, ist wirklich ein beredtes Zeugnis der außenpolitischen Handlungsunfähigkeit der Linksfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Michaela Noll [CDU/CSU]: Und Unkenntnis!) Die Herren Kollegen Liebich und Bartsch machen ihre Distanz zu Ihren Ausführungen deutlich, indem sie ganz hinten sitzen. (Heiterkeit bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir wissen, dass die Linksfraktion tief gespalten ist. (Zuruf von der LINKEN: So ein Unsinn!) Ich will das in aller Ernsthaftigkeit sagen: Wenn Sie Bundeswehrmandate und die Anwesenheit von Schiffen der deutschen Marine in Zusammenhang bringen mit bedauerlichen und tief tragischen Todesfällen von Flüchtlingen, die versuchen, beispielsweise von Libyen über das Mittelmeer zu kommen, muss ich sagen: Das stellt die Tatsachen nicht nur auf den Kopf, sondern ist eigentlich auch eine Beleidigung für alle Bundeswehrsoldaten, die dort im Einsatz sind und jeden Tag Menschenleben retten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Zuruf der Abg. Christine Buchholz [DIE LINKE]) Dafür sollten wir ihnen danken und nicht Bundeswehrmandate diskreditieren. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn an irgendeiner Stelle in dieser Region ein Bundeswehreinsatz sinnvoll ist, dann hier. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Genau!) Der Libanon – das ist bekannt; der Kollege Felgentreu hat das ausgeführt – ist ein absolut destabilisierter Staat. Es gibt die Hisbollah, die fast ein Staat im Staate ist, die nach eigenen Regeln handelt, die stark vom Iran beeinflusst, möglicherweise sogar gesteuert wird, und die in ihrem Grundsatzprogramm stehen hat, den Staat Israel zu vernichten. (Abg. Inge Höger [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Das versucht sie auch immer wieder; es werden immer wieder Angriffe gestartet. Deswegen geht es hier um ein nur zu begrüßendes militärisches Engagement, das dort – übrigens unter Führung der UN – geleistet wird. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Wadephul, lassen Sie eine Zwischenfrage zu? Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Ja, wenn ich diesen Gedanken noch zu Ende führen darf. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Aber sicher. Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Sonst komme ich noch völlig aus dem Konzept. – Deswegen ist es an dieser Stelle wirklich nur zu begrüßen, dass wir auch mit militärischer Gewalt dafür sorgen, dass die Hisbollah nicht damit weitermachen kann, den Staat Israel zu bekämpfen und zu beschießen. Deswegen können wir nur glücklich und zufrieden sein, dass die israelische Regierung mit dem Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten einverstanden ist. Sie leisten einen guten Dienst, sie helfen, die Situation zu entkrampfen, und sie beschützen Israel. Da sind deutsche Soldaten in jedem Fall und immer gut eingesetzt, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) So, jetzt. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Gut. – Frau Höger. Inge Höger (DIE LINKE): Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Herr Wadephul, stimmen Sie mir zu, dass Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken, weil es keine sicheren Herkunftswege gibt, und dass sie ertrinken, weil sich die EU durch die Mission Frontex abschottet, mit der sie verhindern will, dass Flüchtlinge legal nach Europa kommen? Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Da stimme ich Ihnen nicht zu, Frau Höger, weil das eine die tatsächlichen Wirkungen verdrehende Behauptung Ihrerseits ist. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Ja!) Frontex übernimmt eine ganz normale polizeiliche Aufgabe, die zu jeder Staatlichkeit gehört – auch die EU hat sie sich gegeben, obwohl sie kein Staat ist –, indem Frontex dafür sorgt, dass unsere Außengrenzen sicher geschützt werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist, glaube ich, in unser aller Interesse und in unser aller Sicherheitsinteresse, dass wir eine Polizeieinheit für einen wirksamen Außenschutz haben. Ihn wollen wir eher stärken und wollen ihn nicht schwächen. Natürlich ist es auch die Aufgabe – sie wird übrigens auch von Frontex-Einheiten wahrgenommen, von Polizeieinheiten genauso wie von Marineeinheiten –, sich um jedes Flüchtlingsboot zu kümmern und jeden Menschen vor dem Ertrinken zu retten. Ich sage Ihnen: Unsere Soldaten und unsere Polizeibeamten – es sind auch viele Beamte der Bundespolizei im Einsatz – haben mittlerweile Tausende Menschenleben gerettet. Ich finde es wirklich unerträglich, dass Sie das ständig diffamieren, anstatt anzuerkennen, dass mit Steuermitteln und durch den Einsatz unserer Leute dort so viel erreicht wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir wollen an dieser Stelle aber keine Flüchtlingsdebatte führen, sondern miteinander über das UNIFIL-Mandat diskutieren. Ich kann Sie wirklich nur dazu aufrufen, Ihre dogmatische Ablehnung jedes Bundeswehreinsatzes zu überdenken. Denn dieses Mandat – ich war gerade bei der militärischen Komponente, was ich aber noch ergänzen möchte – hat auch eine Verhandlungskomponente. Sie waren es, die immer wieder gefordert haben, eine Art KSZE-Konferenz für den Nahen Osten zu schaffen. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Dringend notwendig!) Da sind wir sogar einer Meinung. Bundesaußenminister Steinmeier hat sogar eine etwas umfassendere Betrachtung der Region angestellt und diesen Vorschlag im Hinblick auf eine mögliche Vermittlung zwischen Saudi-Arabien und dem Iran formuliert, was man nur begrüßen und unterstützen kann. Es wäre sehr sinnvoll, wenn es so etwas gäbe. Was es gibt, sind zumindest kleine Anfänge. Das UNIFIL-Mandat ist keineswegs ein rein militärisches Mandat, sondern es wird auch genutzt, um einen Verhandlungsrahmen zu schaffen und trilaterale Gespräche zu ermöglichen: zwischen der libanesischen Regierung, so schwach sie auch ist, der Hisbollah und Israel. Das zeigt: Dieses Mandat ist nicht nur eine militärische, sondern auch eine diplomatische Antwort auf die Konfliktsituation, die wir dort haben. Deswegen kann ich alle Kolleginnen und Kollegen des Hauses nur auffordern, diesem Mandat zuzustimmen. Wir leisten damit einen kleinen, aber nicht zu unterschätzenden Beitrag für etwas mehr Frieden und Verständigung in dieser so gebeutelten Region. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herzlichen Dank. – Als nächster Redner hat Omid Nouripour von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute das zehnte Mal über eine Verlängerung der UNIFIL-Mission. Man muss sich einmal anschauen, wie es angefangen hat. Ich zitiere: Bei dem Mandat selbst lautete die Begründung – die fand ich akzeptabel –, dass wahrscheinlich der Krieg Israels gegen den Libanon und die Abriegelung des Libanons nur über eine Aktion der Vereinten Nationen zu stoppen sind. Das war die Ausgangslage. Diese weisen Worte hat Wolfgang Gehrcke vor drei Wochen von diesem Platz aus gesagt. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Weiß ich!) Er hat recht. Deshalb muss man sich anschauen, worauf die UNIFIL-Mission damals begründet war. Die UNIFIL-Mission hat einen Krieg beendet, und es war notwendig und richtig, dass man sich daran beteiligt hat. Es ging auch um die Stärkung der Vereinten Nationen. Gleichzeitig muss man auch sagen, dass die UNIFIL-Mission im heutigen Nahen Osten zwei große Besonderheiten aufweist: Die erste ist keine Selbstverständlichkeit: Alle Konfliktparteien wollen diese Mission; das ist beim Libanon und bei Israel der Fall. Die zweite ist: Durch die Ausbildungskomponente werden die Streitkräfte – die einzige staatliche Institution, die überkonfessionelles Vertrauen genießt – gestärkt. Das ist ein Beitrag zur Beendigung der Konfessionalität des Libanons, auch wenn das noch ein weiter Weg ist. Aber es gibt etwas, was weit mehr etwas Besonders darstellt als diese Mission, und das ist der Staat Libanon selbst. Der Libanon hat es geschafft – das hätten, ehrlich gesagt, auch Optimisten vor zwei Jahren nicht mehr erwartet –, nicht zu kollabieren. Ich glaube, dass die unglaubliche Aufgabe, die dort bewältigt worden ist, gerade heute von der deutschen Öffentlichkeit besser verstanden werden kann als in den letzten Jahren. Wir haben über 1 Million Leute aufgenommen, der Libanon ebenfalls. Wir diskutieren über Arbeitsmarktzugang, über einen Zugang zum Gesundheitssystem, über Wohnraumfragen und über Hilfen für die Kommunen. Das sind exakt dieselben Themen, die heute auch im Libanon diskutiert werden. Es gibt nur drei Unterschiede: Der erste Unterschied: Deutschland hat 83 Millionen Einwohner und hat über 1 Million Flüchtlinge aufgenommen, der Libanon hat knapp über 4 Millionen Einwohner – inklusive der palästinensischen Flüchtlinge. Der zweite Unterschied: Die Bundesrepublik Deutschland ist die drittstärkste Volkswirtschaft der Welt; Libanon ist auf Platz 84. Der dritte Unterschied: Ich finde, wir haben keine besonders tolle Regierung, aber wir haben eine Regierung; der Libanon hat seit zwei Jahren eine Übergangsregierung, und seit sechs Jahren wurden dort keine Parlamentswahlen durchgeführt. Das alles zeigt, wie unglaublich groß die Leistung war, die die libanesische Zivilgesellschaft erbracht hat, und davor kann man nur auf die Knie fallen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]) Die Frage ist: Wie können wir dabei helfen, dass der Libanon stabiler wird und die Gefahr eines Kollaps wirklich beseitigt wird? Es gibt drei Dinge: Erstens. Ja, den Kommunen muss geholfen werden. Dabei ist zentral, zu schauen, dass wir nicht nur den Flüchtlingen helfen, sondern Infrastruktur schaffen, die auch den Libanesen selbst hilft. Hier gibt es zum Beispiel im Bildungs- und im Gesundheitsbereich sehr viel zu tun. Zweitens. Wir müssen anerkennen, dass wir bei dem unglaublich riesigen Bedarf, den es dort gibt, nicht so viel Infrastruktur schaffen können, dass im Libanon plötzlich blühende Landschaften entstehen. Ich weiß, es ist zurzeit nicht en vogue, das zu sagen, aber: Wenn Europa einen Beitrag zur Stabilität des Libanons leisten will, dann muss Europa auch helfen, indem es Flüchtlinge aus dem Libanon aufnimmt, die aus Syrien kommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Drittens. Wir müssen politisch investieren. Mittlerweile gab es im Libanon 40 Wahlgänge, in denen versucht wurde, einen Präsidenten zu wählen. Ja, das Land wird wieder einmal immer mehr zum Schlachtfeld der Auseinandersetzung zwischen dem Iran und Saudi-Arabien. Die Legitimitätsdefizite der politischen Elite sind verheerend und natürlich eine Riesenbarriere auf dem Weg, das Land zu stabilisieren und den Flüchtlingen sowie den Libanesen zu helfen. Deshalb ist es wichtig, dass wir darauf drängen, dass sich die Eliten des Landes nicht darin einrichten, dass dieses Land stabil geblieben ist und dass sie zwar keine Legitimität haben, dass das aber nicht zum Kollaps geführt hat, und wir müssen alles daransetzen, dass das Land wieder eine Regierung erhält. Dafür ist die UNIFIL-Mission ein nicht besonders großer Beitrag, aber ein Beitrag. Deshalb wird meine Fraktion dieser Mission mit großer Mehrheit zustimmen. Libanon ist ein sehr besonderes Land in einer großen Ausnahmesituation, das ein bisschen mehr Normalität bräuchte. Hier sollten wir helfen, wo wir können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Dr. Reinhard Brandl für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Nouripour hat eigentlich alles Wesentliche gesagt. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Abstimmung!) Es kommt selten vor, aber in diesem Fall kann ich mich ihm weitestgehend anschließen. Wenn man von einem Land der Welt sagen kann, dass es sich in einer schwierigen Nachbarschaft befindet, dann ist es der Libanon. Die beiden großen Konflikte im Nahen Osten stoßen an dieser Stelle zusammen. Der eine Nachbar auf der Landseite ist Israel mit dem Konflikt um Palästina und den unzähligen Auseinandersetzungen mit der Hisbollah im israelisch-libanesischen Grenzgebiet. Der andere Konflikt ist in Syrien: Seit 2011 herrscht Bürgerkrieg ohne Perspektive auf einen greifbaren Frieden. Meine Damen und Herren, der Libanon ist ein Land, das halb so groß wie Hessen ist und das – der Kollege Nouripour hat es gesagt – ungefähr 1 Million Flüchtlinge aufgenommen hat. Dazu kommen die ständigen Versuche des IS, auch im Libanon Fuß zu fassen. Es gab im vergangenen Jahr Anschläge des IS auf libanesische Sicherheitskräfte. Dazu kommt auch noch eine durchaus fragile libanesische Regierung. Sie erinnern sich vielleicht an die Bilder der Müllberge im Libanon und die Kampagne: „You stink“. Mir ist vor allem der Satz einer libanesischen Kolumnistin im Gedächtnis geblieben, die damals geschrieben hat – sinngemäß –: Der Libanon hat kein Regierungssystem, gegen das man revoltieren kann. Das Problem des Libanons ist, dass es gar kein System hat, das die praktischen innenpolitischen Probleme des Landes löst. – Das ist zwar etwas übertrieben. Dennoch ist die Situation fragil. Der Kollege Nouripour hat beschrieben, wie lange es schon dauert, einen Präsidenten zu finden. Unbestritten ist, dass in dieser fragilen Situation in diesem Land UNIFIL ein wichtiger Stabilitätsanker ist. Seit 1978 ist die UN mit Blauhelmsoldaten im Rahmen von UNIFIL in der Region unterwegs. UNIFIL unterstützt die Friedensbemühungen mit Israel. UNIFIL sichert seeseitig die Grenzen. UNIFIL verhindert den Waffenschmuggel im Grenzgebiet und insbesondere auch auf See. An UNIFIL beteiligen sich mehr als 10 000 Soldatinnen und Soldaten. Der Flottenverband umfasst ungefähr 1 000 Soldaten. Zu diesem Flottenverband leistet Deutschland einen Beitrag, der im Moment aus einer Korvette, der „Braunschweig“, und 60 Soldaten besteht. Deutschlands Beitrag zu UNIFIL ist nicht sehr groß. Aber der Beitrag ist wichtig. Wir erleben es auch an anderer Stelle: Auch wenn der deutsche Beitrag nicht groß ist: Wichtig ist sowohl für Israel als auch für den Libanon, dass Deutschland mit dabei ist. Dass UNIFIL nicht nur eine Militärmission ist, sondern auch einen wesentlichen Beitrag bei der Vermittlung zwischen den unterschiedlichen Ländern leistet, zeigt zum Beispiel, dass die Drei-Parteien-Gespräche, die unter dem Schutz von UNIFIL geführt werden, das einzige Format sind, in dem Israel und der Libanon direkt miteinander sprechen. Allein deshalb ist UNIFIL ein wichtiger Stabilitätsanker für diese Region und sollte deswegen fortgeführt werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) – Vielen Dank. – Meine Damen und Herren, UNIFIL wird nicht alle Probleme des Libanons lösen. Aber diese Mission trägt dazu bei, dass im Libanon weniger Probleme entstehen. Das ist ein wichtiger Beitrag. Ich bitte Sie auch deswegen namens meiner Fraktion um Zustimmung zum Mandat. Ich möchte am Ende meiner Rede noch etwas zu den Soldatinnen und Soldaten sagen. Der deutsche Anteil an UNIFIL ist ein Marineeinsatz. Es wurden hier auch schon die anderen Marineeinsätze genannt. Atalanta ist ein Beispiel, aber auch EUNAVFOR MED Operation Sophia, der Einsatz in der Ägäis und jetzt auch UNIFIL. Es sind im Kern immer wieder die gleichen Soldaten, Soldaten der Deutschen Marine, die die Mandate für Deutschland ausführen. Diese Soldatinnen und Soldaten sind zum Teil hoch belastet und oft über Monate hinweg in mehreren Mandaten unterwegs. Ich möchte ihnen von dieser Stelle auch namens meiner Fraktion meinen herzlichen Dank aussprechen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In diesem Sinne bedanke ich mich für den Applaus und bitte Sie um Ihre Zustimmung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der „United Nations Interim Force in Lebanon“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8762, den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 18/8624 anzunehmen. Wir stimmen über die Beschlussempfehlung namentlich ab. Das haben Sie alle schon gemerkt; deshalb stehen Sie schon an den Urnen. Wir können die Abstimmung aber erst dann eröffnen, wenn die Schriftführer ihre Plätze an den Urnen eingenommen haben. Ich bitte um das Handzeichen, an welcher Urne die Schriftführer schon da sind. – Solange nicht alle Schriftführer ihre Plätze eingenommen haben, kann ich die Abstimmung nicht eröffnen. Deshalb bitte ich die Schriftführer, sich möglichst schnell dorthin zu begeben. – Jetzt sind alle Plätze an den Urnen besetzt. Ich eröffne die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? – Jetzt haben alle ihre Stimme abgegeben. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen, wie üblich, später bekannt gegeben.4 Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 13 a bis 13 c sowie die Zusatzpunkte 6 und 7 auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren Lay, Herbert Behrens, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Mieterinnen und Mieter besser schützen – Zweite Mietrechtsnovelle vorlegen Drucksache 18/8863 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Heidrun Bluhm, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Mietspiegel – Sozial gerecht und mietpreisdämpfend erstellen Drucksachen 18/5230, 18/8754 c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Herbert Behrens, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Für bezahlbare Mietwohnungen – Modernisierungsumlage reduzieren, Luxusmodernisierungen einschränken Drucksachen 18/7263, 18/8764 ZP 6 Erste Beratung des von den Abgeordneten Renate Künast, Christian Kühn (Tübingen), Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten durch Streichung der Rügepflicht und die Schaffung eines Auskunftsrechts Drucksache 18/8857 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ZP 7 Erste Beratung des von den Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Renate Künast, Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten bei umfassenden Modernisierungen Drucksache 18/8856 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen, und ich kann die Aussprache eröffnen, was hiermit jetzt auch geschehen ist. Als erste Rednerin in der Debatte hat Caren Lay von der Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Caren Lay (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielleicht wollen Sie – bevor jetzt alle zum Sommerfest der Parlamentarischen Gesellschaft gehen – hier im Plenum noch ein wenig mit uns diskutieren; denn es geht um ein wichtiges Thema: die Rechte von Mieterinnen und Mietern. (Beifall bei der LINKEN) Zwei Beispiele: In der Muskauer Straße in Berlin im Stadtteil Kreuzberg – nur wenige Autominuten von hier entfernt – wurde der halbe Block von einem britischen Investor aufgekauft. Er will das Haus sanieren, er will es modernisieren. Die Mieter haben mir freundlicherweise ihre Zahlen zur Verfügung gestellt. Einem Mieter droht durch diese Art von Entmietungsmaßnahmen, wie ich sagen würde, eine Erhöhung seiner Kaltmiete um sage und schreibe 79 Prozent. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wahnsinn!) Anderen im gleichen Haus droht eine Erhöhung der Miete um das fast Dreifache. In Prozentzahlen ausgedrückt sind es 271 Prozent. Das sind keine Einzelfälle. Wir müssen das endlich stoppen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Einige der betroffenen Mieterinnen und Mieter sind übrigens heute zu Gast auf der Tribüne. Ich möchte sie ganz herzlich willkommen heißen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In einem anderen Haus, nur wenige Straßen entfernt, in der Schlesischen Straße, gibt es einen ähnlichen Fall. Eine Mieterin sagte mir: Ich kann mir die Verdoppelung meiner Miete nicht leisten. Dann muss ich ausziehen und den Stadtteil verlassen. Meine Kinder müssen aus der Kita, meine Kinder müssen die Schule verlassen. – Ihre Nachbarin ergänzte: Warum lässt es die Politik eigentlich zu, dass unser gesamter Kiez ausverkauft wird? – Ehrlich gesagt, diese Frage stelle ich Ihnen, der Koalition, vor allen Dingen der ach so familienfreundlichen CDU. Wollen Sie wirklich Familien zum Umzug zwingen? Wollen Sie zusehen, wie Kinder aus ihrer Kita, aus ihrem Stadtteil gerissen werden? Das kann doch wirklich nicht wahr sein! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie es nicht wollen, dann frage ich Sie: Warum lassen Sie zu, dass es derzeit in unseren Städten tausendfach passiert? Denn es sind ja keine Einzelfälle. Die Regierung sieht tatenlos zu, wie Tausende Mieterinnen und Mieter herausmodernisiert oder entmietet werden. Spekulanten und Investoren machen einen einzigen Beutezug durch unsere Städte. Die Regierung sieht tatenlos zu. Das, meine Damen und Herren, wollen wir als Linke heute endlich ändern. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich bin übrigens auch sehr froh, dass es sehr viele Mieterinnen und Mieter gibt, die auf die Straße gehen und sagen: Das lassen wir uns nicht mehr länger bieten. – Beispielsweise geschieht das im Kiez in Kreuzberg, wo sich spontan jede Woche Hunderte von Menschen auf der Straße versammeln. Das finde ich wirklich großartig. Aber auch die Politik muss handeln. Die Mietpreisbremse der Regierung war ja ein einziger Flop, eine Propagandaleistung. Sie haben die Studien zur Kenntnis genommen: Selbst dort, wo sie wirkt, ist die Miete im letzten Jahr um bis zu 17 Prozent gestiegen. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: In Hamburg nicht! In Hamburg minus 1 Prozent!) Das war wirklich keine gute Leistung. Deswegen muss die Mietpreisbremse auch endlich nachgebessert werden. (Beifall bei der LINKEN) Auf die Zweite Mietrechtsnovelle warten wir bis heute. Minister Maas hat ja angekündigt, dass die Modernisierungsumlage abgesenkt werden soll. Das, was im Referentenentwurf steht, wird es aus meiner Sicht wirklich nicht reißen. Aber das Schlimmste ist, dass selbst dieser Vorschlag von der CDU bis heute boykottiert wird. Erst heute Mittag durften wir im Newsticker lesen, dass es in der Koalition keine Einigung gibt. Ehrlich gesagt, dieser Koalitionsstreit geht zulasten der Mieterinnen und Mieter, die wegen völlig überhöhter Modernisierungskosten aus ihren Wohnungen verdrängt werden. Bis sich die Koalition geeinigt hat, sind diese Mieter längst aus ihren Häusern geflogen. So geht es einfach nicht! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir legen Ihnen als Linke heute gleich drei Anträge zur Abstimmung vor. Erstens wollen wir, dass die Umlage deutlich gesenkt und perspektivisch auch überwunden wird. Energetische Gebäudesanierung ist natürlich gut; aber es ist völlig unsozial, wenn sie allein von den Mieterinnen und Mietern getragen wird. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zweitens. Mieterinnen und Mieter müssen auch das Recht haben, sich gegen unsinnige Vorschläge wehren zu können. Nicht nur energetische Modernisierungen, sondern auch Luxusmodernisierungen sind ein ganz beliebtes Instrument der Entmietung. Drittens muss der Mietspiegel endlich reformiert werden. In der jetzigen Form ist er ein Mieterhöhungsspiegel. Ich finde, ehrlich gesagt, die CDU sollte sich schämen, dass ihr die Rendite der Vermieter wichtiger ist als die Begrenzung der explodierenden Mieten. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Schauen Sie sich die Renditen mal an!) Ich komme zum Schluss. Die Novelle muss endlich auf den Tisch, sonst wird es nichts mehr in dieser Legislaturperiode. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Frau Lay, Sie müssen zum Schluss kommen. Caren Lay (DIE LINKE): Ich weiß, dass es letztlich die CDU ist, die blockiert. Deswegen haben wir heute einen Antrag vorgelegt, dem auch die SPD zustimmen könnte. Zusammen mit SPD und Grünen hätten wir eine Mehrheit dafür. Wir beantragen die Sofortabstimmung über unseren Antrag; denn dieser Beutezug durch unsere Städte muss endlich beendet werden. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Dr. Luczak von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte meiner Rede eine ganz glasklare Aussage voranstellen: Die Union steht an der Seite der Mieter. (Zurufe von der SPD: Wo denn?) Wir wollen nicht, dass Menschen aus ihren angestammten Vierteln, aus ihren angestammten Wohnungen verdrängt werden. (Ulli Nissen [SPD]: Das freut mich aber!) Wir, die CDU, waren schon immer die Partei der sozialen Marktwirtschaft. Wir stehen gerade nicht für den ungezügelten Markt, wir stehen nicht für das Recht des Stärkeren, sondern wir schützen die Schwachen da, wo es notwendig ist. (Beifall bei der CDU/CSU – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!) Das ist Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips, dem wir uns verpflichtet fühlen. Der Wohnungsmarkt ist in der Tat ein spezieller Markt. Er ist existenziell für viele Menschen. Deswegen war ein sozial ausgewogenes Mietrecht immer schon Bestandteil unserer Politik. Da will ich schon einmal auf die Mietpreisbremse verweisen, die hier kritisiert wird; wir kommen noch dazu. Sie war Bestandteil unseres Wahlprogramms. Wir haben uns klar dazu bekannt. Aber richtig ist: Die Frage, wie wir die Menschen vor steigenden Mieten schützen, ist schwierig zu beantworten. Es ist ein komplexes Regelungsgefüge, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen. Deswegen bringen uns diese einfachen und populistischen Antworten, die uns die Linken und die Grünen hier präsentieren, nicht weiter. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Erklären Sie mal, was daran populistisch ist! Unverschämtheit!) Wir lassen uns auch nicht in die Defensive bringen und als Blockierer in die Ecke stellen. Uns geht es darum, nicht nur die Symptome zu bekämpfen, sondern wir wollen an die Ursachen heran, um nachhaltig gegen steigende Mieten vorzugehen. Das wird mit Ihren Anträgen, meine Damen und Herren, in keiner Weise erreicht. (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was wollen Sie machen? Sagen Sie mal!) Für steigende Mieten gibt es viele Ursachen. Natürlich geht es darum, dass wir vor allen Dingen mehr Bauland ausweisen müssen. Wir müssen das Bauordnungsrecht entschlacken. Wir dürfen auch nicht ständig schärfere Standards beim Bau einführen, und wir müssen schauen, wo wir steuerliche Anreize setzen können. Da blicke ich auf unseren Koalitionspartner. Ich finde es sehr bedauerlich, dass es bislang nicht gelungen ist, uns zu einigen, dass das blockiert worden ist. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir reden aber von Mieten und nicht vom Bauen!) Wichtig ist, dass wir eine Politik aus einem Guss haben. Da muss ich schon einmal an die Linken und an die Grünen appellieren. Ich finde es einigermaßen bemerkenswert, dass Sie uns solche Vorlagen präsentieren; wenn es aber darum geht, die Grunderwerbsteuer zu erhöhen, dann marschiert zum Beispiel Thüringen vorneweg. Da ist gerade beschlossen worden, die Grunderwerbsteuer auf 6,5 Prozent zu erhöhen. (Caren Lay [DIE LINKE]: Das hat doch mit steigenden Mieten nichts zu tun!) Es ist Ihr Ministerpräsident in Thüringen, der das macht und der von den Grünen unterstützt wird. Das führt natürlich dazu, dass Bauen teurer wird, dass die Mieten steigen und dass die Bildung von Eigentum für junge Familien erschwert wird. (Caren Lay [DIE LINKE]: Das ist doch völliger Quatsch! Die Grunderwerbsteuer zahlen die Eigentümer!) Deswegen kann ich nur sagen: Es ist unredlich, wie Sie hier argumentieren. Sie predigen Wasser und trinken letztlich Wein. Das ist unredlich, das passt nicht zusammen, das ist widersprüchlich, und das machen wir nicht mit. (Beifall bei der CDU/CSU) Unter dem Strich gilt immer noch der Satz – der ist und bleibt richtig –: Das einzige Mittel gegen steigende Mieten ist immer noch bauen, bauen, bauen. (Beifall bei der CDU/CSU – Caren Lay [DIE LINKE]: Nein, das ist es eben nicht! Das ist falsch!) Dafür brauchen wir die richtigen Rahmenbedingungen. Es passiert jetzt viel auf dem Wohnungsmarkt: 250 000 fertiggestellte Wohnungen im letzten Jahr – das ist eine ganze Menge, das ist sogar ein Rekord; aber es ist immer noch viel zu wenig. Alle sind sich darin einig, dass wir 400 000 fertiggestellte Wohnungen im Jahr brauchen, um auf dem Wohnungsmarkt etwas ausrichten zu können. Davon sind wir noch sehr weit entfernt. Deswegen ist für uns als Union klar: Wir dürfen die Rahmenbedingungen nicht so verschlechtern, dass Investitionen in den Wohnungsneubau und auch Investitionen in die Modernisierung wirtschaftlich nicht mehr tragbar sind. Diesen positiven Trend auf unserem Wohnungsmarkt dürfen wir nicht abwürgen. Aber genau diese Gefahr, dass wir diesen positiven Trend abwürgen, würde bestehen, wenn wir jetzt Ihren Vorschlägen folgen würden. Da sieht man wieder einmal: Ihre Anträge sind mit Ideologie durchtränkt, und sie sind leider auch von wirtschaftlichem Unverständnis geprägt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie gut, dass Sie so ideologiefrei sind! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie haben keine Ideologie! Nein!) Ich kann nicht im Einzelnen auf sämtliche dieser Punkte eingehen; aber ich will es zumindest an einigen Beispielen deutlich machen. Hinsichtlich der ortsüblichen Vergleichsmiete schlagen Sie vor, dass man alle Entgelte in ihre Berechnung einbezieht, also auch die Mieten, die vor 10 Jahren, vor 20 Jahren, vor 30 Jahren gezahlt wurden. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Logisch!) Damit verkennen Sie völlig, was eigentlich die Funktion eines Mietspiegels, was die Funktion der ortsüblichen Vergleichsmiete ist. Hier geht es darum, Transparenz auf dem Mietwohnungsmarkt herzustellen, Mietern wie Vermietern deutlich zu machen, wie hoch die aktuell gültige Vergleichsmiete ist. Die Umsetzung all dessen, was jetzt diskutiert wird – etwa die Verlängerung des Betrachtungszeitraums von derzeit vier Jahren auf sechs, acht, zehn oder noch mehr Jahre –, wäre dramatisch, (Dennis Rohde [SPD]: Das fordert der eigene Senat! Das fordert das Land Berlin im Bundesrat! Herr Luczak, lesen hilft!) weil die ortsübliche Vergleichsmiete dann sofort sinken und im Zusammenspiel mit der Mietpreisbremse auf niedrigem Niveau eingefroren würde. Manche sagen jetzt: Das ist genau richtig; das wollen wir ja. – Aber man denkt natürlich überhaupt nicht an die wirtschaftlichen Folgen, wenn man so argumentiert. Die Folge wäre doch, dass die Immobilienwerte sinken, weil die Immobilien natürlich nicht mehr solch hohe Erträge einspielen. Das würde für die Unternehmen bedeuten, dass ihre Eigenkapitalquote sinkt, dass ihr Verschuldungsgrad steigt und unter dem Strich dann kein Spielraum mehr für Finanzierung, für Investitionen in Neubau und Modernisierung da ist. Deswegen sagen wir: Was die ortsübliche Vergleichsmiete angeht, hat sich – das ist ganz klar – der derzeitige Betrachtungszeitraum von vier Jahren bewährt; dabei müssen wir bleiben. Wir wollen nicht, dass Mietspiegel zum politischen Steuerungsinstrument werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Mein letzter Gedanke, den ich noch ausführen möchte – meine Redezeit ist schon fast abgelaufen –: Wir wollen Exzesse bei Mietsteigerungen verhindern. Dafür brauchen wir zielgenaue Mittel. Wir müssen zum Beispiel gegen Vermieter, die das Instrument der Modernisierung bewusst einsetzen, um Mieter „herauszumodernisieren“, vorgehen. Das ist ganz klar. (Caren Lay [DIE LINKE]: Dann machen Sie das doch endlich! Warum lassen Sie sich so viel Zeit?) Da können wir möglicherweise zu Mitteln des Ordnungsrechts greifen. Aber wir dürfen keine Rahmenbedingungen schaffen, die flächendeckend Modernisierungen verhindern, weil wir dann unsere gesamtgesellschaftlichen Aufgaben, was Klimaschutz und altersgerechten Umbau anbelangt, nicht erfüllen. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Luczak, auch Sie müssen zum Schluss kommen. Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Das alles sind Dinge, denen wir uns gemeinsam verschrieben haben. Wenn wir Ihren Anträgen folgen würden, würde da gar nichts mehr passieren. Deswegen darf ich Sie bitten: Kehren Sie zur Sachpolitik zurück! Stellen Sie nicht solche Schaufensteranträge! (Caren Lay [DIE LINKE]: Sie sitzen das aus!) Wir führen jetzt gemeinsam mit unserem Koalitionspartner eine vernünftige Mietrechtsreform durch. Sie wird allen helfen, vor allem den Mietern. Wir wollen Exzesse bei den Mietsteigerungen unterbinden. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Chris Kühn von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher auf der Tribüne! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Luczak, mit der Rede, die Sie gerade gehalten haben, waren schon echt krasse Krokodilstränen verbunden. Ich möchte Ihnen ganz klar sagen: Das, was Sie hier gerade abgeliefert haben, hat überhaupt nichts mehr mit Sachpolitik zu tun (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ideologie pur!) und spiegelt auch nicht wider, wie die Union in den letzten drei Jahren aufgetreten ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich muss schon sagen: Wie man handelt und wie man redet, sollte nicht so weit auseinandergehen wie bei Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Mietenpolitik dieser Bundesregierung ist schon ein Drama. Sie haben es schon angesprochen: Die Union hat im Wahlkampf die Mietpreisbremse gefordert. Die Kanzlerin hat den Mieterinnen und Mietern in Deutschland das Versprechen gegeben, den Anstieg der Mietpreise zu beschränken und die Mieten zu senken. Man kann nicht sagen, dass dieses Versprechen heute eingelöst ist. Sie stehen beim Mietrecht im Augenblick nicht an der Seite der Schwachen, sondern, wie Sie hier argumentieren, an der Seite derjenigen, die dafür sorgen, dass Menschen „heraussaniert“ werden, ihre Wohnung verlieren und sich eine neue Wohnung nicht mehr leisten können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Sie wissen das besser, Herr Kollege!) Die Verantwortung dafür tragen Sie. Wenn ich mir Ihre Mietenpolitik anschaue, dann stelle ich fest, dass Ihr zentrales Gesetzesvorhaben, die Mietpreisbremse, mittlerweile durchgefallen ist, und zwar krachend. Es ist deswegen durchgefallen, weil Sie einfach nicht zugehört haben. Die Kollegen der SPD haben sich wahrscheinlich in irrsinnig vielen Stunden gerade an Ihnen und anderen abgearbeitet. (Lachen der Abg. Mechthild Heil [CDU/CSU]) Vor allem in der Anhörung sind die Kritikpunkte ganz klar benannt worden: die Rügepflicht, die mangelnde Transparenz – man hat keine Auskunft darüber, wie hoch die Vormiete war –, die Ausnahme beim Neubau, die Ausnahme bei umfassender Modernisierung. Bei alledem war von vornherein klar: Die Mietpreisbremse in dieser Art und Weise kann nicht funktionieren. – Das haben Ihnen damals alle Experten gesagt. Jetzt belegen es alle Studien. Sie aber stellen sich hin und erklären: Wir haben doch etwas für die Mieterinnen und Mieter getan, weil wir eine Mietpreisbremse beschlossen haben. – Sie haben ein Gesetz beschlossen, über dem „Mietpreisbremse“ steht, in dem aber gar keine Bremse ist, und das haben Sie zu verantworten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Diese, ich sage mal, Seifenoper, die Sie hier aufgeführt haben, geht weiter, nämlich mit dem Mietrechtspaket II, bei dem es darum geht, dass Menschen raussaniert werden. Sie haben im Koalitionsvertrag ein Versprechen gegeben, indem Sie klar gesagt haben: Wir wollen die Modernisierungsumlage anpacken. Wir wollen die Mietspiegel reformieren; wir wollen sie rechtssicher machen. – Nur: Ich sehe im Augenblick keinen gemeinsamen Vorschlag der Bundesregierung oder gar der Großen Koalition. Ich weiß gar nicht, für was Sie als Union stehen. Ich weiß, dass Herr Maas zwei Papiere vorgelegt hat, die beide an Ihnen gescheitert sind. Das Problem ist, dass Menschen in diesem Land raussaniert werden; das ist ein gesellschaftliches Problem. Ganze Wohnungsbestände in Deutschland werden entmietet. Dass Sie sich darum nicht kümmern, ist wirklich ein Skandal. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Meine Kollegin Caren Lay hat recht, wenn sie sagt: Ihnen ist es egal, ob Familien raussaniert werden. – Das, finde ich, ist für eine Familienpartei wirklich unmöglich. Ich glaube, die Vorschläge, die Herr Maas in diesen beiden Papieren gemacht hat, werden leider den gleichen Gang gehen wie die Mietpreisbremse. Sie werden von der Union verzögert werden, sie werden durchlöchert werden, und am Ende wird ein Gerippe übrig bleiben, das nichts bringt. Damit sind Sie bei Ihrer Mietrechtspolitik zweimal vollkommen durchgefallen. Der Aufgabe, die wir haben, nämlich bezahlbaren Wohnraum in Deutschland zu sichern – nicht nur neu zu bauen, sondern auch zu sichern –, sind Sie wirklich nicht gerecht geworden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir haben zu diesem Thema zwei Gesetzentwürfe eingebracht, in denen wir klar sagen: Die Mietpreisbremse muss nachgeschärft werden. Die Rügepflicht muss abgeschafft werden. Wir wollen, dass es mehr Transparenz gibt, dass Mieterinnen und Mieter kontrollieren können, ob die Mietpreisbremse funktioniert, ob sie bei ihnen richtig angewendet wird. Wir wollen, dass die Ausnahme bei umfassender Modernisierung herausgenommen wird; denn sie ist nicht sachgerecht und führt dazu, dass gerade in angespannten Wohnungsmärkten das Raussanieren noch lukrativer ist, weil man nicht unter die Mietpreisbremse fällt. Die beiden Gesetzentwürfe haben wir eingebracht. Sie können nun nacharbeiten. Hier können Sie dafür sorgen, dass das, was Sie beschworen haben, auch geschieht, nämlich dass der kleine Mann, die Armen, diejenigen, die sich nicht selbst schützen können, geschützt werden. Hier können Sie Verbraucherschutz üben. Hier können Sie Mieterschutz üben. – Sie brauchen nicht den Kopf zu schütteln, wenn ich rede. – Hier können Sie einmal Farbe bekennen und zeigen, ob Sie bereit sind, etwas zu ändern oder nicht. Ich bin gespannt, wie Sie sich am Ende des Tages entscheiden. Bisher haben Sie sich so entschieden, dass Sie nicht an der Seite der Mieterinnen und Mieter stehen. Wir werden Sie weiter treiben und dafür sorgen, dass es in dieser Legislaturperiode doch noch zu einem anständigen Mieterschutz kommt. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner in der Debatte hat Michael Groß von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Michael Groß (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wurde schon mehrfach angesprochen: Die Mietpreise steigen seit 2010 schneller als die Einkommen, in den Jahren 2010 bis 2014 um fast 5 Prozent jährlich – inzwischen ist das etwas abgeflacht –, in den großen Städten sehr massiv. Das bedeutet, dass Menschen mit einem Jahreseinkommen von 10 000, 20 000, 30 000, 40 000 Euro die Miete zum Teil nicht mehr bezahlen können. Uns Sozialdemokraten ist das völlig klar, und das nicht erst seit gestern. Wir sind mit der Mietpreisbremse in den Wahlkampf gezogen. Wir haben gesagt, dass das Mietrecht eine soziale Funktion hat. Uns muss niemand in den Sattel setzen, damit wir dieses Thema weiterverfolgen. Wir sind dafür, das Mietrecht zu stärken und die Mieter zu schützen. (Beifall bei der SPD) Herr Luczak, ich bin schon etwas irritiert. Ich höre Sie hier zum dritten oder vierten Mal zu dem Thema. Es ist fast wie das Murmeltier, das täglich grüßt. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das liegt an den Anträgen!) Ich lese in der Zeitung ständig, was nicht mit Ihnen geht. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir die Modernisierungsumlage senken. Sie sagen: Das geht so nicht. – Wir haben vereinbart, dass wir eine Härtefallregelung schaffen wollen, dass wir regeln wollen, dass Menschen durch die Miete nicht über einen bestimmten Einkommensanteil hinaus belastet werden. Sie sagen: Das geht so nicht. Wir würgen Investitionen ab. – Wir gehen davon aus, dass wir das in den nächsten Wochen hinbekommen. Wir müssen die Mieter jetzt schützen, weil sie den Schutz jetzt brauchen und nicht erst in vier oder fünf Jahren. Sie haben völlig recht, dass wir eine Modernisierungsumlage brauchen, die Investitionen nicht abwürgt. Aber Sie können doch nicht davon ausgehen, dass jemand, in dessen Wohnung 20 000 Euro investiert worden sind, dauerhaft eine Mieterhöhung um 180 Euro und mehr tragen kann. Das ist eine soziale Frage, und da bedarf es einer sozialen Antwort. Der Verweis auf die soziale Marktwirtschaft war sozusagen ein Kernpunkt in Ihrer Argumentation. Soziale Marktwirtschaft bedeutet, dass Eigentum verpflichtet und dass Eigentum zu schützen ist. Aber wir müssen die Mieter vor den stattfindenden Exzessen schützen. Sie haben ja selber gesagt, dass Sie das tun wollen, aber heute keine einzige Antwort geliefert, wie Sie das tun wollen, und das ist zu kritisieren, Herr Luczak. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Groß, lassen Sie eine Zwischenfrage zu? Michael Groß (SPD): Sehr gerne. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Cool! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So was könnt ihr doch im Koalitionsausschuss machen!) Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Danke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Keine Angst, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, wir führen jetzt hier keine koalitionsinternen Gespräche, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Interessant wäre es aber doch!) aber ich möchte eine Sache, die Herr Groß gesagt hat, nicht unwidersprochen so stehen lassen. Sie sagten gerade, dass wir gegen eine Absenkung der Modernisierungsumlage wären und dass wir dagegen wären, eine Härtefallregelung einzuführen. Das ist nicht der Fall. Wir haben diesbezüglich im Koalitionsvertrag klare Absprachen miteinander getroffen, und zu diesen Absprachen stehen wir. Wir als Union legen aber großen Wert darauf, dass wir uns nicht ausschließlich auf das Regulative konzentrieren. Wir sollten nicht so stark auf die Symptome schauen, sondern auch danach fragen, was das geeignete Mittel ist, um steigende Mieten nachhaltig zu dämpfen und auch langfristig Erfolge zu erzielen. Da will ich Sie jetzt gar nicht angreifen. Wenn ich aber an die Opposition und an die Rede von Herrn Kühn denke, muss ich sagen: Das sind einfache, populistische Antworten, die hier zum Teil gegeben werden. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was ist denn daran populistisch? Machen Sie das mal!) Wir wollen hier stattdessen gemeinsam – da hoffen wir auf Ihre Unterstützung – vernünftige Regelungen schaffen. Ich möchte also die Behauptung, dass wir uns gegen vernünftige Regelungen wehren würden, so nicht stehen lassen. Die Regelungen müssen zielgenau sein. Wir müssen die Exzesse, die wir auf dem Mietwohnungsmarkt haben, verhindern. Gleichzeitig dürfen wir aber nicht flächendeckend Modernisierungen verhindern. Da bitte ich Sie noch einmal um Ihre Auskunft, ob Sie das auch wollen. Ich kann mir nämlich beim besten Willen nicht vorstellen, dass wir altersgerechten Umbau und energetische Sanierungen verhindern wollen. Michael Groß (SPD): Nein, das wollen wir nicht verhindern. Wir haben den sinnvollen Vorschlag gemacht, die Modernisierungsumlage von 11 auf 8 Prozent zu senken, weil damit gesichert ist, dass Wohnraum bezahlbar bleibt, und wir letztendlich auch die Ziele erreichen, die Sie gerade genannt haben: ökologischen Umbau, Energieeffizienz und Barrierefreiheit. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das ist ein vernünftiger Vorschlag. Sie wollen noch nicht einmal die Inhalte, die wir vereinbart haben – die Senkung der Modernisierungsumlage auf 10 Prozent und die Bindung an die Amortisationszeit – umsetzen. Die Bindung an die Amortisationszeit haben Sie in Ihrer Argumentation völlig vergessen; die wollen Sie nicht. Wir müssen einen Kompromiss finden, und zwar relativ schnell. Ich gehe nach Ihrer heutigen Einlassung davon aus, dass Sie gesprächsbereit sind. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird in den nächsten Tagen und Wochen darauf ankommen, dass der Entwurf von Bundesminister Heiko Maas gut bewertet wird und wir einen Kompromiss finden. Ich glaube, es ist ein gutes Paket. Damit werden wir die Härtefallregelung und die Kappungsgrenze angehen und versuchen, den Mietspiegel auf eine breitere Grundlage zu stellen. Ich glaube, das ist eine gute Antwort auf die derzeitige Situation. Wir müssen schnell handeln. Daneben – das ist schon angesprochen worden – müssen wir natürlich dafür sorgen, dass genügend bezahlbarer Wohnraum geschaffen wird. Das haben wir als Koalition getan. Wir haben die Kompensationsmittel auf 1 Milliarde Euro erhöht, und wir werden sie um weitere 500 Millionen Euro erhöhen. Die Länder geben uns die Rückmeldung, dass das ein gutes Instrument ist, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Herzlichen Dank. Glück auf! (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Dr. Volker Ullrich von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heute vorliegenden Anträge geben uns Gelegenheit, noch einmal grundsätzlich über gutes und bezahlbares Wohnen zu sprechen. Ja, wir brauchen in diesem Land bezahlbare Wohnungen, gerade in großen Städten, weil es nicht sein kann, dass Menschen verzweifelt nach bezahlbaren Wohnungen suchen oder Leistungsträger dieser Gesellschaft wie Polizisten, Krankenschwestern oder Handwerker oftmals lange Pendelwege, gerade in Metropolen, in Anspruch nehmen müssen. Deswegen sollten uns Ernsthaftigkeit und Besonnenheit in dieser Debatte führen. Wenn ich dann Herrn Kühn höre, der von einem Drama gesprochen hat, oder Äußerungen über ein irritiertes Murmeltier, dann muss ich sagen: Das ist nicht die Ernsthaftigkeit, mit der wir diese Debatte führen sollten. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Koalition hat geliefert. Sie hat die versprochene Mietpreisbremse umgesetzt. Durch eine Mietpreisbremse, eine Regulierung des Preisniveaus, kann natürlich eines nicht entstehen: der Neubau von Wohnungen. Es war immer eine zweiseitige Vorgehensweise: Zum einen ging es um die Regulierung des Mietenniveaus – das haben wir umgesetzt –, und zum anderen brauchen wir die Neuschaffung von bezahlbarem Wohnraum. Gerade in großen Städten lassen sich nur durch Preisregulierung und Schaffung von neuem Wohnraum die Engpässe beseitigen. Wir brauchen neuen Wohnraum, und wir sollten nicht nur die Mietenhöhe regulieren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir reden heute aber über das Mietrecht und nicht über den Neubau!) Wir wollen – die Politik der Union ist umfassend – insgesamt vier Dinge regeln, die uns wichtig sind: Erstens werden wir eine steuerliche Förderung von Neubauten (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wird zu Mitnahmeeffekten kommen!) durch eine Sonderabschreibung gerade in angespannten Wohnungsmärkten auf den Weg bringen. Dabei wird auch darüber zu sprechen sein, ob wir nicht die Eigenheimzulage gerade für junge Familien mit Kindern wieder einführen sollten. Zweitens. Wir müssen auch über die Standards reden. Natürlich sind Umweltverträglichkeitsprüfung, Klimaschutz, Stellplatzablöse, Brandschutz sehr ehrenwerte Motive, die man beachten muss und beachten sollte. Man muss sich aber überlegen, ob man das gleiche Niveau an Schutz nicht auch durch weniger Baukosten erreichen kann. Diese Fragen, wodurch Bauen günstiger wird, was Familien und Wohnungssuchenden zugutekommt, werden wir angehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie denn drei Jahre lang gemacht? Alle Vorschläge liegen vor! Sagen Sie mal, was Sie wollen!) Drittens. Wir müssen auch an die Kommunen herantreten und über das Baurecht sprechen. Wir müssen ganz konkret deutlich machen, dass, damit Kommunen nachverdichten können, Bebauungspläne, auch Übertragungen von Immobilien des Bundes an die Kommunen, in verstärktem Maß möglich sein sollen, damit in den Zentren der Städte neue Wohnungen entstehen. Viertens. Wir brauchen auch ein kluges Mietrecht; das ist gar keine Frage. Das Mietrecht ist immer eine Balance zwischen dem Eigentumsgrundrecht des Vermieters und dem sozialen Interesse des Mieters. Bei dieser Debatte sollten wir uns nicht allein von Zerrbildern oder vom Schwarz-Weiß-Denken leiten lassen. Ja, es gibt in diesem Land Exzesse; es gibt Exzesse bei Investoren, die Mieter aus ihren angestammten Wohnungen heraustreiben. (Ulli Nissen [SPD]: Leider viel zu viele!) Dagegen werden wir vorgehen; das haben wir im Blick. Aber es gibt eben auch eine andere Realität in diesem Land. Es gibt die Realität von Millionen von Mietern, die seit Jahrzehnten friedlich und vertrauensvoll in Wohnungen ihres Vermieters leben. Fast die Hälfte des Wohnungsbestandes in Deutschland ist in Händen von Eigentümern, die nur ein Objekt haben. Dieses vertrauensvolle Miteinander von Vermietern und Mietern wollen wir schützen. Dafür werden wir behutsam ein Mietrecht novellieren, das beide Aspekte im Blick hat. Natürlich werden wir über eine Härtefallregelung sprechen und über die Modernisierungsumlage. Aber wir werden das so machen, dass wir die Menschen nicht gegeneinander ausspielen, sondern sie mitnehmen und eine Lösung finden, die für beide Seiten interessengerecht ist. Das ist die Politik der Union: nicht ausspielen, sondern mitnehmen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir werden uns also vom Koalitionsvertrag und von einem Mietrecht leiten lassen, das Investitionen nicht bremst, Menschen schützt und letztlich zu gutem und bezahlbarem Wohnen führt. In diesem Sinne: Vertrauen Sie uns! Auf gute Beratungen! Ihre Anträge werden wir ablehnen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als letzter Redner in dieser Debatte hat Dennis Rohde von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Dennis Rohde (SPD): Sehr geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Luczak, nach der Zwischenfrage, die Sie gerade dem Kollegen Groß gestellt haben, kann man eigentlich nur den Kopf schütteln. Wenn Sie sagen, dass eine deutliche Absenkung der Modernisierungsumlage – sagen wir auf 8 Prozent – und die Verlängerung des Bezugszeitraums beim Mietspiegel Populismus sind, dann frage ich mich ernsthaft, warum eigentlich der rot-schwarze Senat in Berlin genau das beschlossen hat. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich frage Sie: Was werfen Sie Ihren Parteifreunden im eigenen Bundesland vor, die sich für genau das einsetzen, wogegen Sie hier Reden halten? (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Da fragt man sich, ob der Schutz von Mieterinnen und Mietern für die CDU/CSU nur in Wahlkampfzeiten interessant ist oder ob wir jetzt einmal Butter bei die Fische geben und das Ganze hier auch umsetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte deutlich machen: Für uns ist Wohnraum mehr als Lebensraum. Für uns ist die Schaffung und die Aufrechterhaltung von bezahlbarem Wohnraum auch eine zentrale Frage für den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Für uns ist Wohnpolitik auch Sozialpolitik und deswegen ganz besonders wichtig. (Beifall bei der SPD) Leider haben wir in Deutschland 294 angespannte Wohnungsmärkte, die von den Landesregierungen so eingestuft wurden. Das sind Wohnungsmärkte, um die wir uns heute zu kümmern haben – nicht in drei Jahren, nicht in fünf Jahren. Die Menschen brauchen heute unsere Hilfe. Das sind wir angegangen. Wir haben die Mietpreisbremse auf den Weg gebracht. Wir haben das Bestellerprinzip bei den Immobilienmaklern auf den Weg gebracht. Für uns ist auch klar: Wenn es Probleme bei der Mietpreisbremse gibt, wenn dort nachgebessert werden muss, dann machen wir uns diese Forderung zu eigen. Wir Sozialdemokraten wollen eine Mietpreisbremse, die auch wirkt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur zu!) Das nächste Problem sind die Mietspiegel. Mietspiegel sind ein richtiges Instrument, um die ortsübliche Vergleichsmiete darzustellen. Leider haben von den 294 angespannten Wohnungsmärkten nur 77 einen Mietspiegel. Wenn man sich damit auseinandersetzt, warum sie keinen Mietspiegel haben, wenn man sich mit Kommunalpolitikern unterhält, die Verantwortung vor Ort tragen, dann kommt immer wieder dieselbe Antwort: Wir wollen heute keinen Mietspiegel rausbringen, weil ein Betrachtungszeitraum von vier Jahren in einem dynamischen Markt einzig und allein dazu führt, dass das aufgenommen wird, was sich entwickelt hat, nämlich sowieso schon überteuerte Mieten. – Die Kommunalpolitiker sagen, dass sie kein Interesse haben, weitere Mieterhöhungen zu erleichtern. Ich sage: Recht haben unsere Kommunalpolitiker. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb ist das, was auch der CDU-Justizsenator in Berlin vorschlägt, nämlich den Betrachtungszeitraum zu verlängern, genau die richtige Antwort. Ich finde, wir sollten diese Antwort zeitnah geben, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das wäre auch okay, wenn man das historisch herleiten will. Als die Mietspiegel 1971 eingeführt wurden, gab es überhaupt keinen Betrachtungszeitraum. Damals hat man alle abgeschlossenen Mietverträge einbezogen. Von daher ist es eine sozial sehr ausgewogene Entscheidung, zu sagen: Wir berücksichtigen zwar nicht alle Mietverträge, aber verlängern den Betrachtungszeitraum auf acht Jahre und dämpfen damit die Mietanstiege. – So sähe verlässliche Politik aus. (Beifall bei der SPD) Zur Modernisierungsumlage. Sie wurde 1978 mit 11 Prozent eingeführt. Seitdem wurde nichts verändert. In einem anhaltenden Niedrigzinsumfeld müssen wir da ran. (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Wie kann eine Modernisierung finanziert werden? Sehen wir uns einmal die aktuellen KfW-Programme an. Beim KfW-Programm 159 „Altersgerecht Umbauen“ beträgt der Zinssatz für die nächsten zehn Jahre 0,75 Prozent. Eine Modernisierung kann dazu genutzt werden, Leute herauszumodernisieren und kräftig Rendite zu machen. Ich finde, das dürfen wir in einer sozialen Marktwirtschaft nicht zulassen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich könnte weitere Punkte unseres Gesetzentwurfs anführen, möchte es aber dabei bewenden lassen. Stattdessen möchte ich versöhnlich einen der ersten Sätze des Kollegen Luczak aufgreifen: Wir wollen etwas für die Mieterinnen und Mieter machen. – Lassen Sie uns endlich damit anfangen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Aussprache. Bevor ich zu den Abstimmungen komme, möchte ich Ihnen kurz das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der ‚United Nations Interim Force in Lebanon‘ (UNIFIL) auf Grundlage der Resolution 1701 (2006) und nachfolgender Verlängerungsresolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, zuletzt Resolution 2236 (2015) vom 21. August 2015“ mitteilen – es handelt sich um die Drucksachen 18/8624 und 18/8762 –: Abgegeben wurden 567 Stimmen. Davon haben mit Ja gestimmt 496, mit Nein haben gestimmt 66, und 5 Kolleginnen und Kollegen haben sich enthalten. Damit ist diese Beschlussempfehlung angenommen worden. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 567; davon ja: 496 nein: 66 enthalten: 5 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Norbert Brackmann Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Jutta Eckenbach Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Ingrid Fischbach Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Alexander Radwan Alois Rainer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Iris Ripsam Johannes Röring Kathrin Rösel Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Ronja Schmitt Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Kai Wegner Dr. h.c. Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr. h.c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Marina Kermer Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Ulli Nissen Mahmut Özdemir (Duisburg) Markus Paschke Christian Petry Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Dirk Wiese Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Anja Hajduk Britta Haßelmann Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Nein SPD Klaus Barthel Willi Brase Dr. Ute Finckh-Krämer Gabriele Hiller-Ohm Rüdiger Veit Waltraud Wolff (Wolmirstedt) DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Michael Schlecht Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Dr. Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Monika Lazar Hans-Christian Ströbele Enthalten SPD Petra Hinz (Essen) Cansel Kiziltepe BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Lisa Paus Corinna Rüffer Dr. Harald Terpe Wir kommen jetzt zu den Abstimmungen über die Anträge, die wir eben debattiert haben. Zunächst zum Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8863 mit dem Titel „Mieterinnen und Mieter besser schützen – Zweite Mietrechtsnovelle vorlegen“. Die Fraktion Die Linke wünscht Abstimmung in der Sache. Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD wünschen Überweisung, und zwar federführend an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz und mitberatend an den Innenausschuss und an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Wir stimmen nach unseren Gepflogenheiten zuerst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition beschlossen. Damit stimmen wir heute über den Antrag auf Drucksache 18/8863 nicht in der Sache ab. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Mietspiegel – Sozial gerecht und mietpreisdämpfend erstellen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8754, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/5230 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Tagesordnungspunkt 13 c, Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Für bezahlbare Mietwohnungen – Modernisierungsumlage reduzieren, Luxusmodernisierungen einschränken“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8764, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/7263 abzulehnen. – Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist auch diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Zusatzpunkte 6 und 7. Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 18/8857 und 18/8856 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b auf: a)   – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsvereinfachung Drucksache 18/8041 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) Drucksache 18/8909 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/8910 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Die Gewährleistung des Existenz- und Teilhabeminimums verbessern – Keine Rechtsvereinfachung auf Kosten der Betroffenen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin Andreae, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Grundsicherung einfacher und gerechter gestalten – Jobcenter entlasten Drucksachen 18/8076, 18/8077, 18/8909 Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen je ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke sowie der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin in dieser Debatte hat die Parlamentarische Staatssekretärin Anette Kramme für die Bundesregierung das Wort. (Beifall bei der SPD) Anette Kramme, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bund und Länder haben einen Prozess hinter sich gebracht: Sie haben lange an einer Reform des Sozialgesetzbuches II gearbeitet, für die Jobcenter, für die Leistungsbezieher und Leistungsbezieherinnen und schließlich auch für die Sozialgerichte. Das vorliegende Gesetz bringt Fortschritte. Unnötige Bescheide fallen weg. Die Beratung und auch die Einbindung mithilfe von Integrationsvereinbarungen werden verbessert. Auszubildende können künftig Leistungen des Sozialgesetzbuches II erhalten. Durch Klärungen und Vereinfachungen im Verfahrensrecht schafft das Gesetz mehr Rechtssicherheit. Entsprechend dem Struck’schen Gesetz hat die Beratung hier im Parlament den Gesetzentwurf an der einen oder anderen Stelle noch besser gemacht. Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kollegen und Kolleginnen, dass Auszubildende, wenn Ausbildungsförderung und Ausbildungsvergütung nicht zum Leben reichen, in Zukunft unkompliziert ergänzend Arbeitslosengeld II beziehen können, ist ein echter Meilenstein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zusätzlich haben wir eine Härtefallregelung aufgenommen. Dadurch bekommen auch diejenigen eine Chance, die erst spät die Kurve kriegen. Auch sie können jenseits der Altersgrenze von 30 Jahren eine schulische Ausbildung machen, finanziert über einen Zuschuss. So wichtig und richtig diese Regelung im Grundsatz ist, so will ich doch nicht verhehlen, dass sich das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hier auch eine andere Lösung hätte vorstellen können, nämlich über eine Anpassung der Altersgrenze im BAföG. Wir müssen über diesen Punkt sicherlich perspektivisch diskutieren. (Beifall bei der SPD) Entscheidend ist aber: Wir ermöglichen jungen und auch etwas älteren Menschen trotz schwieriger Umstände doch noch den Start ins Arbeitsleben. Beim Übergang in den Beruf, auch nach langer Arbeitslosigkeit, ist es oft gut und sinnvoll, die Menschen noch eine Weile im Job nachgehend zu begleiten und zu betreuen. Das haben wir jetzt in diesem Gesetz vereinbart. Wir haben damit eine Forderung umgesetzt, die sowohl aus den Reihen der Bundesagentur, aber auch immer wieder aus den Reihen der Wissenschaft vorgetragen worden ist. Wir haben im Zuge der Beratungen im Haus auch an einer anderen Stelle Klarheit geschaffen: Eine Verschärfung der sogenannten Zwangsverrentung wollen wir nicht. Das ist im Gesetz nicht vorgesehen. (Beifall bei der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: War aber vorgesehen! – Gegenruf der Abg. Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Die Dinge ändern sich!) Es gab zwischenzeitlich aufgeregte Debatten auch über das Thema „temporäre Bedarfsgemeinschaften“. Wie immer, wenn die Wellen hochschlagen, ist auch hier einiges durcheinandergeraten. Ich kann Ihnen dazu klipp und klar sagen: Es ging uns zu keiner Zeit um eine Schlechterstellung der Betroffenen, (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die Bundesregierung hatte es beschlossen als Vorschlag, als Formulierungshilfe! – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Aber wir sind das Parlament! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Parlament nicht, das ist richtig!) weder in Bezug auf die aktuelle Rechtspraxis noch in Bezug auf die geltende Rechtslage. Unsere Maßgabe war immer: Die besondere Situation von Alleinerziehenden und ihre Mehrbedarfe werden weiter berücksichtigt, und die Leistungen werden weiterhin an den überwiegend betreuenden Elternteil ausgezahlt. (Beifall bei der SPD) Entzündet hat sich die Debatte an der Aufteilung der Leistung. Dies ist bereits geltendes Recht. Sie hätte sich durch die diskutierten Vorschläge, bei denen es nicht um eine Kürzung, sondern um ein Verfahren der Aufteilung der Leistung zwischen beiden Haushalten der Eltern ging, nicht verändert. Aber wir wollen ausschließen, dass es durch ein neues Verfahren zu einer Verschlechterung im Einzelfall kommt. Darum haben wir die Regelung aus dem Gesetzentwurf herausgenommen. Einen Punkt möchte ich abschließend noch nennen. Menschen, die schon lange ohne Arbeit sind, haben meist einen langen Weg vor sich, bis sie wieder im allgemeinen Arbeitsmarkt Fuß fassen können. Es ist eines unserer zentralen Anliegen, sie auf diesem Weg zu begleiten, zu stabilisieren und zu unterstützen, und zwar durch intensive Beratung und Betreuung und auch durch das Angebot von Arbeitsgelegenheiten. Dabei sollen künftig auch die Kosten sozialpädagogischer Betreuung übernommen werden. In den Fällen, in denen 24 Monate nicht ausreichen, um die Menschen zu stabilisieren, soll es in Zukunft möglich sein, ein weiteres Jahr dranzuhängen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich, dass es uns gelungen ist, diesen langwierigen Prozess nun zum Ende zu bringen. Sicher: Mehr geht immer. Und ich sage an dieser Stelle ganz klar: Das Thema Sanktionen ist für uns auch mit diesem Gesetz nicht erledigt. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Kai Whittaker [CDU/CSU]) Aber ich denke, wir haben etwas erreicht, das sich sehen lassen kann. In diesem Sinne: Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt Katja Kipping. (Beifall bei der LINKEN) Katja Kipping (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kramme, was lange währt, wird eben doch nicht immer gut. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Stimmt! – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Deshalb haben Sie auch nur drei Minuten!) So ist es bei diesem Gesetzentwurf. Der Titel verspricht Rechtsvereinfachung; in der Praxis bedeutet der Inhalt des Gesetzes aber weniger Rechte für Erwerbslose, eine zweite Säule bei Sanktionen für Erwerbslose und Mehrbelastungen für die Mitarbeiter in den Jobcentern. (Iris Gleicke [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!) Das muss man erst einmal hinbekommen: es den Leuten auf beiden Seiten des Tisches schwerer zu machen. Deswegen sage ich ganz klar: Aus dieser Rechtsvereinfachung wird nichts Gutes; das ist einfach nur eine Rechtsverschärfung. Ich fordere Frau Nahles auf – sie ist leider nicht anwesend –: Tun Sie sich selbst, den Erwerbslosen, den Aufstockenden und den Beschäftigten einen Gefallen, und ziehen Sie diesen Murks einfach zurück! (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn das Thema Sanktionen für Sie nicht erledigt ist, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, können Sie heute zwei Änderungsanträgen zustimmen. Wir von der Linken fordern die komplette Abschaffung der Sanktionen, (Beifall bei der LINKEN – Katja Mast [SPD]: Wir wollen kein bedingungsloses Grundeinkommen!) und die Grünen fordern, wenigstens die 100-Prozent-Sanktionen für unter 25-Jährige zurückzuziehen. Da können Sie doch zustimmen. Das wäre keine Revolution. Sie haben immer gesagt, Sie wollen hier etwas machen. Jetzt können Sie es tun. Stimmen Sie einfach den Änderungsanträgen zu. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Martin Rosemann [SPD]: Werden Sie erst einmal regierungsfähig!) Aus Zeitgründen kann ich mich nur auf einen Kritikpunkt konzentrieren. Ich möchte über die Trennungskinder in Hartz-IV-Familien sprechen, auch bekannt als temporäre Bedarfsgemeinschaften. Natürlich hatte das Kabinett Verschlechterungen beschlossen. (Markus Paschke [SPD]: Das ist falsch!) Dass Sie nun gar nichts zu diesem Thema beschließen, löst kein einziges Problem für Trennungskinder in Hartz-IV-Familien. Fakt ist doch: Wenn die Eltern getrennt leben und das Kind mit beiden Umgang hat, dann fallen Mehrkosten an. (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Das ist Sand in die Augen der Leute streuen, was Sie da machen!) Manche Dinge müssen dann doppelt angeschafft werden. Es fallen zum Beispiel Fahrtkosten an. Sie werden doch nicht erwarten, dass das Kind sein Kinderbett unter dem Arm nimmt und den gesamten Hausrat in den Rucksack packt und damit den anderen Elternteil besucht. (Iris Gleicke [SPD]: Es geht gar nicht um Kinderbetten!) Das Mindeste, was wir brauchen, ist ein Umgangsmehrbedarf. Der gehört jetzt her. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Iris Gleicke [SPD]: Sie verunsichern die Leute! – Dr. Martin Rosemann [SPD]: Sie wissen gar nichts! Unglaublich!) Alle Familienverbände fordern einen Umgangsmehrbedarf. Ein Umgangsmehrbedarf bei Trennungskindern in Hartz-IV-Familien löst nicht alle Probleme, könnte aber etwas Entlastung bringen in einer familiären Situation, die sowieso angespannt ist, die auch finanziell angespannt ist. Aber dieses kleine Glück von armen Kindern opfern Sie der schwarzen Null. Es ist beschämend, dass Sie nicht einmal diesen Umgangsmehrbedarf gegenüber Herrn Schäuble durchsetzen konnten. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Die schwarze Null ist auch für diese Kinder!) Wie beschämend das ist, wird deutlich, wenn man das einer anderen Entscheidung aus dieser Woche gegenüberstellt, der Entscheidung zur Erbschaftsteuer. Um es klar zu sagen: Bei Millionärserben hat Schwarz-Rot die Spendierhosen an, bei armen Trennungskindern im Hartz-IV-Bezug knausern Sie aber wie verrückt. Das ist die falsche Prioritätensetzung. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich komme zum Schluss. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Gott sei Dank!) Dieses Gesetzesvorhaben war geprägt durch die irrige Vorstellung, wenn man den Vollzug etwas reibungsloser macht, dann könne man sich Hartz IV aufhübschen. Durch kosmetische Korrekturen wird Hartz IV nicht schöner. Für uns steht einmal mehr fest: Das Hartz-IV-Sanktionssystem gehört in Gänze abgeschafft und mindestens durch eine sanktionsfreie Mindestsicherung und gute Arbeit ersetzt. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Professor Dr. Matthias Zimmer, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kipping, in eine Redezeit von drei Minuten so viel Inhalt zu packen, der mit dem Gesetzentwurf eigentlich überhaupt nichts zu tun hat, dafür haben Sie schon meine besondere Hochachtung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Katja Kipping [DIE LINKE]: Mit der Realität der Menschen!) Ich muss sehr deutlich sagen: Der einzige Satz, bei dem ich aufgehorcht habe, war der Satz: „Ich komme jetzt zum Schluss“, und das war auch der beste Satz. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, die Staatssekretärin hat auf die Genese des Gesetzentwurfs hingewiesen. Das ist kein Gesetz für große Schlagzeilen, kein Gesetz für die Talkshows. Das ist eigentlich eher ein Gesetz aus dem Maschinenraum der Gesellschaft, mit dem wir bestimmte Dinge effizienter gestalten wollen, mit dem wir Dinge beschleunigen wollen, mit dem wir Dinge transparenter machen wollen. Der Gesetzentwurf hat eine lange Vorgeschichte. Es geht um das, was eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe 2013 und 2014 zur Vereinfachung des Leistungsrechts und des Verfahrensrechts erarbeitet hat. Wir haben diese Vorlage in den parlamentarischen Beratungen genutzt, um einige arbeitsmarktpolitische Instrumente zu schärfen oder neu aufzunehmen. Wir haben uns dabei von dem Ziel leiten lassen, das SGB II durch eine Vereinfachung von Verwaltungsvorschriften effizienter zu machen. Für die Bezieher soll es transparenter werden. Gerade Bestehen und Umfang von Rechtsansprüchen sollen besser erklärt werden. Dadurch sollen die Menschen besser in den Arbeitsmarkt integriert werden. Das ist auch die Messlatte, an der wir dieses Gesetz messen wollen. Ich will aus der Vielzahl von Regelungen einige beispielhaft aufgreifen, die uns an dieser Stelle besonders wichtig gewesen sind. Die Schnittstelle von Ausbildungsförderung und SGB II hat die Staatssekretärin bereits erwähnt. Hinzu kommt eine Härtefallregelung für Umschüler, die wegen Überschreitung der Altersgrenze keinen Anspruch auf BAföG hätten. Wir wollen nicht, dass das zu einem Ausbildungsabbruch führt. Daher wollen wir mit der Härtefallregelung dafür sorgen, dass eine begonnene Ausbildung zu Ende gebracht werden kann. Ebenfalls für uns wichtig war eine Flexibilisierung der sogenannten Zwei-in-Fünf-Regelung, also mit anderen Worten, dass wir Arbeitsgelegenheiten innerhalb von fünf Jahren nur für zwei Jahre anbieten können. Es ist nun wirklich häufig der Fall, dass Menschen auf dem Weg in den ersten Arbeitsmarkt nach 24 Monaten vielleicht noch nicht so weit sind, dass sie vielleicht 26, 28, 30 Monate brauchen. Wir wollen, dass wir da etwas flexibler werden, dass die Menschen eine Chance haben, auf den ersten Arbeitsmarkt zu kommen. Wir haben ausdrücklich in die Begründung geschrieben, wen wir damit besonders meinen und besonders fördern wollen, nämlich Ältere und Familien mit schulpflichtigen Kindern. Ich glaube, an dieser Stelle ist das eine wirklich sinnvolle Maßnahme. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir haben darüber hinaus bei der Einrichtung der AGHs – das ist ja auch immer Diskussionsstoff gewesen, weil gesagt wurde, dass die Zusätzlichkeit, die Wettbewerbsneutralität etc. ein großes Problem sind – gesagt: Lasst uns den Sozialpartnern vor Ort mehr Mitsprache geben. Das exkulpiert jetzt den Geschäftsführer nicht von seiner juristischen Verantwortung, aber wenn die Sozialpartner sagen: „Lieber Geschäftsführer, das ist wettbewerbsneutral, damit haben wir eigentlich überhaupt keine Probleme“, dann, finde ich, ist das ein deutlicher Fortschritt. Wenn ein responsiver Geschäftsführer – die meisten sind es – im Amte ist, dann wird er auf seine Geschäftspartner hören. Wir haben da sicherlich einen erheblichen Fortschritt in der Frage, wer eine AGH bekommen kann. Wir haben außerdem die Integrationsbetriebe für psychisch Kranke geöffnet. Der Kollege Whittaker wird wahrscheinlich noch einiges dazu sagen. Wir haben als neues Basisinstrument den neuen § 16h SGB II, in dem wir passgenaue Lösungen vor allen Dingen für schwer erreichbare junge Menschen anbieten wollen. Ich glaube nämlich wirklich – das ist bisher einer der großen Skandale –, dass wir gerade junge Menschen in den ersten Arbeitsmarkt sehr viel stärker integrieren müssen; denn die Folgen, wenn wir es nicht tun, werden uns in den nächsten Jahren und Jahrzehnten auf Trab halten. Deswegen ist das an dieser Stelle eine sehr sinnvolle Lösung. Wir haben darüber hinaus die Pflicht zur Zusammenarbeit der Behörden untereinander gestärkt, insbesondere um Familien und junge Menschen zu fördern, um sie aus dem Leistungsbezug herauszuholen. Wir haben in den vergangenen Tagen eine öffentliche Debatte über einige Punkte, auf die ich noch ganz kurz eingehen will, gehabt. Wir haben den Grundsatz des Forderns in dem Gesetz gestärkt. Das heißt, SGB II ist eine nachrangige Leistung. Vorher müssen erst einmal alle anderen Sozialleistungen abgefragt werden. Wir haben die Mitwirkungspflichten derjenigen, die im SGB-II-Bezug sind, deutlich angehoben und sie darauf verpflichtet, mitzuwirken, um andere Sozialleistungen beantragen zu können. Wir haben sehr deutlich in die Begründung geschrieben, dass das nicht für die Rente gilt. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das steht sogar im Gesetzestext selber, nicht nur in der Begründung!) – Vielen Dank, lieber Kollege Birkwald. Richtig, es steht auch an anderer Stelle. Aber die Zwangsverrentung ist explizit mit diesem Thema nicht gemeint. Wir haben aufgrund vieler Anschreiben, die wir bekommen haben, das Abtretungsverbot, das relativ rigide formuliert gewesen ist, etwas zurückgenommen, weil es für SGB-II-Bezieher teilweise sinnvoll sein kann, eine Abtretung von Leistungen gegenüber anderen Trägern vorzunehmen. Das halte ich für ausgesprochen sinnvoll. Bei den temporären Bedarfsgemeinschaften bleibt es bei der alten Regelung. Es ist also nicht so, dass wir besondere Mehrbedarfe eingeführt hätten. Die alte Regelung kennt ohnehin schon Mehrbedarfe. Insofern, liebe Frau Kollegin Kipping, ist die Aufregung da völlig umsonst gewesen. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Wer weiß, was passiert wäre, wenn wir uns nicht aufgeregt hätten!) Ganz bewusst nicht geregelt haben wir die Frage von Sanktionen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist schlecht!) Das sollte in solch einem Gesetz auch nicht der Fall sein. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja wo denn sonst?) Meine Damen und Herren, ich hatte gesagt: Das ist das neunte SGB-II-Änderungsgesetz. Das SGB II ist im Jahr 2005 „ans Netz gegangen“. Wer rechnen kann, sieht: Im Schnitt gab es in jedem Jahr ein Änderungsgesetz. Das ist eine ganze Menge. Das zeigt nicht, dass wir schlechte Gesetze machen, sondern das zeigt, dass das SGB II ein responsives, lernendes System ist, wie es Karl Schiewerling häufig formuliert hat, ein lebendiges System und dass es sich lohnt, in diesem System nachzusteuern – für die Betroffenen, für die Mitarbeiter, für die örtlichen Akteure, aber auch für die gesamte Gesellschaft. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ich habe zu Anfang gesagt, meine Damen und Herren: Das ist ein Gesetzentwurf aus dem Maschinenraum der Gesellschaft. Ich möchte zum Abschluss sozusagen den Maschinisten danken, die mit uns den Gesetzentwurf auf den Weg gebracht haben, den Berichterstattern der SPD, den Obermaschinisten aus der Bundesregierung und aus dem Ministerium für Arbeit und Soziales. Ich glaube, das ist ein guter Gesetzentwurf. Ich kann die Zustimmung vorbehaltlos empfehlen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn. Bitte schön. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf ist überschrieben mit „Rechtsvereinfachung“. Das wäre eigentlich unbedingt notwendig, denn das Leistungsrecht bei der Grundsicherung ist extrem kompliziert und kaum durchschaubar. Man muss dazusagen: Es geht um ein Grundrecht, nämlich das Grundrecht auf Existenzsicherung. Es ist eigentlich nicht hinnehmbar, dass es so viele bürokratische Hürden gibt, um dieses Grundrecht in Anspruch zu nehmen. Deswegen müssten diese bürokratischen Hürden abgebaut werden, damit die Menschen endlich zu ihrem Recht kommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Aber das Gegenteil ist bei diesem Gesetzentwurf der Fall. Zusätzliche bürokratische Hürden werden aufgebaut. Es gibt Mehraufwand bei den Jobcentern. Es gibt zusätzliche Drangsalierungen der Betroffenen. Ich sage es noch einmal: Es geht um ein Grundrecht. Es ist ganz wichtig, dass wir das im Blick behalten. Der zweite Punkt ist mindestens genauso wichtig: Die Jobcenter betreuen heute schon 6 Millionen Menschen, Kinder eingeschlossen. Darunter sind deutlich über 4 Millionen Erwachsene. Davon sind nur 1 Million Menschen langzeitarbeitslos. Eigentlich ist der ursprüngliche Auftrag der Jobcenter gewesen, die Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt zu vermitteln. Jetzt kommen noch die geflüchteten Menschen hinzu. Auch da ist der Auftrag der Jobcenter eigentlich, diese Menschen in den Arbeitsmarkt zu vermitteln. Tatsächlich haben aber auch die Jobcenter einen Riesenaufwand mit Menschen, die da gar nicht hingehören und eigentlich vorgelagert abzusichern sein müssten. Die Jobcenter müssten endlich einmal von Bürokratie befreit werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch das wäre ein wichtiges Ziel gewesen. Auch das ist nicht gelungen. Das hat die Expertenanhörung ganz deutlich gezeigt. Von den vorhandenen Verwaltungskosteneinsparungen – im Gesetzentwurf stehen 39 Millionen Euro – gehen 38 Millionen Euro allein darauf zurück, dass die Bewilligungsbescheide jetzt für zwölf und nicht mehr für sechs Monate erlassen werden sollen. Das passiert aber schon weitgehend. Das ist eine reine Luftbuchung. 1 Million Euro Verwaltungskosteneinsparung bleibt über. Das ist nicht einmal der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Aber es ist noch schlimmer: Durch die vielen Neuregelungen entsteht erst einmal Mehraufwand. Das hat die Vertreterin der Bundesagentur für Arbeit ganz deutlich gesagt: Mehraufwand entsteht in den nächsten Monaten, wo zusätzliche Aufgaben auf die Jobcenter zukommen. Allein um die IT neu zu programmieren, braucht die Bundesagentur für Arbeit bis mindestens zum Frühjahr nächsten Jahres. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!) Das zeigt, wie viel Aufwand mit diesem Gesetzentwurf verbunden sein wird. Insofern ist das mindestens eine Nullnummer. Vor allen Dingen fehlen tatsächliche Vereinfachungen. Da haben wir einen Antrag mit einigen Beispielen vorgelegt, wie man es hinbekommt, die Vereinfachung so zu gestalten, dass gleichzeitig die Jobcenter entlastet werden können und das Existenzminimum der Betroffenen besser abgesichert werden kann. Ein Beispiel, über das in der Öffentlichkeit diskutiert worden ist, ist die Absicherung von Kindern, die bei getrenntlebenden Eltern aufwachsen; Herr Kollege Kauder, wir haben ja eben schon ein bisschen darüber diskutiert. Im Steuerrecht gibt es eine Regelung zur doppelten Haushaltsführung, die zu einer Ersparnis führt. Auch dann, wenn Kinder in zwei Haushalten aufwachsen, besteht ein zusätzlicher Bedarf, um das Existenzminimum zu decken. Das hat die Kollegin Kipping „Umgangsmehrbedarf“ genannt; es heißt auch in unserem Antrag so. Um das Existenzminimum des Kindes zu decken, braucht es einen solchen Umgangsmehrbedarf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Aber es war ja noch viel schlimmer: Die Bundesregierung hat eine Formulierungshilfe beschlossen, nach der tatsächlich alle Alleinerziehenden schlechtergestellt würden, wenn das Kind ab und zu bei einem Partner wohnt. Alle Alleinerziehenden! Das ist im Parlament Gott sei Dank verhindert worden; dafür geht mein Dank an die Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen. Das lag natürlich an dem öffentlichen Druck von außen, aber auch an dem inneren Druck der beiden Oppositionsparteien. Es war unser Experte in der Anhörung, der ganz deutlich gesagt hat, dass das eine Verschlechterung für alle ist. Es ist gut, dass das geändert worden ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Der zweite Punkt – langsam geht meine Redezeit zu Ende – betrifft die Sanktionen. Der Kollege Zimmer hat gesagt: Da wird nichts gemacht. – Die Kollegin Kramme hat gesagt: Das ist weiter auf der Agenda. – Es ist aber nichts drin, obwohl alle, wirklich alle Expertinnen und Experten, alle Wohlfahrtsverbände, die Jobcenter und die Bundesagentur fordern, dass man da etwas machen muss, zumindest bei den Sanktionen für unter 25-Jährige, bei der Sanktionierung der Kosten der Unterkunft. Der Bundesrat hat das beschlossen. Seien Sie solidarisch mit den Ländern, in denen Sie von SPD und Union zum Teil mitregieren. Wir haben dazu einen Änderungsantrag eingebracht. Sie haben die Chance, ihm zuzustimmen. Wir würden eigentlich sogar weiter gehen, weil die Sanktionen insgesamt überdacht werden müssen. Deswegen fordern wir ein Sanktionsmoratorium. Ich könnte jetzt noch lange ausführen und weitere Beispiele nennen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Aber dazu gebe ich Ihnen nicht die Erlaubnis. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Zeit habe ich jetzt aber nicht mehr. Deswegen verweise ich noch einmal auf unseren Antrag. Dieses Thema ist extrem wichtig; denn wir müssen die Jobcenter entlasten. Es geht um ein Grundrecht. Es ist wichtig, dass das einfach, unbürokratisch und transparent geregelt wird; denn Grundsicherung ist eine Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Kerstin Griese. (Beifall bei der SPD) Kerstin Griese (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das SGB-II-Änderungsgesetz, das wir heute hier beraten, hat uns im Ausschuss für Arbeit und Soziales lange beschäftigt, allerdings zunächst eher begleitend; denn es ist erarbeitet worden von einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe und von Expertinnen und Experten aus den Jobcentern, die aus Sicht der Praxis Verbesserungsvorschläge gemacht haben. Ich will ganz zu Beginn den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Jobcentern danken. Ihre Arbeit ist nicht immer einfach. Sie engagieren sich sehr für die Menschen, die zu ihnen kommen. Es ist auch gut, wenn wir aus dieser Praxis Verbesserungsvorschläge bekommen. Herzlichen Dank an die Mitarbeiter! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir haben schon viele Details dazu gehört, wo Verbesserungen vorgeschlagen werden. Ich will auf eine Verbesserung kurz und auf eine länger eingehen. Eine Verbesserung, über die ich sehr froh bin, ist die, dass wir für anerkannte Flüchtlinge, die noch in Gemeinschaftsunterkünften leben – davon gibt es einige –, einfachere Verfahren einführen werden. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Denen sollen die Leistungen gekürzt werden! Die sollen nur noch Sachleistungen kriegen! Das ist eine Verschlechterung, und zwar eine deutliche!) Wenn sie sich in Gemeinschaftsunterkünften nicht selbst versorgen können, dann werden den Betreibern die Kosten für ihre Versorgung erstattet. Das ist gut, das ist praxistauglich, und das ist eine Verbesserung für die Flüchtlingsunterkünfte. (Beifall bei der SPD) Ich möchte auf ein Thema eingehen, das schon angesprochen wurde, nämlich auf die Alleinerziehenden. Ich will ausdrücklich sagen: Wir haben uns mit Alleinerziehenden sehr intensiv über ihre Situation unterhalten. Ja, es war eine Regelung geplant, die zunächst wie eine Vereinfachung und eine rechtliche Klarstellung aussah, die aber, wäre sie so ins Gesetz aufgenommen worden, für manche Alleinerziehenden finanzielle Einbußen hätte bedeuten können; das konnte man vorher nicht wissen. Dagegen hat sich viel Protest gebildet, und das, wie wir gemerkt haben, durchaus zu Recht. Ich will sagen: Das war auch ein kleines Lehrstück im Hinblick auf Theorie und Praxis bei der Umsetzung von Gerichtsurteilen. Denn in der Theorie – aber eben nur teilweise in der Praxis – war es so, dass nach einem Urteil des Bundessozialgerichts die Leistungen für das Kind aufgeteilt werden mussten und der Aufenthalt bei beiden Elternteilen stündlich erfasst werden musste. Das war eine riesige Bürokratie, die zu umfangreichen und komplexen Bescheiden von 200 Seiten geführt hat. Das wollten wir nicht mehr, und das sollte vereinfacht werden. Das war eine gute Idee. Allerdings hat sich gezeigt, dass dieses komplizierte Verfahren in vielen Jobcentern gar nicht angewandt wurde. (Karl Schiewerling [CDU/CSU]: So ist es!) Daraus haben wir gelernt und haben deshalb gesagt: Diesen Änderungsvorschlag nehmen wir aus dem Gesetzentwurf heraus. – Außerdem haben wir uns über dieses Thema besonders mit den betroffenen Alleinerziehenden unterhalten. Wir tun das, weil uns die Bedürfnisse der Kinder wichtig sind; um sie geht es. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Verbreiten Sie bitte nicht einen solchen Unsinn wie mit den zwei Kinderbetten. Schon jetzt werden natürlich zwei Kinderbetten bezahlt, wenn in den Wohnungen beider Elternteile ein Kinderbett nötig ist. (Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Genau! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur bei der Erstausstattung!) Man darf hier die Leute nicht verunsichern. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir wollen eine Lösung, die die getrennt lebenden Elternteile der Kinder nicht auf Kosten der Kinder gegeneinander ausspielt, die keine Anreize bietet, die Kinder nicht zu dem anderen Elternteil zu lassen, und die keine Einschränkungen der Kinder zur Folge hat. Deshalb haben wir überlegt, was wir tun können, um Alleinerziehenden zu helfen und sie nicht schlechterzustellen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich will auch noch einmal sagen, warum: Alleinerziehende sind die Gruppe, die am stärksten von Armut bedroht ist. Von allen Kindern, die in Hartz IV leben, lebt die Hälfte bei einem alleinerziehenden Elternteil. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit dem Umgangsmehrbedarf?) Deshalb haben wir innerhalb der Koalition intensiv beraten, wie man Alleinerziehende besser unterstützen kann, und wir sind dabei, ein Konzept für einen Umgangsmehrbedarf zu entwickeln. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) Unser Ziel ist nämlich, dass der umgangsberechtigte Elternteil seinen kindbedingten Mehrbedarf decken kann, ohne dass es bei dem anderen alleinerziehenden Elternteil zu Problemen kommt. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Kommen Sie bitte zum Schluss. Kerstin Griese (SPD): Ich komme zum Schluss. – Dieser Umgangsmehrbedarf wäre eine wirkliche Verbesserung für die Kinder getrennter Eltern, die sich beide – das wollen wir ja gerade fördern – um die Kinder kümmern wollen. Wir sind in der Koalition gerade in der Diskussion über die Ausgestaltung und die Finanzierung und bleiben da dran; denn ein solcher Umgangsmehrbedarf wird der Lebenswirklichkeit gerecht. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin Griese. Kerstin Griese (SPD): Ich freue mich, wenn wir ihn demnächst hier gemeinsam beschließen können. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Nächster Redner ist jetzt der Kollege Matthias W. Birkwald. (Beifall bei der LINKEN) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Durch Hartz-IV-Sanktionen werden arme Menschen obdachlos. Durch Hartz-IV-Sanktionen werden arme Menschen unzureichend ernährt. Sanktionen bedrohen die Gesundheit und das Leben von armen Menschen. Artikel 1 des Grundgesetzes lautet: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das muss für alle gelten. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Martin Rosemann [SPD]: Sagen Sie doch einmal, wie viele Sanktionen es überhaupt gibt!) Die Linke sagt: Sanktionen sind unmenschlich und verfassungswidrig. Deshalb gehören sie abgeschafft, und zwar komplett. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Dann klagen Sie doch dagegen, wenn es verfassungswidrig ist!) Es ist dreist, dass sich die SPD jetzt dafür loben lassen will, weitere Sanktionen gegen ältere Hartz-IV-Beziehende aus dem Änderungsantrag von Union und SPD gestrichen zu haben. Dass die Verschärfung bei der Zwangsverrentung raus ist, ist gut. Dass es die Zwangsverrentung überhaupt noch gibt, ist schlecht. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich frage Sie: Warum soll eine 63-jährige Hartz-IV-Beziehende die Hoffnung aufgeben, noch einmal einen Job zu finden, und stattdessen in eine vorgezogene und mit lebenslangen hohen Abschlägen bestrafte Rente gezwungen werden? (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das könnte eigentlich auch die Union verstehen!) Ich verstehe alle Betroffenen, die sich gegen ihre Zwangsverrentung wehren und an diesem unwürdigen Verfahren nicht mitwirken wollen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Alle Älteren haben das Recht, selbst zu entscheiden, wann sie in Rente gehen wollen – auch Hartz-IV-Betroffene. Im Übrigen, liebe Koalition: Sie wollen doch, dass alle länger arbeiten. Ausgerechnet Hartz-IV-Betroffene schicken Sie in die Zwangsverrentung. Widersprüchlicher geht es doch gar nicht. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren der Koalition, an der unsäglichen Praxis der Zwangsverrentung von 63-Jährigen ändern Sie gar nichts. Sie läuft genauso weiter wie bisher, nur eben ohne Sanktionen. Das Jobcenter stellt dann den Antrag bei der Rentenversicherung und schiebt die älteren Hartz-IV-Beziehenden in eine lebenslang gekürzte Rente ab. Das ist schlecht. Besser wäre es, ihnen Weiterbildungsangebote zu machen und sie in gute Arbeit zu vermitteln. Die SPD sagt, sie wolle die Zwangsverrentung abschaffen. Die Linke sagt: Tun Sie es endlich! Kümmern Sie sich um die Menschen, statt sie zu maßregeln! (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Schaffen Sie die Zwangsverrentung ab – und alle demütigenden Sanktionen bei Hartz IV gleich mit! Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Stephan Stracke, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Stephan Stracke (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein langer Prozess geht mit diesem Änderungsgesetz nun zu Ende. Vor gut zwei Jahren hat das Bundesarbeitsministerium im Ausschuss für Arbeit und Soziales die Ergebnisse der Bund-Länder-Arbeitsgruppe vorgestellt und uns darüber informiert. Die nun vorliegenden Vorschläge waren überfällig. Die Jobcenter vor Ort haben sie gefordert. Warum? Sie haben sie vor allem deshalb gefordert, weil die Verfahrensabläufe sehr umfangreich und durch eine Vielzahl von Widersprüchen und Klagen gekennzeichnet sind. Deswegen ist der vorliegende Gesetzentwurf eine gute Nachricht, und wir werden ihn verabschieden. Ich möchte auf einen Punkt eingehen, der mir im Rahmen der Änderungsanträge wichtig ist. Es geht um die bessere Vernetzung und Zusammenarbeit der Sozialleistungsträger. In Bayern haben wir dazu die Modellprojekte KAJAK und TANDEM mit sehr guten Erfahrungen aufgelegt. Der Kern dieses Ansatzes liegt vor allem in einer Pflicht der Jobcenter und der Arbeitsagenturen zur Zusammenarbeit mit den Jugendämtern, den Schulen und weiteren Stellen. Mit den Ergänzungen haben wir es nun geschafft, dass wir in diesem Bereich einen konkreten Handlungsauftrag für die Jobcenter formulieren und klar adressieren, wer zuständig ist. Es geht darum, die gesamte Bedarfsgemeinschaft in den Blick zu nehmen, aber auch diejenigen, die sozial benachteiligt und individuell beeinträchtigt sind. Gerade bei jungen Menschen ist es wichtig, dass sie ihrem individuellen Bedarf entsprechend eine abgestimmte und deckende Leistung erfahren. Bayern macht vor, wie es geht. Wir haben den Praxistest erfolgreich abgeschlossen. Nun muss dies eine entsprechende Wirkung auf alle anderen Bundesländer entfalten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Thema der Sanktionen spielt hier im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens durchaus eine Rolle. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, leider nicht!) Richtig ist: Wir halten an Sanktionen fest, auch an den schärferen Sanktionen für unter 25-jährige Leistungsbezieher. Sanktionen sind für den Grundsatz Fördern und Fordern unverzichtbar. Genau diesen Grundsatz verfolgen wir beispielsweise auch im Integrationsgesetz. Wir wenden uns ganz klar gegen jede Form der Verwässerung und Aufweichung dieses Grundsatzes. Das würde letztlich bedeuten, dass wir den erfolgreichen Prozess der Hartz-IV-Reformen beschädigen würden. Sanktionsregelungen müssen auch weiterhin robust sein. Ich sage an dieser Stelle auch ganz klar: Wir waren nie gegen Vereinfachungen im Sanktionsrecht, auch was die Modifikationen am Sanktionsmechanismus angeht. Die Kosten der Unterkunft seien hier als Beispiel genannt. Aber hier war die Diskussion so, dass ein Teil der Koalition vor allem der Aufweichung das Wort geredet hat. Deswegen kommen wir hier zu keinen Veränderungen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, am Ende dieses Verfahrens können wir sagen: Wir Fachpolitiker haben gute Beratungen geführt. Ich bedanke mich für die gute Unterstützung des Bundesarbeitsministeriums in dieser Hinsicht. Wir sind bei den Erstattungsregelungen hinsichtlich der Verpflegung von anerkannten Flüchtlingen zu Änderungen gekommen. Wir haben die Eingliederungsvereinbarung so gestaltet, dass die notwendige Flexibilität für eine passgenaue Arbeitsvermittlung weiterhin erhalten bleibt. Das zeigt, dass wir insgesamt zu guten Ergebnissen gekommen sind. Ich bedanke mich auch bei der Opposition. Wir hatten nicht gerade eine einfache Debatte über Geschäftsordnungsfragen. Ich glaube aber, dass der Omnibus, den wir angesetzt haben, nämlich Regelungen für die Betriebe aufzunehmen, die von den Starkregen- und Hochwasserereignissen, insbesondere in Bayern, massiv betroffen sind, zu guten Lösungen führen wird. Das betrifft auch die Möglichkeit, die notwendigen Finanzierungs- und Sanierungsgespräche zu führen, ohne dabei das Insolvenzrecht im Nacken zu haben. Ich bedanke mich ganz herzlich bei den Kolleginnen und Kollegen des Koalitionspartners, aber auch der Opposition, dass sie diese Änderungen sofort mitgetragen haben. Das zeigt, dass insbesondere die Vorarbeit vom bayerischen Staatsminister der Justiz, unserem Kollegen Herrn Professor Dr. Winfried Bausback, aber auch des Justizministeriums in diesem Feld gut war. Ich sage zum Schluss: Wir haben ein gutes Ergebnis. Es besteht weiterhin Handlungsbedarf, gerade was die passiven Leistungen angeht. Die Vielzahl von Schnittstellen und die Zusammenlegung der Leistungssysteme sollten wir diskutieren. Damit sollten wir uns im Rahmen einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe beschäftigen; das ist eine Aufgabe, die vor allem die nächste Legislaturperiode berühren dürfte. Ich lade Sie ein, in diesem Bereich mitzumachen. Herzliches Dankeschön. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Markus Paschke, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Markus Paschke (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Staatssekretärin Anette Kramme hat vorhin davon gesprochen, dass es ein langer Weg zu dem Gesetzentwurf war. Damit hat sie Recht. Dazu kann ich nur sagen: Was lange währt, wird endlich gut. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ja, ich bin davon überzeugt, dass wir wirklich etwas Gutes hinbekommen haben. (Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Recht hat er!) Wir haben in der Koalition gut und konstruktiv an Lösungen gearbeitet. Gemeinsames Ziel war es immer, keine Leistungsverschlechterungen, sondern Rechtsvereinfachungen zu beschließen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist euch nicht gelungen!) Auch wenn die Opposition einige Teile kritisiert oder gar skandalisiert, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Zu Recht!) hat man den Eindruck, es macht Ihnen einige Mühe, etwas Konkretes zu finden. Denn auf den vorliegenden Gesetzentwurf haben Sie kaum Bezug genommen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ach, Markus!) Sie haben vielmehr über Sachen geredet, die gar nicht Inhalt des Gesetzentwurfs sind. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben im Ausschuss lange genug konkrete Sachen gesagt, bis an eure Schmerzgrenze!) Im Laufe des Verfahrens gab es eine Menge Hinweise von Betroffenen und Verbänden. Viele davon wurden aufgenommen und haben zu Änderungen am Gesetzentwurf geführt. Ich finde, das ist ein Zeichen, dass unsere Demokratie funktioniert und die Anliegen von Bürgern gehört werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch eine Selbstverständlichkeit!) Wie schon von einigen Vorrednern angemerkt, sind noch nicht alle offenen Fragen endgültig geklärt. Das gilt insbesondere für die Situation der Alleinerziehenden – Kerstin Griese hat sie deutlich beschrieben –, aber auch für die Frage der vorgezogenen Altersrente. Eines ist mir ganz wichtig – ich habe schon mehrfach dazu gesprochen –, und zwar das Thema Sanktionen. (Unruhe – Glocke der Präsidentin) Die Frage der Sanktionen ist ganz klar. Die SPD hat ihre Position nicht geändert. Die verschärften Sanktionen für Jugendliche unter 25 Jahren gehören abgeschafft. Auch alle Experten haben gesagt, dass sie nichts bringen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zustimmen! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann könnt ihr ja zustimmen!) Die Sanktionierung beim Bedarf für Unterkunft und Heizung ist ebenfalls kontraproduktiv. Da haben wir einen Dissens mit unserem Koalitionspartner. Deswegen ist im Gesetzentwurf nichts dazu enthalten. Aber wir bleiben dran. Das kann ich allen versprechen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt einen Änderungsantrag! Dem kann man zustimmen!) Ich möchte noch ein paar Punkte erwähnen, die noch nicht angesprochen wurden. Dazu gehören die Gesamtangemessenheitsgrenze bei Unterkunft und Heizung, die eine klare Verbesserung für die Betroffenen bringt, die Stärkung der Beratung durch die Jobcenter und der Beratungsansprüche der Betroffenen. Das alles sind positive Veränderungen für die Menschen, und das haben wir genau im Blick. Ich möchte mich an dieser Stelle bei unserem Koalitionspartner, aber auch bei der Opposition für die gute und konstruktive Zusammenarbeit bedanken. Im Gegensatz zu manchen Reden, die hier gehalten wurden, gab es im Vorfeld eine wirklich gute und konstruktive Zusammenarbeit. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Mein Dank geht auch an diejenigen, die das alles jetzt in den Jobcentern umsetzen werden. Da ich mich schon so artig bedankt habe, möchte ich mit einem Aufruf an die Opposition schließen: Betrachten Sie das Glas nicht immer als halb leer, sondern auch einmal als halb voll, und stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke schön. – Jetzt bitte ich Sie alle noch einmal um Ihre Aufmerksamkeit für den letzten Redner zu diesem Tagesordnungspunkt. Das ist der Kollege Kai Whittaker, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kai Whittaker (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Wenn ich mir die Debattenbeiträge der Opposition heute anhöre, dann stelle ich fest: Das ist eine Fortführung des Medienspektakels der letzten Wochen. Was wurden wir als Regierungskoalition nicht alles geheißen: kritisiert als kaltherzige, unsoziale Politiker. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Stimmt!) Sie versuchten, den Eindruck zu erwecken, wir würden mit diesem Hartz-IV-Änderungsgesetz die Betroffenen unterjochen und bestrafen. Sie versuchen mit Ihrer Fundamentalkritik, Frau Kipping, das System zu diskreditieren. Damit bedienen Sie, finde ich, eine plumpe Haltung, nämlich die Haltung: Die da oben machen nichts für uns da unten. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Fragen Sie doch mal die da unten! Die sehen das genauso!) Damit, finde ich, sind Sie keinen Deut besser als die AfD. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mit so einer Debattenkultur vergiften Sie die Diskussion in Deutschland. Deshalb möchte ich eines richtigstellen: Hartz IV ist kein System, um Menschen zu gängeln. Hartz IV ist auch kein System, um Menschen mit sinnlosen Beschäftigungen zu traktieren. Hartz IV ist vielmehr ein System, um Menschen vor Armut zu schützen, indem wir ihnen Leistungen zahlen, und vor allem, indem wir sie in Arbeit vermitteln. Darum geht es bei diesem Änderungsgesetz. (Beifall bei der CDU/CSU – Karin Binder [DIE LINKE]: Schön wäre es! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau das ist verhindert!) Da sind wir nicht allein, sondern das sehen auch andere so. Ich möchte aus der Anhörung den Deutschen Landkreistag zitieren. Sein Vertreter hat gesagt: Vor dem Hintergrund unterstützen wir den Gesetzentwurf nach Kräften. Wir waren auch Beteiligte in der AG Rechtsvereinfachung vor zwei Jahren und begrüßen sehr, dass viele Vorschläge der AG hier Umsetzung erfahren. Auch die Bundesagentur für Arbeit begrüßte die Pläne zur Rechtsvereinfachung. Sie habe sie von Anfang an unterstützt, „auch um mit den vorhandenen Personalkapazitäten mehr Mitarbeiter für Beratung und Vermittlung zur Verfügung zu haben“. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben auch gesagt: Das ist mehr Aufwand!) Wir versuchen, mit diesem Gesetz mehr Menschen in Arbeit zu bekommen. Das ist wie bei einem Marathonlauf. Es braucht viel Training, es braucht Unterstützung am Wegesrand, und es braucht Verpflegungsstationen unterwegs, damit die Menschen ins Ziel kommen. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider geht bei Kilometer 20 den meisten die Puste aus!) Dieses Gesetz optimiert das Training, indem wir zum Beispiel die sozialpädagogische Begleitung stärken. Das hilft den Arbeitslosen, ihre individuellen Probleme zu lösen. Wir sorgen für mehr Unterstützung am Wegesrand, indem wir die Ausbildungsförderung verbessern. Unser Grundsatz lautet da: Wer an der Werkbank schuftet, muss mehr haben als derjenige, der auf der Parkbank sitzen bleibt. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, dann macht das doch mal! Das ist doch gerade nicht der Fall!) Und wir bauen einige neue Verpflegungsstationen auf. Kollege Zimmer hat schon die Verbesserungen bei den Arbeitsgelegenheiten genannt. Ich möchte auch noch einmal ganz klar die Öffnung der Integrationsbetriebe für schwerbehinderte Langzeitarbeitslose ansprechen. Mit Integrationsbetrieben haben wir in Deutschland gute Erfahrungen gemacht, Menschen mit besonderem Handicap am ersten Arbeitsmarkt einen sinnvollen Job zu geben. Das können wir jetzt eben auch für die schwerbehinderten Langzeitarbeitslosen. Darauf bin ich sehr stolz. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, ich bin mir sicher, dass wir es den Menschen mit diesen Verpflegungsstationen ermöglichen, diesen Marathonlauf bis zum Ende tatsächlich zu schaffen. Ich mache kein Hehl daraus, dass Hartz IV sicherlich nicht das perfekte System ist. Das habe ich selbst erlebt, als ich Langzeitarbeitslose begleiten durfte. Auch in meinem persönlichen Umkreis habe ich es erlebt. Ich habe aber auch eines daraus gelernt: Der HartzIV-Satz lindert die Arbeitslosigkeit, aber er hilft nicht, sie loszuwerden. Für Betroffene ist der HartzIV-Satz nicht das, was sie wirklich umtreibt, sondern es ist die Perspektivlosigkeit, das Zählen der Wochen, Monate und Jahre bis zur nächsten Maßnahme oder bis zum nächsten Bewerbungsgespräch. Mein Wunsch für die Zukunft ist, dass wir verstärkt darüber nachdenken, ob wirklich alles, was wir bei Hartz IV tun, hilft, die Betroffenen in Arbeit zu bringen. Das steht für mich auch für die Zukunft im Vordergrund. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Die aktive Arbeitsmarktpolitik aufstocken!) Ob das der Fall ist, daran kann man wirklich seine Zweifel haben. (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Einen Beleg dafür gibt es; denn noch immer kann sich nur die Hälfte aller Mitarbeiter in den Jobcentern wirklich um die Probleme der Betroffenen kümmern. Solange das so bleibt, haben wir noch jede Menge Arbeit vor uns. Eine davon ist, heute diesem Gesetz zuzustimmen. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet, und wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsvereinfachung. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8909, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/8041 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen. Zunächst stimmen wir ab über den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8922. Bleiben Sie bitte auf Ihren Plätzen. Sonst kann ich nachher nicht das richtige Stimmenverhältnis wiedergeben. Wir sind noch nicht bei der namentlichen Abstimmung. Wir sind beim Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8922. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Wir kommen nun zum Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8923. Wir stimmen über diesen Änderungsantrag auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Ich sehe, dass alle Urnen besetzt sind. Dann eröffne ich die Abstimmung. Ich bitte darum, dass nicht alle den Saal verlassen, auch wenn sie abgestimmt haben. Wir haben nachher noch einige Abstimmungen. Das jetzt sind nur Abstimmungen über Änderungsanträge. Bitte bleiben Sie im Plenarsaal. Gibt es noch Abgeordnete hier im Saal, die ihre Stimmkarte nicht eingeworfen haben? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses ist die Sitzung unterbrochen. Anschließend stimmen wir über den Gesetzentwurf ab. (Unterbrechung von 19.54 bis 20.03 Uhr) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 555. Mit Ja haben gestimmt 94, mit Nein haben gestimmt 444, Enthaltungen 17. Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 555; davon ja: 94 nein: 444 enthalten: 17 Ja DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Sigrid Hupach Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Richard Pitterle Martina Renner Michael Schlecht Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Kathrin Vogler Birgit Wöllert BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Annalena Baerbock Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Nein CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Norbert Brackmann Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Jutta Eckenbach Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Ingrid Fischbach Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Uwe Lagosky Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Volker Mosblech Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Alexander Radwan Alois Rainer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Iris Ripsam Johannes Röring Kathrin Rösel Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Ronja Schmitt Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Stritzl Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Kai Wegner Dr. h.c. Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr. h.c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Matthias Ilgen Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Markus Paschke Christian Petry Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Enthalten DIE LINKE Herbert Behrens Christine Buchholz Nicole Gohlke Dr. André Hahn Inge Höger Ulla Jelpke Thomas Lutze Norbert Müller (Potsdam) Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Dr. Kirsten Tackmann Alexander Ulrich Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf der Bundesregierung in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Tagesordnungspunkt 8 b. Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 18/8909 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8076 mit dem Titel „Die Gewährleistung des Existenz- und Teilhabeminimums verbessern – Keine Rechtsvereinfachung auf Kosten der Betroffenen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8077 mit dem Titel „Grundsicherung einfacher und gerechter gestalten – Jobcenter entlasten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 a auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Tabea Rößner, Katharina Dröge, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mindestqualitätsvorgaben für Internetzugänge einführen Drucksache 18/8573 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss Digitale Agenda Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre hier keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Tabea Rößner, Bündnis 90/Die Grünen. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn Frau Meier im Supermarkt 3 Kilogramm Mehl kauft, dann bezahlt sie 3 Kilogramm und kriegt auch 3 Kilogramm. So weit, so logisch. Wenn Frau Meier aber einen Internetanschluss mit 50 Mbit bucht, kann es sein, dass sie mit nur 20 Mbit surfen muss. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Betrug!) Frau Meier würde es zu Recht nicht akzeptieren, wenn sie statt der bezahlten 3 Kilogramm Mehl nur 2 Kilogramm bekäme. Wer für eine bestimmte Leistung zahlt, soll diese auch bekommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir wollen, dass Unternehmen mindestens 90 Prozent dessen, was sie versprechen, einhalten. Wenn Anbieter dagegen verstoßen, müssen sie ein Bußgeld zahlen. Außerdem sollen Verbraucher ein Recht auf Schadensersatz bekommen. Wer seine Versprechen nicht halten kann, sollte weniger große Versprechen machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die machen die Anbieter zurzeit nämlich. Aus den beworbenen Maximalbrandbreiten werden im Kleingedruckten Bis-zu-Versprechen. In der Leistungsbeschreibung des Telekom-Tarifs MagentaZuhause stehen 40 Prozent als Mindestbandbreite. Das wären bei Frau Meier 1,2 statt 3 Kilogramm Mehl. Für Verbraucher ist das eine Mogelpackung. Ich kann ja auch nicht sagen, dass ich nur bis zu 100 Prozent der Telefonrechnung zahle. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre doch mal eine Idee!) Es gibt keine gesetzlichen Mindestvorgaben für Bandbreiten. 2012 hat die Bundesnetzagentur einen Test durchgeführt: Weniger als zwei Drittel aller Nutzer bekamen nur die Hälfte der vermarkteten Datenübertragungsrate. 2013 erreichten nur 15,9 Prozent die volle Bandbreite. Danach hat die Bundesnetzagentur vorsichtshalber keine Tests mehr gemacht. In einer Studie der EU-Kommission von 2014 wurden im europäischen Durchschnitt gerade einmal 75,9 Prozent der versprochenen Bandbreiten erreicht. Bei allen untersuchten Anschlusstechnologien lag Deutschland unter dem Durchschnitt. Darüber haben sich auch jede Menge Leute auf unserer Homepage beim grünen Breitbandcheck beschwert. Die Reaktion der Bundesnetzagentur? Eine neue Website! Auf der kann man die Geschwindigkeit des eigenen Anschlusses messen. Das Ergebnis wird dann auf einer Karte dargestellt und zeigt: Viele Kunden bekommen nur 40 Prozent, manche sogar nur 20 Prozent der versprochenen Bandbreite. Wie erklären Sie die Unterschiede zwischen dieser Karte und Ihrem Breitbandatlas? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich befürchte, dass die tatsächliche Geschwindigkeit in Deutschland viel niedriger ist als gedacht und dass Sie von Ihrem Breitbandziel weiter entfernt sind als je zuvor. Die Bundesnetzagentur könnte viel mehr tun und ihren Breitbandtest zu einem zertifizierten Überwachungsmechanismus machen, und wir sollten im Telekommunikationsgesetz einen Schadensersatzanspruch für Verbraucher regeln. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Worauf warten Sie? Tun Sie doch endlich etwas für den Verbraucher! Immerhin: Die Bundesnetzagentur hat auf unseren Antrag reagiert und eine Transparenzverordnung vorgeschlagen. Es ist schon auffällig, dass dieser Entwurf so plötzlich fertig wurde, nachdem sich lange überhaupt nichts getan hatte. Nun sollen die TK-Unternehmen zu ihren Verträgen ein standardisiertes Produktinformationsblatt bereitstellen mit Infos zur maximalen Download-Bandbreite und zur durchschnittlichen Surfgeschwindigkeit. Wenn ich das kurz auf den Punkt bringen darf: Ihnen reicht ein Infoblatt. Wir wollen verlässliche Mindeststandards und klare Entschädigungsansprüche für die Verbraucherinnen und Verbraucher, wenn diese Standards nicht erreicht werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Sie machen Symbolpolitik. Wir machen Verbraucherpolitik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Toller Satz!) Ich bin sicher, Frau Meier findet unsere Forderung logisch und richtig. Was man verspricht, muss man eben auch halten. Nebenbei gesagt: Das würde ich auch der Regierung bei ihrer Breitbandpolitik empfehlen. Von den versprochenen flächendeckenden 50 Mbit ist leider noch nicht wirklich viel zu spüren. Nächstes Jahr läuft Ihre Legislaturperiode aus, (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gott sei Dank!) und anders als bei vielen Telekommunikationsverträgen verlängert sich Ihre Regierungszeit nicht automatisch. Sie riskieren, dass Sie für die schlechte Quality of Service Ihrer Regierungspolitik die Quittung bekommen. Jetzt haben Sie die Chance, einiges besser zu machen. Unterstützen Sie unseren Antrag! Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke schön. – Nächster Redner ist der Kollege Hansjörg Durz, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Hansjörg Durz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Analyse stimmen wir überein, Frau Kollegin. Sicherlich ist es jedem von uns schon so ergangen, dass er Internetseiten aufrufen wollte – egal ob im mobilen Bereich oder zu Hause am PC –, dass sich aber die Seiten nicht in der Geschwindigkeit aufgebaut haben, wie er das gewohnt ist bzw. wie er sich das wünscht. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Das kann auch an der Hardware liegen. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man kann es messen! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt ist die Hardware schuld!) – Das kann, wie gesagt, verschiedene Gründe haben. – Aber in der Tat steht demjenigen, der einen Breitbandanschluss bezahlt, auch das Recht auf Information darüber zu, wie hoch die Geschwindigkeit tatsächlich ist bzw. womit er rechnen darf. Er darf natürlich erwarten, diese Geschwindigkeit zu erreichen. Transparenz ist gerade auf dem Telekommunikationsmarkt unerlässlich, da hier der Verbraucher eine riesige Auswahl an Tarifen und Angeboten hat, und zwar sowohl im Festnetz- als auch im Mobilfunkbereich. Wie sieht die Realität aus? Da stimmen wir auch überein: Erstens. Viele Kunden wissen nicht, mit welcher Leistung sie konkret rechnen können, weil Anbieter keine oder nur wenige belastbare Aussagen zur Datenübertragungsrate machen. Hierzu hat die Bundesnetzagentur die Telekommunikationsverträge sowohl im Festnetz- als auch im Mobilfunkbereich auf Angaben über die zu liefernde Datenübertragungsrate analysiert. Das Ergebnis ist, dass es keine standardisierten Informationen gibt, die dem Endkunden einen transparenten Überblick über die konkrete Leistungsfähigkeit des Anschlusses bieten. Das ist Fakt. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie das doch!) Zweitens. In Studien wurde die Qualität breitbandiger Internetanschlüsse analysiert. Auch hier ist das Ergebnis: Unabhängig von Technologien, Produkten und Anbietern existiert eine deutliche Diskrepanz zwischen der vertraglich zugesagten Datenübertragungsrate und der tatsächlich gelieferten. So weit zum Status quo. Diese nicht zufriedenstellende Situation beschreibt der vorliegende Antrag zutreffend. Darin stimmen wir sicherlich überein. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann stimmen Sie ihm doch zu!) Wir müssen die Transparenz auf dem Telekommunikationsmarkt verbessern, indem wir eine transparente, vergleichbare, ausreichende und aktuelle Information des Verbrauchers in einer klar verständlichen und leicht zugänglichen Form sicherstellen. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einfach unserem Antrag zustimmen!) Allerdings suggeriert der Antrag, dass die Bundesregierung und die Koalition diesem Zustand untätig gegenüberstehen würden. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Dabei verkennen Sie in Ihrem Antrag zwei laufende Prozesse, von denen Sie einen eben angesprochen haben. Erstens: die TK-Transparenzverordnung, die von der Bundesregierung bereits verabschiedet wurde und Telekommunikationsanbieter zu mehr Transparenz ihren Kunden gegenüber verpflichtet. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die kam ganz kurzfristig!) Wir werden uns in Kürze im Deutschen Bundestag damit beschäftigen. Zweitens. Sie haben nicht erwähnt, dass aufgrund europäischer Vorgaben aus der TSM-Verordnung die Leitlinien von GEREK – der Gemeinschaft der europäischen Regulierungsbehörden zur Netzneutralität –, die neben Transparenzvorgaben Vorgaben zur Mindestqualität ansprechen, von den nationalen Regulierungsbehörden umgesetzt werden. Was Sie in Ihrem Antrag im Grundsatz fordern, befindet sich also in Vorbereitung bzw. in der Umsetzung. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, dann packt das doch an! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie bauen sich so langsam auf wie Ihre Webseite!) Ich möchte die Gelegenheit nutzen und auf verschiedene Aspekte eingehen, die wir im Zusammenhang mit Transparenz und Übertragungsqualität in den kommenden Wochen und Monaten regeln werden. Wie bereits angesprochen, hat die Bundesregierung in der vergangenen Woche die von der Bundesnetzagentur vorgelegte Verordnung zur Förderung der Transparenz auf dem Telekommunikationsmarkt, die sogenannte TK-Transparenzverordnung, verabschiedet. Mit den darin enthaltenen Vorgaben sollen die Anbieter verpflichtet werden, im Zusammenhang und auf einen Blick die vertraglich vereinbarte minimale und maximale Datenübertragungsrate darzustellen. Dazu dient in Zukunft das Produktinformationsblatt, das über die wesentlichen Vertragsinhalte aufklären wird. Außerdem werden darin die Kunden über die Vertragslaufzeit, über die Voraussetzungen für die Verlängerung und Beendigung des Vertrages sowie die monatlichen Kosten informiert. Darüber hinaus werden Möglichkeiten geschaffen, die tatsächliche Datenübertragungsrate über entsprechende Tools zu messen. Zu nennen ist hierbei das Messangebot der Bundesnetzagentur auf der Website www.breitbandmessung.de. Die Messergebnisse müssen speicherbar sein und im Onlinekundencenter hinterlegt werden können. So kann der Verbraucher ohne größeren Aufwand mehrere Messungen durchführen und etwaige Abweichungen zwischen tatsächlicher und vertraglich vereinbarter Datenübertragungsrate gegenüber seinem Anbieter kommunizieren. Der Endnutzer hat damit die Möglichkeit, die Einhaltung vertraglich zugesagter Bandbreite zu überprüfen und damit gegebenenfalls leichter als bisher Leistungsmängel zu beanstanden. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch immer keine Mindeststandards!) Wir begrüßen diese Vorgaben ausdrücklich und werden uns im in Kürze beginnenden parlamentarischen Verfahren genau ansehen, ob diese Vorgaben dazu geeignet sind, Transparenz für die Verbraucher zu schaffen, und ob die Vorgaben von den Telekommunikationsanbietern umgesetzt werden können. So viel zur TK-Transparenzverordnung. Parallel dazu läuft auf europäischer Ebene aktuell die Konsultation von GEREK, dem Zusammenschluss der nationalen Regulierungsbehörden, über die Netzneutralitätsverordnung. Diese Verordnung enthält die Regulierung zu Mindestqualität von Internetzugängen und ist damit auch der richtige Ort, um die geforderten Mindestqualitäten vorzugeben. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber der Bund muss es doch umsetzen!) Derzeit werden Leitlinien zur Umsetzung der Verordnung in der Praxis erarbeitet. Die Bundesnetzagentur ist aktiv in den Arbeitsgruppen beteiligt. Der Entwurf der Leitlinien wurde am 6. Juni 2016 veröffentlicht und zur öffentlichen Konsultation, an der sich jeder bis Mitte Juli beteiligen kann, gestellt. Die finale Fassung der GEREK-Verordnung wird bis zum 30. August verabschiedet werden. Ziel ist die kontinuierliche Verfügbarkeit von nicht diskriminierten Internetzugangsdiensten. Zur Mindestqualität von Breitbandanschlüssen heißt es in der europäischen TSM-Verordnung sinngemäß: Die nationalen Regulierungsbehörden können Anforderungen an technische Merkmale und Mindestanforderungen an die Dienstequalität vorschreiben. Es wird also abzuwarten sein, inwieweit die entsprechenden Mindestqualitäten im Antrag der Grünen Bestandteil der Ausführungen der TSM-Verordnung sein werden. Darüber werden wir sicher bei anderer Gelegenheit debattieren. Sehr geehrte Damen und Herren, in Kürze werden wir mit der TK-Transparenzverordnung erheblich mehr Licht in den Dschungel aus Tarifen und Leistungsparametern auf dem Telekommunikationsmarkt bringen. So wird die Bundesnetzagentur im Rahmen ihrer Breitbandmessung Jahresberichte und statistische Analysen zur Dienstequalität von Breitband im Internet veröffentlichen. Darüber hinaus wird im Sommer 2016 auf der Internetseite der Bundesnetzagentur eine Kartendarstellung implementiert werden. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Durz, wenn ich Sie unterbrechen darf: Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Rößner? Hansjörg Durz (CDU/CSU): Ja, klar. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön, Frau Kollegin Rößner. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist sehr freundlich, dass Sie eine Zwischenfrage zulassen. – Ich will noch einmal nachfragen, da Sie auf die EU verweisen. Sie kennen sicherlich die Generaldirektion Kommunikationsnetze, Inhalte und Technologien, kurz DG CONNECT. Diese sieht eine Zielvorgabe von 90 Prozent vor. Warum setzen Sie diese dann nicht um? Hansjörg Durz (CDU/CSU): Was ich Ihnen gerade darzustellen versuche, ist, dass Prozesse auf europäischer Ebene und auf nationaler Ebene laufen. Sie müssen schon beachten, was auf europäischer Ebene festgelegt werden muss und was auf nationaler Ebene umgesetzt werden soll. Warten Sie einfach diesen Prozess der GEREK ab. Dort müssen die Mindestanforderungen definiert werden. Von dort werden wir in Bälde Rückmeldungen dazu haben, und dann kann man auch eine Antwort auf Ihre Frage geben. Die Karte soll – um das noch einmal auszuführen – fortlaufend die Ergebnisse der bisher auf der Internetseite durchgeführten Endkundenmessungen beinhalten. Die Darstellung der Messergebnisse erfolgt unter Nennung der Anbieternamen. Diese Verbesserung der Transparenz hilft dem Verbraucher; seine Rechte werden gestärkt. Zugleich fördern wir den Wettbewerb. Wir sollten aber vermeiden, dass es aufgrund der Parallelität von TK-Transparenzverordnung und GEREK-Leitlinienprozess mit anschließender nationaler Umsetzung der Netzneutralitätsverordnung zu Doppelungen bei den Umsetzungsauflagen für die TK-Anbieter kommt. Diese Doppelungen hätten bei den Verbrauchern weniger statt mehr Durchblick zur Folge, und überzogene oder gar doppelte Informationsauflagen würden zudem der Wirtschaft schaden. Daher ist es definitiv sinnvoll, beide Prozesse nach der Sommerpause zusammen zu betrachten. Dann muss aber auch eine rasche Umsetzung erfolgen, damit wir für die Verbraucher schnellstmöglich für Transparenz sorgen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Transparenz ist nicht alles!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Herbert Behrens, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Herbert Behrens (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle kennen den Werbespruch mancher Warenhäuser: Kauf drei, bezahl zwei! – Wenn wir uns auf diesen Handel einlassen, wissen wir genau: Ich habe dann auch drei Teile, wenn ich zwei bezahlt habe. – Das ist beim Internetzugang etwas schwieriger. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ist es umgekehrt!) Wenn ich dort nämlich drei kaufe, habe ich nicht unbedingt die Sicherheit, dass ich sie auch bekomme. Manche von uns haben das sicherlich festgestellt, wenn sie sich ihren Vertrag angesehen haben. Da heißt es eher: Nimm zwei, bezahl drei! – Beispielsweise besagt der schon erwähnte Vertrag der Telekom „bis zu 50 Mbit“. In dem Vertrag steht des Weiteren: 16 Mbit werden garantiert. – Wenn man an der falschen Stelle wohnt – beispielsweise wie ich in einer niedersächsischen Kleinstadt –, steht da unter Umständen: maximal 25 Mbit. – Bezahlt wird aber für 50 Mbit. Das kann nicht akzeptiert werden. Das ist Verbrauchertäuschung; das muss beendet werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es muss jetzt beendet werden, und es darf nicht mit dem Hinweis, wie wir es gerade gehört haben, reagiert werden: Da ist etwas in der Pipeline; wir kommen demnächst mit einem Vorschlag. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das dauert!) Lange genug haben wir zugeguckt. Das muss nun schleunigst beendet werden. Natürlich haben wir ein Problem mit der Messung der Bandbreite; das ist schon einmal angesprochen worden. Deshalb ist der Antrag der Grünen, in dem darauf hingewiesen wird, welche Möglichkeiten bestehen, sehr sinnvoll. Die Transparenzverordnung hat das durchaus aufgenommen. Darin wird zumindest angekündigt, ein erhöhtes Maß an Transparenz zu schaffen. Aber wir müssen dort mehr Druck aufbauen. Das heißt, auch hier im Parlament muss das Ganze befördert werden. Wir dürfen uns nicht darauf verlassen, dass uns irgendwann irgendetwas vorgelegt wird. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mit dem vorliegenden Antrag sollen also die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher gestärkt werden. Allerdings müssen wir, wie gesagt, eine Möglichkeit zur Überprüfung haben, die wirklich einfach zu handhaben ist. Den auf der Seite der Bundesnetzagentur befindlichen Test durchzuführen, ist teilweise schwierig. Wenn wir uns nicht an der richtigen Stelle einklinken, haben wir ein Problem, die Leistung wirklich zu überprüfen. Wir sind nicht alle Fachleute, die jedes Detail kennen und wissen, welche Begriffe sie verwenden müssen, um die Internetleistung zu überprüfen. Es geht nicht um den einfachen Nachweis, dass ich eine schnelle Leitung habe, sondern darum, dass ich eine schnelle Leitung gekauft habe, eine schnelle Leitung bezahle, aber keine schnelle Leitung bekomme. Das ist der Punkt, auf den wir achten müssen. Es geht hier um Verbraucherrechte. (Beifall bei der LINKEN – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Das geht mir mit meinem Auto genauso, vor allem wenn Sie die Verkehrsbereiche in den einzelnen Ländern verantworten!) Kundinnen und Kunden haben nur die Möglichkeit, sich darüber mit dem Telekommunikationsunternehmen auseinanderzusetzen oder den Vertrag zu kündigen, ohne zu wissen, ob der nächste Anbieter hält, was er verspricht. Oder man muss den Klageweg beschreiten. Das ist umständlich, und man kann nie sicher sein, ob man Recht bekommt. Darum muss eine entsprechende Regelung her. Die Verbraucherinnen und Verbraucher sollen ganz einfach überprüfen können, ob sie das bekommen, wofür sie bezahlen. Mit dem vorliegenden Antrag soll erreicht werden, dass Telekommunikationsanbieter verpflichtet werden, die korrekten Daten anzugeben. Wenn sie das nicht tun, dann müssen sie zahlen, weil Verbraucherinnen und Verbraucher Schadensersatzanspruch haben. Die Bundesregierung bekräftigt hier häufig: Ziel ist, bis 2018 für eine Internetverbindung zu sorgen, die mindestens 50 Mbit pro Sekunde schnell ist. Aber wir wollen sicher sein, dass das keine Bis-zu-Regelung, sondern eine verbindliche und verlässliche 50-Mbit-Regelung ist, die für das ganze Land gilt. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke schön. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Klaus Barthel. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Klaus Barthel (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es zeichnet sich ab, dass wir uns in der Sache sehr einig sind. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!) In diesem Zusammenhang wäre mir nicht das Mehl von Frau Meier eingefallen. Vielmehr habe ich mir überlegt, was auf dem Oktoberfest passieren würde, wenn die Maß bis zu 1 Liter hätte. Keine Brauerei und auch kein Bierzeltbetreiber würde es zumindest ökonomisch überleben, wenn kein voller Liter ausgeschenkt würde. (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wahrscheinlich wäre der Volkszorn hier größer. Wir sind uns einig, dass etwas passieren muss. (Beifall des Abg. Matthias Ilgen [SPD]) Wir waren es übrigens, die damals im Beirat der Bundesnetzagentur in den Jahren 2012 und 2013 die Erstellung der Qualitätsstudien angestoßen haben. Die SPD-Bundestagsfraktion hat im Jahr 2013 einen Antrag vorgelegt, in dem wir das aufgegriffen und eine entsprechende Umsetzung gefordert haben. Natürlich kann man sich fragen: Warum kommt erst 2016 eine Verordnung? (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das hat lange gedauert!) Aber wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen. Warum kommt der Antrag der Grünen ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt, obwohl sie genau gewusst haben, dass die TK-Transparenzverordnung bei der Bundesnetzagentur in Arbeit ist. Es ist auch klar, warum sie jetzt in Arbeit ist: Die Rechtsgrundlagen haben sich durch die europäischen Verordnungen zum offenen Internet, zu den Nutzerrechten, zum Universaldienst, zum Roaming – das ist jetzt erst in Kraft getreten – geändert. Deswegen kommt die Sache jetzt in Gang, und es ist gut so, dass sie in Gang kommt. Wer in der Opposition mit dem Finger auf andere zeigt, muss sich fragen lassen: Wo waren Ihre Anträge 2013 und in den Folgejahren? (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die EU-Verordnungen waren in der Tat die Grundlage dafür, dass die Bundesnetzagentur jetzt einen Entwurf vorgelegt hat. Das Bundeskabinett hat am 15. Juni die Verordnung zur Förderung der Transparenz auf dem Telekommunikationsmarkt beschlossen; darauf wurde bereits hingewiesen. Die Kundenrechte insgesamt werden gestärkt. Mehr Transparenz sowie Verbindlichkeit in Bezug auf die Datenübertragungsrate werden geschaffen. In diesem Zusammenhang muss man feststellen: Der Verordnungsentwurf geht über das hinaus, was in Ihrem Antrag steht, zum Beispiel was die Vertragsbedingungen betrifft. Ich weiß nicht, was Sie reitet, wenn Sie in Ihrem Antrag das Gespenst an die Wand malen – eigentlich war heute eine Debatte über dieses Thema vorgesehen –, dass angeblich die Aufhebung des Grundprinzips der Netzneutralität geplant sei. Das ist nicht der Fall. Ich weiß nicht, warum man so ein Gespenst an die Wand malen muss. Man weckt damit nur Geister, die mit der Sache nichts zu tun haben. So läuft die Diskussion in eine völlig falsche Richtung. In der Tat bleibt offen – Frau Rößner, das geben wir zu –, was wir in Bezug auf die Sanktionen unternehmen müssen. Sie wissen aber auch, dass das voraussichtlich nicht über den Weg der Verordnung geht, sondern dass wir das gesetzlich regeln müssen. Das werden wir mit Sicherheit überprüfen. Wir sind uns einig: Es muss etwas passieren. Aber ich bin schon etwas verwundert über die Forderungen, die in Ihrem Antrag enthalten sind. Sie fordern die Bundesregierung auf, die Bundesnetzagentur anzuhalten, etwas zu tun; das kommt gleich fünf-, sechsmal vor. Das kommt ausgerechnet von den Grünen, die der Bundesregierung ständig vorwerfen, dass sie die Bundesnetzagentur, eine unabhängige Behörde, beeinflusst. Aber wenn es Ihnen in den Kram passt, dann soll die Bundesregierung die Bundesnetzagentur plötzlich zu etwas anhalten. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es muss eine gesetzliche Regelung geschaffen werden!) Das passt eigentlich nicht zu dem, was Sie sonst hier vertreten. Also, bitte lassen Sie uns im Herbst über diese Verordnung und über die Frage der Weiterentwicklung des TKG diskutieren. Dabei können wir den Antrag der Grünen sicher einbeziehen. Ich glaube, dann werden wir gemeinsam zu einem vernünftigen Ergebnis im Interesse der Kundinnen und Kunden kommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke schön. – Jetzt spricht für die SPD die Kollegin Saskia Esken. (Beifall bei der SPD) Saskia Esken (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für den Fall, dass Sie die Praxisbeispiele, die meine Kollegen genannt haben, nicht verstanden haben, gebe ich folgendes Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie kaufen 1 Liter Milch, (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt haben wir Milch, Mehl und Bier!) – so fängt meine Rede an; ich kann nichts dafür –, und zu Hause stellen Sie fest, dass nur ein Dreiviertelliter drin ist. Vielleicht kam es bei der Abfüllung oder beim Transport zu einem Schwund; man weiß es ja nicht. Machen Sie dafür jetzt die Kuh verantwortlich oder die Molkerei, oder sind Sie selbst verantwortlich? Schließlich haben Sie die Packung transportiert. Vielleicht haben Sie unterwegs etwas verloren. – Nein, das finden Sie abwegig. Auf der Packung steht schließlich drauf, dass 1 Liter drin ist, und damit haben Sie recht. Auch beim Internetzugang sollte es selbstverständlich sein, dass das, was draufsteht, drin ist. Sie gehen einen Vertrag ein, in dem man Ihnen eine Up- und Downloadrate anbietet. Die bekommen Sie dann auch. Alles andere wäre ja irgendwie unlauter. In der täglichen Praxis scheint das aber anders zu sein. In Sachen Internet bekommt kaum jemand das, was er gekauft hat. Das ist nicht in Ordnung. Da müssen wir aktiv werden. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin Esken, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion? Saskia Esken (SPD): Aber gerne doch. (Zuruf der Parlamentarischen Staatssekretärin Brigitte Zypries) Thomas Jarzombek (CDU/CSU): Auch wenn ich damit den Unmut von Frau Zypries erwecke – das kann ich heute Abend ertragen –, möchte ich Folgendes fragen: Da Sie nicht die Erste sind, die den Vergleich mit einem 1 Milch anstrebt, drängt sich die Frage auf – wir reden hier ja über Netze und nicht über Behältnisse –, ob man, wenn man den Vergleich zu anderen Netzen zieht, beispielsweise zum Straßenverkehr, den gleichen Vorschlag machen würde. Würde man dann auch sagen: „Wenn auf dem Schild ‚50‘ steht, dann muss gewährleistet sein, dass man 50 fahren kann“? (Klaus Barthel [SPD]: Das ist eine Höchstgeschwindigkeit und nicht eine Mindestgeschwindigkeit!) Saskia Esken (SPD): Das wäre eine hochinteressante Angelegenheit. Das ist aber nicht so. Es handelt sich tatsächlich um eine Höchstgeschwindigkeit. Ich glaube, für die Straßen müssen wir eine solche Regelung nicht treffen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Sie werden sehen, dass die Abweichung sehr groß ist!) Aber das ist eine nette Idee. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke, Herr Kollege Jarzombek. Saskia Esken (SPD): Der Vorstoß der Grünenfraktion zielt in der Analyse in die richtige Richtung; das hat der Kollege Durz schon gesagt. Der Antrag hat von daher unsere Sympathie. Er wird auch genau im richtigen Moment vorgelegt. Es freut mich, dass die Bundesregierung jetzt diese Verordnung zur Transparenz auf den Weg bringen will. Es ist vorgesehen, zur konkreten Angabe der minimalen, normalerweise zur Verfügung stehenden und der maximal möglichen Übertragungsrate zu verpflichten. Außerdem soll ein Tool, mit dem die Nutzer messen können, was sie bekommen, von der Bundesnetzagentur zur Verfügung gestellt werden. Eine statische Mindestqualität vorzuschreiben, was der Antrag der Grünen vorsieht, ist für die dynamische Weiterentwicklung des Internets nicht die beste Lösung. Brauchen wir dann eine Kommission, die jedes Jahr die Internetmindestqualität anpasst, wie beim Mindestlohn? Das halte ich nicht für empfehlenswert. Zum Schadenersatz kann die Bundesnetzagentur selbst keine Regelungen treffen. Wir gehen derzeit davon aus, dass durch die Jahresberichte und statistischen Analysen der Bundesnetzagentur sowie die Ermächtigung der Nutzer, die tatsächliche Datenübertragungsleistung zu überprüfen, ein hinreichender Druck auf die Dienste, vertragstreu zu liefern, entstehen wird. Andernfalls müsste man das tatsächlich gesetzlich regeln. Ihren Antrag sehen wir deshalb als durchaus wertvollen Beitrag zur Diskussion an (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Immerhin!) – immerhin –, auch wenn wir ihm natürlich nicht zustimmen können. Ich lade Sie stattdessen ein, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen – natürlich auch alle anderen Mitglieder des Bundestages –, den Referentenentwurf mit uns zu beraten, wenn es so weit ist, konstruktive Vorschläge zur Verbesserung zu machen und im Erfolgsfall zuzustimmen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Zwischen den Fraktionen wurde vereinbart, dass die Vorlage auf Drucksache 18/8573 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen wird und dabei die Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie liegt. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist auch so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Digitalisierung der Energiewende Drucksache 18/7555 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Drucksache 18/8919 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Auch hier höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Florian Post, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Florian Post (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Um die Energiewende zum Erfolg zu führen, ist es von zentraler Bedeutung, den weiter wachsenden Anteil dezentraler, volatiler erneuerbarer Energien in unser Stromsystem zu integrieren. Dafür brauchen wir eine intelligente Netzsteuerung. Das Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende, das heute verabschiedet wird, mit seiner Verpflichtung zum Einbau von Smart Metern für Verbraucher mit über 6 000 Kilowattstunden pro Jahr trägt dazu bei. Es ist aus unserer Sicht ein Meilenstein in der Energiewende. Wir haben immer darüber gesprochen, dass wir zur intelligenten Netzsteuerung, zu einem intelligenten Lastenmanagement kommen müssen. Auch aufgrund der Tatsache, dass andere Länder beim Rollout, beim Einbau solcher intelligenten Messsysteme schon viel weiter sind, ist es überfällig, dass wir hier nachziehen. Sonst würde uns am Tag X nichts anderes übrig bleiben, als den Standard von anderen Ländern zu übernehmen; wir könnten hier dann selbst keine Standards setzen. Das Gesetz ist eines der wenigen, bei dem der Bundesdatenschutzbeauftragte von Anfang an eingebunden war. Das möchte ich hier noch einmal explizit betonen, weil gerade in puncto Datenschutz und Datensicherheit teilweise abstruse Vorstellungen im Raum standen. Es wird selbstverständlich auch in Zukunft nicht möglich sein, durch die automatisierte Auslesung Rückschlüsse zu ziehen, zum Beispiel darauf, welche Filme man sich anschaut, wann man seinen Kühlschrank öffnet etc. Das alles waren tatsächlich Befürchtungen, die im Raum standen. Es werden nur Geräte eingebaut, die mit höchstem Datenschutzsicherheitsstandard kommunizieren, BSI-zertifiziert sind und unmittelbar eine Stufe unter der militärischen Sicherheitsstufe in der Datensicherheit stehen. Es ist wichtig, dass wir das noch einmal betonen. Auch bleibt der Verbraucher Herr seiner Daten. Er wird keine Daten preisgeben müssen, die er nicht auch schon bisher übermitteln muss, damit er von seinem Versorger eine ordnungsgemäße Stromrechnung erstellt bekommt. Auch in diesem Punkt standen viele nicht zutreffende Vorstellungen im Raum. Es ist wichtig, dass man das noch einmal klarstellt. Natürlich ermöglicht eine solche intelligente Messtechnik, dass man dem Verbraucher bezogen auf sein Verbrauchsverhalten speziell zugeschnittene Tarife anbieten kann. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Das ist allerdings nur möglich – die Kollegin Verlinden hat sofort reagiert –, wenn der Verbraucher vorher explizit einwilligt, dass der Stromversorger, der für ihn zuständig ist, diese Daten auslesen kann zum Zwecke, dass ihm ein individueller Stromvertrag angeboten wird. Das heißt, der Stromkunde bleibt Herr seiner Daten. Man muss in diesem Zusammenhang sehen, wie es bisher geschehen ist. Bisher wird bei einem Verteilnetzbetreiber alles gesammelt, und es gibt keinerlei Standards, was die Datensicherheit anbelangt. Auch in dem Spannungsfeld zwischen Verteilnetzbetreiber und Übertragungsnetzbetreiber haben wir einen sehr guten Kompromiss gefunden. Wir stellen die Verteilnetzbetreiber mit mehr als 100 000 Anschlusskunden den Übertragungsnetzbetreibern gleich. Alle kleineren Verteilnetzbetreiber, die weniger als 100 000 Anschlusskunden haben, müssen einmalig begründen, weshalb sie die Daten zur Erfüllung gesetzlicher Aufgaben brauchen. Dann bekommen sie sie auch. Ich finde, hier sind wir den Verteilnetzbetreibern ein großes Stück entgegengekommen und haben das Spannungsfeld erfolgreich aufgelöst. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Alles in allem, finde ich, ist es ein gutes Gesetz, das es uns in Zukunft ermöglicht, den weiter zunehmenden Anteil volatiler erneuerbarer Energien intelligent im Netz zu steuern, letztendlich für Systemstabilität zu sorgen und die Energiewende weiterhin auf Erfolgskurs zu halten. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche noch einen schönen Abend. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt spricht Ralph Lenkert, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ralph Lenkert (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Schlimmer geht immer. Diesen schwachsinnigen Gesetzentwurf (Florian Post [SPD]: Oh!) nochmals zu verschlechtern, hätte ich nicht für möglich gehalten. Aber die Konzernlobbyisten werden es Ihnen danken. Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, es geht ausschließlich um den Einbau von intelligenten Stromzählern bei Ihnen zu Hause. (Zurufe von der CDU/CSU: Quatsch! Stimmt doch gar nicht! Blödsinn!) Legen Sie schon einmal Geld beiseite, ab 2020 werden die meisten von Ihnen einen solchen Zähler eingebaut bekommen. Ihr Vermieter oder ein Messstellenbetreiber legt das für Sie fest. Sie haben kein Mitspracherecht, dürfen aber die 60 Euro für den Zähler und die 20 Euro für die jährliche Datenauswertung schon mal bezahlen. Damit Sie Strom sparen können, zeigt Ihnen eine Anzeige, wie viel Strom Sie gerade verbrauchen. Das soll Sie zum Sparen anregen. Die Stadtwerke Nürnberg machten einen Versuch bei 600 Stromkunden mit einem ernüchternden Ergebnis: Nichts wurde eingespart. Nun erklärt diese Regierung, das Gesetz soll Sie, die Stromkunden, dazu anregen, Strom dann zu verbrauchen, wenn es reichlich und genügend billigen Strom gibt. Erstens. Es gibt keine angebotsabhängigen Tarifangebote für Privatkunden. (Florian Post [SPD]: Die wird es aber zukünftig geben!) Zweitens. Das gibt viel Spaß mit Ihren Nachbarn und Vermietern, wenn dann nachts die Waschmaschine plötzlich anspringt. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Es ist doch wirklich toll, wenn das Mittagessen morgens früh um 4 Uhr gekocht wird, weil dann der Stromtarif gerade billig ist. Nicht einmal meine Oma glaubt Ihnen, dass man so Strom spart. (Florian Post [SPD]: Ist Ihnen das nicht selbst peinlich?) Selbst die besten Freunde der Koalition, die Übertragungsnetzbetreiber, sind der Ansicht – hören Sie gut zu! –, dass es bei intelligenten Stromzählern sinnlos ist, sie bei Kunden mit einem Jahresverbrauch unter 20 000 Kilowattstunden einzubauen. (Florian Post [SPD]: Was? 20 000?) Das nächste Argument von Union und SPD lautet, dieses Gesetz sei notwendig für die Netzstabilität (Johann Saathoff [SPD]: Ja!) und dafür, dass mehr Lastmanagement, also gesteuerter Stromverbrauch, möglich wäre. (Florian Post [SPD]: Da muss man was von Physik verstehen!) Ich sitze im Beirat der Bundesnetzagentur, der BNetzA. Noch nie war die Stromversorgungssicherheit so hoch wie heute, sagt die BNetzA. Selbst die Übertragungsnetzbetreiber räumen ein – ich zitiere –: Für den sicheren Betrieb der Stromnetze ist das normale kleine Verbrauchssegment nicht maßgebend. (Florian Post [SPD]: Über 6 000 Kilowattstunden!) Es gibt sogar noch eine preiswerte Alternative für ein besseres Lastmanagement. Die Stadtwerke Nürnberg investierten 17 Millionen Euro in zwei 25 Megawatt fassende Warmwasserspeicher, gekoppelt mit einem Kraftwerk mit Wärmenutzung und zwei großen Tauchsiedern. Damit könnten die Stadtwerke Nürnberg mehr Regelleistung für das Stromnetz bereitstellen, und zwar mehr, als 2,5 Millionen intelligente Stromzähler zum Beispiel über Kühlschränke regeln könnten. 17 Million Euro – das macht bei 2,5 Millionen Haushalten einen Kostenanteil von lächerlichen 7 Euro im Vergleich zu den 80 Euro, die Sie den Verbraucherinnen und Verbrauchern aufdrücken wollen. Liebe Verbraucherinnen und Verbraucher, anstatt diese verbraucherfreundliche Lösung wie in Nürnberg zu unterstützen, führt diese Bundesregierung parallel zu diesem Gesetzentwurf ein Gesetz ein, das den Rahmen für Speicher verschlechtert. Somit wird mit diesen kein Geld mehr verdient. Damit verhindert diese Bundesregierung den Bau weiterer Speicher. Gleichzeitig verlagert diese Bundesregierung das Geschäft der Stromabrechnung von den Stadtwerken zu privaten Konzernen. (Florian Post [SPD]: Zu welchen denn?) Es ist unverschämt, wie dieser Wirtschaftsminister im Schatten der Europameisterschaft Kommunen und damit unseren Bürgerinnen und Bürgern in die Tasche greift, (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh!) um seinen Freunden in der Industrie Profite zuzuschanzen und um den Stromzählerherstellern Millionenabsätze auf Jahre hinaus zu sichern. (Matthias Ilgen [SPD]: Legendenbildung!) Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, dieses Gesetz will nicht nur Ihr Geld, sondern auch Ihre persönlichen Daten. Die Zähler können den Verbrauch in Milliwatt erfassen – Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Sie müssen zum Schluss kommen, Herr Lenkert. Ralph Lenkert (DIE LINKE): – ja –, wenn die Nachttischlampe ausgeschaltet wird usw. Herr Kollege Post, selbst der Bundestag, der höhere Sicherheitsanforderungen hat, wurde letzten Sommer gehackt. Gesammelte Daten sind nie sicher. Deshalb lehnt die Linke das Sammeln und Versenden dieser überflüssigen Daten komplett ab. (Florian Post [SPD]: Zurück in die Steinzeit, oder?) Zusammengefasst muss ich kurz vor den Ferien feststellen: Dieses Gesetz ist mehr als mangelhaft. Wiederholen Sie Ihre Bemühungen. Die Linke lehnt diesen Mist ab. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke schön. – Jetzt hat der Kollege Jens Koeppen, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Jens Koeppen (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Präsidentin! Der Kollege Lenkert hat gerade gesagt: Schlimmer geht immer. – Er hat das mit seiner Rede selbst bestätigt. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Florian Post [SPD]: Sehr richtig!) Heute heben wir den Entwurf eines Gesetzes zur Digitalisierung der Energiewende über die Rampe. Wir haben es uns in der Tat nicht leicht gemacht; das muss ich sagen. Damit meine ich aber nicht die Koalition, die Opposition oder das Ministerium, sondern die Gesellschaft generell. Es war ein schwieriges Unterfangen, hier zu einer vernünftigen Lösung zu kommen. Aber bei diesem Thema war das wahrscheinlich auch nicht anders zu erwarten. Im Hinblick auf die Digitalisierung gibt es generell viele Befürchtungen. Da gibt es entweder 0 oder 1. Die einen sagen: Das ist völliger Unsinn. Die anderen sagen: Das ist unabdingbar. – Wir müssen uns einmal die Fakten anschauen; denn diese Ambivalenz ist natürlich sehr groß. Übertragungsnetzbetreiber, Stadtwerke, Bürger, Verbraucherschützer, Behörden usw. waren der Meinung, dass das sehr schwierig ist. Andere allerdings haben gesagt, dass sie das unbedingt brauchen. Was die Digitalisierung betrifft, müssen wir aus meiner Sicht immer die Chancen und den Nutzen in den Blick nehmen und uns die Frage stellen: Gibt es bei der Digitalisierung Angebote? Die einen sagen: Es gibt keine Angebote; also lassen wir es mit dem Gesetz. – Ich aber denke, dass es Aufgabe der Politik ist, zu sagen: Wir müssen bei den Smart Metern die Voraussetzungen schaffen, um überhaupt Angebote zu generieren. Ich bin fest davon überzeugt, dass intelligente Netze ohne IT nicht möglich sind und dass ohne Smart Meter das Handling vor allen Dingen der volatilen Energien nicht möglich ist. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass ohne die Digitalisierung der Energiewende keine bedarfsorientierten Angebote an den Nutzer gerichtet werden können. Ich denke, der Einbau von Smart Metern ist immer noch besser, als den guten Strom, den wir erzeugt haben, irgendwann zu einem negativen Preis massenhaft über die Netze an andere Länder abzugeben. Wenn das Argument angeführt wird, dass kein Angebot da ist, lautet mein Gegenargument: Wir müssen die Voraussetzungen schaffen, um Angebote zu generieren. Das ist die Aufgabe der Politik. Smart Meter ist aus meiner Sicht eine Schlüsselposition, um Energieflüsse und den Verbrauch exakt zu messen – darauf kommt es nämlich an – und Spannungsprobleme frühzeitig zu erkennen und schnell zu beheben. Und: Wir müssen die Energie nutzen können, wenn sie anfällt. Dabei geht es um die sogenannten virtuellen Speicher. Wir müssen in Zukunft dahin kommen, dass Energie nur dann bezahlt wird, wenn sie auch nutzbar ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dabei hilft letztendlich auch die Digitalisierung. Außerdem haben wir Zugriff auf lastabhängige Tarife. Welche Voraussetzungen gibt es? Der Kollege Post hat es gesagt: Wir brauchen natürlich Vertrauen in die Systeme. Unsere persönlichen Daten müssen geschützt werden. Der Kollege hat auch ausgeführt, wie das funktioniert. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik hat ganz klar festgelegt: Es gibt einen Sicherheitsstandard, der höher ist als bei EC-Karten. Jeder Zähler, der bei Ihnen eingebaut wird, hat also einen höheren Sicherheitsstandard als Ihre EC-Karte; das muss man erst einmal nachmachen. Die Daten werden so aggregatisiert, dass sie nur für die Messung bzw. für das Management des Netzes zur Verfügung stehen. Wir dürfen beim Thema Datenschutz aber nicht immer auf der Bremse stehen. Wenn wir nämlich überbordende Diskussionen über 100-prozentigen Datenschutz, den es gar nicht geben kann, führen, dann werden wir bei der Digitalisierung immer der zweite Sieger sein. Was haben wir erreicht? Zu der Diskussion mit den Übertragungsnetzbetreibern und den Verteilnetzbetreibern brauche ich nicht mehr so viel zu sagen; dazu ist schon einiges ausgeführt worden. Ich glaube, die sternförmige Kommunikation ist ein guter Kompromiss. Jeder bekommt die Daten, die er zur Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgaben wirklich benötigt. Das ist wichtig, und das haben wir erreicht. Bei aller Unzufriedenheit – anfangs auch und gerade bei den Verteilnetzbetreibern – können wir, glaube ich, sagen: Das ist ein guter Kompromiss. Wir haben lange um ihn gerungen. Aber ich glaube, letztendlich ist dabei etwas Gutes herausgekommen. Wir haben auch gesagt: Wir betreiben das Rollout auch für die EEG-Anlagen unter 7 kW optional. Das finde ich ganz gut, weil sie ja auch zur Reduzierung des Netzausbaus beitragen können. Wir müssen aufpassen, dass wir die Industrieparks nicht übermäßig belasten, indem wir ihnen ein – ich sage es einmal so – Downgrade verordnen, sondern es muss ein Upgrade sein. Bessere und genauere Messungen sind schon jetzt möglich. Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Die Energiewende mithilfe der Digitalisierung voranzutreiben, sie vielleicht sogar kostengünstiger zu gestalten und in Zukunft bedarfsgerechtere Tarife für die Kunden zu generieren, ist eine brauchbare Strategie. Ich hätte mir ein schnelleres Rollout gewünscht, aber das ist zunächst einmal zumindest ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Vielen Dank dafür und auch für die gute Zusammenarbeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Dr. Julia Verlinden. Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ohne Zweifel ist die Digitalisierung der Stromversorgung ein wichtiger Baustein der Energiewende, und Deutschland hat hier Nachholbedarf. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass digitale Systeme den Strombedarf während der Verbrauchsspitzenzeiten senken können. Das erhöht natürlich die Flexibilität, und die Stromversorgung wird sicherer. Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie beschreiten hier aber den falschen Weg; denn Sie wollen die Stromkunden weitestgehend mit sogenannten Smart Metern zwangsbeglücken. (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Zwangsbeglückung ist normalerweise eure Aufgabe! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) – Ich wundere mich ja auch. Es ist ja so: Wenn die Verbrauchswerte transparent gemacht werden, dann kann damit Energie eingespart werden, und das spart dann auch Geld. Lohnen tut sich die Investition in die Technik aber nur, wenn der Stromverbrauch dann auch entsprechend hoch ist. Das ist also nur für größere Verbraucher, wie Unternehmen, sinnvoll. (Florian Post [SPD]: Genau deswegen heißt das auch so!) Für kleinere Verbraucher, wie die privaten Haushalte, stiften diese intelligenten Messsysteme aber keinen messbaren Nutzen. (Florian Post [SPD]: Es ist auch nicht eingebaut!) Hinzu kommt – darauf wurde hingewiesen –, dass es bisher noch keine zeitvariablen Tarife für die Haushalte gibt, die einen ökonomischen Anreiz setzen könnten, zum Beispiel den, die Waschmaschine dann anzustellen, wenn gerade viel Strom produziert wird. Wir kritisieren, dass die Mieterinnen und Mieter beispielsweise nicht gefragt werden, wenn der Hausbesitzer auf Smart Meter umstellt. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht okay!) Auch die Hausbesitzer können sich in Zukunft nicht wehren, wenn der grundzuständige Messstellenbetreiber die neuen Zähler zur Pflicht macht. Bezahlen müssen sie die teuren Zähler dann dennoch, und das gefährdet die Akzeptanz der neuen Technologie und letztlich auch der Energiewende. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dieser Plan zur Markteinführung von sogenannten intelligenten Zählern, den Sie haben, ist also unintelligent. (Florian Post [SPD]: Es gibt eine EU-Richtlinie dazu!) – Ja, aber auch sie eröffnet verschiedene Möglichkeiten, damit umzugehen. Das kann man feststellen. Akzeptanz ist die Grundbedingung dafür, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher auf die Impulse, die von den Smart Metern ausgehen, reagieren. Hier wäre also Wahlfreiheit statt Einbauzwang die richtige Strategie, wenn es um den Einbau dieser intelligenten Messsysteme geht. Warum lassen Sie also die Privathaushalte nicht selbst entscheiden, ob sie Smart Meter haben wollen oder nicht? Sie haben doch hoffentlich keine Angst vor mündigen Verbrauchern! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias Ilgen [SPD]: Sonst wollen Sie doch immer alle zwangsbeglücken!) Wer weniger als 6 000 Kilowattstunden Strom im Jahr verbraucht, ist nicht derart systemrelevant, dass sich eine sogenannte Lastverschiebung lohnt. Wir Grüne wollen deshalb die freie Entscheidung für Kunden mit einem Verbrauch von bis zu 6 000 Kilowattstunden im Jahr und ein Widerspruchsrecht zum Einbau eines intelligenten Messsystems für private Haushaltskunden mit einem Stromverbrauch zwischen 6 000 und 10 000 Kilowattstunden im Jahr. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wurde mit dem Änderungsantrag der GroKo für die Betreiber von Anlagen für erneuerbare Energien verschlechtert, indem es nun in Zukunft den verpflichtenden Einbau von Smart Metern auch schon für Kleinstanlagen von 1 kW geben soll. (Florian Post [SPD]: Optional!) Das betrifft vor allem Betreiber von kleinen Solarstromanlagen. Dieser Zwangseinbau von Smart Metern ist netztechnisch überflüssig und kostet nur unnötig Geld. Aus meiner Sicht ist das eine weitere Schikane der Großen Koalition. Sie wollen jetzt das Engagement der Bürgerinnen und Bürger für die Energiewende mit Steuern, Abgaben und Bürokratie bestrafen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) So schaffen Sie Politikverdruss. (Zurufe von der SPD: Oh!) Das gilt erst recht auch deshalb, weil mit den digitalen Zählern das Internet Einzug in die Stromversorgung jedes Einzelnen hält. Durch den flächendeckenden Einbau der digitalen Messsysteme werden sensible Daten generiert; das ist schon angesprochen worden. Der Einbau ermöglicht eine übergreifende Auswertung nach Personengruppen, Straßenzügen oder ganzen Stadtteilen. (Florian Post [SPD]: Nein!) Für uns als grüne Bundestagsfraktion ist wichtig, dass die hohen Verbraucher- und Datenschutzstandards, die wir normalerweise in Deutschland haben, und die höchsten Anforderungen an die Datensicherheit auch bei diesem Gesetz gelten müssen. (Florian Post [SPD]: Das tun sie! Genau das tun sie!) Mit Ihrem Gesetz nähren Sie aber Zweifel, dass dies erreicht wird; denn die Grundprinzipien wie Datensparsamkeit und der Erforderlichkeitsgrundsatz sind bei der Erhebung, der Nutzung und auch bei der Übermittlung dieser Verbrauchsdaten vermutlich nicht vernünftig eingehalten. (Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Natürlich!) – Dazu gab es Hinweise vom Datenschutzbeauftragten. Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Koalition hat den internationalen Trend hin zur Digitalisierung in der Vergangenheit lange verschlafen. Damit haben wir vor allem in Industrie und Gewerbe große Potenziale für mehr Effizienz und Stabilisierung der Netze brachliegen lassen. Jetzt wachen Sie auf und verfallen in Aktionismus. Damit vergeben Sie eine große Chance und werden bei den betroffenen Stromkunden Frust und Ärger ernten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Florian Post [SPD]: Die Alternative ist ein Ferraris-Zähler, oder was?) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Johann Saathoff, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Johann Saathoff (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erinnern Sie sich noch an die orangefarbenen Telefone mit der Wählscheibe? (Florian Post [SPD]: Die wollen die Grünen wieder zurück!) Ja? Diese gibt es aber schon lange nicht mehr. Die Telekom stellt gerade deutschlandweit das Telefon von analog auf digital um. Die Technik hat sich enorm weiterentwickelt. Jetzt denken Sie einmal an Ihren Stromzähler. Das ist vermutlich noch so ein ziemlich alter Drehstromzähler, der so ähnlich heißt wie eine teure, schnelle und für ihre rote Farbe bekannte Automarke. Jetzt hat sich aber auch die Technik bei Stromzählern und bei den Stromnetzen insgesamt enorm verändert, so wie wir auch die fossile Stromproduktion auf eine auf erneuerbaren Energien basierende Stromproduktion schrittweise umstellen wollen. Dieses Projekt trägt einen schönen Namen: Energiewende. Dementsprechend reden wir heute über das Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja! Ein bisschen mehr!) Mit diesem Gesetz wollen wir die alte, unflexible und unkommunikative Technik schrittweise durch eine neue ersetzen, die uns allen bei der Energiewende die Möglichkeiten bietet, die wir brauchen. In den nächsten 16 Jahren – meine Damen und Herren, ich wiederhole: 16 Jahren – sollen alle analogen Zähler durch digitale ersetzt werden, die in Sachen Design leider wenig an die schnellen roten Autos erinnern. Als es noch die orangefarbenen Telefone gab, hätte es kein Mensch für möglich gehalten, dass es irgendwann einmal Smartphones gibt. So wissen wir auch heute noch nicht, was wir in Zukunft alles mit den Smart-Meter-Gateways werden anfangen können. Bislang gibt es dafür viele Ideen, aber logischerweise kaum Anwendungen. Es macht keinen Sinn, an dieser Stelle Ängste zu schüren. Es steht für mich außer Frage, dass diese Anwendungen in der Zukunft entwickelt werden. Mir ist wichtig, dass alle Menschen mit einem Smart-Meter-Gateway selbst entscheiden können, wer ihre Daten bekommt. Dafür sorgen wir, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jens Koeppen [CDU/CSU] – Florian Post [SPD]: Das ist gewährleistet!) Wenn es also irgendwann einmal solche Anwendungen gibt, müssen die Anbieter erst mit den Kunden Vereinbarungen schließen, bevor diese die Daten bekommen. Weiterhin ist der Schutz der Daten auch durch das enorm hohe Sicherheitsniveau der Gateways gewahrt. Drei Jahre ist mit dem BSI daran gearbeitet worden. Selbstverständlich wird dieses Schutzniveau immer wieder angepasst, sodass immer der höchste Standard vorliegt. Aber wir dürfen nicht nur isoliert auf dieses Gesetz blicken, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir müssen es im Zusammenhang mit anderen für die Energiewende wichtigen Vorhaben sehen, die wir dieser Tage beschließen wollen. Da ist zunächst einmal das Strommarktgesetz zu nennen. Dieses werden wir heute Abend noch verabschieden; ich werde es in meiner Rede gleich entsprechend würdigen. Dazu gehört auch das EEG 2016, zu dem es morgen die erste Lesung geben wird. Auch das wollen wir noch vor der Sommerpause verabschieden. Diese Gesetze gehören also zusammen. „Eerst so sitt Haak in’t Steel“, sagen wir in Ostfriesland. Also: Nur so wird das was. Wir gehen dieser Tage die entscheidenden Schritte für das langfristige Gelingen der Energiewende in Deutschland. Darauf können wir auch ein kleines Stück stolz sein. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Die Debatte beschließt jetzt die Kollegin Barbara Lanzinger, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Barbara Lanzinger (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte junge Leute, die uns heute zuhören! Zu dem zentralen Bestandteil der Energiewende ist alles schon gesagt. Wir haben in der Tat viel diskutiert und viel verhandelt, und zwar – ich denke, es ist wichtig, das zu erwähnen – mit Datenschutzbeauftragten, Verbraucherschützern, Unternehmen, Verbänden und vielen weiteren. Ich denke, das macht auch diesen Gesetzentwurf aus, dass er nicht einfach so auf den Markt geworfen wird. Das Ergebnis ist ein Kompromiss – und ich denke, es ist ein guter Kompromiss – zwischen Verbraucherinteressen und – das sage ich bewusst – den Interessen der Wirtschaft. (Florian Post [SPD]: Und zwischen uns!) Wir brauchen Instrumente, um die Stabilität und Effizienz zu gewährleisten. So brauchen wir die intelligenten Messsysteme für die Energieeffizienz, und ich denke, dass den Stromkunden variable Stromtarife angeboten werden müssen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie schaffen gar nicht den Rahmen, dass das mit den Tarifen geht!) Zentral war für uns die Datensicherheit. Das war der wichtigste Bestandteil des Gesetzentwurfs, und das wurde mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, dem BSI, und der Bundesnetzagentur abgestimmt. Wir verlassen uns auch darauf, dass die verbindlichen Sicherheitsstandards gewährleistet sind und dass ein Akteur im Energiesystem nur die Daten aus dem Smart Meter erhält, die er für seine rechtlich festgelegten Aufgaben benötigt. (Florian Post [SPD]: Sehr gut!) Ich wehre mich deshalb dagegen, dass von Datenkraken oder Ausspähen geredet wird. Das ist in der Tat falsch. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ein wichtiger Punkt ist der Rollout der Geräte, um die Balance zwischen einer möglichst geringen finanziellen Belastung der Verbraucher einerseits und der Möglichkeit eines wirtschaftlichen Einbaus andererseits zu schaffen. Der Pflichteinbau ist ab einem Jahresverbrauch von 6 000 Kilowattstunden vorgesehen. Darunter ist das Ganze optional. Es ist nicht verpflichtend, wie Sie gesagt haben, Frau Verlinden, und es kommt frühestens ab 2020. Ich wiederhole: Es gibt also für die Geringverbraucher unter 6 000 Kilowattstunden keinen Pflichteinbau, sondern für sie ist der Einbau der Smart Meter optional. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber man muss widersprechen! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es sei denn, Sie sind Mieter! Dann müssen Sie einbauen!) Und es gibt dabei einen niedrig angesetzten Kostendeckel, der strikt eingehalten werden soll. Auch das, was Sie vorhin zu den Kleinerzeugeranlagen erwähnt haben, ist falsch. Ich lege Wert darauf, weil mir das in der Verhandlung sehr wichtig war, dass bei Anlagen kleiner 1 nichts gemacht wird. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kleiner 1! Aber kleiner1 ist doch gar nichts!) – Jetzt hören Sie doch zu! Sie haben gerade von 1 kW gesprochen. Deshalb wiederhole ich das jetzt. Zwischen 1 und 7 kW ist es optional; als Preisobergrenze sind 60 Euro vorgesehen. Bestandsanlagen werden nicht angegriffen. Der Neueinbau erfolgt ab 2018. Zum Schluss ist, was die Diskussion um die Übertragungsnetzbetreiber und die Verteilnetzbetreiber angeht – auch das wurde schon erwähnt –, noch die Frage wichtig, wer die Daten letztendlich bekommen soll. Ich denke, wir haben einen guten Kompromiss geschaffen, dass bei einer Größe von 100 000 Zählpunkten die Daten so weitergegeben werden, wie sie hereinkommen. Unterhalb dieser Grenze müssen die Messstellenbetreiber den Antrag stellen, damit sie das lösen können. Ich komme zum Schluss. Aus unserer Sicht kann die Energiewende nur dann gelingen, wenn alle Beteiligten zusammenarbeiten, wenn die Unternehmen auf diejenigen, die den Verbrauch steuern, die Kunden, zugehen und ihre Sorgen ernst nehmen, die sie ja haben, wenn gute Angebote gemacht werden, auch um dafür zu werben, diese Messsysteme einzubauen, und wenn intelligente, variable Strompreise angeboten werden. Das Zusammenspiel von Verbrauchern, Messstellenbetreibern und Erzeugern macht letztendlich den Erfolg des Gesetzes aus. Ich denke, wir haben mit dem Gesetzentwurf eine gute Grundlage geschaffen, und bitte Sie um Ihre Zustimmung. Ganz herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Digitalisierung der Energiewende. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8919, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/7555 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8924. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden. Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 17: Beratung des Antrags der Abgeordneten Niema Movassat, Katja Kipping, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Rechenschaftspflicht und entwicklungspolitisches Mandat der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft DEG stärken Drucksache 18/8657 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f) Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat als erster Redner Niema Movassat von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Niema Movassat (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Panama flutet ein Staudammbetreiber das Land von Indigenen gegen deren Willen und trotz jahrelanger Proteste. In Sierra Leone verlieren Tausende Menschen ihr Land an einen Großinvestor. Der will Biodiesel für Europa produzieren, scheitert aber. Nun stehen die Menschen ohne Arbeit und ohne Land da. In Kenia verweigert ein Windparkinvestor Menschen, die ihre Weidegründe durch das Projekt verloren haben, jegliche Kompensationsansprüche und befeuert damit soziale Konflikte. Drei Projekte, drei Länder: Panama, Sierra Leone und Kenia. Diese Länder sind Tausende von Kilometern voneinander entfernt, und doch haben sie eines gemeinsam: Alle drei Projekte wurden von der DEG finanziert. Das ist die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft, eine Tochter der KfW, ein Staatsunternehmen. Als gemeinnütziges Unternehmen ist die DEG dem Ziel verpflichtet, die Entwicklung in den Ländern des Südens zu fördern. Dieses Ziel will sie durch die Finanzierung von Unternehmen – durch Darlehen und Unternehmensbeteiligungen – erreichen. Die Realität aber ist: Die DEG hat Projekte finanziert, die ganz und gar nicht zur Entwicklung beigetragen haben. Menschen verloren ihr Land und ihre Existenzgrundlagen und drifteten in noch mehr Armut ab. Für eine staatliche Entwicklungsbank, die Hoffnungen und Perspektiven für Menschen in Entwicklungsländern schaffen soll, ist das ein Armutszeugnis. (Beifall bei der LINKEN) Keiner von uns hier weiß, wie viele DEG-Finanzierungen im Debakel endeten. Denn was genau die DEG finanziert, darüber veröffentlicht sie nur wenige handverlesene Informationen. Die DEG hält die Umwelt- und Sozialrisikoprüfungen komplett unter Verschluss. Sie begründet das mit dem Geschäftsgeheimnis. Immer wenn ich die Bundesregierung nach der Arbeit der DEG frage, bekomme ich als Antwort, die DEG mache gute Arbeit. Der Beleg, den die Regierung mir dann gibt, ist, dass sie feststellt, die DEG sage, sie mache gute Arbeit. So geht das doch nicht! Wenn sich, wie jetzt, die Berichte über gescheiterte DEG-Projekte häufen, können wir uns doch nicht einfach auf solche Behauptungen verlassen. (Beifall bei der LINKEN – Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Was heißt denn „gescheiterte Projekte“?) Die Bundesregierung, die letztlich Eigentümerin der DEG ist, muss endlich ihrer Aufsichts- und Prüfpflicht nachkommen. Stattdessen übernimmt sie die absurden Argumente der DEG. Landraub wird da plötzlich in „Urbarmachung“ und „Aufwertung“ von Land umgedeutet. Das ist doch verrückt! Sie von der Bundesregierung behaupten immer, sich weltweit gegen Landraub einzusetzen. Ihr eigenes Unternehmen aber finanziert Landräuber. Das ist doch absurd! (Beifall bei der LINKEN) Absurd ist außerdem, dass die DEG bei vielen Finanzierungen nicht einmal ihre eigenen Zielvorgaben erfüllt. So möchte die DEG Klein- und Mittelbetriebe fördern. Allerdings hat vor kurzem selbst der Industrieverband BDI beklagt, dass die Förderpolitik der DEG aufgrund der großen Projektsummen Kleinbetriebe ausschließt. Die DEG möchte Arbeitsplätze in Entwicklungsländern schaffen. In Paraguay fördert sie allerdings einen Finanzinvestor im Agrarsektor, der auf einer Fläche, die halb so groß wie das Saarland ist, nur 128 Mitarbeiter beschäftigt. Jobwunder sehen anders aus. Die DEG möchte die Einkommen der Entwicklungsländer durch mehr Steuereinnahmen verbessern. Gleichzeitig unterstützt sie Absprachen zwischen Unternehmen und Regierungen zur Steuervermeidung. Dieser Zustand ist für eine staatliche Entwicklungsbank völlig unhaltbar. (Beifall bei der LINKEN) Wir müssen auf drei Ebenen aktiv werden – und das dringend. Erstens. Es muss schwarz auf weiß nachlesbar sein, was die DEG genau macht. Transparenz ist hier das Stichwort. Zweitens. Es muss gesichert werden, dass die Projekte der DEG Entwicklung schaffen. Es braucht also klare entwicklungspolitische Vorgaben. Drittens. Die Menschen vor Ort müssen wissen, was die DEG vorhat, und Mitspracherechte erhalten. Entwicklungspolitik lebt davon, die Betroffenen mitzunehmen. Das muss auch für Projekte der DEG gelten. (Beifall bei der LINKEN) Ich lade Sie alle ein, über die Forderungen, die wir als Linke in unserem Antrag konkretisiert haben, in den nächsten Wochen gemeinsam zu diskutieren, auch über die Umsetzung. Ich finde, wir brauchen eine breite gesellschaftliche Diskussion, auch mit der DEG. Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Hans-Joachim Fuchtel für die Bundesregierung das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Nachdem hier nur kritische und negative Worte gefallen sind, muss jetzt einmal die positive Seite dargestellt werden. (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN) Ich tue das auch deswegen, um Reputationsschäden von der DEG abzuwenden. Man muss feststellen, dass nur 15 Prozent der Finanzierungen in den Entwicklungsländern von öffentlicher Seite kommen, hingegen 85 Prozent vom Privatsektor. Mit solch negativen Darstellungen ermutigen wir sicher niemanden, dorthin zu gehen, und das, wo wir mehr Unternehmer brauchen – (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Ist es die Wahrheit oder nicht?) im Interesse der Menschen, im Interesse der Arbeit, im Interesse von mehr Stabilität und damit weniger Menschen zur Flucht gezwungen sind. So wie Sie, meine Damen und Herren, reden, helfen Sie in dieser Richtung überhaupt nicht, mit keinem einzigen Wort. (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN) Jetzt sage ich Ihnen eines: Im Verwaltungsrat des Mutterkonzerns der DEG – die Mutter ist die KfW – sitzt eine Vertreterin von Ihnen. Wo ist sie heute bei dieser Debatte? (Niema Movassat [DIE LINKE]: Sie sind Aufsichtsratschef! Wo sind Sie bei den vielen Projekten?) Die Fragen, die Sie jetzt aufwerfen, können auch im KfW-Gremium zur Sprache gebracht werden. Aus Gründen des Bankgeheimnisses möchte ich jetzt nicht darüber sprechen, wer welche Fragen immer wieder anspricht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Florian Post [SPD]) Jeder ruft danach, dass mehr KMUs in die Entwicklungsländer gehen sollen. Aber wenn ich die Prozesse immer mehr kompliziere, dann werde ich das Gegenteil erreichen, und zwar zulasten der Menschen. Das können wir nicht zulassen. (Beifall bei der CDU/CSU) Die DEG verfügt über langjährige Erfahrungen und Know-how. Das ist wohl unstrittig. (Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) Es wird bei einer solchen Aufgabe immer wieder Punkte geben, die man kritisch hinterfragen muss, und man wird immer wieder dazulernen müssen. Aber die DEG hat gezeigt, dass sie dazu in der Lage ist. Man hat in den letzten Jahren sehr viel in dieser Hinsicht getan. Heute ist die Situation so, dass man sagen kann: Aus den Fehlern in der Vergangenheit, die in der Regel vor der Übernahme der Leitung durch die jetzige BMZ-Führung gemacht worden sind, hat man gelernt, und man hat in ganz vielen Fällen Verbesserungen erreicht. Da nachher der Kollege Kekeritz spricht, von dem ich gewohnt bin, dass er einige neue Dinge anspricht, möchte ich wenigstens darauf hinweisen, dass beispielsweise die Frage von Finanzierungen über Offshore bereits vor 2010 aufgeworfen worden ist, zu Zeiten, in denen Rot-Grün regiert hat, aber Leitlinien, um das Problem besser in den Griff zu bekommen, erst am 1. Januar 2010 auf den Weg gebracht wurden und zum 1. April 2014 noch einmal verbessert wurden. (Beifall bei der CDU/CSU) Also, sehr große Vorsicht, sonst sprechen wir über alle Fälle und legen dar, wie der Weg war, um die Historie gänzlich darzustellen. Das würde der Sache wahrscheinlich nicht dienen. (Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Konsequenzen daraus ziehen! Aber das trauen Sie sich nicht!) Wir wollen in die Zukunft schauen. Der Kollege Movassat hat eine Reihe von Initiativen ergriffen. Das ist sein gutes Recht. Ich muss Ihnen aber auch sagen: Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages hat eindeutig festgestellt, dass die DEG transparent arbeitet und dass sie gewisse Bankgeheimnisse wahren muss. Das ist in diesem Gremium amtlich beschlossen worden. (Abg. Niema Movassat [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage) – Ich habe heute Abend keine große Lust mehr, noch Zwischenfragen zu beantworten. (Lachen bei der LINKEN) Warum? Der Aufsichtsrat der DEG hat beschlossen, an den Petitionsausschuss heranzutreten und dort den gesamten Geschäftsbericht zur Debatte zu stellen. Mehr kann man nicht anbieten. Deswegen brauchen wir heute hier kein Geplänkel. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir möchten, dass Nachhaltigkeit das Geschäftsvolumen entsprechend prägt. Das ist in der Tat der Fall. Wir versuchen mit den verschiedensten Instrumenten dafür zu sorgen. Man bestätigt uns auf der ganzen Welt – auch durch das Verfahren, das wir jetzt haben –, dass die DEG bezüglich Transparenz gegenüber den Bürgern und als Instrument für die Zukunft ganz weit vorn ist. Mit Wilhelm Busch möchte ich schließen: Wer durch des Argwohns Brille schaut, sieht Raupen selbst im Sauerkraut. (Beifall der Abg. Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]) Das ist jetzt ein bisschen polemisch. Sorgen wir mit der Diskussion dafür, dass die Reputation der DEG gesichert ist, dass wir die Firmen einladen, weltweit aktiv zu werden. Sie dürfen von ihrem Wirken nicht abgehalten werden; denn angesichts der Globalisierung braucht die Welt unternehmerische Aktivität mehr denn je zuvor. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD]) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Der Kollege Movassat erhält jetzt das Wort zu einer Kurzintervention. Niema Movassat (DIE LINKE): Frau Präsidentin, danke. – Herr Staatssekretär, Sie haben sich hier auf das Bankgeheimnis der DEG berufen. Sie haben gesagt, die DEG sei in Bezug auf Transparenz ganz weit vorn. Fangen wir einmal mit dem Thema Transparenz an. Die DEG sagt, sie halte die Standards der Weltbanktochter IFC ein. Die IFC veröffentlicht zwischen 30 und 60 Tage, bevor sie eine Finanzierung durchführt, ihre Sozialrisiko- und Umweltrisikoprüfungen. Das macht die DEG nicht. Das heißt, da kann die DEG gar nicht das transparenteste Unternehmen sein; denn zumindest an diesem Punkt ist die IFC deutlich transparenter als die DEG. Das, was wir als Linke hier fordern, ist keine Revolution. Wir fordern, das umzusetzen, was zum Beispiel bei der Weltbank Standard ist. Das ebenfalls zu tun, wäre einmal ein Anfang. Dazu müssen Sie Stellung nehmen, Herr Staatssekretär. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie sagen, wir müssten in die Zukunft schauen und jetzt sei alles toll: In Panama wird das Barro-Blanco-Projekt durch die DEG finanziert. Sogar der Beschwerdemechanismus der DEG hat heftige Kritik an diesem Projekt geübt. Da wird jetzt geflutet. Die Menschen müssen ihr Land verlassen. (Johannes Selle [CDU/CSU]: Wie viele Menschen? Wie viele sind das?) Das ist die Zukunft, die Ihrer Finanzierung sozusagen innewohnt. Die damit zusammenhängenden Fragen müssen Sie beantworten. Was ist eigentlich mit einer Kompensation für die Menschen? Wird die DEG den Menschen da irgendwie helfen, nachdem sie ihnen das alles eingebrockt hat? Die Menschen vor Ort leiden nämlich. Sie sagen: Wir müssen da etwas für die Menschen tun. – Es gibt unglaublich viele Menschen, die unter DEG-Projekten gelitten haben. (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Wie viele?) Da sind auch Sie als Vorsitzender des Aufsichtsrates der DEG gefragt, zu handeln, Herr Fuchtel. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort zur Erwiderung. Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Lieber Kollege, Sie betonen so sehr, dass ich Vorsitzender des Aufsichtsrates bin. Das stimmt. Ich bringe da viel Engagement ein. Ich darf Ihnen aber gleichzeitig sagen: Das geschieht ohne Mehrhonorar. Ich sage das nur, damit das hier klar ist und damit nicht der Eindruck entsteht, dass das mit großen Vergütungen verbunden ist. Zum Ersten. Ich hätte gedacht, Sie nehmen vielleicht auch zur mangelnden Präsenz der Kollegin, die im Verwaltungsrat der KfW sitzt, hier heute Abend Stellung und erklären hier, warum Sie so reden. Ich hätte in den Gremien, in denen das zu besprechen ist, mehr Diskussionen zu führen, wenn es tatsächlich so kritisch wäre, wie es hier gerade dargestellt wird. Zum Zweiten. Wir haben gerade ein Gutachten beim Deutschen Institut für Menschenrechte in Auftrag gegeben. Dieses Institut arbeitet unabhängig und steht ganz gewiss nicht im Verdacht, dass es einseitige Positionen vertritt. Dieses Gutachten wird sicher auch Aussagen darüber machen, was da noch weiter zu tun ist. Dann können wir uns wieder über die Fragen unterhalten, die Sie gerade angesprochen haben. Zum Dritten: Panama: Dazu wollten Sie mich schon gestern in der Fragestunde fragen. Ich habe anderthalb Stunden hier gesessen und auf Ihre Frage gewartet; Sie waren nicht da. Gut, es ist Ihr gutes Recht, dass Sie dann von mir eine schriftliche Antwort erhalten. Ich möchte Ihnen sagen: Auch in dem Verfahren hat man dazugelernt. Man hat dazugelernt, zu welchem Zeitpunkt den Beteiligten entsprechende Erkenntnisprozesse und Mitteilungen abverlangt werden. Man kommt dazu, dass man nicht erst dann solche Hinweise verlangt, wenn die Finanzierungszusagen gegeben werden, sondern bevor die Verträge unterschrieben werden. Wenn Sie so wollen, ist hier ein Lerneffekt eingetreten. Man hat eine Maßnahme ergriffen. Man muss in all diesen Fragen noch viel sorgfältiger sein. Ich betone abschließend nochmals: Es wird gearbeitet, wo es sehr schwierig ist. In dem konkreten Fall – Herr Kollege, ich möchte die Zeit nicht überziehen – war es wohl so, dass die Regierung von Panama eindeutige Aussagen gemacht hat, auf die man sich verlassen hat, die sich im Nachhinein nicht als vollständig zutreffend herausgestellt haben, (Zuruf der Abg. Inge Höger [DIE LINKE]) nämlich in der Frage, welche indigenen Gemeinschaften gefragt wurden. Über diese Frage redet man jetzt sehr intensiv, auch mit dem Bemühen um Entschädigung. Aber, mit Verlaub, das ist nicht die Sache der DEG, sondern das ist Sache des Landes Panama. (Beifall bei der CDU/CSU – Niema Movassat [DIE LINKE]: Aber die DEG hat es finanziert! Das wissen Sie schon!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner in der Debatte hat Uwe Kekeritz das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Werte Kollegen und Kolleginnen! Natürlich geht es auch um die Reputation. Aber, Herr Staatssekretär, eines können wir nicht machen: Hier können wir nichts zur Reputation der DEG beitragen. Das ist Sache der DEG draußen vor Ort, und da gibt es sehr viele Missstände. (Zuruf der Abg. Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]) Sie haben selber gesagt, wie viel Sie seit der Regierungsübernahme, seit 2013, schon geändert haben. Das ist ein Eingeständnis, dass hier sehr viel zu tun war. Sie haben auch davon gesprochen, dass es jetzt noch ein Gutachten geben wird. Offensichtlich weiß auch diese Regierung, dass nicht alles in Butter ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Insofern kann man davon ausgehen, dass hier noch sehr viel mehr an Änderungen kommen wird. Meine Damen und Herren, vielleicht haben auch Sie schon Erfahrungen mit der DEG gemacht. Es ist tatsächlich so, dass ich sehr viele Erfahrungen mit der DEG gemacht habe. Es tut mir leid: Es waren nur negative. Vielleicht kommt niemand, wenn etwas positiv ist; aber es ist einfach bedrückend, wenn Vertreter von NGOs kommen und sagen: Da sind diese und jene negativen Auswirkungen. Da gibt es Ölplantagen in Indonesien, für die Torfmoor- und Naturwald weichen musste. Es gab ein kamerunisches Unternehmen, das Medikamente herstellte. Es gab ein Palmölprojekt in Honduras, bei dem mindestens 25 Menschen ermordet wurden. Es ging um Land-Grabbing-Projekte in Sambia und Paraguay. Überall ist Geld der DEG dabei. Wenn der Protest zu laut wird, dann zieht die DEG auch Konsequenzen. Aber der Protest muss hier laut werden. Wenn der Protest in den Entwicklungsländern laut wird, reagiert die DEG nicht. Vor vier Jahren hatte ich Besuch von der DEG. Vier Herren kamen zu mir. Ich wollte mit ihnen über das Unternehmen sprechen, das Medikamente in Kamerun produziert. Wir sind uns nicht einig geworden. Sie saßen mir am Tisch gegenüber. Dann habe ich sie aufgefordert: Nun nennen Sie mir doch bitte mal ein Projekt, das Sie selbst als positiv einstufen würden! – Zehn Sekunden schmerzhaftes Schweigen – und plötzlich: Sierra Leone! 25 000 Arbeitsplätze, Sozialprojekte, umweltfreundliche Landwirtschaft, Infrastrukturaufbau. Sierra Leone – Kollege Movassat hat es gerade erwähnt. Heute wissen wir: Es ist ein Fehlschlag gewesen. Es ist eine ökologische Katastrophe geworden. Die Menschen wurden von ihrem Land vertrieben. Die Wasserversorgung ist schlechter geworden. Insgesamt sind die Lebensverhältnisse der Menschen einfach schlechter geworden. Wer es genau, detailliert haben will, der gehe einfach mal ins Internet: YouTube, Panorama, „Sierra Leone“. Dort können Sie diesen 45-minütigen Bericht sehen, der übrigens auch im Fernsehen zu sehen war. Das Projekt ist in Hochglanzbroschüren gefeiert worden. Es war nichts anderes als ein übles klassisches Land-Grabbing- und Water-Grabbing-Projekt, das einem milliardenschweren Konzern durch Zuckerrohrplantagen viel Geld einbringen sollte – nicht zum Wohle der Menschen dort. Es ist also ein klassisches Armutsprojekt gewesen. (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Schalt mal ein Stück runter! Sorry!) Herr Staatssekretär, es tut mir leid, das sagen zu müssen: Es gibt viele davon. Und während deutsches Geld daran beteiligt ist, reist unser Entwicklungsminister in der ganzen Welt herum und lobt, was er alles für die Fluchtursachenbekämpfung macht. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Er schafft sie!) Fluchtursachenbekämpfung sieht anders aus. Ich bin davon überzeugt, dass vieles besser wäre, wenn wir nicht Fluchtursachen befördern würden. Schauen Sie sich das Projekt in Sierra Leone einmal an. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Damit hier keine Missverständnisse aufkommen: Ich kritisiere überhaupt nicht die DEG. Mit dem Antrag der Linken, der hier eingebracht worden ist und den ich für sehr gut halte, haben wir die Verantwortung und nicht mehr die DEG. Denn wir alle wissen: Ein Unternehmen, das klar signalisiert bekommt: „Ihr werdet nie und nimmer richtig kontrolliert“, entwickelt eine Eigendynamik und auch eine eigene Politik. VW und die Autoindustrie zeigen ganz klar, was ich meine. Wir brauchen hier Transparenz. Das ist überhaupt nicht schwer zu erreichen. Wir schaffen das. Es ist richtig, was Herr Movassat sagte: Die IFC ist uns in Bezug auf Transparenz um zehn Jahre voraus. Wir haben heute mit dem Antrag der Linken die Chance, dieses Manko auszumerzen. Dann können wir wirklich auch noch auf den Bericht des Deutschen Instituts für Menschenrechte warten. Ich glaube, dann haben wir die Grundlage geschaffen für eine zukünftige positive, reputationsfördernde Arbeit der DEG. Diese können wir nicht hier beschließen. Vielmehr muss die DEG selbst durch ihre Arbeit im Ausland dafür den Grundstein legen. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Christoph Strässer von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Christoph Strässer (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich glaube, richtig an Ihrem Vortrag, Herr Movassat, war auf jeden Fall die letzte Bemerkung, dass es hinsichtlich der Form der Entwicklungszusammenarbeit mit privaten Unternehmen, über die wir hier heute streiten, einer breiten gesellschaftlichen Diskussion und auch einer Diskussion hier im Deutschen Bundestag bedarf. Daran gibt es aus meiner Sicht überhaupt keinen Zweifel. Deshalb, sage ich einmal, hat Ihr Antrag an dieser Stelle auch ein gewisses Verdienst. (Beifall der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) Was ich aber etwas schwierig finde, ist die Tatsache, dass wir uns über die Arbeit dieser Organisation unterhalten und deren Qualität und Wirkung lediglich an den vier Projekten, die Sie beschrieben haben, festmachen. Diese vier Projekte sind uns bekannt, sie sind der DEG bekannt, sie sind dem Aufsichtsrat bekannt, und sie werden öffentlich diskutiert. Es muss sich übrigens niemand über YouTube diesen Panorama-Artikel besorgen. Ich kann Ihnen den gleich geben. Ich habe ihn nämlich ausgedruckt und habe ihn sehr sorgfältig gelesen. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Film von 45 Minuten!) Was können wir tun? Was müssen wir tun? Das Erste ist aus meiner Sicht, wirklich einmal hinzuschauen, über Bilanzen zu reden, über das, was im Internet und an anderer Stelle öffentlich sichtbar ist, (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Dazu muss man aber lesen können!) für das seit 2014 klar ein Beschwerdemechanismus gilt, und einfach einmal zu fragen: Was ist da vor Ort los? Was kann da getan werden? Welche Wirkung hat das? Ich nehme einmal diese negativen Beispiele heraus und nehme die Zahlen, die mir übermittelt worden sind, die ich auch gerne weitergebe. Ich gehe davon aus, dass sie richtig sind. Im Jahre 2015 haben 73 Unternehmen DEG-Finanzierungen erhalten. In diesen 73 Unternehmen arbeiten 82 000 Menschen. In diesen Ländern wurden 13 000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen. Ich finde, das ist wichtig; das sollte man an dieser Stelle auch erwähnen. Wir haben in der letzten Sitzungswoche über die SDGs geredet. Wir haben über SDG Nummer 8 geredet, über Arbeit, und wir haben gesagt: Es geht nicht – in Anführungsstrichen – nur um Arbeit, sondern es geht auch um gute Arbeit. Nach dem, was ich weiß, was ich gesehen habe und was ich gelesen habe, hat es im Jahre 2015 keine Kreditvergabe an Unternehmen gegeben, die nicht die ILO-Kernarbeitsnormen respektieren und die nicht die Arbeits- und Sozialstandards der ILO übernehmen. Ich finde, das sollte man an dieser Stelle sagen; denn es ist ein positives Signal auch für unsere Diskussion an anderer Stelle. Ich erinnere einmal an den Nationalen Aktionsplan „Wirtschaft und Menschenrechte“. Wenn das stimmt – davon gehe ich aus –, macht die DEG da eine vorbildliche Arbeit, und die sollten wir auch unterstützen und politisch begleiten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dann sind die Steuern angesprochen worden. Die Zahlen, die hier vorliegen, gehen davon aus, dass pro Jahr circa 1,5 Milliarden Euro an Steuern durch das, was die DEG an Krediten finanziert, in den Staaten, in denen gearbeitet wird, gezahlt werden. Das sind nicht nur 1,5 Milliarden Euro Steuern, das sind auch insgesamt 5,7 Milliarden Euro an Investitionen. Ich bleibe dabei, dass wir sehr, sehr kritisch beobachten müssen, was da passiert. Ich weiß ja auch, wer im Aufsichtsrat sitzt. Da muss man sich auch die Frage stellen, ob man dieses System überhaupt will, ob man will, dass der Privatsektor unterstützt wird, dass die privaten Unternehmen auch die Möglichkeit haben – gerade auch im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung –, vor Ort zu arbeiten, Arbeitsplätze zu schaffen, Investitionen zu generieren und im Übrigen auch im Bereich der Landwirtschaft zu arbeiten. Sie wissen, dass wir als Sozialdemokraten dazu eine eher kritische Haltung haben, dass große agrarökonomische Strukturen in Staaten wie zum Beispiel Sierra Leone geschaffen werden. Deshalb finde ich es auch gut und richtig, dass die DEG an dieser Stelle eben auch den anderen Weg geht, dass sie auch kleinbäuerliche Strukturen unterstützt mit ganz vielen Unternehmensbeteiligungen in den jeweiligen Staaten, insbesondere auch in Subsahara-Afrika. Ich würde mich sehr freuen, Herr Staatssekretär, wenn in den Ausschussberatungen auch Vertreter der DEG anwesend wären, damit wir mit ihnen ganz offen diskutieren können und von ihnen die Informationen bekommen, um die es geht. Dann können wir wirklich eine sachbezogene Diskussion führen, die letztlich den Menschen in den Staaten, um die es geht, auch nutzt. Darum geht es ja auch in dieser Debatte, in diesem Antrag. Es gibt einige Verbesserungen in den letzten zwei Jahren, sie sind schon angesprochen worden: die Dialoge sowie die Alternativen, die durch Einrichtungen der Zivilgesellschaft zur Verfügung stehen. Brot für die Welt und andere sind ja im Dialog und im Diskurs mit der DEG, um diese Probleme aufzuarbeiten, zu klären und zu schauen, was wir machen können. Wir haben öffentliche Jahresabschlussberichte, die nachlesbar sind, und wir haben eben an bestimmten Stellen Transparenzrichtlinien; sie sind zwar aus meiner Sicht nicht wirklich ausreichend, aber ich kann nur noch einmal sagen: Auch wenn man diesen ganzen Bereich sehr, sehr kritisch sieht, muss man anerkennen, dass es nicht anders geht. Das ist letztlich auch die Aufgabe der Beratung. Man muss dazu sagen, dass bei Vergaben an Unternehmen, bei Kreditzusagen, Beratungen über Sozialprojekte und über Arbeitsrecht durchgeführt werden. All diese Dinge müssen die Unternehmen dann akzeptieren, und sie tun es in aller Regel auch. Das macht im Übrigen die Kreditvergabe durch die DEG teurer, als sie im normalen privaten Bankensektor wäre. An dieser Stelle muss man also diesen Diskurs führen. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass wir – das ist ja angesprochen worden – durch die Einrichtung dieser Beschwerdestelle, dieser internationalen unabhängigen Beschwerdeeinrichtung, mehr Transparenz schaffen können. Diese Stelle arbeitet seit 2015, und zwar sehr vorbildlich im Rahmen einer bilateralen Zusammenarbeit mit der holländischen Organisation FMO. Auch diese Geschichte sollten wir begleiten. Dort arbeiten unter anderem ein Gründungsmitglied von FIAN und der stellvertretende Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte, die Stellungnahmen abgeben; Sie haben ja selber eine angesprochen. Ich glaube, man sollte an dieser Stelle die Kirche im Dorf lassen. Grundsätzlich sollten wir die Arbeit der DEG weiter beobachten, aber auch ganz klar sagen, dass für den privaten Sektor die DEG aus Sicht der deutschen Entwicklungszusammenarbeit unverzichtbar ist. Sie immer besser zu machen, das kann gelingen. Daran sollten wir gemeinsam arbeiten. Aber ich glaube schon, dass man auch dafür sorgen muss, dass die DEG eine faire Chance hat und dass wir an dieser Stelle gemeinsam mit ihr Verbesserungen für die Menschen in den betroffenen Regionen herbeiführen können. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als letzter Redner in dieser Debatte hat Johannes Selle von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Johannes Selle (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Das Anliegen dieses Antrages ist, die Interessen von indigenen Bevölkerungsschichten zu wahren und auch die Schöpfung zu bewahren. Dieses Anliegen teilen wir ausdrücklich in unserer Fraktion. Unser Anliegen ist es auch, in der Entwicklungszusammenarbeit schneller voranzukommen, Arbeitsplätze und Zukunftsperspektiven zu schaffen. Dazu brauchen wir die Privatwirtschaft – das dürfte unstrittig sein –, und die Privatwirtschaft braucht einen starken Finanzierungspartner. Wir können froh sein, dass unsere Betriebe eine kompetente Begleitung durch die DEG haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Sie selbst sind bei den Delegationsreisen dabei, wenn wir die Reputationen unserer Durchführungsinstitutionen entgegennehmen: DEG, KfW und auch GIZ. Bei der DEG werden große Beträge, Milliardenbeträge umgesetzt. Hier gibt es Musterbeispiele. Eines davon ist Peru, wo im landwirtschaftlichen Bereich 10 000 Menschen ein Auskommen ermöglicht wurde. Durch das Projekt mit dem deutschen Unternehmen Mobisol wird Solarstrom in den ländlichen Bereich gebracht. Das sind doch große und wunderbare Beispiele. Aber bei einem Infrastrukturprojekt werden Flächen verbraucht. Bei einem Infrastrukturprojekt müssen auch Leute umgesiedelt werden, genau wie in Deutschland. Bei solch großen Projekten gibt es Kritik, teilweise berechtigt, genau wie in Deutschland. Damit müssen wir umgehen. Dazu ist die DEG bereit. Aber wegen eines schwarzen Schafes die ganze Herde verunglimpfen zu wollen, dürfen wir nicht zulassen. (Beifall bei der CDU/CSU – Niema Movassat [DIE LINKE]: Das sind ein paar schwarze Schafe!) Die DEG führt vor ihren Investitionsentscheidungen sorgfältige Sozial- und Umweltverträglichkeitsprüfungen durch. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Die sind nicht öffentlich einsehbar!) Sie verpflichtet die Partner auf die Standards der Weltbank und der Internationalen Arbeitsorganisation. Diese Standards gelten in den Ländern, in denen sie aktiv sind, teilweise gar nicht. Das heißt, auch bei der Durchsetzung dieser Standards liefert die DEG einen Entwicklungsvorschub. Das darf man dabei nicht außer Acht lassen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn wir diesen Antrag mit den ausufernden Forderungen für Einspruchsrechte und Risikoprüfungen so beschließen, dann passiert eines: Die Verfahren werden unheimlich lang und die Kosten gehen in die Höhe. Das bedeutet, die Partnerländer wenden sich anderen Gebern zu, die wesentlich pragmatischer sind, China zum Beispiel. Dann werden weniger Standards eingehalten. Das kann auch nicht Ziel unserer Entwicklungszusammenarbeit sein. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir als Gesetzgeber schützen sensible Bereiche aus gutem Grund. Erfolgreiche Unternehmertätigkeit braucht einen Bereich der Vertraulichkeit, sonst verlieren Sie die Unternehmen. Die DEG geht ziemlich weit, indem sie in Absprache mit den Partnern entsprechende Projektinformationen veröffentlicht. Im Jahre 2014 wurde das Beschwerdeverfahren begonnen, und es wird genutzt, gerade auch im Fall von Barro Blanco. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Ja, das hat nichts geholfen!) Der Staatssekretär hat gesagt, dass dies auch eine Sache des Staates ist und nicht alles Sache unserer Durchführungsinstitution ist. Industrielle Methoden in der Landwirtschaft anzuwenden, um die Versorgung der Bevölkerung zu verbessern, ist eine linke Idee. Sie aber wollen große Agrarbetriebe verbieten. Ich kann nur sagen, dass wir im Osten Deutschlands Agrargenossenschaften haben, die zukunftsfest sind und die erfolgreich tätig sind. Bei der Forderung nach einem Verbot, große landwirtschaftliche Betriebe zu unterstützen, werden wir Ihnen nicht folgen. (Beifall der Abg. Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]) Bei den Herausforderungen, vor denen wir in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit stehen, brauchen wir eine starke DEG, und die DEG braucht unsere Unterstützung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir am Schluss dieses Tagesordnungspunktes. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/8657 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Zusatzpunkte 8 a und 8 b auf: a)   – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Strommarktes (Strommarktgesetz) Drucksache 18/7317 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Drucksache 18/8915 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/8920 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer, Annalena Baerbock, Dr. Julia Verlinden, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zukunft des Strommarktes – Mit ökologischem Flexibilitätsmarkt klimafreundliche Kapazitäten anreizen und Kohleausstieg einleiten Drucksachen 18/7369, 18/8915 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in der Debatte hat Johann Saathoff von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Johann Saathoff (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Worum geht es im Strommarktgesetz? Es geht darum, etwas nicht zu machen, nämlich nicht einen Kapazitätsmarkt zu betreiben. Dieses Gesetz ist ein klares Bekenntnis zu einem Strommarkt – zugegebenermaßen mit dem Risiko der kurzfristigen Preisspitzen, aber auch mit der Chance des gesamten Bereichs der Flexibilitäten im Strommarkt, zum Beispiel durch die Stärkung der Preissignale, zum Beispiel für Speicher und für Demand-Side-Management. Wir ertüchtigen den Strommarkt 2.0 quasi in einem ersten Schritt auf dem Weg zu einem richtigen Energy-only-Markt. Es werden also Weichen für die Energiewelt der Zukunft gestellt, in der der größte Teil des verbrauchten Stroms aus erneuerbaren Energien stammt. Damit bereiten wir die Grundlage des Zeitalters der erneuerbaren Energien endgültig vor. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geht es auch ein bisschen kleiner?) Das Zeitalter der erneuerbaren Energien wird von weniger fossilen Energieträgern, von fluktuierenden Einspeisungen, von CO2-freier Energie und davon geprägt sein, dass sich der Verbrauch zum Teil auch an der Stromproduktion orientieren kann. Dafür brauchen wir dringend ein Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende; darüber haben wir im vorletzten Tagesordnungspunkt miteinander beraten. Ich finde es gut, dass der alte Ferraris-Drehstromzähler jetzt endlich der Vergangenheit angehören kann. (Beifall bei der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit hat auch keiner ein Problem!) Die Zieltrias der Energiewende lautet: Sicher, sauber, bezahlbar. Wir regeln mit diesem Gesetz die Versorgungssicherheit. Wir haben in Deutschland eine enorm hohe Versorgungssicherheit; das wird wohl niemand bestreiten. In einem sich schnell und radikal ändernden Umfeld der Energiewende wollen wir sie aber auch in Zukunft gewährleisten. Beim Strommarktgesetz liegt der Fokus der Zieltrias auf dem „sicher“. Menschen sollen sich darauf verlassen können, dass der Strom aus der Steckdose kommt – immer! (Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: Immer, jawohl!) Wir produzieren in Deutschland mehr Strom, als wir benötigen. Wir haben mehr Kraftwerke, als wir wirklich brauchen. Aber so einfach lässt sich Versorgungssicherheit leider nicht erklären; denn wir bilden einen Stromverbund mit unseren „elektrischen Nachbarn“, also den Nachbarn, die ein Kabel direkt mit uns verbindet. Der Strom bewegt sich frei zwischen den Ländern im Rahmen der Grenzkuppelkapazitäten. Zum Teil haben Kraftwerke in Deutschland direkte Verträge mit dem Ausland. Sie produzieren gar keinen Strom für deutsche Kunden und können also auch nicht zur Versorgungssicherheit in Deutschland beitragen. Deshalb müssen wir die Versorgungssicherheit europäisch denken, und das ist einer der Leitgedanken dieses Gesetzentwurfs. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Um sicherzugehen, dass die Versorgungssicherheit immer gewährleistet ist, brauchen wir mindestens in einem Übergangszeitraum trotz europäischen Stromsystems Reserven. Wir brauchen die Netzreserve; sie beträgt derzeit 6 Gigawatt. Der Bedarf wird von der Bundesnetzagentur regelmäßig ermittelt und soll regelmäßig angepasst werden. Die Netzreserve brauchen wir zur Gewährleistung der Stabilität des Stromnetzes in Deutschland. Es ist auch vorgesehen, eine Netzstabilisierung speziell in Süddeutschland vorzunehmen, nämlich eine Netzreserve in Höhe von 2 Gigawatt ab 2021. Das ist vorübergehend erforderlich, nämlich bis der Leitungsausbau tatsächlich so erfolgt ist, wie wir es beim Ausbau der erneuerbaren Energien geplant haben. Ich möchte an dieser Stelle aber einen dringenden Rat geben, nämlich den, dass diese Netzstabilisierung in Süddeutschland mit kleinen, modularisierten Anlagen vorgenommen wird und nicht mit Großkraftwerken; das zu sagen sei mir an dieser Stelle gestattet. (Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Guter Rat!) Wir brauchen eine Kapazitätsreserve. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben Reserven ohne Ende!) Eigentlich brauchen wir diese Kapazitätsreserve in einem funktionierenden Strommarkt nicht, aber diese Kapazitätsreserve ist für den Fall einer Marktstörung, zum Beispiel, wenn ein Stromlieferant kurzfristig ausfällt, notwendig. Das kann durch Unfall, einen Anschlag, durch Konkurs passieren. Dann springt die Kapazitätsreserve ein und stellt die Versorgungssicherheit für die Bürgerinnen und Bürger her. Wichtig ist mir an dieser Stelle, dass wir diese Reserven auch mit einer gewissen Transparenz ausstatten, damit die Menschen wissen, dass diese Reserven nicht, wie einige irrigerweise behaupten, überflüssig sind, sondern dass sie „gemonitort“ werden. Den Bürgerinnen und Bürgern wird klargemacht, dass die Reserve erforderlich ist. (Beifall bei der SPD) Ich habe durchaus Verständnis für die Kritik der Opposition an der Geschwindigkeit des Verfahrens. „So’n Gesetz schküllert man neet eenfach so ut’ Mau“, sagt man in Ostfriesland. Das heißt, man braucht Zeit, um sich mit dem Gesetzentwurf zu beschäftigen. Allerdings hat dieser Gesetzentwurf fast zwei Jahre Vorlauf. Es gab ein enorm offen kommuniziertes Grünbuch-Verfahren mit einer anschließenden Konsultation. Es gab daraufhin ein enorm breit angelegtes Weißbuch-Verfahren mit einer entsprechenden Konsultation, sodass ich an dieser Stelle mit Fug und Recht behaupten kann, dass es auf der Zielgerade keine großartigen Überraschungen mehr gibt. Und die Zeit drängt; denn am 1. Oktober soll das erste Kraftwerk in die Sicherheitsbereitschaft übergehen. Dass wir das alle miteinander wollen, das haben wir schon in ganz anderen Kontexten festgestellt. Kurzum: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird einer der drei Eckpunkte der zukünftigen Energieversorgung sichergestellt. Er sorgt für Versorgungssicherheit für die Menschen in Deutschland, und damit ist er ein guter Gesetzentwurf. Die SPD-Fraktion wird diesem Gesetzentwurf zustimmen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Eva Bulling-Schröter von der Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst ein Wort zum Verfahren. Staatssekretär Baake hat am Mittwoch im Wirtschaftsausschuss das Strommarktgesetz als die wichtigste Reform seit der Liberalisierung bezeichnet, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und die war 1998. Herr Saathoff hob, wie auch heute, hervor: Es habe kaum ein Gesetz mit einem solch umfangreichen Konsultationsverfahren gegeben. (Johann Saathoff [SPD]: Richtig!) Ich frage mich nur: Wo bleibt das Parlament an der Stelle, an der es spannend wird? (Zuruf von der SPD: Sie waren doch dabei im Ausschuss! – Johann Saathoff [SPD]: Auch das Parlament darf ein Grünbuch lesen!) Wir erhielten den 36-seitigen Änderungsantrag der Koalition zum Gesetzentwurf am Mittwoch um 8.15 Uhr per Mail. Das war 75 Minuten vor Beginn der Ausschusssitzung, in der der Gesetzentwurf beraten und abgeschlossen wurde. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 75 Minuten früher als beim EEG!) Meine Damen und Herren von der Koalition, so gehen Sie nicht nur mit der Opposition um, sondern auch mit Ihren eigenen Abgeordneten. Das finde ich wirklich beschämend. Im Übrigen haben wir jetzt 21.47 Uhr. Die gesamte Debattenzeit für dieses wichtigste Gesetz seit 18 Jahren beträgt schlappe 25 Minuten, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 25 Minuten für ein epochales Werk!) wo sonst zwei Stunden vorgesehen sind. Darum möchte ich auf unsere Stellungnahme zum Strommarktdesign auf der Webseite www.nachhaltig-links.de verweisen. (Beifall bei der LINKEN) Punkt eins. Aus Klimaschutzsicht versagt der Gesetzentwurf; denn hineingeschafft hat es leider nicht die clevere Klimaschutzabgabe auf Kohlekraftwerke, die vom Wirtschaftsministerium im Frühjahr ins Auge gefasst wurde, sondern die sogenannte Sicherheitsreserve. Mit ersterer hätte Deutschland kluge Klimaschutzpolitik betreiben können, mit letzterer vergolden Sie lediglich uralten Braunkohlekraftwerken die letzten Jahre. Wir reden ja nicht über Peanuts, sondern über 1,6 Milliarden Euro; das ist viel Geld für eine vollkommen unsinnige Braunkohlereserve. Darum wird „Energiewende absurd“ wohl fortgeführt: Ungebremste Kohlestrommengen trotz permanent wachsendem Ökostrom. Das Ergebnis seit Jahren sind kaum sinkende CO2-Emissionen im Stromsektor. Die 2020-Ziele im Klimaschutz können Sie getrost vergessen. Dafür verstopfen fossile Stromexporte die Netze, die eigentlich zunehmend für den Windstrom benötigt werden, und weil Sie Netzengpässe befürchten, treten Sie nun mit dem EEG 2016 ausgerechnet bei den Erneuerbaren auf die Bremse. Also nicht Kohle wird ausgebremst, sondern die Zukunftsenergien. (Zuruf von der Linken: Unglaublich!) Das ist Ihr energiepolitisches Zeugnis zur Sommerpause. Punkt zwei. Die tatsächlichen Änderungen am Strommarktdesign überlassen Versorgungssicherheit und Flexibilität deutlich stärker dem Markt, als dieser zu leisten vermag. Es bleibt beispielsweise unklar, inwiefern in diesem Strommarkt 2.0 die künftig möglichen kurzzeitigen Preisspitzen an der Strombörse genug Anreize für Investoren liefern, in Gasturbinen zu investieren, unter anderem, weil sich auf solch einer vagen Grundlage nur schwerlich eine Finanzierung aufbauen lässt. Die Risiken und Zusatzkosten werden die Verbraucherinnen und Verbraucher zu tragen haben – wieder einmal. Punkt drei. In letzter Minute ist eine bundeseinheitliche Regelung der Übertragungsnetzentgelte gestrichen worden. Dabei haben wir inzwischen in einigen ländlichen Regionen Ostdeutschlands um 5 Cent höhere Netzentgelte als in Süddeutschland, wo man sich mit der 10H-Regelung die Energiewende vom Hals hält. Das muss man sich einmal vorstellen: 5 Cent, das ist fast die EEG-Umlage noch einmal obendrauf. Der Norden und der Osten liefern Ökostrom in den bequemen und reichen Süden und zahlen auch noch zusätzlich dafür. Die Koalition verhindert jede Initiative, mit der diese Ungleichheit beendet werden soll. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Thomas Bareiß von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Thomas Bareiß (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Liebe Frau Bulling-Schröter, am 29. Januar 2016 fand die erste Lesung des Entwurfs eines Strommarktgesetzes statt. In den letzten fünf Monaten hatten wir viel Zeit, um über den Gesetzentwurf zu diskutieren. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat ein bisschen Schimmel angesetzt!) Mit der heute stattfindenden zweiten und dritten Lesung sind wir auf der Zielgeraden. Ich glaube, wir hatten genügend Debattenzeit, um diesen Gesetzentwurf in die richtige Richtung zu lenken. Wir stehen nach wie vor vor einem Riesenumbruch; das kam in den vorangegangenen Reden schon zum Ausdruck. Wir wollen in den nächsten Jahren hinsichtlich des Ausbaus des Bereichs der erneuerbaren Energien weiter vorangehen. Heute sind wir bei 33 Prozent angekommen. Wir sind schneller vorangekommen als ursprünglich gedacht. In diesen 33 Prozent haben wir eine enorme Menge volatiler Stromerzeugung, eine Menge Wind- und Sonnenenergie, die nicht verlässlich zur Verfügung stehen. Das ist eine enorme Herausforderung für den Strommarkt der Zukunft. Dieser Herausforderung müssen wir uns stellen. Auf der anderen Seite verlieren wir einen verlässlichen Kraftwerkspark. Allein in den letzten fünf Jahren haben wir acht Kernkraftwerke verloren. In den nächsten fünf Jahren wollen wir noch einmal acht Kernkraftwerke vom Netz nehmen. Das heißt, wir müssen die Versorgungssicherheit noch einmal stärker in den Fokus nehmen. Wir müssen den Dreiklang ernst nehmen; denn wir wollen auch in Zukunft eine bezahlbare, saubere und sichere Energieversorgung gewährleisten. Die Versorgungssicherheit hat oberste Priorität für uns. Das ist eine Grundaussage des Strommarktgesetzes. Wir wollen – das kam auch in der Rede des Kollegen Saathoff zum Ausdruck – stärker auf den Markt setzen. Wir haben lange darüber diskutiert, was die richtigen Instrumente sind. Wir haben uns bewusst gegen weitere Subventionen im Strommarkt entschieden. Wir haben gesagt: Wir wollen auf den Energy-only-Markt, auf die freie Preisbildung setzen. So sollen die richtigen Preissignale für neue Kraftwerke gesetzt werden, auch für bestehende Kraftwerke, damit sie weiterhin am Netz bleiben, und für die flexiblen Lastpotenziale, die wir in Zukunft heben müssen. Ich glaube, das ist der richtige Ansatz für die Gestaltung des Strommarktes der Zukunft. Trotzdem brauchen wir gewisse Reserven für den Notfall. Auch das ist enorm wichtig und Grundaussage dieses Gesetzes. Wir brauchen eine Kapazitätsreserve, die die zukünftige Kapazitätslücke schließen kann. Wir haben im parlamentarischen Verfahren nach langen Diskussionen die ursprüngliche Belegung der Kapazitätsreserve von 4,4 Gigawatt auf 2 Gigawatt reduziert, nicht weil wir der Überzeugung sind, dass wir weniger Sicherheit brauchen, sondern weil wir glauben, dass wir die Kapazitätsreserve auf eine minimale Größe zurückfahren müssen, weil sie keine Regulierungsfalle für uns sein darf. Wir brauchen einen Druck im Markt. Wir müssen verhindern, dass sich Kraftwerke in die Hängematte legen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kraftwerke in der Hängematte?) Wir müssen verhindern, dass notleidende Kraftwerke eine langfristige Versorgung erhalten. Wir brauchen die Kapazitätsreserve für wirkliche Sicherheitslücken in der Zukunft. Darüber hinaus wollen wir die Kapazitätsreserve einem ständigen Monitoring unterziehen. Wir wollen schauen, ob sie wirklich ausreicht. Wenn sie nicht ausreicht, werden wir sie erhöhen. Diese Erhöhung werden wir aber nur dann vornehmen – auch das ist ein wichtiger Aspekt dieses Gesetzes –, wenn der Bundestag zustimmt. Ich glaube, es ist im Sinne von uns allen, dass wir diesbezüglich eine breite Bundestagsbeteiligung bekommen. Der zweite Punkt ist die Netzreserve. Sie sorgt dafür, dass der langsame Netzausbau, den wir tagtäglich feststellen, abgefedert wird. Temporäre Netzengpässe werden dadurch ausgeglichen, vor allem im Süden Deutschlands, wo in den nächsten Jahren über 5 Gigawatt fehlen werden. Auch hier brauchen wir Sicherheit. Daher ist es notwendig, dass wir das neue Instrument einbauen und den Netzbetreibern die Möglichkeit geben, neue Kraftwerke zu installieren – das können flexible Kraftwerke, aber auch kleine Kraftwerke sein –, damit wir eine noch höhere Versorgungssicherheit erhalten. Wir wollen darüber hinaus – neben der Schaffung von Reserven – weitere Marktakteure möglich machen. Wir wollen, dass wir die Lasten besser managen. Wir wollen ein Lastmanagement einbauen. Wir haben hier sogenannte Aggregatoren möglich gemacht; wir haben die Grundlage für Aggregatoren geschaffen. Auch das wird, glaube ich, zukünftig wegweisend sein. Ein weiteres Thema, bei dem wir ein Stück weit Verbesserungen geschaffen haben, sind die Speicher. Wir sind der Überzeugung, dass wir in den nächsten Jahren eher mehr als weniger Speicher brauchen. Wir haben bei Wirkungsgradverlusten vom Netzentgelt befreit. Das ist ein wichtiger Schritt gewesen. Leider ist er noch nicht ausreichend. Meines Erachtens müssen wir bei den Speichern mehr tun. Hier können wir mehr tun. Wir hätten hier gern mehr gemacht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr tut gar nichts! Thomas Bareiß, ihr tut gar nichts!) Leider haben wir das mit unserem Partner nicht geschafft. Wir brauchen das Strommarktgesetz, um Versorgungssicherheit voranzutreiben, um die Energiewende voranzutreiben. Es ist ein gutes Gesetz. Ich glaube, es geht in die richtige Richtung. Deshalb werden wir zustimmen. In diesem Sinne hoffen wir, dass auch die anderen Partner zustimmen. Ich wünsche allen, die hier ausgeharrt haben, noch einen schönen Abend. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: So weit sind wir aber noch nicht. – Jetzt hat als nächster Redner Oliver Krischer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe gestern im Wirtschaftsausschuss von der Bundesregierung gehört, das sei das wichtigste Projekt der Energiewende in dieser Legislaturperiode. Es klang regelrecht epochal. Daher ist es schon ein bisschen komisch, dass man hier gegen 22 Uhr, kurz vor den Tagesordnungspunkten, bei denen die Reden zu Protokoll gegeben werden, über dieses epochale Werk diskutiert und nicht zur Kernzeit. Es scheint mir doch so, dass Sie inzwischen gemerkt haben – dieses Strommarktgesetz hat ja auch ein halbes Jahr lang im Bundestag gelegen und ein bisschen Schimmel angesetzt –, (Zurufe von der SPD: Oh! – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Wie jetzt? Der eine sagt „Zu schnell“, der andere sagt „Zu langsam“!) dass das nicht unbedingt ein epochales Werk ist, sondern dass das, was Sie da machen, bestenfalls – das ist schon freundlich gemeint – ein Reförmchen ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist nicht das, was wir eigentlich brauchen: eine Reform des Strommarktes, der einmal für Kohle- und Atomkraftwerke gedacht war, hin zu einer Welt mit 50, 60, 70, 80 oder am Ende sogar 100 Prozent erneuerbaren Energien. Sie gehen erste kleine Schritte, aber das, was eigentlich notwendig wäre, packen Sie in diesem Gesetzentwurf überhaupt nicht an. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will nur zwei Dinge nennen. Kollege Bareiß hat es eben gesagt: Wir müssen uns endlich darüber unterhalten, wie wir mit Speichern umgehen, wie wir eine Grundlage für Lastmanagement schaffen, eine Speicherlaststeuerung. Das alles packen Sie in diesem Gesetzentwurf überhaupt nicht an. Kollege Bareiß hat – es fällt mir fast schon schwer, das zu sagen – ganz intelligente Sachen zu Speichern gesagt. (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) Aber wieso stehen sie nicht in diesem Gesetzentwurf? Sie gehören da rein. Da versagen Sie völlig. Da liefern Sie überhaupt nichts. Sie haben Sonntagsreden gehalten und am Ende nichts gemacht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ein zweiter Punkt. In Ihren Vordebatten mit Grün- und Weißbuch weisen Sie ja richtigerweise darauf hin, dass wir eine Reform der Umlagen und Entgelte brauchen, insbesondere der Netzentgelte. Aber auch dazu findet sich in diesem Gesetzentwurf überhaupt nichts. Das wäre aber ganz entscheidend, um tatsächlich variable Tarife zu bekommen, um Preissignale oder entsprechende Anreize zu setzen. Da liefern Sie nicht. Insofern ist das nicht der Schritt in den neuen Strommarkt, sondern bestenfalls ein kleiner Trippelschritt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meines Erachtens ist noch viel problematischer, dass Sie zwar sagen – ich habe das eben wieder gehört –, dass die Preissignale es jetzt regeln sollen, dass der Energy-only-Markt es machen soll, dass die Investitionen aufgrund der Preissignale kommen werden, dass Sie aber ein halbes Dutzend Reserven schaffen: eine Kapazitätsreserve, eine Netzreserve, eine Braunkohlereserve, eine Lastabschaltreserve und eine Sicherheitsreserve. Erklären Sie mir einmal, was das mit Markt zu tun hat. Überhaupt nichts. (Beifall der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Sie reden von Markt. Sie machen in diesem Gesetzentwurf aber das Gegenteil. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich glaube, das ist am Ende auch der wahre Grund, warum Sie diesen Gesetzentwurf nicht ganz nach vorne stellen, hier zur Kernzeit debattieren und draußen abfeiern. (Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist der Minister eigentlich?) Sie machen etwas, was ich mir, ehrlich gesagt, am Beginn des Prozesses zu Grün- und Weißbuch nicht hätte vorstellen können. Sie führen eine Braunkohlereserve ein. Das ist am Ende nichts anderes als der Einstieg in die Subventionierung der Braunkohle. Statt Geld für den Ausbau der erneuerbaren Energien zu investieren, gibt es 1,6 Milliarden Euro für RWE und das Nachfolgeunternehmen von Vattenfall für Braunkohlekraftwerke. Dort wird diese Reserve überhaupt nicht gebraucht. Denn sie steht erst nach elf Tagen zur Verfügung. Dann ist entweder der Blackout da, oder die Knappheitssituation ist vorbei. Es geht nur darum, die Braunkohle zu subventionieren. Das ist ein Unding. Das kann nicht sein. Wir werden unsere Zustimmung dazu nicht erteilen. Da steht zwar Strommarktgesetz drauf, am Ende ist das einzig Substanzielle in diesem Gesetz ein Einstieg in die Subventionierung der Braunkohle. Dafür können Sie unsere Zustimmung nicht erwarten. Die Energiewende braucht etwas anderes: Sie braucht den Ausbau der Erneuerbaren und eine ernsthafte Reform des Strommarktes. Die packen Sie aber überhaupt nicht an. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als letzte Rednerin in der Debatte hat Barbara Lanzinger von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Barbara Lanzinger (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ich bin noch einmal heute Abend dran, aber jetzt zum Schluss. Ich darf heute den Schluss machen. – Es sind noch zwei Zuhörer da. (Heiterkeit – Thomas Jurk [SPD]: Wir hören alle zu!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Da sage ich ausdrücklich Danke. Barbara Lanzinger (CDU/CSU): Natürlich. Ich habe als Erstes „Kolleginnen und Kollegen“ gesagt. Erstens schließe ich mich den Ausführungen meines Kollegen Thomas Bareiß an. Ich wiederhole das am späten Abend nicht mehr alles. Ich unterstütze das alles ganz nachdrücklich. Herr Kollege Krischer, zur Braunkohle. Ich denke, wir sind uns alle einig, dass wir nicht von heute auf morgen alles abschalten und alles herunterfahren können. Das geht nicht. Deshalb steht das jetzt so im Gesetzentwurf, wie wir es drin haben. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Will das jemand? – Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Das hat niemand gesagt! Niemand fordert das!) – Doch, es kommt aber so rüber. (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Nein! Nicht mal Greenpeace fordert das!) Ich gehe jetzt nur noch auf einen Punkt ein – das ist mein Lieblingsthema –: Speicher. Meine Kolleginnen und Kollegen wissen das; Sie wissen das auch. Ich muss ehrlich gestehen – das sage ich ganz kritisch –: Ich bin schon etwas enttäuscht. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) – Jetzt lachen Sie halt nicht; seien Sie doch froh, wenn Ihnen mal einer ein bisschen recht gibt. Die Technologie der Speicher braucht ein Umfeld, in dem sie sich entwickeln, entfalten und wachsen kann. Dieses Umfeld, das erforderlich ist, um sich auch am Markt behaupten zu können, schaffen wir leider so nicht. Wenn ich die Kosten für Speicher im Ausland mit denen bei uns vergleiche, komme ich zu dem Ergebnis: Wir haben doppelt so hohe Ausgaben. Das ist so. Das sind diese sogenannten Letztverbraucherabgaben. Wir haben ganz viel über diesen Punkt im Gesetzentwurf in den Berichterstattergesprächen diskutiert. Ich denke, wir sind uns einig – das Ministerium ist nicht einmal dagegen –, dass wir grundsätzlich Speicher brauchen: Energiespeicher – technologieneutral und sektorenübergreifend, aber nicht jetzt, sondern erst in ein paar Jahren. Aber wenn wir jetzt nicht anfangen, haben wir sie in ein paar Jahren auch nicht. Ich möchte schon ganz deutlich in den Raum stellen, dass wir jetzt beginnen müssen. Wir haben die Zusage, dass sich das Ministerium in den nächsten Monaten Gedanken machen und diese Speicher sektorenübergreifend vorschlagen will. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das erzählen Sie uns schon seit fünf Jahren!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Frau Lanzinger, lassen Sie eine Zwischenfrage zu? Barbara Lanzinger (CDU/CSU): Ja, ausnahmsweise. Denn ich möchte eigentlich Schluss machen. (Heiterkeit) Thomas Jurk (SPD): Das geht auch nicht auf Ihre Redezeit, solange ich stehen bleibe. – Sehr geehrte Frau Kollegin, Sie haben das Thema „Speicher“ angesprochen. Bei „Speicher“ denken wir sofort an die Netzentgelte. Da bin ich bei einem Thema, das mich sehr bewegt, nämlich die Frage der unterschiedlichen Netzentgelte, die wir deutschlandweit im Übertragungsnetz haben. Deshalb interessiert mich, warum die Union – so ist mir zugetragen worden – während der Verhandlungen keine Verordnungsermächtigung über einheitliche Netzentgelte im Übertragungsnetzbereich gewollt hat. Wie ich den Koalitionsvertrag verstanden habe (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Weil ihr vorgeschlagen habt, den Gesetzentwurf im Ausschuss zu besprechen!) – Kollege Pfeiffer, darf ich bitte ausreden? –, wollten wir eine gerechte Verteilung der Lasten bei der Energiewende. Wir haben natürlich im Übertragungsnetzbereich erhebliche Differenzen. Deshalb meine konkrete Frage: Warum haben Sie das nicht gewollt? (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie das Gesetz nicht noch mal vertagen? – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt sehen wir mal, wie das bei euch zugeht, wenn ihr verhandelt! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Was hat das mit Speichern zu tun?) Barbara Lanzinger (CDU/CSU): Erstens. Die Netzentgelte mit den Kosten für Speicher zu vergleichen, halte ich in dieser Situation nicht unbedingt für konsequent. Wir haben ganz unterschiedliche Netzausbauten. Wir haben im Osten einen ganz anderen Netzausbau als im Süden. Darüber haben wir schon x-mal diskutiert, und es gab dazu mehrere Anträge, auch von den Linken. Wir haben immer gesagt: Wir wollen, dass es unterschiedliche Entgelte gibt, weil sich auch die Kosten ganz unterschiedlich darstellen. – Das war der Grund, warum wir das abgelehnt haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Noch einmal zu den Speichern. Ich denke, wenn wir alle Kosten zusammenzählen – Redispatch-Kosten, die Kosten der abschaltbaren Lasten, der Ausgleich für erzeugten Windstrom, der nicht eingespeist werden kann –, kommen wir zu dem Schluss: Wir sollten uns über die Letztverbraucherabgaben zumindest Gedanken machen und sollten rechnen. Der Vorschlag, den es gab – Energiespeicher für fünf Jahre zuzulassen, die Letztverbraucherabgaben abzuschaffen und nach vier Jahren ein Monitoring durchzuführen –, wäre sinnvoll gewesen. (Beifall bei der CDU/CSU – Ulrich Freese [SPD]: Der Vorschlag hilft uns doch in Ostdeutschland jetzt nicht weiter! Wir haben 30 Prozent höhere Kosten!) – Ja, das ist schon klar. Sie merken: Wir hätten uns an manchen Stellen viel, viel mehr gewünscht. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also können wir festhalten: Toll ist das nicht!) Ich weiß jetzt auch, warum Sie dagegen sind. Wir brauchen mehr Mut, mehr Innovation und Technologie, damit wir in Deutschland bei den Speichern vorankommen. Abschließend will ich noch auf die anstehende beihilferechtliche Prüfung der Europäischen Kommission eingehen. Intensiv haben wir die einzelnen Punkte mit dem Bundeswirtschaftsministerium besprochen, um beihilferechtliche Probleme auszuschließen. Ich hoffe, dass die Antworten in den nächsten Tagen kommen. Zugesagt wurde uns, dass diese Punkte geklärt werden. Beim Thema KWK war es ja genauso. Wir haben es bis jetzt noch nicht schriftlich. Ich hoffe, dass wir da bald etwas hören. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zum Schluss. Das Gesetz regelt einen wesentlichen Bestandteil unseres Energiesystems, für die Energiewende heute und für die Zukunft. Ich denke, wir hören uns dazu wieder. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit Sicherheit!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Debatte. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung des Strommarktes. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8915, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/7317 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Zusatzpunkt 8 b. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7369 mit dem Titel „Zukunft des Strommarktes – Mit ökologischem Flexibilitätsmarkt klimafreundliche Kapazitäten anreizen und Kohleausstieg einleiten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Frank Tempel, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Netzneutralität im Rahmen der Vorgaben der EU-Verordnung gesetzlich absichern Drucksachen 18/6876, 18/8813 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.5 Wir kommen damit gleich zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8813, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/6876 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Den europäischen Binnenmarkt weiter vertiefen – Bewährte Standards erhalten Drucksache 18/8867 Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden. – Auch hier sind Sie damit einverstanden.6 Damit kommen wir auch hier jetzt gleich zur Abstimmung, und zwar über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/8867. Wer stimmt für den Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Antrag ebenfalls mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Standortauswahlgesetzes Drucksache 18/8704 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) Drucksache 18/8913 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/8914 Die Reden sollen ebenfalls zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind auch damit einverstanden.7 Wir kommen damit zur Abstimmung. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8913, den interfraktionellen Gesetzentwurf auf Drucksache 18/8704 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Sozialen Basisschutz in Entwicklungsländern schaffen Drucksache 18/8862 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Damit sind Sie einverstanden, wie ich sehe.8 Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/8862 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19. Februar 2013 über ein Einheitliches Patentgericht Drucksache 18/8826 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung patentrechtlicher Vorschriften auf Grund der europäischen Patentreform Drucksache 18/8827 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.9 Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 18/8826 und 18/8827 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung berg, umweltschadens- und wasserrechtlicher Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 2013/30/EU über die Sicherheit von Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten Drucksache 18/8703 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Drucksache 18/8902 Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden. – Sie sind damit einverstanden, wie ich sehe.10 Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8902, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 18/8703 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen worden. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Elektromobilität im Straßenverkehr Drucksache 18/8828 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.11 Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/8828 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 24. Juni 2016, 9 Uhr, ein – nicht später. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen allen noch einen schönen Abend. (Schluss: 22.15 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bellmann, Veronika CDU/CSU 23.06.2016 Brähmig, Klaus CDU/CSU 23.06.2016 Fabritius, Dr. Bernd CDU/CSU 23.06.2016 Ferlemann, Enak CDU/CSU 23.06.2016 Ferner, Elke SPD 23.06.2016 Groth, Annette DIE LINKE 23.06.2016 Heller, Uda CDU/CSU 23.06.2016 Hintze, Peter CDU/CSU 23.06.2016 Hirte, Dr. Heribert CDU/CSU 23.06.2016 Hübinger, Anette CDU/CSU 23.06.2016 Irlstorfer, Erich CDU/CSU 23.06.2016 Krichbaum, Gunther CDU/CSU 23.06.2016 Launert, Dr. Silke CDU/CSU 23.06.2016 Lerchenfeld, Philipp Graf CDU/CSU 23.06.2016 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 23.06.2016 Mortler, Marlene CDU/CSU 23.06.2016 Nowak, Helmut CDU/CSU 23.06.2016 Petzold, Ulrich CDU/CSU 23.06.2016 Pflugradt, Jeannine SPD 23.06.2016 Radomski, Kerstin CDU/CSU 23.06.2016 Schäfer (Saalstadt), Anita CDU/CSU 23.06.2016 Schimke, Jana CDU/CSU 23.06.2016 Warken, Nina CDU/CSU 23.06.2016 Wicklein, Andrea SPD 23.06.2016 Zimmermann (Zwickau), Sabine DIE LINKE 23.06.2016 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Thomas Jarzombek (CDU/CSU) zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Kulturgutschutzrechts (Tagesordnungspunkt 7) Die Fraktionen CDU/CSU und SPD haben im Koalitionsvertrag 2013 eine Novellierung des Kulturgutschutzgesetzes verabredet. Es soll ein „den Kulturgutschutz stärkendes, kohärentes Gesetz“ geschaffen werden, um sowohl illegal ausgeführtes Kulturgut anderer Staaten effektiv an diese zurückzugeben, als auch deutsches Kulturgut besser vor Abwanderung ins Ausland zu schützen.“ Dieses Ziel teile ich. Der Schutz von national wertvollen Kulturgütern vor dem Verkauf ins Ausland soll durch Aufnahmen in entsprechende Verzeichnisse erfolgen. Als Abgeordneter aus Nordrhein-Westfalen kenne ich die vielfältige Kunst- und Kunsthandelsszene aus eigener Erfahrung; Düsseldorf ist eines der wichtigsten Zentren mit einer Vielzahl von Galerien und Kunsthändlern. Die vielfach geäußerte Kritik am Gesetzentwurf zu den Beschränkungen beim Import von Kulturgütern teile ich ausdrücklich nicht. Das Ziel ist, dadurch die Geldströme von Kriminellen und Terroristen aus dem Verkauf von Antiquitäten und Kunstwerken aus Raubgrabungen in archäologischen Stätten, insbesondere in Konflikt- und Kriegsgebieten, auszutrocknen. Das kulturelle Erbe der Menschheit ist für einige Konfliktparteien nur Gelderwerb für Terror und Verbrechen. Illegal gehandelte Kulturgüter dürfen nicht nach Deutschland eingeführt werden, wenn sie aus Fundstätten früherer Hochkulturen rücksichtslos geplündert wurden und damit für das kulturelle Erbe der Menschheit und künftige wissenschaftliche Forschung unwiederbringlich verloren gehen. Die Beschränkungen bei der Ausfuhr von Kulturgütern sehe ich hingegen kritisch. Es droht die Gefahr, dass das Gesetz das Gegenteil dessen erreicht, was es bezwecken soll. Es ist zu befürchten, dass bis zum Inkrafttreten des Gesetzes nach der Übergangszeit mehr Kulturgüter das Land verlassen als anschließend geschützt werden. Selbst der Westdeutsche Rundfunk (WDR) verkauft mehrere wertvolle Werke aus seiner Sammlung zur kurzfristigen Finanzierung über Auktionshäuser im Ausland. Seit der Diskussion über das Kulturgutschutzgesetz ist zu beobachten, dass deutsche Galerien jetzt zunehmend Dependancen im europäischen und außereuropäischen Ausland eröffnen. Auch die Museen in Deutschland werden Probleme haben, internationale Leihgaben für ihre Häuser zu bekommen. Auch Sammler werden sich zukünftig fragen, ob ein Investment in zeitgenössische Kunst sinnvoll ist, wenn sie später nicht wissen, ob sie die Waren verkaufen können. Mit dieser persönlichen Erklärung möchte ich zum Ausdruck bringen, dass ich das Ziel und weite Teile des Gesetzes grundsätzlich befürworte. Die praktischen Auswirkungen der Exportbeschränkungen sehe ich aber nicht ausreichend gewürdigt. Aus diesem Grund enthalte ich mich bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien (jetzt: Republik Serbien) und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 (Tagesordnungspunkt 10) Den Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 aus dem Jahr 1999 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien (jetzt: Serbien) und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 lehne ich ab. Ich begründe das: Dieses Mandat besteht nunmehr seit 17 Jahren. Jahr für Jahr wird es verlängert. Nach 17 Jahren internationaler Sicherheitspräsenz ist die Sicherheitslage in Kosovo und der umgebenden Region weiterhin fragil. Übergriffe und Gewaltakte sind fast an der Tagesordnung. Die Spannungen zwischen Serbien und Kosovo können Beobachtern zufolge jederzeit in einen offenen Konflikt münden. Die sozioökonomische Lage in Kosovo ist unverändert schlecht. Vor allem Jugendliche sind in unverantwortbarem Ausmaß von Perspektivlosigkeit betroffen. Bad Governance sorgt für Klientelismus und Korruption und setzt der weit verbreiteten organisierten Kriminalität nichts entgegen. Das Leben von Minderheiten wie der Roma ist grundsätzlich von Armut, Ausgrenzung und Diskriminierung geprägt. Macht es Sinn, aus einem solchen Land die Bundeswehr, die dort Teil der Sicherheitspräsenz ist, abzuziehen? Nur das Dort und Jetzt betrachtet: Nein, sicher nicht! In dieser Denklogik verlängert der Deutsche Bundestag das KFOR-Mandat jedes Jahr. Auch die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen gibt ihre Zustimmung mit großer Mehrheit. Der Grund dafür ist durchaus berechtigt: Nichts würde besser, wenn das Mandat beendet würde, im Gegenteil würde sich die Situation von Gewalt und Bedrohung eventuell rapide verschlechtern. Responsibility to protect kann sich für mich – wenn der Begriff zu Ende gedacht wird – nicht in militärischer Präsenz erschöpfen. Aber Europa und die UN versagen völlig im Entwickeln einer zukunftsfähigen Strategie für den Westbalkan. Die Republik Kosovo ist noch nicht einmal von allen Mitgliedstaaten der EU anerkannt. Trotz des am 1. April 2016 in Kraft getretenen Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens ist die EU kein Treiber beim Aufbau demokratischer und rechtsstaatlicher Institutionen in Kosovo. Mit militärischer Präsenz allein hat aber weder die EU noch haben die Vereinten Nationen in Kosovo ihr Soll erfüllt. Deutschland hat darüber hinaus Kosovo inzwischen als „Sicheres Herkunftsland“ deklariert. Daraus ergibt sich für mich eine ganz besondere Verpflichtung, beim Aufbau von Rechtsstaatlichkeit und Good Governance in Kosovo behilflich zu sein. Ich nehme hier keine angemessenen Bemühungen wahr. Ich lehne deshalb – anders als im letzten Jahr – die Verlängerung des Mandats ab. Nicht, weil ich nicht überzeugt wäre, dass die internationale militärische Präsenz die Sicherheit dort zumindest in einer fragilen Lage hält, sondern, weil mir die Alibi-Verantwortungsübernahme durch militärischen Einsatz zu wenig ist. Nach 17 Jahren muss die Sinnhaftigkeit eines vor allem auf militärischem Einsatz beruhenden Engagements hinterfragt werden. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Frank Tempel, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Netzneutralität im Rahmen der Vorgaben der EU-Verordnung gesetzlich absichern (Tagesordnungspunkt 19) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Der vorliegende Antrag der Fraktion Die Linke ist mittlerweile mehr als sieben Monate alt. In diesen Monaten hat sich eine Menge getan. Die Argumentation der Linken, dass wir durch die Verordnung in ein Zwei-Klassen-Internet abrutschen könnten, ist nicht haltbar. Man muss erst einmal deutlich sagen: Es ist eine große Leistung, dass die Europäische Kommission und das Europäische Parlament mit der Verordnung zum TK-Binnenmarkt eine europaweite Verordnung zur Netzneutralität auf den Weg gebracht haben. Wir haben erstmals eine einheitliche europäische Regelung. Genau das war das Ziel, welches auch im Koalitionsvertrag verabredet wurde. Wenn wir als Gesetzgeber anfangen, diese Verordnung wieder in nationale Gesetze umzusetzen, dann machen wir eine Rolle rückwärts. Es ist also schon vom Grundansatz her eigentlich widersinnig, was Sie in Ihrem Antrag fordern. In der Verordnung zum TK-Binnenmarkt wurde das Thema aus unserer Sicht gut umgesetzt. Ich möchte noch mal kurz deutlich machen, warum wir diese Verordnung brauchen. Wer sich über die Jahre hinweg an der Diskussion beteiligt hat, weiß, dass Netzneutralität ein sehr dynamisches Phänomen ist. Aus technischer Sicht haben wir stetig steigende Datenmengen im Internet zu verzeichnen, mit denen wir verantwortungsbewusst umgehen müssen. Aus wirtschafts- und netzpolitischer Perspektive darf beim Marktzugang niemand diskriminiert werden, um innovativen Start-ups, der Innovationskraft des Mittelstands und der Informationsfreiheit nicht im Wege zu stehen. Die gesellschaftspolitischen Fragestellungen drehen sich um einen freien, offenen und diskriminierungsfreien Zugang, für eine gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe am Internet. Diesen Dreiklang galt es bei der Verordnung zu vereinen, was meiner Meinung nach gut gelungen ist. Wer einen Blick in die Zukunft wirft, wird zudem erkennen, dass der sich am Horizont abzeichnende neue 5G-Standard im Bereich der mobilen Telekommunikation Einzug halten wird. Dann wird das Thema Netzneutralität keine Rolle mehr spielen. Beim 4G-Standard, den wir derzeit noch haben, ist das anders. Daher ist die Netzneutralität derzeit noch notwendig, aber in Zukunft wird genügend Bandbreite zur Verfügung stehen. Aber das nur am Rande. Der jetzige Kompromiss sieht vor, dass wir notwendige Investitionen und damit Investitionsanreize für privatwirtschaftliche Netzbetreiber schaffen wollen. Wir benötigen diese, damit der Netzausbau noch schneller vorangeht und weiter leistungsfähige Anschlüsse geschaffen werden. Der Staat alleine wird diese Investitionen nicht stemmen können. Sie werden allerdings benötigt, um zukünftige Anwendungen im Bereich der Telemedizin, des automatisierten Fahrens oder der Industrie 4.0 mit hohen Bandbreiten und niedrigen Latenzzeiten gewährleisten zu können. In der Gesamtkonstellation ist es richtig, dass die Bundesnetzagentur für Deutschland die Aufgabe übernimmt, die Umsetzung der europäischen Regelungen zu überwachen. Die Aufgabe der Spezialdienste ist in der Verordnung ganz klar geregelt: Sie können künftig an der Finanzierung des zusätzlichen Infrastrukturausbaus beteiligt werden, indem sie für kostenpflichtige qualitätssichernde Datenübertragungen im Internet bezahlen. Ich kann die Diskussion darüber nicht nachvollziehen; denn Spezialdienste dürfen nur angeboten werden, wenn das entsprechende Angebot notwendig ist. Spezialdienste dürfen kein Ersatz für offenes Internet sein; das ist ja genau das, was wir alle hier in diesem Hohen Hause gemeinsam fordern. Spezialdienste dürfen nur bei ausreichenden Netzkapazitäten erbracht werden; auch das ist ein sehr wichtiger Punkt. Dort, wo Bandbreiten nicht ausreichend zur Verfügung stehen, werden auch keine Spezialdienste angeboten werden können. Auch noch wichtig ist: Spezialdienste dürfen die gesamte Qualität des Internets nicht beeinträchtigen. Damit ist festzustellen: Von europäischer Ebene aus sind entsprechende Sicherungen eingebaut worden, sodass man sagen kann: Das Internet für alle – und das ist das, was wir alle wollen – ist damit abgesichert. Das offene Internet bleibt der Regelfall. Netzbetreiber dürfen aus kommerziellen Gründen weder sperren noch verlangsamen. Es geht nicht darum, dass Netzbetreiber in Zukunft entscheiden können, welche Inhalte sie transportieren, sondern darum, dass sie in bestimmten Bereichen zusätzliche entgeltliche Leistungen anbieten können. Dabei ist zu gewährleiten, dass Spezialdienste diskriminierungsfrei ausgestaltet werden, damit keine Nachteile für den Mittelstand oder Gründer entstehen. Denn klar ist auch: Wir brauchen diese Spezialdienste. Das wissen Sie selbst sehr genau. Zu den Spezialdiensten gehören zum Beispiel lebensrettende Dienste, das können telemedizinische Dienste sein. Das sind auch Dienste, die für die gesamte Steuerung des Straßenverkehrs notwendig sind. Insofern stehen wir zu den Spezialdiensten. Spezialdienste werden möglicherweise nicht zum gleichen Preis angeboten werden, aber die Voraussetzungen für die Nutzung sind klar definiert. Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Eine Umsetzung in nationales Recht ist nicht erforderlich, da die Verordnung europaweit gilt. Ein nationaler Alleingang wäre sogar eher kontraproduktiv, da er zu einer Zersplitterung des Binnenmarktes führen und die Rechtsunsicherheiten erhöhen würde. Zudem hat die europäische Regulierungsstelle BEREC am 6. Juni 2016 einen im Vergleich zu diesem Antrag viel differenzierteren Leitlinienentwurf vorgelegt und verschiedenste Marktteilnehmer dazu kontaktiert. Die Bundesnetzagentur hat nun die Aufgabe, eine praktische Umsetzung der Regelungen in Deutschland zu überwachen. Leitlinien für deren Durchsetzung sollen bis Ende des Sommers erarbeitet werden. Ein jährliches Monitoring und weitreichende Berichtspflichten wurden ebenfalls vereinbart, um in Brüssel gegebenenfalls gegensteuern zu können. Ich kann nur sagen: Wir sind bei diesem Thema auf einem guten Weg. Ich hoffe, dass der dynamische Prozess hin zum nächsten Standard auch auf europäischer Ebene weiter verfolgt wird. Wir werden Ihren Antrag ablehnen. Klaus Barthel (SPD): Nach der vielfachen Diskussion über diesen Antrag der Linksfraktion hätte ich erwartet, dass er zurückgezogen wird, anstatt das Plenum des Deutschen Bundestages noch mal damit zu belasten. Schon bei der ersten Beratung am 14. April 2016 an dieser Stelle haben die Redner der Regierungskoalition überzeugend dargelegt, dass der Antrag nicht geeignet ist, uns dem gemeinsamen Ziel der Netzneutralität auch nur einen Millimeter näher zu bringen. Wir haben – ebenso wie der Antrag – auf die EU-Verordnung 2015/2120/EU hingewiesen. Wie die Linksfraktion in ihrer Begründung selbst feststellt, gilt diese Verordnung mit unmittelbarer Wirkung in allen Mitgliedstaaten. Es ist also nicht möglich, sie durch nationale Gesetze zu verändern oder aufzuheben. Genau das fordert die Linksfraktion, indem sie die Verordnung ausführlich erörtert und kritisiert. Die Antragsverfasserinnen und -verfasser sind sich dieses Widerspruchs unfreiwillig bewusst, wenn sie im Schlussabsatz der Begründung schreiben: „Mit der vorgeschlagenen Regelung wird die EU-Verordnung umgesetzt“ – Anmerkung: sollen wir jetzt eine Verordnung umsetzen, die Sie vorher wortreich kritisieren? – „und in deren Rahmen die Netzneutralität gewahrt“ – Anmerkung: nachdem Sie vorher ausgeführt haben, dass die Verordnung dies gerade nicht tut. Weiter heißt es: „Dies entbindet nicht davon, zukünftig dafür zu werben, dass die Ausnahmen von der Netzneutralität durch die EU-Verordnung wieder rückgängig gemacht werden.“ So endet Ihr Papier. Das wäre aber auch der ehrliche Ansatz, nämlich zu sagen, dass die Verordnung eigentlich Mist ist, den man ändern muss. Dann sollte man sich aber die Prosa sparen, um diesen Mist vorher durch ein nationales Gesetz umzusetzen. Logisch wäre also etwas anderes. Schon aus rein formalen Gründen ist also der Antrag abzulehnen. Aber auch inhaltlich können wir dem Antrag nicht folgen. In der Tat schreibt nämlich die EU-Verordnung die Netzneutralität als Grundsatz fest. Gleichzeitig lässt sie Ausnahmen davon zu, aber sehr begrenzte. So dürfen Eingriffe nur erfolgen, soweit dies zur Aufrechterhaltung eines effizienten Datenverkehrs erforderlich ist oder dies im öffentlichen Interesse liegt, zum Beispiel zur Gewährleistung der Netzsicherheit oder zur Kriminalitätsbekämpfung. Bevorzugter Zugang gegen Bezahlung ist verboten, und Spezialdienste wie Internetfernsehen oder -spiele dürfen die Qualität des offenen Internets nicht beeinträchtigen. Das ist eine wesentlich sinnvollere Regelung als die von der Linken vorgeschlagene 5-Prozent-Regelung, weil erstere auf die Art der Dienste abhebt, anstatt für alles Mögliche 5 Prozent zu erlauben. An dieser Stelle wird auch die beschränkte Bedeutung der Netzneutralitätsdebatte sichtbar. Es geht im Kern um die Frage: 5 Prozent von was? Für den Kunden oder die Kundin geht es im Ergebnis um die Frage, wie viel Bandbreite ihm oder ihr zur Verfügung steht. Die meisten verfügen heute beispielsweise über 1 Megabit pro Sekunde, es blieben also 0,95 Megabit übrig. Wer aber über 100 Megabit pro Sekunde verfügt, hätte dann immer noch das 100-Fache an Kapazität. Wenn wir unser Breitbandziel erreichen, alle mit 50 Megabit pro Sekunde zu versorgen, hätten alle das 50-Fache des 1-Megabit-Anschlusses. Wir wollen also in erster Linie nicht wie Linksfraktion und Grüne den Mangel verwalten, sondern die Kapazitäten erhöhen. Vor diesem Hintergrund stellt sich mir die Frage, weshalb gerade Linksfraktion und Grüne so vehement gegen den Netzausbau durch Vectoring ab Hauptverteiler polemisieren, das als Übergangstechnologie kurzfristig für immerhin rund 15 Prozent der Kundschaft höhere Übertragungsraten ermöglichen würde. Wer glaubt, dass der Glasfaserausbau, den auch wir für die sinnvollste Infrastrukturmaßnahme halten, schneller ohne Vectoring voranginge, muss sich fragen lassen, weshalb dort nicht schon längst, bevor Vectoring kommen konnte, mehr investiert wurde und weshalb es derzeit nur deshalb vorangeht, weil EU, Bund, Länder und Kommunen großzügig subventionieren. Woher der Anreiz kommen soll, hier mehr zu investieren, wenn Netzneutralität pur kommt – so wie es der Antrag fordert – und somit ja gerade Geschäftsmodelle mit Gewinnanreiz total verboten werden, steht für mich in den Sternen. Der auf europäischer Ebene jetzt beschrittene Weg erscheint uns als der einzig sinnvolle. Das Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation, BEREC, ist jetzt in einem ersten Schritt seinem Auftrag nachgekommen, Leitlinien zur Netzneutralität zu entwickeln. Seit dem 6. Juni 2016 kann man den Entwurf einsehen und kommentieren. Die Konsultationsphase dauert bis zum 18. Juli. Also, liebe Oppositionsfraktionen, auf geht’s! Dort ist die richtige Stelle für Ihre Umsetzungsvorschläge, nicht hier im Bundestag. Auch alle anderen interessierten Kreise sind aufgerufen, zu kommentieren, bevor sich dann BEREC erneut mit dem Thema befassen und am 30. August die endgültige Fassung veröffentlichen wird. BEREC betont die Bedeutung der Netzneutralität und definiert die Ausnahmen abschließend: Verkehrsmanagement zur Erfüllung rechtlicher Anforderungen, Wahrung von Netzintegrität und sicherheit sowie Bewältigung von Überlastungen, jeweils unter der Bedingung der Gleichbehandlung gleichwertiger Daten. Es werden die verschiedenen Arten von Diensten definiert, die Ausnahmebedingungen, unter denen Zero-Rating zulässig sein könnte, ebenso das Verkehrsmanagement, Spezialdienste, Transparenz usw. Schließlich wird beschrieben, welche Aufgaben die nationalen Regulierungsbehörden bei der Durchsetzung dieser Vorschriften haben. An dieser Stelle zurück zum Antrag der Linksfraktion. Sie spricht der Bundesnetzagentur die Legitimation ab, festzustellen, was ein „diskriminierungsfreier Netzzugang“ ist. Mit Verlaub: Im Rahmen des TKG und der dazugehörigen Verordnungen gehört es zum Alltagsgeschäft der Regulierungsarbeit der Bundesnetzagentur, mit solchen Begriffen umzugehen. Die EU-Verordnung und die BEREC-Regeln werden es der Bundesnetzagentur genauso ermöglichen, dies auszulegen. Ich wüsste nicht, weshalb in diesem Fall der Gesetzgeber dazu besser befähigt wäre. Der Antrag der Linksfraktion gibt darauf leider keine Antwort. Deshalb und aus all den anderen Gründen empfehlen wir die Annahme der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie, gerade im Interesse einer praktikablen Durchsetzung der Netzneutralität. Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Das Internet ist in Gefahr. Zumindest das Internet, so wie wir es kennen. Wir sind drauf und dran, das Internet als Medium für alle zu verlieren. Schuld sind die Profitinteressen einiger weniger Konzerne. Sie wollen aus dem Mitmach-Internet ein Geldmach-Internet machen. Herauskommen wird ein Zwei-Klassen-Internet, in dem diejenigen, die wenig besitzen, nur noch Basis-Funktionen und diejenigen, die bereit sind, Geld locker zu machen, alle Funktionen nutzen können. Das klingt alles sehr drastisch, aber das wird Ergebnis der EU-Verordnung sein, die Ende letzten Jahres verabschiedet wurde und das Prinzip der Netzneutralität aushöhlt. Wir müssen endlich gewahr werden, dass Netzneutralität nichts anderes ist als die soziale Frage des digitalen Zeitalters. Doch so weit muss es nicht kommen. Denn die EU-Verordnung bietet die Möglichkeiten, Netzneutralität weitestgehend zu sichern und das Netz für alle offen zu halten. Derzeit diskutiert die europäische Regulierungsbehörde BEREC darüber, wie die EU-Verordnung ausgelegt werden kann. Leider hält sich die Bundesregierung komplett aus dieser Diskussion raus und überlässt das lieber der Bundesnetzagentur. Wir Linke haben spätestens seit dem unsäglichen Vorgehen der Bundesnetzagentur bei ihrer Entscheidung zum Ausbau von DSL-Vectoring unsere Zweifel, ob da wirklich etwas herauskommt, was die Nutzerinnen und Nutzer des Internets im Fokus hat und nicht die Profitinteressen der Konzerne. Denn was die Bundesnetzagentur beim DSL-Vectoring veranstaltet hat, nützt ausschließlich der Telekom. Wir wollen daher, dass die Bundesregierung Position bezieht und selbst dafür sorgt, dass die Netzneutralität auf Grundlage der EU-Verordnung gesichert wird. Nun hat BEREC ihre Vorstellungen einer Interpretation der EU-Verordnung vorgelegt. Ganz so katastrophal wie befürchtet sind sie zum Glück nicht. Aber es bleiben immer noch Schlupflöcher. Und diese Schlupflöcher sind nach meiner Auffassung die Knackpunkte, will man ein Zwei-Klassen-Internet verhindern. Diese Knackpunkte heißen Zero-Rating, zweiseitige Märkte und Spezialdienste. Diese stellen die größte Gefahr des neutralen Internets da. Und diese wären alle nach den BEREC-Plänen erlaubt. Wir wollen, dass zweiseitige Märkte und Zero-Rating-Angebote untersagt werden. Zweiseitige Märkte bedeutet, dass Zugangsanbieter wie beispielsweise die Telekom nicht nur Geld für den Internetanschluss, sondern noch zusätzlich für dessen Nutzung nehmen können. Wer schneller durchgeleitet werden will, muss mehr zahlen. Hierbei handelt es sich aber um Priorisierung, die nur auf kommerziellen Erwägungen beruht. Es hängt wohl kaum ein Leben davon ab, dass ein Videostreamingdienst schneller durchgeleitet wird als ein anderer. Das ist ausschließlich eine Einnahmequelle für Internetanbieter. Verkehrsmanagement-Maßnahmen aus kommerziellen Gründen sind aber laut Artikel 3 Absatz 3 der EU-Verordnung nicht erlaubt. Gleiches gilt auch für Zero-Rating-Angebote wie die schon angesprochene Spotify-Flatrate der Telekom. Auch das ist ein kommerzielles Verkehrsmanagement und wäre nicht erlaubt. Es würde also der EU-Verordnung entsprechen, wenn zweiseitige Märkte und Zero-Rating-Angebote explizit untersagt würden. Darüber hinaus fordern wir, dass priorisierte Dienste höchstens 5 Prozent der aktuellen Übertragungskapazität ausmachen dürfen, bis ein flächendeckendes Glasfasernetz aufgebaut wird. So bleibt sichergestellt, dass ausreichend Netzkapazität für das offene Internet zur Verfügung steht. Als Nebeneffekt würde dies einen Anreiz für Telekommunikationsunternehmen bieten, das Glasfasernetz schnell und umfassend auszubauen. Nun kann man argumentieren, dass ein solcher Antrag etwas spät kommt. Dieser Auffassung, unter anderem von den Grünen vertreten, kann ich mich nicht anschließen. Denn würde dieser Antrag angenommen, wäre er ein deutliches Signal an die Bundesregierung und auch an die Bundesnetzagentur, sich konsequent in den Verhandlungen um die Auslegung der EU-Verordnung für ein wirklich neutrales Netz einzusetzen. Ich kann sie nur inständig darum bitten, mit uns gemeinsam dieses Signal zu setzen. Denn noch ist es eben nicht zu spät, um das Netz für alle zu sichern. Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Netzneutralität – und damit die Gleichbehandlung von Daten bei der Übertragung im Internet und der diskriminierungsfreie Zugang bei der Nutzung von Datennetzen – ist in unserer modernen und digitalen Gesellschaft ein hohes und schützenswertes Prinzip. Ein offenes und diskriminierungsfreies Netz hat große und vielfältige Bedeutung für Demokratie sowie wirtschaftliche Innovation. Wir als Politikerinnen und Politiker müssen uns dafür einsetzen, Netzneutralität effektiv zu schützen. Es darf nicht zu einem Zwei-Klassen-Netz kommen. Was da nun im vergangenen Herbst auf EU-Ebene, mit den Stimmen der SPD, abgestimmt wurde, ist eine klare Aufweichung der Netzneutralität. Die verabschiedete Telecom-Single-Market-Verordnung beinhaltet zahlreiche Schlupflöcher und unbestimmte Rechtsbegriffe, die Spezialdienste grundsätzlich ermöglichen. Dies zeigte sich bereits kurz nach Verabschiedung der Verordnung, als die Telekom just die Einführung von Spezialdiensten ankündigte. Zudem will die Telekom für schnelle Übertragungsdienste zukünftig am Umsatz von Unternehmen beteiligt werden. Diese Ankündigungen sind nur ein Vorgeschmack dafür, wie die Netzneutralität untergraben wird. Diese Tendenz ist auch aus wirtschaftlicher Sicht fatal. Denn sie könnte auch zu einer Monopolisierung der Digitalwirtschaft führen. Um Deutschland als einen gründungsfreundlichen und innovationsstarken Wirtschaftsstandort zu etablieren, gilt Netzneutralität als einer der wichtigsten Schlüssel. Um eine Vielfalt von Inhalten und Anbietern zu garantieren, müssen alle Unternehmen, vor allem auch kleine und Start-ups, Dienste und Anwendungen im Internet ohne Diskriminierung und mit gleichen Chancen anbieten können – gerade auch, weil ein Großteil der Innovationen in Start-ups und bei nichtkommerziellen Anbietern entsteht. Diskriminierungsfreier Internetzugang ist somit Basis für Vielfalt in einer digitalisierten Gesellschaft und fördert zugleich das Innovationspotenzial unserer Wirtschaft. Die Bundesregierung hat hier klar versagt, sich auf EU-Ebene für den Schutz der Netzneutralität einzusetzen. Indem sie nun auf die Bundesnetzagentur als Regulierungsbehörde verweist, wird die Bundesregierung ihrer Verantwortung nicht gerecht. Es braucht klare nationale gesetzliche Regelungen, um die Netzneutralität zu gewähren. Für eine offene und digitale Gesellschaft sowie Wirtschaft brauchen wir einen allgemein verfügbaren Zugang zu schnellem Internet. Dazu braucht es ein bundesweites Breitbandnetz, welches die infrastrukturelle Grundlage einer digitalen Gesellschaft ist. Dies so schnell wie möglich zu erreichen, sollte unser aller Ziel sein. Eine fehlende Festschreibung von Netzneutralität und damit die Möglichkeit, Spezialdienste mit Zusatzgebühren anzubieten, steht hierzu im Widerspruch. Telekommunikationsanbieter werden sich so noch weniger bemüßigt fühlen, den Breitbandausbau voranzutreiben. Die Diskussionen um Netzneutralität führen wir seit Jahren. Aber es folgen keine Taten. Die Bundesregierung bleibt stumm, anstatt sich klar zu einer freien und digitalen Gesellschaft zu bekennen und sich durch klare Regelungen dafür einzusetzen. Ein Blick in andere Länder zeigt, dass dies möglich ist. In den USA hat sich Präsident Obama für Netzneutralität ausgesprochen und höchstpersönlich dafür eingesetzt, dass im vergangenen Sommer weitreichende Regelungen verabschiedet wurden. Bezahlte Überholspuren sind danach untersagt. Zudem müssen Telekommunikationsanbieter transparent und verbindlich darlegen, zu welchen Preisen und mit welchen Geschwindigkeiten sie ihre Dienste anbieten. Zudem unterstützt die dortige Regulierungsbehörde FCC als Anlaufstelle für Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen, wenn es Beschwerden gibt. Das zeigt, wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Insgesamt unterstützen wir die Intention des vorgelegten Antrags, Netzneutralität gesetzlich zu sichern. Allerdings kommt der Antrag zu spät und spricht sich zudem dafür aus, einen bestimmten Prozentsatz für Spezialdienste zuzulassen – dies sehen wir kritisch. Daher enthalten wir uns. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Den europäischen Binnenmarkt weiter vertiefen – Bewährte Standards erhalten (Tagesordnungspunkt 18) Astrid Grotelüschen (CDU/CSU): Der vorliegende Antrag „Den europäischen Binnenmarkt weiter vertiefen – Bewährte Standards erhalten“ reiht sich in eine Vielzahl von Anträgen und Maßnahmen wie zum Beispiel die Transparenzinitiative und unseren Entschließungsantrag aus dem Januar diesen Jahres: „Berechtigte Interessen des Handwerks und der Freien Berufe im europäischen Binnenmarkt schützen“ ein, die wir als CDU/CSU-Fraktion in den vergangenen drei Jahren initiiert haben. Wir stellen insbesondere die spezielle Bedeutung des Binnenmarktes für einen freien Handel mit Produkten und Dienstleistungen in den Mittelpunkt unserer Ausführungen. Die im Oktober 2015 veröffentlichte Kommissionsmitteilung spricht von 23 Einzelmaßnahmen. Im Bereich der Dienstleistungen, der Freien Berufe und im Handwerk sollen davon alle Punkte bis 2017 umgesetzt werden. Mit unserem Antrag und der heutigen Diskussion hat sich der Bundestag vor dem Hintergrund der Binnenmarktstrategie der Europäischen Kommission ein weiteres Mal zu den bewährten Strukturen im Handwerk und den Freien Berufen bekannt. Es muss aber in diesem Zusammenhang weiterhin betont werden, dass die Kompetenz der Mitgliedstaaten insgesamt für Berufsregelungen nicht infrage gestellt werden darf. Aus meiner Sicht eines der wichtigsten politische Signale in Richtung Brüssel. Wir sollten heute ein weiteres Signal setzen. Denn im Bereich des Binnenmarkts ist es ganz klar so, dass die vorgelegte Binnenmarktstrategie der KOM zwar im Kern zu begrüßen ist, aber Deutschland auf europäischer Ebene immer wieder mit angeblich „bestehenden Hindernissen“ auf dem Dienstleistungsmarkt konfrontiert wird. Wir dürfen uns hierbei aus meiner Sicht nicht verunsichern lassen. Im Gegenteil: Wir müssen sorgfältig darauf achten, dass bestimmte geplante Maßnahmen, die die Stärke der Freien Berufe und auch des Handwerks ausmachen, nicht durch Deregulierung konterkariert werden. Ich möchte exemplarisch einige Beispiele hervorheben: Die KOM will mit einem Dienstleistungspass, mit einem einheitlichen Mitteilungsformular und einem elektronischen Dokumentenverzeichnis „für mehr Sicherheit“ sorgen und Hindernisse für Anbieter, die auf andere EU-Märkte expandieren möchten, abbauen. Zudem wird ein Analyseraster vorgeschlagen, auf das die Mitgliedstaaten zurückgreifen können, wenn sie bestehende Vorschriften prüfen oder zusätzliche einführen. Schließlich will die KOM „regulatorischer Hindernisse“ abbauen, zu denen unterschiedliche Rechtsformen, Anforderungen an die Beteiligungsverhältnisse und sogenannte „multidisziplinäre Einschränkungen“ für wichtige Unternehmensdienstleistungen gehören. Ziel der Binnenmarktstrategie ist die Vertiefung des gemeinsamen Binnenmarkts und der Abbau „ungerechtfertigter Regulierung“, zu der aus Sicht der Europäischen Kommission eben auch zahlreiche berufsrechtliche Regelungen der Freien Berufe und des Handwerks gehören. Wir wollen und müssen aber dafür sorgen, dass deutsche Produkte und Dienstleistungen zukünftig noch besser vermarktet werden können. Und auch deshalb darf es nicht zu einer Senkung der Qualitätsstandards oder gar zur Einführung des Herkunftsprinzips „durch die Hintertür“ kommen. Ich denke, wir haben mit dem vorliegenden Antrag drei grundlegende Themenblöcke markiert: in erster Linie wirtschaftspolitische Fragen mit dem Blick auf die Stärkung des Binnenmarktes, den „Motor Europas“. Zudem setzen wir zwei wichtige, zusätzliche Signale: Die Weiterentwicklung darf auf keinen Fall zu mehr Bürokratie führen, und sie muss unter der Einhaltung der Subsidiarität vollzogen werden. Bei der Vielzahl der Themen innerhalb der Binnenmarktstrategie gilt es die Kernanliegen deutlich zu machen, das heißt Schwerpunkte zu setzen. Zentrale Forderungen unseres Antrages sind: Praxisrelevante Binnenmarkthindernisse angehen. Wir wollen keine neue Bürokratie aufbauen. Wir wollen bei möglichst allen angekündigten Maßnahmen auf Praktikabilität achten. Wir wollen kein Herkunftslandprinzip „durch die Hintertür“ – etwa bei Versicherungsvorschriften oder durch den Dienstleistungspass. Ebensowenig wollen wir den Anwendungsbereich der DL-Richtlinie „durch die Hintertür“ ausweiten. Es muss klar werden und notfalls beharrlich immer wieder betont werden, dass Berufszugangs- und Berufsausübungsregelungen nur eingebettet im jeweiligen nationalen Kontext sinnvoll zu bewerten sind. Meine Kollegin Barbara Lanzinger wird später diesen Aspekt hervorheben. Die genannten Punkte bedeuten für die EU, dass sie im internationalen Standortvergleich auf Wachstum und zugleich auf Qualitätswettbewerb setzen muss. Es bedeutet außerdem, dass Verbraucherschutz als wichtiges Politikziel erkannt werden muss. Wir können nicht ausschließlich auf ökonomische Aspekte abzielen, denn freiberufliche Dienstleistungen sind nicht „normierbar“. An dieser Stelle möchte ich kurz – als Berichterstatterin für die Freien Berufe – auf aktuelle Zahlen hinweisen: Als Arbeitgeber beschäftigen die rund 1,3 Millionen selbstständigen Freiberufler in Deutschland mittlerweile über 3,3 Millionen Mitarbeiter – darunter circa 122 500 Auszubildende. Gemeinsam wird ein Jahresumsatz von rund 370 Milliarden Euro erwirtschaftet und somit knapp über 10 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beigesteuert. Diese Zahlen sollten wir bei den möglichen Auswirkungen im Falle einer falschen Weichenstellung der europäischen Binnenmarktpolitik auf die deutsche Wirtschaft immer im Hinterkopf behalten. Zur Weiterentwicklung des Binnenmarktes brauchen wir nicht immer neue Regelwerke. Wenn zum Beispiel ein Dienstleitungsausweis keinerlei Mehrwert für die davon in der Praxis betroffenen Unternehmen bietet, brauchen wir ihn vielleicht auch nicht. Was wir hingegen einfordern müssen, ist vor allem eine zielgerichtete, effiziente Umsetzung und Anwendung schon beschlossener Maßnahmen. Mit unserem Antrag verbinden wir deshalb zum Beispiel auch die Absicht, dass der Deutsche Bundestag die Europäische Kommission auffordert, im „Bereich Unternehmen“ ein umfangreiches KMU-Programm in Angriff zu nehmen, um die Sichtbarkeit der europäischen KMU-Politik weiter zu erhöhen. Denn es ist notwendig, dass kleine und mittlere Unternehmen die Potenziale des Binnenmarktes optimal nutzen und wachsen können – auch über nationale Grenzen hinaus. Wir werden die europäischen Rechtssetzungsprozesse zur Umsetzung auch der digitalen Binnenmarktstrategie weiter eng begleiten. Unser gemeinsames Ziel dabei ist ein Binnenmarkt, der es Bürgern und Unternehmen ermöglicht, ihre Chancen optimal zu nutzen, um an den Vorteilen dieses Binnenmarktes teilhaben zu können. Seit 1992 trägt der Binnenmarkt, eine der größten Errungenschaften der europäischen Integration, zu Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung in den Mitgliedstaaten bei. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion möchte, dass das so bleibt, und dass Deutschland mit seinen hohen Standards seine erfolgreiche Vorreiterrolle, von der unsere Bürger und unsere Unternehmen profitieren, behält. In diesem Sinne bitte ich um Ihre Unterstützung. Barbara Lanzinger (CDU/CSU): In diesen Tagen ist das Thema Europa wieder sehr präsent in der öffentlichen Debatte. Wie wichtig die Europäische Union für unser aller Wohl ist, für eine starke Wirtschaft und für Frieden und Zusammenhalt in Europa, bedarf hier keiner weiteren Ausführung. Allerdings – und das sehen wir auch am heutigen Referendum der Briten zum Verbleib in der Europäischen Union – gibt es große Herausforderungen, die wir bewältigen müssen. Wir müssen der Tatsache ins Auge schauen, dass es Menschen gibt, die die Vorteile der Europäischen Union infrage stellen. An dieser Stelle möchte ich den früheren tschechischen Staatspräsidenten Vaclav Havel zitieren: „Wenn die Einwohner Europas begreifen lernen, dass es sich nicht um ein bürokratisches Monstrum handelt, das ihre Eigenständigkeit einschränken oder gar leugnen möchte, sondern lediglich um einen neuen Typus von Gemeinschaft, der ihre Freiheit vielmehr wesentlich erweitert, dann braucht der Europäischen Union um ihre Zukunft nicht bange zu sein.“ Damit ist auf den Punkt gebracht, was meiner Ansicht nach ein Teil unseres aktuellen Problems ist: Die Sorge vor einem Zuviel an europäischer Regulierung und der Aushöhlung des Subsidiaritätsprinzips gefährden die Akzeptanz der Europäischen Union. Mit anderen Worten muss hinsichtlich der Gesetzgebung aus Europa gelten: So viel wie nötig, aber so wenig wie möglich. Dieses Prinzip motiviert auch den vorliegenden Antrag zur Binnenmarktstrategie der Europäischen Kommission. Der europäische Binnenmarkt ist ganz ohne Zweifel eine große Errungenschaft und hat entscheidend zur Wettbewerbsfähigkeit und zum Wohlstand in Europa beigetragen. Wir begrüßen daher, dass die Kommission sich nun der Modernisierung des Binnenmarkts annimmt. Gleichzeitig wirft die Strategie aber auch an vielen Stellen Fragen auf. Deshalb richten wir uns mit unserem Antrag nicht nur an die Bundesregierung mit der Bitte, die Haltung des Deutschen Bundestages zur Binnenmarktstrategie mit Nachdruck gegenüber der Kommission zu vertreten, sondern explizit auch an die Kommission selbst. Der Deutsche Bundestag hat bisher noch nicht umfassend zur Binnenmarktstrategie Stellung genommen, sondern lediglich zu wichtigen Teilbereichen. In diesem Antrag findet sich nun eine Positionierung zu allen Politikfeldern, die in der Strategie angesprochen sind. Ich möchte mich aber auf einige aus meiner Sicht entscheidende Punkte konzentrieren. Wir machen explizit deutlich, wie wichtig dem Deutschen Bundestag die in Deutschland bewährten Berufszugangs– und Ausübungsregeln und Honorarordnungen für Freie Berufe und Handwerk sind. Diese müssen unbedingt weiterhin möglich bleiben, denn sie sichern Qualität und die Exzellenz, für die wir international geschätzt werden. Sie dienen außerdem dem Verbraucherschutz. Das betone ich ausdrücklich, denn aus meiner Sicht wird viel zu häufig eine reine Preisbetrachtung angestellt, die eben nur vermeintlich im Verbraucherinteresse ist. Die Sicherung der Qualitäts- und Ausbildungsstandards, also die Professionalität der Leistungserbringung und der Erhalt der Angebotsvielfalt, sind aber genauso wichtig für den Verbraucherschutz. Was wir nicht wollen, ist, dass die Vorschläge der Kommission zum Abbau von Regulierungshemmnissen bei den reglementierten Berufen die mitgliedstaatliche Regelungskompetenz infrage stellen. Es ist auch fraglich, ob es überhaupt notwendig ist, in die gewachsenen Strukturen der nationalen Staaten derart einzugreifen, wie es die Kommission an einigen Stellen tut – beispielsweise, indem sie sich gegen die Mindestsätze der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure wendet. Zum einen schützen die Mindestsätze vor einem Preisunterbietungswettbewerb, der die Existenz unserer Betriebe vor Ort sichert und, wie gesagt, die Qualität der Leistung garantiert. Zum anderen fehlt ein Nachweis darüber, dass ein tatsächlicher Bedarf für eine Deregulierung besteht, dass also tatsächlich eine nennenswerte Anzahl an ausländischen Unternehmen in diesem Bereich auf den deutschen Markt drängen würde, wenn es unsere Berufsregelungen nicht gäbe. Die größten Hürden dürften doch wohl eher Sprachbarrieren und mangelnde Praktikabilität einer Leistungserbringung im Ausland sein. Außerdem ist die Mobilität von Selbstständigen und abhängig Beschäftigten im Binnenmarkt aus unserer Sicht bereits über die Regelungen zur Anerkennung von Berufsqualifikationen hinreichend abgesichert. Aus ähnlichen Gründen ist auch fraglich, ob es überhaupt eine Notwendigkeit für den sogenannten Dienstleistungspass gibt, den die Europäische Kommission plant. Jedenfalls darf dieser nicht zu einer Einführung des Herkunftslandprinzips durch die Hintertür führen. Regelungen, die dem Schutz der Arbeitnehmer dienen, wie zum Beispiel der Mindestlohn, müssen unbedingt erhalten bleiben. Was die Vergabe öffentlicher Aufträge betrifft, hat die Europäische Kommission 2014 ein umfassendes Richtlinienpaket vorgelegt, dessen Umsetzungsfrist im April 2016 abgelaufen ist und das in Deutschland fristgerecht umgesetzt wurde. Bevor nun weitere gesetzgeberische Maßnahmen ergriffen werden, sollte erst einmal die Umsetzung in allen Mitgliedstaaten abgewartet und evaluiert werden. Auch müssen wir vermeiden, dass es zu neuen oder zusätzlichen bürokratischen Lasten wie zum Beispiel Berichts- und Informationspflichten für die Mitgliedstaaten kommt. Last but not least möchte ich betonen, dass wir es begrüßen, dass die Kommission sich dem Bereich der sogenannten „Sharing Economy“ oder der partizipativen Wirtschaft annimmt. Dies ist ein spannender Bereich, der jede Menge Innovationspotenzial für die Wirtschaft beinhaltet. Ganz besonders relevant ist er für den Bereich Tourismus, zum Beispiel bei Online-Plattformen für private Übernachtungsangebote oder Transportmöglichkeiten. Hier gilt es, das richtige Augenmaß zu bewahren, um diesen neuen Bereich gut zu gestalten und Innovationen zu ermöglichen, ohne dass es zu Wettbewerbsverzerrungen kommt. Und auch hier halte ich es für unabdingbar, dass den Mitgliedstaaten bei einer Europäischen Agenda für die Sharing Economy Gestaltungsspielraum eingeräumt wird. Ich betone noch einmal: Weniger ist manchmal mehr, und gerade in diesen Tagen ist es wichtiger denn je, den europäischen Binnenmarkt mit Augenmaß und auch mit einer gewissen Zurückhaltung zu gestalten. Matthias Ilgen (SPD): Fakt ist: Im Vergleich zu den USA, aber auch zu aufstrebenden Wettbewerbern aus China, Südkorea oder Israel entwickelt sich die digitale Wirtschaft in Europa zu langsam. In der Binnenmarktstrategie, über die wir heute beraten, widmet sich die Kommission daher zu Recht der partizipativen Wirtschaft. Ich begrüße es, dass die Kommission sich in jüngster Zeit verstärkt der digitalen Wirtschaft annimmt. Zwar haben wir auch bei uns viele gute Ideen für diesen neuen Wirtschaftszweig, die erfolgreichsten Unternehmen haben ihren Sitz aber in den USA. Daher ist der Ansatz der Kommission richtig, zu untersuchen, wie Hemmnisse gerade für die partizipative Wirtschaft innerhalb der EU abgebaut werden können. Ich denke dabei beispielsweise an das immer noch verbreitete Geoblocking, das es in einem Binnenmarkt eigentlich nicht geben dürfte. Was wir aber nicht wollen, sind neue Geschäftsmodelle, die sich auf Kosten von sozialer Sicherung, Verbraucherschutz und Arbeitnehmerrechten durchsetzen. Unsere volle Unterstützung hat die Kommission, wenn sie Bürokratie abbauen will für Unternehmen, die über die Grenzen hinweg expandieren wollen. Das zentrale digitale Zugangstor, mit dem verschiedene Onlinedienste der EU zur Information und Unterstützung für KMU gebündelt werden, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Auch eine einheitliche Normung in Europa würde für Hersteller und Dienstleister in der EU vieles erleichtern. Die gemeinsame Normungsinitiative der Kommission begrüßen wir deshalb ausdrücklich. Wenn die EU-Kommission die Zuwanderung von unternehmerischen Talenten in die EU fördert, kann sie auf die Unterstützung der SPD zählen. Hier geht es nicht um einen Verdrängungswettbewerb mit bereits in Europa lebenden Menschen, sondern darum, die EU attraktiv zu machen für Männer und Frauen, die ihre Arbeit nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere mitbringen. In Deutschland haben wir mit unserem Aufenthaltsgesetz bereits die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen, damit Unternehmer das Silicon Valley in Richtung Berlin verlassen können. Gemeinsam mit meiner Fraktion unterstütze ich das Ziel der Kommission, den Binnenmarkt für Unternehmen attraktiver zu machen. Fest steht für mich auch, dass dabei Arbeitnehmerrechte, fairer Wettbewerb und Verbraucherschutz nicht auf der Strecke bleiben dürfen. Sabine Poschmann (SPD): Der gemeinsame Binnenmarkt gehört ohne Zweifel zu den größten Erfolgen der Europäischen Integration. Unternehmen können ihre Waren ungehindert und ohne Zölle über nationale Grenzen hinweg vertreiben. Die Bürgerinnen und Bürger genießen Reisefreiheit und können selber entscheiden, in welchem Land der EU sie leben, lernen und arbeiten oder vielleicht eine Firma gründen wollen. Mir ist weltweit kein zweiter Wirtschaftsraum dieser Art bekannt! An dieser Stelle sei erwähnt, dass auch unsere britischen Freunde einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen dieses gemeinsamen Marktes geleistet haben – allein schon deshalb wäre ihr Austritt aus der EU höchst bedauerlich. Der gemeinsame Markt hat Europa auf vielen Gebieten zusammenrücken lassen. Deshalb begrüßen wir, dass die EU-Kommission den Binnenmarkt weiterentwickeln will und sich neuen Herausforderungen annimmt. Dazu gehört ohne Frage die Digitalisierung der Wirtschaft. Viele Branchen verändern sich, neue Geschäftsmodelle entstehen, Innovationen werden vorangetrieben. Davon sollen alle profitieren können. Das aber bedingt einheitliche Spielregeln und einheitliche Rahmenbedingungen. Deshalb sind wir durchaus bereit, unsere nationalen Regeln zu prüfen. Allerdings sagen wir ebenso deutlich: Es gibt Grenzen. Dienstleistungen am Menschen sind nicht gleichzusetzen mit Waren. Wir machen uns mit Nachdruck dafür stark, dass unsere bewährten Standards erhalten bleiben, und eben nicht in eine Abwärtsspirale geraten. Vor allem nicht, wenn es um den Gesundheitsschutz geht, die Qualitätssicherung und die Rechte von Arbeitnehmern. Ich denke dabei besonders an die Berufsregeln für das Handwerk, aber auch an die Honorarordnungen für einige Freie Berufe. Warum sollen wir ein System der Transparenz, der Unabhängigkeit und der Kompetenz aufgeben? Es ist ein Irrglaube zu meinen, dass sich automatisch und per se mehr Wachstum und Beschäftigung einstellen. Länder wie Italien, Belgien oder Österreich zeigen, dass dies eben nicht der Fall ist. Bei einigen der von der EU-Kommission angekündigten Maßnahmen müssen wir genauer hinsehen. Zum Beispiel beim Dienstleistungspass. Mit dem Dienstleistungspass soll Bürokratie abgebaut werden. Das klingt natürlich gut, denn wer hätte etwas dagegen einzuwenden? Wenn aber mit einem solchen Pass das sogenannte Herkunftslandprinzip durch die Hintertür eingeführt wird, werden wir dem eine Absage erteilen. Es muss sichergestellt sein, dass unsere bewährten Standards weiterhin gelten. Es muss sichergestellt sein, dass jedes Land das Recht hat, die Einhaltung dieser Standards auch zu prüfen. Deshalb haben wir kein Verständnis für Vorschläge, die zum Beispiel das Fremdkapitalverbot für Kanzleien unterlaufen könnten. Wenn ich zu einem Rechtsanwalt gehe, möchte ich weiter sicher sein, dass er meine Interessen vertritt und nicht die fremder Kapitalgeber oder Anteilseigner. Wir senden ein klares Signal an die EU-Kommission: Ja, wir möchten den europäischen Binnenmarkt weiterentwickeln. Ja, wir möchten Maßnahmen, mit denen wir Bürokratie abbauen, Verfahren vereinfachen und bestimmte Standards vereinheitlichen. Was wir nicht möchten, sind der Abbau von Arbeitnehmerrechten sowie Verschlechterungen beim Verbraucherschutz und bei der Qualität von Produkten und Dienstleistungen. Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Es mutet schizophren an, dass zu einem Zeitpunkt, zu dem die auseinanderstrebenden Fugalkräfte in der EU mittlerweile unübersehbar geworden sind und munter von rechten Regierungen bespielt werden, die Koalitionsfraktionen einen Antrag einbringen, der sich zur Binnenmarktstrategie der Kommission verhält, während wenig bis nichts aus dieser Ecke zu den Zerfallstendenzen in der EU zu vernehmen ist. Just heute stimmen die Briten über den Austritt aus der EU ab. Bildlich gesprochen ist das Fundament des „Hauses Europa“ am Zerbröseln, aber die Koalition möchte im Erdgeschoss weiter rumwerkeln. Verrückt. Allerdings ist der gemeinsame Binnenmarkt durchaus Synonym für die Ursachen dieses Zerfallsprozesses. Denn die europäische Integration hauptsächlich über einen gemeinsamen Binnenmarkt gestalten zu wollen, der so konstruiert ist, dass sich sowohl die Arbeitenden als auch die Unternehmen der Mitgliedsländer gegenseitig niederkonkurrieren und staatliche Interventionsmöglichkeiten zugunsten einer anderen, nicht neoliberalen Wirtschaftspolitik verunmöglicht werden, muss über kurz oder lang zwangsweise zu ihrem Scheitern führen. Die Finanzkrise und die Schäuble’schen „Lösungskonzepte“ waren da nur noch der Brandbeschleuniger. Statt den Zusammenschluss des weltgrößten Wirtschaftsraums für harmonisierte und koordinierte Mindeststandards zu nutzen und diese auf dem Weltmarkt zu behaupten, basteln die EU-Eliten aber lieber an TTIP mit den USA und CETA mit Kanada. Auch da geht es nicht um eine Harmonisierung auf höchstem Niveau, sondern um möglichst viel „Beinfreiheit“ für große Konzerne und Banken. Dagegen kann nur Sozialstaatlichkeit im Primärrecht Grenzen setzen. Es muss wohl Ignoranz sein, denn Sie scheinen ja ernsthaft zu glauben, dass die Bürger der EU dauerhaft akzeptieren, dass sie Mitglied eines Vereins sind, der sie aufeinander hetzt, sie gegeneinander ausspielt und der Wirtschaft den Primat gegenüber der Politik einräumt. Wirtschaftliche Interessen sind originär Interessen von Einzelnen, bestenfalls kleinen Kreisen. Politik, zumal in demokratisch verfassten Systemen, soll aber den Interessen der Mehrheit zu Geltung verhelfen und die benachteiligter – wohlgemerkt benachteiligter! – Minderheiten berücksichtigen. Das würde bedeuten, für einen vertraglichen Neustart der EU einzutreten, der gemeinsame soziale Mindeststandards und eine koordinierte Lohnpolitik festlegt, eine harmonisierte Unternehmensbesteuerung durchsetzt, die Finanzmärkte endlich streng reguliert und eine Zentralbank installiert, deren Geld- und Währungspolitik nicht völlig abgekoppelt ist von politischen Konstellationen und Zielstellungen. Die Banker der EZB sind nämlich weder demokratisch legitimiert noch müssen sie sich irgendwo rechtfertigen. Gegenwärtig haben die Menschen den Eindruck, dass es fast egal ist, wen sie wählen, da ja sowieso alles „alternativlos“ sei. An dieser Wahrnehmung ist viel dran. Diesen Schuh muss sich aber das politische Personal von CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP anziehen. Die haben in trauter Einigkeit jahrelang die EU- und vor allem Krisenpolitik gemeinsam getragen. Ändert sich nicht schleunigst etwas an den benannten Punkten, wird das nicht nur das Ende der EU, sondern – das gemahnt der Blick nach Ungarn oder Polen – womöglich auch das der neuzeitlichen Demokratie. Denn auch der europaweite Frust, die Geringschätzung gegenüber Politikern, der Erfolgsrausch von Rechtspopulisten und Nationalisten haben hier ihren Ursprung. Wie auch immer: Nach dem heutigen Brexit-Referendum wird die EU nicht mehr dieselbe sein. Geben Sie der EU einen Verstand aus Rechts- und Sozialstaatlichkeit und ein Herz aus Solidarität! Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der europäische Binnenmarkt hat eine überragende Bedeutung für die deutsche Volkswirtschaft. Knapp 60 Prozent der deutschen Exporte gingen 2015 in Länder der EU. Wohlstand und Lebensqualität in Deutschland wie in Europa sind eng verknüpft mit einem funktionierenden europäischen Binnenmarkt. Umso wichtiger ist es, dass dieser Binnenmarkt ständig weiterentwickelt wird, um mit technologischen, aber auch gesellschaftlichen Veränderungen Schritt zu halten. Und was legt uns die Große Koalition dazu heute vor? Ein Papier mit 39 Spiegelstrichen – ohne erkennbare Fokussierung auf die wirklich drängenden Themen, ohne Ordnungsprinzip und in vielen Punkten diktiert von den Interessengruppen. Das ist keine Binnenmarktstrategie, das ist ein Luftballon mit viel heißer Luft, aufgeblasen von den Lobbyverbänden. Was nutzt, wird gelobt, und wenn auch mal von der Bundesrepublik regulatorische Anpassungen eingefordert werden, um Hemmnisse im Binnenmarkt abzubauen, wird der Status quo aufs Äußerste verteidigt, egal ob es Sinn macht oder nicht. Lassen Sie mich das an einem Beispiel erläutern: Im Handwerksbereich ist es nach wie vor so, dass Unternehmen aus anderen Staaten der EU sehr viel leichter Dienstleistungen erbringen können als Handwerker aus der Bundesrepublik, die keine Meisterprüfung abgelegt haben. Während es teilweise sehr viel leichter ist, sich in einem anderen EU-Land selbstständig zu machen, bestehen hier oft hohe Hürden. Das ist nicht per se schlecht oder falsch. Aber es ist ein objektiver Nachteil für Arbeitskräfte aus der Bundesrepublik. Vorschläge, wie das verhindert werden kann, findet man bei Ihnen im Antrag vergeblich. Man findet keine Aussagen darüber, dass wir in Deutschland ohne Zweifel einen hohen Qualitätsstandard erhalten und vielleicht wiedererlangen wollen – ich verweise auf die immer mehr um sich greifenden Mängel im Bauwesen –, wir im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit aber neue Überlegungen zu einer Öffnung der Handwerksordnung bei gleichzeitiger Stärkung der Qualitätsanforderungen brauchen. Auch verlieren Sie kein Wort über eine stärkere Harmonisierung des europäischen Unternehmenssteuerrechts. Gerade hier existieren große Verzerrungspotenziale des europäischen Binnenmarktes. Natürlich sollte nicht die nationale Steuerrechtskompetenz infrage gestellt werden. Aber die Zersplitterung des europäischen Binnenmarktes in 28 unterschiedliche Unternehmenssteuerrechte führt dazu, dass internationale Konzerne effektiv deutlich niedrigere Steuern zahlen als rein national tätige Unternehmen. Sie suchen sich die günstigsten Regelungen und sorgen damit dafür, dass der innereuropäische Steuerwettbewerb zwischen Staaten immer schädlichere Züge angenommen hat. Eine gemeinsame Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer und europäische Mindeststeuersätze würden das beheben und so auch ein Stück weit den EU-Binnenmarkt stärken. Zugegeben, ein hartes Stück Arbeit, aber es gehört unbedingt auf die Agenda. Gleiches gilt bei der Mehrwertsteuer. Die Koalition mahnt hier zu Recht an, dass die neuen Vorschläge der Kommission nicht zulasten des nationalen Steueraufkommens gehen dürfen. Es ist geradezu absurd, dass die Kommission hier wieder ein Stück weit zurück von der Harmonisierung gehen will. Die Bundesregierung befördert das Ganze allerdings noch durch ihren lobbygetriebenen Einsatz für eine mehrwertsteuerliche Ermäßigung für elektronische Dienstleistungen. Wir haben das Problem, dass die großen Internetkonzerne sich sehr einfallsreich und legal einer Steuerzahlung entziehen. Der Mehrwertsteuer können sie sich aktuell nur schlecht entziehen. Es ist also falsch, dass Union und SPD hier auf die Einflüstereien der Internetkonzerne hören. Damit fehlen in Ihrem Antrag wichtige Elemente, die zum europäischen Binnenmarkt dazugehören. Richtig sind ihre Feststellungen und Forderungen zum Erhalt sozialer und verbraucherschutzrechtlicher Standards. Dass sie dabei die ökologischen Standards nicht erwähnen, zeigt allerdings ihr Desinteresse an dieser Stelle. Insgesamt dürfen hohe ökologische oder soziale Standards in der Tat nicht durch das Herkunftslandsprinzip oder europäische Rechtsformen für kleine und mittlere Unternehmen ausgehebelt werden. Hier sprechen wir also mit einer Stimme, wenn es darum geht, Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerinteressen und Mitbestimmungsrechte zu wahren und andere schädliche Gestaltungen zu verhindern. Auch mit anderen Punkten aus Ihrem Antrag stimmen wir überein: Eine KMU-Strategie kann helfen, Wettbewerbsnachteile kleiner und mittlerer Unternehmen am internationalen Markt zu beheben. Auch die europäische Bürokratie sollte maßvoller werden. Hier versagt die Bundesregierung aber schon im eigenen Land. Meine Damen und Herren, ich hätte mir einen Antrag gewünscht, der klarere Akzente setzt, in den Bereichen der Dienstleistungen, des Steuerrechts, der Digitalisierung und der damit verbundenen Chancen. Das kann ich bei dem vorliegenden Antrag nicht erkennen, deshalb können wir dem Antrag nicht zustimmen. Da viele – nicht alle – Einzelpunkte aber durchaus richtige Sachverhalte adressieren, werden wir uns zu diesem Antrag enthalten, verbunden mit der Aufforderung an die Große Koalition, nachzuarbeiten und klarer die Zukunftsfelder herauszuarbeiten. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Standortauswahlgesetzes (Tagesordnungspunkt 20) Steffen Kanitz (CDU/CSU): Mit dem heute zu evaluierenden Standortauswahlgesetz setzen wir Empfehlungen der Endlagerkommission zur Neuorganisation im Bereich der Endlagerung um. Allen Unkenrufen zum Trotz wird durch maßgebliche Impulse der Endlagerkommission die größte organisatorische Neuordnung im Bereich der nuklearen Endlagerung seit über 40 Jahren umgesetzt. Das ist ein – erster – Erfolg der Endlagerkommission, den man nicht hoch genug einschätzen kann. Mein Dank geht an das BMUB für die gute Zusammenarbeit, aber auch an die weiteren beteiligten Ressorts und Fachausschüsse. Wir haben ihnen mit dem verkürzten Verfahren einiges zugemutet, aber das hatte seinen guten Sinn: Zum einen endet die Arbeit der Kommission am 5. Juli 2016 mit der der Übergabe des Abschlussberichts an den Bundestagspräsidenten. Als Union ist es uns wichtig, dass die Empfehlungen der Kommission schnell umgesetzt werden. Die organisatorischen Voraussetzungen dafür schaffen wir heute. Zum anderen ist es für uns von wesentlicher Bedeutung, dass Fragen der Organisation und der Sicherheit nicht mit Finanzierungsfragen vermischt werden. Die Ergebnisse der Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs (KFK) werden voraussichtlich im Herbst parlamentarisch beraten. Daher wollten wir eine klare zeitliche Trennung. Nun komme ich zu dem wahrscheinlich nachvollziehbarsten Argument: Die betroffenen Mitarbeiter im Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), der Deutschen Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe mbH (DBE), der Asse GmbH, von Schacht Konrad sowie im Endlager für radioaktive Abfälle Morsleben (ERAM) und Gorleben brauchen endlich Planungssicherheit. Über die Neuorganisation im Endlagerbereich reden wir nun schon seit zwei Jahren, das heißt, es gibt ein Maß der Verunsicherung, was dazu führt, dass sich viele gute Fachkräfte wegbewerben. Wir brauchen aber in Zukunft mehr und nicht weniger kluge Köpfe, um die schwierige Aufgabe der Endlagersuche erfolgreich zu betreiben. Mit diesem Antrag sehen wir als Politik auch ein Zeichen: Die Endlagersuche, der Rückbau und die Stilllegung von Kernkraftwerken ist eine Zukunftsaufgabe, die uns in Deutschland noch über Jahrzehnte gut bezahlte Arbeitsplätze bietet. Wir wollen die besten Fachkräfte gewinnen, um diese anspruchsvolle Aufgabe zu meistern, und bitten hier um Unterstützung. Mit dem heutigen Antrag setzen wir europarechtliche Vorgaben zur klaren Trennung von Aufsicht und Betrieb um. Wir schaffen eine effiziente Aufbau- und Ablauforganisation und sichern eindeutige Zuständigkeiten. Wir bekommen einen Regulierer, der, mit klaren Kompetenzen ausgestattet, das Standortauswahlverfahren Schritt für Schritt überwacht. Wir gründen eine bundeseigene Gesellschaft, die als Vorhabenträger die Betreiberaufgaben von BfS, der DBE, Schacht Konrad, Asse GmbH, dem ERAM und Gorleben übernimmt und zudem eigenverantwortlich sein kann. Während in der Vergangenheit selbst Entscheidungen von untergeordneter Bedeutung einem Lauf von Pontius zu Pilatus gleichkamen, erhält die neu zu gründende bundeseigene Gesellschaft im Wege der Beleihung hoheitliche Kompetenzen und kann im Rahmen eines genehmigten Budgets eigenverantwortlich handeln. Diese neue Struktur wird nicht nur kostengünstiger sein, weil der Gewinnaufschlag entfällt, sondern insbesondere, weil die klaren Zuständigkeiten zu einer zügigen Realisierung der Projekte beitragen. Zeit ist der entbehrliche Kostentreiber, und den bekommen wir jetzt in den Griff. Vor diesem Hintergrund ist es uns unverständlich, dass die Linke diesem Antrag nicht zustimmt. Gerade Ihnen war es doch so wichtig, dass wir Empfehlungen der Endlagerkommission umsetzen. An diesen Grundsatz sollten Sie sich auch halten und heute aus gutem Grunde mitstimmen. Florian Oßner (CDU/CSU): Es ist schon etwas sehr Besonderes, wenn ein Gesetzentwurf von allen vier im Bundestag vertretenen Fraktionen gemeinsam eingebracht wird. So viel Einigkeit findet sich selten in diesem Hohen Haus, was sicher auch ein Indiz für die sehr gute Arbeit der Endlagerkommission ist, die im Mai 2014 ihre Arbeit aufgenommen hat und am 5. Juli ihren Abschlussbericht vorlegen wird. Allen Beteiligten möchte ich deshalb zunächst meinen allerherzlichsten Dank aussprechen für die sehr gute und kollegiale Zusammenarbeit in den letzten zwei Jahren. Besonderes Lob verdient mein geschätzter Fraktionskollege Steffen Kanitz, der als Sprecher unsere Positionen immer wieder deutlich gemacht hat. Lieber Steffen, du hast maßgeblich zum erfolgreichen Abschluss des Kommissionsberichts beigetragen – großen Dank dafür! Erstens. Weswegen Öffentlichkeitsbeteiligung? Die jahrzehntelangen Auseinandersetzungen um die Lagerung radioaktiver Abfallstoffe haben gezeigt, dass Standortbenennungen, die intransparent vorbereitet und anschließend an die breite Öffentlichkeit vermittelt werden, unüberwindbare Widerstände erzeugen. Deswegen hat bei uns in der Endlagerkommission auch von Anfang an Einigkeit darüber geherrscht, dass die Auswahl eines Standorts für hochradioaktive Abfälle mit der bestmöglichen Sicherheit nur erfolgreich sein kann, wenn ein gesellschaftlicher Konsens erreicht wird. Zweitens. Zwischenlager, keine Endlager: Bei allem, aufgrund der Geschichte auch gut nachvollziehbaren Streben danach, eine wirklich einvernehmliche Entscheidung zu erreichen, müssen wir uns aber auch stets bewusst sein, dass wir die Verpflichtung haben, bei der Suche nach einem geeigneten Standort auch zu Ergebnissen zu kommen. Denn: Zwischenlager dürfen keine Endlager werden. Dies können wir der Bevölkerung in den betroffenen Regionen nicht vermitteln. So ist zum Beispiel am Standort Isar II bei Landshut mit dem Zwischenlager BELLA nur eine Notlösung geschaffen, welche von uns nie gewollt und nun auch so schnell wie nur irgendwie möglich aufgelöst werden sollte. Drittens. Sinn und Zweck des Nationalen Begleitgremiums: Ein zentrales Element der Bürgerbeteiligungen an der neuen Endlagersuche soll das „Nationale Begleitgremium“ sein. Was genau kann man sich hierunter vorstellen? Das Nationale Begleitgremium soll eine unabhängige gesellschaftliche Instanz sein, dessen zentrale Aufgabe darin besteht, den Standortauswahlprozess zu begleiten, zu erklären und zu überwachen. Das Gremium soll sich vor allem durch Neutralität und Fachwissen auszeichnen und schlichtend zwischen den Akteuren des Standortauswahlverfahrens eingreifen können. Viertens. Gründe für die Änderung des Standortauswahlgesetzes: Bisher war im StandAG festgelegt, dass das Begleitgremium erst nach der Evaluierung des Gesetzes durch den Bundestag eingesetzt wird, und zwar auf Grundlage des Kommissionsberichtes. Nun besteht jedoch die Gefahr, dass zwischen der Abgabe des Berichts und dem Inkrafttreten des evaluierten StandAG der über die Jahre gewachsene, gute gesellschaftliche Dialog abreißen könnte. Sowohl bei den Kommissionsmitgliedern als auch bei allen an diesem Gesetzentwurf beteiligten Fraktionen hat die Befürchtung bestanden, dass durch diesen „Fadenriss“ der Konsensgedanke sowie mühsam aufgebautes Vertrauen wieder verloren gehen könnte. Dies gilt es unbedingt zu verhindern, weswegen wir uns fraktionsübergreifend auf die vorliegende Änderung des Standortauswahlgesetzes verständigt haben. Denn die gute und harte Arbeit der Kommission, der letzten Jahre, darf unter keinen Umständen zunichtegemacht werden. Sie muss unbedingt ihren Niederschlag im späteren Suchverfahren finden. Das Nationale Begleitgremium muss deshalb unbedingt „ab Tag 1“ der Standortauswahl einsatzbereit sein, auch wenn dies zunächst nur in einer „Brückenphase“ der Fall sein wird. In dieser Phase wird das Gremium zunächst aus neun Mitgliedern bestehen. Hiervon sollen sechs Mitglieder sich durch ein „gesellschaftlich hohes Ansehen“ auszeichnen und je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat vorgeschlagen werden. Zudem sollen dem Gremium zwei Bürger sowie ein Vertreter der „jungen Generation“ angehören. Die Amtszeit der Mitglieder wird auf drei Jahre begrenzt. Jedes Mitglied kann insgesamt dreimal berufen werden und soll keiner gesetzgebenden Körperschaft in Bund oder den Ländern sowie keiner Bundes- oder Landesregierung angehören. Auch sollen die Mitglieder keine wirtschaftlichen Interessen in Bezug auf die Standortauswahl oder die Endlagerung im weitesten Sinn haben. Fünftens. Stand der Arbeit der Koalition: In Absprache mit allen Fraktionen haben wir uns dafür entschieden, in Anpassung an die Wahl der Mitglieder der Endlager-Kommission die Personen direkt durch den Bundestag und Bundesrat wählen zu lassen. Zudem sollen die zwei Bürger sowie der Vertreter der jungen Generation durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit eingebracht werden. Sechstens. Schluss: Ich denke, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf haben wir eine gangbare Regelung gefunden, um die gute und konstruktive Arbeit der letzten Jahre offen und transparent sowie mit Beteiligung der Öffentlichkeit weiter fortzuführen. Deswegen werbe ich ausdrücklich um Zustimmung zu dem Gesetzentwurf. Dr. Matthias Miersch (SPD): Der Deutsche Bundestag setzt heute ein ganz wichtiges Signal. Mit ausdrücklicher Unterstützung aller im Bundestag vertretenen Fraktionen setzen wir heute ein unabhängiges Gremium ein, das die Suche nach einem atomaren Endlager aus Gemeinwohlperspektive aktiv begleiten soll. Wir nehmen damit Vorschläge bereits zu diesem frühen Zeitpunkt auf, die in der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe erarbeitet worden sind. Kräftig ist im Vorfeld über die Kompetenz eines solchen Gremiums diskutiert worden. Nachdem wir als Berichterstatter den Vorschlag gemacht haben, wurden wir von Rechtsprofessoren massiv kritisiert. Es hieß sogar, unser Vorschlag sei mit der Verfassung nicht vereinbar. Wir würden in die Gewaltenteilung eingreifen wollen. Diese Kritik offenbart, dass die Lehren aus einem jahrzehntelangen Holzweg in der Endlagersuche in Deutschland immer noch nicht allseits anerkannt werden. Es geht nicht um die Schwächung von Politik und Verwaltung. Es geht darum, jahrzehntelang gewachsenes – und in der Endlagerfrage auch begründetes – Misstrauen in staatliche Strukturen wettzumachen. Das wird nur durch deutliche Signale der Vertrauensbildung erreicht werden können. Diese müssen auch institutionell abgesichert werden. Insoweit ist das Nationale Begleitgremium ein Mosaikstein in einer neuen Kultur der Transparenz und des Lernens. An den Kompetenzen der Gewalten in unserem Verfassungssystem wird nicht gerüttelt. Aber wir setzen auf ein unabhängiges Gremium, das den Prozess von Beginn an begleitet, fragt und Empfehlungen aussprechen kann. Es kann wissenschaftliche Expertise anfordern und Defizite klar benennen, wenn sie denn auftreten. Dabei geht es um die gesamtgesellschaftliche Perspektive. Insoweit ist es wichtig, dieses Gremium jetzt auf den Weg zu bringen und nicht erst, wenn Bundestag und Bundesrat die Empfehlungen der Endlagerkommission ausgewertet haben. Bereits jetzt werden Behörden gebildet. Auch das bringen wir heute auf den Weg, sodass die Begleitung auf Augenhöhe von Anfang an entscheidend ist. Dabei greifen wir direkt auch Vorschläge auf, die direkt aus den Workshops der Kommission heraus entstanden sind. Von den zunächst eingesetzten neun Mitgliedern des Nationalen Begleitgremiums werden drei nach dem Zufallsprinzip ausgewählt. Darunter wird auch eine Vertreterin oder ein Vertreter der jüngeren Generation sein. Sicher, Zufallsbürger sind kein Garant für ein faires Verfahren. Viele Beispiele – bis hin zu der Erarbeitung von Verfassungen in anderen Staaten – belegen aber, dass Zufallsbürger den Prozess positiv beeinflussen können. Der Begründungsdruck wird gesteigert. Die Anforderungen an Plausibilität und Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen werden erhöht. Insoweit ist auch diese Entscheidung ein wichtiger Schritt, dass wir Neues wagen. Wie schon erwähnt, werden wir mit dem Gesetz heute auch die Behördenstruktur neu regeln. Diese Novellierung basiert ebenfalls auf einem Beschluss der Endlagerkommission. Entscheidende Neuerung dabei ist die Entprivatisierung der atomaren Entsorgungsaufgaben. Denn die deutsche bundeseigene Gesellschaft für kerntechnische Entsorgung, kurz die BGE, wird als Vorhabenträger im Bereich der Endlagersuche fungieren und damit Aufgaben des Bundesamtes für Strahlenschutzes übernehmen, das sich bislang privater Gesellschaften als Verwaltungshelfer bedienen musste. Da die Verträge zum Teil aus den 80er-Jahren stammen und der monopolistischen Aufgabe entsprechend gestaltet sind, wird mit der nun angestrebten Neuordnung auf lange Sicht erhebliches Einsparpotenzial verbunden sein. Durch die Strukturänderung agiert das Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE) zukünftig vollständig getrennt von der für die Auswahl, die Errichtung, den Betrieb und die Stilllegung von Endlagern sowie der für die Schachtanlage Asse II zuständigen Organisationseinheit. Die Verwaltung wird dadurch effizienter und transparenter das Verfahren steuern. Zudem haben wir für Planungssicherheit bei den Beschäftigten der DBE und der Asse GmbH gesorgt. Machen wir uns nichts vor: Die Suche nach einem atomaren Endlager wird noch ein sehr langer Weg. Es geht um ganz viel. Viel Vertrauen ist in der Vergangenheit zerstört worden. Gerade deshalb müssen wir unserer Verantwortung auch gegenüber nachfolgenden Generationen gerecht werden. Die Einsetzung des Nationalen Begleitgremiums ist ein erster wichtiger Schritt. Hubertus Zdebel (DIE LINKE): Wieder einmal beschäftigt sich der Bundestag mit dem Thema Atommüll, wie die radioaktiven Abfälle unter Kontrolle zu bringen und wie sie dauerhaft und möglichst sicher zu lagern sind. Das nukleare Erbe einer unverantwortlichen Energiepolitik, die niemals hätte begonnen werden dürfen und mit der sich noch viele Generationen abquälen müssen. Meine Fraktion hat das Standortauswahlgesetz bei seiner Einbringung 2013 abgelehnt, und daran halten wir auch weiterhin fest. Noch ist die Kommission bis nächste Woche dabei, ihre Empfehlungen zur Evaluation dieses Gesetzes zu beschließen. Aber ich verrate hier kein Geheimnis, wenn ich sage: Wir sind sehr skeptisch, dass die von uns und vielen Antiatomorganisationen kritisierten schweren Mängel in dem Gesetz tatsächlich beseitigt werden. Meine Fraktion Die Linke wird sich heute in der Abstimmung des anstehenden Änderungsantrages zum Standortauswahlgesetz enthalten. Wir unterstützen ausdrücklich die Initiative, ein nationales Begleitgremium für die Bürgerbeteiligung bei der Suche nach einem Atommüll-Dauerlager vorzuziehen. Dies haben wir gemeinsam mit den Berichterstattern der anderen Fraktionen auf den Weg gebracht, denn damit wird eine Lücke bei der Öffentlichkeitsbeteiligung geschlossen. Wir finden es auch richtig, wenn im Zuge der veränderten Behördenstrukturen die Deutsche Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe (DBE), die zu 75 Prozent den AKW-Betreibern gehört, nicht mehr Teil des Verfahrens sein wird. Denn dieses muss in verstaatlichten Strukturen ablaufen. Wir enthalten uns dennoch, weil mit dem „Bundesamt für kerntechnische Entsorgung“ eine Superbehörde beim Bundesumweltministerium entstehen soll, die nur sinnvoll ist, wenn es als Ausgleich sehr starke Bürgerrechte und vor allem Klagerechte für die künftig Betroffenen gibt. Dazu liegt uns derzeit nichts vor, die Endlagersuchkommission strickt noch an Vorschlägen, aber wir müssen befürchten, dass es diese erforderlichen starken Bürger- und Klagerechte am Ende nicht geben wird. Wenn es gelingen soll, den seit Jahrzehnten andauernden schweren gesellschaftlichen Atomkonflikt zu überwinden, dann gehört zu dem oft behaupteten Neustart bei der Endlagersuche aus meiner Sicht unbedingt dazu, eine Politik staatlicher und wirtschaftlicher Machtdurchsetzung zu beenden. Frau Umweltministerin Hendricks. Sie haben der Antiatombewegung jüngst bescheinigt, dass sich diese um „unser Land verdient gemacht“ hat, weil sie die „Risiken einer zu gefährlichen Art der Energieerzeugung“ nicht hingenommen hat. Für diese Worte danke ich Ihnen. Aber lassen Sie mich auch feststellen: Atomkraftgegner haben nicht nur „Schmähungen“, wie Sie sagen, ertragen müssen. Sie sind immer wieder mit massiver Staatsgewalt, mit Kriminalisierung, Demonstrationsverboten und vielem mehr konfrontiert worden. Diese Antiatombewegung hat aufgrund vieler – oft sehr persönlicher – Erfahrungen gute Gründe, staatlichem Agieren gegenüber sehr misstrauisch zu sein. Daher braucht es auch mehr als nur warmer Worte und Beteuerungen, wenn es bei der Atompolitik tatsächlich um einen Neustart gehen soll. Es ist jedenfalls nicht sonderlich überzeugend, von Neustart zu sprechen, wenn im gleichen Moment die Haftung der Atomkonzerne für die Finanzierung der Atommüllberge letztlich abgeschafft wird und den Bürgerinnen und Bürgern im Wendland erklärt wird, dass Gorleben weiter im Rennen bleibt. Das schafft kein Vertrauen und keinen Neuanfang. Ein Neustart braucht nicht nur Worte, sondern konkrete Taten: Deshalb muss Gorleben aus dem Verfahren genommen werden, und deshalb braucht es zum Ausgleich einer zentralisierten Behördenstruktur starke Bürger- und Klagerechte. Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vor zwei Jahren wurde auf Basis des Standortauswahlgesetzes eine Kommission aus Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft eingesetzt, die unter anderem auch den Auftrag hatte, das gerade beschlossene Gesetz zu evaluieren. Dem sind wir in aller Ausführlichkeit nachgekommen. Wenn die Kommission am kommenden Montag ihre Arbeit mit Beschluss ihres Berichtes abschließt, dann werden Bundestag und Bundesrat nicht nur Empfehlungen für neue Partizipationsstrukturen übergeben, nicht nur Kriteriensätze für die sicherheitsorientierte Standortauswahl, sondern auch viele weitere Empfehlungen zum Rechtsschutz, zum Exportverbot von Atommüll, zur Behördenstruktur – um nur die Herausragendsten zu nennen. Zwei Teile dieses umfassenden Konvoluts legen wir bereits heute vor. Zwei Teile, deren Implementierung bereits vor Beginn der Standortsuche nötig ist. Es geht einmal um das Nationale Begleitgremium und zum anderen um die Behördenstruktur. Ich begrüße es sehr, dass wir bei der vorgezogenen Einsetzung des Nationalen Begleitgremiums einen Konsens über alle Bundestagsfraktionen hinweg erzielen konnten. Dies ist ein gutes Zeichen und gibt Hoffnung, dass alle politischen Kräfte bei dem so herausfordernden wie singulären Projekt einer vergleichenden Endlagersuche konstruktiv an der Erreichung des Ziels mitwirken. Es wird alle Kräfte brauchen, um die Endlagersuche am Ende nicht in einen Bürgerkrieg münden zu lassen, sondern durch Transparenz, Partizipation und nachvollziehbare Sicherheitsorientiertheit der Akzeptanz eine Chance zu geben. Das Nationale Begleitgremium wird hierbei ein unverzichtbarer Akteur sein. Als gemeinwohlorientierter Vermittler und Beobachter soll es der Behörde und dem Vorhabenträger beratend zur Seite stehen und darauf achten, dass das Verfahren entsprechend der gesetzlichen Vorgabe und den Empfehlungen der Kommission umgesetzt wird. Das Gremium wird eine moralische Instanz sein, vergleichbar dem Ethikrat, das die Rechte aller Betroffenen und übrigens auch der nachfolgenden Generationen im Blick haben wird. Dieses Gremium ist ganz ausdrücklich keine Vertretung irgendwelcher Einzelinteressen, weshalb dort auch keine Vertreter betroffener Regionen Mitglieder sein sollen. Diese wirken in anderen Beteiligungsgremien und Formaten wie den Regionalkonferenzen oder dem Rat der Regionen mit. Anders als in der Endlagerkommission, in der es darum ging, die diversen Akteure der Gesellschaft, die ein Interesse an der Entwicklung des Suchverfahrens haben, zusammenzubringen, geht es im Nationalen Begleitgremium darum, Personen zu finden, denen von einem möglichst großen Teil der Gesellschaft hohes Vertrauen und Wertschätzung entgegengebracht wird. Sie werden zwei Drittel des Nationalen Begleitgremiums ausmachen. Das dritte Drittel soll von „Zufallsbürgern“ gebildet werden. Einer der Schlüsselbegriffe der neuen Standortsuche ist das „Lernende Verfahren“. Aus Fehlern zu lernen, aber auch die Bereitschaft, Dinge anders zu machen, als man sie immer gemacht hat, weil es genügend Hinweise gibt, dass es anders besser ist, das wird für das Gelingen des großen und langwierigen Verfahrens notwendig sein. Wir haben – soweit wir dazu fähig waren – schon mal damit angefangen. Auch mit dem Zufallsbürger schlagen wir Neues vor. Die Idee wurde aus den Beteiligungsformaten an der Kommissionsarbeit an uns herangetragen, und wir wollen sie umsetzen. Es ist sehr schade, dass die Linke, anders als bei der vorgezogenen Einsetzung des Nationalen Begleitgremiums, der Neuorganisation der Behördenstruktur nicht zustimmen will. Mit der neuen Struktur schaffen wir Klarheit. Die Befürchtung der Linken, wir würden eine Superbehörde schaffen, die schwer zu kontrollieren ist, ist in meinen Augen nicht begründet. Das Auswahlverfahren wird in seinem Verlauf immer wieder an Bundestag und Bundesrat zurückgegeben, die sich mit den Vorschlägen der Behörde befassen und sowohl über die Standorte zur obertägigen und untertägigen Erkundung als auch über den endgültigen Standort per Gesetz entscheiden. Das letzte Wort hat also der Gesetzgeber. Die Endlagerkommission hat bei der Neuorganisation der Behördenstruktur Lehren aus der Vergangenheit gezogen. Es soll – anders als noch im Standortauswahlgesetz von 2013 festgelegt – nur eine Bundesbehörde für die Endlagersuche geben, die für Aufsicht und Genehmigung zuständig ist. Der Vorhabenträger wird eine neue bundeseigene Gesellschaft sein, die zu 100 Prozent in öffentlicher Hand sein wird und deren zukünftige Privatisierung ausgeschlossen ist. Die Energieversorgungsunternehmen, die über ihre Tochter GNS die bisherige Endlagerbaugesellschaft DBE zu 75 Prozent besitzen, werden an Endlagersuche und Endlagerbau also nicht mehr beteiligt sein. Diese Struktur beschließen wir heute, allerdings harrt die mögliche Umsetzung noch der dafür notwendigen Gespräche mit den Energieversorgern. Die Verhandlungen wurden, als die Atomfinanzierungskommission KFK eingerichtet wurde, auf Eis gelegt. Über die Ergebnisse der KFK wird an anderer Stelle noch zu reden sein. Die Gespräche mit den Energieversorgern sollten jetzt dringend wieder aufgenommen werden. Der heute vorgelegte Gesetzentwurf ist nur ein kleiner Teil dessen, was die Endlagerkommission empfiehlt. Dass sowohl in der Vorbereitung des Gesetzentwurfs wie auch in der Beratung im Umweltausschuss große Einigkeit herrschte, nehme ich als gutes Zeichen für die große Novelle des Standortauswahlgesetzes, die wir im Herbst vor uns haben. Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Wir haben uns in der letzten Legislaturperiode parteiübergreifend ein sehr großes Ziel vorgenommen: Nach dem endgültigen Ausstieg aus der Atomenergie in wenigen Jahren in Deutschland wollen wir mit den atomaren Hinterlassenschaften verantwortungsvoll und in größtmöglichem gesellschaftlichen Konsens umgehen. Bis Mitte des Jahrhunderts soll ein Endlager für die hochradioaktiven Abfälle gefunden und fertiggestellt werden. Die Koalition hat vereinbart, in dieser Legislaturperiode die Lösung der Endlagerfrage ein großes Stück voranzubringen. Nur wenn wir von Anfang an darauf achten, dass alle Schritte sorgsam und zeitgerecht gegangen werden, wird es möglich sein, den zwar lang erscheinenden, tatsächlich aber doch ambitionierten Zeitplan einzuhalten. Wir haben uns das Thema nicht selbst ausgesucht, aber wir sehen das als unsere Verantwortung gegenüber den Generationen an, die nach uns kommen. Eine der drängenden Aufgaben ist die Fertigstellung des Endlagers Konrad für die schwach- und mittelradioaktiven Abfälle. Dass es in der Vergangenheit aus verschiedensten Gründen zu Verzögerungen gekommen ist, ist zwar bedauerlich, aber „Bauen im Bestand“ birgt immer auch zeitliche Risiken; das ist nicht zu ändern. Was verbessert werden kann und muss, ist die Organisation im Bereich der Endlagerung, die im Moment noch auf Entscheidungen aus den 70er-Jahren beruht. Sie gewährleistet heute keine effiziente Erledigung der hochkomplexen Endlageraufgaben mehr. Wir wollen optimale Bedingungen für die Suche nach einem Endlagerstandort insbesondere für Wärme entwickelnde Abfälle schaffen. Deswegen wird der fraktionsübergreifende Gesetzentwurf zur Änderung des Standortauswahlgesetzes von der Bundesregierung vollumfänglich mitgetragen. Der vorliegende Gesetzentwurf zielt darauf ab, die Zuständigkeiten eindeutig zuzuordnen und eine effizientere Aufgabenerledigung zu gewährleisten. Die Betreiber- und Betriebsführungsaufgaben, die bislang durch das Bundesamt für Strahlenschutz einerseits und die Verwaltungshelfer DBE mbH und Asse GmbH andererseits wahrgenommen wurden, werden zukünftig auf eine bundeseigene, privatrechtliche Gesellschaft übertragen. Dadurch werden „lange Wege“ zwischen Vorhabenträger und Verwaltungshelfer beseitigt, was völlig richtig und sinnvoll ist. Auf behördlicher Seite werden die Genehmigungs- und Aufsichtsaufgaben im Bundesamt für kerntechnische Entsorgung konzentriert. Durch die Trennung von Betreiberaufgaben und Regulierungsaufgaben werden die Zuständigkeiten eindeutig festgelegt. Außerdem kann die Zulassungs- und Aufsichtsbehörde so vollständig unabhängig agieren. Und schließlich wird das Bundesamt für Strahlenschutz als eigenständige Bundesoberbehörde erhalten und sich ausschließlich auf die vielfältigen Fragen des Strahlenschutzes konzentrieren können, die in der öffentlichen Wahrnehmung in der Vergangenheit häufig im Schatten der Entsorgungsfragen standen. Mit dem vorliegenden Gesetz setzen wir übrigens auch einen entsprechenden Beschluss der Endlagerkommission um. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, den Mitgliedern der Endlagerkommission, aber auch den involvierten Behörden BfS und BfE für die geleistete Arbeit bei der Neuorganisation herzlich zu danken. Der Deutsche Bundestag hat die Kommission 2014 eingesetzt, mit dem Ziel, die Entscheidungsgrundlagen für ein Standortauswahlverfahren zu entwickeln. Die Arbeit dort läuft sehr konstruktiv. Wir erwarten, dass die Beratungen noch in diesem Monat abgeschlossen und der Bericht im Anschluss vorgelegt werden kann. Der Gesetzentwurf sieht auch vor, das Nationale Begleitgremium für den Standortauswahlprozess vorzeitig einzusetzen, damit der Faden der gesellschaftlichen Beteiligung nicht abreißt. Dadurch kann die gemeinwohlorientierte Begleitung des beginnenden Auswahlverfahrens fortgeführt werden, die ursprünglich erst nach der Evaluierung des Standortauswahlgesetzes vorgesehen war. Die Aufgabe dieses Gremiums wird vor allem eine vermittelnde und unabhängige Begleitung des Prozesses sein. Ich bin der festen Überzeugung, dass ein Konsens bei der Suche nach einem Standort für ein Endlager möglich ist. Ein Konsens kann gelingen, wenn alle Beteiligten bis zum Schluss vertrauensvoll zusammenarbeiten – und der Prozess für die Öffentlichkeit transparent gestaltet wird. Neben der offenen Diskussion, die für mich selbstverständlich ist, machen klare Organisationsstrukturen die Sache besser und verständlicher. Die Atomkraft bindet uns bis in alle Ewigkeit an die Folgen einer Technologie, die gerade einmal 60 Jahre lang in Betrieb war. Wir haben die Verpflichtung, den kommenden Generationen dieses Problem in geordneter Weise zu übergeben. Das heute vorgelegte Gesetz wird uns dabei nachdrücklich helfen. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Sozialen Basisschutz in Entwicklungsländern schaffen (Tagesordnungspunkt 21) Dr. Georg Kippels (CDU/CSU): 1948 wurde in der Allgemeinen Menschenrechtserklärung das Recht auf soziale Sicherheit aufgenommen. Funktionierende soziale Sicherungssysteme sind dafür zwingend notwendig. Soziale Sicherungssysteme entstehen aber nicht über Nacht. Ein funktionierendes System muss wachsen, es muss aus dem individuellen Staat heraus gebildet werden. Wie aus dem ILOBericht von 2015 hervorgeht, werden diesem Ideal heute nur 27 Prozent der weltweiten Staaten mit einem umfassenden sozialen Sicherungssystem gerecht. 73 Prozent haben nur partielle oder gar keine Deckung. Blicken wir in unsere eigene Vergangenheit, zeigt sich der Grundstein des deutschen Sozialstaates in der Verkündung der sogenannten „Kaiserlichen Botschaft“ durch Reichskanzler Otto von Bismarck am 17. November 1881. Meilensteine waren 1883 die Krankenversicherung, 1884 die Unfallversicherung, 1889 die Rentenversicherung. Dem folgte ein langer Weg mit den Lehren aus zwei Weltkriegen, der zum modernen sozialen Netz der Bundesrepublik geführt hat. Damit zeigt sich, dass auch eines der heute am besten ausgebauten Systeme sozialer Sicherung einen langen und steinigen Weg hinter sich bringen musste, um zu dem zu werden, was es ist. Zudem entstand unser eigenes System der sozialen Sicherung durch innenpolitischen Druck. Dieser wurde zum einen durch die Industrialisierung und Verarmung weiter Bevölkerungskreise und zum anderen als Reaktion auf einen erstarkenden Sozialismus, dem Bismarck durch die Einführung der Versicherungen den Wind aus den Segeln nehmen wollte, verursacht. Also war auch in unserer eigenen Geschichte nicht ein Ideal Ausgangspunkt für die Etablierung der sozialen Sicherung, sondern machtpolitische Erwägungen und die Erkenntnis bzw. Prognose der gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Vorteile, die eine soziale Sicherung bringen würde. Und genau diese Erkenntnis der Vorteile der Einführung eines Systems der sozialen Sicherung ist es, die wir aus unserer über hundertjährigen Erfahrung weitergeben müssen. Diese Erkenntnisse um die Entstehungsgeschichte müssen aber auch in der Umsetzung im Rahmen der Entwicklungspolitik beachtet werden. Soziale Sicherung steht nicht im freien Raum des Staates, sondern muss sowohl in der Gesellschaft als auch im politischen Raum manifestiert werden. Soziale Sicherung ist nie Selbstzweck, sondern ein Baustein für ein funktionierendes Gemeinwesen. Daran müssen sich dann aber auch die sonstigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen orientieren. Sonst verfehlt die soziale Sicherung ihren Zweck, Nachteile auszugleichen und Menschen zu schützen. Die Etablierung von sozialer Sicherung ersetzt aber vor allem nicht die weiter gehende Entwicklungspolitik, die den Aufbau eines tragfähigen und leistungsfähigen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems zum Ziel haben muss, aus dem dann die sozialen Sicherungssysteme dauerhaft gespeist werden. Die gewissermaßen im staatlichen Entwicklungsprozess vorgezogene Einrichtung sozialer Sicherungssysteme dient der Beschleunigung des Vorgangs, weil die Lasten der Entwicklung reduziert werden. Dies gilt vor allem dann, wenn durch ein stetiges und zunehmendes Bevölkerungswachstum das notwendige Wirtschaftswachstum nicht Schritt zu halten vermag. Es besteht mithin eine Wechselwirkung zwischen sozialer Sicherung und Entwicklungsprozess. Seit der Millenniumentwicklungserklärung im Jahr 2000 hat sich die Weltgemeinschaft entschlossen, mit konkreten Zielen ihren eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Die Verwirklichung der Bekämpfung von extremer Armut und Hunger, der allgemeinen Grundschulbildung, die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter, die Senkung der Kindersterblichkeit, die Verbesserung der Müttergesundheit, die Bekämpfung von HIV/Aids, Malaria und anderen, die Sicherung der ökologischen Nachhaltigkeit, der Aufbau einer weltweiten Entwicklungspartnerschaft sind nicht vorzustellen ohne den Aufbau sozialer Sicherungssysteme. Die 2015 verabschiedeten Nachhaltigkeitsziele nehmen noch konkreter Bezug auf die Etablierung von sozialer Sicherheit. SDG 1.3 fordert, den nationalen Gegebenheiten entsprechende Sozialschutzsysteme und -maßnahmen für alle umzusetzen, einschließlich eines Basisschutzes, und bis 2030 eine breite Versorgung der Armen und Schwachen zu erreichen. SDG 3.8 fordert eine allgemeine Gesundheitsversorgung, einschließlich der Absicherung gegen finanzielle Risiken, den Zugang zu hochwertigen grundlegenden Gesundheitsdiensten und den Zugang zu sicheren, wirksamen, hochwertigen und bezahlbaren unentbehrlichen Arzneimitteln und Impfstoffen für alle. SDG 5.4 fordert, die unbezahlte Pflege- und Hausarbeit durch die Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen und Infrastrukturen, Sozialschutzmaßnahmen und die Förderung geteilter Verantwortung innerhalb des Haushalts und der Familie entsprechend den nationalen Gegebenheiten anzuerkennen und zu wertschätzen. Deshalb fordern wir in unserem Antrag unter Betrachtung der länderspezifischen Gegebenheiten speziell den Auf- und Ausbau von Verwaltungs- und Steuersystemen sowie den Aufbau und die Stärkung von Gesundheitssystemen. Dabei steigt und fällt der Erfolg aller Bemühungen mit der Bereitschaft der Schwellen- und Entwicklungsländer, Eigenverantwortung zu übernehmen und zur Verfügung gestellte Mittel der Anschubfinanzierung verantwortungsvoll und nachhaltig zum Wohle ihrer Bevölkerung zu verwenden. Modellrechnungen zeigen schon heute, dass auch Schwellen- und Entwicklungsländer mithilfe einer Anschubfinanzierung sozialen Basisschutz bereitstellen können. Die Vorteile von Sozialschutzsystemen für eine nachhaltige Entwicklung sind mannigfaltig. Betrachtet man die Entwicklungschancen eines Kindes, das in einem Land mit sozialen Sicherungssystemen aufwächst, zeigt sich deren immenser Einfluss auf das Leben der Menschen. Mit der Absicherung im Krankheitsfall, bei Arbeitsunfällen oder Invalidität und der daraus resultierenden Einkommenssicherheit kann Kinderarbeit verhindert werden. Sind Familien nicht auf das Einkommen ihrer Kinder angewiesen, sind die Lebensverhältnisse von Familien nicht äußerst prekär, verbessern sich Chancen der Kinder zu einem erfolgreichen Schulbesuch und in der Konsequenz auch zu einer qualifizierten Beschäftigung mit besseren Erwerbschancen. Bieten Staaten funktionierende Gesundheitssysteme, wird ein Kind von der Geburt an betreut, steigt seine Chance auf ein gesundes und produktives Leben und einen erfolgreichen Besuch der Schule erheblich. Der Druck auf Frauen, möglichst viele Kinder zu gebären, sinkt, da die Überlebenschance eines Kindes wesentlich größer ist. Auch ein Rentensystem senkt zudem den Druck, möglichst viele Kinder zu bekommen, um die Eltern im Alter zu versorgen. Bekommen Frauen weniger Kinder, sind sie wirtschaftlich leistungsfähiger und tragen zur Prosperität eines Staates bei. Wirtschaftliche Kraft und damit Einfluss tragen auch zu mehr Gleichberechtigung bei und fördern damit Demokratie. Lassen Sie uns deshalb mit unserem Antrag die Bedeutung der steten Förderung von sozialen Sicherungssystemen in der deutschen Entwicklungspolitik ebenso unterstreichen wie die stete Forderung nach Übernahme der Verantwortung für das Wohlergehen der eigenen Bevölkerung durch die Entwicklungs- und Schwellenländer. Die internationale Gemeinschaft kann Bewusstsein schaffen und beim Start helfen. Für nachhaltigen Erfolg können nur die Länder selbst sorgen. Stefan Rebmann (SPD): Wenn in unserem Land von sozialen Sicherungssystemen die Rede ist, dann denkt eine große Mehrheit wohl an notwendige Reformvorhaben. Zu Recht. Was wir uns aber nur selten vor Augen halten: Was für uns selbstverständlich ist, nämlich überhaupt über ein System von Arbeitslosigkeits-, Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung zu verfügen, auch wenn es unbestreitbar nachjustiert werden muss, existiert für einen Großteil der Menschen weltweit gar nicht. Dabei ist das Recht jedes Einzelnen auf soziale Sicherheit ein seit 1948 auch in der Allgemeinen Erklärung für Menschenrechte der UN verbrieftes Menschenrecht. Leider aber ein unverwirklichtes, denn noch immer leben 73 Prozent der Weltbevölkerung ohne umfassende soziale Absicherung. Bis zu 90 Prozent der Bevölkerung in Niedriglohnländern leben ohne jegliche Absicherung bei Arbeitslosigkeit; 48 Prozent weltweit besitzen keine soziale Sicherung im Alter. Und jeden Tag sterben 18 000 Kinder, vor allem an vermeidbaren Ursachen, die durch eine angemessene soziale Sicherung effektiv bekämpft werden könnten. Was das konkret bedeutet, schilderten mir vor ein paar Tagen erst Gewerkschaftsgäste aus Ecuador und Costa Rica eindrucksvoll anhand der Arbeit auf Bananen- und Ananasplantagen in ihren Ländern. 10- bis 14Stundentage schwerer körperlicher Arbeit, stets ausgesetzt den aus aggressiven Chemikalien bestehenden Pestiziden zum Insektenschutz bei Pflanzen und Hungerlöhnen, die für Frauen noch mal halbiert werden. Sexuelle Übergriffe auf Frauen während der Arbeit gehören zum Alltag – wer sich wehrt, bekommt eine Extraschicht, das Gehalt gekürzt oder im schlimmsten Fall die Kündigung. Gleiches gilt für Arbeiterinnen und Arbeiter, die versuchen, sich in Betriebsräten oder Gewerkschaften zu organisieren. Die fehlende Absicherung macht gefügig. Seit 80 Jahren werden in Ecuador Bananen angebaut und exportiert – kein Plantagenarbeiter ist je in Rente gegangen. Ein solider Basisschutz würde diesem weit verbreiteten Phänomen von prekärer Arbeit und weitgehender Abhängig- und Schutzlosigkeit entschieden entgegenwirken. Es ist erwiesen, dass bereits minimale Anstrengungen im Bereich eines Basisschutzes, der freilich später auszubauen sein sollte, verblüffende Effekte erzielen. Als Beispiele zu erwähnen sind hier, erstens, die konditionierten Geldtransfers in Brasilien (Bolsa Familia), Mexiko und anderen lateinamerikanischen Ländern, die eine Art Sozialhilfe in der Weise eingeführt haben, dass sie Familien ein Mindesteinkommen sichern, wenn sie ihre Kinder zur Schule bzw. zum Arzt schicken. Zweitens. Ebenso scheinen in einigen Ländern aber auch bedingungslose Transfers zu funktionieren. So hat Lesotho im südlichen Afrika eine staatliche Grundrente für alle Menschen ab 70 Jahren eingeführt. Diese Grundrente ist verglichen mit unseren Standards zwar sehr bescheiden, sie hilft aber durchaus insofern, als alte Menschen ihren Familien nicht mehr zur Last fallen müssen und nicht selten sogar die eine oder andere, zum Beispiel schulische Investition für ihre Enkelkinder tätigen können. Drittens. Und Indien hat einen Versuch unternommen, eine steuerfinanzierte Krankenversicherung einzurichten, die arme Menschen absichert, Menschen mit mittleren Einkommen bezuschusst und die wohlhabende Schichten selbst finanzieren müssen. Leider scheint die Umsetzung hier noch nicht optimal, aber was nicht ist, kann ja hoffentlich noch werden. Ich finde, diese Beispiele machen Mut. Und sie sollten uns ermutigen, unsere Partner und Partnerinnen in Entwicklungs- und Schwellenländern beim Auf- und Ausbau ihrer individuellen sozialen Sicherungssysteme mit unser Expertise – aber ohne ihnen unser konkretes Modell aufdrücken zu wollen –, mit technischem Know-how und bei Bedarf auch phasenweise mit finanziellen Investitionen zu unterstützen. Denn eine soziale Grundsicherung ist eines der effektivsten Mittel gegen Armut und Ungleichheit. Sie gibt dem Individuum Sicherheit und damit Perspektive, ist ökonomisch sinnvoll, weil nur wer mindestabgesichert ist, investiert; sie ist gesellschaftlich sozial und ist last, but not least auch politisch nützlich. Denn ein Staat, der seinen Bürgerinnen und Bürgern Schutz vor Lebensrisiken gibt, wird im Gegenzug eher Vertrauen und Legitimität erhalten. Soziale Sicherung ist eine zentrale Voraussetzung für gutes Leben. Weltweit. Lassen Sie uns deshalb den Antrag zur Unterstützung unserer Partnerländer im globalen Süden beim Auf- und Ausbau ihrer individuellen sozialen Sicherungssysteme gemeinsam annehmen. Niema Movassat (DIE LINKE): Der vorliegende Koalitionsantrag mit dem schönen Titel „Sozialen Basisschutz in Entwicklungsländern schaffen“ reiht sich ein die die Sammlung wohlklingender Bundestagsanträge ohne jegliche Konsequenz. Die Einleitung könnte ebenso gut einem Antrag der Linken voranstehen. Sie verweist darauf, dass soziale Sicherheit ein Menschenrecht ist, das die Vereinten Nationen 1948 nach der Barbarei zweier Weltkriege deklariert haben – auf den VNSozialpakt von 1966, die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, die in den nächsten 14 Jahren die extreme Armut weltweit beseitigen will. Alles richtig, wichtig, schön und gut. Das Problem ist nur, die konkrete Politik der Bundesregierung hat national als auch international vor allem ein gemeinsames Merkmal: Sie schwächt soziale Sicherungssysteme. Sie konzentriert Reichtum in immer weniger, immer reicheren Händen. Im Umkehrschluss führt sie zu immer weniger sozialer Sicherheit für immer mehr Menschen. Gleichzeitig haben Union, SPD gemeinsam mit FDP und Grünen in Deutschland die einst gut funktionierenden Sozialversicherungen in den letzten Jahren abgeholzt. Sie haben die Mittelschicht dezimiert und weite Teile der Bevölkerung abgehängt, indem sie reine Konkurrenz gepredigt und jeden ganz alleine für sein eigenes Wohl verantwortlich erklärt haben. In dieser Logik stärken soziale Sicherungssysteme vor allem das Humankapital und erleichtern so den Strukturwandel in Volkswirtschaften, wie es in dem Antrag heißt. Sozialer Friede basiert aber auf Solidarität. Solidarität bedeutet, dass man Schwächeren zur Seite steht, auch wenn es einem selbst vielleicht Nachteile bringt. Die Wirtschafts- und Entwicklungspolitik der Bundesregierung dient aber vor allem der deutschen Wirtschaft. Credo bei der Entwicklungszusammenarbeit ist: Für jeden Euro, den wir investieren, fließen drei nach Deutschland zurück. Wer also an Entwicklungszusammenarbeit vor allem noch verdienen will, zeigt sein wahres Gesicht. Da hilft es dann auch nichts, sich verbal für soziale Basisgesundheitssysteme auszusprechen. Gerade erst hat der Bundesverband der Deutschen Industrie für eine noch stärkere staatliche Unterstützung bei Investitionen in Entwicklungsländern geworben. Entwicklungshelfer müssten deutschen Unternehmen beim Zugang zu Märkten helfen. Das ist deshalb absurd, weil die Bundesregierung und die EU genau das seit Jahrzehnten bis zum Exodus einheimischer Wirtschaftszweige in Entwicklungsländern exerzieren. Altbekanntes Beispiel ist der Export von subventioniertem Milchpulver in afrikanische Länder. Wenn die dort ansässigen Milchproduzenten ihre Existenzgrundlage zugunsten der europäischen Milchwirtschaft verlieren, brauchen sie erst gar keine Sozialtranfers. Bevor die Bundesregierung die Symptome bekämpft, sollte sie lieber die Ursachen beseitigen. Der Antrag fordert kaum konkrete Handlungen, sondern beschränkt sich fast ausschließlich auf allgemeine Appelle. Wenn die Koalition fordert, die Bundesregierung solle sich für den Aufbau und die Stärkung von Gesundheitssystemen in Entwicklungsländern einsetzen, sage ich Ihnen: Halten Sie doch erst mal ihr 0,7Prozent-Entwicklungshilfequote-Versprechen und erhöhen Sie endlich die Budgethilfe, statt weiter zahllose fremdbestimmte Einzelprojekte in den Ländern des Südens unter Einbindung etwa der Pharmaindustrie durchzuführen. Wenn die Koalition fordert, die Partnerländer beim Aufbau effizienter Steuersysteme zu unterstützen, sage ich Ihnen: Verpflichten Sie deutsche Unternehmen doch endlich zu einer öffentlichen Country-by-Country-Berichterstattung über grundlegende Geschäftszahlen, damit Unternehmen aus den reichen Industriestaaten nicht länger bis zu 200 Milliarden Dollar jährlich an Steuerzahlungen an Entwicklungsländer vermeiden oder hinterziehen. Wenn die Koalition fordert, den Kampf gegen die Korruption in den Ländern des Südens zu unterstützen, sage ich Ihnen: Räumen Sie doch erst mal bei VW und in anderen deutschen Großkonzernen auf – zur Korruption braucht es immer zwei –, und bringen Sie doch hierzulande erst mal ein paar vernünftige Antikorruptionsgesetze auf den Weg. Von Worten zu Taten ist es ein weiter Weg, sagt ein deutsches Sprichwort. Leider macht sich die Bundesregierung mit diesem Antrag immer noch nicht auf den Weg. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich begrüße sehr, dass die Koalition das Thema soziale Sicherung mit dem vorliegenden Antrag endlich aufgreift. Eine entsprechende Initiative war längst überfällig. Nach wie vor wird der Bereich soziale Sicherung viel zu stiefmütterlich von dieser Bundesregierung behandelt. Wir haben bereits 2012 im Rahmen eines Antrags einen Aktionsplan zum Aufbau sozialer Sicherungssysteme weltweit gefordert. Geschehen ist in diesem Zusammenhang leider immer noch viel zu wenig. Auch mit dem vorliegenden Antrag benennen Sie zwar die bestehenden Defizite teils deutlich, verpassen aber die Chance, konkrete Instrumente aufzuzeigen, mit denen die bestehenden Lücken gefüllt werden sollen. Die strukturellen Hindernisse, die dem Aufbau sozialer Sicherungssysteme entgegenstehen, wie beispielsweise Steuervermeidung und -hinterziehung durch transnationale Unternehmen, werden in Ihrer Analyse gleich ganz ausgespart. Sie weisen darauf hin, dass gerade im Gesundheitsbereich der Aufbau sozialer Sicherungssysteme besonders dringend benötigt wird. Dem stimme ich zu. Es sind vor allem die Ärmsten, die im Krankheitsfall durch das Fehlen sozialer Absicherung besonders bedroht sind. Die Kosten für Behandlung und Medikamente stürzen gerade die ärmsten Bevölkerungsgruppen oftmals in den endgültigen Ruin. Krankheit bleibt nicht nur Folge, sondern auch Ursache von Armut. Damit konterkariert der fehlende Zugang zu sozialer Absicherung die Ziele einer nachhaltigen Entwicklung. Erst im vergangenen Jahr wurden wir im Zuge der Ebola-Epidemie Zeuge, welche dramatischen und teils tödlichen Folgen das Fehlen eines stabilen öffentlichen Gesundheitssystems haben kann. Mit den vielbeschworenen „lessons learned“ aus der Ebola-Epidemie ist das Schlagwort Gesundheitssystemförderung längst zu einem Modewort aufgestiegen, das selbst die Kanzlerin in regelmäßigen Abständen bei G7Gipfeln bemüht. Ich denke, es ist höchste Zeit, dass wir die Stärkung von Gesundheitssystemen nicht mehr nur als rhetorisches Allheilmittel herbeibeschwören. Die Bundesregierung muss mit einem neuen Aktionsplan den Aufbau von Gesundheitssystemen in Entwicklungsländern wirksam vorantreiben. Beginnen wir bei der Finanzierung: Anstatt entsprechend der WHO-Empfehlung 0,1 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit im Gesundheitsbereich zur Verfügung zu stellen, stagniert der deutsche Beitrag bei 0,028 Prozent. Es ist höchste Zeit, dies zu ändern. Gerade Deutschland verfügt über wertvolle Expertise, um den Aufbau von öffentlichen und solidarisch organisierten Sicherungssystemen wirksam zu unterstützen. Diese Expertise gilt es zu nutzen und das Feld nicht allein privaten Versicherungskonzernen zu überlassen. Gerade im Gesundheitsbereich, der durch privatwirtschaftliche und philanthropische Initiativen in vielen Entwicklungsländern besonders beeinflusst wird, ist besondere Wachsamkeit geboten. Nicht überall dort, wo derzeit Gesundheitssystemförderung plakatiert wird, ist am Ende auch solidarisch und systemisch organisierte Gesundheitsförderung enthalten. Werte Kolleginnen und Kollegen, ich denke, wir sind uns einig: Soziale Sicherheit bildet eine entscheidende Grundlage für Entwicklung. Ich hoffe, dieser Antrag bleibt mehr als eine bloße Bestandsaufnahme. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19. Februar 2013 über ein Einheitliches Patentgericht – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung patentrechtlicher Vorschriften auf Grund der europäischen Patentreform (Tagesordnungspunkt 22 a und b) Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU): Wir beraten heute über die Umsetzung der europäischen Patentreform. Mit den beiden heute erstmals zu beratenden Gesetzentwürfen wollen wir dieser Reform einerseits zu einer nahtlosen Einfügung in unser nationales Recht verhelfen und andererseits dem Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht zustimmen. Die vorliegende europäische Patentreform ist ein großer Durchbruch; durch sie wird das Patentsystem in Europa nachhaltig zum Positiven verändert. Der Zugang zu einem einheitlichen Patentschutz innerhalb der EU wird nicht nur den Schutz von Erfindungen stärken, sondern auch deutlich verbesserte Rahmenbedingungen für eine innovative Industrie und einen integrierten europäischen Binnenmarkt schaffen. Bereits seit den 1960er-Jahren gab es Bestrebungen in Europa, den Patentschutz zu vereinheitlichen. Zahlreiche Verhandlungen und Bemühungen sind in der Vergangenheit gescheitert. Auch bei der vorliegenden Patentreform gab es große Herausforderungen. Trotz intensiver Verhandlungen war es leider nicht möglich, innerhalb der EU die Zustimmung aller Mitgliedstaaten zu erlangen. Die Verabschiedung des Reformpakets war daher nur im Wege der verstärkten Zusammenarbeit möglich. Klagen vor dem EuGH, die im weiteren Verlauf durch Italien und Spanien angestrengt wurden, blieben aber erfolglos. Erfreulicherweise wirkt Italien inzwischen bei der verstärkten Zusammenarbeit mit, gemeinsam mit 25 weiteren EU-Staaten. Die Reform besteht rechtstechnisch aus drei Elementen: zwei EU-Verordnungen, die sich zum einen auf die Schaffung des einheitlichen Patentschutzes und zum zweiten auf die insoweit anzuwendenden Übersetzungsregeln beziehen, sowie dem dritten Element, einem völkerrechtlichen Vertrag zur Schaffung eines Einheitlichen Patentgerichts. Warum aber ist diese Reform notwendig? Bislang gibt es nationale Patente, die auf nationalstaatlicher Ebene gemäß den jeweiligen nationalen Verfahrensvorschriften erteilt werden. Außerdem ist es möglich, ein sogenanntes „Europäisches Patent“ zu erhalten, das vom Europäischen Patentamt auf Grundlage des Europäischen Patentübereinkommens erteilt wird. Nach einem einheitlichen Prüfungsverfahren erteilt das Europäische Patentamt durch einen einzigen Erteilungsakt das Patent, das jedoch in ein Bündel von nationalen Patenten für die benannten Vertragsstaaten zerfällt, weshalb man auch vom sogenannten „Bündelpatent“ spricht. Konsequenz ist, dass wie bei jedem nationalen Patent gerichtlicher Rechtsschutz für das europäische Patent oder Bündelpatent nur vor den jeweiligen nationalen Gerichten möglich ist. Der Rechtsschutz bleibt nationalstaatlich beschränkt. Für Patentverletzungsverfahren oder -nichtigkeitsverfahren bedarf es daher bislang einer Reihe von Gerichtsverfahren in den jeweiligen Vertragsstaaten. Dies kann zu sich widersprechenden Urteilen über die Verletzung oder den Bestand des Schutzrechts innerhalb des gemeinsamen Binnenmarktes führen. Die Folge ist nicht nur erheblicher Aufwand und eine entsprechende Rechtsunsicherheit, sondern auch eine Zersplitterung des Marktes. Die vorliegende Reform löst diese Probleme und führt in begrüßenswerter Weise zu einem einheitlichen europäischen Patentrechtsschutz, der langfristig den Flickenteppich nationalstaatlicher Regelungen ersetzen soll. Das „europäische Patent mit einheitlicher Wirkung“ oder Einheitspatent stellt den teilnehmenden Staaten ein Patent mit einer einheitlichen Schutzwirkung für alle teilnehmenden EU-Staaten zur Verfügung. Dementsprechend kann das Patent auch nur auf alle Mitgliedstaaten beschränkt, übertragen oder für nichtig erklärt werden oder erlöschen. In Hinblick auf die Erteilung wird die bestehende Infrastruktur des Europäischen Patentamtes genutzt, die sich über die letzten Jahrzehnte bewährt hat. Patentanmeldungen für das Einheitspatent erfolgen beim Europäischen Patentamt, wobei das bisherige Prüfverfahren unverändert beibehalten wird. Erteilt das Europäische Patentamt wie bisher üblich ein Bündelpatent, kann der Patentanmelder innerhalb eines Monats die einheitliche Wirkung des Patents beantragen. Dabei ist eine Kombination aus Einheits- und Bündelpatent möglich. Für die an der verstärkten Zusammenarbeit teilnehmenden EU-Staaten kann ein Einheitspatent erlangt werden, während für die nicht an der verstärkten Zusammenarbeit teilnehmenden EU-Staaten, wie etwa Spanien, oder für Nicht-EU-Staaten, die Vertragsstaaten des EPÜ sind, wie beispielsweise Norwegen, die Schweiz oder die Türkei, ein Bündelpatent erlangt werden kann. Die Übersetzungsregelungen zum Einheitspatent basieren auf dem Drei-Sprachen-System des europäischen Patentamts (Deutsch/Englisch/Französisch), das heißt, eine Patentanmeldung hat grundsätzlich in einer Sprache des Drei-Sprachen-Systems zu erfolgen beziehungsweise ist zeitnah entsprechend zu übersetzen. Das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht komplettiert als drittes Element die Patentreform. Das Einheitliche Europäische Patentgericht wird in erster Instanz in Zentral-, Regional- und Lokalkammern aufgeteilt. In Deutschland soll es für die erste Instanz insgesamt vier Lokalkammern geben. Damit wollen wir eine räumliche Nähe zum Gericht und einen leichteren Zugang zur Gerichtsbarkeit ermöglichen. Mit Düsseldorf, Hamburg, Mannheim und München haben wir für die vier deutschen Lokalkammern die bereits jetzt für Gerichtsverfahren in Patentstreitigkeiten wichtigsten Standorte ins Auge gefasst. In zweiter Instanz kann ein Berufungsgericht angerufen werden, das seinen Sitz in Luxemburg haben wird. Ist eine Frage des Unionsrechtes zu klären, wird wie bei nationalen Gerichten eine Vorlage an den EuGH zur Vorabentscheidung erfolgen. Sachlich zuständig wird das Einheitliche Patentgericht für Patentverletzungsklagen, Nichtigkeitsklagen und einstweilige Maßnahmen und Sicherheitsmaßnahmen einschließlich einstweiliger Verfügungen sein. Auf nationaler Ebene soll durch den Gesetzentwurf zur Anpassung patentrechtlicher Vorschriften aufgrund der europäischen Patentreform die Einarbeitung des neuen Schutzrechts in das deutsche Recht erfolgen. Durch die vorgesehenen Änderungen insbesondere des Internationalen Patentübereinkommensgesetzes werden Anwendungsschwierigkeiten, die sich aus einem Nebeneinander von innerstaatlichen und europäischen Regelungen ergeben könnten, vermieden. Unberührt von der europäischen Patentreform bleiben nationale Patente, die wie bisher auch weiterhin von nationalen Behörden erteilt werden können. Die Einführung des europäischen Einheitspatents schließt die oben genannten Optionen des Bündelpatents und des nationalen Patents also keineswegs aus. Vielmehr erhält der Anmelder die Möglichkeit der alternativen Patentanmeldungen, damit er individuell bestimmen kann, welcher Patentschutz den individuellen Bedürfnissen am ehesten entspricht. Der Entwurf sieht darüber hinaus aber auch die Aufhebung des bisher bestehenden Doppelschutzverbotes vor. Für dieselbe Erfindung wäre demnach künftig Schutz durch ein nationales Patent und parallel dazu durch ein europäisches Patent mit oder ohne einheitliche Wirkung möglich. Der Befürchtung einer missbräuchlichen Durchsetzung inhaltsgleicher Schutzrechte in unterschiedlicher Jurisdiktion durch den Schutzrechtsinhaber begegnet der Entwurf durch die Einführung der „Einrede der doppelten Inanspruchnahme“. Die Einführung einer solchen Einrede ist, will man das Doppelschutzverbot aufheben, zwingend notwendig. Ob die Ausgestaltung der Einrede in ihrer jetzigen Form der Befürchtung der missbräuchlichen Durchsetzung hinreichend begegnen kann, werden wir im weiteren Gesetzgebungsverfahren sicherlich näher beleuchten müssen. Ebenfalls erscheint es mir notwendig, sich mit der grundsätzlichen Frage nach der Abschaffung des Doppelschutzverbotes auseinanderzusetzen. Der europäische Rechtsrahmen räumt den Mitgliedstaaten in dieser Hinsicht Gestaltungsspielraum ein, und im Rahmen des Marken- und Geschmacksmusterrechtes wurden positive Erfahrungen einer Koexistenz gemacht. Zugleich soll durch die europäische Patentreform eine System- und Verfahrensvereinfachung mit einer damit verbundenen Kostenreduktion und Erhöhung der Rechtssicherheit erreicht werden. Die Zulässigkeit von parallelen Schutzrechten für ein und dieselbe Erfindung könnte gerade diese Ziele der Reform konterkarieren und die verbesserte Integration des Binnenmarktes untergraben. Im laufenden Gesetzgebungsverfahren sollten wir daher insbesondere die Abstimmung und das Verhältnis zwischen dem nationalen und dem europäischen Recht noch einmal genau unter die Lupe nehmen. Damit die europäische Patentreform und die beiden erwähnten EU-Verordnungen zur Anwendung gelangen, muss das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht in Kraft treten. Von dreizehn notwendigen Vertragsstaaten haben zehn Staaten das Übereinkommen bereits ratifiziert. Ferner ist die Ratifikation durch die drei Mitgliedstaaten, in denen es im Jahr vor dem Jahr der Unterzeichnung des Übereinkommens die meisten geltenden europäischen Patente gab, zwingend notwendig. Dies sind Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich. Frankreich hat das Übereinkommen bereits ratifiziert und ist mit gutem Beispiel vorangegangen. Dem sollten wir zügig folgen. Nicht nur in Hinblick auf das Einheitspatent bleibt schließlich zu hoffen, dass das Vereinigte Königreich sich für einen Verbleib in der EU bei dem heute stattfindenden Referendum entscheidet. Ein Austritt des Vereinigten Königreichs wäre nicht nur ein schwarzer Tag für Europa und die EU, sondern würde auch das Inkrafttreten der europäischen Patentreform um einige Zeit verzögern oder schlimmstenfalls diese sogar durch den Verlust des so wichtigen Marktes Großbritannien gänzlich infrage stellen. Christian Flisek (SPD): Mit dem Gesetz zum Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht, welches wir heute beschließen, stellen wir unseren europäischen Patentbau fertig, mit dessen Errichtung wir 1977 begonnen haben, als das Europäische Patent- und Markenamt gegründet wurde. Mit diesem letzten Stein runden wir unser gemeinsames, europäisches Patentschutzsystem ab. Ein Einheitliches Patentgericht ist vor allem für diejenigen wichtig, die auf effektiven Patentschutz angewiesen sind. Das sind die klugen Köpfe aus Forschung und Wissenschaft, aber auch forschungs- und damit risikofreudige Unternehmen. Für ein wirtschaftlich und sozial attraktives Europa ist es essenziell, ein innovationsfreundliches Rechtsumfeld für diese Personen und Unternehmen zu schaffen. Das Einheitliche Patentgericht ist dafür ein wichtiger Baustein. Besonders positiv hervorzuheben ist, dass die Reform, die wir heute beschließen, mit immensen Kosteneinsparungen vor allem für Forschungseinrichtungen sowie kleine und mittlere Unternehmen verbunden ist, die aufgrund ihrer begrenzten Ressourcen auf einen effektiven Schutz ihrer Erfindungen am dringendsten angewiesen sind. Von jetzt an ist ein sogenannter Doppelschutz gegeben, das heißt, neben einem europäischen Schutztitel erhält der Patentinhaber in Zukunft Schutz durch nationale Patente in jedem Mitgliedstaat. Kommt es zu rechtlichen Konflikten, muss der Patentinhaber seine Patente aber nicht mehr in jedem Mitgliedstaat separat durchsetzen, sondern kann dies zentral bei dem neuen Einheitlichen Patentgericht tun. Zugleich steht dem Patentinhaber die Einrede doppelter Inanspruchnahme zu, wonach eingewendet werden kann, nicht aus zwei Schutztiteln für dieselbe Erfindung in Anspruch genommen werden zu können. Für die Patentinhaber sind diese Neuerungen mit deutlichen Kosteneinsparungen verbunden, weil sich sowohl die laufenden Ausgaben, etwa für Übersetzungen oder bei den jährlichen Gebühren, als auch die Kosten für die Rechtedurchsetzung signifikant verringern. Vergleicht man etwa die Gebühren für die Erteilung und Aufrechterhaltung nationaler Patente in allen 26 teilnehmenden EU-Ländern mit denen für ein genauso wirksames neues Einheitspatent, können die Einsparungen bis zu 80 Prozent betragen. Das neue Patentsystem bringt aber nicht nur Kosteneinsparungen für die Betroffenen mit sich, es stärkt auch die Stellung Europas im globalen Wettstreit um die attraktivsten Innovationsbedingungen. Wir beenden die Fragmentierung der europäischen Patentrechtsdurchsetzung und verringern damit bisher bestehende Rechtsunsicherheit. Das wird in Zukunft dazu führen, dass die EU als Innovationsstandort gegenüber den USA und asiatischen Ländern attraktiver wird. Ich bitte daher um Ihre Zustimmung. Klaus Ernst (DIE LINKE): Wir behandeln heute zwei Gesetzentwürfe der Bundesregierung in erster Lesung. Der erste dient dazu, die Voraussetzung zur Ratifizierung des Übereinkommens vom 19. Februar 2013 über ein Einheitliches Patentgericht zu schaffen, der zweite der Anpassung patentrechtlicher Vorschriften an dieses Übereinkommen sowie an mehrere EU-Verordnungen. Die Bundesregierung erhofft sich, mit dieser Reform die Rahmenbedingungen für die innovative Industrie im europäischen Binnenmarkt durch einen besseren Schutz von Erfindungen nachhaltig zu stärken. Die besondere wirtschaftliche Bedeutung eines flächendeckenden einheitlichen Patentschutzes in Europa liege in der Kostengünstigkeit und darin, dass er „in einem Verfahren vor dem Einheitlichen Patentgericht mit Wirkung für alle teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten durchgesetzt werden kann“. Insbesondere die deutsche Industrie, auf die rund 40 Prozent der an Anmelder aus Europa erteilten europäischen Patente entfallen, soll von dem verbesserten Schutz ihrer Erfindungen profitieren. Wie es auf der Seite des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz heißt, bringt die europäische Patentreform „mehr als fünf Jahrzehnte währende Bemühungen erfolgreich zum Abschluss“. Angesichts dieser beachtlichen Zeitspanne davon zu sprechen, dass „die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten damit ihre Handlungsfähigkeit bei der Schaffung gemeinsamer verbesserter Rahmenbedingungen für ein innovatives Europa eindrucksvoll unter Beweis“ stellen, wie es Bundesjustizminister Heiko Maas in einer Pressemitteilung tut, ist etwas fehl am Platz. Wermutstropfen bleibt auch, dass diese Einigung nur über den Umweg einer „verstärkten Zusammenarbeit“ gelang, das heißt unter Ausschluss Italiens und Spaniens als Gegner des EU-Patents in Zusammenhang mit der Sprachenregelung des Europäischen Patentübereinkommens, nach der die Amtssprachen des Europäischen Patentamts Englisch, Französisch und Deutsch sind. – Aber das nur nebenbei bemerkt. Um was geht es? Das Einheitliche Patentgericht soll bei Streitigkeiten über Patente, die vom Europäischen Patentamt erteilt wurden, mit europaweiter Wirkung entscheiden. Die erste Instanz soll ihren Sitz in Paris nehmen, mit Außenstellen in London und München. Die Berufungsinstanz soll in Luxemburg angesiedelt werden. Von dieser Zentralisierung erhofft man sich Konsistenz und Kostenersparnis für die streitenden Parteien. Bisher muss bei Nichtigkeitsklagen und Verletzung vor den jeweiligen nationalen Gerichten geklagt werden, die Wirkung der gerichtlichen Entscheidung bleibt auf das jeweilige Staatsgebiet beschränkt. Insofern ist die vorgesehene Errichtung eines Einheitlichen Patentgerichts zu begrüßen. Große Frage bleibt die Kostentragfähigkeit für kleine und mittlere Unternehmen – war es doch eines der Kernanliegen der politischen Bemühungen um die Schaffung eines Einheitspatents und eines Einheitlichen Patentgerichts, kleinen und mittleren Unternehmen die Anmeldung und Durchsetzung von Patenten zu erleichtern. – Dazu später. Neben der europäischen Patentgerichtsbarkeit soll ein „Einheitliches Europäisches Patent“, auch EU-Patent genannt, eingeführt werden. Bisher gab es zwei Arten von Schutzrechten: nationale Patente und europäische (Bündel-)Patente. Bei europäischen Patenten erfolgen die Anmeldung und das Verfahren zur Erteilung zentral beim Europäischen Patentamt. Doch nach der Erteilung hat es dieselbe Wirkung wie ein nationales Patent in jenen Staaten, die in der Anmeldung benannt wurden und für welche die jeweiligen nationalen Phasen durch Zahlung der entsprechenden Gebühren und Übersetzung der Patentschrift in die jeweilige Amtssprache eingeleitet wurden. Bei Rechtsstreitigkeiten sind die jeweiligen nationalen Gerichte zuständig. Das ändert sich mit dem EU-Einheitspatent: Es soll in der gesamten Europäischen Union bzw. durch den Spezialfall der Verstärkten Zusammenarbeit in 25 EU-Mitgliedstaaten einheitliche Gültigkeit haben. Die Übersetzungsanforderungen sind geringer. Davon verspricht man sich Vereinfachung und erhebliche Kosteneinsparungen. In einer Pressemitteilung des Europäischen Parlaments vom 11. Dezember 2012 heißt es: „Nach über 30 Jahre währenden Bemühungen werden die Kosten für ein EU-Patent um bis zu 80 Prozent sinken, was auch die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den USA oder Japan stärkt. Das Parlament hat die Kosten besonders für KMU gesenkt und die neuen Vorschriften deren Bedürfnissen angepasst.“ Damals allerdings fehlten jegliche konkreten Kostenregelungen. Es gibt Stimmen, die die Kostenersparnis für kleine und mittlere Unternehmen stark in Zweifel ziehen. Eine Untersuchung des britischen Patentamts prognostizierte bereits 2014, dass die Kosten des neuen Systems wahrscheinlich die KMU am stärksten treffen werden. Auch die EU-Kommission sah in einem Arbeitspapier die Notwendigkeit einer Prozesskostenversicherung für KMU. Eine solche gibt es jedoch nicht. Wie kommt es zu den unterschiedlichen Einschätzungen? Offenbar beruhten die positiven Prognosen für KMU auf recht unrealistischen Vergleichsberechnungen zwischen EU-Patent und Bündelpatent: So ist es etwa nicht üblich, Patente in sämtlichen EU-Länder anzumelden, sondern nur in den jeweils relevanten – in der Berechnung ging man dennoch davon aus. Außerdem werden nicht mal 10 Prozent aller Patentverletzungsstreitigkeiten in mehr als einem Mitgliedstaat ausgetragen. Während sich die Gerichtskosten im Rahmen bewegen, sind die Vertretungskosten sehr hoch und aufgrund von Ausnahme- und Ermessensregelungen unkalkulierbar und gehen damit mit einem hohen Risiko einher. Wirksame Maßnahmen zur Förderung von KMU wären auf der Erteilungsseite eine Rabattierung der Amtsgebühren und auf der Durchsetzungsseite die Ausweitung der Prozesskostenhilfe auf juristische Personen und die Schaffung einer geeigneten Prozesskostenversicherung. Doch davon ist bisher nichts im europäischen Patentpaket zu finden. „Profiteure des ‚Einheitspatent-Pakets‘ sind diejenigen, die einen geografisch möglichst breiten Patentschutz benötigen und über die erforderliche Finanzausstattung verfügen, um die hierfür und für die gerichtliche Durchsetzung ausgerufenen Kosten zu tragen. Das ausdrückliche Kernziel des Gesetzgebers aber war die Förderung von KMU.“ Das schlussfolgert deshalb der Autor des Buches „Die parlamentarische Historie des ‚europäischen Einheitspatents‘.“ Es sollte sich daher von selbst verstehen, vor einer endgültigen Verabschiedung der beiden Gesetze sicherzustellen, dass auch KMU von der Reform profitieren können. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist Donnerstag, der 23. Juni 2016. Während hier im Deutschen Bundestag über ein Einheitliches Europäisches Patentgericht beraten wird, wird im Vereinigten Königreich über den Brexit abgestimmt. Die F.A.Z. schrieb am 21. Juni: „Kommt der Brexit, steht das gesamte neue europäische Patentsystem wieder auf der Kippe – noch bevor es überhaupt gestartet ist.“ Damit wird anschaulich deutlich, welch massive Auswirkungen die Entscheidung der Britinnen und Briten bis in Detailregelungen hinein haben kann. Umgekehrt wird deutlich: Das neue europäische Patentsystem ist keine europäische Fußnote. Jahrzehntelang verhandelten die Mitgliedstaaten der EU über die Schaffung eines einheitlichen Patents und eines einheitlichen europäischen Patentgerichts. Im Jahr 2012 erfolgte der Durchbruch: Bald bringt das geplante europäische Einheitspatent Erfindern echten supranationalen Schutz. Derzeit entscheiden nationale Gerichte und andere Behörden über die Verletzung und die Rechtsgültigkeit europäischer Patente. In der Praxis führt dies zu einer Reihe von Problemen, wenn ein Patentinhaber in mehreren Ländern ein europäisches Patent durchsetzen möchte oder ein Dritter in mehreren Ländern den Widerruf eines europäischen Patents erwirken will: Hohe Kosten, die Gefahr voneinander abweichender Entscheidungen und mangelnde Rechtssicherheit sind die Folgen. „Forum-Shopping“ ist ebenfalls unvermeidlich, denn Beteiligte versuchen, die Unterschiede in der Auslegung des harmonisierten europäischen Patentrechts durch nationale Gerichte und im jeweiligen Verfahrensrecht sowie in der Geschwindigkeit der Verfahren und der Zuerkennung von Schadenersatzzahlungen auszunutzen. Das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht löst die vorgenannten Probleme durch die Einrichtung eines eigenständigen Patentgerichts mit der ausschließlichen gerichtlichen Zuständigkeit für Streitigkeiten in Bezug auf europäische Patente. Die Qualität der Rechtsprechung des Einheitlichen Patentgerichts wird eng verknüpft sein mit seiner Besetzung durch fachkundige Richterinnen und Richter. Denn letztlich werden das neue EU-Patentsystem und seine Akzeptanz von der Qualität und Verlässlichkeit der Rechtsprechung des Einheitlichen Patentgerichts abhängen. Danach wird sich zeigen, wie schnell sich das neue System etabliert. Wegen der Mitwirkung von Richterinnen und Richtern aus unterschiedlichen europäischen Jurisdiktionen wird es einige Zeit dauern, bis sich eine gefestigte und einheitliche Rechtsprechung herausbildet. Denn die wesentliche Frage ist, wie sich das neue Patentsystem und sein Gericht inhaltlich bewähren. Gerade in Technologieländern wie Deutschland gelten Patente in vielen Branchen als „Marker“ für die Innovationskraft von Branchen oder sogar von Staaten. Speziell in deutschen Kernsektoren wie dem Fahrzeug- oder Maschinenbau werden jährlich Tausende von Patenten angemeldet und erteilt, um damit geistiges Eigentum zu schützen. Der Deutsche Bundestag hatte die Bundesregierung zu Recht in der vergangenen Wahlperiode in einem Antrag – 17/8344 – dazu aufgefordert, keine Patente auf konventionelle Züchtungsverfahren für landwirtschaftliche Nutztiere und Nutzpflanzen zuzulassen. Denn es ist ein Unterschied, ob ich ein Patent auf ein Radio anmelde oder auf Radieschen. Die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts hat im Brokkoliurteil biologische Verfahren wie Kreuzung und Selektion von einer Patentierung ausgenommen. Konventionelle Züchtungsverfahren werden damit in Deutschland und in Europa auch in Zukunft unpatentierbar bleiben. Es gibt aber bei den Biopatenten auch noch offene Baustellen. Das gilt gerade auch für die Patentierung der Produkte aus konventionellen Züchtungsverfahren. Die Vielfalt der Nutzpflanzen und Nutztiere ist das Produkt der Arbeit vieler vorhergehender Generationen. Unseren Landwirtinnen und Landwirten, den Züchterinnen und Züchtern muss diese Vielfalt auch weiterhin in vollem Umfang zur Verfügung stehen. Deshalb spreche ich mich ganz klar gegen die Patentierung der Produkte aus klassischen Züchtungsverfahren aus. Der Zugang zu den genetischen Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft muss weiterhin für alle offen stehen. Im Bereich der Biopatente liegt seit Februar 2012 ein klarer Auftrag des Bundestages an die Bundesregierung vor: Um die wiederholte Erteilung umstrittener Biopatente zu stoppen, soll die Bundesregierung die dafür verantwortlichen Grauzonen im nationalen und europäischen Biopatentrecht bereinigen. Wir dürfen in diesem Parlament stolz auf diesen einstimmigen Beschluss sein. Deswegen habe ich nun im Statut für das Einheitliche Patentgericht und in den geänderten patentrechtlichen Vorschriften nachgeschaut, ob die Chance genutzt wurde, diesen Beschluss des Bundestages umzusetzen. Ich finde ihn darin jedoch nicht wieder. Ja; das im deutschen Recht bekannte Pflanzenzüchterprivileg, wonach die Nutzung biologischen Materials zum Zwecke der Züchtung, Entdeckung und Entwicklung einer neuen Pflanzensorte erlaubt ist, ist auf deutsche Anregung hin im Übereinkommen verankert worden (Artikel 27 Buchstabe c des Übereinkommens). Aber das ist auch schon alles. Es ist beschämend, dass die Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf dem gemeinsamen Beschluss von 2012 nicht nachkommt. Grade der Ausschluss von Patenten auf die Produkte ist jetzt nicht aufgenommen, ebenso fehlt eine Ergänzung zu technisch ergänzten Züchtungsverfahren. Für uns Grüne steht fest: Pflanzen und Tiere sind kein „geistiges Eigentum“, das irgendjemand für sich reklamieren darf. Und eine Tomate, die aus einem nicht-patentierbaren Züchtungsverfahren hervorgeht, darf ebenso wenig patentierbar sein wie ein Ketchup, das ohne weitere „Erfindungsleistung“ aus dieser Tomate gewonnen wird. Wir haben schon viel zu viel an biologischer Vielfalt verloren, da dürfen wir die sowieso schon rasante Monopolisierung im Saatgut- und Lebensmittelbereich nicht auch noch durch Biopatente verstärken. Christian Lange, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Mit den beiden vorliegenden Gesetzentwürfen sendet die Bundesregierung ein positives Signal nach Europa: Wir möchten die europäische Patentreform, auf die wir uns nach jahrzehntelangen Verhandlungen erfolgreich geeinigt haben, endlich in die Tat umsetzen: Mit dem Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht vom 19. Februar 2013 soll ein für alle teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten zuständiges Gericht geschaffen werden, das über erstinstanzliche Kammern in den Mitgliedstaaten und ein Berufungsgericht in Luxemburg verfügt. Das Gericht soll über bestehende europäische Patente sowie das neue EU-Einheitspatent urteilen, das im Wege zweier EU-Verordnungen im Dezember 2012 geschaffen worden ist. In Deutschland als bedeutendem Patentland sind vier Lokalkammern – Düsseldorf, Hamburg, Mannheim, München – und eine Zentralkammerabteilung – München – vorgesehen. Das vorliegende Vertragsgesetz schafft die Voraussetzungen für die Ratifikation des Übereinkommens. Mit dieser Reform sollen die Rahmenbedingungen für die innovative Industrie im europäischen Binnenmarkt durch einen besseren Schutz von Erfindungen nachhaltig gestärkt werden. Das ist von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung. Künftig wird es in Europa einen flächendeckenden einheitlichen Patentschutz geben. Er wird kostengünstig zu erlangen sein. Und er wird auch effizient in einem Verfahren vor dem Einheitlichen Patentgericht, dem ersten grenzüberschreitend zuständigen Zivilgericht Europas, mit Wirkung für alle teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten durchgesetzt werden können. Die deutsche Industrie wird von dem verbesserten Schutz ihrer Erfindungen besonders profitieren. Rund 40 Prozent der vom Europäischen Patentamt an europäische Anmelder erteilten europäischen Patente entfallen auf die deutsche Industrie. An den Arbeiten zur Schaffung eines Einheitlichen Patentgerichts hat sich die Bundesregierung von Anfang an mit großem Engagement beteiligt. Wir haben dabei insbesondere auch die Interessen der kleinen und mittleren Unternehmen im Blick. Gerade auch den kleinen und mittleren Unternehmen kommt es zugute, dass in einem europäischen Verfahren Rechtssicherheit für den gemeinsamen Markt geschaffen werden kann. Besonders wichtig ist: Wir konnten uns mit unserer Forderung nach einer attraktiven Höhe der Verlängerungsgebühren für das künftige EU-Einheitspatent durchsetzen, das kommt diesen Unternehmen zugute. Das Begleitgesetz soll im deutschen Recht die Voraussetzungen für die Umsetzung der europäischen Patentreform schaffen. Es enthält überwiegend technische Anpassungen, die erforderlich sind, um das EU-Einheitspatent und das Europäische Patentgericht mit der nationalen Rechtsordnung zu verzahnen. Lassen Sie mich aber ein Element hervorheben: Wir wollen in Deutschland künftig neben einem europäischen Patentschutz für dieselbe Erfindung auch den Schutz durch ein nationales Patent zulassen, was bislang nicht möglich ist. Damit ein Beklagter wegen derselben Patentverletzung aber nicht mehrfach verklagt werden kann, soll diesem im nationalen Verfahren eine Einrede zustehen, wenn er bereits vor dem Europäischen Patentgericht in Anspruch genommen wird. Mit dieser Neuerung wollen wir unseren Erfindern Optionen für den Schutz ihrer Innovationen bieten. Erfinder können sich dann für den für sie im Einzelfall am besten geeigneten Schutz entscheiden. Für die Bundesregierung ist die europäische Patentreform ein bedeutsames Projekt. Wir beteiligen uns weiter mit großem Engagement an den bereits sehr weit gediehenen Arbeiten in den vorbereitenden Gremien. Angestrebt wird, dass das Einheitliche Patentgericht nach einer noch für 2016 vorgesehenen Phase der vorläufigen Anwendung des Übereinkommens, in der die Arbeitsfähigkeit des Gerichts endgültig hergestellt wird, dann im Frühjahr 2017 den Echtbetrieb aufnimmt. Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um Ihre Unterstützung dieses Vorhabens. Es liegt in unserem Interesse, beide Gesetzgebungsverfahren möglichst zügig durchzuführen. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung berg-, umweltschadens- und wasserrechtlicher Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 2013/30/EU über die Sicherheit von Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten (Tagesordnungspunkt 23) Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU): 19 Millionen Barrel ausgelaufenes Öl, 2000 Kilometer verschmutzte Küste, elf Menschenleben – der Untergang der Ölplattform „Deepwater Horizon“ brachte Opfer und katastrophale Folgen mit sich, Folgen in einem Ausmaß, welches es in dieser Art bisher nur selten gab. Die Havarie sollte zu einem Wendepunkt in der Umweltgeschichte werden. Die internationale Politik hat sich der Katastrophe angenommen, sie hat darauf reagiert. Glücklicherweise blieben europäische Gewässer zwar von auch nur annähernd verheerenden Katastrophen bisher verschont, das war aber kein Grund für die Europäische Gemeinschaft, ihre Augen zu verschließen. Eine solche Katastrophe darf es – egal wo – nicht noch einmal geben. Daher ist uns sehr daran gelegen, die im Zusammenhang mit „Deepwater Horizon“ überarbeiteten europäischen Richtlinien national bestmöglich umzusetzen. Seit Jahrzehnten gehören wir zu den Vorkämpfern einer fortschrittlichen und nachhaltigen Umweltpolitik. Im Bereich der Erdöl- und Erdgasförderung haben wir daher bereits sehr strenge Auflagen, die sich in vielen Teilen schon mit den europäischen Richtlinien decken. Zwar nutzen wir in unseren flachen deutschen Gewässern lediglich die als risikoarm eingeschätzte Flachwassertechnik. Außerdem beherbergen unsere Hoheitsgebiete nur zwei der insgesamt 600 Erdöl- und Erdgasplattformen in europäischen Gewässern. Für den Erlass der EUOffshore-Richtlinie nach dem Unfall im Golf von Mexiko haben wir uns trotzdem intensiv eingesetzt. Die Definition einheitlicher Standards für Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten muss ein internationales Interesse sein. Die Europäische Union nahm die Katastrophe in Mexiko zum Anlass, einheitliche Standards für die Erdöl- und Erdgasförderung auf EUEbene festzusetzen. Die Richtlinie 2004/35/EG wurde geändert. Gleichwohl wurde mit der RL 2013/30/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juni 2013 eine neue Richtlinie über die Sicherheit von Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten beschlossen. Ihr zum Dank können Unfälle im Zusammenhang mit Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten in Zukunft verhindert werden. Der Umweltschutz kann erhöht und die Notfallmechanismen im Falle eines Unfalls können verbessert werden. Die nationale Umsetzung dieser europäischen Richtlinie über die Sicherheit von Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten in Deutschland wird in einer neuen Offshore-Bergverordnung umgesetzt. Risikomanagement, Sicherheits- und Umwelterwägungen in Bezug auf die Genehmigungsverfahren sowie die Aufgaben der zuständigen Behörden und das Berichtswesen sind die Hauptpunkte des Regelwerks. Bisherige Bestimmungen zu Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten, welche in der Festlandsockel-Bergverordnung und im Anhang 3 der Allgemeinen Bundesbergverordnung festgelegt waren, werden in der Novelle zusammengenommen. Die Bereiche Risikomanagement, Arbeits- und Gesundheits- sowie Umweltschutz werden so in einer Verordnung gebündelt. Dies ist sowohl hilfreich in der betrieblichen Praxis als auch in der Rechtsanwendung. Gleichzeitig wird das Risiko für schwere Unfälle minimiert, da auf diesem Weg alle Aspekte gemeinsam betrachtet werden. Die europäische Richtlinie sieht vor, dass Unternehmen eine Vorsorge zur Deckung von Haftungsverbindlichkeiten zu treffen und die technische und finanzielle Leistungsfähigkeit nachzuweisen haben. Im Rahmen der Arbeiten an unserer nationalen Offshore-Verordnung hat sich ergeben, dass es für die Umsetzung einer Vorgabe dieser europäischen Richtlinie an einer eindeutigen Ermächtigungsgrundlage im Bundesberggesetz fehlt. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir nun in § 66 des Bundesberggesetzes mit einer Ergänzung diese Ermächtigungsgrundlage. Aufgrund der Rechtssystematik erfolgen außerdem Anpassungen im Wasserhaushaltsgesetz, im Umweltschadensgesetz sowie in der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben. Die europäische Richtlinie über die Sicherheit von Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten erhöht den Schutz der Meeresumwelt und verbessert entscheidend die Notfallmechanismen im Falle eines Unfalls oder einer Havarie. Unser heute zu beratender Gesetzentwurf schafft Rechtssicherheit bei der nationalen Umsetzung. Ich hoffe dabei auf ihre Unterstützung. Johann Saathoff (SPD): Am 20. April ereignete sich im Golf von Mexiko ein schrecklicher Unfall. Bei der Explosion der Bohrinsel „Deepwater Horizon“ kamen insgesamt elf Menschen zu Tode, und es kam zu einer der schwersten Umweltkatastrophen der Vereinigten Staaten. Infolge der Explosion traten Tonnen an Erdöl ungehindert ins Meer. Die Explosion der „Deepwater Horizon“ war aber nicht nur für die Umwelt im Golf von Mexiko eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes. Die Folgen waren sogar noch weit verheerender. Ein Großteil der Bevölkerung in der Region lebt von der Fischerei. Der Fischereibetrieb musste im Sommer 2010 aber in weiten Teilen eingestellt werden. Die Umweltkatastrophe hatte damit auch eine schwere wirtschaftliche und soziale Krise zur Folge. Mit diesem Gesetz wollen wir nun dazu beitragen, dass sich genau solche schrecklichen Ereignisse nicht wiederholen. Konkret geht es heute um die Schaffung eindeutiger und europaweit einheitlicher Sicherheitsstandards im Bereich der Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten. Damit wollen wir einen Teil einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates vom 12. Juni 2013 umsetzen. Die Schaffung einheitlicher Standards und Rahmenbedingungen auf europäischer Ebene ist der folgerichtige Schritt nach der Explosion der „Deepwater Horizon“. Sie ist auch sinnvoll vor dem Hintergrund, dass mehr als 90 Prozent des in Europa geförderten Erdöls und mehr als 60 Prozent des geförderten Erdgases aus der Offshore-Produktion kommen. Das sind beachtliche Zahlen, insbesondere im Zusammenhang mit der Tatsache, dass im Jahre 2015 noch immer mehr als 50 Prozent des Primärenergieverbrauchs durch Erdöl und Erdgas gedeckt wurden. Die Offshore-Förderung von Erdöl und Erdgas spielt eine wichtige Rolle im Zusammenhang der Energieversorgungssicherheit. In Deutschland selbst gibt es derzeit zwei Offshore-Anlagen. Die Bohr- und Förderinsel Mittelplate und die Gasförderplattform A6A. Das heißt, auch für unsere Küstenregionen besteht ein gewisses, wenn auch eher ein marginales Risiko einer vergleichbaren Umweltkatastrophe. Es soll an dieser Stelle nun nicht darum gehen, grundsätzliche Kritik an der Offshore-Förderung von Erdöl und Erdgas zu üben. Unfälle wie im Golf von Mexiko sind glücklicherweise die sehr seltene Ausnahme. Die Frage der Sicherheit der Meeresumwelt und der Küstenregionen ist meiner Ansicht nach aber immer mit besonderer Sorgfalt zu behandeln. Man „mutt d’n Alltied n’Oog an hemm“ würde man in Ostfriesland sagen, stets wachsam bleiben. Gerade im Bereich der Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten besteht ein Interesse daran, besonders hohe Sicherheitsstandards zu setzen. Die Verabschiedung dieses Gesetzes soll dazu beitragen, dass der Schutz und die Erhaltung der Umwelt auch weiter gewährleistet werden kann und dass ein vernünftiger Umgang mit den natürlichen Ressourcen sichergestellt ist. Denn stellen Sie sich einmal die Auswirkungen einer mit der Explosion im Golf von Mexiko vergleichbaren Katastrophe an der deutschen Küste vor. Ich komme aus Ostfriesland, einer Region, die insbesondere auch für das Wattenmeer bekannt ist. Der Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer gehört seit dem 26. Juni 2009 mit zum UNESCO-Welterbe. Damit profitieren ostfriesische Gemeinden unglaublich stark vom Tourismus. Die Bedeutung des Tourismus und die enorme touristische Wertschöpfung in den Küstenregionen lassen sich exemplarisch anhand von wenigen Zahlen verdeutlichen. Insbesondere für die ostfriesischen Inseln ist der Anteil des Tourismus an der Wertschöpfung natürlich enorm. Allein die Insel Norderney verzeichnete im Jahr 2014 über 500 000 Besucher. Es wurden damit mehr als 3,4 Millionen Übernachtungen generiert. Doch auch das Festland gehört zu den Profiteuren des Tourismus. Auch in der Gemeinde Krummhörn ist die Wertschöpfung durch die Tourismusbranche beachtlich. Aktuelle Zahlen kommen zu dem Schluss, dass sich für die Krummhörn eine touristische Wertschöpfung von insgesamt 56,4 Millionen Euro ergibt. Die langfristigen Folgen einer vergleichbaren Ölkatastrophe wären also auch hier fatal. Einerseits die Folgen für den Umweltschutz und andererseits die wirtschaftlichen und sozialen Folgen für unsere Küstenregionen. Es ist demnach aus vielerlei Hinsicht zu begrüßen, dass mit dem Gesetz nun einheitliche europäische Rahmenbedingungen und höchste Umwelt- und Sicherheitsstandards sichergestellt werden. Hubertus Zdebel (DIE LINKE): Heute diskutieren wir erneut über die Umsetzung der Richtlinie 2013/30/EU vom 12. Juni 2013 über die Sicherheit von Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten. Ziel der Richtlinie ist, „die Häufigkeit von schweren Unfällen im Zusammenhang mit Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten so weit wie möglich zu verringern und ihre Folgen zu begrenzen …“. Die Umsetzung der Richtlinie erfolgt dabei nicht nur über gesetzliche Vorschriften, sondern auch über eine Verordnung. Am 25. Mai dieses Jahres hat die Bundesregierung die Änderungsverordnung zu bergrechtlichen Vorschriften beschlossen. Sie liegt jetzt dem Bundesrat zur Beschlussfassung vor. Über die gesetzlichen Änderungen kann nicht gesprochen werden, ohne sich mit der Änderungsverordnung auseinanderzusetzen. Ich hätte erwartet, dass wir eine intensive Debatte darüber führen, wie wir einen hohen Standard der Anlagensicherheit für Offshore-Aktivitäten erreichen. Stattdessen haben sich SPD und CDU/CSU in der ersten Lesung lediglich selbst gelobt und nichts zu einer Fachdebatte beigetragen. Die Kollegin von den Grünen hat es vorgezogen, auf das Thema „internationaler Meeresschutz“ auszuweichen. Dies hätten Sie in der Sitzung des Wirtschaftsausschusses am letzten Mittwoch korrigieren können. Doch stattdessen gab es von Ihnen keine einzige Wortmeldung zu diesem Thema. Diese Sprachlosigkeit wird der großen Bedeutung des Themas Störfallvorsorge nicht gerecht. Demonstratives Desinteresse am Thema Offshore-Öl- und -Gasförderung haben wir Ende letzten Jahres schon bei der Bundesregierung festgestellt. So hatte die Firma Maersk Oil beantragt, in der dänischen Nordsee im Grenzgebiet zum deutschen Entenschnabel mit neuen Bohrungen Öl und Gas zu fördern. Im Rahmen des GORM-Projekts will die Firma dabei die umweltzerstörende Fördermethode Fracking anwenden. Während Fracking bereits an Land unverantwortbar ist, wären die Folgen eines Offshore-Frackings noch weniger beherrschbar. Die notwendigen Aktivitäten der Bundesregierung, um dieses Projekt zu verhindern, hat es jedoch nie gegeben. Bereits am 9. Juni habe ich darauf hingewiesen: Offshore-Fracking kombiniert die Gefahren des Frackings an Land mit den klassischen Gefahren der Öl- und Gasgewinnung im Meer. Durch die eingesetzten Frackflüssigkeiten, deren Zusammensetzungen nicht veröffentlicht werden, kann es zu Wasserkontaminationen kommen. Das Aufbrechen des Untergrundgesteins und das Wiederverpressen des Flowbacks kann Erdbeben hervorrufen. Und durch Leckagen kann in erheblichem Maß das klimaschädliche Treibhausgas Methan entweichen. Während der Sondierungs-, Förder- und Außerbetriebnahmeaktivitäten kann es außerdem zu schweren Unfällen kommen. Dazu gehören Öl- und Chemikalienfreisetzungen im Falle einer Schiffskollision oder von Pipelineleckagen. Größere Gasfreisetzungen können aufgrund eines Blowouts erfolgen. Eine mögliche größere Ölpest hätte erhebliche negative Auswirkungen auf das empfindliche marine Ökosystem. Angesichts dieser möglichen Folgen ist Offshore-Fracking nicht verantwortbar. Fracking auf hoher See muss auf jeden Fall verboten werden. Das sieht die Bundesregierung im vorliegenden Offshore-Regelungspaket jedoch nicht vor. Dies ist nicht der einzige Kritikpunkt. Die Linke fordert, Offshore-Aktivitäten unter den Geltungsbereich der Störfall-Verordnung fallen zu lassen, um einen einheitlichen und hohen Sicherheitsstandard zu erreichen. Die nun vorgesehenen Sicherheitsanforderungen sind jedoch bedeutend geringer als im üblichen Recht der Anlagensicherheit. Die betrifft nicht nur die Einführung des undefinierten Begriffs des „vertretbaren Risikos“, mit dem der in Deutschland übliche auswirkungsorientierte Ansatz verlassen wird. Die Öl- und Gaskonzerne können so selbst bestimmen, was sie für vertretbar halten und welchen Gefahren sie Mensch und Umwelt aussetzen. Dies gilt auch für die in der Störfall-Verordnung klar festgelegte Hierarchie, dass Störfälle zu verhindern sind, und nur dann, wenn dies nicht möglich sein sollte, ihre Auswirkungen so gering wie möglich zu halten. In § 3 der oben genannten Änderungsverordnung zu bergrechtlichen Vorschriften verwischt diese Hierarchie, die Anforderungen werden auf eine Ebene gestellt. Zudem kritisieren wir, dass Leitfäden zu bewährten Verfahren für die Beherrschung ernster Gefahren bei Aktivitäten für die gesamte Auslegungs- und Betriebsphase der Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten nicht von unabhängigen Stellen erstellt werden sollen. Stattdessen formuliert der jeweilige Unternehmer oder sein Unternehmensverband diese selbst. Damit wird dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Aus diesen Gründen fordert die Linke, dieses Paket zurückzuziehen und grundlegend zu überarbeiten. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir reden heute wieder über die Sicherheit an Öl- und Gas-Förderplattformen in den Meeren. Dazu muss die Bundesregierung eine europäische Regelung in nationales Recht umsetzen. Mit der Umsetzung hat sie sich mal wieder sehr viel Zeit gelassen. Sie wartet ja immer so lange, bis sie sich die europäische Watschen mit einem Vertragsverletzungsverfahren abholt. Darum muss das Gesetz nun kurz vor der Sommerpause im Hauruckverfahren durch das Parlament geprügelt werden. Liebe Kollegen von der Linken, Ihre Verbindung zu Fracking, die Sie in der letzten Debatte eingebracht haben, ist doch wirklich sehr konstruiert. In Deutschland gibt es nach meinem Wissensstand nur zwei Öl- und Gasförderanlagen im Meer. Das sind die Ölbohrinsel Mittelplate vor Dithmarschen und die Gasbohrinsel A6/B4 in der Außenwirtschaftszone. Weitere Förderanlagen sind nicht absehbar, geschweige denn Offshore-Fracking-Anlagen zur Förderung von Erdöl oder Erdgas. Auch in den Nachbarstaaten sind solche Vorhaben nicht geplant. Ihr Einwurf ist also unqualifiziert. Richtig aber ist: Fracking ist die denkbar schlechteste Fördermethode und mit großem Risiko verbunden. Aber das Thema hat mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nichts zu tun. Das behandeln wir erst am Freitagmorgen. Wir sollten uns vielmehr Gedanken darüber machen, wie wir unsere Meere auch in Zukunft sauber halten, liebe Kollegen von der Linksfraktion. Sehr viel wichtiger sind in diesem Zusammenhang internationale Standards zu Rohstoffförderungen in arktischen Regionen oder in der extremen Tiefsee. So was ist Realität, zum Beispiel vor Brasilien oder vor Westafrika. Gerade die Schlamperei von BP bei „Deepwater Horizon“ im Jahre 2010 hat gezeigt, dass diese Risiken real sind und nicht nur graue Theorie. Aber das scheint Sie von der Linkspartei nicht zu interessieren. Wir sollten also darauf bedacht sein, dass in Europa die Standards für Rohstoffförderungen hoch sind. Damit setzen wir auch Maßstäbe für andere Regionen weltweit. Es kann nicht sein, dass in arktischen Regionen Erdöl gefördert wird, aber völlig unklar ist, wie die Rettung im Fall einer Havarie aussieht. Die Rettungseinrichtungen und Versorgungshäfen sind in arktischen Regionen meist sehr weit weg. Meeresströmungen können das kalte zähe Erdöl in abgelegene Regionen bringen. Mit Eis verbunden wird eine Entsorgung nahezu unmöglich. Solch ein Unfall muss konsequent verhindert werden. Das ist die Zukunftsaufgabe in der Meeres- und Energiepolitik. Das sind wir unseren nachfolgenden Generationen schuldig. Wir werden heute dem Gesetzentwurf zustimmen. Die europäische Richtlinie zur Sicherheit von Erdöl- und Erdgas-Förderplattformen muss endlich auch in Deutschland umgesetzt werden. So erhöhen wir die Sicherheit an solchen Anlagen. Auf diesem Vorhaben darf sich die Bundesregierung aber nicht ausruhen. Viele weitere Regelungen stehen noch an, um den Meeresschutz regional in Deutschland, aber auch auf europäischer und internationaler Ebene umzusetzen. Denn Meeresschutz ist jetzt mit dem SDG 14 ein internationales Nachhaltigkeitsziel. Da sollten wir in der Umsetzung konsequent sein. Meeresschutz wäre doch eine wunderbare Aufgabe für den Maritimen Koordinator der Bundesregierung. Dann hätte er richtig was zu tun. Heute gehen wir nur einen kleinen, aber notwendigen Schritt in Richtung Meeresschutz. Dafür hat sich die Regierung sehr lange Zeit gelassen. Zeigen Sie endlich mehr Engagement beim Schutz der Meere! Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Elektromobilität im Straßenverkehr (Tagesordnungspunkt 27) Florian Oßner (CDU/CSU): Als CDU/CSU-Fraktion haben wir der Elektromobilität schon immer einen besonders hohen Stellenwert zugemessen. Auch haben wir stets die enorm hohe Bedeutung der Elektromobilität sowohl für den Umwelt- und Klimaschutz als auch für den Automobilstandort Deutschland und dessen Zukunftsfähigkeit herausgestellt. Ich würde sogar so weit gehen, die Förderung der Elektromobilität, inklusive der Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie, als das bedeutendste Verkehrsthema der absehbaren Zukunft zu bezeichnen. Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf sind wir unserem Ziel, bis 2020 unseren CO2-Ausstoß gegenüber 1990 um mindestens 40 Prozent zu senken, einen großen Schritt näher gekommen. Denn jeder Schritt, der Elektromobilität für die Nutzer attraktiver macht, ist ein Schritt für eine nachhaltigere automobile Zukunft. Wir wollen, dass der Straßenverkehr seinen adäquaten Beitrag zur Reduktion der CO2-Emissionen und somit zur angestrebten Dekarbonisierung leistet. Hierfür ist jedoch zwingend erforderlich, dass sich die Anzahl von Elektrofahrzeugen im Straßenverkehr deutlich erhöht. Besonders freut es uns natürlich, wenn es sich hierbei vornehmlich um Fahrzeuge aus heimischer Produktion und nicht solcher aus Übersee handelt. Erstens. BMW-Werk Landshut als Beispiel/Aufgabe der Politik: In meinem Wahlkreis in Landshut hat die Firma BMW ein Kompetenzzentrum für Leichtbau und Elektromobilität errichtet. Rund 160 Ingenieure forschen hier technologieübergreifend an innovativen Werkstoffen, Mischbaukonzepten und Fertigungsverfahren. Daneben werden im dazugehörigen Werk verschiedene Bauteile für die Elektromotoren und CFK-Karosserieteile für die Elektro- und Hybridfahrzeuge i3 und i8 gefertigt. Schon frühzeitig hat man hier die enormen Chancen erkannt, die das Zusammenwirken von Leichtbau und Elektromobilität für Umweltschutz und Nachhaltigkeit sowie für die Zukunft der Automobilindustrie und ihrer Zulieferer in Deutschland bietet. Als weiteren wichtigen Schritt in meiner Heimatregion sehe ich die Schaffung einer Wasserstofftankstelle, an deren Umsetzung wir gerade arbeiten. Unsere primäre Aufgabe als Politik sollte es daher sein, Sorge dafür zu tragen, dass derartige Innovationen in Deutschland auch weiterhin möglich bleiben, denn nur so werden wir im internationalen Markt weiter gegen die Konkurrenz aus Japan, Südkorea und den USA bestehen können. Wir dürfen uns als Politik aber nicht nur darauf beschränken, die Rahmenbedingungen für eine innovative Forschung und Fertigung im Automobilbereich zu schaffen, sondern sollten diese auch aktiv unterstützen, damit Deutschland weiterhin die „Poleposition“ als führender Innovationstreiber im Automobilbau behaupten kann. Arbeitsplätze sollen weiter bei BMW, Mercedes und Volkswagen entstehen und nicht nur bei Tesla und Toyota. Deswegen appelliere ich an Sie, liebe Kollegen von den Grünen und den Linken, lassen Sie endlich dieses ständige Störfeuer gegen die Automobilbranche. Sie sägen sich damit auch Ihren eigenen Ast ab, auf dem Sie sitzen. Wir dürfen nicht mit der einen Hand das umreißen, was wir mit der anderen in mühsamer Arbeit jahrzehntelang aufgebaut haben. Zweitens. Maßnahmen im Gesetz: Mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf nehmen wir einige Änderungen im Bereich der Kraftfahrzeugsteuer und der Einkommensteuer vor, um die Elektromobilität auf Deutschlands Straßen ein ganzes Stück voranzutreiben: Bei erstmaliger Zulassung reiner Elektrofahrzeuge gilt seit dem 1. Januar 2016 bis zum 31. Dezember 2020 eine fünfjährige Kraftfahrzeugsteuerbefreiung. Diese wird rückwirkend zum 1. Januar 2016 nun auf zehn Jahre verlängert. Die zehnjährige Steuerbefreiung für reine Elektrofahrzeuge wird zudem auf technisch angemessene, verkehrsrechtlich genehmigte Umrüstungen zu reinen Elektrofahrzeugen ausgeweitet. Im Einkommensteuergesetz werden vom Arbeitgeber gewährte Vorteile für das elektrische Aufladen eines privaten Elektro- oder Hybridelektrofahrzeugs des Arbeitnehmers im Betrieb des Arbeitgebers und für die zur privaten Nutzung zeitweise überlassene betriebliche Ladevorrichtung steuerbefreit. Der Arbeitgeber erhält die Möglichkeit, geldwerte Vorteile aus der unentgeltlichen oder verbilligten Übereignung der Ladevorrichtung und Zuschüsse pauschal mit 25 Prozent Lohnsteuer zu besteuern. Die Regelungen werden befristet für den Zeitraum vom 1. Januar 2017 bis 31. Dezember 2020. Diese steuerlichen Maßnahmen stellen ein eindeutiges Bekenntnis zu einer klimagerechten Zukunftspolitik dar und ergänzen das Maßnahmenbündel der Bundesregierung zur Förderung der Elektromobilität im Straßenverkehr, das zeitlich begrenzte Anreize, weitere Mittel für den Ausbau der Ladeinfrastruktur sowie zusätzliche Anstrengungen bei der öffentlichen Beschaffung von Elektro- und Brennstoffzellenfahrzeugen beinhaltet. Drittens. Schluss: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zum bedeutendsten Verkehrsthema der absehbaren Zukunft zeigt die CDU/CSU-Fraktion wieder einmal, dass wir Antworten auf die drängenden Fragen geben – und nicht nur meckern und uns beklagen, wie die linken Parteien. Aus den genannten Gründen bitte ich um Zustimmung für den Antrag. Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD): Die meisten von Ihnen werden mir zustimmen: Die Elektromobilität ist von besonderer klimapolitischer und verkehrspolitischer Relevanz. In der Debatte wird hingegen oft übersehen: Es ist eine industriepolitische Schicksalsfrage, ob Deutschland sich als Industriestandort und Synonym für hochqualitative Spitzenfahrzeuge behaupten kann. Das ist die Entscheidungsfrage für die rund 800 000 Menschen, die heute in der deutschen Automobilindustrie in Lohn und Brot stehen. Ob diese Arbeitsplätze erhalten bleiben, das hängt davon ab, ob die Industrie es schafft, sich auf diesem Leitmarkt der Zukunft zu positionieren. Hersteller aus China und den USA befinden sich im Bereich der massentauglichen E-Fahrzeuge wie auch im Luxussegment schon lange auf der Überholspur. Damit diese Überholmanöver sich nicht auf Dauer nachhaltig negativ auf die deutsche Automobilindustrie auswirken, müssen Politik und Wirtschaft jetzt gemeinsam Lösungen entwickeln und sie mit Vollgas dann auch umsetzen. Die Politik hat mit den hier vorgebrachten Initiativen einen wichtigen Beitrag dazu geleistet. Das Laden beim Arbeitgeber wird einfacher, die Kfz-Steuerbefreiung wird verlängert, es gibt eine Kaufprämie, die von der EU grünes Licht bekommen hat. Und über die öffentliche Beschaffungspolitik werden mehr Elektroautos auf die Straßen kommen. Zudem wird in den Ausbau der Ladeinfrastruktur investiert, deren Standards klar definiert wurden. Viele Kritiker missverstehen die Kaufförderung als eine Art Bevorzugung reicherer Käuferschichten. Dem kann man zuerst entgegenhalten, dass die Kaufprämie zu gleichen Teilen von Staat und Herstellern getragen wird. Und nicht zuletzt ist das Setzen von Kaufanreizen zugleich eine industriepolitische Flankierung, um den Markthochlauf zu stimulieren. Denn ohne Absatz kein Leitmarkt. Die Erfahrungen anderer Länder zeigen, dass eine Kaufförderung die Marktdurchdringung von Elektroautos beschleunigt. Die SPD-Bundestagsfraktion hat weitergehende Maßnahmen gefordert, so zum Beispiel eine bessere degressive Abschreibung für gewerbliche Nutzer. Und das bereits vor zwei Jahren. Ich möchte hier niemandem den schwarzen Peter zuschieben, aber es ist den teils diffusen ordnungspolitischen Bedenken unseres Koalitionspartners geschuldet, dass wir so lange auf konkrete Maßnahmen warten mussten. Doch natürlich gilt auch hier: Es ist jetzt besser, eine Kerze anzuzünden, als über die Dunkelheit zu jammern. Die Politik hat klare Impulse gegeben, nun sind die Hersteller gefragt. Die Politik kann die Automobilindustrie schließlich nicht ständig zum Jagen treiben. Hatte es noch vor kurzem den Anschein, als habe man bei VW, BMW, Audi und Daimler den Startschuss überhört, mehren sich inzwischen die Anzeichen für einen Spätstart. Vielleicht liegt es an Dieselgate, vielleicht auch an der allgemeinen Einsicht, dass Wettbewerber der Zielgeraden schon deutlich näher sind. Die deutsche Automobilindustrie stellt sich jetzt jedenfalls mit deutlich mehr Elan der Herausforderung Elektromobilität und alternativer Antriebe. Die Zahl der alternativ angetriebenen Autos in den Flotten steigt. Man widmet sich endlich wieder der erforderlichen Batteriezellproduktion, was zentral für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit ist. Bei dieser neuen Dynamik ist es zumindest möglich, das Ziel der 1 Million Elektrofahrzeuge auf Deutschlands Straßen bis 2020 nicht gänzlich aus dem Auge zu verlieren. Andreas Schwarz (SPD): Die Bundesrepublik Deutschland tut viel für den Klimaschutz. Aber wir müssen uns noch mehr anstrengen, wenn wir die Klimaziele von Paris erreichen wollen. Wenn wir diese Ziele erreichen wollen, müssen wir endlich mehr Elektroautos auf die Straße bringen. Es ist ja vollkommen richtig, dass auf unseren Straßen viel zu wenige Elektrofahrzeuge unterwegs sind. Im letzten Jahr waren es gerade mal 25 500 Fahrzeuge. Wenn wir hier nichts unternehmen, sind die Klimaziele von Paris in Gefahr. Und deshalb begrüßen wir ausdrücklich, dass hier das Bundeswirtschaftsministerium mit dem vorliegenden Gesetzentwurf aktiv geworden ist, um uns auf diesem Gebiet endlich entscheidend voranzubringen. Die Bundesregierung verfolgt dabei den absolut richtigen Ansatz, mit einer Kaufprämie die nötigen Anreize für höhere Verkaufszahlen zu schaffen. Die 4 000 Euro Kaufprämie – bei Hybrid 3 000 Euro – sind ein überzeugendes Signal an die vielen Interessentinnen und Interessenten in unserem Land. Und wir fördern hier ausdrücklich keine Luxusklassenfahrzeuge für die Gutsituierten. Wir haben bewusst eine Obergrenze von 60 000 Euro eingezogen, damit vor allem die breite Masse profitiert. Unser Ziel ist es, dass in den nächsten Jahren 300 000 zusätzliche Elektroautos zugelassen werden. Und es wirkt ja jetzt schon, obwohl das Gesetz noch gar nicht verabschiedet ist. Autohersteller melden uns, dass sowohl Interesse als auch Nachfrage der Kundinnen und Kunden seit dem Beschluss der Bundesregierung, hier ein milliardenschweres Förderprogramm für Elektromobilität aufzulegen, deutlich angestiegen ist. Das freut uns. Und das alles, wie gesagt, bevor die Kaufprämie abgerufen werden konnte. In diesem Zusammenhang begrüßen wir, dass das Prüfverfahren der EU-Kommission nun endlich abgeschlossen ist und die Menschen die Kaufprämie endlich in Anspruch nehmen können. Aber allein der Anreiz über die Kaufprämie wird nicht den erhofften und gewünschten Erfolg bringen. Da bedarf es schon eines Maßnahmenbündels, und zwar von Maßnahmen, die nur gemeinsam wirken können. Das von der Bundesregierung beschlossene Maßnahmenpaket gibt genau die richtigen Antworten auf die Frage vieler Interessenten, die gerne ein Elektrofahrzeug kaufen würden, aber vor Ort zu wenige Ladestationen vorfinden. Wir brauchen also die Kaufprämie und zusätzliche Investitionen in den Ausbau der Infrastruktur, um erfolgreich zu sein. Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt daher die Investitionen in den Ausbau der Infrastruktur für Elektrofahrzeuge. Uns war auch wichtig, dass sich auch die Autoindustrie an den Gesamtkosten dieses Maßnahmenpakets von gut 1 Milliarde Euro hälftig beteiligt. Ich bin überzeugt, diese Summe ist für beide Seiten gut investiertes Geld! Zusätzlich schaffen wir einen steuerlichen Anreiz. Es sollen diejenigen steuerlich belohnt werden, die sich ein Elektrofahrzeug zulegen. Eine zehnjährige Steuerbefreiung ist genau das richtige Signal an all diejenigen, die jetzt einsteigen wollen. Ich komme zum Schluss: Wenn wir jetzt den Markt mithelfen anzuschieben, wird das überdies dazu führen, dass die deutsche Automobilindustrie noch intensiver an Innovationen, beispielsweise an noch besseren Batteriezellen, arbeiten wird. Wir stimmen diesem Gesetzentwurf zu, weil wir überzeugt sind, dass wir damit auf einem erfolgreichen Weg sind. Richard Pitterle (DIE LINKE): Kürzlich erklärte der christlich-soziale Bundesminister für Landwirtschaft und Ernährung Christian Schmidt den Bauern, die der Preisverfall bei Milch in den Ruin treibt, es sei in einer sozialen Marktwirtschaft nicht Aufgabe des Staates, sich in die Preispolitik einzumischen. Und kaltschnäuzig hieb die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft in die gleiche Kerbe, als sie Flutopfern die Hilfe des Landes verweigerte, weil schließlich nicht alle mit Steuermitteln begünstigt werden könnten, die keine Versicherung abschlössen. Heute aber stehen wir hier und beraten auf Initiative der schwarz-roten Koalition die milliardenschwere Einmischung des Staates in die Preispolitik durch Begünstigungen aus Steuermitteln. Wieder einmal! Nur kurz zur Erinnerung: Gegen unseren Widerstand wurden superreichen Reedern Milliarden in der naiven, längst widerlegten Hoffnung geschenkt, sie würden dann wohlgefällig vielleicht den einen oder anderen Arbeitsplatz in der maritimen Wirtschaft erhalten. Gegen unseren Widerstand versuchen Sie, mit Steuergeschenken kopf- und planlos den Bau von Wohnungen zu fördern, nachdem Sie jahrzehntelang dem Todeskampf des sozialen Wohnungsbaus von der Seitenlinie zugesehen haben, obwohl Ihnen Experten nur Mitnahmeeffekte für Luxuswohnungen prophezeien. Und gegen unseren Widerstand und sogar trotz klarer Ansagen des Bundesverfassungsgerichts gegen die Verschonung superreicher Erbinnen und Erben wird die Bilanz Ihrer schon peinlichen Auseinandersetzung um die Reform darauf hinauslaufen, die Reichsten der Reichen weiterhin zu verschonen. Nun bin ich wie auch meine Partei Die Linke sicher nicht verdächtig, neoliberaler Wirtschaftspolitik das Wort zu reden. Denn genau das machen Kraft und Schmidt, wenn sie den Staat aus der Verantwortung entlassen und auf Markt und Eigenverantwortung verweisen. Und genau das macht, wer Steuervorteile prinzipiell geißelt. Das Steuerrecht wird in vielen Politikbereichen nicht nur zur Einnahmenerzielung, sondern auch oder sogar fast ausschließlich zur Verhaltenslenkung genutzt. In einer komplexen Gesellschaft wie der unsrigen ist dies unbestreitbar ein effizientes und auch unverzichtbares Mittel, um Politikziele zu erreichen. Bei von Justi heißt es im Jahre 1766: „Die Steuer ist ein sehr glückliches Mittel, den Staat zu bilden und einzurichten, wie es den Absichten einer ‚weisen‘ Regierung gemäß sei“. Das heißt aber nicht, dass wir die wenig weise Steuerpolitik nach schwarz-rotem Rezept gutheißen. Dieses schlichte Rezept passt sogar auf einen Bierdeckel: Mächtige Wirtschaftslobbyisten flüstern den Untergang des Mittelstandes, wenn nicht gleich der Welt ein, der nur mit Steuergeschenken vorzugsweise an sich und an Besserverdienende aufgehalten werden kann. In dieser langjährigen Tradition findet sich die nun breit angelegte Förderung der Elektromobilität im Straßenverkehr wieder, für die vorliegender Gesetzentwurf ein Baustein ist. Als Resultat von Kamingesprächen im Kanzlerinnenamt mit den Lobbyisten der deutschen Autoindustrie wird nun ein gewaltiges Subventionsprogramm auch für einen halbstaatlichen Autokonzern aufgelegt, der wegen illegaler Abgasmanipulationen mit dem Rücken zur Wand steht und die internationale technische Entwicklung einfach verschlafen hat. Die Querfinanzierung Ihrer Förderung durch Steuergeschenke an Besserverdienende zahlen diejenigen Bürgerinnen und Bürger, für die Elektromobilität im Alltag so realistisch ist wie der Jahresurlaub in der Karibik. Wie falsch Ihr Ansatz ist, lässt sich aber am deutlichsten in Zahlen ausdrücken: So ziemlich alle größeren Volkswirtschaften fördern die Elektromobilität seit vielen Jahren. In den meisten Staaten gibt es vergleichbare Programme seit gut acht Jahren. In Japan sogar seit 1996! Neben klassischen Förderungen mit Kaufanreizen wie Kaufprämien, Steuererstattungen gibt es viele weitere, wie kostenlose Parkplätze, Mautfreiheit, die Nutzung von Sonderspuren im Straßenverkehr. Die Höhe der Kaufanreize ist ebenfalls ähnlich: in der Regel mehrere tausend Euro für ein Fahrzeug. Was hat es gebracht? Derzeit gibt es weltweit circa 1,5 Milliarden Fahrzeuge. Davon sind circa 1 Million Fahrzeuge Elektroautos. Also weniger als 0,001 Prozent. Weltweit führend sind derzeit noch die USA, obwohl China mit massiver und bekannt wenig marktwirtschaftlicher staatlicher Intervention die Führungsposition angreift. Der milliardenschwere Wettkampf hat aber bisher nur zu 400 000 Elektroautos, also 0,3 Prozent der Fahrzeuge, in den USA gereicht. Die Zahl der Neuzulassungen in den USA stagniert, obwohl neben Bundesprogrammen auch die Bundesstaaten eigene Förderprogramme haben. Deutschland ist ohne Förderung weltweit auf Platz 7 mit einem Elektrofahrzeuganteil von 0,07 Prozent. Vorzeigeland Norwegen hat gerade mal eine 1,6-prozentige Quote trotz massiver Förderung. Eine Umfrage des Instituts für Verkehrsforschung bestätigt die Nutzlosigkeit von steuerlichen und sonstigen Kaufanreizen: Kaufentscheidend sind eine öffentliche Ladeinfrastruktur, die Zuverlässigkeit der Technik und günstige Strompreise. Investieren Sie in die Forschung und Entwicklung, in die allgemeine Infrastruktur und in alternative Verkehrskonzepte, statt mit Steuergeschenken Strohfeuer anzufachen. Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Steuerliche Anreize zur Förderung der Elektromobilität sind als begleitende Maßnahme grundsätzlich richtig. Die Verlängerung der Kfz-Steuerbefreiung für reine Elektrofahrzeuge auf zehn Jahre ist allerdings eine rein symbolische Maßnahme. Ein Fahrzeughalter eines leichten Nissan Leaf würde gerade mal 45 Euro pro Jahr sparen. Über zehn Jahre macht das also eine Steuerersparnis von mageren 450 Euro. Das ist kein wirksamer Anreiz, sich ein Elektroauto zu kaufen. Der Gesetzentwurf sieht zudem vor, das Einkommensteuergesetz zu ändern. Ermöglicht der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Möglichkeit, sein privates Elektroauto während der Arbeitszeit am Arbeitsort aufzuladen, so soll dies steuerbefreit werden – also kein geldwerter Vorteil. Gleiches gilt, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die betriebliche Ladevorrichtung zeitweise zur privaten Nutzung überlässt. Diese Maßnahme begrüßen wir. So können Arbeitgeber mit nur geringen Kosten die Elektromobilität ihrer Mitarbeiter fördern, ohne dass sich dadurch neue bürokratische Hürden auftun. Ich will die Gelegenheit mit der Beratung des Gesetzentwurfes nutzen, um auf die fehlende Gesamtstrategie der Bundesregierung zur Förderung der Elektromobilität zu sprechen zu kommen: Vor ziemlich genau einem Jahr wurde das Elektromobilitätsgesetz beschlossen. Es hat bisher keine Impulse für die Förderung der Elektromobilität gesetzt. So gut wie keine Kommune hat Busspuren für Elektroautos freigegeben, Zufahrtsbeschränkungen gelockert oder kostenlose Parkplätze eingerichtet. Die neuen E-Kennzeichen sind ein Ladenhüter. Ein Scheitern mit Ansage: Es ist naiv, zu glauben, Kunden würden sich in Scharen für Elektroautos entscheiden, weil sie kostenfrei parken oder die Busspur nutzen können, während die Fahrzeuge deutlich teurer sind und Ladeinfrastruktur fehlt. Das Elektromobilitätsgesetz muss daher überarbeitet werden. Jetzt müssen die Rechtsgrundlagen für die Ausrüstung von Wohnhäusern und öffentlichen Gebäuden mit Ladeinfrastruktur geschaffen werden. Frankreich macht es uns vor: Bei öffentlichen Einrichtungen gehört Ladeinfrastruktur zum Standard. Die ein Jahr diskutierte Kaufprämie für Elektroautos ist mittlerweile beschlossen. Doch anstatt die Prämie über ein Bonus-Malus-System bei der Kfz-Steuer zu finanzieren und damit eine ökologische Lenkungswirkung zu schaffen, werden die Mittel aus dem Energie- und Klimafonds genommen. Diese Gelder werden nun für andere wichtige Klimaschutzprojekte fehlen. Um wesentlich stärkere Klimaschutzwirkungen zu erzielen, müsste stärker in andere Bereiche investiert werden. Elektromobilität bedeutet für die Bundesregierung lediglich, dass Autos elektrisch fahren sollen. Das ist mehr als kurzsichtig. Die Förderung der Elektromobilität darf nicht zu reiner Industriepolitik verkommen. Sie ist eine zentrale verkehrspolitische Herausforderung. Was wir brauchen, ist ein verkehrsträgerübergreifender Ansatz: Mit den 600 Millionen Euro Steuergeldern sollten wir besser Elektrobusse, E-Taxis und elektrische Nutzfahrzeuge für die städtische Logistik fördern. Denn bei Elektromobilität geht es bei weitem nicht nur um den Austausch des Antriebs, sondern um die Veränderung bisheriger Verkehrsstrukturen und um neue Mobilitätskonzepte. Gerade in Ballungsräumen rückt die Vernetzung unterschiedlicher Verkehrsträger in den Vordergrund. Der Schienenverkehr fährt bereits heute weitgehend elektrisch. Viele Bahnstrecken, insbesondere im ländlichen Raum, warten jedoch noch auf ihre Elektrifizierung. Hier wäre ein Elektrifizierungsprogramm notwendig, was auch den Güterverkehr auf der Schiene fördern würde. Allein die Umstellung des gesamten Bahnstroms auf Ökostrom würde achtmal mehr CO2 einsparen als 400 000 Elektroautos, die über die Kaufprämie gefördert werden sollen. Widersprüchlich ist die uneinheitliche Definition von Elektroautos bei der Bundesregierung und die damit einhergehende Förderung: Nach dem Elektromobilitätsgesetz zählen auch Leichtfahrzeuge der Klassen L3e, L4e, L5e und L7e als Elektroautos und erhalten ein E-Kennzeichen. Von der Förderung durch die Kaufprämie sind die aber ausgeschlossen. Von der Kfz-Steuerbefreiung profitieren lediglich reine Elektrofahrzeuge sowie – und neu im vorliegenden Gesetzentwurf – Fahrzeuge, die von Verbrennungs- auf reinen Elektromotor umgerüstet wurden. Die einkommensteuerlichen Maßnahmen beziehen sich wiederum sowohl auf Elektrofahrzeuge als auch auf Plug-in-Hybride. Wie sollen die Verbraucherinnen und Verbraucher da noch durchsehen? Sie sind nicht stringent und schaffen einen Förderdschungel. Der Verkehr ist das Sorgenkind im Klimaschutz. Seine Treibhausgasemissionen liegen heute über denen im Basisjahr 1990. Wir müssen Elektromobilität daher endlich breit fördern und uns nicht nur auf das Auto fokussieren. Sonst sind die Klimaschutzziele nicht zu schaffen. Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Im Mai dieses Jahres hat die Bundesregierung ein Maßnahmenpaket zur Förderung der Elektromobilität beschlossen. Teil des Paketes sind auch Steuervorteile für Elektrofahrzeuge. Eine richtige Entscheidung. Warum? Die im vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Elektromobilität im Straßenverkehr enthaltenen Maßnahmen machen die Nutzung von umweltschonenden, klimafreundlichen Elektrofahrzeugen attraktiver, für Privatpersonen und für Unternehmen. Die Steuervorteile ergeben sich zum einen bei der Kraftfahrzeugsteuer und zum anderen bei der Einkommensteuer. Drei praktische Beispiele darf ich Ihnen vorab an die Hand geben: Erstens. Wer im Zeitraum vom 1. Januar 2016 bis zum 31. Dezember 2020 ein reines Elektroauto erstmals zulässt, ist zehn Jahre lang von der Kraftfahrzeugsteuer befreit. Dies entspricht im Vergleich zum Status quo einer Verdoppelung des Befreiungszeitraumes. Zweitens. Wer sein privates Elektrofahrzeug im Betrieb des Arbeitgebers aufladen darf, kann sich darüber freuen, dass dieser sogenannte „geldwerte Vorteil“ lohnsteuerfrei ist. Der Arbeitnehmer spart sich die Stromkosten sowie die darauf entfallende Einkommensteuer, und der Arbeitgeber braucht für das „Volltanken“ mit Strom keine Lohnsteuer einzubehalten und abzuführen. So profitieren beide Seiten. Drittens. Übereignet der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Ladevorrichtung verbilligt oder gibt er ihm einen Kaufzuschuss, so ist eine Pauschalierung der Lohnsteuer mit nur 25 Prozent möglich. Sie sehen: So einfach kann Steuerrecht sein. Die mit diesem Gesetzentwurf verfolgten steuerlichen Maßnahmen sollen in erster Linie eine entsprechende Lenkungswirkung haben und der Verwirklichung der Ziele der Bundesregierung dienen: der Verbesserung der Luftreinhaltung und einer klimagerechten Zukunftspolitik. Mit dem Ziel vor Augen, bis 2020 den CO2-Ausstoß gegenüber 1990 um mindestens 40 Prozent zu senken, sind auch im Verkehrssektor Emissionsminderungen notwendig. Die Steigerung des Anteils von Elektrofahrzeugen ist eine zentrale Maßnahme, um den Straßenverkehr umweltverträglicher zu machen und einen adäquaten Beitrag zur Reduktion der CO2-Emissionen zu leisten. Um die Zahl der Neuzulassungen von Elektrofahrzeugen und den Umstieg auf klimafreundlichere Fahrzeuge deutlicher zu erhöhen, braucht es jedoch mehr Akzeptanz und Attraktivität für die Nutzer. Mit dem nunmehr vorliegenden Maßnahmenpaket zur Förderung der Elektromobilität stellt der Bund zusätzlich etwa 1 Milliarde Euro für die direkte Förderung des Erwerbs von E-Fahrzeugen – sogenannter Umweltbonus – sowie für die Verbesserung der Ladeinfrastruktur bereit. Und auch die öffentliche Hand selbst wird bei ihren eigenen Fuhrparks mit gutem Beispiel vorangehen. Der Anteil der durch die Bundesregierung in ihrem Geschäftsbereich zu beschaffenden Elektrofahrzeuge soll auf mindestens 20 Prozent erhöht werden. Ziel des Maßnahmenpakets ist, neben der weiteren Förderung von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten dem Markthochlauf für E-Fahrzeuge einen kräftigen Impuls zu geben. Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren im Rahmen des Regierungsprogrammes Elektromobilität gut 1,5 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung bereitgestellt. Durch Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten, aber auch durch steuerliche Anreize soll Elektromobilität kostengünstiger und alltagstauglicher werden. Im Einzelnen sieht der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf folgende Maßnahmen vor. Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes: Momentan gilt bei erstmaliger Zulassung reiner Elektrofahrzeuge im Zeitraum vom 1. Januar 2016 bis zum 31. Dezember 2020 eine fünfjährige Steuerbefreiung ab der Erstzulassung. Diese Kraftfahrzeugsteuerbefreiung soll rückwirkend zum 1. Januar 2016 in eine zehnjährige Befreiung verlängert werden. Die zehnjährige Steuerbefreiung für reine Elektrofahrzeuge soll darüber hinaus auch für solche Fahrzeuge gelten, die technisch angemessen und verkehrsrechtlich genehmigt zu reinen Elektrofahrzeugen umgerüstet worden sind. Änderung des Einkommensteuergesetzes: Im Zeitraum vom 1. Januar 2017 bis 31. Dezember 2020 sollen vom Arbeitgeber an Arbeitnehmer gewährte Vorteile für das elektrische Aufladen eines privaten Elektrofahrzeugs oder Hybridelektrofahrzeugs im Betrieb des Arbeitgebers steuerfrei sein; Gleiches soll für die zur privaten Nutzung zeitweise überlassenen betrieblichen Ladevorrichtungen gelten. Der Arbeitgeber soll zudem die Möglichkeit erhalten, geldwerte Vorteile aus der unentgeltlichen oder verbilligten Übereignung der Ladevorrichtung und Zuschüsse pauschal mit 25 Prozent Lohnsteuer zu besteuern. Das Thema Elektromobilität liegt der Bundesregierung am Herzen. Maßnahmen zur Förderung der Elektromobilität sind Antwort auf die steigenden Anforderungen an Klimaschutz – CO2-Ausstoß – und Luftreinhaltung – Stickoxid, Rußpartikel etc.. Als Bindeglied zwischen der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen und dem Verkehrssektor ist die Elektromobilität ein wichtiger Baustein der Energiewende. Mithilfe der Elektromobilität können wir verkehrsbedingte lokale Emissionen verringern und zum Ausbau klimafreundlicher Verkehrssysteme beitragen. Durch innovative Ideen und Technologien tragen wir zur Nachhaltigkeit und zum Klimaschutz bei. Deutschland braucht die Elektromobilität, und die Elektromobilität bringt Deutschland eine Verbesserung der Luftreinhaltung und eine klimagerechte Zukunftspolitik. Lassen Sie uns mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gemeinsam einen weiteren Schritt nach vorne in Richtung einer klimagerechten Zukunft machen. Ich freue mich auf die Beratungen in den entsprechenden Fachausschüssen. 1)  Anlage 2 2)  Anlage 3 3)  Ergebnis Seite 17669 D 4)  Ergebnis Seite 17694 C 5)  Anlage 4 6)  Anlage 5 7)  Anlage 6 8)  Anlage 7 9)  Anlage 8 10)  Anlage 9 11)  Anlage 10 --------------- ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 179. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 23. Juni 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 179. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 23. Juni 2016 V Plenarprotokoll 18/179