Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 197. Sitzung Berlin, Freitag, den 21. Oktober 2016 Inhalt: Änderung der Tagesordnung 19613 A Tagesordnungspunkt 26: a)   – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Fortentwicklung der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes Drucksachen 18/9040, 18/10069 19613 B – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. André Hahn, Frank Tempel, Ulla Jelpke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes Drucksachen 18/6640, 18/10069 19613 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. André Hahn, Frank Tempel, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Parlamentarische Kontrolle der nachrichtendienstlichen Tätigkeit des Bundes verbessern – zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Dr. Konstantin von Notz, Irene Mihalic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für eine wirksamere Kontrolle der Nachrichtendienste Drucksachen 18/6645, 18/8163, 18/10069 19613 C Clemens Binninger (CDU/CSU) 19613 D Dr. André Hahn (DIE LINKE) 19615 A Dr. Eva Högl (SPD) 19616 B Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19617 C Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) 19618 C Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 19619 B Dr. André Hahn (DIE LINKE) 19620 C Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) 19620 D Uli Grötsch (SPD) 19621 B Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU) 19622 C Tagesordnungspunkt 27: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes Drucksachen 18/9041, 18/10068 19624 C – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes Drucksachen 18/9529, 18/9854, 18/9879, Nr. 5, 18/10068 19624 D Nina Warken (CDU/CSU) 19624 D Martina Renner (DIE LINKE) 19626 A Christian Flisek (SPD) 19627 B Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19629 A Clemens Binninger (CDU/CSU) 19629 B Clemens Binninger (CDU/CSU) 19631 B Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 19632 C Gabriele Fograscher (SPD) 19633 D Andrea Lindholz (CDU/CSU) 19634 B Zusatztagesordnungspunkt 10: a)   – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Flexibilisierung des Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand und zur Stärkung von Prävention und Rehabilitation im Erwerbsleben (Flexirentengesetz) Drucksachen 18/9787, 18/10065 19635 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/10066 19635 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Statt Rente erst ab 67 – Altersgerechte Übergänge in die Rente für alle Versicherten erleichtern – zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Brigitte Pothmer, Beate Müller-Gemmeke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Flexible und sichere Rentenübergänge ermöglichen – zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Britta Haßelmann, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kommunales Ehrenamt stärken – Anrechnung von Aufwandsentschädigungen auf die Rente neu ordnen Drucksachen 18/3312, 18/5212, 18/5213, 18/10065 19636 A Dr. Martin Rosemann (SPD) 19636 B Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) 19637 B Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU) 19638 D Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) 19640 A Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU) 19641 B Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19641 C Dr. Martin Rosemann (SPD) 19643 A Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19643 C Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD) 19643 D Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) 19644 C Ralf Kapschack (SPD) 19646 C Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) 19647 B Tagesordnungspunkt 29: Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, Susanna Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Managergehälter beschränken Drucksache 18/9838 19648 D Katja Kipping (DIE LINKE) 19649 A Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) 19650 A Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19651 D Christian Petry (SPD) 19653 A Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 19653 D Klaus Ernst (DIE LINKE) 19654 D Klaus Barthel (SPD) 19656 A Zusatztagesordnungspunkt 11: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze Drucksachen 18/9232, 18/10064 19657 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Jutta Krellmann, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Etablierung von Leiharbeit und Missbrauch von Werkverträgen verhindern – zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Corinna Rüffer, Katja Keul, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen verhindern Drucksachen 18/9664, 18/7370, 18/10064 19657 D Anette Kramme, Parl. Staatssekretärin BMAS 19658 A Klaus Ernst (DIE LINKE) 19659 A Karl Schiewerling (CDU/CSU) 19660 A Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19661 B Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) 19662 D Jutta Krellmann (DIE LINKE) 19663 D Wilfried Oellers (CDU/CSU) 19664 C Markus Paschke (SPD) 19665 C Tobias Zech (CDU/CSU) 19666 C Tagesordnungspunkt 30: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen sowie zur Änderung des Zweiten und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch Drucksache 18/9984 19668 A b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes Drucksache 18/9985 19668 B Gabriele Lösekrug-Möller, Parl. Staatssekretärin BMAS 19668 B Katja Kipping (DIE LINKE) 19669 A Jana Schimke (CDU/CSU) 19670 A Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 19671 C Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD) 19672 D Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) 19673 D Daniela Kolbe (SPD) 19675 A Matthäus Strebl (CDU/CSU) 19675 D Tagesordnungspunkt 32: Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Katja Dörner, Ulle Schauws, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Damit Kinder gut aufwachsen – Kinderschutz und Prävention ausbauen Drucksache 18/9054 19676 C Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19676 D Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) 19678 A Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) 19679 B Ulrike Bahr (SPD) 19680 B Christina Schwarzer (CDU/CSU) 19681 C Gülistan Yüksel (SPD) 19682 D Eckhard Pols (CDU/CSU) 19683 C Tagesordnungspunkt 31: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Gartenbau sowie Garten- und Landschaftsbau als innovativen Wirtschaftszweig stärken und zukunftsfest machen Drucksache 18/10018 19684 D Thomas Mahlberg (CDU/CSU) 19685 A Ralph Lenkert (DIE LINKE) 19686 B Johann Saathoff (SPD) 19687 B Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 19689 A Artur Auernhammer (CDU/CSU) 19690 A Nächste Sitzung 19691 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 19693 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Tankred Schipanski (CDU/CSU) zu der Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Fortentwicklung der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes (Tagesordnungspunkt 26 a) 19693 D Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Tankred Schipanski (CDU/CSU) zu der Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes (Tagesordnungspunkt 27) 19694 A Anlage 4 Amtliche Mitteilungen 19694 B 197. Sitzung Berlin, Freitag, den 21. Oktober 2016 Beginn: 9.00 Uhr Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte nehmen Sie Platz. Zunächst einmal wünsche ich Ihnen allen einen wunderschönen guten Morgen. Die Sitzung ist eröffnet. Vor Eintritt in die Tagesordnung mache ich darauf aufmerksam, dass die für heute verlangte Aktuelle Stunde zum Thema „Aufklärung der Umstände der Verhaftung und des Todes im Fall Jaber Albakr“ nicht stattfindet. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat ihren Antrag zurückgezogen. (Beifall des Abg. Christian Flisek [SPD]) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a und 26 b auf: a)   – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Fortentwicklung der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes Drucksache 18/9040 – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. André Hahn, Frank Tempel, Ulla Jelpke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes Drucksache 18/6640 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/10069 b)   – Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. André Hahn, Frank Tempel, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Parlamentarische Kontrolle der nachrichtendienstlichen Tätigkeit des Bundes verbessern – zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Dr. Konstantin von Notz, Irene Mihalic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für eine wirksamere Kontrolle der Nachrichtendienste Drucksachen 18/6645, 18/8163, 18/10069 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann gehe ich davon aus, dass das so beschlossen ist. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Clemens Binninger von der CDU/CSU-Fraktion. – Bitte schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Clemens Binninger (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Parlamentarische Kontrollgremium ist eines der wenigen Gremien, die ausdrücklich in unserer Verfassung genannt sind. Die Mitglieder dieses Gremiums haben eine besondere Stellung, weil sie, anders als die Mitglieder in Fachausschüssen, nicht von ihren Fraktionen benannt und dorthin entsandt werden, sondern vom Parlament in geheimer Wahl mit Kanzlermehrheit gewählt werden. Das zeigt deutlich, dass dieses Gremium die Kontrolle der Nachrichtendienste ausübt anstelle des Parlamentes. Wir vertreten das ganze Parlament: nicht Parteipolitik, nicht in erster Linie Fraktionsinteressen, sondern die Interessen des Parlamentes. Dieses Gremium, das es schon lange gibt und das sehr lange nur im Geheimen getagt hat – vielleicht sogar etwas über Gebühr –, hatte 2009 eine größere Reform erfahren und hat eine Reihe von Befugnissen bekommen. Das Parlamentarische Kontrollgremium darf die Nachrichtendienste aufsuchen, Mitarbeiter befragen, sich Akten herausgeben lassen und von der Regierung Informationen verlangen. Aber in der Praxis war es schon so – als ehemaliges Mitglied und jetzt Vorsitzender dieses Gremiums muss ich das auch selbstkritisch sagen –: Wir hatten die Instrumente, aber wir hatten eigentlich nicht das Personal und schon gar nicht die Zeit, sie entsprechend anzuwenden. Wenn man aber eine wichtige Aufgabe erledigen will, muss man ihr auch im gebotenen Umfang nachkommen können. Vielen von uns ist es bei manchen Themen, die die Nachrichtendienste betreffen, so gegangen, dass wir in unseren Gremiensitzungen – ich will es einmal so sagen – der Presseberichterstattung etwas hinterhergehinkt sind. Bei dem einen oder anderen Thema haben wir uns vielleicht auch angesehen und gefragt: Was steckt dahinter? Das hat auch dazu geführt, dass manche Kritik, die man an den Nachrichtendiensten üben kann, und mancher Fehler in der Vergangenheit eine Art Skandalmelodie erfahren haben, was vielleicht gar nicht notwendig gewesen wäre, hätte vorher ein Gremium sagen können: Diesen Fall kennen wir. Wir haben ihn untersucht. Wir haben kontrolliert. Es mag Kritik geben, aber es ist kein Grund zur Skandalisierung. Deshalb war unsere Überlegung: Wie können wir die Arbeit dieses Gremiums – nicht zuletzt auch als Reaktion auf die ganze Thematik im Zusammenhang mit NSA, Snowden, den Erkenntnissen des Untersuchungsausschusses, aber auch unseren eigenen Erkenntnissen, weil wir eine Taskforce eingesetzt und das untersucht haben – leistungsstärker machen und verbessern und die Kontrolle dauerhaft auf ein seriöses hohes Niveau heben? Wir sind nicht – das sage ich als Vorsitzender immer wieder – der Durchlauferhitzer für Skandale. Wir sind nicht dazu da, Parteipolitik zu machen. Wir sind nicht dazu da, etwas hochzublasen, damit andere sich profilieren können. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir kontrollieren seriös und kompetent. Damit leisten wir in zweierlei Hinsicht einen Beitrag. Ich bin sehr dafür – wir werden das nachher mit Blick auf den anderen Gesetzentwurf auch noch zu besprechen haben –: Wir brauchen leistungsfähige und starke Nachrichtendienste. Wir brauchen aber auch Nachrichtendienste, die konsequent kontrolliert werden – im Rahmen der Dienst- und Fachaufsicht durch die Exekutive, aber auch durch das Parlament. Ich will mich vor die Nachrichtendienste stellen können. Das tue ich auch. Das kann ich aber nur, wenn ich weiß, dass ich sie gut, umfassend und seriös kontrolliere. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Deshalb beheben wir mit diesem Gesetzentwurf eine Reihe von Mängeln, die wir festgestellt haben. Punkt eins: mehr Personal. Wir schaffen einen Arbeitsstab mit einem Ständigen Bevollmächtigten an der Spitze. Das ist nicht – das sage ich deutlich – der Nachrichtendienstbeauftragte des Parlaments – das sind wir, die neun gewählten Parlamentarier –, das ist vielmehr unser Arbeitsstab. Der Bevollmächtigte ist der Chef dieses Arbeitsstabes. Er arbeitet in unserem Auftrag dauerhaft an dieser Aufgabe und berichtet ausschließlich uns. Damit wird eine wichtige Lücke geschlossen. Wir fügen öffentliche Elemente ein. Manches bei den Diensten ist zu Unrecht, wie ich finde, in einer Grauzone. Die Dienste können sich mehr öffnen. Wir leisten dazu einen Beitrag – unsere Sitzungen sind grundsätzlich geheim; daran wird sich nichts ändern –: Einmal im Jahr wird es eine öffentliche Anhörung mit den Präsidenten der Nachrichtendienste wie in den USA geben. Das ist für beide Seiten eine Chance, ihre Arbeit darzustellen. Dadurch tragen wir zur Akzeptanz unserer Arbeit, aber auch der Arbeit der Dienste bei. Damit tun wir den Diensten – das glaube ich schon – einen großen Gefallen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir führen eine Regelung ein, nach der Mitarbeiter uns, das PKGr, mit Informationen über Missstände versorgen können. Wir schützen diese – der Begriff gefällt mir zwar nicht – Whistleblower. Wir können sie aber nicht beliebig schützen. Wir sagen: Wer uns Missstände mitzuteilen hat, wird geschützt. Sein Name wird nicht an die Exekutive gegeben. Solange wir ihn nicht für die Aufklärung brauchen, bleibt der Name bei uns. (Zuruf des Abg. Dr. André Hahn [DIE LINKE]) Aber ich habe schon die Erwartung, dass, wer Missstände anprangert und weiß, dass er geschützt wird, seinen Namen nennt. Für anonyme Mitteilungen ist dieses Gremium nicht zuständig. Deshalb haben wir eine gute Regelung gefunden: Schutz der Hinweisgeber bei klarer Benennung und Schutz des Namens, solange wir ihn nicht unbedingt weitergeben müssen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich komme zu meinem letzten Punkt; das wurde häufig kritisiert. Kollege Ströbele wird es gleich in seiner Rede auch wieder sagen: Er wird unvollständig informiert. – Er findet oft drastischere Worte, die meistens etwas übertrieben sein mögen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, na, na! Jetzt geht es aber los!) Wir hatten in der Vergangenheit das Grundproblem: Welche Fälle von besonderer Bedeutung teilt uns die Bundesregierung mit? Der Streit war immer der gleiche. Es hieß: Das kommt darauf an. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Deshalb haben wir im Gesetzentwurf eine Regelung vorgesehen, in der wir definieren, was Fälle von besonderer Bedeutung sind. Diese muss uns die Regierung mitteilen. Damit haben wir Rechtssicherheit und Klarheit auf beiden Seiten. Damit ist die Zeit der Ausreden vorbei. Deshalb kommen wir damit auch in dieser Hinsicht auf ein neues Informations- und ein neues Qualitätsniveau der Kontrolle. Ich kann in Summe sagen: mehr Personal für die Aufgabe, mehr Öffentlichkeitselemente, klare Definitionen, Schutz von Hinweisgebern. Wir stärken dieses Gremium. Es ist das Gremium des ganzen Parlaments. Das sollten wir nie vergessen. Es leistet einen wichtigen Beitrag. Ich hoffe sehr, dass die Zustimmung zu diesem guten Gesetzentwurf breit ausfällt. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. André Hahn, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. André Hahn (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Beste am Gesetzentwurf der Koalition ist der Titel: Gesetz zur weiteren Fortentwicklung der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes. Die ist auch dringend nötig. Der Inhalt des Gesetzes erfüllt den Anspruch einer effektiveren und vor allem einer besseren Kontrolle jedoch definitiv nicht. (Beifall bei der LINKEN) Ich habe schon in der ersten Lesung darauf hingewiesen, dass in diesem Gesetzentwurf wichtige Punkte fehlen. Andere sollen zwar Eingang finden, werden jedoch nur halbherzig geregelt. In einer ganz zentralen Frage wird das Parlamentarische Kontrollgremium eher geschwächt als gestärkt. Ich komme im Einzelnen noch darauf zurück. Ich muss leider feststellen, dass sich die Koalition auch in den Ausschussberatungen wieder einmal völlig beratungsresistent gezeigt hat. Bis auf eine klitzekleine Ergänzung gab es nicht eine einzige substanzielle Änderung am ursprünglichen Gesetzentwurf. Das wäre aber mit Blick auf den nächsten Tagesordnungspunkt dringend erforderlich gewesen. Wer der Massenüberwachung durch den BND Tür und Tor öffnen, (Widerspruch bei der CDU/CSU) den Auslandsgeheimdienst auch im Inland einsetzen und das Ausspähen unter Freunden nun ganz offiziell erlauben will, müsste wenigstens die parlamentarische Kontrolle stärken. Doch genau das passiert nicht. (Beifall bei der LINKEN) Deshalb werden und können wir dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht zustimmen. (Beifall bei der LINKEN) Eigentlich wollte ich die Koalition zumindest in einem Punkt loben (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Dann mach doch! – Burkhard Lischka [SPD]: Jetzt gib dir einen Ruck!) – ich hätte es gern getan –, weil, wie von uns seit langem gefordert, den PKGr-Mitgliedern endlich erlaubt werden sollte, zumindest den eigenen Fraktionsvorsitzenden über wichtige Themen aus dem Gremium zu informieren. So stand es ursprünglich in einer von netzpolitik.org geleakten Arbeitsfassung der Koalition. Im Gesetzentwurf findet sich darüber kein Wort mehr. Dass sich Mitarbeiter der Dienste künftig – Herr Binninger hat darauf hingewiesen – bei Missständen oder Problemen zunächst auch ohne Unterrichtung ihrer Vorgesetzten an das PKGr wenden können, klingt vernünftig. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Das war schon immer so!) Wenn deren Namen im Zweifel auf Verlangen der Bundesregierung aber dann doch wieder bekannt gegeben werden sollen, ist das mit Sicherheit kein wirksamer Whistleblower-Schutz. (Beifall bei der LINKEN) Dass das PKGr von ihm in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten künftig an andere Gremien des Bundestages und an Untersuchungsausschüsse der Landtage weitergeben kann, ist eigentlich selbstverständlich. Hier wird eine bislang vorhandene Regelungslücke geschlossen. Völlig in die falsche Richtung geht die geplante Schaffung eines Ständigen Bevollmächtigten des PKGr. Diese Stelle samt Stellvertreter kostet Millionen und bringt wenig bis gar nichts. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Woher wissen Sie das denn? – Burkhard Lischka [SPD]: Vorher haben Sie was ganz anderes gefordert!) Vielmehr besteht die ernste Gefahr, dass besonders sensible Vorgänge oder Akten künftig allein dem Bevollmächtigten vorgelegt werden und nicht mehr den gewählten Abgeordneten; ich erinnere an den Sonderbeauftragten Graulich und die NSA-Selektoren. Damit würde die parlamentarische Kontrolle nicht unterstützt, sondern letztlich ausgehebelt. Auf den Mitarbeiterstab des sogenannten Bevollmächtigten wird die Opposition keinerlei Einfluss haben. (Burkhard Lischka [SPD]: Wo steht denn das? Ich habe diese Fundstelle im Gesetz gar nicht gefunden!) Ich finde es im Übrigen ziemlich perfide, dass, bevor das Gesetz überhaupt beschlossen worden ist, die personelle Besetzung für das noch gar nicht existierende Amt in der Koalition schon ausgedealt wurde. So viel zum Respekt gegenüber dem Parlament. (Beifall bei der LINKEN) Dass in der Union allen Ernstes erwogen worden ist, den derzeitigen Vizechef des BND zum neuen Geheimdienstkontrolleur umzufunktionieren, setzt dem Ganzen noch die Krone auf. (Burkhard Lischka [SPD]: Davon weiß ich gar nichts! Das ist Bild-Zeitungs-Wissen! – Dr. Eva Högl [SPD]: Das sind Bild-Zeitungs-Gerüchte!) Wer so agiert, braucht sich über Politikverdrossenheit wahrlich nicht zu wundern. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Schließlich fehlen im Entwurf der Koalition wichtige Punkte, so eine Stellvertreterregelung für die Mitglieder des PKGr, die Schaffung der Möglichkeit zur Einsicht in die elektronischen Daten und Netzwerke der Dienste – genauso wie sie die Kollegen in den Niederlanden oder in Norwegen haben – sowie die Anfertigung eines Tonbandmitschnitts der gesamten Sitzung des PKGr, um später bei Bedarf die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben von Bundesregierung bzw. Geheimdiensten prüfen zu können. (Burkhard Lischka [SPD]: Das haben wir doch alles schon gemacht!) Nach dem Willen von CDU/CSU und SPD gibt es trotz erdrückender Übermacht im Parlament auch keinerlei Stärkung der Minderheitenrechte im Kontrollgremium. Der künftige Ständige Bevollmächtigte kommt wohl aus dem Bundesinnenministerium. Wer glaubt denn ernsthaft, dass der im Zweifel seinen jetzigen Chef in Schwierigkeiten bringen wird, wenn es um den Verfassungsschutz geht? Ich habe bereits in der ersten Lesung BND-Präsident Kahl hier zitiert, der bei seiner Amtseinführung erklärte: Geheimer Nachrichtendienst und vollständige Transparenz schließen sich aus. – Ja, das ist wohl so, und genau daraus resultiert unsere grundsätzliche Skepsis gegenüber Geheimdiensten. Solange es für deren Überwindung aber keine realistische Mehrheit hier im Parlament gibt, müssen wir sie wenigstens halbwegs vernünftig kontrollieren. Der Gesetzentwurf der Koalition leistet dazu keinen Beitrag. Der Entwurf der Linken gibt die eindeutig besseren Antworten, selbst wenn die Mehrheit ihn heute wieder ablehnen wird. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Seid ihr jetzt dafür, sie zu behalten? Ich denke, ihr wollt sie abschaffen!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kollegin Dr. Eva Högl das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Eva Högl (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einen schönen guten Morgen! Wir beraten heute Morgen hier zu bester Parlamentszeit zwei wesentliche und sehr wichtige Reformen. Zunächst debattieren wir über neue und bessere Rechtsgrundlagen für die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste und über eine Reform unserer parlamentarischen Kontrolle und dann gleich im Anschluss über neue und bessere Rechtsgrundlagen für den Bundesnachrichtendienst. Wir wissen alle: Das sind zwei wirklich wichtige Reformen; sie resultieren aus der Kritik, die wir hier im Deutschen Bundestag in zwei wichtigen Untersuchungsausschüssen, dem NSU-Untersuchungsausschuss der letzten Legislaturperiode und dem NSA-Untersuchungsausschuss dieser Legislaturperiode, herausgearbeitet haben. Wir haben gerade in dieser Woche hier im Deutschen Bundestag in den Ausschüssen, insbesondere im Rechts- und im Innenausschuss, wieder einmal viel Anlass zur Kritik an den Sicherheitsbehörden gehabt, in diesem Fall an den Behörden, insbesondere Polizei und Strafvollzug, in Sachsen. Dort sind Fehler gemacht worden. Aber ich möchte dies zum Anlass nehmen, hier mit einem ganz eindeutigen Lob zu beginnen, nämlich einem ganz eindeutigen Lob für die Arbeit unserer Sicherheitsbehörden; denn wir reden immer viel über Kritik, wenn Fehler gemacht worden sind, aber wir vergessen ganz häufig, zu sagen, wie ordentlich an vielen Stellen in unserem Land, in Bund und Ländern, gearbeitet wird. Herzlichen Dank dafür. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Auch der Fall in Sachsen gibt nicht nur Anlass zur Kritik, sondern wir müssen ganz deutlich sagen: Dort konnte ein Anschlag verhindert werden. Das ist das ganz Entscheidende, bei aller Dramatik des weiteren Verlaufs des Falls. Natürlich hätte der Suizid verhindert werden müssen. Aber dieser Fall zeigt, dass gerade unsere Nachrichtendienste – und darüber sprechen wir hier heute Morgen – ganz hervorragend gearbeitet haben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die Kooperation mit den ausländischen Diensten hat funktioniert. Das zeigt noch einmal, wie wichtig dieser Austausch ist. Die Weitergabe der Informationen zwischen den ausländischen Diensten, Bund und Land hat funktioniert, die Verarbeitung der Informationen und die Konkretisierung der Informationen haben funktioniert und letztendlich auch die Zusammenarbeit mit der Polizei. Das sind ganz wichtige Erkenntnisse. Deswegen war es mir wichtig, das heute Morgen hier einmal zu betonen. Unsere Nachrichtendienste haben alle eine wirklich wichtige Aufgabe bei der Gewährleistung unserer Sicherheit und beim Schutz von Demokratie und Rechtsstaat. Deswegen ist es unsere gemeinsame Aufgabe hier im Deutschen Bundestag, die Nachrichtendienste ganz ausdrücklich zu stärken, sie mit Personal und Technik zu unterstützen und gute Arbeitsbedingungen zu schaffen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wiederum zeigt ein aktueller Fall, nämlich der Fall der „Reichsbürger“ nicht nur in Bayern, sondern auch in anderen Teilen unseres Landes, wie wichtig es ist, dass die Nachrichtendienste nahe an den Themen, an den Personen, an den Strukturen und an den Organisationen sind, (Zuruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) wenn sie ihrer Aufgabe nachkommen wollen, unsere Freiheit und unsere Sicherheit zu schützen und gegen die vorzugehen, die diese Freiheit und Sicherheit bedrohen. Unsere Nachrichtendienste dürfen nichts aus dem Auge verlieren, müssen alle Entwicklungen gut im Blick haben, und deshalb brauchen sie an der Stelle unsere Unterstützung. Dafür sind – das sind die zwei entscheidenden Stichworte bei unserer Reform – Vertrauen und Kontrolle notwendig. Die Nachrichtendienste haben durch die Ergebnisse der Untersuchungsausschüsse viel an Ansehen und Vertrauen verloren. Wir wollen mit dieser Reform an diesen beiden Stellen deutlich machen, dass es wichtig ist, über eine wirksame, systematische und strukturelle Kontrolle dieses Vertrauen wiederherzustellen. Denn wir mussten feststellen, dass die Kontrolle bisher nicht funktioniert hat, weder in den Nachrichtendiensten selbst noch in den zuständigen Ministerien oder im Kanzleramt. Auch unsere parlamentarische Kontrolle hier und im Parlamentarischen Kontrollgremium war bisher unzureichend, weil wir keine ausreichenden Möglichkeiten hatten, sie gut auszuüben. Ich sage an dieser Stelle ganz deutlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch in Richtung der Nachrichtendienste und aller Beschäftigten dort: Kontrolle schafft Vertrauen. Kontrolle ist kein Angriff auf die Nachrichtendienste, sondern Kontrolle stärkt sie und schafft die Grundlagen, damit sie auf der Basis von Vertrauen, das wir ihnen geben, gut und noch besser arbeiten können. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist verfassungsrechtlich vorgegeben!) Deswegen sind zwei Dinge so wichtig, die wir auf den Weg bringen. Das ist auch schon erwähnt worden, deswegen kann ich es kurz machen. Der Ständige Bevollmächtigte ist eine ganz zentrale Forderung schon aus Zeiten des NSU-Untersuchungsausschusses. Er wird das PKGr gut unterstützen. Die Opposition ist selbstverständlich daran beteiligt, lieber Herr Hahn. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Aber nicht bei der Personalauswahl!) Denn der Ständige Bevollmächtigte wird auf Vorschlag des PKGr ernannt. Und ich gehe davon aus, dass die Opposition auch weiterhin im PKGr vertreten sein wird. Deswegen ist die Opposition auch an dieser Entscheidung beteiligt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der neu zu schaffende Stab – das ist ganz wichtig – wird die Arbeit des Parlamentarischen Kontrollgremiums stützen. Er arbeitet für alle Abgeordneten, die im PKGr sitzen – und damit auch für die Oppositionsabgeordneten. Dieser Stab ist für alle Bundestagsabgeordneten zuständig. (Beifall bei der SPD) Deswegen werbe ich um Zustimmung zu dieser wichtigen Reform. Man kann es immer noch besser machen; aber das ist ein ganz entscheidender Schritt hin zu einer besseren Arbeitsfähigkeit. Es ist eine Chance für die Stärkung der Nachrichtendienste. Ich hoffe, dass hier im Bundestag, aber auch in den Nachrichtendiensten verstanden wird, wie wir diese Reform gemeint haben. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Christian Ströbele spricht jetzt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Koalition wird heute dafür sorgen, dass eine reale Chance verpasst wird, den größten deutschen Geheimdienst unter demokratische Kontrolle zu bringen und endlich an die Leine zu legen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Anstatt ein Gesetz zu machen, durch das die Tätigkeit des Bundesnachrichtendienstes verfassungskonform gestaltet wird, geben Sie dem Bundesnachrichtendienst jetzt die Erlaubnis, die illegale Praxis, die dort seit mehr als 15 Jahren betrieben wird, fortzusetzen. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Den Punkt behandeln wir nachher! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist der nächste Tagesordnungspunkt!) Statt das Parlamentarische Kontrollgremium und seine Arbeit wirkungsvoller zu gestalten, schaffen Sie jetzt zu den vier Institutionen der Kontrolle, die wir bereits haben, zwei zusätzliche. Dadurch wird die Kontrolle nicht besser, sondern sie wird noch mehr zersplittert sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Als dienstältestes Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums sage ich auch einmal etwas Positives: Die Arbeit des PKGr hat sich in dieser Legislaturperiode substanziell verbessert. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Armin Schuster [Weil am Rhein] [CDU/CSU]) Wir haben nicht nur sieben AGs zu sieben Themen gegründet, sondern wir haben auch eine Taskforce eingesetzt und Sachverständigte beauftragt. Das ist gut und richtig und war auch – das muss ich sagen – sehr ertragreich. Der Fehler ist, dass von dieser Tätigkeit und dem, was wir da an teilweise Skandalösem herausbekommen haben, leider nichts an die Öffentlichkeit gegeben werden darf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass das nicht wirksam ist, liegt doch an etwas ganz anderem. Wir brauchen doch nicht zwei weitere Gremien, um den Fehler zu beheben. Der Fehler ist nämlich der, dass von der Bundesregierung und den Diensten nicht vollständig und nicht wahrheitsgemäß berichtet wird. Wir sind aber darauf angewiesen, dass das, was von dort kommt, tatsächlich stimmt. Und das ist in der Vergangenheit nicht der Fall gewesen. Ich will Ihnen dazu zwei Beispiele nennen: Ich lese, dass bei „Eikonal“ (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Dünnes Eis! Jetzt vorsichtig!) in die Akten geschrieben worden ist: Das größte Risiko besteht darin, dass das Parlamentarische Kontrollgremium oder die G-10-Kommission von dem, was wir hier machen, erfahren. Das ist das größte Risiko, und das muss vermieden werden. – Diejenigen, die das geschrieben haben, sind nicht etwa rausgeschmissen worden, sondern sie sind immer noch da. Und die Leitung des Dienstes hat sich danach gerichtet. Das ist skandalös! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Beim Studium der Akten sehe ich die Bilder aus dem Sommer 2013 – Juni, Juli, August, September – vor mir, als die Bundesregierung und die Dienste dort berichtet haben und diese Herren wie Unschuldslämmer aus dem Tal der Ahnungslosen dasaßen und mit großen Augen sagten: Wir wissen überhaupt nicht, wovon die Rede ist. Prism, Tempora? Nie gehört. Ob es den Snowden und seine Dokumente überhaupt gibt, wissen wir gar nicht. Es gibt ja nur Kopien davon. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So war das!) Und von den Telefonnummern, die da genannt werden, fehlen ja die letzten Ziffern. – In Wahrheit war es so, dass das alles stimmte. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Stimmt ja nicht alles!) Was viel schlimmer ist: Dieselben Herren haben, wenn sie nicht berichtet haben, in den Diensten gesessen und die Dateien gesäubert von den illegalen Selektoren, die da drin waren, (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Nicht immer fantasieren! Zum Thema sprechen!) weil sie sahen: Das wird jetzt möglicherweise ans Licht kommen. Sie haben die Mittel ihrer Rechtsbrüche beseitigt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das ist die Unwahrheit gegenüber den Kontrollgremien. Solange Sie da nicht mehr tun, wird sich nichts ändern. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Verschwörungstheorien!) Deshalb: Legen Sie Ihren Vorschlag beiseite. Der bringt keine substanzielle Änderung. Schreiben Sie in das Gesetz etwas Selbstverständliches hinein, nämlich dass die Bundesregierung und die Dienste wahrheitsgemäß berichten müssen und dass es, wenn sie dies nicht tun, Sanktionen zur Folge hat. Dann muss beispielsweise ein Disziplinarverfahren eingeleitet werden, oder die Abgeordneten können mit solchen Skandalen an die Öffentlichkeit gehen. Nur so erreichen Sie, dass in Zukunft die bessere Arbeit tatsächlich auch wirkungsvoll ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt Stephan Mayer das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Wir haben – dieser festen Überzeugung bin ich – eine gute parlamentarische Kontrolle unserer Nachrichtendienste. Sehr geehrter Herr Kollege Ströbele, ich erkenne es durchaus an, dass Sie zugestehen, dass sich die Arbeit des PKGr in dieser Legislaturperiode substanziell verbessert hat. Aber aus meiner Sicht gilt für das Parlamentarische Kontrollgremium dasselbe wie für viele andere Lebensbereiche: Was gut ist, kann immer noch verbessert werden. Ich bin auch der festen Überzeugung: Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf verbessern wir qualitativ die Arbeit des Parlamentarischen Kontrollgremiums enorm. Wir stärken damit aber auch die Nachrichtendienste insgesamt. Eine optimierte parlamentarische Kontrolle unserer Nachrichtendienste in einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung stärkt auch die Legitimität unserer Nachrichtendienste. Deswegen ist es auch im Interesse der Nachrichtendienste, dass wir die Qualität der Kontrolle deutlich verbessern. Das Herzstück dieses Gesetzentwurfes ist der Ständige Bevollmächtigte mit seinem Arbeitsstab. Wir schaffen insgesamt zwölf zusätzliche Stellen in der Bundestagsverwaltung. Der Ständige Bevollmächtigte wird aber kein Geheimdienstbeauftragter des Bundestages sein. Er wird kein freies Radikal sein, das im luftleeren Raum schwirrt, sondern er wird dem Parlamentarischen Kontrollgremium gegenüber klar weisungsgebunden sein. Das ist aus meiner Sicht ein sehr wesentlicher und guter Schritt nach vorne. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, das behaupten nicht nur wir von der Koalition, sondern das behaupten auch die Sachverständigen, die in der Anhörung am 26. September dieses Jahres befragt wurden. Der ehemalige BND-Präsident Schindler hat den heute zur Disposition stehenden Gesetzentwurf ausdrücklich und wortwörtlich als „Meilenstein“ tituliert, und er hat die Funktion dieses neuen Ständigen Bevollmächtigten wortwörtlich als ein „vielversprechendes Modul“ gelobt. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat gesagt, das ist gänzlich unzureichend! Das ist ein Tunnelblick, Herr Mayer! Er hat das scharf kritisiert!) Also: Auch die Sachverständigen haben sich durchweg positiv über diesen vorliegenden Gesetzentwurf geäußert. Meines Erachtens, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ist es auch ein erheblicher Schritt nach vorne, dass wir jetzt endlich auch die besonderen Vorkommnisse, die uns die Bundesregierung im Parlamentarischen Kontrollgremium zu berichten hat, genau spezifizieren, um, Herr Kollege Ströbele, dem Problem entgegenzuwirken, dass es letzten Endes im Ermessen der Bundesregierung liegt, was sie uns mitteilt oder was sie uns nicht mitteilt. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich lese nur genau, was da steht!) Jetzt wird genau aufgeführt, was ein besonders erwähnens- und berichtenswerter Vorgang ist. Das ist dann der Fall, wenn ein Vorgang in der öffentlichen Debatte eine Rolle spielt, wenn er Gegenstand der öffentlichen Berichterstattung sein wird, wenn er das Lagebild über die innere und äußere Sicherheit verändert oder wenn es ein Vorgang ist, der auf die Aufgabenerfüllung der Nachrichtendienste besonderen Einfluss haben wird. Des Weiteren bin ich der festen Überzeugung, dass es ein qualitativer Schritt nach vorne ist, dass wir das Parlamentarische Kontrollgremium endlich genauso behandeln wie alle anderen Parlamentsausschüsse. Wir werden in Zukunft zu Beginn der Legislaturperiode einen Vorsitzenden für die gesamte Dauer der Legislaturperiode wählen. Ich bin der Meinung, dass es nicht sehr zielführend war, dass wir den Vorsitz und den stellvertretenden Vorsitz jährlich gewechselt haben. Auch hier ist ein bemerkenswerter Schritt nach vorne zu verzeichnen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Mayer gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele? Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Selbstverständlich, sehr gerne. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön, Herr Kollege Ströbele. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke, Herr Kollege Mayer. – Geben Sie mir recht, dass die bisherige Regelung, die vorsieht, dass alternierend von der Koalition und dann von der Opposition die Vorsitzenden gestellt werden, eine sehr viel demokratischere Regelung ist, die auch die legitimen Rechte der Opposition viel mehr wahrt, (Clemens Binninger [CDU/CSU]: In welchem Ausschuss haben wir das denn sonst noch? – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Alle anderen Ausschüsse sind undemokratisch?) als die neue Regelung, nach der ein Vorsitzender für vier Jahre bestimmt wird, wobei aber ein Vertreter der Opposition – das ergeben die Zahlen – niemals Vorsitzender werden kann? (Burkhard Lischka [SPD]: Was?) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Kollege Ströbele, ich sehe in keiner Weise die bisherige Regelung, die 23 Parlamentsausschüsse betrifft, als undemokratisch an. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es wird im Vorfeld festgelegt, welcher Parlamentsausschuss von welcher Fraktion mit dem Vorsitz belegt wird. Im Gesetz ist doch überhaupt nicht festgeschrieben, Herr Kollege Ströbele, dass der Vorsitz im Parlamentarischen Kontrollgremium von einer Regierungsfraktion gestellt werden muss. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Hahn hat das doch gut gemacht!) Es kann durchaus sein, dass Sie, Herr Kollege Ströbele, möglicherweise in der nächsten Legislaturperiode Vorsitzender des PKGr werden. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das ist durch dieses neue Gesetz nicht ausgeschlossen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das würde helfen, Herr Mayer! – Burkhard Lischka [SPD]: Dann treten wir in sofortige Verhandlungen ein!) Ich hoffe, dass Sie diese Möglichkeit, die durchaus im Raum steht – ich wünsche Ihnen auch, dass Sie dem nächsten Parlament wieder angehören –, nicht als undemokratisch bezeichnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir bringen jetzt noch einen Änderungsantrag dergestalt ein, dass wir auch dem Vertrauensgremium im Haushaltsausschuss die Möglichkeit eröffnen, auf den Ständigen Bevollmächtigten zuzugreifen im Benehmen mit dem Parlamentarischen Kontrollgremium. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, es ist aber auch festzustellen – das zeigt auch die heutige Debatte –, dass die Opposition dieser qualitativen Verbesserung der parlamentarischen Kontrolle genau gegenteilig gegenübersteht. Herr Kollege Dr. Hahn, Sie haben seitens der Linken einen Gesetzentwurf und einen Antrag eingebracht, die sich mit der parlamentarischen Kontrolle beschäftigen. Was Sie nur verschweigen – hier bitte ich Sie um mehr Ehrlichkeit –: Sagen Sie doch bitte ganz offen, dass Sie die Nachrichtendienste abschaffen wollen. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das ist nichts Neues!) Das wäre Ehrlichkeit. Wenn die Punkte, die in Ihrem Antrag stehen, umgesetzt würden, würden Sie die Arbeit der drei Nachrichtendienste auf Bundesebene aushöhlen. Das wäre aus meiner Sicht ein erhebliches Sicherheitsdefizit und ein erhebliches Sicherheitsrisiko für die Bundesrepublik Deutschland angesichts der jetzigen Bedrohungssituation. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich möchte, meine Kolleginnen und Kollegen, nur zwei Punkte herausgreifen. Zum einen fordern Sie seitens der Linken, dass die Nachrichtendienste kategorisch auf den Einsatz von V-Leuten verzichten. Sagen Sie es bitte ganz offen: Sie wollen unsere Nachrichtendienste darauf reduzieren, (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Wir wollen sie am liebsten abschaffen!) dass sie nur noch Zeitungslektüre betreiben dürfen, dass sie Zeitungsartikel lesen, ausschneiden und abheften dürfen. (Burkhard Lischka [SPD]: Die Bild-Zeitung!) Mehr sollen unsere Nachrichtendienste, wenn es nach den Linken geht, nicht mehr machen dürfen. Das ist aus meiner Sicht eine erhebliche Erschwernis. Wir werden diesem Antrag deutlich entgegentreten. Ein zweiter Punkt, der meines Erachtens dem Fass den Boden ausschlägt: Sie fordern als Fraktion Die Linke, dass es in das Ermessen des einzelnen Bundestagsabgeordneten gestellt wird, „nach gewissenhafter Prüfung der Sach- und Rechtslage“ – das schreiben Sie in Ihrem Antrag –, ob ein Staatsgeheimnis öffentlich gemacht wird. Also, Sie würden jedem Bundestagsabgeordneten zubilligen, dass er selber entscheidet, ob er ein Staatsgeheimnis veröffentlichen darf. Gerade in der jetzigen Bedrohungssituation wäre das eine Versündigung an der Sicherheitslage in Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Burkhard Lischka [SPD]) Wir sind in einer erheblichen Anspannung. Unsere Sicherheitsbehörden stehen vor einer enormen Herausforderung. Es ist derzeit ohnehin schon schwer genug, andere Nachrichtendienste, auch solche, mit denen wir im Austausch stehen, immer wieder dazu zu bringen, mit uns konstruktiv und vertrauensvoll zusammenzuarbeiten, weil leider Gottes immer wieder Dinge die Öffentlichkeit erreichen, die dort nicht hingehören. Das ist eine Gefahr für die Sicherheit in unserem Lande. Ich sage zum Abschluss noch einmal ganz deutlich und ganz bewusst: Die Linken sind insoweit aus meiner Sicht auch ein Sicherheitsrisiko für unser Land. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Diejenigen, die das Bundesverfassungsgericht als „Klassenjustiz“ bezeichnen, dürfen sich über einen solchen Ausspruch nicht wundern!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort zu einer Kurzintervention hat jetzt der Kollege André Hahn. Dr. André Hahn (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Ich kann nicht jeden Unfug richtigstellen, den Kollege Mayer eben erzählt hat. Deshalb will ich mich auf zwei Punkte beschränken. Erstens. Herr Mayer, Sie haben darauf hingewiesen, dass unser Gesetzentwurf vorsieht, dass man bestimmte Dinge an die Öffentlichkeit bringen kann. Ja, wir haben das klar definiert, und zwar für den Fall, dass gegen die Verfassung, das Grundgesetz, verstoßen wird; dann muss es die Möglichkeit geben, das offenzulegen. (Beifall bei der LINKEN) Da dürfen die Geheimdienste nicht im luftleeren Raum arbeiten. Zweitens. Finden Sie es im Ernst sinnvoll und demokratisch, dass das Parlamentarische Kontrollgremium der Opposition eine Erlaubnis erteilen muss, wenn sie die Regierung kritisieren will? (Burkhard Lischka [SPD]: Das machen wir doch gar nicht! Wir haben so vernünftig zusammengearbeitet!) Die gegenwärtige Regelung lautet, dass es eines Zweidrittelmehrheitsbeschlusses bedarf, bevor öffentliche Stellungnahmen abgegeben werden können. Das heißt, wenn der Kollege Ströbele oder ich die Regierung kritisieren will, dann müssen Sie vorher zustimmen, dass es diese öffentliche Stellungnahme gibt. Das hat mit demokratischen Verfahren wahrlich nichts zu tun. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Herr Kollege Mayer zur Erwiderung. Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Herzlichen Dank für diese Kurzintervention, sehr geehrter Herr Kollege Hahn. Sie gibt mir die Gelegenheit, wirklich deutlich zu machen, dass Sie für die Arbeit von Nachrichtendiensten einfach überhaupt nichts übrighaben und dass Sie auch das Erfordernis einer qualitativ hochwertigen parlamentarischen Kontrolle unserer Nachrichtendienste immer noch nicht verstanden haben. Wir, die neun Mitglieder im Parlamentarischen Kontrollgremium, tagen geheim. Was wir erfahren, hat in der Öffentlichkeit grundsätzlich nichts verloren. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Grundsätzlich!) Wenn wir uns dann doch darauf verständigen – das hat das PKGr in den letzten Jahren so häufig wie noch nie zuvor gemacht –, (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Weil es so viele Skandale gab!) eine öffentliche Erklärung abzugeben, dann kann dies doch nicht in das Ermessen jedes Einzelnen der neun Mitglieder gestellt werden; vielmehr bedarf es natürlich einer qualitativen Mehrheit, wenn wir uns als Gremium in toto zu Wort melden. Natürlich bleibt es jedem einzelnen Mitglied unbenommen, ein Sondervotum abzugeben. (Burkhard Lischka [SPD]: Haben wir auch schon gemacht! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Zweidrittelmehrheit wollen Sie!) Ich erkenne an der in dieser Legislaturperiode geübten Praxis – wir haben sie substanziiert noch nie so gut vollzogen wie in dieser Legislaturperiode; da bin ich vollkommen der Meinung des Kollegen Ströbele – überhaupt nichts Undemokratisches. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Burkhard Lischka [SPD]) Um noch einmal auf Ihren ersten Punkt, Herr Hahn, einzugehen: Sie schreiben unter Punkt III Ziffer 7 Ihres Antrags ganz klar, dass die Bundesregierung aufgefordert wird, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der es ermöglicht, dass einzelne Mitglieder des Bundestages Staatsgeheimnisse öffentlich bekannt machen. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Dann lesen Sie mal weiter! – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie können nicht selektiv zitieren! Sie müssen auch den nächsten Satz vorlesen!) Sie können es doch nicht in das Ermessen von jedem von uns 630 Abgeordneten stellen, ob er gerade einmal der Meinung ist, dass ein Staatsgeheimnis die Öffentlichkeit erreichen soll. Das halte ich wirklich, mit Verlaub, für hanebüchen, für hoch riskant und für vollkommen untragbar. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Uli Grötsch, SPD-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Uli Grötsch (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, in der letzten Kurzintervention wurde ein Dilemma deutlich, das wir als Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums oftmals haben, nämlich dass in der Öffentlichkeit keiner darüber reden oder berichten kann, wie wirklich gehandelt wird und wie gut wir dort im Grunde zusammenarbeiten. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Ja, das stimmt!) Von daher halte ich es für schwierig, sich hier vorne hinzustellen, Kollege Dr. Hahn, und zu behaupten, dass wir Ihnen im PKGr erlauben müssten, dass Sie die Bundesregierung kritisieren. Das wäre ja noch schöner. Das wollte ich an dieser Stelle nur einmal richtigstellen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das passiert aber!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, laut meinem Kalender hatten wir im Jahr 2016 bisher 8 Sitzungen des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Im Vergleich dazu hatten wir 15 reguläre Sitzungen des Innenausschusses, 3 Sondersitzungen und unzählige Sachverständigenanhörungen. Wäre es ein normales Jahr gewesen, hätten diese 8 Sitzungen vielleicht sogar gereicht, um die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste sicherzustellen. 2016 war bisher aber leider kein normales Jahr; es ist vielmehr ein sehr ereignisreiches Jahr gewesen, auch für die Nachrichtendienste. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Anschläge in Würzburg und Ansbach oder an die vereitelten Anschläge wie zuletzt in Sachsen. Wir haben es mit internationalem Terrorismus zu tun, der unsere Nachrichtendienste rund um die Uhr in Schach hält. Da die Bundesregierung gesetzlich verpflichtet ist, das Kontrollgremium über Vorgänge besonderer Bedeutung zu unterrichten – und wir fordern dieses Recht natürlich auch ein –, bleibt aufgrund der Vielzahl von Ereignissen, die in diese Kategorie fallen, kaum Zeit, um im PKGr andere Themen zu besprechen. Unter parlamentarischer Kontrolle verstehe ich, dass die Vorgänge in den Behörden unter die Lupe genommen werden, und zwar nicht nur dann, wenn die Medien einen Skandal aufdecken. (Thomas Oppermann [SPD]: Richtig!) Ziel muss doch sein, dass es gar nicht erst zu Skandalen kommt, (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sehr gut!) weil die Dienste innerhalb des gesetzlichen Rahmens arbeiten, den wir dem BND noch heute – das betrifft den nächsten Tagesordnungspunkt – geben werden. Lassen Sie mich an dieser Stelle kurz erwähnen, dass wir auch dahin gehend unsere Hausaufgaben mehr als gemacht haben und nun endlich eine klare Rechtsgrundlage zur Fernmeldeaufklärung geschaffen haben. Mein Kollege Burkhard Lischka hat das in der ersten Lesung des Gesetzentwurfs herausgestellt: Es handelt sich um nichts weniger als um ein weltweit einmaliges Gesetz. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Was ich jedoch sehr bedauere, ist, dass wir unseren Vorschlag, das neue unabhängige Gremium vom PKGr zu berufen und auch die Geschäftsstelle im Bundestag anzusiedeln, nicht durchsetzen konnten. Wir hätten das für die Unabhängigkeit der Kontrolle als sinnvoll erachtet. (Beifall bei der SPD) Aber zurück zum Thema. In den letzten Monaten und Jahren reagieren wir in den Sitzungen des PKGr viel zu oft auf Medienberichte und Meldungen. Eine Fortentwicklung der parlamentarischen Kontrolle ist dringend erforderlich, und deshalb begrüße ich ausdrücklich den Gesetzentwurf, um den es hier heute geht. Damit greifen wir übrigens auch eine Empfehlung des NSU-Untersuchungsausschusses der 17. Wahlperiode auf. Die wohl wichtigste und gleichzeitig zielführendste Änderung ist, dass wir das Amt eines Ständigen Bevollmächtigten des Kontrollgremiums schaffen, also einer Person, die als verlängerter Arm des PKGr dessen Befugnisse wahrnimmt und gemeinsam mit einem spürbar aufgestockten Mitarbeiterstab – auch das ist ein sehr wichtiger Punkt – eine kontinuierliche, systematische und strukturelle Kontrolle durchführt. (Beifall bei der SPD – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Und wer bestimmt die Leute? Wer bestimmt die Mitarbeiter?) Wir wollen damit vor allem auch einen breiten Blick auf das nachrichtendienstliche Alltagsgeschäft richten. Künftig müssen also alle Bereiche der Dienste damit rechnen, jederzeit Gegenstand einer Kontrolle durch das PKGr oder durch den Ständigen Bevollmächtigten zu werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, keinesfalls wird die Einführung des Ständigen Bevollmächtigten dazu führen, dass allein ihm exklusiv der Zugang zu Informationen oder Akten gewährt wird. Der Ständige Bevollmächtigte ist kein Beauftragter der Bundesregierung. Alle Akten, die er einsieht, kann natürlich auch das Gremium einsehen. Ich sehe durch den Ständigen Bevollmächtigten viel mehr eine große Entlastung und einen deutlichen Gewinn an Effizienz; denn es liegt doch an uns, welche Konsequenzen und Rückschlüsse wir aus seinem Bericht ziehen. Sie können doch trotzdem weiterhin Kontrollbesuche bei den Diensten durchführen und Berichte anfordern. Wenn Sie den Eindruck haben, der Ständige Bevollmächtigte habe nicht sorgfältig gearbeitet, dann hindert Sie niemand daran, nachzuhaken. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, ich bin froh, dass wir uns sozusagen in letzter Minute noch darauf einigen konnten, dass auch das Vertrauensgremium im Benehmen mit dem PKGr Aufträge an den Ständigen Bevollmächtigten erteilen kann. Wir hätten uns zwar vorstellen können, dass das Vertrauensgremium auch bei der Auswahl des Bevollmächtigten stärker eingebunden wird, aber das wird vielleicht die nächste Baustelle. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht durchsetzen! Ja, so ist das!) Es wurde eben auch schon gesagt: Eine weitere, noch vor wenigen Jahren undenkbare Neuerung sind die jährlichen öffentlichen Anhörungen der Präsidenten der Dienste. (Burkhard Lischka [SPD]: Ja, das hat sich Herr Ströbele immer gewünscht!) Hiermit haben die Parlamente in den USA und in Großbritannien ganz hervorragende Erfahrungen gemacht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bräuchte viel mehr Redezeit, um all die positiven Aspekte dieses Gesetzes vortragen zu können. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, die Große Koalition hat einfach zu wenig Redezeit! Das ist ein Problem, das uns schon lange umtreibt!) Lassen Sie mich sagen: In diesem Gesetz geht es nicht um Fraktionsinteressen, sondern es geht um die Interessen und um die Stärkung des ganzen Parlaments. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wird nur noch die Sonne scheinen ab morgen dank der Großen Koalition!) Frau Präsidentin, Sie werden wohl auch heute nicht so gnädig sein, mir mehr Redezeit zu geben, deshalb komme ich zum Ende. Ich bitte Sie alle um Zustimmung. Stehen Sie nach der dritten Lesung doch einfach alle auf (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und zwar beim Nein!) und setzen Sie mit uns zum Quantensprung in der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste an! Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Armin Schuster, CDU/CSU-Fraktion. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Schuster, rücken Sie das erst mal gerade!) Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es beeindruckend – das ist auch, denke ich, wichtig für die Zuhörer und Zuschauer –, wie oft heute Morgen die Leistungen der Nachrichtendienste gelobt wurden. Es ist natürlich angesichts der tadellosen Leistungen im Fall Albakr leicht, das einmal aussprechen zu können. Leider können wir es sehr oft nicht aussprechen, aber gehen Sie bitte davon aus: Das ist nicht einmalig, so etwas passiert sehr oft, und solche Leistungen erwarten wir von Nachrichtendiensten. Leistungsfähig, selbstbewusst modern, solche Mitarbeiter, hochmoderne Ausstattung und eine angemessene rechtliche Möglichkeit, zu arbeiten, dafür steht die Union bei den Nachrichtendiensten. Darin investieren wir – gleich in das Gesetz, anschließend in die Haushalte. Wir wollen genauso gut arbeitende Dienste, wie wir sie jetzt im Fall Chemnitz erlebt haben. Deswegen, glaube ich, muss man auch einmal ein Plädoyer halten und sich nicht nur, Herr Dr. Hahn, abends genüsslich unter die Schutzdecke unserer Sicherheitsbehörden legen (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was für ein schönes Bild!) und morgens deren Abschaffung fordern, wenn nichts passiert ist. Das geht einfach nicht, das ist nicht unsere Politik. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Blauäugig sind wir deswegen nicht. Da wir motivierte Dienste wollen, wissen wir, dass diese auch über das Ziel hinausschießen. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das passiert aber sehr oft!) Das ist in jedem Gewerbe so, auch bei denen. Deshalb passen wir auf. Eine wirkungsvolle parlamentarische Kontrolle hatten wir nicht wirklich, wenn wir ehrlich sind. Bei neun Abgeordneten in einem Kontrollgremium und Tausenden von nachrichtendienstlichen Mitarbeitern habe ich mich immer gefühlt wie Sisyphos, der versucht, den Stein aufwärts zu rollen: Es war schwer möglich. Lieber Herr Dr. Hahn, lieber Herr Grötsch, wir haben mit Herrn Ströbele zusammen in einer Taskforce erlebt – BND-Selektoren –, wie es eigentlich gehen müsste. Das hat mir sehr viel Motivation gegeben, um genau das zu verstetigen. Das tun wir heute mit dem Gesetzentwurf. Eigentlich richten wir jetzt eine Dauertaskforce ein mit der Manpower, die wir brauchen. Ich denke, besser kann man die Empfehlungen aus dem NSU-Untersuchungsausschuss nach mehr parlamentarischer Kontrolle nicht umsetzen, als wir es heute tun. Was wollen wir? Wir wollen eine deutlich höhere Transparenz; die öffentliche Anhörung wurde schon genannt. Wir wollen natürlich überwachen, ob die Regeln und Vorschriften eingehalten werden, aber viel wichtiger ist mir: Der Ständige Bevollmächtige und seine Mitarbeiter haben die Chance, konstruktiv zu begleiten. Was können, was dürfen und was sollen unsere Dienste leisten? Diese Frage für das Parlamentarische Kontrollgremium ständig mit zu beurteilen, halte ich für wichtig. Deshalb zitiere ich auch noch einmal den Ex-Präsidenten Schindler – wenn er es sagt, hat es wirklich Gewicht –: ein Meilenstein der parlamentarischen Kontrolle, eine vielversprechende Lösung, die Vertrauen schaffen wird. Mehr Lob und Referenz kann man für einen Gesetzentwurf eigentlich kaum bekommen. Dass der Vorsitzende endlich nicht mehr wechselt, ist ein Segen, meine Damen und Herren. Ich habe mich gefühlt wie bei „Farm der Tiere“: Jeder möchte einmal Vorsitzender werden. So kann man doch nicht arbeiten, Entschuldigung! (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Es geht doch nicht um jeden! Es geht um Opposition und Regierung!) Jetzt haben wir einen Vorsitzenden, der den Laden führt. Das ist so etwa die Welt, die ich kenne, und da kenne ich mich bestens aus, und sie hat sich auch über Jahrzehnte bewährt; glauben Sie es mir. Herr Hahn, Sie müssen einfach lernen, wie so etwas geht. Dass wir das noch mit dem Vertrauensgremium verzahnen, finde ich sehr gut. Die Kritikpunkte: Nein, der Ständige Beauftragte ist keine Solonummer. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Der Vorsitz kann doch immer an die Opposition gehen! Das wäre doch mal ein Vorschlag!) Er ist ein Erfüllungsgehilfe, von mir aus eine verlängerte Werkbank. Aber wir führen ihn, wir geben ihm Anweisungen, wir kontrollieren ihn. Wenn Sie das auch nicht können, Herr Dr. Hahn, wenn Sie mit Mitarbeitern nicht umgehen können, dann kann Ihnen aber wirklich keiner helfen. Seien Sie ehrlich: Wir haben in der Taskforce, Herr Ströbele, beste Erfahrungen mit hervorragenden Mitarbeitern gemacht, (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Genau!) die wir heute schon im PKGr haben. Ich habe da allerdings nicht wie Sie nach dem Parteibuch gefragt. (Widerspruch bei der LINKEN) Das ist mir auch völlig wurscht. Die haben hervorragend gearbeitet. Wissen Sie was? Ich glaube, wenn wir deren politische Präferenzen einmal abfragen würden, würden alle genannt, die hier vertreten sind. Trotzdem haben sie uns klasse zugearbeitet. Das Lob muss einmal sein. Ich habe überhaupt keine Bedenken, dass die nächsten zwölf das nicht auch können, und das Parteibuch interessiert mich bei denen auch nicht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Wer sucht die aus? – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre das erste Mal, Herr Schuster!) Eine Whistleblower-Regelung ist im Gesetzentwurf enthalten. Sie ist vielleicht nicht so, wie Sie sie haben wollen, aber wir machen die Dinge balanciert und schlau und nicht parteipolitisch motiviert. Die Journalisten haben uns für den Ergebnisbericht unserer Taskforce über den grünen Klee gelobt, Herr Ströbele. Es stimmt nicht, dass wir die Öffentlichkeit nicht informieren. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht über die wesentlichen Dinge!) Chapeau, hieß es, so konsequent, so dezidiert und so schonungslos habe noch nie ein PKGr die aktuelle Regierung betrachtet, analysiert und auch kritisiert. Also, besser kann man es wirklich nicht machen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir hatten einen besseren Bericht! Unserer war besser!) Genau diese Lösung verstetigen wir jetzt in einem Gesetz. „Hut ab“, „Epochale Schwelle überschritten“, „Neues Niveau“, – Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Aber Sie denken an den Schluss, Herr Schuster? Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): – durchgehend positiv sind die Zitate der Sachverständigen aus der öffentlichen Anhörung. Zu den Änderungsanträgen – das ist mein letzter Satz – sagte Professor Dr. Amadeus Wolff, der auch kein unkritischer Zeitgenosse als Sachverständiger ist: Keiner der vorliegenden Änderungsvorschläge reicht irgendwie an den Entwurf heran, der hier vorgelegt wurde. – Deswegen gehe ich gar nicht weiter darauf ein; Stephan Mayer hat das schon prima gemacht. Das, was Sie vorgelegt haben, ist einfach nichts wert. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So etwas Abwegiges!) Es tut mir leid. Stehen Sie bitte – Uli Grötsch hat es richtig gesagt – bei Ja und nicht bei Nein auf, Herr Dr. von Notz. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Fortentwicklung der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes. Zu dieser Abstimmung liegt eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.1 Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10069, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/9040 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis in der dritten Beratung angenommen. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Änderung des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes. Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10069 die Ablehnung des Gesetzentwurfs der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/6640. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die dritte Beratung. Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 18/10069 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/6645 mit dem Titel „Parlamentarische Kontrolle der nachrichtendienstlichen Tätigkeit des Bundes verbessern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Unter Buchstabe d empfiehlt der Innenausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8163 mit dem Titel „Für eine wirksamere Kontrolle der Nachrichtendienste“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes Drucksache 18/9041 – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes Drucksachen 18/9529, 18/9854, 18/9879, Nr. 5 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/10068 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Debatte 38 Minuten vorgesehen. – Ich sehe, da gibt es keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Nina Warken, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Nina Warken (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir befassen uns heute mit einem Gesetz, das nicht häufig Gegenstand der Beratungen im Plenum ist und dessen Ausführung sich meist im Verborgenen vollzieht. Und doch ist es ein Gesetz, das für unsere Gesellschaft von großer Bedeutung ist. Mit dem BND-Gesetz treffen wir als Parlament eine Entscheidung darüber, wie weit wir als Gesellschaft gehen wollen, um uns zu schützen, welche Befugnisse wir unseren Nachrichtendiensten einräumen, um uns unsere freiheitliche Lebensart und unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung zu bewahren und zu verteidigen. Das BND-Gesetz ist also ein Gradmesser dafür, wo wir als Gesellschaft die angemessene Balance zwischen Freiheit und Sicherheit sehen. Freiheit und Sicherheit – so häufig es gesagt wird, so richtig ist es –, das sind keine Gegensätze, sondern sie bedingen einander. Ohne Freiheit gibt es keine Sicherheit; ohne Sicherheit kann sich Freiheit nicht entfalten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Deshalb geht es gerade nicht darum, pauschal das eine gegen das andere auszuspielen, wie der eine oder andere Kollege es gerne tut. Nein, es geht darum, eine kluge, eine differenzierte Abwägung zu treffen. Wenn wir heute in diesem Hohen Hause ein Gesetz zur Änderung des BND-Gesetzes beschließen wollen, dann bezwecken wir damit genau das: Wir treffen eine kluge Abwägung. Wir halten die Befugnisse der Behörden im Einklang mit den Grundrechten unserer Bürger. Und wir stärken damit Freiheit und Sicherheit in Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Zugleich ziehen wir die Konsequenzen aus mittlerweile drei Jahren NSA-Untersuchungsausschuss. Wir alle haben bei unserer Arbeit festgestellt, dass es in der Vergangenheit im BND Missstände gab und dass deshalb an einigen Stellen Verbesserungsbedarf bestand. Von daher werden wir mit dem Gesetz ganz bewusst zum Beispiel den Schutz von EU-Bürgern stärken; denn für uns ist klar: Die Verteidigung unserer Freiheit ist heutzutage keine rein nationale Angelegenheit mehr, sondern da müssen wir als Europäische Union, als westliche Wertegemeinschaft zusammenstehen. Wir leben heute in einem geeinten Europa, in einem Europa ohne Schlagbäume. In einem solchen geeinten modernen Europa müssen auch die Sicherheitsbehörden über die Grenzen hinweg zusammenarbeiten. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In einem Europa der sich Abhörenden!) Wenn die Belgier, die Polen, die Spanier oder wir Deutschen eine Information über einen Terroristen, über einen bevorstehenden Anschlag haben, dann müssen diese Informationen geteilt werden, und zwar nicht mit den Mitteln des 20. Jahrhunderts, nicht per Brief mit Stempel und Unterschrift, sondern mit den Mitteln des 21. Jahrhunderts: über Glasfaser, in einer gemeinsamen Datenbank. So sieht moderne internationale Zusammenarbeit im 21. Jahrhundert aus. (Beifall bei der CDU/CSU) In einer Welt, in der Krisen und Konflikte in fernen Regionen sich immer unmittelbarer auf unser Leben in Europa und in Deutschland auswirken, muss der BND in der Lage sein, mit modernsten Mitteln Informationen zu sammeln, damit wir eben nicht von anderen Ländern abhängig sind, sondern damit wir als Bundesrepublik Deutschland ein breites und fundiertes Bild von dem haben, was in der Welt geschieht. (Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor allem von den Freunden!) Hierzu gehört für uns ganz klar die Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung; denn al-Qaida und der IS kommunizieren heute nicht mehr per Postkutsche und Brieftaube. Deshalb ist es wichtig, dass der BND dort aufklärt, wo die Informationen liegen, und das sind nun einmal im 21. Jahrhundert die weltweiten Datenströme, das ist nun einmal die internationale Kommunikation. Gerade in den vergangenen Tagen haben uns diese Aufklärung und der Austausch von Informationen mit unseren internationalen Partnern vor einem schrecklichen Angriff bewahrt; denn der syrische Terrorist aus Chemnitz wurde nicht durch schöne Sonntagsreden gefasst, sondern weil unsere amerikanischen Freunde uns geholfen haben. Auch das darf und muss man in diesem Hohen Hause einmal sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb hören wir sie ab!) Ja, man kann der Meinung sein, dass das Grundgesetz das Telefonat eines Syrers im Irak mit einem Afghanen in Pakistan im selben Maße schützt wie ein Ortsgespräch in Berlin. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit einem befreundeten Präsidenten!) Dieser Meinung sind wir aber eben nicht. Diese Meinung ist weltfremd und vor allem meilenweit von dem entfernt, was sich der Verfassungsgeber mit dem Fernmeldegeheimnis gedacht hat. Sie wissen auch ganz genau, dass das Bundesverfassungsgericht 1999 in seiner Entscheidung über die strategische Fernmeldeaufklärung des BND diese Ausland-Ausland-Fälle bewusst ausgespart hat. Der wesentliche Punkt ist doch, dass die wichtige Arbeit des BND auf eine noch bessere rechtliche Grundlage gestellt werden muss, und genau das tun wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf. Das tun wir auch und nicht zuletzt für die Mitarbeiter des BND und unserer Sicherheitsbehörden, die nämlich Rechtssicherheit bei ihrer wichtigen Tätigkeit benötigen, die sie Tag für Tag für unser Land ausüben. Anders als es die Opposition uns gerne glauben machen will, sind es nämlich keine finsteren James-Bond-Bösewichter, die jeden Morgen mit dem Ziel aufstehen, Grundrechte zu verletzen und einen Überwachungsstaat zu errichten, (Volker Kauder [CDU/CSU]: James Bond ist kein Bösewicht! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt ist auch noch James Bond böse! Das wird ja immer toller!) sondern ganz normale Männer und Frauen mit Familien, Hobbys und Kindern. Sie leisten eine hervorragende Arbeit unter schwierigen Bedingungen, damit Sie und wir alle so leben können, wie wir es tun, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) nämlich in einem friedlichen und sicheren Land in Einigkeit und Recht und Freiheit. Sie, liebe Kollegen von der Opposition, nutzen dieses wichtige Thema zur Selbstvermarktung und zum Klamauk. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oje, oje!) Wir als Koalition wollen aber einen starken BND und handlungsfähige Sicherheitsbehörden. Deshalb tun wir, was nötig ist, und stärken mit unserem Gesetz Sicherheit und Freiheit in Deutschland. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat die Kollegin Martina Renner, Die Linke, das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Martina Renner (DIE LINKE): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor allem auch: Liebe Bürgerrechtsengagierte, die Sie draußen vor der Tür gerade protestieren! Ich weiß noch genau, welches Bild der BND zu Beginn der Arbeit des NSA-Untersuchungsausschusses zeichnen wollte: Man hätte nicht so genau gewusst, was der große Bruder NSA in Deutschland und Europa treibt. Der kleine Bruder BND würde sich hingegen immer an Recht und Gesetz halten, nie die eigenen Bürger ausspähen und schon gar nicht Spionage aufgrund von Wirtschafts- oder Machtinteressen durchführen. Inzwischen ist klar: Der kleine Bruder Bundesnachrichtendienst wusste genau Bescheid. Er hat dem US-Geheimdienst die Türen geöffnet, damit dieser an den Internetverkehr in Europa gelangen konnte. Er hat das Parlament, manchmal auch das Bundeskanzleramt und fast immer die betroffenen Unternehmen getäuscht. Er tat dies absichtsvoll und im vollen Bewusstsein der Illegalität. – Ich weiß, wovon ich rede. Das ist das Ergebnis von zweieinhalb Jahren harter Aufklärungsarbeit im Untersuchungsausschuss. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Für diese Praxis des Bundesnachrichtendienstes wurde ein perfides System aus Abschirmen, Legendieren und Nicht-Dokumentieren installiert. Vielleicht gab es dieses System im Bundesnachrichtendienst schon immer. Tricksen, Tarnen, Täuschen – so lässt sich das Credo des BND zusammenfassen. Nun hat man den kleinen Bruder erwischt, angeschoben durch Edward Snowden, dokumentiert in den unzähligen Protokollen des Untersuchungsausschusses, in der Klage der G-10-Kommission, in der Klage des Internetknotenbetreibers DE-CIX und in den Beanstandungen der Datenschutzbeauftragten. Und was passiert jetzt? Nichts! Keine Reue, kein Umsteuern, kein Zur-Rechenschaft-Ziehen der Verantwortlichen! (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Kein rechtswidriges Verhalten!) Stattdessen wird die Rechtslage nach den Wünschen des Geheimdienstes angepasst, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das geht ja gar nicht!) und das bedeutet anlasslose Massenüberwachung. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sehr geehrte Damen und Herren, der Bundesnachrichtendienst will nicht mehr der kleine Bruder der NSA sein. Nein, der Gesetzentwurf der Großen Koalition macht ihn nun zum Zwilling. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Was? Eineiig oder zweieiig? – Gegenruf der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das können wir Ihnen überlassen!) – Eineiig. – Ihnen ist das auch bewusst. Die Sachverständigen haben es Ihnen gesagt. Sie kennen die politischen wie juristischen Argumente. Allein, es stört Sie wenig. „Sollen sie doch klagen“, haben Sie im Innenausschuss gesagt, „die Bürgerinnen und Bürger, die Provider, die Opposition!“. Sie werden heute sagen: Wir haben lediglich unterschiedliche Rechtsauffassungen, was den Schutz der Privatsphäre von Menschen, auch denen ohne deutschen Pass, angeht. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Nein, Sie leben in einer ganz anderen Welt!) Wir hingegen sagen: Bürger- und Menschenrechte sind unteilbar. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir sagen: Dieses Gesetz ist ein Geschenk für den BND, weil er jetzt auch in Deutschland legal ans Kabel darf, und zwar auch dann, wenn es keinen konkreten Verdacht gibt. Nun braucht der Bundesnachrichtendienst nicht länger gewöhnliche deutsche Staatsbürger zu Funktionsträgern umzudefinieren, um sie bespitzeln zu können. Jetzt darf er es – ganz legal. Nun braucht der BND nicht mehr Satellitendaten für außerirdisch zu erklären, um sie abzufangen. Er darf es jetzt einfach – ganz legal. Die anlasslose und umfassende politische Spionage gegen Hilfsorganisationen, Presse, Regierungen in europäischen Ländern und Bürgerinnen und Bürger wird durch dieses Gesetz ermöglicht. Es ist nicht so, dass dies nur die ungeliebte Opposition sagt. Unterschiedliche Nichtregierungsorganisationen wie Reporter ohne Grenzen, Amnesty International und die drei Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen haben Ihren Gesetzentwurf gerügt. Die bisherige Praxis, die nun legalisiert werden soll, wurde von anerkannten Juristen und nicht zuletzt von Deutschlands oberster Datenschützerin immer wieder als schlichtweg illegal angeprangert. Wie reagieren Sie darauf? Sie belohnen den Geheimdienst mit mehr Befugnissen für Massenüberwachungen. Nun werden Sie mir vermutlich erklären, dass ein toller Filter den sogenannten deutschen Kommunikationsverkehr automatisch aussortieren wird. Aber das ist Augenwischerei; Sie wissen es. Lesen Sie die Gutachten! Wenn nur 5 Prozent durchrutschen, bleiben – am Beispiel von diesem Jahr – am Schluss 34 Millionen Gigabyte Daten, die auch deutsche Staatsbürger und Staatsbürgerinnen betreffen können. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Da klatschen nicht einmal die eigenen Leute!) Sie haben vorhin gesagt – Sie wiederholen das sehr gerne –, wir kritisierten diesen Gesetzentwurf nur, weil wir Geheimdienste abschaffen wollten. Ich sage Ihnen: Die Dienste haben sich selbst ins Unrecht gesetzt. (Beifall bei der LINKEN) Sie sind eine Gefahr für die Demokratie. Der Bundesnachrichtendienst hat sich Jahrzehnte nicht an Recht und Gesetz gehalten. Im Falle des NSU-Komplexes hat der Dienst selbst den Terror erst ermöglicht. Sie wissen, was Sie heute beschließen. Sie schaffen das Fernmeldegeheimnis in Artikel 10 des Grundgesetzes faktisch ab. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann man nicht abschaffen!) Sie täuschen wissentlich die Öffentlichkeit, so wie der BND jahrelang wissentlich das Parlament getäuscht hat. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin Renner, denken Sie an die Redezeit? Martina Renner (DIE LINKE): Nur noch zwei Sätze, dann bin ich fertig. – Sie nennen es Reform, wir nennen es die Legalisierung massenhafter Grundrechtsverletzungen. Sie machen das Parlament zum Erfüllungsgehilfen der Geheimdienste. Das halte ich einer Demokratie und eines Rechtstaats für unwürdig. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Eva Högl [SPD]: Meine Güte!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Das Wort hat jetzt Christian Flisek, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Christian Flisek (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Große Koalition hat einen gut ausverhandelten, detaillierten Koalitionsvertrag. Dieser Koalitionsvertrag war der bisherige Fahrplan für fast alle Gesetzesvorhaben dieser Regierung. Er wird es mit Sicherheit auch noch bis zum Ende der Legislaturperiode bleiben. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit Sicherheit nicht!) Gleichwohl beraten wir mit dem heute im Entwurf vorliegenden BND-Reformgesetz ein Vorhaben, das sich so nicht in diesem Koalitionsvertrag findet. Das hat gute Gründe; denn den Urknall für diese Reform finden wir in der Arbeit des 1. Untersuchungsausschusses der 18. Wahlperiode, des sogenannten NSA-Untersuchungsausschusses, des Deutschen Bundestages. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Ein bisschen PKGr war auch dabei!) – Ein bisschen, ja. Wir reden jetzt über die BND-Reform, Herr Kollege Binninger. Ich denke, wir sind uns einig, dass die wesentliche Arbeit im NSA-Untersuchungsausschuss geleistet wurde. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, da ist sie: die Harmonie der Großen Koalition! – Gegenruf der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Vielleicht doch Zwillinge!) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesem Ausschuss – das ist bereits erwähnt worden – wurden in über zweieinhalbjähriger Arbeit all jene Erkenntnisse zutage gefördert, die wir heute zu einer umfassenden Reform des Rechts des Bundesnachrichtendienstes verdichten. Zur Wahrheit gehört auch, dass uns diese Erkenntnisse im Untersuchungsausschuss weder vom Bundesnachrichtendienst noch vom Bundeskanzleramt auf dem Silbertablett serviert wurden. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor allem mit Schwärzungen!) Wir mussten sie uns in über 115 Sitzungen mit über 100 Zeugen und mit über 2 000 zum Teil schwer lesbaren Akten mühsam erarbeiten. Ich möchte aber betonen, dass mit diesem Untersuchungsausschuss der Deutsche Bundestag bisher weltweit das einzige Parlament ist, das sich nach den Veröffentlichungen von Edward Snowden so gründlich und so intensiv mit dieser Thematik befasst hat. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) Die Defizite innerhalb des Bundesnachrichtendienstes, die der Untersuchungsausschuss aufgedeckt hat, waren und sind massiv. Da geht es etwa um die Ausland-Ausland-Verkehre – das ist angesprochen worden; das findet sich auch im Titel dieses Gesetzes wieder –; das sind beispielsweise E-Mails, die ihren Ursprung im Ausland haben, bei denen also der Absender im Ausland ist, mit einem Empfänger im Ausland. Bei der strategisch wichtigen Überwachung solcher Verkehre agierte der Bundesnachrichtendienst bisher in einer Dunkelkammer. Das setzte sich fort in einer völlig unzureichenden Kontrolle dieses immer wichtiger werdenden Tätigkeitsbereichs durch das Bundeskanzleramt. Wir haben erst gestern einen Referatsleiter als Zeugen im Untersuchungsausschuss gehört, dessen Aufgabe es war, die Abteilung TA zu kontrollieren, wenn man so will, die Aufsicht auszuüben. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Ein Mann!) Zwischen 2013 und 2015 – ich sage es Ihnen – fand sich da zum Thema Selektoren relativ wenig. Innerhalb des Bundesnachrichtendienstes entwickelten sich über Jahre hinweg auch völlig abstruse Rechtsinterpretationen. Die berühmteste ist die Weltraumtheorie, die auch durch die Medien geisterte. Ich glaube, das alles waren Interpretationen des geltenden Rechts mit einem einzigen Ziel, sich nämlich des Ballasts des deutschen Rechts zu entledigen. Wir haben eklatante organisatorische Missstände in der Abteilung Technische Aufklärung festgestellt. Wir haben bis tief in diese Legislaturperiode hinein eine Informationspolitik des Bundeskanzleramts gehabt, zu der man in Bezug auf die Aufarbeitung dieser Missstände sagen kann: Das war alles andere als proaktiv. Meine Damen und Herren, ich denke, dass die sozialdemokratische Fraktion die einzige Fraktion in diesem Hause war, die zu einem sehr frühen Zeitpunkt die richtigen Schlüsse aus dieser unerträglichen Situation gezogen hat. (Beifall bei der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das waren Sie ganz, ganz allein!) Wir haben im Sommer 2015 ein Eckpunktepapier auf den Tisch gelegt, in dem nicht nur die damals bekannten Mängel klar benannt worden sind; wir haben auch konkrete Lösungsvorschläge vorgelegt. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von denen ist wenig übrig geblieben! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ihr seid so toll!) Wir hätten uns gewünscht, dass die anderen sich mit Vorschlägen beteiligen; aber da gab es nichts, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von uns!) obwohl die Erkenntnisse auf dem Tisch lagen. Man war unisono die Meinung: Lassen Sie uns doch abwarten, bis der Untersuchungsausschuss seinen Abschlussbericht vorlegt! – Für uns war klar: Der Abschlussbericht wird mit hoher Wahrscheinlichkeit mit dem Ende der Legislaturperiode zusammenfallen. Ob dann irgendeine Empfehlung in der nächsten Legislaturperiode aufgegriffen wird, das steht in den Sternen. – Deswegen haben wir gesagt: Wir gehen bereits, wenn die Erkenntnisse auf dem Tisch liegen, mit einem Eckpunktepapier an die Öffentlichkeit. Ich sage heute sehr deutlich: Dieses Eckpunktepapier war die Blaupause für die aktuelle Reform. Meine Damen und Herren, für uns war völlig klar, dass ein weiteres Zuwarten nicht zumutbar ist, insbesondere nicht für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes; denn bei aller Kritik: In Zeiten zunehmender terroristischer Bedrohungslagen brauchen wir einen effizient arbeitenden Auslandsnachrichtendienst. Effizient arbeiten kann ein Auslandsnachrichtendienst nur dann, wenn er auf dem Boden rechtsstaatlich abgesicherter Legitimität arbeitet. Hierfür legen wir heute die Grundlagen. (Beifall bei der SPD) Ich möchte einige Punkte ausdrücklich erwähnen: Jede Datenerfassung muss in Zukunft dem Auftragsprofil der Bundesregierung für den BND entsprechen. Wir legen heute Standards für den Schutz von EU-Bürgern und EU-Institutionen fest und stellen diese insoweit Deutschen gleich. Ich möchte das deswegen betonen, weil das europaweit, weltweit einmalig ist. Wir haben nach Snowden eine tolle Debatte in Deutschland erlebt. Sie war ein Stück weit heuchlerisch; denn wir haben festgestellt, dass wir zum Teil ebenso wie alle anderen Dienste dieser Welt allenfalls die eigenen Bürger schützen, dass es aber keine Standards für Ausländer gibt. Diese Situation entschärfen wir mit der Verabschiedung des heute vorliegenden Gesetzentwurfs zumindest für EU-Bürgerinnen und Bürger. Ich glaube, das ist ein riesengroßer Schritt. Wir verbieten ausdrücklich Wirtschaftsspionage. Wirtschaftsspionage wird verboten. Ich glaube, das ist für ein Land wie Deutschland existenziell. Kooperationsvereinbarungen mit anderen Diensten müssen in Zukunft dem PKGr vorgelegt werden. Auch hier haben wir eine Dunkelkammer gehabt. Da wird in Zukunft erheblich mehr Licht reinkommen. Das PKGr wird in Zukunft in Bezug auf alle Kooperationen informiert werden. Ich wurde in den letzten Wochen oft gefragt: Kann man einen Geheimdienst überhaupt kontrollieren? Passt ein Nachrichtendienst überhaupt in eine parlamentarische Demokratie? (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Gute Frage!) Ich sage: Ja, nämlich dann, wenn wir sicherstellen, dass er rechtsstaatlich legitimiert ist. Für eine rechtsstaatliche Legitimation müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Es darf keinen einzigen Tätigkeitsbereich des Dienstes geben, der nicht durch klare Rechtsgrundlagen bestimmt ist, und es darf keinen Tätigkeitsbereich geben, der nicht einer starken parlamentarischen Kontrolle unterliegt. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und er darf nicht lügen!) Für diese beiden Voraussetzungen schaffen wir mit diesem Gesetz die Grundlagen. Ich denke, da kann man bei einiger Kritik im Detail durchaus sagen: Das ist ein mutiger Schritt nach vorne. Herr Ströbele, auch Sie müssen sagen, dass zu Beginn dieser Legislaturperiode wahrscheinlich keiner darauf gewettet hätte, dass uns das gelingt. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Konstantin von Notz, Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Papier, die OSZE-Beauftragte für die Freiheit der Medien, die deutschen Presseverbände – Presserat, Verbände der Journalisten, Zeitungsverleger, Verdi, ARD und ZDF –, der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages, die drei zuständigen UN-Sonderberichterstatter, Amnesty International, Reporter ohne Grenzen, verschiedenste namhafte Verfassungsrechtler, vor allen Dingen die, die in unserer Anhörung waren – all diese Fachleute sagen: Das Gesetz, dessen Entwurf Sie heute hier vorlegen, ist verfassungswidrig. Verfassungswidrig! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege von Notz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Binninger? Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Binninger, Sie reden gleich; aber bitte. Ja. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Das verlängert deine Redezeit!) Clemens Binninger (CDU/CSU): Herr Kollege, ich weiß, dass ich gleich selber spreche. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist gut, dass Sie das wissen. Clemens Binninger (CDU/CSU): Sie beklagen sich immer, dass Sie zu wenig Redezeit haben; jetzt haben Sie etwas mehr. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke. Clemens Binninger (CDU/CSU): Da dieser Punkt nicht Teil meiner Rede ist, Sie ihn aber gerade angesprochen haben, möchte ich etwas zu den Sachverständigen sagen, die angeblich alle so harsche Kritik geübt haben. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt hier „angeblich“?) Es stimmt, es gab in Teilen Kritik, auch deutliche. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. Clemens Binninger (CDU/CSU): Aber man darf in der Öffentlichkeit nicht das Bild erzeugen, das Sie gerade erzeugt haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Eva Högl [SPD]: Genau!) Ich will Ihnen ein paar Formulierungen von verschiedenen Sachverständigen zu diesem Gesetzentwurf aus der Anhörung bzw. den Gutachten vorhalten und Sie fragen, wie Sie die bewerten. – Der Sachverständige Bäcker sagte: Unabhängig vom Inhalt eine bemerkenswerte Leistung, dass der Bundestag das unternimmt. (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dann der Sachverständige Wetzling: Ein Reformpaket, das dem BND Rechtssicherheit gibt. – Der Sachverständige Wolff: Hut ab! Da können die anderen Länder sich eine Scheibe abschneiden. Das ist erst einmal nachzumachen. – Und der Sachverständige Graulich: Dieser Gesetzentwurf führt das BND-Gesetz – – (Zurufe von der LINKEN) – Es scheint ja schlimm zu sein, wenn man die Fakten vorgehalten bekommt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt seien Sie mal nicht so empfindlich, Herr Binninger. Clemens Binninger (CDU/CSU): Es scheint wirklich schlimm zu sein, wenn man die Fakten vorgehalten bekommt. Das letzte Zitat, vom Sachverständigen Graulich, zu diesem Gesetzentwurf – Sie haben eben andere zitiert –: Dieser Gesetzentwurf führt das BND-Gesetz „insgesamt auf ein bislang nicht vorhanden gewesenes Niveau von systematischer Klarheit sowie Regelungsdichte im Einzelfall“. – Das waren die Positionen. Ich würde Sie bitten, diese Positionen, auch wenn Sie sie nicht mögen, zumindest nicht ganz auszublenden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zunächst einmal, Herr Binninger: Ihre Empfindlichkeit scheint sehr hoch zu sein, wenn Sie es bei einer Redezeitverteilung von 80 : 20 nicht aushalten, dass die Opposition eine Minute Ihren großartigen Gesetzentwurf kritisiert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Burkhard Lischka [SPD]: Zwischenfragen sind doch das Salz in der Suppe! – Clemens Binninger [CDU/CSU]: War das die Antwort?) – Bleiben Sie ruhig stehen, Herr Binninger! (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Ich dachte, das war die Antwort!) – Nein. Seien Sie geduldig! Natürlich haben Sie Sachverständige benannt, die Ihren Gesetzentwurf nicht nur in Bausch und Bogen verurteilt haben. Nicht nur! (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Aha!) Herr Graulich hat Ihnen ja schon Gefälligkeitsgutachten zu den NSA-Selektoren geschrieben. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Also: Ihre Gutachter sind unabhängig, unsere nicht? Das ist billig!) Aber der Kollege Bäcker, den Sie angesprochen haben, hat Ihnen klipp und klar gesagt – so wie alle anderen, die ich eben zitiert habe, wie der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Papier –: Der von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf ist verfassungswidrig. – Daran kommen Sie nicht vorbei. Das ist bitter. Nehmen Sie es hin! Sie reden von großartigen Blaupausen wie vorhin der Kollege Flisek. Frau Warken erklärt das zu einem europäischen Projekt. Das zeigt, wie grotesk die Selbstwahrnehmung der Großen Koalition inzwischen ist, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber das mit dem Gefälligkeitsgutachten nehmen Sie zurück, Herr von Notz! – Burkhard Lischka [SPD]: Sie laufen wirklich durch einen dunklen Tunnel! Da muss Ihnen jemand das Licht anknipsen!) Vor mehr als drei Jahren veröffentlichte Edward Snowden Unterlagen zum globalen System der anlasslosen Massenüberwachung. Im Bundestagswahlkampf kamen bald unangenehme Fragen auf: Was weiß die Bundesregierung davon? Sind deutsche Dienste in dieses System involviert? Werden Bürger und Unternehmen ausreichend geschützt? – Diese Fragen kamen dem Bundeskanzleramt sehr ungelegen, weil ja Bundestagswahlkampf war, und die Antworten von Frau Merkel und Herrn Pofalla lauteten: Das ist ja alles ungeheuerlich. Davon wissen wir gar nichts. Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht. Sollte etwas davon stimmen, dann haben wir damit nichts zu tun. Deutsche Bürger und Unternehmen werden geschützt. Niemand muss sich sorgen, und falls doch: Wir verhandeln – das versprechen wir – ein No-Spy-Abkommen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Alles super!) Nach drei Jahren Untersuchungsausschuss wissen wir: All das entsprach nicht der Wahrheit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Die deutschen Geheimdienste sind zentraler und wichtiger Akteur in der Überwachungsmaschinerie der Five-Eyes-Staaten. Die von ihnen eingesetzten Systeme und Programme sind identisch mit denen der USA, wie sich aus den Snowden-Unterlagen ergibt. Anlasslos und massenhaft werden auch vom Bundesnachrichtendienst global Daten erfasst. Diese Daten werden mit Millionen von Selektoren gerastert, und 90 Prozent dieser Selektoren haben rein gar nichts mit Terrorismus zu tun. Durch den weitreichenden Datenaustausch untereinander läuft die Kontrolle leer. Ausspähen unter Freunden, das geht volle Kanne. Das ist die Wahrheit beim BND. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das Ganze ist auch noch Baustein eines Drohnenkrieges, an dem Deutschland über diesen Datenaustausch beteiligt ist. (Nina Warken [CDU/CSU]: Ohne Nachweis!) All das wurde an den Kontrollgremien vorbei organisiert. Sie wurden belogen und hinter die Fichte geführt. So haben Sie die digitale Welt zum grundrechtsfreien Raum erklärt. Dieser Zustand, an dem die deutschen Dienste beteiligt sind, dauert bis heute an. Das ist inakzeptabel, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Obwohl wir das alles wissen, zeigen Sie bis heute mit dem Finger in Richtung USA und legen den Entwurf eines Gesetzes vor, das die Probleme verschärft: Er ist voller unklarer Rechtsbegriffe. Sie geben darin die Beschränkung der Fernmeldeüberwachung auf und trauen sich nicht, Artikel 10 auch nur anzusprechen. Aufgrund der mangelhaften und völlig disfunktionalen Filter, die wir haben, verletzen Sie seit über zehn Jahren die Grundrechte von Millionen von Deutschen, und zwar täglich. Auch daran ändern Sie nichts. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Es stimmt: Wir brauchen effiziente, gute und moderne Geheimdienste, und gerade der Auslandsnachrichtendienst muss funktionieren. Aber er muss vor allen Dingen rechtsstaatlich sein. (Beifall der Abg. Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Grund- und Menschenrechte unserer Verfassung sind kein Störfaktor beim Kampf gegen den Terrorismus, sondern die Grundlage dafür. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Neben all dem Streit, der in dieses Haus und zu jeder guten Demokratie gehört, ist es etwas irritierend, wie verbohrt Ihre Selbstwahrnehmung ist. Die Anhörung zu diesem Gesetzentwurf war für Sie ein Desaster, Herr Binninger. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Vor allen Dingen nach dem letzten Kommentar! Lesen Sie das noch einmal nach!) Sie ignorieren, dass Ihnen die zuständige Kontrollbehörde, die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, ein verheerendes Zeugnis für den Bundesnachrichtendienst ausgestellt hat. Alles ist klipp und klar verfassungswidrig. Diese Praxis wollen Sie hier legalisieren. Das ist inakzeptabel. Sie werden beklagt: von der unbequemen Opposition, aber auch von der G-10-Kommission. Seit neuestem werden Sie vom größten Internetknotenpunkt, dem DECIX, beklagt, gestützt auf ein Gutachten von Herrn Professor Papier. Drei Jahre nach Snowden haben wir ein handfestes Legitimationsproblem. Das desaströse Ansehen des BND kann man eben nicht bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern abladen. Die Verantwortung trägt die Politik. Deswegen wäre es Aufgabe dieses Parlaments, zu zeigen, dass wir aus der Vergangenheit lernen und diese Fehler korrigieren. Dazu leisten Sie keinen Beitrag. Ich prophezeie Ihnen: Dieses Gesetz wird vor dem EuGH und vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern. Deswegen ist heute ein schlechter Tag für die Arbeit der Geheimdienste, für den Deutschen Bundestag sowie für unseren Rechtsstaat und die Demokratie. Das ist sehr bedauerlich. Ganz herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Der Kollege Clemens Binninger hat jetzt Gelegenheit, seine Ansichten dazu darzulegen. Aber ich darf ihn bitten, das im Rahmen der vorgegeben Redezeit zu tun. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Burkhard Lischka [SPD]) Clemens Binninger (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege von Notz, ich hätte mir gewünscht, dass wir bei einer so wichtigen Debatte über die Regelung einer schwierigen Materie, bei der es keine einfachen und schnellen Antworten gibt, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unbestritten!) einen politischen Streit in der Sache hätten führen können. Stattdessen gab es eine Aneinanderreihung von Polemik und selektiver Wahrnehmung. Das trägt nichts dazu bei, aber auch gar nichts. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es stimmt: Vor drei Jahren hat dieses Thema durch die Enthüllungen von Snowden Bedeutung gewonnen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Dann kam die Arbeit des NSA-Untersuchungsausschusses, in dem Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen bewundernswerte Arbeit leisten. Dann kam die Arbeit der Taskforce des Parlamentarischen Kontrollgremiums, die die Selektorenpraxis des BND untersucht hat. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Dann konnte und musste man kritisieren, weil vieles nicht in Ordnung war. Man durfte, wenn man wollte, „Skandal“ schreien. Das bleibt jedem selbst überlassen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war so! Das war ein Skandal!) Ich bin da immer etwas differenzierter. Aber kritisieren musste man. Drei Jahre danach wäre es jedoch angebracht, sich nicht mehr krampfhaft an den Sommer 2013 zu erinnern und nicht dauernd zurückzublicken, sondern zu fragen: Wohin führt der Weg jetzt? Was tun wir, damit sich diese Dinge nicht wiederholen? Wie schaffen wir einen guten Rechtsrahmen für den BND? – Das wäre der Schwerpunkt einer guten Debatte. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Skandal dauert an! Jetzt, heute noch, wenn wir hier sitzen!) – Ganz ruhig. Ich benenne die Kritikpunkte: (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann jetzt!) eine unzureichende Kontrolle durch das Kanzleramt in der Vergangenheit – das haben wir auch als PKGr gesagt –, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war eben der TOP!) fehlende Richtlinien und Anweisungen für die Umsetzung der technischen Aufklärung und eine Rechtsgrundlage, Herr Kollege von Notz, die fast nichts verboten hat, weil sie generalklauselartig war und es deshalb immer Auslegungssache war. Das war der Grund. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gab keine Rechtsgrundlage!) Die Mitarbeiter haben sich nicht per se rechtswidrig verhalten. Sie waren in der ganz unglücklichen Situation, dass es nur einen Paragrafen gab, nach dem Motto: Wenn es euch hilft, dürft ihr alles. – So kann man das zusammenfassen. Das hat sie in diese Problemlage gebracht. Das korrigieren wir, indem wir eine präzise Rechtsgrundlage geben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wussten, dass das rechtswidrig war!) Der vierte Kritikpunkt ist eine unzureichende parlamentarische Kontrolle. Dazu haben wir unter dem ersten TOP einen Beschluss gefasst und etwas geändert. Wir reformieren das BND-Gesetz. Ich habe vorhin aus gutem Grund die Sachverständigen genannt. Ja, sie haben auch Kritik geübt, vor allen Dingen an zwei Punkten: zum einen am unabhängigen Gremium, das die Selektorenpraxis überprüfen soll. Alle haben gesagt: Verfassungsrechtlich ist das unproblematisch. Man kann es aber so oder anders sehen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das ist das Letzte!) Einige Sachverständige fragten auch: Warum zitieren Sie nicht Artikel 10? (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, warum zitieren Sie denn nicht Artikel 10, Herr Binninger?) Aber nennen Sie mir bitte, bevor Sie hier ein Szenario malen, das den Eindruck erweckt, dass in diesem Land alles drunter und drüber geht – das Gegenteil ist der Fall –, ein Parlament auf der Welt, das sich so intensiv mit solchen Vorgängen befasst! (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Nennen Sie mir eine Regierung auf dieser Welt, die ein Gesetz für ihren Nachrichtendienst vorgelegt hat! (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die USA! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: USA!) Nennen Sie mir ein Parlament, das genauso die Konsequenzen gezogen hätte wie wir! Nennen Sie es! Es gibt keines. Dann haben wir, glaube ich, einen guten Job gemacht. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Burkhard Lischka [SPD]: Seit Wochen bitten wir euch darum!) Herr Kollege von Notz – über diese sehr anspruchsvolle Rechtsfrage würde ich gerne eine Diskussion führen –, gilt Artikel 10 – unser Fernmeldegeheimnis – auch in einer Krisenregion wie Rakka, wo der IS herrscht? Darum geht es doch. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Gilt er auch in Frankreich? – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gilt der auch im Élysée-Palast?) Bei der Auslandsüberwachung geht es darum, dass der BND – eine andere Chance hat er nicht – Datenströme zwischen zwei ausländischen Gesprächspartnern im Ausland bzw. in einer Krisenregion analysieren können muss. Wie wollen wir denn Terrorverdächtige entdecken, wenn nicht so? Deshalb brauchen wir die in Rede stehende Maßnahme. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Binninger, gestatten Sie jetzt eine Frage des Kollegen von Notz? Clemens Binninger (CDU/CSU): Alles andere hätte mich überrascht. Ich gestatte sie natürlich. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ich glaube, das war abgesprochen!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Das ist dann die Verlängerung Ihrer Redezeit. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unsere Absprache wird jetzt offenkundig, Herr Kollege Binninger. Clemens Binninger (CDU/CSU): Irgendwann kommt’s raus. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich tue Ihnen den Gefallen. – Sie haben von Rakka geredet. Der Kollege Flisek hat vorhin meiner Ansicht nach unzutreffend gesagt, die Europäer wären nun geschützt. (Burkhard Lischka [SPD]: Ja, sicher!) Ist es denn so, dass europäische Selektoren nicht mehr gesteuert werden können? Schließen Sie das aus? Es gab kein einziges europäisches Land, das nicht betroffen war. Sagen Sie, dass das in Zukunft nicht mehr der Fall ist? Geht Ausspähen unter Freunden nicht mehr, oder geht es doch durch dieses Gesetz unter bestimmten Voraussetzungen? Dann bekennen Sie sich auch dazu, und reden Sie nicht von Rakka. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Christian Flisek [SPD]: Europäische Terrorverdächtige werden wir nach wie vor überwachen, genauso wie wir es bei deutschen machen!) Clemens Binninger (CDU/CSU): Herr Kollege von Notz, natürlich geht es im Schwerpunkt um Krisenregionen wie Rakka, wo der IS sein Terrorregime etabliert hat. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geht Ausspähen unter Freunden?) Wir schließen im Gesetz aus, dass europäische Bürger davon betroffen sind, es sei denn, es handelt sich um Terrorverdächtige. Wir garantieren doch keine Immunität. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Viele Terrorverdächtige kommen doch aus Europa. 5 000 ISKämpfer stammen aus Europa. Diese wollen Sie als Grüne doch nicht ernsthaft schützen. Oder muss ich Sie anders verstehen? (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ausspähen unter Freunden geht also nicht?) Herr Kollege von Notz, Sie können von mir aus auch sitzen bleiben, obwohl ich die Beantwortung Ihrer Frage noch nicht beendet habe. Ich sage es trotzdem. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr von Notz, wenn Herr Binninger noch auf Ihre Frage antwortet, bitte ich Sie, aufzustehen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich stehe hier lange!) Clemens Binninger (CDU/CSU): Noch einen Satz. Wir schützen EU-Bürger und EU-Institutionen, wenn es um die strategische Fernmeldeaufklärung geht. Wenn sich aber EU-Bürger oder jemand anders dem Verdacht der Proliferation oder des internationalen Terrors aussetzen, (Christian Flisek [SPD]: Ja, eben!) dann schützen wir sie nicht. Es wäre doch verrückt, zu sagen: Ein belgischer Terrorverdächtiger ist geschützt, nur weil er EU-Bürger ist. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das französische Außenministerium?) Wir haben hier eine klare und gute Differenzierung gefunden. Wenn es Bezüge zum Aufgabenfeld des BND gibt, kann es im Interesse unserer Sicherheit keinen Schutz geben. Wenn das aber nicht der Fall ist, sind EU-Bürger geschützt. Das ist ein gewaltiger Schritt nach vorne. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie reden wieder nur von Terror! Das ist unseriös! – Burkhard Lischka [SPD]: Das ist die Faktenlage!) – Über Terror zu reden, ist sicherlich nicht unseriös, Herr Kollege von Notz. Analog zum Kollegen Schuster, der vorhin einen flotten Spruch gemacht hat: Einerseits hätten Sie von den Grünen gerne leistungsfähige Nachrichtendienste. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rechtsstaatlich!) Andererseits müssen Sie bei Ihrer Community Radau machen und sagen: Das alles ist ganz schlimm. – Den Nutzen aus der Arbeit der Nachrichtendienste hätten Sie schon gerne. Sie trauen sich nur nicht, das so richtig zu sagen. Was Sie da machen, ist für mich Heldentum nach Ladenschluss. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rechtsstaat!) Sie behaupten, dass wir nun Dinge erlauben, die vorher verboten waren. Das stimmt einfach nicht. (Martina Renner [DIE LINKE]: Natürlich!) Ich kann nur jedem empfehlen, insbesondere Ihnen, Frau Renner: Legen Sie die beiden Gesetzentwürfe nebeneinander. Schauen Sie, was zuvor geregelt war. Zuvor gab es nur einen Paragrafen, eine Generalklausel. Schauen Sie, was wir nun regeln. Wir regeln nun die Anordnungswege im BND und im Kanzleramt. Es gibt ein Richtergremium, das die Selektoren prüft. Wir haben klare Definitionen, mit denen wir Aktivitäten wie Wirtschaftsspionage ausschließen. EU-Bürger werden geschützt, und wir haben einen Paragrafen für den Kernbereichsschutz. Man kann dann immer noch sagen: Politisch gefällt mir das nicht. – Einverstanden, dafür sind wir unterschiedliche Parteien. Aber zu sagen, jetzt wird erlaubt, was vorher verboten war, ist Unfug und unseriös. Ich bitte Sie wirklich, das zu lassen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. Das war jetzt vorbildlich. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kollegin Gabriele Fograscher das Wort. (Beifall bei der SPD) Gabriele Fograscher (SPD): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! In dieser Auseinandersetzung um die Nachrichtendienste geht es im Kern um drei Fragen. Die erste: Brauchen wir Nachrichtendienste? Da sagen wir von den Koalitionsfraktionen uneingeschränkt Ja. Angesichts von mehr als 1 000 Toten in den letzten Jahren durch Anschläge in Deutschland und Europa, angesichts der weiterhin hohen Bedrohungslage durch den internationalen Terrorismus, zunehmender Cyberattacken, international organisierter Kriminalität und nicht zuletzt zum Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten im Ausland können wir auf die Erkenntnisse der Nachrichtendienste nicht verzichten. Die zweite Frage ist: Was dürfen diese Dienste? Im demokratischen Rechtsstaat gilt auch für die Dienste das Prinzip: Maßnahmen müssen erforderlich, verhältnismäßig und geeignet sein. Dieses Prinzip setzen wir jetzt für die strategische Fernmeldeaufklärung um. Für die unverzichtbare Zusammenarbeit mit anderen Diensten schaffen wir klare Voraussetzungen. Die dritte Frage: Wer kontrolliert, und ist diese Kontrolle effektiv? Auch darüber haben wir vorhin schon diskutiert. Wir schaffen einen ständigen Bevollmächtigten mit einem Arbeitsstab, der die Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums bei ihren Kontrollaufgaben unterstützt. Mit beiden Gesetzen, die wir heute beschließen, ziehen wir die Konsequenzen aus den durch den NSA-Untersuchungsausschuss, aber auch durch die PKGr-eigenen Untersuchungen aufgedeckten Fehlentwicklungen der letzten Jahre. Wir schaffen mit dem Gesetz zur Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung klare Regelungen für den Bundesnachrichtendienst. Wir verbieten Wirtschaftsspionage, wir schützen alle EU-Bürger und -Institutionen, wir schaffen die Voraussetzung für effektive Kontrolle und definieren die Verantwortlichkeiten. Damit sind wir Vorreiter. Kein anderes Land in Europa, ja weltweit, hat bisher solche gesetzlichen Regelungen für seine Dienste. Was die Verfassungsmäßigkeit anbetrifft, die von Ihnen, Herr von Notz, und einigen Organisationen angezweifelt wird – Sie haben sie alle genannt –, (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Von Sachverständigen!) so sehen wir dem gelassen entgegen. Die Verfassungsmäßigkeit stellen nicht die Grünen oder die Linken fest, sondern das Bundesverfassungsgericht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das Bundesverfassungsgericht wird darüber entscheiden müssen, wie weit das Grundgesetz und damit auch Artikel 10, das Fernmeldegeheimnis, geht. Wenn man die Notwendigkeit von Nachrichtendiensten bejaht, dann muss man auch dafür sorgen, dass sie personell, technisch und finanziell so ausgestattet sind, dass sie ihren Beitrag zur Sicherheit der deutschen Bürgerinnen und Bürger im In- und Ausland leisten können. Auch dafür sorgt die Koalition im Haushalt 2017. Mit den Gesetzen zur Fortentwicklung der parlamentarischen Kontrolle und der Fernmeldeaufklärung des BND schaffen wir mehr Rechtssicherheit, mehr demokratische Kontrolle und für die Zukunft weniger Anlass zu Skandalisierungen. Ich bitte Sie um Zustimmung. Danke schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist jetzt die Kollegin Andrea Lindholz, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute wollen wir aus der Aufklärungsarbeit im NSA-Untersuchungsausschuss und auch im Parlamentarischen Kontrollgremium unsere Konsequenzen ziehen und die weitreichendste Reform des BND-Gesetzes seit Jahrzehnten beschließen. Mit den heute verabschiedeten Gesetzen stärken wir die parlamentarische Kontrolle, wir verbessern die Regierungsaufsicht, und wir sorgen für mehr Rechtssicherheit für den BND; denn Rechtssicherheit und Kontrolle schaffen auch Vertrauen. Nachdem ich vorhin wieder einmal vernommen habe, dass man von einem desaströsen Ansehen des BND gesprochen hat, möchte ich an dieser Stelle sagen: Ich bedanke mich heute ganz herzlich bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unserer Nachrichtendienste, auch des BND, für ihre Arbeit und möchte es nicht zulassen, dass sie unter einen permanenten Generalverdacht gestellt werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Die parlamentarische Kontrolle unserer drei Nachrichtendienste haben wir bereits mit der vorhin beschlossenen Reform des PKGr-Gesetzes massiv gestärkt. Die nun vorliegende Reform des BND-Gesetzes stellt die Überwachung von Ausländern im Ausland von Deutschland aus auf eine völlig neue Rechtsgrundlage; denn der BND agierte hier bisher in einer rechtlichen Grauzone. Wir haben das immer wieder gehört, als wir im NSA-Untersuchungsausschuss sowohl Rechtsexperten als auch verantwortliche Mitarbeiter in den Behörden – auch verantwortliche Juristen dort – angehört haben. Wenn wir feststellen, dass Rechtsunsicherheit besteht, ist es Aufgabe der Politik, Rechtssicherheit zu schaffen. Das tun wir mit diesem Gesetz. Wir sind das einzige Land, das Konsequenzen aus den Skandalen zieht, die auch durch die Enthüllungen von Edward Snowden aufgedeckt wurden. Auch das will ich an dieser Stelle sagen: Kein anderes Land hat bisher diesen Rechtsbereich geregelt und sich an solche Regelungen herangetraut. Die Auslandsaufklärung ist für den BND unverzichtbar, um Terrorismus, organisierte Kriminalität und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen effektiv bekämpfen zu können. Auch die Zusammenarbeit mit anderen Nachrichtendiensten ist unerlässlich. Dazu werden wir heute ebenfalls Regelungen verabschieden. Wir haben gerade in diesen Tagen sowie in den letzten Wochen und Monaten erlebt, wie wichtig die Zusammenarbeit mit anderen Nachrichtendiensten ist und dass leistungsfähige Nachrichtendienste in Deutschland und Europa unverzichtbar sind. Wer Sicherheit anders gewährleisten will, der muss sagen, wie das in der Praxis zuverlässig funktionieren soll. Aus unserer Sicht kann man Freiheit und Sicherheit nur mit leistungsfähigen Nachrichtendiensten gewährleisten. (Beifall bei der CDU/CSU) Diese Reform legitimiert keine möglichen Rechtsverstöße in der Vergangenheit, sondern sie schafft für die Zukunft klare Regelungen. Das stärkt das Vertrauen in die Arbeit des BND, und es gibt auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Rechtssicherheit. Der Gesetzgeber ist gehalten, so zu formulieren, dass wir den wehrhaften Rechtsstaat sichern und hier auch ein ausgewogenes Verhältnis ausbalancieren. Wir schaffen ein neues unabhängiges Gremium, das künftig die Anordnungen kontrolliert. Wir schaffen ein neues schlankes Anordnungsverfahren, das für klare Verantwortlichkeiten zwischen dem Kanzleramt und dem BND sorgt und auch die Regierungsaufsicht verbessert. Wir formulieren die Kooperation mit fremden Diensten erstmals aus und stellen sie auf eine Rechtsgrundlage. Wir regeln die in diesem Zusammenhang bestehende automatisierte Datenübermittlung, die gemeinsame Datenerhebung. Wir ziehen neue Grenzen für den Einsatz von Suchbegriffen – auch im Rahmen der europäischen Kooperation – ein. Wir legen erstmals Speicherfristen sowohl für die Anordnung als auch für die Daten, die erhoben werden, fest. Das alles, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist wichtig, um den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Zukunft klare Handlungsanweisungen zu geben, wie wir als Gesetzgeber uns das vorstellen. Ja, Herr Kollege Notz, Artikel 10 des Grundgesetzes – da geht es um das Fernmeldegeheimnis – wollen wir nicht im BND-Gesetz verankern. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steht ja schon im Grundgesetz!) Dazu mag man unterschiedlicher Rechtsauffassung sein, aber für uns gilt der Geltungsbereich unseres Grundgesetzes nicht universell, sondern er gilt auf Deutschland bezogen – auf unser Staatsgebiet, auf die Deutschen und die Staatsgewalt. Mit dem neuen § 6 des BND-Gesetzes wird eine ganz klare Zuständigkeit für das Verbot der Überwachung Deutscher aufgenommen, es wird eine klare Regelung im Verhältnis zu den europäischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern aufgenommen, und es wird eine deutliche Abgrenzung dieses Gesetzes zum Artikel 10-Gesetz vorgenommen. Das ist der richtige Weg. Man kann der Auffassung sein, es anders haben zu wollen; aber dass wir das regeln, ist der richtige Weg. Ich sehe hier – auch weil wir es gut begründen – keine Verfassungswidrigkeit. Wenn mir zehn Juristen sagen würden, dass sie das für verfassungswidrig halten, würden wir, glaube ich, auch andere finden, die sagen würden: Genau das ist verfassungsgemäß, weil es nicht willkürlich erfolgt, sondern gut begründet ist. Wenn ich an die letzten drei Jahre zurückdenke: Wie oft haben Sie schon „Verfassungswidrig!“ geschrien? Bis jetzt ist keine einzige Ihrer Klagen, die im Zuge des NSA-Skandals erhoben worden ist, durchgegangen. Sie alle sind abgewiesen worden, und ich sehe auch heute diesem Vorwurf der Verfassungswidrigkeit ganz gelassen entgegen. Ich bitte Sie, auch dem BND-Gesetz – dem anderen Gesetz haben wir schon zugestimmt – zuzustimmen. Ich glaube, es ist eine gute Reform, es ist eine wichtige Reform. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes. Zu dieser Abstimmung liegt eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.2 Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10068, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/9041 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Ablehnung der Opposition und zwei Gegenstimmen aus der SPD angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Lesung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes. Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10068, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/9529 und 18/9854 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschlussempfehlung einstimmig angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe die Zusatzpunkte 10 a und 10 b auf: a)   – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Flexibilisierung des Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand und zur Stärkung von Prävention und Rehabilitation im Erwerbsleben (Flexi-Rentengesetz) Drucksache 18/9787 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) Drucksache 18/10065 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/10066 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Statt Rente erst ab 67 – Altersgerechte Übergänge in die Rente für alle Versicherten erleichtern – zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Brigitte Pothmer, Beate Müller-Gemmeke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Flexible und sichere Rentenübergänge ermöglichen – zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Britta Haßelmann, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kommunales Ehrenamt stärken – Anrechnung von Aufwandsentschädigungen auf die Rente neu ordnen Drucksachen 18/3312, 18/5212, 18/5213, 18/10065 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre hier keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich darf Sie bitten, Ihre Plätze einzunehmen, und bitte diejenigen Kollegen, die jetzt andere Aufgaben haben, den Plenarsaal zu verlassen und ihre Gespräche außerhalb des Plenarsaals fortzusetzen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Martin Rosemann, SPD-Fraktion. – Bitte schön. (Beifall bei der SPD) Dr. Martin Rosemann (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist schon bemerkenswert: Nahezu überall, wo man hinkommt und über das Gesetz zu flexiblen Übergängen diskutiert, sind die Rückmeldungen positiv. Das gilt vor allem für die Verbesserungen bei Prävention und Rehabilitation. Der Erste Direktor der Rentenversicherung Baden-Württemberg, Andreas Schwarz, hat in einem Interview mit den Stuttgarter Nachrichten Folgendes gesagt – ich zitiere –: Sehr positiv ist auch, dass mit dem Gesetz auch Präventions- und Rehaleistungen verbessert werden, damit die Menschen auch in die Lage versetzt werden, länger zu arbeiten. Sehr positiv sehe ich auch den berufsbezogenen Gesundheitscheck mit 45. Es wird nicht mehr nur gewartet, bis jemand einen Rehaantrag stellt, sondern die Rentenversicherung kann auf Leute zugehen, die eine Reha brauchen, sich aber nicht selbst melden. (Beifall bei der SPD – Katja Mast [SPD]: Guter Mann!) Auch bei der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am Montag dieser Woche waren die Rückmeldungen vieler Sachverständiger positiv. Ich darf Christof Lawall von DEGEMED zitieren: Das ist intelligente Sozialpolitik, die jetzt auf den demografischen Wandel reagiert und die richtigen Akzente setzt und den Rentenversicherungsträgern auch die Möglichkeit gibt, offensiv mit diesem Thema umzugehen. Alwin Baumann vom „Bündnis Kinder- und Jugendreha“ sagte: Ich kann Ihnen letztendlich sagen, ich bewerte diese Änderung als wirklich historisch – nämlich, dass Kinder und Jugendliche Erwachsenen gleichgestellt werden, dass wir eine Pflichtleistung haben, dass wir die Möglichkeit der Nachsorge haben usw. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Tatsächlich, meine Damen und Herren, Prävention und Nachsorge werden Pflichtleistungen. Das bedeutet, dass wir eine Förder- und Unterstützungskette von der Prävention bis zur Nachsorge bekommen. Wir stärken Kinder- und Jugendrehabilitation, die auch Pflichtleistungen im SGB VI, also für die Rentenversicherung, werden. Wir schaffen durch den berufsbezogenen Gesundheitsscheck einen neuen niedrigschwelligen und individuellen Zugang zu Rehabilitation und Prävention. Das ergänzt die Zugangswege über den Betrieb. So unterstützen wir die Menschen, gesund und fit die Regelaltersgrenze zu erreichen. Meine Damen und Herren, neben der Stärkung von Prävention und Reha machen wir verschiedene flexible Ausstiegswege attraktiver. Durch die sogenannte Opt-in-Regelung können in Zukunft auch bei Bezug einer Vollrente auch oberhalb der Regelaltersgrenze zusätzliche Rentenanwartschaften erworben werden. Vor der Regelaltersgrenze machen wir die Teilrente attraktiver und flexibler. Statt bisher in drei starren Stufen ist die Teilrente in Zukunft stufenlos wählbar. Für den Einzelnen ist es viel leichter, sich in Zukunft den eigenen Hinzuverdienst auszurechnen. Auch hierfür gibt es positive Rückmeldungen aus der Expertenwelt. Ich darf noch einmal Herrn Schwarz in besagtem Interview zitieren. Er sagt: Bisher war kaum vermittelbar, wie viel monatlich hinzuverdient werden durfte, da es individuelle Grenzen gab. Jetzt gibt es einen Jahresbetrag – 6 300 Euro –, den man anrechnungsfrei hinzuverdienen darf. Wer mehr verdient, muss 40 Prozent vom Mehrverdienst abgeben. Das ist einfach, transparent und flexibel. Recht hat der Mann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es gibt in Zukunft einen doppelten Vorteil: Wer als Teilrentner mehr hinzuverdient, hat unter dem Strich mehr in der Tasche und später mehr Rente, weil er mehr Rentenanwartschaften erwirbt und dann noch weniger Abschläge hat. Natürlich ist klar: In der Umsetzung dieses Gesetzes muss sich manches noch zurechtrütteln. Wir setzen mit dem Gesetz wichtige Impulse. Die Politik hat geliefert. Aber diese Impulse müssen jetzt auch aufgegriffen werden, indem die Möglichkeiten des neuen Reharechts von allen relevanten Akteuren genutzt werden, indem innovative Modelle für einen besseren und niedrigschwelligen Zugang erprobt werden, indem Strategien für eine abholende und aufsuchende Reha entwickelt und umgesetzt werden und indem auch über die Möglichkeiten informiert wird, die dieses neue Gesetz bietet. Meine Damen und Herren, ich finde, das ist ein wichtiger Beitrag dazu, unseren Sozialstaat zu einem stärker vorsorgenden Sozialstaat weiterzuentwickeln und angesichts von demografischen Veränderungen und immer rasanter werdenden Veränderungen in der Arbeitswelt den Sozialstaat besser an individuelle Erwerbsbiografien anzupassen und gleichzeitig die Beschäftigten schon während des Arbeitslebens zu unterstützen. Wir wissen aus vielen Umfragen, den meisten Leuten in Deutschland geht es nach eigener Aussage gut, aber sie haben Angst vor der Zukunft, auch vor Veränderungen in der Arbeitswelt. Wir können diese Veränderungen nicht verhindern, aber wir können sie gestalten, und vor allem können wir die Leute bei der Bewältigung dieser Veränderungen unterstützen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss will ich allen Beteiligten meinen Dank sagen: dem Ministerium, aber auch den Kolleginnen und Kollegen des Koalitionspartners für die kollegiale und an der Sache ausgerichtete Zusammenarbeit. Ich glaube, wir haben mit dem Gesetz zu flexiblen Übergängen sehr viel mehr hinbekommen, als uns die meisten Skeptiker zugetraut haben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege Matthias W. Birkwald. (Beifall bei der LINKEN) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ihr Flexi-Rentengesetz, liebe Koalition, bietet keine Lösungen für Menschen, die von ihrer Arbeit krank werden, die unter zu viel Arbeit leiden, die im Niedriglohnsektor zu wenig Rentenansprüche erwerben oder die im Alter erwerbslos werden. Herr Kollege Linnemann, die Linke hat nichts dagegen, wenn jemand länger arbeiten kann und will, und die Linke hat auch nichts dagegen, wenn sich manche Menschen dadurch mehr Rente erarbeiten. (Beifall bei der LINKEN) Aber die Linke kämpft ganz entschieden dagegen, dass die Menschen länger arbeiten müssen, (Beifall bei der LINKEN) und die Menschen müssen heute länger arbeiten, weil SPD, Grüne und Union das Rentenniveau abgesenkt haben, weil Union und SPD diese unsägliche Rente erst ab 67 eingeführt haben und weil sie Möglichkeiten des frühzeitigen Ausstiegs, zum Beispiel die Rente für Frauen ab 60, ebenso abgeschafft haben wie die geförderte Altersteilzeit. Das, meine Damen und Herren, ist der falsche Weg. (Beifall bei der LINKEN) Viele Menschen können gar nicht länger arbeiten: nicht bis 63, nicht bis 65 oder 67 und schon gar nicht bis 69, 70, 73 oder 85 – um einmal all diese Wahnsinnsvorschläge aus der Union und dem Arbeitgeberlager der vergangenen Wochen zu nennen. Metallarbeiter müssen zum Beispiel durchschnittlich im Alter von 60 Jahren aus ihrem Beruf aussteigen und Gebäudereinigerinnen sogar schon im Alter von 59 Jahren und 11 Monaten. Die können dann nicht mehr. Diese Beschäftigten, liebe Koalition, lassen Sie komplett im Regen stehen. Für solche hart arbeitenden Frauen und Männer sollten Sie gute Altersübergänge finden. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit dem Jahr 2000 haben Sie das Rentenniveau bereits um gut 9 Prozent gekürzt, und Sie werden es bis 2030 noch einmal um 7,5 Prozent kürzen. Das heißt, die Rente folgt immer weniger den Löhnen. Doch damit nicht genug: Erstens. Die Rente erst ab 67 wird im Jahr 2031 für eine dann 63-Jährige eine drastische Rentenkürzung von 14,4 Prozent bedeuten. Zweitens. Die Erwerbsminderungsrenten werden schon heute im Schnitt um 85 Euro gekürzt. Ich fordere Sie auf: Streichen Sie die systemwidrigen Abschläge bei der Erwerbsminderungsrente, und berechnen Sie die Rente so, als wenn die Menschen bis 65 Jahre durchgehalten hätten. (Beifall bei der LINKEN) Das würde kranken Menschen den flexiblen Übergang in den Ruhestand sehr viel leichter machen. Weil Sie so nett lächeln, verehrte Frau Ministerin Nahles: Genau das tun Sie nicht. Ihr Flexi-Rentengesetz atmet den Geist des Arbeitens bis zum Umfallen. (Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD) – Sinngemäß habe ich gerade Leni Breymaier, die designierte Landesvorsitzende der SPD in Baden-Württemberg, zitiert; das sei nur nebenbei bemerkt. – Darum werden wir ihm auch nicht zustimmen. (Beifall bei der LINKEN) Im Einzelnen: Erstens. Wer neben einer vorgezogenen Altersrente ab 63 Jahren bis zu 6 300 Euro im Jahr hinzuverdient, muss künftig Beiträge in die Rentenkasse einzahlen. Damit erhöht sich dann seine oder ihre Rente, und das ist – Achtung, ich lobe die Regierung – gut. (Dagmar Schmidt [Wetzlar] [SPD]: Geht doch!) Allerdings kann man mit ungefähr 5 Euro Rente mehr im Monat Altersarmut nicht bekämpfen. Darauf wies übrigens, liebe Union, die Sachverständige der Caritas in der Anhörung hin. Zweitens. Als Rentnerin oder Rentner kann man schon heute nach Erreichen der Regelaltersgrenze weiterarbeiten – ohne jede Hinzuverdienstgrenze. Künftig darf man nach Ihrem Gesetz als arbeitender Regelaltersrentner auch in die Rentenkasse einzahlen und sich so die eigene Rente erhöhen; das hat Kollege Rosemann vorgetragen. Auch das ist gut. Aber ist es auch notwendig? Wer heute als Rentner nach der Regelaltersgrenze unbegrenzt dazuverdienen darf, zahlt weder Arbeitslosen- noch Rentenversicherungsbeiträge. Sie oder er hat also deutlich mehr Netto in der Tasche. Noch attraktiver: Wer bereits heute nach geltendem Recht erst ein Jahr oder später nach seiner oder ihrer Regelaltersgrenze in die Rente geht, erhält später eine um fast 9 Prozent höhere Rente. Also, aus 1 000 Euro Rente werden dann 1 090 Euro Rente – nach nur einem Jahr. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist nicht bekannt, aber es ist attraktiv genug. Mehr Anreize zum Arbeiten bis zum Umfallen, Herr Kollege Linnemann, braucht es nun wirklich nicht. (Beifall bei der LINKEN) Drittens. Richtig zweischneidig wird es bei Reha und Prävention. Prävention und Nachsorge werden jetzt mit der traditionellen Rehabilitation gleichgestellt. Schön, nur: Das nötige Geld dafür geben Sie der Rentenversicherung nicht. Ich sage: Jede und jeder Kranke, die oder der eine Rehamaßnahme braucht, muss sie auch erhalten. Darum fordere ich Sie auf: Schaffen Sie den Rehadeckel ab, und sorgen Sie dafür, dass genug Geld in den Rehatopf fließt. (Beifall bei der LINKEN) Herr Lawall von der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Rehabilitation hat in der Anhörung gewarnt: Prävention und Nachsorge drohen wegen der begrenzten finanziellen Mittel gegen andere Leistungen ausgespielt zu werden. Dazu, meine Damen und Herren, darf es nicht kommen. (Beifall bei der LINKEN) Viertens. Sie wollen die Rentenauskunft verbessern. Das ist gut, aber mehr Informationen helfen niemandem, wenn sie nicht verstanden werden. Darum fordere ich Sie auf: Sorgen Sie für Renteninformationen und Rentenauskünfte in verständlicher Sprache. (Beifall bei der LINKEN) Fünftens. Die Beschäftigten sollen künftig ab 50 Jahren die Möglichkeit haben, zusätzlich und freiwillig Rentenbeiträge einzuzahlen. Warum erst ab 50? Und warum nur zum Rückkauf der Abschläge? Freiwillige Zusatzbeiträge sind eine großartige Alternative zur gefloppten Riester-Rente. Ich fordere Sie auf: Seien Sie nicht hasenfüßig, und sorgen Sie dafür, dass auch jüngere Menschen freiwillige Zusatzbeiträge auf ihr persönliches Rentenkonto einzahlen können. (Beifall bei der LINKEN) Sechstens. Sie schaffen bei arbeitenden Rentnerinnen und Rentnern den Arbeitgeberbeitrag für die Arbeitslosenversicherung ab. Damit wird die Beschäftigung von Rentnerinnen und Rentnern billiger für die Unternehmen. Hören Sie auf, Ältere gegen Jüngere auszuspielen, und verzichten Sie darauf, den isolierten Arbeitgeberbeitrag zu streichen. (Beifall bei der LINKEN) Siebtens. Die Rentenversicherung und der DGB halten Ihre Neuregelung der Teilrente für misslungen. Ich halte sie für katastrophal. Die sogenannte Spitzabrechung ist extrem kompliziert. Das wird niemand verstehen. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das ist nicht das Einzige, was Sie nicht verstehen!) Das wird zu großem Unmut bei den Teilrentnerinnen und Teilrentnern führen. Viele von ihnen werden nämlich regelmäßig Rente zurückzahlen müssen; denn ihre Rentenbescheide werden Jahr für Jahr wieder aufgehoben und die Rente neu berechnet werden müssen. Irre! Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist kein gutes Gesetz. Die Linke hingegen hat einen guten Antrag vorgelegt. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist jetzt aber überraschend!) Wir fordern: Alle Versicherten sollen wieder ab 65 ohne Abschläge in Rente gehen dürfen. (Beifall bei der LINKEN) Nach 40 Beitragsjahren, also nach 40 Jahren Arbeit und Kindererziehung, muss man schon ab 60 abschlagsfrei in Rente gehen können. (Beifall bei der LINKEN) Dann hätten wir altersgerechte Übergänge in die Rente. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr. Carsten Linnemann. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Martin Rosemann [SPD]) Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU): Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns fast exakt vor drei Wochen hier getroffen und den vorliegenden Gesetzentwurf ins parlamentarische Verfahren eingebracht. Vor einigen Tagen fand eine entsprechende Sachverständigenanhörung statt. Herr Rosemann hat sich eben auf die Themen Prävention und Rehabilitation bezogen. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der einzige Lichtblick! Sonst ist da ja nichts!) Ich möchte Zitate aus der Anhörung wiedergeben, die sich auf das Thema längeres Arbeiten beziehen und die belegen, dass es attraktiv ist, im Renteneintrittsalter zu arbeiten. Die Deutsche Rentenversicherung sagt: Wir werden mit dem neuen Gesetz „sicherlich einen Anreiz bekommen, jenseits der Regelaltersgrenze länger zu arbeiten“. Die BDA, die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände, sagt: „Auf jeden Fall hat dieses Gesetz Potenzial, das Denken der Menschen und ein längeres Arbeiten zu fördern.“ Der ZDH, der Zentralverband des Deutschen Handwerks, hat über die neue Teilrente gesagt, dass die neue Teilrentenregelung auf jeden Fall besser sei als die alte. Die Caritas hat die Prävention gelobt. Kerstin Griese – sie ist keine Sachverständige, sondern die Ausschussvorsitzende – hat zum Schluss gesagt: So viel Lob haben wir selten gehört. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Katja Mast [SPD]: Als Sachverständige!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Birkwald, ich will gar nicht verhehlen, dass es in der Anhörung auch Kritik gab, zum Beispiel in Bezug auf die eben genannte Spitzabrechung. Aber ich muss sagen: Ich habe selten eine Anhörung erlebt, die so positiv war, auch was die Zielsetzung angeht – das müssen auch Sie zugeben; Sie sind ja auch schon ein paar Jahre im Parlament –, und deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass wir heute ein Gesetz beschließen werden, das gut ist für unser Land. Es ist richtig, dass wir dies tun werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Linnemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Birkwald? Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU): Zum Schluss, nicht während der Rede; nein, danke. Herr Birkwald hat eben gesprochen. Herr Birkwald, ich sage sofort noch etwas zu Ihrer Rede, dann können Sie im Anschluss gern erwidern. Natürlich wird dieses Gesetz – das muss man frank und frei zugeben – keine Wunder bewirken. Natürlich ist es ein erster Schritt hin zu einem Paradigmenwechsel. Alter neu denken – ich denke, es muss das Ziel sein, dass die Menschen die Freiheit haben, selbst zu entscheiden, wann Schluss ist und wann nicht. Dafür haben wir drei Dinge umgesetzt. Erstens den arbeitsrechtlichen Teil: dass es in Zukunft erlaubt ist, befristete Verträge im Rentenalter zu verabschieden. Das gilt schon seit einiger Zeit, und es gehört auch zur Flexirente. Zweitens – Herr Rosemann hat es angesprochen –, dass diejenigen, die länger arbeiten, ihre Rente durch die zusätzliche Arbeit erhöhen können; dafür arbeiten sie ja. Im Moment geht das noch nicht. Die meisten Menschen wollen Rente beziehen und zusätzlich arbeiten. Im Moment zahlen die Arbeitgeber Beiträge, die kommen in einen großen Topf und sind weg. In Zukunft gibt es zusätzliche Rentenerhöhungen für zusätzliche Arbeit. Drittens. Die Deutsche Rentenversicherung wird neu und besser über die Möglichkeiten des längeren Arbeitens informieren. Im Moment ist es leider noch so – es ändert sich gerade –, dass die Rentenversicherung so tut, als ob es gar keine Alternative gebe als die des Renteneintritts, und das wird sich jetzt ändern. Herr Birkwald, wenn Sie sagen, der Geist der Flexirente sei Arbeiten bis zum Umfallen, so muss ich schlicht sagen, dass das erstens falsch ist, und zweitens irritiert es mich, weil ich Ihnen nicht zugetraut hätte, dass Sie dieses Gesetz überhaupt so falsch verstehen können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Denn bei diesem Gesetz geht es darum, erstens die Menschen in die Lage zu versetzen, durch präventive Maßnahmen überhaupt länger arbeiten zu können, und zweitens das längere Arbeiten attraktiver zu machen. Die Menschen – damit muss endlich Schluss sein – dürfen nicht den Eindruck haben, dass wir ihnen einreden, dass es alle nur deshalb machen, um mehr Geld zu verdienen. Ja, diese wird es geben, aber es geht im Kern beim längeren Arbeiten um Wertschätzung, um soziale Teilhabe. Man will nicht zum alten Eisen gehören. Man will keine Vollbremsung in der Rente, und nicht von hundert auf null. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das kann er ja heute schon! Das gibt es alles schon!) Diesen Geist müssen wir leben und nicht den Geist der Linken, dass es hier um Zwangsarbeit geht, sondern es geht um freiwillige Arbeit im höheren Alter. (Beifall bei der CDU/CSU) Deshalb muss sich die Rentenpolitik der Zukunft an zwei Polen orientieren: erstens für diejenigen da sein, die nicht länger arbeiten können, aus psychischen, körperlichen oder welchen Gründen auch immer, zweitens Anreize zum längeren Arbeiten setzen, damit wir irgendwann einmal dorthin kommen – weil wir länger leben –, die Lebensarbeitszeit an die Lebenserwartung zu koppeln. Die Rentenbezugsdauer beträgt heute 20 Jahre, 1960 betrug sie 10 Jahre und 1965  15 Jahre. Heute leben wir 20 Jahre länger. Eine Gruppe habe ich jetzt nicht angesprochen, die von diesem Gesetz auch überhaupt nicht tangiert wird: Das sind beispielsweise die 50- bis 60-Jährigen, die unverschuldet in die Arbeitslosigkeit schlittern. Hier haben wir offenkundig ein Problem, und dazu gibt es auch von meiner Seite einen Appell an die Wirtschaft, hier ganz klare Signale zu setzen, dass man den Menschen zwischen 50 und 60 Jahren, die unverschuldet in die Arbeitslosigkeit geraten sind, eine Chance gibt. Viele wissen nicht, dass es beispielsweise eine sogenannte 52erRegel gibt: dass jene, die mit 52 Jahren in die Arbeitslosigkeit gehen, auf fünf Jahre befristete Arbeitsverträge mit den Arbeitgebern abschließen können. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aber Sie schicken sie in die Zwangsverrentung! Das ist die Realität!) Die Flexirente ist eine Brücke in die Zukunft der Rentenpolitik, und ich möchte mich sowohl bei unserer Fraktion als auch beim Koalitionspartner bedanken. Gerade auf der Zielgeraden war die Abstimmung konstruktiv. Ich möchte mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fraktionen bedanken; ich denke dabei an Thomas Rogowski und andere. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nun hat der Kollege Birkwald die Gelegenheit zu einer Kurzintervention. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Präsident. Vielen Dank, Herr Dr. Linnemann. Drei Minuten laut Geschäftsordnung. Herr Dr. Linnemann, ich zitiere aus der neutralen Zusammenfassung des Bundestagspressedienstes hib: „Expertenurteil zur geplanten Flexi-Rente“: Die Regelungen zu Reha und Prävention seien „überwiegend wohlwollend“. Das haben Sie gesagt. Ich zitiere weiter: ... gab es jedoch auch Zweifel, ob durch die geplanten Neuregelungen die verfolgten Ziele, die Altersarmut zu verringern und den Fachkräftemangel einzudämmen, erreicht werden können. ... Im Gegensatz zur BDA kritisierte Eckehard Linnemann vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) mangelnde Angebote für jene, die aus gesundheitlichen Gründen oder weil sie keinen Arbeitsplatz haben, nicht bis 65 oder 67 arbeiten könnten. ... Eine mangelnde Information der Beschäftigten über jetzt schon vorhandene Möglichkeiten, nach Erreichen der Regelalterszeit weiterzuarbeiten ..., konstatierte auch der Einzelsachverständige Professor Eckart Bomsdorf. Der Sachverständige der Deutschen Rentenversicherung Bund sagte, die künftigen Regelungen seien „komplexer als bisher“. Dann wird die Spitzabrechnung – das kann ich Ihnen gleich noch einmal vortragen – zitiert. Skeptisch zeigte sich der DRV-Vertreter, ob damit Altersarmut verhindert werden kann. Um dieses Ziel zu erreichen, brauche es andere Instrumente, sagte Birgit Fix vom Deutschen Caritasverband. Aus der Sicht von Heinz Landwehr von der Stiftung Warentest wird alles zu einer „Verschlechterung der Situation von Teilrentnern führen“. Die problematische Fachkräftesituation kann aus Sicht der Einzelsachverständigen Jutta Schmitz „nur in sehr kleinem Umfang“ durch die Erwerbsbeteiligung von Rentnern gelöst werden. (Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Spricht alles nicht gegen dieses Gesetz!) Christof Lawall sagte, die „gut durchdachten Änderungen dürften aber schlussendlich nicht an der Finanzierung scheitern“. Ich halte fest: Erstens. Hier zu behaupten, in dieser Anhörung sei dieses Gesetz nur über den grünen Klee gelobt worden, ist hanebüchener Unsinn. Es gab Lob, und es gab auch sehr viel Kritik. Zweitens. Ich will Ihnen kurz vortragen, damit alle hier das einmal mitbekommen, was der Experte der Deutschen Rentenversicherung gesagt hat: (Katja Mast [SPD]: Das hättest du in deiner Rede sagen können!) Es wird ein entsprechender Bescheid erstellt. Am 01.07. des Folgejahres werden wir dann prüfen, ob die Prognose des Zusatzeinkommens übereinstimmend mit dem war, was er tatsächlich verdient hat. (Zurufe von der SPD) – Ja, das wollt ihr nicht hören. (Katja Mast [SPD]: Sieben Minuten Redezeit reichten wohl nicht!) Wenn wir feststellen, dass er zu viel verdient hat, also die Rente eigentlich niedriger hätte sein müssen, heben wir den Bescheid auf und fordern das Geld zurück. ... Wir haben durch die Spitzabrechnung sozusagen in jedem Jahr die Aufhebung der alten Bescheide und eine Erstellung neuer Bescheide vor uns. Ich kann mir gut vorstellen, wie Rentnerinnen und Rentner darauf reagieren. Zum Arbeiten bis zum Umfallen, Kollege Linnemann: Leni Breymaier, ... – designierte Landesvorsitzende der SPD in Baden-Württemberg – kämpft gegen die Rente mit 67. – So steht es hier wieder falsch. Arbeiten bis zum Umfallen? Ein Unding, ... Die Gewerkschafterin ist dabei, neue Landesvorsitzende der SPD in Baden-Württemberg zu werden, und kämpft für einen frühen Renteneintritt. „Auch im Alter gibt es ein Recht auf Faulheit und ein angemessenes Auskommen“, ... (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Vorgelesen wird auf der Buchmesse in Frankfurt!) Letzte Bemerkung – meine drei Minuten laufen ab –: Was Reha angeht, hat sich gestern die designierte Vorsitzende der Deutschen Rentenversicherung geäußert. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Birkwald, Sie haben zunächst völlig richtig auf die drei Minuten für eine Zwischenintervention Bezug genommen. Diese drei Minuten sind bereits abgelaufen. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Ich bin gleich beim letzten Satz, Herr Präsident. Ich bin sofort fertig. Darf ich den Satz zu Ende führen? Vizepräsident Johannes Singhammer: Den Satz dürfen Sie noch zu Ende sprechen. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Sie hat gestern mitgeteilt, dass die Zahl der Anträge für Rehamaßnahmen deutlich zurückgegangen ist, auch bei Krebsbehandlungen, „obwohl die Entwicklung bei den Erkrankungen entgegengesetzt verlaufe“. Zu tun gibt es genug. Handeln Sie! Danke. (Beifall bei der LINKEN – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Sie reden nur! Wir handeln!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Dr. Linnemann, Sie haben jetzt die Gelegenheit, darauf zu erwidern. Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU): Herzlichen Dank. – Herr Birkwald, ich kenne in unserer Fraktion und auch, wenn ich das sagen darf, in der Fraktion der Kollegen niemanden, der gesagt hat, dass wir mit diesem Gesetz Altersarmut verhindern. Darum geht es überhaupt nicht. Altersarmut verhindern wir, indem wir zum Beispiel die betriebliche Altersvorsorge – Frau Nahles und Herr Schäuble bringen dies jetzt auf den Weg – verbessern, indem wir Zuschläge für Geringverdiener geben. Das sind Konzepte. Die Flexirente hat damit nichts zu tun. Verunsichern Sie nicht die Menschen. Das betrifft auch einen weiteren Punkt. Auch das sollten Sie eigentlich wissen, Herr Birkwald. Es irritiert mich, dass Sie das so darstellen. Die Schreiben der Deutschen Rentenversicherung werden nicht vom Deutschen Bundestag beschlossen und erst recht nicht formuliert. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Eine nachgeordnete Behörde!) Die Schreiben kommen von der Selbstverwaltung. Da sitzen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Glauben Sie mir, dass wir mit denen gesprochen haben. Das ist übrigens der Grund, warum die Formulierungen bereits vor zwei Jahren geändert wurden. Früher bekam derjenige, der 55 wurde, einen Brief, und in diesem Brief stand: Du musst jetzt Altersrente beantragen. Heute steht in diesem Brief: Du kannst Altersrente beantragen, du kannst aber auch, wenn du willst, länger arbeiten und bekommst zusätzliche Zuschläge. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Steht heute schon drin! Genau!) Das muss doch entscheidend sein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Herr Birkwald, wer etwas will, findet Wege. Wer etwas nicht will, findet Argumente. Das ist die Flexirente. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist jetzt der Kollege Markus Kurth für Bündnis 90/Die Grünen. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen insbesondere von der Koalition! Es schien Ihnen ja eine besondere Erwähnung wert gewesen zu sein, dass die Anhörung so viel Lob für Ihren Gesetzentwurf gebracht hat. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das ist doch schön!) Sie haben gesagt, Herr Linnemann und Frau Griese, selten habe es so viel Lob gegeben. Im Umkehrschluss zeigt das, welche Qualität im Allgemeinen die Gesetze haben, die wir im Ausschuss über uns ergehen lassen müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zum Beispiel bei der Leiharbeit!) Neben den Ausführungen zu den tauglichen Sachen im Bereich Prävention und Reha gab es sehr wohl eine Menge Kritik, die gerade der Kollege Birkwald, wenn auch etwas länglich, dargestellt hat. Die BDA sagt zu dem Flexi-Rentengesetz, das habe Potenzial. Ich bitte Sie: Das heißt so viel wie: Wir wissen noch nicht, was da herauskommt, aber schaden tut es uns auch nicht. Schauen wir mal. – Nichts anderes an Qualität, finde ich, hat diese Stellungnahme. Bevor wir immer wieder auf diesen Einzelpunkten herumreiten, sollte man sich den heutigen Vormittag einmal insgesamt ansehen. Wir beraten heute ja nicht nur über das Flexi-Rentengesetz, sondern wir werden heute den sozial- und arbeitsmarktpolitischen Vormittag im Deutschen Bundestag haben. (Dr. Martin Rosemann [SPD]: Das ist sehr gut!) Wir haben nachher noch ein Gesetz zur Arbeitnehmerüberlassung, also zur Regelung von Leiharbeit und Werkverträgen, und wir werden heute Mittag noch ein Gesetz zur Ermittlung des Regelbedarfs, zur Bestimmung des Existenzminimums haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Alle drei Gesetzesvorhaben, das jetzige und die angesprochenen, behandeln ja durchaus wichtige Punkte. Wir wollen ja, dass angesichts des steigenden Renteneintrittsalters, angesichts der steigenden Lebenserwartung längeres Arbeiten, gesundes Arbeiten möglich ist. Auch wir Grüne wollen, dass der Missbrauch von Leiharbeit verhindert wird. Und wir wollen ein menschenwürdiges Existenzminimum. Es sind also alles drei wichtige zu regelnde Bereiche. Aber in allen drei Bereichen lässt sich ein Muster erkennen, nämlich dass die Große Koalition sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigt, in der Sache so gut wie überhaupt nicht vorwärtskommt oder sogar wie beim Leiharbeitsgesetz Rückschritte in Kauf nimmt und sogar jahrelangen Expertenrat wie bei der Sicherung des Existenzminimums einfach in den Wind schlägt. (Zuruf von der SPD: Was zu beweisen wäre!) Das ist das Muster der Großen Koalition, das ich so fürchterlich finde. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Martin Rosemann [SPD]) Damit schüren Sie – Herr Rosemann, hören Sie mal zu, auch wenn es Ihnen nicht gefällt – in der Tat eine gewisse Politikverdrossenheit und Verzweiflung bei den Leuten. Sie hängen ganz groß Ihre Titel raus: „Flexi-Rentengesetz“, „Wir regeln jetzt die Werkverträge“, aber in der Substanz passiert nichts. (Dr. Martin Rosemann [SPD]: Das ist doch Unsinn!) Der entscheidende Punkt beim Flexi-Rentengesetz wäre, dass wir schauen, was mit denjenigen Leuten ist – ich sage es zum x-ten Male von hier aus –, die aus gesundheitlichen Gründen zwar nicht die Erwerbsminderungsrente beantragen können, aber einen abgefederten, zeitlich reduzierten Übergang in den Ruhestand brauchen. Wir Grüne haben vorgeschlagen – das wird ja heute mit abgestimmt –: zum einen eine Teilrente ab 60, zum Zweiten, dass wir einen früheren Rückkauf von Abschlägen auch vor dem 50. Lebensjahr ermöglichen, und zum Dritten, dass wir für die Gruppe der gesundheitlich besonders beeinträchtigten Beschäftigten nach Wegen suchen, wie die Abschläge ausgeglichen werden können. – Wenn man das zusammen mit den zugegebenermaßen korrekten Regelungen zu Prävention und Rehabilitation macht, dann kann man eine größere Akzeptanz für längeres Arbeiten bei den Beschäftigten erzeugen, bzw. dann erfahren diese, dass es reale Möglichkeiten gibt, faktisch länger zu arbeiten. Dann ist diese ganze Diskussion weniger angstbesetzt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Katja Mast [SPD]: Schade, dass Herr Kretschmann keinen Bundesratsantrag dazu macht!) Stattdessen merkt man diesem Gesetzentwurf an, dass er Resultat eines doppelten Koppelgeschäftes ist, zum einen zur Gesichtswahrung des Wirtschaftsflügels der Union, die mit der Rente mit 63 ja so unglücklich war und eigentlich im Sinn hatte, dass man jenseits der Regelaltersgrenze länger arbeiten sollte. Dazu macht dieser Gesetzentwurf ja faktisch gar nichts. Da haben Sie es schon einmal billig verkauft. Und der zweite Teil ist das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, worüber wir hier in etwas mehr als einer Stunde beraten werden. Da haben Sie einen Deal gemacht: Gibst du mir das, gebe ich dir das. (Dr. Martin Rosemann [SPD]: Ganz schwach!) Und beim Arbeitnehmerüberlassungsgesetz kommt auch nichts raus. Übrigens: Die Anhörung – das kann ich Ihnen sagen – war wesentlich verheerender als die zum Flexi-Rentengesetz. Meine Kollegin Beate Müller-Gemmeke wird nachher mit Ihnen noch hart ins Gericht gehen. Ich kann allen nur empfehlen, sich das anzuhören und anzusehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Martin Rosemann [SPD]: Reden Sie doch zu diesem Gesetz! Sagen Sie mal was zu diesem Gesetz! – Katja Mast [SPD]: Sagen Sie was zur Kinderreha!) Ich möchte, wie gesagt, nicht in Abrede stellen, dass Sie im Bereich Rehabilitation einiges tun. Beim gesamten Komplex Teilrente versagen Sie aber nicht nur mit Blick auf die Beschäftigten, die gesundheitlich beeinträchtigt sind. Eindeutig und im Grunde für Sie niederschmetternd, wie ich fand, war auch die Kritik an den Anrechnungsregelungen bei der Teilrente. Unser Sachverständiger – das können Sie ja nicht ignorieren – hat gesagt, dass es Einkommensbereiche gibt, in denen sich die Leute mit ihrer Regelung sogar schlechterstellen als heute. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Haben Sie einen konkreten Menschen als Beispiel dafür? – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Hört! Hört!) Der andere Punkt, den Matthias Birkwald hier ja auch schon genannt hat, ist, dass man jedes Jahr wieder sehr kompliziert neu berechnen muss und dass es im Endergebnis womöglich immer wieder Rückforderungen der Rentenversicherungen an die Teilrentner gibt. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Kurth, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rosemann? Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein, danke, das möchte ich jetzt nicht. – Ich prognostiziere, dass wir in zwei Jahren sehen werden, dass es kaum mehr Teilrentnerinnen und Teilrentner als heute gibt. Auch hier haben die Grünen sehr gute Vorschläge gemacht und gesagt: Die Summe aus Zuverdienst und Teilrente soll das frühere Gehalt nicht übersteigen. – Das wäre einfach gewesen; das kann sich jeder einfach ausrechnen. Das ist zugänglich und niedrigschwellig. Diesem Punkt hätten Sie eigentlich folgen müssen. Ich hoffe, wir haben in nicht allzu ferner Zukunft die Gelegenheit, die guten Ideen, die wir haben, auch Gesetz werden zu lassen. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank. – Der Kollege Dr. Rosemann hat jetzt die Gelegenheit zu einer Kurzintervention. Dr. Martin Rosemann (SPD): Lieber Herr Kollege Kurth, ich finde es bemerkenswert, dass Sie keine Zwischenfrage zugelassen haben, aber ich kann mir gut erklären, warum nicht. Sie haben hier nämlich eine Rede gehalten, bei der es gar nicht um das Flexi-Rentengesetz ging. Das zeigt, dass Sie offensichtlich Schwierigkeiten hatten, Ihre sieben Minuten Redezeit mit einer Kritik an dem Gesetzentwurf zu füllen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben nicht zugehört!) Sie haben hier ein bisschen über die Anrechnungsregelungen bei Teilrenten gesprochen. Ich will Ihnen einmal sagen: Die Sachverständige Dr. Schubert vom Zentralverband des Deutschen Handwerks hat zur neuen Anrechnungsregelung Folgendes gesagt: Die Stufenlosigkeit der neuen Teilrente ist sehr viel besser als die aktuelle Herangehensweise mit ein Drittel, ein Halb und zwei Drittel Teilrente. Das sagen die Sachverständigen, die sich mit der Praxis in der Welt offensichtlich sehr viel besser auskennen als Sie. Ich will Ihnen auch noch einmal sagen: Selbst bei Ihrem eigenen Sachverständigen haben Sie ein wenig Probleme gehabt, herauszukitzeln, was die Kritik eigentlich ist. Ihr eigener Sachverständiger hat von einer Schlechterstellung nur in ganz wenigen extremen Fällen gesprochen – übrigens, es gibt einen Bestandsschutz –, in denen die Betroffenen sehr hohe Renten haben und bisher im Bereich der Hinzuverdienstspitzen verdienen. Er hat wörtlich gesagt: Im Ergebnis kann man sagen, dass dies vor allem Versicherte betreffen wird, die eine überdurchschnittlich hohe Rente haben und die dann sehr eng an den jetzigen Hinzuverdienst grenzend verdienen. Das sind nur sehr wenige Fälle. Insofern kann ich sagen: Die wenige Kritik, die Sie hier vorgetragen haben, löst sich bei Lichte betrachtet doch deutlich auf. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Kurth, ich vermute, Sie wollen darauf erwidern. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit Ihrer Genehmigung würde ich das gerne tun, ja. – Herr Rosemann, Sie haben kritisiert, dass ich nicht genug zur Flexirente gesprochen habe. Ich glaube, dass es wichtig ist, hier in diesem Hause auch einmal nicht nur Spiegelstriche zu referieren und aus Protokollen der Anhörungen zu zitieren, sondern eine politische Debatte zu führen, und zwar über, wie gesagt, alle drei Gesetzentwürfe, die wir hier heute beraten, um das zu sezieren, was dieses Land gefangen hält, nämlich den Blockadezustand in der Großen Koalition und die Immobilität, die Sie in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik nicht nur mit diesem Gesetzentwurf, sondern insgesamt aufweisen. Das ist der entscheidende Punkt. Ich streite ja gar nicht ab, dass die jetzt vorgeschlagenen Zuverdienstregelungen natürlich besser sind als das, was wir mit dem Dreistufenmodell jetzt haben. (Dr. Martin Rosemann [SPD]: Aha!) – Ja, aber das Bessere ist der Feind des Guten, und das Gute wäre der Vorschlag von Bündnis 90/Die Grünen gewesen, den ich eben genannt habe, dass man nämlich sagt: Die Summe aus Zuverdienst und Teilrente soll das Frühere nicht übersteigen. Das wäre in der Tat noch besser gewesen; das habe ich hier auch gesagt. Im Übrigen halte ich es für sinnvoll, dann, wenn man schon zu großen Etiketten und Schildern wie Flexirente greift, etwas in der Substanz zu liefern und nicht nur inkrementale Veränderungen vorzunehmen. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Das Wort hat jetzt die Kollegin Dagmar Schmidt für die SPD. (Beifall bei der SPD) Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Herr Birkwald, eigentlich bin ich von Ihnen eher seriöse Beiträge gewohnt. Aber eines möchte ich als Allererstes klarstellen: Frau Breymaier hat sich in ihrer Aussage nicht auf unser Flexi-Rentengesetz bezogen, sondern auf die unsägliche Debatte der Verlängerung der Arbeitszeit über 70 Jahre hinaus. Das möchte ich erst einmal festhalten. (Beifall bei der SPD) Dinge aus dem Kontext zu reißen, ist an sich nicht Ihre Art und kommt bei Ihnen normalerweise nicht vor. Zweitens. Ja, Sie haben recht: Dieses Gesetz löst nicht alle sozialen Probleme dieser Welt; das ist wahr. Wir haben mit diesem Gesetz nicht vorgehabt, alles in einem Aufwasch zu erledigen, wir haben nicht vorgehabt, alle Fragen, die auf der Straße liegen, mit diesem Gesetz zu beantworten. Das ist richtig. Aber es stimmt eben nicht, dass die Schicksale der Menschen, die Sie uns geschildert haben, von diesem Gesetz nicht beeinflusst würden. Ihre Ansicht scheint es zu sein, dass man so lange arbeitet, bis die Gesundheit kaputt ist. Dann geht man in Rente, egal, wann das ist. Unsere Sicht der Dinge ist: Wir wollen den Menschen darin unterstützen, gesund arbeiten zu können, um möglichst lange im Erwerbsleben zu bleiben und hinterher eine gute Rente zu bekommen. Das ist ein entscheidender Unterschied. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mal ehrlich, da haben wir verdammt viel erreicht, mehr als das, was Sie als Opposition erwartet haben; das merkt man an der heutigen Debatte. Zwei Punkte möchte ich ganz besonders hervorheben. Der erste Punkt ist die Kinder- und Jugendreha. Herr Rosemann hat es schon gesagt: Das, was wir dort erreicht haben, hat der Sachverständige Herr Baumann, 33 Jahre in der Kinder- und Jugendreha tätig, als „wirklich historisch“ bezeichnet. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: So ist es!) Aber nicht nur das hat er festgestellt. Wenn wir Gesundheit schützen möchten, statt Krankheit behandeln zu wollen, dann müssen wir damit früh anfangen. Wenn wir Menschen starkmachen wollen, dann müssen wir bei den Kindern anfangen. Knapp 40 Prozent der Fälle von Erwerbsminderung bei Krankheit entspringt psychischen Problemen. Gerade in diesem Bereich ist die Kinder- und Jugendreha besonders stark. Das ist eine Pflichtleistung. Es gibt die Möglichkeit zur Nachsorge. Die Reha darf ambulant erbracht werden. Eine Begleitperson oder die Familie können mitkommen. Das ist ein richtig toller Erfolg (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) unter dem Gesichtspunkt, dass diese Menschen zukünftig bessere Voraussetzungen haben, gesund am Arbeitsleben teilzunehmen. Aber es ist eben vor allem auch ein toller Erfolg unter dem Gesichtspunkt, dass diesen jungen Menschen gut und früh geholfen wird, ein selbstständiges und hoffentlich auch glückliches Leben zu führen. Der zweite Punkt, den ich herausheben möchte, ist die – so steht es im Gesetz – „freiwillige, individuelle, berufsbezogene Gesundheitsvorsorge“. Wir nennen das den Ü45Check-up. Wir haben zunächst, auch wenn die Sachverständigen von der Idee so überzeugt waren, dass sie diesen Check-up gleich flächendeckend einführen wollten, Modellversuche verankert, weil dies wirklich ein großes Projekt, ein Paradigmenwechsel ist. Wir kümmern uns eben nicht erst dann, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, wenn also die Gesundheit bereits geschädigt ist und das Arbeiten schwer oder gar nicht mehr möglich ist. Das tun wir auch. Aber wir wollen möglichst verhindern, dass es so weit kommt, dass die Arbeit krankmacht, dass man EM-Rente beantragen muss, dass man Gefahr läuft, im Alter arm zu sein. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Arbeitsbedingungen ändern!) Deswegen stellen wir die Weichen schon für Menschen mit 45 Jahren neu. So viel positive Rückmeldung zu einem Gesetz – das sage ich noch einmal, Herr Kurth – haben wir selten gehabt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das sollte Ihnen zu denken geben!) Vielleicht liegt es auch daran, dass es ein Fraktionsgesetz ist. Es lohnt sich aber auch, sich Zeit zu nehmen und ausreichend lange zu beraten. Das haben wir getan. Wir haben gerade im Bereich Prävention, Reha, Gesundheitsschutz mit diesem Gesetz einen wichtigen und großen ersten Schritt getan. Ich verspreche aber, das Thema wird uns weiter begleiten. Glückauf! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Peter Weiß für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Der Kollege Kurth hat vorhin eine politische Bewertung verlangt. Ich finde, die politische Bewertung ist: Wir verabschieden heute ein Gesetz, bei dem – das gibt es selten – alle gewinnen. Es ist ein Gewinnergesetz, und zwar für jeden in unserer Gesellschaft, vor allen Dingen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es war vielleicht früher etwas anders, aber heute ist die überwiegende Zahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht an starren Grenzen und Regeln interessiert, sondern daran, das eigene Leben und damit auch das eigene Arbeitsleben selber zu regeln, also die Fragen, wann man aufhört, zu arbeiten, und ob man sein Arbeitsleben vielleicht langsam ausklingen lässt, selber zu beantworten. Die Möglichkeit einer solchen Entscheidung in individueller Freiheit setzen wir heute in gesetzgeberischer Form um. Deswegen ist es ein großer Gewinn für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land, was wir an Flexibilisierung ins Rentenrecht neu hineinschreiben. (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist für mich, verehrte Kolleginnen und Kollegen, schon bezeichnend, dass die Linke im Ausschuss mit Nein gestimmt hat. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein!) – Doch! (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir haben uns im Ausschuss enthalten! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben sich enthalten!) – Ihr habt euch auch enthalten. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, selbstverständlich!) Die Linke jedenfalls kritisiert dieses Gesetz sehr und will mit Enthaltung stimmen, weil sie nach alter DDR-Manier (Zurufe von der LINKEN: Oh!) lieber alles haarklein vorschreibt, anstatt individuelle Freiheit zu gewähren. Das ist der Punkt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein, nein! Sie müssen jetzt etwas Neues sagen, nicht das, was da steht! Das passt nicht mehr! Wir haben uns enthalten!) Ich mache Ihnen das an einem Beispiel deutlich. Der Daimler-Konzern fährt schon heute ein Senior-Experts-Programm. Ein mittlerweile 70jähriger Rentner, ehemaliger Facharbeiter, hat sich bereit erklärt, noch einmal einzusteigen, und zwar für die Integration von Flüchtlingen in die Ausbildungsgänge. Er macht das nicht, weil er muss, sondern weil er Spaß und Freude daran hat, sich in der Flüchtlingsintegration noch einmal beruflich zu engagieren. Ich finde, es ist eine Unverschämtheit, in einem solchen Fall von „Arbeiten bis zum Umfallen“ zu reden, wie es die Linke tut. Das ist eine Beleidigung für diesen Arbeitnehmer. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Quatsch! Völliger Quatsch! Ich habe in der ersten Zeile gesagt: Wer kann und will, soll länger arbeiten können! Sie haben nicht zugehört, Herr Kollege!) Der Daimler-Konzern muss in seinem Flyer, in dem er über dieses Senior-Experts-Programm informiert – ich zeige ihn: er sieht so aus –, natürlich darauf hinweisen, dass derjenige, der zwischen 63 und 65 alt ist und in eine solche Sache einsteigen will, maximal 450 Euro hinzuverdienen kann, weil ansonsten das Fallbeil der Rentenkürzung zum Tragen kommt. Da der Daimler-Konzern nicht ganz unvermögend ist, kann er in dem Fall sogar aushelfen, indem er einen pauschalen Rentenausfallzuschuss gewährt; das kann nicht jeder. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ab morgen können solche Broschüren geändert werden. Wir schaffen das Fallbeil der automatischen Rentenkürzung ab. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Zugleich erhöhen Sie die Profite von Daimler! Herzlichen Glückwunsch!) Das ist ein großartiger Erfolg für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es ist schon dargestellt worden: Man kann auf jeden Fall nach dem 63. Lebensjahr 6 300 Euro im Jahr ohne Anrechnung hinzuverdienen. Von dem Hinzuverdienst, der darüber hinausgeht, kann man 60 Prozent behalten; 40 Prozent werden auf die Rente angerechnet. So kann man das individuell gestalten. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich finde es ungeheuerlich, dass die Oppositionsfraktionen mit dem Schreckwort „Spitzabrechnung“ den Leuten jetzt vor dieser Regelung Angst machen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Waren Sie einmal in der Anhörung? – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Spitzabrechnung“ ist ein technischer Begriff, den wir in allen möglichen Bereichen haben! Das ist meist besser als eine pauschale Regelung!) Entschuldigung, wenn ich als Arbeitnehmer eine Teilrente beziehe und weiß, dass ich Geld hinzuverdienen kann, dann interessiert mich sehr wohl, was exakt dabei herauskommt, und zwar möglichst für jedes Jahr. Was wir machen, ist: Wir sorgen dafür, dass der Arbeitnehmer, der so etwas macht, also Teilrente bezieht und Teilzeit arbeitet, exakt weiß, was nach einem Jahr dabei herauskommt. Das ist Transparenz, die notwendig ist, die auch richtig ist und die ich nicht als „Spitzabrechnung“ diffamieren würde. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ich schicke dann alle Rentnerinnen und Rentner zu Ihnen!) Die Redner der Koalitionsfraktionen sind zum Teil auf einen Vorschlag aus der Anhörung eingegangen, mit dem wir uns über Monate auseinandergesetzt haben, und haben gefordert, das anders zu regeln. Ich will Ihnen einmal sagen, was die andere Regelung, die Alternative, bedeuten würde. Dann würde es die Spitzabrechnung nicht geben, und es würde nach Renteneintritt 26 Jahre dauern, bis das ausgeglichen ist, was eventuell zu viel oder zu wenig verdient worden ist. Meine sehr geehrten Damen und Herren, derjenige, der sich exakt an die Regeln gehalten hat und bei dem nichts auszugleichen ist, wird sich herzlich dafür bedanken, dass es Kollegen gibt, die ein bisschen getrickst haben – in Anführungsstrichen – und das über 26 Jahre ausgeglichen bekommen. Entschuldigung, aber die Kampagne der Bild-Zeitung gegen eine solche Regelung möchte ich nicht erleben. Was wir machen, ist gerecht, ist transparent, ist das, was, wie ich glaube, die meisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben wollen. Die Alternative ist schlichtweg ein Ungetüm. Deswegen haben wir sie abgelehnt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Entschuldigung, Herr Kurth, ich verstehe auch die Welt der Grünen nicht mehr. Gerade Ihr Parteiprogramm ist doch geprägt von der Forderung nach mehr individueller Freiheit und mehr Gestaltungsmöglichkeiten. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut erkannt!) Dass die Grünen einen Gesetzentwurf, der genau das ermöglicht, ablehnen, verstehe ich nicht. Das ist im Grunde genommen ein Attentat auf euer eigenes Parteiprogramm, Entschuldigung. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, wir lehnen den nicht ab! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nein, das ist ja nicht so! Wir enthalten uns! – Gegenruf der Abg. Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Enthaltung ist noch schlimmer! Das ist überhaupt keine Position!) Es ist doch so – das ist in Ihrer Rede deutlich geworden; auch der Kollege Rosemann hat das angesprochen –, dass Sie verzweifelt nach einem Haar in der Suppe suchen, das dort aber gar nicht zu finden ist, um nachher mit Enthaltung stimmen zu können. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind ganze Haarbüschel in der Suppe!) Ich finde, es ist beschämend, dass die Grünen sich nicht einmal dazu durchringen können, zu sagen, dass wir genau das machen, was Grundtenor des Parteiprogramms der Grünen ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn man den Übergang aus dem Arbeitsleben in die Rente flexibel gestalten möchte und die Möglichkeit schaffen will, dass man sich auch nach Eintritt in die Rente entscheiden kann, vielleicht noch einmal für ein paar Monate ins Erwerbsleben einzutreten, um zum Beispiel wie der von mir erwähnte Daimler-Mitarbeiter bei der Flüchtlingsintegration zu helfen, dann kommt es natürlich im Wesentlichen darauf an, dass man gesund ist und Spaß an der Arbeit hat. Deswegen – das möchte ich noch einmal betonen – stärken wir mit diesem Gesetz die Prävention und die Rehabilitation. Wir erlauben der Rentenversicherung, früher und stärker im Bereich der Prävention tätig zu werden. Außerdem wenden wir uns der zukünftigen Arbeitnehmerschaft zu, also den jungen Menschen, die die Zukunft unseres Landes sind, indem wir die Kinder- und Jugendreha zu einer Pflichtleistung machen. Ich darf Ihnen sagen: Ich persönlich war als kleines Kind gesundheitlich schwächlich, habe sieben Lungenentzündungen gehabt. Man hat mich zu einer Kinderkur nach Bad Dürrheim im Schwarzwald geschickt. Ich muss sagen: Seither habe ich nie mehr eine Lungenentzündung gehabt und bin bis zum heutigen Tage ein relativ gesunder Mensch. Das zeigt, Kinder- und Jugendreha ist manchmal notwendig und wichtig, um jemanden für die Zukunft, für sein Arbeitsleben gesundheitlich zu stärken und zu schützen. Dass wir der Kinder- und Jugendreha im vorliegenden Gesetzentwurf diesen Stellenwert geben, ist ein großartiger Fortschritt, der jeden zur Zustimmung veranlassen sollte. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege Ralf Kapschack spricht jetzt für die SPD. (Beifall bei der SPD) Ralf Kapschack (SPD): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Markus Kurth hat zu Recht gefordert, dass wir eine politische Diskussion führen und keine Spiegelstrichdiskussion. Damit bin ich sehr einverstanden; aber das Leben ist konkret, und deshalb muss man auch über Spiegelstriche reden. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Auch wenn die Opposition es anders sieht: Wir unternehmen heute einen großen Schritt – einen großen Schritt, damit Frauen und Männer besser selbst bestimmen können, wie sie in Rente gehen und wann sie in Rente gehen. Das Hauptproblem ist ja nach wie vor nicht, dass es rechtliche Hindernisse gibt, wenn Menschen länger als bis zum 65. Lebensjahr arbeiten wollen, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist es!) sondern das Hauptproblem ist, dass nach wie vor viele, zu viele vor dem gesetzlichen Rentenalter aus dem Beruf ausscheiden oder nur mit ganz großer Mühe bis zum letzten Tag durchhalten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir brauchen flexible Lösungen für individuelle Lebenssituationen. Dieses Gesetz schafft Voraussetzungen dafür. Es ist ein Riesenschritt in die richtige Richtung; denn zum ersten Mal werden Prävention und Rente wirklich zusammengedacht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dabei ist die Erkenntnis, dass, wer gesund ist, länger arbeiten kann, doch gar nicht so originell. Dies ist ein gutes Gesetz; aber es bleibt noch einiges zu tun. Wir hätten gerne die Idee des Arbeitssicherungsgeldes bereits jetzt umgesetzt – Arbeitssicherungsgeld, um den Arbeitsplatz und die Arbeitsfähigkeit zu erhalten und um Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Wer gesundheitliche Beeinträchtigungen hat, könnte in Teilzeit gehen statt in Arbeitslosigkeit. Die entstehenden Lohneinbußen sollen durch das Arbeitssicherungsgeld ausgeglichen werden. Auch hier gilt: Es ist besser, Arbeit zu finanzieren als Arbeitslosigkeit. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]) Immerhin haben wir uns darauf verständigt, dass das konkrete Konzept zur Umsetzung eines Arbeitssicherungsgeldes jetzt geprüft wird. Noch eines, um es deutlich zu sagen: Wir halten es nach wie vor für sinnvoll, über eine Teilrente bereits ab 60 nachzudenken. Eine Teilrente ab 60 könnte aus unserer Sicht einen noch besseren Beitrag dazu leisten, die unterschiedliche Belastung von älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und die unterschiedlichen Bedingungen in den Betrieben unter einen Hut zu bringen. Teilrente ab 60 ist eben kein Programm zum Ausstieg aus dem Berufsleben. Ganz im Gegenteil: Sie könnte eine Antwort auf die Frage sein, wie Menschen länger in den Betrieben beschäftigt bleiben können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn man die zeitlichen Spielräume vergrößert, vergrößert man auch die Chance, dass Männer und Frauen ihre Arbeitszeit und ihre Arbeitsbelastung so anpassen können, dass sie die Regelaltersgrenze erreichen. Gerade weil landauf und landab über Fachkräftemangel geklagt wird, wundere ich mich schon über den heftigen Widerstand bei Teilen unseres Koalitionspartners. Unter dem Strich ist es ein guter Gesetzentwurf. Trotzdem heißt es: Weitermachen! Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Zum Abschluss dieser Beratungen hat die Kollegin Dr. Astrid Freudenstein für die CDU/CSU das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ein Thema, das alle westlichen Industrienationen gleichermaßen beschäftigt, dreht sich um die Frage, wie wir damit umgehen, dass wir alle immer älter werden, dass immer mehr Leben jenseits der Regelaltersgrenze bleibt und dass es immer weniger Junge und immer mehr Alte gibt. Daran ist nicht diese Regierung schuld und auch nicht die vorherige; das sind europaweite Phänomene. Wir hatten nie den Anspruch, mit diesem einen Flexi-Rentengesetz all diese Probleme zu lösen. Wir drehen an einer Stellschraube, und an dieser Stelle wird unser Rentensystem auch tatsächlich besser. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir müssen darauf reagieren, dass immer mehr Menschen länger arbeitsfähig und auch länger arbeitswillig sind. Wir müssen darauf reagieren, dass immer mehr Menschen sich mit 65 oder 67 noch zu jung fühlen, um in den Ruhestand zu gehen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die dürfen doch heute schon weiterarbeiten! Dazu braucht man keine gesetzliche Änderung!) Wir müssen auch darauf reagieren, dass es Unternehmen mitunter schwer haben, genug geeigneten Nachwuchs zu finden. Wir haben in dieser Großen Koalition schon einiges unternommen. Mit einem Rentenpaket zu Beginn der Legislaturperiode haben wir bereits Verbesserungen für Millionen Versicherte erreicht. Herr Kollege Kurth, Immobilität bzw. Unbeweglichkeit in der Rentenpolitik kann man dieser Großen Koalition weiß Gott nicht vorwerfen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ich darf Sie daran erinnern: Wir haben eine bessere Absicherung für Erwerbsgeminderte und eine Anhebung des Rehabudgets, angepasst an die demografische Entwicklung, erreicht, und wir haben mit der sogenannten abschlagsfreien Rente mit 63 für eine bessere Anerkennung der Leistungen derjenigen gesorgt, die durch ihre sehr langen Beitragszeiten einen großen Anteil daran haben, dass die Rentenversicherung solide dasteht. Und wir haben – auch dies ist ein Verdienst dieser Koalition – mit der Mütterrente eine Gerechtigkeitslücke bei der Anerkennung von Erziehungszeiten geschlossen. Die Leistung von Frauen, die Kinder großgezogen haben, wird seitdem besser anerkannt. Gerade diese Frauen hatten es durch unterbrochene Erwerbsbiografien schwer, zu einer auskömmlichen Rente zu kommen. All diese Verbesserungen haben unser Rentensystem schon gerechter gemacht. Jetzt folgt also die Flexirente. Wir machen die Teilrenten viel einfacher und anwendungsfreundlicher. Die Teilrente und der Hinzuverdienst werden flexibel und individuell miteinander kombinierbar. Der Hinzuverdienst wird in einer Jahresbetrachtung stufenlos bei der Rente berücksichtigt, auch bei der wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Damit machen wir dieses Modell deutlich interessanter und vergrößern die Wahlfreiheit und damit die Freiheit des Einzelnen. Wir geben individuell dem Versicherten mehr Freiheit. Dagegen kann man eigentlich nichts haben. Darüber hinaus möchten wir auch die Wahlfreiheit derer vergrößern, die bereits in Rente sind, sowohl bei der vorgezogenen Altersrente als auch nach der Regelaltersgrenze. Das bedeutet zum einen: Wer eine vorgezogene volle Rente bezieht und weiterarbeitet, erhöht dabei auch künftig seinen Rentenanspruch. Zum anderen bedeutet das, dass wir nun ermöglichen, auch nach Erreichen der Regelaltersgrenze auf die Versicherungsfreiheit zu verzichten. Wir setzen also starke Impulse, weiterzuarbeiten. Denn nur dann, wenn sich das Weiterarbeiten lohnt, wird es auch eine echte Option. Als Kulturpolitikerin, die ich auch bin, freue ich mich übrigens darüber, dass diejenigen, die über die Künstlersozialversicherung versichert sind, auch künftig die Möglichkeit haben, nach der Regelaltersgrenze weitere Entgeltpunkte zu sammeln. Das kann dem einen oder anderen weiterhelfen; denn in diesen Branchen fallen die Renten ohnehin nicht besonders üppig aus. Sie sehen: Wir stellen im vorliegenden Gesetzentwurf den einzelnen Versicherten noch mehr in den Mittelpunkt als bisher. Er bekommt mehr Flexibilität und mehr Freiheit bei der Planung seines Ruhestands bzw. beim Planen seines Übergangs in den Ruhestand. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Hauptsache, es gibt dann noch einen Ruhestand!) Das hilft allen, auch denen, die in Zeiten des hohen Fachkräftebedarfs vielleicht gerade die älteren Arbeitnehmer brauchen, um das Unternehmen am Laufen zu halten. Meine Damen, meine Herren, schon jetzt ist jeder siebte Rentner in Deutschland erwerbstätig – aus unterschiedlichen Gründen. Manche arbeiten auch wirklich deswegen, weil sie noch arbeiten wollen. Mit der Flexirente können Rentner erwerbstätig bleiben, freiwillig Beiträge einzahlen und mehr Rente beziehen. Arbeitgeber müssen für ihren Flexirentner keine Beiträge mehr in die Arbeitslosenversicherung zahlen. Das heißt: Die Flexirente macht unser Rentensystem moderner, individueller, generationengerechter. Sie hilft den Arbeitgebern, sie hilft den Arbeitnehmern, sie hilft den Alten, und sie hilft den Jungen. Deshalb ist das Gesetz, das wir heute verabschieden werden, ein gutes Gesetz. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von den Fraktionen von CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Flexibilisierung des Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand und zur Stärkung von Prävention und Rehabilitation im Erwerbsleben. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10065, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/9787 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Enthaltung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen jetzt zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Enthaltung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir kommen jetzt zum Zusatzpunkt 10 b. Wir setzen dabei die Abstimmung zu den Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 18/10065 fort. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3312 mit dem Titel „Statt Rente erst ab 67 – Altersgerechte Übergänge in die Rente für alle Versicherten erleichtern“. Wer für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke. Des Weiteren empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5212 (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Völlig unverständlich!) mit dem Titel „Flexible und sichere Rentenübergänge ermöglichen“. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer wollte das nicht? – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Guter Antrag!) Wer für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5213 mit dem Titel „Kommunales Ehrenamt stärken – Anrechnung von Aufwandsentschädigungen auf die Rente neu ordnen“. Wer für die Beschlussempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke. Damit können wir diesen Tagesordnungspunkt verlassen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 29 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, Susanna Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Managergehälter beschränken Drucksache 18/9838 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Finanzausschuss Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Federführung strittig Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Widerspruch ist nicht erkennbar. Dann ist diese Redezeit so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Katja Kipping für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Katja Kipping (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Linke möchte Ihnen heute einen Vorschlag unterbreiten: Zukünftig sollen die Gesamtbezüge einer Führungskraft nicht mehr als das 20Fache der untersten Gehaltsgruppe im gleichen Unternehmen betragen dürfen. Kurzum: Wir wollen Managerbezüge begrenzen. Wir wollen eine Vergütungsobergrenze. (Beifall bei der LINKEN) Wenn also ein Manager mit 1 Million Euro am Ende des Jahres nach Hause gehen will, dann muss die Reinigungskraft oder der Pförtner in diesem Unternehmen wenigstens ein Zwanzigstel davon bekommen, sprich 50 000 Euro. Schließlich sind es die Beschäftigten, die die Gewinne miterwirtschaften. Ich meine: Wer die unteren und mittleren Gehaltsgruppen nicht ordentlich bezahlen kann, der hat auch keine Millionenvergütung verdient. (Beifall bei der LINKEN) Um eines klarzustellen: Es geht uns nicht um einen Einheitslohn; es soll natürlich eine Staffelung der Gehälter geben. Wer mehr Risiko in Kauf nimmt, kann auch mit einer höheren Vergütung rechnen. Jedoch müssen Einsatz und Entlohnung noch irgendwie in einem Verhältnis stehen. Das Verhältnis ist doch hierzulande komplett aus den Fugen geraten. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Die Vorstände der DAX-Unternehmen verdienen 57mal so viel wie ein einzelner Beschäftigter mit durchschnittlichem Einkommen. Natürlich verdienen sie nicht so viel, sondern sie bekommen nur so viel. (Beifall bei der LINKEN) Das kann man doch nicht mehr mit Leistung erklären. Schauen wir uns einmal ganz konkret die Gesundheitsbranche an. Der Vorstand eines privaten Krankenauskonzerns erhält im Jahr 4,4 Millionen Euro. Das ist mehr als das 200Fache dessen, was ein Krankenpfleger bekommt, wenn er denn Tariflohn bekommt. Die Frage ist doch: Leistet ein einzelnes Vorstandsmitglied tatsächlich mehr als das 200Fache eines Krankenpflegers oder einer Krankenschwester, der bzw. die Nachtschichten macht und auch am Wochenende im Einsatz ist? Es kann ja sein, dass Ihnen diese Fragen unbequem sind. Aber die Politik muss sich diesen Fragen stellen. (Beifall bei der LINKEN) Denn immer mehr Menschen in diesem Land haben das Gefühl, dass die Mitte und die oberen Führungsetagen mit zweierlei Maß gemessen werden. Menschen, die wenig bis nichts haben, werden schon bei kleinsten Fehlern zur Kasse gebeten oder sind im Fall einer Pechsträhne ganz schnell von Armut bedroht. Einem HartzIV-Beziehenden, der seine Betriebskostenrückzahlung nur einige Monate zu spät meldet, droht schnell ein Bußgeld. Einem Kleinstunternehmer droht im Fall einer Auftragslücke – vielleicht witterungsbedingt – sehr schnell die Insolvenz, ohne dass der Staat einspringt. Aber in den oberen Führungsetagen gelten offensichtlich andere Regeln. Da gibt es extrem hohe Vergütungen, ohne dass man persönlich Verantwortung übernehmen muss für die Fehler, die man mit verursacht. Schauen wir uns nur einmal die Investmentbanker an. Auch die BaFin, die Finanzaufsichtsbehörde, hat bereits die hohen Boni bei Investmentbankern kritisiert, und das zu Recht. (Beifall bei der LINKEN) Nehmen wir nur einmal die Deutsche Bank. Die muss sich nicht nur wegen mutmaßlicher Beteiligung an verschiedenen kriminellen Machenschaften wie Steuerbetrug oder Geldwäsche vor Gerichten verantworten, sie befindet sich auch tief im Minus. Und es wird schon darüber spekuliert, ob nun wieder der Staat aushelfen muss. Dabei hatte diese Bank in den vergangenen Jahren Gewinne. Aber was ist mit diesen Gewinnen passiert? Die sind vorrangig in Form von Boni an Investmentbanker ausgeschüttet worden. Ich meine, es ist nicht hinnehmbar, dass diejenigen, die die größten Schäden anrichten, die höchsten Vergütungen bekommen, aber für die Folgen der Schäden allein die Beschäftigten oder die öffentliche Hand aufkommen müssen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen den Vorschlag einer Vergütungsobergrenze auch vor dem Hintergrund einer großen Einkommensungleichheit hierzulande. Auf der einen Seite gibt es extreme Armut und auf der anderen Seite extremen Reichtum. (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Stimmt doch nicht!) Einst glaubten viele an den Fahrstuhleffekt des Kapitalismus, wonach alle Schichten in der Gesellschaft als Ganze kontinuierlich nach oben befördert werden, es also nach und nach allen besser geht. (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Deutschland ist so reich wie noch nie!) Inzwischen – das zeigen verschiedene Studien wie der WSI-Verteilungsbericht – fährt der Fahrstuhl für die Mitte eher nach unten als nach oben. Für die Mittelschichten ist es inzwischen wahrscheinlicher, abzusteigen als aufzusteigen. Viele befürchten, dass es ihren Kindern schlechter geht. Ich finde, meine Kollegen von der SPD, da gibt es überhaupt nichts zu lachen. Das ist ein ernstes Problem. Dem müssen wir uns stellen. (Beifall bei der LINKEN – Klaus Barthel [SPD]: Wer hat hier gelacht?) Wenn dieses Land für immer mehr Menschen zu einer Abstiegsgesellschaft wird, dann dürfen wir uns damit nicht zufriedengeben. Die gute Nachricht ist: Es gibt Alternativen zu dieser Entwicklung. Mehr Einkommensgerechtigkeit ist möglich. Die Vergütungsobergrenze, die wir als Linke hier vorschlagen, ist ein Instrument dafür. (Beifall des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Ja, wir als Linke sagen auch: Was dieses Land braucht, ist ein grundlegender Kurswechsel. Armut beseitigen, die Mitte besserstellen, Reichtum begrenzen – das ist das Gebot der Stunde. Dafür kämpfen wir als Linke mit aller Entschiedenheit. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Professor Dr. Heribert Hirte. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kipping, ich dachte eigentlich, wir reden hier über Ihren Antrag. Ich habe ihn mir angesehen. Aber das, was Sie gesagt haben, hatte mit dem Antrag nur sehr wenig zu tun. Das beginnt damit, dass ich beim besten Willen nicht erkennen kann, wie das, was in der Begründung des Antrags steht – ich habe ihn vorsorglich mitgebracht –, mit dem, was Sie daraus schlussfolgern wollen, zusammenhängt. Was Sie hier erzählt haben, ist allgemeines Blabla. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: War ganz konkret!) – Nein, es ist allgemeines Blabla gewesen. – Das ist eigentlich kein Ansatz für eine Diskussion. Ich will deshalb jetzt über Ihren Antrag reden. (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Kipping [DIE LINKE]: Jetzt bin ich aber gespannt!) – Ja, Sie können gespannt sein. Fangen wir einmal hinten an. Da gibt es vier Zeilen, in denen steht, was Sie eigentlich wollen. Sie fordern, „die gesetzlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen“. Da frage ich mich: Warum legen Sie hier keinen Gesetzentwurf vor? (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Weil Sie die Ministerien haben! – Katja Kipping [DIE LINKE]: Sie haben doch die Ministerien!) Das wäre doch dann die Aufgabe von Ihnen. Bringen Sie einmal das, was Sie wollen, in Worte, und dann können wir darüber richtig beraten. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Ist das jetzt Arbeitsverweigerung der Ministerien?) – Schön, wunderbar. Das ist der nächste Punkt. Hier heißt es zu dem, was Sie wollen: Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, (Katja Kipping [DIE LINKE]: Na klar!) die gesetzlichen Voraussetzungen … zu schaffen … Ich hatte eigentlich gedacht, wir als Parlament machten die Gesetze. In Ihrer Vorstellung ist das die Bundesregierung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katja Kipping [DIE LINKE]: Sie lassen sich doch auch immer die Formulierungen machen!) Das ist doch altes DDR-Sprech, das ist doch vorbei. Gott sei Dank ist es vorbei. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dann gehen Sie weiter und fordern „das Zwanzigfache“. Das haben Sie eben dargestellt. Ich habe mich gefragt: Warum nicht das Zehnfache? Sie haben wenigstens nicht gesagt, Manager sollten dasselbe wie die unterste Lohngruppe erhalten. Okay, dasselbe wollen Sie also nicht, aber warum nicht das Zweifache, das Dreifache oder das Vierfache? Alles das begründen Sie nicht. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Was schlagen Sie denn vor?) – Ich komme jetzt gleich zu den Dingen, die Sie eigentlich hätten vorstellen können, die Sie aber nicht vorgestellt haben. Jetzt gehen wir einmal in die Begründung Ihres Antrags rein. Da geht es um alles Mögliche, aber nicht um das, was die Schlussfolgerung ist. Es geht nämlich eigentlich nur um Volkswagen. In der Tat, die Lage bei Volkswagen ist nicht gut; denn neben den eigentlichen Abgasskandal, über den wir in den verschiedensten Ausschüssen immer wieder geredet haben und bei dem wir im Augenblick noch nicht einmal genau sagen können, wo die Verantwortlichkeiten liegen, ist inzwischen auch die Frage getreten, ob die entsprechenden Informationen rechtzeitig in den Kapitalmarkt gegeben wurden. Die Fehler aus beiden Verhaltensweisen führen zu Risiken für Volkswagen in Milliardenhöhe. Da stimme ich Ihnen, was den Ausgangspunkt anbelangt, zu. Es stellt sich natürlich die Frage, welche Auswirkungen das auf die Vorstandsvergütungen hat. Man muss sich also fragen: Ist die Vorstandsvergütung – das schreiben Sie selbst in Ihrem Antrag – dann auch noch angemessen? Es ist nur so: Um dem entgegenzusteuern, haben wir schon in der letzten Legislaturperiode mit dem Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung im Jahr 2009 Abhilfe geschaffen. Ich kann dazu aus Ihrem Antrag zitieren: Ziel des Gesetzentwurfs ist es, die Anreize in der Vergütungsstruktur für Vorstandsmitglieder in Richtung einer nachhaltigen und auf Langfristigkeit ausgerichteten Unternehmensführung zu stärken. Zugleich sollen die Verantwortlichkeit des Aufsichtsrats für die Ausgestaltung der Vorstandsvergütung gestärkt und konkretisiert werden sowie die Transparenz der Vorstandsvergütung verbessert werden. Genau das haben wir gemacht. Und jetzt betone ich: Bei der Festlegung der Vergütung ist dem seither auch bei negativen Entwicklungen Rechnung zu tragen. Es ist darauf zu achten, dass die Vergütung des Vorstands dem entspricht. Das, was Sie wollen, steht heute schon im Gesetz. Wenn aber das Gesetz – ein gutes Gesetz – nicht beachtet wurde, dann ist es an den bei VW Verantwortlichen und nicht an uns, das durchzusetzen. Diese Verantwortung liegt beim Gesamtaufsichtsrat, beim Plenum des Aufsichtsrats von Volkswagen. Das haben wir 2009 auch so klargestellt: Handelt der Aufsichtsrat nicht, stehen den Aktionären alle möglichen Rechtsbehelfe zur Verfügung, um ein Nichthandeln einer Kontrolle zuzuführen. Da gilt es also, abzuwarten. Und es gibt da, anders als Sie sagen, kein Grund für ein Einschreiten des Gesetzgebers. Dass das Gesetz greift, schreiben Sie selbst in Ihrem Antrag. Wir haben damals ein Vergütungsvotum bzw. eine Mitsprachemöglichkeit der Aktionäre in der Hauptversammlung eingeführt. Sie schreiben in Ihrem Antrag: Die Kritik an Vorstandsvergütungen wurde jüngst zwar selbst von Aktionären der tief im Minus befindlichen und wegen krimineller Handlungen von Gerichtsprozessen überzogenen Deutschen Bank gestützt, indem sie – die Aktionäre – das neue Vergütungssystem für den Vorstand abgelehnt haben. Das ist genau das, was wir wollten, als wir diese Regelung eingeführt haben, und was sich jetzt durchsetzt. Wunderbar! Aber Sie kritisieren, dass es nicht da sei. Sie sollten sich einmal das Gesetz ansehen. Wir haben mit dem Gesetz im Übrigen auch den hoffentlich nicht eintretenden Fall im Auge, dass sich die Lage einer Aktiengesellschaft wirtschaftlich verschlechtert. Dafür haben wir Vorsorge getroffen. Dann nämlich soll der Aufsichtsrat eine einseitige Entscheidung über die Kürzung der Vorstandsbezüge treffen. Auch hier haben wir eine klare Regel, die von uns geschaffen wurde und mit der das von Ihnen geschilderte Problem schon seit Langem gelöst werden kann. Wenn wir jetzt aber einmal unterstellen, dass die Regeln nicht funktionieren, dann müssen wir über neue Reformen nachdenken. Dazu zitiere ich einmal aus dem Koalitionsvertrag: Um Transparenz bei der Feststellung von Managergehältern herzustellen, wird über die Vorstandsvergütung künftig die Hauptversammlung auf Vorschlag des Aufsichtsrates entscheiden. Jetzt schaue ich noch einmal in Ihren Antrag. Da kritisieren Sie nämlich – das ist der Satz, der sich an das, was ich eben vorgelesen habe, anschließt – Folgendes: Der Vorstand ist an solche Stimmungsäußerungen – der Aktionäre – jedoch rechtlich nicht gebunden. Genau das wollen wir einführen. Ich schaue zu den Vertretern des Justizministeriums hinüber. Die werden uns mit Sicherheit bald einen entsprechenden Gesetzesvorschlag vorlegen, damit wir genau das beschließen können, dass nämlich die Aktionäre als die eigentlichen Verantwortlichen bzw. Inhaber der Gesellschaft auch über die Zahlung der Vorstandsvergütungen zu entscheiden haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Deshalb bin ich gespannt, ob und wann das kommt. Wir werden reagieren, wenn es da Defizite gibt. Wenn Sie dann in Ihrem Antrag weiter schreiben, dass die unvorstellbar hohen Zahlungen von den Aktionären nicht grundsätzlich infrage gestellt wurden, ist das natürlich widersprüchlich. Denn natürlich dürfen die Aktionäre mit ihrem Geld machen, was sie wollen. Allerdings geht das nur – und das ist das kleine Körnchen Wahrheit in Ihrem Antrag –, solange es nicht zulasten Dritter geht, zu denen die Gläubiger und auch die Arbeitnehmer gehören. Dann müsste der Fall eingetreten sein, dass die Firma kurz vor der Pleite steht. An diesem Punkt stehen wir aber nicht. Natürlich muss man über die Frage nachdenken, ob eine Aktionärsmehrheit allein ein solches Vergütungsvotum abgeben kann oder ob wir da nicht vielleicht auch noch in irgendeiner Weise die Minderheit miteinbeziehen müssen. Ich komme noch einmal auf Ihren Antrag zurück. Sie haben ja mittelbar gesagt, dass Sie in Wirklichkeit etwas ganz anderes erreichen wollen. Sie wollen indirekt die geringste Lohnstufe nach oben hinziehen, um sozusagen die Spreizung aufzuheben. Aber nicht einmal das würde funktionieren; denn die einfache Reaktion wäre, andere Konzernstrukturen zu schaffen und die Arbeitnehmer anschließend in unterschiedlichen Gesellschaften auszugliedern. Das bedeutet zusammengefasst: Nicht einmal Ihre eigene Klientel würde von diesem Antrag profitieren. Auf gut Deutsch: Ein untauglicher Versuch! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Insofern ist eines klar: Wir werden Ihren Antrag ablehnen und wollen einmal sehen, wie die Diskussion weitergeht. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Kipping [DIE LINKE]: Sie warten auf das Ministerium!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Dr. Thomas Gambke für Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf den Rängen und außerhalb des Plenarsaals! Das Thema der hohen Managergehälter treibt uns um – gar keine Frage. Wenn man sich einzelne Medienberichte – leider gibt es nicht so viele – oder die Studie der Hans-Böckler-Stiftung über das Anwachsen der Managergehälter im Vergleich zu den durchschnittlichen Löhnen ansieht, dann muss man sagen: Das ist ein Thema, das man auf keinen Fall nur auf Volkswagen oder andere Unternehmen begrenzen darf, und schon gar nicht auf Fälle, wo es möglicherweise sogar um strafrechtlich relevante Bezüge geht, die man prüfen muss. Richtig ist, dass wir gerade im Bankenbereich viele Hinweise darauf haben, dass die dort gezahlten Gehälter und vor allem die Boni in keinem Verhältnis zur erbrachten Leistung stehen, wobei diese Bewertung ja immer sehr schwierig ist. Der liebe Gott hat uns nicht gesagt, ob das Verhältnis 1 : 20, 1 : 40 oder 1 : 50 sein soll. (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Eben!) Ich habe 25 Jahre in einem Unternehmen gearbeitet, in dem dieses Verhältnis vom Stifter des Unternehmens auf 1 : 10 begrenzt war – übrigens ein sehr erfolgreiches Unternehmen. Das ist mit Sicherheit nicht die Messlatte. Aber falsch ist es, dass der Gesetzgeber so etwas vorschreibt. (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Richtig!) Mich hat ein bisschen schockiert, dass Sie so lapidar sagten: Es müssen gesetzliche Rahmen für Gehälter geschaffen werden. – Bei uns herrscht doch Vertragsfreiheit. Ich brauche das alles gar nicht auseinanderzuklamüsern. Den Ansatz, den Sie gewählt haben, kann man eigentlich nicht diskutieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Manfred Zöllmer [SPD]) Wir sollten aber darüber reden, was man machen kann. Wir Grüne haben den Vorschlag gemacht, ob sehr hohe Boni bzw. Gehälter vom Gesetzgeber eigentlich im Sinne eines vernünftigen Aufwands anerkannt werden sollten. Der Gesetzgeber schaut sich zum Beispiel sehr genau an, ob über Verrechnungspreise Unternehmensgewinne von Deutschland in Niedrigsteuerländer verlagert werden, und greift ein. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn über eine sogenannte Lizenzbox Gewinne in andere Länder verschoben werden. Da müssen wir steuerlich eingreifen. Insofern ist der Vorschlag, den wir gemacht haben, dass man Managerboni und gehälter nur bis zu einer bestimmten Grenze steuerlich geltend machen kann, eine Möglichkeit, wie der Gesetzgeber eingreifen kann. Ich glaube, wir sollten uns diesem Thema noch einmal sehr genau widmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ein anderer Punkt betrifft die Familienunternehmen. Da schaue ich in die Richtung der Union und frage mich, warum von Ihnen kein Impuls kommt; denn wir reden ja vom sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Da müssen Sie woanders hingucken! Ich bin Verteidigungspolitikerin!) Von Ihnen wird immer das Hohelied der Familienunternehmer gesungen. Mit Recht! Denn der Familienunternehmer schaut eben nicht auf das kurzfristige, sondern auf das langfristige Ergebnis. Es wird in diesem Zusammenhang immer die nächste Generation zitiert. Boni orientieren sich aber nur an einer relativ kurzfristigen Entwicklung. (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Das haben wir 2009 so festgelegt!) Wieder ein Beispiel aus meiner Vergangenheit: Wenn das Jahresergebnis gut war, habe ich als Manager ein gutes Gehalt bekommen, und wenn es schlecht war, war es nicht so gut. Das ist in Ordnung. Aber es wurde nicht gefragt: Wie nachhaltig waren denn die Entscheidungen, die ich in diesem Jahr getroffen habe? Wie sieht das denn heute zehn Jahre nach dem Ausscheiden aus? Ich bin sehr froh, dass ich wahrscheinlich immer noch meine Boni verdienen würde, weil es dem Unternehmen sehr gut geht. Das ist doch die entscheidende Frage. Man könnte beispielsweise Boni im Sinne einer Einbettung in eine betriebliche Rente für einen langen Zeitraum wirksam werden lassen und auch mit dem Erfolg des Unternehmens atmen lassen. Das wäre eine Sache, die wir uns vornehmen sollten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Lassen Sie mich aber noch einmal ganz deutlich darauf hinweisen: Die Frage „Ist die Verteilung von Gehältern, von Einkünften vernünftig und richtig?“ ist nicht durch Begrenzungen, sondern am besten dadurch zu beantworten, dass wir Chancengleichheit und Bildung fördern, dass wir aktiv dazu beitragen, dass es nicht nur oben Begrenzungen gibt, sondern dass auch unten die Möglichkeit besteht, gutes Geld zu verdienen. Wir sind hier in Deutschland an einer entscheidenden Schwelle. Wir müssen uns nämlich fragen, ob der Weg in die Konsumgesellschaft, den zum Teil die Engländer und Amerikaner gegangen sind, richtig ist. Wir in Deutschland sind die Macher geblieben, die Facharbeiter, die gutes Geld verdienen. In dieser Richtung sollten wir weiter gehen. Das sage ich in Ihre Richtung: Die Kluft zwischen niedrigen und hohen Gehältern, die Sie beschreiben, darf nicht ausschließlich dadurch begrenzt werden, dass wir bei den Managergehältern hinsehen, sondern vor allen Dingen dadurch, dass wir bei den Facharbeiterlöhnen hinsehen. Ich glaube, es ist unsere Aufgabe als Gesetzgeber, dafür zu sorgen – ich sage es noch einmal –, Chancengleichheit und Bildung zu fördern. Dann sind wir auf einem richtigen Weg und brauchen uns hoffentlich nicht mehr über eine nicht durchsetzbare gesetzliche Begrenzung von Managergehältern zu unterhalten. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege Christian Petry spricht jetzt für die SPD. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Christian Petry (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der Linken mit dem Titel „Managergehälter beschränken“ ist ein interessanter Antrag. Bei mir kommt er auch gut an; denn ich könnte mit einer Beschränkung leben. Die Frage ist nur: Wie beschränken wir es, wie machen wir es? Eine Gesellschaft muss sich mit diesen Dingen beschäftigen und darf nicht auseinanderdividiert werden. Wir müssen darüber reden, ob es noch geht, dass das 200- bis 300-Fache an Gehältern gezahlt wird. Ufert hier etwas aus? Darin liegt sozialer Brennstoff. Wenn man sieht, dass die Durchschnittszahlen der Managergehälter gegenüber dem durchschnittlichen Verdienst der Beschäftigten von dem 42-Fachen im Jahr 2005 – die Hans-Böckler-Stiftung hat dies ja festgestellt – auf das 62- bis 80Fache in der heutigen Zeit gestiegen sind, dann weiß man, dass die Kluft weiter wächst. Auch hier ist die Frage erlaubt: Was können wir tun? Wir haben bereits 2013 einen Vorschlag gemacht. Lothar Binding hat ihn damals hier vorgetragen. Ich kann das nicht so gut wie Lothar Binding; denn er hat damals eine Grafik dabeigehabt und hat den Vorschlag anhand dieser Grafik erläutert. Wie können wir zu dem Ziel kommen? Was ist der Unterschied zu dem Antrag? Einfach in das Gesetz „20-fach“ zu schreiben – Professor Hirte hat es gesagt –, ist ein bisschen schwierig. Ich halte von einer solchen Festlegung nicht sehr viel. Aber die Verantwortlichkeiten sollten dort, wo sie sind, auch an Kriterien festgemacht werden. Ein Kriterium, das wir damals eingebracht haben, war ein steuerliches Kriterium; das wollten wir zusätzlich noch bearbeiten. Es ging um die steuerliche Abzugsfähigkeit der Managergehälter; denn sie sind Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit im Sinne des Einkommensteuerrechts. Wir haben damals vorgeschlagen, Bezüge in Höhe von über 500 000 Euro pro Jahr nur noch hälftig als Betriebsausgabe einer Aktiengesellschaft abziehbar zu machen. Es ist nicht einsehbar, dass unsere Steuerzahlerinnen und Steuerzahler mit diesem Betriebsausgabenabzug diese Gehälter mitfinanzieren. Das ist ein Punkt, über den wir in den Beratungen ernsthaft diskutieren müssen; wir müssen auch darüber reden, ob wir in dieser Art und Weise vorangehen können. (Beifall bei der SPD) Auch über die Frage „Wer entscheidet darüber, und was steht im Koalitionsvertrag?“ diskutieren wir. Ich glaube, dass diese Entscheidung bei den Aufsichtsräten, die bisher nach § 87 des Aktiengesetzes die Zuständigkeit haben, gut aufgehoben ist, auch mit den entsprechenden Erweiterungen, wie sie von Professor Hirte schon angesprochen worden sind. Die Frage ist aber: Woran orientieren wir die Höhe von Managergehältern? Immer ausschließlich an Umsätzen, an Gewinnen, an Aktienkurssteigerungen? Könnten nicht auch Bildung, Beschäftigung, Ausbildung, Karrieremöglichkeiten der Beschäftigten, Durchlässigkeit der Hierarchien, gewünschte Strukturen ein Maßstab dafür sein, wie man das Gehalt eines Managers festlegt? Wäre das nicht sehr sinnvoll? Können wir hier etwas tun, auch im rechtlichen Rahmen? Ich denke, auch diese Fragen sollten wir uns stellen und ernsthaft diskutieren. Ich war vor vier Wochen im Baskenland und habe dort die Firma Mondragón besucht. Das ist die größte Produktivgenossenschaft der Welt. Sie hat 74 000 Beschäftigte. 80 Prozent davon sind Mitglieder der Genossenschaft. Sie wählen die Mitglieder der verschiedenen Vorstandshierarchien in entsprechenden Versammlungen. Die Genossenschaftsmitglieder haben sich selbst, was die Höhe der Managergehälter angeht, für einen Schlüssel von 1 : 8 entschieden. Es handelt sich um eines der wenigen Unternehmen in Spanien, das bisher halbwegs gut durch die Krise gekommen ist und das sehr stabil ist. Dieses genossenschaftliche Modell, das sich auch um die Höhe der Gehälter kümmert – wie gesagt, es wurde, was die Höhe der Managergehälter angeht, ein Schlüssel von 1 : 8 festgelegt –, hat sich bewährt. Diese Genossenschaft hat mittlerweile 101 Firmen; auch in Deutschland ist man tätig. Diese Firmen sind stabil am Markt. Die Genossenschaft wurde im Übrigen von einem katholischen Pfarrer gegründet – zugrunde lag also keine sozialistische Idee –, der gesagt hat: Die Menschen helfen sich gegenseitig selbst, und sie legen auch ihr sozialverträgliches Gefüge fest. – Ich glaube, auch diese Beispiele sollte man berücksichtigen, wenn es darum geht, im Hinblick auf die Höhe der Managergehälter einen gangbaren Weg zu beschreiten. (Beifall bei der SPD) Ich finde, dass Ihr Antrag auf jeden Fall ein wichtiger Anstoß ist, worüber wir hier in unseren Gremien beraten. Managergehälter sind ein Dauerthema im Deutschen Bundestag. Wir brauchen für das soziale Klima, für die soziale Gerechtigkeit ein Lohngefüge, das von der Bevölkerung akzeptiert wird. In diesem Sinne freue ich mich auf die anstehende Diskussion und danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. Glück auf! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr. Volker Ullrich. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Diskussion um Managergehälter muss komplexer geführt werden, weil es den Manager so nicht gibt, wie Sie, Frau Kipping, es uns hier haben vermuten lassen. Es gibt Mitglieder des Vorstands von börsennotierten Unternehmen. Es gibt Geschäftsführer von GmbHs. Es gibt Vorstände von Genossenschaften. Es gibt die zweite oder dritte Führungsebene in Unternehmen. Die Frage der Führungsverantwortung in Unternehmen ist viel komplexer als das, was Sie uns hier haben glauben lassen. In der Tat steht die Frage der Vorstandsvergütung in einem Spannungsverhältnis zwischen der Vertragsfreiheit und dem Recht auf Eigentum der Unternehmer einerseits und der sozialen Bindung und Verantwortung der Führungsebene andererseits. Wir dürfen auch ein Phänomen nicht außer Acht lassen, für das erst letzte Woche der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften verliehen wurde: dass die Managementvergütung in der Tat Regeln braucht, damit keine Situation entsteht, in der ein Geschäftsführer oder ein Vorstand zu sehr risikogeneigten Geschäften greift, einfach deswegen, weil er schlichtweg nicht haftet. Das ist der Sachverhalt, über den wir sprechen. Der Gesetzgeber in Deutschland hat darauf schon reagiert: Seit mehr als sieben Jahren ist § 87 des Aktiengesetzes in Kraft. (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Genau!) Frau Kipping, ich darf Ihnen einfach noch einmal etwas vorlesen, weil Sie offensichtlich in Unkenntnis dieses Paragrafen argumentieren – ich zitiere –: Der Aufsichtsrat hat bei der Festsetzung der Gesamtbezüge des einzelnen Vorstandsmitglieds ... dafür zu sorgen, dass diese in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben und Leistungen des Vorstandsmitglieds sowie zur Lage der Gesellschaft stehen und die übliche Vergütung nicht ohne besondere Gründe übersteigen. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Und was ist jetzt „angemessen“?) Die Vergütungsstruktur ist bei börsennotierten Gesellschaften auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung auszurichten. In § 87 Absatz 2 Aktiengesetz ist klar geregelt, was passiert, wenn sich die Verhältnisse der Gesellschaft verschlechtern. Daher ist festzustellen: Wenn Sie die jetzige Rechtslage kennen, (Katja Kipping [DIE LINKE]: Wir sehen das Ergebnis der Rechtslage!) aber trotzdem so einen Antrag basteln, dann fällt das auf Sie zurück. Wenn Sie die Rechtslage nicht kennen und einen solchen Antrag vorlegen, dann ist das schlichtweg Populismus und, ich meine, sogar ein ziemlich plumper obendrein. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich will nicht verhehlen, dass es auch in Deutschland Beispiele für Managervergütungen gibt, die weder etwas mit dem Leistungsgedanken noch mit sozialer Marktwirtschaft zu tun haben. Das muss und das kann bereits nach geltendem Recht bearbeitet werden. Wenn Sie als Mitglied eines Aufsichtsrates eine zu hohe Vorstandsvergütung festlegen, dann sehen Sie sich unter Umständen den Vorwürfen der Untreue ausgesetzt. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: So ist es! Genauso ist es!) Unser Recht ist in diesem Bereich schon scharf genug. Wir brauchen deshalb keine undifferenzierten Regelungen, die weit hinter dem zurückbleiben, was im Aktienrecht bereits seit Jahren anerkannt ist. Ich möchte kurz auf das eingehen, was Frau Kipping eben gesagt hat. Sie schlagen vor, dass die Vergütung eines Managers nicht das 20-Fache eines durchschnittlichen sozialversicherungspflichtigen Lohns übersteigen darf. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Wie viel schlagen Sie denn vor?) Ich stelle zunächst einmal fest: Das wird in keiner Weise den praktischen Verhältnissen gerecht; denn Sie stülpen Organisationen irgendwelche Zahlen über, ohne zu beachten: Wie ist die Struktur im Unternehmen? Welche Mitarbeiter mit welchen Qualifikationen sind beschäftigt? Hat ein Unternehmen neben den Arbeitnehmern aus akademischen, technischen Berufen sehr viele Arbeitnehmer aus niedrigen Lohngruppen, dann werden Sie dem Unternehmer durch eine Festlegung auf das 20-Fache nicht gerecht. Sie machen sogar Folgendes: Sie vergrößern den Anreiz für das Management, gerade die unteren Lohngruppen auszulagern, outzusourcen oder in andere Gesellschaften zu verschieben, sodass die Gefahr besteht, dass die Mitarbeiter am Ende sogar viel weniger verdienen. (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Genau! So ist es!) Wenn Ihnen daran gelegen ist, dass Menschen in den unteren Lohngruppen ihr Gehalt halten oder sogar mehr verdienen, dann können Sie das übrigens beweisen, indem Sie unserem Gesetz zur Arbeitnehmerüberlassung zustimmen. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Das ist eine ziemliche Trickserei! Dazu werden meine Kollegen das Notwendige sagen!) Frau Kipping, auch das ist ein Gesetz, mit dem die Union deutlich macht, dass uns viel an Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen gelegen ist. Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen. Vizepräsident Johannes Singhammer: Kollege Ullrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst? Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Ja. Klaus Ernst (DIE LINKE): Herr Kollege Ullrich, danke, dass Sie die Frage zulassen. – Sie haben eben davon gesprochen, dass es heute schon möglich sei, einen Aufsichtsrat anzugehen, weil er zu hohe Vorstandsvergütungen zugelassen hat. Erstens. Ist Ihnen irgendein Fall bekannt, der belegt, dass das schon einmal stattgefunden hat? Zweitens. Sie haben gesagt, das 20-Fache sei falsch. Wir haben gerade gehört, es gibt erfolgreiche Unternehmen, die sogar nur das Achtfache zahlen. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass das Verhältnis zwischen den untersten Einkommen und den höchsten Einkommen im selben Unternehmen immer größer wird und eine immer größere Diskrepanz entsteht? Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass sich dieses Verhältnis offensichtlich trotz der Gesetze, die Sie ansprechen – Sie werfen der Kollegin Kipping vor, sie hätte diese nicht gelesen –, weiter vergrößert? Oder muss ich aufgrund Ihrer Ausführungen annehmen, dass Sie es völlig in Ordnung finden, dass ein Sparkassendirektor inzwischen das Mehrfache unserer Bundeskanzlerin verdient? (Beifall bei der LINKEN) Sind Sie weiterhin bereit, zur Kenntnis zu nehmen – das konnte ich Ihren Ausführungen nicht entnehmen im Gegensatz zu dem, was wir vorher gehört haben –, dass das überhaupt ein Problem darstellt? Denn die Bürgerinnen und Bürger und die von Frau Kipping erwähnte Krankenpflegerin fragen sich irgendwann, was ihre Arbeit eigentlich noch wert ist im Verhältnis zu demjenigen, der in der Chefetage eines Unternehmens sitzt. (Zuruf von der CDU/CSU: Ist das noch eine Frage?) Natürlich verrichtet er seine Tätigkeit, aber im Verhältnis zum Lohn desjenigen, der die Arbeit wirklich erbringt, wird er unverhältnismäßig entlohnt. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Sind Sie bereit, überhaupt das Problem zu erkennen? Denn was Sie hier machen, ist ja, so zu tun, als sei eigentlich alles in Ordnung. Für Sie ist die Rechtslage in Ordnung; aber die Praxis zur Kenntnis zu nehmen, verweigern Sie sich. Ich frage Sie: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, wie die Probleme sind, oder sehen Sie das gar nicht als Problem? (Beifall bei der LINKEN – Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Das haben wir 2009 schon gemacht!) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Herr Kollege Ernst, ich bin bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass Sie nicht gewillt sind, sich wirklich mit dem Thema auseinanderzusetzen, (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Richtig! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Schwache Antwort!) sondern dass Sie schlichtweg in einer Abfolge von Suggestivfragen alles vermischen: die gesamtwirtschaftliche Lohnentwicklung, die Frage der Lohnspreizung in einer Gesellschaft, die Frage der Durchsetzung der angemessenen Vorstandsvergütung. Es gab natürlich in den letzten Jahren genügend Fälle, in denen wegen Untreue und wegen überhöhter Geschäftsführerbezüge gegen einige GmbH-Gesellschafter sowie gegen Aufsichtsratsmitglieder ermittelt worden ist, (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Und gegen die Banken?) weil nämlich das Interesse des Unternehmens an einer risikogeeigneten Vergütung ein schützenswertes Interesse ist. Ich möchte Ihnen nur deutlich machen, dass Sie durch Ihre Vorschläge nicht die Menschen schützen, die Sie hier vorgeben zu schützen, (Katja Kipping [DIE LINKE]: Und wen schützen Sie?) nämlich den Arbeiter, den Handwerker, die Krankenschwester, sondern dass Sie eine Debatte um Exzesse führen, die man mit dem geltenden Recht bereits in den Griff bekommen kann. Aber durch die Debatte, die Sie führen, hat keine einzige Krankenschwester 1 Euro mehr im Geldbeutel. Ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass gerade die Lohnentwicklung der letzten Jahre unter dieser Bundesregierung stark angestiegen ist, dass es den Menschen in Deutschland insgesamt gut geht und dass diese Bundesregierung eine Mindestlohnregelung geschaffen hat. Dies alles sind Fortschritte für die Arbeitnehmer, die mit Ihnen nicht möglich gewesen wären. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was? – Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Jetzt kann er sich hinsetzen!) Um noch auf einen letzten Punkt hinzuweisen: Sie kritisieren in Ihrem Antrag auch die zu hohen Boni und die Gehaltsstrukturen bei den deutschen Großbanken. Ja, daran ist vielleicht ein Körnchen Wahrheit; aber ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass auch hier mittlerweile eine gesetzgeberische Aktivität entfaltet wird, die Sie überhaupt nicht ansprechen, weil Sie möglicherweise gar keine Kenntnis davon genommen haben. (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Alles zu speziell!) Es gibt einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuordnung der Aufgaben der Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung. Damit werden EU-Richtlinien umgesetzt und in nationales Recht übertragen. Mit dieser Neuregelung wird der Kreis der regulierten Banken in Bezug auf die Boni von etwa 50 auf 3 000 Institute erhöht, und gleichzeitig wird die Frage, wie Boni gestaltet werden und wie sie ausgezahlt werden dürfen, wesentlich stärker reguliert. So dürfen zukünftig nur noch 60 Prozent der Boni direkt ausbezahlt werden, bei mindestens 50 Prozent der Boni brauchen Sie eine Nachhaltigkeitskomponente. Das Verhältnis von fester und variabler Vergütung darf nur noch 1 : 1 betragen. Das ist ein klarer und deutlicher Schritt, auch die Vergütung in Banken risikoadäquat anzupassen, und es ist ein Schritt, der viel weiter geht als das, was Sie sich jemals hätten vorstellen können. Aber es ist natürlich wohlfeil, hier groß zu reden, ohne Kenntnis von den Aktivitäten zu haben, die bereits geschehen sind. Das ist weder diesem Haus noch den Menschen gegenüber ehrlich. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir setzen, meine Damen und Herren, auf eine angemessene und klare Regulierung der Vorstandsbezüge. Wir setzen aber auch darauf, dass sich insgesamt das Gehaltsniveau der Menschen in diesem Land – das gute Niveau, das wir haben – weiter verbessert, dass insbesondere durch eine gute wirtschaftliche Entwicklung die Menschen in den Unternehmen deutlich mehr verdienen; denn nur durch eine gute gesamtwirtschaftliche Entwicklung werden wir auch weiterhin am Wohlstand teilnehmen können. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Zum Abschluss der Aussprache hat der Kollege Klaus Barthel für die SPD das Wort. (Beifall bei der SPD) Klaus Barthel (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube schon, dass es ein Problem ist, wie es Frau Kipping dargestellt hat, und teilweise auch ein Skandal ist, wie sich die Managergehälter und die anderen Einkommen auseinanderentwickelt haben. (Beifall bei der LINKEN) In der Tat: 2005 bis 2014 ist dieser Faktor, der eine Relation zwischen den durchschnittlichen Löhnen und den Managervergütungen ausdrückt, bei den DAX-30-Unternehmen von dem 42-Fachen auf das 57-Fache angestiegen. 2015 war die Tendenz weiter steigend. Leider ist es nach der Finanzkrise, nach all dem Desaster, so weitergegangen. Ich will auch daran erinnern, dass in den Hochzeiten des demokratischen Sozialismus, 1987, also zu Zeiten von Helmut Kohl, dieser Faktor bei 14 lag. (Beifall bei der LINKEN Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Hört! Hört!) Das heißt, es gibt eine Vervierfachung des Abstands zwischen dem Einkommen des Managements und dem der Arbeitnehmer. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) In der Tat führt diese Spaltung zu moralischen und gesellschaftlichen Problemen. Ein großer Teil der Bevölkerung sagt, egal ob Allensbach oder die Friedrich-Ebert-Stiftung die Befragung macht, dass die soziale Ungleichheit zu groß ist. Es lähmt die Motivation zur Arbeit. Das beschäftigt uns auch bei der Rentendiskussion: Die einen sinken immer mehr in Richtung Grundsicherung ab, und andere gehen mit dem goldenen Handschlag, gehen mit Millionen aus einem Unternehmen heraus. Es ist auch ein ökonomisches Problem, weil die Ungleichheit das Wachstum bremst und weil durch diese Art der Vergütung in den Unternehmen Fehlanreize entstehen. Wir haben eine Investitionsblockade. Sie hat unter anderem etwas damit zu tun, dass Manger womöglich lieber entscheiden, sofort einen Gewinn einzustreichen als zu investieren. Wichtige Zukunftsentwicklungen sind verschlafen worden. Ich verweise nur auf die Energiewende, den Umbau der Mobilitätsindustrie usw. Rechtfertigungen dafür fehlen. Auch der Leistungsbezug fehlt. Das ist dargestellt worden; das will ich nicht weiter vertiefen. Man kann es auch nicht damit rechtfertigen, dass wir im internationalen Vergleich noch ein bisschen hinten liegen und die Managergehälter in den USA und in Großbritannien das 365-Fache betragen. Dort arbeitet ein Manager nicht eine Woche, um so viel Geld zu verdienen wie ein Arbeitnehmer im ganzen Jahr, sondern einen Tag. Das kann es alles nicht sein. Auch mit der Verantwortung ist es nicht so weit her. Das sehen wir, wenn wir uns jetzt einmal die Bilanz der Finanzkrise anschauen. Welcher Manager ist denn entsprechend seiner großen Verantwortung wirklich herangezogen worden für den Mist, den er gebaut hat? Es gibt kaum Verurteilungen, und keiner sitzt im Gefängnis. Alle sind gut abgesichert. Bei anderen Betrugs- und Eigentumsdelikten, die es bei uns gibt, sieht die Situation ganz anders aus. Egal ob bei VW oder den Banken oder einem Mittelständler, wenn die Probleme das Unternehmen erreichen, dann sind die Manager, die die Probleme zu verantworten haben, längst weg. – Das ist das eine. Jetzt stellt sich die Frage – sie richtet sich an die Linksfraktion –: Was ist zu tun? Was kann man machen? Erstens. Es stimmt nicht, dass unser Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütungen von 2009 völlig wirkungslos war. (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Eben!) Denn seit dieses Gesetz wirkt, seit 2011, ist dieser Faktor, den ich genannt habe, tatsächlich zurückgegangen, und zwar von einem Höhepunkt von 62 auf jetzt wieder 57. Das heißt, wir sollten uns als Gesetzgeber nicht kleiner machen, als wir sind, und nicht immer so tun, als wäre alles, was wir hier machen, für die Katz. – Das ist das Erste. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zweitens. Wenn Sie in Ihrem Antrag von Skandalen sprechen – am Anfang schreiben Sie ja, dass es um Skandale, kriminelle Machenschaften und organisierten Betrug geht –, wenn Sie das zum Ausgangspunkt machen, dann muss ich sagen: Das ist ein Fall für die Staatsanwaltschaft, für die Gerichte und für den Justizvollzug und betrifft nicht die Frage von Managervergütungen. Das sollte man sauber trennen. (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: So ist es!) Drittens. Es gibt erhebliche Unterschiede zwischen den Betrieben und Unternehmen, sogar zwischen den DAX-30-Unternehmen. Den höchsten Faktor gibt es jetzt mit 141 bei VW. Es gibt auch Konzerne im DAX, die den Faktor 17 haben. Daran sieht man, dass das nicht alles über einen Kamm zu scheren ist, sondern dass das von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich ist. Es ist eine Frage der Transparenz im Unternehmen und eine Frage der Mitbestimmung. (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Genau!) Es hängt auch nicht nur von der Entscheidung der Vollversammlung ab, sondern eben auch von der Mitbestimmung im Aufsichtsrat. Viertens. Das richtet sich jetzt an den Kollegen Klaus Ernst, weil wir als Gewerkschafter immer schauen müssen, welche Gesetze wo wirksam werden. Wir greifen hier in die Vertragsfreiheit ein. Das ist äußerst problematisch. Die Frage ist dann immer: Wie sieht so etwas aus? Bemessungsgrundlage? Lohn? Lohn wo? Lohn in Bangladesch von irgendeinem Konzern – hier könnte es zum Beispiel das 20-Fache sein – oder Lohn einer engen Führung einer Aktiengesellschaft mit 100 GmbHs, wo sowieso nur Spitzeneinkommen gezahlt werden? Das heißt, hier haben wir ein praktisches Problem. Das ist dargestellt worden. Es gibt eine Menge Umgehungsmöglichkeiten. Die Kreativität, irgendwelchen Managern irgendetwas außer Geld zukommen zu lassen, ist grenzenlos. Die Frage am Ende ist: Wer soll das alles kontrollieren? Diese ganz konkreten Fragen sollte man sich bitte stellen, wenn man hier solche Anträge stellt. Statt Symbolpolitik schlagen wir insbesondere vor – Kollege Petry hat es genannt –, erstens die steuerlichen Möglichkeiten zu nutzen, also die Absetzbarkeit steuerlich zu begrenzen. Wir wollen keinen Milliardär in den Golfstaaten oder die Familie Quandt daran hindern, ihr Milliardenvermögen mit Spitzenmanagern zu teilen, aber sie sollen es nicht steuerlich absetzen können. Das Zweite ist die Anhebung des Spitzensteuersatzes. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Da machen wir mit!) Ich finde, darüber muss man auch reden. Wenn man 15 Millionen Euro im Jahr bekommt und die Hälfte davon an Steuern zahlen muss, dann hat man 7,5 Millionen und ist immer noch nicht arm. Da ist also Luft nach oben. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Schließlich, weil wegen des letzten Tagesordnungspunktes auch die Sozialpolitikerinnen und Sozialpolitiker hier sind: bitte einkommensbezogene Heranziehung der Managervergütungen im Rahmen der Bürgerversicherung zur gesetzlichen Krankenversicherung (Beifall bei der LINKEN) und im Rahmen der Erwerbstätigenversicherung auch zur Rentenversicherung. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Dann haben alle etwas davon, und dann können wir uns solche Anträge sparen. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/9838 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD wünschen die Federführung beim Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz. Die Fraktion Die Linke wünscht die Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Die Linke abstimmen, also Federführung beim Wirtschaftsausschuss. Wer für diesen Überweisungsvorschlag stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Gibt es keine. Der Überweisungsvorschlag ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Ich lasse jetzt über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD abstimmen, nämlich die Federführung beim Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz anzusiedeln. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Damit ist dieser Überweisungsvorschlag angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und vom Bündnis 90/Die Grünen. Ich rufe jetzt die Zusatzpunkte 11 a und 11 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze Drucksache 18/9232 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) Drucksache 18/10064 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Jutta Krellmann, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Etablierung von Leiharbeit und Missbrauch von Werkverträgen verhindern – zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Corinna Rüffer, Katja Keul, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen verhindern Drucksachen 18/9664, 18/7370, 18/10064 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Widerspruch dagegen erhebt sich nicht. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile zuerst das Wort der Parlamentarischen Staatssekretärin Anette Kramme für die Bundesregierung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Anette Kramme, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie alle kennen die jahrelangen Debatten um die Leiharbeit: Stammbelegschaften, die sich durch Leiharbeitnehmer unter Druck gesehen haben, Leiharbeitnehmer, die sich ausgenutzt gefühlt haben, aber auch Betriebsräte und Gewerkschaften, die der Auffassung sind, dass sie nicht hinreichend Rechte haben. Meine Damen und Herren, wir stärken die Rechte der Stammbelegschaften. Wir stärken die Rechte der Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer. Und wir schaffen mehr Handlungsoptionen für die Gewerkschaften und Betriebsräte. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lassen Sie mich das anhand einiger Beispiele verdeutlichen: Erstens. Die Arbeitnehmerüberlassung muss künftig durch die Verleiher und Entleiher immer offengelegt werden. Es ist künftig also nicht mehr möglich, die Arbeitnehmerüberlassung als Werkvertrag zu tarnen, um den Beschränkungen bei der Leiharbeit zu entgehen und es, falls das Ganze auffliegt, als Leiharbeit abzuwickeln. Zweitens. Wir verbessern die Informationsrechte der Betriebsräte. Betriebsräte haben künftig ein Recht auf Information darüber, in welchem zeitlichen Umfang, an welchem Ort und mit welchen Aufgaben Fremdpersonal in ihrem Betrieb eingesetzt wird. Außerdem hat der Betriebsrat das Recht, die Vorlage der dem Einsatz zugrundeliegenden Verträge zu verlangen. Diese Informationsrechte stärken den Betriebsrat in seinem Wächteramt. Drittens. Erstmals seit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches vor über einhundert Jahren definieren wir den Begriff „Arbeitsverhältnis“, und wir definieren, was ein Arbeitsvertrag ist. Wir haben es endlich geschafft, diese Gesetzeslücke zu schließen und damit mehr Rechtssicherheit zu schaffen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Viertens. Unser Gesetzentwurf setzt neue Leitplanken bei der Bezahlung und bei der Überlassungshöchstdauer von Leiharbeitnehmern. Der Grundsatz „Equal Pay“ greift regelmäßig nach neun Monaten. Die Höchstüberlassungsdauer ist jenseits von Möglichkeiten der Tarifvertragsparteien der Entleiherbranche auf 18 Monate festgelegt. Fünftens. Wir sichern die Möglichkeit, faire Tarifvertragsverhandlungen zu führen, indem wir den missbräuchlichen Einsatz von Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern als Streikbrecher verhindern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Bereits jetzt gibt es bekanntermaßen ein Leistungsverweigerungsrecht für Leiharbeitnehmer im Falle eines Streikes im Einsatzbetrieb. Wir haben es aber zu häufig erlebt, dass Leiharbeitnehmer und Leiharbeitnehmerinnen in diesem Fall unter Druck gesetzt und gezwungen werden, den Streik von Kollegen zu unterlaufen. Mit diesem Gesetzentwurf ergänzen wir das Leistungsverweigerungsrecht für Leiharbeitnehmer durch das gesetzliche Verbot, Leiharbeitskräfte als Streikbrecher tätig werden zu lassen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sechstens. Dieser Punkt, bei dem es um die Unternehmensmitbestimmung geht, ist mir persönlich sehr wichtig, weil damit etwas für die Landschaft der Betriebe in diesem Land getan wird: Durch die Berücksichtigung der Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer bei den Schwellenwerten der Unternehmensmitbestimmung werden zahlreiche Unternehmen in die drittelparitätische oder sogar in die paritätische Mitbestimmung hineinrutschen. Das bedeutet, dass es dadurch tatsächlich Mitbestimmung in diesen Unternehmen geben wird. Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend Folgendes sagen: Ich bin der festen Überzeugung, dass das Gesetz wirken wird, und zwar deshalb, weil wir scharfe Sanktionen für diejenigen vorgesehen haben, die sich nicht an die neuen Regeln halten wollen. Dafür haben wir Ordnungswidrigkeiten mit Geldbußen eingeführt: Bei einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung und bei einem Verstoß gegen die Überlassungshöchstdauer beträgt die Geldbuße jeweils bis zu 30 000 Euro. Bei einem Einsatz der Leiharbeitskräfte als Streikbrecher beträgt die Geldbuße bis zu 500 000 Euro. Vor allen Dingen haben wir aber geregelt, dass bei bestimmten Verstößen kraft Gesetzes ein Arbeitsverhältnis zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher entsteht. Das ist bisher schon der Fall, wenn der Verleiher keine Verleiherlaubnis hat. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat aber lange gedauert, bis das klargestellt wurde!) Künftig gilt das auch, wenn die Arbeitnehmerüberlassung nicht offengelegt wird oder wenn die Überlassungshöchstdauer überschritten wird. Meine sehr geehrten Damen und Herren, aus meiner Sicht handelt es sich hier um einen ausgewogenen Gesetzentwurf, mit dem wir nach meiner Überzeugung etwas tun, um mehr Ordnung auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen. Wir bekämpfen damit den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen und stärken die Sozialpartnerschaft in diesem Land. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht mit dem Gesetzentwurf!) Ich bitte Sie deshalb um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf und bedanke mich herzlich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege Klaus Ernst spricht jetzt für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Klaus Ernst (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kramme, das war wieder eine Rede nach dem Motto: Dem Unterbewusstsein ist es egal, wer einem auf die Schulter klopft. – Dass Sie sich bei diesem Gesetzentwurf selber loben, wundert mich allerdings wirklich. Die Zuschauer, die hier sitzen, sind durch den Vordereingang in dieses Parlamentsgebäude hereingegangen, nicht wie wir, die wir wie die Maulwürfe unterirdisch hereinkommen. Wenn man vorne hereinkommt, dann liest man: „Dem deutschen Volke“. Das deutet darauf hin, dass nicht nur diese Halle dem deutschen Volk gehört, sondern dass hier auch Gesetze gemacht werden sollen, die im Interesse der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger sind. Das ist der Sinn dieses Spruches. (Beifall bei der LINKEN – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht schon wieder! Vorsicht! – Zurufe von der SPD) Meine Damen und Herren, jetzt fragen wir einmal: Liegt die Lage in diesem Lande denn im Sinne des Gemeinwohls? Bei der Leiharbeit liegt das mittlere Einkommen bei 1 700 Euro, bei Menschen mit einem normalen Job sind es 2 960 Euro. Ist das im Sinne des Gemeinwohls? Das sind 1 260 Euro weniger. Wir wissen, dass Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer bei derselben Tätigkeit deutlich schlechter entlohnt werden und dass sie unter deutlich schlechteren Bedingungen arbeiten. Das alles ist bekannt. Was ändert nun dieses Gesetz daran? Wir stellen uns die Frage, ob dieses Gesetz im Interesse des Gemeinwohls ist oder ob sich bei dieser Gesetzgebung offensichtlich andere Interessen durchgesetzt haben. Sie von der SPD haben einmal gesagt: Gleicher Lohn bei gleicher Arbeit. Sie waren ja mal auf dem richtigen Weg; in Ihrem Wahlprogramm steht ja das Ziel „Gleicher Lohn bei gleicher Arbeit“. Das ist eine sinnvolle Lösung. Sie schlagen hier aber einen Gesetzentwurf vor, in dem gleicher Lohn bei gleicher Arbeit erst nach neun Monaten Ausleihzeit im selben Betrieb erfolgen soll. Das hat doch nichts mit gleichem Lohn bei gleicher Arbeit zu tun. Sie wissen doch, dass nur 25 Prozent der Beschäftigten überhaupt neun Monate oder länger in einem Betrieb beschäftigt sind. Das ist Etikettenschwindel, was Sie hier betreiben, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN – Albert Stegemann [CDU/CSU]: Sie wissen doch genau, warum das so ist!) Ich habe vorhin das Wahlprogramm der SPD erwähnt. Ich weiß, ihr wolltet eine andere Lösung. Ich weiß, dass es die CDU/CSU-Fraktion ist, die das nicht will, weil diese Fraktion sich eben nicht am Gemeinwohl, sondern am Interesse der Leiharbeitsfirmen orientiert. Das ist das Problem in diesem Lande, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN – Albert Stegemann [CDU/CSU]: Wir übernehmen Verantwortung! Sie wissen noch nicht einmal, wie Verantwortung buchstabiert wird!) Jetzt wollen wir uns das einmal im Detail ansehen. Erster Punkt. Wem nützt es denn, dass Leiharbeit in diesem Land überhaupt akzeptiert wird? Wo ist der Unterschied zu einer normalen Beschäftigung? Wenn ein Unternehmer jemanden beschäftigt, dann muss der Beschäftige für den einen Unternehmer eine Leistung erbringen. Dieser Arbeitgeber will an ihm verdienen. Bei der Leiharbeit haben wir das Problem, dass am selben Beschäftigten zwei verdienen wollen: derjenige, der ihn verleiht, und derjenige, für den er arbeitet. Deshalb ist die Forderung der Linken schon richtig, einmal darüber nachzudenken, ob dieses System einen Sinn hat und ob es überhaupt im Gemeinwohlinteresse liegt. (Beifall bei der LINKEN – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber entscheiden müsst ihr euch auch langsam!) Zweiter Punkt. Denken wir einmal darüber nach: Wem nützt es denn, dass bis zu neun Monate lang kein gleicher Lohn bei gleicher Arbeit gezahlt wird? Das nützt natürlich den Leiharbeitsunternehmen. Es nützt auch den Unternehmen, bei denen die Leiharbeiter beschäftigt werden, weil die Unternehmen ihnen natürlich geringere Löhne als demjenigen zu zahlen haben, der in dem Betrieb normalerweise vollzeitbeschäftigt wird. Das ist der Zusammenhang. Diesen wollen Sie mit Ihrem Gesetzentwurf nicht ändern. Im Übrigen: Leiharbeit könnte vielleicht durch eine Begrenzung funktionieren. Man könnte zum Beispiel anführen, dass Vollzeitarbeit nicht durch Leiharbeit ersetzt werden darf. Auch da treffen Sie keine Regelung, weil Sie eine Höchstüberlassungsdauer von bis zu 18 Monaten zulassen, aber nicht bezogen auf den einzelnen Arbeitsplatz, sondern bezogen auf den einzelnen Beschäftigten. Das bedeutet: Derselbe Arbeitsplatz kann immer wieder mit einem Leiharbeiter besetzt werden. Wem nützt das? Ist das im Interesse des Gemeinwohls? Nein, das ist nur im Interesse der Verleihfirmen und derer, die solche Arbeitnehmer beschäftigen. Mit Gemeinwohl hat das nichts zu tun, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) Wenn es darum geht, flexibel zu sein, dann verweise ich auf die Rechtslage in diesem Lande. Sie können befristet Beschäftigte nahezu ohne Einschränkungen in einem Betrieb beschäftigen, wenn es dafür einen sachlichen Grund gibt. Eine Auftragsspitze wäre ein sachlicher Grund. Sie könnten diese Spitzen mit befristeter Beschäftigung ausgleichen. Nein, das machen Sie nicht, weil dann nämlich gleicher Lohn bei gleicher Arbeit gezahlt werden müsste. Alle Beschäftigten im Betrieb würden nach demselben Tarif arbeiten und dieselben Löhne erhalten. Das wollen Sie nicht. Sie machen ein Gesetz im Interesse der Leiharbeitsunternehmen und im Interesse der Unternehmen, die Leiharbeiter beschäftigen. Letzter Punkt. Schauen wir uns VW an. Es gab eine Debatte darüber, dass VW die Leiharbeiter nicht übernehmen, sondern rausschmeißen will. Man weiß, wem das dient. Das ist kein Gesetz im Sinne des deutschen Volkes. Das ist ein Gesetz im Sinne der Leiharbeitsunternehmen. (Beifall bei der LINKEN – Albert Stegemann [CDU/CSU]: Dann machen wir mehr Befristungen!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Karl Schiewerling. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Karl Schiewerling (CDU/CSU): Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir die missbräuchlichen Entwicklungen im Bereich von Leiharbeit und Werkverträgen angehen wollen. Das machen wir mit diesem Gesetz. Dieses Gesetz ebnet neue Wege. Ich halte das für richtig. Allerdings fangen wir damit nicht erst an; wir haben bereits in der letzten Koalition unter den damaligen Bedingungen eine ganze Menge organisiert. Wir setzen das fort. Wir wollen faire Bedingungen – daran arbeiten wir –, aber wir wollen auch die Chancen nutzen, die die Leiharbeit bietet. Lieber Herr Kollege Ernst, ich finde es schon abenteuerlich, wie Sie „Gemeinwohl“ definieren. Für uns heißt Gemeinwohl, dass wir Menschen, die sonst keine Perspektive haben, in Beschäftigung bringen. Für uns heißt Gemeinwohl, dass wir den Menschen, die Hilfe brauchen, Hilfe geben. Für uns heißt Gemeinwohl nicht unbedingt, ein starres System zu schaffen, in dem sich keiner mehr bewegen kann und in dem die Wirtschaft hinterher keine Luft mehr bekommt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, das wir hier verändern, richtigerweise verändern, ist ein Schutzgesetz, es muss aber auch Chancen eröffnen, dass Menschen über diesen Weg in Beschäftigung kommen. Dass Sie das hier ständig so darstellen, als sei das alles Ausbeutung, dazu muss ich sagen: Das ist purer Unfug. Viele der Menschen, die jetzt in Leiharbeit tätig sind, wären sonst möglicherweise nicht erwerbstätig, weil nämlich keineswegs gesichert wäre, dass sie über andere Wege im Arbeitsmarkt untergekommen wären. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Vielleicht hätten Sie einen festen Job!) Diese Fragen sind hinten und vorn nicht geklärt. Dies so darzustellen, wie Sie es getan haben, halte ich für grundfalsch. Meine Damen und Herren, wir wollen die Chancen für die Menschen nutzen. Wir wollen mit der Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes gleichzeitig Dinge in Ordnung bringen. Frau Kramme hat das eingangs dargestellt. Das kann ich nur unterstreichen und sagen, dass das auch unsere Ziele sind. Unser Ziel ist allerdings auch, dass wir an bestimmte Dinge mit Augenmaß herangehen. Die Frage, wie und wann Sanktionen greifen, haben wir im Ausschuss noch einmal vernünftig geklärt. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So was macht man eigentlich vorher!) Ich will nur sagen, dass von allen Menschen, die in Zeitarbeit tätig sind, 98 Prozent unter einem Tarifvertrag arbeiten, 90 Prozent in Vollzeit arbeiten, 70 Prozent aus der Arbeitslosigkeit kommen und 29 Prozent keinen Berufsabschluss haben. Ich sage Ihnen: Für diese Menschen brauchen wir auch weiter den Weg über die Zeitarbeit in Beschäftigung. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir werden erleben, dass wir dieses Instrument auch in Zukunft benötigen, wenn uns zum Beispiel die Aufgabe gestellt ist, viele Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt unterzubringen. Ich möchte gern, dass wir dieses Instrument dafür nutzen können. Viele Betriebe halten sich daran, haben eigene Dinge entwickelt und eigene Schwerpunkte gebildet. In meinem Wahlkreis zahlt zum Beispiel die Firma Schmitz Cargobull 2 000 Beschäftigten, knapp 560 Leiharbeitnehmern, Zeitarbeitnehmern, bereits ab dem ersten Tag Equal Pay. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was ist eigentlich der Unterschied? Erklären Sie den Unterschied zwischen Zeit- und Leiharbeit!) Warum hat die Firma das so gemacht? Nicht deshalb, weil sie Auftragsspitzen auffangen will, sondern deshalb, weil sie aus den Erfahrungen mit der Finanzkrise 2008 gelernt hat, dass die gesamte Firma in Gefahr ist, wenn sie die Flexibilität für die Beschäftigten nicht hat. Die Bedingungen, die für die Menschen gelten, die dort als Leiharbeitnehmer tätig sind, sind fair und tarifvertraglich abgesichert. Das wird mitgetragen. Der Betriebsrat – mit dem habe ich mich heute Morgen noch einmal ausführlich unterhalten – hat diese Dinge ausdrücklich mitgetragen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann hätte man ja Equal Pay ab dem ersten Tag machen können!) Auch wir haben Verleiharbeitsfirmen, die entsprechende klare Regelungen haben. Ich glaube, dass das, was dort tarifvertraglich geregelt ist, vernünftig angepackt ist. Meine Damen und Herren, Inhalt des Gesetzentwurfes ist: nach 9 Monaten Einsatzdauer Equal Pay; Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten. In Fortführung anderer Gesetze, die wir in dieser Legislatur miteinander beschlossen haben, machen wir auch hier etwas, worauf wir als Koalition großen Wert legen: Wir stärken die Tarifautonomie. Wir lassen nämlich Ausnahmen nur zu, sofern tarifvertragliche Vereinbarungen dies ermöglichen. Ich halte das für einen richtigen Schritt, weil wir auf diesem Wege den Arbeitgebern sagen, dass es sich lohnt, im Arbeitgeberverband zu sein und über Tarifverträge die Bedingungen am Arbeitsmarkt gemeinsam mit den Gewerkschaften ordentlich und vernünftig auszuhandeln. Deswegen halte ich diesen Schritt auch für richtig. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Noch ein Punkt lag uns sehr am Herzen. Wir alle kennen die Fälle: Einsatzbetriebe schließen einen Werkvertrag, und erst wenn die Finanzkontrolle Schwarzarbeit kommt, fällt ihnen ein, dass das eine Arbeitnehmerüberlassung sein könnte. – Diesen Spurwechsel wollen wir nicht. Es muss klar sein, was Werkvertrag, was Zeitarbeit und Leiharbeit ist, schon alleine, um die Arbeitnehmer zu schützen. Mit diesem Gesetz führen wir dies ein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Viele haben übrigens die Sorge, sie könnten plötzlich unter die Regelungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes fallen. Wir haben im Ausschuss noch einmal deutlich erklärt und dargelegt, dass zum Beispiel alle, die Beratungsdienstleistungen erbringen oder Implementierungen von neuen Projekten in einem Betrieb vornehmen, nicht darunterfallen, sondern für sie weiterhin die werkvertragliche Regelung gilt. Das ist vernünftig und klug. Wir sollten an dieser Stelle auch sagen: Ja, wir wollen, dass faire Bedingungen am Arbeitsmarkt herrschen; wir wollen aber auch das Kind nicht mit dem Bade ausschütten, sondern Beschäftigung ermöglichen. Ja, wir als CDU/CSU-Fraktion wollen vor allen Dingen mit diesem Gesetzentwurf, den wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner, der SPD, auf den Weg gebracht haben und heute beschließen, Menschen Wege in Beschäftigung eröffnen und damit eine Grundlage für eine gute wirtschaftliche Entwicklung schaffen. Ich bin sicher, dass wir mit diesem Gesetz gemeinsam einen wichtigen Schritt nach vorne gehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als Nächstes spricht die Kollegin Beate Müller-Gemmeke, Bündnis 90/Die Grünen. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Bis zur ersten Lesung hat es ja extrem lange gedauert, und jetzt muss wieder alles ganz schnell gehen. Am Montag erst war die Anhörung der Sachverständigen – da gab es viel Kritik, und zwar von allen Seiten; jetzt gibt es auch noch Kritik vom Wissenschaftlichen Dienst –, und doch landete der Gesetzentwurf in dieser Woche überraschend im Ausschuss, und schon heute finden die zweite und die dritte Lesung statt. Was soll eigentlich die Eile? Wenn so viel Kritik kommt, dann sollten Sie, die Regierungsfraktionen, einfach einmal innehalten und die Kritikpunkte ernsthaft prüfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) An einer Stelle haben Sie immerhin mit einem Änderungsantrag auf die Kritik reagiert. Dabei geht es um den Missbrauch von Werkverträgen. Das vorgesehene Widerspruchsrecht für Arbeitgeber in der ursprünglichen Form wäre für die Beschäftigten von Werkvertragsfirmen extrem fatal gewesen. So wäre ein neuer Anreiz für Betriebe entstanden, die bewusst verdeckte Leiharbeit einsetzen. So wäre auch ein neuer Schutz der Unternehmen vor Rechtsfolgen entstanden. Deshalb gab es hierzu richtig heftige Kritik. Auch meine Kleine Anfrage hat gezeigt, dass die Rechtsauffassung der Bundesregierung sich nicht wirklich mit dem deckt, was tatsächlich im Gesetzentwurf steht. Mit einem Änderungsantrag wurde jetzt diese strittige Frage eindeutig geklärt: Bei Scheinwerkverträgen entsteht trotz Verzichtserklärung ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher. Das ist gut so. Das haben wir auch so gefordert. Deshalb war der Änderungsantrag richtig und wichtig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) So, das war das Lob. Jetzt habe ich nur noch Kritik. Im Gesetz fehlen weiterhin eindeutige Kriterien, um Leiharbeit und Werkverträge abzugrenzen, und zwar im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Wir fordern ein Zustimmungsverweigerungsrecht für Betriebsräte. Wir wollen ein Verbandsklagerecht. Es wäre auch ganz wichtig, dass eine Beweislastumkehr eingeführt wird; die stand schon einmal im Gesetzentwurf, ist dann aber wieder herausverhandelt worden. – Das alles sind wirksame Maßnahmen, um den Missbrauch von Werkverträgen tatsächlich zu verhindern; aber nichts davon steht im Gesetzentwurf. Daher wird er seiner eigenen Zielsetzung nicht gerecht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Sehr geehrte Regierungsfraktionen, wirklich dringend notwendig ist eine echte Reform der Leiharbeit. Das haben die Fakten in der Stellungnahme des WSI noch einmal deutlich gemacht: Durch Leiharbeit entsteht „ein erhöhtes Armutsrisiko, während des Erwerbslebens, aber auch im Rentenalter“. Leiharbeitskräfte haben deutlich schlechtere Arbeitsbedingungen, sie sind häufiger krank, und es gibt auch mehr Arbeitsunfälle. Sie werden schneller arbeitslos. Der Brückeneffekt hingegen ist mit 7 bis 14 Prozent gering. Die Leiharbeitskräfte fühlen sich zu Recht benachteiligt und ähnlich wie die Arbeitslosen nur schlecht in die Gesellschaft integriert. Der Handlungsbedarf ist also groß. Eine Mogelpackung wie der vorliegende Gesetzentwurf wird aber wenig daran ändern. Das kritisieren wir scharf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Frau Ministerin, Sie versprechen Equal Pay; doch gleichen Lohn für gleiche Arbeit gibt es frühestens nach neun Monaten. Das war übrigens immer die Position der FDP. Es ist bekannt, dass drei Viertel der Leiharbeitsverhältnisse höchstens neun Monate dauern. Zudem sind auch Rotationslösungen möglich. Das hat der Wissenschaftliche Dienst auch bestätigt. Der Gesetzentwurf ist ein reiner Etikettenschwindel. Denn von diesem Equal Pay wird kaum jemand profitieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Frau Ministerin, Sie versprechen auch, dass die Betriebe zukünftig Leiharbeit nur vorübergehend, also zeitlich begrenzt, bei Auftragsspitzen einsetzen können. Die Höchstüberlassungsdauer ist aber nicht an den Arbeitsplatz, sondern an die Leiharbeitskraft gebunden. Das kritisiert auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages. Ich zitiere: Im Ergebnis wird es nach dem Gesetzentwurf möglich bleiben, Arbeitsplätze langfristig mit Leiharbeitnehmern zu besetzen, sofern diese spätestens nach 18 Monaten ausgetauscht werden. … Insoweit sind ähnliche „Rotationslösungen“ wie beim Equal-Pay-Anspruch denkbar … Auch die Höchstüberlassungsdauer geht also an der Zielsetzung vorbei. Leiharbeit ist für die Betriebe zukünftig nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft möglich. So wird der Missbrauch nicht verhindert, sondern gesetzlich legitimiert, und das geht gar nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich möchte einen weiteren Aspekt nochmals ansprechen; denn hier hat mich vor allem die Begründung geärgert. Auch nicht tariflich gebundene Betriebe können durch Bezugnahme von Equal Pay abweichen und so von den Tarifverträgen profitieren. Wir haben in unserer Kleinen Anfrage nachgefragt und die Begründung zur Antwort bekommen, dass so Tarifverträge flächendeckender angewendet werden. Ich weiß gar nicht, ob ich diese Antwort als unwissend, dreist oder auch zynisch bezeichnen soll. So werden gerade nicht die Sozialpartner gestärkt und schon gar nicht die Leiharbeitskräfte. Denn bei der Leiharbeit gilt doch per Gesetz der Tarifvorrang. Ohne Bezugnahme müssten sich die Leiharbeitsfirmen organisieren und auch Tarifverträge abschließen. Sonst würde zum Vorteil der Leiharbeitskräfte Equal Pay ab dem ersten Tag gelten. Die geplante Regelung und diese Begründung sind unsäglich und nicht akzeptabel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Sehr geehrte Regierungsfraktionen, ich sage es immer wieder: Wir Grünen haben für die Leiharbeit eine einfache und zugleich effektive Lösung. Leiharbeit muss sich für die Unternehmen lohnen – das ist klar –, aber sie muss sich auch für die Leiharbeitskräfte auszahlen. Deshalb fordern wir gleichen Lohn für gleiche Arbeit ab dem ersten Tag und einen Flexibilitätsbonus von 10 Prozent. Über den Preis macht Leiharbeit dann betriebswirtschaftlich auch nur vorübergehend Sinn, und zwar ohne bürokratische Höchstüberlassungsdauer. Diese Regelungen sind eindeutig, zielführend und vor allem gerecht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Gesetzentwurf verspricht viel, aber Anspruch und Wirklichkeit gehen weit auseinander. Professor Sell hat die Kritik in seiner Stellungnahme gut auf den Punkt gebracht. Ich zitiere nochmals: Arbeitgeber können damit Aufgaben und Arbeitsbereiche dauerhaft von niedrig entlohnten Leiharbeitern bearbeiten lassen, und die Risiken des flexiblen Arbeitsmarktes tragen allein die Beschäftigten, nicht die Arbeitgeber. Damit hat er recht. An dieser Stelle ist der kleinste gemeinsame Nenner der Großen Koalition besonders klein. Im Mittelpunkt stehen hier vor allem die Interessen der Wirtschaft und eben nicht die Menschen. Das Gesetz wird die Situation der Leiharbeitskräfte nicht verbessern, sondern eher verschlechtern. Deshalb lehnen wir den Gesetzentwurf ab. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Waltraud Wolff hat als nächste Rednerin für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Für die SPD kann ich sagen: Wir arbeiten nicht erst seit letzter Woche an dem Thema, sondern wir haben schon in der letzten Legislaturperiode einen Antrag dazu eingebracht, Frau Müller-Gemmeke. Aber, meine Damen und Herren, wenn wir oder Sie zu Hause von Leiharbeit oder Werkverträgen reden, dann denkt niemand zuerst an gute Arbeitsbedingungen; man denkt vielmehr an Lohndumping; man denkt daran, dass Menschen als Streikbrecher eingesetzt werden usw. Genau weil das so ist, haben wir gesagt: Wir wollen die Leiharbeit heute wieder auf ihre Kernfunktion hin orientieren. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt eben nicht! – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Ich denke, das ist nur vorübergehend!) Das ist richtig, und das ist wichtig. Das ist ein Anfang. Meine Damen und Herren, das ist mir ganz besonders wichtig im Hinblick auf die neuen Bundesländer, weil das ein wichtiges Signal für die Tarifbindung darstellt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Für uns ist ganz klar: Soziale Marktwirtschaft gibt es nur mit starken Sozialpartnern. Soziale Marktwirtschaft läuft in die falsche Richtung, wenn immer mehr Unternehmen die Arbeitgeberverbände verlassen; das ist in meinem Bundesland Sachsen-Anhalt Tatsache. Sie setzen auf unsichere Arbeitsverhältnisse. Deshalb setzen wir ein klares Signal. Wir setzen auch Grenzen, nämlich bei der Höchstüberlassungsdauer und auch beim Lohn: gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Herr Ernst, ich möchte ein Beispiel nennen. Ich war unlängst in Thüringen bei Kali und Salz. Es gibt auch andere Beispiele für Leiharbeitsfirmen; ich nenne die Firma jetzt einfach, weil das ein gutes Beispiel war: Technicum. Diese Firma arbeitet für Kali und Salz im Verbundwerk Werra. Sie hat den Tarifvertrag von Kali und Salz für ihre Mitarbeiter übernommen. Da sage ich: Weiter so! Wenn Leiharbeitsfirmen so arbeiten, ist es etwas Gutes. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, wir begegnen dem Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen genau auf diese Weise. Wir sagen aber auch, dass Betriebe und Gewerkschaften bei ihren Verhandlungen den Spielraum bekommen sollen, damit sie abweichen können. Die IG Metall zum Beispiel hat explizit darum gebeten. Wir sagen: Hoffentlich schafft das Anreize, dass Arbeitgeber wieder in den Arbeitgeberverband und an den Verhandlungstisch zurückkehren. Das stärkt die Tarifbindung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gibt es die Bezugnahme?) „Spielraum schaffen“ heißt aber auch, dass die Situation der Hälfte der Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer verbessert werden kann, nämlich die Situation derjenigen, die weniger als neun Monate im Leihbetrieb arbeiten. Auch darüber kann am Verhandlungstisch gesprochen werden, an dem nun auch die Betriebsräte gestärkt sitzen, weil sie besser über die Zahlen und Aufgaben des Fremdpersonals auf dem Firmengelände Bescheid wissen. Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer – das hat auch die Staatssekretärin vorhin gesagt – werden in Zukunft mitgezählt, wenn es darum geht, freigestellte Betriebsräte zu wählen und Aufsichtsratsposten zu besetzen. (Beifall bei der SPD) Auch das, meine Damen und Herren, stärkt die Position von Beschäftigten. Ich weiß – mir geht es auch so –, dass dieser Gesetzentwurf nicht das Nonplusultra ist. Wir haben auch klarere Regeln erwartet. Dennoch ist der Gesetzentwurf zu dieser Zeit richtig. Wir kommen dem Ziel, Leiharbeit und Werkverträge zu bekämpfen, ein Stück näher. Wir als SPD bleiben jedenfalls dran. Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen. Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Ich habe meinen Sprechzettel schon zusammengefaltet. Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Wunderbar. (Heiterkeit) Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Ich will nur sagen, dass für die SPD das Thema so wichtig ist, dass wir es auf jeden Fall nicht aus den Augen verlieren. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hört man immer wieder!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Ich bitte noch einmal, etwas mehr auf die Uhr zu achten. Zeitlich liegen wir schon eine halbe Stunde zurück. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Aber das war nicht unsere Schuld!) Es wäre nicht so gut, wenn ich zum Schluss mit meinen Kolleginnen hier oben und den Redenden allein wäre, weil alle anderen schon auf dem Weg in ihren Wahlkreis sind. Daher bitte ich, das auch ein wenig zu berücksichtigen. Frau Krellmann hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jutta Krellmann (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung peitscht dieses Gesetz mit einem Affenzahn durch den Bundestag, (Zurufe von der SPD: Oh!) als ginge es um die Agenda 2010; das hatten wir doch schon einmal. Seit es Leiharbeit und Werkverträge gibt, gibt es zwei Klassen von Belegschaften in den Betrieben. Trotzdem unternimmt die Bundesregierung nichts, und bei Werkverträgen und Leiharbeit bleibt praktisch alles beim Alten. Das ist absoluter Beschiss an den Beschäftigten. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Matthias Bartke [SPD]: Jetzt ist aber gut, ja?) Im Supermarkt sehen wir das Zweiklassensystem direkt. Die Stammbelegschaft trägt weiße Kittel, Werkvertragsbeschäftigte tragen schwarze T-Shirts. Alle machen die gleiche Arbeit. Die Beschäftigten in Weiß haben geregelte Arbeitszeiten und einen Tariflohn. Ihre Kolleginnen und Kollegen in Schwarz können oft nur davon träumen. Aber anstatt diese himmelschreiende Ungerechtigkeit zu beseitigen, passiert nichts. Selbst zu einer Umkehr der Beweislast zugunsten der betroffenen Beschäftigten sind Sie nicht bereit. Sollte sich ein Betroffener doch einmal vor Gericht trauen, hat er vermutlich keine Chance. Er kann nicht wirklich nachweisen, dass es sich um einen Scheinwerkvertrag handelt. Die dafür notwendigen Dokumente hat in der Regel nur der Arbeitgeber. Damit ist klar: Beschäftigte, die über Scheinwerkverträge ausgebeutet werden, bekommen von der Bundesregierung keine Hilfe. Aber auch legale Werkverträge werden genutzt, um ganze Produktionslinien auszulagern. Ziel dabei ist, Lohnkosten zu sparen und Belegschaften zu spalten. Die beste Möglichkeit, gegen Missbrauch von Werkverträgen vorzugehen, ist die Stärkung der zwingenden Mitbestimmung. Informationsrechte der Betriebsräte sind keinen Pfifferling wert, wenn diese nichts tun können, um Ungerechtigkeiten zu beenden. (Beifall bei der LINKEN) Damit fallen Sie den Betriebsräten in den Rücken. Ich selbst bin seit 44 Jahren Mitglied der Gewerkschaft. Wenn ich von Ihnen höre, dass „die Gewerkschaften“ das eingefordert haben, dann schwillt mir der Kamm. Sich bei den Gewerkschaftsvorsitzenden im Ministerium für Arbeit und Soziales die Zustimmung zu holen, bedeutet nicht, dass gleichzeitig alle Gewerkschaftsmitglieder diese Positionen mittragen. Hören Sie auf, ständig Millionen Beschäftigte für Ihre Interessen zu vereinnahmen! Die Beschlusslage auf den Gewerkschaftstagen zu Leiharbeit und Werkverträgen ist ganz klar: Gleiches Geld für gleiche Arbeit ab dem ersten Tag! Und: Stopp des Missbrauchs von Werkverträgen durch Stärkung der Mitbestimmung! Frau Wolff, Sie haben gesagt, es handele sich um eine Stärkung der Tarifverträge. Ich habe gelernt, dass Tarifverträge dazu da sind, bessere Regelungen zu schaffen, keine schlechteren. Was nun passiert, schafft schlechtere Bedingungen für die Beschäftigten. In meiner Region gibt es Tarifverträge, die gleiches Geld für gleiche Arbeit vorsehen. Das ist also möglich. Ich kenne das aus eigener Erfahrung. Aber das, was hier passiert, ist das genaue Gegenteil. Das wird sich gegen die Gewerkschaften wenden. Sie vertreten als Bundesregierung und Große Koalition nicht meine Interessen als Gewerkschafterin. Sie vertreten nicht die Interessen vieler Beschäftigter und Betriebsräte, erst recht nicht die Interessen aller Beschäftigten. Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen. Jutta Krellmann (DIE LINKE): Ich habe gehofft, dass Sie mir zusätzliche Zeit geben, wenn ich schon keine Frage stellen kann. Aber ich habe auch nur noch einen Satz zu sagen. Die Linke lehnt diesen Gesetzentwurf ab, weil er keine Verbesserung für die Betroffenen, sondern eine Verschlechterung darstellt. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Wilfried Oellers von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Wilfried Oellers (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung den Gesetzentwurf zu den Werkverträgen und der Zeitarbeit. Im Koalitionsvertrag haben wir seinerzeit vereinbart, dem Missbrauch von Werkverträgen und Zeitarbeit entgegenzuwirken. Dabei bestand die Besonderheit der Gesetzesinitiative darin, dass auf der einen Seite dem Missbrauch entgegengewirkt werden sollte und auf der anderen Seite die Werkverträge und die Zeitarbeit als Flexibilisierungsinstrument in handhabbarer Weise erhalten bleiben sollten, da sie in der heutigen Arbeitswelt und für unsere Wirtschaft einfach unverzichtbar sind. Anzuerkennen ist, dass gerade die Zeitarbeitsbranche bzw. die Tarifpartner in den letzten Jahren viele Maßnahmen umgesetzt haben, um diesen Bereich zu regeln und Missbrauch entgegenzuwirken. Zudem weise ich auch an dieser Stelle ausdrücklich auf die positiven Aspekte der Zeitarbeit hin: Brückenfunktion für Arbeitslose in den Arbeitsmarkt, (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 7 bis 14 Prozent!) der hohe Klebeeffekt hin zur festen Anstellung beim Entleiher, auch Fahrdienste für Mitarbeiter gerade in ländlichen Bereichen mit ungünstigen Verbindungen im öffentlichen Nahverkehr, Qualifizierung der Mitarbeiter durch die Zeitarbeitsunternehmen. Kleine Unternehmen ohne Personalabteilung bedienen sich der Zeitarbeitsunternehmen im Wege des Personalrecruitings, und junge Menschen und Absolventen finden über Zeitarbeitsunternehmen zum Teil schneller eine feste Anstellung bei Unternehmen. (Beifall bei der CDU/CSU) Zeitarbeitsunternehmen können in diesen Fällen passgenaue Lösungen bieten. Das hilft nicht nur den Unternehmen, sondern allen voran den Menschen, in Arbeit zu kommen. Diese positiven Effekte der Zeitarbeit wurden mir im Rahmen meiner Sommertour durch meinen Wahlkreis häufig bestätigt. Neben all den positiven Auswirkungen verkenne ich selbstverständlich nicht, dass es an der einen oder anderen Stelle auch Missbrauch gibt. Diesem werden wir mit diesem Gesetz weiter entgegenwirken. Neben den bereits genannten Regelungen möchte ich ergänzend Folgendes erwähnen: Als Jurist sei es mir erlaubt, zunächst auf die Regelung des § 611a BGB hinzuweisen, die im parlamentarischen Verfahren überarbeitet wurde und nun in der Systematik des BGB hilft, den Arbeitsvertrag vom Werkvertrag besser abzugrenzen. Im Betriebsverfassungsgesetz haben wir die Informationsrechte des Betriebsrates konkretisiert. Nach § 80 Absatz 2 Satz 3 Betriebsverfassungsgesetz hat der Unternehmer dem Betriebsrat den Vertrag vorzulegen, den er mit dem Werkunternehmen bzw. mit dem Zeitarbeitsunternehmen geschlossen hat. Nicht gemeint sind damit jedoch die Arbeitsverträge, die der Werkunternehmer wiederum mit seinen Mitarbeitern geschlossen hat. Nun zu den Regelungen in der Zeitarbeit. Equal Pay nach 9 Monaten und eine Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten gepaart mit einer tariflichen Öffnungsklausel eröffnen Möglichkeiten, branchenspezifische Regelungen zu treffen, und stärken die Tarifautonomie. (Beifall bei der CDU/CSU) Eine wichtige Rechtsklarstellung wurde in die Protokollerklärung des Ausschusses dahin gehend aufgenommen, dass Beratungsunternehmen und Unternehmen im Bereich der IT, die zum Beispiel bei Optimierungs-, Entwicklungs- und IT-Einführungsprojekten eingesetzt werden, nicht unter die Arbeitnehmerüberlassung des § 1 AÜG fallen. Gleiches gilt auch klarstellend für die DRK-Schwesternschaft. Das aufgenommene Streikbrecherverbot ist so gestaltet, dass Zeitarbeitnehmer, die vor Beginn eines Streiks bereits in dem bestreikten Entleiherunternehmen arbeiten, weiter ihre Tätigkeit verrichten dürfen, wenn sie es wollen, und in Betriebsteilen, die nicht bestreikt werden, auch weiter neue Zeitarbeitnehmer eingesetzt werden dürfen. Vorausgesetzt ist allerdings stets, dass sie nicht die Arbeitsleistung der streikenden Mitarbeiter übernehmen. Die Sanktionen haben unter anderem mit dem Entzug der Verleiherlaubnis ein sehr scharfes Schwert. Im Rahmen der Protokollerklärung wurde auch hier klarstellend darauf hingewiesen, dass ein erstmaliger oder geringfügiger Verstoß nicht zum Entzug der Verleiherlaubnis führt. Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes erst zum 1. April nächsten Jahres wird allen Beteiligten die Gelegenheit gegeben, sich auf das Gesetz einzustellen. Es wäre sicherlich nicht angemessen gewesen, wenn wir uns hier im Parlament zwei Jahre Zeit nehmen, um das Gesetz zu verabschieden, und das Gesetz dann einen Monat später vollständig umgesetzt werden muss. Neben vielen Klarstellungen ist es mir ein besonderes Anliegen, darauf hinzuweisen, dass hinsichtlich des Widerrufsrechts nach § 9 AÜG im parlamentarischen Verfahren noch ein weiteres Verfahren gesetzlich geregelt werden konnte, mit dem dem Missbrauch von vorzeitig abgegebenen Blankoerklärungen entgegengewirkt werden kann. Somit konnte im parlamentarischen Verfahren mehr Rechtsklarheit erreicht werden, eine Schutzregelung gegen Missbrauch aufgenommen werden, der Übergang in das neue Gesetz praxisfreundlicher und § 611a BGB rechtssystematisch korrekt gestaltet werden. Mit der gesetzlich aufgenommenen Evaluation für das Jahr 2020 macht der Gesetzgeber deutlich, dass er die Entwicklung des Gesetzes aufmerksam beobachten und er gegebenenfalls korrigierend eingreifen wird. Es ist in meinen Augen nun geboten, die Wirkung des Gesetzes zunächst einmal abzuwarten, anstatt die Zeitarbeit und die Werkverträge stets an den Pranger zu stellen. Es sollte nach den langen und intensiven Diskussionen, die wir geführt haben, nun einmal auch Ruhe im Rahmen dieser Thematik eintreten können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird nicht der Fall sein!) Abschließend bedanke ich mich ausdrücklich bei Ministerin Nahles, bei der Staatssekretärin Kramme, bei den Mitarbeitern des BMAS – namentlich darf ich hier Frau Loskamp erwähnen – sowie bei unseren Kolleginnen und Kollegen des Koalitionspartners für die konstruktiven Gespräche. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Markus Paschke hat als nächster Redner für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Markus Paschke (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich in das Inhaltliche einsteige, Folgendes: Kollegin Krellmann, ich hatte bei Ihrem Beitrag den Eindruck, dass Sie hier – nach dem Motto, dass es gute und schlechte Gewerkschafter gibt – versuchen, die Gewerkschaften so ein bisschen zu spalten. Ich finde, dass das nicht so ist. Die Gewerkschaften sind die einzige Kraft, die ausschließlich die Arbeitnehmerinteressen vertritt. Und Sie wissen genauso wie ich, dass die Absenkung des Standards durch Scheingewerkschaften und Gefälligkeitstarifverträge verursacht wurde – und nicht durch die Gewerkschaften, die jetzt versuchen, da eine Besserung für die Arbeitnehmer zu erreichen. (Beifall bei der SPD) Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir Missbrauch bekämpfen wollen. Und das ist uns mit diesem Gesetz auch ein richtig gutes Stück weit gelungen. Wir sind Realisten: Es wird immer jemanden geben, der sich um Gesetze und Regeln nicht schert. Aber um diese Pappenheimer haben wir uns besonders gekümmert, und das ist auch gut so. Wenn zukünftig gegen Arbeitnehmerschutzrechte, die im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz verankert sind, verstoßen wird, wird es nicht mehr nur einen Klaps auf die Finger geben, sondern es werden ordentliche Sanktionen verhängt. Das ist, glaube ich, das, was dieses Gesetz so wertvoll macht. Es gibt hohe Geldstrafen von 30 000 Euro bis zu 500 000 Euro. Weiterhin ist es möglich, bei härteren bzw. nachhaltigen Verstößen die Überlassungserlaubnis zu entziehen. Bei Überschreitung der Höchstüberlassungsdauer, bei Scheinwerkverträgen oder unerlaubter Überlassung kommt zukünftig ein Arbeitsverhältnis mit dem Einsatzbetrieb zustande. Das ist doch die ganz entscheidende Frage. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So weit kommt es doch gar nicht! Das wird doch umgangen! Es kommt gar nicht so weit!) In diesem Zusammenhang gibt es für die Arbeitnehmer ein Widerspruchsrecht. Es ist auch ganz klug, das zu machen. Denn es gibt doch den einen oder anderen Fall, wo ein Arbeitnehmer gar nicht in einen Einsatzbetrieb wechseln möchte. Das kann der Fall sein, wenn er weiß, dass dieser Betrieb kurz vor der Insolvenz steht, oder wenn sich der Chef dieses Betriebes nicht besonders wertschätzend gegenüber seinen Mitarbeitern verhält. Dieses Widerspruchsrecht wurde im Vorfeld häufig kritisiert. Es wurde befürchtet, dass das ein Einfallstor ist, um neue Umgehungstatbestände zum Beispiel durch Blankowidersprüche zu schaffen. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Richtigerweise, Markus, richtigerweise!) – Nein, Jutta, überhaupt nicht. – Wir wissen auch, dass es Urkundenfälschung ist – das ist heute schon verboten –, jemanden zu nötigen, etwas blanko zu unterschreiben. Aber wir wissen auch, dass diejenigen, die gegen Gesetze verstoßen bzw. sie umgehen wollen, sich darum nicht scheren. Deswegen haben wir deutlich gemacht, dass Widersprüche nur gegenüber der Bundesagentur für Arbeit abgegeben werden können. Das ist auch gut so; denn dann sind Blankowidersprüche ausgeschlossen. Weiterhin ist wichtig, dass die Aufsichtsbehörde zukünftig immer gleich Kenntnis von solchen Verstößen bekommt. Das ist, glaube ich, ein ganz deutliches Signal dahin gehend, dass wir es ernst meinen, den Missbrauch zu bekämpfen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Last, but not least haben wir in das Gesetz eine Überprüfungsklausel hineingeschrieben. Das heißt, dass wir darauf schauen werden, ob die Regeln, die wir jetzt aufgestellt haben, wieder missbraucht werden. Wir werden das überprüfen. Und wenn das der Fall ist, werden wir nachsteuern und das verschärfen. Das ist, glaube ich, der richtige Ansatzpunkt. Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Damit, Herr Kollege, müssen Sie auch zum Schluss kommen. Markus Paschke (SPD): Ich komme zum Schluss. – Das gibt den Tarifparteien die Chance, zu beweisen, dass sie sich an die Regeln halten. Wenn das der Fall ist, dann ist es gut. Wenn nicht, werden wir da wieder herangehen. Ich danke allen Beteiligten – insbesondere denen aus dem Ministerium –, die sich an der Erstellung des Entwurfs beteiligt haben, und wünsche uns ein schönes Wochenende. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als letzter Redner in der Debatte hat Tobias Zech das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Tobias Zech (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man den Kollegen der Opposition zuhört, könnte man glauben, wir sprechen hier über moderne Sklaverei. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Habe ich nicht gesagt! – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Die Sklaverei heute heißt Leiharbeit!) Wenn ich über Zeitarbeit und Werkverträge nachdenke, dann denke ich an Flexibilität und an Wettbewerbsfähigkeit und nicht per se an Lohndumping und das Ausnehmen von Arbeitnehmern. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich denke an Gerechtigkeit!) Ich denke daran, dass wir mit der Zeitarbeitsbranche eine Branche haben, die sich in den letzten 14 Jahren von einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme zu einer Branche mit fast 1 Million Mitarbeiter emanzipiert hat, von denen 82 Prozent ein unbefristetes Arbeitsverhältnis haben und 98 Prozent unter einen Tarifvertrag fallen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht! Das stimmt doch einfach nicht!) Darauf kann man stolz sein. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 50 Prozent der Jobs sind nach drei Monaten zu Ende! Das kann nicht unbefristet sein!) Dass Sie hier versuchen, Zeitarbeit per se schlechtzureden, lassen wir nicht zu. Zeitarbeit ist eine Stütze der deutschen Wirtschaft. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nehmen Sie doch mal die Zahlen zur Kenntnis!) Deswegen brauchen wir ein aktuelles und zukunftsgerichtetes Gesetz. Das hat die Koalition aus SPD, CDU und CSU heute vorgelegt. (Beifall bei der CDU/CSU) Viel mehr noch: Zeitarbeit schafft auch Jobs. 70 Prozent aller Mitarbeiter in der Zeitarbeit waren vorher arbeitslos, (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das sind sie auch ganz schnell wieder!) 20 Prozent davon länger als ein Jahr. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist ja logisch! Man kündigt ja nicht, um in der Leiharbeit zu arbeiten!) Das heißt: Wir haben mit der Zeitarbeit ein Tool, um Menschen wieder in Arbeit zu bringen, um Menschen wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Stichwort „Werkverträge“. Das, was wir bei der ersten Lesung im Ausschuss mit Ihnen zum Thema Werkverträge diskutiert haben, hatte, entschuldigen Sie, mit der Realität nichts zu tun. Werkverträge sind kein Instrument für Lohndumping. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Ganze Produktionslinien werden ausgegliedert!) Werkverträge sind die Grundlage der deutschen Wirtschaft. Jeder Handwerker, jeder Dienstleister lebt von Werkverträgen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es doch auch gar nicht!) Sie reden die per se schlecht. Das entspricht nicht dem, was wir uns für Deutschland wünschen. Das hat nichts mit der Wettbewerbsfähigkeit dieses Landes zu tun. Das schafft keine Arbeitsplätze. Das ist Überregulierung. Was Sie hier fordern, schafft Arbeitslosigkeit. Das werden wir nicht zulassen. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das stimmt doch überhaupt nicht!) Wir dürfen und müssen Zeitarbeit und Werkverträgen einen Rahmen setzen. Das haben wir getan, und zwar mit straffen Sanktionen, mit dem Entzug der vorläufigen Überlassungserlaubnis, mit der klaren Aussage, was ein Werkvertrag und was Zeitarbeit ist. Aber eines sage ich Ihnen auch: Die Entscheidung „Make or Buy“ ist eine unternehmerische Entscheidung. Da gehört sie auch hin. Wer die Verantwortung trägt, muss auch die Entscheidungskompetenz haben. Auch dem werden wir mit diesem Gesetz gerecht. Ziel des Gesetzes ist es, so viel Sicherheit wie nötig, aber vor allem auch so viel Flexibilität wie möglich zu schaffen. Wir wollen gute sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze erhalten und deren Zahl weiter ausbauen. Das ist das Ziel, und das sollte uns hier allen in diesem Haus ins Stammbuch geschrieben werden. Die CSU hat sich, glaube ich, wie keine andere Partei in diesem Parlament immer wieder für eine Verbesserung und für eine Optimierung der ersten Gesetzesentwürfe eingesetzt. Wir haben um bessere Lösungen gerungen. Ich kann nur sagen: Das ist uns auch gelungen. Ich darf daran erinnern, dass im ersten Entwurf die OT-Betriebe überhaupt nicht erfasst waren. Diese haben wir jetzt einbezogen. Somit fällt der Mittelstand auch unter das Gesetz. Wir haben die im ersten Entwurf vorgesehenen Regelungen zum Streikrecht der Realität angepasst. Wir haben diese unsägliche Positivliste aus dem ersten Entwurf komplett gestrichen und stattdessen eine vernünftige Definition des Arbeitnehmerbegriffs sowie eine praxistaugliche Übergangsregelung festgeschrieben. Wie jedes Gesetz ist auch dieses Gesetz ein Kompromiss, ein Ringen von unterschiedlichen Auffassungen. Ich bin mit der Equal-Pay-Definition nicht ganz zufrieden. Dagegen sind andere Kollegen wahrscheinlich mit der Widerspruchsregelung nicht ganz zufrieden. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die ist jetzt gut!) In drei Jahren schauen wir uns das Ganze noch einmal an in der Evaluation. Bis dahin geben wir dem Gesetz die Möglichkeit, zu wirken. Ich denke, die Koalition hat heute ein gutes Gesetz vorgelegt. Das Gesetz ist zeitgemäß. Es hilft, Arbeitsplätze in der Zukunft zu sichern. Deutschland muss wettbewerbsfähig bleiben. Deutschland muss fit für die Zukunft bleiben. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist bei jedem Thema passend!) Dazu gehört auch der Arbeitsmarkt. Ich kann Ihnen nur die Zustimmung empfehlen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10064, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/9232 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Dann ist dieser Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 18/10064 fort. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/9664 mit dem Titel „Etablierung von Leiharbeit und Missbrauch von Werkverträgen verhindern“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Ausschusses? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7370 mit dem Titel „Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen verhindern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Dann ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition und den Stimmen der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a und 30 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen sowie zur Änderung des Zweiten und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch Drucksache 18/9984 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes Drucksache 18/9985 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die Parlamentarische Staatssekretärin Lösekrug-Möller für die Bundesregierung das Wort. (Beifall bei der SPD) Gabriele Lösekrug-Möller, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Alle fünf Jahre legt das Statistische Bundesamt neue Daten über das Ausgabeverhalten in Deutschland vor, die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. Auf dieser Grundlage müssen die Leistungssätze sowohl im Sozialgesetzbuch II und im Sozialgesetzbuch XII als auch im Asylbewerberleistungsgesetz angepasst werden. Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung der Regelbedarfe und mit dem Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes setzen wir diesen gesetzlichen Auftrag um. Für viele Menschen bringen die Anpassungen Verbesserungen mit sich. Nach dem Entwurf für ein Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz steigen die Regelbedarfe für Alleinstehende zum 1. Januar 2017 um 5 Euro auf 409 Euro. Von den neuen Regelsätzen werden Kinder der Regelbedarfsstufe 5 besonders profitieren. Das sind Kinder im Alter von 6 bis 13 Jahren. Sie erhalten künftig in jedem Monat 21 Euro mehr. Dort, wo die Regelbedarfe nach der EVS 2013 geringer wären als bislang – nämlich bei Kindern bis zum Alter von 5 Jahren – stellen wir sicher, dass die Leistungen nicht sinken. Weiterhin regelt der Gesetzentwurf nunmehr endgültig, dass volljährige Menschen mit Behinderungen im Haushalt der Eltern, Freunde oder Verwandten künftig dauerhaft die höhere Regelbedarfsstufe 1 erhalten. Daneben können künftig volljährige Personen, die zum Haushalt gehören, auch dann pauschalierte Unterkunftskosten geltend machen, wenn sie nicht verpflichtet sind, Unterkunfts- und Heizkosten zu tragen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Asylbewerberleistungsgesetz sinken durch die notwendigen Anpassungen aufgrund von Besonderheiten unter dem Strich die in Geld ausbezahlten Leistungssätze. Ich will dafür ein Beispiel geben. Zukünftig wird insbesondere auch der Bedarf für Strom – wie heute schon der für Hausrat – aus dem Leistungssatz ausgegliedert, weil auch der Strom in der Regel als Sachleistung erbracht wird. Im Ergebnis sinken deshalb die Leistungssätze für den notwendigen Bedarf. Wir regeln auch die Bedarfsstufen im Asylbewerberleistungsgesetz neu. Es wird eine neue niedrigere Bedarfsstufe für erwachsene Leistungsberechtigte in Sammelunterkünften festgelegt. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 10 Prozent Kürzung!) Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass der Wohnraum gemeinschaftlich genutzt wird und bestimmte Kosten, etwa für Mediennutzung, aufgeteilt werden. Zugleich stärken wir mit einem neuen Freibetrag für Einnahmen aus ehrenamtlicher Tätigkeit das Engagement der Flüchtlinge und damit ihre Integration. Damit die höheren Regelbedarfe im SGB II und im SGB XII sowie die veränderten Bedarfsstufen im Asylbewerberleistungsgesetz zum 1. Januar 2017 in Kraft treten können, hoffen wir auf eine gute und zügige Beratung. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin spricht Katja Kipping für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Katja Kipping (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten hier über die Neuberechnung der Hartz-IV-Regelsätze. Davon sind nicht nur Langzeiterwerbslose betroffen, sondern eben auch arme Rentner, Alleinerziehende, die aufstocken müssen, oder Asylbewerber. Kurzum: 8,5 Millionen Menschen sind von diesen Gesetzen direkt betroffen. Ich finde, das, was Sie als Regierung hier vorgelegt haben, geht nicht. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es geht bei den Regelsätzen doch nicht um ein Almosen, das die Regierung den armen Menschen in diesem Land großzügig zugesteht. Wir reden hier über das soziokulturelle Existenzminimum. Ich weiß, „soziokulturelles Existenzminimum“ ist ein etwas sperriger Begriff. Gemeint ist: Wir reden hier über ein Grundrecht, nämlich das Recht, nicht nur materiell zu überleben, sondern auch ein Mindestmaß an kultureller Teilhabe in diesem Land zu erhalten. Die vorgesehenen Regelsätze werden diesem Anspruch nicht gerecht. Ich sage es ganz klar: Mit diesen Regelsätzen leistet Schwarz-Rot Beihilfe zur Verarmung ganzer Bevölkerungsschichten. Da machen wir, die Linke, nicht mit. (Beifall bei der LINKEN) Vergegenwärtigen wir uns noch einmal, wie die Regelsätze berechnet werden sollen. Diese Regierung hat sich für das Statistikmodell entschieden. Das heißt, verschiedene Haushalte müssen über drei Monate hinweg in einem Haushaltsbuch all ihre Ausgaben festhalten. Von diesen Haushalten nimmt man dann die untersten 15 Prozent der Einkommenshierarchie; den entsprechenden Personenkreis nennt man dann Referenzgruppe. Da haben wir bereits das erste Problem. Wir wissen inzwischen dank einer Berechnung von Irene Becker, dass das durchschnittliche Einkommen dieser Gruppe bei 764 Euro im Monat liegt. Das heißt, wir leiten von den Ausgaben, die wirklich arme Menschen haben, die Berechnung der HartzIV-Regelsätze ab. Kurzum: Wir befinden uns in diesem Land in einer Verarmungsspirale. Doch wir als Linke wollen heraus aus der Verarmungsspirale. (Beifall bei der LINKEN) Aber es geht weiter mit dem Kleinrechnen. Sie kommen dann noch mit Abschlägen. In der Öffentlichkeit wird immer nur von Abschlägen für Alkohol und Zigaretten gesprochen. Was im Hause Andrea Nahles immer gern verschwiegen wird, ist ja, dass Sie auch Ausgaben für Gartenarbeiten als nicht regelsatzrelevant einstufen. Im Klartext heißt das: Erwerbslosen gestehen Sie nicht das Recht zu, in einem Nachbarschaftsgarten oder in einem Schrebergartenverein aktiv zu sein oder auf dem Balkon Tomaten zu züchten. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch!) Außerdem legen Sie fest: Ausgaben für Beherbergung sind nicht regelsatzrelevant. Wir sind uns doch einig, dass es bei dieser Gruppe eh nicht um Menschen geht, die sich irgendeinen Wellnessurlaub in einem Viersternehotel leisten können. Wir reden hier aber darüber, dass man sich mit seinem Kind auch dann, wenn man in Hartz IV ist, vielleicht eine Woche auf einem Zeltplatz leisten kann. Ich finde, das ist das Mindeste, und es macht mich wütend, dass Sie das den Leuten nicht zugestehen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bewirtungskosten gelten bei Ihnen als nicht regelsatzrelevant. Wir reden hier doch nicht über Essen in einem Sternerestaurant. Worüber reden wir? Wir reden darüber, dass sich auch Erwerbslose, die in einem Verein aktiv sind, bei einem Treffen in der Vereinskneipe eine Tasse Kaffee leisten können. Sollen diese Menschen denn immer ihren Instantkaffee und eine Thermoskanne mit heißem Wasser mitbringen, um dazuzugehören? Wenn Erwerbslose ihr Kind von der Kita abholen, an einer Eisdiele vorbeigehen und alle anderen Kinder eine Kugel Eis bekommen, sollen sie dafür dann kein Geld haben, weil Sie als Ministerin sagen: „Es tut uns leid; Sie sind in Hartz IV; die Ausgaben dafür sind Bewirtungskosten und gelten daher als nicht regelsatzrelevant“? (Beifall bei der LINKEN) Oder nehmen wir die Kosten für Haustiere. Wenn es nach dieser Regierung geht, wenn es nach Schwarz-Rot geht, dann sind die Kosten für Haustiere nicht regelsatzrelevant. Wer also in Hartz IV fällt, der muss seinen Hund womöglich im Tierheim abgeben oder aber er muss sich das Geld für Hundefutter im wahrsten Sinne des Wortes vom Munde absparen. Kurzum: Was Sie hier machen, ist eine große Bevormundung über materielle Not. Wissen Sie: Selbst nach dieser fragwürdigen Statistikmethode müssten die Regelsätze bei mindestens 560 Euro liegen, wenn man allein auf die bevormundenden Abschläge verzichtet. (Beifall bei der LINKEN) Ich sage eines in aller Deutlichkeit: Was diese Gesellschaft braucht, ist eine grundlegende Alternative zum HartzIV-System. Deswegen streiten wir als Linke für eine sanktionsfreie, individuelle Mindestsicherung in Höhe von 1 050 Euro. (Beifall bei der LINKEN) Um es zusammenzufassen: Andrea Nahles rechnet die Regelsätze nach Gutdünken klein. Als die SPD noch in der Opposition war, haben Sie all diese Tricks, als Ihre Vorgängerin Ursula von der Leyen sie angewandt hat, noch heftigst als Kleinrechnerei kritisiert. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Steht alles im Plenarprotokoll!) Das kann ich nachweisen. Es gibt entsprechende Zeitungsartikel, mir liegen Ihre Anträge und Redebeiträge vor. Heute wenden Sie die Tricks selber an. Ich finde, das ist schäbig. Das ist übler vorauseilender Gehorsam gegenüber der schwarzen Null von Herrn Schäuble. (Beifall bei der LINKEN) Ich komme zum Schluss. Wir als Linke werden uns nicht damit abfinden. Wir werden keine Ruhe geben, bis in diesem Land alle Menschen frei von Armut sind. Ja, Freiheit von Armut und Sanktionsfreiheit, das ist das Ziel, für das wir mit aller Entschiedenheit kämpfen. (Beifall bei der LINKEN) Nun geht es bei diesem Tagesordnungspunkt auch um Änderungen im Asylbewerberleistungsgesetz. Dazu kann ich aus Zeitgründen nichts mehr sagen. Ich will nur darauf hinweisen: Dieser Gesetzentwurf bringt etwas Schlimmes zum Ausdruck. Was Sie hier machen, das ist eine migrationspolitische Relativierung der Menschenwürde, und das werden wir als Linke heftigst kritisieren. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Jana Schimke hat als nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Jana Schimke (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jeder in unserem Land kann darauf vertrauen, bei Hilfebedürftigkeit durch den Staat und durch die Gemeinschaft unterstützt zu werden. Das ist das Selbstverständnis und die Grundlage unseres Sozialstaates. Das Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“ leitet unsere Institutionen bei der sozialen Unterstützung und Integration der Menschen in den Arbeitsmarkt. Doch auch in Zeiten einer guten Konjunktur, eines prosperierenden Arbeitsmarktes und eines stabilen Haushaltes gibt es Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind. Deshalb sind wir dazu angehalten, in aller Regelmäßigkeit die Standards der sozialen Sicherung in Deutschland zu überprüfen. Anlass dazu gibt uns die neue Einkommens- und Verbraucherstichprobe (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Verbraucherinnen sind auch dabei!) als wichtige amtliche Statistik über die Lebensverhältnisse privater Haushalte in Deutschland. In unserer heutigen Debatte betrifft dies Menschen, die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II, sogenannte Langzeitarbeitslose, und nach dem Sozialgesetzbuch XII beziehen. Darunter fallen unter anderem Rentner, die Grundsicherung beziehen, erwerbsgeminderte Menschen oder auch Personen in stationären Einrichtungen. Wir diskutieren zudem über Menschen, die durch Leistungen gemäß Asylbewerberleistungsgesetz unterstützt werden. Grundsätzlich bleibt festzuhalten, dass auch Bedürftige in unserem Land von der guten gesamtwirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Lage profitieren. Deshalb werden ab kommendem Jahr die Regelsätze im SGB II und im SGB XII um durchschnittlich 5 Euro erhöht. Für Kinder im Alter von 7 bis 14 Jahren werden wir die Regelsätze um 21 Euro anheben. Unser Ziel ist und bleibt, Kinder aus bedürftigen Familien zielgerichtet und durch eine chancengerechte Politik zu unterstützen; denn zu oft überträgt sich die Bedürftigkeit in Familien auf spätere Generationen. Das wollen und das müssen wir ändern. Bildung ist eine entscheidende Voraussetzung für den Weg in Arbeit und aus Hartz IV. Hier unterstützen unsere Behörden, zum Beispiel mit den Jugendberufsagenturen. Dabei muss man ganz nüchtern sagen – gestatten Sie mir diese Bemerkung am Rande meiner Ausführungen –, dass auch die Arbeit unserer Arbeitsvermittler in den Agenturen vor Ort immer mehr der Arbeit von Sozialarbeitern gleicht. Deshalb sind an dieser Stelle vor allen Dingen die Eltern gefragt. Sie tragen die Verantwortung dafür, staatliche Angebote für ihre Kinder in Anspruch zu nehmen. Meine Damen und Herren, auch die Regelsätze nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sind Gegenstand des vorliegenden Gesetzentwurfes. Man kann sicher sagen, dass wir in diesem und im letzten Jahr eine Vielzahl notwendiger Regelungen im Bereich der Asylpolitik auf den Weg gebracht haben. Das Ergebnis ist, dass wir heute das schärfste Asylrecht haben, das wir in der Bundesrepublik Deutschland je hatten. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Sind Sie auch noch stolz darauf?) Die Verfahren wurden beschleunigt und vereinfacht und Fehlanreize beseitigt. Seitdem erhalten Asylbewerber vorrangig Sach- statt Geldleistungen. Das berücksichtigen wir jetzt auch bei der Berechnung der Regelbedarfe. Wir werden die Regelsätze beim sogenannten notwendigen Bedarf – was ist das? das ist der Bedarf für Nahrung, für Kleidung, für die Unterkunft, für die Gesundheitspflege oder auch für Haushaltsprodukte – ab 2017 um durchschnittlich 17 Euro reduzieren. Denn gerade in den Sammelunterkünften – in ihnen leben nun einmal Menschen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen – (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Unglaublich, das Argument!) werden nicht alle notwendigen Leistungen von den Bewohnern selbst erbracht. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Echt? Und warum nicht?) Dazu zählen zum Beispiel die Kosten für das Wohnen, für Strom oder auch die Wohnungsinstandsetzung. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht das Argument in dem Gesetzentwurf!) Mit der Reduzierung des Regelsatzes beim notwendigen Bedarf schaffen wir somit Klarheit und auch mehr Gerechtigkeit im Sinne aller, die in Deutschland auf staatliche Hilfen angewiesen sind. Wohlgemerkt ist dies auch ein ganz konkretes Beispiel dafür, wie wir Fehlanreize in der bisherigen Asylpolitik reduzieren und abbauen. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: „Fehlanreize“? Aha! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Argument dürfen Sie nicht verwenden! Das sind also Fehlanreize? Mit dem Argument ist das eine verfassungswidrige Kürzung!) Meine Damen und Herren, ich möchte eindringlich davor warnen, die soeben erläuterten Anpassungen und Kürzungen zu kritisieren. Sozialpolitik ist immer etwas, was sich eine Gesellschaft leisten muss und sich auch leisten können muss. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Nein, nein, nein! Stellen Sie die Sozialpolitik jetzt etwa unter Haushaltsvorbehalt? – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das ist ja unglaublich!) Ich denke hier gerade an jene Menschen, die sie mit ihren Steuern und mit ihrem Einkommen ermöglichen. Die große Solidarität gegenüber Hilfebedürftigen, aber auch die sozialen Standards, die wir uns geben, sind eine Besonderheit unserer Gesellschaft. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Artikel 1 steht nicht unter Kostenvorbehalt!) Deshalb sollten wir alles dafür tun, dass es diese Solidarität auch morgen noch gibt. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, wir regeln im Gesetzentwurf aber nicht nur die Anpassung der jeweiligen Regelbedarfe. Vorgesehen ist auch eine Neuabgrenzung bei den Regelbedarfsstufen. So richtet sich der Umfang sozialer Unterstützung in Deutschland danach, wie viel Hilfe man tatsächlich benötigt. Besteht eine Ehe oder eine Lebensgemeinschaft oder gibt es andere Ressourcen, auf die man selbst zurückgreifen kann, ist der Bedarf an staatlicher Hilfe entsprechend geringer. So haben Menschen mit Behinderung, die bei ihrer Familie oder in einer Einrichtung leben, bisher einen geringeren Regelsatz erhalten als Alleinlebende. Das Bundessozialgericht hat uns beauftragt, das zu ändern. (Zuruf von der LINKEN: Schlimm, dass Sie dazu erst aufgefordert werden mussten!) Ich halte das für richtig. Denn Menschen mit Behinderung haben oft nicht die Wahl zwischen einem Leben in der Gemeinschaft oder als Alleinlebende. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Das haben wir Ihnen damals schon gesagt! Da haben Sie sich dagegen ausgesprochen!) Sie sind ein Leben lang auf die Hilfe anderer angewiesen. Strittig stellen möchte ich jedoch die Frage, ob Personen, die zwar nicht liiert sind, aber in einer Wohngemeinschaft leben, künftig wie Alleinlebende behandelt werden sollten. Konkret hätte dies zur Folge, dass Ehepaare und Lebenspartnerschaften einen geringeren Regelsatz erhalten und damit benachteiligt würden. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Ehe ist eine Einstandsgemeinschaft und keine WG! Das gibt es doch wohl nicht!) Jeder von uns weiß, dass das Leben in der Gemeinschaft – und zwar unabhängig davon, ob man verheiratet oder Single ist – immer Einsparungen mit sich bringt. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich weiß nicht, wie Sie in Ihren Wohngemeinschaften gelebt haben! Ich lebe mit meiner Frau anders!) Denken Sie an die geteilten Kosten für Strom und Kommunikation oder an die Möbel und Geräte in Küche und Bad. Wir sollten deshalb davon absehen, eine Regelung zu treffen, die in der Sozialgesetzgebung eine Privilegierung von Alleinstehenden in einer Wohngemeinschaft gegenüber Lebenspartnerschaften bedeutet. Auch das werden wir in den anstehenden Beratungen thematisieren. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da müssen wir die CDU noch über die Ehe aufklären! Das gibt es ja gar nicht! Alter Schwede!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen als nächster Redner das Wort. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Schimke, Sie haben die Kürzungen im Asylbewerberleistungsgesetz eben mit dem Abbau von Fehlanreizen begründet. Das möchte ich im Protokoll deutlich vermerkt haben. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Ja! Das fand ich sehr entlarvend!) Wenn das die Begründung ist, dann ist die Änderung verfassungswidrig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gemacht, dass die Festlegung der Höhe der Regelsätze nicht von migrationspolitischen Überlegungen geleitet sein darf. Denn es handelt sich hier um ein Grundrecht: um ein Grundrecht auf Existenzsicherung und ein Grundrecht auf soziale und kulturelle Teilhabe. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Es ist das Ziel der Grundsicherung, soziale und kulturelle Teilhabe zu ermöglichen. Vielleicht noch eine Vorbemerkung, weil sowohl Katja Kipping als auch Jana Schimke sich so ausgedrückt haben, als wären HartzIV-Empfänger überwiegend Langzeitarbeitslose. Dem ist nicht so. Nur eine Minderheit der HartzIV-Beziehenden sind Langzeitarbeitslose. Es gibt sogar mehr Erwerbstätige als Langzeitarbeitslose, die Hartz IV beziehen. Diese Gruppe ist deutlich größer als die Gruppe der Langzeitarbeitslosen. Insgesamt beziehen fast 8 Millionen Menschen Grundsicherungsleistungen. Darum geht es heute. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Das habe ich doch gesagt!) Ich habe gesagt: Ziel muss es sein, soziale und kulturelle Teilhabe zu ermöglichen. Die Bundesregierung macht genau das Gegenteil. Vielleicht kurz für die Zuschauerinnen und Zuschauer auf den Tribünen und diejenigen, die sich die Debatte später ansehen: Die Idee des Statistikmodells, das hier angewandt wird, ist eigentlich relativ einfach. Man betrachtet die Ausgaben einer Gruppe von Menschen, die etwas mehr als Grundsicherung haben, also gerade so im untersten Teil der Einkommensverteilung liegen, die keine Grundsicherung beziehen. Anhand ihrer Ausgaben soll der neue Regelsatz berechnet werden. Das ist die Grundidee des Statistikmodells. Die Bundesregierung schlägt jetzt vor – wir als Parlament müssen das noch ausführlich beraten –, dass das Einkommen dieser Referenzgruppe erst einmal dadurch reduziert wird, dass nun auch noch Personen in der Gruppe sind, die Grundsicherung beziehen. Dadurch wird das Einkommen also schon ein bisschen geringer. Dann sollen Personen zur Gruppe gehören, die Anspruch auf Grundsicherung haben, diesen Anspruch aber nicht wahrnehmen, also noch weniger als Grundsicherung haben. Dadurch wird das Einkommen der Referenzgruppe noch einmal geringer. Dabei bleibt es nicht. Von den Ausgaben, die diese Gruppe hat – Katja Kipping hat schon gesagt, dass es eine Gruppe ist, die im Durchschnitt ein Einkommen an der Armutsgrenze oder sogar darunter hat –, werden noch Ausgaben abgezogen. Das hat das Bundesverfassungsgericht erlaubt, obwohl es methodisch eigentlich fragwürdig ist. Es hat dabei aber enge Grenzen gesetzt. Was die Bundesregierung vorschlägt, ist eine wahre Kürzungsorgie: Zimmerpflanzen, Haustiere, Gartenpflege, Weihnachtsbaum, Handy, Taschen, Regenschirme, Adventsschmuck, das Speiseeis im Sommer, Fotografien, Campinggeräte, Malstifte für Kinder in der Freizeit, Kleidung für Familienfeste usw. usw. Sie ermöglichen nicht soziale Teilhabe, sie verhindern soziale Teilhabe mit dem, was Sie hier vorschlagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich könnte jetzt noch diverse weitere Themen ansprechen. Die Kürzung bei den Leistungen für Asylbewerber wurde schon angesprochen. Es handelt sich um eine Kürzung um 10 Prozent, die meines Erachtens nicht vernünftig begründet ist. Frau Schimke hat deutlich gesagt, was der eigentliche Grund ist, nämlich der Abbau von Fehlanreizen. Das darf nicht sein. Die Stromkosten werden im Regelsatz nicht vernünftig abgedeckt. Das hat das Bundesverfassungsgericht angemahnt und wird jetzt in vielen Stellungnahmen erwähnt. Sie werden in der EVS nicht ausreichend ermittelt. Sie sollten separat vom Regelsatz behandelt werden. Das Problem, dass HartzIV-Empfänger auch einmal einen kaputten Kühlschrank oder eine kaputte Waschmaschine haben, ist nicht gelöst. Für das Problem der sogenannten Weißen Ware bräuchten wir auch eine Lösung. Der Umgangsmehrbedarf für Kinder, die bei Eltern, die getrennt leben, aufwachsen, wird nicht abgedeckt; da ist das Existenzminimum nicht gesichert. Das Bildungs- und Teilhabepaket müsste eigentlich komplett reformiert und verändert werden. Auch das wird nicht angegangen. Die Regelbedarfsstufen sind schon angesprochen worden. Das ist völlig unsystematisch. Es gibt viele Punkte in diesem Gesetzentwurf, die unbedingt geändert werden sollten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich will noch einmal zum Kern zurückkommen, nämlich zum Regelsatz. Was müsste gemacht werden? Es müsste eine Referenzgruppe betrachtet werden ohne diese Zirkelschlüsse, die Sie machen – so sagt man es technisch –, also eine Referenzgruppe, bei der klar ist, dass sie keine Grundsicherungsbeziehenden und dass sie keine verdeckten Armen umfasst; die Personen in der Referenzgruppe sollten etwas mehr haben als die derzeitigen Bezieher von Grundsicherung. Dann darf diese Kleinrechnerei der Ausgaben nicht so stattfinden, wie Sie das gemacht haben. Wenn wir das so machen würden, dann hätten wir endlich wieder eine Grundsicherung, die das schafft, wofür sie eigentlich da ist, nämlich Armut zu bekämpfen und soziale und kulturelle Teilhabe zu ermöglichen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Dagmar Schmidt hat als nächste Rednerin für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]) Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD): Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst möchte ich einmal aus meiner Sicht einordnen, worüber wir hier heute reden. Wir haben in der Großen Koalition große Sozialreformen gemacht und machen sie noch: Mindestlohn, Rente, Bundesteilhabegesetz und Bekämpfung der Leiharbeit. Eine grundlegende Reform der Regelbedarfe machen wir nicht. Eine grundsätzliche Neufassung findet mit dem Gesetzentwurf nicht statt. Die Anmerkungen, die Kritik des Bundesverfassungsgerichts wurde aufgenommen, und eine Reihe von Verbesserungen wurde erzielt. Frau Staatssekretärin Lösekrug-Möller hat darauf hingewiesen. Aber es gilt das Struck’sche Gesetz. Wir möchten noch an einigen Stellen Verbesserungen erzielen. Uns geht es dabei vor allem um konkrete Probleme, die Menschen im Transferleistungsbezug haben. Da ist zum Beispiel die sogenannte Erstrentenproblematik. Menschen, die vom Sozialhilfe- oder Arbeitslosengeld-I-Bezug in die Rente wechseln, müssen einen Monat überbrücken, denn Ersteres wird vorschüssig gezahlt und die Rente erst am Ende des Monats. Das Problem müssen wir lösen. Auch gibt es oftmals Probleme – Herr Strengmann-Kuhn hat es angesprochen – mit der Weißen Ware. Waschmaschinen und Kühlschränke verursachen einmalig hohe Kosten, wenn sie neu angeschafft werden müssen. Eigentlich ist vorgesehen, dass für diesen Fall aus dem Regelsatz angespart werden soll, aber jeden Monat etwas zurückzulegen, beiseitezulegen, das gelingt nur schwer oder gar nicht. Es ist inakzeptabel, dass eine alleinerziehende Mutter ohne Waschmaschine und Kühlschrank zurechtkommen soll. Auch dafür brauchen wir eine Lösung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ein anderes Problem entsteht, wenn die Stromkosten steigen, eine Anpassung an die Preise aber erst im Folgejahr stattfindet. Auch das darf nicht dazu führen, dass Menschen der Strom abgeschaltet wird. Deswegen haben wir Erleichterungen für Direktzahlungen erreicht. Sprich: Das Geld wird direkt vom Jobcenter überwiesen, wenn das Konto nicht gedeckt ist. Es muss aber auch möglich werden, die Nachzahlung zu begleichen. Wir könnten uns für alle diese Fragen erleichterte Darlehensregelungen vorstellen, die die Betroffenen zwar nicht aus der Verantwortung lassen, sie aber auch nicht überfordern. Ein weiterer Punkt, der uns wichtig ist, ist die Mobilität im ländlichen Raum. Wie können wir erreichen, dass Menschen auch dort mobil bleiben, wo es einen schlechten oder gar keinen öffentlichen Personennahverkehr gibt, wenn sie also nicht nur mit Blick auf die Erwerbstätigkeit auf einen Pkw angewiesen sind, sondern auch zur Bewältigung des ganz normalen Alltaglebens? Ein weiteres und sehr wichtiges Thema ist der Umgangsmehrbedarf für Alleinerziehende. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Da mussten wir euch ganz schwer zum Jagen tragen!) Wir wollen nicht, dass der Umgang mit dem anderen Elternteil dazu führt, dass die Mutter – meistens ist es ja die Mutter – finanzielle Einbußen hat. Jeder weiß, dass es mehr kostet, wenn Kinder bei getrennt lebenden Elternteilen aufwachsen. Dem wollen wir Rechnung tragen. (Beifall bei der SPD) Ein weiterer Punkt, der die Kinder betrifft, ist folgender: Bisher ist es leider gängige Praxis, dass aus dem Bildungs- und Teilhabepaket nur Nachhilfe bezahlt wird, wenn das Kind akut davon bedroht ist, sitzen zu bleiben. Wir würden gerne klarstellen, dass auch dann, wenn die Chance besteht, dass das Kind sich verbessert, vom B- in den AKurs, von der Realschule aufs Gymnasium kommt, eine Unterstützung möglich wird. (Beifall bei der SPD – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kann man jetzt schon machen! Das wäre gut! Dafür brauchen wir kein Gesetz!) – Ja, aber es wird nicht gemacht. Die Länder, auch die, in denen Sie regieren, machen es leider nicht. Die sind für die Umsetzung verantwortlich. Wir wollen das im Gesetz deutlich klarstellen, damit die Länder den Hinweis verstehen – auch die, in denen die Grünen mitregieren –, dass man auch die unterstützen kann, die aufsteigen wollen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In NRW ist das kein Problem!) Gerade bei den Kindern gibt es noch einen großen Handlungsbedarf. Jedes siebte Kind lebt in Armut oder ist von Armut bedroht. Immer noch hängt der Bildungserfolg vom Einkommen der Eltern ab. Wir werden mit den Verbesserungen beim Unterhaltsvorschuss für Alleinerziehende schon einiges erreichen. Hier ist nicht nur der Bund gefragt, sondern genauso die Länder und Kommunen. Wir brauchen eine verbesserte soziale Infrastruktur: Ganztagsschulen, kleine Klassen, gemeinsames Lernen, aber auch eine bessere Ausstattung der Kinder- und Jugendhilfe, des Erfolgsprogramms „Soziale Stadt“ und vieles mehr. Da haben wir, Bund, Länder, Kommunen, noch einen weiten Weg vor uns, aber Chancengleichheit für alle Kinder herzustellen, bleibt unser Ziel. (Beifall bei der SPD) Ich fasse zusammen: Wir haben keine grundsätzlichen Veränderungen vorgenommen, aber Verbesserungen erreicht. Wir wollen im Rahmen der Beratungen noch weitere Verbesserungen erzielen, die die konkreten Probleme lösen. Mit der Bekämpfung von Kinderarmut und der Herstellung von Chancengleichheit haben wir noch drängende und große Aufgaben vor uns, an denen ich gerne mit allen in diesem Haus weiterarbeiten möchte. Glück auf! (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Professor Dr. Matthias Zimmer für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man am Schluss einer Debatte zu Wort kommt – nicht ganz, es kommen ja noch zwei Redner –, (Daniela Kolbe [SPD]: Danke! – Heiterkeit) ist man doch sehr versucht, auf die Argumente der vorherigen Rednerinnen und Redner einzugehen, was ich an dieser Stelle auch einmal machen will. Frau Kollegin Schmidt, wir hatten ein sehr konstruktives Gespräch über die Punkte, die Sie angesprochen haben. Ich bin eigentlich sehr zuversichtlich, dass wir da zu einer Einigung kommen werden, weil wir viele Dinge ganz ähnlich sehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zweiter Punkt. Ich höre dem Kollegen Strengmann-Kuhn immer sehr gerne zu und möchte eine Anmerkung zu dem machen, was er gesagt hat. Es geht um die Weiße Ware. Er hat recht: Es ist ein Problem, dass die Betroffenen Waschmaschinen und ähnliche Dinge nicht per Zuschuss bekommen, sondern dafür über ein Ansparmodell selbst ansparen müssen, was in der Regel vermutlich den wenigsten gelingen wird. Das hängt aber, lieber Kollege Strengmann-Kuhn, sehr ursächlich mit einer Gesetzesänderung zusammen, die Rot-Grün im Jahr 2005 zu verantworten hatte; denn das ist damals eingeführt worden. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist richtig! Wir lernen auch manchmal dazu!) Da das Sein das Bewusstsein bestimmt (Dagmar Schmidt [Wetzlar] [SPD]: Das gesellschaftliche Bewusstsein!) – das gesellschaftliche Bewusstsein; vielen Dank –, wünsche ich mir, dass die Lernerfolge, die es in der Opposition gibt, auch bei einigen anderen Dingen noch etwas stärker ausgeprägt sein mögen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auf einen Punkt sollte man noch einmal hinweisen, nämlich auf die Berechnung der Regelsätze. Wenn ich in die Anlage zum Gesetzentwurf schaue, habe ich schon den Eindruck, dass man sich sehr große Mühe gegeben hat, das alles methodisch sauber abzuleiten. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben sich stets bemüht!) Mir ist auch völlig klar, dass es in der Wissenschaft sehr unterschiedliche Ansätze gibt, wie man das sauber berechnet. Ich glaube aber, eines sollte man nicht machen – das hat der Kollege ja auch nicht getan –: Wir sollten denjenigen, die diesen Gesetzentwurf vorbereitet und mit wissenschaftlicher Expertise eine Berechnung durchgeführt haben, nicht die Wissenschaftlichkeit abstreiten. Das wäre sicherlich nicht richtig. Ebenso wenig sollten wir uns darüber aufregen, dass das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber einen Ermessensspielraum gegeben hat. Diesen Ermessensspielraum hat das Ministerium bei der Formulierung des Gesetzentwurfs genutzt. Es hat nicht den höchstmöglichen Regelbedarf zugrunde gelegt, sondern vernünftige Abschläge formuliert. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Vernünftig“? Darüber kann man sehr streiten!) Ich glaube, insgesamt ist etwas herausgekommen, was angemessen und vertretbar ist. Meine Damen und Herren, ich möchte auch noch eine Bemerkung zu Ihnen, Frau Kipping, machen, weil mich Ihre Ausführungen etwas verwundert haben. Sie sprachen von den 8,5 Millionen (Katja Kipping [DIE LINKE]: Indirekt Betroffenen!) indirekt Betroffenen, die über das SGB II Leistungen beziehen. Frau Kipping, wenn wir den Regelsatz deutlich erhöhen würden, so wie Sie das wollen – sagen wir einmal: auf 560 Euro –, hätten wir das große Problem, dass es dann nicht nur 8,5 Millionen, sondern weit über 10 Millionen Berechtigte geben würde, weil natürlich auch andere Anspruch auf diese Leistungen hätten und in die Gruppe der Bezieher fallen würden. Dann müssten wir uns von Ihnen anhören, dass durch unsere Politik die Armut in Deutschland steigt. Das finde ich eine ziemlich verrückte Nummer. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Katja Kipping [DIE LINKE]: Herr Zimmer, das ist echt unter Ihrem Niveau! Sie wissen, dass ich weiß, wie man die Armutsrisikogrenze berechnet!) – Frau Kipping, ich weiß nicht, ob Sie auch einmal das Zuhören gelernt haben. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Ach, Herr Zimmer! Sie wissen, dass wir gerade keine Kurzinterventionen machen, und stellen die Sachen falsch dar!) Wir haben es hier mit einer Rationalitätenfalle zu tun, die von Ihnen sehr populistisch genutzt wird. Das finde ich eigentlich sehr schade. (Beifall der Abg. Kerstin Griese [SPD] – Abg. Katja Kipping [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage) – Nein, heute möchte ich sie nicht zulassen. Ich will noch einen Gedanken aufgreifen, den Jana Schimke formuliert hat. Es geht um die Frage, ob wir mit den Regelbedarfsätzen Eltern bzw. Familien diskriminieren. Ich glaube, das ist hier der Fall; wir müssen uns noch sehr genau darüber unterhalten. Mit diesem Gesetzentwurf ist die Regelbedarfsstufe 2 in der Regel für die Betroffenen vorgesehen, die einen gegenseitigen Einstandswillen bekundet haben, während für die „unabhängigen Erwachsenen“ die Regelbedarfsstufe 1 vorgesehen ist, in der mehr gezahlt wird. Ich glaube, das ist der falsche Weg. Das wäre, wenn man es überspitzt formulieren wollte, der endgültige Sieg der Kommune über das Elternhaus. Das halte ich für familienpolitisch falsch und für gesellschaftspolitisch hoch bedenklich. Meine Damen und Herren, ich glaube, wir haben hier in Bezug auf die Berechnung der Regelsätze einen insgesamt ausgewogenen Gesetzentwurf vorgelegt. Im parlamentarischen Verfahren haben wir aber, wie die Kollegin Schmidt es formuliert hat, noch einiges zu tun. Ich bin zuversichtlich, dass wir das in der dafür vorgesehenen Zeit schaffen werden und zum 1. Januar 2017 die neuen Regelsätze in Kraft treten lassen können. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Daniela Kolbe hat als nächste Rednerin für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Daniela Kolbe (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn die Deutsche Post die Portogebühren anhebt oder die Deutsche Bahn und die Leipziger Verkehrsbetriebe die Fahrkartenpreise erhöhen, dann müssen wir alle miteinander tiefer in die Tasche greifen und mehr Geld bezahlen. Das ist natürlich für diejenigen, die auf Hilfe angewiesen sind, besonders spürbar. Deswegen ist es richtig und gut, dass es regelmäßig eine Einkommens- und Verbrauchsstichprobe gibt, dass es Menschen gibt, die sich bereit erklären, all ihre Einkäufe zu notieren, anhand dessen wir berechnen können, was die unteren Einkommensschichten ausgeben. Entsprechend können wir die Leistungssätze anpassen. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht so, wie es nötig wäre!) Das gilt auch für Geflüchtete und Geduldete, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bekommen. Das hat jedenfalls das Bundesverfassungsgericht 2012 in seinem Urteil klargestellt. In der Begründung, Frau Schimke, steht – ich habe gerade einmal hineingesehen –, dass einem jeden nach dem Grundgesetz ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums zusteht. Ich muss sagen: Darauf bin ich sehr stolz. Ich finde es gut und richtig, dass wir das in Deutschland so handhaben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Berechnung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ist geringfügig anders. Außerdem wird dort zwischen notwendigem Bedarf, etwa für Wohnen und Essen, und persönlichem Bedarf, etwa für kulturelle Aspekte, unterschieden. Was genau ändern wir jetzt im Asylbewerberleistungsgesetz? Die Leistungen werden zunächst einmal nach der EVS angepasst, also nach oben. Wir hatten in der Koalition im Rahmen des Integrationsgesetzes vereinbart, den notwendigen Bedarf anders zu regeln und die Bedarfe für Strom und Wohnungsinstandhaltung aus dem Leistungssatz auszugliedern, wie das schon beim Hausrat der Fall ist. Das heißt, die Leistungen werden als Sachleistungen erbracht und sind nicht mehr im Regelsatz enthalten. Es wird eine neue Bedarfsstufe für erwachsene Leistungsberechtigte geschaffen, die in Sammelunterkünften untergebracht werden. Erwachsene unter 25 Jahren, die unverheiratet sind und bei ihren Eltern leben, kommen in die Bedarfsstufe 3. Wir haben endlich – darüber freue ich mich sehr – die Ehrenamtspauschale für Asylsuchende umgesetzt. Mit Inkrafttreten des Gesetzes dürfen Geflüchtete bis zu 200 Euro, die sie als Ehrenamtspauschale erhalten, wenn sie zum Beispiel im Fußballverein Jugendliche trainieren, behalten. Dadurch haben wir einen Gleichklang mit dem SGB II. Damit wird die Integrationsleistung, die von ganz vielen, die zu uns gekommen sind, erbracht wird, gewürdigt. Ich finde es richtig toll, dass wir das umsetzen werden. (Beifall bei der SPD) Wir werden sicher einiges noch diskutieren müssen, insbesondere die neue Bedarfsstufe. Da habe ich persönlich noch einige Fragen. Immerhin reden wir darüber, dass Menschen nicht freiwillig mit vielen anderen Menschen anderer Nationen zusammenleben. Wie genau hier Synergien aussehen könnten, fände ich spannend, zu diskutieren. Ich möchte nicht, dass wir diejenigen Kommunen über höhere Leistungssätze bestrafen, die die Menschen dezentral, also, damit sie sich besser integrieren können, in Wohnungen unterbringen. Ich fände es gut, wenn wir hierüber noch einmal in die Diskussion miteinander gingen, um keine Fehlanreize zu setzen. Ich will das, worüber wir reden, ins Verhältnis setzen: Im Vergleich zu den aktuellen persönlichen Bedarfen werden die Menschen in der neuen Bedarfsstufe 4 Euro weniger erhalten. Sie werden also weniger Leistungen bekommen und auch von der Steigerung in der Regelbedarfsstufe 1 nicht profitieren. Wir reden hier also über 4 Euro. Es gab in den Stellungnahmen noch einige andere Kritikpunkte. Es wurde befürchtet, dass UMAs und minderjährige Mütter durch das Gesetz schlechtergestellt würden. Diese Sorge ist mittlerweile ausgeräumt; das will ich ganz deutlich sagen. Darüber freue ich mich sehr. Ansonsten haben wir hier, denke ich, eine gute Grundlage für intensive Diskussionen, die es ja noch braucht. Darauf freue ich mich. Ich freue mich auch auf die zweite und dritte Lesung hier im Plenum. Schönes Wochenende Ihnen! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als letzter Redner in dieser Aussprache hat Matthäus Strebl für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Matthäus Strebl (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Nachdem sich meine Kollegin Schimke und mein Kollege Zimmer ausführlich mit der Ermittlung der Regelbedarfe nach dem Sozialgesetzbuch II und dem Sozialgesetzbuch XII befasst haben, möchte ich einige Worte zu den geplanten Änderungen des Asylbewerberleistungsgesetzes sagen. Betroffen sind hier insbesondere Asylbewerberinnen und Asylbewerber, Geduldete und vollziehbar Ausreisepflichtige. Auch für diese Leistungen spielt die neue Einkommens- und Verbrauchsstichprobe aus dem Jahr 2013 eine signifikante Rolle. Die Leistungen werden aufgrund dieser Stichprobe ermittelt und nicht einfach wahllos festgelegt. Die Leistungen passen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf an. Mit dem Gesetzentwurf tragen wir insbesondere dem Umstand Rechnung, dass die Leistungen für Erwachsene in Sammelunterkünften geringer ausfallen. Es ist davon auszugehen, dass das gemeinsame Zusammenleben in Sammelunterkünften Einspareffekte ermöglichen kann. Ich halte es für sinnvoll, ja, ich halte es für nachvollziehbar, dass bei einzelnen Leistungen differenziert werden muss, ob jemand in einer Gemeinschaftsunterkunft oder in einer Wohnung lebt. Deshalb besteht hier für die Asylbewerber eine abweichende Bedarfslage. Diese Bedarfslage findet sich zukünftig in der Regelbedarfsstufe 2 wieder. Ich begrüße es außerordentlich, dass die in Bayern weitverbreitete Praxis von mehr Sachleistungen nun auch bundesweit praktiziert werden kann. Mit den Änderungen fördern wir auch die ehrenamtliche Tätigkeit von Asylbewerbern. Durch die Freibetragsregelung werden sie ermutigt, sich in die Gesellschaft einzubringen und gleichzeitig Sprache und Kultur kennenzulernen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt die Gelegenheit nutzen, einige Sätze zur Situation von geflüchteten Menschen allgemein zu sagen. Wir alle wissen, dass die Bürgerkriege und die politischen Krisen in anderen Staaten und Regionen Konsequenzen nicht nur, aber auch für Deutschland haben. Deutschland wird dadurch in den nächsten Jahren vor besonderen Herausforderungen stehen. Viele Menschen sorgen sich, ob wir diese Herausforderungen meistern können. Es besteht Unsicherheit, ob es Deutschland weiterhin gut gehen wird und wie sich das Land verändern wird. Ich kann diese Sorgen der Menschen gut nachvollziehen. Aber gerade deshalb sind wir verpflichtet, die Veränderungen richtig zu gestalten und den Rechtspopulisten entgegenzuwirken. Gute Sprachkenntnisse – um auf das Thema zu kommen – und Teilnahme am Arbeitsmarkt sind zweifelsfrei unerlässliche Schlüssel für eine erfolgreiche Integration. Zwischenzeitlich wurden durch die Bundesagentur für Arbeit und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Angebote für die speziellen Bedürfnisse der Zielgruppen weiterentwickelt und die Kapazitäten angepasst. Natürlich gibt es regionale Engpässe und Möglichkeiten zur Verbesserung. Inzwischen wird den Flüchtlingen aber ein großes Angebot an Kursen unterbreitet. Ich möchte nur nennen: normale Integrationskurse, Alphabetisierungskurse, Frauenintegrationskurse, Jugendintegrationskurse, berufsbezogene Deutschsprachförderung und viele andere. Durch die Regelung des § 421 im Sozialgesetzbuch III hat die Bundesagentur für Arbeit die Möglichkeit, auch Asylbewerberinnen und Asylbewerbern mit guter Bleibeperspektive Sprachkurse anzubieten. Bis zum letzten Monat haben über 190 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer diese Kurse besucht. Das beweist, dass die Maßnahmen zu greifen beginnen. Eine erfolgreiche Integration von Flüchtlingen – diese Aufgabe muss und wird gelingen. Den Grundsatz aus dem Sozialgesetzbuch II „Fordern und Fördern“ halte ich auch hier für angebracht und vollkommen richtig. Die Änderungen des Asylbewerberleistungsgesetzes werden dazu beitragen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 18/9984 und 18/9985 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Katja Dörner, Ulle Schauws, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Damit Kinder gut aufwachsen – Kinderschutz und Prävention ausbauen Drucksache 18/9054 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Innenausschuss Sportausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Gesundheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Frau Dr. Franziska Brantner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen als erster Rednerin in dieser Aussprache das Wort. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Damen und Herren! Wir reden heute über Kinderschutz und Möglichkeiten, Kinder in diesem Land besser zu schützen vor all den grausamen Dingen, die wir hier immer nur wahrnehmen, wenn es wieder einzelne Fälle gibt, die in den Medien aufpoppen; dann sind sie Gesprächsthema, verschwinden danach aber auch wieder. Wir haben gesagt: Wir setzen das Thema auf die Tagesordnung, auch wenn es gerade keinen schlimmen Fall gibt, weil wir wollen, dass man präventiv und rechtzeitig bessere Strukturen erarbeitet. Nach Aussagen des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs könnten in Deutschland rund 1 Million Kinder von sexualisierter Gewalt betroffen sein. Das ist fast jedes zehnte Kind. Man muss sich das einmal vorstellen: fast jedes zehnte Kind. Das ist eine Zahl, die wir nicht hinnehmen wollen. Wir sagen: Da müssen wir unserer Verantwortung besser gerecht werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Gewalt oder Vernachlässigung prägen die Kinder ihr Leben lang. Das bleibt. Das, was mit den Kindern geschieht, tragen sie ihr Leben lang mit sich. Nachdem der runde Tisch seine Arbeit abgeschlossen hatte, wurde das Bundeskinderschutzgesetz verabschiedet. Dann wurde das Bundeskinderschutzgesetz evaluiert. Diese Evaluierung hat eindeutig gezeigt: Es gibt enormen Handlungsbedarf; denn zwischen den gesetzlichen Regelungen und der Praxis vor Ort klaffen weiterhin riesige Lücken. Eine der größten Baustellen ist nach wie vor die Zusammenarbeit zwischen der Kinder- und Jugendhilfe und dem Gesundheitswesen. Es wurde von Anfang an gesagt, dass es dabei Schwierigkeiten gibt. Jetzt haben wir evaluiert und sehen: Es gibt immer noch große Schwierigkeiten. Da wollen wir ansetzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir wissen, dass es nicht immer einfach ist, diese Kooperation verbindlich zu gestalten, die Ressourcen zu den richtigen Akteuren zu bekommen und die Vernetzung zu garantieren. Wir haben uns deswegen mit den Gesundheitspolitikern unserer Fraktion zusammengesetzt und miteinander gerungen. Wir haben gemeinsam nach Möglichkeiten gesucht, die umsetzbar und praktikabel sind. Wir fordern, die Beteiligung von Vertretern der Ärzteschaft in kommunalen und landesweiten Gremien verbindlicher zu gestalten. Uns schwebt analog zur Sozialpsychiatrie-Vereinbarung eine Vereinbarung zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vor. Wir haben lange überlegt, wie wir Möglichkeiten schaffen können, an dieser Netzwerkarbeit teilzunehmen. In der Sozialpsychiatrie-Vereinbarung, die es schon gibt, werden Anforderungen an die Qualität der Behandlung definiert; es gibt aber auch eine Aufwandspauschale. Das ist auch die Idee für diesen Bereich: Wir wollen Qualität definieren; dafür gibt es aber auch eine Aufwandspauschale. Netzwerkarbeit ist nicht einfach so nebenbei zu leisten, sondern ist auch Arbeit und gehört deswegen als solche berücksichtigt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie sich dieser Forderung anschließen und wir darüber hier gemeinsam diskutieren könnten. Wir haben auch über den Tellerrand geschaut, nach Österreich. Die Kinderschutzgruppen, die dort eingerichtet wurden, halten wir für sehr vielversprechend. Diese Gruppen sind direkt an den Kliniken tätig, um Kindern bei Verdacht auf Gewalt, Missbrauch und Vernachlässigung Hilfe und Schutz anzubieten. Sie übernehmen die Schnittstellenfunktion zwischen medizinischem Personal, Sozialarbeit, Jugendämtern und anderen Institutionen. Wir halten die Kinderschutzgruppen in Österreich für ein gutes Modell, mit dem wir diese Schnittstellenfunktion auch bei uns umsetzen können. Wichtig sind auch – dieser Punkt wurde in der Evaluierung immer wieder angemahnt – verpflichtende Weiterbildungs- und Qualifizierungsangebote für alle Fachkräfte nicht nur im Gesundheitswesen, sondern auch für Richter, Verfahrensbeistände und alle, die in diesem Bereich tätig sind – wichtig ist auch, bei den Gutachtern mit den Standards voranzukommen –, damit es in den Berufsgruppen, die mit Kindern in diesem Bereich zu tun haben, endlich die entsprechende Qualifikation gibt. Das ist zurzeit nicht sichergestellt, und dafür müssen wir sorgen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Eine weitere Forderung in unserem Antrag ist – das hat auch der Bundesbeauftragte schon mehrfach angemahnt –, dass Kinder nur einmal befragt werden. In vielen Ländern ist es schon Usus, dass es – statt mehrfach und mit unterschiedlichen Akteuren – nur einmal und dann auch gemeinsam zu einer Befragung kommt. Ich glaube, diesen Anspruch überall vor Ort realisieren zu können, ist mittlerweile ein internationaler Standard, den wir auch in Deutschland umsetzen sollten. Wir müssen uns auch dringend für die Prävention einsetzen. Hier geht es um die Frage von Kinderrechten. Kinder müssen ihre Rechte nicht nur kennen, sondern sie auch verinnerlichen und leben können. Sie müssen wissen, wie stark sie sind und an wen sie sich wenden können, wenn ihnen etwas nicht passt. Das fängt in der Kita an mit dem Wissen: Ich kann mich beschweren; das ist okay. Ich darf etwas sagen, und danach gibt es hoffentlich sogar eine positive Reaktion. – Kinderschutz fängt an, wenn Kinder erfahren: Ich kann mich beschweren. Ich darf meine Meinung äußern. Ich weiß, an wen ich mich wenden kann. – Das ist die beste Präventionsarbeit. Diese Stärkung von Kindern müssen wir gemeinsam voranbringen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Zum Schluss will ich einen Punkt noch kurz ansprechen. Wir wissen, es ist auch immer eine Geldfrage. Die Beratungsstellen vor Ort brauchen eine sichere und kontinuierliche Finanzierung und wesentlich mehr Geld. Insofern sollten wir über die gesetzlichen Regelungen hinaus auch entsprechende Mittel zur Verfügung stellen, damit sie diese Arbeit vor Ort leisten können. Sie sind häufig die Lebensretter von Kindern und ihren Familien, und wir müssen sie stärken. Sie sind häufig überlastet und haben nicht genügend Ressourcen. Dabei machen sie unglaublich viel für uns und unsere Zukunft, damit hier alle gut aufwachsen können. Ich danke Ihnen und freue mich auf die Beratungen in den Ausschüssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Marcus Weinberg hat für die CDU/CSU-Fraktion als nächster Redner das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich ebenfalls auf die Beratungen, weil Sie – das ist ein Kompliment an die Grünen, an Frau Brantner – tatsächlich auch für uns in weiten Teilen wichtige Themen angesprochen haben. Wir werden noch viel darüber debattieren und überlegen, wo wir noch Handlungsansätze weiterentwickeln. Insofern haben Sie einen interessanten Antrag vorgelegt. Einen Satz finde ich besonders gut: In den zurückliegenden Jahren hat sich der Kinderschutz erheblich weiterentwickelt. Das ist ein Ergebnis der Arbeit der Großen Koalition. Dass Sie das bestätigen, sehe ich als Erfolg unserer Arbeit an. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Was haben wir erreicht? Sie haben vieles angesprochen. Ich will das gerne wiederholen. Anfang 2016 wurde die Aufarbeitungskommission beim Unabhängigen Beauftragten für sexuellen Kindesmissbrauch eingerichtet und damit erstmals – ich glaube, das ist wichtig – eine auf nationaler Ebene angesiedelte unabhängige Kommission. Sie haben das Sachverständigenrecht und die Qualifizierung der Gutachter angesprochen. Das war uns auch besonders wichtig, gerade mit Blick auf die Bedeutung, die Sachverständige und Gutachter im Familienrecht haben; denn sie entscheiden über ihre Gutachten darüber, was mit einem Kind passiert. Insoweit war und ist es wichtig, dass wir mit der Änderung des Sachverständigenrechts den richtigen Weg eingeschlagen haben. Wir diskutieren zurzeit sehr intensiv und auch manchmal etwas strittig über eine Studie zum Thema Kindeswohl, die uns wichtig war, weil wir unabhängig und objektiv erkennen müssen, wie es Kindern nach Trennungen geht und was sie danach erleben. Ich glaube übrigens, dass in dem Bereich Kinderschutz der Komplex Forschung noch unterentwickelt ist. Ich halte sehr viel davon, immer genau zu wissen, was passiert, um die richtigen Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Das Bundeskinderschutzgesetz wurde angesprochen. In weiten Teilen konnten wir schon Erkenntnisse umsetzen. Sie haben die Teamarbeit zwischen den im Kinderschutz und in der Jugendhilfe tätigen Gruppen angesprochen. Für die Union kann ich sagen, dass wir, weil das auch unser Gedankengang war, mit der Kinderschutz-Hotline, glaube ich, das Richtige auf den Weg gebracht haben. Was ist denn wichtig bei der Vernetzung von Jugendhilfe und Gesundheit? Wichtig ist, denjenigen, die mit Kindern arbeiten, und denjenigen, die den Auftrag haben, zu überprüfen, was den Kindern passiert ist – gab es eine Vernachlässigung, gab es einen Missbrauch oder Ähnliches? –, die größtmögliche Unterstützung anzubieten. Ein Arzt in einer Notfallambulanz am Wochenende muss, wenn ein Kind zu ihm kommt, das erkennbar eine Verletzung hat, beraten werden: Wie geht es weiter? Wie kann er mit der rechtsmedizinischen Analyse medizinisch beraten werden? Es geht auch um die Frage: Was muss Jugendhilfe leisten? – Viele Mediziner haben uns gesagt, dass Misshandlungen und Missbrauch erkannt werden müssen. Deswegen ist diese Kinderschutz-Hotline so wichtig, die im April 2017 starten wird. Wenn Ärzte nicht wissen, was genau passiert ist, können sie sich dort Informationen holen. Das betrifft auch die rechtliche Frage: Was müssen sie machen, wenn sie einen Missbrauch oder eine Misshandlung erkennen? Die Kinderschutz-Hotline ist ein großer Erfolg der Großen Koalition. Die Union hatte das vorgeschlagen. Das wird kommen. Wichtig ist die Qualifizierung von Ärzten, von Jugendamtsmitarbeitern und von Familienrichtern – auch mit Blick auf rechtsmedizinische Grundkenntnisse. Das ist auch im Kontext der Kinderschutz-Hotline eine wichtige Forderung. Ich finde Ihre Einlassung mit Blick auf die Kinderschutzgruppen hochinteressant. Dazu haben wir alle eine klare Position. Die Modelle von Kinderschutzgruppen in Krankenhäusern sind sehr positiv. In Deutschland, auch hier in Berlin, haben wir einige Modelle. Dort wird auf mehreren Ebenen zusammengearbeitet. Diese Kinderschutzgruppen sind noch ausbauwürdig, weil man so auf strukturierte Art und Weise nicht nur analysieren kann, was passiert ist, sondern auch die Folgewirkung bespricht. Dafür braucht man einen Psychologen und vielleicht einen Sozialarbeiter. Aber man braucht natürlich Mediziner. Das Modell der Kinderschutzgruppen werden wir uns demnächst noch intensiver anschauen. Zum Kinderschutz gehört auch, was uns momentan sehr intensiv bewegt. Natürlich haben wir eine Diskussion über die anstehende Reform zum Achten Buch Sozialgesetzbuch – Kinder- und Jugendhilfe. Wir können aus meiner Sicht stolz darauf sein: Das KJHG, wie es so schön heißt, ist eine Errungenschaft der Kinder- und Jugendhilfe. Es wurde vor 25 Jahren auf den Weg gebracht nach intensiver Diskussion mit den Betroffenen, mit den Trägern und mit den Verbänden. Was ist in der aktuellen Diskussion zu beachten? Für uns – das sagen wir ganz deutlich – stehen zwei zentrale übergeordnete Punkte im Mittelpunkt. Erstens reden wir über Hilfe zur Erziehung. „Unterstützung“ oder „Leistung“ ist keine Hilfe. Bei der SGBVIII-Reform gibt es Reformvorhaben und Reformschritte, die wichtig sind. Die Jugendhilfe muss früher, zielgenauer und bedarfsorientierter arbeiten. Aber auf eines werden wir niemals verzichten, nämlich auf einen individuellen Anspruch auf eine Hilfeleistung. Das ist Kern des KJHG. Die Kinder, die Familien, die Eltern sollen wissen: Es gibt nicht irgendwo Unterstützung, wenn eine Notfallsituation eintritt, sondern klar Hilfe. Das werden wir in die Diskussionen einbringen. Zweitens ist für uns wichtig, dass der kooperative Gedanke der Jugendhilfe – gemeinsam mit Jugendamt, Trägern, Eltern und Kindern – bestehen bleibt. Wenn wir eine Reform durchführen, werden wir das ganz deutlich so formulieren: Alle müssen mitarbeiten im Sinne des Kindes. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das heißt: Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten intensiv darüber diskutieren, wie es mit dieser Reform weitergeht. Wir hatten 124 000 Gefährdungseinschätzungen im Jahr 2014, in denen der Verdacht aufgekommen ist, dass Kinder psychische, physische oder sexuelle Gewalt erleben bzw. vernachlässigt sind. Das sind 7 Prozent mehr als im Vorjahr. Das ist für unsere Gesellschaft nicht hinnehmbar. Dass diese Zahlen weiter steigen, ist nicht hinnehmbar. Das wird uns als Jugend- und Kinderpolitiker weiterhin bewegen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir dürfen es nicht zulassen, dass Kinder in einer Anzahl, die der Einwohnerzahl einer mittleren Stadt vergleichbar ist, Jahr für Jahr gefährdet sind. Deswegen müssen wir genau überlegen, was wir machen. Das tun wir auch. Die SGBVIII-Reform – wie und wann auch immer; das werden wir sehen – könnte einen Fortschritt bedeuten. Ich bin auch sehr dankbar für den Antrag und den Impuls, eine Diskussion zum Thema „Kinderschutz, Vernetzung, Gesundheit, Medizin, Jugendhilfe“ zu führen. Wir haben in der Großen Koalition bereits viel erreicht und Gutes gemacht. Aber das Gute kann man ja auch ausweiten und noch besser machen. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das geht immer!) Deswegen freue ich mich genauso wie Sie auf die gute Diskussion im Ausschuss. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Norbert Müller hat für die Fraktion Die Linke als nächster Redner das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir beraten heute über einen Antrag der Grünen zum Kinderschutz. Herr Kollege Weinberg, ich habe Ihnen aufmerksam zugehört und habe Ihrer Rede entnommen, dass wir in diesem Haus die seltene Chance haben, gemeinsam einem Antrag der Grünen zuzustimmen. Die Fraktion Die Linke sieht dieses Chance genauso wie Sie. (Beifall bei der LINKEN) Die UN-Kinderrechtskonvention kennt drei große Stützen: Schutz, Förderung und Beteiligung. Wir sind im internationalen Vergleich in allen Bereichen nicht schlecht. Wir können und müssen aber besser werden. Sie haben bereits einige Punkte in der Debatte angesprochen: das Bundeskinderschutzgesetz oder die Einsetzung des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs. Diesem möchte ich für seine hervorragende Arbeit danken. (Beifall bei der LINKEN) Herr Rörig als Unabhängiger Beauftragter hat in den letzten Monaten eine ganze Reihe von Themen aufgeworfen, bei denen es nicht nur um Aufarbeitung, sondern auch um Prävention geht und wir im gesetzlichen Rahmen nacharbeiten müssen. Ich will zwei Punkte ansprechen, bei denen Sie wahrscheinlich etwas schwerhöriger werden. Das Erste ist die Umsetzung der EU-Aufnahmerichtlinie und der Schutz besonders schutzbedürftiger Menschen, also von minderjährigen Flüchtlingen und Frauen, insbesondere von alleinreisenden Frauen, in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften. Hier müssen wir besser werden. Ich empfehle Ihnen, nachzulesen, was die Kinderkommission des Deutschen Bundestags insbesondere zum Schutz von Flüchtlingskindern – mit Unterstützung von Herrn Rörig – aufgeschrieben hat. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zweitens. Ein großes Thema ist der sexuelle Missbrauch in Schulen. Wie können wir auch in diesem riesigen Bereich, in dem sich aufgrund der zehnjährigen Schulpflicht so gut wie alle jungen Menschen aufhalten, Prävention betreiben? Hier läuft die Kooperation mit den Ländern bereits an. Wir sollten darüber nachdenken, wie der Bund besser unterstützend tätig sein kann. Ich war 2013/14 Mitglied des Bildungsausschusses des brandenburgischen Landtags, als Brandenburg die drei Einrichtungen der Haasenburg GmbH geschlossen hat. Diese stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe hatten einen geschlossenen Bereich, der dazu geeignet war, Kinder zu missbrauchen; das wurde auch praktiziert. Kinder wurden dort missbraucht, geschlagen, misshandelt, unterworfen und gedemütigt. Es war richtig, diese Einrichtungen zu schließen. Ich sage Ihnen aber auch: Das war ziemlich schwierig; denn die gesetzlichen Grundlagen waren nicht so, wie wir sie brauchten. Deswegen sind die Vorschläge der Grünen, insbesondere was das Betriebserlaubnisverfahren angeht, aber auch die Ergebnisse der Bund-Länder-Gruppe, was die Betriebsaufsicht und die Heimaufsicht angeht, entscheidend. Wir sollten dafür sorgen, dass nicht nur die stationären Einrichtungen besser kontrolliert werden, sondern dass alle Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe engmaschiger kontrolliert werden. Wir müssen das Betriebserlaubnisverfahren deutlich verbessern, um sicherzustellen, dass es in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe weder zu Übergriffen noch zu Missbrauch kommt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ein wichtiges Instrument für den Kinderschutz ist das in den letzten Jahren vorgeschriebene Führungszeugnis für ehrenamtlich Tätige. Wie Sie aber wissen, greift dieses Instrument viel zu kurz. Das kann nur ein erster Anfang sein. Seit Monaten liegen uns Vorschläge des Bayerischen Jugendrings und des Deutschen Bundesjugendrings vor. Wir finden es sehr gut, dass die Grünen diese Vorschläge aufgreifen. Wir müssen dieses Führungszeugnis weiterentwickeln. Es ist bislang zu bürokratisch und zu aufwendig für die Verbände. Es ist viel zu schwierig zu handhaben. Wie Sie wissen, gab es vor anderthalb Jahren dazu eine Anhörung im Familienausschuss. Die Ergebnisse möchte ich noch einmal kurz zusammenfassen; Sie können sie auch im Antrag der Grünen nachlesen. Das Führungszeugnis für ehrenamtlich Tätige zum Beispiel in Sportvereinen soll zugunsten einer Unbedenklichkeitsbescheinigung, basierend auf dem Bundeszentralregister, abgeschafft werden, die nicht mehr jeder x-Beliebige auf Antrag bekommt und die deutlich macht, ob der Betreffende mit Kindern arbeiten darf oder ob davon abzusehen ist, weil es einen entsprechenden Eintrag im Bundeszentralregister gibt. Der Vorschlag der Grünen ist gut. Diesen könnten wir sofort umsetzen, Herr Weinberg. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Grünen stärken in ihrem Antrag den Beratungsanspruch. Das finden wir richtig. Ja, die Beratung muss entbürokratisiert und ausgeweitet werden. Sie muss für alle Kinder und Jugendlichen geöffnet werden. Wenn wir aber – das fehlt mir ein Stück weit in Ihrem Antrag; das werden wir noch einmal in die Beratungen einbringen – die Beratungsansprüche ausweiten, die Aufsicht über Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, insbesondere die Heimaufsicht, ausbauen sowie die Betriebsgenehmigungsverfahren qualitativ verbessern wollen, dann brauchen wir eine bessere Kinder- und Jugendhilfe. Das heißt, wir brauchen mehr Geld in Ländern und Kommunen für Aufsichtsbehörden und Jugendämter. Wir müssen den kompletten Bereich der Kinder- und Jugendhilfe stärken. Die anstehende Reform des Achten Buches Sozialgesetzbuch bietet eine gute Gelegenheit, Herr Weinberg, die Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland insgesamt zu stärken. Diese Signale sollten Sie aufnehmen. Dann hätten Sie uns als Linke an Bord. Das können Sie mit Geld, einer Entlastung der Kommunen an dieser Stelle und mit besseren gesetzlichen Grundlagen tun. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat Ulrike Bahr für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Ulrike Bahr (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Equal Pay – hochaktuell. Viele Kolleginnen und Kollegen waren in der letzten Woche bei den Auftaktveranstaltungen zum Equal Pay Day 2017. Zum Titel Ihres Antrags – keine Sorge, ich habe mich nicht im Thema vertan –, „Damit Kinder gut aufwachsen“, fiel mir spontan ein ganz ähnliches Schlagwort ein, nämlich: Equal Grow Up. Das ist zweifelsfrei ein mindestens genauso wichtiges Thema; denn genauso wie es ungerechte Lohnlücken gibt, gibt es auch weiterhin ungleiche Startbedingungen, was das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen betrifft. In der Gewerkschaftsarbeit haben wir dazu immer ein einfaches, aber dafür sehr eindrucksvolles Bild benutzt. Stellen Sie sich eine Startlinie vor, an der nebeneinander ein Rabe, ein Affe, ein Pelikan, ein Elefant, eine Robbe und ein Dackel stehen. Vor ihnen sitzt ein Lehrer am Pult und sagt: Aus Gerechtigkeitsgründen lautet für Sie alle die Aufgabe gleich: „Klettern Sie auf einen Baum!“ – So viel zur Chancengleichheit in der Realität. Dabei haben wir in der Vergangenheit natürlich schon viele „Prothesen“ und Hilfsmittel entwickelt, um Nachteile auszugleichen und gerechtere Startchancen für alle Kinder zu schaffen, auch mithilfe unseres über die Landesgrenzen hinaus anerkannten Kinder- und Jugendhilfesystems, bei dem wir auch in Zukunft keinerlei Standardsenkungen akzeptieren werden. (Beifall bei der SPD) „viel wert. gerecht. wirkungsvoll“ – das waren die Schlagworte des letzten Kinder- und Jugendhilfetages, wenige Worte, die aber alles sagen. Seit mittlerweile einem Vierteljahrhundert stellen wir so das Kind und seine bestmögliche persönliche Entwicklung in den Mittelpunkt. Wir sprechen hier nicht ohne Grund von einem Paradigmenwechsel; denn seitdem gehört es zum Verständnis von gutem Aufwachsen, dass wir die Kinder in ihrer Persönlichkeit und als Individuen stärken. Es geht darum, Stärken zu fördern und auszubauen, und eben nicht darum, vermeintliche Defizite auszumerzen. Auch das ist für mich Kinderschutz. Dabei scheint uns das heute oft selbstverständlich. Erinnern wir uns: Wie war es denn noch in der Mitte des letzten Jahrhunderts, wenn man beispielsweise Linkshänder war? Ich bin mir sicher, dass sich hier im Saal einige „Umgedrehte“ finden, jene, denen mit Zwang, nicht selten mit Schlägen, beigebracht wurde, mit der „schönen“ Hand zu schreiben und guten Tag zu sagen. Für mich ist diese Abkehr davon, dass man nur „richtig“ ist, wenn man in eine bestimmte Norm passt oder gepresst wird, wirklich eine Errungenschaft zum Nutzen und auch zum Schutz vieler späterer Kindergenerationen. Unsere Kinder lernen, dass es völlig normal ist, unterschiedlich zu sein, dass jeder Schwächen hat. Aber noch wichtiger ist: Jeder hat Stärken, die wir fördern können und müssen. Jedes Kind soll die gleichen Chancen auf diese Förderung haben. Das gilt für Mädchen und Jungen, für Aufgeweckte und Ruhige, für hier Geborene und für Zugezogene, kurz: für alle Kinder – und das auch unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern. (Beifall bei der SPD) Wenn wir eine inklusive Gesellschaft wollen, dann brauchen wir genauso ein System mit Hilfe- und Unterstützungsleistungen, das für alle Kinder und Jugendlichen gilt, egal ob behindert oder nicht behindert. Wir brauchen auch die inklusive Lösung im SGB VIII, damit die verschiedenen Schubladen bei den Eingliederungshilfen endgültig zu sind. Zweifelsohne ist viel passiert in den letzten Jahren in Richtung inklusive Gesellschaft mit den Frühen Hilfen, integrativen Kitas, Programmen wie „Jugend Stärken im Quartier“ oder, gerade neu, mit dem schon jetzt sehr erfolgreichen Bundesprogramm „Sprach-Kitas“. Wir haben also durchaus Erfolge zu verzeichnen. Heutzutage ist das katholische Mädchen vom Lande nicht mehr zwangsläufig bildungsbenachteiligt. Frau kann sogar Bundestagsabgeordnete werden. Aber es gibt weiterhin jene und auch neue Gruppen, für die wir noch breitere Zugänge zu mehr Bildung, zu mehr Schutz und zu mehr Partizipation schaffen müssen. Das gilt für Kinder aus einkommensschwachen und bildungsfernen Familien, das gilt für Jugendliche, die uns teils an den Übergängen von der Schule in die Ausbildung verloren zu gehen drohen und schlimmstenfalls durch alle Netze fallen, und das gilt nicht zuletzt für diejenigen jungen Menschen, mit deutschem genauso wie mit Migrationshintergrund, die sich von unserer Gesellschaft nicht angenommen fühlen und für extremistisches Gedankengut anfällig werden. Deshalb gehören für mich politische Bildung und Demokratieerziehung unbedingt auch dazu, wenn es um gutes Aufwachsen, Schutz und Prävention geht. (Beifall bei der SPD) Ein weiteres Instrument, das vor Ort im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe dazu beitragen kann, Ungleichgewichte auszubalancieren, sind Ombudsstellen. Für alle, denen dieser Begriff – einfach auch deswegen, weil es diese leider noch nicht flächendeckend gibt – nicht so geläufig ist: Ombudsstellen sind unabhängige Anlaufstellen, die den Anspruchsberechtigten in der Kinder- und Jugendhilfe offenstehen. Hier gibt es Beistand und Hilfe, wenn es Unklarheiten, Probleme und Konflikte in der Kinder- und Jugendhilfe gibt. Ich bin seit dem letzten Jahr stellvertretende Vorsitzende eines neuen Vereins in Bayern, der das Thema „unabhängige Ombudschaft“ weiter vorantreiben will. In dieser kurzen Zeit habe ich eine Menge gelernt, vor allem von den vielen engagierten Fachkräften, die sich haupt- wie ehrenamtlich für dieses Thema starkmachen. Ich bin überzeugt, dass eine Verankerung von Ombudsstellen im SGB VIII der absolut richtige Weg ist. Aber was ist eigentlich mit den Kindern? Wissen wir immer so ganz genau, was für die Kinder selbst gutes Aufwachsen ist? Eine Umfrage der Deutschen Bahn im Sommer hat dazu interessante Ergebnisse geliefert. Die Hauptfrage war: Was wünschen sich Kinder am meisten? Man hat sowohl die Kinder als auch ihre Eltern gefragt. Die Eltern lagen da – wenn wundert es? – nicht immer richtig. Natürlich stehen Süßigkeiten, Computerspiele und Hunde ziemlich weit oben auf der Skala. Am Schluss aber kam heraus: Das, was Kinder sich wirklich am meisten wünschen, ist Zeit, Zeit mit der ganzen Familie. Deshalb wünsche ich mir auch, dass künftig – möglichst bald – auch die Familienarbeitszeit zum guten Aufwachsen dazugehört. In diesem Sinne vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin spricht Christina Schwarzer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Christina Schwarzer (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sieben Monate alt durfte die kleine Lena aus Berlin-Neukölln werden, bevor ihr junger Vater der Meinung war, dass ihn ihr Schreien so sehr nervt, dass er sie durchschütteln könnte. Und er tat es. Fünf Sekunden lang. Lena hatte keine Chance. Sie ist einen Tag später an ihren schweren Gehirnverletzungen gestorben. Dieser unglaublich traurige Fall passierte hier bei uns in Berlin im Jahre 2012, allerdings nicht in einer Familie, die durch das Hilfenetz fiel, auch nicht in einer Familie, die von unseren Regeln und Gesetzen nicht erreicht wurde. Es passierte in der Obhut des Jugendamtes, in einer Berliner Jugendhilfeeinrichtung, einem sogenannten Mutter-Kind-Haus. Fälle wie der der kleinen Lena gibt es leider immer wieder in Deutschland. Viel zu oft wird dann – vielleicht auch aufgrund der Hilflosigkeit der Verantwortlichen – nach bundesgesetzlichen Regelungen gerufen. Sehr geehrte Kollegen der Grünen, Sie sagen es in Ihrem Antrag ja selbst: Der gesetzliche Kinderschutz hat sich erheblich weiterentwickelt, auch und insbesondere durch das Bundeskinderschutzgesetz. Zwischen diesen gesetzlichen, vor allem bundesgesetzlichen Regelungen und dem damit verbundenen Anspruch sowie der Praxis vor Ort klaffen dennoch Lücken. Das beschreiben Sie ebenfalls in Ihrem Antrag. Mein Heimatbezirk Neukölln hat aus diesem Fall gelernt. Unser Jugenddezernent hat dieses Thema zur Chefsache erklärt, den Fall sehr intensiv und mit zahlreichen Experten aufgearbeitet und vor Ort wichtige Maßnahmen umgesetzt. Die vielleicht wichtigste Maßnahme ist die Einrichtung eines Kinderschutzteams mit zusätzlichem Personal. Das war ein Novum in Berlin. Die Etablierung einer Präventionskette – und damit eine rechtzeitige frühe familiäre Präventionsarbeit am besten schon in der Schwangerschaft – konnte ebenfalls erreicht werden. Eine frühe Unterstützung der jungen und werdenden Familien bewahrt in den allermeisten Fällen die Kinder vor späten negativen Entwicklungen. Um es noch einmal sehr deutlich zu sagen: Wir haben in den vergangenen Jahren unsere Regeln und unsere Gesetze zum Kinderschutz zum Glück und zu Recht erheblich weiterentwickelt, nicht zuletzt – das sagte auch der Kollege Weinberg – durch das Bundeskinderschutzgesetz. Mir persönlich ist dabei das System „Frühe Hilfen“ ganz wichtig. Ich glaube, da sind wir hier einer Meinung. Auch die Möglichkeit für Ärzte und andere Berufsgeheimnisträger, bei Verdacht auf Kindesmisshandlungen die Jugendämter einzuschalten – also ihre Schweigepflicht zu brechen –, ist eine bedeutende Maßnahme. Sie müsste nur noch viel stärker genutzt und publik gemacht werden. Die Ärzte müssten über ihren Nutzen wie auch über Merkmale und Folgen von Kindesmisshandlungen stärker aufgeklärt werden. Auch hier stehen wir immer wieder vor der großen Herausforderung, ob der Datenschutz dem Kinderschutz entgegensteht. Noch recht aktuell im großen Feld Kinderschutz ist die so wichtige Verschärfung des Sexualstrafrechts. An Letzterem können wir – diese Nebenbemerkung sei mir erlaubt – meines Erachtens ruhig noch ein bisschen weiterarbeiten. Ich würde mir wünschen, dass wir das Thema „Versuchsstrafbarkeit beim Cybergrooming“ noch einmal angehen. Spätestens nachdem viele von uns den Film Das weiße Kaninchen gesehen haben, wissen wir alle, was für Dinge im Internet passieren. Am Ende sind wir uns jedoch aber alle einig: Kinder brauchen und verdienen unseren besonderen Schutz. Und egal, wie hoch die Schutzstandards bei uns sind: Gesetze müssen eben auch eingehalten und gut umgesetzt werden. Dafür braucht es Kontrollmechanismen in den Ländern und Kommunen. Wir alle, die wir hier sitzen, können uns dafür verantwortlich zeigen und uns in den Heimatregionen, aus denen wir kommen, dafür starkmachen. Einen Punkt würde ich gerne noch aufgreifen – meine Vorredner haben ihn schon erwähnt –: das Führungszeugnis. Hierzu gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen der Fraktionen in unserem Haus. Ich teile die Auffassung der Vereine und Verbände, die auch in der Expertenanhörung Anfang des letzten Jahres, also vor rund anderthalb Jahren, deutlich wurde. Die Vorlage des Führungszeugnisses sollte durch eine sogenannte bereichsspezifische Auskunft beim Bundeszentralregister ersetzt werden. Diese Bescheinigung würde dann nur Auskunft darüber geben, ob eine Person nach dem Bundeskinderschutzgesetz haupt- oder ehrenamtlich mit Kindern arbeiten darf oder nicht, ergo, ob sie nach den in § 72a Absatz 1 SGB VIII genannten Straftatbeständen verurteilt sind. Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um Sexualdelikte. Andere Vergehen wie zum Beispiel Diebstahl, Drogenhandel oder auch Mord würden dem Vereinsvorsitzenden nicht bekannt. Das Bundeskinderschutzgesetz nennt diese aber auch nicht als Ausschlussgründe für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Weil ich auch die Gegenargumente, unter anderem der zuständigen Ministerien kenne, möchte ich gleich noch etwas klarstellen: Die Gegner einer möglichen Gesetzesänderung argumentieren, dass es einem Vereinsvorstand möglich sein müsse, auch in andere Straftatbestände Einsicht zu nehmen, die nicht von § 72a Absatz 1 SGB VIII abgedeckt sind. Dann solle er im Einzelfall entscheiden, ob, sagen wir, ein ehemaliger Drogenhändler Kinder- und Jugendarbeit in einem Verein machen darf. Um das noch etwas deutlicher zu machen: Wir verlangen vom Vereinsfunktionär hier eine Entscheidung, die wir als Gesetzgeber nicht treffen wollen. Wir haben den Funktionären doch gar keine Entscheidungsgrundlage an die Hand gegeben, also kann der eine ehemalige Drogenhändler ruhig die Fußballmannschaft trainieren, weil der Vereinsvorsitzende der Meinung ist, er sei ausreichend bekehrt, ein anderer darf das aber nicht. Ich muss aber auch kritisch hinterfragen, wie dieser Punkt in einen Antrag passt, in dessen Titel es „Kinderschutz und Prävention ausbauen“ heißt. Ich denke, wir sind uns einig, dass wir auf keinen Fall die Kinderschutzstandards senken dürfen. Ich würde mir in diesem Zusammenhang im Übrigen auch noch wünschen, dass wir das Erfordernis der Vorlage eines entsprechenden Nachweises auf all diejenigen ausweiten, die im Haupt- oder Ehrenamt mit Kindern arbeiten, egal ob diese Jugendarbeit nun öffentlich gefördert ist oder nicht. Gleiches gilt im Übrigen auch für Berufsgruppen, die vermehrt mit Kindern arbeiten. Ich denke hier zum Beispiel an Kinderärzte und Kinderpsychologen. Weil wir ein Land von Bürokraten sind, gehen wir immer wie selbstverständlich davon aus, dass so etwas bei uns geklärt ist. Ist es aber nicht. Ich freue mich ebenfalls auf die guten Beratungen. Herr Müller, vielleicht können wir ja noch gemeinsam gute Ideen entwickeln. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin spricht Gülistan Yüksel für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Gülistan Yüksel (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Kein Kind zurücklassen!“, diesen Titel trägt ein erfolgreiches Projekt in NRW. Es schafft durch sogenannte kommunale Präventionsketten niedrigschwellige Angebote zur Unterstützung von Kindern und Familien, und zwar möglichst lückenlos und von der Schwangerschaft bis zum Eintritt ins Berufsleben. „Kein Kind zurücklassen“ umschreibt auch unser aller Anliegen: Kinder zu schützen und ihnen zu ermöglichen, dass sie gut aufwachsen können. Unser Schutzsystem mit seinen Beratungs- und Unterstützungsangeboten ist zwar grundsätzlich gut und wirksam, weil aber jeder Fall von Kindesmissbrauch einer zu viel ist, müssen wir kontinuierlich an weiteren Verbesserungen arbeiten. Erfolgreiche Bausteine unserer aktuellen Kinderschutzpolitik sind unter anderem das Gesamtkonzept für den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt; Initiativen wie „Trau dich!“, die bundesweit Eltern und Kinder über ihre Rechte und das Thema Missbrauch informieren; oder die Frühen Hilfen, die Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder in puncto Gewaltschutz und gesundes Aufwachsen unterstützen. Außerdem wird es eine neue zentrale medizinische Kinderschutzhotline geben, die Ärztinnen und Ärzten 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche bei Verdachtsfällen der Kindeswohlgefährdung unterstützend zur Seite steht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs leistet wichtige Arbeit im Bereich der Hilfe, Beratung und Prävention. Seine Initiative „Kein Raum für Missbrauch“ gibt den Anstoß dazu, dass Einrichtungen und Organisationen Orte werden, an denen Kinder und Jugendliche vor sexueller Gewalt geschützt sind sowie Hilfe und Unterstützung bekommen. Ein besonderer Schwerpunkt wird auf den Ort gelegt, an dem die meisten Kinder und Jugendlichen erreicht werden können: die Schule. Gerade Schulen müssen geschützte Räume sein, in denen Probleme sensibel wahrgenommen und gelöst werden. Besonders schutzbedürftig sind in diesen Tagen geflüchtete Kinder und Jugendliche. Sie haben kriegs- und fluchtbedingte Gewalterfahrungen gemacht; viele sind traumatisiert. Es ist unsere Aufgabe, dass sie bei uns endlich Ruhe und Schutz finden. (Beifall bei der SPD) Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt die Bundesfamilienministerin in ihrer Forderung, Schutzkonzepte in Asylunterkünften als Standard bundesweit vorzuschreiben. (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kinderschutz und gutes Aufwachsen müssen ganzheitlich gedacht werden. Politik hat die Aufgabe, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass Eltern ihren Kindern ein körperlich, seelisch und sozial gesundes Aufwachsen ermöglichen können. Zu „Kein Kind zurücklassen“ gehört auch, jedes Kind bestmöglich zu fördern. Alle Kinder brauchen vollen Zugang zu frühkindlichen Bildungsangeboten, Schulen sowie zur Kinder- und Jugendhilfe. Deshalb war es wichtig und richtig, dass wir die Kinderbetreuung weiter ausgebaut haben, dass wir bei den jüngsten Bund-Länder-Verhandlungen zusätzliche Investitionen im schulischen Bereich sowie eine Verbesserung des Unterhaltsvorschusses durchgesetzt haben, dass wir die Grundsicherung und den Kinderzuschlag verbessern und dass wir die hohen Standards der Kinder- und Jugendhilfe für alle Kinder und Jugendlichen erhalten. (Beifall bei der SPD) Durch Programme wie KitaPlus oder staatliche Leistungen wie dem Elterngeld Plus ermöglichen wir Familien außerdem eine zeitlich flexiblere Ausgestaltung des Alltags. Wie meine Kollegin Ulrike Bahr bereits ausgeführt hat, wünschen sich Kinder mehr Zeit mit der Familie. Als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nehmen wir diesen Wunsch ernst und werden uns weiterhin für das zukunftsweisende Familienarbeitszeitmodell starkmachen. (Beifall bei der SPD) Schade, dass sich noch nicht alle dafür haben erwärmen können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, verantwortungsvolle und vorbeugende Politik ist nicht nur gut für Kinder und Familien. Verantwortungsvolle und vorbeugende Politik spart auch soziale Folgekosten, etwa bei Kinder- und Jugendhilfen und Grundsicherungsleistungen. Dem Kindeswohl muss bei allem staatlichen Handeln der Vorrang eingeräumt werden. Für uns als SPD ist deshalb eine Stärkung der Rechte von Kindern ein wesentliches Ziel. (Beifall bei der SPD) Um diese Rechte im Alltag besser durchzusetzen und Kinder somit zu stärken und auch besser zu schützen, brauchen wir als einen wichtigen Schritt Kinderrechte im Grundgesetz. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen kein Kind zurücklassen. Das heißt für uns: früh handeln, gezielt fördern, ganzheitlich helfen. Das ist unsere Pflicht. Danach handeln wir. Auch wir freuen uns auf die Diskussionen in den Ausschüssen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster und letzter Redner in der Debatte hat Eckhard Pols für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Eckhard Pols (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Vater von fünf Kindern fühlt man sich im Familienausschuss am richtigen Fleck. Ich vermag hier all meine praktischen Erfahrungen als Elternteil mit einzubringen. Ebenso verhält es sich mit dem Blick auf meine Mitgliedschaft in der Kinderkommission seit Beginn der 17. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages. In der Zeit meines Vorsitzes in der Kinderkommission habe ich etwas gesagt, zu dem ich auch heute noch stehe: „Ohne Kinder ist kein Staat zu machen, ohne Kinder gibt es keine Zukunft.“ Deshalb ist es überaus wichtig, dass vor allem wir Familienpolitiker das Wohl der Kleinen in unserer Gesellschaft stets im Auge behalten. Dabei handelt es sich natürlich um einen fortwährenden Prozess der Analyse, wie wir die bestmögliche Entwicklung unserer Kinder gewährleisten können. „Kinderschutz“ und „Prävention“ lauten hier die zentralen Begriffe. Vor diesem Hintergrund halte ich Ihren Antrag sogar grundsätzlich für lobenswert. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie damit auch zu einem besseren Kinderschutz beitragen wollen. Sie sprechen auch wichtige Themen an. Da sind zum Beispiel eine bessere Kooperation zwischen Kinder- und Jugendhilfe und dem Gesundheitswesen sowie die bestmögliche Integration von Ehrenamtlichen in die Kinder- und Jugendarbeit. Als aufrichtiger Kollege muss ich Ihnen aber leider auch sagen, dass Sie mit Ihrem Antrag an vielen Stellen Gefahr laufen, das eigene Ziel zu verfehlen. Ich möchte meine Position an zwei Punkten erläutern. Zum einen wollen Sie die Pflicht zur Vorlage des erweiterten Führungszeugnisses aufheben. Sie sprechen in diesem Zusammenhang überwiegend von Ehrenamtlichen, die in der Tat Außergewöhnliches im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe leisten. Die Gesellschaft – ebenso wie wir Abgeordnete – kann sich wahrhaftig glücklich schätzen, ein solch bewundernswertes ehrenamtliches Engagement vorzufinden. Deshalb plädiere auch ich dafür, Ihnen die Aufnahme eines entsprechenden Ehrenamtes so leicht wie möglich zu machen. Da sind sich Union und Grüne sogar einig. Was uns jedoch unterscheidet, ist das Augenmaß. Ausgerechnet beim Kindeswohl – ich betone: beim Kindeswohl – wollen Sie die gesetzlich vorgeschriebene Pflicht zur Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses abschaffen – ohne Prüfung, ob dies auch zweckdienlich wäre. Dabei sollten wir jedoch stattdessen reinen Gewissens in den Spiegel schauen und sagen können: Unsere Kinder befinden sich in guten Händen. So vermag es allerdings nur zu sein, wenn wir den Personen, in deren Obhut wir unsere Kinder geben, wirklich vertrauen können. Natürlich sehe auch ich das Unbehagen derjenigen, die sich um unsere Kinder kümmern, wenn sie dem Träger ihr erweitertes Führungszeugnis vorlegen müssen. Dies gilt laut Gesetz für die hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kinder- und Jugendhilfe wie auch für Ehrenamtliche gleichermaßen. Allerdings muss zuerst geprüft werden, ob gleichwertige Alternativen zur derzeitigen Vorlagepflicht wirklich bestehen. Ich sage Ihnen: Gerade beim Thema Kindeswohl muss Sorgfalt vor Schnelligkeit gehen. Angesichts dessen will ich vielmehr unserer unionsgeführten Bundesregierung ein großes Lob aussprechen. Sie geht äußerst bedächtig und verantwortungsvoll mit dem Kindeswohl um. Sie wird die Zweckdienlichkeit des sogenannten Negativ-Attestes, welches die Grünen in ihrem Antrag vielleicht schon als der Weisheit letzter Schluss verkaufen wollen, eingehend prüfen. Eine Prüfung wird die Regierung auch hinsichtlich der Frage vornehmen, ob bestimmte andere schwere Straftaten, die heutzutage noch nicht zum Ausschluss von Tätigkeiten aus der Kinder- und Jugendhilfe führen, mit in den Katalog der ausschlussrelevanten Straftaten einbezogen werden sollten. Von dieser Überprüfung sind Delikte etwa des Totschlags und der schweren Körperverletzung betroffen, und das finde ich gut. Der zweite kritische Punkt, den ich sehe, ist, dass Sie die Verantwortung für die Unterhaltung von Hilfenetzwerken anscheinend allein dem Bund auferlegen wollen, und zwar mit der Begründung, dass Präventionsnetzwerke Schwierigkeiten bei ihrer langfristigen Finanzierung hätten. Meine Damen und Herren von den Grünen, ich sage Ihnen einmal Folgendes: Kinderschutz und Prävention sind eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, an der sich sowohl der Bund als auch die Länder zu beteiligen haben. Wenn sich Ihre eigenen Landesregierungen dieser Verantwortung entziehen, ist das ein Problem, das vor allem die Länder zu lösen haben und nicht die Bundesebene. Wie auch in anderen Politikbereichen nach dem Bund zu rufen, wenn man wieder einmal nicht weiterweiß, ist zwar immer sehr einfach, ich halte das aber an dieser Stelle für deplatziert. Ungeachtet dessen bekennt sich der Bund zu seiner Verpflichtung, wie etwa die Anschubfinanzierung des Präventionsnetzwerkes „Kein Täter werden“ zeigt, das sich an Pädophile richtet. Diese übernahm das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Sogar das rot-schwarz regierte Berlin hat übrigens die Anschlussfinanzierung für das Jahr 2017 übernommen. Das nenne ich verantwortungsvoll. Aber zu guter Letzt möchte ich tatsächlich einen Sozialdemokraten zitieren, nämlich unsere Familienministerin Manuela Schwesig – leider ist sie gerade nicht da –, die einmal gesagt hat: „Jedes Kind hat ein Recht darauf, gut und sicher aufzuwachsen.“ Und das wollen wir doch alle. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf der Drucksache 18/9054 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Gartenbau sowie Garten- und Landschaftsbau als innovativen Wirtschaftszweig stärken und zukunftsfest machen Drucksache 18/10018 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Sobald alle Kolleginnen und Kollegen, die an dieser Debatte teilhaben wollen, einen Platz gefunden haben, könnte ich die Aussprache eröffnen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Thomas Mahlberg für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Thomas Mahlberg (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren, die dieser Debatte auf der Tribüne oder vor dem Fernseher beiwohnen! Wir haben die Initiative für den Gartenbau deshalb ergriffen, weil es wichtig ist, wie ich finde, einen innovativen, einen klein- und mittelständisch strukturierten Wirtschaftszweig hier in Deutschland zu stärken und ihn auch weiterhin zukunftsfest zu machen. Manch einer reibt sich die Augen und fragt sich: Im Deutschen Bundestag wird über Gartenbau debattiert? Man reibt sich noch mehr die Augen, wenn man mit den Hard Facts des Gartenbaus konfrontiert wird; denn der Gartenbau bei uns im Land hat eine Bruttowertschöpfung von rund 20 Milliarden Euro. Er macht einen Umsatz von etwa 78 Milliarden Euro. Rund 700 000 Menschen arbeiten in dieser Wertschöpfungskette. Der Gartenbau in Deutschland stellt etwa 13 000 Ausbildungsplätze zur Verfügung und ist damit einer der größten Ausbilder in der Agrarbranche. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Das muss man würdigen!) Sie sehen also: Der Gartenbau verdient unsere volle Unterstützung. Gartenbaubetriebe bereichern unser Leben; ich glaube, diese Erfahrung hat jeder schon ganz persönlich gemacht. Das Thema Ernährung ist derzeit in aller Munde. Wir haben auch in dieser Woche Debatten über dieses Thema geführt. Wenn Sie morgen wie ich und meine Kolleginnen und Kollegen selber einkaufen gehen, dann erfahren Sie wieder, welche tollen und innovativen Produkte unser Gartenbau hervorbringt, beispielsweise Obst und Gemüse auf dem Wochenmarkt oder in den Geschäften. So gehören gartenbauliche Betriebe mit ihren Erzeugnissen zu unserem Alltag. Aber es gibt nicht nur Obst und Gemüse vom Gartenbau, sondern der Gartenbau ist viel mehr. Es gibt neben Essbarem, neben viel Gesundem, das produziert wird, auch Zierpflanzen, es gibt den Friedhofsbereich – ein sehr großer Bereich – und Einzelhandelsgärtnereien sowie den Garten- und Landschaftsbau, kurz: GaLa-Bau. Als Arbeitgeber spielt der Gartenbau eine wichtige Rolle in unserem Land – das habe ich eben deutlich gemacht –, vor allen Dingen in den ländlichen Regionen unseres Landes, aber nicht nur dort: Er leistet auch Großartiges im Bereich der Integration. Ich komme aus Nordrhein-Westfalen. Dort gibt es beispielsweise ein sehr großes Integrationsprojekt, von dem gerade junge Menschen sehr profitieren, aber nicht nur die jungen Menschen, sondern auch die Betriebe, weil so die entsprechenden Fachkräfte für den Garten- und Landschaftsbau ausgebildet werden. Neben den Integrationsmöglichkeiten im Rahmen dieser Projekte findet auch eine alltägliche Integration statt, zum Beispiel in den vielen Kleingartenanlagen, die wir haben; davon ist natürlich auch der städtische Raum betroffen. Ich möchte in diesem Zusammenhang ein großes Lob und einen großen Dank den vielen Kleingärtnern aussprechen, die wir bei uns im Land haben; denn sie tragen mit Urban Gardening, mit Urban Farming und mit ihren Kleingärten dazu bei, viel Grün in unsere Städte zu bringen, viel Grün in unser Land zu bringen, und damit sorgen sie für die entsprechende Lebensqualität in unseren Städten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Sie steigern damit die Attraktivität unserer urbanen Räume. Und nicht nur das: Sie verbessern auch das Stadtklima. Das Stadtgrün ist nämlich auch eine wichtige Voraussetzung für ein gesundes Klima, das wir in unseren Städten brauchen. Natürlich gibt es auch viele Herausforderungen für den Gartenbau, zum Beispiel die gestiegenen Anforderungen an die Energieeffizienz. Dabei steht vor allen Dingen die ressourcenschonende Produktion im Vordergrund. Wir können es nur begrüßen – das darf ich an dieser Stelle ganz persönlich sagen –, dass im Haushalt zusätzliche Gelder insbesondere für die Förderung von Energieberatung und energiesparenden Investitionen für den Garten- und Landschaftsbau vorgesehen sind. Somit unterstützt der Bund die schnelle Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis. Deshalb an dieser Stelle ein großes Lob an unseren Bundesminister Christian Schmidt! Ich denke, stellvertretend wird der Staatssekretär Peter Bleser dieses Lob weiterleiten. (Beifall bei der CDU/CSU) Es gibt viele Aufgaben, die wir gemeinsam mit der Bundesregierung lösen müssen. Das gilt auch mit Blick auf die europäische Ebene. Dazu zählt die weitere Angleichung wettbewerbsrelevanter Regelungen genauso wie der europäische Patent- und Sortenschutz. Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, auf europäischer Ebene darauf hinzuwirken, dass Erzeugnisse aus konventioneller Zucht und alle herkömmlichen biologischen Zuchtverfahren von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sind. Im Bereich der Absatzförderung sind die Stellung und die Förderfähigkeit aller Produkte des Gartenbaus zu verbessern und Selbstvermarkter – ich glaube, da sind wir uns einig – stärker zu unterstützen. Letztendlich geht es ja darum, dass unsere leistungsfähige Gartenbauwirtschaft einen leichteren Zugang zu den Märkten gerade in Drittstaaten bekommt. Das heißt, wir müssen die Zahl der nichttarifären Handelshemmnisse weiter reduzieren. Im Jahre 2013 hat es einen großen Kongress des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft gegeben. Wichtig erscheint mir, dass wir die Ergebnisse, die wir dort erzielt haben, weiterhin umsetzen: im Bereich der Energieeffizienz, zum Beispiel, was die Reduktion von Torf in Substraten angeht, in der Züchtungsforschung und gerade auch bei der Erforschung neuer Gefahren durch Krankheiten und Schädlinge sowie der Gefahren der Bodenmüdigkeit. Deshalb haben wir in unserem Antrag, den wir gemeinsam mit der SPD formuliert haben, der Forschung ein großes Kapitel gewidmet. Kontraproduktiv ist, wie ich finde – auch das darf an dieser Stelle erwähnt werden; aber ich hoffe, dass wir da noch eine gemeinsame Lösung finden –, die existenzielle Frage des Leibniz-Instituts für Gemüse- und Zierpflanzenbau am Standort Erfurt. Dort gibt es massive Probleme. Wir haben ja bereits verabredet, im November dieses Jahres ein gemeinsames Gespräch zu führen. Ich hoffe, dass wir dann eine Lösung finden. Ich glaube, die Schließung dieses Instituts wäre ein großer Verlust – da sind wir uns wahrscheinlich parteiübergreifend einig –, nicht nur für die Branche, sondern auch im Hinblick auf die politischen Ziele, die wir verfolgen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auch was das Thema „Grün in der Stadt“ angeht, gibt es viele Fragen, die einer wissenschaftlichen Klärung bedürfen. Wir glauben, wie gesagt, auch hier weiter fördern zu müssen. Wir brauchen ein eigenständiges Förderprogramm Stadtgrün. Die Grünentwicklung, gerade quartierbezogen in den Städten, ist eine wichtige Aufgabe, der wir uns widmen müssen. Vor allem diejenigen, die aus Städten kommen, wissen, dass das Grün ein Bereich ist, der aus Kostengründen – weil es vielen Kommunen wirtschaftlich nicht so gut geht – oft stark vernachlässigt wird. Ich glaube, an dieser Stelle brauchen wir gemeinsame Anstrengungen, weil gerade das Grün in der Stadt den Lebensraum für die Menschen ausmacht. Abschließend und zusammenfassend: Ich finde, den Antrag, den wir formuliert haben, hat sich der Gartenbau in Deutschland redlich verdient. Er ist ein innovativer Wirtschaftszweig. Ich hoffe, dass wir diesem Antrag über die Parteigrenzen hinweg tatsächlich gemeinsam zustimmen werden. Ich glaube, er ist ein gutes Zeichen für unseren Gartenbau. Die ersten Stellungnahmen, die ich dazu schon gehört habe, sind sehr positiv. Insofern freue ich mich auf die Beratungen, die wir im Ausschuss haben werden, und hoffe, dass wir alle diesem Antrag zustimmen werden, um dem Gartenbau gemeinsam eine gute Zukunft zu bieten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Ralph Lenkert für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ralph Lenkert (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir alle schätzen Grünanlagen und Parks in Städten und Dörfern. Ich esse gern Tomaten, Gurken und Paprika aus heimischer Produktion. (Artur Auernhammer [CDU/CSU]: Hauptsächlich rote! – Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Du siehst auch ganz gesund aus!) Zierpflanzen verschönern Gärten und Balkons und machen unsere Wohnungen bunter. Gartenbau ist ein wichtiger Wirtschaftszweig mit, wie schon gesagt, fast 700 000 Beschäftigten. Die Initiative, den Gartenbau zu stärken, unterstützt die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Aber Gartenbau ist noch viel mehr. Bäume, Sträucher und Grünanlagen vermindern Lärm und Staubbelastungen in Städten und schaffen Abkühlung in heißen Sommern. In Auswertung der Abgasskandale bei Dieselfahrzeugen muss man jetzt von deutlich höheren Feinstaub- und Stickoxidbelastungen ausgehen. Da können mehr und bessere Grünanlagen in Ballungszentren Abhilfe schaffen. (Beifall bei der LINKEN) Bei der Planung von Grünanlagen, aber auch generell im Landschafts- und Gartenbau stehen Fragen an: Welche Pflanzen sind wo am besten geeignet? Wie kann ein Gewächshaus energieeffizient betrieben werden? Welche Arten verkraften den Klimawandel? Welche Gefahren gehen eventuell von Zier- und Gartenpflanzen aus? In einigen Städten empfehlen Ämter Baumsorten, die vom Bundesamt für Naturschutz als invasive Arten eingestuft sind, also Arten, die einheimische Pflanzen und Bäume verdrängen und gefährden können. Wir brauchen mehr Information, Koordination und vor allem Forschung. Denn Antworten auf all diese Fragen sind notwendig. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, Sie fordern in Ihrem Antrag folgerichtig mehr Ressortforschung für Gartenbau. Dem stimmt die Linke zu. (Beifall bei der LINKEN) Bis zum Jahresende gibt es in Deutschland zwei Standorte, an denen außeruniversitär im Bereich Gartenbau geforscht wird. Beide gehören zum Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau, IGZ. Einer dieser Standorte ist Großbeeren in Brandenburg, der andere ist Erfurt in Thüringen. Sollen unsere Gartenbaubetriebe weiter erfolgreich sein, brauchen sie die Ergebnisse der Forschung, und zwar anwendungsbereit. (Beifall bei der LINKEN) Ein gelungenes Experiment, ein Nachweis, dass eine speziell gekreuzte Pflanze über Triebe vermehrt werden kann, reicht vielleicht Wissenschaftlern für ihre Expertise und ihr Renommee in der Grundlagenforschung, es reicht aber nicht für den Gartenbaubetrieb Meier, der diese Pflanzen tausendfach in Städten einsetzen will. (Beifall bei der LINKEN) Das IGZ verbindet derzeit beides: die Grundlagenforschung in Großbeeren und die Fähigkeit, Forschungsergebnisse in die Breite zu überführen, in Thüringen. Die Leibniz-Gemeinschaft legt ihren Schwerpunkt leider nunmehr auf die Grundlagenforschung und wird deshalb den Standort Erfurt zum Jahresende abwickeln. Der Zentralverband Gartenbau befürchtet wie die Linke, dass sich damit die Innovationskraft des gesamten Wirtschaftszweiges verschlechtert. Die rot-rot-grüne Thüringer Landesregierung kämpft für den Erhalt dieser Forschung für Gemüse und Zierpflanzen in Erfurt. (Beifall bei der LINKEN) Aber allein und ohne Bundesmittel kann Thüringen diese eigentliche Bundesaufgabe nicht schaffen. Gegenüber dem Landwirtschaftsministerium hat Thüringen in Gesprächen und Protokollen stets bestätigt, dass es den Neustart einer wissenschaftlichen Forschungseinrichtung in Nachfolge des IGZ in Erfurt unterstützen wird. Im Landeshaushalt für 2017 sind die Mittel eingestellt. In der mittelfristigen Finanzplanung des Freistaates Thüringen sind die Mittel enthalten. Am 23. September 2016 hat der Staatssekretär des Thüringer Ministeriums für Infrastruktur und Landwirtschaft in Berlin vor Leitung, Betriebsräten und Beschäftigten des IGZ die Bereitschaft zur anteiligen Weiterfinanzierung einer Forschungseinrichtung durch Thüringen bestätigt. Herr Staatssekretär Bleser, Thüringen steht wie der Zentralverband Gartenbau zur Garten- und Zierpflanzenforschung in Erfurt. Minister Schmidt bestätigte zuletzt am Mittwoch im Landwirtschaftsausschuss des Bundestages, dass solch eine Einrichtung zu erhalten und finanziell zu unterstützen ist. Hier reden wir gerade über den im Antrag dokumentierten Willen der Koalitionsfraktionen, die Gartenbauforschung zu stärken. Wenn jedoch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft nur Projektförderung anbietet und sich abweichend von den Aussagen des Ministers im Landwirtschaftsausschuss um eine institutionelle Förderung drückt, dann wird das Ministerium dem Willen der Koalition nicht gerecht. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, die Linke unterstützt Sie bei der Konkretisierung und Umsetzung dieses Antrags. Verhindern wir gemeinsam einen Verlust an Forschungskapazitäten für eine innovative heimische Gartenwirtschaft. Geben wir als Bundestag der Regierung auf, den gewachsenen Gartenbauforschungsstandort in Erfurt dauerhaft zu sichern. Danke. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Johann Saathoff hat für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Johann Saathoff (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Stadt Wiesmoor in Ostfriesland, einem Zentrum des Gartenbaus in Deutschland, findet jedes Jahr ein Blütenfest statt. Es ist eine wundervolle Veranstaltung mit gesteckten Wagen, mit Dahlien, die dort in ehrenamtlicher Arbeit gesteckt werden. Es gibt einen Blütenkorso und die Wahl einer Blütenkönigin. Das Ganze endet mit einer eindrucksvollen Veranstaltung „Kanal in Flammen“. Ich lade Sie alle herzlich nach Wiesmoor ein; denn ein Besuch lohnt sich zu jeder Zeit, aber natürlich auch zum Blütenfest. In Ostfriesland ist der Gartenbau wie in vielen ländlichen Regionen Deutschlands ein wichtiger Bestandteil; denn er generiert Arbeitsplätze und Wertschöpfung. Wir von der SPD, meine Damen und Herren, wollen, dass das auch so bleibt. Das sage ich hier ganz deutlich. (Beifall bei der SPD) Dieser wertvolle Beitrag des Gartenbaus schlägt sich natürlich auch in Zahlen nieder. Die will ich jetzt nicht im Einzelnen nennen, die können Sie aber in unserem Antrag nachlesen. Herr Kollege Mahlberg hat ja auch darauf hingewiesen. Nur so viel: Deutschland bietet seit Jahrzehnten den größten europäischen Verbrauchermarkt für Blumen und Pflanzen. Der Gartenbausektor ist eine innovative Branche, ohne die der ländliche Raum nicht nur ein kleines, sondern ein großes Stück ärmer wäre. Deswegen ist er für uns im ländlichen Raum wichtig. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das Wetter ist und bleibt aber der größte Unsicherheitsfaktor für den Gartenbau. Das eint den Gartenbau mit den erneuerbaren Energien, neben dem Gartenbau einer der weiteren wichtigen Wertschöpfungsfaktoren in ländlichen Regionen. In Ostfriesland gibt es nicht nur viele Gartenbaubetriebe, es gibt auch viele Windenergieanlagen. Die Übertragungsnetzbetreiber haben kürzlich die EEG-Umlage für das nächste Jahr bekannt gegeben. Sie ist mit 6,88 Cent pro Kilowattstunde erneut leicht gestiegen. Gleichzeitig steigen die Netzentgelte, was den Strompreis zusätzlich belastet. Natürlich ist das alles auch von den Gartenbaubetrieben zu zahlen, so wie ein großer Teil der Einnahmen des EEG-Kontos aus den mittelständischen Betrieben stammt. Denn anders, als es im Allgemeinen wahrgenommen wird, ist nur ein kleiner Teil der deutschen Wirtschaft von der EEG-Umlage als privilegiert zu betrachten. So leisten auch die Gartenbaubetriebe einen essenziellen Beitrag zum Gelingen der Energiewende in Deutschland. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]) Bei der Energiewende geht es zuallererst um Klimaschutz. Die Branche weiß ganz genau, was Klimawandel bedeutet, und stellt sich schon darauf ein, zum Beispiel mit neuen Sorten. Dafür ist eine breit aufgestellte Forschung notwendig. Deswegen heißt es in der Antragsüberschrift: „... Garten- und Landschaftsbau als innovativen Wirtschaftszweig stärken und zukunftsfest machen“. Der Bund tritt weiterhin für eine leistungsfähige Forschung im Gartenbau ein und setzt sich gemeinsam mit den zuständigen Ländern dafür ein, dass die Forschung auf diesem hohen Niveau erhalten bleibt. Aber die Branche trägt nicht nur mit der Zahlung der EEG-Umlage zur Energiewende bei, sie arbeitet auch aktiv am Klimaschutz mit, indem sie hilft, die Klimaziele zu erreichen, wie zum Beispiel durch die Senkung des Primärenergieverbrauchs. Wir alle unterstützen sie dabei, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das Bundesprogramm zur Förderung von Effizienzmaßnahmen in Landwirtschaft und Gartenbau ist sehr erfolgreich. (Beifall bei der SPD) Es läuft seit dem 1. Januar 2016 und erfährt seitdem zunehmenden Zuspruch aus der Branche. Antragszahlen und Antragsvolumen haben sich sehr erfreulich entwickelt. Aktuell liegen 483 Anträge mit einem Gesamtvolumen von 11,8 Millionen Euro vor. Dafür, dass es so erfolgreich bleibt, wollen wir im nächsten Jahr die Mittel deutlich aufstocken. (Beifall bei der SPD) Damit lässt sich vor allem im Unterglasgartenbau eine Menge Energie und damit eine Menge Geld, aber auch eine Menge CO2 einsparen. Dem Klimaschutz möchte ich mich an dieser Stelle aber noch mehr widmen wollen. Der Ausstoß von CO2 ist nämlich bislang quasi kostenlos. Es gibt keine Gebühr für die Ablagerung von CO2 in der Deponie, die Atmosphäre heißt. Als ehemaliger Bürgermeister kann ich Ihnen aber sagen: keine Ablagerung und keine Abfallentsorgung ohne Gebühr. Natürlich begeben wir uns damit in ein Spannungsfeld. Beispielhaft für das Spannungsfeld stehen die Ziele im Klimaschutzplan der Bundesregierung, deren Erreichen eine Umstrukturierung der gesamten Wirtschaft voraussetzt und eben auch den Gartenbau betreffen wird. In Ostfriesland sagt man: „Van lüttje Fisken worden Heekten groot“, was sehr frei übersetzt heißt: Kleinvieh macht auch Mist. – Zu den kleinen Maßnahmen im Entwurf des Klimaschutzplans der Bundesregierung gehört im Bereich Gartenbau vor allem die Reduktion des Torfeinsatzes. In meiner Heimat Ostfriesland gibt es eben nicht nur viele Gartenbaubetriebe, viele Windenergieanlagen und viele andere einmalige, sehenswerte Dinge, sondern traditionell auch viel Torf. Torf wurde früher in den ärmsten Regionen unter bittersten Umständen gestochen, über die Kanäle in die Städte gebracht und gegen Lebensmittel getauscht. Torf ist ein essenzieller Bestandteil des Gartenbaus. Wir alle wissen aber, dass der, der Torf abbaut, dem Klima extrem schadet. In Niedersachsen wurde deshalb beispielsweise ein Programm ins Leben gerufen, das dem Schutz und der Entwicklung der niedersächsischen Moorlandschaften dient. Es besteht ein vielschichtiger Maßnahmenkatalog zur Verringerung der Torfzehrung und Torfsackung und damit zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen. Das Programm umfasst Maßnahmen zum Moorschutz und zur moorschonenden Bewirtschaftung. Dabei geht es beispielsweise um Wiedervernässung nach dem Torfabbau und um die Optimierung des Wasserhaushalts auf bereits renaturierten Flächen. Ich weiß, dass der Gartenbau enorme Anstrengungen leistet, um Torf zu substituieren. Am Beispiel des Ökowerks in Emden möchte ich Ihnen heute demonstrieren, dass sich Klimaschutz, Torfsubstitution und Wirtschaftlichkeit nicht gegenseitig ausschließen: Im Pomarium des Ökowerks werden rund 600 Apfelsorten kultiviert. Es gibt Apfelsorten, die so klein wir Kirschen sind, und es gibt Apfelsorten, die so groß wie kleine Kürbisse sind. In diesem Pomarium gibt es 600 verschiedene Geschmäcker, also deutlich mehr als die 25 Sorten, die es im Einzelhandel üblicherweise zu kaufen gibt. Als das Pomarium vor einigen Jahren eingerichtet wurde, bestand es noch komplett aus Topfkulturen. Mittlerweile stehen die jungen Bäume komplett in Beeten im Freiland – und das alles ohne den Einsatz von Torf. Sicher werden jetzt einige sagen: Das geht doch gar nicht. Das ist viel zu teuer. Das kann man nur in Ostfriesland machen. – So ist es aber eben nicht. Im Gegenteil: Der Arbeitsaufwand hat sich durch die Umstellung reduziert. Man muss zum Beispiel am Wochenende nicht mehr nachschauen, ob die Tropfanlage irgendwo verstopft ist. Die Pflanzen bekommen auch so ganz natürlich genügend Feuchtigkeit. Ich sehe hier also erst einmal die Schutzreaktion von Menschen, die umstellen müssen, nach dem Motto: Watt de Buur neet kennt, dat freet he neet. – Es kann aber eben doch funktionieren. Genau deshalb steht im Klimaschutzplan nicht nur irgendein Verbot, sondern dass man Beratungs- und Informationsmaßnahmen zur Nutzung von Torfersatzstoffen durchführen soll, damit sich diese Erkenntnis dann auch über Emden hinaus in Deutschland verbreiten kann. Selbstverständlich sind in diesem Zusammenhang noch enorme Forschungsanstrengungen notwendig, aber so sicher, wie wir irgendwann unseren Strom komplett aus erneuerbaren Energien gewinnen werden, wollen wir den Torf zum Schutz des Klimas da lassen, wo er hingehört. Ein großes Thema ist aktuell auch das Stadtgrün. Der Gartenbautag stand dieses Jahr unter dem Motto: „Mensch. Stadt. Grün.“ Urbanes Grün trägt unmittelbar zu einer guten Nachbarschaft und einem sozialen Quartier bei. Deshalb unterstützt die SPD auch die Bestrebungen, dem Grün in der Stadt einen wichtigen Stellenwert einzuräumen. So wie wir mit dem Mieterstrom die Erzeugung grünen Stroms in den Städten fördern und auch Menschen, die kein eigenes Haus besitzen, auf der Erzeugungsseite an der Energiewende beteiligen wollen, haben wir mit dem Stadtgrün vor, mehr Teilnahme am Grün zu ermöglichen. Das bedeutet bessere Freizeit, bessere Luft und damit ein gutes und soziales Leben miteinander im Quartier. Grünflächenparks, Spielplätze und andere Naturerholungsräume tragen zu einem guten Miteinander bei. Ein weiteres wichtiges Thema, das gerade in allen Wirtschaftsbereichen diskutiert wird, ist „Digitalisierung und Industrie 4.0“. Die Digitalisierung verändert unser Leben, und sie verändert, wie wir arbeiten. Manche Menschen haben aber auch berechtigte Befürchtungen, dass die Digitalisierung dazu führt, dass sie im Endeffekt gar keine Arbeit mehr oder nur noch eine viel schlechter bezahlte Arbeit haben. Im Gartenbau bietet die Digitalisierung Möglichkeiten zur Optimierung von Bestandserfassung, Orderprozessen und bedarfsgerechter Planung der Produktion. Diese Prozesse können also deutlich effizienter ausgestaltet werden, wodurch Aufwand und Geld gespart werden. Der Kundenkontakt kann ebenfalls substanziell weiterentwickelt werden. Ich habe in den vergangenen Wochen und Monaten mit ganz vielen Start-up-Unternehmen gesprochen. So wie vor 15 Jahren noch niemand an Smartphones und die Apps dachte, die dazugehören, wird es in den nächsten Jahren viele Entwicklungen geben, die heute bestenfalls schemenhaft zu erkennen sind. Darin besteht eine große Chance für die wirtschaftliche Entwicklung. Aber diese Chance birgt natürlich wie jede Chance in gesellschaftlichen Umbrüchen gewisse Gefahren. Deswegen ist es für die SPD ganz wichtig, dass solche Weiterentwicklungen möglich gemacht werden, aber der Mensch bei der Weiterentwicklung in diesen Bereichen immer fest in den Blick genommen wird. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Friedrich Ostendorff für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Gartenbaubranche erfüllt in ihrer Vielfalt wichtige gesellschaftliche Aufgaben. Die Früchte des Erwerbsobst- und -gemüsebaus sind Teil unserer Ernährung. Den Ausbau und die Instandsetzung des öffentlichen Grüns leistet der Garten- und Landschaftsbau. Der Freizeitwert wird vom Sport- und Spielstättenbau befördert. Auch andere Bereiche wie Friedhofsgärtnereien, aber auch Baumschulen, Staudengärtnereien oder Zierpflanzenbau sind wichtige Kulturträger. Nicht zu vergessen: Der Gartenbau ist Träger positiver Emotionen, meine Damen und Herren. Das bedeutet, der gesellschaftlichen Erwartungshaltung und der gesellschaftlichen Akzeptanz ist nachzukommen. Inzwischen spüren wir eine breite Bewegung und gerade auch bei jungen Familien den Wunsch nach einer eigenen Anbauparzelle, nach einem eigenen Sehnsuchtsort; sei es Urban Gardening – Stichwort: Tempelhofer Feld –, sei es der klassische Kleingarten im Ruhrgebiet. Da gibt es in den Kleingärtenvereinen inzwischen wahre Kulturrevolutionen. Der Garten- und Landschaftsbau verdient viel stärkere Aufmerksamkeit; denn die Branche muss zukunftsorientiert denken und handeln. Dafür braucht sie aber Perspektive. Das ist die politische Aufgabe, die wir haben. Es ist gut, dass es diesen Antrag der Koalitionsfraktionen gibt. Deshalb können wir diese Debatte, meine Damen und Herren, nur sehr begrüßen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU und der SPD, wo liegen denn die Prioritäten in der Förderung der Branche? Was wir im Antrag lesen, ist ein wärmender, wohlwollender Rundumschlag nach dem Motto: Wir stehen immer hinter euch, heute und gestern. – Was fehlt, sind natürlich die Wegweiser, wo es in der Zukunft hingehen soll. Die Umstellung auf regenerative Energien ist den Gartenbaubetrieben wahrlich nicht fremd. Sie sind schon lange auf dem Weg. Durch Energieeffizienz und Energiesparen können Kosten eingespart werden, Energie kann aber auch ein wichtiger Kostentreiber sein. Bei Ökologisierung und Nachhaltigkeit müssen wir die Betriebe viel stärker unterstützen. Darum müssen wir uns kümmern. Da geht es nicht nur um den knappen Rohstoff Torf, der aus dem Gartenbau weiter verbannt werden muss; darin sind wir uns durchaus einig. Es geht um viel mehr. Ein Thema ist zum Beispiel die EU-weite Harmonisierung der Pflanzenschutzgesetzgebung. Im Obstbau führt die nichteinheitliche EU-Regulierung immer wieder zu enormen Wettbewerbsverzerrungen. Mittel, die hier in Deutschland zu Recht längst verboten sind, kommen in Nachbarländern noch immer zum Einsatz, durch den Import von Früchten aber leider auch zu uns. Umgekehrt ist es aber genauso. Auch wir müssen hier tätig werden und haben da noch einiges zu tun. Dieses Problem muss endlich angegangen werden, meine Damen und Herren. Im Zierpflanzenbau muss der Einsatz von bestimmten Wachstumsregulatoren endlich geregelt werden. Hier erfährt die Branche aufgrund fehlender EU-Regelungen ebenfalls große Benachteiligungen. Eine Harmonisierung der EU-Pflanzenschutzvorgaben wird die Forschung nach Alternativen und die EU-weite Ökologisierung des Gartenbaus endlich voranbringen. Ein weiteres dringendes Thema ist die Förderung des Ökozierpflanzenbaus. Hier stecken Forschung und Lehre noch in den Kinderschuhen, obwohl der Markt diese Produkte zunehmend fordert, wie auch im Übrigen der Ökomarkt. Meine Damen und Herren, diesen Bereich an Gartenbauforschungszentren anzugliedern, ist längst überfällig. Da gilt es, endlich Fahrt aufzunehmen. Die unterschiedliche Branchenausrichtung auf Produktion, Handel und Dienstleistung oder auch deren Kombination erfordert vielfältige betriebliche Strukturen. Eine Stärkung kleiner und mittlerer, direktabsetzender Betriebe ist zur Erhaltung der Branchenstruktur unabdingbar. Was wir in den bäuerlichen Strukturen erfolgreich vorangebracht haben, geht im Gartenbau im Moment noch sehr stark verloren. Diese Entwicklung muss gestoppt werden. Die Politik muss dafür sorgen, dass die Chancen der kleinen und mittleren Betriebe, sich gegenüber Gartencenterketten, Baumärkten und dem Lebensmitteleinzelhandel durchzusetzen, die sich hier ja auch im Verkauf sehr stark engagieren, und zwar nur da, verbessert werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In den direktabsetzenden Betrieben finden wir die Innovation, die wir in der Branche brauchen. Diese Betriebe stellen auch eine große Zahl der Ausbildungsplätze für den so wichtigen Fachkräftenachwuchs. Diese attraktiven Berufe des Gartenbaus haben absolute Nachwuchsprobleme. Das kann uns doch nicht egal sein. Gesellschaftlich liegt Garten voll im Trend. Eine professionelle Ausbildung in diesem Bereich, vor allem im produktiven Gartenbau, ist leider bei jungen Leuten out. Da müssen wir gemeinsam Anstrengungen unternehmen und innovative Marketingideen hineinstecken, um diesen spannenden, abwechslungsreichen, kreativen und gesellschaftlich wertgeschätzten Bereich voranzubringen. Natürlich bedeutet das auch, Betrieben zu helfen, die sich darum mühen, jungen Flüchtlingen, die oft gute Voraussetzungen mitbringen, das Berufsfeld Gartenbau zu öffnen. Das könnte, wenn es gelingt, auch ein wichtiger Beitrag zur Integration werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Dagmar Ziegler [SPD]) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Artur Auernhammer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Artur Auernhammer (CDU/CSU): Danke schön. – Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon fast sehr harmonisch zu nennen, wie hier ein Thema unseres Ausschusses debattiert wird. Bei anderen Themen sind wir etwas leidenschaftlicher. Vielleicht eint uns ja das Thema, das wir hier haben. Ich begrüße zu dieser Debatte auch Menschen aus einem Bundesland, die alles können außer Hochdeutsch. Ich begrüße die Mitglieder des Kreistages Göppingen und meinen Kollegen Hermann Färber. Schön, dass Sie dieser Debatte beiwohnen! Ich kann Ihnen versprechen: Nicht immer ist es so harmonisch hier. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Der Gartenbau hat in Deutschland eine lange Tradition. Es war früher eine Selbstverständlichkeit, einen eigenen Hausgarten anzulegen und für den eigenen Bedarf anzupflanzen. Das war gerade in den neuen Bundesländern der Fall. Die Versorgungssituation hat es ja bedingt notwendig gemacht, sein eigenes Obst und Gemüse im Schrebergarten mit einer kleinen Datsche anzubauen. Auch und gerade im ländlichen Raum und auf unseren Bauernhöfen gehört der Gartenbau wie selbstverständlich dazu. Der eigene Garten ist das wahre „Bio“. Gerade die junge Generation entdeckt den eigenen Garten wieder vollkommen neu für sich. Wahre Kleinbauern sind sie. Als Landwirt begrüße ich die Ziele des vorliegenden Antrags ausdrücklich. Mit den aufgeführten Maßnahmen unterstützen wir die Inklusion von Urbanität und Landwirtschaft. In der Landwirtschaft und im heimischen oder urbanen Garten geht es um die gleichen Dinge. Der richtige Umgang mit Pflanzen ist Voraussetzung, damit aus der Saat ein genießbares Produkt wird. Die Vorarbeit ist wichtig, ebenso die Pflege, der Schutz, auch der Pflanzenschutz. Wir haben hier Potenzial für mehr Wertschätzung der Produktion von Lebensmitteln, wir haben Potenzial für Akzeptanz der Preise, und wir haben Potenzial für geringere Verschwendung. Der Gartenbau, der in der Bevölkerung selbst stattfindet, erzeugt ein größeres Verständnis für Lebensmittel bei uns. Gerade Kinder können nicht früh genug entsprechende Erfahrungen machen, etwa in der Schule einen Apfel zu verzehren, der aus dem eigenen Garten kommt und selbst gepflückt worden ist. So kann man die heimische Produktion wesentlich besser wertschätzen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich freue mich über das starke Verlangen der Verbraucher nach regionalen Produkten. Auch hier handelt es sich nicht um eine moderne Entwicklung, sondern um Altbewährtes, das wieder auflebt. Gesundheitsbewusste Stadtbewohner, vorwiegend junge Familien, wollen wieder ökologisch angebautes Obst und Gemüse vom Bauernhof in ihrer Region. Mit diesem Antrag wollen wir die regionale Produktion von Lebensmitteln unterstützen. Gerade kleine und mittelständische Agrarbetriebe, die sich auf ökologische Landwirtschaft spezialisieren, sind auf die Forschungsergebnisse angewiesen, die der Bund mit seinen Programmen zu Saatgut und zur Schädlingsbekämpfung unterstützt. Mit diesem Antrag wollen wir hier für eine Verstetigung sorgen. Wer im 21. Jahrhundert nicht Möhren und Zwiebeln im Wechsel anpflanzt, um einen natürlichen Schädlingsbefall zu verringern, ist auf die Forschungsergebnisse im Bereich Saatgut und Schädlingsbekämpfung angewiesen. Meine sehr verehrten Damen und Herren ich komme auf Landschaftsbau und Städtebau bzw. Grün in der Stadt zu sprechen. Berlin ist – das muss man gnadenlos anerkennen – das Paradebeispiel für Grün in der Stadt. Ich spreche jetzt nicht von der Partei. (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum eigentlich nicht?) Den einen oder anderen von uns trifft man ja morgens immer im Tiergarten beim Joggen. Da können Sie das hautnah erleben. Wenn ich in meine Heimat schaue, kann ich feststellen, dass auch dort in den Städten immer mehr auf Grün in der Stadt geachtet wird. Wir sorgen diesbezüglich mit den Städtebaufördermitteln für gute Ansätze. Heute kommt aber dem Thema „Grün in der Stadt“ noch eine ganz andere Bedeutung zu. Grün in der Stadt ist Staubfilter, ist Lärmdämpfer, ist Sichtschutz und vor allem Klimaschutz. Ich freue mich, dass sich im Deutschen Bundestag eine Parlamentsgruppe „Kulturgut Alleen“ gegründet hat, die sich den Schutz unserer Alleebäume an den Straßen auf die Fahne geschrieben hat. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sprechen in diesem Haus oft über ökologische Ausgleichsflächen. Wie wir wissen, regeln wir mit der Kompensationsverordnung diese ökologischen Ausgleichsmaßnahmen. Gerade wenn neue Straßen, wenn neue Gebäude gebaut werden müssen, ist der ökologische Ausgleich von Bedeutung. Wir müssen aber leider immer häufiger feststellen, dass gerade die Städte in Ballungsräumen in ländlichen Räumen landwirtschaftliche Nutzflächen kaufen und damit diese landwirtschaftlichen Nutzflächen den Landwirten und damit der Lebensmittelproduktion entziehen. Es besteht Bedarf, darüber zu diskutieren. Hier müssen wir nachsteuern. Meine Damen und Herren, es ist wichtig, dass wir innerhalb der Städte einen ökologischen Ausgleich schaffen und nicht außerhalb, irgendwo in der Ferne. Deshalb ist bei Baumaßnahmen auf das Thema „Grün in der Stadt“ durch innovative Ideen der Architekten und eine verstärkte Pflege während der Baumaßnahmen zu achten. Zugleich muss dafür gesorgt werden, dass die Sache mit extern ausgelagerten Ausgleichsflächen, mit ökologischen Ausgleichsflächen im ländlichen Raum ein Ende hat. Die biologische Vielfalt muss innerhalb der Stadt gewährleistet sein; ein Ausgleich irgendwo auf dem flachen Land hilft da nicht weiter. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Gartenbau hat einen großen Energiebedarf; Kollegen sind schon darauf eingegangen. Es freut mich allerdings, dass sehr viele Gartenbaubetriebe auf regenerative Energieversorgung umgestellt haben. Ich kenne viele Gartenbaubetriebe, die eine eigene Hackschnitzelheizanlage oder Bioenergieanlagen betreiben oder an Biogasanlagen angeschlossen sind, um die Wärme zu nutzen. Das sogenannte regenerative Zusammenspiel funktioniert im Gartenbaubereich bereits hervorragend. Das sollten wir weiter unterstützen, damit wir hier vorankommen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Garten- und Landschaftsbau ist für mich neben der deutschen Landwirtschaft – er ist ja eigentlich ein Teil der deutschen Landwirtschaft – Garant für das freundliche Gesicht Deutschlands. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass dieses Gesicht weiterhin freundlich bleibt. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/10018 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 9. November 2016, 13 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen alles Gute bis dahin. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 15.38 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Aken, Jan van DIE LINKE 21.10.2016 Blienert, Burkhard SPD 21.10.2016 Bluhm, Heidrun DIE LINKE 21.10.2016 Brehmer, Heike CDU/CSU 21.10.2016 Diaby, Dr. Karamba SPD 21.10.2016 Dörflinger, Thomas CDU/CSU 21.10.2016 Esken, Saskia SPD 21.10.2016 Fuchs, Dr. Michael CDU/CSU 21.10.2016 Hahn, Florian CDU/CSU 21.10.2016 Hartmann (Wackernheim), Michael SPD 21.10.2016 Henke, Rudolf CDU/CSU 21.10.2016 Hintze, Peter CDU/CSU 21.10.2016 Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21.10.2016 Launert, Dr. Silke CDU/CSU 21.10.2016 Leidig, Sabine DIE LINKE 21.10.2016 Maizière, Dr. Thomas de CDU/CSU 21.10.2016 Merkel, Dr. Angela CDU/CSU 21.10.2016 Müntefering, Michelle SPD 21.10.2016 Nietan, Dietmar SPD 21.10.2016 Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21.10.2016 Post (Minden), Achim SPD 21.10.2016 Pronold, Florian SPD 21.10.2016 Sarrazin, Manuel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21.10.2016 Schlecht, Michael DIE LINKE 21.10.2016 Schröder, Dr. Ole CDU/CSU 21.10.2016 Schwartze, Stefan SPD 21.10.2016 Spahn, Jens CDU/CSU 21.10.2016 Steffel, Dr. Frank CDU/CSU 21.10.2016 Strothmann, Lena CDU/CSU 21.10.2016 Vietz, Michael CDU/CSU 21.10.2016 Wagenknecht, Dr. Sahra DIE LINKE 21.10.2016 Weinberg, Harald DIE LINKE 21.10.2016 Weisgerber, Dr. Anja CDU/CSU 21.10.2016 Werner, Katrin DIE LINKE 21.10.2016 Wicklein, Andrea SPD 21.10.2016 Wunderlich, Jörn DIE LINKE 21.10.2016 Zimmermann (Zwickau), Sabine DIE LINKE 21.10.2016 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Tankred Schipanski (CDU/CSU) zu der Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Fortentwicklung der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes (Tagesordnungspunkt 26 a) Diese Gesetzesnovellierung steht in keinem Zusammenhang mit den Erkenntnissen des 1. Untersuchungsausschusses („NSA“) der 18. Wahlperiode. Eine mangelhafte parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste wurde bisher in diesem Gremium nicht festgestellt. Die eingebrachten Änderungsanträge mit Blick auf die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste beruhen lediglich auf den Wünschen einzelner Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Auf deren Arbeitserfahrung vertrauend, stimme ich diesem Gesetz zu. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Tankred Schipanski (CDU/CSU) zu der Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes (Tagesordnungspunkt 27) Diese Gesetzesnovellierung steht in keinem Zusammenhang mit den Erkenntnissen des 1. Untersuchungsausschusses („NSA“) der 18. Wahlperiode. Der Untersuchungsausschuss hat während seiner bisherigen Arbeit vielmehr festgestellt, dass die gegenwärtigen allgemeinen Aufgabenzuschreibungen (§ 1 Absatz 2 BNDG) und die allgemeinen Befugnisse (§ 2 Absatz 1 BNDG) eine taugliche Rechtsgrundlage für die „Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung“ darstellen. Auch wurde bisher kein rechtswidriges Verhalten des Bundesnachrichtendienstes mit Blick auf diese Befugnisnorm bzw. bei der „Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung“ festgestellt. Die eingebrachten Änderungsanträge mit Blick auf die Rechtsgrundlage beruhen lediglich auf den Wünschen einzelner Praktiker, die sich eine Konkretisierung ihrer Befugnisse erbitten. Dieser Bitte kommt der Gesetzgeber mit der vorliegenden Novellierung nach. Sie dient insbesondere dazu, unseren Nachrichtendienst weiterhin in seiner schon bisher überaus zuverlässigen und ausgesprochen wichtigen Arbeit zu unterstützen, die angesichts der vielfältigen terroristischen Bedrohungen von höchster Bedeutung für die Sicherheit der Bevölkerung in Deutschland und Europa ist. Aus diesem Grund stimme ich dem Gesetzentwurf zu. Anlage 4 Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Der Bundesrat hat in seiner 949. Sitzung am 14. Oktober 2016 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz zur steuerlichen Förderung von Elektromobilität im Straßenverkehr – Gesetz zur Bekämpfung der Verbreitung neuer psychoaktiver Stoffe – Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Otto-von-Bismarck-Stiftung – Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 655/2014 sowie zur Änderung sonstiger zivilprozessualer, grundbuchrechtlicher und vermögensrechtlicher Vorschriften und zur Änderung der Justizbeitreibungsordnung (EuKoPfVODG) – Gesetz zur Änderung abfallverbringungsrechtlicher Vorschriften – Gesetz zur Änderung bewachungsrechtlicher Vorschriften – Gesetz zu der Mehrseitigen Vereinbarung vom 27. Januar 2016 zwischen den zuständigen Behörden über den Austausch länderbezogener Berichte Zudem hat der Bundesrat in seiner 949. Sitzung am 14. Oktober 2016 gemäß Artikel 94 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit §§ 5 und 7 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht Frau Dr. Yvonne Ott, Richterin am Bundesgerichtshof, als Nachfolgerin für Bundesverfassungsrichter Prof. Dr. Reinhard Gaier in den Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts gewählt. Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parlamentarischen Versammlung der NATO Frühjahrstagung der Parlamentarischen Versammlung der NATO vom 17. bis 20. Mai 2013 in Luxemburg, Großherzogtum Luxemburg Drucksachen 18/9315, 18/9596 Nr. 1.8 – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parlamentarischen Versammlung der NATO 59. Jahrestagung der Parlamentarischen Versammlung der NATO vom 11. bis 14. Oktober 2013 in Dubrovnik, Kroatien Drucksachen 18/9316, 18/9596 Nr. 1.9 – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Interparlamentarischen Union 134. Versammlung der Interparlamentarischen Union vom 19. bis 23. März 2016 in Lusaka, Sambia Drucksachen 18/9498, 18/9596 Nr. 1.13 Finanzausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Dritter Bericht des Ausschusses für Finanzstabilität zur Finanzstabilität in Deutschland Drucksachen 18/9015, 18/9596 Nr. 1.1 Ausschuss für Gesundheit – Unterrichtung durch die Bundesregierung Sondergutachten 2015 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen Krankengeld – Entwicklung, Ursachen und Steuerungsmöglichkeiten Drucksachen 18/7019, 18/7276 Nr. 4 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Berufsbildungsbericht 2016 Drucksache 18/8300 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 18/9746 Nr. A.1 Ratsdokument 11728/16 Finanzausschuss Drucksache 18/9605 Nr. A.29 EU-Dok 276/2016 Drucksache 18/9605 Nr. A.30 EP P8_TA-PROV(2016)0310 Drucksache 18/9605 Nr. A.32 Ratsdokument 10977/16 Drucksache 18/9605 Nr. A.35 Ratsdokument 11536/16 Haushaltsausschuss Drucksache 18/9605 Nr. A.37 Ratsdokument 10059/16 Drucksache 18/9605 Nr. A.38 Ratsdokument 10738/16 Drucksache 18/9605 Nr. A.39 Ratsdokument 10747/16 Drucksache 18/9605 Nr. A.40 Ratsdokument 10764/16 Drucksache 18/9605 Nr. A.41 Ratsdokument 10765/16 Drucksache 18/9605 Nr. A.42 Ratsdokument 10766/16 Drucksache 18/9605 Nr. A.43 Ratsdokument 11028/16 Drucksache 18/9605 Nr. A.44 Ratsdokument 11043/16 Drucksache 18/9605 Nr. A.45 Ratsdokument 11044/16 Drucksache 18/9605 Nr. A.46 Ratsdokument 11544/16 Drucksache 18/9605 Nr. A.47 Ratsdokument 11546/16 Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 18/9141 Nr. A.19 Ratsdokument 10088/16 Drucksache 18/9141 Nr. A.21 Ratsdokument 10309/16 Drucksache 18/9605 Nr. A.53 EP P8_TA-PROV(2016)0313 Drucksache 18/9605 Nr. A.54 Ratsdokument 11636/16 Drucksache 18/9605 Nr. A.55 Ratsdokument 11649/16 Drucksache 18/9746 Nr. A.5 Ratsdokument 11813/16 Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Drucksache 17/14284 Nr. A.8 Ratsdokument 10460/13 Ausschuss für Arbeit und Soziales Drucksache 18/6417 Nr. A.22 Ratsdokument 12081/15 Drucksache 18/6939 Nr. B.7 Ratsdokument 13966/15 Drucksache 18/6939 Nr. B.8 Ratsdokument 13968/15 Drucksache 18/7286 Nr. A.15 Ratsdokument 14694/15 Drucksache 18/7286 Nr. A.16 Ratsdokument 14799/15 Drucksache 18/7612 Nr. A.29 Ratsdokument 5026/16 Drucksache 18/8140 Nr. A.17 Ratsdokument 6285/16 Drucksache 18/8140 Nr. A.18 Ratsdokument 6987/16 Drucksache 18/8293 Nr. A.13 Ratsdokument 7276/16 Drucksache 18/8668 Nr. A.20 Ratsdokument 8535/16 Drucksache 18/8771 Nr. A.6 Ratsdokument 8962/16 Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Drucksache 18/9605 Nr. A.57 Ratsdokument 11333/16 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 18/8470 Nr. A.27 Ratsdokument 8099/16 Drucksache 18/9141 Nr. A.33 Ratsdokument 10038/16 Drucksache 18/9141 Nr. A.34 Ratsdokument 10205/16 1)  Anlage 2 2)  Anlage 3 --------------- ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 197. Sitzung, Berlin, Freitag, den 21. Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 197. Sitzung, Berlin, Freitag, den 21. Oktober 2016 19627 Plenarprotokoll 18/197